Rede von
Dr.
Wolfgang
Ullmann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident!. Meine Damen und Herren Abgeordneten! Das Finanzgebaren der großen Parteien ist ein Problem der Demokratie. Was Herr Rühe hier vorgetragen hat, hat mir wieder einmal deutlich gemacht, woher das Problem kommt. Herr Rühe, wenn Sie sich hier auf Absprachen mit der SPD berufen,
dann besteht für mich keine gute Aussicht, daß wir hier bis zum 1. November zur Klarheit gelangen.
Was ich soeben gesagt habe, gilt für die ehemaligen Blockparteien der ehemaligen DDR, und es gilt natürlich erst recht für das Finanzgebaren der SED, die ich deutlich von der PDS unterscheiden muß, wie es die
Korrektheit verlangt. Ich werde hier anders vorgehen als Herr Bohl.
Die SED war das Zentrum dieses Systems, aber, meine Damen und Herren, sie war es als eine Partei, die sich als Volkspartei schlechthin gebärdete, d. h. als die Partei, die eigentlich von allen zu wählen sei, die das Ganze repräsentiere, die um sich herum nur Blockparteien kenne und die eine Opposition gar nicht mehr kenne. Dieses System der Volkspartei schlechthin hat zu jener unheilvollen Verwirrung von Volks-, Staats- und Parteieigentum geführt, deren katastrophale Auswirkungen uns allen bekannt sind. Aber die Aufklärung, die Entwirrung und Beseitigung dieses Systems ist noch nicht einmal in den Anfängen.
Die Volkskammer hat mehrere Anläufe zur Lösung dieser Aufgabe unternommen. Das ist von meinen Vorrednern bereits erwähnt worden. Ich nenne das Gesetz zur Überprüfung und zur Treuhandverwaltung der Parteivermögen, beschlossen mit erheblichen Emotionen. Um so merkwürdiger ist die Stille, die sich auf diesem Kampfplatz ausbreitete, als die Fusionsverhandlungen der Liberalen und der CDU mit ihren Schwesterparteien begannen.
Die Folge dieser Stille, meine Damen und Herren, war jener Vorstoß der DSU, der, in sich durchaus verständlich, aber an rechtsstaatlichen Bedenken, die ich teile, scheitern mußte.
Nun stellt sich die Frage: Was hat jetzt zu geschehen? Ich unterschreibe alle Forderungen, die meine Vorredner — Herr Rühe, ich hoffe, Sie machen Ihre Versprechungen auch wahr — erhoben haben, aber ich denke nicht, daß das das einzige Thema sein kann, über das heute zu sprechen sein wird, denn ich spreche von der Polizeiaktion gegen die Zentrale der PDS.
Natürlich müssen die Finanzverhältnisse dieser Partei endlich aufgeklärt werden. Man kann nicht zusehen, wenn dubiose Überweisungen stattfinden. Hier ist alles zu tun, was zur Überprüfung in treuhänderischer Verantwortung nötig ist. Aber ist das, was in Berlin geschehen ist, in irgendeiner Hinsicht als ein angemessenes Verfahren zu bezeichnen? Ich denke, hier könnte man sich schnell davonstehlen, indem man wohlfeile Empörung ausdrückt, wie es auch einige Presseorgane tun, und sagt: Es wäre besser gewesen, wenn man einen Durchsuchungsbefehl gehabt hätte, im übrigen aber in dieser Art der Aussprache zu erkennen gibt, daß es — die Atmosphäre, in der hier heute von rechts argumentiert worden ist, bestätigt mich in meinen Sorgen — genug Leute im Lande gibt, die jederzeit bereit sind, rechtsstaatliche Vorstellungen und Verpflichtungen fallenzulassen, wenn sie
Dr. Ullmann
nur meinen, den richtigen Gegner im Visier zu haben.
Hier wird es nun wirklich ernst. Gerade weil es sich um die PDS handelt, die eine Vergangenheit hat, die auf die SED zurückgeht, sage ich, Herr Rühe und Herr Bohl: Wenn sich bestätigen sollte, was Herr Gysi hinsichtlich der Verletzung seiner Abgeordnetenimmunität behauptet hat, kann die einzige mögliche Konsequenz nur der Rücktritt des Berliner Innensenators sein.
Die Sache ist auch in anderer Hinsicht ernst. Frau Däubler-Gmelin hat von der skandalösen Unaufge-klärtheit des Falles Schalck-Golodkowski gesprochen. Ich kann mich dem nur anschließen. Der Runde Tisch hat seit der ersten Dezemberwoche versucht, dieses Dunkel aufzuklären. Ich weiß noch ganz genau, was Herr Waigel sagte, als wir zu einem Regierungsbesuch in Bonn waren: Es muß alles auf den Tisch, und es muß restlos aufgeklärt werden, wie es um die Kassen in der DDR bestellt ist. Ich dachte: Der Mann hat recht. Wenn er uns dabei nur helfen würde! Er muß über erstrangige Quellen verfügen, er, der im Umkreis seines Parteifreundes Franz Josef Strauß großgeworden ist. Meine Damen und Herren, solange wir die moralische Energie zur Aufklärung dieses geheimen Wirtschaftssystems, das sich in der DDR und darüber hinaus ausgebreitet hat, nicht aufbringen, werden wir auch nicht dahin kommen, volle Klarheit über die Art und Weise zu gewinnen, wie mit dem Parteivermögen der SED und angeschlossener Parteien heute umgegangen wird.