Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
- Drucksache 11/8162 -
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Post und Telekommunikation. Die Beantwortung übernimmt der Parlamentarische Staatssekretär Rawe.
Als erstes rufe ich die Frage 1 des Abgeordneten Herrn Dr. Sprung auf:
Stimmt die Bundesregierung der Feststellung zu, daß durch die volle Einbeziehung der Umsätze der Deutschen Bundespost TELEKOM in den Bereich der Breitbandverkabelung erst zum 1. Januar 1996 die schon jetzt voll umsatzsteuerpflichtigen privaten Anbieter eine erhebliche Wettbewerbsbenachteiligung erleiden, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, diese Wettbewerbsbenachteiligungen so schnell wie möglich zu beenden, insbesondere im Hinblick darauf, daß nach dem erklärten Willen der Deutschen Bundespost die Verkabelung der gesamten Bundesrepublik Deutschland schon 1995 beendet sein soll?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Dr. Sprung, es ist zutreffend, daß die Deutsche Bundespost TELEKOM für den Bereich der Breitbandverkabelung erst 1996 in die Umsatzbesteuerung einbezogen wird. Eine Wettbewerbsbenachteiligung privater Anbieter von Kabelanlagen ist hierin jedoch nicht zu erblicken, denn an Stelle einer Umsatzsteuer zahlt die Deutsche Bundespost dem Bund bis 1996 gemäß § 63 des Postverfassungsgesetzes eine umsatzbezogene Ablieferung.
Würde die Deutsche Bundespost TELEKOM für den Bereich der Breitbandverkabelung bereits jetzt in die Umsatzsteuerpflicht einbezogen, so würde sich im Hinblick auf die geltende Ablieferungsregelung eine zusätzliche Belastung ergeben. Diese zusätzliche Belastung würde dann aber eine beträchtliche Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der Deutschen Bundespost TELEKOM bedeuten.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Sprung?
Ja, eine Zusatzfrage, Herr Staatssekretär: Es sieht also so aus, daß an die Stelle dieser Ablieferung künftig die Umsatzsteuer tritt. Ist
das richtig, und ist das der Grund dafür, daß Sie erklärt haben, von einer Wettbewerbsbenachteiligung könne keine Rede sein?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Das ist zutreffend. § 63 der neuen Postverfassung regelt es so, daß die Umsatzbesteuerung künftig an die Stelle dieser Ablieferung tritt.
Herr Staatssekretär, gleichwohl haben Sie ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben bzw. zugesagt, daß solch ein Rechtsgutachten eingeholt wird, um feststellen zu lassen, ob nicht doch eine Wettbewerbsbenachteiligung vorliegt. Warum ist das dann geschehen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Weil das immer wieder von außen angesprochen wird und wir natürlich auch einmal von außen eine Bestätigung dafür haben wollten, daß unsere Darstellung die richtige ist.
Gibt es weitere Fragen zu diesem Komplex? — Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Echternach zur Verfügung.
Ich beginne mit der Frage 2 des Abgeordneten Dr. Kertscher. Ist er hier im Saal? — Er ist nicht im Saal; damit ist die Frage erledigt.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Ich rufe Frage 4 der Abgeordneten Frau Dr. Fischer auf:
Wann ist die Ratifizierung der UNO-Konvention der Rechte des Kindes vorgesehen, und welche Gründe sprechen aus Sicht der Bundesregierung gegen eine baldige Ratifizierung?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Fischer, die Bundesregierung begrüßt das Übereinkommen über die Rechte des Kindes. Sie unterstützt die mit ihm verfolgten Ziele und hat darum das Übereinkommen bereits am 26. Januar 1990, also dem frühestmöglichen Termin, gezeichnet. Der Bundesminister der Justiz hat im übrigen mehrfach öffentlich bekundet, daß die Bundesregierung die alsbaldige Ratifizierung des Übereinkommens anstrebt.
Parl. Staatssekretär Dr. Jahn
Wir haben uns daher bemüht, die nicht wenigen Zweifelsfragen, die das Übereinkommen aufwirft, insbesondere seine möglichen Auswirkungen auf das deutsche Recht, im Einvernehmen mit den Bundesländern rasch zu klären. Diese Klärung ist inzwischen abgeschlossen. Die Bundesregierung wird deshalb alsbald, voraussichtlich am 31. Oktober 1990, über das Vertragsgesetz Beschluß fassen, so daß der neu gewählte Bundestag sich möglichst bald mit dem Vertragsgesetz befassen kann.
Eine Zusatzfrage, Frau Dr. Fischer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mich interessieren die Gründe, die im Moment dagegen sprechen, die Knackpunkte der Konvention. Ist für Sie „alsbald" irgendwann 1991, oder habe ich das falsch verstanden?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Fischer, die Beschlußfassung über dieses „alsbald" ist Sache des gesamtdeutschen Souveräns. Der gesamtdeutsche Souverän befindet darüber, wann er endgültig beschließt.
Ist die Frage damit erledigt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Und die Knackpunkte?
Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Es gibt eine ganze Reihe von Punkten, die mit den Ländern abgestimmt werden mußten, insbesondere die Frage, ob 15jährige zu einem Krieg herangezogen werden dürfen. Sie werden sicherlich mit mir darin übereinstimmen, daß wir hier Bedenken haben, die wir bei der Ratifizierung auch zum Ausdruck bringen werden. Im übrigen bin ich gerne bereit, Ihnen die Denkschrift, die es zu der Problematik gibt und die ziemlich umfangreich ist — im wesentlichen sind es Interpretationsfragen, die aber inzwischen alle geklärt sind —, zur Verfügung zu stellen.
Gibt es weitere Fragen zu diesem Komplex? — Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Es antwortet der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Riedl.
Ich rufe Frage 5 des Abgeordneten Stiegler auf:
Wie ist der Stand der Diskussion über die Zukunft der Zonen-randförderung, und welche alternativen Konzepte nach der vereinbarten Übergangsregelung erwägt die Bundesregierung für den an die CSFR angrenzenden Raum Niederbayern-Oberpfalz?
Herr Abgeordneter, über Einzelheiten des Abbaus der speziellen Zonenrandförderung ist innerhalb der Bundesregierung noch zu entscheiden. Diese Entscheidungen werden mit Sicherheit im Zusammenhang mit den Beratungen zum Bundeshaushalt 1991 zu treffen sein. Die Vorstellungen der EG-Kommission über eine Reduzierung des westdeutschen Fördergebietes werden dabei natürlich Berücksichtigung finden müssen.
Herr Abgeordneter, wie wir schon in mehreren Antworten an Sie mitteilen konnten, wird das bayerische Grenzland, soweit es nach sozio-ökonomischen Kriterien als strukturschwach einzustufen sein wird, auch nach einem Abbau der speziellen Zonenrandförderung in der Regionalförderung verbleiben. Einerseits stellen sich an der bayerisch-tschechoslowakischen Grenze gewiß spezifische Fragen, die beachtet werden müssen. Andererseits bietet die Grenzöffnung zur CSFR neue Chancen zu einer Wiederbelebung der früheren engen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern und damit zu einer längerfristig günstigen Entwicklung.
Zusatzfrage, Herr Stiegler.
Herr Staatssekretär, Sie haben nichts über die — zugegebenermaßen nicht in Ihrem Hause ressortierende — steuerliche Zonenrandförderung gesagt. Aber ich hatte nach der Zonenrandförderung im allgemeinen und nicht speziell nach der regionalen Wirtschaftsförderung gefragt. Welchen Standpunkt vertritt die Bundesregierung in diesen Fragen?
Herr Staatssekretär Riedl.
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Soweit es sich um steuerliche Maßnahmen innerhalb der bisherigen Zonenrandförderung handelt, Herr Abgeordneter, werden sie natürlich in das Abbaukonzept innerhalb von sieben Jahren einzubeziehen sein. Danach wird es — in enger Abstimmung mit der EG-Kommission — Förderungen nur im Rahmen der Regionalförderung geben können. Wie lange diese Auslauffristen laufen werden, kann ich Ihnen im Augenblick nicht sagen. Es ist natürlich das Interesse der Bundesregierung — gerade angesichts des Drucks aus Brüssel —, diese Auslauffristen so lange wie möglich zu erhalten. Aber Sie wissen natürlich als Abgeordneter genausogut wie ich, daß europäisches Recht insofern nationales Recht bricht. Minister Haussmann ist zur Zeit mit dem zuständigen EG-Kommissar Brittan in Verhandlungen. Ich bin nicht pessimistisch, sondern eher durchwachsen optimistisch, daß wir zu einer auch Sie befriedigenden Auslaufregelung kommen werden.
Herr Stiegler.
Herr Staatssekretär, berechtigt mich Ihr Optimismus zu der Annahme, daß die Bundesregierung dafür eintreten wird, die steuerliche Förderung bis zum Ende der Übergangszeit, z. B. der Sieben-Jahres-Frist, in vollem Umfang zu gewähren, oder müssen frühere Degressionsfristen befürchtet werden?
Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär: Ich möchte Ihren Optimismus unterstreichen. Wir streben die volle Ausnutzung der sieben Jahre an, wobei natürlich das Auslaufen der Maßnahmen nach sieben Jahren gemeint ist. Aber in diesem Punkt teile ich Ihre optimistische Perspektive. Wir gehen jedenfalls so in die Verhandlungen mit Brüssel.
Gibt es weitere Zusatzfragen? — Das ist nicht der Fall.
Der Fragesteller der Frage 6, Herr Abgeordneter Gansel, wünscht schriftliche Beantwortung seiner Frage. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Die Fragen beantwortet der Parlamentarische Staatssekretär Spranger.
Ich rufe Frage 7 des Abgeordneten Börnsen auf:
Erwägt die Bundesregierung, eine Grundgesetzänderung in der neuen gesamtdeutschen Verfassung zugunsten der dänischen Minderheit und der Friesen im Landesteil Schleswig sowie der Sorben in der bisherigen DDR vorzuschlagen, oder vertritt die Bundesregierung die Ansicht, daß der notwendige Minderheitenschutz angesichts der Kulturhoheit der Länder durch Aufnahme in die Landesverfassungen gesichert werden kann, wie es bereits in der neuen schleswig-holsteinischen Verfassung durch Artikel 5 erfolgt ist?
Herr Kollege Börnsen, die Bundesregierung vermag eine verfassungsrechtliche Verankerung des Schutzes nationaler Minderheiten im Grundgesetz nicht zu befürworten. Das Grundgesetz sichert die Position nationaler Minderheiten durch die Gewährleistung von Freiheits- und Gleichheitsgarantien. Die in den Art. 3 Abs. 3, 33 und 38 enthaltenen Gleichheitsgrundrechte verbieten eine Differenzierung der Rechtsstellung nach der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit und garantieren gleiche staatsbürgerliche Rechte. Die Gleichheitsgarantie des Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes bewirkt zusammen mit den grundgesetzlichen Verbürgungen individueller und politischer Freiheiten insbesondere in den Art. 5, 8 und 9 die gleiche Chance für Minderheiten und ihren Schutz als Grundprinzip der freiheitlichen Demokratie.
Eine Grundgesetzergänzung zur Begründung einer über die rechtliche Gleichbehandlung hinausgehenden Verpflichtung zur staatlichen Förderung nationaler Minderheiten in bezug auf ihre Sprache, kulturelle Betätigung und Entwicklung stößt auf schwerwiegende Bedenken, da dies zugleich eine Änderung im bewährten kulturstaatlichen Kompetenzgefüge zwischen Bund und Ländern zur Folge hätte. Verfassungsrechtliche Verpflichtungen von Ländern und Gemeinden zur kulturellen Förderung nationaler Minderheiten liegen in ihrem Schwerpunkt im Bereich der Erziehungs- und Bildungseinrichtungen als Kernstück der sogenannten Kulturhoheit der Länder. Verfassungsrechtliche Förderzusagen zugunsten nationaler Minderheiten sind daher nach Auffassung der Bundesregierung originäre Gegenstände des Länderverfassungsrechtes. In diesem Kernbereich sollten die Länder nicht durch bildungs- und kulturpolitische Forderungen des Grundgesetzes gebunden sein.
Herr Börnsen, eine Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie sich vorstellen, daß die Bundesregierung im Rahmen der KSZE-Verhandlungen darauf dringen wird, daß es für nationale Minderheiten auch zu einer europäischen Sicherheitslösung kommen wird, denn deren Bedenken sind ja, daß sie im Rah-
men der europäischen — jetzt auch der gesamteuropäischen — Entwicklung ihre Sicherheit eben nicht mehr behalten, die sie in vielen Staaten, z. B. auch in unserem eigenen Land, bisher gehabt haben?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich verstehe Ihr politisches Anliegen sehr wohl. Ich gehe auch davon aus, daß die Problematik, die Sie angesprochen haben, von der Bundesregierung in den entsprechenden Gremien, vielleicht auch in der KSZE, vorgetragen wird. Aber bei der von Ihnen gestellten Frage, wie es mit der verfassungsrechtlichen Kompetenz des Bundes aussehe und ob die Bundesregierung gedenke, hier Änderungen vorzunehmen, ist die Position der Bundesregierung, glaube ich, auch zukünftig so, wie ich sie beschrieben habe.
Zweite Zusatzfrage.
Wäre die Bundesregierung bereit, Herr Staatssekretär, in dieser Frage auch noch einmal mit dem Königreich Dänemark Kontakt aufzunehmen und Verhandlungen zu führen, denn die Frage des Schutzes einer nationalen Minderheit und ihrer Sicherheit bezieht sich ja auch auf die deutsche Minderheit in Nordschleswig. Wir haben auch eine Verantwortung für die dortige deutsche Minderheit. Kann man also zu einer Lösung kommen, bei der beide Länder entweder dafür sind, im Rahmen einer Verfassungsänderung eine Sicherung in den Landesverfassungen vorzusehen, oder bei der beide Länder sagen: „Wir verzichten darauf, weil es eine europäische Lösung geben kann. " ?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich bin sehr gerne bereit, Ihre Anregung zu prüfen. Dabei bitte ich aber um Verständnis dafür, daß wir alles nur im Rahmen der uns zustehenden verfassungsrechtlichen Kompetenzen tun können.
Weitere Fragen zu diesem Komplex? — Das ist nicht der Fall.
Ich rufe Frage 8 des Abgeordneten Marschewski auf:
Was kann und was wird die Bundesregierung tun, um zu erreichen, daß die sogenannte liberale Handhabung bestimmter Rechtschreibprobleme durch Berlin zugunsten der Wahrung der Einheitlichkeit der deutschen Sprache wieder geändert wird?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Marschewski, die Bundesregierung hat sich bisher gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz bemüht, die Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung zu erhalten und notwendig gewordene Veränderungen nur gemeinsam mit allen deutschsprachigen Ländern in möglichst breitem Konsens mit den Bürgern vorzunehmen.
Die Ankündigung der Berliner Schulsenatorin, im Vorgriff auf eine künftige Rechtschreibreform bestimmte Rechtschreibfehler nicht mehr als Fehler zu werten, steht im Widerspruch zu diesen gemeinsamen Bemühungen. Der Bundesminister des Innern hat in einem Schreiben an die Präsidentin der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland gebeten, ihren Einfluß auf das Land Berlin geltend zu machen, damit es bei einer sachlich und verfahrensmäßig einheitlichen Handha-
Parl. Staatssekretär Spranger
bung bleibt. Ferner wird erwartet, daß sich die Kultusministerkonferenz auf ihrer nächsten Plenarsitzung für die Beibehaltung der bisher gemeinsam von ihr und dem Bundesinnenminister auch auf der Wiener Konferenz zur Reform der deutschen Rechtschreibung im Mai 1990 vertretenen Linie aussprechen wird, eine Rechtschreibreform nur mit allen deutschsprachigen Ländern vorzusehen und keine vorgezogenen Teilregelungen zu befürworten.
Zusatzfrage, Herr Marschewski.
Herr Staatssekretär, zunächst herzlichen Dank; darüber hinaus die Frage: Hält es die Bundesregierung überhaupt — und gegebenenfalls in welchen Bereichen — für notwendig, eine Rechtschreibreform durchzuführen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung möchte nicht den gleichen Fehler wie andere machen, die hier unabgestimmt ihre Meinungen und ihre Bewertungen zu bestimmten Dingen auf diesem Sektor nicht nur zum Ausdruck gebracht, sondern auch in Verordnungen umgesetzt haben. Das Ganze muß in Abstimmung erfolgen, auch in Abstimmung mit den Kultusministern der Länder und im Rahmen der Wiener Konferenz. Hier ist die Bundesregierung um Konsens bemüht.
Herr Marschewski.
Ich habe noch eine zweite Zusatzfrage: Hält es die Bundesregierung vielleicht in Übereinstimmung mit den Ländern für möglich, auf manche Lehrer mit dem Ziel einzuwirken, daß ihnen bewußt wird, daß — ich sage es einmal so — zumindest eine grundlegende Kenntnis der Rechtschreibung unseren Kindern keinen besonderen Schaden zufügt?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, diese Bewertung ist Allgemeingut auch der meisten Kultusminister.
Herr Stiegler.
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß die Einheit des vereinten Deutschland wirklich gefährdet wäre, wenn sich auch auf dem Felde der Rechtschreibung ein gewisser Föderalismus breitmachen sollte?
Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stiegler, ich weiß nicht, warum Sie jetzt, wenige Tage nach den bayerischen Landtagswählen, das Thema „Föderalismus" besonders stark in den Vordergrund stellen wollen.
— Ach so, gut. Aber unter diesem Gesichtspunkt sollten wir die dauernde Veränderung der deutschen
Sprache nicht als unsere politische Aufgabe betrachten.
Gibt es weitere Fragen zu diesem Komplex? — Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich Frage 9 des Herrn Abgeordneten Weis auf:
Welche Mittel stellt die Bundesregierung für den Erhalt kultureller Einrichtungen außerhalb der Ballungsräume wie z. B. für Theater in Mittelstädten unter 75 000 Einwohnern auf dem Gebiet der früheren DDR zur Verfügung?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter Weis, gemäß Art. 35 Abs. 2 des Einigungsvertrages ist dafür Sorge zu tragen, daß die kulturelle Substanz im Gebiet der fünf neuen Länder und Berlins keinen Schaden nimmt. Vor allem in einer Übergangszeit bedarf es erheblicher finanzieller Anstrengungen des Bundes und auch der alten Länder, um dies sicherzustellen und Schaden abzuwenden.
Die Bundesregierung hat bereits im Rahmen des 1. und des 3. Nachtrags zum Bundeshaushalt 1990 Haushaltsmittel zur dringend erforderlichen Sicherung kultureller Substanz aufgewendet. Im Zusammenhang mit der Aufstellung des Bundeshaushalts 1991 werden zudem Überlegungen angestellt, kulturelle Einrichtungen, die in die Zuständigkeit der neuen Bundesländer fallen, durch eine übergangsweise erfolgende Finanzierung durch den Bund so lange zu erhalten, bis die Länder handlungsfähig sind.
Sobald Bundesregierung und Haushaltsgesetzgeber im Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt 1991 über eine Übergangsfinanzierung entschieden haben, soll im Rahmen des Möglichen Vorsorge dafür getroffen werden, daß kulturelle Einrichtungen auch außerhalb der Ballungsräume so lange erhalten werden, bis die neuen Länder und die Kommunen in der Lage sind, die erforderliche Finanzierung der betreffenden Einrichtungen sicherzustellen.
Eine Zusatzfrage, Herr Weis?
Ja, ich habe noch eine Zusatzfrage. — Sieht die Bundesregierung die Einrichtung von Landestheatern außerhalb der Ballungsräume als eine Möglichkeit an, einen Schutz für solche kulturellen Einrichtungen zu bieten und z. B. das Theater der Altmark in Stendal zu erhalten, und wird es dafür Sonderförderungen geben?
Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich muß, glaube ich, nochmals betonen, daß all diese Unterstützungen, Förderungen und Sanierungen nach unserer Verfassung ausschließlich Sache der Länder sind. Der Bund ist hier angesichts der Situation nur in bestimmtem Umfange bereit, Hilfe zu geben, und das auch nur für eine bestimmte Frist. Was hier im einzelnen unterstützt werden soll und kann, das muß dann in den Verhandlungen entschieden werden, denen ich nicht
Parl. Staatssekretär Spranger
vorgreifen möchte. Deswegen ist Ihre Frage im jetzigen Stadium weder positiv noch negativ zu beantworten.
Danke. — Weitere Meldungen zu Zusatzfragen sehe ich nicht.
Ich rufe Frage 10 des Abgeordneten Herrn Such auf:
Seit wann lagen Nachrichtendiensten oder Sicherheitsbehörden des Bundes Hinweise auf eine mögliche Stasi-Mitarbeit des beurlaubten Generalsekretärs der DDR-CDU, Martin Kirchner, vor, und mit welchen Ergebnissen sind diese Behörden jenen Hinweisen oder aber den seit Januar 1990 dem hessischen Landesamt für Verfassungsschutz vorliegenden entsprechenden Informationen nachgegangen?
Herr Staatssekretär!
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter Such, Ihre Frage entspricht den von Ihnen und der Fraktion DIE GRÜNEN gemäß Bundestagsdrucksache 11/7813 gestellten Fragen 3 und 4. Ich verweise auf die dort erteilte Antwort. Ich wiederhole sie:
Die Bundesregierung nimmt zu Erkenntnissen sowie zum Inhalt und Zeitpunkt der Berichterstattung ihrer Nachrichtendienste sowie ihrer aufgrund dessen eventuell getroffenen Maßnahmen aus grundsätzlichen Erwägungen nicht öffentlich Stellung, ist jedoch bereit, den zuständigen parlamentarischen Gremien gegenüber zu berichten.
Herr Such.
Sind Sie der Auffassung, daß die in der Öffentlichkeit bisher publizierten Meldungen über den Fall Kirchner die Öffentlichkeit nicht interessieren? Und meinen Sie nicht, daß diese Meldungen, weil sie schon in der Öffentlichkeit waren, auch den Deutschen Bundestag betreffen und nicht nur die PKK, in der die GRÜNEN nicht vertreten sind?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die Bewertungen dieses Falles in der Öffentlichkeit führen nicht zu einer Änderung meiner Antwort auf Ihre Frage.
Herr Such.
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung denn daraus, daß es offiziell Kontakte der Bundesregierung mit Stasi-Mitarbeitern gegeben hat?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich weiß nicht, welche Unterstellungen Sie hier wiedergeben bzw. ob das Ihre eigenen sind. Ich habe keinen Anlaß, von meiner Antwort irgend etwas abzustreichen. Die parlamentarischen Gremien, die hierzu berufen sind, können sich dieses Themas annehmen.
Danke. — Keine weiteren Fragen.
Ich rufe Frage 11 der Abgeordneten Frau Wollenberger auf. Ich begrüße Frau Wollenberger hier ganz herzlich. Sie ist für den ausgeschiedenen Bundestagsabgeordneten Herrn Gauck nachgerückt.
Inwieweit treffen Berichte zu, wonach der Bundesminister des Innern persönlich oder aber durch Mitarbeiter seines Hauses im Frühjahr 1990 Gespräche mit dem wegen des Verdachts der Stasi-Mitarbeit beurlaubten Generalsekretär der DDR-CDU, Martin Kirchner, über dessen Kontakte zum Ministerium für Staatssicherheit führten und ihm hierzu Ratschläge erteilten, und welche Ratschläge erteilten sie ihm?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Frau Abgeordnete Wollenberger, Ihre Frage entspricht inhaltlich der Frage 6 der vom Abgeordneten Such und der Fraktion DIE GRÜNEN gestellten Kleinen Anfrage. Ich verweise auch hier auf die dort erteilte Antwort:
Die Bundesregierung sieht sich nicht veranlaßt, über Kontakte der in der Frage dargestellten Art Auskunft zu geben.
Hätten Sie nicht wenigstens eine persönliche Ergänzung dazu?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Es tut mir leid, ich habe hier für die Bundesregierung und nicht aus persönlichen Motiven zu antworten.
Ich schließe diesen Geschäftsbereich ab und rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Voss zur Verfügung.
Der Abgeordnete Lowack wünscht schriftliche Beantwortung der Frage 31. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 32 des Abgeordneten Dr. Klejdzinski auf. Ist er im Raum? — Das ist nicht der Fall. Es wird verfahren wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Das gleiche gilt für die Frage 33 des Abgeordneten Dr. Klejdzinski.
Ich rufe Frage 34 der Abgeordneten Frau Dr. Fischer auf:
Was unternimmt die Bundesregierung, um den Bürgern der ehemaligen DDR, entsprechend den Vereinbarungen im Einigungsvertrag, Anteilsrechte am ehemaligen volkseigenen Vermögen zu sichern, und wann ist mit Aussagen zum Termin der Ausgabe und zur Höhe der Anteilsrechte zu rechnen?
Frau Kollegin Fischer, der Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 18. Mai 1990 sieht in Art. 10 Abs. 6 vor, daß das ehemalige volkseigene Vermögen vorrangig zur Nutzung für die Strukturanpassung der Wirtschaft und für die Sanierung des Staatshaushalts einzusetzen ist. Die hierfür notwendigen Maßnahmen sind eingeleitet.
Erst nach einigen Jahren wird sich abschätzen lassen, welche Vermögenswerte nach Erfüllung der im Staatsvertrag vorrangig genannten Ziele zur Verfügung stehen, um den Sparern ein verbrieftes Anteilsrecht am volkseigenen Vermögen einzuräumen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Erste Zusatzfrage. „In einigen Jahren" ist mir natürlich zu unkonkret. Wir hatten über Herrn Nooche, der in der Treu-
Frau Dr. Fischer
hand von Seiten der Opposition eingesetzt war, den Vorschlag gemacht, daß der volkseigene Anteil bei Eigentumswohnungen usw. im Prinzip berücksichtigt wird. Wie stehen Sie zu diesem Vorschlag?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, „Strukturanpassung der Wirtschaft" und auch „Sanierung des Staatshaushaltes" sind weite Begriffe. Sie werden mir zugeben, daß diese Dinge, die vorrangig zu erfüllen sind, weil sie im Staatsvertrag genannt worden sind, abgewickelt werden müssen und daß in diesem Zusammenhang natürlich auch die Vermögenswerte zu sehen sind, die Sie gerade genannt haben. Es kann durchaus sein, daß in dem einen oder anderen Fall eine frühere Entscheidung möglich ist. Aber insgesamt wird der Zeitraum, den ich soeben genannt habe, notwendig sein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zweite Zusatzfrage. Ich habe ein bißchen den Eindruck, daß das unter Umständen gar keine Berücksichtigung finden wird. Was meinen Sie dazu?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ihr Eindruck ist falsch, Frau Kollegin. Das wird Berücksichtigung finden, nachdem die vertraglichen Ziele, die im Einigungsvertrag genannt sind, erfüllt sind. Aber diese Conditio muß zunächst erfüllt sein.
Eine weitere Zusatzfrage.
Sie erwähnten die Festlegung im Staatsvertrag über die Reihenfolge der Verwendung der Mittel aus der Privatisierung durch die Treuhandanstalt: erstens Strukturanpassung, zweitens Sanierung.
Nach allen bisher bekanntgewordenen Ergebnissen für 1990 und auch nach den Vorausschätzungen für 1991 durch den Präsidenten, Herr Rohwedder, gibt es eine völlige Umkehrung dieser Relation. Alles, was bisher vorgesehen ist, wird für Entschuldungsmaßnahmen, für Schuldendienst und für die Sanierung des Staatshaushaltes verwendet, aber bisher ist nichts für die Sanierung der Betriebe und für die Strukturanpassung eingeplant.
Wie soll Ihrer Ansicht nach der im Staatsvertrag vorgesehene Primat der Sanierung der Betriebe gesichert werden?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, daß Ihre Einschätzung und Ihre Ansicht nicht zutreffend sind. Die beiden im Staatsvertrag genannten Ziele sind in der Wertung sozusagen gleichrangig-
Nun kann es durchaus sein, daß in einer Phase, in der wir uns jetzt befinden, das eine Ziel etwas schneller bedient wird. Das heißt aber nicht, daß die anderen Ziele dadurch in Vergessenheit geraten.
Nein, Sie können nur eine Zusatzfrage stellen.
Die Frage 35 des Abgeordneten Gansel soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Gallus bereit.
Ich rufe Frage 36 der Abgeordneten Frau Wegener auf:
Nach welchen Kriterien soll die in Artikel 25 des Einigungsvertrages vorgesehene Möglichkeit der Einzelfallentschuldung landwirtschaftlicher Betriebe in den fünf neuen Bundesländern erfolgen, und wie steht die Bundesregierung zur Möglichkeit eines mehrjährigen Kapitaldienstmoratoriums für Genossenschaften und andere Landwirtschaftsbetriebe mit tragfähigen Betriebsentwicklungsplänen?
Frau Kollegin Wegener, eine zwischen den Ressorts und der Treuhandanstalt abzustimmende Konzeption über eine Entschuldung im Einzelfall bedarf noch einer weiteren Klärung der tatsächlichen Sachverhalte und ihrer rechtlichen Zuordnung. Für ein mehrjähriges Kapitaldienstmoratorium stehen keine Haushaltsmittel zur Verfügung.
Eine Zusatzfrage.
Ist Ihnen bekannt, daß gerade für die Zukunft der Landwirtschaft in den ehemaligen DDR-Gebieten die Einzelfallentschuldung eine wesentliche Rolle spielt und daß deshalb konkret in den nächsten drei Monaten gehandelt werden muß?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, der Tatbestand und die Tatsache der Dringlichkeit sind mir bekannt. Aber darüber muß, wie ich gesagt habe, zwischen den Ressorts und der Treuhandanstalt noch intensiv verhandelt werden.
Weitere Zusatzfragen gibt es nicht.
Dann rufe ich Frage 37 des Abgeordneten Dr. Schumann auf:
Wie steht die Bundesregierung zur Gewährung von Bundesbürgschaften für Investitionskredite im Interesse der Modernisierung des Produktionsapparates entwicklungsfähiger landwirtschaftlicher Genossenschaften, und ist der Bundesregierung bekannt, daß seitens der Banken landwirtschaftliche Genossenschaften derzeit nicht als bonitätsmäßig einwandfreie Kreditnehmer gelten?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schumann, innerhalb der beteiligten Ressorts werden derzeit noch Verhandlungen über eine etwaige Bürgschaftsaktion des Bundes geführt, um damit landwirtschaftlichen Unternehmen die Aufnahme kommerzieller Kredite zu ermöglichen. Der Bundesregierung ist bekannt, daß landwirtschaftliche Genossenschaften zum Teil nicht als bonitätsmäßig einwandfreie Kreditnehmer angesehen werden.
Zusatzfrage, Herr Dr. Schumann.
Die Tatsache ist Ihnen also bekannt. Inwiefern soll es denn konkret werden, daß die Bundesregierung Bürgschaften übernimmt — das haben Sie eben nicht beantwortet —, und wann ist damit zu rechnen? Denn die Kreditaufnahme und das Schuldendienstmorato-rium müßten ja sofort in Angriff genommen werden.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, natürlich, aber über die Fragen, wie in bezug auf den Haushalt 1991 verfahren werden soll, wird zur Zeit verhandelt.
Zweite Zusatzfrage.
Könnte man Geldinstitute nicht dazu anregen, landwirtschaftliche Genossenschaften oder andere Einrichtungen der gemeinsamen Produktion als kreditwürdig zu betrachten, wenn sie ein ordentliches Konzept für die weitere Existenz und Bewirtschaftung vorlegen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Frage wird bei uns in der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserungen der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" behandelt. Dieser Ausschuß tritt noch in diesem Jahr zusammen. Dann wird auch die Frage geprüft, wie wir hier verfahren.
Gibt es weitere Fragen? — Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich Frage 38 des Abgeordneten Dr. Schumann auf:
Mit welchen Maßnahmen wird die Bundesregierung die Verarbeitung und Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse aus dem Agrarbereich der ostdeutschen Länder unterstützen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schumann, nach dem Einigungsvertrag findet ab dem 1. Januar 1991 das Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" in den beigetretenen Ländern Anwendung. Die Förderungsmaßnahmen im Bereich der Verarbeitung und Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse fallen in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes. Daraus folgt, daß ab dem genannten Zeitpunkt nach Maßgabe vom Planungsausschuß noch zu beschließender Förderungsgrundsätze die Durchführung der Förderung bei den Ländern liegen wird. In Betracht kommt eine Förderung mit Investitionsbeihilfen.
Bei den Verhandlungen mit den Ländern im Planungsausschuß werde ich mich für eine angemessene Dotierung dieser Maßnahmen einsetzen; denn die Modernisierung des Verarbeitungs- und Vermarktungssektors ist im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit der Agrarwirtschaft in den beigetretenen Ländern vordringlich.
Zusatzfrage.
Wir stimmen darin überein, daß es eine vordergründige Aufgabe ist, die Ernährungswirtschaft in den fünf neuen Ländern besonders zu fördern. Es geht hier aber auch um den aktuellen Ausgleich. Welche Mög-
lichkeiten gibt es, agrarische Rohstoffe verstärkt in die ehemaligen Bundesländer zu bringen und damit den Fluß von verarbeiteten Produkten aus dem ehemaligen Gebiet der Bundesrepublik in die ehemalige DDR auszugleichen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Frage, die Sie jetzt stellen, ist natürlich eine ganz andere. Wir haben die freie Marktwirtschaft. Sie wissen, daß sowohl Fertigprodukte wie auch Rohstoffe hinüber gehen und daß diese Entwicklung bereits große Fortschritte zu verzeichnen hat. In der Zwischenzeit werden auch drüben Produkte unter Markenzeichen von Firmen erstellt, die hier ihren Sitz haben. Zum Beispiel Molkereien wie die Südmilch — ich nenne als Beispiel nur eine — sind bereits dabei, eine gemeinsame Firma zu gründen. In Sachsen ist sie schon gegründet worden. So kommt natürlich das Know-how der Betriebe hinüber, und man versucht, die Rohstoffe entsprechend zu verarbeiten.
Da ich gerade den Milchbereich anführe, kann ich eines sagen: Solange die Verarbeitung nicht gewährleistet ist,
gelangt die Milch, wie auch bei uns, in Form von Magermilchpulver und Butter in die Intervention. Wir übernehmen ja jeden Monat entprechende Mengen; das läuft in der Zwischenzeit.
Ich bin nicht schuld, Herr Kollege, daß nach 40 Jahren die Verarbeitungsindustrie drüben heute praktisch auf dem Stand ist
— passen Sie gut auf, was ich jetzt sage —, daß, wenn wir von einem Tag zum andern die EG-Richtlinien durchführten, kein einziger Verarbeitungsbetrieb drüben überhaupt noch arbeiten dürfte.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Ich kehre zur Ausgangsfrage zurück. In welchem Zeitraum rechnen Sie mit einem Wirksamwerden über die Länderfinanzen und die Höhe der Dotierung, wofür Sie sich einsetzen wollen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Wir arbeiten so schnell wie möglich. Wir haben schon in Vorarbeit, bevor die Länder bestanden — die Gemeinschaftsaufgabe ist nämlich etwas, was Bund und Länder gemeinsam machen müssen —, Professoren beauftragt, dies in den einzelnen Ländern festzustellen und einen Plan auszuarbeiten, wo Verarbeitungsbetriebe gefördert werden und wo neue gebaut werden könnten. Wir arbeiten so schnell wie möglich.
Nur, wenn wir bauen müssen, dauert es eine gewisse Zeit. Wenn Betriebe unterstützt und renoviert werden, geht das schneller. Aber das muß festgelegt werden, nicht wahr? Dann wollen wir sehen, wie wir die Dinge voranbringen können.
Danke.
Ich rufe die Frage 39 des Herrn Abgeordneten Eigen auf. Ich sehe ihn nicht im Saal. Somit verfahren wir nach der Geschäftsordnung. Das gilt dann auch für die Frage 40.
Bei den Fragen 41 und 42 der Abgeordneten Frau Würfel wird die schriftliche Beantwortung gewünscht. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Vogt zur Verfügung.
Für die Fragen 43 und 44 des Abgeordneten Dr. Feldmann wird die schriftliche Beantwortung gewünscht. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 45 des Abgeordneten Dr. Seifert auf:
Wie wird die Bundesregierung dafür sorgen, daß Invalidenrente, Pflegegeld und Wohnzuschuß als einkommensunabhängige, dynamische und steuerfinanzierte Grundeinnahmen für Menschen mit Behinderungen anerkannt und eingeführt werden?
Frau Präsidentin! Herr Kollege, ich beantworte Ihre Frage mit Nein.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Seifert.
Herr Staatssekretär, sagt es Ihnen nicht zu, daß es etwas Positives ist, daß Menschen, die beispielsweise von Geburt an behindert sind, nicht automatisch auf die Sozialhilfe angewiesen sind, sondern ab 18 Jahren eine Rente bekommen, und daß es etwas sehr Positives wäre, das für die gesamte Bundesrepublik Deutschland einzuführen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, das wäre nicht erstrebenswert, weil unser System der Alterssicherung, auch das der Invalidenversicherung, beitrags- und leistungsbezogen ist.
Die zweite Zusatzfrage.
Was machen Ihres Erachtens die Menschen, die keine Leistung im herkömmlichen Sinn erbringen können, und wie wollen Sie ihnen ein selbstbestimmtes Leben in Würde gewährleisten? Ich füge hinzu, die Sozialhilfe stellt dies nach meinem Verständnis nicht dar.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Auf Sozialhilfe hat ein Bürger oder eine Bürgerin, die kein eigenes Einkommen hat, weder aus Erwerbsarbeit noch aus Vermögen, einen Rechtsanspruch. Diese Sozialhilfe sichert das sozialkulturelle Existenzminimum in der Bundesrepublik Deutschland.
Herr Abgeordneter Hüser.
Wir sind ja hier bei der Beantwortung von Fragen schon einigermaßen viel gewohnt. Aber mich würde interessieren, wie Sie eine Frage, die mit „Wie" anfängt, einfach nur mit Nein beantworten können.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Frage lautet: „Wie wird die Bundesregierung dafür sorgen... ?" Wir werden nicht dafür sorgen; deshalb habe ich mit Nein geantwortet. Es gibt den Ratschlag des Präsidiums, immer kurz zu antworten. „Nein" ist eine kurze und ganz präzise Antwort.
— Im Moment kann ich Sie nicht verstehen.
Die Fragen 46 und 47 der Abgeordneten Frau Dr. Schönebeck werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich schließe diesen Geschäftsbereich und komme zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Wimmer zur Verfügung.
Bei den Fragen 48 und 49 wünscht der Fragesteller Dr. Jobst die schriftliche Beantwortung. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 50 des Abgeordneten Weis auf:
In welchem Umfang beabsichtigt die Bundesregierung, die bisher militärisch durch die NVA oder die sowjetischen Besatzungstruppen genutzten Gelände in der Altmark künftig einer zivilen Nutzung zuzuführen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Weis, die Bundeswehr führt zur Zeit auf dem Gebiet der neuen Bundesländer eine detaillierte Bestandserfassung und -aufnähme aller von der ehemaligen Nationalen Volksarmee genutzten Liegenschaften und Einrichtungen durch. Angaben über die von der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte genutzten Liegenschaften sind nur in geringem Umfang vorhanden. Sie werden jedoch über die Verbindungsgruppe zu der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte beim Bundeswehrkommando Ost und im Zusammenwirken mit dem nach dem Abzug — so der Nutzungsvertrag — zuständigen Bundesministerium der Finanzen beschafft werden können. Das ist wohl ein längerer Prozeß.
Gleichzeitig ermitteln die drei Teilstreitkräfte und die Bundeswehrverwaltung derzeit ihren Liegenschaftsbedarf im Beitrittsgebiet.
Erst nach Abschluß dieser laufenden Überprüfungen kann dann entschieden werden, welche Liegenschaften künftig genutzt oder nicht genutzt werden.
Unabhängig vom Ausgang dieser Prüfungen hat der Bundesminister der Verteidigung am 9. Oktober 1990 bereits eine Liste mit über 100 Liegenschaften der ehemaligen Nationalen Volksarmee, die von der Bundeswehr nicht benötigt werden, der Öffentlichkeit bekanntgegeben. In Sachsen-Anhalt liegen 24 dieser freigegebenen Objekte. Es ist beabsichtigt, bereits im November weitere Liegenschaften der ehemaligen Nationalen Volksarmee, an denen zweifelsfrei kein Bedarf der Bundeswehr besteht, zu benen-
Parl. Staatssekretär Wimmer
nen und an das vom Bundesminister der Finanzen verwaltete allgemeine Grundvermögen abzugeben.
Zusatzfrage, Herr Weis.
Ich habe eine Zusatzfrage zu einem konkreten Objekt: Wir wissen alle, daß die technischen und immobilienmäßigen Voraussetzungen für Arbeitsförderungsmaßnahmen bei uns nicht die besten sind. Für das ehemalige Objekt des Grenzkommandos Nord in Stendal hat die Bundeswehr Bedarf nur bezüglich des Verwaltungstraktes angemeldet. Aber der technische Bereich, auf den die Bundesanstalt für Arbeit spekuliert, um dort Weiterbildungsmaßnahmen durchführen zu können, wird zur Zeit von der Bundeswehr nicht freigegeben.
Wimmer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie werden verstehen, daß ich zu diesem konkreten Fall jetzt in Anbetracht von rund 2 000 Liegenschaften nichts sagen kann. Ich bin aber gerne bereit, Ihrer Frage nachzugehen und Ihnen auch schnellstmöglich die Antwort collegialiter zukommen zu lassen, d. h. möglicherweise auch telefonisch. Sie wissen, daß wir bestrebt sind, gerade in enger Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Arbeit auf diesem Feld konstruktiv tätig zu werden. Auch in diesem Fall werden wir uns um schnelle Bearbeitung bemühen.
Zweite Zusatzfrage.
Eine Zusatzfrage habe ich noch, nämlich, ob die Bundesregierung Gespräche mit der Sowjetunion über die Finanzierung und zeitliche Abwicklung einer Aufgabe und Entsorgung des Standortübungsgeländes Letzlinger Heide aufgenommen hat und, wenn nicht, wann sie solches beabsichtigt.
Wimmer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, auch zu diesem konkreten Fall kann ich Ihnen sagen, daß in den Vereinbarungen, die zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik Deutschland über den Abzug geschlossen worden sind, Bestimmungen über die Freistellung von Geländeflächen von Altlasten vorhanden sind. Das soll ja alles in einem bestimmten Zustand übergeben werden. Wir gehen davon aus, daß wir in einer engen Abstimmung auch mit der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte vertragskonform vorgehen werden. Diese Dinge laufen erst an. Der Befehlshaber des Bundeswehrkommandos Ost, General Schönbohm, wird in wenigen Tagen mit dem Oberbefehlshaber der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte zusammentreffen. Dann wird auch der Besuch des Verbindungsstabes der Bundeswehr zur Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte vorbereitet. Und das genau ist ein Themenfeld, das wir gemeinsam behandeln werden.
Herr Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen — weil ja die Frage die zivile Nutzung beinhaltet —: Könnten Sie sich vorstellen, daß solche Flächen, die vorher militärisch genutzt wurden, je nach ihrem Artenreichtum als Naturschutzgebiete
eingerichtet werden könnten? Machen Sie vorher eine Bestandsaufnahme auf dieser Basis, so daß man sagen könnte: Das sind Gebiete, die man wirklich voll der Natur überlassen sollte und die nicht von vornherein für bestimmte industrielle Nutzungen abgegeben werden sollten, so daß auf diesen ehemals militärisch genutzten Flächen vorrangig der Naturschutz eine Chance hätte?
Wimmer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Klejdzinski, Sie wissen, daß die Bundeswehr auf dem Territorium der zehn alten Bundesländer mit Vorrang Umweltschutz betrieben hat. Wir stellen in jedem Jahr rund 500 Millionen DM aus unserem Haushalt im Zusammenhang mit der von Ihnen angesprochenen Problematik zur Verfügung, weil wir der Auffassung sind, daß das wirklich eine zentrale Aufgabe im Bereich der deutschen Streitkräfte ist.
Wir wollen uns natürlich bemühen, in Anbetracht der Aufgabenstellung auf dem Territorium der fünf neuen Bundesländer unseren Standard, was Natur-und Umweltschutz im Bereich der Streitkräfte anbetrifft, möglichst schnell auf die fünf neuen Bundesländer zu übertragen. Das ist die eine Komponente.
Die zweite Komponente ist, daß die Regierung de Maiziere eine eigene Stiftung „Natur und Umwelt" für die Fälle eingerichtet hatte, wo ehemals militärisch genutztes Gelände für Naturschutzaufgaben zur Verfügung gestellt worden ist und werden sollte. Wir haben hier einen Akkord von Vorstellungen mit der ehemaligen Regierung de Maiziere. Wir sind von daher bemüht, im Sinne ihrer Zielsetzung auch unsere weitere Haus-Politik zu betreiben, d. h. Flächen nicht nur abzugeben, sondern auch dort, wo wir bleiben, dazu beizutragen, daß dem bisherigen bundesdeutschen Umweltverständnis in besonderer Weise Rechnung getragen, d. h. ein hoher Standard übertragen wird.
Herr Misselwitz.
Herr Staatssekretär, Ihnen wird bekannt sein, daß in der vormaligen DDR die Länder bzw. dann die Kommunen wenig Rechte hatten, ihre Möglichkeiten gegenüber den Ansprüchen des Staates zu sichern, noch viel weniger gegenüber den Ansprüchen, die von seiten der Sowjetarmee in bezug auf die Nutzung von Liegenschaften, Grundstücken usw. gestellt wurden. Dadurch entstand diesen Gemeinden und Ländern ein Schaden, der ja nicht dadurch aufgehoben ist, daß diese Liegenschaften in Bundesvermögen überführt werden.
Wie stellen Sie sich die Rückführung dieser Liegenschaften in das Eigentum der Gemeinden oder Länder vor?
Wimmer, Parl. Staatssekretär: Dazu kann ich mehrere Dinge ansprechen. Ich bin seit dem 3. Oktober, also seit drei Wochen, auf dem Territorium der fünf neuen Länder unterwegs, um in Gesprächen mit den regionalen Gebietskörperschaften, d. h. Landräten und Oberbürgermeistern, die Bundeswehr vorzustellen. In diese Gespräche werden auch die regionalen Repräsentanten der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte einbezogen, damit wir uns gemeinsam an
Parl. Staatssekretär Wimmer
einen Tisch setzen können, um über diese Fragestellung ein offenes Gespräch zu führen.
Ich habe von den Landräten und Bürgermeistern gehört, daß das zum erstenmal in dieser offenen Form geschieht. Unser Bestreben geht natürlich über diese Maßnahme hinaus dahin, daß wir die regionalen Gebietskörperschaften von uns aus geradezu ermuntern, mit sehr präzisen Vorstellungen über die Nutzung von Liegenschaften zu kommen, die bisher militärischer-seits genutzt sind.
Es ist für uns ein ungeheurer Erfolg: Wir können bis zum Jahre 1994 dazu beitragen, daß die Zahl von derzeit 500 000 Soldaten auf dem Territorium der fünf neuen Bundesländer auf rund 50 000 bis 60 000 reduziert wird.
Wenn ich mir die — wenn es stimmt — rund 2 100 Liegenschaften der ehemaligen NVA und die rund 1 300 Liegenschaften der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte, wobei ja letztlich nicht jeder weiß, was auf diesen Flächen gemacht worden ist, als Potential ansehe, dann will ich nur darauf aufmerksam machen, daß es in diesem Bereich jetzt andere Fragestellungen gibt, als die Zahl noch nach oben zu treiben. Wir wollen in einem engen Dialog mit den fünf neuen Bundesländern und den regionalen Gebietskörperschaften dazu beitragen, daß man sich der eigentlichen Aufgabenstellung auf diesem Territorium etwas besser widmen kann.
Ich schließe diesen Geschäftsbereich. Ich informiere Sie darüber, daß der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Schulte sich etwas verspätet und uns bittet, zunächst den Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit aufzurufen.
Das Monitum ist berechtigt.
Ich rufe also den Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Staatssekretär Gröbl zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 55 der Abgeordneten Frau Wegener auf:
Welche Teile des Sero-Systems der ehemaligen DDR hält die Bundesregierung für erhaltenswert, und welche Maßnahmen unternimmt sie, um diese Teile zu unterstützen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Abgeordnete Wegener, bei den Maßnahmen der Abfallvermeidung und Abfallverwertung im Gebiet der neuen Bundesländer geht es um eine sinnvolle Überleitung der bisherigen SERO-Betriebe auf ein marktwirtschaftliches Konzept. In diesem Jahr wurde das SERO-System mit einem Mittelaufwand des Staates von insgesamt 108 Millionen Mark gestützt, davon 40 Millionen DM nach dem 1. Juli 1990. Auch bei dieser massiven Subventionierung ist dieses System un-
ter marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht funktionsfähig. Die Einsammlung durch ein personalintensives Netz von Sammelstellen ist nicht finanzierbar angesichts hoher Kosten für das Recycling, niedriger Weltmarktpreise für Rohstoffe und geringer Nachfrage nach bestimmten Sekundärrohstoffen.
Die Rückführung von Wertstoffen in den Wirtschaftskreislauf muß deshalb über andere Instrumente durchgesetzt werden. Die Bundesregierung greift deshalb zu den Maßnahmen nach § 14 des Abfallgesetzes.
In diesem Zusammenhang unterstützt die Bundesregierung die Bemühungen, erhaltenswerte Teile des SERO-Systems in private Organisationsformen zu überführen.
Der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit begrüßt das Konzept der Vertreter der deutschen Entsorgungswirtschaft, gemeinsam mit der SERO-Gesellschaft in den neuen Bundesländern in Kürze ein Bring-Hol-System aufzubauen, mit dem Verpackungen dem Wirtschaftskreislauf wieder zugeführt werden. Bis Ende 1991 soll dieses System flächendeckend aufgebaut sein.
Eine analoge Einführung des früheren SERO-Systems in den bisherigen Ländern der Bundesrepublik Deutschland kommt nicht in Betracht.
Zusatzfrage, Frau Wegener.
Meine Frage war, welche Teile des SERO-Systems die Bundesregierung für erhaltenswert hält. — Ist es also so, daß Sie das für erhaltenswert halten, was Sie mit Bring-Hol-System umschreiben? Praktisch heißt das: Such' dich gesund, finde eine Annahmestelle und gib es dort ab — wenn du kannst. Denn zur Zeit ist die Situation ja so, daß Altstoffe, selbst wenn man sie unentgeltlich abgeben möchte, überhaupt nicht abgenommen werden. Deswegen kann ich mich mit der Beantwortung der Frage, was den ersten Teil angeht, nicht zufriedengeben.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Es werden die Teile des SERO-Systems übernommen werden, die sich nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen in den Aufbau eines dualen Entsorgungssystems einfügen lassen.
Zweite Zusatzfrage.
Konkret bitte: Welche Teile sind denn das Ihrer Meinung nach?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen die Einzelteile der jetzigen 15 GmbHs des gesamten SERO-Systems und der Holding nicht nennen — weder personell noch von den Immobilien her —, die von den Entsorgern zu übernehmen sind.
Herr Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, ich gehe davon aus, daß wir in einer gemeinsamen Welt leben.
Dr. Klejdzinski
Und wenn ich die Welt beurteile, so wie ich unseren Bereich beurteile, dann komme ich zu dem Ergebnis: Wir ersticken im Abfall. Wir wissen nicht mehr, wohin wir den Abfall bringen können. Wir wissen nicht mehr, wie wir die Deponien verfüllen sollen. Dennoch sagen Sie in diesem Zusammenhang, das ist zu teuer, das können wir nicht bezahlen, also wollen wir erst einmal zwei Jahre warten. Das heißt, daß in der Zwischenzeit Müllberge entstehen, weil nicht entsorgt wird. Halten Sie das für ein verantwortungsvolles Handeln dieser Bundesregierung?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Ich weiß, daß Sie ein anderes Verhältnis zum öffentlichen Geld, zum Steuergeld haben als wir.
Ich möchte Ihnen aber mitteilen, daß die bundesdeutsche Entsorgungswirtschaft von sich aus die Aufgabe übernommen hat, die Wertstoffe, die innerhalb des SERO-Systems gesammelt wurden und nicht mehr absetzbar waren, zu entsorgen und nach Möglichkeit einer sinnvollen Verwertung zuzuführen.
Herr Dr. Seifert.
Ich habe auch noch eine Zusatzfrage, die sich darauf bezieht, daß Sie gerade gesagt haben, daß das in diesem Jahr 108 Millionen Mark gekostet hätte. Finden Sie nicht, daß diese Summe — im Vergleich zu dem Schaden, den der Müll anrichtet — eine vergleichsweise lächerliche Summe ist, wenn wir hinsichtlich dieser Investition nicht das Verhältnis zum Geld, sondern das Verhältnis zur Umwelt als Maßstab nehmen?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: 108 Millionen Mark sind mit Sicherheit keine lächerliche Summe. Im übrigen sind wir der Auffassung — deshalb haben wir auch einen entsprechenden Verordnungsentwurf vorgelegt —, daß die Entsorgung und das Wieder-in-den-Kreislauf-Bringen von Rohstoffen aus dem Abfall Aufgabe der Wirtschaft sind. In diesem Sinne wird die Verordnung im November vom Bundeskabinett verabschiedet werden.
Sie haben keine weitere Zusatzfrage. — Herr Abgeordneter Kleiner!
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann besteht das Konzept der Bundesregierung darin, daß man die Absicht verfolgt, einen Teil dieses alten Systems auf privater Grundlage fortzusetzen.
Nun frage ich Sie, Herr Staatssekretär: Befürchten Sie nicht, daß die volle Privatisierung von Bereichen, über die Sie uns hier offenbar keine näheren Auskünfte geben können, am Ende dazu führt, daß von diesem System nichts übrigbleiben wird? Teilen Sie meine Befürchtung, daß man in diesem Bereich davon
ausgehen muß, daß vieles nach streng marktwirtschaftlichen Gesetzen nicht rentabel sein kann und daß von daher zu befürchten ist, daß am Ende das ganze System auf der Strecke bleibt?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Ihre gesamten Befürchtungen teile ich nicht. Entsprechend unserem Verordnungsentwurf — die Verordnung wird im November in Kraft treten — wird die private Wirtschaft dafür sorgen, daß die Wertstoffe, die im Verpackungsmüll enthalten sind, dem Wirtschaftskreislauf wieder zugeführt werden. Alles, was aus dem SERO-System für diese Tätigkeit mit aufgenommen werden kann, wird von der bundesdeutschen Entsorgungswirtschaft übernommen werden.
