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    Plenarprotokoll 13/30 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 30. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 29. März 1995 Inhalt: Tagesordnungspunkt I: Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1995 (Haushaltsgesetz 1995) (Drucksachen 13/50, 13/414) Einzelplan 06 Bundesministerium des Innern (Drucksachen 13/506, 13/527) in Verbindung mit Einzelplan 33 Versorgung (Drucksachen 13/524, 13/527) in Verbindung mit Einzelplan 36 Zivile Verteidigung (Drucksachen 13/525, 13/527) Uta Titze-Stecher SPD 2131 D Dr. Klaus-Dieter Uelhoff CDU/CSU . . 2136A Uta Titze-Stecher SPD 2136C Günter Graf (Friesoythe) SPD . . . 2137A Rezzo Schlauch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2138D Ina Albowitz F.D.P. 2140C Ulla Jelpke PDS 2143C Manfred Kanther, Bundesminister BMI 2145A Dr. Winfried Wolf PDS . 2147B Otto Schily SPD . . . . . . . . . 2148A Erwin Marschewski CDU/CSU 2150 B Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. . . . . 2151 D Einzelplan 07 Bundesministerium der Justiz (Drucksachen 13/507, 13/527) in Verbindung mit Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht (Drucksache 13/527) Gunter Weißgerber SPD 2153 D Manfred Kolbe CDU/CSU 2156 A Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2158A Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . 2159C Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2159D Uta Titze-Stecher SPD . . . . . . . 2160 B Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 2161 B Dr. Susanne Tiemann CDU/CSU . . . 2162B Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD 2164 A Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ 2166B Norbert Geis CDU/CSU 2167 B Hermann Bachmaier SPD 2167 D Otto Schily SPD 2168 B Einzelplan 11 Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (Drucksachen 13/511, 13/527) Dr. Konstanze Wegner SPD 2169 B Hans-Joachim Fuchtel CDU/CSU 2172 C Uta Titze-Stecher SPD 2174 A Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2174D Dr. Gisela Babel F.D.P 2175B, 2192D Ina Albowitz F.D.P. 2178A Dr. Heidi Knake-Werner PDS 2179D Dietrich Austermann CDU/CSU . . . 2181 D Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2182C Dr. Gisela Babel F.D.P 2184D Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 2186A Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 2187C Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . 2189C Dr. Norbert Blüm CDU/CSU 2190A Ottmar Schreiner SPD 2190 B Volker Kauder CDU/CSU 2191 A Hans-Joachim Fuchtel CDU/CSU . . . 2194A Horst Seehofer CDU/CSU 2195A Jürgen W. Möllemann F.D.P. 2196D Heiner Geißler CDU/CSU . . . . . . . 2197 C Einzelplan 30 Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (Drucksachen 13/522, 13/527) Dieter Schanz SPD 2200 D Steffen Kampeter CDU/CSU 2204 C Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2206B Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P 2207 C Dr. Ludwig Elm PDS 2209 A Christian Lenzer CDU/CSU 2210B Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister BMBF . . . . . . . . . . . . . . . 2211 C Einzelplan 17 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Drucksachen 13/517, 13/527) Siegrun Klemmer SPD . . . . 2215A Peter Jacoby CDU/CSU . . . . . . . . 2219B Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . 2221 A Heinz Lanfermann F.D.P 2222 B Heidemarie Lüth PDS 2223 D Claudia Nolte, Bundesministerin BMFSFJ 2224 C Christel Hanewinckel SPD 2226 A Maria Eichhorn CDU/CSU 2227 C Einzelplan 15 Bundesministerium für Gesundheit (Drucksachen 13/515, 13/527) Gerhard Rübenkönig SPD . . . . . . 2228 D Roland Sauer (Stuttgart) CDU/CSU . . . 2232B Uta Titze-Stecher SPD 2232 C Kristin Heyne BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2234 D Dr. Dieter Thomae F.D.P 2236B Dr. Ruth Fuchs PDS 2237 C Horst Seehofer, Bundesminister BMG 2238 C, 2243 C Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2239 A Klaus Kirschner SPD 2239 D Klaus Kirschner SPD . . . . . . . . 2243 A Einzelplan 16 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Drucksachen 13/516, 13/527) Eckart Kuhlwein SPD 2244 A Arnulf Kriedner CDU/CSU 2247 A Kristin Heyne BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2249 A Steffen Kampeter CDU/CSU 2250C Birgit Homburger FD P. 2250D Rolf Köhne PDS 2253 A Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMU . . . . . . . . . . . . . . . . 2253D Ulrike Mehl SPD 2256 A Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/ CSU . . . . . . . . . . . . . . . 2257 C Uta Titze-Stecher SPD 2258 B Einzelplan 25 Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Drucksachen 13/521, 13/527) Dr, Rolf Niese SPD 2259C Herbert Frankenhauser CDU/CSU . . 2262D Dieter Pützhofen CDU/CSU 2263 B Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 2265 C Jürgen Koppelin F.D.P 2267 A Klaus-Jürgen Warnick PDS 2268 C Gert Willner CDU/CSU 2269 B Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMBau 2271 A Einzelplan 12 Bundesministerium für Verkehr (Drucksachen 13/512, 13/527) Hans Georg Wagner SPD 2274 B Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2278B, 2280 C Bartholomäus Kalb CDU/CSU 2279 B Rainder Steenblock BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . 