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    Plenarprotokoll 13/30 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 30. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 29. März 1995 Inhalt: Tagesordnungspunkt I: Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1995 (Haushaltsgesetz 1995) (Drucksachen 13/50, 13/414) Einzelplan 06 Bundesministerium des Innern (Drucksachen 13/506, 13/527) in Verbindung mit Einzelplan 33 Versorgung (Drucksachen 13/524, 13/527) in Verbindung mit Einzelplan 36 Zivile Verteidigung (Drucksachen 13/525, 13/527) Uta Titze-Stecher SPD 2131 D Dr. Klaus-Dieter Uelhoff CDU/CSU . . 2136A Uta Titze-Stecher SPD 2136C Günter Graf (Friesoythe) SPD . . . 2137A Rezzo Schlauch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2138D Ina Albowitz F.D.P. 2140C Ulla Jelpke PDS 2143C Manfred Kanther, Bundesminister BMI 2145A Dr. Winfried Wolf PDS . 2147B Otto Schily SPD . . . . . . . . . 2148A Erwin Marschewski CDU/CSU 2150 B Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. . . . . 2151 D Einzelplan 07 Bundesministerium der Justiz (Drucksachen 13/507, 13/527) in Verbindung mit Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht (Drucksache 13/527) Gunter Weißgerber SPD 2153 D Manfred Kolbe CDU/CSU 2156 A Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2158A Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . 2159C Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2159D Uta Titze-Stecher SPD . . . . . . . 2160 B Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 2161 B Dr. Susanne Tiemann CDU/CSU . . . 2162B Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD 2164 A Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ 2166B Norbert Geis CDU/CSU 2167 B Hermann Bachmaier SPD 2167 D Otto Schily SPD 2168 B Einzelplan 11 Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (Drucksachen 13/511, 13/527) Dr. Konstanze Wegner SPD 2169 B Hans-Joachim Fuchtel CDU/CSU 2172 C Uta Titze-Stecher SPD 2174 A Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2174D Dr. Gisela Babel F.D.P 2175B, 2192D Ina Albowitz F.D.P. 2178A Dr. Heidi Knake-Werner PDS 2179D Dietrich Austermann CDU/CSU . . . 2181 D Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2182C Dr. Gisela Babel F.D.P 2184D Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 2186A Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 2187C Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . 2189C Dr. Norbert Blüm CDU/CSU 2190A Ottmar Schreiner SPD 2190 B Volker Kauder CDU/CSU 2191 A Hans-Joachim Fuchtel CDU/CSU . . . 2194A Horst Seehofer CDU/CSU 2195A Jürgen W. Möllemann F.D.P. 2196D Heiner Geißler CDU/CSU . . . . . . . 2197 C Einzelplan 30 Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (Drucksachen 13/522, 13/527) Dieter Schanz SPD 2200 D Steffen Kampeter CDU/CSU 2204 C Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2206B Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P 2207 C Dr. Ludwig Elm PDS 2209 A Christian Lenzer CDU/CSU 2210B Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister BMBF . . . . . . . . . . . . . . . 2211 C Einzelplan 17 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Drucksachen 13/517, 13/527) Siegrun Klemmer SPD . . . . 2215A Peter Jacoby CDU/CSU . . . . . . . . 2219B Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . 2221 A Heinz Lanfermann F.D.P 2222 B Heidemarie Lüth PDS 2223 D Claudia Nolte, Bundesministerin BMFSFJ 2224 C Christel Hanewinckel SPD 2226 A Maria Eichhorn CDU/CSU 2227 C Einzelplan 15 Bundesministerium für Gesundheit (Drucksachen 13/515, 13/527) Gerhard Rübenkönig SPD . . . . . . 2228 D Roland Sauer (Stuttgart) CDU/CSU . . . 2232B Uta Titze-Stecher SPD 2232 C Kristin Heyne BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2234 D Dr. Dieter Thomae F.D.P 2236B Dr. Ruth Fuchs PDS 2237 C Horst Seehofer, Bundesminister BMG 2238 C, 2243 C Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2239 A Klaus Kirschner SPD 2239 D Klaus Kirschner SPD . . . . . . . . 2243 A Einzelplan 16 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Drucksachen 13/516, 13/527) Eckart Kuhlwein SPD 2244 A Arnulf Kriedner CDU/CSU 2247 A Kristin Heyne BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2249 A Steffen Kampeter CDU/CSU 2250C Birgit Homburger FD P. 2250D Rolf Köhne PDS 2253 A Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMU . . . . . . . . . . . . . . . . 2253D Ulrike Mehl SPD 2256 A Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/ CSU . . . . . . . . . . . . . . . 2257 C Uta Titze-Stecher SPD 2258 B Einzelplan 25 Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Drucksachen 13/521, 13/527) Dr, Rolf Niese SPD 2259C Herbert Frankenhauser CDU/CSU . . 2262D Dieter Pützhofen CDU/CSU 2263 B Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 2265 C Jürgen Koppelin F.D.P 2267 A Klaus-Jürgen Warnick PDS 2268 C Gert Willner CDU/CSU 2269 B Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMBau 2271 A Einzelplan 12 Bundesministerium für Verkehr (Drucksachen 13/512, 13/527) Hans Georg Wagner SPD 2274 B Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2278B, 2280 C Bartholomäus Kalb CDU/CSU 2279 B Rainder Steenblock BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . 2281D Bartholomäus Kalb CDU/CSU . . . . 2283 B Dr. Dionys Jobst CDU/CSU 2283 D Horst Friedrich F.D.P. . . . . . .. . 2284 B Dirk Fischer (Hamburg) CDU/CSU . . . 2285 C Matthias Wissmann, Bundesminister BMV 2287B Einzelplan 13 Bundesministerium für Post und Telekommunikation (Drucksachen 13/513, 13/527) Hans Martin Bury SPD 2289 D Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein CDU/CSU 2294 C Dr. Manuel Kiper BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2296C Jürgen Koppelin F.D.P 2298 A Gerhard Jüttemann PDS 2299 B Dr. Wolfgang Bötsch, Bundesminister BMPT 2300C Einzelplan 10 Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Drucksachen 13/510, 13/527) Ilse Janz SPD 2302D Bartholomäus Kalb CDU/CSU 2307 B Ulrike Höfken-Deipenbrock BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 2309 C Dr. Günther Maleuda PDS . . . . 2310 D Meinolf Michels CDU/CSU 2311D Jochen Borchert, Bundesminister BML 2313A Erweiterung der Tagesordnung 2315A Zusatztagesordnungspunkt: Beratung des Antrages der PDS: Einladung von Repräsentanten aller Länder, die Opfer des von Nazi-Deutschland ausgegangenen Aggressionskrieges wurden (Drucksache 13/965) . . 