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    Plenarprotokoll 13/30 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 30. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 29. März 1995 Inhalt: Tagesordnungspunkt I: Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1995 (Haushaltsgesetz 1995) (Drucksachen 13/50, 13/414) Einzelplan 06 Bundesministerium des Innern (Drucksachen 13/506, 13/527) in Verbindung mit Einzelplan 33 Versorgung (Drucksachen 13/524, 13/527) in Verbindung mit Einzelplan 36 Zivile Verteidigung (Drucksachen 13/525, 13/527) Uta Titze-Stecher SPD 2131 D Dr. Klaus-Dieter Uelhoff CDU/CSU . . 2136A Uta Titze-Stecher SPD 2136C Günter Graf (Friesoythe) SPD . . . 2137A Rezzo Schlauch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2138D Ina Albowitz F.D.P. 2140C Ulla Jelpke PDS 2143C Manfred Kanther, Bundesminister BMI 2145A Dr. Winfried Wolf PDS . 2147B Otto Schily SPD . . . . . . . . . 2148A Erwin Marschewski CDU/CSU 2150 B Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. . . . . 2151 D Einzelplan 07 Bundesministerium der Justiz (Drucksachen 13/507, 13/527) in Verbindung mit Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht (Drucksache 13/527) Gunter Weißgerber SPD 2153 D Manfred Kolbe CDU/CSU 2156 A Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2158A Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . 2159C Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2159D Uta Titze-Stecher SPD . . . . . . . 2160 B Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 2161 B Dr. Susanne Tiemann CDU/CSU . . . 2162B Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD 2164 A Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ 2166B Norbert Geis CDU/CSU 2167 B Hermann Bachmaier SPD 2167 D Otto Schily SPD 2168 B Einzelplan 11 Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (Drucksachen 13/511, 13/527) Dr. Konstanze Wegner SPD 2169 B Hans-Joachim Fuchtel CDU/CSU 2172 C Uta Titze-Stecher SPD 2174 A Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2174D Dr. Gisela Babel F.D.P 2175B, 2192D Ina Albowitz F.D.P. 2178A Dr. Heidi Knake-Werner PDS 2179D Dietrich Austermann CDU/CSU . . . 2181 D Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2182C Dr. Gisela Babel F.D.P 2184D Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 2186A Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 2187C Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . 2189C Dr. Norbert Blüm CDU/CSU 2190A Ottmar Schreiner SPD 2190 B Volker Kauder CDU/CSU 2191 A Hans-Joachim Fuchtel CDU/CSU . . . 2194A Horst Seehofer CDU/CSU 2195A Jürgen W. Möllemann F.D.P. 2196D Heiner Geißler CDU/CSU . . . . . . . 2197 C Einzelplan 30 Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (Drucksachen 13/522, 13/527) Dieter Schanz SPD 2200 D Steffen Kampeter CDU/CSU 2204 C Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2206B Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P 2207 C Dr. Ludwig Elm PDS 2209 A Christian Lenzer CDU/CSU 2210B Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister BMBF . . . . . . . . . . . . . . . 2211 C Einzelplan 17 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Drucksachen 13/517, 13/527) Siegrun Klemmer SPD . . . . 2215A Peter Jacoby CDU/CSU . . . . . . . . 2219B Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . 2221 A Heinz Lanfermann F.D.P 2222 B Heidemarie Lüth PDS 2223 D Claudia Nolte, Bundesministerin BMFSFJ 2224 C Christel Hanewinckel SPD 2226 A Maria Eichhorn CDU/CSU 2227 C Einzelplan 15 Bundesministerium für Gesundheit (Drucksachen 13/515, 13/527) Gerhard Rübenkönig SPD . . . . . . 2228 D Roland Sauer (Stuttgart) CDU/CSU . . . 2232B Uta Titze-Stecher SPD 2232 C Kristin Heyne BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2234 D Dr. Dieter Thomae F.D.P 2236B Dr. Ruth Fuchs PDS 2237 C Horst Seehofer, Bundesminister BMG 2238 C, 2243 C Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2239 A Klaus Kirschner SPD 2239 D Klaus Kirschner SPD . . . . . . . . 2243 A Einzelplan 16 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Drucksachen 13/516, 13/527) Eckart Kuhlwein SPD 2244 A Arnulf Kriedner CDU/CSU 2247 A Kristin Heyne BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2249 A Steffen Kampeter CDU/CSU 2250C Birgit Homburger FD P. 2250D Rolf Köhne PDS 2253 A Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMU . . . . . . . . . . . . . . . . 2253D Ulrike Mehl SPD 2256 A Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/ CSU . . . . . . . . . . . . . . . 2257 C Uta Titze-Stecher SPD 2258 B Einzelplan 25 Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Drucksachen 13/521, 13/527) Dr, Rolf Niese SPD 2259C Herbert Frankenhauser CDU/CSU . . 2262D Dieter Pützhofen CDU/CSU 2263 B Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 2265 C Jürgen Koppelin F.D.P 2267 A Klaus-Jürgen Warnick PDS 2268 C Gert Willner CDU/CSU 2269 B Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMBau 2271 A Einzelplan 12 Bundesministerium für Verkehr (Drucksachen 13/512, 13/527) Hans Georg Wagner SPD 2274 B Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2278B, 2280 C Bartholomäus Kalb CDU/CSU 2279 B Rainder Steenblock BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . 2281D Bartholomäus Kalb CDU/CSU . . . . 2283 B Dr. Dionys Jobst CDU/CSU 2283 D Horst Friedrich F.D.P. . . . . . .. . 2284 B Dirk Fischer (Hamburg) CDU/CSU . . . 2285 C Matthias Wissmann, Bundesminister BMV 2287B Einzelplan 13 Bundesministerium für Post und Telekommunikation (Drucksachen 13/513, 13/527) Hans Martin Bury SPD 2289 D Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein CDU/CSU 2294 C Dr. Manuel Kiper BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2296C Jürgen Koppelin F.D.P 2298 A Gerhard Jüttemann PDS 2299 B Dr. Wolfgang Bötsch, Bundesminister BMPT 2300C Einzelplan 10 Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Drucksachen 13/510, 13/527) Ilse Janz SPD 2302D Bartholomäus Kalb CDU/CSU 2307 B Ulrike Höfken-Deipenbrock BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 2309 C Dr. Günther Maleuda PDS . . . . 2310 D Meinolf Michels CDU/CSU 2311D Jochen Borchert, Bundesminister BML 2313A Erweiterung der Tagesordnung 2315A Zusatztagesordnungspunkt: Beratung des Antrages der PDS: Einladung von Repräsentanten aller Länder, die Opfer des von Nazi-Deutschland ausgegangenen Aggressionskrieges wurden (Drucksache 13/965) . . 