Rede von
Dietrich
Austermann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Kollegin, ich bestreite nicht, daß die Situation auf dem Arbeitsmarkt, insbesondere für Frauen in den neuen Bundesländern, besonders schwierig ist, daß sie die eigentlichen Hauptopfer der Entwicklung sind, die sich jedoch aus der Vergangenheit und nicht aus der letzten Zeit ergeben hat.
Ich habe davon gesprochen, daß es in der DDR eine latente Arbeitslosigkeit gegeben hat, die bei mindestens 50 % gelegen hat. Sie werden sich erinnern, daß es durchaus möglich war, bestimmte Verrichtungen, die mit dem Arbeitsverhältnis nichts zu tun hatten, während der Arbeitszeit zu erledigen. Dies erklärt auch ein wenig die Produktivität und den Produktivitätsrückschritt; ich habe das Stichwort „Murks und Marx" genannt. Die Frauen sind jetzt die Leidtragenden dieser Fehlentwicklung.
Meine Damen und Herren, das gesamte Sozialbudget - -
- Sie scheinen besonders unruhig zu sein. Dabei habe ich noch gar nichts über die Bilanz von 1982 und die Bilanz des letzten Bundeskanzlers, Helmut Schmidt, im Sozialbereich gesagt. Ich kann Ihnen gerne einmal vorhalten, wie der Sozialetat 1982 aus-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 30, Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. März 1995 2183
Dietrich Austermann
sah und wie er heute aussieht, welche Mittel Sie zu Lasten der Schwächsten in der Gesellschaft im Jahre 1982 gekürzt haben.
- Sie sollten nicht ganz so laut brüllen, sondern sich lieber mit den Fakten befassen. Zu diesen Fakten gehört, daß der Arbeits- und Sozialbereich in einem Maße angewachsen ist, daß es kaum noch finanziell vertreten werden kann. Der Kollege Fuchtel hat darauf hingewiesen, daß auch hier gespart werden muß.
Immerhin beträgt das gesamte Sozialbudget heute deutlich über 1 Billion DM, ein Drittel des Bruttosozialproduktes. Das hat nichts mit Sozialabbau und ungerechter Kälte zu tun. Wer dies sagt, sagt die Unwahrheit.
Im Bundeshaushalt sind für soziale Sicherung, Jugendhilfe und Arbeitsmarkt 180 Milliarden DM vorgesehen, und zwar bei einem Gesamtetat von 477,7 Milliarden DM. Hinzu kommt der Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit, der ohne Bundeszuschuß 92 Milliarden DM umfaßt.
Der Anteil des BMA-Haushalts am Gesamthaushalt ist deutlich gestiegen. Wenn ich mir noch einmal das Thema ABM und das Jahr 1982 ansehe, muß ich sagen: Damals, im Februar 1983, wurde bei etwa gleicher Arbeitslosigkeit in den alten Bundesländern von Ihnen ein Kümmerprogramm aufgelegt, das überhaupt nicht den Anforderungen entsprochen hat.
Ich glaube, es ist wichtig, daß wir in diesem Jahr besonders die Investitionsausgaben des Bundes hochgefahren haben. Mit 15,5 % Anteil am Bundesetat ist dies der höchste Investitionsanteil eines Bundeshaushalts in den letzten 20 Jahren. Ich glaube, das ist wichtig, gut und richtig.
Dann kommt der entscheidende Punkt. Bei Ihnen hat man manchmal den Eindruck, es gehe nur um das Thema des zweiten Arbeitsmarktes, wenn es sich um aktive Arbeitsmarktpolitik handelt. Auch hier können wir gern mit 1982 vergleichen. Wir haben heute die Situation, daß wir etwa 50 Milliarden DM für aktive Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung stellen. 1,1 Millionen Menschen können von Arbeitsförderungsmaßnahmen, Fortbildung und Umschulung, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Rehabilitation Gebrauch machen. Davon entfällt etwa die Hälfte auf die neuen Bundesländer. 1,1 Millionen Menschen stehen in einem Arbeitsverhältnis, das sie ohne unsere aktive Arbeitsmarktpolitik nicht hätten. Sie zahlen selber Steuern und haben das Bewußtsein, für ihre eigene Situation aufkommen zu können.