2281D Bartholomäus Kalb CDU/CSU . . . . 2283 B Dr. Dionys Jobst CDU/CSU 2283 D Horst Friedrich F.D.P. . . . . . .. . 2284 B Dirk Fischer (Hamburg) CDU/CSU . . . 2285 C Matthias Wissmann, Bundesminister BMV 2287B Einzelplan 13 Bundesministerium für Post und Telekommunikation (Drucksachen 13/513, 13/527) Hans Martin Bury SPD 2289 D Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein CDU/CSU 2294 C Dr. Manuel Kiper BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2296C Jürgen Koppelin F.D.P 2298 A Gerhard Jüttemann PDS 2299 B Dr. Wolfgang Bötsch, Bundesminister BMPT 2300C Einzelplan 10 Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Drucksachen 13/510, 13/527) Ilse Janz SPD 2302D Bartholomäus Kalb CDU/CSU 2307 B Ulrike Höfken-Deipenbrock BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 2309 C Dr. Günther Maleuda PDS . . . . 2310 D Meinolf Michels CDU/CSU 2311D Jochen Borchert, Bundesminister BML 2313A Erweiterung der Tagesordnung 2315A Zusatztagesordnungspunkt: Beratung des Antrages der PDS: Einladung von Repräsentanten aller Länder, die Opfer des von Nazi-Deutschland ausgegangenen Aggressionskrieges wurden (Drucksache 13/965) . . 2315 A Nächste Sitzung 2315 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 2317* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 22 (Haushaltsgesetz 1995 - Einzelplan 12 - Bundesministerium für Verkehr) Dr. Dagmar Enkelmann PDS 2317* A Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 23 (Haushaltsgesetz 1995 - Einzelplan 13 - Bundesministerium für Post und Telekommunikation) Elmar Müller (Kirchheim) CDU/CSU , 2318* A Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 24 (Haushaltsgesetz 1995 - Einzelplan 10 - Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten) Jürgen Koppelin F.D.P. . . . . . . . 2319* C 30. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 29. März 1995 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adler, Brigitte SPD 29. 03. 95 Büttner (Ingolstadt), SPD 29. 03. 95 Hans Büttner (Schönebeck), CDU/CSU 29. 03. 95 Hartmut Gansel, Norbert SPD 29. 03. 95 Dr. Hartenstein, Liesel SPD 29. 03. 95 Heym, Stefan PDS 29. 03. 95 Meißner, Herbert SPD 29. 03. 95 Tippach, Steffen PDS 29. 03. 95 Vergin, Siegfried SPD 29. 03. 95 Welt, Jochen SPD 29. 03. 95 Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 22 (Haushaltsgesetz 1995 - Einzelplan 12 - Bundesministerium für Verkehr) Dr. Dagmar Enkelmann (PDS): „Die Völker erwarten von uns, daß wir die notwendigen Beschlüsse fassen, um sie vor drohendem Schaden zu bewahren", so wird Umweltministerin Merkel aus ihrer Eröffnungsrede der Klimakonferenz zitiert. Wenn ich mir einerseits solch beschwörende Reden anhöre und andererseits die nackten Tatsachen dieses Haushalts betrachte, kann ich mich nur wundern. Wo, bitte schön, sind denn die „notwendigen Beschlüsse", die eine Klimakatastrophe vielleicht noch abwenden könnten? Ist das vielleicht der Beschluß, die Mittel für Investitionen in die Schiene um mehr als eine halbe Milliarde DM zu kürzen und die vorgesehenen Kürzungen für Straßenbauinvestitionen wieder um 350 Millionen DM zurückzunehmen? Ist damit vielleicht der Beschluß gemeint, in diesem Land, das ohnehin über eines der dichtesten Straßennetze der Welt verfügt, jährlich über 8 Milliarden DM in Straßen zu investieren? Die Glaubwürdigkeit dieser Bundesregierung ist wirklich keinen Pfifferling mehr wert. Sie heften sich den Rückgang der CO2-Emissionen stolz als Erfolg Ihrer Reduktionsbemühungen an die Brust und verschweigen dabei, daß der verzeichnete Rückgang nur auf die Deindustrialisierung in den neuen Län- Anlagen zum Stenographischen Bericht dem zurückzuführen ist. Im Westen stieg nämlich der Kohlendioxid-Ausstoß um 3 %, im Verkehrssektor - hören Sie gut zu, Herr Wissmann - sogar um 17 % zwischen 1987 und 1992. Ihr Haushalt ist ein Klimakiller-Haushalt und ein sicherer Garant dafür, daß diese Steigerungsraten auf weitere Jahre festgeschrieben werden. Erforderlich wäre wohl eine Umweltverträglichkeitsprüfung für Ihren gesamten Haushalt. Mit dieser Zielrichtung müßte dann auch der Bundesverkehrswegeplan revidiert werden. Ein erster Schritt wäre ein Ausbaustopp für Bundesfernstraßen in den alten Bundesländern. Konnte man bisher darauf hoffen, daß das, was Studien und Appelle nicht vermochten, nämlich weiteres durch Straßenneubau induziertes Verkehrswachstum zu verhindern, dann letztlich durch leere Kassen des Bundes bedingt wurde, so gilt auch das seit neuestem nicht mehr. Die Bundesregierung läßt sich den Straßenneubau privat vorfinanzieren und baut so einen weiteren Schattenhaushalt auf. Um auf dem Papier einen Anstieg der Neuverschuldung zu vermeiden, verschwendet die Bundesregierung zig Millionen DM. Das Konzessionsmodell ist nämlich gegenüber einer Haushaltsfinanzierung schlicht und einfach unwirtschaftlich. Die Projekte verteuern sich durch die Einschaltung privater Geldgeber um 30 bis 40 %, da der Staat für die hohen Refinanzierungskosten der privaten Projektträger aufkommen muß. Nun sagen Sie, es handelt sich bei den Projekten, für die jetzt Verpflichtungsermächtigungen ausgebracht sind, ja nur um Pilotprojekte. Sie wollen testen, wie sich die private Vorfinanzierung gesamtwirtschaftlich auswirkt. Das ist doch lächerlich. Können