Herr Dr. Dörfler.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß sich das Abfallvolumen bei kommunalem Müll in der ehemaligen DDR im letzten Jahr verdoppelt hat, d. h. daß wir eine Wachstumsrate von 100% zu verzeichnen haben? Wie vereinbaren Sie diese Entwicklung mit dem Grundsatz der Abfallvermeidung? Ich frage deshalb, weil Sie noch nicht darauf eingegangen sind; Sie haben immer nur von Abfallverwertung gesprochen.
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Das Abfallverhalten ist natürlich auch das Spiegelbild des verfügbaren Wohlstandes.
— Natürlich. — Bei Ihrer Frage ist zwischen den wiederverwertbaren Bestandteilen des Abfalls, etwa der Verpackungen — darüber haben wir uns jetzt unterhalten —, und den zu entsorgenden Bestandteilen des Abfalls zu unterscheiden. Hierfür sind nach unserem Recht die Kommunen zuständig. Die Kommunen werden sich in zunehmendem Maße an das Niveau der Abfallentsorgung heranarbeiten müssen, das wir in der alten Bundesrepublik erreicht haben.
Herr Kollege, ich habe noch eine Frage. Sie argumentieren immer, ein solches System müsse marktwirtschaftlichen Erfordernissen entsprechen. Ich will jetzt nicht darüber diskutieren, ob das ausreichend für die Lösung der Abfallprobleme ist — offensichtlich ist das nicht der Fall —, aber in der ehemaligen DDR stehen wir doch vor der Situation, daß dieses marktwirtschaftliche System noch nicht greift und daß wir noch Zeit brauchen, vielleicht zwei, drei Jahre, ehe auch die materiellen Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Jetzt wird das Alte vernichtet, das Neue entsteht noch nicht. In dieser Zeit entstehen teilweise nicht wiedergutzumachende Umweltschäden. Das ist die Frage, die uns bewegt. Können Sie uns darauf eine Antwort geben?
Gröbl, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen hierauf gerne eine Antwort geben. Aus der Tätigkeit der bundesdeutschen Entsorgungswirtschaft, nämlich die vorhandenen Wertstoffe von den Sammelstellen des SERO-Systems abzufahren und sie einer Wiederverwertung zuzuführen, ersehen Sie unser verantwortliches Handeln mit dem Ziel, einen Anstieg des Müll-
Parl. Staatssekretär Gröbl
volumens in dem von Ihnen befürchteten Umfang zu verhindern.
Danke schön.
Damit schließe ich die Fragestunde. Die weiteren Fragen zu diesem Komplex werden morgen beantwortet.
Meine Damen und Herren, zunächst möchte ich Frau Kollegin Renger, die am 7. Oktober Geburtstag feierte, Herrn Kollegen Dr. Dollinger, der am 10. Oktober seinen 72. Geburtstag beging, und Herrn Dr. Abelein, der am 20. Oktober seinen 60. Geburtstag beging, nachträglich die herzlichsten Glückwünsche des Hauses aussprechen.
Aufgrund der vom Deutschen Bundestag am 5. Oktober 1990 beschlossenen Änderung der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Vermittlungsausschuß sind noch je fünf Mitglieder und Stellvertreter in den Ausschuß zu wählen. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt als Mitglieder die Abgeordneten Dr. Friedrich, Gerster und Dr. Krüger sowie als Stellvertreter die Abgeordneten Zeitlmann, Dr. Geisler (Radeberg) und Klinkert vor. Die Fraktion der SPD schlägt als ordentliche Mitglieder die Abgeordneten Frau Krehl und Schultze sowie als Stellvertreter die Abgeordneten Frau Dr. Lucyga und Gutzeit vor. Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Damit sind die genannten Kolleginnen und Kollegen in den Vermittlungsausschuß gewählt.
Mehrere Gesetzentwürfe, die wir in dieser und in der nächsten Woche verabschieden wollen, enthalten noch die sogenannte positive Berlin-Klausel, die inzwischen gegenstandslos geworden ist. Um zu vermeiden, daß in jedem dieser Fälle ein Änderungsantrag zur Streichung der Klausel gestellt und beraten werden muß, bitte ich Sie um Zustimmung, daß wir die Bundestagsverwaltung generell ermächtigen, die Berlin-Klausel bei der Fertigung der Gesetzesbeschlüsse zu streichen. — Sie sind einverstanden. Ich glaube, davon kann ich ausgehen. Es ist ja eine schöne Sache, diese Klausel endlich streichen zu dürfen.
Nun komme ich noch zu einigen amtlichen Mitteilungen.
Herr Kollege Dr. Briefs teilt mit, daß er am 1. Oktober 1990 aus der Fraktion DIE GRÜNEN ausgetreten ist und nunmehr dem Deutschen Bundestag als fraktionsloser Abgeordneter angehören wird.
Mit Schreiben vom 8. Oktober teilte mir Herr Kollege Hüser mit, daß seine Fraktion seit dem 4. Oktober 1990 die Bezeichnung „DIE GRÜNEN/Bündnis 90" führt.
Der Abgeordnete Gauck hat am 4. Oktober 1990 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet.
Als Nachfolgerin hat Frau Abgeordnete Wollenberger am 5. Oktober 1990 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße die neue Kollegin sehr herzlich.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um die Ihnen in der Zusatzpunktliste vorliegenden Zusatzpunkte erweitert werden:
1. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ältestenrates: Anerkennung von 24 von der Volkskammer der ehemaligen DDR in den Deutschen Bundestag zugewählten Mitgliedern als Fraktion, hilfsweise als Gruppe gem. § 10 Abs. 4 GOBT - Drucksache 11/8169 -
2. Aktuelle Stunde: Maßnahmen der Bundesregierung zur Sicherung der im Einigungsvertrag beschlossenen treuhänderischen Unterstellung der Vermögenswerte der SED/PDS und der ehemaligen Blockparteien
3. a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik — Drucksachen 11/7029, 11/8177, 11/8178 -
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Rust, Such und der Fraktion DIE GRÜNEN: Sicherheitsprobleme der Informations- und Kommunikationstechniken — Schutz von Individuum und Gesellschaft — Drucksachen 11/7246, 11/8177 -
4. Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über den Entwicklungsstand des Jagdflugzeuges 90 —
Drucksache 11/7533 —
Zugleich soll, soweit erforderlich, von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden. — Auch dazu kann ich das Einverständnis feststellen.
Darüber hinaus soll noch eine Ergänzung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum ERP-Wirtschaftsplangesetz 1991 auf Drucksache 11/8152 an den Wirtschaftsausschuß zur federführenden Beratung sowie an den Innerdeutschen Ausschuß, an den Umweltausschuß und an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. — Auch das stelle ich fest.
Weiterhin soll der in der 229. Sitzung dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit zur federführenden Beratung überwiesene Gesetzentwurf der Bundesregierung zum 4. AKP-EWG-Abkommen von Lome nunmehr dem Auswärtigen Ausschuß zur federführenden Beratung und dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit zur Mitberatung überwiesen werden. Die Mitberatung der anderen Ausschüsse bleibt bestehen. Sind Sie mit diesen Ergänzungen und Vereinbarungen einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 1 zur Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ältestenrates
Anerkennung von 24 von der Volkskammer der ehemaligen DDR in den Deutschen Bundestag zugewählten Mitgliedern als Fraktion,
Vizepräsident Westphal
hilfsweise als Gruppe gem. § 10 Abs. 4
GOBT
- Drucksache 11/8169 -
Hierzu liegen Änderungsanträge der Abgeordneten Dr. Gysi, Dr. Keller, Dr. Riege und Dr. Heuer auf den Drucksachen 11/8189 und 11/8190 vor. Interfraktionell ist für die Beratung eine Fünfminutenrunde vereinbart worden. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Berichterstattung erteile ich der Präsidentin des Deutschen Bundestages als Vorsitzender des Ältestenrats.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Erweiterung des Deutschen Bundestages um 144 Abgeordnete sind auch 24 von der Volkskammer auf Vorschlag der dortigen PDS-Fraktion gewählte Abgeordnete in den Deutschen Bundestag eingezogen.
Mit Schreiben vom 9. Oktober 1990 hat mir der Abgeordnete Dr. Gysi mitgeteilt, diese 24 Abgeordneten wünschten den Zusammenschluß und die Anerkennung als Fraktion der PDS des Deutschen Bundestages.
Schon vorher, nämlich unmittelbar nach Erhöhung der Mitgliederzahl des Bundestages, hat sich der Ältestenrat am 5. Oktober 1990 mit dieser Frage befaßt. Dazu hatten wir den Kollegen Dr. Gysi eingeladen. Er hat bereits dort die Auffassung der 24 Abgeordneten eingebracht. Der Ältestenrat kam übereinstimmend zu der Empfehlung, der Abgeordnete Dr. Gysi möge uns seine konkreten Vorstellungen bitte schriftlich übermitteln.
Nach Eingang des Schreibens vom 9. Oktober 1990 wurden die Gespräche in der vergangenen Woche fortgesetzt, und zwar wiederum unter Beteiligung eines Mitglieds der PDS. Die Vorstellungen der PDS zu ihrem künftigen Status im Deutschen Bundestag finden Sie im Anhang der vorliegenden Beschlußempfehlung.
In erster Linie wurde eine Anerkennung als Fraktion, hilfsweise die Anerkennung als Gruppe gemäß § 10 Abs. 4 unserer Geschäftsordnung angestrebt.
Es war deshalb zunächst zu beraten, ob die Anerkennung als Fraktion in Betracht komme. § 10 unserer Geschäftsordnung verlangt jedoch, daß sich mindestens 5 % der Mitglieder des Hauses zu einer Fraktion zusammenschließen. Diese Zahl liegt heute bei 34 Abgeordneten. Die PDS bleibt also mit den auf Vorschlag der Volkskammer gewählten 24 Abgeordneten unter diesem Quorum.
Es bestand deshalb nach Auffassung des Ältestenrates kein Anlaß, von diesen geschäftsordnungsrechtlichen Vorgaben bis zum Ende dieser Wahlperiode abzuweichen. Das gilt um so mehr, als im Ältestenrat keine Bedenken dagegen bestanden, die PDS als Gruppe gemäß § 10 Abs. 4 unserer Geschäftsordnung anzuerkennen und diesen Gruppenstatus so auszugestalten, daß die parlamentarische Mitwirkung gewährleistet ist.
In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, daß unsere Geschäftsordnung zwar die Institu-
tion der Gruppe kennt. Mit der Möglichkeit, eine Gruppe anzuerkennen, sind aber nach dem Text der Geschäftsordnung zunächst keine besonderen Rechte verbunden. Deren Festlegung ist der autonomen Entscheidung des Deutschen Bundestages zur Organisation seiner Verfahren und Arbeit vorbehalten. Deswegen ist die heutige Beratung notwendig geworden.
Auch seitens der PDS sind Vorstellungen entwickelt worden, wie dieser Gruppenstatus beschaffen sein soll. Die entsprechenden Vorschläge finden Sie im bereits erwähnten Anhang zur Beschlußempfehlung.
Nicht alle Forderungen der PDS konnten Zustimmung finden. Die demgegenüber jetzt angebotene Ausgestaltung des Gruppenstatus bietet eine gute Grundlage für die PDS, in dem verbleibenden Zeitraum der Legislaturperiode, die ja nach dieser nur noch eine Sitzungswoche und einen weiteren Sitzungstag am 22. November 1990 haben wird, an der parlamentarischen Arbeit mitzuwirken.
Die nach der Beschlußempfehlung des Ältestenrates der Gruppe der PDS zuzuerkennenden Rechte finden sich unter Ziffer 2 der Ihnen vorliegenden Beschlußempfehlung. Hervorheben möchte ich das Recht, in den Ältestenrat ein Mitglied und in jeden Fachausschuß je ein ordentliches beratendes und ein stellvertretendes beratendes Mitglied mit Antragsund Rederecht zu entsenden. Daneben können Vorlagen eingebracht werden, die eigentlich den Fraktionsstatus voraussetzen, also insbesondere Gesetzentwürfe und selbständige Anträge, Große Anfragen und Wahlvorschläge. Die Rechte, die in § 75 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung den Fraktionen vorbehalten sind, werden also gewährt.
Weiterhin soll der Gruppe bei Aussprachen im Plenum in Relation zu ihrer Stärke die entsprechende Redezeit eingeräumt werden. Schließlich ist auch die erforderliche finanzielle, technische und personelle Unterstützung vorgesehen.
Es versteht sich von selbst, daß diese Ausgestaltung des Gruppenstatus natürlich nur für diese Wahlperiode festgelegt werden kann.
Ich denke, daß die Beschlußempfehlung des Ältestenrates einen fairen Ausgleich zwischen den vorgetragenen Auffassungen darstellt, und bitte Sie um Ihre Zustimmung.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Riege.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Empfehlung des Ältestenrats, die auf unseren Antrag hin begründet worden ist, den Hauptantrag auf Anerkennung als Fraktion abzulehnen und den Hilfsantrag auf Anerkennung als Gruppe mit bestimmten Modifikationen zu bejahen, kann ich für mich und meine Kollegen, die die Anträge eingebracht haben, nicht zustimmend zur Kenntnis nehmen.
Ich möchte etwas zum Motiv unseres Antrags sagen und auch darauf verweisen, daß das, was heute ent-
Dr. Riege
schieden wird, im Unterschied zu dem, was Sie, Frau Präsidentin, soeben gesagt haben, mir doch etwas zu sein scheint, was auch eine gewisse präjudizierende Wirkung haben wird.
Die Bemerkung, das, was heute entschieden wird, sei etwas für wenige Tage oder Wochen, glaube ich nach den Usancen des Hauses nicht so verstehen zu können.
— Man nimmt ja nicht nur das zur Kenntnis, was man in diesem Saal unmittelbar mitbewirkt. Sie können von Ihrer Tätigkeit so überzeugt sein, daß sie auch schon bisher die Aufmerksamkeit eines Beobachters außerhalb dieses Bereichs gefunden hat.
Lassen Sie mich bitte noch folgendes sagen. Es gibt ein formelles Argument, das vorgetragen worden ist: Die Geschäftsordnung verlange als Voraussetzung für die Fraktionsbildung 5 % der Mitglieder des Hauses. Der Ältestenrat hat keinerlei Veranlassung gesehen
— wie es in der Beschlußempfehlung heißt —, von dieser Quote abzusehen.
Ich möchte aber auf folgendes verweisen. Der in Betracht gezogene § 10 der Geschäftsordnung enthält ja noch eine andere Aussage als die, daß mindestens 5 % der Mitglieder des Bundestags von der Stärke her die Voraussetzung für die Bildung einer Fraktion sind. Es gibt einen weiteren Satz in § 10 Abs. 1, wonach abweichend davon eine Entscheidung getroffen werden kann, die der Bundestag zu bestätigen hat. Diese Möglichkeit sollte gesehen und genutzt werden.
Dafür sehe ich Gründe. Die Fraktion der PDS war in der Volkskammer ja keine kleine Fraktion. Wir hatten 66 Mitglieder. Daß durch eine Entscheidung, die in den zwischenstaatlichen Verträgen getroffen worden ist, eine Situation eingetreten ist, die unsere Mitglieder von 66 auf 24 reduziert, darf dieser Abgeordnetengruppe nicht angelastet werden.
Als Grund sehe ich erstens den Umstand, daß diese Abgeordneten auf die gleiche Weise wie alle anderen im demokratischen Wahlprozeß legitimiert worden sind. Ich kann nicht anerkennen, daß es hier eine differenzierte Bewertung gibt. Nicht nur die abstrakte Bewertung ist unterschiedlich, sondern es kommt zu einer differenzierten Bewertung und zu veränderten Möglichkeiten, unserem Mandat, das in gleicher Weise begründet worden ist, Rechnung zu tragen.
Ich sehe das, was dem Hohen Haus als Empfehlung gegeben wird, nicht in Übereinstimmung mit dem Geist der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu dem Wahlvertrag und dazu, wie die wahlrechtliche Ausgestaltung vorgenommen werden soll. Eine Chancengleichheit wird vom Bundesverfassungsgericht explizit angeregt und gefordert. Genau das wird in der Entscheidung, die heute empfohlen wird, nicht bejaht.
Ich habe kein Verständnis dafür,
daß es den Abgeordneten meiner Gruppe, wenn sie auch Antragsrechte haben sollen, die sich aus § 75 der Geschäftsordnung ergeben, und z. B. auch Gesetzesinitiativen einbringen können, verwehrt sein soll, in den Entscheidungsprozeß über diese Anträge z. B. Entschließungsanträge zu Gesetzentwürfen einzubringen. Eine Logik kann ich in diesem Zusammenhang überhaupt nicht erkennen.
Ich habe auch kein Verständnis dafür, daß wir in den Ausschüssen nur eine beratende Mitwirkung zeigen dürfen. Die werden wir selbstredend ausüben, aber das kann nicht das sein, was unserem Selbstverständnis entspricht.
Beratende Teilnahme im Ältestenrat ist das Analo-gon.
Etwas Größe des Bundestages in bezug auf unseren Antrag würde ich für sehr günstig erachten.
Herr Abgeordneter, würden Sie bitte mal rechts auf dieses Licht gucken?
Ein letztes Wort darf ich bemerken. Wir werden finanziell, abgesehen davon, daß unser Hilfsantrag ohnehin stark reduziert worden ist, eigentlich so gestellt, wie es einer Gruppe zukommt, die zur Regierungskoalition gehört. Die sind wir noch nicht; der Vorgriff ist wohl etwas weit.
Es wäre also schön, wenn die Dinge, die einer Oppositionsgruppe zustünden, auch hier bejaht werden könnten.
Danke.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege, es steht Ihnen natürlich frei, nach Karlsruhe zu gehen. Ich finde, wir — alle drei Fraktionen, die hier beteiligt sind — haben uns sehr viel Mühe gegeben, Ihnen gerecht zu werden und Ihnen deutlich zu machen, wie man Opposition in einer parlamentarischen Demokratie zu behandeln hat.
Nachdem Sie die Finanzen angesprochen haben, meine ich: Nach dem großen Unglück, das Sie über unser Land und viele Menschen in unserem Land gebracht haben, wäre etwas mehr Bescheidenheit doch sehr angebracht gewesen.
Bohl
§ 10 Abs. 4 Satz 1 unser Geschäftsordnung lautet:
Mitglieder des Bundestages, die sich zusammenschließen wollen, ohne Fraktionsmindeststärke zu erreichen, können als Gruppe anerkannt werden.
Sie erreichen Fraktionsstärke nicht, weder wenn man 519 unterstellt noch wenn man die jetzige Größe unterstellt, so daß die Möglichkeit gegeben ist, Sie als Gruppe anzuerkennen. Wir sind dazu nicht verpflichtet, wir können es tun. Wir haben uns dazu entschlossen, dem zu folgen.
Dabei füge ich gleich hinzu: Was wir jetzt vorgesehen haben, gilt für diese Legislaturperiode. Ich will nicht verhehlen, daß damit natürlich ein gewisser Trend auch für das gegeben ist, was vielleicht in der 12. Legislaturperiode zu entscheiden ist: Aber dann ist neu zu entscheiden. Auch die Frage, die sich aus der Tatsache ergibt, daß wir dann zwei Wahlgebiete haben, wird rechtlich und tatsächlich zu prüfen sein. Es geht hier nur um eine Entscheidung für diese restliche Wahlperiode.
Sie monieren gerade die Thematik Ausschußbesetzung. Wir sind schon der Auffassung, daß es möglich ist, für diesen begrenzten Zeitraum zu einem solchen Verfahren zu kommen. Wir haben die Ausschüsse nicht vergrößert. Auch meine Fraktion hätte Anspruch darauf, bei dem neuen Stärkeverhältnis im Bundestag einen Ausschußvorsitz mehr zu bekommen. Wir haben darauf verzichtet, weil es, glaube ich, ganz opportun ist, hier auf eine Umgestaltung und Umgruppierung zu verzichten. Sie müssen deshalb zur Kenntnis nehmen, daß wir für diese Zeit mit dem vorgesehenen Verfahren den Gegebenheiten doch sinnvoll Rechnung tragen.
Ich darf darauf hinweisen, daß wir im Jahre 1960 eine ähnliche Situation hatten — es war der einzige Fall —, wo eine Gruppe im Deutschen Bundestag mit Gruppenstatus anerkannt wurde. Damals hat Präsident Gerstenmaier auch festgestellt, daß die Mitglieder der damaligen Gruppe für den Rest der Legislaturperiode in den Ausschüssen mit beratender Stimme teilnehmen können. Das galt, worauf ich hinweisen möchte, auch für die Leitungsgremien.
Daraus wird deutlich, daß wir hier nichts willkürlich getan haben, sondern daß wir uns sehr viel Mühe gegeben haben, einen vernünftigen Ausgleich zu finden. Wir sind uns sehr wohl bewußt, daß der Gruppenstatus mehr bedeutet als die Rechte für einen fraktionslosen Abgeordneten, daß die Gruppenrechte aber auch weniger bedeuten als Fraktionsrechte. Wir mußten einen Mittelweg finden. Ich gehe davon aus, daß wir ihn gefunden haben und damit in Karlsruhe, wenn Sie diesen Weg gehen sollten, Bestand haben werden.
Abschließend darf ich darauf hinweisen, daß Sie auch bei der Redezeit — daran wird das exemplarisch deutlich — so gestellt werden, wie es angemessen ist: Sie sollen bei einer vereinbarten Debattendauer von einer Stunde fünf Minuten Redezeit bekommen; sieben Minuten hat die Fraktion der GRÜNEN/Bündnis 90. Das zeigt, daß wir den richtigen Weg gehen. Ich darf darauf hinweisen, daß die Bonner Stunde
damit in Zukunft nicht nur 61 Minuten, sondern 66 Minuten beträgt.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Ich bitte um Zustimmung zu dieser ausgewogenen Vorlage.
Frau Kollegin, ich hatte keine Gelegenheit, den Abgeordneten zu fragen, ob er seine Rede unterbrechen wollte, um Ihnen eine Frage zu beantworten. Insofern müssen Sie akzeptieren, daß Sie nun eine andere Gelegenheit suchen müssen, ihn zu fragen.
Herr Hüser ist der nächste Redner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man muß zwei Punkte sehr deutlich auseinanderhalten: Einerseits ist die PDS die Nachfolgepartei der SED. Die Abgrenzung zu Ihrer Vorgängerin und die Verantwortung, die Sie tragen, sind nicht gerade sehr glaubwürdig und werden auch nicht sehr deutlich herausgebracht.
Wir kritisieren dies, und wir werden dies weiter diskutieren müssen. Was die finanziellen Angelegenheiten betrifft, werden wir in der Aktuellen Stunde nachher darüber reden. Das ist alles andere als klar.
Allerdings ist dies alles keine Begründung dafür, der PDS den Fraktionsstatus zu verweigern. Wer der PDS oder der einen oder anderen Gruppe, die in diese Situation kommen könnte, diesen Status verweigert, hat kein Vertrauen in das demokratische Selbstbewußtsein der Mehrheit der Menschen in der ganzen neuen Bundesrepublik. Sie wissen doch alle — das dürfte Ihnen nicht entgangen sein —, daß es Hunderttausende von ehemaligen DDR-Bürgerinnen und -Bürgern gegeben hat, die, aus welchen Gründen auch immer und ob uns das paßt oder nicht, die PDS gewählt haben oder noch wählen. Wenn der Neuanfang der Republik nicht wieder mit Diskussionsverboten und Behinderungen von politisch Andersdenkenden beginnen soll, muß gerade hier die politische Auseinandersetzung mit der PDS gesucht werden. Wir werden uns dieser Diskussion stellen.
Besonders Parteiverbot, wie sie z. B. Herr Neusei vom Innenministerium im Kopf hat, verhindern diese Auseinandersetzung. Sie verschaffen damit der PDS erst ein politisches Gewicht, das sie überhaupt nicht hat. Wir können dem Haus im Umgang mit der PDS eigentlich nur scharfe Kritik, etwas mehr Gelassenheit und selbstverständlich Gleichbehandlung empfehlen. Wir wissen, daß Sie auf der Regierungsseite dazu neigen, parlamentarische Mehrheiten nicht als Auftrag, sondern eher als Verfügung über die Minderheit zu begreifen.
Hüser
— Ihre Reaktionen zeigen, daß ich genau richtig getroffen habe. Sie tun bei der Frage der Anerkennung des Fraktionsstatus der PDS so, als wenn dieser Status Ihre Behandlung der Opposition besonders behindern würde. Bei Ihnen haben sogar die Mitglieder Ihrer Fraktion kaum Rechte.
Von daher kann ich es verstehen, wenn Sie mit dem Antrag der PDS so umgehen und etwas ungemütlich werden. Wir haben gegen den Antrag überhaupt nichts einzuwenden. Wir freuen uns auf eine Diskussion. Wir werden uns dieser kritisch stellen.
Ich will in der mir noch verbliebenen Zeit zu einigen anderen Punkten grundsätzlich Stellung nehmen, aber auch zu den Anträgen, die die PDS sozusagen hilfsweise gestellt hat und die meines Erachtens deutlich machen, daß die Argumentation der Mehrheit im Ältestenrat etwas schwammig ist.
Wir haben einerseits grundsätzlich gesagt — auch Sie haben das immer so beurteilt —, daß die Fraktionsstärke mit der Sperrklausel ursächlich zusammenhängt. Wir haben hier mehrfach deutlich gemacht, daß wir die Sperrklausel für undemokratisch halten.
Von daher leitet sich unsere Argumentation für die Anerkennung des Fraktionsstatus aus der Diskussion um die Sperrklausel ab, und wir halten es für notwendig und richtig, daß jede Gruppe, die in den Bundestag hineinkommt, alle parlamentarischen Rechte bekommt, die andere Parteien, Fraktionen oder Gruppen hier eben auch haben. Dies gilt selbstverständlich auch für die PDS.
Zwei weitere Punkte, die das deutlich machen. Nach Ihrer Vorlage wollen Sie der PDS kein Stimmrecht im Ältestenrat und in den Ausschüssen geben. Ich denke, gerade dieses Stimmrecht ist Ausdruck und elementarer Teil der parlamentarischen Mitwirkung in diesen Gremien. Dieses zu verweigern wäre eine eklatante Mißachtung. Der zweite Punkt, bei dem Ihre Schwammigkeit noch deutlicher wird, ist der Buchstabe b, nach dem Sie der PDS als Gruppe Antragsrecht nach § 75 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung gewähren wollen, d. h. sie hat das Recht, hier bestimmte Anträge zu stellen. Aber was macht es für einen Sinn, dieser Gruppe das Recht zu gewähren, z. B. Gesetzentwürfe einzubringen, ihr aber gleichzeitig das Recht zu verweigern, diesen Gesetzentwurf nach einer gewissen Zeit auch auf die Tagesordnung setzen zu lassen? Das heißt, sie können Anträge stellen, aber sie haben nie die Chance, daß diese hier auch behandelt werden. Falls sich die Mehrheit dann doch dazu herablassen sollte, daß die Anträge hier behandelt werden, haben sie nicht das Recht, zu ihrem eigenen Gesetzentwurf einen Entschließungsantrag zu stellen. Auch das gibt überhaupt keinen Sinn. Dies zeigt, daß diese Abgrenzung meines Erachtens willkürlich gewählt worden ist. Ich denke, hier wer-
den Sie vor dem Verfassungsgericht Schwierigkeiten bekommen. Gerade die Begründung des Urteils zum Wahlrechtgesetz hat doch deutlich gemacht, daß die Rechte für die PDS schon jetzt gewährt werden müssen. Sie werden nicht umhinkönnen, diese Rechte dieser Gruppe, falls sie in den nächsten Bundestag einzieht, dann auch so zu gewähren.
Wir können Ihnen nur empfehlen: Lehnen Sie die Beschlußempfehlung des Ältestenrates ab, und geben Sie der PDS den Fraktionsstatus, damit wir uns hier alle auf gleichberechtigter Basis um die politischen Inhalte streiten können.
Das Wort hat der Abgeordnete Jahn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bitte ich darum, der Vorlage des Ältestenrats zuzustimmen, die Änderungsanträge der PDS und der GRÜNEN abzulehnen.
Meine Damen und Herren, wir haben uns hier mit einer Frage der Geschäftsordnung auseinanderzusetzen, die die innere Ordnung dieses Hauses bestimmt. Diese innere Ordnung unseres Hauses beruht auf langer Erfahrung. Aus guten Gründen haben wir Regeln aufgestellt, wer hier eine Fraktion bilden kann und wer nicht. An diese Ordnung haben wir uns zu halten, auch wenn wir uns in der gegenwärtigen Übergangszeit natürlich vor neue Fragen gestellt sehen. Die PDS hat das selber erkannt, denn sie hat von vornherein alternativ den Antrag gestellt, als Gruppe anerkannt zu werden, in der Einsicht dessen, daß alles zu verlangen weder klug noch ein Ansinnen wäre, dem sich andere ohne weiteres anschließen könnten.
Wir haben in dieser Auseinandersetzung den Grundsatz für uns festgelegt: Die PDS soll in diesem Hause nicht bevorzugt, sie soll aber auch nicht benachteiligt werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Ostrowski?
Aber bitte, ja.
Herr Abgeordneter, sind Sie nicht auch meiner Meinung, daß Regeln und Gesetze — dazu gehören auch Geschäftsordnungen — dann überarbeitet werden müssen, wenn sie dem Leben nicht mehr entsprechen?
Ansonsten könnte sich unsere Gesellschaft ja im Römischen Recht oder sonstwo bewegen.
Ich komme auf die von Ihnen aufgeworfene Frage gleich noch zurück.
Ich finde, die Regelung, die wir hier getroffen haben, ist hart, sehr hart an der Grenze einer Bevorzu-
Jahn
gung dieser Gruppe und nicht einer Benachteiligung.
Hier werden sehr überlegt und zueinander abgewogen eine Reihe von Rechten dieser Gruppe ausdrücklich zuerkannt und damit die Grundlage dafür geschaffen, daß eben das stattfinden kann, Herr Kollege Hüser, was Sie eben in Abrede stellen wollten, nämlich die politische Auseinandersetzung. Diese wollen wir auch mit der PDS, und sie hat dann und nur auf diesem Wege die Möglichkeit, sich als Gruppe zu artikulieren, ihre Vorstellungen in die Debatte einzubringen und damit die Voraussetzung für eine solche Auseinandersetzung zu schaffen.
Die formale Berufung auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, die Herr Kollege Riege hier in Anspruch genommen hat, kann schön deswegen nicht greifen, weil es einen ganz anderen Gegenstand hatte. Das Bundesverfassungsgericht hatte sich nämlich mit der Frage des Wahlrechts auseinanderzusetzen, und es ist keineswegs so — dieser Legendenbildung muß vorgebeugt werden —, daß Entscheidungen, die in bezug auf das Wahlrecht ergehen, automatisch ihren Niederschlag in unserer Geschäftsordnung finden müssen.
Wir haben eine Übergangsregelung zu finden. Diese Übergangsregelung ist fair gegenüber den Antragstellern, der PDS. Die Mehrheit ist bereit, den Antrag mit der Maßgabe der Vorlage des Ältestenrates anzunehmen. Ich finde, das sollte eine gute Grundlage sein, auf der die PDS bereit sein kann, an der Arbeit in diesem Hause mitzuwirken. Wenn sie dieses Angebot nicht annehmen will — Herr Kollege Riege, da sind Sie eine letzte Klarheit schuldig geblieben —, dann sollte sie dies sagen. Dann würden daraus Konsequenzen erfolgen, die uns die politische Auseinandersetzung mit Ihnen sehr erschweren. Das allerdings würden wir bedauern.
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Wir verfahren hier nach der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Im bisher und bis zum 2. Dezember auch weiterhin geltenden § 10 Abs. 4 sind die Gruppenrechte geregelt. Nach der bisherigen Position sind sie sehr gering. Nach dem Wahlgesetz gab es ja auch bisher und gibt es weiterhin die Möglichkeit, daß nach Wahlen eine Gruppierung in den Bundestag einzieht, die auf Grund von drei gewonnenen Direktmandaten zusätzlich die Stimmen angerechnet bekommt. Eine solche Gruppierung kann weit unter 5 % liegen.
Dafür hat die Geschäftsordnung vorgesorgt, indem sie sagt, daß sich in diesem Fall eine Gruppe konstitu-
ieren kann. Diese Gruppe hat, wie gesagt, sehr wenige Rechte.
Wir haben uns deswegen nach dem Antrag der PDS zusammengesetzt und überlegt, wie wir hier auf Grund der besonderen Situation zusätzliche Rechte einbauen können, aber eben keine Fraktionsrechte; denn die Fraktionsrechte sind klar an die 5% geknüpft. Wir haben ihr zusätzliche Interventionsrechte und Rederechte im Plenum, Rederechte im Ausschuß, zusätzliche Ausschußrechte und finanzielle Zuwendungen im besonderen Umfang eingeräumt.
Übrigens überrascht es mich ein wenig, daß Sie darauf so großen Wert legen. Man liest ja das eine oder andere in der Zeitung über das Vermögen Ihrer Partei.
Man hört, daß in Norwegen 70 Millionen DM in bar abgehoben wurden. Dieses Geld könnten Sie ja vielleicht zusätzlich für die Fraktionsarbeit einsetzen. Aber ich will das nicht weiter vertiefen.
Was Sie, Herr Kollege Hüser, hier über den innerfraktionellen Umgang miteinander vorgetragen haben, teile ich so nicht. Angesichts der Tatsache, daß von den unabhängigen Abgeordneten in diesem Hause in dieser Legislaturperiode alle aus Ihrer Fraktion, der Fraktion „DIE GRÜNEN", kommen, müssen Sie sich einmal fragen, wie der fraktionsinterne Umgang da aussieht. Das ist auch ein weiterer Punkt, wie Anspruch und Wirklichkeit bei den GRÜNEN auseinanderfallen?
Wir werden die Zeit nach dem 2. Dezember auch im Geschäftsordnungsausschuß nutzen, um uns mit weitergehenden Fragen des Fraktionsstatus zu befassen. Wir halten dies für eine ausgewogene Regelung; wir stimmen der Vorlage zu.
Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, Herr Kollege.
— Ein solches Verfahren können wir nicht einführen, Herr Gysi. Man muß sich rechtzeitig melden, und dann muß noch der Präsident eine Möglichkeit haben, den Redner zu fragen, ob er eine Zwischenfrage zuläßt.
Ich darf Ihnen auch noch sagen: Das Verfahren ist hier so wie auf dem Fußballplatz, daß der Präsident
Vizepräsident Westphal
während seiner Amtsführung nicht kritisiert werden kann.
Das mache ich nicht zu meinem eigenen Schutz, sondern zum Schutz des ganzen Hauses. Beklagen kann man sich über die Geschäftsführung des Präsidenten immer nachher.
Ich sage das, um da Klarheit zu schaffen. Auch ein Präsident kann einen Redner nicht einfach unterbrechen: Hören Sie mal eben auf! Er muß vielmehr eine Pause abwarten, wo er das machen kann. Ich bitte, das zu berücksichtigen. Aber es passieren natürlich auch beim Präsidium einmal Fehler.
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Wüppesahl hat sich als nächster gemeldet.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, der Vorschlag des Kollegen Wolf-gramm, daß die 70 Millionen DM der PDS, die irgendwo in Oslo oder anderswo kursieren sollen, in ihre Arbeit hier im Bundestag eingebracht werden sollen — ich sehe, der Kollege Eigen nickt auch noch dazu —, ist ein klarer Aufruf zum Rechtsbruch.
Denn diese Summen sollen ja gerade ganz anders verwaltet werden. So jedenfalls habe ich den Sachverhalt bisher begriffen. Ich glaube, daß in den Ausführungen, die soeben gefallen sind, sich schon sehr viel dessen wiederfindet, was wir gleich in der Aktuellen Stunde noch erheblich massiver erleben, nämlich einen erneuten Mißbrauch dieses Plenums zum Zwecke des Wahlkampfes.
Gerade da seitens der alten Parteien in diesem Hause permanent der Vorwurf gegen die PDS erhoben wird, daß im Bereich der Finanzen nicht sauber gearbeitet würde, erweisen sie sich natürlich einen Bärendienst, wenn sie mit einer Beschlußvorlage wie der, die uns zu der heutigen Debatte vom Ältestenrat zugemutet wird, eine so gravierende Schlechterstellung der PDS besonders im finanziellen Bereich beschließen wollen, daß wirklich jeder klar denkende Kopf hier im Hause,
aber auch draußen in der Öffentlichkeit erkennen muß, worauf das hinauslaufen soll, nämlich auf eine massive Diskriminierung durch die Schlechterstellung mit finanziellen Mitteln und damit im personellen und sächlichen Bereich für die Parlamentsarbeit.
Da wir bis zum 3. Oktober die Situation hatten, daß in diesem Hause eine Gruppierung von 26 Personen den Status als Fraktion hatte, und da wir in der letzten Wahlperiode, 1983 bis 1987, eine Fraktion mit 27 Köpfen gehabt haben, ist es doch geradezu albern, wenn Sie in der Substanz verneinen wollen, ob es notwendig ist, eine Gruppe von 24 Personen mit fraktions-
ähnlichen Mitteln auszustatten, weil 24 Köpfe natürlich genausoviel Organisationsbedarf haben wie eine Fraktion mit 27 Personen.
Das ist doch die Substanz, um die diese Diskussion kreisen sollte.
Daß darüber hinaus verfassungsrechtlich ganz gewichtige Argumente dafür sprechen, einen Fraktionsstatus einzuräumen oder mindestens den fraktionsähnlichen Gruppenstatus zu gewähren,
wissen auch alle diejenigen, die diese Beschlußvorlage aus dem Ältestenrat verbrochen haben.
Es ist ein Fakt: Hier werden Abgeordnete zweiter und dritter Klasse geschaffen. Dritte Klasse bin ich; das wissen Sie ja.
Mir wollen Sie nicht einmal den Pro-Kopf-Zuschlag gewähren, den Oppositionsabgeordnete hier bekommen. Der PDS wollen Sie ein kleines Almosen anbieten: nicht einmal die Hälfte des Sockelbetrages pro Monat, 235 000 DM - es hätten über 260 000 DM sein müssen —, und nicht einmal den Oppositionszuschlag, also 8 499 DM pro Abgeordneten. Sie muten hier eine Summe von unter 7 500 DM pro Monat zu. Auch aus den ganzen anderen Titeln — internationale Zusammenarbeit, deutsch-deutsche Kooperation etc. — soll der PDS-Gruppe nichts zur Verfügung gestellt werden. Das ist nun wirklich ein Hohn und ist, wie schon ausgeführt, für jeden offene Diskriminierung, der klar denken kann.
Abgeordnete zweiter Klasse nicht nur im Bereich der sächlichen oder finanziellen Ausstattung, sondern auch in der Wahrnehmung von Rechten werden geschaffen. Hier geht es nicht um Unwesentliches, wenn darum geworben wird, daß Abgeordnete in ihren Fachausschüssen nicht nur Rede- und Antragsrecht haben, sondern auch abstimmen dürfen. Ich habe praktisch bei jeder Sitzung am eigenen Leibe gespürt, was man eigentlich noch ist, wenn man über eine Beschlußvorlage, über die man zumindest mit diskutiert hat, nicht abstimmen darf. Zum Teil gab es auch noch Vorlagen, die ich aus der Zeit meiner Fraktionsmitgliedschaft eingebracht habe.
Ich glaube, der Ältestenrat tut dem Parlament keinen Gefallen mit dieser Beschlußvorlage. Sie diskreditieren das, was in vielen Büchern als Parlamentskultur definiert ist. Sie werfen Wasser auf die Mühlen derjenigen, die eine hohe Distanz zu dem haben, was wir in Bonn als Parlamentarismus betreiben.
Ich wäre sehr verbunden, wenn dem Wunsch, den Fraktionsstatus anzuerkennen bzw. — mit Hilfsantrag — als Gruppe eine fraktionsähnliche Ausstattung zu bekommen, stattgegeben werden könnte.
Wüppesahl
Ich appelliere noch einmal an die Kolleginnen und Kollegen, an den Art. 38 des Grundgesetzes zu denken und nicht das zu exekutieren, was Ihnen Ihre Fraktionsspitzen vorgeben...
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist beendet.
... ich bin beim letzten Satz —, sondern nach Ihrer eigenen Überzeugung abzustimmen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.
Zwei Abgeordnete möchten nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor der Abstimmung eine persönliche Erklärung abgeben.
Zunächst hat Frau Wegener das Wort.
Ich möchte eine persönliche Erklärung abgeben, über die in unserer Fraktion nicht diskutiert wurde.
Es geht um das zur Abstimmung stehende Thema Gruppenstatus oder Fraktionsstatus.
Ich werde gegen den vom Ältestenrat vorgeschlagenen Antrag stimmen,
weil der hier bezeichnete Gruppenstatus wesentliche Einschränkungen meiner parlamentarischen Arbeit nach sich zieht.
- Ich bin 28, Herr Rühe.
Von vielen, die vor mir geredet haben, wurde auf das Prinzip der Gleichheit der Bundestagsabgeordneten hingewiesen. Ich möchte aus meiner Sicht einmal darstellen, daß dieses Prinzip der Gleichheit der Abgeordneten nicht gewährleistet ist.
Wir haben 24 Büroräume zur Verfügung, und es gibt genau 24 Abgeordnete unserer Partei. Das heißt, daß unsere technischen und wissenschaftlichen Mitarbeiter mit uns zusammen in den nicht sehr üppig bemessenen Büroräumen untergebracht sind.
— Ich habe einige Büroräume gesehen; sie waren wesentlich anders ausgestattet. — Des weiteren haben wir nicht einmal einen kleinen Zusammenkunftsraum.
Weiterhin gibt es das Problem der Kommunikation. Wir können mit unseren Telefonapparaten nicht allzuviel anfangen.
Ich glaube, das liegt nicht an meinem persönlichen Unvermögen. Wenn Sie einmal zuhören, kann ich Ihnen schildern, daß es tatsächlich unüblich ist, wie wir untergebracht sind.
Wenn ich mich an meinem Apparat melde, wird mit mir in der dritten Person gesprochen, nach dem Motto: Bitten Sie doch bitte Frau Wegener, daß — — Denn beim Antelefonieren Ihrer Abgeordneten melden sich irgendwelche Vorzimmerdamen.
— Das finde ich absolut toll. — Nur bei uns ist der heiße Draht noch gewährleistet.
Seitdem wir eine Sekretariatsanlage bekommen haben, ist alles zu spät. Die Funkstille zieht sich oft über mehrere Stunden hin.
Den Umgang mit den Fax-Apparaten habe ich, das gebe ich zu, erst hier lernen können; wir haben drei dieser Geräte. Wir fühlen uns aber wie in einem Museum; denn es ist ein absolut beglückendes Ereignis, wenn es einmal geklappt hat, nach Berlin zu faxen. — Ich könnte noch weitere Beispiele nennen.
Wir haben also nicht all die Voraussetzungen, die ein normaler Bundestagsabgeordneter hat. Mir ist klar, daß dieser Zustand in den nächsten drei Wochen nicht geändert werden kann. Ich möchte daran glauben, daß es dafür objektive Gründe gibt, z. B. fehlende Standleitungen. Aber ich fordere im Namen des Gleichheitsprinzips, das bis zum Beginn der nächsten Legislaturperiode zu regeln; denn solange das Parlament in Bonn sitzt, haben wir die Absicht wiederzukommen.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, hier kann in der Sache korrigiert werden. Dies ist wohl eine Rolle, die ein Präsident wahrnehmen kann.
Alle 144 neu dazugekommenen Abgeordneten haben je einen Raum für sich.
Es gibt zusätzlich eine Reihe von Gruppenräumen, die auch für Sitzungen benutzt werden können. Nach dem 2. Dezember werden es mehr. Wir haben schließlich eine Situation in einer Lage zu meistern gehabt, in der nicht alles gleich zur Verfügung stand.
Ich habe noch eine Wortmeldung für eine persönliche Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung. Diese kommt von Herrn Professor Heuer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte eine persönliche Erklärung abgeben, in der ich etwas zu meinen verfassungsmäßigen Bedenken gegen die Regelung vortragen möchte. Ich glaube nicht, daß es hier um Beschei-
Dr. Heuer
denheit oder um Fairneß geht; es geht vielmehr um Recht.
— Für mich ist Recht kein Fremdwort. Sie müssen meine Bücher lesen. Sie müssen 14 Tage Urlaub nehmen; dann haben Sie Zeit dazu.
Ein Vorredner hatte gesagt, es sei nicht zulässig, eine formale Berufung--
Herr Kollege, darf ich Sie unterbrechen.
Ja, bitte.
Dies ist eine persönliche Erklärung. Darin kann man sich nicht auf die Debatte vorher beziehen, sondern muß seine eigene Auffassung, die von allen anderen abweichend ist, vortragen.
Wie bitte? Sie haben eben gesagt: Hände an die Hosennaht. Haben Sie das mir empfohlen?
Ich wäre dankbar, wenn wir dies nicht durch Zwischenrufe erschweren.
Ich möchte auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 29. September 1990 Bezug nehmen. In diesem Urteil wurde gesagt, daß die Sperrklausel die Chancengleichheit zu Lasten der Parteien der DDR verletzt. Sie verhielte sich gegenüber den politischen Parteien angesichts der auf Rechtsgegebenheiten beruhenden unterschiedlichen Ausgangslage nicht mehr neutral, sondern bedeutete eine Intervention zugunsten der Parteien der Bundesrepublik Deutschland.
Ich meine, das bezieht sich auf die Geltung der Fünfprozentklausel für das gesamte Gebiet. Deswegen wurde, wie Sie alle wissen, eine Regionalisierung der Sperrklausel vorgenommen.
Ich meine, daß die Regelung der Geschäftsordnung, die ebenfalls eine Fünfprozentklausel vorsieht, im Ergebnis weiter nichts ist als die Wiederholung der Fünfprozentklausel, die auf die Wähler angewandt worden ist, auf die Rolle der Fraktionen im Hause.
Ich bin davon überzeugt, daß das Bundesverfassungsgericht sehr wohl in Kontinuität seiner Rechtsprechung sagen wird, daß die Anwendung der Fünfprozentklausel auf die Fraktionszugehörigkeit ebenfalls
regionalisiert werden muß. Daraus ergibt sich, daß diejenigen, die aus der ehemaligen DDR kommen, wenn sie dort bei den Wahlen 5% erreicht haben, dann Fraktionsstärke haben werden. Ich halte diese Überlegung für juristisch zwingend und bitte Sie, das zu bedenken.
Ich glaube auch nicht, daß man sagen kann, es gehe ja nur um eine Woche. Ich meine, daß das Grundgesetz jede Woche gilt und daß mit dieser heutigen Entscheidung versucht wird, ein Präjudiz zu schaffen. Ich bitte Sie also dringend, aus verfassungsrechtlichen Bedenken diesem Antrag nicht zuzustimmen.
Danke für die Aufmerksamkeit.
Zu einer Erklärung zur Aussprache nach § 30 hat sich der Abgeordnete Bohl gemeldet.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte nach § 30 der Geschäftsordnung eine Erklärung zur Aussprache abgeben. Wir haben hier zwei unter der Überschrift „Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung" gemachte Ausführungen von Vertretern der SED gehört. Ich muß sagen: Wir haben nach unserer Geschäftsordnung die Möglichkeit, persönliche Erklärungen abzugeben. Es handelte sich hier eindeutig um Debattenbeiträge.
Herr Präsident, ich möchte darum bitten, daß wir diesen Vorgang zum Anlaß nehmen, dieses Verhalten der SED im Ältestenrat zur Sprache zu bringen, zu diskutieren und zu lösen. So geht es nicht.
Meine Damen und Herren, die früheren Debatten — das gilt auch für die heutige Debatte — haben schon öfter Anlaß gegeben, darüber nachzudenken, wie man eine persönliche Erklärung abgrenzt. Dies ist verdammt schwierig. Man kann es immer erst nachher tun und nachher merken, ob es noch eine war oder nicht. Ich bin damit einverstanden, daß wir darüber reden müssen. Es ist das gute Recht des Abgeordneten, dies anzuregen.
— Sehe ich es richtig, daß Sie sich zur Geschäftsordnung melden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, Sie sehen es richtig. Mein Name ist Dr. Fischer, PDS.
Ich bitte Sie, das Verhalten des Abgeordneten zu rügen. Die SED sitzt nicht hier. Er möchte sich bitte an die entsprechenden Begriffe gewöhnen.
Ich werde das nicht rügen, sondern dabei bleiben, daß wir eine freie Aussprache
Vizepräsident Westphal
haben und daß hier jeder seine Auffassung vortragen kann.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über die Änderungsanträge der Abgeordneten Dr. Gysi, Dr. Keller, Dr. Riege und Dr. Heuer. Wer für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/8189 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist der erste Änderungsantrag auf Drucksache 11/8189 mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion abgelehnt worden.
Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag auf der Drucksache 11/8190 ab. Es geht dabei um die Anerkennung als Gruppe mit bestimmten Rechten. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Antrag mit der gleichen Mehrheit wie der vorige Antrag abgelehnt worden.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ältestenrats auf der Drucksache 11/8169. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einigen wenigen Enthaltungen ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalitionstraktionen und den Stimmen der SPD angenommen worden.
Der Abgeordnete Dr. Dörfler hat sich zu einer persönlichen Erklärung außerhalb der Tagesordung
nach unserer Geschäftsordnung gemeldet.
Verehrter Herr Präsident! Verehrte Abgeordnete! Es fällt mir etwas schwer, in dieser Atmosphäre, wie ich sie eben erlebe, meine persönliche Erklärung zu einem ganz anderen Thema abzugeben.
Unter der Schlagzeile „Stasi-Leute im Bundestag" trafen mich in den letzten Tagen Anwürfe über eine angebliche Mitarbeit beim Staatssicherheitsdienst in
der ehemaligen DDR.
Diese Anwürfe sind, was meine Person betrifft, in jeder Beziehung haltlos. Es hat meinerseits zu keiner Zeit eine Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit gegeben. Weder Berichte noch Unterschriften liegen von mir vor. Diese Feststellungen trafen sowohl der Untersuchungsausschuß als auch der Sonderbevollmächtigte der Bundesregierung.
Die über mich angelegten Akten — so wurde mir berichtet — haben einen außergewöhnlichen Umfang. Die Ordner sind gefüllt mit zahllosen Berichten über meine Person, gesammelt über Jahre, da ich unter dem Verdacht staatsfeindlicher Handlungen stand. Ich war nach gängigem Sprachgebrauch ein Fall mit operativer Personenkontrolle, kurz: OPK-Vorgang, den es zu bearbeiten galt.
Mein beruflicher Umgang mit geheimen Umweltdaten landesweiten Charakters in einem Umweltinstitut war einer der Hauptgründe der Überwachung meiner Person. Ich hatte den Überblick über die katastrophale Umweltsituation einerseits, unterlag aber andererseits einer Reglementierung durch die Institutsleitung und einem Publikationsverbot.
Als ich das dienstlich verordnete Schweigen nicht länger zu ertragen bereit war, gab ich aus Gewissensgründen meine berufliche Karriere auf, wurde freiberuflich tätig und kündigte an, über Umweltfragen zu publizieren. Daraufhin hatte ich Vertreter der Staatssicherheit leibhaftig, aber, wie sich erst jetzt für mich herausstellte, auch in Form von Wanzen im Hause. Auf diese Weise wurde ich weiter kontrolliert. Oft wurde versucht, mich zur Mitarbeit zu gewinnen. Dies habe ich konsequent abgelehnt. Statt dessen habe ich mich für ein Leben in sozialer Unsicherheit, aber mit dem Anspruch auf Wahrhaftigkeit entschieden. Über Jahre wurde kaum eine Zeile von mir gedruckt, so daß mein Einkommen und das meiner Familie unter dem Existenzminimum lag. Freunde haben geholfen.
Dieser Teil meiner Biographie wurde sinngemäß bereits am 28. September 1990 auf der 27. Volkskammer-Tagung von unserer Fraktionssprecherin Marianne Birthler im Namen der Fraktion Bündnis 90/ GRÜNE vorgetragen und damit öffentlich gemacht.
Um so unverständlicher ist es, daß ein Abgeordneter dieses Hauses, des Bundestages, der sich unwidersprochen als Deutschland-Experte bezeichnen läßt, auf eine entstellende Pressemeldung eingeht, diese ungeprüft hochspielt und eine bereits aufgeklärte Angelegenheit ohne jegliches Gespür für menschliche Schicksale als brandneuen Skandal zu verkaufen versucht.
Von Sachlichkeit, geschweige denn von Rechtsstaatlichkeit kann kaum die Rede sein, wenn dadurch Abgeordnete und mit ihnen ihre Familien ohne Rücksicht mit Schmutz beworfen werden und schuldlos Drohungen, anonyme Anrufe und schlimme Verdächtigungen ertragen müssen. Wo blieb, Herr Lintner, Ihre parlamentarische Kultur in Ihrem Übereifer nach Reinlichkeit?
Mir und meiner Familie jedenfalls haben Sie einen Schaden zugefügt, der nur schwer wiedergutzumachen ist.
In einer solchen Atmosphäre, wie sie dieser Tage für mich zu erleben war, ist eine Aufarbeitung der Vergangenheit alles andere als einfach. Dennoch ist sie nötiger denn je, und ich will trotz der eben gemachten schmerzlichen Erfahrungen ausdrücklich dazu ermutigen. Unsere ehemalige Fraktion Bündnis 90/ GRÜNE begann bereits im April damit. In einer Runde hatte jeder Abgeordnete der Fraktion seine ganz persönlichen Erfahrungen und Berührungen mit der Staatssicherheit ausgesprochen und allen anderen anvertraut. Diese Offenheit war ein entscheidender Schritt zum Aufbau eines Vertrauensverhältnisses. Eine Atmosphäre zu schaffen, in der Menschen sich freiwillig öffnen, ist das Gebot der Stunde, nicht aber eine Hatz auf vermeintlich Schuldige.
Überhaupt erfüllt eine Einteilung der Personen nach dem Schwarzweiß-Prinzip nicht jene Ansprüche, die an eine ehrliche Aufarbeitung und Bewältigung dieses dunklen Kapitels deutscher Geschichte zu stellen sind. Mitglieder von Untersuchungsausschüssen
Dr. Dörfler
und Bürgerkomitees haben mehrfach bestätigt, daß eine Kategorisierung von Menschen um so problematischer erscheint, je mehr man sich mit den konkreten Akten und den Zusammenhängen beschäftigt. Jedem, der über Geschichte und über Menschen urteilen will, sei daher dringend geraten, sich vorher gründlich an den Ausgrabungen zu beteiligen, statt vom Schreibtisch aus realitätsferne Schlagzeilen zu formulieren.
Nur die Entmystifizierung der Arbeitsmethoden der ehemaligen Staatssicherheit, allein das offene Gespräch darüber, können Altlasten abbauen helfen und verhindern, daß Denunziation, Erpressung und Korruption zu einer neuen Blüte gelangen werden.