2315 A Nächste Sitzung 2315 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 2317* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 22 (Haushaltsgesetz 1995 - Einzelplan 12 - Bundesministerium für Verkehr) Dr. Dagmar Enkelmann PDS 2317* A Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 23 (Haushaltsgesetz 1995 - Einzelplan 13 - Bundesministerium für Post und Telekommunikation) Elmar Müller (Kirchheim) CDU/CSU , 2318* A Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 24 (Haushaltsgesetz 1995 - Einzelplan 10 - Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten) Jürgen Koppelin F.D.P. . . . . . . . 2319* C 30. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 29. März 1995 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adler, Brigitte SPD 29. 03. 95 Büttner (Ingolstadt), SPD 29. 03. 95 Hans Büttner (Schönebeck), CDU/CSU 29. 03. 95 Hartmut Gansel, Norbert SPD 29. 03. 95 Dr. Hartenstein, Liesel SPD 29. 03. 95 Heym, Stefan PDS 29. 03. 95 Meißner, Herbert SPD 29. 03. 95 Tippach, Steffen PDS 29. 03. 95 Vergin, Siegfried SPD 29. 03. 95 Welt, Jochen SPD 29. 03. 95 Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 22 (Haushaltsgesetz 1995 - Einzelplan 12 - Bundesministerium für Verkehr) Dr. Dagmar Enkelmann (PDS): „Die Völker erwarten von uns, daß wir die notwendigen Beschlüsse fassen, um sie vor drohendem Schaden zu bewahren", so wird Umweltministerin Merkel aus ihrer Eröffnungsrede der Klimakonferenz zitiert. Wenn ich mir einerseits solch beschwörende Reden anhöre und andererseits die nackten Tatsachen dieses Haushalts betrachte, kann ich mich nur wundern. Wo, bitte schön, sind denn die „notwendigen Beschlüsse", die eine Klimakatastrophe vielleicht noch abwenden könnten? Ist das vielleicht der Beschluß, die Mittel für Investitionen in die Schiene um mehr als eine halbe Milliarde DM zu kürzen und die vorgesehenen Kürzungen für Straßenbauinvestitionen wieder um 350 Millionen DM zurückzunehmen? Ist damit vielleicht der Beschluß gemeint, in diesem Land, das ohnehin über eines der dichtesten Straßennetze der Welt verfügt, jährlich über 8 Milliarden DM in Straßen zu investieren? Die Glaubwürdigkeit dieser Bundesregierung ist wirklich keinen Pfifferling mehr wert. Sie heften sich den Rückgang der CO2-Emissionen stolz als Erfolg Ihrer Reduktionsbemühungen an die Brust und verschweigen dabei, daß der verzeichnete Rückgang nur auf die Deindustrialisierung in den neuen Län- Anlagen zum Stenographischen Bericht dem zurückzuführen ist. Im Westen stieg nämlich der Kohlendioxid-Ausstoß um 3 %, im Verkehrssektor - hören Sie gut zu, Herr Wissmann - sogar um 17 % zwischen 1987 und 1992. Ihr Haushalt ist ein Klimakiller-Haushalt und ein sicherer Garant dafür, daß diese Steigerungsraten auf weitere Jahre festgeschrieben werden. Erforderlich wäre wohl eine Umweltverträglichkeitsprüfung für Ihren gesamten Haushalt. Mit dieser Zielrichtung müßte dann auch der Bundesverkehrswegeplan revidiert werden. Ein erster Schritt wäre ein Ausbaustopp für Bundesfernstraßen in den alten Bundesländern. Konnte man bisher darauf hoffen, daß das, was Studien und Appelle nicht vermochten, nämlich weiteres durch Straßenneubau induziertes Verkehrswachstum zu verhindern, dann letztlich durch leere Kassen des Bundes bedingt wurde, so gilt auch das seit neuestem nicht mehr. Die Bundesregierung läßt sich den Straßenneubau privat vorfinanzieren und baut so einen weiteren Schattenhaushalt auf. Um auf dem Papier einen Anstieg der Neuverschuldung zu vermeiden, verschwendet die Bundesregierung zig Millionen DM. Das Konzessionsmodell ist nämlich gegenüber einer Haushaltsfinanzierung schlicht und einfach unwirtschaftlich. Die Projekte verteuern sich durch die Einschaltung privater Geldgeber um 30 bis 40 %, da der Staat für die hohen Refinanzierungskosten der privaten Projektträger aufkommen muß. Nun sagen Sie, es handelt sich bei den Projekten, für die jetzt Verpflichtungsermächtigungen ausgebracht sind, ja nur um Pilotprojekte. Sie wollen testen, wie sich die private Vorfinanzierung gesamtwirtschaftlich auswirkt. Das ist doch lächerlich. Können Sie mir einen Grund nennen, warum die Berechnungen des Bundesrechnungshofes nicht ausreichend sein sollten, um das zu belegen, was heute ohnehin schon jedes Kind weiß: Der Kauf auf Raten kommt teurer. Der Bundesrechnungshof hat berechnet, daß eine private Vorfinanzierung beim Engelberg-Tunnel z. B. rund 8 Millionen und bei der vierten Elbtunnel-Röhre sogar mehr als 23 Millionen DM teurer würde. Das sollte eigentlich ausreichen, um jeden verantwortlich denkenden Menschen von solch abenteuerlichen Finanzierungsmodellen abzubringen. Auch das Argument, Sie kaufen damit Zeit ein, ist an den Haaren herbeigezogen. Der öffentliche Haushalt kann jederzeit Kredite für Investitionen in unbegrenzter Höhe aufnehmen. Wenn Sie das täten, müßten Sie allerdings den Bürgerinnen und Bürgern die Wahrheit darüber sagen, wie verschuldet diese Bundesregierung tatsächlich ist. Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit aber scheuen Sie wie der Teufel das Weihwasser. So lügen Sie sich, vor allem aber den Bürgerinnen und Bürgern in die Taschen und bauen weiter an der betonierten Republik Deutschland. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 23 (Haushaltsgesetz 1995 - Einzelplan 13 - Bundesministerium für Post und Telekommunikation) Elmar Müller (Kirchheim) (CDU/CSU): Die Aufgabe, die wir uns mit der Postreform II gestellt haben, war es, das Überleben der Postunternehmen auf Dauer zu sichern und gleichzeitig Leben in den Kommunikationsmarkt zu bringen. Meine Kollegen und ich wissen, daß wir uns hier auf einer schwierigen Gratwanderung befinden. So scheint es mir bezeichnend, daß es in der CSU Herrn Stoiber deutlich zu langsam mit dem Wegfall der Telekommonopole geht, wogegen Herr Waigel, aus Sorge um eine zu starke Belastung der Telekom AG, zur Zurückhaltung mahnt. Die F.D.P. macht es sich da viel leichter. Sie fordert den Fortfall der Monopole und verheimlicht ihrer Klientel einfach, daß sie dem Gesetz selbst zugestimmt hat, mit dem der Telekom AG bis zum 1. Januar 1998 das Netz- und Sprachdienstmonopol übertragen wurde. Unzuständigkeitshalber, aber wortreich kann Herr Rexrodt als Bundeswirtschaftsminister dann genau das anmahnen, was der Bundespostminister gerade erarbeitet und Anfang dieser Woche veröffentlicht hat, nämlich die Eckpunkte des zukünftigen Regulierungsrahmens im Telekommunikationsbereich. Die SPD tut sich wie gewohnt schwer. Die einen fürchten mit einem schrittweise wachsenden Wettbewerb um den Börsenwert der Deutschen Telekom AG und unterschätzen offensichtlich die Intelligenz der Anleger. Wer kauft schon gerne einen Monopolisten im Sack, der 1998 plötzlich nackt vor den Anlegern steht, weil