Sie mir einen Grund nennen, warum die Berechnungen des Bundesrechnungshofes nicht ausreichend sein sollten, um das zu belegen, was heute ohnehin schon jedes Kind weiß: Der Kauf auf Raten kommt teurer. Der Bundesrechnungshof hat berechnet, daß eine private Vorfinanzierung beim Engelberg-Tunnel z. B. rund 8 Millionen und bei der vierten Elbtunnel-Röhre sogar mehr als 23 Millionen DM teurer würde. Das sollte eigentlich ausreichen, um jeden verantwortlich denkenden Menschen von solch abenteuerlichen Finanzierungsmodellen abzubringen. Auch das Argument, Sie kaufen damit Zeit ein, ist an den Haaren herbeigezogen. Der öffentliche Haushalt kann jederzeit Kredite für Investitionen in unbegrenzter Höhe aufnehmen. Wenn Sie das täten, müßten Sie allerdings den Bürgerinnen und Bürgern die Wahrheit darüber sagen, wie verschuldet diese Bundesregierung tatsächlich ist. Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit aber scheuen Sie wie der Teufel das Weihwasser. So lügen Sie sich, vor allem aber den Bürgerinnen und Bürgern in die Taschen und bauen weiter an der betonierten Republik Deutschland. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 23 (Haushaltsgesetz 1995 - Einzelplan 13 - Bundesministerium für Post und Telekommunikation) Elmar Müller (Kirchheim) (CDU/CSU): Die Aufgabe, die wir uns mit der Postreform II gestellt haben, war es, das Überleben der Postunternehmen auf Dauer zu sichern und gleichzeitig Leben in den Kommunikationsmarkt zu bringen. Meine Kollegen und ich wissen, daß wir uns hier auf einer schwierigen Gratwanderung befinden. So scheint es mir bezeichnend, daß es in der CSU Herrn Stoiber deutlich zu langsam mit dem Wegfall der Telekommonopole geht, wogegen Herr Waigel, aus Sorge um eine zu starke Belastung der Telekom AG, zur Zurückhaltung mahnt. Die F.D.P. macht es sich da viel leichter. Sie fordert den Fortfall der Monopole und verheimlicht ihrer Klientel einfach, daß sie dem Gesetz selbst zugestimmt hat, mit dem der Telekom AG bis zum 1. Januar 1998 das Netz- und Sprachdienstmonopol übertragen wurde. Unzuständigkeitshalber, aber wortreich kann Herr Rexrodt als Bundeswirtschaftsminister dann genau das anmahnen, was der Bundespostminister gerade erarbeitet und Anfang dieser Woche veröffentlicht hat, nämlich die Eckpunkte des zukünftigen Regulierungsrahmens im Telekommunikationsbereich. Die SPD tut sich wie gewohnt schwer. Die einen fürchten mit einem schrittweise wachsenden Wettbewerb um den Börsenwert der Deutschen Telekom AG und unterschätzen offensichtlich die Intelligenz der Anleger. Wer kauft schon gerne einen Monopolisten im Sack, der 1998 plötzlich nackt vor den Anlegern steht, weil man ihm in einem Rutsch die schützende Monopoldecke weggezogen hat. Die anderen in der SPD setzen zwar auf die im Wettbewerb neu entstehenden zukunftssicheren Beschäftigungsmöglichkeiten, entpuppen sich aber allzu schnell als Pseudoliberale, deren Presseerklärungen mit Vorsicht zu genießen sind. Für sehr begrüßenswert halte ich das erste konkrete Papier der SPD zur Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes, so wie es als Presseerklärung am letzten Wochenende abgesetzt worden ist. Allerdings erscheint die plakative Kritik an dem Entwurf eines Eckpunktepapiers des Ministers eher grotesk, da man offensichtlich weder den vollständigen Inhalt kannte noch bereit war, zwei Tage bis zur Vorlage des Eckpunktepapiers zu warten. Einer seriösen und der Sache angemessenen Auseinandersetzung scheint es mir nicht dienlich, sich mit „bekanntgewordenen Vorstellungen" eines Entwurfs statt mit dem Papier selbst auseinanderzusetzen. Wer die Papiere sorgfältig studiert, wird feststellen, daß wir nicht weit auseinanderliegen, und es sollte uns gelingen, mit vernünftigen Argumenten Dissenspunkte abzubauen und schnellstmöglich zu einer tragfähigen Lösung zu gelangen. Wir haben in unserem Positionspapier ganz deutlich festgestellt, daß bis zum Jahre 1998 der Telekom AG die Möglichkeit eingeräumt werden muß, sich geordnet auf den Wettbewerbsmarkt einzurichten. Dies entspricht unserer Überzeugung, da eine finanziell angeschlagene Deutsche Telekom AG weder der deutschen Wirtschaft in ihrer Gesamtheit dienen würde noch im Hinblick auf den zukünftigen Börsengang und den Finanzplatz Deutschland hinnehmbar wäre. Es kann auch keine Rede davon sein, daß die Telekom übermäßig einseitig belastet werden soll. Aber, um es klar und deutlich zu sagen: Wir werden hier einen Markt und einen fairen Wettbewerb erst schaffen müssen. Die Warnung der SPD vor einer übermäßigen asymmetrischen Belastung der Telekom AG scheint konsensfähig zu sein. Wir sollten uns doch einig sein, daß das fünftgrößte deutsche Unternehmen mit einem Umsatz von fast 70 Milliarden D-Mark und dem einzigen flächendeckenden Kommunikationsnetz eine andere Infrastrukturverantwortung tragen muß als etwa kleine mittelständische Anbieter zukünftiger Telefondienstleistungen. Gerade hier kommen doch regional beschränkte oder sogar anwendungsbezogen innovative Dienste in Betracht. Es gibt unzählige technische Anwendungsmöglichkeiten, die nur für kleine Benutzergruppen Sinn machen. Der Markt wird sofort versuchen, die jeweils erforderlichen Techniken den Kunden zur Verfügung zu stellen. Vielen Anwendungen im