Rede von
Dr.
Ernst
Dörfler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)
Verehrter Herr Präsident! Verehrte Abgeordnete! Es fällt mir etwas schwer, in dieser Atmosphäre, wie ich sie eben erlebe, meine persönliche Erklärung zu einem ganz anderen Thema abzugeben.
Unter der Schlagzeile „Stasi-Leute im Bundestag" trafen mich in den letzten Tagen Anwürfe über eine angebliche Mitarbeit beim Staatssicherheitsdienst in
der ehemaligen DDR.
Diese Anwürfe sind, was meine Person betrifft, in jeder Beziehung haltlos. Es hat meinerseits zu keiner Zeit eine Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit gegeben. Weder Berichte noch Unterschriften liegen von mir vor. Diese Feststellungen trafen sowohl der Untersuchungsausschuß als auch der Sonderbevollmächtigte der Bundesregierung.
Die über mich angelegten Akten — so wurde mir berichtet — haben einen außergewöhnlichen Umfang. Die Ordner sind gefüllt mit zahllosen Berichten über meine Person, gesammelt über Jahre, da ich unter dem Verdacht staatsfeindlicher Handlungen stand. Ich war nach gängigem Sprachgebrauch ein Fall mit operativer Personenkontrolle, kurz: OPK-Vorgang, den es zu bearbeiten galt.
Mein beruflicher Umgang mit geheimen Umweltdaten landesweiten Charakters in einem Umweltinstitut war einer der Hauptgründe der Überwachung meiner Person. Ich hatte den Überblick über die katastrophale Umweltsituation einerseits, unterlag aber andererseits einer Reglementierung durch die Institutsleitung und einem Publikationsverbot.
Als ich das dienstlich verordnete Schweigen nicht länger zu ertragen bereit war, gab ich aus Gewissensgründen meine berufliche Karriere auf, wurde freiberuflich tätig und kündigte an, über Umweltfragen zu publizieren. Daraufhin hatte ich Vertreter der Staatssicherheit leibhaftig, aber, wie sich erst jetzt für mich herausstellte, auch in Form von Wanzen im Hause. Auf diese Weise wurde ich weiter kontrolliert. Oft wurde versucht, mich zur Mitarbeit zu gewinnen. Dies habe ich konsequent abgelehnt. Statt dessen habe ich mich für ein Leben in sozialer Unsicherheit, aber mit dem Anspruch auf Wahrhaftigkeit entschieden. Über Jahre wurde kaum eine Zeile von mir gedruckt, so daß mein Einkommen und das meiner Familie unter dem Existenzminimum lag. Freunde haben geholfen.
Dieser Teil meiner Biographie wurde sinngemäß bereits am 28. September 1990 auf der 27. Volkskammer-Tagung von unserer Fraktionssprecherin Marianne Birthler im Namen der Fraktion Bündnis 90/ GRÜNE vorgetragen und damit öffentlich gemacht.
Um so unverständlicher ist es, daß ein Abgeordneter dieses Hauses, des Bundestages, der sich unwidersprochen als Deutschland-Experte bezeichnen läßt, auf eine entstellende Pressemeldung eingeht, diese ungeprüft hochspielt und eine bereits aufgeklärte Angelegenheit ohne jegliches Gespür für menschliche Schicksale als brandneuen Skandal zu verkaufen versucht.
Von Sachlichkeit, geschweige denn von Rechtsstaatlichkeit kann kaum die Rede sein, wenn dadurch Abgeordnete und mit ihnen ihre Familien ohne Rücksicht mit Schmutz beworfen werden und schuldlos Drohungen, anonyme Anrufe und schlimme Verdächtigungen ertragen müssen. Wo blieb, Herr Lintner, Ihre parlamentarische Kultur in Ihrem Übereifer nach Reinlichkeit?
Mir und meiner Familie jedenfalls haben Sie einen Schaden zugefügt, der nur schwer wiedergutzumachen ist.
In einer solchen Atmosphäre, wie sie dieser Tage für mich zu erleben war, ist eine Aufarbeitung der Vergangenheit alles andere als einfach. Dennoch ist sie nötiger denn je, und ich will trotz der eben gemachten schmerzlichen Erfahrungen ausdrücklich dazu ermutigen. Unsere ehemalige Fraktion Bündnis 90/ GRÜNE begann bereits im April damit. In einer Runde hatte jeder Abgeordnete der Fraktion seine ganz persönlichen Erfahrungen und Berührungen mit der Staatssicherheit ausgesprochen und allen anderen anvertraut. Diese Offenheit war ein entscheidender Schritt zum Aufbau eines Vertrauensverhältnisses. Eine Atmosphäre zu schaffen, in der Menschen sich freiwillig öffnen, ist das Gebot der Stunde, nicht aber eine Hatz auf vermeintlich Schuldige.
Überhaupt erfüllt eine Einteilung der Personen nach dem Schwarzweiß-Prinzip nicht jene Ansprüche, die an eine ehrliche Aufarbeitung und Bewältigung dieses dunklen Kapitels deutscher Geschichte zu stellen sind. Mitglieder von Untersuchungsausschüssen
Dr. Dörfler
und Bürgerkomitees haben mehrfach bestätigt, daß eine Kategorisierung von Menschen um so problematischer erscheint, je mehr man sich mit den konkreten Akten und den Zusammenhängen beschäftigt. Jedem, der über Geschichte und über Menschen urteilen will, sei daher dringend geraten, sich vorher gründlich an den Ausgrabungen zu beteiligen, statt vom Schreibtisch aus realitätsferne Schlagzeilen zu formulieren.
Nur die Entmystifizierung der Arbeitsmethoden der ehemaligen Staatssicherheit, allein das offene Gespräch darüber, können Altlasten abbauen helfen und verhindern, daß Denunziation, Erpressung und Korruption zu einer neuen Blüte gelangen werden.
Danke schön.