Rede von
Hans Martin
Bury
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident, wo Sie recht haben, haben Sie recht. Ich freue mich, daß die Kollegen wach geworden sind.
In den USA, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat die Ankündigung von Präsident Clinton zum flächendeckenden Ausbau von Data-Highways, die wegen ihrer industriepolitischen Bedeutung massiv mit öffentlichen Mitteln gefördert werden sollen, für Furore gesorgt. - Der deutsche Bundeskanzler ist so weit wie Sie: Der denkt bei Data-Highways an den Stau auf der Asphaltstraße. Aber das war das Thema des vorigen Einzelplanes. -
In den USA schließen sich in diesem Zusammenhang Fernmelde- und Kabelgesellschaften, Software- und Unterhaltungselektronikunternehmen, Filmstudios, Verlage, TV-Anstalten und Versandhäuser zusammen, gehen Kooperationen und strategische Allianzen ein, um sich Know-how und Zugang zu den künftigen Märkten zu sichern und zu erschließen.
Wir können uns nicht erlauben, den Anschluß an die technologische Entwicklung zu verschlafen, wenn neue, hochqualifizierte Arbeitsplätze in Deutschland entstehen sollen.
Angesichts der strategischen Bedeutung muß der Staat die Entwicklung im Bereich Multimedia aktiv gestalten und technologische Innovationen unterstützen.
Meine Damen und Herren, es wird einige Zeit dauern, bis die entsprechenden Endgeräte und die notwendige benutzerfreundliche Software für dieses multimediale Zeitalter ausgereift zur Verfügung stehen, und nicht jede technische Spielerei wird einen breiten Markt finden. Ich füge hinzu: Es wird auch nicht alles technisch Machbare gesellschaftlich wünschenswert sein.
Während über die Perspektiven der technischen Basis für die Multimedia-Infrastruktur weitgehend Klarheit besteht, herrscht große Unsicherheit darüber, welche neuen multimedialen Dienste kommerziell erfolgreich sein werden und von einer Vielzahl von Verbraucherinnen und Verbrauchern als erwünscht und als Bereicherung ihres Lebens angesehen werden. Es muß deshalb vorrangig im Dialog mit den potentiellen Nutzern geklärt werden, für welche Dienstleistungen ein Bedarf besteht und welche Infrastrukturen dafür geschaffen werden müssen. Deshalb ist es gut, daß - beispielsweise in Baden-Württemberg - die Breite möglicher künftiger Multimediadienste in Pilotprojekten erprobt wird.
- Das macht Spöri, selbstverständlich. - Diese Erprobung muß mit einem Dialog über Chancen und Risiken von Multimedia verbunden werden, der sich mit den gesellschaftspolitischen Auswirkungen und den möglichen sozialen und kulturellen Veränderungen auseinandersetzt. Dabei muß - sorgfältiger als bisher - auch über Probleme und entsprechenden gesetzgeberischen Handlungsbedarf diskutiert werden. Meine Fraktion hat deshalb beschlossen, eine Grolle Anfrage im Deutschen Bundestag einzubringen, um diesen Dialog zu forcieren und erstmals im Deutschen Bundestag in aller Breite über das Thema Multimedia zu debattieren.
Der Bundesminister für Post und Telekommunikation hat am Montag dieser Woche seine Eckpunkte zur Öffnung des Telekommunikationsmarktes, die Grundlage für ein Regulierungsgesetz sein sollen, vorgelegt. Goldgräber und Glücksritter sind demnach bei der Bundesregierung gut aufgehoben. Denn in ihren Eckpunkten ist u. a. vorgesehen, eine flächendeckende Grundversorgung als Auflage nur für marktbeherrschende Unternehmen vorzuschreiben, Unternehmen, die nicht marktbeherrschend sind, faktisch keiner Regulierung zu unterwerfen und Telefonlizenzen auch für einzelne Regionen, Städte oder Ballungsräume zu vergeben.
Diese Eckpunkte sind nach unserer Auffassung völlig unzureichend. Ihre Verwirklichung würde dazu führen, daß auf unabsehbare Zeit allein die Telekom AG reguliert und mit Infrastrukturauflagen versehen würde,
während sich ihre potentiellen Konkurrenten hei den Verbindungen und im Telefondienst völlig frei von Verpflichtungen bewegen könnten und ausschließlich lukrative Teile des Marktes heraussuchen könn-
Hans Martin Bury
ten. Eine solche Regelung widerspricht eklatant allen Geboten eines fairen Wettbewerbs, zumal es sich bei den möglichen Wettbewerbern um finanzstarke in-und ausländische Konzerne handelt.
