Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir werden in den nächsten zehn Jahren in Deutschland ungefähr fünf Millionen Wohnungen bauen müssen. Die Frage ist, wohin wir sie eigentlich bauen. Das sind ungefähr 15 % des heuti-
gen Wohnungsbestandes, und es stellt sich deswegen bei der Bekämpfung der Wohnungsnot nicht nur das quantitative Problem, woher wir die große Zahl von neuen Wohnungen bekommen, sondern es stellt sich auch das qualitative Problem, ob dieser Neubau an Wohnungen, der erforderlich ist, im Rahmen einer geordneten, ökologisch vernünftigen und infrastrukturell vernünftigen Stadtentwicklung erfolgt oder ob wir die Wohnungen irgendwo irgendwie bauen, wo es denn gerade geht, und damit die Bausünden produzieren, die uns in fünf oder zehn Jahren wieder bitter leid tun werden.
Heute morgen hat der Bauausschuß des Deutschen Bundestages die Gesetzesinitiative der Sozialdemokraten zur Bekämpfung der Wohnungsnot leider abgelehnt. Das wäre eine Chance gewesen, mit energischen Maßnahmen die Wohnungsnot zu bekämpfen, und zwar sowohl durch verstärkte Förderung des sozialen Mietwohnungsbaus als auch durch ein sozialeres Mietrecht als auch durch verbesserte Förderung des selbstgenutzten Wohneigentums als auch durch Zinshilfen, aber auch durch Mobilisierung von Bauland. Wir haben in unserem Gesetzentwurf einige Maßnahmen vorgesehen, die den Städten und Gemeinden helfen sollen und können, Bauland über das hinaus zu mobilisieren, was im Augenblick möglich ist: Vorkaufsrecht der Städte und Gemeinden zum Verkehrswert, die Möglichkeit einer besonderen Besteuerung von spekulativ vorgehaltenem Grund und Boden, Baugebot. Dieser Gesetzentwurf ist heute morgen im Bauausschuß des Deutschen Bundestages gescheitert. Damit ist eine wichtige Chance vertan, Wohnungsnot erfolgreich zu bekämpfen. Zur Bekämpfung der Wohnungsnot gehört eben auch die Zurverfügungstellung hinreichenden Baulandes. Dazu gehört als Partikelchen — nicht als die große Lösung, aber durchaus als ein Aspekt, der auch eine Rolle spielt — die Frage, wie denn eigentlich die öffentliche Hand, der Bund, die Länder und die Gemeinden, mit dem Grund und Boden umgehen, den sie zur Verfügung haben, und ob sie diesen Grund und Boden für sozialen Wohnungsbau, für sozialen Mietwohnungsbau oder auch für selbstgenutztes Wohneigentum, zur Verfügung stellen. Dies ist in den Ballungsbereichen, in den Städten und Gemeinden, in denen die Grundstückspreise inzwischen explodiert sind, besonders wichtig.
Man kann in Städten und Gemeinden, in denen Grund und Boden 300 DM, 500 DM oder - was es inzwischen ja auch gibt — 1 000 DM pro Quaratmeter kosten, sozialen Wohnungsbau nicht mehr realisieren, weil allein die Grundstückspreise dazu führen, daß die Kostenmiete, die beim sozialen Wohnungsbau als Maximalmiete eingehalten werden muß, nicht eingehalten werden kann.
Deshalb ist es bei der Bekämpfung der Wohnungsnot in den Ballungszentren ganz wichtig, daß wir Grund und Boden zur Verfügung haben, der bezahlbar ist und auf dem Wohnungen gebaut werden können, die eine Miethöhe erreichen, die in den Rahmen des sozialen Wohnungsbaus hineinpaßt.
Müntefering
Nun haben der Bund und auch die Länder und die Kommunen Grund und Boden. Unsere Forderung richtet sich natürlich auch an Länder und Kommunen, aber eben auch an den Bund.
Der Bund muß die Grundstücke, die er verfügbar hat, für den sozialen Wohnungsbau, speziell für den sozialen Mietwohnungsbau, in den Ballungszentren bereitstellen. Er muß sie den Städten und Kommunen zur unmittelbaren Umsetzung für den Wohnungsbau anbieten, und er muß das zu Preisen tun, die von den Städten und Gemeinden gezahlt werden können.