man ihm in einem Rutsch die schützende Monopoldecke weggezogen hat. Die anderen in der SPD setzen zwar auf die im Wettbewerb neu entstehenden zukunftssicheren Beschäftigungsmöglichkeiten, entpuppen sich aber allzu schnell als Pseudoliberale, deren Presseerklärungen mit Vorsicht zu genießen sind. Für sehr begrüßenswert halte ich das erste konkrete Papier der SPD zur Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes, so wie es als Presseerklärung am letzten Wochenende abgesetzt worden ist. Allerdings erscheint die plakative Kritik an dem Entwurf eines Eckpunktepapiers des Ministers eher grotesk, da man offensichtlich weder den vollständigen Inhalt kannte noch bereit war, zwei Tage bis zur Vorlage des Eckpunktepapiers zu warten. Einer seriösen und der Sache angemessenen Auseinandersetzung scheint es mir nicht dienlich, sich mit „bekanntgewordenen Vorstellungen" eines Entwurfs statt mit dem Papier selbst auseinanderzusetzen. Wer die Papiere sorgfältig studiert, wird feststellen, daß wir nicht weit auseinanderliegen, und es sollte uns gelingen, mit vernünftigen Argumenten Dissenspunkte abzubauen und schnellstmöglich zu einer tragfähigen Lösung zu gelangen. Wir haben in unserem Positionspapier ganz deutlich festgestellt, daß bis zum Jahre 1998 der Telekom AG die Möglichkeit eingeräumt werden muß, sich geordnet auf den Wettbewerbsmarkt einzurichten. Dies entspricht unserer Überzeugung, da eine finanziell angeschlagene Deutsche Telekom AG weder der deutschen Wirtschaft in ihrer Gesamtheit dienen würde noch im Hinblick auf den zukünftigen Börsengang und den Finanzplatz Deutschland hinnehmbar wäre. Es kann auch keine Rede davon sein, daß die Telekom übermäßig einseitig belastet werden soll. Aber, um es klar und deutlich zu sagen: Wir werden hier einen Markt und einen fairen Wettbewerb erst schaffen müssen. Die Warnung der SPD vor einer übermäßigen asymmetrischen Belastung der Telekom AG scheint konsensfähig zu sein. Wir sollten uns doch einig sein, daß das fünftgrößte deutsche Unternehmen mit einem Umsatz von fast 70 Milliarden D-Mark und dem einzigen flächendeckenden Kommunikationsnetz eine andere Infrastrukturverantwortung tragen muß als etwa kleine mittelständische Anbieter zukünftiger Telefondienstleistungen. Gerade hier kommen doch regional beschränkte oder sogar anwendungsbezogen innovative Dienste in Betracht. Es gibt unzählige technische Anwendungsmöglichkeiten, die nur für kleine Benutzergruppen Sinn machen. Der Markt wird sofort versuchen, die jeweils erforderlichen Techniken den Kunden zur Verfügung zu stellen. Vielen Anwendungen im Multimediabereich, wie z. B. Homeshopping, kommt gerade außerhalb der Ballungsräume große Bedeutung zu. Pauschale Ausbauverpflichtungen würden mittelständische Unternehmen völlig überfordern und auch gar keinen Sinn machen, da nur Megakonsortien derartige Investitionen aufbringen könnten. Hunderte kleine zusammenwachsende Inseln decken die Bedürfnisse der Bürger aber sicher besser ab, als auf wenige Großunternehmen zu setzen. Wir wollen nicht Flächendeckung als Auflage für alle. Wir wollen Flächendeckung durch alle! Das bedeutet, Insellösungen ja, und zwar so schnell und so viele wie möglich. Wie können Sie denn, Herr Bury, von einer Schieflage unseres Wettbewerbsmodells sprechen, wenn wir Unternehmen mit vielleicht einigen Dutzend Beschäftigten nicht mit den gleichen Infrastrukturauflagen belasten wollen wie die Deutsche Telekom mit über einer Viertelmillion Mitarbeitern? Sie fordern Chancengleichheit und gleichzeitig Infrastrukturauflagen bereits bei unter 25 % Marktanteil. Ab wieviel Prozent, Herr Bury, gedenken Sie denn bei Ihrer Art Chancengleichheit kleine Anbieter genauso zu behandeln wie den fünftgrößten Telekommunikationskonzern der Welt? Für kritisch und undurchführbar halte ich die Forderung der SPD nach Bereitstellung einer breitbandigen Infrastruktur für alle Bürger, und das, wie der Vorsitzende des Postausschusses, der Kollege Börnsen, gefordert hat, innerhalb etwa 5 Jahren. Dies geht jedoch völlig an den Realitäten vorbei und wäre nicht einmal, und dies weiß die SPD ganz genau, vom bisherigen Monopolunternehmen Telekom zu leisten, geschweige denn zu finanzieren. Bei rund 37 Millionen Wohnungen liegt der Versorgungsgrad etwa beim Breitbandkabelnetz der Telekom nach nunmehr 12 Jahren bei immerhin 62 %. Nach 5 Jahren waren gerade einmal 3 Millionen Wohnungen angeschlossen. Kein Mensch - ja nicht einmal Politiker - hätte von der Telekom jemals gefordert, den bevorzugten Ausbau von Ballungsgebieten zu stoppen und statt dessen ländliche Regionen zu erschließen. Zu Recht hat sich die Telekom auf Ballungsräume konzentriert, und selbst hier warf ihr der Bundesrechungshof noch das „planlose Verlegen von Fernsehkabeln" vor. Wir brauchen uns doch, lieber Herr Börnsen, nicht tatsächlich über die Versorgung mit Kabelfernsehen auf dem Lande zu unterhalten, wenn sich heute nach 12 Jahren Breitbandkabelausbau die Bundesbürger in unzähligen Stadtrand-Lagen darüber beschweren, daß die Telekom zu einem weiteren Ausbau aus Rentabilitätsgründen nicht mehr bereit ist. Jeder kennt doch die Klagen abseits gelegener Dörfer aus seinem Wahlkreis. Und hier betreiben nicht etwa die privaten Anbieter „Rosinenpicken", sondern die Telekom. Sie allein bestimmt nach Rentabilitätsgesichtspunkten sogenannte Ausbaugebiete, in denen die privaten Kabelnetzbetreiber nicht tätig werden durften. Dennoch haben die Privaten in den vergangenen Jahren bis heute rund 3,5 Millionen Wohneinheiten über Breitbandkabelnetz mit Fernseh- und Hörfunkprogrammen in den für die Telekom unrentablen Gebieten versorgt. Der von der SPD immer wieder bemühte Infrastrukturauftrag wird, wenn man hierunter also die Versorgung der weniger lukrativen Bereiche in Deutschland versteht, ganz eindeutig von den über 300, häufig mittelständischen Wettbewerbern mit Leben erfüllt. Wenn wir dann auch noch auf neue alte Kampfbegriffe wie der „Zwei-Klassen-Informationsgesellschaft" verzichten, wird es uns eher gelingen, dem gerecht zu werden, was sowohl Bürger wie Wirtschaft von uns fordern, nämlich bereits in den nächsten Monaten die wesentlichen politischen Entscheidungen zu treffen, die einen möglichst raschen Ausbau einer zukunftsweisenden deutschen Telekommunikationsinfrastruktur ermöglichen. Wer allerdings bereits vor der Veröffentlichung des Eckpunktepapiers des Ministers und ohne ein einziges Gespräch abzuwarten mit der notwendigen Zustimmung der SPD im Bundesrat droht, wie der Kollege Bury dies meinte tun zu müssen, der scheint unter dem ständigen Gefühl zu leiden, ohne massive Drohungen nicht ernstgenommen zu werden. Die vorgelegten Papiere sollten zur politischen Diskussion einladen. Sie dienen nicht als Plattform für Profilierungsversuche einzelner Politiker. Wir suchen konsensfähige Lösungen. Ich glaube, es ist jetzt an der Zeit, über die Papiere zu sprechen und offen zu diskutieren. Drohungen sind da sicherlich wenig hilfreich. