Rede von
Horst
Jaunich
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist doch gar keine Frage, daß durch das sogenannte Gesundheits-Reformgesetz etwas Neues auf dem Sektor eingeführt worden ist. Aber es ist doch auch unbestreitbare Tatsache, daß dieses bißchen Fortschritt jene bezahlen müssen, die chronisch krank sind. Herr Hoffacker, das ist doch der Skandal, den es festzuhalten gilt.
— Herr Hoffacker, Sie sollten nicht glauben, daß Sie mich ablenken können. Tatsache ist — ich wiederhole es für Sie gerne —, daß das bißchen, was durch das GRG eingeführt worden ist, die chronisch Kranken mit doppelten Leistungen bezahlen müssen.
Sie müssen auch sehen, daß dadurch nur ein Teil der in Frage kommenden Personen erfaßt wird, nämlich erstens wegen der leistungsrechtlichen, der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, und zweitens — Sie wissen doch ganz genau, wie viele Hoffnungen enttäuscht worden sind — wegen der eng gesetzten Maßstäbe.
Aber was mich schon erschüttert hat, ist, daß Herr Hoffacker so, wie er geredet hat — die Zukunftslösung zeichnet sich ja jetzt ab —, für die Gesamtfraktion reden konnte. Gibt es denn da eigentlich nicht so einen Flügel, der sich Arbeitnehmerflügel nennt? Gibt es den nicht mehr? Ist die CDA in dieser Union überhaupt nicht mehr vertreten? War es nicht der Herr Blüm, der kürzlich im Namen dieser CDA doch andere Lösungen wohl wissend propagiert hat, daß das, was er in dem sogenannten Gesundheits-Reformgesetz vorgelegt hat, eben nicht ausreichend ist.
Frau Beck-Oberdorf, trösten Sie sich, daß dieser Gesetzentwurf hier abgelehnt wird. Denn diese Bundestagsmehrheit hat ja auch schon andere Konzepte abgelehnt. Sie hat auch unser Konzept abgelehnt, obwohl es nur 6, 3 Milliarden DM gekostet hätte. Es war
als Einstiegslösung gedacht. Sie haben Ihren Weg ein bißchen breiter angelegt. Wir waren der Meinung: Man muß irgendwo anfangen; und wenn man keine eigene Mehrheit hat und um Mehrheiten kämpfen muß, ist es vielleicht ganz gut, wenn man sich ein wenig bescheidet.
An Ihrem Gesetzentwurf könnte man im Detail das eine oder andere kritisieren. Ich unterlasse das, weil ich mich lieber mit der rechten Seite des Hauses auseinandersetzen möchte. Denn diese Mehrheit des Deutschen Bundestages setzt die Prioritäten offensichtlich anders. Da ist nicht Geld für Pflege da; da hat man eben Geld für den Jäger 90 oder für 60 neue General-Stellen oder ähnliches.
— Schreien Sie nicht „Aha"! Das ist so, Herr Kollege Hoffacker. Es ist doch eine Prioritätenentscheidung, die Ihrer Ablehnung hier zugrunde liegt. Das ist doch gar keine Frage. Damit werden Sie sich auseinandersetzen müssen.
Es war doch vielleicht der naherückende Wahltermin, der den Herrn Bundesarbeitsminister in seiner Eigenschaft als Sozialpolitiker der Union, der einen Rückhalt in der Arbeitnehmerschaft sucht, dazu geführt hat,
daß er andere Vorstellungen zur Lösung des Problems der Pflegebedürftigkeit in der Öffentlichkeit entwik-kelt hat als ein Herr Hoffacker hier. Das, was Sie hier. soeben vorgeführt haben,
habe ich bisher eigentlich immer von der FDP gehört.
Ich sage Ihnen: Mit uns Sozialdemokraten kann man über eine solidarische Lösung reden. Eine solidarische Lösung könnte eine steuerfinanzierte sein, aber auch eine Versicherungslösung, die eine Volksversicherung ist und jeden und alle Einkunftsarten bei der Beitragsbemessung einbezieht.
In diesem Sinn werden wir unsere Anstrengungen im nächsten Deutschen Bundestag fortsetzen.
Eine Lösung, wie Sie sie hier mit Kapitalfonds und -stock vorführen, kann nicht die Probleme derer lösen, die bei Einführung bereits pflegebedürftig sind.
Die lassen wir also dann in dem Zustand, in dem sie sind.Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode - 23C. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1990 18239
Jaunich
Ihre Lösung kann auch nicht das Problem lösen, daß es nach wie vor Familien mit nur einem Verdiener gibt. Und der soll dann alle Kapitalstockdeckungs-beiträge für eine mehrköpfige Familie aus einem einzigen Einkommen erbringen?
Herr Kollege Hoffacker, das sind unausgegorene Vorstellungen; das sind gigantische Pläne für ein die privaten Versicherer stützendes Programm.
Damit wird das Problem der sozialen Absicherung bei Pflegebedürftigkeit nicht gelöst.
Dies ist eine Aufgabe, die spätestens der nächste Deutsche Bundestag lösen muß. Da kann mit uns nur über eine solidarische Lösung gesprochen werden, aber nicht über eine, die den Weg geht, den Sie hier vorzeichnen.
Zu dem Gesetzentwurf, den die GRÜNEN/Bünd-nis 90 vorgelegt haben, werden wir uns der Stimme enthalten, weil er in der Tat einiges zum Inhalt hat, was wir so nicht tragen können, und weil, auch durch die deutsche Einheit bedingt, das staatliche Finanzierungsvolumen derzeit nicht zur Verfügung steht.