Danke schön.
Meine Damen und Herren, das war nun für uns in diesem Haus in dieser Besetzung der erste Fall. Ich kann nur allen von uns raten, mit äußerster Vorsicht vorzugehen, wenn es sich um das Verhalten von Menschen handelt, und die rechtsstaatlichen Methoden zu verwenden, wenn es um Klärung geht.
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
Maßnahmen der Bundesregierung zur Sicherung der im Einigungsvertrag beschlossenen treuhänderischen Unterstellung der Vermögenswerte der SED/PDS und der ehemaligen Blockparteien
Diese Aktuelle Stunde hat die Fraktion der SPD gemäß unserer Geschäftsordnung verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Däubler-Gmelin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten haben diese Aktuelle Stunde aus vier Gründen beantragt. Erstens. Uns beunruhigen die immer neuen und immer zahlreicher werdenden Berichte in Rundfunk, Fernsehen und Zeitungen über Schiebereien mit SED-, jetzt PDS-Millionen. Sie verärgern uns, sie empören uns; nicht nur uns, sondern Menschen aus allen 16 Bundesländern unseres Landes beschweren sich in Briefen und in Versammlungen, daß die in 40 Jahren zusammengerafften Riesenvermögen den alten Blockparteien ganz offensichtlich noch immer nicht entzogen sind,
daß sie dem Aufbau der Demokratie immer noch nicht zugeführt wurden und daß sie bisher den Menschen in den fünf neuen Bundesländern nicht zugute kommen.
Das schmerzt sie, das ärgert sie, meine Damen und Herren, genauso wie die Tatsache, daß die alten Seil-
schaften noch da sind, und auch, daß Herr Schalck-Golodkowski weiter unbehelligt von Strafbefehlen oder sonstigen Strafverfolgungsmaßnahmen die Sonne am Tegernsee genießen kann.
Wir sagen: Das muß anders werden. Wir wollen wissen, was da eigentlich vor sich geht. Wir wollen wissen: Was ist in den letzten Monaten mit den Milliarden der alten SED — jetzt PDS — passiert? Die Volkskammer hatte ja am 31. Mai eine Verfügungssperre für alle Vermögen aller alten Blockparteien in der DDR und der mit ihnen verbundenen Massenorganisationen angeordnet.
Die damalige Regierung de Maiziere sollte sicherstellen, daß sie auch eingehalten wird. Das hat sie offensichtlich nicht getan. Ob das nun aus Unvermögen passiert ist oder aus Mangel an Entschlossenheit, das sei hier dahingestellt.
Wir wollen es heute genau wissen, meine Damen und Herren: Wieviel ist eigentlich in den vergangenen Monaten tatsächlich verschoben worden an Tarnfirmen, an Tarnkonten im In- und Ausland? Wir wollen wissen: Wieviel von den Milliarden ist noch da?
Wir wollen zum dritten wissen: Ist das nur die Spitze des Eisbergs, was wir da in den Medien lesen, so etwa, daß 100 SED-Millionen einfach so das Konto wechseln auf recht verschlungenen Pfaden, die aber wundersamerweise immer wieder bei der PDS landen, die davon natürlich nichts weiß, daß da PDS-Mitarbeiter buchen und umbuchen, Tarnfirmen' einschalten und Geld abheben, Mitstreiter, die dann doch wieder keiner kennen will, obwohl zumindest eine der handelnden Personen Kreisvorsitzender im Saalekreis ist,
das da offensichtlich Parteien auch weiter über Immobilien, Häuser, Mieten, Geldbeträge und Zinserträge verfügen?
Wie ist das eigentlich: Trifft das nur auf das ehemalige SED-, jetzt PDS-Vermögen zu, oder haben das die übrigen alten Blockparteien in den vergangen Monaten auch so gemacht?
Darüber, meine Damen und Herren, wollen wir jetzt Klarheit, schon deshalb, weil wir uns — und das ist unser vierter Punkt — alle miteinander im Einigungsvertrag erfolgreich darum bemüht haben, daß die Bundesregierung ab der deutschen Einheit die Verantwortung für das alles via Treuhandanstalt übernimmt. Sie hat die Verantwortung dafür, daß ab diesem Zeitpunkt nichts mehr verschoben wird und daß die Parteimilliarden nach Recht und Gesetz verwendet werden.
Jetzt hören und lesen wir aber, daß die Schiebereien auch nach der Einheit nicht aufgehört haben, trotz der Treuhand, trotz des Einigungsvertrages. Deshalb wollen wir dreierlei wissen.
Frau Dr. Däubler-Gmelin
Erstens. Was hat die Bundesregierung getan, um Sicherungen einzubauen, daß es eben nicht mehr so weiterläuft wie unter der Verantwortung der Regierung de Maiziere?
Zweitens. Was hat die Bundesregierung getan, um die eingetretenen Verstöße zu ahnden und vor Gericht zu bringen?
Drittens. Was hat die Bundesregierung getan, um die verschobenen Millionen — wieviel auch immer es sein mögen — wiederzubekommen?
Meine Damen und Herren, wir waren uns in diesem Hause weitgehend darüber einig, daß das in 40 Jahren zusammengeraffte Vermögen der SED und der alten Blockparteien der Demokratie und den Menschen in den fünf neuen Bundesländern nutzbar gemacht werden muß und daß die ungleichen Vermögenschancen die Chancengleichheit im Bundestagswahlkampf nicht verletzen dürfen. Wir sagen: Alle Worte und all guter Wille nützen nichts, jetzt brauchen wir Klarheit. Wir fordern die Bundesregierung in ihrer Verantwortlichkeit auf, uns zu sagen, was los ist. Wir fordern sie auf, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Rühe.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Vermögen aller Parteien der ehemaligen DDR stand seit dem 1. Juni dieses Jahres unter treuhänderischer Verwaltung einer vom damaligen Ministerpräsidenten der DDR eingesetzten unabhängigen Kommission. Vermögensveränderungen bedurften seitdem der Zustimmung des Vorsitzenden der Kommission. Das ist nicht erfolgt. Deswegen teile ich die Empörung über das Verschieben von Millionen in Europa, das von der PDS gemacht worden ist.
Herr Gysi, wenn ich mich an Sie wenden darf: Sie haben in den letzten Tagen versucht, die Rolle des Opfers zu spielen. Ich muß Ihnen sagen, das ist eine Zumutung. Es gibt zwar viele Grautöne und Mischungen von Opfer und Täter. Aber eines ist für mich klar: Sie gehören zur Partei der Täter. Deswegen kommen sie als Opfer nicht in Frage.
Ich kann Ihnen nur sagen: Statt das Geld in Europa herumzuschieben, sollten sie diese 100 Millionen lieber in eine Stiftung für die Opfer des Stalinismus einzahlen. Die haben nämlich bisher noch nichts bekommen.
Die CDU der ehemaligen DDR hat mit Schreiben vom 28. Juni, also fristgerecht, ihr gesamtes Vermögen bei der Treuhandverwaltung angemeldet. Und, Frau Däubler-Gmelin: Nachdem die Volkskammer mit § 13 a des Parteiengesetzes die Gesamtrechtsnachfolge bei Parteienfusionen geregelt hatte, haben wir die Initiative ergriffen, um zusammen mit Ihnen
und den Sprechern der anderen Parteien im Einigungsvertrag eine Regelung zu treffen, die sicherstellt, daß das Vermögen mit dem Tag der deutschen Wiedervereinigung ohne jegliche Einschränkung in die Verfügungsgewalt der Treuhandanstalt übergeht.
Verfügungen über das Parteivermögen kann die Treuhandanstalt nur im Einvernehmen mit der vom Ministerpräsidenten der ehemaligen DDR durch Gesetz vom Mai eingerichteten und unter Aufsicht der Bundesregierung stehenden Treuhandkommission treffen.
— Seien Sie vorsichtig! — Ich möchte hier noch einmal feststellen: Es gab seitens der Sozialdemokraten keinen Wunsch, der offengeblieben ist. Denn ich hatte selbst genau die gleichen Absichten, hier 100 ige Gewißheit zu schaffen. Der Kollege Spilker und andere können sicherlich bestätigen, daß in den Verhandlungen, in denen sie dabei waren, kein Wunsch der Sozialdemokraten offengeblieben ist.
Das Ziel dieser Vereinbarung ist die baldmögliche Rückführung des Vermögens an die früher Berechtigten oder deren Rechtsnachfolger. Soweit eine solche Rückführung nicht möglich ist, ist das Vermögen zugunsten gemeinnütziger Zwecke, insbesondere der wirtschaftlichen Umstrukturierung, in der DDR zu verwenden. Soweit dieses Vermögen heute noch von den Parteien genutzt wird, z. B. als Parteiengeschäftsstellen, gehen wir davon aus, daß — unabhängig von den endgültigen vermögensrechtlichen Regelungen — die Treuhandanstalt für die Nutzung dieses Vermögens marktgerechte Mieten festsetzen wird, die von den Parteien zukünftig zu zahlen sein werden.
— Ja, sicher, zu dem Datum.
Im übrigen wird die CDU Deutschlands, wie im Einigungsvertrag vorgesehen, für die CDU der ehemaligen DDR per Vereinigungsstichtag 1. Oktober eine Schlußbilanz und eine Eröffnungsbilanz mit Testat eines Wirtschaftsprüfers vorlegen, aus der sich die tatsächlichen finanziellen Verhältnisse ergeben. Wir werden diese Bilanz termingerecht zum 1. November vorlegen.
Darüber hinaus wird der Schatzmeister der CDU zum 1. Dezember dieses Jahres eine eidesstattliche Versicherung abgeben — so wie vorgesehen —, daß im Wahlkampf kein Vermögen der ehemaligen CDU eingesetzt wurde. Ich glaube, daß wir wirklich alle Anstrengungen gemacht haben, um eine klare Grundlage zu schaffen, und daß das auch akzeptiert werden muß.
Was nicht geht, Herr Vogel, ist, daß wir mit Ihren Verhandlungspartnern Vereinbarungen treffen und uns am Ende bestätigt wird: Das ist wasserdicht; wir haben keine weiteren Wünsche — es ist auch deutlich
Rühe
geworden, daß es praktisch kaum eigenes Vermögen gegeben hat, sondern im wesentlichen nur Nutzungsrechte —, daß aber dann im Wahlkampf weiter über die angeblichen Milliarden gesprochen wird.
Was auf uns zukommt, sind Belastungen im Zusammenhang mit Sozialplänen zum Personalabbau und keinerlei zusätzliche D-Mark.
Ich bitte Sie schon, draußen genauso zu reden wie Ihre verantwortlichen Verhandlungsführer das in den Verhandlungen gemacht haben.
Wir sind uns einig, daß dies mit aller Offenheit und Sauberkeit durchgeführt werden muß. Ich habe hier die Maßnahmen entsprechend dem Einigungsvertrag angekündigt. So wie ich im Ausschuß Deutsche Einheit die Zahlen im einzelnen vorgelegt habe, hat das bisher noch keine Partei in Deutschland gemacht.
Vor allen Dingen den Kolleginnen und Kollegen der PDS — Herr Gysi, Sie lächeln schon wieder — muß ich noch einmal mit aller Klarheit sagen: Was Sie treiben, ist angesichts der Tatsache, daß Sie Menschen 40 Jahre um ihr Leben, um ihre Lebenschancen betrogen haben, wirklich eine Ungeheuerlichkeit!
Sie sollten Schluß machen mit diesen Finanzschiebereien in Europa und das Geld endlich dem Volk zur Verfügung stellen, vor allen Dingen denjenigen, die von Ihnen in den vergangenen 40 Jahren gepeinigt worden sind, den Opfern der SED, den Opfern Ihrer Partei.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ullmann.
Herr Präsident!. Meine Damen und Herren Abgeordneten! Das Finanzgebaren der großen Parteien ist ein Problem der Demokratie. Was Herr Rühe hier vorgetragen hat, hat mir wieder einmal deutlich gemacht, woher das Problem kommt. Herr Rühe, wenn Sie sich hier auf Absprachen mit der SPD berufen,
dann besteht für mich keine gute Aussicht, daß wir hier bis zum 1. November zur Klarheit gelangen.
Was ich soeben gesagt habe, gilt für die ehemaligen Blockparteien der ehemaligen DDR, und es gilt natürlich erst recht für das Finanzgebaren der SED, die ich deutlich von der PDS unterscheiden muß, wie es die
Korrektheit verlangt. Ich werde hier anders vorgehen als Herr Bohl.
Die SED war das Zentrum dieses Systems, aber, meine Damen und Herren, sie war es als eine Partei, die sich als Volkspartei schlechthin gebärdete, d. h. als die Partei, die eigentlich von allen zu wählen sei, die das Ganze repräsentiere, die um sich herum nur Blockparteien kenne und die eine Opposition gar nicht mehr kenne. Dieses System der Volkspartei schlechthin hat zu jener unheilvollen Verwirrung von Volks-, Staats- und Parteieigentum geführt, deren katastrophale Auswirkungen uns allen bekannt sind. Aber die Aufklärung, die Entwirrung und Beseitigung dieses Systems ist noch nicht einmal in den Anfängen.
Die Volkskammer hat mehrere Anläufe zur Lösung dieser Aufgabe unternommen. Das ist von meinen Vorrednern bereits erwähnt worden. Ich nenne das Gesetz zur Überprüfung und zur Treuhandverwaltung der Parteivermögen, beschlossen mit erheblichen Emotionen. Um so merkwürdiger ist die Stille, die sich auf diesem Kampfplatz ausbreitete, als die Fusionsverhandlungen der Liberalen und der CDU mit ihren Schwesterparteien begannen.
Die Folge dieser Stille, meine Damen und Herren, war jener Vorstoß der DSU, der, in sich durchaus verständlich, aber an rechtsstaatlichen Bedenken, die ich teile, scheitern mußte.
Nun stellt sich die Frage: Was hat jetzt zu geschehen? Ich unterschreibe alle Forderungen, die meine Vorredner — Herr Rühe, ich hoffe, Sie machen Ihre Versprechungen auch wahr — erhoben haben, aber ich denke nicht, daß das das einzige Thema sein kann, über das heute zu sprechen sein wird, denn ich spreche von der Polizeiaktion gegen die Zentrale der PDS.
Natürlich müssen die Finanzverhältnisse dieser Partei endlich aufgeklärt werden. Man kann nicht zusehen, wenn dubiose Überweisungen stattfinden. Hier ist alles zu tun, was zur Überprüfung in treuhänderischer Verantwortung nötig ist. Aber ist das, was in Berlin geschehen ist, in irgendeiner Hinsicht als ein angemessenes Verfahren zu bezeichnen? Ich denke, hier könnte man sich schnell davonstehlen, indem man wohlfeile Empörung ausdrückt, wie es auch einige Presseorgane tun, und sagt: Es wäre besser gewesen, wenn man einen Durchsuchungsbefehl gehabt hätte, im übrigen aber in dieser Art der Aussprache zu erkennen gibt, daß es — die Atmosphäre, in der hier heute von rechts argumentiert worden ist, bestätigt mich in meinen Sorgen — genug Leute im Lande gibt, die jederzeit bereit sind, rechtsstaatliche Vorstellungen und Verpflichtungen fallenzulassen, wenn sie
Dr. Ullmann
nur meinen, den richtigen Gegner im Visier zu haben.
Hier wird es nun wirklich ernst. Gerade weil es sich um die PDS handelt, die eine Vergangenheit hat, die auf die SED zurückgeht, sage ich, Herr Rühe und Herr Bohl: Wenn sich bestätigen sollte, was Herr Gysi hinsichtlich der Verletzung seiner Abgeordnetenimmunität behauptet hat, kann die einzige mögliche Konsequenz nur der Rücktritt des Berliner Innensenators sein.
Die Sache ist auch in anderer Hinsicht ernst. Frau Däubler-Gmelin hat von der skandalösen Unaufge-klärtheit des Falles Schalck-Golodkowski gesprochen. Ich kann mich dem nur anschließen. Der Runde Tisch hat seit der ersten Dezemberwoche versucht, dieses Dunkel aufzuklären. Ich weiß noch ganz genau, was Herr Waigel sagte, als wir zu einem Regierungsbesuch in Bonn waren: Es muß alles auf den Tisch, und es muß restlos aufgeklärt werden, wie es um die Kassen in der DDR bestellt ist. Ich dachte: Der Mann hat recht. Wenn er uns dabei nur helfen würde! Er muß über erstrangige Quellen verfügen, er, der im Umkreis seines Parteifreundes Franz Josef Strauß großgeworden ist. Meine Damen und Herren, solange wir die moralische Energie zur Aufklärung dieses geheimen Wirtschaftssystems, das sich in der DDR und darüber hinaus ausgebreitet hat, nicht aufbringen, werden wir auch nicht dahin kommen, volle Klarheit über die Art und Weise zu gewinnen, wie mit dem Parteivermögen der SED und angeschlossener Parteien heute umgegangen wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Solms.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte Ihren Appell, Herr Präsident, von zuvor aufnehmen und sagen: Es geht nicht nur darum, pauschale Verdächtigungen gegen Personen zu unterlassen, sondern auch darum, sie gegen Organisationen zu unterlassen. Denn dahinter stehen wieder Menschen, die diese Organisationen zu verwalten haben. Wenn pauschale Verdächtigungen weiter erhoben werden, dann bitte ich diejenigen, die das im Wahlkampf zu nutzen versuchen, die notwendigen Beweise zu bringen.
Ich will als Verantwortlicher in der FDP für die Vermögensfragen kurz das dazu sagen, was meinen Verantwortungsbereich betrifft. Erstens: Der Bund Freier Demokraten hat infolge der Änderungen des Parteiengesetzes in der DDR ab 1. Juni dieses Jahres über das Vermögen nur noch in Abstimmung mit dem Vorsitzenden der unabhängigen Regierungskommission verfügt. Es ist keinerlei Verfügung, die außerhalb dieser Zustimmung gelegen hat, vorgekommen. Der Bund Freier Demokraten hat einen vollständigen Bericht fristgerecht zum 30. Juni vorgelegt, in dem alle
Vermögensgegenstände und deren Herkunft aufgeführt ist.
Der Vorsitzende der Kommission, dem dieser Bericht vorliegt, hat uns bestätigt, daß das der umfangreichste und kompletteste Bericht war.
Zweitens. Nach der Vereinigung der Parteien — der ehemaligen LDP und NDPD, die sich zum Bund Freier Demokraten zusammengeschlossen hatten — auf die FDP, ab 12. August, ist die Verantwortung in der Person sozusagen auf mich übergegangen.
— Lassen Sie mich das bitte darstellen. — Seitdem wird genauso verfahren. Wir haben das Vermögen der ehemaligen Parteien der DDR in ein Sondervermögen eingestellt. Wer sich in diesen Dingen auskennt, weiß, was das heißt. Dieses Sondervermögen wird unabhängig verwaltet. Ich garantiere persönlich dafür, daß aus diesem Sondervermögen bis heute, aber auch bis zum Wahltag am 2. Dezember kein Pfennig herausgenommen und für Wahlkampfzwecke oder andere Dinge eingesetzt wird.
Das ist eine Garantie, die ich auf Grund des Einigungsvertrages
— hören Sie doch bitte zu — eidesstattlich zu versichern habe.
— Hören Sie doch zu.
Jetzt kommen wir auf einen zweiten Vorgang. Ebenfalls im Einigungsvertrag ist vorgeschrieben, daß wir zum 1. November eine Schluß- und Eröffnungsbilanz zum Einigungstag vorzulegen haben. Das wird in der nächsten Woche geschehen.
Schließlich ist in dem Einigungsvertrag vorgeschrieben, daß die Schatzmeister aller Parteien eine eidesstattliche Versicherung darüber abzugeben haben, was mit den Geldern geschehen ist,
die nicht aus Mitgliedsbeiträgen, aus Spenden und aus der staatlichen Wahlkampfkostenerstattung stammen. Nun wissen die Mitglieder der SPD ja auch, daß die SPD in der DDR wie andere neue Organisationen auch Millionenbeträge an staatlicher Unterstützung darüber hinaus erhalten hat, nämlich zum Aufbau der Partei: im ersten Halbjahr 11 Millionen Mark der DDR, im zweiten Halbjahr etwa 12 bis 13 Millionen DM.
Dr. Solms
— Ich kündige das ja nur an.
Nun hat Ihr Schatzmeister, Herr Klose, die Verpflichtung, eine eidesstattliche Versicherung zum 1. Dezember diesen Jahres abzugeben, in der er darlegt, daß aus diesen Millionenbeträgen kein Pfennig in den Wahlkampf und die Wahlkampfvorbereitung in der DDR eingeflossen ist. Ich bin neugierig auf diese eidesstattliche Versicherung. Ich kann dem Herrn Kollegen Klose nur größte Vorsicht wünschen; denn er wird sich auf ganz, ganz dünnem Eis bewegen.
Das ist meine Antwort auf Ihre pauschalen Verdächtigungen.
Ich will abschließend sagen: Unsere Zahlen liegen alle auf dem Tisch. Ich gebe sie Ihnen gerne. Sie können in alle Unterlagen hineinschauen. Es ist über keinen Pfennig aus diesem Vermögen verfügt worden.
Erst wenn die neutrale Regierungskommission entschieden hat, welche Vermögensgegenstände sich eindeutig und rechtmäßig im Besitz dieser Parteien befinden, wird darüber entschieden, was mit den einzelnen Vermögensgegenständen geschieht.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gysi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte das hier angesprochene Thema, auch wenn es leider sehr kurzfristig auf die Tagesordnung gesetzt worden ist, für wichtig.
— Ich habe heute früh davon erfahren. — Im Unterschied zu anderen finde ich allerdings, daß es sich nicht für Wahlkampfveranstaltungen eignet.
Lassen Sie mich zunächst ein paar grundsätzliche Bemerkungen machen. Durch uns gab es — übrigens auch im Unterschied zu anderen Parteien — mindestens drei wichtige Veröffentlichungen zu Eigentumsund Vermögensfragen, und zwar im Januar 1990 die Vermögensrechnung für das Jahr 1989, im Juni 1990 den kompletten Bericht über das Eigentum und Vermögen, seine Verwendung bis dahin und seinen Bestand, wobei zu diesem Zeitpunkt die Werte noch nicht feststanden, so daß dieser Bericht im Juli 1990 wertmäßig noch ergänzt wurde.
Ohne daß es irgendeine Rechtspflicht gab, hat die PDS aus politisch-moralischen Gründen bereits Anfang 1990 entschieden,
daß die finanzielle Reserve in Höhe von 3, 041 Milliarden Mark an den Staatshaushalt für gemeinnützige Zwecke abzuführen ist. Ich kenne keine andere Partei, die auch nur irgendeine Mark abgeführt hätte. Man mag das meinetwegen als nicht ausreichend bezeichnen, aber man kann das nicht ungeschehen machen. Es ist immerhin passiert.
Es wurde auch durch uns veröffentlicht, wie die Verwendung durch den Ministerrat beschlossen wurde, wobei sich im nachhinein herausgestellt hat, daß einiges gar nicht so verwendet worden ist, wie es der Ministerrat beschlossen hatte. Aber im wesentlichen ist das Geld für gemeinnützige Zwecke verwendet worden: soziale Fragen, Kulturfragen, Wissenschaftsfragen und anderes.
Darüber hinaus wurde der größte Teil der Parteibetriebe bis zum 31. März 1990, also ebenfalls ohne formale Rechtspflicht auf Grund von Beschlüssen der Volkskammer, abgegeben, wobei entsprechend dem Wunsch der Belegschaften entweder eine Überführung in genossenschaftliches oder in Volkseigentum erfolgte. Für diese Eigentumsänderung hat die PDS selbstverständlich kein Geld erhalten.
— Nein, eindeutig. Ich kann Ihnen das erklären, wenn Sie das wissen wollen. Es ist so: Die Überführung erfolgte kostenlos. Es war vereinbart: Ein Kaufpreis würde theoretisch an dem Tag fällig werden, an dem mehr als 49 % von dem Volkseigentum in Privathand übergeht. Sollte dieser Fall eintreten und sollte gezahlt werden, geht das Geld genauso in gemeinnützige Zwecke und nicht an uns.
— Nein, das müssen Sie als Verkäufer hineinschreiben. Aber klar ist — das ist auch vereinbart —, daß dieses Geld dann nicht an uns fließt, sondern zu gemeinnützigen Zwecken verwendet wird, wenn eine solche Privatisierung stattfindet.
Wir wollten dadurch nur verhindern, daß es kostenlos in Privathand übergeht. Ich glaube, das ist ein berechtigtes Motiv.
Ein großes Problem stellte der Berliner Verlag dar. Ich weiß allerdings nicht, ob ich dieses Thema in meiner Redezeit ganz schaffe. Aber Sie erwarten ja Auskünfte. Ich weiß nicht, ob meine Redezeit verlängert werden kann. Ich versuche aber, meine Darstellung zu schaffen, soweit ich kann. Ein großes Problem also stellte der Berliner Verlag dar, weil es hier um die Sicherung einer Vielzahl von Arbeitsplätzen geht. Inzwischen gibt es hier genehmigte Verträge, wobei der Kaufpreis durch uns an die Treuhandanstalt überwiesen wurde, sich also entgegen den Pressemeldungen nicht bei der PDS befindet.
Dr. Gysi
Hinsichtlich der Immobilien ist der unabhängigen Untersuchungskommission ein kompletter Bericht übergeben worden, aus dem sich auflagegemäß der Buchwert per 30. Juni 1990 in Mark der DDR ergab. Dieser Bericht ist nie beanstandet worden. Er unterscheidet zwischen Eigentumsobjekten und Rechtsträgerobjekten, zwischen abgegebenen und zur Abgabe vorgesehenen Objekten, zwischen von der PDS und von anderen genutzten Objekten.
In dem Vermögensbericht vom Juni und Juli sind die veröffentlichten Angaben zur Gewährung von Darlehen enthalten. Dabei ging es im wesentlichen um die Herauslösung bestimmter Bereiche aus der Partei, um sie selbständig zu machen und um zu verhindern, daß eine Vielzahl insbesondere technischer Angestellter in die Arbeitslosigkeit entlassen werden muß, z. B. beim Fuhrpark. Eine Vermögensschmäle-rung ist insoweit nicht eingetreten, als die finanziellen Mittel durch Darlehensverträge gesichert sind und so jederzeit ein Forderungsübergang möglich wäre.
Wir haben in dem Zeitraum bis zu den Beschlüssen der Volkskammer in beachtlichem Umfang auch Spenden gemacht. Das ist veröffentlicht worden. Ich nenne nur ein Beispiel: Die Humboldt-Universität trat an uns heran, sie sei finanziell am Ende und habe von den 3 Milliarden nichts abbekommen. Daraufhin sind 250 Millionen überwiesen worden.
— Das hat gar nichts mit „edel" zu tun, sondern das hat etwas damit zu tun, daß diese Mittel für gemeinnützige Zwecke eingesetzt worden sind.
In allen Diskussionen bleibt unerwähnt, daß jeder davon ausgeht, daß die PDS die Altlasten der SED zu erfüllen hat. Insgesamt sind fast 40 000 ehemalige Mitarbeiter der SED entlassen worden. Für den größten Teil von ihnen mußte Überbrückungsgeld gezahlt werden. Inzwischen müssen hohe Sozialpläne realisiert werden, die mit der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen aufzustellen wir verpflichtet waren.
Eine jüngste Altlast bezieht sich z. B. auf ausländische Studenten, die in der DDR studieren. Dem liegt zwar eine Vereinbarung mit der UNESCO zugrunde; aber die Einladung erfolgte aus welchem Grund auch immer vom ZK der SED. Das Entwicklungshilfeministerium hat uns vor die Alternative gestellt, diese Studenten, die überwiegend aus der Dritten Welt stammen, unverzüglich nach Hause zu schicken, oder wir übernehmen die Kosten für die Fortsetzung des Studiums für das laufende Studienjahr über 2 Millionen DM.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist beendet.
Ja; ich hatte darauf hingewiesen --
Es tut mir leid. Dies ist eine Aktuelle Stunde, die besondere Regeln hat.
Es sind nur noch eineinhalb Seiten. Ich glaube, das sind noch wichtige Informationen für Sie.
Es tut mir leid. Dies ist eine Regel: In der Aktuellen Stunde hat jeder Redner fünf Minuten.
Darf ich vielleicht zu dem aktuellen Anlaß einen Satz sagen?
Das hätten Sie in den fünf Minuten unterbringen müssen.
Na ja; das ist ein bißchen schwierig.
Das Thema ist ja ein bißchen umfassend, nicht?
Ich bitte Sie, noch einen Satz zu sagen und dann Schluß zu machen.
Gestatten Sie mir noch den Hinweis--
— Also Sie wollen gar keine Aufklärung, entnehme ich daraus, ja? Dann sagen Sie das aber auch vorher, nicht?
Herr Abgeordneter Gysi, Sie haben hier bitte dem zu folgen, was ein dafür verantwortlicher Präsident zu machen befugt ist.
Ich will ja auch gar nichts z. B. zu der Polizeiaktion sagen.
Ich habe soeben gesagt, daß Sie noch einen Satz sprechen können.
Ich wollte ansetzen, diesen Satz zu sprechen. Ich will sagen, daß ich heute z. B. von der Staatsanwaltschaft erfahren habe, daß hier zunächst als Geschädigter die PDS geführt wird. Die Ermittlungen werden Aufklärung bringen. Und ich warne hier, voreilig Schlüsse zu ziehen. Die, die heute besonders laut sind, werden dann möglicherweise leise. Ich erinnere nur an die ominöse angebliche Überweisung von 460 Millionen von einem MfS-
Dr. Gysi
Konto auf unser Konto. Das hat sich als absolute Unwahrheit herausgestellt. Die Berichtigung habe ich nie gelesen. Und die Politiker, die sich auf diese Informationen gestürzt haben,...
Herr Abgeordneter!
... haben nie nachträglich gesagt, daß es ihnen leid tut.
Ich hätte - -
Nein.
Herr Präsident!
Es tut mir leid. Die Zeit ist zu sehr überschritten.
Danke. Ich bin ja fertig.
Ich wollte nur, wenn Sie gestatten, - -
Nein. Es tut mir leid. Ich bitte Sie, den Regeln dieses Hauses zu folgen, die für alle gleichermaßen gelten.
Einen Vorschlag zur Lösung des Problems.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Spilker.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Gysi, Sie haben jetzt fünf Minuten geredet. Ich weiß eigentlich immer noch nicht, wie Sie zu dem Antrag, der hier vorliegt, Stellung genommen haben. Aber das zeichnet Sie seit Wochen und Monaten aus; und so wird es wohl bleiben. Wenn Herr Dr. Ullmann hier sagt, wir müssen streng zwischen der SED von früher und der heutigen PDS unterscheiden, dann hat er sicherlich den Altersunterschied zwischen Ihnen und denjenigen gemeint, die früher die Partei vertreten haben.
Mich stört eines — das darf ich mal ehrlich sagen: Herr Gysi, das betrifft nicht nur Sie, sondern auch Ihre Genossen. Sie berufen sich ununterbrochen auf das Verfassungsrecht, auf das Recht, auf die Freiheit, auf das Leben, auf den Wohlstand, auf soziale Elemente. Da frage ich Sie: Woher nehmen Sie nur die Moral dazu?
— Das möchte ich zurückweisen. Sie mögen ja eine laute Stimme haben — das bestreite ich nicht —, aber das ändert nichts an dem, was mein Freund und Kollege Rühe hier eben ausgeführt hat. Damit bin ich beim heutigen Thema.
Für diejenigen, die sich bemüht haben, für das Vermögen der Altparteien in der früheren DDR im Einigungsvertrag eine Lösung zu finden — sie sind hier eben schon zum Teil genannt worden —, waren diese Meldungen der letzten Tage, der letzten Wochen nicht nur enttäuschend, sondern geradezu erschütternd, denn wir sind davon ausgegangen, daß die betreffenden Vermögen unter Verwaltung stehen, geprüft werden und daß mit diesen Vermögen so verfahren wird, wie wir das vorgesehen haben. Die Schlußverhandlungen habe ich selbst für alle mit Frau Däub-ler-Gmelin geführt, und in der festen Überzeugung abgeschlossen, daß wir gemeinsam etwas Gutes getan haben. Jetzt kann doch nicht jeder anfangen und sagen: Wir haben keine Chancengleichheit. Entweder ist das gemacht worden, was wir beschlossen haben, oder nicht. Das gilt für alle und nicht nur für einen von den Partnern, die im Bundeskanzleramt die Schlußbesprechung durchgeführt haben.
Ich möchte das mal in dieser Offenheit sagen, weil es mich auch überrascht hat, wie es möglich sein kann, daß vom Treuhandvermögen 100 Millionen DM irgendwo wegschwirren, weggebucht werden, ohne Genehmigung der zuständigen Kommission, ohne Genehmigung der Treuhandanstalt.
Zunächst darf ich das wiedergeben, was mein Freund Rühe und was Frau Däubler-Gmelin gesagt haben. Ich gebe das wieder, weil ich dafür Verständnis habe.
Ich frage mich nach meinen eigenen Erfahrungen auch, wie das dann weiter funktioniert.
— Sie täuschen sich; ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Damit fangen Sie einen alten Fuhrmann nicht. Das können Sie schon glauben.
Mich ärgert immer wieder: Wenn etwas unter Treuhand steht, kann man es nutzen, dann muß man dafür bezahlen. Wenn ich Personal übernehme, muß ich dafür bezahlen. Wenn Ihnen die Schatzmeister hier persönlich oder der Generalsekretär der CDU, einer anderen Partei, erklären, daß es zum gegebenen Zeitpunkt am 1. Dezember entsprechende eidesstattliche Erklärungen gibt, dann, meine ich, sollten wir soviel Anstand und Vertrauen diesen Persönlichkeiten gegenüber haben, daß wir uns damit zunächst einmal abfinden und zufriedengeben.
Insgesamt, meine ich — das sage ich auch mit einem gewissen Stolz, weil wir es gemeinsam gemacht haben —, haben wir eine Lösung gefunden, die aber befolgt werden muß. Wenn sie befolgt wird, finden wir auch einen vernünftigen Abschluß. Daher meine ich: Wir sollten achtgeben. Ich bin überzeugt, daß die Bundesregierung das tut. Sie kann dies erst seit einigen Tagen tun und dafür sorgen, daß die Dinge so laufen, wie wir es vorgesehen haben.
Danke.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kuessner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser heutiges Thema haben wir in der Volkskammer oft behandelt, ohne daß wir ein Ergebnis erreicht haben. Hier ist schon an die Debatte am 24. August 1990 erinnert worden. Damals erklärte ein Vertreter der CDU, daß sich die CDU von ihren Vermögen trennen will.
Ich stellte damals ein zögerliches Handeln der CDU fest und brachte meine Zweifel zum Ausdruck, ob sich die CDU denn wirklich von der Last des alten Vermögens trennen wolle. Als stärkste Partei hatte sie während der Volkskammerzeit die Möglichkeit, hier etwas unter Beweis zu stellen.
In der Volkskammer haben damals alle alten Parteien erklärt, daß sie die Vermögenswerte, die ihnen der sozialistische Staat zugeschoben hat, nicht behalten würden. Herr Dr. Gysi von der PDS erklärte sogar, daß die PDS bereits 75 % des ehemaligen Eigentums abgegeben habe. Diese Behauptung scheint ja nun nach den neuesten Erkenntnissen hinfällig zu sein.
Außerdem muß man wissen, daß sich die der alten SED nahestehenden Organisationen vor dem 18. März 1990 mit Mitteln aus dem Staatshaushalt versorgt haben. Unter der Regierung Modrow war ein Vereinigungsgesetz verabschiedet worden, wonach Vereine, denen die Gemeinnützigkeit zuerkannt war, Anspruch auf Staatszuschüsse hatten. Die der SED/ PDS nahestehenden Organisationen reichten daraufhin sofort neugeschriebene Satzungen ein und erhielten die Anerkennung der Gemeinnützigkeit und Mittel aus dem Staatshaushalt.
Dazu ein Beispiel: Die Freidenker erhielten so im Jahre 1990 3, 5 Millionen DM. In der alten Bundesrepublik weiß man vielleicht gar nicht, wer die Freidenker sind. Bei unseren Untersuchungen über die Tätigkeit der Stasi und der SED-Kreisleitung in Greifswald haben wir ein Schreiben der SED gefunden, daß die Bildung der Freidenker als Kraft gegen die Reformkräfte zu unterstützen sei. Die Freidenker formierten sich erst im Sommer 1989.
Die Nationale Front, Anfang des Jahres 1990 aufgelöst, plante für 1990 noch Geld ein für Auszeichnungen und für 1991 für die langsame Auflösung 5 Millionen DM.
Die FDJ ließ sich in den ersten Monaten des Jahres 1990 41, 3 Millionen DM auszahlen.
Es wird Zeit, daß der ganze Filz für die Öffentlichkeit endlich durchsichtig gemacht wird.
Graf Lambsdorff behauptet nun, an der Verzögerung sei die SPD schuld; sie habe erst sehr spät ihre Vermögensübersicht eingereicht.
Als Schatzmeister der DDR-SPD war ich seinerzeit für diese Frage zuständig. Bei uns war damals angekom-
men, daß wir dem zuständigen Ausschuß die finanziellen Mittel der SPD melden sollten. Dies wollten wir auch tun. Dies brauchte bei uns etwas mehr Zeit als in einer Partei, die auf eine Apparaterfahrung von über 40 Jahren zurückgreifen konnte.
So kam unsere Meldung erst im August.
Aber auch Graf Lambsdorff wußte sicher, wie die Vermögensverhältnisse der DDR-SPD waren. Als einzige Partei haben wir im Herbst, ebenso wie die Bürgerbewegungen, mit Null angefangen.
Die ersten Gehälter für Parteimitarbeiter haben wir erst im März 1990 zahlen können. Die Gesamtausgaben betrugen aus der Kasse des Parteivorstandes in Berlin bis zum 31. Dezember 1989 6 Pfennig.
Auch die Einnahmen des Vorstandes waren überschaubar: Sie betrugen insgesamt 547, 63 Mark.
Alle Kosten wurden bei uns in dieser Zeit aus der eigenen Tasche getragen. Dies zeigt unsere Ausgangsposition.
Bei der PDS und den Blockparteien war dies völlig anders: Sie gaben sich neue Programme, arbeiteten aber mit den alten Apparaten, Parteihäusern und Parteibetrieben. Nach der Revolution flossen die Staatszuschüsse in gewohnter Weise in die Kassen der alten Parteien.
Da hier die SPD-Zahlen genannt sind, will ich auch die anderen Zahlen nennen: NDPD 13, 6 Millionen Mark; LDPD 11 Millionen Mark; CDU 17, 7 Millionen Mark; DBD 15, 9 Millionen Mark. Das sind genau die Beträge, die im ersten Halbjahr 1990 ohne Wahlkampfkostenerstattungen gezahlt wurden.
Die PDS kann für sich in Anspruch nehmen, daß sie den Staatshaushalt 1990 außerhalb der Wahlkampf-kostenerstattungen nicht mehr in Anspruch genommen hat. Aber sie hatte ganz sicher keinen Bedarf, da sie sich in den Vorjahren eingedeckt hatte.
Die CDU ist aber nicht schüchtern herangegangen. Wenn man bedenkt, daß sich der Runde Tisch im Dezember 1989 mit der Finanzierung des Aufbaus der neuen Gruppierungen befaßt hat und daß diese Gruppen sehr vorsichtig Staatszuschüsse beantragt haben, finde ich es einfach schamlos, was die CDU in dieser Zeit gemacht hat. Ich kann es nur so verstehen, daß sie damals noch nicht mit den neuen Kräften gerechnet hat.
Chancengleichheit gibt es für die Parteien in Ostdeutschland bis heute nicht. Dies liegt, behaupte ich, vor allem an der CDU.
Das Wort hat der Abgeordnete Lüder.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben eine Aktuelle Stunde, die zu dem Thema „Maßnahmen der Bundesregierung zur Sicherung der im Einigungsvertrag beschlossenen treuhänderischen Unterstellung der Vermögenswerte der SED/PDS und der ehemaligen Blockparteien" angemeldet worden ist. Die Diskussion, die bisher geführt wurde, insbesondere, Herr Kollege, das, was Sie zum Schluß gebracht haben,
bezieht sich auf das, was Sie an Verdächtigungen darüber haben, was andere Parteien hier tun, und dies, nachdem vorhin von Herrn Spilker, von Herrn Rühe und von Herrn Solms unter Beweisantritt dargelegt worden ist — das Angebot zur Offenlegung steht —, daß Sie diese Unterlagen einsehen können. Zu diesem Angebot stehen wir.
Jetzt kommen Sie trotzdem noch mit Verdächtigungen dahin gehend, daß wir das, was im Einigungsvertrag vereinbart ist, nicht einhalten würden.
Nein, meine Damen und Herren, hinsichtlich des Verdachts, das nicht einzuhalten, was im Einigungsvertrag vereinbart ist, kann doch nur eine neue Gruppierung in diesem Hause, gegen die letzte Woche eine Aktion unternommen wurde, überhaupt in Betracht kommen. Wir — dies gilt für die FDP, nach den Erklärungen, die heute gemacht worden sind, aber auch für die CDU/CSU — haben alles Vermögen vertragsgemäß gesondert aufgeführt und unter die Kontrolle des Regierungsbeauftragten und der Treuhand gestellt und werden nicht einen Pfennig gesetzwidrig vergeben und werden auch nicht ein Konto führen, mit dem an der Kontrolle vorbei vielleicht Überweisungen ins befreundete Ausland vorgenommen werden können,
wie es letzte Woche bei einer Partei vorgekommen ist.
Lieber Herr Vogel, was mich an dieser Aktuellen Stunde stört, ist, daß Sie den konkreten Angriff gegen das Unrecht, das die PDS zugelassen hat, der notwendig ist, mit den Verdächtigungen vermischen - -
— Lieber Herr Dr. Vogel, ich wiederhole zum zweitenmal, was hier gesagt worden ist: Sie können die Unterlagen einsehen. Wir können uns damit heute einen gemütlichen Abend machen, wenn die Unterlagen in Bonn sind; sonst fliegen wir nach Berlin.
Wir stehen zu unserem Wort. Wir müssen aufpassen, daß wir mit der Methode, mit der die PDS glaubte sich wehren zu können, nicht zwischen uns selbst
unbegründetes Mißtrauen tragen. Ich meine die Methode der letzten Woche, zu sagen: Haltet den Dieb; liebe Polizei, sieh einmal nach, ob nicht vielleicht der Richter entscheiden sollte! — Statt dessen wollte man doch nur verhindern, daß die Polizei und die Justiz zugreifen. Diese Methode darf hier nicht einreißen und darf nicht zur Grundlage von politischen Verdächtigungen werden.
Ich sage mit Nachdruck — Graf Lambsdorff, Burkhard Hirsch und andere haben es auch gesagt —: Wir kritisieren, daß die Chance, den Richter in die Entscheidung der letzten Woche einzubeziehen, vom Berliner Senat nicht genutzt worden ist. Und: Kollege Gysi und Kollege Modrow haben Anspruch darauf, Immunität und Idemnität zu erhalten, so wie jeder andere Abgeordnete auch. Dies ist das eine. Aber wir lassen damit nicht zu, daß die SPD jemanden, der sich durch riesige Vermögensverschiebungen selbst auf die Anklagebank gesetzt hat und Mißtrauen sät, als Tragriemen benutzt, dieses Mißtrauen auch noch gegen die Koalitionsparteien zu richten. Da sind wir für säuberliche Trennung zwischen dem, was rechtsstaatlich geübte Parteien machen, und dem, was letzte Woche sichtbar wurde.
Ich möchte noch eines als Antwort auf den letzten Redner der SPD sagen: Das Geld, das wir als FDP in den ostdeutschen Bundesländern bekommen haben, ist bis auf den letzten Pfennig für Sozialpläne, zur Abwicklung der Personalangelegenheiten ausgegeben worden, bis auf den letzten Pfennig exakt nach Gesetz und Recht, wie es bei den Freien Demokraten Übung ist.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, Herr Voss.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vermögensverschiebungen, Unterschleife rufen mit Recht Ärger und Empörung hervor. Nur muß man hier klarstellen, daß in einem bestimmten Bereich — Herr Rühe hat das eben schon angesprochen: im Breich der Immobilien — Unterschleife aller Wahrscheinlichkeit nach nur in ganz geringem Umfange überhaupt möglich sind;
denn den Parteien ist das Vermögen, das sie im Immobilienbereich hatten, nicht zu Eigentum übertragen worden, sondern hier sind ihnen lediglich Nutzungsrechte gegeben worden.
— Da müssen Sie die anderen fragen, Frau Kollegin.
— Hier sind die Verhältnisse ja dadurch wieder in Ordnung zu bringen, daß diese Nutzungsrechte widerrufen werden. Nach der Einschätzung des Vorsitzenden der Unabhängigen Kommission, Herrn Dr. Reinecke, werden mehr als 70% der Immobilienwerte, die Parteien bisher gehabt haben, unter diese Rubrik fallen.
Parl. Staatssekretär Dr. Voss
Dann gibt es eine zweite Gruppierung. Das sind die Vermögenswerte, die die Parteien durch unentgeltliche Übertragung aus Staatseigentum oder durch Finanzierung aus staatlichen Mitteln erhalten haben. Hier sind natürlich Aufklärungen notwendig. Sie werden uns zugeben, daß das in den wenigen Wochen, in denen wir hierfür jetzt zuständig sind, nicht bis zum letzten zu machen ist. Aber Sie dürfen versichert sein, daß wir diesen Bereich ganz besonders unter die Lupe nehmen.
Nun lassen Sie mich auf den Fall eingehen, der in den letzten Tagen so viel Wirbel in der deutschen Presse gemacht hat: Die 103 Millionen DM, Herr Gysi, die hier von einem Konto auf ein anderes verschoben worden sind, sind überhaupt nicht bei der Unabhängigen Kommission angemeldet worden. Auch hat keine Genehmigung der Unabhängigen Kommission für irgendwelche Transaktionen vorgelegen. Hier liegt also ein eindeutiger Rechtsbruch vor.
Eindeutige Rechtsbrüche, Herr Kollege, gehören geahndet. Daher hat die Treuhandanstalt schon das getan, was sie in diesem Fall tun kann, um wieder an das Geld zu gelangen. Sie hat nämlich durch Anwälte einen einstweiligen Arrest erwirkt. Dadurch ist das Geld nun festgelegt. Wir glauben, daß wir auf diese Weise auch ein abschreckendes Beispiel gegeben haben, so daß weitere Dinge aus dieser Richtung in Zukunft nicht wieder vorkommen werden.
Meine Damen und Herren, Sie dürfen also sicher sein, daß der Bundesfinanzminister alles tun wird, um diese Abwicklung, für die er zuständig ist, sich in geordneten Bahnen vollziehen zu lassen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Thierse.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beginne mit einem kleinen Geständnis: Es bereitet mir ausgesprochenes Unbehagen, mich mit einem Thema — übrigens nicht mit einem kurzfristig aktuell gewordenen, sondern mit einem sehr alten Thema — zu befassen, das durchaus unappetitlich ist. Das materielle Erbe des SED-Staates, des Blockpartei-Systems, des Besitzstandes der das DDR-Unrechtsre-gime ehemals tragenden Parteien — es gibt neben der Stasi-Vergangenheit kein weiteres Thema, bei dem soviel geheuchelt, soviel angebliche Unwissenheit und Ahnungslosigkeit vorgeführt,
so viele Aktivitäten, die rechtsstaatliche Ordnung herstellen sollen, vorgetäuscht werden. Herkules steht vor dem Augiasstall, aber er wird gar nicht gebraucht. Zahllose Putzfrauen sind doch längst mit dem Staubwedel am Werk. Der Stall ist auch gar nicht so schmut-
zig, wie Übelmeinende behaupten. Und überhaupt, wo ist hier ein Saustall?
Jedenfalls bewundere ich die Ahnungslosigkeit, die Herrn Gysi regelmäßig befällt, wenn er nach genaueren Angaben zum PDS-Vermögen befragt wird. Natürlich kennt er auch Herrn Kaufmann nicht, der gerade nur ein paar PDS-Mark, nämlich 70 Millionen, abgeholt hat.
Ich bestaune den Freimut, mit dem CDU-Funktio-näre mitteilen, die Rechts- und Eigentumsverhältnisse ihrer Parteihäuser seien ihnen vollständig unklar.
— Ich kenne eine Menge solcher Leute in der DDR.
Ich habe allen Respekt vor der sie geradezu in ästhetische Dimensionen erhebenden schönen Folgen-losigkeit der Arbeit der Regierungskommission und der treuhänderischen Unterstellung des Parteienvermögens. Ich bin voller Neid über die atemberaubende Kürze der Schamfrist, die sich PDS, CDU und Liberale abgezwungen und zwischen sich und ihrer Blockparteien-Vergangenheit gelegt haben.
Dabei wissen wir doch alle: Die PDS hat die Nachfolge der SED in ungebrochener Kontinuität um des unermeßlichen — das heißt ja: bisher nicht recht meßbaren — Vermögens der SED willen angetreten. CDU und FDP haben sich nicht gescheut, in vornehm gelassener Selbstverständlichkeit die Eigentumswerte als materielle Basis für den Wahlkampf zu nutzen,
die sie als Nutznießerin des SED-Regimes nur zu Unrecht ihr eigen nennen.
Die CDU hat von der DBD und die Liberalen von der NDPD zwar nicht alle Mitglieder bekommen, aber wohl alles Eigentum übernommen.
Es ist wahrlich nicht anstößig, daß Parteien für ihren Wahlkampf eine materielle Basis haben. Nicht daß die ehemaligen Blockparteien in der ehemaligen DDR Eigentum haben ist skandalös,
sondern wie sie dazu gekommen sind und wie sie dies jetzt zu verstecken, aber gleichwohl zu behalten versuchen, ist das wirkliche Ärgernis.
Wollte man eine Rangliste der größten Immobilienbesitzer in der ehemaligen DDR aufstellen, würde ein-
Thierse
sam an der Spitze die PDS stehen. An zweiter und dritter Stelle aber — und gewiß mit einigem Abstand von der PDS — folgen CDU und FDP. Ich weiß übrigens nicht, in welcher Reihenfolge die beiden zu folgen hätten.
Das Eigentum an Parteihäusern und Villen, an Schulungsstätten in Schlössern und Gutsherrenhäusern, an Verlagen, Druckereien und Zeitungen, an technischen Ausstattungen und Apparaten, an Parteigeschäftsstellen usw. ist zum allergeringsten Teil durch Mitgliedsbeiträge der Blockparteien in der ehemaligen DDR zustande gekommen, erhalten und vermehrt worden. Es ist zum größten Teil schlicht und einfach unrechtmäßiges Eigentum.
Die Tricks, dies zu verbergen, etwa die Umwandlung in GmbHs — die CDU-Zeitungen sind ein schönes Beispiel dafür —, die schnelle, billige Eigentumsübertragung, die Verunklärung der Rechtsverhältnisse von Grundstücken oder die Ankündigung zukünftiger Mietzahlungen — wann endlich erfolgen diese?; die Parteihäuser werden doch schon jetzt genutzt, auch für den Wahlkampf — helfen nichts. Es bleibt weiterhin unrechtmäßig erworbenes Eigentum. Dies werden wir so lange sagen, bis dieses Eigentum gemeinnützigen Zwecken wirklich zugeführt ist.
„Eigentum verpflichtet" höre ich. Aber ich sehe: Unrechtmäßig erworbenes Eigentum verpflichtet offensichtlich zu nichts. Dies ist eine bittere Einsicht.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Blens.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu drei Punkten etwas sagen, zunächst zu den Sozialdemokraten. Worum es Ihnen bei dieser Aktuellen Stunde geht, ist zumindest beim letzten Redner ganz deutlich geworden: Es geht Ihnen darum,
Wahlkampf zu betreiben. Es geht Ihnen darum, so zu tun, als hätten Sie die Volkskammerwahl am 18. März und die Landtagswahlen am vergangenen Sonntag deshalb verloren, weil andere Parteien vielleicht ein Parteihaus mehr haben als Sie.
Ich gebe Ihnen einen Rat: Lernen Sie es spätestens bis zur Bundestagswahl am 2. Dezember: Die Wahlverluste am 18. März und am letzten Sonntag haben nichts mit Parteihäusern zu tun. Das hat etwas mit Ihrer Politik und Ihrem Kanzlerkandidaten zu tun. Vielleicht versuchen Sie es einmal damit, daß Sie eine
neue Politik machen und einen neuen Kanzlerkandidaten einstellen.
Als zweites zur PDS/SED: Es gibt Leute, die sich fürchterlich aufregen, wenn die PDS und SED in einen Topf geworfen werden. Ich kann das nicht verstehen.
Es gab nämlich einmal einen Parteitag der SED, auf dem Leute die Auflösung dieser Partei beantragen wollten. Herr Gysi und Herr Modrow haben da mit Händen und Füßen gekämpft, um das zu verhindern. Dabei kam heraus, daß sie der Partei lediglich einen neuen Namen gegeben haben. Aber was bedeutet das denn? Das ist doch die Fortsetzung der SED mit einem anderen Namen und dem alten Vermögen; nichts anderes ist die heutige PDS.
Wenn man eine Erbschaft angeboten bekommt, gibt es nur zwei Möglichkeiten:
Entweder schlägt man die Erbschaft insgesamt aus, oder man nimmt sie insgesamt an. Die PDS hat sie insgesamt angenommen, und damit hat sie auch die Verantwortung für vierzig Jahre Unterdrückung der Menschen in der DDR, der Menschen in einem Teil Deutschlands, übernommen; aus dieser Verantwortung können Sie sich jetzt nicht einfach herausstehlen.
Da wir nun einmal beim Erbrecht sind: Die Frage des Vermögens der Parteien, insbesondere der SED bzw. PDS, ist ganz einfach nach dem Erbrecht zu klären: Beim Erbfall muß man zunächst einmal klären, was zur Erbmasse gehört. Da gibt es eine Menge auszuscheiden: Das Vermögen, das dem Staat gehörte und der PDS nur zur Verfügung gestellt worden war, gehört nicht zur Erbmasse. Weiterhin gehört nicht das zur Erbmasse, was irgendwelchen Leuten irgendwann einmal ohne Entschädigung enteignet worden ist; denn Diebesgut gehört nicht zur Erbmasse. Wenn man das alles ausscheidet, bleibt noch das ursprüngliche Parteivermögen übrig, das die KPD und die SPD 1946 in die gemeinsame Ehe eingebracht haben. Nun müssen Sie sich als PDS mit der SPD über das ursprüngliche SPD-Vermögen auseinandersetzen. Was Ihnen dann bleibt, ist das alte KPD-Vermögen. Diese KPD-Erbschaft sei Ihnen gegönnt; an diese will keiner heran.