Multimediabereich, wie z. B. Homeshopping, kommt gerade außerhalb der Ballungsräume große Bedeutung zu. Pauschale Ausbauverpflichtungen würden mittelständische Unternehmen völlig überfordern und auch gar keinen Sinn machen, da nur Megakonsortien derartige Investitionen aufbringen könnten. Hunderte kleine zusammenwachsende Inseln decken die Bedürfnisse der Bürger aber sicher besser ab, als auf wenige Großunternehmen zu setzen. Wir wollen nicht Flächendeckung als Auflage für alle. Wir wollen Flächendeckung durch alle! Das bedeutet, Insellösungen ja, und zwar so schnell und so viele wie möglich. Wie können Sie denn, Herr Bury, von einer Schieflage unseres Wettbewerbsmodells sprechen, wenn wir Unternehmen mit vielleicht einigen Dutzend Beschäftigten nicht mit den gleichen Infrastrukturauflagen belasten wollen wie die Deutsche Telekom mit über einer Viertelmillion Mitarbeitern? Sie fordern Chancengleichheit und gleichzeitig Infrastrukturauflagen bereits bei unter 25 % Marktanteil. Ab wieviel Prozent, Herr Bury, gedenken Sie denn bei Ihrer Art Chancengleichheit kleine Anbieter genauso zu behandeln wie den fünftgrößten Telekommunikationskonzern der Welt? Für kritisch und undurchführbar halte ich die Forderung der SPD nach Bereitstellung einer breitbandigen Infrastruktur für alle Bürger, und das, wie der Vorsitzende des Postausschusses, der Kollege Börnsen, gefordert hat, innerhalb etwa 5 Jahren. Dies geht jedoch völlig an den Realitäten vorbei und wäre nicht einmal, und dies weiß die SPD ganz genau, vom bisherigen Monopolunternehmen Telekom zu leisten, geschweige denn zu finanzieren. Bei rund 37 Millionen Wohnungen liegt der Versorgungsgrad etwa beim Breitbandkabelnetz der Telekom nach nunmehr 12 Jahren bei immerhin 62 %. Nach 5 Jahren waren gerade einmal 3 Millionen Wohnungen angeschlossen. Kein Mensch - ja nicht einmal Politiker - hätte von der Telekom jemals gefordert, den bevorzugten Ausbau von Ballungsgebieten zu stoppen und statt dessen ländliche Regionen zu erschließen. Zu Recht hat sich die Telekom auf Ballungsräume konzentriert, und selbst hier warf ihr der Bundesrechungshof noch das „planlose Verlegen von Fernsehkabeln" vor. Wir brauchen uns doch, lieber Herr Börnsen, nicht tatsächlich über die Versorgung mit Kabelfernsehen auf dem Lande zu unterhalten, wenn sich heute nach 12 Jahren Breitbandkabelausbau die Bundesbürger in unzähligen Stadtrand-Lagen darüber beschweren, daß die Telekom zu einem weiteren Ausbau aus Rentabilitätsgründen nicht mehr bereit ist. Jeder kennt doch die Klagen abseits gelegener Dörfer aus seinem Wahlkreis. Und hier betreiben nicht etwa die privaten Anbieter „Rosinenpicken", sondern die Telekom. Sie allein bestimmt nach Rentabilitätsgesichtspunkten sogenannte Ausbaugebiete, in denen die privaten Kabelnetzbetreiber nicht tätig werden durften. Dennoch haben die Privaten in den vergangenen Jahren bis heute rund 3,5 Millionen Wohneinheiten über Breitbandkabelnetz mit Fernseh- und Hörfunkprogrammen in den für die Telekom unrentablen Gebieten versorgt. Der von der SPD immer wieder bemühte Infrastrukturauftrag wird, wenn man hierunter also die Versorgung der weniger lukrativen Bereiche in Deutschland versteht, ganz eindeutig von den über 300, häufig mittelständischen Wettbewerbern mit Leben erfüllt. Wenn wir dann auch noch auf neue alte Kampfbegriffe wie der „Zwei-Klassen-Informationsgesellschaft" verzichten, wird es uns eher gelingen, dem gerecht zu werden, was sowohl Bürger wie Wirtschaft von uns fordern, nämlich bereits in den nächsten Monaten die wesentlichen politischen Entscheidungen zu treffen, die einen möglichst raschen Ausbau einer zukunftsweisenden deutschen Telekommunikationsinfrastruktur ermöglichen. Wer allerdings bereits vor der Veröffentlichung des Eckpunktepapiers des Ministers und ohne ein einziges Gespräch abzuwarten mit der notwendigen Zustimmung der SPD im Bundesrat droht, wie der Kollege Bury dies meinte tun zu müssen, der scheint unter dem ständigen Gefühl zu leiden, ohne massive Drohungen nicht ernstgenommen zu werden. Die vorgelegten Papiere sollten zur politischen Diskussion einladen. Sie dienen nicht als Plattform für Profilierungsversuche einzelner Politiker. Wir suchen konsensfähige Lösungen. Ich glaube, es ist jetzt an der Zeit, über die Papiere zu sprechen und offen zu diskutieren. Drohungen sind da sicherlich wenig hilfreich. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I 24 (Haushaltsgesetz 1995 - Einzelplan 10 - Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten) Jürgen Koppelin (F.D.P.): Die Haushaltskonsolidierung konnte auch vor dem Einzelplan 10 des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten nicht haltmachen. Doch dabei haben wir als F.D.P. die wesentlichen agrarpolitischen Ziele nicht vernachlässigt. Mein Kollege Günther Bredehorn hat schon einmal hier sehr richtig festgestellt: „Sparzwänge können auch etwas Positives haben. Sie zwingen zur Prioritätensetzung. " Das geschieht beim Einzelplan 10. Politische Herausforderung der nächsten Jahre bleibt die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft. Die Landwirte und ihre Familien müssen auch weiterhin die Chance erhalten, ihren eigenen, individuellen Weg bei der Bewirtschaftung ihrer Betriebe zu gehen. Zusätzliche