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 24 (Haushaltsgesetz 1995 - Einzelplan 10 - Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten) Jürgen Koppelin (F.D.P.): Die Haushaltskonsolidierung konnte auch vor dem Einzelplan 10 des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten nicht haltmachen. Doch dabei haben wir als F.D.P. die wesentlichen agrarpolitischen Ziele nicht vernachlässigt. Mein Kollege Günther Bredehorn hat schon einmal hier sehr richtig festgestellt: „Sparzwänge können auch etwas Positives haben. Sie zwingen zur Prioritätensetzung. " Das geschieht beim Einzelplan 10. Politische Herausforderung der nächsten Jahre bleibt die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft. Die Landwirte und ihre Familien müssen auch weiterhin die Chance erhalten, ihren eigenen, individuellen Weg bei der Bewirtschaftung ihrer Betriebe zu gehen. Zusätzliche Freiräume zur Steigerung der Produktivität und Effizienz sind dabei notwendig. Den nachwachsenden Rohstoffen gilt dabei unser besonderes Interesse. Ihr Anbau kann zukunftsweisend sein. Die Mittel, die wir hier den Landwirten zur Verfügung stellen, sind ein Beitrag zur Umwelt. Völlig überrascht habe ich bei den Berichterstattergesprächen zur Kenntnis nehmen müssen, daß die GRÜNEN eine Reduzierung der Haushaltsmittel in diesem Bereich wollten. Hier zeigt sich die Ernsthaftigkeit „grüner" Politik. Mit der Anhebung des förderfähigen Investitionsvolumens im Rahmen der einzelbetrieblichen Investitionsförderung auf 100 Millionen DM machen wir den Weg frei für eine zukunftsweisende Agrarpolitik. Mit den Komplementärmitteln der Länder stehen damit 170 Millionen DM mehr zur Verfügung. Aber die Herausbildung effizienter Betriebsstrukturen - und die sind notwendig, um langfristig den Sonderstatus der Landwirtschaft im nationalen und internationalen Wirtschaftsgefüge abzubauen - kann nicht allein über die Stärkung der landwirtschaftlichen Erwerbsmöglichkeiten erfolgen. Ein zweites wirtschaftliches Standbein muß aufgebaut werden. Die F.D.P. plädiert daher für eine stärkere Gewerbe- und Dienstleistungsorientierung des landwirtschaftlichen Unternehmertums. Erste und erfolgreiche Schritte sind bereits von den Landwirten gemacht worden. Die Steigerung des Direktabsatzes landwirtschaftlicher Produkte ist nur ein Beispiel unter vielen. Hier zeigen sich die Stärken der deutschen Landwirtschaft: hohes Qualitätsniveau auf der Basis guter natürlicher Bedingungen kombiniert mit Anbindung an die Verbraucher. Diese Kombination kann zu einer weiteren, soliden Erwerbsquelle für die Landwirte werden. Allerdings, wenn wir das von Minister Seehofer vorgelegte Geflügelfleischhygiene-Gesetz beschließen würden, wäre das ein erheblicher Rückschlag für die Bemühungen um die Direktvermarktung. Der ländliche Raum bietet sich als Wirtschaftsbasis für Unternehmertätigkeit geradezu an. Für kreative Landwirte, bei denen Selbständigkeit und Gesamtverantwortung Tradition haben, ist er eine ideale Grundlage. Sie sollten ihn verstärkt zum eigenverantwortlichen Handeln nutzen. Nicht der staatliche Prämienempfänger, sondern nur der im Wettbewerb fit gemachte Unternehmer ist in der Lage, sich gegen die inner- und außereuropäische Konkurrenz durchzusetzen. Der Landwirt als Dienstleister im ländlichen Raum - ein Ziel liberaler Landwirtschaftspolitik, das von uns allen weiter verfolgt werden sollte. Davon profitieren nicht nur die Landwirte und ihre Familien. Deshalb gilt unser uneingeschränktes Ja den Strukturverbesserungen. Beim Küstenschutz hätte die F.D.P. gern mehr gemacht. Aber die zuständigen Länderminister haben die Latte der Anforderungen zu hoch gelegt. Die überzogenen Umweltanforderungen beim Küstenschutz in den norddeutschen Ländern sind inzwischen völlig inakzeptabel; die Effizienz der Hilfestellung ist damit nicht mehr sichergestellt. Nicht nur innerhalb des Agrarsektors sind strukturverbessernde Maßnahmen notwendig, sondern auch bei Hilfen für die Schaffung alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten, in anderen Unternehmensformen und auch außerhalb der Landwirtschaft. Soviel ist heute schon sicher: Die derzeitigen Haushaltsbelastungen im Agrarbereich sind zu hoch und unter den gegebenen wirtschaftlichen Verhältnissen und Umwälzungsprozessen innerhalb Europas auf Dauer nicht vertretbar. In der Agrarsozialpolitik sind in der letzten Legislaturperiode die entscheidenden Weichen gestellt worden. In den Jahren 1995 bis 1997 wird die Bundesregierung 1 Milliarde DM bereitstellen. Ein Betrag, mit dem die eigenständige soziale Sicherung der Bäuerin eingeführt werden kann. Das Agrarsozialreformgesetz ist bei den Betroffenen überwiegend positiv aufgenommen worden. Daß Kritik geübt wird, ist normal. Wir werden Einwände gegenüber einzelnen Bestimmungen des Agrarsozialgesetzes prüfen. Erste Gespräche sind in der F.D.P. bereits dazu geführt worden. Wichtig war uns, daß mit der Agrarsozialreform erreicht wird, daß rund 230 000 Bäuerinnen endlich eine eigene Alterssicherung und Schutz bei Erwerbsunfähigkeit erhalten, der Explosion der Beiträge zur Altershilfe ein Riegel vorgeschoben wird. Das gesamte System der agrarsozialen Absicherung ist finanziell stabilisiert worden. Besonders freuen dürfte sich darüber sicher unser Freund Josef Ertl, der einst die neue Agrarsozialpolitik einleitete. Von dieser Stelle auch nachträglich herzliche Glückwünsche an Josef Ertl zum 70. Geburtstag. Die Landwirtschaft befindet sich inmitten eines schwierigen Anpassungsprozesses. Der Haushalt trägt dem durchaus Rechnung. Die Vergabe staatlicher Mittel bietet gerade in Zeiten knapper Kassen die Chance, den notwendigen Entwicklungsprozeß zu flankieren und Effizienzsteigerungen sowie Strukturanpassungen zu beschleunigen. Dauersubventionen und Regulierungen müssen abgebaut werden, neue Subventionsfelder vermieden werden. Denn heute geht es mehr denn je darum, der unternehmerischen Landwirtschaft eine Bresche zu schlagen. Nur mit ihr ist eine Stärkung der Landwirtschaft langfristig möglich und auf Dauer erfolgreich.
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    Rede von Horst Seehofer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Kirschner, das weiß ich alles.

