Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, daß trotz des Schneetreibens doch eine ganze Reihe von Ihnen den Weg hierher gefunden hat.
Ich habe heute morgen auf dem Weg hierher einen Kollegen meiner eigenen Fraktion vor dem tiefen Sturz in den Schnee bewahrt. Der Name wird nicht verraten.
Gestatten Sie im Zusammenhang mit der verbundenen Debatte zu immerhin drei Einzelplänen zwei Vorbemerkungen: „Der Haushalt des Innenministers ist das in Zahlen dokumentierte Eingeständnis von Hilflosigkeit, Pleiten, Pannen, Unfähigkeiten, mangelnder Sensibilität und in nicht wenigen Bereichen schlichter politischer Dummheit." So lautete im November 1993 das vernichtende Urteil meines Vorgängers in der Berichterstattung des Einzelplans 06. Sie kennen alle den verehrten Kollegen Purps.
Uta Titze-Stecher
Damals konnte der zuständige Innenminister noch als Novize gelten; denn er war gerade hundert Tage im Amt. Heute allerdings gibt es kein Mitleid, Herr Kanther. Sie sind 14 Monate im Amt, gestählt und gehärtet durch Wahlen. Sie sind zu einem echten Überzeugungstäter geworden.
Um so schlimmer, wenn ich die Einschätzung meines Kollegen von damals teile.
- Beruhigen Sie sich bitte, Kollegen von der rechten Seite!
Zweite Vorbemerkung: Der Haushalt zeichnet sich insbesondere durch mangelnden Mut zu echten Strukturreformen und in allen drei zur Debatte stehenden Einzelplänen durch unverantwortliche Konzeptionslosigkeit aus. Ich werde das in Einzelfällen belegen.
Der Einzelplan 06 umfaßt zwar nur - wir sind bei Milliarden - knappe 8,5 Milliarden DM, doch es lohnt sich, einen näheren Blick auf die Verteilung des Volumens zu werfen. Der Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern gleicht einem orientalischen Basar, was die Vielfalt seiner Aufgaben betrifft.
Ich will nicht alle Kapitel vorlesen. Damit Unkundige wissen, worum es geht: Es geht um Verfassungs- und Staatsrecht, Verwaltung, innere Sicherheit, Polizei, zivile Verteidigung, Informationstechnik, Datenschutz, Kommunalwesen, Statistik, aber auch um die wichtigen Bereiche Sport, Kultur, Medien, soweit bundesrelevante Thematik angesagt ist. Wir finden in diesem Einzelplan sowohl die GauckBehörde als auch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, die Bewilligungen für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte - Herr Waffenschmidt ist da - und die Zuweisungen für die Stiftungen der politischen Parteien.
Sie werden Verständnis dafür haben, daß ich mich angesichts dieser Fülle auf exemplarische Beispiele in meiner Kritik beschränke. Wir führen ja nicht erst in den letzten Monaten die Debatte über die dringend notwendige Reform des öffentlichen Dienstes, Gutachten zum Thema moderner Staat und effiziente Verwaltung liegen zur Genüge vor, beispielsweise von der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Warum, Herr Minister, erfolgt keine Umsetzung? Sonst fehlt Ihnen doch nicht der Mut, wenn Sie etwa den Aufwuchs beim Bundesgrenzschutz mit der wachsenden Zahl illegaler Grenzgänger begründen müssen oder wenn Sie keine Berührungsängste zeigen, im rechtsextremen „Deutschlandmagazin" ein Interview zu geben,
in dem Sie Ausländer in Deutschland mit Begriffen
wie Umtriebe und Verbrecherverbände in Zusammenhang bringen. Für eine solche Entgleisung ist
auch der hessische Wahlkampf keine Rechtfertigung.
