Rede von
Dr.
Norbert
Blüm
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Wir rechnen den Sozialzuschlag nicht an und kommen, wie die Frau Kollegin vorgerechnet hat, zu einer Sozialzuschlagsanhebung, die Ihrem Gesetzentwurf entspricht. Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf 10% Erhöhung gefordert. Dieser
Dr. Blüm
Prozentsatz wird durch die Nichtanrechnung des Sozialzuschlags für die Rentnerin mit der Mindestrente von 330 DM genau erreicht.
Im übrigen: Die Preissteigerung in der ehemaligen DDR beträgt nicht 10 %. Dies sage ich, falls Sie dies als zweite Frage noch sagen wollten. Dennoch möchte ich noch einmal sagen: Die Erhöhung der Renten um 15 % ist nicht bedarfsorientiert, sondern lohnbezogen.
Herr Kollege Heyenn, lassen Sie mich das Weitere im Zusammenhang darstellen.
— Ich habe Ihnen doch gesagt, daß der Sozialzuschlag an die Stelle der Sozialhilfe tritt und daß die Sozialhilfe, wenn sie ausgebaut ist, diesen Sozialzuschlag sogar übertreffen wird. Aber Sie sollten die Sozialhilfe nicht madig machen. Ich wiederhole mich: Sie stigmatisieren die Sozialhilfeempfänger und deren Anspruch. Ich halte die Sozialhilfe für gerechter als den Sozialzuschlag.
Liebe Frau Kollegin Dräger, halten Sie es beispielsweise für gerecht, daß ein Rentner mit einer Rente von 330 DM einen Sozialzuschlag bekommt, obwohl er mit einem Ehepartner zusammenlebt, der einen hohen Verdienst — sagen wir einmal: 1 500 DM — hat? Sie bekommen den Sozialzuschlag, obwohl der Nachbar mit seiner Ehefrau nur eine Rente von 600 DM bekommt und diese von den 600 DM wirklich leben müssen. Dieses Ehepaar bekommt keinen Sozialzuschlag.
Ihre Philosophie wäre: Die Ehepartnerin eines Mannes, der 2 000 DM verdient, erhält, weil sie eine kleine Rente hat, einen Sozialzuschlag. Bei Licht betrachtet: Halten Sie das für gerecht?
— Was heißt denn „soziale Identität"? Sie machen so große Worte. Fahren Sie doch nicht gleich eine schwere Kanone auf.
Ich plädiere wirklich für ein Sozialhilferecht, das Armut bekämpft, und für eine Rente, die an die Lohnentwicklung gekoppelt ist. Kein Rentner muß „danke schön" für seine Rente sagen. Kein Rentner muß Jahr für Jahr zittern, ob für ihn etwas übrigbleibt. Wenn die Löhne steigen, steigen die Renten. Das ist das Moment der Selbständigkeit der Rentner.
Und endlich, nach 40 Jahren SED — in dieser Zeit haben die die Leute doch immer auf die Knie zum Betteln gebracht —, läuft jetzt die Rentenautomatik. Jahr für Jahr gibt es eine anständige Rentenanpassung. Die Löhne sind gestiegen. Deshalb gibt es im ersten Schritt 15% Rentenerhöhung, und die zweite Rentenanpassung in dem ehemaligen Gebiet der DDR folgt am 1. Juli.
Jetzt plädiere ich noch dafür, daß wir in ganz Deutschland — wir machen jetzt nicht zweierlei Poli-
tik — in der Tat dafür sorgen, daß Sozialhilfe und Rentner besser zusammenarbeiten; dafür bin ich. Ich bin nicht dafür, daß die Menschen von Schalter zu Schalter geschickt werden; das brauchen wir heute nicht mehr. Laßt die Formulare laufen, und laßt die Ämter besser zusammenarbeiten, damit auf diese Weise unnötige Gänge vermieden werden. Wir haben heute keine Ärmelschoner und keine Stehpulte mehr in der Verwaltung. Wir haben Datenbänke. Deshalb laßt die Formulare wandern und die Menschen in Ruhe. Das wäre mein Vorschlag zur Lösung des Problems. Aber wir brauchen eine saubere Trennung von Armutsbekämpfung, bedarfsbezogen und Rente, lei-stungsbezogen.
Ich will noch ein Thema nennen, von dem ich glaube, daß wir uns ihm widmen sollten. Die eigentlich, wie ich es sehe, schwerste soziale Einbuße erleiden die Witwen in der ehemaligen DDR. Wenn der Mann stirbt, stürzt das Einkommen auf eine Witwenrente von 90 DM herab. Die Witwen sind eine Gruppe, der wir uns gemeinsam zuwenden sollten.