Freiräume zur Steigerung der Produktivität und Effizienz sind dabei notwendig. Den nachwachsenden Rohstoffen gilt dabei unser besonderes Interesse. Ihr Anbau kann zukunftsweisend sein. Die Mittel, die wir hier den Landwirten zur Verfügung stellen, sind ein Beitrag zur Umwelt. Völlig überrascht habe ich bei den Berichterstattergesprächen zur Kenntnis nehmen müssen, daß die GRÜNEN eine Reduzierung der Haushaltsmittel in diesem Bereich wollten. Hier zeigt sich die Ernsthaftigkeit „grüner" Politik. Mit der Anhebung des förderfähigen Investitionsvolumens im Rahmen der einzelbetrieblichen Investitionsförderung auf 100 Millionen DM machen wir den Weg frei für eine zukunftsweisende Agrarpolitik. Mit den Komplementärmitteln der Länder stehen damit 170 Millionen DM mehr zur Verfügung. Aber die Herausbildung effizienter Betriebsstrukturen - und die sind notwendig, um langfristig den Sonderstatus der Landwirtschaft im nationalen und internationalen Wirtschaftsgefüge abzubauen - kann nicht allein über die Stärkung der landwirtschaftlichen Erwerbsmöglichkeiten erfolgen. Ein zweites wirtschaftliches Standbein muß aufgebaut werden. Die F.D.P. plädiert daher für eine stärkere Gewerbe- und Dienstleistungsorientierung des landwirtschaftlichen Unternehmertums. Erste und erfolgreiche Schritte sind bereits von den Landwirten gemacht worden. Die Steigerung des Direktabsatzes landwirtschaftlicher Produkte ist nur ein Beispiel unter vielen. Hier zeigen sich die Stärken der deutschen Landwirtschaft: hohes Qualitätsniveau auf der Basis guter natürlicher Bedingungen kombiniert mit Anbindung an die Verbraucher. Diese Kombination kann zu einer weiteren, soliden Erwerbsquelle für die Landwirte werden. Allerdings, wenn wir das von Minister Seehofer vorgelegte Geflügelfleischhygiene-Gesetz beschließen würden, wäre das ein erheblicher Rückschlag für die Bemühungen um die Direktvermarktung. Der ländliche Raum bietet sich als Wirtschaftsbasis für Unternehmertätigkeit geradezu an. Für kreative Landwirte, bei denen Selbständigkeit und Gesamtverantwortung Tradition haben, ist er eine ideale Grundlage. Sie sollten ihn verstärkt zum eigenverantwortlichen Handeln nutzen. Nicht der staatliche Prämienempfänger, sondern nur der im Wettbewerb fit gemachte Unternehmer ist in der Lage, sich gegen die inner- und außereuropäische Konkurrenz durchzusetzen. Der Landwirt als Dienstleister im ländlichen Raum - ein Ziel liberaler Landwirtschaftspolitik, das von uns allen weiter verfolgt werden sollte. Davon profitieren nicht nur die Landwirte und ihre Familien. Deshalb gilt unser uneingeschränktes Ja den Strukturverbesserungen. Beim Küstenschutz hätte die F.D.P. gern mehr gemacht. Aber die zuständigen Länderminister haben die Latte der Anforderungen zu hoch gelegt. Die überzogenen Umweltanforderungen beim Küstenschutz in den norddeutschen Ländern sind inzwischen völlig inakzeptabel; die Effizienz der Hilfestellung ist damit nicht mehr sichergestellt. Nicht nur innerhalb des Agrarsektors sind strukturverbessernde Maßnahmen notwendig, sondern auch bei Hilfen für die Schaffung alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten, in anderen Unternehmensformen und auch außerhalb der Landwirtschaft. Soviel ist heute schon sicher: Die derzeitigen Haushaltsbelastungen im Agrarbereich sind zu hoch und unter den gegebenen wirtschaftlichen Verhältnissen und Umwälzungsprozessen innerhalb Europas auf Dauer nicht vertretbar. In der Agrarsozialpolitik sind in der letzten Legislaturperiode die entscheidenden Weichen gestellt worden. In den Jahren 1995 bis 1997 wird die Bundesregierung 1 Milliarde DM bereitstellen. Ein Betrag, mit dem die eigenständige soziale Sicherung der Bäuerin eingeführt werden kann. Das Agrarsozialreformgesetz ist bei den Betroffenen überwiegend positiv aufgenommen worden. Daß Kritik geübt wird, ist normal. Wir werden Einwände gegenüber einzelnen Bestimmungen des Agrarsozialgesetzes prüfen. Erste Gespräche sind in der F.D.P. bereits dazu geführt worden. Wichtig war uns, daß mit der Agrarsozialreform erreicht wird, daß rund 230 000 Bäuerinnen endlich eine eigene Alterssicherung und Schutz bei Erwerbsunfähigkeit erhalten, der Explosion der Beiträge zur Altershilfe ein Riegel vorgeschoben wird. Das gesamte System der agrarsozialen Absicherung ist finanziell stabilisiert worden. Besonders freuen dürfte sich darüber sicher unser Freund Josef Ertl, der einst die neue Agrarsozialpolitik einleitete. Von dieser Stelle auch nachträglich herzliche Glückwünsche an Josef Ertl zum 70. Geburtstag. Die Landwirtschaft befindet sich inmitten eines schwierigen Anpassungsprozesses. Der Haushalt trägt dem durchaus Rechnung. Die Vergabe staatlicher Mittel bietet gerade in Zeiten knapper Kassen die Chance, den notwendigen Entwicklungsprozeß zu flankieren und Effizienzsteigerungen sowie Strukturanpassungen zu beschleunigen. Dauersubventionen und Regulierungen müssen abgebaut werden, neue Subventionsfelder vermieden werden. Denn heute geht es mehr denn je darum, der unternehmerischen Landwirtschaft eine Bresche zu schlagen. Nur mit ihr ist eine Stärkung der Landwirtschaft langfristig möglich und auf Dauer erfolgreich.
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    Rede von Gerhard Rübenkönig