Das muß man immer wieder deutlich auch unter Hinweis darauf sagen, daß im Jahre 1994 die Mittel für Arbeitsbeschaffung, Fortbildung und Umschulung gar nicht ausgeschöpft werden konnten. Das muß man sich einmal vorstellen. Sie fordern ständig neue Mittel; die Mittel konnten aber noch nicht einmal ausgegeben werden.
Das sagt auch etwas über die Situation in unserem Land aus. Es macht doch überhaupt keinen Sinn, Frau Kollegin Wegner - was Sie gesagt haben, war Stammtischgerede im umgekehrten Sinne -,
wenn wir die Mittel für Fortbildung und Umschulung so ausweiten, daß jeder zweimal, dreimal oder viermal umgeschult wird. Es muß so sein, daß die Fortbildung und Umschulung ihn fähig machen, wieder einen aktiven Arbeitsplatz zu finden.
Mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz 1994 haben wir viele kurzfristig wirksame Maßnahmen getroffen. Dazu gehören die private Arbeitsvermittlung, die die Bundesanstalt zunächst beunruhigt, aber dann doch auf Trab gebracht hat, der gezielte Einsatz von Lohnzuschüssen, die Förderung der Selbständigkeit, die Förderung von Teilzeitarbeit und auch die Verlängerung des Beschäftigungsförderungsgesetzes und der Kampf gegen illegale Beschäftigung.
Ich stehe nicht an, hier zu sagen: Selbstverständlich gilt das, was für Arbeitnehmer im illegalen Bereich gilt, gleichermaßen auch für Arbeitgeber. Mißbrauch muß bekämpft werden.
Die Kollegin Albowitz hat das Thema der Arbeitsmarktprogramme angesprochen. Ich sage es noch einmal: Es gibt drei wesentliche Bereiche, in denen wir während der Haushaltsberatungen Veränderungen vorgenommen haben. Das scheint mir entscheidend zu sein. Man hat ja immer den Eindruck, die Regierung legt einen Entwurf vor, der dann in zweiter und dritter Lesung wieder auf den Tisch kommt. Nein, es war so, daß wir im Haushaltsausschuß eine ganze Reihe von erheblichen Veränderungen - zum Teil auf Vorschläge des Ministeriums - vorgenommen haben, die sich zugunsten der Menschen im Land, die Arbeit suchen und Arbeit brauchen, positiv auswirken werden.
Dazu gehört das Langzeitarbeitslosigkeitsprogramm. Das sind nicht 375 Millionen DM in diesem Jahr, sondern es sind 375 Millionen DM plus eine Verpflichtungsermächtigung in der Größenordnung von insgesamt 3 Milliarden DM für 180 000 neue Arbeitsplätze, für die Schwächsten auf dem Arbeitsmarkt.
Bedauerlicherweise ist es so, daß gerade die älteren Arbeitslosen in der Regel Langzeitarbeitslose sind, d. h. das erste Mal arbeitslos geworden sind. Da wollen wir helfen. Das ist vernünftige und gute Sozialpolitik.
Wir wenden uns besonders den gehandikapten Arbeitnehmern zu, denen, die besondere Schwierigkeiten im Arbeitsprozeß haben.
Dietrich Austermann
Das zweite Programm, das START-Programm, ist angesprochen worden. Es handelt sich um 83 Millionen DM. Hier soll ein interessanter Versuch unternommen werden, der zu meinem Erstaunen sogar vom DGB mitgetragen wird. Erstmals gibt es den Weg, daß in gemeinnützigen wie auch in privaten Einrichtungen Leiharbeit erfolgen kann. An dieser Leiharbeit beteiligen sich auch Vertreter des DGB, nachdem sie vor kurzem noch einen Entwurf für eine europäische Charta vorgelegt haben, in dem es ausdrücklich heißt: Die Leiharbeit ist abgeschafft. Aber nachdem Herr Schulte, der DGB-Vorsitzende, jetzt sogar für befristete Arbeitsverhältnisse ist, scheint sich ein Wandel zur Vernunft bei Ihnen einzustellen.
Wir wollen die Möglichkeit schaffen, mit Leiharbeit wieder Dauerarbeitsplätze zu entwickeln; denn wir haben die Erfahrung gemacht, daß aus den vorläufigen Arbeitsverhältnissen, aus ABM wie auch aus Leiharbeitsverhältnissen, oft Dauerarbeitsplätze werden. Dies wollen wir unterstützen.