So einfach ist das bei der Erbschaft zu trennen.
Noch etwas zum Erbrecht: Wenn ein Erbe Dinge, die nicht zur Erbmasse gehören, die aber in der Wohnung des Erblassers standen, veräußert, ist das eine Unterschlagung. Wenn jemand etwas unterschlägt, ist das eine Sache für die Polizei, für die Staatsanwaltschaft und für die Gerichte.
Dr. Blens
Damit komme ich zu den Vorgängen in Berlin. Auch ich hätte es lieber gesehen, wenn es bei der Aktion ein paar Polizisten weniger gegeben hätte, wenn sie am Tag passiert wäre und wenn es einen richterlichen Durchsuchungsbefehl gegeben hätte. Aber ich sage auch, daß Gefahr im Verzuge war und daß es unbestimmte Rechtsbegriffe gibt, die man so und so interpretieren und anwenden kann.
Aber wenn sich Herr Gysi hinstellt und aufbläst und von einer Verletzung des Rechtsstaates spricht, kann ich nur eines feststellen: Der Vorsitzende dieser Partei ist der letzte, der die Parlamentarier in der Bundesrepublik Deutschland über Rechtsstaatlichkeit zu belehren hat. Eine Belehrung von dieser Seite haben wir nicht nötig.
Das Wort hat Frau Professor Limbach, Senatorin für Justiz im Land Berlin.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es wäre ein abendfüllendes Programm, wenn ich im einzelnen berichten würde, welche immense strafrechtliche Auf räumarbeit unsere Berliner Staatsanwaltschaft in einem Bereich zu leisten hat, den ich grob als wirtschaftskriminelle Nachwehen des DDR-Regimes bezeichnen möchte. Ich denke nicht nur an die Geschichte mit den transferablen Rubeln oder an die dubiosen Kontobewegungen bei der PDS, sondern darüber hinaus an fragwürdige Grundstücksgeschäfte und an Überführungen von VEBs in Gesellschaften mit beschränkter Haftung, wo sich ähnlich seltsame Tatbestände ereigneten, die wir gewohnt sind, als Betrug oder Untreue zu bezeichnen.
Ich möchte im wesentlichen auf einen Punkt eingehen, den der Abgeordnete Ullmann, Herr Lüder und der letzte Redner erwähnt haben. Das hängt damit zusammen, daß ich hier als Berliner Justizsenatorin spreche.
Ich möchte zuallererst zurückweisen, daß es sich bei diesem Vorgang um eine politische Aktion gehandelt haben könnte. Auch im Land Berlin gilt die Strafprozeßordnung. Es ist nicht Sache des Innensenators oder der Justizsenatorin, Polizeieinsätze oder Durchsuchungen der Staatsanwaltschaft anzuordnen. Gleichwohl sind wir natürlich die politisch Verantwortlichen und haben Rechenschaft abzulegen. Doch wenn ich als verantwortliche Justizsenatorin ein Urteil über das Tun und Lassen der Beamten abgebe, dann muß ich mir füglich die Situation vergegenwärtigen, aus der heraus die Beamten hier gehandelt, d. h. die Durchsuchung der PDS-Zentrale vorgenommen haben. Die Schlüsselfrage — sie ist hier wiederholt angesprochen worden — lautet: Handelte es sich um einen Fall von Gefahr im Verzuge?
Wir alle wissen, von Gefahr im Verzuge redet man bekanntlich dann, wenn jede Verzögerung durch Inanspruchnahme eines Richters zu einem Verlust von Beweismitteln führen könnte. Ich will nun nicht mit Akribie hier im einzelnen nachzeichnen, welche Umstände die Beamten dazu veranlaßt haben, hier einen solchen Fall von Gefahr im Verzuge anzunehmen. Lassen Sie es mich grob skizzieren: Es war so,
daß sehr verläßliche Mitteilungen aus dem Bereich des Bundeskriminalamts vorlagen, die auf diese dubiosen Kontenbewegungen, die übrigens mehrere DIN-A4-Seiten füllen, hingewiesen haben. Es kam hinzu, daß sich diese dubiosen Kontenbewegungen bei einer Durchsuchung der Deutschen Handelsbank bestätigt hatten und man wegen der Herkunft des dortigen Personals durchaus die Besorgnis hatte, daß sich diese Durchsuchungen herumsprechen und möglicherweise zu einem entsprechenden Handeln, etwa zu der Vernichtung von Belegen, führen konnten.
Observationen der Parteizentrale haben Andeutungen dafür ergeben, daß sie sich in der Tat herumgesprochen haben. Nicht allein die Tatsache, daß um 21 Uhr noch Licht brannte, hat die Beamten auf den Weg gebracht; denn wie viele von uns pflegen nicht auch noch um 21 Uhr in ihren Büros zu sitzen. Aber es gab noch eine Fülle anderer Anhaltspunkte, die die Beamten veranlaßt haben, sofort einzuschreiten.
Die PDS hat inzwischen einen Antrag gestellt, der zum Inhalt hat, die Rechtswidrigkeit dieser Maßnahme überprüfen zu lassen. Ein Berliner Ermittlungsrichter wird darüber entscheiden, und wir werden sein Urteil abzuwarten haben.
Meine Damen und Herren, wie ich eingangs betonte, durchlebt die Berliner Staatsanwaltschaft angesichts der Folgen und der Nachwehen dieses totalitären Unrechtsregimes ein Wechselbad der Kritik. Den einen geht es nicht schnell genug; die anderen meinen, daß zu prompt reagiert wird. Unablässig wird uns die Frage nach dem Haftbefehl für Honecker und nach einem Einschreiten gegen Schalck-Golod-kowski gestellt. Auf der anderen Seite wird hier kritisiert, daß auf Grund dieser deutlichen Hinweise die Staatsanwaltschaft im Verein mit der Polizei so schnell eingeschritten ist.
Herr Ullmann, die Berliner Landesregierung ist sich mit Ihnen einig, daß man auch mit seinem politischen Gegner rechtsstaatlich zu verfahren hat. Insbesondere die Berliner Staatsanwaltschaft ist sich bewußt, daß sie angesichts des enormen Vertrauensverlustes, den die Justiz in der DDR erfahren hat, in besonderer Weise beispielgebend rechtsstaatlich zu verfahren hat.
Ich meine, so wie Berlin für Jahrzehnte ein Vorposten des liberalen Rechtsstaats war, wird Berlin auch als Hauptstadt ein Hort rechtsstaatlicher Strafrechtspflege sein und bleiben.
Das Wort hat der Abgeordnete Deres.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In unmittelbarer Fortsetzung der Ausführungen des Kollegen Dr. Blens, der Ihnen einmal sehr deutlich gesagt hat, wie man so ein Thema behandeln muß, möchte ich Ihnen berichten, daß der Haushaltsausschuß an diesem Nachmittag im Rahmen der Nachtragsberatungen Konsequenzen für dieses Thema ziehen wird.
Deres
Die Bundesregierung hat den Bundesinnenminister beauftragt, die Konsequenzen aus diesen Vorfällen und Zuständen zu ziehen. Ich will das ganz bescheiden einmal so ausdrücken. Am Montagmorgen hat der Bundesinnenminister dem Haushaltsausschuß eine Vorlage zugeleitet, die zu folgenden Ergebnissen führen wird.
Wir werden die unabhängige Kommission, die ja
um sechs Mitglieder erweitert wird, zunächst einmal im Haushalt finanziell absichern. Wir werden beim Bundesinnenminister eine Arbeitsgruppe mit 162 Stellen bilden und dazu ein eigenes Aufsichtsre-ferat einrichten. Das heißt, hier wird mit Hilfe von Staatsanwälten und von Wirtschaftsprüfern und darüber hinaus auch mit externem Sachverstand — dafür werden für dieses Jahr noch 200 000 DM eingestellt — die Aufgabe angegangen.
Wenngleich man sich als Haushälter mit diesen Problemen oft nur am Rande befassen kann, obwohl sie so wichtig sind, muß ich Ihnen doch sagen: Ich bin erschüttert über den Gesamtzustand, der auf diesem Gebiet herrscht. Aber man kann der unabhängigen Kommission mit den zehn Mitgliedern an dieser Stelle keine Vorwürfe machen. Es ist wirklich unmöglich gewesen, mehr zu leisten. Jedoch zeigt schon der erste Bericht, der uns seit heute vorliegt, was hier auf uns zukommt.
Meine Damen und Herren, wir werden uns auch mit Fragen, wie wir uns in Zukunft in bezug auf solche Ausgaben zu verhalten haben, beschäftigen müssen. Wir werden der Bundesregierung einen Prüfungsauftrag erteilen, ob wir die Kosten dieser Aktion, die aus bestimmten Gründen zunächst einmal auf ca. fünf Jahre angelegt ist, nicht eventuell auch aus den Erlösen — möglicherweise bleibt am Schluß ein gewisser Nettoerlös übrig — abdecken können.
Im übrigen müssen wir — damit Sie sehen, wie sparsam wir immer sind — überlegen, ob wir Personalstellen, die im Laufe der nächsten Zeit im Bereich der Bundesregierung frei werden, nicht mit den jetzt direkt gewährten Personalstellen verrechnen können.
Ich möchte noch darauf hinweisen, daß wir unseren sonst sehr bekannten Rotstift hier nicht angesetzt haben, weil wir diese Arbeitsgruppe und diesen Arbeitsstab politisch sehr hoch bewerten. Wir haben die Vorstellungen des Bundesinnenministers voll und ganz übernommen. Ich hoffe, daß mit diesem Mittel und diesem Instrumentarium ganz konsequent an die Sache herangegangen werden kann, so daß vielleicht in einigen Jahren dieses leidige Thema dann vom Tisch ist.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ullmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zuerst sagen, daß ich für Verschiedenes, was heute in der Debatte immerhin erreicht worden ist, dankbar bin. Ich danke den Vertretern der FDP und der CDU, daß sie die Zusage gegeben haben, hier eine Offenlegung
hinsichtlich des Finanzgebarens vorzunehmen, wie es angekündigt worden ist.
Nur wünschte ich, ich könnte diesen Offenlegungen mit mehr Vertrauen entgegensehen, als ich es tue. Das muß ich leider so sagen.
Aber das soll nicht die Rücknahme meines Dankes bedeuten; ich will Ihnen hier vielmehr einfach meine Befindlichkeit kundgeben.
Ferner danke ich der Frau Senatorin Limbach für das Bekenntnis zur Rechtsstaatlichkeit. Ich denke, es war wichtig, daß dies in diesem Hohen Hause heute gesagt worden ist. Freilich bleibt für mich eine Frage. Frau Senatorin Limbach hat den Hergang kurz geschildert. Ich bin zu dem Eindruck gekommen, daß der Hergang ziemlich lange gedauert hat. Dann bleibt für mich die Frage offen, warum es in dieser Zeit nicht möglich war, den nötigen Durchsuchungsbefehl zu erwirken.
Ich schließe mit einem Appell, meine Damen und Herren.
Ich bedaure es, daß ein Teil der Debatte in einem Stil stattgefunden hat, der dieses Hohen Hauses nicht würdig ist. Vor allen Dingen ist mir aufgefallen, in welcher menschenverachtenden Weise hier einem beschädigten Menschen geantwortet worden ist. Ich denke, man kann eine Anfrage auch verneinend beantworten. Aber es macht einen großen Unterschied, wie man das tut. Ich bin einfach über die Art und Weise erschrocken, wie Herrn Seifert heute von Staatssekretär Wimmer geantwortet worden ist. Wenn wir diesen Stil unter uns nicht abschaffen, dann werden wir auch das Mißtrauen, das ich gerne aus meinem Herzen los sein möchte, nicht loswerden können. Ich bitte sehr darum, daß wir diesen Stil beseitigen.
Danke.
Meine Damen und Herren, ich schließe diese Debatte. Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
2. a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz von Embryonen
- Drucksache 11/5460 -
Vizepräsident Westphal
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
- Drucksache 11/8057, 11/8175 -
Berichterstatter: Abgeordnete Frau Nickels Seesing Dr. de With
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Kabinettbericht zur künstlichen Befruchtung beim Menschen
zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin, Dreßler, Frau Schmidt , Dr. Emmerlich, Catenhusen, Frau Blunck, Stiegler, Dr. de With, Frau Adler, Amling, Bachmaier, Frau Becker-Inglau, Dr. Böhme (Unna), Frau Bulmahn, Frau Conrad, Frau Dr. Dobberthien, Egert, Frau Faße, Frau Fuchs (Verl), Frau Ganse-forth, Gilges, Frau Dr. Götte, Frau Häm-merle, Frau Dr. Hartenstein, Jaunich, Klein (Dieburg), Kuhlwein, Frau Luuk, Frau Dr. Martiny, Müller (Düsseldorf), Frau Dr. Niehuis, Frau Odendahl, Peter (Kassel), Dr. Pick, Reimann, Rixe, Schmidt (München), Schmidt (Salzgitter), Schütz, Frau Seuster, Frau Simonis, Singer, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Soell, Frau Steinhauer, Frau Terborg, Frau Dr. Timm, Frau Weiler, Frau Weyel, Frau Wieczorek-Zeul, Wiefelspütz, Wittich, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Chancen und Risiken der Anwendung neuer Methoden der künstlichen Befruchtung und bei Eingriffen in menschliche Keimzellen
- Drucksachen 11/1856, 11/1662, 11/8057 -
Berichterstatter: Abgeordnete Frau Nickels Seesing Dr. de With
Zu dem Gesetzentwurf liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 auf Drucksache 11/8179 sowie Änderungsanträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/8191 und 11/8192 vor.
Der Ältestenrat hat für die gemeinsame Beratung eine Stunde vereinbart. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Seesing.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Embryonenschutzgesetz betreten wir, wenn ich es richtig sehe, rechtspolitisches Neuland. Wir greifen durch strafrechtliche Verbote in Bereiche der Forschung ein. Wir verbieten schon jetzt die Anwendung therapeutischer Maßnahmen, die technisch noch nicht ausgereift sind, die aber ganze künftige Generationen verändern könnten.
Wenn dieses Gesetz zunächst die Grenzen der Anwendung der neuen Methoden der In-vitro-Fertilisa-tion und verwandter Verfahren festlegt, so wird es sich bewußtseinsbildend bei allen Fragen des Schutzes menschlichen Lebens auswirken.
Sicher, nicht alle Rechtsprobleme der sogenannten Fortpflanzungsmedizin konnten in diesem Gesetz geregelt werden. Das betrifft vor allem auch die Problematik der heterologen Insemination, also der Herbeiziehung eines Samenspenders. Die Mehrheit im Rechtsausschuß hat sich gegen eine gesetzliche Regelung zu diesem Zeitpunkt ausgesprochen. Ich halte diesen Beschluß auch für richtig, obwohl ich mich selbst lange Zeit für ein strafrechtliches Verbot der heterologen Insemination ausgesprochen habe. Ich habe aber doch starke Bedenken bekommen, ob ein solches Verbot verfassungsrechtlich Bestand haben würde.
Deswegen hatte ich persönlich im Juni dieses Jahres versucht, in einem eigenen Vorschlag diese Problematik zu regeln. Ich mußte aber erkennen, daß die Diskussion über diesen Punkt weitere Fragen, besonders auch verfassungsrechtlicher Art, nach sich zog, so daß der zeitliche Rahmen für die Behandlung des Embryonenschutzgesetzes in Frage gestellt war; denn für Regelungen des Schutzes des menschlichen Embryos ist es höchste Zeit. Ich befürchte, daß die bisherigen standesrechtlichen und sonstigen mehr freiwilligen Regelungen nicht mehr sehr lange Bestand haben können. Der Gesetzgeber ist deswegen gefordert. Wenn wir auch manche andere Vorschrift für wichtig und ihre Gegenstände für regelbedürftig ansehen, sollte an diesen Problemen die Zustimmung zum Embryonenschutzgesetz nicht scheitern.
Ich möchte auch nochmals auf den Zwiespalt hinweisen, in dem ich mich selbst und mit mir wahrscheinlich viele andere befinden: Auf der einen Seite lehne ich für mich alle diese Praktiken der Fortpflanzungsmedizin aus Gewissensgründen, die natürlich von meinen religiösen Überzeugungen geprägt sind, ab. Auf der anderen Seite sehe ich mich aber außerstande, von anderen Menschen dieselbe Einstellung zu verlangen. Ganz besonders gilt das für die Menschen und besonders für die Frauen, die sich nichts sehnlicher wünschen als ein eigenes Kind.
Was bringt uns nun das Embryonenschutzgesetz in der Fassung, wie sie der Rechtsausschuß erarbeitet hat?
Seesing
Erstens. Es wird untersagt, auf eine Frau eine fremde unbefruchtete Eizelle zu übertragen, um sie dann im Körper dieser Frau natürlich oder künstlich zu befruchten, wobei der Begriff „künstlich" immer nur das Verfahren meinen kann. Daran, daß die Befruchtung durch die Verschmelzung der Kerne von Eizelle und Samenzelle geschieht, ändert allerdings auch das technische Verfahren nichts.
Zweitens. Eine Eizelle darf nur befruchtet werden, um bei der Frau eine Schwangerschaft herbeizuführen, von der die Eizelle stammt. Das bedeutet, daß die gezielte Erzeugung — oder härter ausgedrückt: Herstellung — menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken verboten ist und mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe geahndet wird.
Jahrelang ist kontrovers über die Problematik diskutiert worden. Als Ergebnis dieser Diskussion stellte sich heraus, daß ein Schweigen des Gesetzgebers als ein Votum für die Duldung solcher Experimente gewertet würde. Genau das wollen wir nicht.
Das britische Parlament hat die Erzeugung von Embryonen für bestimmte Forschungen unter ganz bestimmten, doch schon einengenden Bedingungen zugelassen. Danach müssen diese Embryonen spätestens am 14. Tag nach der Erzeugung entweder in eine Frau eingesetzt oder getötet werden.
Wir haben unsere Verfassung mit den Art. 1 und 2 geschaffen, um den Staat für alle Zukunft zum Schutz der Menschenwürde zu zwingen. Um jegliche Manipulationsmöglichkeit auszuschalten, muß der Schutz vom Anfang bis zum Ende des Lebens reichen.
Drittens. Dieser Schutz beginnt im Augenblick der Entstehung menschlichen Lebens, d. h. im Augenblick der Verschmelzung der Kerne von Eizelle und Samenzelle. Ohne diese genaue Festlegung, die in § 8 des Gesetzes vorgenommen wird, wären die Vorschriften des Gesetzes sinnlos. Es gibt weder naturwissenschaftlich noch rechtlich noch religiös eine andere Lösungsmöglichkeit, wenn wir die Herstellung von Embryonen z. B. zu Forschungszwecken unterbinden wollen.
Viertens. Höchstens drei Embryonen dürfen auf eine Frau übertragen werden, um eine Schwangerschaft zu erleichtern. Es dürfen auch nicht mehr Eizellen befruchtet werden, als übertragen werden dürfen. Aber ein Verbot, mehr als drei Eizellen zu gewinnen, halte ich im Interesse der behandelten Frau für nicht in Ordnung. Wieso kann man z. B. vor der Entnahme bereits wissen, daß die drei Eizellen alle befruchtungsfähig sind? Die Frau, die sich der Prozedur einer In-vitro-Fertilisation unterzieht, hat so schon genug zu ertragen. So sollte ihr die mehrmalige Entnahme von Eizellen in einem Zyklus erspart bleiben. Ich möchte an dieser Stelle wenn schon nicht davor warnen, dann doch wenigstens fordern, daß die Frau ganz genau über das aufgeklärt wird, was da auf sie zukommt.
Fünftens. Die verbrauchende Forschung an und der Handel mit sogenannten überzähligen Embryonen
werden strafrechtlich verboten. Das letztere wird von allen Leuten verstanden, beim ersteren werden Fragen gestellt. Die Schwierigkeiten kommen doch da-
her, daß der überzählige — d. h. nicht auf eine Frau transferierbare — Embryo ohnehin dem Tod geweiht ist. Man kann sich fragen, ob es aus ethischer Sicht nicht vertretbar sei, diesem ungewollt nutzlosen Leben noch einen Sinn zu geben und es hochrangigen Forschungszielen dienen zu lassen. Aber: Was sind hochrangige Forschungsziele?
Bisher habe ich noch von keinem hochrangigen Forschungsziel gehört, zu dessen Erreichung man gegenwärtig menschliche Embryonen verbrauchen müßte. Und wenn man ein solches Ziel wirklich finden würde, ist es doch sehr fraglich, ob sich die Forschung dann mit einzelnen überzähligen Embryonen zufriedengeben würde. Ich befürchte, daß sie dann viele gezielt hergestellte Embryonen benutzen müßte und möchte. Auch halte ich die Freigabe solcher Experimente nur für einen Anfang, der zu der Gefahr führt, daß Dämme einstürzen: Zuerst sind es nur die zehn Tage alten Embryos, dann die sechs Wochen oder zwölf Wochen alten — und dann? Im übrigen sehe ich in Art. 5 Abs. 3 unseres Grundgesetzes keine verfassungsrechtliche Grundlage für den Forscher, menschliches Leben zu töten, um Erkenntnisgewinne zu erreichen.
Sechstens. Lange habe ich mich für ein totales Verbot der Geschlechtswahl durch Spermienselektion
ausgesprochen. In § 3 des Gesetzentwurfes wird das Verbot auch ausgesprochen; selbst die Überschrift des Paragraphen ist verschärft worden.
Ich habe aber eingesehen, daß einem Ehepaar nicht zugemutet werden kann, das volle Risiko einzugehen, bei einer vorhandenen geschlechtsgebundenen Erbkrankheit ein krankes Kind zu erhalten, wenn künftig die Möglichkeit besteht, durch Spermienselektion ein gesundes Kind zur Welt zu bringen. Ich persönlich habe auch die Verbindung zu einer möglichen Abtreibung gesehen, die jetzt verhindert werden kann. Der Rechtsausschuß hat mit seinem Beschluß rechtlich sehr enge Grenzen gesetzt und die Ausnahmen wirklich auf ganz wenige Erbkrankheiten beschränkt. Die Bluter gehören z. B. nicht zu diesen Ausnahmen.
Siebtens. Auf Vorschlag der Kollegen der SPD ist im Gesetzentwurf verankert worden, daß die wissentliche Befruchtung einer Eizelle mit dem Samen eines schon verstorbenen Mannes strafrechtlich geahndet werden muß, wobei die betroffene Frau von einer strafrechtlichen Verfolgung ausgenommen werden soll.
Achtens. Von besonderer Bedeutung ist das Verbot der künstlichen Veränderung menschlicher Keimbahnzellen. Schon die Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie" hat ein solches Verbot gefordert.
Der Bundestag hat sich mehrfach für ein solches Verbot ausgesprochen, so bei der Abschlußberatung des Berichts der Enquete-Kommission im Oktober 1989 und bei der Verabschiedung des Gentechnikgesetzes im März dieses Jahres.
Seesing
In Teilen der Öffentlichkeit stößt das Verbot auf Kritik. Es wird gefragt, ob wir Politiker denn nicht die Heilung von schwersten Erbkrankheiten durch Gentransfer in Keimbahnzellen oder totipotente Zellen erreichen wollten. Natürlich wollen auch Politiker die Heilung von Krankheiten. Aber die Frage ist doch eine ganz andere. Vielleicht geht es heute nur um eine Krankheit. Morgen sind es dann schon andere Eigenschaften eines Menschen. Wie soll also der Mensch denn letztlich aussehen, der da verändert werden soll? Wollen wir eventuell eine Welt mit nur schönen und gesunden Menschen? Sind wir noch bereit, Behinderte und Behinderungen anzunehmen?
Wenn wir in der nächsten Wahlperiode die Probleme der Genomanalyse zu diskutieren haben, dann werden sich diese Fragen neu und verschärft stellen. Das Problem der sogenannten Keimbahntherapie liegt ja insbesondere darin, daß alle Nachkommen eines Menschen betroffen sind, der aus der Verschmelzung der Kerne einer gentechnisch veränderten Eizelle und einer möglicherweise ebenso behandelten Samenzelle entstanden ist. Das wäre der klassische Fall von Menschenzüchtungen, und die wollen wir nicht.
Neuntens. Daß wir das Klonen und die Chimären– und Hybridbildung verbieten müssen, darüber gibt es Einigkeit im Hause. Deswegen ist es notwendig zu erklären, warum die Koalition einen weitergehenden Antrag der SPD-Fraktion abgelehnt hat, der vorsah, die Befruchtung einer menschlichen Eizelle mit dem Samen eines Tieres oder einer tierischen Eizelle mit dem Samen eines Menschen zu bestrafen.
Um die Befruchtungsfähigkeit männlichen Samens
festzustellen, ist heute der sogenannte Goldhamstertest weit verbreitet. Viele menschliche Samenzellen können nur deswegen nicht eine Befruchtung herbeiführen, weil sie die äußere Eihülle nicht durchdringen können. Diese Eihülle bei einer Frau hat die gleichen Eigenschaften wie die Eihülle eines Goldhamsters. So können bei den in großer Zahl anfallenden Goldhamstereizellen die notwendigen Versuche durchgeführt werden.
Ein Verbot aber müßte die jetzigen Möglichkeiten zur Feststellung der Ursachen der Unfruchtbarkeit und ihrer Behandlung stark einschränken. Da die Männer zu etwa 40 % ausschließlich und zu weiteren 20 % zusammen mit der Frau für die Unfruchtbarkeit bei einem Paar verantwortlich sind, könnte ein Verbot wieder ganz zu Lasten der Frau gehen. Bis Ersatztests ausreichend zur Verfügung stehen, sollte deswegen auf ein Verbot verzichtet werden.
Zehntens. Der Rechtsausschuß hat einen Arztvorbehalt in den Gesetzentwurf eingefügt und damit eine Forderung des Bundesrats erfüllt. Danach darf nur der Arzt die Konservierung eines menschlichen Embryos oder einer Eizelle, in die eine Samenzelle eingedrungen oder künstlich eingebracht worden ist, vornehmen.
Ich will ganz deutlich machen, daß die Konservierung vom Embryonen nur ausnahmesweise zuzulassen ist, wenn der Gesundheitszustand der Frau den Transfer vorübergehend nicht erlaubt, die Frau diesen aber weiterhin wünscht. Ich kann mir vorstellen, daß wir diesen Punkt in einem Fortpflanzungsmedizinge-
setz genau festlegen müssen. Ich möchte auch vorschlagen, gleich zu Beginn der nächsten Wahlperiode die dafür notwendigen Grundgesetzänderungen auf den Weg zu bringen.
Meine Damen und Herren, ich weiß, daß die Mitglieder des Hauses die Problematik „Schutz des menschlichen Lebens" sehr ernst nehmen. Ich weiß auch, daß der Gesetzentwurf noch Mängel aufweist. Aber er zeigt einen richtigen Weg an. Ich kenne zur Zeit kein Land, das einen ähnlich strengen Schutz des Menschen gesetzlich geregelt hat. Ich hoffe aber, daß viele sich auch um diese Frage bemühen. Deswegen sollten wir schon ein Zeichen setzen.
Ich bitte Sie daher um Zustimmung zum Embryonenschutzgesetz.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Däubler-Gmelin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in diesem Hause schon viel über die neuen Methoden der Fortpflanzungsmedizin und auch über die Methoden der künstlichen Befruchtung geredet. Wir waren uns alle völlig darüber im klaren, daß es auf diesem neuen Weg Chancen für Ehepaare gibt, die mit Hilfe dieser neuen Methoden Kinder bekommen können, sonst nicht.Wir waren uns auch darüber im klaren, daß es viele Gefahren und Risiken gibt, die wir nicht in Kauf nehmen wollen. — Wenn wir nicht aufpassen, können die neuen Techniken bei der künstlichen Befruchtung zu einem Einfallstor für die Konstruktion neuer Menschen werden, also für die Erschaffung eines Homunkulus, den wir aus Goethes „Faust" kennen, der aber jetzt in die Reichweite des technisch Machbaren kommt.Viele von uns — aus allen Parteien — haben sich Sorgen gemacht, ob das eigentlich ein Fortschritt ist, was uns da ins Haus steht. Viele von uns haben auch ängstlich gefragt, ob uns die neuen Methoden der künstlichen Befruchtung dazu zwingen, von unseren Vorstellungen von Familie, Vaterschaft oder Mutterschaft Abschied zu nehmen. Die Frage stellt sich, ob wir nun von biologischer und sozialer Teilmutterschaft reden müssen, ob wir jetzt von einer gespaltenen Vaterschaft ausgehen müssen — also von biologischer Vaterschaft einerseits und dem Samenspender andererseits — oder ob wir davon ausgehen müssen, daß es überhaupt keinen feststellbaren Vater mehr gibt, nämlich wenn ein „Samencocktail" verwendet wird.Ich möchte das hier noch einmal in Erinnerung rufen: Wir Sozialdemokraten haben seit langem eindringlich darauf hingewiesen, daß wir das nicht wollen. Wir wollen Begriffe wie einheitliche Vaterschaft, einheitliche Mutterschaft mit dem Inhalt gefüllt sehen, den sie bisher hatten. Wir wollen, daß die Fortpflanzung auch weiterhin unlösbar und eindeutig mit personal zuzuordnender Partnerschaft und Elternschaft verbunden ist — mit der daraus resultierenden Zuwendung und Liebe zwischen Eltern und Kindern und auch zwischen den Partnern.Frau Dr. Däubler-GmelinDas alles waren die Meßlatten, an denen wir, Herr Seesing, uns gemeinsam seit mehr als zwei Jahren hier im Bundestag orientiert haben. Wir Sozialdemokraten haben sie in Anträge einfließen lassen. Wir haben uns bei unserem eigenen Gesetzentwurf über die Fortpflanzungsmedizin von genau diesen Kriterien leiten lassen. Aber wir legen diese Meßlatten auch an den Gesetzentwurf an, der uns heute in zweiter und dritter Beratung vorliegt.Meine Damen und Herren, wir haben versucht, Sie davon zu überzeugen, daß auch Ihr Gesetzentwurf diesen Kriterien genügen muß. Das ist uns nicht gelungen. Er enthält eine ganze Reihe von gravierenden Mängeln, und zwar in prinzipiellen Fragen. Das, Herr Seesing, macht es uns nicht möglich, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.Mir tut das sehr leid, weil ich weiß, daß auch Ihnen an einer vernünftigen und umfassenden Regelung gelegen wäre. Sie haben sich jedoch nicht durchsetzen können, weder in Ihrer Partei noch in Ihrer Koalition. Ich glaube, Sie treffen heute eine große Fehlentscheidung. Sie gehen heute einen Schritt in die falsche Richtung.Lassen Sie mich trotz allem mit etwas Positivem anfangen: Einiges im Gesetzentwurf der Bundesregierung ist durchaus vernünftig, wenn es im Laufe der Diskussion mittlerweile auch selbstverständlich geworden ist. Ein Verbot des Klonens ist ja nun wirklich eine Selbstverständlichkeit. Über die Durchsetzung des Verbots der Chimärenbildung und der Hybridbildung brauchen wir auch nicht mehr zu reden.Wir müssen wohl aber über das reden, was sie gerade aufgegriffen haben, Herr Seesing: Keimzellenverschmelzungen zwischen Mensch und Tier — d. h. über die Artgrenze hinweg — sind jetzt prinzipiell doch möglich. Mich tröstet es überhaupt nicht, daß Sie, wie Sie es ja getan haben, den Goldhamstertest anführen. Fest steht, daß der Gesetzentwurf, dem Sie heute zustimmen wollen, dieses ermöglicht. Das ist die Überschreitung einer Grenze. Dies ist der falsche Weg. Wir werden ihn in Zukunft gemeinsam zu bereuen haben.
Der zweite Punkt ist der, daß es Eingriffe in Keimzellen zu Forschungszwecken nicht geben soll. Das ist gut so, aber wenn Sie Ihren Gesetzentwurf anschauen, dann werden Sie feststellen, daß Sie auch hier wieder Grauzonen zugelassen haben, die eine Forschung ermöglichen, die ebenfalls zur Konstruktion des „neuen Menschen" hinführen kann. Das sind Forschungen, die wir nicht wollen und zu denen wir nein sagen.Es nützt auch nichts, wenn Sie hier Art. 5 des Grundgesetzes zitieren. Dieser Artikel ist mir auch sehr sympathisch. Ich weiß auch, daß dort steht, daß Forschung nicht von der Treue zur Verfassung entbindet. Aber wir wissen doch alle, daß die Dinge, die wir doch alle nicht wollen, eben doch gemacht werden. Bei dem Gedanken, daß Sie mit Ihrem Gesetz tatsächlich die Möglichkeit hierzu offenhalten, dieses zu tun,müßte Ihnen eigentlich genauso unwohl sein wie uns.
— Doch; genau das ist der Punkt. Ich habe vorhin gesagt — es geht bei diesen neuen Technologien darum, die sehr schmale Grenze zwischen Chance und Gefahr zu finden. Sie müssen nicht nur die Grenze bestimmen, sondern sich auch Gedanken darüber machen, ob Sie das kontrollieren können. Hier ist Ihr Fehler, daß Sie den Weg einer strafrechtlichen Lösung gewählt haben. Sie hätten das nicht tun müssen. Das Strafrecht allein ist ein zu grobes Mittel. Wären Sie unserem Vorschlag gefolgt, dann hätten wir ein differenziertes System rechtlicher Instrumente— Berufsrecht, Zivilrecht, Strafrecht, Gesundheitsrecht — einsetzen können. Dann wäre nicht nur die Grenzziehung ganz genau gelungen, sondern wir hätten auch andere Instrumente als den Einsatz der Staatsanwaltschaft gehabt, um eine wirksame Kontrolle auszuüben. Daß das jetzt nicht der Fall ist, Herr Kollege, ist ein großer Fehler. Wir haben darauf schon vor zwei Jahren aufmerksam gemacht. Jetzt begehen Sie diesen großen Fehler. Ich sage Ihnen nochmals: Wir werden ihn alle gemeinsam bereuen.Ich habe Ihnen versprochen, auch einige der vernünftigen Punkte anzusprechen. Daß Sie die Leihmutterschaft, die gespaltene Mutterschaft, in diesem Gesetzentwurf ausdrücklich unterbinden, ist in Ordnung. Wir haben darüber hinaus das Adoptionsvermittlungsgesetz, das so etwas nicht zuläßt.
Das Gesetz enthält die Regelung, daß die Anwendung der Methoden der künstlichen Fortpflanzung bei Ersatz- oder gespaltener Mutterschaft nicht erfolgen darf. Wir finden das gut, ebenso den Arztvorbehalt. Ärgerlich ist, Herr Seesing, daß Sie in Ihrem Gesetz das Verbot der Kryokonservierung nicht übernommen haben. Das heißt, bei Ihnen ist das Einfrieren von Embryonen weiter möglich. Auch das ist ein großer Fehler. Hier wird eben das Scheunentor — Sie sagen: des Mißbrauchs, ich sage: des Gebrauchs — auf dem Weg hin zur Konstruktion anderer, angepaßter Menschen mit gewollten Eigenschaften geöffnet.Wir ärgern uns auch sehr, daß Sie die Methode der In-vitro-Fertilisation insgesamt nicht als die letzte denkbare Methode, also als subsidiär, gekennzeichnet haben. Dabei wissen doch wir alle, daß sie eigentlich nur dann angewandt werden darf, wenn der Kinderwunsch wirklich nicht auf andere Weise erfüllt werden kann. Wir haben Ihnen auch im Rechtsausschuß diesen Vorschlag gemacht. Sie haben das alles nicht angenommen, meine Damen und Herren. Mir ist schon klar, warum nicht. Auch das sind Folgen Ihres strafrechtlichen Weges, der zur Regelung moderner Technologien einfach nicht taugt. Dieser Weg ist falsch! Sie hätten die Konsequenz ziehen und mit uns gemeinsam eine andere Lösung suchen sollen.Das waren bisher aber nur die geringeren Fehler und die geringeren Mängel. Ich sprach eingangs vonFrau Dr. Däubler-Gmelingravierenden und von prinzipiellen Mängeln. Ich will zwei aufzählen und deutlich ansprechen:Ich bin immer davon ausgegangen, daß Sie die gespaltene Vaterschaft genauso wenig wollen wie gespaltene Mutterschaft. Die gespaltene Mutterschaft lassen wir nicht zu. Aber die gespaltene Vaterschaft ermöglichen Sie. Sie lassen die Samenspende zu, das heißt, Sie ersetzen den unfruchtbaren Ehemann durch irgendeinen x-beliebigen Dritten.
Sie lassen auch den Samencocktail zu, d. h. die künstliche Befruchtung, ohne daß die Vaterschaft eines bestimmten Mannes festgestellt werden kann. Das alles verkaufen Sie als das restriktivste, das beste, das vernünftigste und fortschrittlichste Gesetz. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: Das geht so nicht. Es ist einfach falsch, und wir machen das nicht mit.Wenn Sie sich anschauen, was für ein verqueres Bild der beiden Geschlechter im Zusammenhang mit der Fortpflanzung hinter dem Gesetzentwurf steht, dem Sie jetzt zustimmen wollen, werden Sie sich das noch einmal überlegen müssen. Zur gespaltenen Mutterschaft sagen Sie nein. Zur gespaltenen Vaterschaft sagen Sie ja. Die Personalität im Zusammenhang mit der Mutterschaft bejahen Sie. Zur personellen Zuordnung im Zusammenhang mit der Vaterschaft sagen Sie nein. Was gibt das für einen Sinn? Überhaupt keinen!Ich muß Ihnen sagen: Wir fühlen uns von Ihnen allein gelassen. Ich erinnere mich an eine ganze Reihe von Reden, von Vorträgen, von Diskussionen mit Kollegen insbesondere aus der Union. Ich darf Herrn Hoffacker erwähnen, mit dem ich gemeinsam Diskussionen auf dem Katholikentag bestritten habe. Dort hat er gesagt: Selbstverständlich wollen wir das Prinzip der Personalität und der Zuordnung von Eltern und Kindern, selbstverständlich werden wir eine gespaltene Mutterschaft nicht zulassen, und selbstverständlich wollen wir auch die gespaltene Vaterschaft nicht.Und was ist jetzt? Nichts ist mehr, meine Damen und Herren. Ich kann nicht verstehen, warum verantwortliche Politikerinnen und Politiker mit neuen Techniken, die in den intimsten Bereich hineinreichen, derartig verantwortungslos umgehen.Es ist nicht so, daß Sie das nicht wüßten. Vielmehr hat man es Ihnen gesagt, und wir haben darüber diskutiert. Die Wissenschaftler, die Moraltheologen haben Sie darauf hingewiesen. Sie hätten das rechtliche Instrumentarium gehabt, den besseren Weg zu gehen. Das stelle ich ausdrücklich fest.Diese Feststellung gilt auch hinsichtlich des zweiten prinzipiellen Mangels, den dieser Gesetzentwurf in sich birgt und der auch Grund dafür ist, daß man ihm nicht zustimmen kann, wenn man seinen eigenen Anspruch ernst nimmt. Es geht um die Tatsache, daß sie die Geschlechtswahl per Ausnahmevorschrift doch wieder zulassen. Natürlich weiß ich, daß Sie es gut meinen. Selbstverständlich weiß ich, daß die Geschlechtswahl, bei der Samenspende dazu dienen soll, daß Jungen, die eine geschlechtsgebundene Erbkrankheit bekommen können, dann eben nicht er-zeugt werden. Natürlich weiß ich, daß Sie es gut meinen; lassen Sie mich das wiederholen.Aber ist Ihnen eigentlich klar, daß Sie hiermit den ersten gesetzlichen Schritt auf dem Weg in die positive Eugenik gehen? Wollen Sie das wirklich? Ich kann mir das nicht vorstellen. Wenn Sie es wollen, dann sage ich Ihnen sehr deutlich: Wir machen auch hier nicht mit. Einen solchen Gesetzentwurf darf dieses Haus nicht verabschieden.
Es ist ja nicht nur die Ausnahme der Duchenne– Erbkrankheit, die Sie machen. Vielmehr gibt es andere vergleichbare Erbkrankheiten, die dann durch die entsprechende Landesregierung festgestellt werden müssen. Wohin kommen wir denn da? Diese Form der positiven Eugenik will ich nicht in einem einzigen Gesetz sehen, das der Bundestag verabschiedet. Ich kann nicht verstehen, warum Sie an dieser prinzipiellen Stelle nicht nein sagen, auch wenn Ihnen koalitionspolitische Überlegungen vor die Nase gesetzt werden. Und das ist es doch!Sie haben erklärt, Herr Seesing, Sie hätten viele dieser Einzelentscheidungen so und nicht anders getroffen, weil man doch nicht alles bestrafen könne. Das mag ja sein; man kann wirklich nicht alles bestrafen.
Deswegen haben wir Ihnen gesagt: Lassen Sie uns den vernünftigen und den richtigen Weg gehen. Sie haben mit dem „Gott sei Dank" völlig recht. Aber wenn Sie dann den einzig richtigen Weg einer bundeseinheitlichen Regelung durch grundgesetzliche Kompetenzzuweisung nicht gehen, nützt das überhaupt nichts. Das ist dann schlicht — entschuldigen Sie den harten Ausdruck — Drückebergerei. Das ist der Punkt.Wir wollen nicht, daß alles bestraft wird. Wir wollen nicht, daß die gespaltene Vaterschaft ermöglicht wird. Wir wollen keine positive Eugenik, und wir wollen keine Geschlechtswahl bei der Samenspende. Das alles hätten wir jedoch ohne strafrechtliche Regelungen erreichen können oder mit strafrechtlichen Regelungen nur dort, wo sie wirklich angemessen sind, d. h. in einem vernünftigen Regelungskatalog in einem umfassenden Fortpflanzungsmedizingesetz.Jetzt sagt Herr Seesing, er habe das im Juni versucht. Nun, es gab schon ein paar Versuche, die etwas weiter zurückliegen. Vor mehr als einem Jahr haben der Bundesrat und auch meine Fraktion eine Grundgesetzänderung vorgeschlagen. Diese Gesetzentwürfe liegen dem Bundestag zusammen mit unserem Entwurf eines Fortpflanzungsmedizingesetzes vor. Das hat allerdings nicht dazu geführt, daß sich die Koalition verhandlungsbereit gezeigt und daß sie mitgearbeitet hätte.Ostern, nach der Anhörung im Rechtsausschuß, haben wir uns zusammengesetzt und überlegt, was geht und was nicht geht. Die Wissenschaft war bereit, uns zu helfen. Wir hätten, wenn das Justizministerium nicht weiter gemauert hätte, Formulierungshilfen bekommen. Es gab außerdem eine ganze Reihe von Kol-Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1990
Frau Dr. Däubler-Gmelinleginnen und Kollegen aus der Union — ich darf das einmal sagen —, die ebenfalls bereit waren, daran mitzuarbeiten.Das ist deswegen nicht gelungen, weil Sie sich sogar in dieser wichtigen Grundfrage letztlich an sachfremde Entscheidungen in der Koalition gehalten haben. Das ist das Traurige, und das muß hier festgehalten werden. Das ist eine Niederlage, nicht nur in der Sache selber, sondern auch im Bereich der Fortpflanzungsmedizin insgesamt.Ich darf noch einmal festhalten, was unser Ausgangspunkt war. Wir haben gesagt: Die neuen Methoden der künstlichen Befruchtung sind Chancen und Gefahren. Es kommt jetzt für den Gesetzgeber darauf an, daß wir die Grenzen benennen und dann auch die Kontrollinstrumente schaffen, damit wir sie einhalten können. Ihr Gesetzentwurf wird dem auf Grund der prinzipiellen Mängel und auch wegen der von mir erwähnten Ärgerlichkeiten nicht gerecht. Er schützt nicht vor den Risiken und Gefahren. Sie haben keine vernünftige Absicherung vor weiteren Schritten auf dem Weg zur Schaffung künstlicher Menschen angeboten.Wir werden dem nicht zustimmen. Wir werden auch weiterhin versuchen, daß diese Entscheidung korrigiert wird, und zwar schnell.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Funke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Gegensatz zur SPD begrüßen wir den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Schutz der Embryonen.
Dieses Gesetz befindet sich in guter Kontinuität zu den Arbeiten der Enquete-Kommission, an denen unser Kollege Roland Kohn von der FDP aktiv mitgewirkt hat.
In weiser Beschränkung sind nicht alle Fragen der künstlichen Befruchtung aufgegriffen worden, wie es die SPD in den Beratungen gefordert hat. Ich will deswegen die SPD nicht angreifen, denn viele ihrer Vorstellungen sind sehr diskussionsfähig, und Ihr Beitrag soeben hat mich noch einmal sehr nachdenklich gemacht.
Über viele dieser Fragen muß aber noch diskutiert werden, und in einzelnen Fällen bedarf es auch der Grundgesetzänderung, da der Bundestag für solche Regelungen gar nicht die Gesetzgebungskompetenz hat.
Der nunmehr zur Beratung anstehende Gesetzentwurf zum Schutz von Embryonen sieht mit einigen vom Rechtsausschuß erarbeiteten und vorgeschlage-
nen Ergänzungen wesentliche Verbote vor: eines Gentransfers in menschliche Keimbahnzellen, einer gezielten Erzeugung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken, der Verwendung menschlicher Embryonen zu nicht ihrer Erhaltung dienenden Zwecken, der extrakorporalen Befruchtung einer größeren Anzahl menschlicher Eizellen, als für einen einmaligen Behandlungsversuch benötigt werden, der Übertragung von mehr als drei Embryonen innerhalb eines Zyklus, des Klonens wie auch der gezielten Erzeugung von Chimären und Hybridwesen aus Mensch und Tier, der gezielten Festlegung des Geschlechts des künftigen Kindes — in der Tat haben Sie recht, daß es hier die eine Ausnahme für den Fall der schwerwiegenden Erkrankungen gibt —,
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Hier soll heute ein Gesetz verabschiedet werden, das die Anwendung einer Technik regelt, die ein neuartiges Mittel vor allem zur Kontrolle weiblicher Fortpflanzungsfähigkeit ist. Während in der sogenannten Dritten Welt Frauen mit Anreizen und auch mit
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weil die Diskussion noch zu keinem Ende geführt hat.
Sie wissen ganz genau, daß es hier viele Stimmen pro und contra gibt.
— darf ich bitte ausreden? —: Müssen wir im nachhinein noch bescheinigt bekommen, daß wir an sich nicht auf diese Welt gehörten?
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— Lassen Sie mich das doch einen Moment in Ruhe sagen.
Diese Menschen, die wir von außen als Behinderte ansehen, haben zum Teil Fähigkeiten, über die wir nur staunen können, weil sie auf anderen Feldern etwas entwickelt haben, das wir vielleicht nicht kennen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich hätte mich deswegen wahrscheinlich genötigt gesehen, dem Änderungsantrag der SPD zuzustimmen, wenn diese sich darauf beschränkt hätte, daß es bei der heterologen Insemination um verheiratete Partner geht. Da die SPD mit ihrem Änderungsantrag einen neuen § 1 einführen will, in dem — leider ausgelöst durch die mit dem neuen Grundsatzprogramm der SPD eingeführte Ideologie — andere Lebensgemeinschaften der Ehe praktisch gleichgestellt werden sollen, sehe ich mich nicht in der Lage, diesem Änderungsantrag zuzustimmen.
In Buchstabe b) empfiehlt der Ausschuß, die Unterrichtung durch die Bundesregierung — Drucksache 11/1856 — zur Kenntnis zu nehmen. — Ich stelle fest, daß das geschehen ist.
Dann wird in Buchstabe c) empfohlen, den Antrag der Fraktion der SPD - Drucksache 11/1662 - für erledigt zu erklären. Wer ist für diese Empfehlung? — Wer ist dagegen? — Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen der Regierungskoalition für erledigt erklärt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes
- Drucksache 11/7103 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
- Drucksache 11/8118 -
Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Wilms-Kegel
Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf den Drucksachen 11/8193 und 11/8194 sowie Änderungsanträge des Abgeordneten Wüppesahl auf den Drucksachen 11/8195 und 11/8196 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. Widerspruch dagegen? — Dies ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Werner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sprechen heute über das Bundeserziehungsgeldgesetz und über die entspre-
chende Beschlußempfehlung, die auf Drucksache 11/8118 vorliegt. Der Gesetzentwurf, der im Ausschuß einmütig gebilligt wurde, entspricht dem Verlangen des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit vom Jahre 1989. Nach diesem heute zu verabschiedenden Entwurf sollen nichterwerbstätige Ehepartner von Mitgliedern der NATO-Truppen, die Deutsche oder Staatsangehörige eines EG-Staates sind, Erziehungsgeld erhalten, wenn sie schon zwei Jahre vor der Versetzung hierher einen Wohnsitz in Deutschland hatten oder aber Arbeitslosengeld, Übergangsgeld, Eingliederungsgeld und anderes mehr vor der Geburt des Kindes bezogen haben oder aber Beiträge nach dem Arbeitsförderungsgesetz bezahlt wurden. Damit erfolgt de facto eine Gleichstellung des Rechts für diese Frauen mit dem allgemein geltenden Bundeserziehungsgeldgesetz.
Dieses vorliegende Gesetz ist ein wichtiger Schritt in die Richtung auf die Gewährung eines Erziehungsurlaubs von drei Jahren, was wir anstreben, denn die ersten drei Lebensjahre sind für das Kind entscheidende Jahre, in denen es ein Beziehungsgefüge zur Umwelt aufbaut und über die vertrauensvolle Bindung an die Mutter erste Schritte zur Sozialisation unternimmt.
Leider gibt es eine generelle Regelung für den dreijährigen Erziehungsurlaub noch nicht. Auch ein entsprechend gleich lange gewährtes Erziehungsgeld gibt es noch nicht. Aber — dies muß man dankbar feststellen — einzelne, vorwiegend CDU- und CSU– geführte Länder, haben zusätzliche Hilfen und Beurlaubungsregelungen eingeführt, die sich an die Bundesregelung anschließen. Etliche Tarifverträge und betriebliche Vereinbarungen kennen gleichfalls die Möglichkeit einer Beurlaubung nach einer Geburt über die Zeit des Erziehungsurlaubs nach Bundesrecht hinaus. Oft konnten allerdings bisher diese zusätzlichen Hilfen für Mütter nicht wahrgenommen werden, weil die Betriebe Schwierigkeiten mit der befristeten Einstellung von Ersatzkräften hatten. Aus diesem Grunde legen wir heute zur zweiten Lesung Änderungsanträge auf den Drucksachen 11/8193 und 11/8194 vor, wobei in der letztgenannten Drucksache in Abs. 1, nämlich im unteren Teil, das Wort „aber" durch ein „oder" ersetzt werden muß.
Wir hoffen mit diesen Änderungsanträgen zu erreichen, daß jetzt dort, wo dies arbeitsrechtlich möglich ist, tatsächlich auch befristete Einstellungen von Ersatzkräften machbar sein werden.
Zum anderen haben wir mit unserem Änderungsantrag den besonderen Härtefall im Auge, wo etwa der Tod eines Elternteils die Zahlung des Erziehungsgeldes an und für sich zum Erliegen bringen würde. Wir sind der Auffassung, dieses Erziehungsgeld sollte auch bei notwendiger Fremdbetreuung beibehalten werden.
Insgesamt sehen wir in dem jetzigen Vorschlag, mit den Veränderungen, mit denen wir ihn versehen haben, einen wichtigen Schritt in die Richtung einer noch höheren Akzeptanz des Bundeserziehungsgeldes und des Erziehungsurlaubs; denn immerhin 98% aller Mütter nehmen bereits heute Erziehungsgeld und -urlaub in Anspruch, davon nur 6 % bis zu sechs Monaten; aber 94% der Mütter nehmen den Urlaub
Werner
länger in Anspruch. Auch dies ist interessant: 53 % der Mütter kehren nach dem Erziehungsurlaub nicht mehr in den Beruf zurück.
Dies ist ein Grund mehr dafür, Frauen mit Hilfe dieses Gesetzes in die Lage zu versetzen, Beruf und Kinder — im Einklang mit ihren persönlichen Wünschen
— zugleich zu bejahen. Voraussetzung dafür ist natürlich, daß — entsprechend dem jeweiligen Bedarf — Kinderbetreuungsplätze zur Verfügung gestellt werden. Außerhäusliche Erziehung ist, so unterstreiche ich, ein entsprechendes Angebot. Es ist oft, aber nicht immer, meine Damen und Herren, eine Notwendigkeit. Daß in beiden Bereichen für Frauen und Kinder mehr getan werden muß, ist ein offen zutage liegendes Erfordernis.
Ich möchte zum Schluß noch darauf hinweisen, daß es einen Änderungsantrag aus der Mitte des Hauses dergestalt gibt, auch die Staatsangehörigen der Mitglieder der sowjetischen Streitkräfte einzubeziehen.
— Ich weise zum ersten darauf hin, daß es sich bei der Sowjetunion nicht um ein EG-Mitgliedsland handelt, in dem — wechselseitig — etwa ähnliche Zahlungen stattfänden. Ich weise ferner darauf hin, daß es sich bei der Sowjetunion zum zweiten immer noch nicht um einen NATO-Mitgliedsstaat handelt und daß die Sowjets zum dritten bis 1994 vom Territorium der neuen Bundesrepublik Deutschland abgezogen sein werden. Auch deswegen erübrigt sich dieser zusätzliche Änderungsantrag.
Ich bitte Sie, diesen Gesetzentwurf in der zweiten und dritten Lesung — im Einklang mit der Beschlußempfehlung und den gestellten Änderungsanträgen
— anzunehmen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Götte.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt eine große Zahl von deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern, die wegen des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut weniger Rechte als andere Deutsche haben. Das gilt für die deutschen zivilen Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften, die beispielsweise bei Schließung oder Auflösung ihres Arbeitsplatzes keinen Rechtsanspruch auf einen Sozialplan haben. Das gilt aber auch für deutsche Ehefrauen von NATO-Angehörigen, die, wenn sie nicht berufstätig sind, keinen Anspruch auf Erziehungsgeld haben, weil nach Art. 13 Abs. 1 des Zusatzabkommens die im Bundesgebiet geltenden Bestimmungen über soziale Sicherheit für die Mitglieder und das zivile Gefolge einer ausländischen Truppe und deren Angehörige grundsätzlich nicht gelten.
Mein Bürgerbüro befindet sich in Kaiserslautern, der größten US-Garnison außerhalb der Vereinigten Staaten. Dort mehren sich die Beschwerden über diese und andere Sachverhalte. Die von mir mit Blick auf NATO-Truppen soeben beschriebenen Personenkreise wollen keine Deutschen zweiter Klasse sein. Es ist höchste Zeit, daß sich der Bundestag um eine gründliche Revision des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut bemüht und Rechtsgleichheit
für alle Deutschen herstellt. Eigentlich hätten die Verhandlungen dazu unmittelbar nach der Herstellung der deutschen Souveränität beginnen müssen. Aber offensichtlich hat die Bundesregierung wegen des Wahlkampfes keine Zeit dazu.