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit der vermeidbaren Blut-Aids-Katastrophe ist das Thema Gesundheit

    Gerhard Rübenkönig
    noch sensibler geworden. Wie war es überhaupt möglich, daß ein Interessentrio aus Herstellern, Ärzten und Behörden diesen Skandal in der deutschen Medizin jahrelang verbergen konnte?

    (Zuruf von der SPD: Gute Frage!)

    Heute reden wir über die Gesundheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland, über Ihren Haushalt, Herr Minister Seehofer, und damit auch über Ihre Verantwortung in dieser Sache. Ihr Gesundheitshaushalt ruft nicht nur die SPD-Opposition auf den Plan, sondern entmutigt geradezu die Patienten und Versicherten in unserem Lande.
    Herr Seehofer, Sie haben mit Blick auf die Contergan-Tragödie, bei der Parlamentsdebatte Anfang des Jahres zu HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte versprochen, eine weitere Katastrophe in der modernen Medizin zu verhindern. Aber schon heute morgen mußten Sie der Öffentlichkeit mitteilen, daß der Entschädigungsfonds nicht zustande gekommen ist.

    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Was lesen Sie für Zeitungen?)

    Die SPD-Fraktion wird sich an der Vereinbarung, wie sie zustande gekommen ist, nämlich an dieser Billiglösung, nicht beteiligen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Sie haben mit der Pharmaindustrie schlecht verhandelt.

    (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU)

    Wir haben in dieser Sache die parlamentarische Pflicht, mehr zu tun. Herr Seehofer, wo bleibt die vom Parlament versprochene Genugtuung für HIV-infizierte Bluter? Dieses Verhandlungsergebnis ist auch ein Beweis für die unglaubwürdige Gesundheitspolitik der Bundesregierung. Unglaubwürdig, Herr Minister Seehofer, wirkten Sie ebenfalls in der Debatte am 9. März, als Sie gleich zu Anfang wörtlich verkündeten:
    Das deutsche Gesundheitswesen gehört nach wie vor zu den leistungsfähigsten auf der Welt. Ich behaupte sogar, es ist das leistungsfähigste auf dieser Erde.

    (Editha Limbach [CDU/CSU]: Recht hat der Minister!)

    Ich glaube das nicht und meine, daß Ihnen das keiner abnimmt.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nennen Sie ein besseres!)

    Ich meine, Herr Minister, dieser Haushalt wird Sie auf den bitteren Boden der Realität zurückholen. Der Gesundheitshaushalt 1995, der gegenüber 1994 um 6,5 % heruntergefahren wurde, zeigt deutlich, daß jeder Ansatz für eine moderne Gesundheitspolitik in Deutschland unmöglich gemacht und so die Revision des Gesundheitsstrukturgesetzes von 1993 mit eingeleitet wird.
    Dies zeigen drastische Kürzungen auf dem Gebiet der Psychiatrie, auf dem Gebiet der Krebsbekämpfung, auf dem Gebiet der Verbesserung der Versorgung chronisch Kranker, auf dem Gebiet des Drogen- und Suchtmittelmißbrauchs. Lediglich bei den Ausgaben für die Aids-Bekämpfung konnten wir in der Haushaltsberatung die geplante Kürzung von 7 Millionen DM um 2 Millionen DM, nämlich auf jetzt 5 Millionen DM, herabmildern.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Das waren wir!)

    Einen Erfolg, Herr Minister, konnte die SPD-Opposition in diesen Tagen verbuchen. Auf die wiederholte Forderung meiner Fraktion nämlich, die humanitäre Soforthilfe für die PPSB-Opfer zu öffnen, haben Sie endlich reagiert und gehandelt.

    (Lachen des Bundesministers Horst Seehofer und des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/ CSU])

    Ich muß aber als Haushälter dennoch feststellen: Die Bundesregierung kürzt seit Jahren zunehmend die Mittel in den Bereichen Aufklärung und Prävention. Angesichts der unverminderten HIV-/Aids-Problematik ist dies nicht zu verantworten.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Jedes Jahr wird eine große Zahl von Menschen neu mit HIV infiziert. Andere erkranken; viele sterben an dieser noch immer unbesiegbaren Krankheit. Herr Minister, der von der Bundesregierung durch Sie ausgesprochenen Bitte um Verzeihung muß die ausreichende finanzielle Perspektive für die Betroffenen folgen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Der Entschließungsantrag der SPD-Opposition zum Schlußbericht des 3. Untersuchungsausschusses war das Signal für weitere notwendige Schritte nach den Ergebnissen der gemeinsamen Arbeit. So wurde auf Initiative der SPD im Bundeshaushalt 1995 ein parteiübergreifender Konsens in der Frage der Entschädigung von HIV-Opfern erreicht.
    Die Schaffung des neuen Haushaltstitels „Beteiligung des Bundes an einer Regelung für angemessene Leistungen an HIV-Opfer von Blut und Blutprodukten" konnte von allen Parteien als ein erster Schritt zur umfassenden Entschädigung der Betroffenen mitgetragen werden. Weiter gefordert hatten wir aber vom Bund, meine Damen und Herren, einen festen Betrag, der sich an den Empfehlungen des 3. Untersuchuñgsausschusses orientierte. Das jetzt erzielte Verhandlungsergebnis, Herr Minister See-

    Gerhard Rübenkönig
    hofer, lediglich 250 Millionen DM für die Opfer der größten deutschen Arzneimittelkatastrophe, ist natürlich völlig unzureichend.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD Editha Limbach [CDU/CSU]: Selbst daran beteiligen sich die Länder nicht mit 50%!)

    Eine solche Billiglösung ist für die Opfer und auch für die SPD völlig unakzeptabel.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Opfer haben keine Zeit zu verlieren. Deshalb ist der Vorschlag einer Stiftung der falsche Weg.
    Statt einer Kapitalentschädigung - der Untersuchungsausschuß hat 350 000 DM als unteren Rahmen für angemessen erachtet - soll jetzt aus dem zu geringen Stiftungsvermögen lediglich eine monatliche Rente gezahlt werden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: 3 000 DM!)