2315 A Nächste Sitzung 2315 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 2317* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 22 (Haushaltsgesetz 1995 - Einzelplan 12 - Bundesministerium für Verkehr) Dr. Dagmar Enkelmann PDS 2317* A Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 23 (Haushaltsgesetz 1995 - Einzelplan 13 - Bundesministerium für Post und Telekommunikation) Elmar Müller (Kirchheim) CDU/CSU , 2318* A Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 24 (Haushaltsgesetz 1995 - Einzelplan 10 - Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten) Jürgen Koppelin F.D.P. . . . . . . . 2319* C 30. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 29. März 1995 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adler, Brigitte SPD 29. 03. 95 Büttner (Ingolstadt), SPD 29. 03. 95 Hans Büttner (Schönebeck), CDU/CSU 29. 03. 95 Hartmut Gansel, Norbert SPD 29. 03. 95 Dr. Hartenstein, Liesel SPD 29. 03. 95 Heym, Stefan PDS 29. 03. 95 Meißner, Herbert SPD 29. 03. 95 Tippach, Steffen PDS 29. 03. 95 Vergin, Siegfried SPD 29. 03. 95 Welt, Jochen SPD 29. 03. 95 Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 22 (Haushaltsgesetz 1995 - Einzelplan 12 - Bundesministerium für Verkehr) Dr. Dagmar Enkelmann (PDS): „Die Völker erwarten von uns, daß wir die notwendigen Beschlüsse fassen, um sie vor drohendem Schaden zu bewahren", so wird Umweltministerin Merkel aus ihrer Eröffnungsrede der Klimakonferenz zitiert. Wenn ich mir einerseits solch beschwörende Reden anhöre und andererseits die nackten Tatsachen dieses Haushalts betrachte, kann ich mich nur wundern. Wo, bitte schön, sind denn die „notwendigen Beschlüsse", die eine Klimakatastrophe vielleicht noch abwenden könnten? Ist das vielleicht der Beschluß, die Mittel für Investitionen in die Schiene um mehr als eine halbe Milliarde DM zu kürzen und die vorgesehenen Kürzungen für Straßenbauinvestitionen wieder um 350 Millionen DM zurückzunehmen? Ist damit vielleicht der Beschluß gemeint, in diesem Land, das ohnehin über eines der dichtesten Straßennetze der Welt verfügt, jährlich über 8 Milliarden DM in Straßen zu investieren? Die Glaubwürdigkeit dieser Bundesregierung ist wirklich keinen Pfifferling mehr wert. Sie heften sich den Rückgang der CO2-Emissionen stolz als Erfolg Ihrer Reduktionsbemühungen an die Brust und verschweigen dabei, daß der verzeichnete Rückgang nur auf die Deindustrialisierung in den neuen Län- Anlagen zum Stenographischen Bericht dem zurückzuführen ist. Im Westen stieg nämlich der Kohlendioxid-Ausstoß um 3 %, im Verkehrssektor - hören Sie gut zu, Herr Wissmann - sogar um 17 % zwischen 1987 und 1992. Ihr Haushalt ist ein Klimakiller-Haushalt und ein sicherer Garant dafür, daß diese Steigerungsraten auf weitere Jahre festgeschrieben werden. Erforderlich wäre wohl eine Umweltverträglichkeitsprüfung für Ihren gesamten Haushalt. Mit dieser Zielrichtung müßte dann auch der Bundesverkehrswegeplan revidiert werden. Ein erster Schritt wäre ein Ausbaustopp für Bundesfernstraßen in den alten Bundesländern. Konnte man bisher darauf hoffen, daß das, was Studien und Appelle nicht vermochten, nämlich weiteres durch Straßenneubau induziertes Verkehrswachstum zu verhindern, dann letztlich durch leere Kassen des Bundes bedingt wurde, so gilt auch das seit neuestem nicht mehr. Die Bundesregierung läßt sich den Straßenneubau privat vorfinanzieren und baut so einen weiteren Schattenhaushalt auf. Um auf dem Papier einen Anstieg der Neuverschuldung zu vermeiden, verschwendet die Bundesregierung zig Millionen DM. Das Konzessionsmodell ist nämlich gegenüber einer Haushaltsfinanzierung schlicht und einfach unwirtschaftlich. Die Projekte verteuern sich durch die Einschaltung privater Geldgeber um 30 bis 40 %, da der Staat für die hohen Refinanzierungskosten der privaten Projektträger aufkommen muß. Nun sagen Sie, es handelt sich bei den Projekten, für die jetzt Verpflichtungsermächtigungen ausgebracht sind, ja nur um Pilotprojekte. Sie wollen testen, wie sich die private Vorfinanzierung gesamtwirtschaftlich auswirkt. Das ist doch lächerlich. Können Sie mir einen Grund nennen, warum die Berechnungen des Bundesrechnungshofes nicht ausreichend sein sollten, um das zu belegen, was heute ohnehin schon jedes Kind weiß: Der Kauf auf Raten kommt teurer. Der Bundesrechnungshof hat berechnet, daß eine private Vorfinanzierung beim Engelberg-Tunnel z. B. rund 8 Millionen und bei der vierten Elbtunnel-Röhre sogar mehr als 23 Millionen DM teurer würde. Das sollte eigentlich ausreichen, um jeden verantwortlich denkenden Menschen von solch abenteuerlichen Finanzierungsmodellen abzubringen. Auch das Argument, Sie kaufen damit Zeit ein, ist an den Haaren herbeigezogen. Der öffentliche Haushalt kann jederzeit Kredite für Investitionen in unbegrenzter Höhe aufnehmen. Wenn Sie das täten, müßten Sie allerdings den Bürgerinnen und Bürgern die Wahrheit darüber sagen, wie verschuldet diese Bundesregierung tatsächlich ist. Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit aber scheuen Sie wie der Teufel das Weihwasser. So lügen Sie sich, vor allem aber den Bürgerinnen und Bürgern in die Taschen und bauen weiter an der betonierten Republik Deutschland. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 23 (Haushaltsgesetz 1995 - Einzelplan 13 - Bundesministerium für Post und Telekommunikation) Elmar Müller (Kirchheim) (CDU/CSU): Die Aufgabe, die wir uns mit der Postreform II gestellt haben, war es, das Überleben der Postunternehmen auf Dauer zu sichern und gleichzeitig Leben in den Kommunikationsmarkt zu bringen. Meine Kollegen und ich wissen, daß wir uns hier auf einer schwierigen Gratwanderung befinden. So scheint es mir bezeichnend, daß es in der CSU Herrn Stoiber deutlich zu langsam mit dem Wegfall der Telekommonopole geht, wogegen Herr Waigel, aus Sorge um eine zu starke Belastung der Telekom AG, zur Zurückhaltung mahnt. Die F.D.P. macht es sich da viel leichter. Sie fordert den Fortfall der Monopole und verheimlicht ihrer Klientel einfach, daß sie dem Gesetz selbst zugestimmt hat, mit dem der Telekom AG bis zum 1. Januar 1998 das Netz- und Sprachdienstmonopol übertragen wurde. Unzuständigkeitshalber, aber wortreich kann Herr Rexrodt als Bundeswirtschaftsminister dann genau das anmahnen, was der Bundespostminister gerade erarbeitet und Anfang dieser Woche veröffentlicht hat, nämlich die Eckpunkte des zukünftigen Regulierungsrahmens im Telekommunikationsbereich. Die SPD tut sich wie gewohnt schwer. Die einen fürchten mit einem schrittweise wachsenden Wettbewerb um den Börsenwert der Deutschen Telekom AG und unterschätzen offensichtlich die Intelligenz der Anleger. Wer kauft schon gerne einen Monopolisten im Sack, der 1998 plötzlich