Rede von
Eckart
Kuhlwein
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir heute im Bundestag über den Haushalt des Bundesumweltministeriums und über die Umweltpolitik der Bundesregierung sprechen, dann läßt sich ein ausführlicher Seitenblick zum Berliner Klimagipfel nicht vermeiden. Ich will zwar jetzt nicht alles wiederholen, was vor zwei Wochen in der Klimadebatte des Bundestages gesagt worden ist, aber die beschwörenden Reden in Berlin dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Bundesrepublik Deutschland im Vorfeld dieses Gipfels eine große Chance vertan hat;
die Chance nämlich, in der Klimaschutzpolitik selbst das beste Beispiel zu setzen und gleichzeitig die Partner aus den Industrieländern durch ein eigenes Konzept in Bewegung zu bringen.
Wenn ich das sage, bin ich weit davon entfernt, für Deutschland eine wie auch immer geartete Führungsrolle zu reklamieren. Aber wer bei jedem militärischen UNO-Einsatz die Deutschen auffordert, endlich ihrer gewachsenen Verantwortung in der Welt gerecht zu werden, der sollte diese Verantwortung erst recht dann zeigen, wenn es um das Überleben der Menschheit auf diesem Globus geht.
Ich würde gern die jüngsten Thesen des Herrn Bundespräsidenten vom Ende des Trittbrettfahrens in diese Richtung interpretieren - in eine Richtung, die Deutschland Pflichten auferlegt, dem hohen
Stand des Umweltbewußtseins seiner Bevölkerung und der ökologischen Erkenntnisse seiner Wissenschaften entsprechend im besten Sinne politisch Einfluß auszuüben.
Da darf man sich natürlich nicht hinter den Zauderern in der EU oder in den USA verstecken, und man darf auch nicht Blockaden der OPEC-Länder als Schicksal hinnehmen. Es hätte uns gut angestanden, den Vorschlag der 36 kleinen Inselstaaten nicht nur sympathisch zu finden, Frau Merkel, sondern konsequent auch zu unterschreiben.
Die Bundesregierung hat die Chance verpaßt, mit einem eigenen Protokollentwurf für den Klimagipfel die erstarrten Fronten in Bewegung zu bringen. Der Umweltministerin unterstelle ich, daß sie sich in der Zucht des Herrn nicht anders verhalten konnte. Wahrscheinlich hat sie aus dem Flop mit der Flugbenzinsteuer gelernt. Sie wird bei Karl Valentin nachlesen können, wie man solche Vorgänge beschreibt:
„Wollen hätte ich schon mögen, aber dürfen habe ich mich nicht getraut. "
Die Glaubwürdigkeit umweltpolitischer Sonntagsreden dieser Bundesregierung wird auch als Folge dieses Prozesses weiterhin nachlassen. Die Lücken zwischen wohltönenden Bekenntnissen zur Erhaltung der Natur oder zu einer nachhaltigen und umweltgerechten Entwicklung und dem praktischen politischen Handeln auf der anderen Seite werden immer größer.
Wir brauchen uns nicht zu wundern, wenn immer mehr, vor allem auch jüngere Menschen über diese Art von Politik verdrossen sind.
Wir brauchen uns nicht zu wundern, wenn öffentliche Appelle zur Änderung individueller Verhaltensweisen immer weniger fruchten.
Man muß das bedauern, aber die ökologische Wende im Verhalten der vielen einzelnen setzt voraus, daß die Politik deutlich erkennbar eine neue Richtung einschlägt - in der Klimapolitik in Berlin genauso wie in der Agrarpolitik in Brüssel, in der hausgemachten Umweltpolitik von Frau Merkel oder in der Verkehrspolitik von Herrn Wissmann.
Frau Merkel hat in Berlin die Verantwortung der Industrieländer angesprochen. Sie hat gesagt - Wortlaut -:
Nur wenn wir dies durch überzeugendes eigenes Vorangehen belegen, können wir auch von anderen Staaten Handeln für den Klimaschutz einfordern.
