Rede von
Dr.
Herta
Däubler-Gmelin
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat, es ist nicht die Summe Geldes, das der Bund für den Justizhaushalt ausgibt, welche es rechtfertigt, daß wir uns sogar schon heute morgen in der öffentlichen Sitzung darüber unterhalten. Es geht vielmehr um die Frage: Wie geht es mit unserem Rechtsstaat weiter? Es ist richtig - ich danke deswegen auch Frau Tiemann und Herrn Kleinert dafür, daß sie nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen haben -, daß der Haushalt der Justiz im Bereich des Bundes relativ wenig Geld kostet. Es ist wichtig, das immer wieder festzustellen, weil in der Öffentlichkeit häufig der Eindruck entsteht, die Justiz sei viel zu teuer. Das ist gar nicht der Fall.
Führen wir uns die Zahlen noch einmal vor Augen: Der Bund zahlt in diesem Jahr etwa 95 Milliarden DM Zinsen. Der Justizhaushalt, wenn man alles zusammenfaßt, umfaßt in etwa 1 Milliarde DM, d. h. rund 1 % davon, wenn man es grob rechnet. Meine Damen und Herren, das sollte die Justiz dem Bund durchaus wert sein.
Bei den Ländern ist das natürlich ein bißchen mehr. Auch das trägt zu dem Problem bei, das wir in der Öffentlichkeit oft hören. Mich bringt dies zu meinem zweiten Punkt, daß wir eine Politik zur Sicherung des Rechtsstaates - um diese Frage geht es doch im Bereich der Innen- und der Rechtspolitik - nur machen können, wenn Bund und Länder nicht nur wissen, daß sie beide Zuständigkeiten haben und beide Verantwortung tragen, sondern auch zusammenarbeiten.
Bundesinnenminister Kanther - ich sehe ihn nicht mehr im Raum - hat neben Herrn Kollegen Marschewski, der noch hier ist, dazu Stellung genommen. Dazu muß ich sagen, daß es natürlich nicht angehen kann, daß Sie den Bundesländern einerseits öffentlich in die Kniekehle treten, sich aber andererseits die Feder, daß die Straftaten laut polizeilicher Kriminalstatistik zurückgegangen sind - sie ist ja nicht mehr als ein Indikator der Verbrechen -, an den Hut stecken und nicht einmal danach fragen, ob nicht z. B. die Umstrukturierung bei der Polizei, verbesserter Vollzug oder andere Maßnahmen, die in den Verantwortungsbereich der Länder fallen, dafür ursächlich sind.
Herr Marschewski, ich bitte deswegen darum, daß Sie hier nicht mehr solche Reden halten. Wenn es Ihnen darum geht, Gewalt und Verbrechen zu bekämpfen - das will ich ausdrücklich unterstellen -, dann sollten Sie auch so reden und nicht meinen, Leute prügeln zu müssen, die keine Schuld an den Phänomenen haben, die Sie schildern - und das noch nicht einmal richtig.
Meine Damen und Herren, ich schließe mich dem, was der Kollege Weißgerber zum Haushalt gesagt hat, voll an. Dennoch will ich einige Anmerkungen zur Rechtspolitik machen, weil ich den Eindruck habe, Frau Bundesjustizministerin, daß sich hier in den kommenden Jahren eine ganze Menge ändern muß. Uns alle verbindet die Sorge um den sozialen Rechtsstaat - damit will ich das aufgreifen, was Frau Tiemann sagte -, daß unsere Bürgerinnen und Bürger ihre Rechte ausüben können, daß Kriminalität da, wo sie auftritt, bekämpft werden muß und daß wir unseren Rechtsstaat weiterhin gut instandhalten. An einigen Stellen ist dies nicht mehr der Fall. Dort müssen wir Verbesserungen erreichen. An Stellen aber, wo er instand ist, muß er sorgfältig gepflegt werden.
Meine erste Bitte an Sie ist, daß Sie sehr viel stärker als bisher darauf achten, daß die Gesetzesvorlagen, die in den Bundestag kommen - soweit sie aus Ihrem Haus sind, können Sie dafür ja selber Sorge tragen; auch sonst sind Sie ja sehr häufig zeichnungsbefugt -, qualitativ erheblich besser werden. Das Justizministerium hat eine Menge an hochqualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Produkte, die wir zur Zeit auf den Tisch bekommen, sind ziemlich schlecht.