Wir machen als drittes - neben Langzeitarbeitslosigkeits- und START-Programm - ein Programm, das neue Vorhaben zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beinhalten soll. Dieses Programm wird sich in verschiedenen Regionen der Bundesrepublik als beispielhaft erweisen. Hier ist Kreativität gefragt, hier sind viele gute Ideen gefragt. Auf der Seite der Opposition habe ich wenig davon gehört.
Lassen Sie mich noch etwas zum Thema Bundeszuschuß der Bundesanstalt für Arbeit sagen. Ziel muß es sein, daß alles das, was an Maßnahmen aus dem Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit finanziert wird, durch Beiträge gedeckt wird. Nur in Ausnahmesituationen darf dies durch Steuergelder ergänzt werden. Wir tun das, was erforderlich ist, um diese Ergänzung zu leisten. Aber nachdem wir in diesem Jahr und im vorigen Jahr den Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit heruntergeführt haben, muß die Zielrichtung ganz eindeutig sein, im nächsten Jahr die Nullgrenze zu erreichen. Ich sage dies ganz klar: Das Ziel muß sein, den Bundeszuschuß auf Null herunterzuführen.
- Dadurch, daß auch er das gesagt hat, wird bestätigt, daß es richtig ist. - Wir wollen jedenfalls die Politik entsprechend fortsetzen, und es gibt dahin gehende Tendenzen aus den ersten Monaten dieses Jahres.
Neue Arbeitsplätze können auf Dauer nur geschaffen werden, wenn es gelingt, Deutschland für die Zukunft fit zu machen. Dazu müssen aber wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Barrieren weggeräumt werd en. Die regionalpolitische Verantwortung muß gestärkt werden.
Dann fragen wir ganz konkret die Bundesländer: Was tun Sie, um technologische Barrieren wegzuräumen, um neue Technologien Platz greifen zu lassen, um dafür zu sorgen, daß große Verkehrsprojekte, die geplant sind, zu beschleunigen? Ich erwähne z. B. das konkrete Projekt des Transrapid, das alleine
30 000 Arbeitsplätze bringt. Da sind die Länder gefordert, ihren Beitrag zu leisten. Das sind nämlich im ersten Arbeitsmarkt praktische Hilfen für neue Arbeitsplätze.
- Auf Dauer! Sie können doch davon ausgehen, daß ein solches Verkehrssystem, wenn es geschaffen ist, in Betrieb genommen wird und bei einer entsprechenden Zahl von Fahrgästen auch vernünftig in Betrieb gehalten werden kann.
Die Zahl von 30 000 Arbeitsplätzen bezog sich auf den Betrieb auf Dauer, wenn der Transrapid fertig ist. Während der Bauphase gibt es selbstverständlich eine wesentlich größere Zahl von Arbeitsplätzen.
- Das liegt möglicherweise daran, daß sie davon ausgehen, daß alles das, was ich sage, ihre Zustimmung hat; das braucht nicht extra bestätigt zu werden.
Der Haushalt 1995 des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung setzt ein deutliches Signal für mehr Arbeitsplätze und weniger Arbeitslose. Die Opposition ist gefordert, in den Bundesländern, in denen sie die Regierung stellt, ihre regionalpolitische Verantwortung wahrzunehmen. Das kann man nicht, indem man wie in Schleswig-Holstein ständig Orgien von neuen Ländersteuern verkündet, sondern dies kann man nur, indem man den Kurs vertritt, den auch wir vertreten, nämlich die Belastung der Wirtschaft, der Betriebe und der Bürger zu reduzieren.
Sie setzen sich mit Ihrer falschen Subventionsforderungspolitik zugunsten von Technologien von gestern oder vorgestern dafür ein, daß mehr ökonomische Werte verbraucht als geschaffen werden.
Wer neue Arbeitsplätze will, die die hohen Lohnkosten einspielen, darf nicht neue Technologien behindern. Der darf auch nicht die Beschleunigung von Planung und Durchführung neuer zukunftsträchtiger Projekte, auch Verkehrsprojekte, vertrödeln. Es ist ganz konkrete Arbeitsmarktblockade, was Sie betreiben - auch die GRÜNEN, teilweise mit kleinen und kleinsten Grüppchen in sogenannten Bürgerinitiativen.
Wer mehr Arbeitsplätze will, muß dem Etat des Bundesarbeitsministers und dem Gesamtansatz zustimmen.
Herzlichen Dank.