Denn in meinen Augen darf sich ein biederer Minister, für den ich Sie halte, nicht zu einer solchen Sache hinreißen lassen, d. h. zündeln, ohne sich den Vorwurf anhören zu müssen, daß er auch als Brandstifter angesehen werden kann, von der Anbiederung an rechtsnationale Stammtischbrüder und deren Parolen 50 Jahre nach Kriegsende einmal ganz zu schweigen.
Zurück zum öffentlichen Dienst: Sie wissen, Herr Minister, daß die Reform zwingend ist. Zum einen zwackt uns die finanzielle Lage. Ich will nur folgendes andeuten: Die Pensionsleistungen des Bundes werden im Jahre 2030 nach einer soliden Prognose des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung satte 165 Milliarden DM betragen; wir sind heute schon bei 35 Milliarden DM jährlich angelangt. Das heißt, wir sind gezwungen, den öffentlichen Dienst zu reformieren. Zweitens wissen Sie, Herr Kanther, auch, daß wir unter den Druck der EU geraten; denn unser breitgefächertes Beamtenwesen widerspricht in Teilen dem Europäischen Vertragsrecht, auch dem Art. 48 des EWG-Vertrags, der Freizügigkeit der Arbeitnehmer herstellt.
Ich denke, aus all diesen Gründen ist es dringendst erforderlich, daß Sie das, was Sie bereits in der Berichterstatterrunde versprochen haben, die Vorlage eines Konzepts bis zum Frühsommer, einlösen.
Ich denke, daß es höchste Zeit ist, den hoheitlichen Bereich zu definieren. Denn warum, in Kuckucks Namen, müssen denn Archivare, Bibliothekare, ja sogar Tierpfleger in zoologischen Gärten verbeamtet sein?
- Der Minister hat nachher Zeit, diese Fragen zu beantworten.
Zeigen Sie Mut, Herr Minister, alte Zöpfe abzuschneiden, das Alimentationsprinzip aufzugeben, die Privilegien einzelner Gruppen zu beschneiden. Ich erinnere nur an die Vorzugsstellung der Beamten bei der Anpassung der Beihilfevorschriften im Rahmen der Pflegeversicherung. Ich will niemanden abschaffen; ich will das effiziente System noch effizienter machen.
Uta Titze-Stecher
Da wir schon einmal beim Kapitel „Mut" sind, gestatten Sie mir eine Bemerkung zu den sogenannten Spaziergängern der Nation. Das sind die Spitzenpolitiker und Spitzenbeamten, die im Bund und in den Ländern in den vorzeitigen politischen Ruhestand geschickt werden.
Diese Sache läßt sich diese Regierung pro Jahr 46 Millionen DM kosten.
77 Spitzenbeamte wurden in den ersten zehn Jahren der Kohlschen Regierung gefeuert, weil die Chemie nicht stimmte. Das kann ja nur ein schlechter Witz sein.
Abschließend - ich bin sicher, ich finde den Beifall auch bei der rechten Seite - sei versöhnlich gesagt: Selbstverständlich weiß die SPD, daß die deutsche Verwaltung ihre beachtliche Leistungsfähigkeit und Qualität gerade bei der deutschen Vereinigung unter Beweis gestellt hat. Aber das reicht nicht. Es gilt jetzt, sie fit zu machen und den veränderten Bedürfnissen in Staat und Gesellschaft anzupassen. Was ich jetzt sage, gehört auch zum Thema Standortdebatte: Wir halten die Reform des öffentlichen Dienstes auch für eine Voraussetzung für einen effektiven und funktionierenden Privatsektor.
Wie verträgt sich allerdings die Forderung nach einer schlanken Verwaltung - das bedeutet ja nun wohl: Abbau von hierarchischen Strukturen, dezentrale und eigenverantwortliche Erledigung von Aufgaben - mit der Tatsache, daß beispielsweise, Herr Minister, im Rahmen der Neuorganisation des Bundeskriminalamts zwei Hauptabteilungen geschaffen wurden? Selbst der Bundesrechnungshof - er ist ja nun wirklich unser bester Ratgeber - kritisiert die vierstufige Gliederung des BKA unterhalb der Amtsleitung mit dem Argument, diese Konstruktion verlängere Entscheidungs- und Informationswege. Dem kann man nur zustimmen.