Da das Zusatzabkommen zum NATO-Truppensta-tut an einigen Stellen auch die Möglichkeit eröffnet, Ausnahmen zu regeln, sind wir heute in der Lage, durch eine Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes wenigstens ein Ärgernis zu beseitigen, nämlich die Ungerechtigkeit, daß nichterwerbstätige deutsche Frauen in der Bundesrepublik kein Erziehungsgeld bekommen, wenn sie mit NATO-Angehörigen verheiratet sind; das soll sich nun ändern. Allen Müttern, die nach dem 30. Juni 1990 ein Kind geboren haben oder in Zukunft Kinder bekommen werden, haben 18 Monate lange Anspruch auf ein Erziehungsgeld von monatlich 600 DM, wenn sie nicht erst seit der Versetzung ihres Ehepartners in Deutschland leben.
Wir Sozialdemokraten freuen uns, daß unser Anstoß diesmal Erfolg hatte — ein seltenes Vergnügen für Mitglieder der Opposition.
Unser Vorschlag, den betroffenen Personenkreis auch in die Kindergeldregelungen einzubeziehen, wurde bisher leider noch nicht akzeptiert. Zwar sind aus dem Ministerium für Arbeit und Sozialordnung Hinweise gekommen, die in die gleiche Richtung tendierten, in die auch wir Sozialdemokraten gehen wollten, dies fand aber nicht die Unterstützung der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition.
Wenn bei einer Neuverhandlung des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut Art. 13 entfiele, bedeutete dies, daß auch deutsche Angehörige von Mitgliedern ausländischer Streitkräfte einen Anspruch auf Kindergeld haben. Ich meine, das wäre nur gerecht.
Nun zu den Änderungsanträgen der CDU, die uns erst heute nachmittag auf den Tisch gekommen sind. Der Härteregelung stimmen wir zu. Probleme haben wir mit der Regelung, daß die Möglichkeit, befristet Ersatzkräfte einzustellen, während die Mutter im Mutterschaftsurlaub ist, ausgedehnt wird, ohne daß dabei gleichzeitig der Kündigungsschutz für die Mutter verlängert wird.
Wir haben ja vor wenigen Wochen hier im Bundestag beantragt, daß der Kündigungsschutz für Mütter, die das Erziehungsgeld in Anspruch nehmen, auf drei Jahre ausgedehnt werden soll. Sie haben das abgelehnt.
Es wäre nun logisch und konsequent gewesen, wenn Sie in diesen Antrag den verlängerten Kündigungsschutz aufgenommen hätten. Das ist aber nicht der Fall gewesen. Deshalb werden wir uns bei diesem Antrag der Stimme enthalten, in der Hoffnung, daß Sie vielleicht doch noch so konsequent sind, den von uns beantragten Kündigungsschutz in die Tat umzusetzen, sei es auch in der nächsten Legislaturperiode.
Das Wort hat der Abgeordnete Eimer.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird dem Anliegen nichterwerbstätiger Frauen von NATO-Truppenangehörigen entsprochen. Ihnen werden jetzt wie bereits den berufstätigen Frauen Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld gewährt. Damit entsprechen wir dem Gleichbehandlungsgrundsatz und geben allen deutschen Frauen die Möglichkeit, sich ganz oder teilweise der Kindererziehung zu widmen, und zwar bei gleichzeitiger finanzieller Unterstützung.
Die Kindererziehung ist eine der verantwortungsvollsten gesellschaftspolitischen Aufgaben. Dieser Tatsache haben wir mit der Einführung des Bundeserziehungsgeldgesetzes Rechnung getragen. Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld haben den Erziehungsberechtigten — Männern wie Frauen — ein Stück mehr Wahlfreiheit gegeben.
Dementsprechend hoch ist die Akzeptanz des Gesetzes. Es wurde schon gesagt: Über 90% aller Berechtigten beziehen Ansprüche aus diesem Gesetz und können so zu ihrem Lebensunterhalt beitragen.
Es hat sich jedoch in der Vergangenheit gezeigt, daß dieses Gesetz um eine Härtefallregelung ergänzt werden muß. Wenn heute z. B. eine Mutter stirbt, hinterläßt sie nicht nur ein Kind, dessen weitere Betreuung unsicher ist, z. B. auch dann, wenn ein Ehepartner vorhanden ist, der unbedingt berufstätig sein muß. So können beispielsweise Großeltern, die sich an Stelle der Eltern um das Kind kümmern, in finanzielle Bedrängnis geraten. Oft ist die Bereitschaft zur schnellen Hilfestellung da. Das Erziehungsgeld kann es ermöglichen, ein Kind in einer ihm vertrauten Umgebung aufwachsen zu lassen und ihm über den Tod des Elternteils hinwegzuhelfen.
Mit der Härtefallregelung ändern wir diesen Zustand. Großeltern, nahe oder entfernte Verwandte oder auch andere Menschen können jetzt die weitere Betreuung des Kindes übernehmen und erhalten 18 Monate lang Erziehungsgeld. Damit nähert sich das Bundeserziehungsgeldgesetz mehr und mehr liberalen Grundsätzen. Es soll nämlich dem erziehenden Elternteil keine bestimmte Lebensform vorgeschrieben werden.
Das Erziehungsgeld gilt vorrangig dem Kind. Es wird zukünftig immer dort vergeben, wo Kinder betreut werden. Das entspricht einer kinderzentrierten Gesetzebung, die ich als Mitglied der Kinderkommission ausdrücklich unterstütze. Ebenso wünsche ich mir eine zeitliche Ausdehnung des Erziehungsgeldes, sobald dies finanziell machbar ist. Dies hat auch mein Kollege Werner in seiner Rede gefordert.
Meine Damen und Herren, ich meine, die Finanz– und Haushaltspolitiker sind aufgerufen, mehr auf die Familienpolitiker zu hören, das, was notwendig ist, so schnell wie möglich zu machen und nicht erst Urteile des Verfassungsgerichts abzuwarten.
Mit dem vorliegenden Änderungsantrag wird weiterhin die Möglichkeit von befristeten Arbeitsverträ-
gen für die Ersatzkräfte über den Zeitraum des Bundeserziehungsgeldgesetzes hinaus geschaffen. Für Ersatzkräfte, für Männer und Frauen, die zur Vertretung einer Arbeitnehmerin im Unternehmen eingesetzt werden, ist es wichtig, langfristig bis zum Ende der Fristen des Landeserziehungsurlaubs disponieren zu können. Aber auch die Arbeitgeber brauchen einen gesetzlichen Rahmen, um flexibel agieren zu können. Nur dann, wenn zeitlich befristete Arbeitsverträge möglich sind, werden sie verstärkt bereit sein, für die Dauer des Landeserziehungsurlaubs Springer und weitere Urlaubs Vertreter einzustellen.
— Darauf komme ich noch zu sprechen. — Diesem Wunsch entsprechen wir mit dem vorliegenden Änderungsanstrag. Darüber hinaus halte ich Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge, die eine bevorzugte Wiedereinstellung der Mutter oder des Vaters nach Zeiten der ausschließlichen Kinderbetreuung vorsehen, für unbedingt notwendig. Ich glaube, das ist besser, Frau Kollegin, als eine starre Einstellungsgarantie, die über die heutige Frist hinausgeht, weil wir wissen, daß sich derartige Gesetze meist gegen die zu Schützenden aussprechen.
— Herr Kollege, ich habe im Zusammenhang mit Tarifverträgen nicht von der Garantie des Arbeitsplatzes, sondern von einer bevorzugten Wiedereinstellung gesprochen. Das bedeutet nämlich, daß bei kleineren Firmen nicht so schnell unüberwindbare Härten entstehen können, daß dies aber bei Großbetrieben und vor allem im Zusammenhang mit den befristeten Arbeitsverträgen faktisch zu einer Einstellungspflicht wird; denn dort wird man immer nachweisen können, daß dies möglich ist.
Ich meine, mit diesem Gesetz wird unsere Gesellschaft wieder etwas kinderfreundlicher. Wir werden ihm zustimmen.
Das Wort hat Frau Beck– Oberdorf.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist zu begrüßen, daß wir heute an Hand des vorliegenden Gesetzentwurfes über Erziehungsarbeit reden. Es ist deshalb zu begrüßen, weil Erziehungsarbeit bekanntermaßen noch immer Frauenarbeit ist und weil Frauenarbeit in dem ganzen Vereinigungstaumel der beiden deutschen Staaten totgeschwiegen worden ist. Die männlichen Unterhändler des Staats- und Einigungsvertrages interessierten sich für Frauen nur im Zusammenhang mit einer Frage, zu der sie besser geschwiegen hätten, nämlich der Frage, wie denn nun die Abtreibungsmöglichkeiten gesamtdeutsch geregelt werden sollten.
Es bleibt festzuhalten, daß der Mann durch die Phase der deutsch-deutschen Vereinigung wieder fest als das Maß aller Dinge etabliert wurde. Wenn die
Frau Beck-Oberdorf
Prognosen der Wirtschaftsinstitute, nach denen wir im kommenden Jahr offiziell 5 Millionen Erwerbslose haben, auch nur annähernd zutreffen, rückt zudem der männliche Arbeitnehmer, dessen Arbeitsplatz es zu schützen und zu erhalten gilt, in den Mittelpunkt.
Vor diesem Hintergrund erscheint die Diskussion um die Umverteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern fast als Luxusthema. Wir bestehen dennoch auf dieser Diskussion. Wir haben in diesem Zusammenhang immer deutlich gemacht, daß die jetzige Ausgestaltung des Erziehungsurlaubs ein absolut untaugliches Mittel für die Umverteilung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit zwischen den Geschlechtern ist. Im Gegenteil, in einer neueren Untersuchung des Instituts der Deutschen Wirtschaft ist die entlastende Funktion des Erziehungsurlaubs für den Arbeitsmarkt nachgewiesen worden. Das hat der Kollege Werner soeben als Posi-tivum hervorgehoben. Es heißt aber konkret, daß die Frauen nach dem Erziehungsurlaub aus dem Arbeitsmarkt aussteigen und nicht wieder in ihn hineinfinden können.
Nun zum Gesetzentwurf zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes, mit dem wir uns hier beschäftigen. Selbstverständlich finden wir es in Ordnung, daß auch die Frauen der Militärs in den Genuß der — wenn auch unzureichenden — Regelungen für Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld kommen. Selbstverständlich finden wir es auch für diese Frauen nicht in Ordnung, daß das Erziehungsgeld an eine Unterbrechung der Erwerbstätigkeit oder auch an das Sich-Hinabbegeben in den 19-Stunden-Status — das ist ein ungesicherter Status auf dem Arbeitsmarkt — anknüpft.
Nun habe ich noch einige Fragen zur Diktion des Textes. Warum eigentlich hat die Bundesregierung den Begriff „Ehepartner von NATO-Angehörigen" gewählt? Tritt sie seit neuestem für die Ehe zwischen Männern ein, oder hat sie einfach vergessen, daß die NATO-Angehörigen mehrheitlich Männer sind? Hat sie vor allen Dingen die Ergebnisse ihrer eigenen Untersuchung über die Inanspruchnahme des Erziehungsgeldes nicht zur Kenntnis genommen? Denn danach haben ganze 1, 3 % der Männer den Erziehungsurlaub in Anspruch genommen. Zwei Drittel dieser Männer waren übrigens vorher erwerbslos.
Wir vermissen in Ihrem Entwurf die Einbeziehung der Zivildienstleistenden und die Einbeziehung der sogenannten nichtehelichen Väter. Es ist bekannt, daß die Zahl der Kinder, die in nichtehelichen Lebensgemeinschaften aufwachsen, größer wird. Es gibt keinen Grund, anzunehmen, daß sich diese Tendenz verändern wird.
Abschließend möchte ich noch einmal auf die banale Tatsache hinweisen, daß finanzielle Überlegungen bei der Inanspruchnahme von Erziehungszeit und Erziehungsgeld eine große Rolle spielen. Das ist bei Frauen nicht anders als bei Männern. Wer sich dafür entscheidet, eine gewisse Zeit dem Leben mit Kindern zu widmen, muß finanziell vernünftig abgesichert sein. Deswegen bestehen wir auf unserer Forderung, daß das Erziehungsgeld nicht unter 1 200 DM betragen darf, weil es sonst nichts als ein Taschengeld ist. Für ein Taschengeld bleiben Väter bekanntlich nicht
zu Hause. Anreiz und Möglichkeiten für Männer, in die Erziehungsarbeit einzusteigen, bietet dementsprechend der Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht.
Es bleibt uns deswegen nichts anderes übrig, als auf unser Antragspaket „Friedensdienst an der Wickelkommode " zu verweisen, in dem wir die Ausdehnung des Erziehungsurlaubs auf Zivildienstleistende und Wehrpflichtige und auf Berufs- und Zeitsoldaten fordern und Vaterschaftsurlaub analog zum Mutterschaftsurlaub gestaltet sehen wollen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Deneke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn heute die Debatte darum geht, ob nichterwerbstätige Ehepartner von Mitgliedern der NATO-Truppen, die Deutsche oder Angehörige eines EG-Staates sind, Anspruch auf Erziehungsgeld erhalten, so ist das eine positive Regelung zugunsten der angesprochenen Personengruppe. Unverständlich jedoch ist die Festlegung, daß nur dann Erziehungsgeld gezahlt wird, wenn in den letzten Jahren vor der Einreise ein Wohnsitz im Geltungsbereich des Gesetzes vorhanden war. Das ist eine Benachteiligung derjenigen, die vom häufigen Wechsel des Einsatzortes betroffen sind, und erschwert somit wiederum die soziale Lage dieser Menschen.
Darüber hinaus habe ich einige grundsätzliche Anmerkungen zum Bundeserziehungsgeldgesetz in seiner jetzigen Fassung. Ich möchte in diesem Zusammenhang Änderungsbedarf nicht nur für eine begrenzte Personengruppe, sondern auch im Interesse von allen Frauen und Männern anmelden, deren Bedürfnisse sich nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie ausprägen. Die gegenwärtigen Regelungen des Bundeserziehungsgeldgesetzes einschließlich des vorliegenden Änderungsvorschlages schreiben bei allem Fortschritt in der Konsequenz letztendlich die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung fest, verweisen in der Regel die Frauen zurück in das alte Rollenverständnis und beschneiden ihre Möglichkeiten der selbständigen ökonomischen Existenzsicherung. Denn die Leistungen nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz liegen weit unter dem durchschnittlichen Nettomonatseinkommen aus Vollerwerbstätigkeit. Bei freier Wahl der Ehepartner — weshalb eigentlich nicht: der Lebenspartner? —, wer von ihnen diese Leistungen in Anspruch nimmt, ist präjudiziert, daß sich der- oder diejenige mit dem geringeren Einkommen dafür entscheidet. Das ist in der Regel wiederum die Frau.
Für eine harmonische Entwicklung bedarf ein Kind mütterlicher wie väterlicher Einflußnahme. Wir sollten dem jungen Vater dieses Recht nicht nur formal gewähren, sondern auch die materiellen Bedingungen dafür ausgestalten. Es geht hierbei meiner Meinung nach um die gleichgestellten Möglichkeiten von Müttern und Vätern, mit ihren Kindern zu leben, ihnen Fürsorge angedeihen zu lassen, völlig unabhän-
Frau Deneke
gig davon, ob die Partner miteinander verheiratet sind oder nicht. Verantwortung für ihr Kind haben sie beide, auch den Anspruch, dieser Verantwortung nachzukommen.
Ein solches Herangehen würde zugleich einen weiteren Emanzipationsfortschritt der Frauen einleiten. Denn gegenwärtig werden mehrheitlich junge Frauen in einer leistungsfähigen Lebensphase von der Berufstätigkeit, von Qualifizierung im Beruf und von Aufstiegschancen ausgeschlossen. Auch der Wiedereinstieg in den Beruf bliebe auf diese Weise kein frauentypisches Problem, sondern bekäme mit der männlichen und weiblichen Dimension einen höheren gesetzgeberischen Stellenwert als bisher.
Einen Lösungsansatz für das Problem sehe ich in einer bundesweit wirksamen, in der Regel nettolohnorientierten Bemessung von Erziehungsgeld bei gleichzeitiger Sicherung eines bedarfsdeckenden Mindestsatzes von 1 200 DM pro Monat für all jene Leistungsempfänger und -empfängerinnen, die über kein oder nur ein sehr geringes Einkommen aus bisheriger eigener Erwerbstätigkeit verfügen. Das entspräche meines Erachtens am ehesten dem gesetzlich schon heute formulierten Recht der freien Wahl von Partnern, wer von ihnen Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub in Anspruch nimmt.
Würden Sie bitte zum Schluß kommen.
Ja. — Der damit verbundene Kostenanstieg wäre durch radikale Einsparungen im Rüstungshaushalt durchaus finanzierbar.
Danke.
Das Wort hat der Abgeordnete Wüppesahl.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, die beiden Vorrednerinnen haben schon deutlich gemacht, daß dieser Gesetzentwurf handwerklich ausgesprochen schludrig ist, weil er viele notwendig aufzunehmende Bevölkerungsgruppen ausschließt, deshalb politisch-inhaltlich zum Teil fatal ist und gesellschaftspolitisch hinsichtlich seines Wertemodells 20 Jahre hinter dem Jahre 1990 herhinkt.
Deshalb, Herr Kollege, werde ich zumindest zwei Änderungsanträge in dem Bemühen einbringen, zu retten, was zu retten ist.
Die Neuregelung der Bundesregierung ist deshalb nicht zu akzeptieren, weil eine Einschränkung die andere ablöst. Oder wie sonst soll man es verstehen, wenn einerseits zukünftig die Ehegatten von NATO-Truppenangehörigen in das Bundeserziehungsgeldgesetz einbezogen werden sollen, was jedoch andererseits zu dem Ergebnis führt, daß die Angehörigen
der NATO-Truppen — und wieso eigentlich bloß die Angehörigen der NATO-Truppen, weshalb auch nicht die Angehörigen der sowjetischen Truppen, die nach dem Abschluß des Vertrages über die äußeren Aspekte der deutschen Einheit zumindest noch einige Jahre hier stationiert bleiben werden, und Frankreichs? — nur dann Erziehungsgeld erhalten, wenn sie in den letzten zwei Jahren vor der Einreise des Ehegatten ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik hatten? Erfahrungsgemäß müssen Mitglieder der NATO-Truppen ihre Einsatzorte häufig wechseln, um die Zusammenarbeit der Truppenteile der einzelnen Mitgliedstaaten zu erproben. Die hieraus resultierende Belastung für die Familien der Soldaten ist ohnehin erheblich. Es ist daher nur schwer nachvollziehbar und den Betroffenen auch nicht vermittelbar, weshalb sie in dieser schwierigen Situation zusätzlich noch durch die Nichtgewährung von Erziehungsgeld benachteiligt werden sollen.
Der längst fälligen Abstellung dieser Ungerechtigkeit, die in der Bevölkerung ein großes Unverständnis hervorgerufen hat, wird erneut ein Riegel vorgeschoben. Auch seitens der Bundesregierung sind keine Argumente ersichtlich, die die beabsichtigte Regelung zwingend erforderlich erscheinen lassen, zumal es hier wirklich um marginale Beträge geht, wenn man die Gesamtsumme betrachtet. Im Gegenteil: Die so beabsichtigte Neuregelung bedeutet einen erheblichen Verwaltungsaufwand; denn es muß in jedem Einzelfall sozusagen zurück in die Vergangenheit ermittelt werden. Bei der also ohnehin nur geringen Zahl derer, die durch die Neuregelung erfaßt werden, fallen die Einsparungen durch die einschränkende Ausnahmenorm nicht ins Gewicht, werden möglicherweise sogar vollständig kompensiert.
Ich forderte daher für alle nichterwerbstätigen Ehepartner von Mitgliedern der NATO-Truppen, der sowjetischen Truppen sowie der französischen Verbände einen Erziehungsgeldanspruch, auch wenn sie vor der Versetzung des Truppenmitglieds noch nicht in der Bundesrepublik Deutschland gelebt haben. Entsprechend sind die beiden Änderungsanträge, denen Sie im Anschluß an meine Ausführungen freundlicherwiese Ihr positives Votum zuteil kommen lassen werden, formuliert.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Staatssekretär Pfeifer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu den beiden letzten Wortmeldungen möchte ich sagen: Die Bundesregierung hat sich im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf auf die Frage konzentriert, die bei der Beschlußfassung über die Verlängerung der Zahlung von Erziehungsgeld und der Gewährung von Erziehungsurlaub im vergangenen Jahr offengeblieben ist. In diesem Gesetzentwurf wird diese Frage positiv entschieden. Auch nichterwerbstätige Frauen, die die deutsche oder die Staatsangehörigkeit eines EG-Mitgliedslandes besitzen und die mit einem Soldaten der verbündeten NATO-Truppen verheiratet sind, erhalten einen Anspruch auf das Erziehungsgeld
Parl. Staatssekretär Pfeifer
für alle nach dem 30. Juni 1990 geborenen Kinder. Das war auch das Petitum in einer Entschließung des Deutschen Bundestages bei der Verabschiedung dieser Novelle zum Erziehungsgeldgesetz.
Dieser Gesetzentwurf ist damit für diese Legislaturperiode der Schlußpunkt unter vielen Verbesserungen, die wir beim Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub in der laufenden Legislaturperiode erreicht haben. Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub sind inzwischen Marksteine in der Familienpolitik dieser Bundesregierung und dieser Regierungskoalition geworden. Sie tragen entscheidend dazu bei, daß junge Familien die Aufgaben in Familie und Beruf besser miteinander verbinden können; das ist die Zielsetzung.
Nach den mir vorliegenden neuesten statistischen Zahlen nehmen heute über 98 % der im aktiven Erwerbsleben stehenden Erziehungsberechtigten den Erziehungsurlaub und 96 % der Eltern insgesamt — in der Regel die Mutter — nach der Geburt ihres Kindes das Erziehungsgeld in Anspruch. Das heißt, die Eltern nehmen sich für ihre Kinder Zeit und geben ihren Kindern in den ersten Lebensmonaten die Zuwendung, auf welche diese Kinder angewiesen sind.
Dies ist ein Ergebnis unserer Familienpolitik. Es ist von fundamentaler Bedeutung für das Leben dieser Kinder wie auch für die Stärkung der Erziehungskraft und der Lebensgemeinschaft unserer Familien.
Es war deshalb richtig, daß wir dieses Erziehungsgeld und den Erziehungsurlaub in dieser Legislaturperiode auf eineinhalb Jahre ausgedehnt haben.
Unser Ziel bleibt: Wir wollen drei Jahre Erziehungsgeld, und zwar so lange, bis das Kind in den Kindergarten gehen kann, erreichen.
Es ist weiter richtig, daß Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub nun auch für alle ab dem 1. Januar 1991 zur Welt kommenden Kinder in den fünf neuen Bundesländern eingeführt werden. Es ist auch richtig, daß wir mit diesem Gesetzentwurf den Anspruch auf Erziehungsgeld auf Frauen in unserem Land ausdehnen, die es bisher nicht bekommen konnten.
Ich bitte Sie deshalb, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes.
Ich rufe Art. 1 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der FDP sowie des Abgeordneten Wüppesahl vor.
Ich lasse zunächst über die Änderungsanträge des Abgeordneten Wüppesahl abstimmen. Wer für den Änderungsantrag des Abgeordneten Wüppesahl auf Drucksache 11/8195 stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der GRÜNEN/Bündnis 90 und eini-
gen weiteren Enthaltungen mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag des Abgeordneten Wüppesahl auf Drucksache 11/8196? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen der GRÜNEN/Bündnis 90 und der Gruppe der PDS mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über die Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der FDP.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/8193? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Gegenstimmen und einigen Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/8194? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der anderen angenommen.
Wer dem Art. 1 in der Ausschußfassung mit den soeben beschlossenen Änderungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Gruppe der PDS und der GRÜNEN/Bündnis 90 mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 2 und 3, Einleitung und Überschrift mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der GRÜNEN/Bündnis 90 und der Gruppe der PDS angenommen.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, daß wir auch nach Annahme der Änderungsanträge unmittelbar in die dritte Beratung eintreten können. — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das mit der erforderlichen Mehrheit so beschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wer dem Gesetzentwurf mit den soeben beschlossenen Änderungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 4:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dreßler, Heyenn, Andres, Egert, Dr. Haack, Hasenfratz, Kirschner, Peter , Reimann, Schanz, Schreiner, Frau Steinhauer, Urbaniak, Frau Weiler, von der Wiesche, Bernrath, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten (Zweites Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz)
- Drucksache 11/956 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 11/8150 -
Vizepräsidentin Renger
Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Steinhauer
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 45 Minuten vorgesehen. Gibt es dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Steinhauer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Seit 1982 hat die SPD-Bundestagsfraktion durch parlamentarische Anfragen und Gesetzentwürfe Vorschläge für ein einheitliches Kündigungsrecht für alle Arbeitnehmer eingebracht. Nach den jüngsten Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Mai 1990 verstoßen die unterschiedlichen Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte gegen das Grundgesetz. Das Musterurteil der höchsten Instanz greift unmittelbar in die Arbeitsverhältnisse von Millionen Beschäftigten ein.
Die Ungleichheit sieht das Gericht darin, daß Arbeiter nach den arbeitsrechtlichen Vorschriften kürzere Kündigungsfristen haben als Angestellte. So sind die sozialen Folgen bei einer Kündigung höchst unterschiedlich. Arbeiter werden innerhalb von in der Regel zwei Wochen auf die Straße gesetzt, Angestellte mit einer Frist von sechs Wochen zum Quartalsende.
Man kann nicht deutlich genug darauf hinweisen: Es war nicht die Politik der Bundesregierung, sondern es war das Bundesverfassungsgericht, das Millionen Arbeitern zu einem großen sozialen Fortschritt verholfen hat.
Die Feststellung, daß ungleiche Kündigungsfristen für Arbeiter und für Angestellte verfassungswidrig sind, bewirkt den weiteren Abbau eines unzeitgemäßen Zweiklassensystems in der Arbeitnehmerwelt.
Es liegt in der Logik des Karlsruher Urteils, daß die Arbeiter, die bisher nur einen Kündigungsschutz von zwei Wochen haben, nun an die Sechswochenfrist der Angestellten herangeführt werden. Wenn ein solch einschneidendes Stück Sozialpolitik im Gerichtssaal gemacht werden muß, dann sind die derzeit in der Verantwortung stehenden Politiker der Regierungskoalition ihrer Aufgabe nicht gerecht geworden.
Was längst erledigt sein könnte, haben sie auf die lange Bank geschoben. Wohl wissend, daß sich in Bonn die Unsitte herausgebildet hat, Karlsruher Urteile einfach auf Eis zu legen, setzt das Gericht dem Gesetzgeber nun ein Ultimatum: Es muß die unterschiedlichen Kündigungsfristen bis Juni 1993 angleichen, d. h. eine neue Regelung muß bis dahin verabschiedet sein.
Aber so lange brauchen wir nicht, meine sehr verehrten Herren und Damen, noch in dieser Legislaturperiode kann das Gesetz verabschiedet sein;
denn die SPD-Fraktion hat wie bereits in der letzten Legislaturperiode einen entsprechenden Gesetzentwurf mit dem Ziel eingebracht, einheitliche Fristen zu erreichen. Danach soll die ordentliche Kündigung für alle Arbeitsverhältnisse mit einer Frist von sechs Wochen zum Quartalsschluß gelten. Wie nach geltendem Recht sollen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine kürzere Kündigungsfrist, die einen Monat allerdings nicht unterschreiten darf, vereinbaren können. Damit würde dem Anliegen der Verfassungsrichter entsprochen und eine Ungerechtigkeit im Arbeitsleben beseitigt; denn die Unterscheidungsmerkmale sind immer fragwürdiger und widersprüchlicher geworden.
Die Bundesverfassungsrichter wollten sich mit der Unterscheidung von überwiegend geistiger und überwiegend körperlicher Arbeit erst gar nicht abgeben. Sie führen aus — ich zitiere —: „Denn ein rechtfertigender Grund für die ungleichen Kündigungsfristen liegt darin nicht". Wer die moderne Arbeitswelt kennt, weiß, daß die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten ohnehin sehr schwierig ist. Die unterschiedlichen Kündigungsfristen weisen auf letzte Reste einer ständisch gegliederten Klassengesellschaft hin. Eine Gleichstellung ist längst überfällig. Die Unterschiede verwischen sich im Lebensstil und im Bewußtsein inzwischen immer mehr und mehr, was dazu beiträgt — das weist auch die Statistik aus —, daß die Zahl der erfaßten Angestellten ständig wächst.
So wurden beispielsweise in der chemischen Industrie oder in der Nahrungsmittelbranche Tarifverträge ausgehandelt, in denen von Arbeitern und Angestellten nicht mehr die Rede ist. Ein uneinheitlicher Arbeitnehmerbegriff ist nicht mehr zeitgemäß, und einer heutigen modernfen Industriegesellschaft wird er nicht mehr gerecht.
Das Arbeitsrecht ist hinter diesen Realitäten zurückgeblieben, weil sich die konservative Mehrheit dieses Hauses an dieses heiße Eisen nicht herangetraut hat. Nun sind es die Gerichte, die dem Gleichheitsgrundsatz zum Durchbruch verhelfen müssen. Das ist eine Ohrfeige für die Regierenden.
Die Regierungskoalition ist nach wie vor uneinsichtigt: Unter dem Vorwand, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes umzusetzen, wird Sozialabbau betrieben. Die Kündigungsfristen für Angestellte sollen von bisher sechs Wochen auf zwei Wochen verkürzt werden. Für alle Arbeitnehmer soll also eine kürzere Kündigungsfrist gelten. Dies muß man dem Einigungsvertrag entnehmen. Die Möglichkeit, Fortschritte zu praktizieren, gehört nicht zum Konzept der Konservativen.
Es ist makaber: Jahrelang wurde von der Bundesregierung auf die nicht erfolgte Verfassungsgerichtsentscheidung verwiesen, wenn es darum ging, die überfällige Gleichstellung im Kündigungsrecht für Arbeiter und Angestellte vorzunehmen. Dies haben Sie uns gegenüber immer eingewandt.
Frau Steinhauer
Nun versucht sie die Untätigkeit offenbar mit der Angleichung des Arbeitsrechtes in der ehemaligen DDR zu begründen. Die Bundesregierung könnte nun belegen, daß sie nicht nur dann flott ist, wenn es um den Abbau von Arbeitnehmerrechten geht — ich erinnere an § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes und an das berühmt-berüchtigte Beschäftigungsförderungesetz —, sondern auch dann, wenn es darum geht, Fortschritt zu praktizieren und Verfassungsvorschriften einzuhalten. Bereits am 16. November 1982 hatten die Richter die Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten in bezug auf die Berechnung der Betriebszugehörigkeit verlangt. Das hat die Koalition erst im Mai 1990 geregelt.
— „Immerhin" ist wohl völlig unangebracht!
Jetzt muß Schluß sein mit dem Schneckentempo.
Rechtssicherheit ist jetzt gefragt: Es darf bei Kündigungen künftig nicht zu einem Urteilswirrwarr kommen. Eine schnelle gesetzliche Regelung ist das Gebot der Stunde. Solange der Gesetzgeber keine neue Regelung erläßt, wird es in der Übergangszeit, je nach Arbeitsgericht, zu sehr unterschiedlichen Urteilen kommen. So könnten die Gerichte in der gesetzeslosen Übergangszeit Kündigungsprozesse der Arbeiter so lange aussetzen, bis eine Neuregelung geschaffen wird. Andere Gerichte könnten die Kündigungsfrist bei Arbeitern als verfassungswidrig erklären und die jetzt gültige Frist für Angestellte anwenden. Wieder andere Gerichte könnten trotz des Urteils aus Karlsruhe weiterhin die 14-Tage-Frist anwenden und darauf verweisen, daß es kein neues Gesetz mit einer festgeschriebenen Frist für Arbeiter gibt. — Ausgetragen wird das auf dem Rücken der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen.
Bei der Harmonisierung bestehender Vorschriften muß es darum gehen, die jeweils günstigere Regelung für alle Arbeitnehmer zur Geltung zu bringen. Die Kündigungsfristen für Arbeiter müssen auf des Niveau der Kündigungsfristen für Angestellte angehoben werden. Es darf keine Nivellierung nach unten geben. Das wäre übrigens falsch verstandene Sozialpolitik. Wir wenden uns gegen eine Verschlechterung der sozialen Schutzfunktion im Kündigungsrecht für Angestellte. Das wäre ein Rückschritt in das letzte Jahrhundert. Das Gerichtsurteil darf nicht als Freibrief mißverstanden werden, eine sozialpolitische Errungenschaft für die Hälfte der Beschäftigten auszuhebeln.
Den Tarifvertragsparteien steht es frei, abweichende, differenzierte Regelungen auszuhandeln. In der Regel wird es sich um bessere als die gesetzlichen Vorschriften handeln. Die Möglichkeit der Differenzierung, die von den Richtern ausdrücklich für zulässig erklärt wird, wenn es dafür sachliche Begründungen gibt, sollte der Gesetzgeber den Tarifvertragsparteien überlassen, die über weitaus größere Sachkenntnis und Nähe zur Praxis verfügen.
Bei dem Stichwort Praxis fällt mir im übrigen ein: Ein im Wirtschaftsrat der CDU/CSU an herausragen-
der Stelle tätiger Unternehmer hat in seinen Betrieben längst die gleichen Kündigungsbestimmungen für Arbeiter und Angestellten eingeführt.
Die Angleichung der Kündigungsfristen ist ein Schritt auf dem Weg zu einem einheitlichen Arbeitsrecht in einer modernen Arbeitswelt. Der Kündigungsschutz ist ein wesentlicher Teil unseres sozialen Rechtsstaates und bekräftigt, daß es sich bei Arbeitnehmern um Menschen handelt und nicht um die Arbeitskraft als Ware.
Erwähnt werden muß auch, daß die Weiterentwicklung des Arbeitsrechts insgesamt und des Arbeitsschutzes im Sinne einer Humanisierung und Qualität des Arbeitslebens dazugehören. Die Humanisierung ist auch ein Gebot wirtschaftlicher Vernunft. Ganz entscheidend hängt die Produktivität von der Gesundheit, den Fähigkeiten und der Einsatzbereitschaft der arbeitenden Menschen ab.
Angesichts der Europäisierung und der Internatio-nalisierung unserer Beziehungen dürfen internationale Regelungen auf niedrigerem Niveau nicht dazu herhalten, den eigenen Standard zu verschlechtern oder gar abzubauen. Es ist ja schon interessant: Wenn Europa etwas Besseres hat, dann gilt das nicht als Beispiel, aber wenn es etwa Schlechteres hat, dann ist das für uns immer ein Beispiel. Das ist Sozialpolitik der Konservativen.
Wie ernst es die Koalitionsabgeordneten mit dem Kündigungsrecht der Arbeitnehmer halten, zeigt sich auch daran, daß sie es nicht einmal für notwendig hielten, in der Schlußberatung im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zu diskutieren. Ich fand das makaber, und ich sage das hier auch. Man muß schon bald sagen: Wo sind eigentlich die Verfassungsfeinde?
Ich bin darauf gespannt, wie Sie die Ablehnung heute begründen. Ich möchte die Koalitionsvertreter nochmals auffordern, sich bei der Fortentwicklung des Kündigungsrechtes für Arbeiter im Sinne einer Angleichung an die Bestimmungen für Angestellte nicht zu verschließen. Revidieren Sie Ihre ablehnende Haltung zu unserem Gesetzentwurf!
Die Kollegen und Kolleginnen aus den neuen Bundesländern insbesondere in den Koalitionsfraktionen möchte ich ganz besonders ansprechen. Beginnen Sie Ihre Tätigkeit in diesem Hause nicht als Bremser eines sozialen Kündigungsrechts!
Sie legen sonst den Grundstein für die Teilung der Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern. Stimmen Sie der Empfehlung, den Antrag abzulehnen, nicht zu, sondern fördern Sie ein den modernen Industriegesellschaften entsprechendes Arbeitsrecht, und das heißt: ein Kündigungsrecht, wie es der heutigen Zeit entspricht!
Das Wort hat der Abgeordnete Warrikoff.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor allem aber: Verehrte Frau Kollegin Steinhauer! Es ist sehr wahrscheinlich, wenn nicht sicher, daß dies das letzte Mal ist, daß wir an dieser Stelle — vielleicht einmal an anderer — diskutieren.
— Ich höre nicht auf. Aber man kann an dieser Stelle nach der Geschäftsordnung des Bundestages nur dann diskutieren, wenn beide Diskutanten dem Hause angehören. Ich dachte, daß ich das nicht ausführen muß.
— Überhaupt nicht.
Bitte gestatten Sie mir, verehrte Frau Kollegin Steinhauer, daß ich Ihnen ganz persönlich meinen Respekt für Ihre Sachkunde und vor allem für Ihr kämpferisches Engagement ausspreche.
Was das letzte betrifft, haben wir gerade ein schönes Beispiel erlebt. Leider kann ich Ihnen in der Sache, wie Sie mit Recht vermutet haben, nicht zustimmen.
— „Leider" deswegen, weil unsere Argumente die besseren sind.
— Jawohl! Wie immer, Frau Kollegin.
Aber Sie haben ja angekündigt, daß Sie unseren Argumenten mit Interesse zuhören werden. Deswegen werde ich versuchen, sie vorzutragen.
Die Kündigungsfristen bei einem Arbeitsverhältnis dienen zunächst dem Schutz des Arbeitnehmers. — Kein Widerspruch. Ich freue mich. Er oder sie soll eine angemessene Zeit zur Suche einer neuen Arbeitsstelle haben. Dieser Zeitbedarf ist nun völlig unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer Arbeiter oder Angestellter ist. Für diesen Zeitbedarf gibt es, was Arbeiter und Angestellte angeht, keinen sachlichen Unterschied. Er ist trotzdem nicht für alle gleich. Vielmehr hängt der Zeitbedarf für die Suche einer neuen Tätigkeit, eines neuen Arbeitsplatzes vom Grad der Qualifizierung und Spezialisierung ab.
Je qualifizierter und je spezialisierter ein Arbeitnehmer ist, um so länger braucht er oder sie, um eine entsprechende Tätigkeit zu finden, bei der die vor-
handenen Fähigkeiten eingebracht und vorzugsweise auch weiterentwickelt werden.
Früher war man offenbar der Ansicht, daß Angestelltentätigkeiten qualitativ höherstehen und mit größerer Verantwortung verbunden sind als gewerbliche Tätigkeit. Darauf ist dieser Unterschied, der bis heute noch besteht, wohl zurückzuführen.
Daß diese Auffassung in diesem Ausmaß damals haltbar war, möchte ich füglich bezweifeln. Heute ist sie auf alle Fälle falsch. In diesem Sachpunkt also eine volle Übereinstimmung mit dem, was Sie gesagt haben, Frau Steinhauer.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?
Ja, bitte.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Heltzig.
Herr Kollege, ich folge Ihnen sicherlich, wenn Sie aus Ihrer gediegenen Kenntnis der bisherigen Bundesrepublik urteilen. Nur, wenn Sie die Arbeitslosenentwicklung in der ehemaligen DDR sehen und wissen, wohin sie läuft, dann frage ich Sie: Sind Sie der Meinung, daß das, was Sie vorgetragen haben, auch vor dem Hintergrund der Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Sachsen, Thüringen und den anderen drei neuen Ländern haltbar ist?
Mit dem Einigungsvertrag hat sich ja dort zunächst nichts geändert,
und Sie können uns keine Vorwürfe dafür machen, daß die sogenannten sozialistischen Errungenschaften vorsahen, daß dort eine allgemeine Kündigungsfrist für alle von nur zwei Wochen galt. Das können Sie uns nicht vorhalten.
Wir werden das ändern, und ich werde jetzt vortragen, was wir im Auge haben.
— Herr Kollege, ich habe höflich geantwortet. Aber Sie haben mich gefragt, bevor ich überhaupt vorgetragen habe, was wir wollen. Ich würde dringend empfehlen, Ihre Kritik an dem, was wir vorhaben, erst dann zu üben, wenn Sie gehört haben, was ich jetzt sagen möchte. — Wenn Sie gestatten, Frau Präsidentin, möchte ich jetzt fortfahren.
Der Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten war also möglicherweise schon früher in dem Ausmaß, wie er praktiziert wurde, nicht haltbar. Heute ist er, wie gesagt, auf alle Fälle falsch. Es gibt Arbeiter,
Dr. Warrikoff
die höchstqualifizierte Arbeit mit entsprechenden Anforderungen an das Verantwortungsbewußtsein leisten, und es gibt Angestellte, auf die dies nicht zutrifft. Das Bundesverfassungsgericht stellt fest, daß mehr als ein Drittel aller Angestellten mit den Worten des Verfassungsgerichts „Einfache Angestellte" sind. Ihr Tätigkeitsgebiet umfaßt, wie das Gericht definiert, Arbeiten, die ohne besondere Vorbildung und ohne herausgehobene Qualifikation erledigt werden können. Arbeitsplätze dieser Art vor allem für Angestellte bestehen in allen Regionen in relativ großer Zahl. Dagegen gibt es sowohl Angestellte wie gewerbliche Arbeitnehmer, die so qualifiziert und spezialisiert sind, daß nur wenige Arbeitsplätze für sie in Frage kommen;
ich wiederhole: unabhängig von der Frage, ob es sich um Arbeiter oder Angestellte handelt.
Ich möchte hier das Bundesverfassungsgericht wörtlich zitieren.
Ich tue das um so lieber, als ich festgestellt habe, daß die Kollegin Steinhauer, die ja mit Sicherheit, wie ich sie kenne, das Urteil sorgfältig gelesen hat, völlig darauf verzichtet hat, auf den Schwerpunkt der Argumentation des Gerichts einzugehen. Sie hat das vermutlich deswegen getan, weil es mit ihrer Auffassung nicht übereinstimmt. Ich zitiere jetzt also wörtlich:
Je spezieller das Interesse des Arbeitsuchenden ausgeprägt ist, desto beschränkter ist das einschlägige Stellenangebot. Entsprechend schwieriger ist es für ihn, das Passende zu finden, und entsprechend aufwendiger und zeitraubender ist seine Suche.
Um es noch einmal zu betonen: All dies ist völlig unabhängig von der Eigenschaft des Arbeitnehmers als Arbeiter oder Angesteller.
Aus der Sicht des Arbeitgebers ist das Bild übrigens völlig identisch.
Es ist sehr viel einfacher, Ersatz zu finden, wenn ein Arbeitnehmer kündigt, der einfache Tätigkeiten ausübt, als wenn dies ein Spezialist tut.
Wenn Sie ein wenig zugehört hätten und dem Gedanken gefolgt wären, würden Sie wissen, was jetzt kommt. Aber ich sage es Ihnen noch einmal ganz deutlich. Der Gesetzesvorschlag weist damit den falschen Weg. Ganz pauschal für alle Arbeitnehmer gleiche Kündigungsfristen — ganz unabhängig von der Art des Arbeitsplatzes — zu verlangen ist ebenso falsch wie die Zuweisung bestimmter unterschiedlicher Kündigungsfristen jeweils für Arbeiter oder Angestellte.
Damit Sie jetzt hören, daß das nicht nur unsere oder meine Auffassung ist, sondern eben auch vom Verfassungsgericht so geteilt wird, möchte ich feststellen, daß das Bundesverfassungsgericht völlig zu Recht nicht etwa fragt, ob der Gesetzgeber Gruppen von Arbeitnehmern bestimmen sollte, denen für eine be-
sonders zeitaufwendige Arbeitsplatzsuche längere Kündigungsfristen zuzubilligen sind, sondern nur nach dem Wie fragt. Es geht also um eine Orientierung ausschließlich an der Qualifizierung und Spezialisierung der Arbeitnehmer.
Diese Frage nach dem Wie zu beantworten ist selbstverständlich dem Gesetzgeber vorbehalten. Aber das Bundesverfassungsgericht gibt uns Hilfen. Es sagt — ich wiederhole: total unabhängig von der Einteilung in Angestellte und Arbeiter, die in der Tat überholt ist; ich zitiere einigermaßen wörtlich —, daß es bei der Unterschiedlichkeit der Kündigungsfristen, die man vorsehen sollte, auf Merkmale wie vorberufliche Ausbildung, Qualifizierung, Spezialisierung, Verantwortungsbereiche und Führungspositionen ankommt. Das sind die Termini des Bundesverfassungsgerichtes.
An diesen Vorstellungen muß sich die künftige Regelung orientieren, nicht aber an einer Einebnung der Kündigungsfristen für alle Arbeitnehmer, wie dies die SPD vorschlägt.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Kollege?
Bitte sehr.
Herr Kollege Kirschner.
Herr Kollege Warrikoff, wenn Sie darauf hinweisen — da kann ich Ihnen nur zustimmen —, daß die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten, wortwörtlich von Ihnen: „tatsächlich überholt" ist, kann man davon ausgehen, daß damit die CDU/CSU-Bundestagsfraktion einem einheitlichen Arbeitnehmerbegriff das Wort redet?
Ich hatte gehofft, daß das, was ich selbst gesagt habe, und das, was ich aus dem Verfassungsgerichtsurteil zitiert habe, verstanden wird.
Von Ihnen offenbar nicht. Ich darf es wiederholen: Wir vertreten nicht einen einheitlichen Arbeitnehmerbegriff in bezug auf die Kündigungsfristen, weil es unangemessen ist, für einen höchstqualifizierten Menschen, der ein Jahr braucht, um eine neue Stellung zu finden, dieselbe Kündigungsfrist vorzusehen wie für jemanden, der in einer Woche eine neue Arbeitsstelle bekommt.
Im übrigen, wenn Sie mir nicht glauben, dann kann ich Ihnen dringend empfehlen, das Bundesverfassungsgerichtsurteil nachzulesen.
— Das wird alles nicht angerechnet. Insofern können wir uns gemeinsam etwas amüsieren. Warum nicht?
Da haben Sie recht. Frau Kollegin Steinhauer möchte eine Zwischenfrage stellen.
Bitte sehr. Ich wiederhole es aber noch einmal, wenn Sie wollen.
Herr Kollege Warrikoff, da Sie den konkreten Fragen bisher ausgewichen sind, darf ich Sie fragen: Haben Ihre Ausführungen das Ziel, die sogenannten Angestellten mit leichteren oder weniger qualifizierten Tätigkeiten auf kürzere Kündigungsfristen herunterzuziehen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, das ist so nicht richtig.
Ich sage es zum drittenmal. Aber ich kündige an: Wenn Sie es in Form von Zwischenfragen bringen, sage ich es auch noch vier- oder fünfmal; denn das wird auf meine Redezeit ja nicht angerechnet.
Es geht überhaupt nicht um die Frage Arbeiter oder Angestellte — ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das zur Kenntnis nehmen würden —, sondern es geht ausschließlich um die Frage der Qualifizierung und Spezialisierung.
— Ich wiederhole das dauernd, weil Sie das ja nicht verstehen. — Wir orientieren die Kündigungsfristen an der Frage der Qualifizierung und Spezialisierung, unabhängig von der Einteilung in Arbeiter und Angestellte.
Ich fahre fort und erwarte dieselbe Frage gerne noch einmal.
Der Gesetzentwurf der SPD ist nicht nur sachlich bedenklich; er ist darüber hinaus zu eng und kommt zum falschen Zeitpunkt. Wenn wir schon die Ungleichbehandlung der Arbeiter und der Angestellten bei gesetzlichen Kündigungsfristen ausräumen, dann sollten wir auch über den Abbau der Ungleichbehandlung auf anderen Gebieten, z. B. bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, entscheiden.
Natürlich ist die Gestaltung des Kündigungsrechts ein zentraler Punkt des Arbeitsvertragsrechts. Es liegt also nahe, das Kündigungsrecht zusammen mit dem Arbeitsvertragsrecht in einem geschlossenen Gesamtkonzept zu kodifizieren. Genau dieser Auftrag ist dem gesamtdeutschen Gesetzgeber durch Art. 30 des Einigungsvertrages erteilt worden. Bis dahin sollte, so jedenfalls der Einigungsvertrag, in den neuen Ländern das Arbeitsgesetzbuch der DDR weitergelten.
Herr Kollege, wir haben noch einmal eine Zwischenfrage einer Kollegin der PDS. — Wir müssen uns an die Namen erst noch gewöhnen. — Sie werden ihr sicherlich die Möglichkeit dazu geben. Bitte, Sie haben das Wort zur Zwischenfrage.
Schönebeck, PDS. — Herr Abgeordneter, können Sie mir eine ganz einfache Frage beantworten: Wie verteilt sich die Arbeitslosigkeit prozentual über Arbeiter und Angestellte in der jetzigen Bundesrepublik? Ich will das gar nicht ausdehnen; denn es gibt ja Strukturverwerfungen.
Das ist ungefähr ausgewogen. Ich kenne die genaue Zahl nicht.
Dann ist Ihr Argument, daß die einen viel länger brauchen als die anderen, nicht ganz stichhaltig.
Frau Kollegin, ich bitte Sie herzlich! Das ist ja ein Übermaß an Naivität. Sie können doch aus der Gesamtzahl der Arbeitnehmer nicht folgern, wie lange die einzelnen Arbeiter und Angestellten auf Arbeitssuche waren. Das gibt darüber doch überhaupt keine Informationen her.
Sie können die Frage viel leichter beantworten, wenn Sie sie richtig hören.
Ich habe die Frage gehört.
Ich wollte eigentlich nur die Frage stellen, ob es Strukturunterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten gibt. Es mag eine einfache Prozentzahl sein, es kann auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen sein, die Ihre These stützt. Mir scheinen Ihre Ausführungen einfach zu polemisch zu sein, zu wenig von Sachlichem durchsetzt.
Einen Zusammenhang, wie Sie ihn herstellen wollen, zwischen den statistischen Arbeitslosenzahlen bei Arbeitern und Angestellten und der Frage, wie lange die verschiedenen Gruppen brauchen, um einen neuen Arbeitsplatz zu finden, vermag ich mit den Mitteln der Logik nicht herzustellen. Sie verfügen vielleicht über eine höhere, eine sozialistische Logik; über die verfüge ich nicht.
Es geht also darum, auch das Arbeitsvertragsrecht zu kodifizieren, wie bereits im Artikel 30 angekündigt. Der ursprünglich nur für die alte Bundesrepublik konzipierte Gesetzentwurf der SPD soll wohl auch die anders geregelten, nämlich für die Arbeitnehmer insgesamt schlechter geregelten Kündigungsfristen im Arbeitsgesetzbuch der DDR verändern, ohne daß sich die SPD allerdings die Mühe macht, hierauf überhaupt einzugehen.
Die vom Bundesverfassungsgericht gesetzte Frist bis zum 30. Juni 1993 muß nicht nur genügen, die verschiedenartigen Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte im gesamten Deutschland aufzuheben und durch etwas Sinnvolleres zu ersetzen — wie ausgeführt —, sondern sollte auch für die Erarbeitung des einheitlichen Arbeitsvertragsgesetzes hinreichen. Deswegen lehnen wir den SPD-Vorschlag ab.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoss.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wir haben schon im Ausschuß mit Engelszungen versucht, den Vertretern der Koalition diese Unterschiede klarzumachen, was uns, wie Sie an dem letzten Beitrag sehen, nicht gelungen ist. Ich möchte sagen, daß wir GRÜNEN dem Vorschlag der SPD, die Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte zu vereinheitlichen, zustimmen.Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1990 18231
HossWir halten es in diesem letzten Jahrzehnt vor dem Jahr 2000 für an der Zeit, daß man die Unterschiede, die auf verschiedenen Gebieten noch bestehen, endlich abbaut, besonders bei dieser Frage.Die Unterschiede gibt es in zwei Bereichen: Erstens beträgt bei Arbeitern die Mindestkündigungsfrist 14 Tage, bei Angestellten sechs Wochen zum Quartalsende. Zweitens geht es um den Einfluß der Zeit der Betriebszugehörigkeit auf die Kündigungsfrist.In dieser Frage gibt es in den letzten 40 Jahren schon erhebliche Fortschritte. Wir kennen das aus den Tarifverträgen, ob das die Urlaubsabkommen sind, Entlohnungs- oder Sozialgrundsätze. Ob es das Kündigungsschutzgesetz ist, das Bundesurlaubsgesetz, das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz oder das Gesetz zur Verbesserung zur betrieblichen Altersversorgung: In all diesen Gesetzen wird kein Unterschied mehr zwischen Arbeitern und Angestellten gemacht.Das hat folgende Ursachen — darüber müssen Sie sich einmal Gedanken machen —: Es hat in der realen Entwicklung unserer Wirtschaft und in den Arbeitsfeldern eine Angleichung der Situation der Arbeiter und der Angestellten in den letzten Jahrzehnten gegeben, die nicht mehr dazu berechtigt, Unterschiede auf den Gebieten zu machen, um die es hier geht.Den Freiraum, den die Angestellten einmal hatten, gibt es nicht mehr. Vielmehr bindet der Computer die Leute dort an; es gibt fließbandartige Maschinensysteme auch im Bereich der Angestellten, es wird bei den Angestellten ebenso kontrolliert und es gibt dort die elektronische Zeiterfassung genauso, wie es bei den Arbeitern schon immer der Fall war.Auch bei den Arbeitern hat es Veränderungen gegeben: Die Qualifizierungen haben zugenommen; der Computer ist in die Werkstatt eingezogen, und es sind komplizierte, teure, verkettete, integrierte Anlagen zu bedienen und zu warten. Ein hohes Qualifikationsniveau ist notwendig.Wo bleiben jetzt Ihre Argumente, die dagegenspre-chen, daß man diese Unterschiede aufhebt? Ich möchte mich mit einigen Ihrer Argumente auseinandersetzen.Erstens beziehen Sie sich auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. November. Herr Warrikoff, wenn Sie mit Ihrer Fraktion immer so nahe an der Intention des Bundesverfassungsgerichts gebheben wären — gerade in der letzten Zeit, was die Wahlordnung usw. anbelangt —, dann würde ich Ihnen das abnehmen. Aber Sie benutzen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes hier ganz eng, um Ihren Freiraum, den Sie in der Gestaltung haben, nicht zu nutzen; vielmehr verengen Sie die Entscheidung. Ich glaube, daß das nicht richtig ist. Wir müssen die Intention haben, sie auszuweiten.Zweitens. Das Argument der kleinen Betriebe ist ernstzunehmen. Die kleinen Betriebe, die mittelgroßen Betriebe und die Handwerksbetriebe haben Schwierigkeiten, wenn sie lange Kündigungszeiten bei Arbeitern haben.Aber auch hier haben Sie inzwischen ein Instrumentarium geschaffen, das es diesen Betrieben durch-aus erlaubt, mit solchen Schwierigkeiten fertigzuwer-den: Wir haben die Probezeit. Innerhalb dieser Zeit — ein halbes Jahr — kann man den Leuten sozusagen jeden Tag kündigen. Wir haben Regelungen — Schlechtwetter-, Kurzarbeit-, Saisonregelungen —, die es ebenfalls erleichtern, mit dieser Situation fertig-zuwerden. Ferner haben wir nach dem Beschäftigungsförderungsgesetz das Instrument der befristeten Arbeitsverträge, das Sie geschaffen haben, alles Mittel, die man einsetzen kann. Sie können aber zugleich auch dazu dienen, zu sagen: Im grundsätzlichen sind wir dafür, daß die Kündigungszeiten angeglichen werden.Was hat man denn dagegen auszusetzen, wenn man festlegt: Bei fünf Jahren Betriebszugehörigkeit soll eine Kündigungszeit von zwei Monaten bestehen oder z. B. — wie vorgeschlagen — bei fünfzehn Jahren Betriebszugehörigkeit eine Kündigungszeit von sechs Monaten, wie das auch bei den Angestellten ist. Das ist eine Regelung, die für den Unternehmer zumutbar ist, auch für den Handwerker, der jemanden beschäftigt. Wenn der Arbeiter fünfzehn Jahre seine Knochen hingehalten hat und in diesem Betrieb sein Bestes gegeben hat, dann muß er auch Anspruch darauf haben, Zeit zu haben, sich umorientieren zu können, sich neu einordnen zu können, sich einen neuen Platz zu suchen, wenn ihm aus irgendwelchen Gründen gekündigt werden soll. Das würde auch der Auseinandersetzung dienen, die wir führen auf der Suche nach Mitteln, um etwas für die Langzeitarbeitslosen zu tun.Ich glaube aber, daß es ein weiteres wesentliches Argument gibt — und damit komme ich zum Schluß —: Wenn wir den Kreis der Bedingungen, bei denen noch eine Trennung zwischen Angestellten und Arbeitern vorgenommen wird, weiter verengen, kommen wir zu der entscheidenden Frage, nämlich in den Sozialbereich. Dann entsteht das Problem der Trennung von Arbeitern und Angestellten in der Rentenversicherung, bei den Krankenkassen. Sie sehen: Wenn Sie hier zustimmen, dann sind wir ein Schrittchen weiter gekommen, auch diese Ungerechtigkeit zu thematisieren und uns damit auseinanderzusetzen. Das wollen Sie wohl nicht. Das ist der Punkt. Wir stimmen für diesen Antrag.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Walz.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Mit seiner vielzitierten Entscheidung vom Mai dieses Jahres hat das Bundesverfassungsgericht den alten Steit über die unterschiedlichen Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten eigentlich entschieden. Bemerkenswert an dieser Entscheidung ist, daß das höchste deutsche Gericht die von manchen vertretene Auffassung, zwischen Angestellten und Arbeitern könne mangels hinreichender Abgrenzungskriterien heute nicht mehr unterschieden werden, deutlich verwirft und nachdrücklich betont, daß gegen eine solche Differenzierung aus verfassungsrechtlicher Sicht keine Bedenken bestehen.