Für die SPD sind diese Eckpunkte, die einen asymmetrischen, ja völlig schiefen Wettbewerbsrahmen festlegen, nicht akzeptabel.
Wir wollen einen fairen Wettbewerb, der allen Verbrauchern zugute kommt. Dazu bedarf es klarer Regeln für den Marktzugang und für einen funktionierenden, qualitativ hochwertigen Wettbewerb sowie klarer Vorgaben für die Bereitstellung von Infrastrukturleistungen. Denn wir wollen eine wirtschaftlich starke und technisch innovative Telekom, deren Börsengang nicht gefährdet wird, und keine Zwei-Klassen-Informationsgesellschaft.
Die SPD ist für das Ordnungsprinzip des Wettbewerbs. Ich darf Sie in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß die wesentlichen Initiativen im Deutschen Bundestag zur Bekämpfung der Konzentration in der Wirtschaft, zur Verschärfung der Fusionskontrolle oder zur Bekämpfung der Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen von der SPD-Bundestagsfraktion bzw. sozialdemokratisch geführten Bundesregierungen initiiert und verwirklicht worden sind. Wettbewerb kann seine positiven Wirkungen aber nur entfalten, wenn er funktioniert. Dazu sind klare Regeln erforderlich, mit denen sowohl der Mißbrauch von Marktmacht unterbunden wird als auch Wettbewerbsverzerrungen, z. B. durch einseitige Belastungen einzelner Marktteilnehmer, verhindert werden.
Die Eckpunkte des Bundesministers für Post und Telekommunikation genügen diesen Anforderungen nicht. Seine Absicht, nur marktbeherrschende Unternehmen bzw. Unternehmen mit einem Marktanteil von Tiber 25 % mit belastenden Auflagen zur Sicherstellung einer flächendeckenden Grundversorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen zu versehen, führt zu gravierenden Verfälschungen des Wettbewerbs. In der Praxis bedeutet das, daß allein die Telekom AG auf unabsehbare Zeit reguliert und mit Infrastrukturauflagen belastet werden soll. Alle anderen Marktteilnehmer sollen dagegen frei darüber entscheiden, wo und wie sie welche Telekommunikationsdienstleistungen einschließlich des Telefondienstes anbieten.
Es liegt auf der Hand, daß dieser Zustand auf Dauer angelegt wäre. Denn welches Unternehmen sollte überhaupt ein Interesse daran haben, einen Marktanteil von über 25 % anzustreben, um sich im Gegenzug dazu belastende Auflagen einzuhandeln? Denn das besonders gewinnbringende Geschäft mit
lukrativen Kunden und Regionen wird in einem Marktsegment abgewickelt, das deutlich unter 25 % liegt. Sie brauchen sich dazu nur die Entwicklungen in den USA und in Großbritannien anzuschauen.
Ich benutze den Begriff des Rosinenpickens nicht gerne; aber hier ist er angebracht, weil er voll und ganz zutrifft. Wer sich nicht mehr als zwei Stücke vom Telekommunikationskuchen abschneidet, darf sich aus dem ganzen Kuchen noch die Rosinen stehlen. Wir werden uns dafür einsetzen, daß diese unangemessene, einseitige Belastung der Telekom AG im Interesse eines fairen Wettbewerbs nicht zum Tragen kommt.
Zu einem fairen Wettbewerb gehört für uns im übrigen auch, daß Energieversorgungsunternehmen, die sich im Verbund mit kapitalstarken in- und ausländischen Konzernen als potentielle Wettbewerber der Telekom formieren, ihre laufenden Aktivitäten im Telekommunikationsbereich nicht durch Einnahmen aus Monopolen für die Energieversorgung quersubventionieren. Ich hielte es unter wettbewerbspolitischen Gesichtspunkten zumindest für pikant, ausgerechnet für diejenigen Unternehmen praktisch unreguliert den Markt öffnen zu wollen, die ihrerseits Milliardengewinne aus den Monopolen für die Energieversorgung erwirtschaften und diese zur Diversifikation ihrer Geschäftsbereiche verwenden statt für eine zukunftsfähige Energieversorgung.