nackt vor den Anlegern steht, weil man ihm in einem Rutsch die schützende Monopoldecke weggezogen hat. Die anderen in der SPD setzen zwar auf die im Wettbewerb neu entstehenden zukunftssicheren Beschäftigungsmöglichkeiten, entpuppen sich aber allzu schnell als Pseudoliberale, deren Presseerklärungen mit Vorsicht zu genießen sind. Für sehr begrüßenswert halte ich das erste konkrete Papier der SPD zur Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes, so wie es als Presseerklärung am letzten Wochenende abgesetzt worden ist. Allerdings erscheint die plakative Kritik an dem Entwurf eines Eckpunktepapiers des Ministers eher grotesk, da man offensichtlich weder den vollständigen Inhalt kannte noch bereit war, zwei Tage bis zur Vorlage des Eckpunktepapiers zu warten. Einer seriösen und der Sache angemessenen Auseinandersetzung scheint es mir nicht dienlich, sich mit „bekanntgewordenen Vorstellungen" eines Entwurfs statt mit dem Papier selbst auseinanderzusetzen. Wer die Papiere sorgfältig studiert, wird feststellen, daß wir nicht weit auseinanderliegen, und es sollte uns gelingen, mit vernünftigen Argumenten Dissenspunkte abzubauen und schnellstmöglich zu einer tragfähigen Lösung zu gelangen. Wir haben in unserem Positionspapier ganz deutlich festgestellt, daß bis zum Jahre 1998 der Telekom AG die Möglichkeit eingeräumt werden muß, sich geordnet auf den Wettbewerbsmarkt einzurichten. Dies entspricht unserer Überzeugung, da eine finanziell angeschlagene Deutsche Telekom AG weder der deutschen Wirtschaft in ihrer Gesamtheit dienen würde noch im Hinblick auf den zukünftigen Börsengang und den Finanzplatz Deutschland hinnehmbar wäre. Es kann auch keine Rede davon sein, daß die Telekom übermäßig einseitig belastet werden soll. Aber, um es klar und deutlich zu sagen: Wir werden hier einen Markt und einen fairen Wettbewerb erst schaffen müssen. Die Warnung der SPD vor einer übermäßigen asymmetrischen Belastung der Telekom AG scheint konsensfähig zu sein. Wir sollten uns doch einig sein, daß das fünftgrößte deutsche Unternehmen mit einem Umsatz von fast 70 Milliarden D-Mark und dem einzigen flächendeckenden Kommunikationsnetz eine andere Infrastrukturverantwortung tragen muß als etwa kleine mittelständische Anbieter zukünftiger Telefondienstleistungen. Gerade hier kommen doch regional beschränkte oder sogar anwendungsbezogen innovative Dienste in Betracht. Es gibt unzählige technische Anwendungsmöglichkeiten, die nur für kleine Benutzergruppen Sinn machen. Der Markt wird sofort versuchen, die jeweils erforderlichen Techniken den Kunden zur Verfügung zu stellen. Vielen Anwendungen im Multimediabereich, wie z. B. Homeshopping, kommt gerade außerhalb der Ballungsräume große Bedeutung zu. Pauschale Ausbauverpflichtungen würden mittelständische Unternehmen völlig überfordern und auch gar keinen Sinn machen, da nur Megakonsortien derartige Investitionen aufbringen könnten. Hunderte kleine zusammenwachsende Inseln decken die Bedürfnisse der Bürger aber sicher besser ab, als auf wenige Großunternehmen zu setzen. Wir wollen nicht Flächendeckung als Auflage für alle. Wir wollen Flächendeckung durch alle! Das bedeutet, Insellösungen ja, und zwar so schnell und so viele wie möglich. Wie können Sie denn, Herr Bury, von einer Schieflage unseres Wettbewerbsmodells sprechen, wenn wir Unternehmen mit vielleicht einigen Dutzend Beschäftigten nicht mit den gleichen Infrastrukturauflagen belasten wollen wie die Deutsche Telekom mit über einer Viertelmillion Mitarbeitern? Sie fordern Chancengleichheit und gleichzeitig Infrastrukturauflagen bereits bei unter 25 % Marktanteil. Ab wieviel Prozent, Herr Bury, gedenken Sie denn bei Ihrer Art Chancengleichheit kleine Anbieter genauso zu behandeln wie den fünftgrößten Telekommunikationskonzern der Welt? Für kritisch und undurchführbar halte ich die Forderung der SPD nach Bereitstellung einer breitbandigen Infrastruktur für alle Bürger, und das, wie der Vorsitzende des Postausschusses, der Kollege Börnsen, gefordert hat, innerhalb etwa 5 Jahren. Dies geht jedoch völlig an den Realitäten vorbei und wäre nicht einmal, und dies weiß die SPD ganz genau, vom bisherigen Monopolunternehmen Telekom zu leisten, geschweige denn zu finanzieren. Bei rund 37 Millionen Wohnungen liegt der Versorgungsgrad etwa beim Breitbandkabelnetz der Telekom nach nunmehr 12 Jahren bei immerhin 62 %. Nach 5 Jahren waren gerade einmal 3 Millionen Wohnungen angeschlossen. Kein Mensch - ja nicht einmal Politiker - hätte von der Telekom jemals gefordert, den bevorzugten Ausbau von Ballungsgebieten zu stoppen und statt dessen ländliche Regionen zu erschließen. Zu Recht hat sich die Telekom auf Ballungsräume konzentriert, und selbst hier warf ihr der Bundesrechungshof noch das „planlose Verlegen von Fernsehkabeln" vor. Wir brauchen uns doch, lieber Herr Börnsen, nicht tatsächlich über die Versorgung mit Kabelfernsehen auf dem Lande zu unterhalten, wenn sich heute nach 12 Jahren Breitbandkabelausbau die Bundesbürger in unzähligen Stadtrand-Lagen darüber beschweren, daß die Telekom zu einem weiteren Ausbau aus Rentabilitätsgründen nicht mehr bereit ist. Jeder kennt doch die Klagen abseits gelegener Dörfer aus seinem Wahlkreis. Und hier betreiben nicht etwa die privaten Anbieter „Rosinenpicken", sondern die Telekom. Sie allein bestimmt nach Rentabilitätsgesichtspunkten sogenannte Ausbaugebiete, in denen die privaten Kabelnetzbetreiber nicht tätig werden durften. Dennoch haben die Privaten in den vergangenen Jahren bis heute rund 3,5 Millionen Wohneinheiten über Breitbandkabelnetz mit Fernseh- und Hörfunkprogrammen in den für die Telekom unrentablen Gebieten versorgt. Der von der SPD immer wieder bemühte Infrastrukturauftrag wird, wenn man hierunter also die Versorgung der weniger lukrativen Bereiche in Deutschland versteht, ganz eindeutig von den über 300, häufig mittelständischen Wettbewerbern mit Leben erfüllt. Wenn wir dann auch noch auf neue alte Kampfbegriffe wie der „Zwei-Klassen-Informationsgesellschaft" verzichten, wird es uns eher gelingen, dem gerecht zu werden, was sowohl Bürger wie Wirtschaft von uns fordern, nämlich bereits in den nächsten Monaten die wesentlichen politischen Entscheidungen zu treffen, die einen möglichst raschen Ausbau einer zukunftsweisenden deutschen Telekommunikationsinfrastruktur ermöglichen. Wer allerdings bereits vor der Veröffentlichung des Eckpunktepapiers des Ministers und ohne ein einziges Gespräch abzuwarten mit der notwendigen Zustimmung der SPD im Bundesrat droht, wie der Kollege Bury dies meinte tun zu müssen, der scheint unter dem ständigen Gefühl zu leiden, ohne massive Drohungen nicht ernstgenommen zu werden. Die vorgelegten Papiere sollten zur politischen Diskussion einladen. Sie dienen nicht als Plattform für Profilierungsversuche einzelner Politiker. Wir suchen konsensfähige Lösungen. Ich glaube, es ist jetzt an der Zeit, über die Papiere zu sprechen und offen zu diskutieren. Drohungen sind da sicherlich wenig hilfreich. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 24 (Haushaltsgesetz 1995 - Einzelplan 10 - Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten) Jürgen Koppelin (F.D.P.): Die Haushaltskonsolidierung konnte auch vor dem Einzelplan 10 des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten nicht haltmachen. Doch dabei haben wir als F.D.P. die wesentlichen agrarpolitischen Ziele nicht vernachlässigt. Mein Kollege Günther Bredehorn hat schon einmal hier sehr richtig festgestellt: „Sparzwänge können auch etwas Positives haben. Sie zwingen zur Prioritätensetzung. " Das geschieht beim Einzelplan 10. Politische Herausforderung der nächsten Jahre bleibt die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft. Die Landwirte und ihre Familien müssen auch weiterhin die Chance erhalten, ihren eigenen, individuellen Weg bei der Bewirtschaftung ihrer Betriebe zu gehen. Zusätzliche Freiräume zur Steigerung der Produktivität und Effizienz sind dabei notwendig. Den nachwachsenden Rohstoffen gilt dabei unser besonderes Interesse. Ihr Anbau kann zukunftsweisend sein. Die Mittel, die wir hier den Landwirten zur Verfügung stellen, sind ein Beitrag zur Umwelt. Völlig überrascht habe ich bei den Berichterstattergesprächen zur Kenntnis nehmen müssen, daß die GRÜNEN eine Reduzierung der Haushaltsmittel in diesem Bereich wollten. Hier zeigt sich die Ernsthaftigkeit „grüner" Politik. Mit der Anhebung des förderfähigen Investitionsvolumens im Rahmen der einzelbetrieblichen Investitionsförderung auf 100 Millionen DM machen wir den Weg frei für eine zukunftsweisende Agrarpolitik. Mit den Komplementärmitteln der Länder stehen damit 170 Millionen DM mehr zur Verfügung. Aber die Herausbildung effizienter Betriebsstrukturen - und die sind notwendig, um langfristig den Sonderstatus der Landwirtschaft im nationalen und internationalen Wirtschaftsgefüge abzubauen - kann nicht allein über die Stärkung der landwirtschaftlichen Erwerbsmöglichkeiten erfolgen. Ein zweites wirtschaftliches Standbein muß aufgebaut werden. Die F.D.P. plädiert daher für eine stärkere Gewerbe- und Dienstleistungsorientierung des landwirtschaftlichen Unternehmertums. Erste und erfolgreiche Schritte sind bereits von den Landwirten gemacht worden. Die Steigerung des Direktabsatzes landwirtschaftlicher Produkte ist nur ein Beispiel unter vielen. Hier zeigen sich die Stärken der deutschen Landwirtschaft: hohes Qualitätsniveau auf der Basis guter natürlicher Bedingungen kombiniert mit Anbindung an die Verbraucher. Diese Kombination kann zu einer weiteren, soliden Erwerbsquelle für die Landwirte werden. Allerdings, wenn wir das von Minister Seehofer vorgelegte Geflügelfleischhygiene-Gesetz beschließen würden, wäre das ein erheblicher Rückschlag für die Bemühungen um die Direktvermarktung. Der ländliche Raum bietet sich als Wirtschaftsbasis für Unternehmertätigkeit geradezu an. Für kreative Landwirte, bei denen Selbständigkeit und Gesamtverantwortung Tradition haben, ist er eine ideale Grundlage. Sie sollten ihn verstärkt zum eigenverantwortlichen Handeln nutzen. Nicht der staatliche Prämienempfänger, sondern nur der im Wettbewerb fit gemachte Unternehmer ist in der Lage, sich gegen die inner- und außereuropäische Konkurrenz durchzusetzen. Der Landwirt als Dienstleister im ländlichen Raum - ein Ziel liberaler Landwirtschaftspolitik, das von uns allen weiter verfolgt werden sollte. Davon profitieren nicht nur die Landwirte und ihre Familien. Deshalb gilt unser uneingeschränktes Ja den Strukturverbesserungen. Beim Küstenschutz hätte die F.D.P. gern mehr gemacht. Aber die zuständigen Länderminister haben die Latte der Anforderungen zu hoch gelegt. Die überzogenen Umweltanforderungen beim Küstenschutz in den norddeutschen Ländern sind inzwischen völlig inakzeptabel; die Effizienz der Hilfestellung ist damit nicht mehr sichergestellt. Nicht nur innerhalb des Agrarsektors sind strukturverbessernde Maßnahmen notwendig, sondern auch bei Hilfen für die Schaffung alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten, in anderen Unternehmensformen und auch außerhalb der Landwirtschaft. Soviel ist heute schon sicher: Die derzeitigen Haushaltsbelastungen im Agrarbereich sind zu hoch und unter den gegebenen wirtschaftlichen Verhältnissen und Umwälzungsprozessen innerhalb Europas auf Dauer nicht vertretbar. In der Agrarsozialpolitik sind in der letzten Legislaturperiode die entscheidenden Weichen gestellt worden. In den Jahren 1995 bis 1997 wird die Bundesregierung 1 Milliarde DM bereitstellen. Ein Betrag, mit dem die eigenständige soziale Sicherung der Bäuerin eingeführt werden kann. Das Agrarsozialreformgesetz ist bei den Betroffenen überwiegend positiv aufgenommen worden. Daß Kritik geübt wird, ist normal. Wir werden Einwände gegenüber einzelnen Bestimmungen des Agrarsozialgesetzes prüfen. Erste Gespräche sind in der F.D.P. bereits dazu geführt worden. Wichtig war uns, daß mit der Agrarsozialreform erreicht wird, daß rund 230 000 Bäuerinnen endlich eine eigene Alterssicherung und Schutz bei Erwerbsunfähigkeit erhalten, der Explosion der Beiträge zur Altershilfe ein Riegel vorgeschoben wird. Das gesamte System der agrarsozialen Absicherung ist finanziell stabilisiert worden. Besonders freuen dürfte sich darüber sicher unser Freund Josef Ertl, der einst die neue Agrarsozialpolitik einleitete. Von dieser Stelle auch nachträglich herzliche Glückwünsche an Josef Ertl zum 70. Geburtstag. Die Landwirtschaft befindet sich inmitten eines schwierigen Anpassungsprozesses. Der Haushalt trägt dem durchaus Rechnung. Die Vergabe staatlicher Mittel bietet gerade in Zeiten knapper Kassen die Chance, den notwendigen Entwicklungsprozeß zu flankieren und Effizienzsteigerungen sowie Strukturanpassungen zu beschleunigen. Dauersubventionen und Regulierungen müssen abgebaut werden, neue Subventionsfelder vermieden werden. Denn heute geht es mehr denn je darum, der unternehmerischen Landwirtschaft eine Bresche zu schlagen. Nur mit ihr ist eine Stärkung der Landwirtschaft langfristig möglich und auf Dauer erfolgreich.
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    Rede von Dr. Rolf Niese