    (Klaus Kirschner [SPD]: Dann ist ja gut!)

    Sie wissen, daß wir die Beteiligten rückwirkend nicht rechtlich verpflichten können. Das ist völlig ausgeschlossen. Deshalb bin ich auf eine freiwillige Leistung der Pharmahersteller, des Deutschen Roten Kreuzes und anderer angewiesen. Wir haben mit ganz harten Verhandlungen 250 Millionen DM erreicht. Jetzt 250 Millionen DM zu bekommen mit der Folge, daß ein Aidserkrankter eine Nachzahlung bekommt und unter Einschluß der Zahlungen, die er durch den Soforthilfefonds schon bekommen hat, 1994 und 1995 insgesamt 108 000 DM und dann laufende Leistungen von 3 000 DM monatlich erhalten wird, das ist ein menschlich absolut vertretbares Angebot, bei dem ich den Betroffenen in die Augen schauen kann. Das ist kein Billigangebot!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Die Alternative wäre gewesen, Streit anzufangen. Dann würden wir in fünf Jahren noch verhandeln, dann würden wir möglicherweise in zehn Jahren noch Prozesse führen. Dann hätten wir vielleicht unser Gewissen beruhigt, aber den Betroffenen nicht geholfen. Ich bin für die Tat!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Herr Kirschner, ich hätte überhaupt nichts gesagt, wenn Sie gesagt hätten, der eine oder andere Beteiligte hätte noch mehr einbringen müssen. Aber daß Sie hier an die Länder Forderungen stellen, obwohl Sie in der Mehrheit der Länder politische Verantwortung tragen und die Länder mir gegenüber nicht mehr als 12,5 Millionen DM pro Jahr zu zahlen bereit gewesen sind, nenne ich politische Doppelzüngigkeit. Es wäre eigentlich ein Fall für den SPD-Vorsitzenden, hier einmal eine Koordination zwischen den SPD-geführten Ländern und der SPD-Bundestagsfraktion herbeizuführen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Meine Damen und Herren, ein weiteres Thema: Bei dem in Deutschland jetzt modisch gewordenen wöchentlichen Wettbewerb um die schlechteste Nachricht ist diese Woche die Sozialhilfe dran.