- Das sagen Sie bitte mal Ihren Kollegen im Rechnungsprüfungsausschuß.
Der Verzicht auf die erwähnten beiden Hauptabteilungen würde finanzielle Mittel freimachen für die Übernahme Auszubildender. Aber wir haben ja gestern in der Debatte schon mitgekriegt: Sie sorgen sich mehr um die Häuptlinge und weniger um die Indianer.
Apropos BKA und Kriminalität: Wir wissen, daß die Gesamtkriminalität sinkt, auch wenn die Gewalt nicht abnimmt. Das heißt, die Zahl der Straftaten geht laut offizieller Kriminalstatistik zurück, auch wenn Sie, Herr Minister, Ende Januar auf einer Tagung in Wiesbaden zum Thema „Wertewandel und innere Sicherheit" das blanke Gegenteil davon behauptet haben, nach dem Motto, daß „nicht sein kann, was nicht sein darf". Offensichtlich paßt eine Kriminalstatistik nur dann in die Landschaft, wenn sie die Forderung nach immer mehr und immer schärferen Gesetzen unterstützt. Klar ausgedrückt: Der Bürger soll subjektiv Angst empfinden, sie subjektiv schlimmer empfinden, als objektiv gerechtfertigt ist. Nur wissen wir selbst, daß man subjektive Angst auch durch noch so viel Statistik niemandem nehmen kann.
Auch die SPD nimmt die neuen Zahlen durchaus nicht zum Anlaß für eine Entwarnung. Nur haben wir andere Ansätze, Herr Minister. Immerhin erinnere ich mich, daß wir bei der Diskussion über das Verbrechensbekämpfungsgesetz 1994 von Ihnen das Argument hörten, das sei ja nur ein Einstieg für weitere Verschärfungen, weil Sie von einer weiterhin steigenden Massendelinquenz ausgingen. Nun gut; die Realität ist anders.
Nur frage ich Sie, wie Sie es Ihrem Koalitionspartner verklickern wollen, daß Sie a) bereits in der Vorbereitung für ein Verbrechensbekämpfungsgesetz, Teil 2 sind und b) dort datenschutzrechtliche Einschränkungen vorgesehen haben. Wir wissen, daß die Gewaltbereitschaft, wie schon erwähnt, besorgniserregend zugenommen hat. Wir denken, daß zweierlei notwendig ist, im Gegensatz zu Ihnen, Herr Minister, erstens Gegensteuern durch ein Bündel von sozialen, präventiven und repressiven Maßnahmen, damit wir Gewalt bereits bei der Entstehung bekämpfen, zweitens eine inhaltliche und organisatorische Neukonzeption aller mit Polizeibefugnissen ausgestatteten Bundeseinrichtungen, BKA, Bundesgrenzschutz, Zoll- und Finanzbehörden, damit Reibungs- und Kompetenzverluste bei der Bekämpfung der länderübergreifenden Kriminalität nicht auftreten können.
In diese neue Konzeption ist Europol natürlich einzubinden. Allerdings stellen wir uns vor, daß es mit operativen Befugnissen ausgestattet ist und zum Kernstück der internationalen Kriminalitätsbekämpfung wird.
Bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, Herr Minister, tragen Sie ein erhebliches Maß an Mitschuld. Warum unterstützen Sie denn nicht die SPD-Forderung nach Abschaffung der steuerlichen Absetzbarkeit von Schmier- und Bestechungsgeldern?