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht zu leugnen, der neue Bundesbauminister hat sein Amt mit Elan angetreten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    - Klatschen Sie am Schluß meiner Rede. Dann tun sie Gutes.

    (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Mal sehen!)

    Zahlreiche Interviews belegen dies - ebenso wie Artikel in Fachzeitschriften und Auftritte vor Fachverbänden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Macht er sehr gut!)

    Unübersehbar sind dabei Annäherungen an Positionen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, mit denen wir in den vergangenen Jahren bei der liberalen Wohnungsbauministerin auf Ablehnung gestoßen sind.
    Ich möchte an wenigen Beispielen deutlich machen, wo es Annäherungen an unsere Positionen durch den neuen Bundesbauminister gibt: die beabsichtigte Verbesserung der Bausparförderung, um sie an die veränderten Einkommens- und Baupreisbedingungen anzugleichen; die von Bundesbauminister Töpfer geplante Umgestaltung der Wohnungseigentumsförderung, sprich § 10e Einkommensteuergesetz.
    Es ist schon erstaunlich, daß Herr Töpfer am 13. März 1995 in der FAZ zu § 10e folgendes kritisch feststellt:
    Diejenigen, die auf Grund eines höheren Einkommens absolut am stärksten begünstigt werden, benötigen diese Entlastung bei ihrer Entscheidung für das Wohneigentum nicht.