    (Vorsitz : Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch)

    Deshalb möchte ich an dieser Stelle einige Bemerkungen dazu machen. Eine Reform des Bundessozialhilfegesetzes ist in der Koalition vereinbart. Niemand soll sich täuschen, auch noch so viele Kommentare werden es nicht verhindern: Die Sozialhilfereform kommt, wir werden sie durchsetzen. Sie ist notwendig: nicht, um die Menschen zu ärgern, sondern um ein Sozialsystem, das Anfang der 60er Jahre von der Union - nicht von der SPD - geschaffen wurde, auch für die Zukunft stabil zu halten, um auch in der Zukunft zu gewährleisten, daß Menschen, die Hilfe brauchen, Hilfe für ein menschenwürdiges Leben bekommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Heiner Geißler hat heute schon einmal dargestellt, daß alle großen Sozialgesetze der Bundesrepublik Deutschland die Handschrift der Union tragen, auch das Bundessozialhilfegesetz. Niemand beabsichtigt, die Axt an dieses Gesetz zu legen.
    Ich verfolge drei Ziele - die Einzelheiten werden wir in der Koalition besprechen, entscheiden und dann öffentlich vertreten -: Mein erstes Ziel ist, wo immer es geht, Sozialhilfebedürftigkeit zu vermeiden. Das zweite Ziel ist, die Ausgabendynamik einzudämmen, und das dritte Ziel ist, einen gerechteren Einsatz von Sozialhilfeleistungen da und dort zu erreichen.
    Die Vermeidung von Sozialhilfebedürftigkeit muß unsere erste gesellschaftspolitische Verpflichtung sein. Das habe ich schon zweimal im Deutschen Bundestag gesagt. Bei aller Reformnotwendigkeit des Systems, worauf ich gleich komme, müssen wir die Situation integral betrachten. Viele Ursachen für den Bezug von Sozialhilfe liegen außerhalb des Sozialhilferechts. Deshalb müssen wir dort ansetzen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Da kann sich die Regierung allein mit den politischen Entscheidungen der letzten Wochen sehen lassen: 3 Milliarden DM für ein Sonderprogramm für Langzeitarbeitslose, Einführung der Pflegeversicherung, steuerliche Freistellung des Existenzminimums und eine massive Stärkung der Familienförderung. Das sind vier Entscheidungen aus den letzten vier Wochen, die alle miteinander das Sozialhilferecht entlasten, die Sozialhilfebedürftigen unterstützen und die Ausgaben der Kommunen massiv senken.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Das zweite ist die Eindämmung der Ausgabendynamik. Vorbehaltlich der Entscheidung in der Koalition: Ich kann mir nicht vorstellen, daß irgend jemand - einschließlich der Opposition - in der Bundesrepublik Deutschland etwas dagegen haben kann, wenn wir zeitlich befristet das fortsetzen, was die SPD mitbeschlossen hat, nämlich das Ansteigen der Sozialhilferegelsätze am Ansteigen der Nettolöhne der Arbeitnehmer zu orientieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand etwas dagegen hat. Wollen wir denn vertreten, daß die Renten um 1 % steigen und die Sozialhilfesätze um 5 %?