Die Bundesregierung - ich sage das einmal ganz drastisch - fördert mit ihrer Weigerung praktisch die Ausbreitung der organisierten Kriminalität im In-
Uta Titze-Stecher
und Ausland. Ja, sie begünstigt über geltendes Steuerrecht aktives Bestechungsverhalten. Nicht nur das: Sie fördert damit auch korruptives Verhalten von Amtsträgern. Ich denke, das sollten wir nicht unterstützen.
Das jüngste Husarenstück aus Ihrem Hause darf ruhig „dilettantisch" genannt werden. Wenn es nicht so schlimm wäre, würde man hier ja lachen können. Auf Grund schwerer politischer Fehler der Bundesregierung bei der Neuordnung im Telekommunikationsbereich - Stichwort „unkontrollierte Lizenzvergabe" - haben sich die Funktelefone zum abhörsicheren paradiesischen Reservat für Schwerkriminelle gemausert. Offensichtlich haben kommerzielle Interessen absoluten Vorrang vor sicherheitspolitischen Notwendigkeiten. Daß ich mit diesem Verdacht nicht ganz falsch liege, beweist die Beantwortung eben dieser Frage durch die Bundesregierung im Innenausschuß. Da hieß es wörtlich: Abhörmöglichkeiten hätten die Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland im Bereich der mobilen Kommunikation gefährdet.
Da kann ich nur sagen: Das ist ein Skandal.
Eine Ohrfeige für Sie, Herr Minister - symbolisch gesprochen -, ist aber auch, wenn private Netzanbieter mit der Abhörsicherheit ihrer Netze Werbung betreiben mit der wunderschönen Folge, daß große Teile des Drogenhandels, aber auch die logistische Kommunikation rechtsradikaler Gruppen inzwischen per Funktelefon läuft und gesteuert wird.
Als Haushälterin fordere ich Sie dringend auf, die erforderlichen Nachinvestitionskosten auf gar keinen Fall aus der Bundeskasse mit Steuergeldern zu begleichen.
Noch eine Bitte: Entkräften Sie die Befürchtungen der Länder - dies liegt auf dem Tisch -, Sie wollten nach und nach Bundesgrenzschutz und Bundeskriminalamt zu einer Bundespolizei ausbauen, obwohl dies, wie Sie wissen, grundgesetzwidrig ist. Sie sagen etwas anderes; aber sagen Sie einmal, daß Sie das nicht im Sinne haben. Wenn Sie die Machtbalance in diesem sensiblen Bereich zugunsten des Bundes ändern wollen, geht das nur mit den Ländern und nicht gegen die Länder.
Das dürfte Ihnen das Kompetenzgezerre um den Abschiebestopp für die Kurden ja hinlänglich klar gemacht haben.
Wir denken, daß es dem inneren Frieden in diesem Lande allemal dienlicher wäre, wenn die Bundesregierung verstärkte Anstrengungen für ein friedliches Zusammenleben von Ausländern und Deutschen unternähme. Ich nenne in diesem Zusammenhang stichpunktartig folgende Forderungen: die Schaffung eines eigenständigen Aufenthaltsstatus für ausländische Ehepartner, der B-Status für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge, die Regelung des Zuzugs von Ausländern durch ein Einwanderungsgesetz, das diesen Namen verdient, und die Möglichkeit des Erwerbs der doppelten Staatsbürgerschaft.
Da werden Sie uns an Ihrer Seite haben. Ich mahne auch die dringende Reform des überfälligen Staatsangehörigkeitsrechts aus den Zeiten des Dritten Reichs an.
Seit 1992 fordert der Innenausschuß einstimmig, also mit den Stimmen der Koalition, ein Gesamtkonzept für die Neuordnung der zivilen Verteidigung mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen für Personal- und Stellenpläne. Bis heute liegt nur - das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen - ein endgültiger Zwischenbericht vor. Erst gab es einen Zwischenbericht, dann einen endgültigen Zwischenbericht. Wir warten auf den endgültigen Bericht, Herr Minister.