    Was bei Contergan richtig war, hilft den Menschen auf Grund ihrer geringen Lebenserwartung in diesem Falle nicht.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Viele Menschen starben bereits an den Folgen ihrer Infektion, und, meine Damen und Herren, Woche für Woche werden es mehr.
    Kolleginnen und Kollegen, nach der ConterganKatastrophe sollte mit der Schaffung eines sogenannten Pharmapools verhindert werden, daß sich die rechtliche Situation und die nachteilige Behandlung von Opfern wiederholen. Deswegen wurde für die Abdeckung von Großrisiken der Pool gebildet. Aber es rührt sich nichts. Die Gesamtprämieneinnahmen machen heute über 600 Millionen DM aus. Gezahlt hat die Versicherungswirtschaft aber bis heute nichts.

    (Uta Titze-Stecher [SPD]: Haben Sie etwas anderes erwartet?)

    - Nein, natürlich nicht.
    Ja, die Versicherer konnten sogar das Mißbrauchsverfahren gegen das Kartellamt mit der Begründung anhalten, dieses Geld werde für die Entschädigung für HIV-Infizierte gebraucht. Aus diesem Grund hätten Sie anders auftreten und anders verhandeln müssen, Herr Minister.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Aufforderung an die Vertreter der Versicherungswirtschaft: Kommen Sie doch endlich Ihren Verpflichtungen nach! Stellen Sie dem Entschädigungsfonds die Hunderte von Millionen DM zur Verfügung, die Sie für eine solche Katastrophe zurückgelegt haben! Zeigen Sie, daß Sie die Steuervorteile nicht zu Unrecht erhalten haben!
    Mein Appell an Sie, Herr Minister, und an die Vertreter der Pharmaindustrie und Versicherungswirtschaft: Verhandeln Sie in dieser Sache nach! Wir brauchen dringend vertrauensbildende Maßnahmen. Wir müssen den Opfern sofort helfen, und wir dürfen mit unserer Hilfe nicht zu spät kommen.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Ich meine, wir müssen jetzt die Initiative ergreifen: Der Staat tritt sofort mit den Beiträgen von Bund und Ländern in Vorleistung,

    (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das wollen die Länder doch gar nicht!)

    läßt sich von den Betroffenen deren Haftungsansprüche abtreten und macht sie, z. B. in Musterprozessen, gegen die Pharmaindustrie geltend. Die SPD wird zur dritten Lesung hierzu einen Initiativantrag stellen.

    (Kristin Heyne [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Liegt doch vor!)

    Deshalb müssen wir den Antrag vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, Frau Heyne, den Sie hier gestellt haben, ablehnen.

    (Kristin Heyne [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann ich gar nicht verstehen! Lachen des Bundesministers Horst Seehofer)

    Herr Minister Seehofer, neben der ungelösten HIV-Problematik existiert natürlich noch der Aufgabenkatalog des Gesundheitsstrukturgesetzes, der noch nicht abgearbeitet ist. Reden Sie jetzt nicht schon von der dritten Stufe der Gesundheitsreform, son-dem kehren Sie zum Lahnsteiner Kompromiß zurück und lassen Sie uns zum Wohle der Patienten und Versicherten diese tiefgreifende Strukturreform endlich umsetzen!
    Schon in der Koalitionsvereinbarung zur Weiterentwicklung des Gesundheitswesens fehlte nach meiner Auffassung ein eindeutiges Bekenntnis zur Umsetzung des Gesundheitsstrukturgesetzes, mit dem im Jahr 1993 eine Reform im Gesundheitswesen unter der Zielsetzung „Modernisierung des Gesundheitswesens statt Rationierung medizinischer Leistungen" begonnen wurde.
    Bedenklich stimmt mich die Ankündigung, eine dritte Reformstufe des Gesundheitswesens vorzubereiten, vor allem deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, weil die Fragestellungen des Gesundheitsministers an die Gutachter zur gesetzlichen Krankenversicherung insbesondere auf eine Rationierung und Privatisierung von Leistungen abzielen.

    (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Dummes Zeug!)

    Prompt will der Sachverständigenrat dann auch das vorhandene Problem der Knappheit der Mittel vorwiegend in der Sphäre der Versicherten lösen.

    Gerhard Rübenkönig
    Wie ich den bereits in einem Zwischenbericht dargelegten Diskussionsvorschlägen entnehme, geraten die Grundprinzipien der gesetzlichen Krankenversicherung unter Druck. Danach stehen der bisherige Arbeitgeberanteil, das Solidarprinzip, das Sachleistungsprinzip, das Finalprinzip - d. h. Leistungen werden unabhängig von der Verursachung der Erkrankung erbracht - und die medizinisch vollwertige Versorgung zur Disposition.
    Einer Gesundheitspolitik, die den solidarischen Charakter der gesetzlichen Krankenversicherung und die Bedarfsgerechtigkeit mit dem Schlagwort einer verstärkten Eigenverantwortlichkeit zu einem wesentlichen Teil außer Kraft setzt, erteilen wir Sozialdemokraten eine klare Absage.

    (Beifall bei der SPD Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Jetzt gehen Sie zu weit! Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Fragen Sie einmal Herrn Müntefering! Denken Sie einmal nach!)

    Die Petersberg-Gespräche mit den Verbänden des Gesundheitswesens waren ein weiterer Anlaß für Sie, Herr Minister sich vom Gesundheitsstrukturgesetz zu verabschieden. Denn wer will sich nach der Ankündigung einer weiteren Reform noch freiwillig einem Rationalisierungsdruck für seinen Bereich aussetzen?
    Fazit für mich ist: Während vor allem die Patienten und allen voran chronisch Kranke durch Arzneimittelzuzahlungen bereits unverhältnismäßig hoch belastet werden, werden in anderen Bereichen die strukturellen Maßnahmen, die ja die Wirtschaftlichkeitsreserven mobilisieren sollen, leichtfertig aufs Spiel gesetzt.
    Ein deutliches Beispiel, Herr Minister Seehofer, Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, ist der geplante Verzicht auf die Einführung der Positivliste für Arzneimittel.

    (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Ein besonders gutes Beispiel!)

    Was Herr Lohmann von der CDU schon eine Horror-liste nannte, ist tatsächlich ein wesentlicher Bestandteil des Gesundheitsstrukturgesetzes.