Meine Damen und Herren, Markt und Wettbewerb allein können nicht immer sicherstellen, daß gesamtwirtschaftlich und gesellschaftlich erwünschte Zielsetzungen verwirklicht werden. Dies gilt z. B. im Hinblick auf den grundgesetzlich festgeschriebenen Infrastrukturauftrag zur Sicherung eines flächendekkenden, angemessenen und ausreichenden Dienstleistungsangebotes im Bereich des Postwesens und der Telekommunikation, für den der Staat die Verantwortung trägt.
Wir wollen deshalb, daß die Gewährleistung einer angemessenen Infrastruktur durch klare Lizenzbestimmungen geregelt wird. Dies kann vor allem durch verbindliche Auflagen, z. B. für die flächendeckende Bereitstellung von Netzen und Diensten, vorgenommen werden. Für den künftigen Universaldienst im Telekommunikationsbereich, der ein bestimmtes Angebot an Dienstleistungen umfassen soll und zu dem im Kern der Telefondienst gehört, muß nach unserer Auffassung ein flächendeckendes Angebot vorgeschrieben werden. Die in den Eckpunkten des Bundespostministers vorgesehenen „Insellösungen" für das Angebot im Telefondienst, die Wettbewerbern die Möglichkeit eröffnen würden, den Telefondienst nur in besonders lukrativen Bereichen zu betreiben, lehnen wir ab.
Im Bereich der Netzinfrastruktur muß nach unserer Auffassung eine Option vorgesehen werden, mit der Netzbetreiber dazu verpflichtet werden können, auch eine breitbandige Kommunikation im Rahmen einer Universaldienstverpflichtung zu ermöglichen.
Hans Martin Bury
Eine breitbandige Telekommunikationsinfrastruktur ist die Voraussetzung für einen wirtschaftlich und gesellschaftlich erfolgreichen Einstieg in die Informationsgesellschaft.
Eine Beschränkung auf schmalbandige Kommunikation, wie Sie sie überlegen, wäre weder unter ökonomischen Gesichtspunkten noch unter den Aspekten von chancengleichem Zugang zu Informationen, Pluralismus und Meinungsfreiheit sinnvoll. Ich freue mich, daß wir auch zu später Stunde noch in der Debatte Kollegen der Koalitionsfraktionen überzeugen können.
Meine Damen und Herren, nicht diskriminierende Wettbewerbsbedingungen und gleichverpflichtende Infrastrukturauflagen für alle relevanten Marktteilnehmer sind nicht nur aus Fairneßgründen notwendig. Sie sind auch die Voraussetzung dafür, daß sich die Telekom AG als eine der grollen internationalen Kommunikationsgesellschaften im weltweiten Wettbewerb bewähren und zu einem führenden „global player" entwickeln kann.
Es liegt in unserem unmittelbaren volkswirtschaftlichen Interesse, daß die Telekom AG sich auf dem Weltmarkt erfolgreich behauptet.
Eine wirtschaftlich starke und technisch leistungsfähige Telekom AG ist nicht nur für den engeren Bereich der Netzinfrastruktur und der Telekommunikationsdienstleistungen von großer Bedeutung. Sie ist gleichermaßen als Auftraggeber, Nachfrager und Partner nachgelagerter Industrie- und Dienstleistungsbereiche, die Hard- und Software im Kommunikationsbereich entwickeln und herstellen, unverzichtbar. Eine wirtschaftlich und finanziell gefährdete Telekom würde der deutschen Volkswirtschaft schaden. Wir sind auch deshalb gegen unangemessene einseitige Regulierungsmaßnahmen.
Sowohl übermäßige asymmetrische Belastungen als auch vorgezogene gravierende Liberalisierungsschritte hätten insbesondere auf den für 1996 vorgesehenen Börsengang und die Beschäftigungsentwicklung der Telekom erhebliche negative Auswirkungen. Die wirtschaftliche und finanzielle Schwächung würde zu einer deutlichen Reduzierung des angestrebten Emissionskurses und damit zu einer spürbaren Verringerung der angestrebten Aufstokkung des Eigenkapitals führen. Damit wäre ein zentrales Ziel der zweiten Postreform substantiell gefährdet.
Die Eckpunkte des Bundespostministers sind unter diesem Gesichtspunkt geradezu geschäftsschädigend.