Sie ignorieren damit die Beschlußlage des Parlaments, obwohl Haushaltsberatungen stattgefunden haben und obwohl wir durch teilweise Sperrung versucht haben, die Berichtsvorlage zu erzwingen. Bis jetzt Fehlanzeige! Sie schaffen also Strukturen durch Stellenabbau, -umbau, -umsetzungen und Budgetierung, anstatt umgekehrt nach Vorlage eines Konzepts diese Dinge in Angriff zu nehmen. Das offenbart in meinen Augen ein etwas leicht gestörtes Verhältnis zum parlamentarischen System. Da kann ich nur sagen: In gewohnter Manier brüskiert der kantige Innenminister das Parlament.
Als Haushälterin bin ich - ich sage das, damit keine Mißverständnisse im Raume stehenbleiben - fürs Sparen, aber an der richtigen Stelle und in angemessener Höhe. Warum müssen - ich greife hier den Antrag der GRÜNEN auf, der heute morgen vorlag - z. B. beim Objekt Marienthal/Eifel - besser bekannt unter Regierungsbunker - 11 Millionen DM allein angeblich für die Unterhaltung angesetzt werden? Oder ist die Zahl von 200 Bewachungskräften für den Ausweichsitz der Bundesregierung gerechtfertigt? Die Frage ist, ob das Ganze überhaupt noch notwendig ist.
Und weiter: Warum reduzieren und plafondieren Sie die Mittel des Kulturhaushaltes, nicht hingegen die Mittel nach § 96 des Bundesvertriebenengesetzes - immerhin satte 30 Millionen DM - in angemessener Weise? Die veränderten politischen Gegebenheiten in Osteuropa erfordern eine völlig neue Konzeption aller Institutionen und aller Programme. Das heißt, die gesamte Kiste gehört auf den Prüfstand. Beispielsweise die Bundeszuwendungen an die Stiftung Ostdeutscher Kulturrat und an die Kulturstif-
Uta Titze-Stecher
tung der deutschen Vertriebenen sollten nicht nur wegen des allgemeinen Sparzwangs reduziert werden, sondern auch in Anbetracht der Tatsache, daß heute, 50 Jahre nach Kriegsende, der Blick nach vorne auf die künftigen Generationen wichtiger ist als der Blick nach hinten. Auch da sind wir in der Pflicht.
Eine Umschichtung der Mittel für ein Regionalförderprogramm Kultur könnte den dringenden Nachholbedarf der Kultur in den strukturschwachen Grenzregionen an der deutschen Ostgrenze decken. Nach jahrelangen Verhandlungen zwischen Bund und Ländern ist die Sache kurz vor der Umsetzung geplatzt. Es wäre bei gutem Willen der Koalition und auch - zugegeben - bei vernünftiger Projektauswahl möglich gewesen, den Einstieg in diese Kulturförderung in einer Größenordnung von 10 bis 20 Millionen DM bereits beim Haushalt 1995 zu wagen.
Um dem Argument der Koalition gleich vorzugreifen: Hier ist keinesfalls eine Wiederauflage der Zonenrandförderung gemeint. Hier geht es nur darum, daß der Bund den Ländern gegenüber gemachte Zusagen schlicht und einfach ohne ausreichende Begründung zurückgenommen hat.
Die SPD hält auch die von der Bundesregierung beschlossenen 690 Millionen DM für die Bundeskulturförderung für unvereinbar mit den Verpflichtungen aus Art. 35 des Einigungsvertrages. Dieser plafondierte Betrag reicht in keinem Falle aus, um kulturelle Einrichtungen von gesamtstaatlicher Bedeutung auch unter dem Aspekt der regionalen Ausgewogenheit zu sichern und zu fördern.
Nun komme ich zur Berliner Kulturförderung: Unter Berücksichtigung der Hauptstadtfunktion wurden trotz nachweislichen Bedarfs von 148 Millionen DM lediglich 28 Millionen DM festgelegt - und das nur auf Druck der SPD, um das einmal öffentlich zu machen.