In den letzten Jahren - das merke ich kritisch in Richtung des Bundestages an - hat man es Ihnen auch leichtgemacht, weil es Ihnen insbesondere in der Innen- und Rechtspolitik nur darum ging, daß sich die CDU/CSU mit der F.D.P. geeinigt hat; das Ergebnis wurde dann automatisch geschluckt. Die Mehrheiten sind heute nicht mehr so. Wir werden sehr sorgfältig darauf achten, daß die Gesetze, die wir vorgelegt bekommen, nicht so kompliziert sind - der Kollege Weißgerber hat bereits darauf hingewiesen -, daß kein Mensch sie mehr versteht. Dann nämlich braucht man die Gesetze nicht mehr. Die Gesetze, die der Bundestag beschließt, müssen verständlicher und lesbarer werden.
Das Beispiel, das er angeführt hat - nämlich das Mietenüberleitungsgesetz -, ist sehr passend. Ich meine, wir dürfen es nicht dabei belassen, daß sogar von den Experten beklagt wird, die Mietrechtsgesetzgebung lese sich beinahe so schwer wie die Steuergesetzgebung oder das Sozialrecht. Ich sähe es vielmehr am liebsten, wenn Sie diesen Gesetzentwurf zurückziehen und - meinetwegen mit dem Inhalt, den Sie für richtig halten; darüber streiten wir uns dann politisch - auf den Tisch legen würden, so daß er Qualitätsansprüchen genügt.
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Ich habe mich sehr darüber amüsiert, Herr Kleinert, was Sie über die Galerie unserer Gerichtspräsidenten, die Sie aufgeführt haben - es waren ja nur Männer, was, wie immer, wahrscheinlich nur ein Zufall war -, gesagt haben. Ich stimme Ihnen zu: Wir hier machen die Gesetze, und die Gerichte sollen sie anwenden - das ist gar keine Frage -, d. h. das nötige Selbstbewußtsein können wir uns immer wieder bestätigen. Aber es wäre natürlich außerordentlich unklug, wenn wir nicht die Hinweise zur Kenntnis nähmen, die wir aus der Rechtsanwendung der Gerichte und dem Vollzug der Praxis bekommen.
Darüber stand auch in den Zeitungen eine ganze Menge zu lesen: In der Tat kommen viele der Urteile, über die Sie sich - Sie haben da meine volle Sympathie - ärgern, auch daher, daß in vielen Bereichen die notwendige Klarheit und Präzision der Gesetzgebungsbeschlüsse nicht gegeben sind. Ich weiß, daß viele davon auch Ergebnisse von Kompromissen im politischen Bereich sind. Das ist gar keine Frage. Aber wir Sozialdemokraten werden in den kommenden vier Jahren darauf achten, daß das, was politisch gewollt ist, wenigstens präzise und klar und damit als Anleitung für die Gerichte und für den Praxisvollzug tauglich ist.
Die zweite Forderung, die ich an Sie habe, betrifft nicht nur die Bundesjustizministerin, sondern sehr viel mehr die Regierungsmehrheit als Ganzes. Ich habe den Eindruck, Sie müssen bei manchen Ihrer Gesetze die Konzeption ändern, beim Verbrechensbekämpfungsgesetz ebenso wie beispielsweise beim Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege. Übrigens, denke ich, sind wir uns alle darüber einig, daß das, was hier als Horrorliste gehandelt wird, Gott sei Dank kein Bundesratsgesetzentwurf ist - er wird wohl auch keiner werden -, sondern eine Zusammenstellung von Überlegungen und Äußerungen, die für uns in keiner Weise verbindlich sind und es im übrigen auch nicht sein sollten.
Sie sehen das auch so; ich habe Ihre Äußerung, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, gestern mit Wohlgefallen zur Kenntnis genommen.
Aber was beim Verbrechensbekämpfungsgesetz natürlich geändert werden muß - ich weiß nicht, ob der Kollege Kolbe noch da ist -, ist folgendes: Lieber Kollege Kolbe, wenn Sie feststellen, daß die Verbrechensfurcht in den Ländern im Osten der vereinigten Bundesrepublik zunimmt, dann hat das begreifliche Ursachen. Denen müssen wir nachgehen. Die müssen wir gemeinsam mit den Dienststellen, auch gemeinsam mit den Verantwortlichen vor Ort und in den Ländern beheben. Die müssen wir auch überwinden. Nur, Ihre Reaktion war darauf: Die haben Angst vor Verbrechen, und deswegen müssen wir Gesetze verschärfen. Diese Reaktion war ebenso typisch wie falsch. So geht das einfach nicht mehr weiter.