Eckart Kuhlwein
Dann ist sie wieder nach Bonn gefahren, und ihre Regierung macht so weiter, als wäre nichts gewesen, meine Damen und Herren. Solche Widersprüche wollen und können die Menschen nicht mehr akzeptieren.
Immer mehr Menschen haben in den letzten Jahren gelernt, daß das westliche Modell von Wachstum und Entwicklung mit seiner Ausbeutung von Ressourcen nicht auf die ganze Erde ausdehnbar ist. Die Verteilungskämpfe verschärfen sich bereits. Herr Töpfer hat angemerkt, daß dies jetzt Ursache auch für zusätzliche Kriege geworden sei. Die bisherigen sozialdemokratischen Errungenschaften werden in Frage gestellt.
Wenn das richtig ist, dann kann sich eine verantwortliche Bundesregierung nicht in den Kanzlerstuhl zurücklehnen und den unbeteiligten Beobachter spielen. Dann müssen wir von der Bundesregierung vielmehr erwarten, daß gestaltet und gehandelt wird. Das muß heißen, Wirtschaft und Gesellschaft ökologisch zu modernisieren, soziale Gerechtigkeit wiederherzustellen und internationale Verantwortung durch eine Politik der dauerhaften Entwicklung im Inneren und nach außen zu übernehmen.
Das ist natürlich etwas anderes als die bloße Verwaltung von Strukturen und Besitzständen. Das setzt den Mut zur Veränderung, zu Reformen voraus. Immer mehr Menschen haben verstanden, daß Reformen notwendig sind, wenn wir morgen sicher leben wollen. Eine ökologische Neuorientierung der Politik würde neue Kreativität freisetzen, würde die Bürgergesellschaft zum Mitmachen ermuntern und einen neuen gesellschaftlichen Grundkonsens fördern, der Solidarität an die Stelle einer immer unerbittlicher werdenden Ellenbogengesellschaft treten lassen könnte.
Meine Damen und Herren, viele Bürgerinnen und Bürger an der Drehbank, am Computer, in der Wissenschaft, im Dienst am Mitmenschen, in Umweltschutzverbänden und Bürgerinitiativen warten auf ein Signal der Neuorientierung. Aber sie haben es von dieser Bundesregierung und auch von dieser Bundesministerin bisher nicht bekommen.
Dabei hätte eine solche Wende zur nachhaltigen Entwicklung, in der die Menschen wirtschaften könnten, ohne Natur und Umwelt weiter zu zerstören, auch die ökonomische Rationalität auf ihrer Seite: Das Land, das regenerative Energiequellen kostengünstig einsetzt, das Land, das Energie und Rohstoffe optimal zu nutzen gelernt hat, das Land, das möglichst geschlossene Stoffkreisläufe aufweisen kann, dieses Land braucht sich um seine internationale Wettbewerbsfähigkeit am wenigsten zu sorgen; denn früher oder später werden auch unsere Partner in aller Welt mit der ökologischen Erneuerung beginnen müssen.
Der Haushalt, den wir heute in zweiter Lesung beraten, zeigt, daß diese Bundesregierung solche Erkenntnisse nicht umsetzen kann oder will. Das gilt leider auch - mit Einschränkungen - für den Haushalt des Bundesumweltministeriums. Mit Einschränkungen deshalb, weil wir die Arbeit des Umweltbundesamtes und des Bundesamtes für Naturschutz durchaus schätzen, weil wir es richtig finden, daß sich der Bund an der Stillegung von Tschernobyl beteiligt, weil wir schließlich auch Investitionszuschüssen für Kläranlagen in Tschechien oder Polen zur Vermeidung grenzüberschreiten der Umweltbelastungen nicht widersprechen können.