    Dr. Rolf Niese
    Richtig, Herr Minister. Dies sagt die SPD seit Jahren, aber entsprechende Anträge, dies zu ändern, sind von der Koalition mit schöner Regelmäßigkeit abgelehnt und zurückgewiesen worden.

    (Beifall bei der SPD)

    Nächstes Beispiel: Beim Mietenüberleitungsgesetz gibt es - dies muß man zugestehen - deutliche Versuche, den Schulterschluß mit den Wohnungsbauministern der neuen Länder zu erreichen.
    Von Konsens war die Rede auch beim Thema Kappungsgrenze bei Wiedervermietungen - bis am Montagabend der F.D.P.-Funke einschlug und die Einigkeit auf der Bauministerkonferenz zum Platzen brachte. Herr Minister Töpfer, Sie sind nun gefordert, die Interessen der ostdeutschen Mieter gegenüber der Mieterhöhungspartei F.D.P. zu wahren und durchzusetzen.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Zuruf von der F.D.P.: Neue Heimat!)

    - Ich kann Ihre aufgeregte Betroffenheit verstehen, aber diese Einschätzung ist nicht nur meine, sondern es ist die Einschätzung der ostdeutschen Wählerinnen und Wähler. Denn wie erklären Sie sich sonst, daß Sie aus sämtlichen Landtagen dort herausgeflogen sind?

    (Beifall bei der SPD Zuruf von der F.D.P.: Auch durch ständige Wiederholungen werden Unwahrheiten nicht wahr!)

    Insgesamt muß man den Erklärungen des Bundesbauministers entnehmen, daß die Wohnungspolitik wieder soziale Züge annehmen soll. So hat der Bauminister in seiner Antrittsrede am 25. November 1994 im Deutschen Bundestag betont, daß Wohnungspolitik für ihn angewandte Familien- und Sozialpolitik sei. Aber Achtung! Absichtserklärungen und Goodwill-Interviews sind nur die eine Seite der Medaille, die in diesem Falle von Herrn Töpfer recht ansehnlich poliert wird. Wie sieht aber die andere Seite der Medaille aus, die politische Realität? In einer Pressemeldung vom 12. März 1995 heißt es: „Mancherorts sinkende Mieten dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß nach wie vor besonders in den Ballungsgebieten erhebliche Engpässe gerade bei preisgünstigen Wohnungen bestehen. " Ihre Vermutung, hier sei ein sozialdemokratischer Pressedienst am Werk, geht fehl. Die Überschrift dieser Pressemitteilung lautet: „Bayern macht Streichkonzert des Bundes beim sozialen Wohnungsbau nicht mit" und stammt vom bayerischen CSU-Minister Dr. Günther Beckstein.

    (Zurufe von der SPD: Aha! - Kein Beifall!)

    Streichkonzert beim sozialen Wohnungsbau, das ist schon starker Tobak, den der bayerische Innenminister der Bundesregierung vorwirft. Ihnen, Herr Töpfer, sollte dieser deutliche Hinweis auf die Realität Ihrer Wohnungspolitik zu denken geben.
    Nun ist mir natürlich klar, daß Bayern bei einem Streichkonzert nicht mitmacht, denn die Bayern lieben viel mehr Marschmusik eines Blasorchesters. Herr Töpfer, der Herr Beckstein hat Ihnen in diesem Punkt ganz gehörig den Marsch geblasen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    Aber keine Sorge, meine Damen und Herren von der Koalition, ich werde nicht die ganze Liste Ihrer wohnungspolitischen Versäumnisse aus der Vergangenheit wiederholen. Aber auf einige Punkte will ich doch hinweisen, die deutlich zeigen, daß Sie auch heute noch gravierende Fehlentscheidungen treffen.
    Die Städtebauförderungsmittel für die alten Bundesländer stagnieren für neue Projekte bei einem Ansatz von 80 Millionen DM.