Wir haben hauptsächlich - das sagen übrigens auch die Rechtsanwender - Vollzugsprobleme. Diese Vollzugsprobleme liegen sehr häufig an unklaren, unpräzisen Gesetzen. Da können wir helfen. Aber mit noch mehr Gesetzen die Vollzugsproblematik zuzudecken ist einfach falsch.
Dritter Punkt. Zum Bereich der Bürgerfreundlichkeit der Justiz. Ich hätte es sehr gerne, Frau Justizministerin, daß wir durchaus auch aus Umfragen, die wir nicht mögen, das ernst nehmen, was uns von dort entgegenschallt. Der Rechtsstaat steht bei denjenigen Bürgerinnen und Bürgern im Ansehen am höchsten, die am wenigsten mit Gerichten und Gesetzen zu tun haben.
- Ja, das mag sein, daß Ihnen das klar ist, liebe Frau Albinowitz. Aber es ist Ihre Aufgabe, als Mitglied der Regierungsmehrheit dafür zu sorgen, daß es nicht dabei bleibt. Gesetze und Gerichte sind nämlich um der Bürger willen da, nicht darum, daß wir ausnahmsweise ein Mitglied dieses Hohen Hauses gefunden haben, das diesen Zusammenhang versteht. Das kann nun nämlich nicht der Rechtfertigungsgrund sein, alles so weiterschludern zu lassen.
Wir werden uns darum bemühen müssen - darum bitte ich Sie -, auch mit den Ländern zusammen bald grundlegende Reformen einzuleiten, damit das Ziel, nämlich Bürgerfreundlichkeit, Vereinfachungen und Klarheit, wieder stärker als Motiv für Reformen zum Vorschein kommt und nicht unter dem Druck des Einsparens zusammengestrichen wird.
Als vierten Punkt lassen Sie mich noch anmahnen: Frau Bundesjustizministerin, Sie haben wahrscheinlich deswegen, weil es in Ihrer Koalition schwer ist, Konsens zu finden, große Bereiche der Gesetzgebung vernachlässigt: Kindschaftsrecht, neue Medien.
Die Entwicklungen dort berühren Millionen von Menschen, bedrohen Ihre Sicherheit und Ihre Rechte. Wir können die Ausgestaltung so wichtiger Felder nicht den Rechtsanwendern und den Gerichten überlassen, gerade dann nicht, wenn wir uns darüber ärgern, daß Gerichte entscheiden, wenn sie angerufen werden.
Wir brauchen gerade dort erheblich mehr gesetzlich vernünftige und präzise Regelungen. Die SPD wird sie deshalb verstärkt bei Ihnen einfordern.
Als letzten Punkt würde ich gerne etwas aufgreifen, was Herr Beck gesagt hat; Herr Kleinert, auch Sie haben das aufgegriffen. Unser Rechtsstaat zeichnet sich in der Tat auch dadurch aus, daß er begangenes Unrecht wiedergutmachen kann und will. Das tun wir noch nicht in ausreichendem Maße im Bereich des Unrechts, das durch die DDR-Gerichte, durch die DDR-Gesetzgebung und durch die Stasi begangen wurde. Es ist schon eine Schande - und man kann, glaube ich, schon einmal sagen, daß ei-
Dr. Herta Däubler-Gmelin
nen da der Frust packen kann -, daß dieses schreckliche Unrecht gegen die sogenannten Deserteure und Wehrkraftzersetzer nach 50 Jahren immer noch nicht bereinigt ist.
Doch ich kann auch die Frustration von Leuten verstehen, die wissen, daß wir das in den letzten Legislaturperioden vergeblich versucht haben. Sie wissen - ich will das jetzt einmal sehr freundlich und sehr pfleglich ausdrücken-: Das ist nicht an uns gescheitert. Ich setze deshalb große Hoffnungen darauf, daß wir es dieses Mal schaffen und daß wir es bald schaffen. Nur, wenn das nicht gelingen sollte, einfach deswegen, weil Sie sich nicht mit uns darauf verständigen können, daß diesen Menschen Unrecht getan wurde und daß ihnen auch ihre Würde wiedergegeben werden muß, würde sich unser Rechtsstaat ein außerordentlich schlechtes Zeugnis ausstellen. Ich hoffe, wir können das gemeinsam vermeiden.
Danke schön.