    Bundesminister Horst Seehofer
    Das wird doch niemand vertreten können! Wer kann denn etwas dagegen haben, wenn wir möglicherweise eine massive Entbürokratisierung der Sozialhilfe durchführen,

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Der blanke Hohn!)

    indem wir einmalige Beihilfen pauschalieren, um einen Riesenverwaltungsaufwand mit Prozessen im Gefolge zu verhindern, damit die Sachbearbeiter wieder mehr Zeit haben?

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Was wird nicht alles zum Lohnabstandsgebot geschrieben! Die Verstärkung der Familienförderung und die Erhöhung des Kindergeldes sind die beste Maßnahme zur Erhöhung des Lohnabstandsgebots; denn wenn die Arbeitnehmer mehr Kindergeld bekommen, vergrößert das automatisch den Abstand zwischen einem Sozialhilfeempfänger und einem Arbeitnehmer mit Kindern.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Deshalb müssen wir auf dieser Schiene weiterfahren. Ist es denn so schlimm, über diesen Punkt nachzudenken? Meine Damen und Herren von der SPD, im Föderalen Konsolidierungsprogramm haben Sie exakt zu diesem Punkt eine Bestimmung mit in das Bundessozialhilfegesetz aufgenommen und zugestimmt, daß das Lohnabstandsgebot gewahrt bleiben muß. Das wollen wir weiter konkretisieren. Ist denn das so schlimm?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Da gibt es Leute, die konstruieren da einen Anschlag auf die Familienpolitik. Ich sage: Die beste Maßnahme in Sachen Lohnabstandsgebot ist eine Verstärkung der Familienförderung. Wenn ein Arbeitnehmer mit Kindern mehr Kindergeld bekommt, vergrößert sich automatisch der Abstand zu einem Sozialhilfeempfänger mit Kindern. Das ist das Richtige.
    Was da oft für Unsinn kommentiert und geschrieben wird! Ich kann mir nicht vorstellen, daß das bewährte Prinzip aus der Krankenhausreform in der Sozialhilfe nicht Platz greifen soll. Die Ausgaben für die stationären Einrichtungen in der Sozialhilfe sind um 170 % gestiegen, die Zahl der Sozialhilfeempfänger nur um 25 %. Wir haben hier die gleiche Kostenexplosion wie bei den Krankenhäusern. Wollen wir denn warten, bis die Kostensteigerungen in den stationären Einrichtungen der Sozialhilfe dazu führen, daß wir die notwendigen Hilfen für Kranke, Pflegebedürftige und Behinderte in der Sozialhilfe nicht mehr bezahlen können? Warum können wir nicht auch hier das gleiche Prinzip verwirklichen, daß die Pflegesätze in den Einrichtungen nicht stärker steigen können als die Löhne? Wer will dagegen etwas haben?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Meine Damen und Herren, wer kann denn etwas dagegen haben, wenn künftig die Sozialhilfeträger - viele Kommunen leisten hier schon vobildliche Arbeit - Qualifizierungsmaßnahmen, Fortbildungsmaßnahmen, Lohnkostenzuschüsse bezahlen können oder wenn wir einem Arbeitnehmer, einem Langzeitarbeitslosen, der Arbeit aufnimmt, nicht sofort das volle Einkommen anrechnen, sondern dies, zeitlich befristet, degressiv gestalten, damit der Anreiz zur Arbeitsaufnahme und der Brückenschlag zur Arbeitswelt erhalten bleibt?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Meine Damen und Herren, ich bleibe auch dabei - das sagte ich schon zweimal im Deutschen Bundestag; deshalb bin ich jetzt so überrascht, daß das die große Bombe sein soll -, daß es eine kleine Minderheit gibt, die trotz angebotener Arbeit diese nicht aufnimmt. Es gibt schon eine Verpflichtung, wenn man gesund ist und eine Arbeit aufnehmen kann, Selbsthilfe durch Arbeitsaufnahme zu leisten und seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir müssen in der Koalition schon darüber reden, ob in diesen Ausnahmefällen auch einmal das Umsteigen auf eine Sachleistung und die Kürzung der Sozialhilfe möglich sein soll. Wie wollen wir denn sonst solche Menschen motivieren?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Lassen Sie mich auch noch etwas zu den Ausländern sagen. Ich bin weit entfernt von einer emotionalen Diskussion. Ich habe übrigens in den letzten Tagen in der Öffentlichkeit hierzu überhaupt nichts gesagt. Aber einer schreibt etwas, und der nächste schreibt wieder etwas usw. So ist das in Deutschland, in diesem Wettbewerb. Nichts wird aber verhindern, daß wir eine ordentliche Reform machen. Ich bin ganz sicher, daß ich mich am Schluß auch mit meiner Kollegin Cornelia Schmalz-Jacobsen in einer großen Harmonie befinden werde.

    (Zuruf von der F.D.P.: Das hoffen wir!)

    Aber, meine Damen und Herren, es gehört auch zur Wahrheit - das sage ich jetzt sehr differenziert daß jeder dritte Bezieher von Hilfe zum Lebensunterhalt Ausländer ist. Jetzt wiederhole ich das, was ich hier schon einmal gesagt habe - das sage ich nicht vorwurfsvoll; ich sage es aus folgender Überlegung -: Wir nehmen viele Zuwanderer, Bürgerkriegsflüchtlinge auf. Ich bin auch dafür, daß man Menschen, die um ihr Leben fürchten müssen, die in einem Bürgerkriegsgebiet leben, daß wir Frauen und Kindern aus solchen Regionen vorübergehend Schutz gewähren. Das gehört zu einer kultivierten Gesellschaft. Das möchte ich dick unterstreichen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Nur, meine Damen und Herren, wenn die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland - Gott sei

    Bundesminister Horst Seehofer
    Dank - bereit ist, Menschen vorübergehend Schutz zu gewähren, wenn hierdurch Sozialhilfebedürftigkeit ausgelöst wird und aus diesem Grunde die Zahl der Sozialhilfeempfänger steigt, dann dürfen wir nicht zulassen, daß die steigende Zahl von Sozialhilfeempfängern gegen diese Gesellschaft und gegen die Politik gewendet wird, indem man sagt: Jetzt haben wir die neue Armut in Deutschland.

    (Beifall bei der 'CDU/CSU und der F.D.P. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jetzt ist es vorbei mit dem Sozialreformer! Weitere Zurufe von der SPD)

    Deshalb, Frau Fuchs, lassen mich viele Kommentare, Meinungsumfragen usw. völlig kalt.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jetzt wird die Sau rausgelassen! Eduard Oswald [CDU/CSU]: Keine Unanständigkeiten!)