    (Zuruf von der F.D.P.: Teure Heimat! - Unruhe)

    - Ach, mich stört das nicht. Ich wollte die Damen und Herren von der F.D.P. nur ausreden lassen, weil das die Höflichkeit gebietet. - Ich möchte zu den Städtebauförderungsmitteln folgende Anmerkungen machen:
    „Die mit Bundesfinanzhilfen geförderten Investitionen in städtebaulichen Sanierungs- und Entwicklungsgebieten bewirken hohe öffentliche und private Folgeinvestitionen sowie Nachfrage nach Gütern und Leistungen. Dieser Anstoßeffekt der Städtebauförderung ist allgemein anerkannt und durch Untersuchungen verschiedener Forschungsinstitute belegt. Eine besondere Bedeutung ist darüber hinaus der beschäftigungspolitischen Wirksamkeit der Städtebauförderung zuzumessen. Die Untersuchungen bestätigen hohe, regional gestreute Beschäftigungseffekte, und zwar sowohl hinsichtlich einer kurzfristigen Beschäftigungsbelebung als auch langfristig wirksamer Beschäftigungs- und Wachstumsimpulse. "
    Diese Anmerkungen zitiere ich aus der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes von 1994 bis 1998. Ich stimme dieser Einschätzung der Bundesregierung voll zu. Ihre Schlußfolgerung, Herr Minister Töpfer, für den Einzelplan 25? Fehlanzeige!
    Lassen Sie mich an dieser Stelle kurz auf den Antrag der Koalitionsfraktionen zur Wohnungsprivatisierung in den neuen Ländern eingehen. Die Wohnungsprivatisierung in den neuen Bundesländern komme zügig voran, so tönten Bundesregierung und Koalitionsfraktionen noch in der öffentlichen Anhörung am 8. März 1995 zu den Anträgen zur Novellierung des Altschuldenhilfegesetzes. Dies war Grund genug für die Regierungsmehrheit, alle SPD-Forderungen abzulehnen, die Mietern wie Vermietern mehr Sicherheit und Zeit bei der Privatisierung geben sollten.
    Die SPD-Bundestagsfraktion hat mehrfach ihr völliges Unverständnis darüber ausgedrückt, daß die Privatisierungshilfen an die neuen Länder bis Ende 1994 befristet sind, obwohl die Privatisierung noch bis zum Jahre 2003 laufen soll. Jetzt, kurz vor Ultimo, während der abschließenden Lesung des Haushaltes, will die Koalition offenbar das Füllhorn öffnen,

    Dr. Rolf Niese
    um der Privatisierungsbereitschaft im Osten ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Die hektische Reaktion der Koalition zeigt: Sie hat kein Konzept für eine stetige und verläßliche Wohnungspolitik.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Stop and go bleibt das fragwürdige Markenzeichen dieser Politik.

    (Dr. Peter Struck [SPD]: Ja!)

    Privatisierungshilfen für diejenigen Mieter, die Eigentum schaffen wollen, sind zu begrüßen und sind auch von der SPD-Bundestagsfraktion und den Fachpolitikern im entsprechenden Ausschuß begrüßt worden. Aber entscheidend für den Erfolg einer solchen Politik wird sein, ob es gelingt, das Altschuldenhilfegesetz zu ändern und seine Anwendungsmöglichkeiten deutlich zu verbessern.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    In anderen Bereichen werden Finanzmittel gestrichen oder verschoben. Die erste Geige im Streichkonzert des Bundes beim sozialen Wohnungsbau spielt zweifellos der Rückzug aus dem Ballungsgebieteprogramm. Daß dies wider besseres Wissens geschieht, macht die Sache noch schlimmer. Schließlich weist selbst der Bundeskanzler in Sonntagsreden regelmäßig auf Engpässe bei der Wohnungsversorgung in den Ballungszentren hin.
    Der Bund sendet im übrigen ein falsches Signal an die Investoren im sozialen Wohnungsbau, wenn er sich Stück für Stück aus dieser Ausgabe zurückzieht.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Sie alle kennen die Zahlen der mittelfristigen Finanzplanung, nach denen sich dieser Rückzug auch in den kommenden Jahren fortsetzen wird. Diese Politik führt dazu, daß auch den Ländern langsam die Luft ausgeht. Diese haben in der Vergangenheit ein Vielfaches der Finanzmittel des Bundes für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung gestellt, allein im vergangenen Jahr mehr als 20 Milliarden DM gegenüber 3 Milliarden DM, die der Bund ausgegeben hat.
    Die Begleitmusik zur ersten Geige im Streichkonzert beim sozialen Wohnungsbau spielt das Wohngeld. Seit 1990 hat es keine Anpassung des Wohngeldes im Westen an die gestiegenen Mieten gegeben.

    (Dr. Konstanze Wegner [SPD]: Pfui!)

    Häufig sind Mieten von Wohngeldberechtigten auf Grund der Höhe der Mieten nicht mehr voll wohngeldfähig. Im Bundeshaushalt nimmt sich diese Entwicklung natürlich - weil man alles nur unter dem Diktat des absoluten Einsparens sieht, ohne auf die Aufgabe zu schauen - gut aus, weil dort immer weniger Mittel für die Wohngeldförderung zur Verfügung gestellt werden müssen. Allein im Haushaltsvollzug 1994 wird mehr als eine halbe Milliarde DM eingespart. Aber dies macht doch gerade deutlich, daß
    erheblicher Handlungsbedarf für eine Novellierung besteht.

    (Beifall bei der SPD)

    Der Bund saniert sich dabei auf Kosten der Länder und Gemeinden,

    (Karl Diller [SPD]: Ja!)

    eine Entwicklung, die wir auch in vielen anderen Bereichen verfolgen.
    Der Paritätische Wohlfahrtsverband kommt zu dem Ergebnis, daß die geplante Einführung des Vergleichsmietensystems dazu führen wird, daß Städte und Gemeinden in den neuen Bundesländern bei der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt mit Mehraufwand in Höhe von etwa 500 Millionen DM belastet werden. Das können Sie in der „Frankfurter Rundschau" vom 4. März 1995 nachlesen.