Wenn das westdeutsche Rentenrecht am 1. Januar 1992 übernommen wird, wird sich die Lage der Witwen ja wesentlich verbessern. Denn unsere Witwenrente hat hier bisher 60 % betragen. Zu einer Anrechnung auf diese Witwenrente kommt es nur, wenn jemand eine sehr hohe Rente von über 1 000 DM hatte, und dann kommt es auch nur zu einer Anrechnung von 40%.
Also wird sich die Lage der Witwen mit der Übernahme des westdeutschen Rentenrechts verbessern. Es stellt sich schon die Frage, ob man da vorbereitend tätig werden kann. Denn ich glaube, das ist die wirklich arme Gruppe in der DDR.
Wir wollen nicht eine Politik mit Ideologie machen.
Hauen Sie doch nicht immer gleich mit dem großen Hammer, und unterstellen Sie uns nicht Opportunismus und Wahltaktik. Es ist doch gut, wenn die Leute etwas bekommen. Wahlen hin, Wahlen her, Hauptsache, die Sache ist gut. Ich halte 15% für gut, egal, ob Wahlen sind oder nicht. Ich kann nur fragen: Darf man gute Sachen jetzt nicht mehr vor Wahlen machen? Dann kann man so gut wie niemals mehr gute Sachen machen; denn es gibt immer Wahlen.
Liebe Frau Kollegin Dräger, ich habe — das scheint Ihnen entgangen zu sein — schon frühzeitig von einer vorzeitigen Rentenanpassung von mindestens 10% gesprochen. Wissen Sie, ich halte es immer damit, daß man mit Ankündigungen zurückhaltender sein und sich lieber von der Verwirklichung übertreffen lassen soll.
— So ist es. Ich bin lieber mit der Ankündigung zurückhaltender und lasse der Realisierung den Vortritt. Ich weiß, es gibt Sozialpolitiker, die den umgekehrten Weg bevorzugen und mehr ankündigen, als sie realisieren können.
Dr. Blüm
Ich bin zurückhaltend in der Ankündigung, und in der Verwirklichung bin ich ganz stark; das muß ich schon sagen.
Ich meine mit Ihnen, daß wir gemeinsam dafür sorgen sollten, daß die Beiträge fließen. Denn zur sozialstaatlichen Pflicht, wie wir sie gemeinsam verstehen, gehört nicht nur die Ausgaben-, sondern auch die Einnahmenseite. Aber da kann ich Sie beruhigen: Es ist schon einiges besser geworden. Wir sind nicht am Ziel. Aber alle Betriebe haben die Pflicht, dafür zu sorgen, daß Beiträge gezahlt werden. Denn die Rentenversicherung wird ja nicht vom lieben Gott bezahlt.
Ich glaube, es ist auch wichtig, die Rentenerhöhung dazu zu benutzen, um noch einmal auf die Kriegsopferversorgung aufmerksam zu machen, die es ab 1. Januar gibt. Die 15prozentige Rentenerhöhung wird auch die Kriegsopfer begünstigen. Der Einstieg ist 15% höher, als wir es selbst angesetzt haben. Im alten SED-Staat gab es gar keine Kriegsopferversorgung. Die hatten ja die Kriegsopfer alle in die Ecke gestellt. 310 000 Kriegsopfer sind vergessen worden.
— Ich habe gesagt: die SED.
— Nein, „SED-Staat" habe ich gesagt. Sind Sie so empfindlich? Sie haben die Richtung richtig verstanden. Also, um Gottes willen, ich habe Sie nicht mit der SED in einen Korb geworfen. Ich habe nur gesagt: Die Kriegsopfer sind vergessen worden. Das sind über 300 000 Mitbürger. Da halte ich es für eine gute Nachricht, über die wir uns gemeinsam freuen sollten, daß es ab 1. Januar eine ausgebaute Kriegsopferversorgung für eine Generation gibt, die nicht mehr am Anfang ihres Lebens steht, die deshalb nicht lange warten kann und daher ein Recht hat, jetzt eine Art Wiedergutmachung für ihre Opfer zu erfahren.
Deshalb wird die Rentenanpassung auch den Kriegsopfern zugute kommen.
Daher freue ich mich, daß Sie sich unserer Verordnung anschließen.
— Ihr Gesetzentwurf ist doch schlechter als unserer. 10 % sind doch weniger als 15 %. Oder kann ich nicht richtig rechnen? Laßt doch einmal die Rentner in der DDR wählen, ob ihnen 10% von der SPD oder 15% von der Regierungskoalition lieber sind.
Da bin ich ganz sicher, diese Wahl werden wir so gewinnen wie die Wahlen in der vergangenen Woche.
— Was ist denn die Unwahrheit? Für jedes Kind in der ersten Schulklasse sind 15 5 mehr als 10. Wir bieten eine Rentenerhöhung zum 1. Januar von 15%, und
Sie haben eine zum 1. Dezember von 10% vorgesehen.
— Darf ich die Frage noch beantworten, Herr Präsident?