- Das sehe auch ich als Schande an. Ich halte das für eine eklatante Verletzung von § 5 Abs. 2 des BonnBerlin-Gesetzes, in dem der Bund ausdrücklich zusagt, das Land Berlin bei den ihm vom Bund zur Wahrnehmung der gesamtstaatlichen Repräsentation vereinbarungsgemäß übertragenen besonderen Aufgaben zu unterstützen.
Ebenso wortbrüchig handelt der Bundesinnenminister im Bereich des Sports. Die Koalition hat den seit 15 Jahren reifenden Plan zur Errichtung eines deutschen Sportmuseums zunichte gemacht, obwohl in dem zuständigen Fachausschuß, dem Sportausschuß, die Fragen der Finanzierung und der Folgekosten einvernehmlich unter den Fraktionen und mit dem Sport geklärt waren.
- Sie können sich äußern, Frau Albowitz.
Auf der anderen Seite werden großzügig Mittel an alle möglichen Organisationen vergeben, die von sich selber behaupten, deutsche Kultur in Osteuropa zu fördern. Trotz jahrelanger Recherchen von Bundesrechnungshof und Staatsanwaltschaft ist es bis heute schwer, den Mantel des Schweigens über fehlgelaufene und undurchsichtige Geschäfts- und Vergabepraktiken bei der Projektrealisierung aufzudekken.
Neuestes Beispiel im Zusammenhang mit den Ausgaben für Rußlanddeutsche - vor zwei Wochen in „Spiegel" -: Ein evangelisches Gemeindezentrum im Omsk - Herrn Waffenschmidt werden die Ohren klingen - sollte zu 90 % vom Bund bezahlt werden. Unter Druck der russischen Baumafia geraten, haben Sie sich, Herr Waffenschmidt, über den Tisch ziehen lassen. Sie sind für mich ein personifiziertes Haushaltsrisiko geworden.
Um es klar zu sagen: Dieser Ausdruck stammt aus dem Ministerium selbst - nicht von mir.
Ich komme zum Schluß. Angesichts der erheblichen Fehlentwicklungen der in die GUS fließenden Unterstützungsleistungen halten wir die gesamte Konzeption der Bundesregierung, mit hohem finanziellen Einsatz die Deutschstämmigen zum Verbleiben zu bewegen, für in weiten Teilen gescheitert. Wolga-Projekte sind - wie wir alle wissen - allenfalls geeignet, Ausreisewillige hinzuhalten, eröffnen aber - wie die Zahlen verdeutlichen - keine Perspektive.
Wir sehen die Aussiedlerprogramme für Deutsche in der Ukraine schlicht als gescheitert an. Deswegen fordern wir Sie auf, einen detaillierten Bericht über die Förderung und vor allem die Einschätzung der geplanten Projekte abzugeben.
Ich denke, die wenigen angeführten Beispiele verdeutlichen, warum wir die Einzelpläne 06 und 36 ablehnen und uns bei dem Einzelplan 33 - Versorgung - der Stimme enthalten werden. Sie tragen zu eindeutig die Handschrift dieses Innenministers - und dies zum Teil ohne Rücksicht auf parlamentarische Beschlüsse und Forderungen sowie ohne Konzepte. Die Prioritäten - besonders im Bewilligungsteil, aber nicht nur in diesem - halten wir für unvertretbar. Neue überfällige Konzepte stehen aus.
Ein gravierender Vorwurf: Existenz, Zielsetzung, Aufgaben und finanzielle Dimensionierung von einigen Bundesbehörden und einigen Instituten im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern sind nicht nur nach Meinung der Berichterstatterin und der SPD, sondern sogar nach Meinung des Bundesrechnungshofs unzeitgemäß.
Uta Titze-Stecher
Aus diesen Gründen lehnen wir die bereits erwähnten Einzelpläne 06 und 36 mit Entschiedenheit ab.