Frau Walz
Es räumt dem Gesetzgeber — das ist schon wiederholt gesagt worden — bis Juni 1993 die Möglichkeit zu einer Änderung, also zu einer differenzierten Lösung, die dem Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes gerecht wird, ein. Dabei weist das Bundesverfassungsgericht darauf hin, daß eine Differenzierung nach vorberuflicher Ausbildung, Qualifizierung und Spezialisierung in Beruf, Verantwortungsbereich und Führungsposition möglich ist.
An anderer Stelle stellt es ausdrücklich fest, daß es dem Gesetzgeber durch das Grundgesetz nicht verwehrt ist, auch funktions- oder betriebsspezifischen Interessen der Arbeitgeber an größerer personalwirtschaftlicher Beweglichkeit durch verkürzte gesetzliche Kündigungsfristen Rechnung zu tragen.
Meine Damen und Herren, schon diese wenigen Zitate aus den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts — Sie werden das Bundesverfassungsgericht in seiner Funktion ja nicht anzweifeln — machen deutlich, daß eine differenzierte Lösung, die beiden Seiten gerecht wird, erarbeitet werden muß.
Dies kann jedoch nicht über Nacht geschehen. Der SPD-Entwurf, der nach dem Motto verfährt, die günstigste Regelung zum allgemeinen Maßstab zu machen, erscheint uns dabei nicht als der geeignete Weg.
Es ist in diesem Zusammenhang auch daran zu erinnern, daß der Sachverständigenrat in seinem letzten Jahresgutachten ganz ausführlich auf die Problematik des Kündigungsschutzrechtes eingegangen ist und erklärt hat — ich möchte mit Genehmigung der Frau Präsidentin einige Sätze aus diesem Gutachten zitieren —:
Je höher die Entlassungsbarrieren durch den Kündigungsschutz geschraubt werden, desto höher sind auch die Einstellungsbarrieren. Dies ist der Punkt, an dem der arbeitsrechtliche Schutzgedanke zugunsten des sozial Schwächeren, der auch dem Kündigungsschutzgesetz zugrunde liegt, in sein Gegenteil umschlagen kann.
— Ja, gut, das sagt der Sachverständigenrat.
Sie können ihm das ja auch noch einmal schriftlich geben.
Ein umfassender Kündigungsschutz mag dem gerade beschäftigten Arbeitnehmer zugute kommen. Gleichzeitig werden die Beschäftigungschancen der Arbeitsuchenden, insbesondere die der Arbeitslosen, vermindert.
Der Sachverständigenrat weist zu Recht darauf hin, daß
die auf den konkreten Einzelfall gerichtete Entscheidung eines Arbeitsgerichtes ökonomische Signalwirkungen auslöst, die über die Bedeutung des Einzelfalles hinausgehen und allgemein auf die Beziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern einwirken. Der lange dauernde ungewisse Ausgang von Kündigungsverfahren tut ein übriges, um die Kündigungsmöglichkeiten faktisch zu beschränken. Ein zu weit getriebener Kündigungsschutz führt dazu, daß Unternehmen bei künftigen Einstellungen zurückhaltender sein werden, als es sonst der Fall wäre.
Diese Auswirkungen darf man auch und gerade im Hinblick auf die Beschäftigungschancen in den neuen Bundesländern nicht außer acht lassen. Es liege — so meint der Sachverständigenrat — daher im Interesse der Arbeitnehmer, daß die Arbeitsrechtsprechung stärker als bisher die wirtschaftlichen Signalwirkungen ihrer Urteile bedenken sollte und daß eine solche Abwägung zur Pflicht gemacht werden sollte.
Wer dieser Auffassung des Sachverständigenrates zustimmt, wer die Notwendigkeit einer Überprüfung des Kündigungsschutzes, nämlich Korrekturen, sieht, der kann, meinen wir, dem SPD-Entwurf heute nicht zustimmen.
Darüber hinaus gilt — das ist schon wiederholt gesagt worden — nach den Formulierungen des Einigungsvertrages, daß das Arbeitsrecht umfassend geregelt werden sollte. In diesem Kontext müßte dann auch dieses Problem gelöst werden. Dabei könnten die — vielleicht tröstet Sie das jetzt etwas — derzeit in den fünf neuen Bundesländern geltenden Regelungen sogar möglicherweise ein geeigneter Ansatzpunkt sein, wenn sich nicht andere, differenziertere Lösungen finden lassen. Wir sind ja gesprächsbereit.
Aus diesen Gründen, aber auch im Hinblick auf den bevorstehenden EG-Binnenmarkt sollten wir alles vermeiden, wodurch das ohnehin enge Korsett arbeitsrechtlicher Vorschriften für den Arbeitsmarkt noch erheblich enger geschnürt wird. Denn damit werden nicht nur wirtschaftliche Möglichkeiten erschwert, sondern auch Beschäftigungschancen für Arbeitslose verspielt.
Ich bedanke mich.
Meine Damen und Herren, das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Heuer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Fraktion der SPD findet unsere Zustimmung. Wir meinen, daß der eigentliche Kern des Urteils, von dem ja hier mehrfach die Rede war, die Einsicht in die rechtstatsächliche Übereinstimmung der Situation bei Arbeitern und Angestellten ist. Ich denke, daß diesem eigentlichen Kern im Antrag der Fraktion der Sozialdemokraten Rechnung getragen wird.
Wir können der jetzt vorgetragenen Auffassung nicht zustimmen, man sollte die Lösung dieser Frage
Dr. Heuer
bis zur Kodifizierung eines einheitlichen Arbeitsrechts verschieben. Diese Angelegenheit wurde acht Jahre nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts auf die Tagesordnung gesetzt. Man hat also acht bzw. fünf Jahre gebraucht, bis dieser Gesetzentwurf hier auf der Tagesordnung war.
Wie lange soll es nun noch dauern, wenn wir auf die Kodifizierung warten? Das kann ja wiederum fünf, acht oder zehn Jahre dauern. Ich meine also, wir sollten uns heute dafür entscheiden.
Ich möchte noch auf eine Frage eingehen, die für die Bürger der ehemaligen DDR besonders wichtig ist. Es handelt sich um die Personengruppen, die als Angestellte im öffentlichen Dienst in der DDR beschäftigt waren. Sie wissen, daß hier nach dem zweiten Staatsvertrag, soweit Einrichtungen nicht überführt worden sind, eine sogenannte Ruhezeit von sechs bzw. neun Monaten eintritt und anschließend entweder die Übernahme oder die Beendigung der Arbeitsrechtsverhältnisse erfolgt. Das heißt, für diese Arbeitsrechtsverhältnisse — und es handelt sich um Zehntausende, wenn nicht um Hunderttausende —
— Sie werden sehen, wie viele es sind; es sind Zehntausende, bis zu Hunderttausende — besteht keinerlei Kündigungsschutz, für sie besteht auch nicht die Möglichkeit einer gerichtlichen Prüfung der Entscheidungen. Wir meinen, daß man die Frage ernsthaft aufwerfen muß, auch für diese Angestellten des öffentlichen Dienstes Kündigungsschutz zu sichern.
— Im Augenblick nicht. Danke schön. — Wir sind in diesem Zusammenhang der Meinung, daß hier die Möglichkeit der gerichtlichen Prüfung erforderlich ist.
Beim Studium des Grundgesetzes ist mir aufgefallen, daß es in Art. 132 festlegt, daß im Jahre 1949 Beamte und Richter bei fehlender persönlicher oder fachlicher Eignung in den Ruhe- oder Wartestand versetzt werden konnten — wenn sie Nazis waren. Für sie alle gab es damals die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung. Ich frage mich, warum man damals, 1949, bei den Nazis die gerichtliche Überprüfung erlaubte und heute für die Angestellten des öffentlichen Dienstes der DDR eine solche gerichtliche Überprüfung nicht erlaubt.
Vielleicht deshalb, weil es sich durch die Gründung der DDR im Jahre 1949 um eine Unterbrechung der Kontinuität handelt, während man zu den früheren Beamten des Dritten Reiches eine andere emotionale Beziehung hatte.
Dafür sprechen die Ausführungen des Bundesfinanzministers Waigel am 5. Oktober 1990 in diesem Haus., Er erklärte damals:
Ich komme aus einem kleinen Dorf im bayerischen Schwaben mit 500/600 Einwohnern. Aus dem gleichen Dorf stammt Dr. Fridolin Rothermel, der 1932/33 Reichstagsabgeordneter war und an der letzten freien Sitzung des damaligen Reichstages teilnehmen konnte. Es hat mich sehr berührt, daß ich — aus dem gleichen Dorf —... .
Ich habe nachgesehen, um welche Sitzung es sich damals gehandelt hat und wie sich damals der Abgeordnete Fridolin Rothermel, also der Kontinuitätspartner von Herrn Bundesfinanzminister Waigel, verhalten hat. Es handelte sich um die Beratung des Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich, des Ermächtigungsgesetzes. Herr Rothermel hat in dieser Sitzung mit Ja gestimmt, d. h. er hat dem Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich, dem Ermächtigungsgesetz der Nazis, zugestimmt. Ich meine, daß das die falschen Kontinuitätspartner für Abgeordnete dieses Hauses sein sollten.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Wüppesahl.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Schon der zeitliche Ablauf der Beratung dieses Gesetzentwurfes zeigt, daß hier im Hause wohl kein allzu großes Interesse daran besteht, den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes endlich auch auf die Kündigungsfristen anzuwenden.
Zur Erinnerung: Am 16. November 1982, also vor fast acht Jahren, erklärte das Verfassungsgericht die unterschiedliche Berechnung der verlängerten Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, soweit bei Arbeitern Beschäftigungszeiten erst vom 35. Lebensjahr, bei Angestellten aber vom 25. Lebensjahr an berücksichtigt werden. Der Bundestag hatte also, wie ja leider heute nicht mehr ungewöhnlich, ein Gesetz verabschiedet, das gegen die Verfassung verstößt.
Am 11. Mai 1989 fand dann endlich die erste Beratung des heute zur Debatte stehenden Gesetzentwurfes statt. Bemerkenswert ist, daß zwischen der Einbringung und der ersten Beratung des Gesetzentwurfes immerhin eineinhalb Jahre lagen. Zwischenzeitlich gelang es der Bundesregierung mit dem Gesetzentwurf vom 25. Oktober 1989 — Drucksache 11/5465, falls es jemand genau wissen möchte —, also „nur" sieben Jahre nach der Karlsruher Entscheidung, tatsächlich einen Gesetzentwurf vorzulegen, in dem die Mindestanforderung des Verfassungsgerichts erfüllt wird. Diese Minireform der Kündigungsregelungen war aber zu keiner Zeit ausreichend, um Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes — „alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich" — im Hinblick auf die Kündigungsfristen auch für die Arbeiter Geltung zu verschaffen.
Falls die ernsthafte Absicht bestehen sollte, diesen Verfassungsgrundsatz auch auf die Regelungen der
Wüppesahl
Kündigungsfristen anzuwenden, kann keine andere als die vorgelegte Regelung zur Debatte stehen. Es wäre nur schwer vorstellbar, eine Gleichstellung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten erreichen zu wollen und gleichzeitig die Kündigungsfristen der Angestellten zu kürzen.
Will die Bundesregierung, wollen die Regierungsfraktionen wieder einmal so lange warten, bis die Karlsruher Verfassungshüter ihnen ins Stammbuch schreiben, daß das Grundgesetz auch auf Arbeiter Anwendung findet? — Es würde diesem Hohen Hause gut anstehen, insbesondere vor dem Hintergrund der jüngsten Entscheidung des Verfassungsgerichts, heute eine Gesetzesänderung zu beschließen, ohne daß das Bundesverfassungsgericht dies erst durch ein Urteil fordern müßte.
Die Systematik dieser konservativ-liberalen Bundesregierung stellt sich wie folgt dar: Vom Bundesverfassungsgericht geforderte Änderungen, sofern es sich um Verbesserungen für die Bürgerinnen und Bürger handelt, werden nur so weit durchgeführt, wie es unbedingt notwendig ist, um dem Grundgesetz zu entsprechen. Mit weit weniger Hemmungen ist diese Bundesregierung allerdings belastet, wenn es sich um den Abbau von Rechten unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger handelt. In einem solchen Fall werden diese Rechte — als ein Beispiel sei hier nur das Demonstrationsrecht genannt — massiv abgebaut.
Meine Damen und Herren, ich bitte um Ihr Stimmverhalten im Sinne der Stärkung der Rechte unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger.
Das Wort hat der Herr Staatssekretär Vogt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich beim Kollegen Wüppesahl ganz ausdrücklich für seine Rede. Sie gibt mir nämlich die Gelegenheit, meine vorbereitete Rede wegzulegen und nur ganz wenige Bemerkungen zu machen. Denn ein Blick in den Saal zeigt mir, daß ich die vorbereitete Rede nicht zu halten brauche; die Mehrheit ist wiederhergestellt.
Frau Kollegin Steinhauer, es hat ja niemanden überrascht, daß das Bundesverfassungsgericht die unterschiedlichen Grundkündigungsfristen für verfassungswidrig erklärt hat. Es besteht Handlungsbedarf, Handlungsbedarf aber nicht nur in dieser Frage, sondern auch — der Kollege Warrikoff hat darauf hingewiesen — beim Lohnfortzahlungsgesetz. Und es war vernünftig, zuerst einmal die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten, um zu klären und abgreifen zu können, welchen verfassungsrechtlichen Handlungsspielraum wir bei der Neufassung dieser Kündigungsfristen haben.
Was zu Ihrem Gesetzentwurf zu sagen war, Frau Kollegin Steinhauer, das hat der Kollege Warrikoff, das hat die Kollegin Walz gesagt.
Ich möchte das hier nicht wiederholen. — Sie haben das überzeugend gemacht; selbstverständlich, das war überzeugend.
Frau Kollegin Steinhauer, ich möchte diesen Tagesordnungspunkt heute Abend zum Anlaß nehmen, Ihnen für Ihre engagierte Arbeit als Sozialpolitikerin hier im Hause aufrichtig zu danken.
Sie haben in Ihre Arbeit hier das Engagement als Gewerkschafterin und als Mitglied der sozialen Selbstverwaltung eingebracht. Sie haben die Erfahrungen, die Sie vor Ort gemacht haben, in unsere Arbeit, in das Parlament eingebracht. Ich bedanke mich bei Ihnen, beim Kollegen Hoss, bei der Kollegin Beck-Oberdorf, beim Kollegen von der Wiesche und beim Kollegen Becker, die dem nächsten Bundestag nicht mehr angehören werden. Die Sozialpolitiker verlieren wertvolle Mitarbeiter.
Herzlichen Dank!
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Zweiten Arbeitsrechtsbereinigungsgesetzes. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich rufe Art. 1 bis 7, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe!
Enthaltungen? — Meine Damen und Herren, wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Der Sitzungsvorstand ist sich einig, daß es gerade die Mehrheit ist. Der Gesetzentwurf ist abgelehnt.
Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Abgeordneten Frau Unruh und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Finanzierung einer besseren Pflege
— Drucksache 11/1790 —
Vizepräsidentin Renger
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
- Drucksache 11/6728 -
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Hoffacker
b) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 11/8052 -
Berichterstatter: Abgeordnete Kalb Frau Conrad Zywietz Frau Rust
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Fünf-Minuten-Runde vorgesehen. — Kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Beck-Oberdorf.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Eine Gesellschaft kann daran gemessen werden, wie sie mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht" — diese einst von Bundespräsident Heinemann geprägte Weisheit taucht heutzutage in fast jeder Sonntagsrede auf. Nur hält die Lebensrealität pflegebedürftiger Menschen in unserer Gesellschaft diesem Anspruch nicht stand. Seit weit über zehn Jahren haben sich die Regierungsmehrheiten in diesem Hause — das geht an beide Seiten — an einer solidarischen Absicherung Pflegebedürftiger verweigert. So blieb für Pflegebedürftige immer nur der schlechteste Ausweg, nämlich der Weg aufs Sozialamt.
Mittlerweile spitzt sich die Situation täglich zu. In vielen Pflegeheimen wird gerade noch die Grundpflege gewährleistet, von einem vollkommen überlasteten und überforderten Pflegepersonal, das zudem noch schlecht bezahlt wird — es sind ja auch Frauen — und damit zu spüren bekommt, daß soziale Arbeit mit Pflegebedürftigen weniger wert ist als die sogenannte schicke Arbeit in Industrie und Handel.
Für wirkliche Betreuung, für Zuspruch, ja auch für die Begleitung durch Krankheit und Tod bleibt da kaum Raum. Die Kürzung der Zivildienstzeit hat den schon seit langem bestehenden Mangel nur offensichtlich gemacht. Der Pflegenotstand, meine Damen und Herren, konnte allen Verantwortlichen bereits seit langem bekannt sein.
Der von den GRÜNEN vorgelegte Gesetzentwurf, so wurde uns immer wieder entgegengehalten, sei zu teuer. Die vermeintliche Nichtfinanzierbarkeit ist ja schon immer das Hauptargument gegen tiefgreifende sozialpolitische Notwendigkeiten gewesen, auch vor dem Fall der Mauer. Nur haben uns erst die letzten Monate gezeigt, wieviel Geld die Bundesregierung
beizubringen bereit und in der Lage ist, wenn sie nur will.
Offensichtlich wollte diese Regierung keine große gesellschaftliche Kraftanstrengung unternehmen, um endlich jeder Frau und jedem Mann in unserer Gesellschaft im Falle der Pflegebedürftigkeit die Basis für ein würdevolles und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.
Damit bin ich neben dem finanziellen bei dem strukturellen Ansatz des grünen Pflegeleistungsgesetzes: Nach unseren Vorstellungen soll endlich Schluß sein mit der Unterscheidung der Einschränkungsursache. Auch das Alter darf keine Rolle spielen wie jetzt bei den im Bundesrat vorgelegten Ansätzen. Pflegebedürftigkeit kann auch vor dem 45. Lebensjahr eintreten.
Damit würden nicht — wie sich jetzt in Ihren Modellen abzeichnet — bestimmte Altersgruppen weiterhin in die Sozialhilfe abgeschoben, wo die Familiensubsidiarität greift und sich die Betroffenen immer als Bittsteller und Bittstellerinnen vorkommen müssen.
Außerdem würde die Familienhilfe der professionellen Hilfe gleichgestellt. Es geht in unserer Zeit nicht mehr an, die Schwiegertochter zur Pflege heranzuziehen, ohne sie dafür auch nur im geringsten finanziell abzusichern.
Als Wichtigstes: Die Betroffen hätten endlich die Verfügungsgewalt über sich selber. Die Tendenz zur Entmündigung, die der Sozialstaat auch immer in sich birgt, wäre gebannt.
Ombudsleute würden an die Stelle uneffektiver Hilfen — wie etwa die Heimaufsicht — gesetzt und könnten damit demokratische Strukturen auch im Pflegebereich entstehen lassen.
Wir würden endlich ernst machen mit dem Versprechen „ambulant vor stationär", wie es etwa in Dänemark praktiziert wird, wo seit 1988 — das muß man sich einmal klar machen — keine neuen Pflege- und Altersheime mehr gebaut werden dürfen. Das ist wirklich ein Wagnis, das die dänische Gesellschaft eingeht.
Es ist ein großer Sprung in eine Gesellschaft, die Selbstverwaltung und Autonomie auch für Bedürftige in dieser Gesellschaft ernst nimmt.
Meine Damen und Herren, es werden keine Zeichen und Wunder geschehen. Das haben wir in diesem Hause nun leidvoll erfahren. Sie werden diesen Vorstoß von unserer Seite heute also ablehnen. Aber die gesellschaftliche Verdrängung von Krankheit, Gebrechlichkeit und der damit verbundenen Hilfsbedürftigkeit scheint gottlob nicht mehr so ohne weiteres möglich zu sein. Ich kann Ihnen daher schon jetzt die Ankündigung machen, daß wir in der kommenden
Frau Beck-Oberdorf
Legislaturperiode diese so wichtige Debatte mit unseren Anträgen von neuem befruchten werden.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Hoffacker.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Kritik der GRÜNEN an der Regierungskoalition und an der Bundesregierung ist unberechtigt. Wenn sie in diesem Zusammenhang bereits kritisieren, was durch die Gesundheitsreform eingeführt worden ist, nämlich die Entlastung einer häuslichen Pflegekraft durch einen vierwöchigen Urlaub, so stelle ich fest, daß damit ein erster Schritt in die richtige Richtung getan worden ist. Das haben die Regierungen vor Kohl bisher nicht geleistet.
Ebenfalls sollte nicht gering geschätzt werden, daß bereits ab dem nächsten Jahr Angehörige, die sich um Pflegebedürftige kümmern, monatlich bis zu 25 Stunden durch eine Ersatzkraft entlastet werden.
Alternativ zu dieser Pflegeleistung kann wahlweise ein Pflegegeld der Krankenkasse in Höhe von 400 DM in Anspruch genommen werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Beck-Oberdorf?
Ja, ich möchte nur noch einen Satz sagen. — Bei aller Kritik, die die GRÜNEN hier vortragen, finde ich, sie verkennen die Wirklichkeit. Das gilt auch für ihren Gesetzentwurf, dem ich mich sogleich gerne zuwenden möchte.
Bitte sehr, Frau Beck-Oberdorf.
Herr Kollege, halten Sie es im ernst für möglich, daß ein Schwerstpflegebedürftiger — um diesen Personenkreis geht es ja beim Gesundheits-Reformgesetz — in 25 Stunden im Monat, d. h. eine Stunde pro Tag, gepflegt werden kann?
Frau Kollegin, ich halte das, was hier angeboten wird, für einen Schritt in die wichtige Richtung; es ist mehr als gar nichts. Das ist das, was ich dazu sagen darf.
Ihr Gesetzentwurf bietet keine Perspektive. Er ist mit dem Worten „zur Finanzierung einer besseren Pflege" überschrieben, und er stellt in § 14 lapidar darauf ab, Bund und Länder sollten die Kosten je zur Hälfte tragen. Sie sprechen von 14 Milliarden DM.
So einfach geht es leider nicht. Ich bin der Meinung, daß das, was Sie als Steuerleistung vorschlagen, nicht finanzierbar ist. Das lehnen wir ab, wie Sie richtig vermuten.
Wenn die Absicherung der Pflegekosten in der
nächsten Legislaturperiode von uns in Angriff genommen wird, dann werden wir ein zukunftsorientiertes Konzept vorlegen. Sie wissen, daß bisher über Lösungsmodelle diskutiert worden ist, daß über ein steuerfinanziertes Pflegegeld gesprochen wird, daß eine beitragsfinanzierte Pflege- und Sozialversicherung und eine gesetzliche Vorsorgepflicht nach dem Kapitaldeckungsprinzip erwogen werden. Wir lehnen ein steuerfinanziertes Pflegegeld ab. Es scheidet aus, weil es nicht zu bezahlen ist und weil die Eigenvorsorge, die jeder für sich selber für den Pflegefall zu leisten hat, Vorrang haben sollte.
Vorzug verdient, so meine ich, eine gesetzliche Vorsorgepflicht nach dem Kapitaldeckungsprinzip.
Ich kann mir vorstellen, daß eine solche Versicherung unter dem Dach der Krankenkassen untergebracht werden kann. Es muß natürlich sichergestellt werden, daß dieses angesammelte Kapital von den Krankenkassen nicht als Lückenbüßer verwendet wird. Wenn diese Versicherungspflicht eingeführt wird, haben wir eine gute Kombination zwischen Pflege, Rehabilitation und Krankheit unter dem Dach der Krankenversicherung.
Herr Abgeordneter Hoffacker, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Dr. Seifert?
Herr Kollege, Sie sprachen gerade davon, daß man selbst etwas für seine Pflege tun sollte. Heute vormittag wurde sehr barsch abgelehnt, außerhalb der Sozialhilfe ordentliche Gelder zu zahlen. Wie wollen Sie bitte gewährleisten, daß ein Mensch, der von Sozialhilfe abhängig ist, seine Pflege selbst vorfinanzieren kann?
Ich will gerne versuchen, Ihnen das klarzumachen. Wenn in Zukunft jeder mit Eintritt in das Berufsleben ein eventuelles Pflegerisiko absichert und die Beitragshöhe ähnlich wie bei der Haftpflichtversicherung mit dem Prinzip der Versicherung auf Gegenseitigkeit gestaffelt ist, verbunden mit einer sozialen Komponente, kann sich das durchaus durchsetzen lassen. Ich meine, daß wir das Prinzip von Eigenvorsorge und Eigenverantwortung bei der Pflege nicht außer acht lassen dürfen. Deshalb machen wir einen solchen Vorschlag.
Ob eine solche Versicherung ausreicht, Herr Kollege, muß durch konkrete Zahlen erhärtet werden. Es spricht natürlich einiges dafür, für diejenigen, die schon in Pflege sind und sich nicht mehr versichern können, ein Umlageverfahren heranzuziehen und eine zusätzliche Finanzierung eines solchen Umlageverfahrens in die Überlegungen einzubeziehen. Ich meine aber, daß ein solches Sicherungssystem so gestaltet werden kann, daß für den Fall der Pflegebedürftigkeit im Alter die Unabhängigkeit von der Sozialhilfe gewährleistet wird. Das wollen wir wie Sie, Frau Beck-Oberdorf: die Unabhängigkeit von der Sozialhilfe. Denn wir glauben nicht, daß die Sozialversicherung eine solche Vorsorge für den Pflegefall ersetzen kann.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Bittner?
Herr Abgeordneter, Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß eine Pflegeversicherung, die der Mensch abschließen muß, unsozial ist? Denn von Haus aus reiche Menschen brauchen sich natürlich nicht zu versichern, und von Haus aus arme Menschen müssen demzufolge recht hohe Beiträge zu einer Pflegefallversicherung leisten.
Frau Kollegin, in unserer Gesellschaft kennen wir solche Widersprüche nicht. Möglicherweise sind sie früher bei Ihnen so gewesen.
Bei uns ist das etwas anders geregelt. Denn in der klassenlosen Gesellschaft, die Sie vorgeführt haben, gab es Gleichere und Gleiche.
Herr Abgeordneter Hoffacker, Sie sind sehr gefragt. Wollen Sie noch eine Zwischenfrage zulassen?
Ich finde, bei der wichtigen Problematik können wir das gerne machen.
Herr Kollege, das hier ist ja eine ganz aktuelle Angelegenheit. Ich bin sehr froh, daß die GRÜNEN diesen Antrag eingebracht haben. Heute hatte ich eine Besuchergruppe hier sowohl mit körperlich als auch mit geistig Behinderten. Ich kenne die Nöte dieser Menschen sehr gut, auch was die Pflege anbelangt. Können Sie mir sagen, wie z. B. ein Landwirtsehepaar, das bei dieser Agrarpolitik schon heute zu kämpfen hat, um überhaupt über die Runden zu kommen, eine Pflegeversicherung für beide, Mann und Frau, finanzieren soll? Die sind schon heute nicht in der Lage, die Sozialabgaben zu finanzieren.
Erklären Sie mir bitte, wie das in Zukunft bei Bauern und Bäuerinnen aussehen soll oder allgemein bei Menschen, die ein niedriges Einkommen haben. (Frau Dr. Enkelmann [Gruppe der PDS]: Die gibt es ja nicht! — Dr. Seifert [Gruppe der PDS]: Es gibt ja keine Armen!)
Frau Kollegin Flinner, ich stamme wie Sie aus einer Bauernfamilie mit sehr vielen Kindern. Wir kennen dieses Problem sehr wohl. Ohne die Solidarität der Familiengemeinschaft im bäuerlichen Bereich wird das von heute auf morgen nicht zu lösen sein.
Aber lassen Sie mich bitte auch zweitens sagen: Die bäuerlichen Familien und die Landwirtschaft müssen
sich diesem Zug der Zeit, wo durch Kapitaldeckungsverfahren oder durch Umlageverfahren die sozialen Fälle gesichert werden, natürlich auch anschließen. Das kann vielleicht nicht von heute auf morgen geschehen. Aber ich denke, daß das Bewußtsein dafür auch von uns aus geweckt werden sollte.
— Das ist aber nicht das Thema.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Herr Kollege, können Sie bestätigen, daß gerade in bäuerlichen Familien bislang in sehr großem Umfang Pflege geleistet worden ist,
weil die Familien oft noch intakt und auch die Verhältnisse entsprechend gewesen sind, daß aber jetzt erstmals durch die CDU/CSU-Politik eine Anerkennung dieser langjährigen Leistungen erfolgt, die bisher zum Nulltarif erbracht worden sind?
Herr Kollege, keine Bundesregierung hat mehr für die Bauern getan
— namentlich für die soziale Absicherung — als die Bundesregierung unter Dr. Helmut Kohl. Das kann ich bestätigen.
Ich möchte jetzt gerne fortfahren. Ich bin also der Meinung — ich bitte, das doch etwas leidenschaftsloser zu bedenken; sonst glaube ich kaum, daß wir bei einem Projekt zu einer Übereinstimmung kommen, das uns alle interessiert —, daß wir, wenn diese Ausgestaltung der Kostenabsicherung bei häuslicher und bei stationärer Pflege dem Pflegebedürftigen keinen Weg seiner Wahl versperrt oder verbaut, ebenfalls auf dem richtigen Wege sind.
Andererseits müssen aber auch Anreizwirkungen und Sogwirkungen vermieden werden, nämlich von der ambulanten in die stationäre Versorgung überzuwechseln. Ich meine, daß wir bereits heute feststellen können, wie schwierig es ist, die häuslichen Pflegekräfte für diejenigen Menschen zu bekommen, die zu 90% zu Hause weiter gepflegt werden wollen. Das zeigt, daß unsere Gesamtlinie richtig ist, diese häusliche Pflege besonders zu stützen.
Dabei ist ebenfalls daran zu denken, daß die Rehabilitation vor der Pflege stehen muß. Diese positive Lebensgestaltung, die durch die Rehabilitation gerade bei Schwerstpflegebedürftigen wieder eröffnet werden kann, wird von uns unterstützt.
Lassen Sie mich last not least sagen: Wir dürfen auch nicht übersehen, daß die Pflegepersonen bei ihrer sozialen Absicherung berücksichtigt werden müssen. Der Weg, den wir mit dem Rentenreformgesetz 1992 bereits eingeschlagen haben, ist, glaube ich, richtig. Wir streben an, daß die häuslichen Pflegezeiten analog den Kindererziehungszeiten im Renten-
Dr. Hoffacker
recht angerechnet werden. Ich meine, daß wir damit auf einem guten Wege sind, den Kräften, Frau Flinner, von denen Sie sprechen — die ja sehr viel unentgeltlich pflegen müssen —, in der Zukunft einen Rentenanspruch zu gewähren. Es sind ja namentlich die Frauen, die eine solch schwere Aufgabe verrichten.
Frau Beck-Oberdorf, Ihr Entwurf — er ist ja auch schon zweieinhalb Jahre alt — wird diesem Gedanken nicht gerecht. Wir müssen gemeinsam arbeiten, damit wir etwas finden, was diesen von mir jetzt vorgetragenen Vorstellungen entspricht. Ihren Gesetzentwurf muß ich leider als überholt bezeichnen. Ich muß ihn daher ablehnen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jaunich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist doch gar keine Frage, daß durch das sogenannte Gesundheits-Reformgesetz etwas Neues auf dem Sektor eingeführt worden ist. Aber es ist doch auch unbestreitbare Tatsache, daß dieses bißchen Fortschritt jene bezahlen müssen, die chronisch krank sind. Herr Hoffacker, das ist doch der Skandal, den es festzuhalten gilt.
— Herr Hoffacker, Sie sollten nicht glauben, daß Sie mich ablenken können. Tatsache ist — ich wiederhole es für Sie gerne —, daß das bißchen, was durch das GRG eingeführt worden ist, die chronisch Kranken mit doppelten Leistungen bezahlen müssen.
Sie müssen auch sehen, daß dadurch nur ein Teil der in Frage kommenden Personen erfaßt wird, nämlich erstens wegen der leistungsrechtlichen, der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, und zweitens — Sie wissen doch ganz genau, wie viele Hoffnungen enttäuscht worden sind — wegen der eng gesetzten Maßstäbe.
Aber was mich schon erschüttert hat, ist, daß Herr Hoffacker so, wie er geredet hat — die Zukunftslösung zeichnet sich ja jetzt ab —, für die Gesamtfraktion reden konnte. Gibt es denn da eigentlich nicht so einen Flügel, der sich Arbeitnehmerflügel nennt? Gibt es den nicht mehr? Ist die CDA in dieser Union überhaupt nicht mehr vertreten? War es nicht der Herr Blüm, der kürzlich im Namen dieser CDA doch andere Lösungen wohl wissend propagiert hat, daß das, was er in dem sogenannten Gesundheits-Reformgesetz vorgelegt hat, eben nicht ausreichend ist.
Frau Beck-Oberdorf, trösten Sie sich, daß dieser Gesetzentwurf hier abgelehnt wird. Denn diese Bundestagsmehrheit hat ja auch schon andere Konzepte abgelehnt. Sie hat auch unser Konzept abgelehnt, obwohl es nur 6, 3 Milliarden DM gekostet hätte. Es war
als Einstiegslösung gedacht. Sie haben Ihren Weg ein bißchen breiter angelegt. Wir waren der Meinung: Man muß irgendwo anfangen; und wenn man keine eigene Mehrheit hat und um Mehrheiten kämpfen muß, ist es vielleicht ganz gut, wenn man sich ein wenig bescheidet.
An Ihrem Gesetzentwurf könnte man im Detail das eine oder andere kritisieren. Ich unterlasse das, weil ich mich lieber mit der rechten Seite des Hauses auseinandersetzen möchte. Denn diese Mehrheit des Deutschen Bundestages setzt die Prioritäten offensichtlich anders. Da ist nicht Geld für Pflege da; da hat man eben Geld für den Jäger 90 oder für 60 neue General-Stellen oder ähnliches.
— Schreien Sie nicht „Aha"! Das ist so, Herr Kollege Hoffacker. Es ist doch eine Prioritätenentscheidung, die Ihrer Ablehnung hier zugrunde liegt. Das ist doch gar keine Frage. Damit werden Sie sich auseinandersetzen müssen.
Es war doch vielleicht der naherückende Wahltermin, der den Herrn Bundesarbeitsminister in seiner Eigenschaft als Sozialpolitiker der Union, der einen Rückhalt in der Arbeitnehmerschaft sucht, dazu geführt hat,
daß er andere Vorstellungen zur Lösung des Problems der Pflegebedürftigkeit in der Öffentlichkeit entwik-kelt hat als ein Herr Hoffacker hier. Das, was Sie hier. soeben vorgeführt haben,
habe ich bisher eigentlich immer von der FDP gehört.
Ich sage Ihnen: Mit uns Sozialdemokraten kann man über eine solidarische Lösung reden. Eine solidarische Lösung könnte eine steuerfinanzierte sein, aber auch eine Versicherungslösung, die eine Volksversicherung ist und jeden und alle Einkunftsarten bei der Beitragsbemessung einbezieht.
In diesem Sinn werden wir unsere Anstrengungen im nächsten Deutschen Bundestag fortsetzen.
Eine Lösung, wie Sie sie hier mit Kapitalfonds und -stock vorführen, kann nicht die Probleme derer lösen, die bei Einführung bereits pflegebedürftig sind.
Die lassen wir also dann in dem Zustand, in dem sie sind.Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode - 23C. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1990 18239
Jaunich
Ihre Lösung kann auch nicht das Problem lösen, daß es nach wie vor Familien mit nur einem Verdiener gibt. Und der soll dann alle Kapitalstockdeckungs-beiträge für eine mehrköpfige Familie aus einem einzigen Einkommen erbringen?
Herr Kollege Hoffacker, das sind unausgegorene Vorstellungen; das sind gigantische Pläne für ein die privaten Versicherer stützendes Programm.
Damit wird das Problem der sozialen Absicherung bei Pflegebedürftigkeit nicht gelöst.
Dies ist eine Aufgabe, die spätestens der nächste Deutsche Bundestag lösen muß. Da kann mit uns nur über eine solidarische Lösung gesprochen werden, aber nicht über eine, die den Weg geht, den Sie hier vorzeichnen.
Zu dem Gesetzentwurf, den die GRÜNEN/Bünd-nis 90 vorgelegt haben, werden wir uns der Stimme enthalten, weil er in der Tat einiges zum Inhalt hat, was wir so nicht tragen können, und weil, auch durch die deutsche Einheit bedingt, das staatliche Finanzierungsvolumen derzeit nicht zur Verfügung steht.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Seifert. Sie können vom Platz aus sprechen. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Behinderung oder Pflegebedürftigkeit sind ein persönliches Schicksal. Aber sie sind auch ein gesellschaftliches Problem. Deshalb muß es nach meiner Meinung von der Gesellschaft, vorrangig vom Staat, gelöst werden.
Es geht um die Gewährleistung menschenwürdigen, also würdigen, Lebens. Eine Selbstbestimmung ist nicht möglich, wenn man von Pflegeverwaltern abhängig ist, die daran — das sage ich nebenbei — ganz gut verdienen. Es ist doch gerade der Charakter der Gesellschaft in diesem Land, daß alles übers Geld geregelt wird. Also geben Sie es doch bitte schön denen, die es brauchen, in die Hand!
Das hätte übrigens die Konsequenz, daß die, die wirklich pflegen, und nicht die, die irgend etwas verwalten, das Geld bekämen, daß also für Leistung und nicht für Verwaltung gezahlt würde.
Es geht nicht darum, irgendeine Versicherung einzuführen, die am Ende nichts anderes bewirken würde, als daß diejenigen, die wenig haben, jahrzehntelang einzahlen müßten und am Ende, wenn sie auf die Pflege angewiesen sind, vielleicht einen Anspruch auf 2 000 oder 2 500 DM hätten. Der Platz kostet aber 3 000 oder 3 500 DM. Was bliebe übrig? Sie bekämen wieder nur die 120 oder auch 180 DM Taschengeld und hätten ihr Leben lang eingezahlt. Das ist in höchstem Grade unsozial und sogar im Grunde ein Betrug
an denjenigen, die hoffen, mit ihrer Versicherung etwas zu erreichen.
Es geht um die Gewährleistung eines würdigen Lebens von Menschen, es geht nicht darum, ob soundsoviel Geld ausgegeben wird oder nicht. Der Herr Bundeskanzler kann ganz locker mal 3, 3 Milliarden DM rüberreichen, damit im Irak Krieg gespielt werden kann, und das innerhalb von wenigen Tagen. Ich weiß nicht, warum dann nicht mal Geld ausgegeben werden kann für wirklich zutiefst menschliche, zutiefst humane Zwecke.
Es geht nicht darum, daß in Pflegefabriken Millionen verdient werden, es geht darum, daß Menschen, die auf die Pflege angewiesen sind, z. B. dadurch, daß sie von Geburt an behindert sind, das Geld in die Hand bekommen, um sich selbst diejenigen auszusuchen, die sie pflegen sollen und denen täglich ein angemessenes Entgelt zu zahlen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eimer.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich kenne Herrn Kollegen Jaunich als einen sehr sachkundigen und fairen Kollegen, aber, Herr Kollege Jaunich, heute ist mit Ihnen der Wahlkämpfer hier durchgegangen. Deswegen will ich auf diese Kalauer nicht eingehen.
Die hohe Lebenserwartung der Menschen in der Bundesrepublik — die durchschnittliche Lebenserwartung in den neuen Bundesländern ist etwas geringer — hat Probleme geschaffen, für die wir bisher noch keine Lösung gefunden haben. Herr Kollege Jaunich, es ist gut, wenn man dies ehrlicherweise zugibt. Wir werden das mit dem höheren Alter verbundene Risiko der Pflegebedürftigkeit und ihre Bezahlung, die Sicherung der Pflege sowie die Frage nach einem Gesamtkonzept für die Pflege in der nächsten Legislaturperiode anpacken müssen, und das wird eine sehr große Aufgabe sein.
Wir haben es heute mit Versorgungsstrukturen zu tun, die weder der demographischen Entwicklung noch den bisher dafür vorgesehenen Finanzierungsquellen entsprechen. Dabei wissen wir nicht einmal genau, wie groß die Pflegebedürftigkeit der Menschen in unserem Land ist, weil verläßliche bundesweite Angaben fehlen. Wir können jedoch davon ausgehen, daß ca. 2, 5 Millionen Menschen in unserem Land leben, die Pflege brauchen; die Zahl der pflegebedürftigen Bürger in den neuen Bundesländern ist dabei nicht mitgezählt. Von diesen Pflegebedürftigen leben ca. eine Viertelmillion, vielleicht etwas mehr, in Heimen. Die Zahl macht deutlich, daß die meisten der zu Pflegenden zu Hause versorgt werden, entweder durch Angehörige oder durch ambulante Dienste bzw. durch beide. Die Prämisse der GRÜNEN in ihrem
Eimer
Gesetzentwurf stimmt deshalb überhaupt nicht, man müsse Pflegebedürftige vor der Heimpflege schützen.
In der Begründung wird behauptet, die heutige Regelung der Pflegefinanzierung begünstige Pflegeheime, sie mache das Betreiben von Pflegeheimen zu einem profitablen Geschäft für Wohlfahrtsverbände und Sozialkonzerne, und sie halte damit die Behinderten und die Alten in der Tabuzone von Pflegeheimen und Psychiatrie fest.
Meine Damen und Herren, dies kann wohl angesichts der verzweifelten Situation von Pflegebedürftigen, die einen Heimplatz suchen, oder für die ein Heimplatz in der bisherigen Umgebung nicht gefunden wurde, als realitätsfern bezeichnet werden, um es nur ganz milde auszudrücken. In den Ballungsgebieten — das dürfte Ihnen nicht verborgen geblieben sein — haben wir einen katastrophalen Mangel an Betten in stationären Einrichtungen mit der Folge, daß ein Pflegebedürftiger, in der Regel 84 Jahre alt, seine letzten Jahre fernab von seinem bisherigen Lebensmittelpunkt und seinen Angehörigen verbringen muß.
Wir brauchen deshalb mehr wohnortnahe stationäre Einrichtungen mit einer anderen Aufgabenstellung als heute. Es geht also nicht um den Umbau der Heimversorgung, sondern es geht um die Sicherung und Bezahlung der Pflege sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich.
Der Pflegenotstand ist dabei, sich in Teilen dieser Republik zu einer Pflegekatastrophe auszuweiten: Betten stehen leer, weil Personal fehlt; Pflegebedürftige müssen abgewiesen werden, weil ganze Abteilungen geschlossen sind. Familienangehörige sind immer häufiger durch die Pflege überfordert, vor allem dann, wenn es sich um die ebenfalls alt gewordenen Ehepartner handelt oder um Pflegefälle, die auf Grund der Schwere der Behinderungen in die Hände von professionellen Pflegekräften gehören.
Die Zahl der Hochbetagten steigt, und damit der Pflegebedarf. In der nächsten Legislaturperiode werden wir zu einem Gesamtkonzept für die Pflege und ihre Finanzierung kommen müssen. Dies wird eine Aufgabe sein, die uns längere Zeit beschäftigen wird. Ich kann nur hoffen, daß wir dies dann nach dem Wahlkampf in einer etwas sachlicheren Atmosphäre tun können, als dies heute geschehen ist. Wir alle werden aufgerufen sein, alle Anstrengungen zu unternehmen, uns neue Gedanken einfallen zu lassen. Denn das, was bisher angeboten worden ist, befriedigt mich und viele der Betroffenen nicht. Deswegen möchte ich herzlich darum bitten, daß wir dieses Thema nicht zu einem Wahlkampfthema machen, sondern daß wir uns um dieses Thema in der Seriosität bemühen, die dafür notwendig ist. Der vorliegende Gesetzentwurf der GRÜNEN dient diesem Ziel nicht. Deswegen können wir ihm auch nicht zustimmen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wüppesahl.
Leider nicht zu jedem Punkt!Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Eimer, ich habe manchmal den Eindruck gehabt, Sie wissen gar nicht, worüber Sie reden: Es solle nicht Thema des Wahlkampfes werden! Was Sie substantiell zu den vorliegenden Gesetzentwürfen sagen und was an Behauptungen über die Situation der Menschen mitschwingt, die in diesem Lande pflegebedürftig sind, ist unrealistisch.Die Situation unserer sogenannten Pflegebedürftigen zu verbessern kann nicht nur in Gesetzentwürfen gefaßt werden, sondern setzt zunächst einmal ein ganzheitliches Denken und Handeln voraus. Unsere älteren Mitbürger müssen zunächst einmal in unserer Leistungsgesellschaft akzeptiert, integriert und dürfen nicht ausgesetzt werden. Das setzt voraus, daß in der Altenpflege Selbstbestimmung und Selbstverwaltung gelebt werden darf. Die Voraussetzung dafür ist das dringend notwendige Fachpersonal in der Kranken-, Alten-, Haus- und Familienpflege, die immer noch keiner bundeseinheitlichen gesetzlichen Regelung unterliegt, geschweige denn einer bundeseinheitlichen Ausbildung, wie das Ausbildungsgesetz zur Altenpflege, das in diesem Hause vorliegt, beweist.Die Haus- und Familienpflege wird seit Jahrzehnten mit bundesweit 470 DM geleistet; sie wird von ehrenamtlichen Helfern begleitet, wie Frau Prof. Dr. Ursula Lehr richtig feststellte. Frauen leisten den Löwenanteil an Sozialarbeit in diesem Staat. Ich füge hinzu: Verkürzungen des Zivildienstes können den Pflegenotstand in Deutschland auslösen, und noch immer werden Frauen in Deutschland für Sozialarbeit als geringfügig Beschäftigte und ehrenamtliche Helfer legal ausgenutzt.Fazit: Unseren pflegebedürftigen Bürgern, haben sie sich mal durch den mühsamen Weg der Bürokratie ihr Pflegegeld bzw. das Unterstützungsgeld beantragt und erhalten, steht nach bundesweiten Analysen kein qualifiziertes und kompetentes Fachpersonal beratend und unterstützend zur Verfügung. Dies wird auch durch diesen Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht geändert.Die Sozialpolitik der liberalkonservativen Koalition ist eine Katastrophe. Ich erinnere an den Rundumschlag der Gesundheitsreform unseres lieben Kollegen Norbert Blüm, der für die Umverteilung der Lasten sorgte und die Belastung des einzelnen Bürgers, besonders unsere älteren Bürger, besorgte. Was nützt dem Bürger die Pflegefinanzierung, wenn der Pflegenotstand nicht beseitigt ist! — Pflegegeld und Unterstützung haben keine Wirkung, wenn das notwendige Fachpersonal dem Bürger nicht zur Verfügung steht.Ich fordere die Beseitigung des Pflegenotstands imstationären wie auch im ambulanten Bereich durch Ausbildung des notwendigen Fachpersonals, Stär-Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1990 18241
Wüppesahlkung des Berufsstandes in der Altenpflege wie in der Haus- und Familienpflege.Schön formulierte Gesetzestexte ohne Voraussetzungen sind eine Zumutung für alle Dienstleistungsorgane und für unsere alten und pflegebedürftigen Mitbürger. Die ambulanten sozialen Dienste sind ein wichtiges und unverzichtbares Element der sozialen Sicherung. Vor dem Hintergrund des Sozialstaatsprinzips des Grundgesetzes sind deshalb Länder und Kommunen gehalten, durch eine Förderung für ein bedarfsgerechtes Angebot zu sorgen.Erfolgreich abgeschmettert und immer wieder an den Bürger zurückdelegiert, der, ganz offensichtlich überfordert, jetzt wieder seine Rechte einklagt, ist es heute unsere Pflicht, dem in vollem Umfang Rechnung zu tragen und der anwachsenden Gruppe der Pflegebedürftigen in unserer Bevölkerung durch klare Gesetzgebung und Neuordnung der Pflegefinanzierung die Möglichkeit zu geben, die Hilfe zur Selbsthilfe durch entsprechendes Fachpersonal bundesweit anbieten zu können. Wenn Sie von der rechten Seite des Hauses einen Gesetzentwurf in diesem Sinne vorlegen würden, könnten Sie auch meine Zustimmung bekommen.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich erteile das Wort dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Pfeifer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst feststellen, daß trotz der unterschiedlichen Meinungen, die in dieser Debatte vorgetragen worden sind, doch in zwei Punkten Konsens sichtbar wurde. Zum einen zeigte sich der Konsens darin, daß die bessere Absicherung bei Pflegebedürftigkeit ohne Zweifel zu den gegenwärtig dringenden sozialpolitischen Aufgaben gehört.
Wir haben in dieser Legislaturperiode des Bundestages insbesondere im Bereich der häuslichen Pflege einige wesentliche Verbesserungen erreicht.
Ich halte sie für wesentlich; da bin ich anderer Meinung als Sie, Herr Kollege Jaunich. Ich nenne beispielsweise die Verankerung des Grundsatzes „Rehabilitation geht vor Pflege" im Gesundheits-Reformge-setz, ein ganz wichtiger Grundsatz. Ich nenne zum zweiten die in dem Gesundheits-Reformgesetz enthaltenen Regelungen über die sogenannte Urlaubspflege und ab 1991 die Pflegehilfe bei Schwerpflegebedürftigen, und ich nenne beispielsweise die Verbesserung bei der Alterssicherung von Pflegepersonen im Rentenrecht; auch das ist etwas, was diese Koalition erreicht hat.
Der zweite Konsenspunkt, den ich sehe, ist, daß wir uns darüber einig sind, daß es zu den wichtigsten Aufgaben im sozialpoltischen Bereich der nächsten Legis-
laturperiode gehört, eine Verbesserung auch für die stationäre Pflege zu erreichen.
Meine Damen und Herren, dies können allerdings nur Lösungsvorschläge bewirken, die sowohl in der Sache als auch in bezug auf ihre Finanzierbarkeit realistisch sind, und das ist der vorliegende Gesetzentwurf nicht. Ich sage ganz ausdrücklich: Sie müssen auch finanzierbar sein, denn wer keine finanzierbaren Vorschläge macht, der schafft keine Sicherheit; der schafft eine trügerische Sicherheit.
Wir haben die Absicht, in der nächsten Legislaturperiode einen Gesetzentwurf zur Absicherung des Pflegerisikos vorzulegen. Unser Ziel ist, für dieses Gesetz einen möglichst breiten Konsens zu erreichen. Dem Bundesrat liegen dazu zwei Gesetzentwürfe aus Rheinland-Pfalz und aus Baden-Württemberg vor, die gute Ausgangspunkte für die weiteren Überlegungen sind. Wir werden uns bei diesen Überlegungen an folgenden Leitlinien orientieren:
Erstens. Die Regelungen müssen für alle gelten, ohne Rücksicht auf Alter und Ursache der Pflegebedürftigkeit.
Zweitens. In erster Linie gilt es, Pflegebedürftigkeit zu vermindern oder zu vermeiden. Rehabilitation geht vor Pflege. Hilfen müssen deshalb möglichst frühzeitig einsetzen.
Drittens. Das Gesetz muß solide finanziert sein. Deshalb werden wir bei den beabsichtigten Regelungen der Eigenverantwortung ein besonderes Gewicht beimessen müssen. Andererseits muß auch auf ihre soziale Verträglichkeit und darauf, daß die Abhängigkeit von der Sozialhilfe abgebaut wird, geachtet werden.
Viertens. Die Regelung muß die Absicherung der ambulanten Pflege einbeziehen. Wir wollen an dem Grundsatz des Vorrangs der ambulanten Pflege festhalten, weil es human ist, einen pflegebedürftigen Menschen, solange es zu verantworten ist, in seiner häuslichen und familiären Umgebung zu pflegen. Die beabsichtigten Regelungen müssen auch in der ambulanten Pflege eine qualifizierte Pflege absichern und den Diensten und Einrichtungen ein festes finanzielles Fundament gewährleisten.