Aber wir können es z. B. nicht akzeptieren, daß die Pilotprojekte im Inland, nämlich die Förderung neuer, intelligenter rohstoff- und energiesparender Verfahren, um 25 % auf nur noch 92 Millionen DM gekürzt werden sollen. Und genauso fragwürdig ist es, wenn vom Gesamtetat eines Ministeriums von etwas mehr als 1,3 Milliarden DM mehr als 600 Millionen DM unter der Rubrik Reaktorsicherheit im weitesten Sinne ausgegeben werden müssen, wobei zugegebenermaßen - das müssen Eingeweihte dann auch wissen - rund 500 Millionen DM refinanziert werden durch diejenigen, die radioaktiven Abfall produzieren.
Für die eigentliche Umweltpolitik bleibt in dem so genannten Ministerium danach nicht mehr viel übrig. Die Ministerin verweist deshalb gern darauf, daß dieses Ministerium eben in erster Linie ein Gesetzgebungsministerium sei, das nur wenig Geld für Programme auszugeben habe; für die Programme seien andere Gebietskörperschaften und andere Ministerien zuständig.
Dafür gibt es dann eine stolze Liste der Umweltausgaben aller Bundesressorts,
die sich auf sagenhafte 8,33 Milliarden DM summieren, Frau Homburger, nicht gerechnet Umweltkredite bundeseigener Banken - ich zähle das hier alles auf - mit einem Volumen von noch einmal 5 Milliarden DM. Gemessen am gesamten Haushaltsvolumen von rund 480 Milliarden DM sind das sicherlich bescheidene Summen.
Sieht man einmal kritisch durch, was die Ministerien bei Frau Merkel als Umweltvorhaben angemeldet haben, so reicht dort die Palette von der Beseitigung der Folgen der Sturmschäden noch vom Frühjahr 1990 über die Kanalreinigung von Bundeswehrgrundstücken
bis hin zu Lärmschutzmaßnahmen an einem Truppenübungsplatz. Das ist Umweltpolitik in den anderen Ressorts, Frau Merkel. Wer solche Maßnahmen unter Umweltpolitik verbuchen will, verdient den Vorwurf der versuchten Volksverdummung.
Eckart Kuhlwein
Er müßte überdies die verheerenden Umweltschäden gegenrechnen lassen, die sich z. B. durch den Bundesfemstraßenbau, die Förderung von Überschußproduktionen in der Landwirtschaft oder die Finanzierung militärischer Tiefflugübungen ergeben.
Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, die Kriterien für die Bewertung der Ausgaben der Bundesressorts als Umweltschutzmaßnahmen offenzulegen und konkrete Angaben auch über die Haushaltstitel zu machen, die zu Umweltschäden und Naturzerstörungen führen werden. Was wir brauchen, meine Damen und Herren, ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung für den gesamten Bundeshaushalt, wenn wir uns umweltpolitisch nicht weiter in die eigene Tasche lügen wollen.
Umweltpolitisch ist natürlich auch höchst fragwürdig, was im Haushalt für Reaktorsicherheit und Strahlenschutz sowie für die Endlagerung von radioaktiven Abfällen ausgegeben wird. Wer immer behauptet, die Kernenergie sei eine besonders kostengünstige Art der Stromerzeugung, der sollte sich gelegentlich auch diese Zahlen ansehen. Was könnte man mit über 600 Millionen DM nicht alles an Energie sparen oder an regenerierbaren Energieträgern fördern, die eine nachhaltige Entwicklung sichern und keine radioaktiven Abfälle produzieren!
Dabei sind die Endlager ja nicht alles: Auf 3,6 Milliarden DM schätzt die Bundesregierung allein ihren eigenen Anteil an den Stillegungs- und Rückbaukosten alter Kernkraftwerke und kerntechnischer Anlagen in den alten Ländern. Das sind doch keine Peanuts, obwohl wir uns ja an einiges gewöhnt haben. Trotzdem hält Frau Ministerin Merkel die Kernenergie für eine „verantwortbare Art der Energieerzeugung". Sie bekennt sich zu diesem Bereich als einem finanziell bedeutsamen Teil ihrer Umweltpolitik.