    Frau Fuchs, wenn ich differenziert mit Menschen spreche, also nicht schwarz-weiß malend und nicht polemisch, dann sagen mir die Menschen: Lassen Sie sich nicht beeindrucken! Mir haben heute wieder Menschen gesagt: An diesem Beispiel sieht man, wie weit sich Sozialdemokraten schon von unserer Gesellschaft entfernt haben. Sie sind nicht einmal mehr bereit, über so etwas zu reden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Nun noch kurz zu dem gerechteren Einsatz von Sozialhilfemitteln: Meine Damen und Herren, in meinem Konzept, das ich der Koalition vorschlagen möchte, steht auch, die Bezahlung von Behindertenarbeit in Werkstätten zu verbessern, weil das, was die Behinderten dort heute bezahlt bekommen, nicht gerecht ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Darüber schreibt niemand - oder die wenigsten. Es gehört auch zu meinem Konzept, zu versuchen, Obdachlosigkeit künftig da und dort zu verhindern, indem wir die Sozialhilfe verstärkt in die Lage versetzen, Dauermietschulden zu übernehmen und damit eine Zwangsräumung zu verhindern. Auch das ist ein humaner Ansatz.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Ich sage als letztes etwas zur gerechteren Ausgestaltung unseres Sozialsystems. Ich greife einen Vorschlag, den Ulf Fink zum erstenmal im Bundestag geäußert hat, gern auf. Es könnte in Deutschland 400 000 Sozialhilfeempfänger weniger geben, wenn andere Sozialsysteme und Sozialversicherungen, bei denen ein Antrag gestellt ist, bei denen aber keine Vorschüsse gewährt werden oder die Bearbeitungszeit zu lange dauert, dort, wo ein Anspruch dem Grunde nach berechtigt ist, selbst verstärkt mit Vorschüssen arbeiten würden, damit nicht die Sozialhilfeträger für einige Wochen einen Riesenapparat anwerfen müssen und die Kosten dann anschließend vom Sozialversicherungsträger wieder erstattet bekommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Meine Damen und Herren von der SPD, wir werden darüber öffentlich diskutieren, wenn die Koalition ihre Entscheidungen dazu getroffen haben wird. Das werden wir in aller Ruhe tun. Das müssen wir nicht mit Hektik machen. Dann werden wir darüber mit der Bevölkerung öffentlich diskutieren und auch die Argumente darlegen. Ich habe jetzt einmal die wirklich wichtigen Argumente dargelegt und nicht über das gesprochen, worüber in der Öffentlichkeit oft mit Halbwahrheiten und begrifflichen Verschiebungen diskutiert wird. Auch hierzu kann ich absolut stehen.
    Das Sozialhilfegesetz bleibt die dritte Säule unseres Sozialstaats. Neben der Sozialversicherung und der Versorgung steht die Sozialhilfe. Niemand braucht sich zu schämen, wenn er als Behinderter, als Pflegebedürftiger, als Geschiedener, als Alleinerziehender Sozialhilfe in Anspruch nehmen muß. Das gehört zu einem Sozialstaat, wenn er seinen Namen zu Recht tragen will. Die Sozialhilfe mit einer menschenwürdigen Ausstattung bleibt erhalten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich bedanke mich bei allen Mitgliedern des Haushaltsausschusses. Es ist ja nichts Neues, daß dort die Atmosphäre immer besser ist als bei den Reden hier im Plenum. Ich bedanke mich insbesondere dafür, daß wir bei der Lösung eines sehr schwierigen Problems eine sehr gute Unterstützung bekommen haben, nämlich vom Kollegen Roland Sauer und allen anderen Berichterstattern.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jetzt wird er wieder pastoral!)

    Ich möchte mich dafür bedanken, daß wir die Zahl der Planstellen für die Außenstellen unserer Institute in Berlin und in den neuen Bundesländern weitgehend erhalten konnten und daß dadurch die Schließung von Instituten in den neuen Bundesländern verhindert werden konnte.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Frau Fuchs, daß Sie in diesem Zusammenhang meine Staatssekretärin gelobt haben und nicht mich, trifft mich sehr und bereitet mir eine schlaflose Nacht.

    (Heiterkeit Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU Beifall bei der F.D.P.)



Rede von Dr. Burkhard Hirsch
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie die Tatsache berücksichtigen, daß die meisten Zwischenrufe, wenn es zu viele werden, doch nicht verstanden werden und also auch keine Aufnahme ins Protokoll finden, gehen Sie mit diesem wichtigen Instrument vielleicht etwas gezielter um.

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention dem Abgeordneten Klaus Kirschner.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Schon wieder?)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Klaus Kirschner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Nachdem der Minister Seehofer mich zitiert hat - ich weiß allerdings nicht, von wo er diese Meldung hat und woraus er zitiert hat -, möchte ich die Pressemitteilung, die der Kollege Schmidbauer und ich abgefaßt haben, darstellen. Deshalb möchte ich mir erlauben, dem Parlament diese Pressemitteilung vorzulesen, damit das klar und deutlich korrigiert wird.

    (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)

    - Es mag Ihnen gefallen oder nicht. Sie haben vorhin ja so lange Beifall geklascht; jetzt können Sie sich das auch noch anhören:
    1. „Billiglösung" widerspricht humanitären und sozialstaatlichen Prinzipien. Lediglich 250 Millionen DM für die Opfer der größten deutschen Arzneimittelkatastrophe.
    Eine solche Billiglösung ist völlig unakzeptabel für die Opfer und damit auch für die SPD. Nach dem Vorschlag, den das Gesundheitsministerium nach monatelangen Verhandlungen heute dem Ausschuß vorlegte, sollen die Menschen ein zweites Mal für den Verlust von Gesundheit und Leben abgespeist werden, während die Pharmaindustrie sich lediglich mit 100 Millionen DM aus ihrer Verantwortung freikaufen will.
    250 Millionen DM bedeuten für die mehr als 2 000 Opfer und ihre Angehörigen im Einzelfall lediglich eine Entschädigungssumme von etwas mehr als 100 000 DM. Den einstimmigen Empfehlungen aus dem 3. Untersuchungsausschuß „HIV-Infektionen durch Blutprodukte" und der aktuellen Praxis der Rechtsprechung wird die vorgeschlagene Lösung nicht gerecht.
    2. Pharmaunternehmen und Rückversicherer drücken sich um ihre Verantwortung
    Ungerecht, unsozial und unsinnig ist die Vorstellung, daß nicht die primär verantwortliche Pharmaindustrie (die milliardenschwere Geschäfte mit dem Blut macht!), sondern die öffentliche Hand für den größten Teil des Schadens aufkommen soll.
    Während die Versicherer der Pharmaindustrie aus ihrem mit Hunderten von Millionen DM prall gefüllten Geldsack - dem für Arzneimittel-Großrisiken aus zu 75 % steuerfrei (!) gestellten Rücklagen gebildeten-