Herr Bötsch, Sie müssen aufpassen, daß Sie nicht bald als „Bundesminister gegen Post und Telekom" firmieren,
Meine Damen und Herren, die vom Bundespostminister vorgelegten Punkte erfüllen unsere Anforderungen an einen verläßlichen, fairen Wettbewerbsrahmen für den offenen Telekommunikationsmarkt nicht. Sein Wettbewerbsmodell ist nicht nur asymmetrisch, sondern schief. Wir werden uns bemühen, auf der Grundlage der von mir hier vorgetragenen Eckpunkte dieses Wettbewerbsmodell vor der Formulierung der Gesetzentwürfe geradezurücken.
Ich hoffe sehr, daß der Minister aufgeschlossen in die jetzt anstehenden interfraktionellen Gespräche über die Eckpunkte hineingeht und ergebnisorientiert mit uns verhandelt. Es liegt im volkswirtschaftlichen Interesse, für einen so wichtigen Bereich wie den Telekommunikationsmarkt einen breiten politischen Konsens über die Rahmenbedingungen anzu- streben. Sowohl die Telekom AG als auch potentielle Wettbewerber und ihre Kunden brauchen verläßliche Regeln. Nur dann haben sie die notwendige Planungssicherheit.
Wir werden uns in dieser Legislaturperiode nicht nur mit Liberalisierungsfragen des Telekommunikationsmarktes, sondern auch des Postmarktes zu beschäftigen haben. Grundlage für eine Marktöffnung im Postbereich ist u. a. das Grünbuch der EU-Kommission. Dessen allgemeine Zielsetzung, in allen Mitgliedsstaaten qualitativ gute, zuverlässige, flächendeckende Postdienstleistungen sicherzustellen, die zu tragbaren Preisen leicht zugänglich angeboten werden sollen, wird von uns unterstützt. Bei der Umsetzung dieser Zielsetzungen wird es jedoch entscheidend darauf ankommen, wie dieser Universaldienst, also die Infrastrukturleistungen, aussehen und wie er finanziert werden soll.
Insgesamt darf die Marktöffnung im Postbereich kein Stückwerk sein. Notwendig ist, wie in der Telekommunikation, ein geschlossener, konsistenter Ordnungsrahmen. Wir sollten dabei behutsam und im europäischen Gleichklang vorgehen.
Für alle „Liberalisierungsschritte", die der Postminister vor 1998 vorzunehmen gedenkt, ist auch der Regulierungsrat zuständig.
- Die F.D.P. werden wir dazu nicht brauchen.
Alle Schritte zu einer vorherigen Marktöffnung bedürfen der Zustimmung des Regulierungsrats. Ich halte dies mit Blick auf die leidige Diskussion über die Freigabe der Infopost ab 250 Gramm für einen großen Fortschritt. Wir werden im Regulierungsrat gemeinsam mit den Ländern darauf achten, daß Li-
Hans Martin Bury
zenzen nur mit klaren Auflagen hinsichtlich Flächendeckung, Kontrahierungszwang, Qualität der Dienstleistungen etc. vergeben werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte zum Abschluß noch eine kurze Bemerkung zum Vertriebsverbund von Post und Postbank machen. Bekanntlich hat es hier Irritationen auf Grund kritischer Anmerkungen des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen im Hinblick auf die Weisungsbefugnisse für die Mitarbeiter im Schalterdienst gegeben.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat im Rahmen der Postreform II mit Nachdruck deutlich gemacht, daß sie eine Zusammenarbeit zwischen Postdienst und Postbank als notwendige Voraussetzung für eine flächendeckende Versorgung mit Dienstleistungen der beiden Unternehmen betrachtet.
Die Notwendigkeit des Vertriebsverbundes, Herr Kollege, wird ausdrücklich in einer einstimmig angenommenen Entschließung des Deutschen Bundestages bekräftigt. Ich weiß aber nicht, ob Sie bei der Abstimmung wach waren.
Wir stehen zu dieser Aussage und erwarten, daß Postdienst und Postbank tragfähige Lösungen für eine weitere, wie ich hoffe, erfolgreiche Zusammenarbeit im Hinblick auf die Kritik des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen entwickeln.
Hier ist auch die Bundesregierung gefordert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, es ist deutlich geworden, daß wir noch große Aufgaben zu bewältigen haben. Unsere Entscheidungen in dieser Wahlperiode sind von enormer Tragweite. Deshalb müssen sie auch tragfähig sein; da ist noch einiges zu tun. Lassen Sie uns an die Arbeit gehen!