Fünftens. Die Kosten sind auf mehrere Schultern zu verteilen, weil ein Kostenträger allein sicherlich überfordert wäre.
Meine Damen und Herren, das sind die Leitlinien, an denen wir uns orientieren, unter denen wir an einem Gesetzentwurf arbeiten. Ich halte das für den richtigen Weg. Der mit dem vorliegenden Gesetzentwurf vorgeschlagene Weg ist der falsche Weg. Ich bitte Sie deshalb, den vorliegenden Gesetzentwurf abzulehnen.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Pfeifer, ich habe nicht eingegriffen,18242 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode - 230, Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1990
Vizepräsident Stücklen
weil Sie mit Ihrer Rede zum Abschluß gekommen sind. Aber es gibt noch eine Frage des Herrn Abgeordneten Seifert. — Bitte schön!
Herr Staatssekretär, Sie sprachen davon, daß ambulante Pflege gewährleistet sein soll, solange es zu verantworten ist. Bitte sagen Sie mir, wer das verantwortet, wenn nicht derjenige, der die Pflege braucht.
Herr Kollege, ich wollte damit zum Ausdruck bringen, daß ich es für human halte, den Pflegebedürftigen in seiner häuslichen Umgebung zu pflegen, solange es aus seinen Gegebenheiten heraus zu rechtfertigen ist. Aber wir müssen sehen, daß es Fälle gibt, in denen es auch aus der Sicht des Pflegebedürftigen heraus humaner ist, wenn die Pflege in einem Heim erfolgt. Für diese Fälle — so meine ich — brauchen wir auch in Zukunft die Heimpflege.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Bundespflegegesetzes — Drucksachen 11/1790 , 11/6728. Der Ausschuß empfiehlt, diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Ich rufe die §§ 1 bis 20, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen aus der Fraktion der SPD mit Mehrheit abgelehnt.
Damit entfällt die dritte Lesung.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Conradi, Huonker, Müntefering, Menzel, Großmann, Dr. Niese, Oesinghaus, Dr. Osswald, Reschke, Scherrer, Weiermann, Bernrath, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Verbilligte Abgabe von Grundstücken aus Bundesbesitz für den sozialen Wohnungsbau
- Drucksachen 11/6382, 11/7110 -
Berichterstatter: Abgeordnete Müller Zywietz
Frau Vennegerts Dr. Struck
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Müntefering. Bitte sehr.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir werden in den nächsten zehn Jahren in Deutschland ungefähr fünf Millionen Wohnungen bauen müssen. Die Frage ist, wohin wir sie eigentlich bauen. Das sind ungefähr 15 % des heuti-
gen Wohnungsbestandes, und es stellt sich deswegen bei der Bekämpfung der Wohnungsnot nicht nur das quantitative Problem, woher wir die große Zahl von neuen Wohnungen bekommen, sondern es stellt sich auch das qualitative Problem, ob dieser Neubau an Wohnungen, der erforderlich ist, im Rahmen einer geordneten, ökologisch vernünftigen und infrastrukturell vernünftigen Stadtentwicklung erfolgt oder ob wir die Wohnungen irgendwo irgendwie bauen, wo es denn gerade geht, und damit die Bausünden produzieren, die uns in fünf oder zehn Jahren wieder bitter leid tun werden.
Heute morgen hat der Bauausschuß des Deutschen Bundestages die Gesetzesinitiative der Sozialdemokraten zur Bekämpfung der Wohnungsnot leider abgelehnt. Das wäre eine Chance gewesen, mit energischen Maßnahmen die Wohnungsnot zu bekämpfen, und zwar sowohl durch verstärkte Förderung des sozialen Mietwohnungsbaus als auch durch ein sozialeres Mietrecht als auch durch verbesserte Förderung des selbstgenutzten Wohneigentums als auch durch Zinshilfen, aber auch durch Mobilisierung von Bauland. Wir haben in unserem Gesetzentwurf einige Maßnahmen vorgesehen, die den Städten und Gemeinden helfen sollen und können, Bauland über das hinaus zu mobilisieren, was im Augenblick möglich ist: Vorkaufsrecht der Städte und Gemeinden zum Verkehrswert, die Möglichkeit einer besonderen Besteuerung von spekulativ vorgehaltenem Grund und Boden, Baugebot. Dieser Gesetzentwurf ist heute morgen im Bauausschuß des Deutschen Bundestages gescheitert. Damit ist eine wichtige Chance vertan, Wohnungsnot erfolgreich zu bekämpfen. Zur Bekämpfung der Wohnungsnot gehört eben auch die Zurverfügungstellung hinreichenden Baulandes. Dazu gehört als Partikelchen — nicht als die große Lösung, aber durchaus als ein Aspekt, der auch eine Rolle spielt — die Frage, wie denn eigentlich die öffentliche Hand, der Bund, die Länder und die Gemeinden, mit dem Grund und Boden umgehen, den sie zur Verfügung haben, und ob sie diesen Grund und Boden für sozialen Wohnungsbau, für sozialen Mietwohnungsbau oder auch für selbstgenutztes Wohneigentum, zur Verfügung stellen. Dies ist in den Ballungsbereichen, in den Städten und Gemeinden, in denen die Grundstückspreise inzwischen explodiert sind, besonders wichtig.
Man kann in Städten und Gemeinden, in denen Grund und Boden 300 DM, 500 DM oder - was es inzwischen ja auch gibt — 1 000 DM pro Quaratmeter kosten, sozialen Wohnungsbau nicht mehr realisieren, weil allein die Grundstückspreise dazu führen, daß die Kostenmiete, die beim sozialen Wohnungsbau als Maximalmiete eingehalten werden muß, nicht eingehalten werden kann.
Deshalb ist es bei der Bekämpfung der Wohnungsnot in den Ballungszentren ganz wichtig, daß wir Grund und Boden zur Verfügung haben, der bezahlbar ist und auf dem Wohnungen gebaut werden können, die eine Miethöhe erreichen, die in den Rahmen des sozialen Wohnungsbaus hineinpaßt.
Müntefering
Nun haben der Bund und auch die Länder und die Kommunen Grund und Boden. Unsere Forderung richtet sich natürlich auch an Länder und Kommunen, aber eben auch an den Bund.
Der Bund muß die Grundstücke, die er verfügbar hat, für den sozialen Wohnungsbau, speziell für den sozialen Mietwohnungsbau, in den Ballungszentren bereitstellen. Er muß sie den Städten und Kommunen zur unmittelbaren Umsetzung für den Wohnungsbau anbieten, und er muß das zu Preisen tun, die von den Städten und Gemeinden gezahlt werden können.
Es reicht nicht, wenn der Bund heute sagt: Wir machen einen Abschlag von bis zu 15%. Wenn ein Grundstück nach dem Verkehrswert heute 300 DM, 500 DM oder 1 000 DM pro Quadratmeter kostet, dann reichen diese 15% Abschlag nicht, um die Grundstücke für den sozialen Wohnungsbau bezahlbar zu machen.
Die Sozialdemokraten fordern, daß diese Grundstücke mit bis zu 50%iger Verbilligung an die Städte und Gemeinden gegeben werden. Bisher beruft sich der Finanzminister darauf, daß ihm dafür die gesetzlichen Grundlagen fehlen. Wir wollen diese gesetzlichen Grundlagen schaffen. Deshalb versuchen wir mit diesem Antrag, den nötigen Anstoß dazu zu geben.
Unser Ziel ist: Der Bund gibt seinen Grund und Boden mit einem Abschlag von bis zu 50 % für den sozialen Wohnungsbau, nicht für andere Zwecke. Er soll schnell dafür genutzt werden und soll langfristig für Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus zur Verfügung stehen.
Ich sage noch einmal: Wenn in den Städten und Gemeinden, in den Ballungskernen die Baulandfrage für den sozialen Wohnungsbau nicht geklärt wird, dann gibt es in diesen Bereichen keine Chance, die nötigen Vorhaben beim Neubau zu realisieren.
Es kommt noch ein besonderer Aspekt hinzu — ich nehme hier den Zwischenruf des Kollegen Müller auf —: Wir werden mit der Abrüstung hoffentlich vorankommen und werden militärische Areale in den Städten und Gemeinden zur Verfügung haben, oft Filetstückchen. Deshalb appelliere ich an die Bundesregierung über das hinaus, was jetzt in unserem Antrag steht: Seien Sie bereit, aufzulisten, was da zur Verfügung gestellt werden kann! Seien Sie bitte schön bereit, mit den Städten und Gemeinden sowie mit denen, die sozialen Wohnungsbau realisieren, Sonderregelungen über das hinaus zu treffen, was an normalem Grund und Boden zur Verfügung gestellt werden kann!
Sorgen Sie dafür, daß das, was an bisher militärisch genutzten Arealen vorhanden ist, so schnell wie möglich den Städten und Gemeinden überlassen wird, damit sie dafür sorgen können, daß dort sozialer Wohnungsbau schnell realisiert wird, der dann langfristig zur Verfügung steht!
Achten Sie bitte darauf, daß die Standorte nicht an der falschen Stelle geschleift werden. Wir haben die Bundesregierung gefragt, was sie denn tue, damit
Standorte, wenn sie jetzt abgebaut werden, dort abgebaut werden, wo das aus infrastrukturellen und regionalen Gesichtspunkten besonders wichtig ist. Es ist zwar gut, wenn Standorte, die tief im Wald liegen, verschwinden. Aber sie sind kein Gewinn an Grund und Boden, der verfügbar gemacht werden kann. Wenn aber in den großen Städten und Gemeinden, in den Ballungsbereichen, da, wo die Wohnungsnot am stärksten ist, solcher Grund und Boden im Bereich attraktiver Lagen — das ist ja oft so — zur Verfügung gestellt wird, dann ist das eine große Hilfe bei der Realisierung von Neubauten in diesen Bereichen.
Deshalb richte ich über die Forderung hinaus, die in unserem Antrag steht, den Appell an die Bundesregierung und an die Koalition, sich endlich um diese Fragen zu kümmern und es nicht dem Zufall zu überlassen, wo Standorte verschwinden und was mit den Grundstücken passiert. Wir fordern Sie auf, ganz gezielt darauf zu dringen und zusammen mit dem Städte- und Gemeindebund sowie mit dem Deutschen Städtetag dafür zu sorgen, daß attraktive Plätze für die erforderliche Realisierung von Wohnungsneubau zur Verfügung gestellt werden.
Wir brauchen jetzt ganz besonders in den großen Städten und Gemeinden, in den Ballungsbereichen mehr Wohnungen und nicht mehr Panzer. Deshalb ist es ganz wichtig, daß wir die Chance der Abrüstung an dieser Stelle nutzen.
Wir Sozialdemokraten wollen mit diesem Antrag einen neuen Impuls geben, damit wir an dieser Stelle vorankommen. Baulandbeschaffung ist bei der Bekämpfung der Wohnungsnot ein erstrangiges Problem. Deshalb haben wir diesen Antrag gestellt.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf einmal daran erinnern, worüber wir hier eigentlich debattieren: Wir debattieren über den Antrag der SPD „Verbilligte Abgabe von Grundstücken aus Bundesbesitz für den sozialen Wohnungsbau".
Herr Kollege Müntefering, mein Eindruck ist, daß Sie über ein vollkommen anderes Thema gesprochen haben.
Wir können dem Antrag, den Sie hier stellen, unsere Zustimmung nicht erteilen; denn die Grundstücke im Bundesbesitz, die wir abgeben sollen, können das Problem nicht lösen. Es wird überhaupt nicht bestritten, daß angesichts der derzeitigen Situation auf dem Wohnungsmarkt die Zurverfügungstellung von Grundstücken ein Problem darstellt. Aber die Fläche der Grundstücke, die dem Bund gehören und die für den hier zu diskutierenden Zweck überhaupt zur Verfügung stehen, ist derartig gering, daß wir tunlichst nicht den Eindruck erwecken sollten, mit dem jetzt zu diskutierenden Antrag wären die Probleme des sozia-
Müller
len Wohnungsbaus zu lösen. Das wäre Etikettenschwindel.
Man muß sich schon an die Kommunen wenden, die über ein Vielfaches an Grundstücksfläche, die dem sozialen Wohnungsbau sicher zur Verfügung gestellt werden kann, verfügen.
Ich will in der gebotenen Kürze einmal die Argumente vortragen, die uns veranlassen, diesem Antrag nicht näherzutreten. Wir handhaben derzeit den Grundstücksverkauf aus Bundeseigentum, soweit es Bauerwartungsland ist, auf Grund von Haushaltsvermerken wie folgt: 15 % Nachlaß, wobei der Gesamtbetrag 2 Millionen DM jährlich nicht überschreiten soll. Es sei daran erinnert, daß dieser Nachlaß in den vergangenen Jahren nicht annähernd ausgeschöpft worden ist,
und zwar auch deshalb nicht, weil dem Bund derzeit nur noch etwa 120 ha als Bauerwartungsland zur Verfügung stehen. In den letzten Jahren sind insgesamt 5 400 ha seitens des Bundes veräußert worden.
Im übrigen darf ich noch einmal die Länder und die Gemeinden ansprechen. Das Vorbild des Bundes hat bei den Ländern und den Gemeinden nicht zu den entsprechenden Reaktionen geführt. Die Länder und Gemeinden haben sich an der Aktion des Bundes nicht beteiligt. Es ist auch kein einziger Fall bekannt, bei dem die Anwendung der vorhandenen Instrumente den Bau von Wohnungen im sozialen Wohnungsbau verhindert hätte.
Grundsätzlich gilt auch, daß die Kompetenz des Bundes im Bereich des sozialen Wohnungsbaus lediglich auf die Mitfinanzierung nach Art. 104 a unseres Grundgesetzes beschränkt ist.
Über das Setzen von Rahmenbedingungen und seine finanziellen Beteiligungen nach den Wohnungsbauförderungsgesetzen hinaus kann der Bund nicht auch noch über einen ermäßigten Grundstückspreis den Wohnungsbau, für den die Länder und Gemeinden zuständig sind, subventionieren.
— Soweit zum Grundsatz.
Eine Erhöhung des Preisnachlasses auf 50 % führt auch zu einer Inanspruchnahme der gesetzlich vorgesehenen kürzeren Bindungszeit: 10 statt 30 Jahre. Ist aber die Bindungszeit abgelaufen, kann der Bauträger die volle Marktmiete erzielen und die Grundstücke am Markt sogar zu einem guten Preis verkaufen.
Daher betonen wir noch einmal den Grundsatz: Je kürzer die Bindungszeit, um so weniger ist Preisnachlaß gerechtfertigt. Dieser Grundsatz hilft auch, die Spekulationen zu verhindern.
Wer glaubt, mit der Zurverfügungstellung von bundeseigenen Grundstücken die Wohnungsbauförderung breit zu streuen, der irrt. Die Standorte der
Grundstücke, die der Bund besitzt, sind eher zufällig. Eine Verbilligung ist also eine Zufallsförderung. Dazu ein Beispiel: Im Herzen des Ruhrgebietes hat der Bund nicht ein einziges Grundstück, das für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung gestellt werden könnte.
Ich will auch das aufgreifen, was Sie, Herr Müntefering, hinsichtlich der frei werdenden Liegenschaften, wenn jetzt die alliierten Streitkräfte abziehen, gesagt haben
— auch die deutschen —: Das bringt keineswegs die große Entlastung. Kasernen, Munitionslager, Tanklager, Standortübungsplätze sind keine ideale Reservefläche für den sozialen Wohnungsbau. Sie hegen meistens nicht in den Ballungsgebieten, so daß sie für diese Zwecke nicht gut zu verwenden sind.
Lassen Sie mich schließlich auf das Instrument des Erbbaurechtes hinweisen. Auch dies ist ein wichtiger Grund, die Erhöhung des Preisnachlasses nicht vorzunehmen. Es ist bei uns gängige Praxis, den Erbbauzins in schwierigen Fällen abzusenken. Damit stellt das Erbbaurecht ein wesentlich besseres Instrument dar, dem gesteckten Ziel näherzukommen. Ich bitte daher um Verständnis, wenn wir diesem Antrag nicht zustimmen können.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Oesterle-Schwerin.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Wir werden dem Antrag der SPD selbstverständlich zustimmen, weil das ein vernünftiger Antrag ist. Ganz einfach!
Wir hätten allerdings — jetzt passen Sie auf, Herr Müntefering — dem gleichen Antrag gerne schon 1981 zugestimmt, als er nämlich fast im gleichen Wortlaut von der CDU eingebracht worden ist.
— Wenn wir damals hier gewesen wären. Da haben wir überhaupt keine Berührungsängste. Aus dieser Bemerkung können Sie nämlich ersehen, daß unsere Zustimmung zu Ihrem Antrag uns nicht daran hindert, zu durchschauen, was für ein Kasperletheater uns von CDU und SPD hier eigentlich vorgeführt wird.
Ich will Ihnen die einzelnen Akte dieses Kasperletheaters einmal vortragen:
Erster Akt. Im Oktober 1981 bringt die CDU den Antrag ein, Grundstücke aus dem Besitz des Bundes für den Wohnungsbau verbilligt zu verkaufen. Bis zu 50 % unter dem Verkehrswert wollte die CDU damals heruntergehen. Dieser Antrag wurde von der SPD/
Frau Oesterle-Schwerin
FDP-Mehrheit, die hier damals bestanden hat, abgelehnt.
Zweiter Akt. 1982 setzen SPD und FDP noch eins drauf und strichen innerhalb des Haushaltsstrukturgesetzes das Gesetz über die verbilligte Abgabe von bundeseigenen Grundstücken. Als Begründung wurde damals gesagt, durch die Streichung würden sie 14 Millionen Mark zusätzlich einnehmen. Der 16. Ausschuß unter dem Vorsitz von Oscar Schneider forderte hingegen damals einmütig — mit den Stimmen der SPD —, daß die Bundesregierung dieses Gesetz nicht streichen solle und das fehlende Geld statt dessen woanders beschaffen solle.
Dritter Akt. Nach der Wende setzt die CDU/FDP-Regierung genau die Praxis fort, die sie vorher bei SPD und FDP kritisiert hat: Sie gibt ihre Grundstücke natürlich nicht verbilligt ab.
Der vierte Akt ist der heute vorliegende Antrag, in dem die SPD wieder nahezu identische Forderungen stellt wie seinerzeit die CDU.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, Sie hätten doch Ihre Redebeiträge einfach austauschen können. Es hätte kein Mensch in diesem Hause gemerkt.
Ich bin neugierig darauf, wie oft Sie dieses Pingpong-spiel eigentlich noch wiederholen werden.
Die Bürgerinnen und Bürger im Land oder die neuen Kolleginnen und Kollegen hier im Haus, die die Geschichte nicht kennen, laufen natürlich Gefahr, auf dieses Manöver hereinzufallen. Sie haben 1981 der CDU geglaubt, daß sie Grundstücke verbilligt abgeben will, und sie laufen Gefahr, das heute der SPD zu glauben. Letzten Endes ist dieses Theater höchstens dazu geeignet, zu verschleiern, daß beide Parteien — wenn sie erst an der Macht sind — jeweils eine ganz miserable Wohnungs- und Grundstückspolitik betreiben.
Wir GRÜNEN sind grundsätzlich dagegen, daß die Bundeskasse durch Grundstücksverkäufe aufgefüllt wird. Wir sind der Meinung, daß Grundstücke, die für den sozialen Mietwohnungsbau benötigt werden, vom Bund kostenlos — allerdings zweckgebunden — an die Gemeinden abgegeben werden sollten, meinetwegen auch zum symbolischen Preis von einer Mark.
Wir wissen allerdings auch, daß die Wohnungsnot nicht vorrangig mit Neubauten beseitigt werden kann. Wir wissen deswegen, daß die Wohnungsnot in der Bundesrepublik kein Problem fehlender Grundstücke ist. Vielmehr ist die Wohnungsnot ein Problem fehlender Maßnahmen zur Bestanderhaltung. Solange, lieber Kollege Münteferting,
Sie nichts tun, um den Umwandlungsboom zu stoppen und solange der Staat die Umwandlung von Gebrauchtwohnungen, die Umwandlung von Miet- in
Eigentumswohnungen, jedes Jahr auch noch mit 5, 7 Milliarden DM steuerlich fördert, können Sie sich solche Anträge doch schenken. Aber unsere Zustimmung haben Sie.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hitschler.
Herr Präsident! Liebe Frau Kollegin Oesterle-Schwerin, ich gehöre zu denen, denen es nicht möglich gewesen wäre, eine Rede auszutauschen. Ich hätte es allerdings einfacher haben können und hätte nur die Rede des Kollegen, der damals zu diesem Thema gesprochen hat, zu übernehmen brauchen.
— Natürlich hängt das damit zusammen, daß man immer in der Regierung ist. Dadurch wird man zu einer gewissen Kontinuität gezwungen, und man ist auch an bestimmte Vorschriften der Haushaltsordnung gebunden, die der Freiheit gewisse Grenzen auferlegen, weil man ja auch den Bundesrechnungshof im Nacken hat, der nicht zuläßt, daß man beliebige Rabatte gewährt.
Meine Damen und Herren, der Antrag, der hier vorliegt, läuft teilweise deshalb ins Leere, weil es Praxis des Bundes ist, Grundstücke für den sozialen Wohnungsbau abzugeben. Herr Staatssekretär Carstens hat in der ersten Lesung sehr nachdrücklich und überzeugend darauf hingewiesen, daß in der Vergangenheit 5 400 ha für diese Zwecke verkauft wurden und daß gegenwärtig noch etwa 114 ha vorhanden sind, die solchen Zwecken dienen könnten. Davon könnten auf lediglich 50 ha größere Wohngebäude errichtet werden.
Ferner läuft der Antrag deshalb ins Leere, weil der von der eigentlichen Problematik, nämlich von der Verantwortlichkeit der Städte, der Kommunen, für
die desolate Situation, die wir an den Baulandmärkten leider verzeichnen müssen, ablenkt.
Zunächst einmal sind die Kommunen und die Länder in sehr viel höherem Maße als der Bund in der Lage, Grundstücke abzugeben, weil sie sehr viel mehr Grundstücke besitzen.
Man hört sehr wenig davon, daß dies praktiziert wird. Ich habe gerade eben von meinem Kollegen Eimer erfahren, daß beispielsweise die Stadt Fürth Grundstücke für den Wohnungsbau für sozial Schwache zu einem Quadratmeterpreis von 400 DM verkauft hat. Das ist offensichtlich das gute Beispiel, mit dem die Kommunen hier vorangehen.
Die Ausweisung von Bauland wird ja nun in der Tat
von vielen Kommunen aus einer ideologischen Ver-
Dr. Hitschler
klemmung heraus blockiert. Es wird ja auch insbesondere von Ihnen, den GRÜNEN, immer wieder argumentiert, durch den Wohnungsbau werde zuviel Landschaft verbraucht.
Ferner wird die Bodenversiegelung angeführt. Abgesehen davon, daß in diesem Zusammenhang falsche Zahlen verwendet werden, geht man natürlich mit einer solchen Argumentation auch ein wenig an den Wohnbedürfnissen der Menschen vorbei und drängt sie hinter andere zurück.
Auch mit dem Hinweis auf die Innenentwicklung der Städte ist das Problem des sozialen Wohnungsbaus ja nicht zu lösen. Die Gefahr der Verdichtung ist sehr groß. Die Kommunen blockieren beispielsweise den Dachgeschoßausbau — bei diesem ist ja Bauen ohne Flächenbedarf möglich — nach dem Ausbauprogramm, das wir aufgelegt haben, und gehen dabei bis vor die Oberverwaltungsgerichte, weil sie die Frage der Stellplätze daran knüpfen und nicht zulassen, daß die Wohnungen hier Vorrang haben.
Wir müssen bedenken — da gebe ich Herrn Müntefering recht —, daß in der Tat dem allgemeinen Grundvermögen des Bundes in Zukunft durch den Truppenabzug der Alliierten, aber natürlich auch durch die Reduzierung der Einheiten der Bundeswehr wahrscheinlich ein erheblicher Zuwachs an Grundstücken zuteil wird. Hier — so meinen wir — sollte dann in Einzelfällen von der verbilligten Abgabe Gebrauch gemacht werden, wenn die Weitergabe in der Miete gesichert ist und wenn beispielsweise solche Grundstücke für den studentischen Wohnungsbau, aber auch für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung gestellt werden können. Wir halten allerdings dazu eine generelle Regelung nicht für erforderlich, sondern meinen, das könne von Fall zu Fall entschieden werden. Hier haben wir auch deshalb Vertrauen, weil das Bundesfinanzministerium im Einzelfall immer nur in Abstimmung mit dem Haus-haltsausschuß und mit dessen Zustimmung entscheidet.
Wir möchten ferner bemerken und die Verwaltung bitten, darauf zu achten, daß der Bund auch Grundstücke für den Eigenbedarf, für die Wohnraumversorgung seiner eigenen Bundesbediensteten, braucht und deshalb schon einen gewissen Vorrat haben muß.
Ich selbst bin immer dann skeptisch, wenn mir, auch im Privatleben, Geschäfte angeboten werden, bei denen mit Rabatten von 50 % gearbeitet wird. Da werde ich immer mißtrauisch. Das gilt hier natürlich genauso. Man kann nicht von seiten der Kommunen durch eine Politik des knappen Baulandes die Preise in irrsinnige Höhen treiben, wie wir sie gegenwärtig verzeichnen, und dann sagen: Der Bund muß 50% Abschlag davon leisten. Es wäre sinnvoller, wenn die Kommunen endlich dazu übergingen, eine andere Baulandpolitik zu betreiben. Das wäre eine wirksame
Möglichkeit, etwas gegen die irrsinnig in die Höhe gegangenen Baulandpreise zu tun.
Wir können auch nicht einsehen, warum der Grund und Boden ausschließlich an die Gemeinden verkauft werden soll. Uns sind private Investoren, die sozialen Wohnungsbau betreiben, im Prinzip genauso lieb. Das muß nicht alles und ausschließlich von den Kommunen oder der öffentlichen Hand getätigt werden.
In der Praxis hat sich in der Vergangenheit auch gezeigt — darauf hat mein Kollege Gattermann in der ersten Lesung aufmerksam gemacht —, daß von den meisten Kommunen die 15%ige Ermäßigung beim Verkauf durch den Bund überhaupt nicht in Anspruch genommen wurde.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Ostrowski.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin eine solche Neue, und ich muß Ihnen Recht geben: Ich kann das ganze Ringelspiel nicht nachvollziehen. Mir ist nur folgendes aufgefallen: Im Februar dieses Jahres ist der Antrag von der SPD-Fraktion gekommen.
Nach dem, was ich lesen konnte, und nach dem, was ich vorhin hören konnte, muß ich der SPD doch zubilligen, daß sie keineswegs beabsichtigt, damit die Lösung der Wohnungsfrage insgesamt ins Auge zu fassen,
sondern daß die SPD-Fraktion das durchaus als ein Teilstückchen im Rahmen der Lösung dieser gesamten Frage ansieht.
Im Mai hat der Haushaltsausschuß diesen Antrag behandelt und eine Beschlußempfehlung erarbeitet. Sie liegt uns heute, im Oktober, zur Beschlußfassung vor. Nun muß ich Ihnen sagen: Von Februar bis Oktober hat sich hier in diesem Lande ziemlich viel vollzogen. Ich denke, daß diese Entwicklung, die sich vollzogen hat, noch viel mehr dafür spricht, diesem Antrag der SPD-Fraktion zuzustimmen. Mich bekräftigt diese Entwicklung darin, dieser Empfehlung des Haushaltsausschusses nicht zuzustimmen.
Ich möchte das unter drei Gesichtspunkten deutlich machen:
Erstens denke ich, daß es im Interesse der Bürger Westdeutschlands liegt, daß auch dieses kleine „Filetstückchen" zur Wirkung kommt.
Vor kurzem hat die Bauministerkonferenz getagt. Die Bauminister — und ich setze voraus, daß sie etwas von ihrem Fach verstehen —
haben sicherlich nicht umsonst eine Erhöhung der Fördermittel für den sozialen Wohnungsbau von 2, 2
auf 3, 5 Milliarden DM jährlich für die bisherigen elf Bundesländer gefordert. Begründet wurde diese Forderung eindeutig mit einem gestiegenen Bedarf an Sozialwohnungen.
Frau Ostrowski
Ein Zweites möchte ich sagen: Bei aller notwendigen kritischen Betrachtung des Städtebaus und der Stadtkultur--
— Ich weiß nicht — ich sehe ein, es sind nur noch sehr wenige hier —, ob das die Kultur ist, in die ich hier gekommen bin.
Aber wenn man mir wenigstens zuhörte, wäre ich sehr dankbar, meine Herren.
Ich darf noch einmal wiederholen: Ich komme zu meinem zweiten Gesichtspunkt, daß es bei aller notwendigen kritischen Betrachtung des Städtebaus und der Stadtkultur in der ehemaligen DDR doch quantitative Leistungen im Wohnungsbau gegeben hat, die nicht einfach wegzuwischen sind. Es bleibt bei aller Problematik eine Tatsache, daß sich für ungefähr 10 Millionen Menschen der ehemaligen DDR die Wohnverhältnisse verbessert haben. Meine Damen und Herren, Sie dürfen nicht unterschätzen, daß das Wohnen in sozialer Sicherheit für alle ehemaligen DDR-Bürger ein Wert ist, dessen sich diese Bürger bewußt sind, auch die Bürger, die die schnelle Einheit wollten. Ich denke, daß man mit diesem Wert nicht einfach leichtsinnig umgehen kann.
Man kann ihn, wie gesagt, nicht einfach wegwischen, und man kann diese ehemaligen DDR-Bürger auch nicht einfach einem Miet- oder einem Wohnschock aussetzen.
Einen dritten Gesichtspunkt will ich noch nennen: Durch den Truppenabzug in ganz Deutschland ergeben sich, bei allen Nachteilen in strukturschwachen Gebieten, überwiegend Vorteile. Die Vorteile liegen eindeutig darin, daß sich für die Städte ein unverhoffter Ausweg aus einer verzwickten Situation ergeben kann. —
Ich bin sofort fertig, Herr Präsident.
Ich komme zum Ende: Unter anderem fordert der Geschäftsführer des Städtetages, Herr Diekmann, sicherlich nicht umsonst — ich zitiere —:
Der Bund muß bereit sein, seine Grundstücke deutlich preisgünstiger als bisher zu veräußern, insbesondere für den sozialen Wohnungsbau.
Ich danke Ihnen.
Frau Kollegin, ich weiß, daß dem roten Licht eine unterschiedliche Bedeutung beigemessen wird.
Im Bundestag bedeutet das rote Licht, daß die zugeteilte Redezeit abgelaufen ist. Es ist die Aufgabe des Präsidenten, dann darauf aufmerksam zu machen, daß der Redner zum Schluß kommen soll, Sie haben das auch ganz korrekt befolgt.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 11/7110. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6382 abzulehnen. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Der Antrag der SPD ist mit Mehrheit abgelehnt.
— Es ist eine Mehrheit. Wir brauchen nicht nachzuzählen. Das Präsidium ist einheitlich der Auffassung: Die Mehrheit war dagegen.
Ich rufe Zusatztagesordnungspunkt 3 auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik
- Drucksache 11/7029 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
- Drucksache 11/8177 -
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Blens
Dr. Hirsch
Paterna
Such
bb)Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 11/8178 -
Berichterstatter: Abgeordnete Deres Kühbacher Frau Seiler-Albring Frau Vennegerts
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Rust, Such und der Fraktion DIE GRÜNEN
Sicherheitsprobleme der Informations- und Kommunikationstechniken — Schutz von Individuum und Gesellschaft
- Drucksachen 11/7246, 11/8177 -
Vizepräsident Stücklen
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Blens
Dr. Hirsch
Paterna
Such
Zu dem Gesetzentwurf liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen DIE GRÜNEN/Bündnis 90 auf Drucksache 11/8197 vor.
Interfraktionell sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. Ich frage das Haus, ob es mit dieser Regelung einverstanden ist. —
Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Es ist also so beschlossen, Frau Kollegin Schulte.
— Sicher, es kann auch weniger sein. — Sie sind auch der Meinung, daß es weniger sein kann?
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Blens. Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Informationstechnik dringt in immer mehr Lebensbereiche ein. Das hat Folgen, zum einen positive Folgen, z. B. die Vereinfachung und die qualitative Verbesserung von Arbeitsabläufen und Aufgabenerfüllung. Es bringt aber auch gewisse Gefährdungen mit sich, z. B. Gefahren bei zufälligen oder absichtlich hervorgerufenen Fehlfunktionen der Informationssysteme.
Ich erinnere nur an einige Beispiele, etwa daran, daß interne und geheimhaltungsbedürftige Informationen des Staates an Unbefugte oder an die Öffentlichkeit gelangen; daß firmeninterne Informationen an die Konkurrenz gelangen; daß interne Personendaten an die falsche Adresse, vor allen Dingen an die Öffentlichkeit, geraten und dadurch der Datenschutz beeinträchtigt wird; daß in Intensivstationen oder in Flugzeugen die richtigen Daten überhaupt nicht oder nicht zur richtigen Zeit zur Verfügung stehen oder Daten verfälscht werden, was dann zu Katastrophen führt.
Meine Damen und Herren, diese Beispiele zeigen, wie notwendig die Sicherheit der Informationstechnik ist. Sie ist in der Informationsgesellschaft so notwendig, daß ihre Gewährleistung, soweit das menschenmöglich ist, eine staatliche Aufgabe ist.
Dafür gründen wir dieses Amt für Sicherheit in der Informationstechnik. Ich denke, daß die Gründe ausreichen, um die Errichtung dieses Amtes als vernünftig erscheinen zu lassen. Wir wollen es, und wir werden es ins Leben rufen.
Es gibt zwischen den im Gesetzentwurf geregelten Zuständigkeiten des Amtes und dem, was die Opposition will, was die Sozialdemokraten wollen, Unterschiede. Die Sozialdemokraten wollen eine staatliche
Stelle, die die gesellschaftlichen Folgen informationstechnischer Verfahren prüft, prognostiziert und beurteilt. Wir wollen das nicht, und zwar aus folgenden Gründen. Die Prüfung, die Prognostizierung und die Beurteilung gesellschaftlicher Folgen informationstechnischer Verfahren und Anlagen haben nur Sinn, wenn unerwünschte technische Entwicklungen dann auch vom Staat verboten und untersagt werden können.
Das entspricht im Ergebnis genau den Konzeptionen des SPD-Programms vom 20. Dezember 1989, das in Berlin beschlossen worden ist. Dort ist im Prinzip gesagt, daß Investitionen jeder Art gesellschaftliche Auswirkungen haben und daß sie deshalb politisch verantwortet werden müssen. Das geht aber nur, wenn Investitionsabsichten dem Staat gemeldet werden, was nach dieser Konzeption der SPD ja auch vorgesehen ist. Das geht weiterhin nur dann, wenn der planende Staat die Investitionen zulassen oder eben auch nicht zulassen kann; so die SPD-Vorstellungen.
Das, was hier für den Bereich der Informationstechnik von Ihnen gewollt ist, paßt genau in dieses Konzept. Nur: Dieses Konzept ist nicht das, was wir verfolgen, nämlich das der Sozialen Marktwirtschaft. In der Marktwirtschaft entscheidet über Investitionen, auch über Investitionen in Sachen Informationstechnik, nicht der Staat, werden Investitionen nicht vom Staat geplant, sondern es entscheiden die Unternehmen und letztlich die Verbraucher durch ihr Kaufverhalten, durch ihre Kaufentscheidung. Deshalb ist dieses Konzept der SPD auch in Sachen Informationstechnik für uns nicht akzeptabel.
Ich muß noch insgesamt zu dem Konzept sagen: Wer am 20. Dezember 1989 und dann noch ausgerechnet in Berlin nach dem Zusammenbruch aller planwirtschaftlichen Systeme in Osteuropa, nachdem alles pleite war und die Funktionsunfähigkeit dieser Systeme bewiesen war, den Mut hatte, ein solches Konzept zu beschließen, der muß entweder für ökonomische und politische Dinge blind sein, oder er muß tollkühn sein. Sie können sich eines davon aussuchen. Vielleicht können Sie auch einmal Herrn Lafontaine fragen, welche der beiden Eigenschaften er bevorzugt.
Vielen Dank.
— Nein, ich meine ja die SPD.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Paterna.
Herr Kollege Blens, eine der Grundtugenden, die man als Parlamentarier wohl haben müßte, ist, dem anderen wenigstens zuzuhören. Ich wundere mich doch sehr über Ihre Rede; denn von all dem, was Sie hier auf die Hörner nehmen zu müssen glaubten, habe ich bei der Beratung im Innenausschuß nicht ein einziges Wort gesagt. Sie können das auch nicht in dieser Richtung interpretieren. Sie können davon auch keine Ansatzpunkte finden, wenn Sie meine Rede aus der ersten Lesung nachlesen. Im Ge-
Paterna
genteil, ich habe der Regierung und der CDU/CSU-und der FDP-Fraktion eine konstruktive Haltung angekündigt und habe sie durchgehalten.
Wenn dann auf Ihrer Seite zu den strittigen Punkten — ich sage Ihnen, was mir an diesem Gesetz problematisch erscheint — nicht das geringste Entgegenkommen gezeigt wird, müssen Sie sich nicht wundern, wenn wir es ablehnen. Das hat aber mit all den Gründen, die Sie vermuten, überhaupt nichts zu tun.
Wir müssen allerdings auch den Alternativgesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN — ein solcher ist es angesichts der vielen Änderungswünsche fast — ablehnen, und zwar deshalb — obwohl uns an der Analyse, die diesem Antrag zugrunde liegt, eine ganze Menge gut gefällt —, weil er einfach an dem, was in der Wirklichkeit durchsetzbar ist, vorbeigeht.
Ich will Ihnen das nur an einem einzigen Beispiel deutlich machen. Schauen Sie sich nur einmal den von Ihnen vorgeschlagenen § 3 a an. Dort geht es um die Anzeigepflichten. Ich zitiere:
Jeder, der informationstechnische Systeme oder Komponenten der Informationstechnik herstellt, errichtet, vertreibt oder betreibt, die erhebliche Auswirkungen auf die Verletzlichkeit der Gesellschaft haben, hat dies dem Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik anzuzeigen.
Auf diese Anzeigepflicht stützen Sie dann eine ganze Menge daraus abzuleitender Forderungen.
Lieber Herr Kollege Such, wenn Sie gemeinsam mit der Kollegin Rust von der Bundesregierung den Auftrag bekämen, dieses Amt zu leiten,
und der Finanzminister würde Ihnen zugeben, Sie könnten sich zahlenmäßig und qualifikationsmäßig so viele Menschen in diesem Amt zusammenholen, wie Sie wollen, wären Sie natürlich überhaupt nicht in der Lage, diesen Anspruch zu administrieren. Das geht gar nicht. Man darf sich von etwas Gutgemeintem nicht so weit jenseits der Wirklichkeit tragen lassen, daß dann solche Gesetzestexte dabei herauskommen. Das können wir nicht mitmachen.
Wie, bitte, wollen Sie denn von jemandem, der Informationstechnik herstellt, verlangen, er solle vorhersehen, in welchem Anwendungszusammenhang diese Informationstechnik nachher implementiert wird? Oder wie wollen Sie von einem Komponentenhersteller verlangen, vorherzusehen, in welches Gerät und in welches System nachher der Speicherchip XY eingebaut wird? Das würde ja im Ergebnis dabei herauskommen. Von dem Vertreiber können Sie das auch nicht verlangen, ganz abgesehen davon, daß Sie von beiden wohl auch schlecht verlangen können, zu definieren, wo diese Eingriffsschwelle mit den erheblichen Auswirkungen und der Verletzlichkeit gegeben ist und wo nicht. Dies ist einfach irreal. Das heißt: So nützlich Ihre Analyse ist und so hilfreich es im einzelnen auch gewesen wäre, über viele Ihrer Vorschläge zu beraten, so müssen wir dies, da wir hier
keine Einzelberatung vornehmen können, im ganzen ablehnen, Herr Kollege.
Ich muß Ihnen in aller Freundschaft sagen: Wenn keines Ihrer Mitglieder in der Sitzung des federführenden Ausschusses, in der die Einzelberatung vorgenommen wird, anwesend ist — Sie waren von Anfang bis Ende nicht durch eine Person vertreten —, dann tut es uns leid; dann können wir eben auch nicht über Einzelheiten verhandeln, sondern müssen die Angelegenheit pauschal bewerten, wie ich es hier tue.
Ich wiederhole nur stichwortartig die Punkte, die wir in dieser Problematik für ungelöst halten. Es ist — das habe ich bereits in der ersten Lesung gesagt — darauf hinzuweisen, daß dieses Amt dem Innenminister unterstellt ist, und zwar mit sehr weitreichenden Eingriffsbefugnissen, daß die Aufgabe zu wenig anwenderorientiert ist — da liegen nämlich die größten Sicherheitsdefizite —, daß der Vernetzungsproblematik bei den Informations- und Kommunikationstechniken zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird und daß zu den Aufgaben des Amtes zu wenig Technikfolgenabschätzung gehört. Das hat überhaupt nichts mit Investitionslenkung oder -Verhinderung oder staatlichen Einsatzverboten zu tun.
Ich wäre gerne bereit, auf Grund der Arbeiten der Enquete-Kommission, die Ihr Kollege Rüttgers lange geleitet hat, über diesen Komplex zu berichten. Das führt zu ganz anderen und, so glaube ich, auch von Ihnen ernst zu nehmenden Problemen, die mit dem Schattenboxen, das Sie hier veranstaltet haben, nun überhaupt nichts zu tun haben.
Ich nenne einen weiteren Punkt: Dieses Amt wird über nicht genügend Unabhängigkeit verfügen. Das führt etwa zu dem Problem, daß das Ganze so bleibt, wie es ist, wenn das Amt erkennt, daß weniger bei den Anwendern solcher technischen Systeme als vielmehr auf der Übertragungsstrecke der Deutschen Bundespost — etwa bei den Richtfunkstrecken — gravierendste Sicherheitslücken vorhanden sind, das Amt sich aber nicht durchsetzen kann, weil der Innenminister als oberster Dienstherr, eingebunden in Kabinetts- und Parteiloyalitäten, seinem Postminister nicht auf die Füße treten wird. Welche Probleme wir mit solchen Ämtern, die ihren Sachverstand nicht unabhängig entfalten können, bekommen, sehen wir beim Bundesgesundheitsamt. In diesem Zusammenhang könnte ich Ihnen auch eine Reihe von Beispielen nennen. Ich halte dies für problematisch.
Es gibt — das ist ein weiterer kritischer Punkt, der zu beobachten sein wird — einen Zielkonflikt zwischen den internen und den externen Beratungsaufgaben. Ich glaube, das liegt auf der Hand. Wenn man einerseits das Bundeskriminalamt oder den Verfassungsschutz beraten soll, wie man bestimmte Systeme knacken kann, und wenn man andererseits extern die Anwender und Hersteller beraten soll, wie man Sy-18250 Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode - 23C. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1990
Paterna
steme implementiert, die man nicht knacken kann, dann gerät man natürlich in Schwierigkeiten.
Ich glaube, diese Schwierigkeiten sind nicht hinreichend gelöst. Wir werden diese Praxis beobachten.
— Auch wenn Sie noch so häufig dazwischenrufen, so bekommen Sie damit das Problem nicht aus der Welt.
Wir werden in der Zukunft auch darüber nachdenken müssen, ob das Prinzip der Freiwilligkeit wirklich der Weisheit letzter Schluß ist und ob für bestimmte Anwendungsfälle — nicht generell — nicht auch eine Kontrollbefugnis oder gegebenenfalls wenn auch nicht eine Publizitätspflicht, so doch zumindest ein Publizitätsrecht geschaffen werden sollte. Denn eines der Probleme, die wir bei der Sicherheit in der Informationstechnik haben, ist, daß Sicherheitspannen, etwa im Bankensystem, als Geschäftsgeheimnisse, die, wenn sie nach außen dringen, geschäftsschädigenden Charakter haben, behandelt werden. Es ist der Sicherheit natürlich nicht förderlich, wenn darüber eine öffentliche Debatte gar nicht stattfinden kann und das Verschweigen und Vertuschen unter Umständen billiger kommt als eine sicherheitstechnische Nachrüstung.
Weiterhin haben wir Probleme mit dem von der FDP in den Beratungen noch verstärkten Einfluß des Bundesministeriums für Wirtschaft. Hier kann es nach unseren Erfahrungen sehr leicht passieren, daß weniger der absolute Sicherheitsstandard das Ausschlaggebende ist, als vielmehr, daß man dieses Zertifikat als Exportförderungsinstrument einsetzt und damit dieses Amt nicht seinen eigentlichen Zwecken entsprechend benutzt.
Ein grundsätzliches Problem, das man durch keinen Gesetzestext wird lösen können, ist, daß ein solches Amt suggerieren könnte, man könne solche Techniken sicher machen. Das kann man nicht. Man kann relativ mehr Sicherheit schaffen; aber man wird kein System sicher machen, weder gegen böswillige Angriffe noch gegen Systemfehler. Wenn Sie das nicht glauben, Herr Kollege Blens, lesen Sie den „Spiegel" von der letzten Woche nach. Dort werden Sie über der Überschrift „die programmierte Katastrophe" ein paar hilfreiche Dinge finden, die vielleicht auch Ihnen zu denken geben.
Letzter Punkt unserer Kritik: Die gesellschaftliche Kontrolle ist bei dieser ganzen Veranstaltung nicht vorgesehen. Die GRÜNEN haben einen Beirat vorgeschlagen. Darüber haben wir auch nachgedacht. Andererseits ist die Inflation von Beiratslösungen, wie man aus der Praxis weiß, häufig nicht der Weisheit letzter Schluß. Das ist zuzugeben. Wir hatten statt dessen vorgeschlagen, einen Unterausschuß des Innenausschusses zu bilden, der mit fachkundigen Kollegen aus verschiedenen Ausschüssen besetzt werden kann. Das ist leider insbesondere am Widerstand des Kollegen Hirsch gescheitert, der sich darüber königlich
amüsiert. Vielleicht denken Sie darüber noch einmal nach. Das wäre ein denkbarer Ansatz. Es gibt in diesem Parlament auch Beispiele dafür, daß so etwas funktioniert. So könnte man die parlamentarische Kontrolle dieser Arbeit gewährleisten, auch mit Hilfe eines Dialogs nach außen, über Anhörungen, Beteiligung kritischer Wissenschaftler und dergleichen mehr.
Fazit: Für alle diese kritischen Punkte sind im Gesetz keine hinreichenden Vorkehrungen getroffen. Wir lehnen es deshalb ab. Wir werden die Praxis beobachten. Man kann viele dieser Kritikpunkte im Rahmen des Gesetzes bei gutem Willen beheben. Wir haben immerhin durchgesetzt, daß die Bundesregierung nach angemessener Zeit, wenn sich das Amt eingearbeitet hat, dem Parlament berichtet. Wir werden dann zu prüfen haben, ob wir Korrekturen durchsetzen können.
Die Datensicherheit ist sehr wichtig. Wir halten deshalb die vorgesehene Ausstattung dieses Amtes mit Personal für vertretbar, bitten allerdings, da Datenschutz zumindest gleichrangig damit ist, darum, dann, wenn der Bundesbeauftragte wieder Personalwünsche hat, ihm mit ähnlicher Großzügigkeit entgegenzukommen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß leider nicht, was der Kollege Such nachher sagen wird. Wahrscheinlich wird er in einer flammenden Rede beschwören, daß es eine wahre Teufelei ist, was wir hier vorhaben.
Aber das ist eben ein merkwürdiger Vorgang: daß seine ganze Fraktion während der Beratung im Innenausschuß, wie Herr Paterna das zutreffend dargestellt hat,
mit völliger Abwesenheit glänzt und hier eine Plenar-debatte entfesselt, um die Rechtgläubigkeit darzustellen.
Das Gesetz hat zweifellos eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung. Es beleuchtet blitzlichtartig die Probleme, die die moderne Datenverarbeitung mit sich bringt: daß es möglich ist, gewaltige Datenmengen zu komplizieren, daß man in Datenverarbeitungsanlagen eindringen kann, daß man unberechtigt abrufen kann und daß man unberechtigt Informationen verändern und damit nicht nur enorme wirtschaftliche, sondern auch politische und rechtliche Folgen auch für den einzelnen auslösen kann. Nicht umsonst ist die Frage der technischen Datensicherung auch ein Teil der ganz normalen Datenschutzgesetze.
Wir haben in den Beratungen zu diesem Gesetzentwurf zwei wesentliche Änderungen gegenüber der
Dr. Hirsch
Regierungsvorlage vorgenommen: einmal die Verpflichtung des Amtes, dem Datenschutzbeauftragten im vollen Umfang und unter Wahrung der Unabhängigkeit, die er für seine Arbeit haben muß, zur Verfügung zu stehen. Zweitens haben wir in der Tat wegen der wirtschaftlichen Bedeutung bestimmte Entscheidungen an das Einvernehmen mit dem Wirtschaftsminister gebunden.
Es gibt natürlich auch Punkte, über die man nicht ganz so glücklich oder zufrieden sein kann. Ich meine damit einmal, daß der Bundesinnenminister die Erteilung von Sicherheitszertifikaten aus überwiegenden öffentlichen Interessen ablehnen kann, auch wenn sonst alle Bedingungen für Sicherheitszertifikate erfüllt sind. Wir haben im Gesetz nicht im einzelnen definiert, was diese überwiegenden öffentlichen Interessen sind. Es ist schon eine beachtliche wirtschaftliche Verantwortung, die der Innenminister dort wahrnehmen will; denn es ist, wenn jemand die Verweigerung des Zertifikates anfechten will, vorstellbar, daß er bei der zu erwartenden Dauer eines Rechtsstreites mit einer solchen Entscheidung natürlich für geraume Zeit aus dem Markt gedrängt werden kann.
Der zweite Punkt, über den man ernsthaft reden muß, ist die Einordnung dieses Bundesamtes in die Sicherheitsabteilung des Bundesinnenministeriums, eine Zuordnung, die ich persönlich nicht für sachgerecht halte.
Ich denke, es ist richtig, daß wir nach einem oder zwei Jahren die Erfahrungen abfragen, die mit dem Gesetz gemacht worden sind. Wir müssen dann prüfen, ob wir weitere gesetzgeberische Konsequenzen zu diesem Problem ziehen.
Wir werden dem Gesetzentwuf zustimmen, weil es einfach nicht verantwortet werden kann, diesen wichtigen Bereich für die Datensicherheit für eine ganze Zeit gesetzlich unentschieden liegen zu lassen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Such.
Herr Präsident! Herr Kollege Hirsch und Herr Kollege Paterna, es ist in der Tat so, daß wir in der letzten Innenausschußsitzung an den Beratungen nicht teilgenommen haben, weil wir nicht teilnehmen konnten. Das liegt einfach an dem Stil, wie in diesem Parlament mit solchen Gesetzen umgegangen wird. Heute abend gibt es z. B. lediglich eine Debatte von 30 Minuten. Und wenn im Innenausschuß zwischen den einzelnen Tagesordnungspunkten hin und her gesprungen wird, dann ist es uns von der Kapazität her einfach nicht mehr möglich, an der Beratung jedes Tagesordnungspunktes teilzunehmen, weil wir auch noch andere Aufgaben wahrzunehmen haben. Daran Hegt es, daß wir an der Beratung nicht teilgenommen haben. Es ist der Stil dieses
Parlamentes, mit solchen Gesetzesvorhaben so umzugehen.
Meine Damen und Herren, selbst wenn dieses von der Bundesregierung eingebrachte Gesetz zur Errichtung eines Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik jetzt gegen unseren Willen und bevor überhaupt die mitberatenden Ausschüsse ihre Empfehlungen formulieren konnten, durchgepaukt werden sollte, dürfen wir uns nicht dem Trugschluß hingeben, daß damit wirkliche Sicherheit in der Informationstechnik erreicht werden kann. Nach wie vor gilt die Aussage des angesehenen Informatikprofessors Brunnstein, daß wir, was die Funktionssicherheit von EDV-Systemen anbelange — „Der Spiegel" hat das auch berichtet — noch weitgehend im dunkeln herumstocherten. Ein Tschernobyl in der Informationstechnik liege durchaus im Bereich des Wahrscheinlichen, und überdies sei Sicherheit, die davon ausgehe, daß die Verfahren geheim seien, eigentlich keine Sicherheit.
Aber nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Wirtschaft, in deren Interesse dieses neue Amt ja insbesondere arbeiten soll, bleibt skeptisch. Die spezifischen Anforderungen der Sicherheitsbehörden deckten sich durchaus nicht immer mit denen der Anwender — so der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau —, und in der Praxis sei zu erwarten, daß sich lange Warteschlangen vor dem BSI bildeten, weil die Prüfung zu langwierig und eine wirkliche Kontrolle dennoch nicht zu leisten sei, das also dem Wettbewerb eher schade als nütze.
Auch unsere grundsätzliche Kritik an der verfassungsrechtlich bedenklichen Doppelfunktion des BSI, die von Datenschützern und sogar von der Gesellschaft für Informatik in ihrer Stellungnahme zum BSI übernommen wurde, ist durch die Änderungsvorschläge der Koalition im Innenausschuß nicht gegenstandslos geworden. Es kann nicht angehen, daß das Amt einerseits Techniksysteme entwickelt, die die Vertraulichkeit von Kommunikation sicherstellen sollen, und andererseits diejenigen schützt, die sie aufheben wollen, wenn auch nur „zur Beobachtung terroristischer Bestrebungen oder nachrichtendienstlicher Tätigkeiten". Wir wissen ja, wie weit diese Begriffe mit dem § 129 a des Strafgesetzbuchs ausgelegt werden können.
Immerhin hat sich die Bundesregierung insofern als lernfähig erwiesen, als sie nun die Unterstützungser-suchen durch die Sicherheitsdienste aktenkundig machen lassen will, womit zumindest eine Kontrollgrundlage geschaffen worden ist. Nur: Wer soll denn eine effektive Kontrolle über die Tätigkeit dieser ehemals hochgeheimen BND-Stelle ausüben? Der Innenausschuß ist nach eigenen Angaben weder von der Arbeitsbelastung noch von der Kompetenz her dafür gerüstet.