Wer den Einsatz dieser Dinosauriertechnologie für ökologisch verträglich hält, der hat von den Herausforderungen der Zukunft nichts begriffen.
Die SPD hält am Ziel des schnellstmöglichen Ausstiegs aus der Atomkraft fest:
weil wir auch bei deutschen Reaktoren Katastrophen nicht mit Sicherheit ausschließen können und weil das Schadensausmaß dann unabsehbar wäre,
weil die Entsorgung weltweit nicht gesichert ist und weil wir nicht noch eigene Beiträge zum illegalen internationalen Handel mit waffenfähigen Kernbrennstoffen liefern wollen.
Das Bundesumweltministerium ist auch für die I Entsorgung bestehender Kernkraftwerke zuständig. Wir als SPD werden daran nur mitarbeiten, wenn bei den anstehenden Energiekonsensgesprächen ein Ausstieg aus der heutigen Kernkraftnutzung vereinbart wird und damit die Mengen radioaktiver Abfälle, die wir noch zu erwarten haben, begrenzt werden können.
Wir fordern auch, daß die Entsorgungsanlagen, vor allem die Endlager, nicht auf Niedersachsen konzentriert bleiben.
Wer im Süden Deutschlands das Hohelied der Kernenergie singt, der muß sich gefallen lassen,
daß auch in seinem Land Endlagerstätten für den strahlenden Abfall gesucht werden - ob er nun Stoiber heißt oder Teufel, Frau Homburger.
Deshalb wollen wir in Deutschland Standorte in verschiedenen geologischen Formationen untersuchen lassen. Und wir wollen sicherstellen, daß Zwischenlager nicht zu faktischen Endlagern umfunktioniert werden.
Meine Fraktion hat deshalb heute auf Drucksache 13/971 einen Antrag, bestehend aus zwei Teilen, zur Abstimmung vorgelegt. Unter Nr. 1 wollen wir die für Gorleben aufgewandten Mittel erheblich kürzen,
weil wir an der Eignung als Endlagerstandort starke Zweifel haben. In Gorleben soll nur noch so viel investiert werden, wie für die Schaffung endgültiger Entscheidungsgrundlagen und gegebenenfalls für die Abwicklung der Einrichtung erforderlich ist.
Wir fordern dafür unter Nr. 2 unseres Antrages auf Drucksache 13/971 einen neuen Titel „Erkundung von neuen Standorten zur Sicherstellung und Endlagerung von radioaktiven Abfällen " , um die Untersuchung von Standorten in verschiedenen geologischen Formationen zu ermöglichen. Wir bitten für beide Teile des Antrages um Zustimmung.
Den Antrag von BÜNDNIS 90/GRÜNE müssen wir leider ablehnen. Frau Heyne, Sie haben eine ganze Reihe von Forderungen aufgelistet - und alles in einem Antrag verpackt -, denen man zum Teil mit Wohlwollen begegnen könnte und sollte. Da steht manches Richtige drin, vieles ist nicht ganz zu Ende gedacht. Wie Sie in sieben Monaten die gesamte Erkundung von Endlagerstätten auf Null stellen wol-
Eckart Kuhlwein
len, ist mir schleierhaft. Das meiste davon ist in 1995 ohnehin so nicht mehr umsetzbar. Wir sollten für den Haushalt 1996 rechtzeitig über einige wichtige Punkte des Antrags ins Gespräch kommen.
Zum Abschluß möchte ich mich bei den Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuß, die am Einzelplan 16 mitberaten haben, für die weit überwiegend sachliche Auseinandersetzung bedanken und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesumweltministeriums und seiner nachgeordneten Behörden sagen, daß ich auch als Oppositionspolitiker ihren Rat und ihre Fachkunde schätzengelernt habe.
Wir lehnen - Sie werden das nicht anders erwarten - den Einzelplan 16 ab.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.