    (Beifall bei der SPD Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das war ein Fehler!)

    Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen doch alle, daß der Arzneiverordnungsreport von Jahr zu Jahr neu beweist, wie unübersichtlich und unverständlich der Arzneimittelmarkt aussieht. Die Mittel der Solidargemeinschaft werden weder unter qualitativen noch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten optimal eingesetzt.

    (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Nennen Sie doch eines, das heraus soll!)

    Arzneien mit einem marginalen therapeutischen Nutzen können gleichzeitig mit Risiken behaftet sein. Der Verzicht auf ein Medikament bedeutet in solchen Fällen daher auch einen Verzicht auf Nebenwirkungen. Der deutsche Arzneimittelmarkt, meine Damen und Herren, zeichnet sich durch eine erhebliche Intransparenz aus, die ihrerseits deutliche Qualitätsmängel zur Folge hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Positivliste als Orientierung im Arzneimittelbereich ist daher ein Instrument zur dringend notwendigen Qualitätsverbesserung und für den Arzt die Grundlage einer rationalen Therapie.
    Wir sind der Auffassung, daß durch die AMG-Novelle die Positivliste nicht überflüssig geworden ist. Der Ausschlußtatbestand nach § 92a Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 ist neu und geht ganz bewußt über die Kriterien für die Zulassung eines Arzneimittels hinaus, indem er auf das Ausmaß des zu erzielenden Effektes abhebt.
    Demgegenüber kann einem Medikament die Zulassung nur dann versagt werden, wenn sich mit ihm keine Wirkung erzielen läßt. Angesichts begrenzter finanzieller Ressourcen stellt sich die Frage, ob EdelPlacebos wirklich von der Solidargemeinschaft bezahlt werden sollten.

    (Zurufe von der F.D.P.: Was ist das? Reden Sie mal mit den Kranken!)

    Die Positivliste, Herr Minister, die Sie bis zum 31. Dezember 1995 zu erlassen haben, ist ein Qualitäts- und Transparenzinstrument und keine Maßnahme zur Kostendämpfung im Arzneimittelbereich.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Tatsache, daß die Frage der Verordnungsfähigkeit mehr als bisher an qualitative Gesichtspunkte geknüpft ist, können wir im Blick auf das Wohl der Patienten und einer hochwertigen Versorgung unserer Versicherten nur begrüßen.
    Bevor ich zum Schluß komme, Herr Minister, möchte ich aus aktuellen Gründen auf den unerhörten Entwurf des Ausländerleistungsgesetzes aus Ihrem Hause eingehen.

    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wo gibt es einen Entwurf!)

    Sie wollen den Anspruch von Bürgerkriegsflüchtlingen in der Bundesrepublik sowie geduldeten Ausländern und Asylbewerbern, die über ein Jahr in Deutschland leben, um ein Viertel unter das Sozialhilfeniveau drücken. Wenn das der Auftakt für die Neuregelung der Sozialhilfe sein soll, läßt diese würdelose Kalkuliererei Schlimmeres vermuten.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Der von Ihnen erwogene Abstand zwischen Sozialhilfe und Einkommen in den unteren Lohngruppen kann dazu führen, daß mancher Haushalt in die totale Armut abrutscht. Dies ist ein Angriff auf die Würde des Menschen in unserem Lande und ist ein Vorschlag, der mit Sozialdemokraten nicht zu machen ist.

    (Beifall bei der SPD)


    Gerhard Rübenkönig
    Für ein solches Gesetz, Herr Seehofer, wird es keine Mehrheit im ganzen Deutschen Bundestag geben. Die SPD-Fraktion lehnt diesen menschenunwürdigen Gesetzentwurf zutiefst ab.

    (Beifall bei der SPD)

    Zum Schluß stelle ich zusammenfassend nochmals die zentralen Aufgaben in der Gesundheitspolitik heraus: erstens die Abschaffung des Selbstkostendeckungsprinzips durch die inhaltliche Forcierung der Einführung von Fallpauschalen und Sonderentgelten im Krankenhaus, zweitens die Förderung der wirtschaftlichen Verordnungsweise durch Einführung von Richtgrößen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel in der ambulanten Praxis, drittens die qualitative Absicherung der Wirtschaftlichkeit durch Einführung von Qualitätsmaßstäben im Leistungsgeschehen des Gesundheitswesens und viertens die Sicherstellung der Arzneimitteltherapie auf einem höheren Qualitätsniveau durch die Einführung der von mir bereits erwähnten Positivliste im Arzneimittelmarkt.

    (Dr. Uwe Küster [SPD]: Sehr richtig!)

    Herr Minister Seehofer, meine Damen und Herren, die Fülle der Versäumnisse zeigt, daß die Gesundheitspolitik der Bundesregierung unglaubwürdig ist. Aus diesem Grunde lehnen wir Ihren Haushalt ab.
    Aber im Interesse der Patienten und Versicherten, insbesondere der HIV-Infizierten, bieten wir Ihnen bei der Durchsetzung der Strukturreform und unserer Forderungen bei den Nachverhandlungen mit den Beteiligten unsere Mitarbeit und Unterstützung an.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der SPD)



Rede von Dr. Antje Vollmer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das war die erste Rede des Abgeordneten Gerhard Rübenkönig aus Kassel. Ich spreche ihm die Glückwünsche des ganzen Hauses aus.

(Beifall)

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Roland Sauer.

(Hans Georg Wagner [SPD]: Jetzt geht es gegen die Zigarette!)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Roland Sauer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Rübenkönig, dies war Ihre Pflichtübung als Oppositionsabgeordneter - mehr nicht.

    (Zuruf von der SPD: Das war nicht die Pflicht, das war die Kür!)

    Ich frage mich, von welchem Land Sie eigentlich gesprochen haben. Wenn man draußen in der Welt hört, daß die Deutschen das beste Gesundheitssystem überhaupt haben, und wenn alle versuchen, uns nachzueifern, dann muß man zu der Auffassung kommen, daß Sie heute abend an der Realität vorbeigeredet haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)