Aber tatsächlich scheint eine erfolgversprechende Kontrolle gar nicht beabsichtigt zu sein. Warum sonst ist die gut begründete Forderung der SPD nach Einsetzung eines Unterausschusses des Innenausschus-
Such
ses sowie eines berichterstattenden Sachverständigengremiums ebenso abgelehnt worden, Herr Hirsch, wie unser Vorschlag eines Parlamentsbeauftragten und eines pluralistisch zusammengesetzten Beirats? Offensichtlich ist es — das muß hier ganz deutlich gesagt werden — mit der Umwandlung der BND-Dienststelle in eine zivile Behörde doch gar nicht so ernst gemeint.
Aber ich lasse mich in diesem Punkt gerne eines Besseren belehren. Insbesondere warte ich auf die Verwirklichung der Zusage des Innenministers während der ersten Lesung, daß „unabhängigen Experten Einblick in die mathematischen Prinzipien kommerziell genutzter Verschlüsselungssysteme gewährt werden" solle.
Völlig unverständlich ist mir die harsche Ablehnung einer Technikfolgenabschätzung, die ihren Namen verdient. Die Argumentation, daß die Analyse sozialer Auswirkungen weit über die Aufgaben dieser Einrichtung hinausgehe, sagt mehr über die Intention der Bundesregierung aus als die im Vorwort des Gesetzes genannte Zielsetzung, die Verletzlichkeit der modernen Industriegesellschaft zu begrenzen. Auch Herrn Minister Riesenhuber kann diese Verweigerung, Verantwortung für die Folgen staatlichen Handelns zu übernehmen, kaum in sein PR-Konzept passen.
Außerdem frage ich mich, ob es wohl Schwierigkeiten mit der im dritten Nachtragshaushalt bestätigten Übernahme von 40 Stasi-Experten des zentralen Chiffrierorgans der ehemaligen DDR in das künftige BSI geben wird.
Um auf all die ungeklärten Fragen der Arbeitsweise des Bundesamtes zumindest annähernde Antworten zu bekommen, erwarte ich im nächsten Frühjahr und im Jahr darauf eine umfassende Berichterstattung. Die GRÜNEN werden es sich jedoch nicht nehmen lassen, die Tätigkeit des BSI weiterhin genauestens zu beobachten.
Ich danke Ihnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Friedrich .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es fällt einem Neuankömmling wie mir nicht sehr leicht, in ein laufendes Gesetzgebungsverfahren sozusagen mit klugen Vorschlägen einzugreifen, noch dazu bei einer außerordentlich trockenen Materie. Dennoch will ich mein Bestes versuchen.
Der erklärten Zielsetzung dieses Entwurfs kann ich nur sehr bedingt zustimmen, ist sie doch schon von der Problembeschreibung her zu eng gefaßt. Sie entspricht nicht der tatsächlichen Problemlage. Das ist in einigen Beiträgen soeben schon angedeutet worden.
Ich stimme vielmehr in wesentlichen Forderungen dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN zu, in dem die zu einseitige Begrenzung der Problembeschreibung auf die Probleme der technischen Sicherheit, der Be-
triebssicherheit, der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und der inneren Sicherheit bemängelt wird.
Ich meine, die ganze Komplexität der Informa-tions- und Kommunikationstechniken, des fast uferlosen Einsatzes dieser Techniken in den modernen Gesellschaften, der Gefahren der zunehmenden In-formatisierung der Gesellschaft, der Zerstörung menschlicher Individualität, der Gefahren der zunehmenden gesellschaftlichen Abhängigkeit von diesen Techniken, der nicht mehr ausreichenden Beherrsch-barkeit und des nicht verschwindenden Restrisikos, all dies bleibt in der Problembeschreibung sehr vage und aus meiner Sicht unzureichend angesprochen. Ich kann mich deshalb mit dieser Zielsetzung nicht ausreichend zufriedengeben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Selbstverständlich.
Herr Kollege, wollen Sie denn ernsthaft, da es hier um die Errichtung eines Bundesamtes geht, die Lösung der von Ihnen eben dargestellten Probleme so, wie Sie sie sehen, der Entscheidung dieser Behörde überlassen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich werde darauf noch antworten. Ich stelle in Zweifel, daß es ein Bundesamt sein soll. Ich komme noch dazu. Ich möchte das gern komplexer angehen.
Wir — ich spreche hier für die Abgeordneten der Partei des Demokratischen Zentralismus,
des Demokratischen Sozialismus, das erste stimmte nicht- -
— Ich bin bestimmt ehrlich.
Wir befürworten die Einrichtung einer selbständigen und nur der parlamentarischen Kontrolle unterworfenen Einrichtung, mit wesentlich komplexerer Aufgabenstellung. Eine Zuordnung des neu zu schaffenden Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik eben zur Bundesregierung, wie vorgeschlagen, dem Bundesinnenminister, steht meines Erachtens dem genannten komplexen Anspruch diametral entgegen. Gerade weil die Informationstechniken so sehr für die moderne Gesellschaft an Bedeutung gewinnen, darf das BSI als Garant für deren störungsfreies Wirken im umfassenden Sinn — so würde ich diese Einrichtung jedenfalls verstehen — nur dem Bundestag und sonst niemandem unterstellt sein. Die Bundesregierung als Sachwalter natürlich auch wirtschaftlicher Interessen — ich sehe das jedenfalls so — dürfte hier nicht ohne schwere Bedenken eine hinreichend unbeeinflußte Kontrollfunktion ausüben können, ausüben dürfen.
Ich unterstütze deshalb die von der Fraktion DIE GRÜNEN im Innenausschuß vorgebrachten Forderungen nach solchen Organisationsformen, die diese Unabhängigkeit der geplanten Einrichtung darüber
Dr. Friedrich
hinaus auch von polizeilichen, von nachrichtendienstlichen und von militärischen Einflüssen sichern wollen. Auch das sollte nur durch eine direkte parlamentarische Kontrolle und nicht durch die Ansiedlung der Exekutive möglich sein.
— Ich bitte, daß Sie mir noch bis zum Ende zuhören. Ich bin auch gern bereit, mich Ihren Fragen zu stellen. Ich bin, wie gesagt, in ein laufendes Gesetzgebungsverfahren hineingekommen, und insofern ist es natürlich etwas schwierig, hier fundierte Vorschläge darzureichen. Aber ich bemühe mich zumindest darum.
Wie könnte diese parlamentarische Kontrolle aussehen? Hier kann ich mich den sehr praktikablen Vorstellungen des Ausschusses für Forschung und Technologie überdiesbezügliche Kontroll- und Beratungsmöglichkeiten nur anschließen. Ich unterstütze die Forderung nach Einsetzung eines Unterausschusses des Innenausschusses, der gleichzeitig Mitglieder anderer fachrelevanter Ausschüsse konsultativ einbeziehen sollte. Meine Unterstützung findet auch die dort gleichfalls vorgeschlagene Einrichtung eines Sachverständigengremiums für die Sicherheit der Informationstechniken, das dem Bundestag kontinuierlich Bericht erstatten und inhaltlichen, rechtlichen Handlungsbedarf signalisieren sollte.
Infolge der von mir genannten schwerwiegenden Einwände- -
Bitte kommen Sie zum
Schluß.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Einen letzten Satz: Infolge der von mir genannten schwerwiegenden Einwände hinsichtlich der Zielstellung des Gesetzentwurfs, vor allem aber wegen der geplanten, nicht zu akzeptierenden Unterstellung dieser Einrichtung unter die Bundesregierung, können wir diesem Entwurf nicht zustimmen.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Spranger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Friedrich, die besondere Kompetenz der SED/PDS in einer besonderen Form der Informationstechnik, nämlich mit Hilfe der Stasi Millionen von Bürgern hier in Ost und West zu bespitzeln, ist allen bekannt.
Sie haben nach dieser Rede offensichtlich nicht begriffen, daß es sich heute abend um etwas ganz anderes handelt, oder Sie haben mit einer doch beispiellosen Unverfrorenheit hier Thesen von parlamentari-cher Kontrolle usw. aufgestellt, Forderungen erhoben, von denen ich gewünscht hätte, daß sie auch nur an-
satzweise in den 40 Jahren des SED-Regimes irgendwie praktiziert worden wären.
Lieber Kollege Such, ich habe jetzt schon verschiedene Reden von Ihnen mit einer völlig überzogenen Katastrophenmalerei erlebt. Das ist heute auch wieder dasselbe Schema gewesen. An der Wirklichkeit des Lebens und auch an der Wirklichkeit des hier zu debattierenden Gesetzes geht das völlig vorbei. Ich frage mich immer wieder, ob Sie selber daran glauben, oder was die Motive für solche Ideologie sind, die Sie solche Reden schreiben läßt. Wir haben gehört: Es wird in zwei Jahren Bilanz zu ziehen sein. Ich kann nur wünschen, daß Ihre Präsenz bei der Überprüfung der Wirklichkeit dieses Gesetzes höher ist als die heute dargelegte Präsenz der GRÜNEN bei den parlamentarischen Beratungen.
Informationen in unterschiedlicher Form erlangen für den einzelnen Bürger wie für Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung immer größere Bedeutung. Wachstum und Leistung von annähernd zwei Dritteln der Wirtschaft basieren auf Produktion bzw. Dienstleistungen, die stark von der Informationstechnik abhängig und damit wesentlich auf das einwandfreie Funktionieren der Informationstechnik angewiesen sind.
Der Haftpflichtverband der deutschen Industrie hat festgestellt, daß 40% aller Betriebe, die einen Totalverlust in ihrem Datenbestand erlitten, innerhalb von zwei Jahren aufgeben mußten. Andere Untersuchungen ergeben, daß z. B. Versicherungs- und Produktionsunternehmen einen Totalverlust ihrer Datenbestände nur etwa fünf Tage überleben.
In den letzten Jahrzehnten sind grundlegende technische Veränderungen eingetreten. Diejenigen, die auf uns zukommen, dürften jedoch noch tiefgreifender sein. Supercomputer für den Schreibtisch, integrierte Breitbandkommunikation, digitaler Mobilfunk, Satellitenfunk und andere neue Anwendungen werden derzeit entwickelt und eröffnen uns Möglichkeiten für die weltweite kostengünstige mobile Hochleistungskommunikation in einem bisher unerreichten Ausmaß.
Mit der Einführung effizienter globaler Kommunikationsdienste wird verstärkt ein angemessener Informationsschutz notwendig, der Zugangsrechte, Nachrichtenintegrität und Schutz der Privatsphäre entsprechend dem voraussichtlichen Grad der Risiken gewährleistet. Mit der Errichtung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, wie das der vorliegende Gesetzentwurf vorsieht, wird die Voraussetzung dafür geschaffen, um schnellstmöglich eine wirksame und praktikable Sicherheit elektronisch gespeicherter oder übertragener Informationen zu bieten.
Ob für besonders sensitive Anwendungsbereiche
künftig ein bestimmter Sicherheitsstandard gesetzlich vorgeschrieben werden sollte, muß von der weiteren Entwicklung abhängig gemacht werden. Auf Bedenken der Opposition zu partiellen Regelungen dieses Gesetzentwurfes ist der Bundesminister des Innern schon bei der ersten Lesung eingegangen. Ich
Parl. Staatssekretär Spranger
brauche das deshalb nicht zu wiederholen. Herr Kollege Paterna hat sich in seiner Rede mit den von Ihnen erneut vorgetragenen Bedenken auseinandergesetzt. Ich glaube nicht, daß das, was Sie vorgetragen haben, eine Ablehnung — gerade bei der Bedeutung dieses Gesetzes — rechtfertigt.
Die Sicherheit in der Informationstechnik steht auch zunehmend auf der Tagesordnung internationaler Gremien. Es wird eine der vorrangigen Aufgaben des neuen Bundesamtes sein, in den zuständigen internationalen Fachgremien mitzuwirken, um dort die deutschen bzw. europäischen Interessen zu wahren. Ich bin überzeugt, daß die Sicherheit in der Informationstechnik in der künftigen Informationsgesellschaft einen Stellenwert erhalten wird, der dem heutigen Stellenwert des Datenschutzes oder des Umweltschutzes vergleichbar ist. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird der sich abzeichnenden Entwicklung politisch rechtzeitig, und ich meine auch: auf richtige Weise, Rechnung getragen.
Meine Damen und Herren! Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf auf Drucksache 11/7029 in der Fassung des Innenausschusses.
Ich rufe § 1 auf. Hierzu hegt auf Drucksache 11/8197 unter Nr. 1 ein Änderungsantrag der Fraktion der GRÜNEN/Bündnis 90 vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für § 1 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — § 1 ist in der Ausschußfassung bei einer Reihe von Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe § 2 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 11/8197 unter Nr. 2 ein Änderungsantrag der Fraktion der GRÜNEN/Bündnis 90 vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenstimmen! — Enthaltungen? — Dieser Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für § 2 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. § 2 in der Ausschußfassung ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe § 3 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 11/8197 unter Nr. 3 ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Dieser Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für § 3 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Eine Enthaltung. § 3 in der Ausschußfassung ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe die Nr. 4 bis 8 des Änderungsantrags der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 auf Drucksache 11/8197 auf. Es ist beantragt, nach §3 die neuen §§3a, 3b, 3c, 3d und 3e einzufügen. Wer stimmt für diese Änderungsanträge? — Gegenprobe! — Enthal-
tungen? — Keine Enthaltungen. Diese Änderungsanträge sind mit großer Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe §§4 und 5 in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt denen zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung sind §§4 und 5 in der Ausschußfassung mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Nr. 9 des Änderungsantrages der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 auf Drucksache 11/8197 auf. Es wird beantragt, nach § 5 einen neuen § 5 a einzufügen. Wer stimmt dem zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zwei Enthaltungen ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Ich rufe § 6 in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt dem zu? — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe § 6a auf. Hierzu liegt auf Drucksache 11/8197 unter Nr. 10 ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 vor. Wer stimmt dem Änderungsantrag zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für § 6a in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Damit ist § 6 a in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe §§ 6 b bis 8, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Eine Enthaltung. Damit sind die aufgerufenen Vorschriften mit Mehrheit angenommen.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schluß ab Stimmung. Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltung. Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 11/8177. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN, also jetzt Die GRÜNEN/ Bündnis 90, auf Drucksache 11/7246 abzulehnen. Wer diesem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! - Die Fraktion DIE GRÜNEN/Bündnis 90 und die Gruppe der PDS.
Meine Damen und Herren, die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen; der Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN ist damit abgelehnt.
Ich rufe nunmehr Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur An-gleichung der Renten und Sozialzuschläge in den neu der Bundesrepublik Deutschland bei-
Vizepräsident Stücklen
getretenen Bundesländern an die Entwicklung der Nettolöhne
- Drucksache 11/8088 -
Im Ältestenrat sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Frau Abgeordnete Dräger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir heute den Gesetzentwurf der SPD zur Rentenerhöhung im Gebiet der ehemaligen DDR in erster Lesung beraten, dann möchte ich zu allererst feststellen, daß unser Antrag seinen Zweck im wesentlichen bereits erfüllt hat; denn nur, weil wir die Initiative eingebracht haben, hat sich die Regierung mit den Koalitionsfraktionen nach langem Zaudern und Zögern dazu bereit gefunden, überhaupt die Renten zu erhöhen. Nur auf unseren Druck hat die Bundesregierung in der Frage der Sozialzuschläge nachgegeben und darauf verzichtet, die Rentenerhöhung auf die Sozialzuschläge anzurechnen. Kurzum: Die Regierung hat sich dem Druck der SPD und dem sozialen Druck aus dem Gebiet der früheren DDR gebeugt.
Bis zum 7. Oktober, dem Tag, als wir unseren Gesetzentwurf ankündigten, war die offizielle Leseart der Regierung, die Rentnerinnen und Rentner in der ehemaligen DDR hätten mit der Währungsunion und mit der Rentenerhöhung zum 1. Juli 1990 einstweilen genug bekommen. Eine zusätzliche Erhöhung sei nicht notwendig. Die Tatsache, daß die erheblichen Preissteigerungen bei den Gütern des Grundbedarfs gerade den Rentnerinnen und Rentnern zu schaffen machten und an der Kaufkraft ihrer Rente zehrten, wurde beharrlich geleugnet.
Die Ausführungen der Sachverständigen aus dem Bereich der Rentenversicherung haben bestätigt, daß hinsichtlich der jetzt geforderten vorgezogenen Rentenerhöhung in den fünf neuen Bundesländern große Zurückhaltung geboten ist. Das gilt allemal für den von der SPD-Bundestagsfraktion eingebrachten Antrag, die Renten im beigetretenen Teil Deutschlands bereits zum 1. Dezember 1990 um 10% zu erhöhen und den Sozialzuschlag auf 545 DM aufzustocken; denn
die finanzielle Situation der Rentenversicherung in den beigetretenen Bundesländern ist noch immer hochdefizitär. Die Einnahmen bleiben noch immer hinter dem Einnahmeziel deutlich zurück, so daß in diesem Jahr im dritten Nachtragshaushalt eine Aufstockung der Bundesmittel für die Rentenversicherung unausweichlich ist. In dieser Situation eine Rentenerhöhung bereits für den Dezember des Jahres einzufordern, ist auch sozialpolitisch unverantwortlich; denn hier wird wieder von der SPD versprochen, was nur auf Pump finanziert werden kann.
Einen Tag später hatten dann die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen plötzlich die große Einsicht.
Wie auch immer diese Einsicht zustande gekommen ist, wir begrüßen sie und sehen darin den Erfolg unserer Initiative.
Es ist gut, wenn über Parteigrenzen hinweg Übereinstimmung besteht, daß die Lohn- und Preisentwicklung im Gebiet der ehemaligen DDR eine alsbaldige prozentuale Erhöhung der Sozialversicherungsrente erfordert. Wenn außerdem die Bundesregierung offenbar auf Grund von statistischen Daten aus der Sozialversicherung der ehemaligen DDR, die der Öffentlichkeit und der parlamentarischen Opposition nicht zugänglich sind, zu dem Ergebnis kommt, daß eine Erhöhung um 15% der ökonomischen Entwicklung angemessen ist, dann ist das kein Streitpunkt. Wir werden selbstverständlich die uns bislang unbekannten ökonomischen Rahmendaten berücksichtigen und unsere Forderungen entsprechend aktualisieren, d. h. von einem Erhöhungssatz von 15% ausgehen.
Beim Sozialzuschlag hat es mit der Einsicht der Bundesregierung leider noch etwas länger gedauert. Die Art und Weise, wie es zur Entscheidung kam, legt die Vermutung nahe, daß CDU, CSU und FDP entgegen ihrer Überzeugung aus reiner Wahltaktik gehandelt haben.
Die bisherige Position der Union und der FDP war nämlich bis vor wenigen Tagen knallhart: gegen jede Mindestsicherung innerhalb der Rentenversicherung. Die Aufgabe, den Grundbedarf im Alter zu gewährleisten, soll auf die Sozialhilfe abgeschoben werden.
— Doch, das ist ein Abschieben.
Deshalb wollen die Koalitionsparteien die Sozialzuschläge bewußt auslaufen lassen. Für mich ist eine
Frau Dräger
Mindestrente immer besser, als sozial abzuschieben.
Sie brauchen nur einer Mindestrente zuzustimmen, dann würde dieses Problem gar nicht auftreten.
Es war volle Absicht, daß sie mit jeder Rentenerhöhung gekürzt und immer weiter ausgehöhlt würde. Erst in den letzten Sekunden hat die Bundesregierung nachgegeben und will jetzt darauf verzichten, die zum 1. Januar vorgesehene Rentenerhöhung auf die Sozialzuschläge anzurechnen.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Eimer?
Ja, bitte.
Bitte.
Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, daß die Sozialhilfe bei uns kein Almosen ist, sondern daß jeder Bürger darauf einen Rechtsanspruch hat, wenn er in seinem Einkommen darunterfällt?
— Das gleiche wie Sie und weniger, als ich in meinem Beruf verdienen würde.
Ich wäre ganz froh, wenn ich meine Frage weiter stellen könnte. Aber offensichtlich ist der Stil in diesem Haus heute etwas anders.
Bitte, fragen Sie.
Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, daß ungefähr ein Drittel der Mindestrenten, zumindest bei uns in der Bundesrepublik Deutschland, nicht das einzige Einkommen ist, sondern daß es daneben noch viele andere Einkommen gibt, so daß die Leute in den Genuß von Mindestsicherungen kommen würden, ohne daß sie es von ihrer Bedürftigkeit her verdienen würden?
Mir ist bekannt, daß wir, als es um die Verhandlungen zum ersten Staatsvertrag ging, das Wort „Mindestrente" nicht in den Mund nehmen konnten. Die Mindestrente ist eine Absicherung, die jedem Bürger zusteht, der in seinem Leben gearbeitet hat. Gegen dieses Wort sträuben Sie sich doch mit Händen und Füßen. Wenn wir für jeden alten Bürger eine Mindestrente haben, dann brauchen wir uns
über Sozialzuschläge überhaupt nicht mehr zu unterhalten.
Dem neuen Plan der Regierung ist deutlich anzumerken, daß er nicht aus Einsicht, nicht aus Engagement gegenüber den sozial Schwachen geboren ist, sondern nur aus nacktem Opportunismus.
Daß CDU, CSU und FDP nach wie vor die Absicht haben, die Sozialzuschläge auslaufen zu lassen, kann mit diesem Ausweichmanöver nicht vertuscht werden. Denn wenn dies nicht weiterhin die Absicht der Koalitionsfraktionen wäre, dann würden sie das einzig Sinnvolle tun, was in diesem Fall zu tun ist, nämlich die Obergrenze für die Sozialzuschläge von 495 DM um 15 % auf 570 DM zu erhöhen, wie es die SPD fordert.
Nur dann wäre sichergestellt, daß auch die Rentnerinnen und Rentner mit weniger als 495 DM Rente in einer Einkommensverbesserung von 15% enthalten wären.
Dazu waren die Bundesregierung und die Koalitionsparteien leider nicht bereit. Sie haben sich lediglich zu einer halbherzigen Lösung aufgerafft, die zum Teil zu unlogischen Ergebnissen führte.
Nach dem Verfahren der Bundesregierung werden Abertausende alter Menschen nicht in den Genuß der vollen Rentensteigerung von 15 % kommen. Das zeigt ein einfaches Beispiel: Eine Rentnerin mit einer Rente von 330 DM erhält zum 1. Januar 1991 eine Rentenerhöhung von 49, 50 DM. Ihren bisherigen Sozialzuschlag von 165 DM soll sie behalten. Ihre Gesamtversorgung, die sich aus Rente und Sozialzuschlag zusammensetzt, steigt dann von 495 DM auf 544, 50 DM. Ihre Einkommensverbesserung beträgt also nicht 15%, sondern nur 10%.
Die volle nettolohnbezogene Einkommenssteigerung werden nach den Plänen der Bundesregierung nur diejenigen Rentnerinnen und Rentner bekommen, deren Rente bereits zum 1. Januar 1991 mindestens 495 DM beträgt. Man sieht, mit Wahltaktik schafft man neue Ungerechtigkeiten.
CDU/CSU und FDP müssen klar und eindeutig von ihrem Grundsatz Abschied nehmen, daß Altersarmut bewußt in Kauf zu nehmen sei und daß die Armen auf die Sozialhilfe abgeschoben werden.
Wir brauchen ein klares und langfristig angelegtes Konzept, das sicherstellt, daß niemand im Alter zum Sozialamt gehen muß.
Der erste Schritt ist, daß wir die Sozialzuschläge in der ehemaligen DDR nicht abbauen, sondern sichern und dynamisieren.
Frau Dräger
Das Ziel ist, daß wir in ganz Deutschland eine soziale Grundsicherung für das Alter und bei Invalidität aufbauen. Deshalb wird die SPD-Bundestagsfraktion auf der einzig sinnvollen und logischen Maßnahme bestehen, die wir mit unserem Gesetzentwurf vorschlagen, nämlich auf der Erhöhung der Obergrenze für die Sozialzuschläge in gleichem Umfang wie die nettoorientierte prozentuale Rentenerhöhung.
— Ich weiß nicht, ob Sie Briefe bekommen haben, wie ich sie von Rentnern bekommen habe, die mit 495 DM leben müssen und 40 Arbeitsjahre hinter sich haben. Dann würden Sie solche Bemerkungen, wie Sie sie eben gemacht haben, lassen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Blüm.
Verehrte Frau Kollegin Dräger, zunächst beglückwünsche ich Sie zu Ihrer Rede hier im Deutschen Bundestag.
Wir wollen einen Wettbewerb zugunsten der Rentner veranstalten.
Es ist eine gute Nachricht — sind das für Sie nur Sprüche? —, daß die Rentner am 1. Januar eine 15prozen-tige Rentenerhöhung erhalten.
Liebe Frau Kollegin Dräger, mit der Sozialunion sind die Renten in der ehemaligen DDR im Durchschnitt um 30 % gestiegen. Sie sollten das nicht einfach als Wahlkampftaktik abtun. Mit der Sozialunion sind die Renten auf 70 % des Nettoverdienstes angehoben worden.
— 1: 1 in anständiger Währung ist jedenfalls mehr als die alte Rente, die niedriger war und mit marodem Geld ausgezahlt wurde. Das werden Sie doch nicht bestreiten.
— So selbstverständlich ist das nicht; denn in Ihrer Partei gab es einige, die gegen die Umstellung 1: 1 geredet haben. Beispielsweise hat Ihr Kanzlerkandidat dagegen geredet.
— Ich gehe auf die Zwischenrufe ein. Ich gehe beispielsweise auf den Zwischenruf ein, daß sich die Rente verschlechtert habe. Die Renten haben sich allein schon deshalb verbessert, weil sie jetzt an die Löhne angekoppelt sind und weil die Rentner nicht Jahr für Jahr zittern müssen, ob für sie etwas übrig-
bleibt. Das ist als Solidarität der Arbeitnehmer mit den Rentnern zu sehen.
Da Sie mich schon reizen: Wenn ich die Taktik der SPD zu bestimmen hätte, würde ich sie erst einmal überprüfen. Sie haben zweimal den Rentenansturm geprobt: Retter der Rentner! — Sie haben 10% Rentenerhöhung gefordert; die Regierung schlägt 15% vor. Dann der zweite Ansturm: Wir würden die kleinen Rentner vergessen. — Nein, der Sozialzuschlag wird nicht angerechnet. Damit sind Sie zweimal ins Leere gesprungen. Ich wäre einmal ein bißchen vorsichtiger, zum Sturm zu blasen. Den dritten Sprung würde ich gar nicht mehr wagen. Daß diese Rentenerhöhung an keinem Rentner in der DDR vorbeigeht, daß also nicht angerechnet wird, finde ich auch eine gute Nachricht.
Jetzt wollen wir noch einmal einen Augenblick über den Sozialzuschlag sprechen.
Er ist an die Stelle der Sozialhilfe getreten, weil die Sozialhilfe in der DDR nicht genügend ausgebaut ist. Das ist sozusagen eine Übergangslösung. Dieser Sozialzuschlag soll den Armen helfen, so wie die Sozialhilfe den Armen helfen soll. Wenn Sie berücksichtigen, daß sie diesen Zweck hat, dann erklären Sie mir einmal, wieso Sie den Sozialzuschlag lohnbezogen erhöhen wollen. Wenn wir das tun, dann müssen Sie ihn an Preissteigerungen messen. Sie sehen: Sie kommen in der ganzen sozialpolitischen Strategie durcheinander. Die lohnbezogene Anpassung ist die lei-stungsbezogene. Das ist die eine Seite des Sozialstaates. Die andere Seite ist die bedarfsbezogene.
Nun warne ich uns gemeinsam, die Sozialhilfe madig zu machen. Wissen Sie, was Sie machen? Sie diskriminieren die Sozialhilfeempfänger.
Sie bauen die Hemmschwelle vor dem Sozialamt auf.
— Bitte. — Herr Präsident, rechnen Sie die Zeit bitte nicht an.
Herr Abgeordneter Heyenn, Sie können eine Frage stellen. Bitte.
Herr Bundesarbeitsminister, können Sie dem Hohen Hause erklären — ich frage das, weil Sie den Sozialzuschlag von der Anpassung ja ausnehmen —, um wieviel Sie denn unter Berücksichtigung der Preissteigerungsraten den Sozialzuschlag zum 1. Januar erhöhen wollen?
Wir rechnen den Sozialzuschlag nicht an und kommen, wie die Frau Kollegin vorgerechnet hat, zu einer Sozialzuschlagsanhebung, die Ihrem Gesetzentwurf entspricht. Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf 10% Erhöhung gefordert. Dieser
Dr. Blüm
Prozentsatz wird durch die Nichtanrechnung des Sozialzuschlags für die Rentnerin mit der Mindestrente von 330 DM genau erreicht.
Im übrigen: Die Preissteigerung in der ehemaligen DDR beträgt nicht 10 %. Dies sage ich, falls Sie dies als zweite Frage noch sagen wollten. Dennoch möchte ich noch einmal sagen: Die Erhöhung der Renten um 15 % ist nicht bedarfsorientiert, sondern lohnbezogen.
Herr Kollege Heyenn, lassen Sie mich das Weitere im Zusammenhang darstellen.
— Ich habe Ihnen doch gesagt, daß der Sozialzuschlag an die Stelle der Sozialhilfe tritt und daß die Sozialhilfe, wenn sie ausgebaut ist, diesen Sozialzuschlag sogar übertreffen wird. Aber Sie sollten die Sozialhilfe nicht madig machen. Ich wiederhole mich: Sie stigmatisieren die Sozialhilfeempfänger und deren Anspruch. Ich halte die Sozialhilfe für gerechter als den Sozialzuschlag.
Liebe Frau Kollegin Dräger, halten Sie es beispielsweise für gerecht, daß ein Rentner mit einer Rente von 330 DM einen Sozialzuschlag bekommt, obwohl er mit einem Ehepartner zusammenlebt, der einen hohen Verdienst — sagen wir einmal: 1 500 DM — hat? Sie bekommen den Sozialzuschlag, obwohl der Nachbar mit seiner Ehefrau nur eine Rente von 600 DM bekommt und diese von den 600 DM wirklich leben müssen. Dieses Ehepaar bekommt keinen Sozialzuschlag.
Ihre Philosophie wäre: Die Ehepartnerin eines Mannes, der 2 000 DM verdient, erhält, weil sie eine kleine Rente hat, einen Sozialzuschlag. Bei Licht betrachtet: Halten Sie das für gerecht?
— Was heißt denn „soziale Identität"? Sie machen so große Worte. Fahren Sie doch nicht gleich eine schwere Kanone auf.
Ich plädiere wirklich für ein Sozialhilferecht, das Armut bekämpft, und für eine Rente, die an die Lohnentwicklung gekoppelt ist. Kein Rentner muß „danke schön" für seine Rente sagen. Kein Rentner muß Jahr für Jahr zittern, ob für ihn etwas übrigbleibt. Wenn die Löhne steigen, steigen die Renten. Das ist das Moment der Selbständigkeit der Rentner.
Und endlich, nach 40 Jahren SED — in dieser Zeit haben die die Leute doch immer auf die Knie zum Betteln gebracht —, läuft jetzt die Rentenautomatik. Jahr für Jahr gibt es eine anständige Rentenanpassung. Die Löhne sind gestiegen. Deshalb gibt es im ersten Schritt 15% Rentenerhöhung, und die zweite Rentenanpassung in dem ehemaligen Gebiet der DDR folgt am 1. Juli.
Jetzt plädiere ich noch dafür, daß wir in ganz Deutschland — wir machen jetzt nicht zweierlei Poli-
tik — in der Tat dafür sorgen, daß Sozialhilfe und Rentner besser zusammenarbeiten; dafür bin ich. Ich bin nicht dafür, daß die Menschen von Schalter zu Schalter geschickt werden; das brauchen wir heute nicht mehr. Laßt die Formulare laufen, und laßt die Ämter besser zusammenarbeiten, damit auf diese Weise unnötige Gänge vermieden werden. Wir haben heute keine Ärmelschoner und keine Stehpulte mehr in der Verwaltung. Wir haben Datenbänke. Deshalb laßt die Formulare wandern und die Menschen in Ruhe. Das wäre mein Vorschlag zur Lösung des Problems. Aber wir brauchen eine saubere Trennung von Armutsbekämpfung, bedarfsbezogen und Rente, lei-stungsbezogen.
Ich will noch ein Thema nennen, von dem ich glaube, daß wir uns ihm widmen sollten. Die eigentlich, wie ich es sehe, schwerste soziale Einbuße erleiden die Witwen in der ehemaligen DDR. Wenn der Mann stirbt, stürzt das Einkommen auf eine Witwenrente von 90 DM herab. Die Witwen sind eine Gruppe, der wir uns gemeinsam zuwenden sollten.
Wenn das westdeutsche Rentenrecht am 1. Januar 1992 übernommen wird, wird sich die Lage der Witwen ja wesentlich verbessern. Denn unsere Witwenrente hat hier bisher 60 % betragen. Zu einer Anrechnung auf diese Witwenrente kommt es nur, wenn jemand eine sehr hohe Rente von über 1 000 DM hatte, und dann kommt es auch nur zu einer Anrechnung von 40%.
Also wird sich die Lage der Witwen mit der Übernahme des westdeutschen Rentenrechts verbessern. Es stellt sich schon die Frage, ob man da vorbereitend tätig werden kann. Denn ich glaube, das ist die wirklich arme Gruppe in der DDR.
Wir wollen nicht eine Politik mit Ideologie machen.
Hauen Sie doch nicht immer gleich mit dem großen Hammer, und unterstellen Sie uns nicht Opportunismus und Wahltaktik. Es ist doch gut, wenn die Leute etwas bekommen. Wahlen hin, Wahlen her, Hauptsache, die Sache ist gut. Ich halte 15% für gut, egal, ob Wahlen sind oder nicht. Ich kann nur fragen: Darf man gute Sachen jetzt nicht mehr vor Wahlen machen? Dann kann man so gut wie niemals mehr gute Sachen machen; denn es gibt immer Wahlen.
Liebe Frau Kollegin Dräger, ich habe — das scheint Ihnen entgangen zu sein — schon frühzeitig von einer vorzeitigen Rentenanpassung von mindestens 10% gesprochen. Wissen Sie, ich halte es immer damit, daß man mit Ankündigungen zurückhaltender sein und sich lieber von der Verwirklichung übertreffen lassen soll.
— So ist es. Ich bin lieber mit der Ankündigung zurückhaltender und lasse der Realisierung den Vortritt. Ich weiß, es gibt Sozialpolitiker, die den umgekehrten Weg bevorzugen und mehr ankündigen, als sie realisieren können.
Dr. Blüm
Ich bin zurückhaltend in der Ankündigung, und in der Verwirklichung bin ich ganz stark; das muß ich schon sagen.
Ich meine mit Ihnen, daß wir gemeinsam dafür sorgen sollten, daß die Beiträge fließen. Denn zur sozialstaatlichen Pflicht, wie wir sie gemeinsam verstehen, gehört nicht nur die Ausgaben-, sondern auch die Einnahmenseite. Aber da kann ich Sie beruhigen: Es ist schon einiges besser geworden. Wir sind nicht am Ziel. Aber alle Betriebe haben die Pflicht, dafür zu sorgen, daß Beiträge gezahlt werden. Denn die Rentenversicherung wird ja nicht vom lieben Gott bezahlt.
Ich glaube, es ist auch wichtig, die Rentenerhöhung dazu zu benutzen, um noch einmal auf die Kriegsopferversorgung aufmerksam zu machen, die es ab 1. Januar gibt. Die 15prozentige Rentenerhöhung wird auch die Kriegsopfer begünstigen. Der Einstieg ist 15% höher, als wir es selbst angesetzt haben. Im alten SED-Staat gab es gar keine Kriegsopferversorgung. Die hatten ja die Kriegsopfer alle in die Ecke gestellt. 310 000 Kriegsopfer sind vergessen worden.
— Ich habe gesagt: die SED.
— Nein, „SED-Staat" habe ich gesagt. Sind Sie so empfindlich? Sie haben die Richtung richtig verstanden. Also, um Gottes willen, ich habe Sie nicht mit der SED in einen Korb geworfen. Ich habe nur gesagt: Die Kriegsopfer sind vergessen worden. Das sind über 300 000 Mitbürger. Da halte ich es für eine gute Nachricht, über die wir uns gemeinsam freuen sollten, daß es ab 1. Januar eine ausgebaute Kriegsopferversorgung für eine Generation gibt, die nicht mehr am Anfang ihres Lebens steht, die deshalb nicht lange warten kann und daher ein Recht hat, jetzt eine Art Wiedergutmachung für ihre Opfer zu erfahren.
Deshalb wird die Rentenanpassung auch den Kriegsopfern zugute kommen.
Daher freue ich mich, daß Sie sich unserer Verordnung anschließen.
— Ihr Gesetzentwurf ist doch schlechter als unserer. 10 % sind doch weniger als 15 %. Oder kann ich nicht richtig rechnen? Laßt doch einmal die Rentner in der DDR wählen, ob ihnen 10% von der SPD oder 15% von der Regierungskoalition lieber sind.
Da bin ich ganz sicher, diese Wahl werden wir so gewinnen wie die Wahlen in der vergangenen Woche.
— Was ist denn die Unwahrheit? Für jedes Kind in der ersten Schulklasse sind 15 5 mehr als 10. Wir bieten eine Rentenerhöhung zum 1. Januar von 15%, und
Sie haben eine zum 1. Dezember von 10% vorgesehen.
— Darf ich die Frage noch beantworten, Herr Präsident?
Ja. — Bitte schön, Herr Heyenn.
Herr Bundesarbeitsminister, wollen Sie leugnen, daß wir, als unser Gesetzentwurf mit der Forderung nach 10 % veröffentlicht wurde, nicht über Daten der Lohnentwicklung verfügen konnten und Ihr Bundesfinanzminister, der Kollege Waigel, gesagt hat, er sehe keinen Handlungsbedarf?
Wollen Sie leugnen, daß wir ganz eindeutig ausgesagt haben, daß, wenn Ihnen Zahlen vorlägen, die 15% rechtfertigten, auch wir selbstverständlich für diese Anhebung um 15%, allerdings unter Einbeziehung des Sozialzuschlages, wären?
Herr Kollege Heyenn, wollen Sie leugnen, daß ich schon frühzeitig gesagt habe: Mindestens 10%. Sie sollten mir mehr Vertrauen schenken und hätten das Wort „mindestens" ernster nehmen sollen. Sie hätten daran erkennen können, daß die Regierung sehr wohl gewillt war, über die 10% hinauszugehen.
15% sind mehr als 10%. Deshalb ist der Verordnungsentwurf der Regierung die bessere Alternative zu Ihrem Gesetzentwurf. Deshalb bitte ich Sie, Ihren Gesetzentwurf im Interesse der Rentner zurückzuziehen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoss.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das, was sich hier zuletzt abgespielt hat, dieser lustige Streit über 10 oder 15%,
— Herr Blüm, Sie können gern eine Frage stellen; lassen Sie mich aber erst einmal drei Minuten reden. Ich freue mich darauf, daß Sie fragen. Aber ich habe mich noch gar nicht äußern können, und die Zeit läuft mir weg. Ich habe fünf Minuten. Jetzt steht die Zeitanzeige schon auf „4".
— Jetzt machen Sie genau da weiter, wo Sie vorhin hier aufgehört haben.
Grundsätzlich ist es gut, daß für die Rentner am 1. Dezember etwas gemacht wird. Das Problem besteht darin, daß durch die Entwicklung in der ehemaligen DDR, insbesondere die Lohnentwicklung und die Preisentwicklung, die Frage aufgeworfen wurde, ob nicht angesichts dessen, daß sich die Rentner nicht wehren können, sondern darauf angewiesen sind, daß die Renten erhöht werden, etwas geschehen müsse.
Wir waren die ersten — Herr Blüm, Sie wissen das genau —, die im Ausschuß den Begriff der „scala mobile" in die Debatte eingeführt und gesagt haben, daß man rechtzeitig daran denken müsse, eine gleitende Anpassung der Rentenniveaus an das Lohn- und Preisgefüge der DDR vorzusehen.
Grundsätzlich ist also zu begrüßen, daß erhöht wird.
Im Gegensatz zu vorherigen Verlautbarungen sollen nun auch die Kleinrenten — und das ist gut — nicht vollständig ausgeschlossen werden. Nach dem alten von Ihrer Seite diskutierten Konzept war es nämlich so, daß es bei den Kleinrenten überhaupt keinen Zuwachs geben sollte, weil Sie bei 495 DM gedeckelt und gesagt haben, daß es nicht darüber hinausgehen werde.
Durch die Art der Anhebung erhalten die Bezieher und Bezieherinnen kleiner Renten zwar mehr Geld, werden aber zugleich abgekoppelt, indem der Sozialzuschlag nicht dynamisiert, sondern eingefroren und nur der Rententeil angehoben wird.
Beispiel: Lag die Mindestrente bisher bei 330 DM, so erhöht sie sich jetzt um 15 % auf 379, 50 DM. Zusammen mit dem eingefrorenen Sozialzuschlag ergibt sich daraus eine Rente von 544, 50 DM.
— Das entspricht einer Gesamterhöhung — da haben Sie recht, Herr Blüm — von 10%.
Jetzt muß aber die Frage gestellt werden: Auf wen trifft die 10 %ige Erhöhung zu, und auf wen trifft eine echte 15%ige Erhöhung zu? Der Anhebungsmodus hat im Mindestsicherungsbereich zur Folge: Je niedriger die Rente, desto niedriger die prozentuale Anpassung.
15% werden erst bei Eigenrenten ab 495 DM gewährt. Alle, deren Rente darunter liegt, bekommen
nicht die 15%, sondern weniger. Mehr als 400 000 Kleinstrentner werden also mit 10% abgespeist.
Das sind zu 80 bis 90 % Frauen, Herr Blüm. Das müssen Sie auch sehen.
Hier schmelzen Sie die Rente insgesamt ab, in erster Linie bei der Mehrheit der Frauen. Das zeigt, daß Sie nicht für die Sicherung einer eigenständigen Frauenrente sind und daß Sie nicht dafür sind, daß solche Rentenanwartschaften aufgebaut werden können.
Zweitens wird grundsätzlich an dem im Einigungsvertrag formulierten Ziel festgehalten, den Sozialzuschlag nach und nach bis 1995 abzuschmelzen. Wenn damit jetzt noch nicht begonnen wird, dann hat das zwei einfache Gründe:
Der erste ist der, daß Sie mit den Sozialämtern noch nicht so weit sind,
daß Sie es gar nicht können, so sagen: Wir müssen für diese Erhöhung diese Regelung finden. Aber Sie sagen gleichzeitig, daß dann, wenn die Sozialämter aufgebaut sind — das haben Sie hier heute auch gesagt —, mit der Abschmelzung des Sozialzuschlags begonnen bzw. dieser durch Beiträge aus der Sozialhilfe ersetzt wird.
Der zweite Grund, warum Sie die alte Lösung nicht durchbringen, ist, daß Sie mit Blick auf die im Dezember anstehenden Wahlen Negativschlagzeilen fürchten, wenn ausgerechnet die Ärmsten der Armen leer ausgehen, wenn man das so gemacht hätte, wie Sie das wollen.
Bei alldem hat man nur eines im Blick: Es darf auf Dauer — das ist das Entscheidende — keine Mindestsicherung geben, weder in der ehemaligen DDR noch bei uns, obwohl auch bei uns die Probleme wachsen. Das haben Sie hier noch einmal gesagt. Sie wollen die Kleinstrentner, nachdem das alles abgeschmolzen ist, auf die Sozialhilfe verweisen und wollen, daß diese Menschen in die Sozialhilfe abgeschoben werden.
— Das spielt doch keine Rolle! Es ist doch so, daß auch bei uns die Zahl der Sozialhilfeempfänger, die Zahl der Rentner, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, zunimmt.
Dafür brauchen wir eine neue Lösung. Sie wollen, daß immer mehr Rentner auf die Sozialhilfe verwiesen werden. Wir dagegen wollen, daß wir eine menschen-
Hoss
würdige Lösung finden, die davon ausgeht, daß eine Mindestrente geschaffen wird.
Der Abgeordnete Cronenberg würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Bitte sehr.
Herr Kollege Hoss, da Sie sich um Objektivität bemühen, was ich bei Ihnen immer geschätzt habe:
Würden Sie anerkennen, daß der Rechtsanspruch auf Minimalversorgung, definiert als Sozialhilfe, eine Mindestsicherung ist und daß der Unterschied zwischen uns beiden ist, daß ich diesen Mindestanspruch demjenigen geben möchte, bei dem Bedarf vorhanden ist, und daß es richtig ist, daß bei demjenigen, der den Bedarf nicht hat, der also andere Einkommen, hohe Einkommen hat, ein solcher Anspruch nicht besteht? Würden Sie, wie auch immer man das bezeichnet, anerkennen, daß das eine ordentliche Mindestsicherung
auf Grund eines Rechtsanspruchs ist?
Herr Cronenberg, Sie müssen mir, da Sie hier mehrere Facetten angesprochen haben, die Chance geben, darauf auch zu antworten. — Der Rechtsanspruch auf Unterstützung durch die Sozialhilfe ist gegeben. Aber uns geht es im Rentenfall darum, eine Zweispaltung zu vermeiden, zu vermeiden, daß man als Kleinrentner
— regen Sie sich doch wieder ab —
auf die Sozialhilfe verwiesen wird. Vielmehr wollen wir ein menschenwürdiges Leben für die alten Leute, die ihr Lebenlang gearbeitet haben. Denn wir wissen, daß es Menschen gibt, die 30, 40 Jahre erwerbstätig waren und in die Situation kommen, daß sie Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen. Das wollen wir nicht. Damit bestreite ich gar nicht ihren Rechtsanspruch.
Jetzt kommt die zweite Sache, die Anrechenbarkeit. Da müssen wir über Subsidiarität sprechen, über Elternsubsidiarität, über Ehegattensubsidiarität. Da kann man also verschiedene Positionen einnehmen. Wir sind dafür, daß man die Ehegattensubsidiarität in Rechnung stellt. Aber wir sind nicht dafür — da sind Sie schon anderer Meinung —, daß Kinder für ihre Eltern zu sorgen haben usw. Wir sind dafür, daß jemand, der sein Lebenlang gearbeitet hat, im Alter
eine Rente erhält, von der er leben kann. Das ist das Problem.
Und dieses Problem kann nur in Form einer Mindestsicherung gelöst werden.
Zwar begrüße ich zunächst einmal, daß man für die Rentner etwas tut.
Aber die Art und Weise, in der Sie es machen, ist aus meiner Sicht hinterhältig.
— Doch! — Denn Sie erklären eindeutig, daß Sie den Sozialzuschlag jetzt noch nicht wegräumen, weil sie organisatorisch noch nicht so weit sind, daß Sie ihn wegräumen können. Sobald Sie die Sozialämter haben, werden Sie das tun. Und das finde ich hinterhältig.
Danke schön.
Meine Damen und Herren, meine Gutmütigkeit ist durchaus strapazierfähig, aber nicht zu sehr. Herr Heyenn, dabei meine ich besonders Sie.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wöstenberg.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich eben gefragt: Wohin bin ich geraten? Wenn ich die Damen und Herren von der SPD höre, fühle ich mich in eine Werbeveranstaltung versetzt. Hier läuft offensichtlich ein Werbefilm ab: Wie komme ich am 2. Dezember zu möglichst vielen Wählerstimmen?
Bevor man für einen solchen Werbefilm einen Oscar bekommt — das habe ich Ihnen schon einmal in der Volkskammer sagen müssen —, muß man sich was einfallen lassen.
Sie haben nichts anderes gemacht, als sich einen Volkskammerbeschluß zu eigen zu machen. Dieser Volkskammerbeschluß ist von allen Parteien dieser Kammer getragen worden. Er ist weder von der SPD allein noch von der PDS oder von sonstwem allein initiiert worden.
Wir müssen davon ausgehen, daß das Bemühen aller ehemaligen DDR-Abgeordneten durchaus vorhanden ist, den Bürgern in der ehemaligen DDR eine vernünftige Rente, die ihnen einen guten Lebensabend sichert, zukommen zu lassen.
Das unterscheidet uns also in keiner Weise. Man sollte das nicht mißbrauchen.
Über die Verwendung des Sozialzuschlags hat es sicherlich unterschiedliche Ansichten gegeben. Ich meine, es ist ein tragbarer Kompromiß, wenn dieser Sozialzuschlag fortgeschrieben und die Rente um
Dr. Wöstenberg
15% erhöht wird. Damit treten Rentenerhöhungen, die effektiv zwischen 10 und 15% liegen, in Kraft. Man kann es sich ausrechnen — Sie können es wieder mit Ihrem Taschenrechner versuchen —: Je mehr man sich von den 330 DM Mindestrente entfernt, desto höher wird der effektive Steigerungssatz.
Ich glaube schon, es hat Ihnen ein bißchen die Sprache verschlagen, daß heute hier eine Regierungsvorlage eingebracht wurde, die über Ihre eigene Anforderung hinausgeht. Deshalb haben Sie hier ein solches Theater inszeniert,
statt klipp und klar zu sagen: Hier liegt etwas auf dem Tisch, mit dem wir uns identifizieren können, dem wir uns anschließen; wir ziehen unseren Gesetzentwurf entsprechend zurück. Das würde völlig ausreichen.
— Ich habe die FDP in der DDR mitgegründet, falls Sie das wissen möchten. Ich bin nie in einer Blockpartei gewesen.
— Ich habe die FDP in der DDR am 4. Februar 1990 mitgegründet. Ich war in keiner Blockpartei. Sie brauchen sich daran nicht warmzumachen. Ich bin früher auch nicht einmal mit der SED zusammengegangen, ich habe auch keinen Zusammenschluß mit der SED fabriziert. Ich bin ein ganz normaler Bürger gewesen.
Der PDS hat es in dieser Debatte offensichtlich ganz die Sprache verschlagen. Das ist auch kein Wunder. Ich glaube, Sie von der PDS haben gar keinen Redebeitrag angemeldet. Die PDS müßte nämlich an sich von der Dynamik, mit der sich die Renten derzeit in der ehemaligen DDR entwickeln, begeistert sein.
Früher mußten die Rentner oft zum Teil nach jahrelangen Vorankündigungen auf eine Rentenerhöhung warten. Diese fiel dann almosenhaft aus, und die Leute mußten sich dafür sogar noch öffentlich bedanken. Ich habe in meiner eigenen Familie mehrere Rentner und weiß, wovon ich hier spreche.
— Sie haben eine Frage.
Gestatten Sie, Herr Wöstenberg? — Herr Hoss, bitte.
Sie haben vorhin gesagt, man hätte den Vorschlag der SPD vom Tisch nehmen sollen. Halten Sie es bei dieser Frage nicht für diskussionswürdig, wenn man feststellt, daß bei der 15%igen Rentenerhöhung die Kleinstrentner eben keine 15 % bekommen? Diejenigen, die am wenigsten bekommen, erhalten keine 15%. Erst diejenigen, die mehr Rente beziehen, bekommen 15%. Finden Sie das hier nicht diskussionswürdig?
Ich bin Mediziner, aber Mathematik war in der Schule mein Lieblingsfach. Ich habe eben doch wohl eindeutig gesagt, daß es bei 10 % beginnt und sich dann effektiv auf 15 % steigert. Ich gebe Ihnen in dieser Frage ja recht. Das hat hier auch niemand bestritten. Damit sind wir aber bei den 10%, die in der Forderung der SPD primär enthalten sind. Diesen Beschluß hatte die Volkskammer ja auch gefaßt.
Insofern geht doch der Regierungsbeschluß jetzt eindeutig über das ehemalige Maß hinaus. Das kann man hier schlicht und einfach anerkennen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Das trifft für die GRÜNEN nicht zu. Auf die 10 % der SPD können wir uns nicht einlassen.
Ich möchte auch noch etwas zur Sozialhilfe sagen. Ich durfte mich in der Volkskammer mehrfach zur Thematik der Sozialhilfe äußern. Ich bin schon etwas erstaunt, hier feststellen zu müssen, daß die SPD hier offensichtlich nahtlos an die Argumentation, die ich früher dort von der PDS gehört habe — sie hat die Sozialhilfe immer wieder als ein gewisses Almosen hingestellt —, anknüpft.
Ich kann hier nur wiederholen, daß die Sozialhilfe auf einem gesetzlichen Anspruch beruht. Das ist ein gesetzlicher Anspruch. Wenn Politiker mit diesem Wort unvorsichtig umgehen, dann bringen sie die Bürger in Zugzwang, so daß diese sich letzten Endes gar nicht trauen, zum Sozialamt zu gehen. Das ist das Entscheidende.
Ich möchte meinen Redebeitrag damit schließen, daß ich das Gefühl habe, daß die Rentner in der ehemaligen DDR bei der Regierungskoalition gut aufgehoben sind. Sie können sich auf weitere Erhöhungen freuen.
Herr Abgeordneter Wöstenberg, ich unterbreche Sie.
So gehen wir nicht miteinander um. Haben Sie „Lümmel" gesagt?
- Dann erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf.
Ich bitte, diese Art der Auseinandersetzung zu unterlassen.
Herr Präsident! Ich kann es verstehen. Die Aufregung in der SPD ist groß.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode - 23C. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1990 18263
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
— Was ist denn der Grund für diese Nervosität?
— Herr Heyenn, in Ihren reifen Parlamentstagen würde ich doch sehr vorsichtig sein, mit mir so umzugehen, nachdem ich so gutmütig zu Ihnen bin.
Interfaktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/8088 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es weitere Vorschläge? — Das ist nicht der Fall.
— Damit es ganz klar ist: Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Frau Eid, kann ich davon ausgehen, daß Sie auch dafür sind? — Jawohl. Es ist der einmütige Wunsch des Parlaments, daß die Überweisungen so vorgenommen werden, wie es vorgeschlagen wurde.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung sowie Zusatzpunkt 4 der Tagesordnung auf:
8. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
8.1 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Oktober 1990 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über einige überleitende Maßnahmen
- Drucksache 11/8153 -
Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß Auswärtiger Ausschuß
8. 2 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 12. Oktober 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Bedingungen des befristeten Aufenthalts und die Modalitäten des planmäßigen Abzugs der sowjetischen Truppen aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland
- Drucksache 11/8154 -
Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß Rechtsausschuß Verteidigungsausschuß Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
8. 3 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Bausparkassen
- Drucksache 11/8089 -
Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
8. 4 Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstellung des Kunden beim Abschluß von Versicherungsverträgen
- Drucksache 11/7475 —
Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft
8. 5 Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank
- Drucksache 11/8015 -
Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß Innenausschuß Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
8. 6 Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes betreffend die Verlängerung befristeter Dienstverhältnisse von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern
- Drucksache 11/7984 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Innenausschuß
Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
8. 7 Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zur Entwicklung der europäischen Währungsintegration
- Drucksache 11/4492 -
Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß
ZP4 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht über den Entwicklungsstand des Jagdflugzeuges 90
- Drucksache 11/7533 -
Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuß Haushaltsausschuß
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 25. Oktober 1990, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.