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    - Nein, es war der Paritätische Wohlfahrtsverband, der diese Äußerung getan hat.
    Dagegen sollen die Ausgaben des Bundes für das Wohngeldsondergesetz Ost nur um 63 Millionen DM steigen. Von der überfälligen Anpassung des Wohngelds West ist schon gar keine Rede mehr, obwohl auch hier, wenn nicht gehandelt wird, vergleichbare Mehrbelastungen auf die Gemeinde zukommen. Das wird dann bei notwendigen öffentlichen Investitionen der Gemeinden fehlen, um Arbeitsmarktpolitik zu betreiben.

    (Beifall bei der SPD)

    Dabei muß ich noch erwähnen: Der Bund sieht zwar 63 Millionen DM für die Verlängerung des Wohngeldsondergesetzes vor, aber mehr als zwei Drittel dieser Summe schneidet er aus den Zuweisungen des Bundes an die neuen Länder für den sozialen Wohnungsbau heraus. Das ist ein starkes Stück und beleuchtet die Politik dieser Bundesregierung.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Dasselbe Spielchen hat die Koalition beim Thema Obdachlosigkeit gespielt. 50 Millionen DM als Wohltat - in ihrem Sinne - für diese benachteiligte Gruppe sollen ebenfalls aus der Titelgruppe 02, sozialer Wohnungsbau, kommen.
    Eine Politik, die Wohnungssuchende gegen Wohngeldempfänger und Obdachlose ausspielt, ist zutiefst unsozial und wird von der SPD abgelehnt.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Es ist im übrigen ein Armutszeugnis für diese Koalition, daß sie einen Antrag, 150 Millionen DM für ein Sofortprogramm zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit bereitzustellen, ablehnt, obwohl diese Summe nur etwas mehr als 1 % dessen ausmacht, was wir jährlich für die steuerliche Förderung von Wohneigentum in den vergangenen Jahren ausgegeben haben.
    Ob Streichorchester oder Verschiebebahnhof: Eine soziale Wohnungspolitik, die auch nur den vom Bundesbauminister selbst gestellten Ansprüchen gerecht

    Dr. Rolf Niese
    wird, kann auf diese Weise nicht erreicht werden. Eine Neugestaltung der Wohnungspolitik ist überfällig. Als Hauptziele müssen dabei die Beseitigung der Wohnungsnot, insbesondere in den Ballungsgebieten, und die Bezahlbarkeit von Mieten im Vordergrund stehen. Um diese Ziele zu erreichen, muß eine Wohnungspolitik folgende Eckpunkte umsetzen.
    Erstens. Angesichts der akuten Unterversorgung mit bezahlbarem Wohnraum ist es notwendig, mindestens den aktuellen Stand bei den Fertigstellungen durch Bereitstellung entsprechender finanzieller Mittel zu halten. Der klassische soziale Wohnungsbau mit langfristigen Bindungen ist auch in Zukunft unverzichtbar, auch wenn die F.D.P. dieses nicht hören will.

    (Beifall bei der SPD sowie bei der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] Horst Friedrich [F.D.P.]: Sie lesen die Vorschläge nur halb, Herr Kollege Niese!)

    Das Ballungsgebieteprogramm muß in der ursprünglichen Höhe weitergeführt werden. Die Kommunen müssen finanziell in die Lage versetzt werden, so lange Belegungsbindungen im Bestand einzukaufen, solange mehr Wohnungen aus der Preis-und Belegungsbindung herausfallen, als neue durch Neubau hinzukommen.
    Zweitens. Die Wohneigentumsförderung ist auf einen sozial gerechten einkommensunabhängigen Abzug von der Steuerschuld umzustellen. Auf diese Weise erhalten Haushalte mit mittleren Einkommen eine wesentlich höhere Förderung als bei der bisherigen Regelung. Mitnahmeeffekte bei der Steuerbegünstigung müssen abgebaut werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Genossenschaftliches Bauen ist bei der steuerlichen Förderung zu berücksichtigen. Ein verbessertes Baukindergeld soll auch Familien mit mittleren Einkommen zu Wohneigentum verhelfen.
    Drittens. Die Bausparförderung - darauf bin ich schon eingegangen - muß ausgeweitet und durch eine Kinderkomponente verbessert werden.
    Viertens. Angesichts der Mietbelastungen ist eine Novellierung des Wohngeldgesetzes für die alten Bundesländer, das seit 1990 den stark gestiegenen Mieten nicht mehr angepaßt worden ist, längst überfällig. Die Einführung des Vergleichsmietensystems in den neuen Bundesländern muß durch Verbesserungen beim Wohngeld sozial abgesichert werden.
    Fünftens. Das Altschuldenhilfegesetz ist mit dem Ziel zu novellieren, die progressive Erlösabführung in eine lineare Erlösabführung umzugestalten. Die Aus- bzw. Neugründungen von Wohnungsgenossenschaften sind als Privatisierung anzuerkennen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wohnungsbaugesellschaften mit schwer zu privatisierendem Wohnungsbestand muß eine Ausnahme oder ein Abweichen von der Privatisierungsklausel ermöglicht werden.
    Sechstens. Die Mittel für die Städtebauförderung West müssen erheblich aufgestockt werden. Angesichts der Anstoßwirkung der Städtebauförderungsmittel für die Schaffung neuer Arbeitsplätze und für private Investitionen ist die geringe Ausstattung dieses Titels sträflich.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Bevor ich zum Schluß komme, möchte ich kurz auf den Änderungsantrag vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Einzelplan 25 eingehen. Die Forderungen zu den Themen Obdachlosigkeit, Wohngeld und Städtebauförderung sind genau die von uns in den Beratungen des Haushaltsausschusses vorgetragenen Punkte. Aber der Antrag läßt leider vor allen Dingen bei der Aufstockung Wohngeld und Aufstokkung Städtebauförderung - -


Rede von Dr. Burkhard Hirsch
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rolf Niese


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Ja.

    (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Aber den Satz darf er doch noch zu Ende sagen?)