Es reicht nicht, wenn der Bund heute sagt: Wir machen einen Abschlag von bis zu 15%. Wenn ein Grundstück nach dem Verkehrswert heute 300 DM, 500 DM oder 1 000 DM pro Quadratmeter kostet, dann reichen diese 15% Abschlag nicht, um die Grundstücke für den sozialen Wohnungsbau bezahlbar zu machen.
Die Sozialdemokraten fordern, daß diese Grundstücke mit bis zu 50%iger Verbilligung an die Städte und Gemeinden gegeben werden. Bisher beruft sich der Finanzminister darauf, daß ihm dafür die gesetzlichen Grundlagen fehlen. Wir wollen diese gesetzlichen Grundlagen schaffen. Deshalb versuchen wir mit diesem Antrag, den nötigen Anstoß dazu zu geben.
Unser Ziel ist: Der Bund gibt seinen Grund und Boden mit einem Abschlag von bis zu 50 % für den sozialen Wohnungsbau, nicht für andere Zwecke. Er soll schnell dafür genutzt werden und soll langfristig für Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus zur Verfügung stehen.
Ich sage noch einmal: Wenn in den Städten und Gemeinden, in den Ballungskernen die Baulandfrage für den sozialen Wohnungsbau nicht geklärt wird, dann gibt es in diesen Bereichen keine Chance, die nötigen Vorhaben beim Neubau zu realisieren.
Es kommt noch ein besonderer Aspekt hinzu — ich nehme hier den Zwischenruf des Kollegen Müller auf —: Wir werden mit der Abrüstung hoffentlich vorankommen und werden militärische Areale in den Städten und Gemeinden zur Verfügung haben, oft Filetstückchen. Deshalb appelliere ich an die Bundesregierung über das hinaus, was jetzt in unserem Antrag steht: Seien Sie bereit, aufzulisten, was da zur Verfügung gestellt werden kann! Seien Sie bitte schön bereit, mit den Städten und Gemeinden sowie mit denen, die sozialen Wohnungsbau realisieren, Sonderregelungen über das hinaus zu treffen, was an normalem Grund und Boden zur Verfügung gestellt werden kann!
Sorgen Sie dafür, daß das, was an bisher militärisch genutzten Arealen vorhanden ist, so schnell wie möglich den Städten und Gemeinden überlassen wird, damit sie dafür sorgen können, daß dort sozialer Wohnungsbau schnell realisiert wird, der dann langfristig zur Verfügung steht!
Achten Sie bitte darauf, daß die Standorte nicht an der falschen Stelle geschleift werden. Wir haben die Bundesregierung gefragt, was sie denn tue, damit
Standorte, wenn sie jetzt abgebaut werden, dort abgebaut werden, wo das aus infrastrukturellen und regionalen Gesichtspunkten besonders wichtig ist. Es ist zwar gut, wenn Standorte, die tief im Wald liegen, verschwinden. Aber sie sind kein Gewinn an Grund und Boden, der verfügbar gemacht werden kann. Wenn aber in den großen Städten und Gemeinden, in den Ballungsbereichen, da, wo die Wohnungsnot am stärksten ist, solcher Grund und Boden im Bereich attraktiver Lagen — das ist ja oft so — zur Verfügung gestellt wird, dann ist das eine große Hilfe bei der Realisierung von Neubauten in diesen Bereichen.
Deshalb richte ich über die Forderung hinaus, die in unserem Antrag steht, den Appell an die Bundesregierung und an die Koalition, sich endlich um diese Fragen zu kümmern und es nicht dem Zufall zu überlassen, wo Standorte verschwinden und was mit den Grundstücken passiert. Wir fordern Sie auf, ganz gezielt darauf zu dringen und zusammen mit dem Städte- und Gemeindebund sowie mit dem Deutschen Städtetag dafür zu sorgen, daß attraktive Plätze für die erforderliche Realisierung von Wohnungsneubau zur Verfügung gestellt werden.
Wir brauchen jetzt ganz besonders in den großen Städten und Gemeinden, in den Ballungsbereichen mehr Wohnungen und nicht mehr Panzer. Deshalb ist es ganz wichtig, daß wir die Chance der Abrüstung an dieser Stelle nutzen.
Wir Sozialdemokraten wollen mit diesem Antrag einen neuen Impuls geben, damit wir an dieser Stelle vorankommen. Baulandbeschaffung ist bei der Bekämpfung der Wohnungsnot ein erstrangiges Problem. Deshalb haben wir diesen Antrag gestellt.