Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Embryonenschutzgesetz betreten wir, wenn ich es richtig sehe, rechtspolitisches Neuland. Wir greifen durch strafrechtliche Verbote in Bereiche der Forschung ein. Wir verbieten schon jetzt die Anwendung therapeutischer Maßnahmen, die technisch noch nicht ausgereift sind, die aber ganze künftige Generationen verändern könnten.
Wenn dieses Gesetz zunächst die Grenzen der Anwendung der neuen Methoden der In-vitro-Fertilisa-tion und verwandter Verfahren festlegt, so wird es sich bewußtseinsbildend bei allen Fragen des Schutzes menschlichen Lebens auswirken.
Sicher, nicht alle Rechtsprobleme der sogenannten Fortpflanzungsmedizin konnten in diesem Gesetz geregelt werden. Das betrifft vor allem auch die Problematik der heterologen Insemination, also der Herbeiziehung eines Samenspenders. Die Mehrheit im Rechtsausschuß hat sich gegen eine gesetzliche Regelung zu diesem Zeitpunkt ausgesprochen. Ich halte diesen Beschluß auch für richtig, obwohl ich mich selbst lange Zeit für ein strafrechtliches Verbot der heterologen Insemination ausgesprochen habe. Ich habe aber doch starke Bedenken bekommen, ob ein solches Verbot verfassungsrechtlich Bestand haben würde.
Deswegen hatte ich persönlich im Juni dieses Jahres versucht, in einem eigenen Vorschlag diese Problematik zu regeln. Ich mußte aber erkennen, daß die Diskussion über diesen Punkt weitere Fragen, besonders auch verfassungsrechtlicher Art, nach sich zog, so daß der zeitliche Rahmen für die Behandlung des Embryonenschutzgesetzes in Frage gestellt war; denn für Regelungen des Schutzes des menschlichen Embryos ist es höchste Zeit. Ich befürchte, daß die bisherigen standesrechtlichen und sonstigen mehr freiwilligen Regelungen nicht mehr sehr lange Bestand haben können. Der Gesetzgeber ist deswegen gefordert. Wenn wir auch manche andere Vorschrift für wichtig und ihre Gegenstände für regelbedürftig ansehen, sollte an diesen Problemen die Zustimmung zum Embryonenschutzgesetz nicht scheitern.
Ich möchte auch nochmals auf den Zwiespalt hinweisen, in dem ich mich selbst und mit mir wahrscheinlich viele andere befinden: Auf der einen Seite lehne ich für mich alle diese Praktiken der Fortpflanzungsmedizin aus Gewissensgründen, die natürlich von meinen religiösen Überzeugungen geprägt sind, ab. Auf der anderen Seite sehe ich mich aber außerstande, von anderen Menschen dieselbe Einstellung zu verlangen. Ganz besonders gilt das für die Menschen und besonders für die Frauen, die sich nichts sehnlicher wünschen als ein eigenes Kind.
Was bringt uns nun das Embryonenschutzgesetz in der Fassung, wie sie der Rechtsausschuß erarbeitet hat?
Seesing
Erstens. Es wird untersagt, auf eine Frau eine fremde unbefruchtete Eizelle zu übertragen, um sie dann im Körper dieser Frau natürlich oder künstlich zu befruchten, wobei der Begriff „künstlich" immer nur das Verfahren meinen kann. Daran, daß die Befruchtung durch die Verschmelzung der Kerne von Eizelle und Samenzelle geschieht, ändert allerdings auch das technische Verfahren nichts.
Zweitens. Eine Eizelle darf nur befruchtet werden, um bei der Frau eine Schwangerschaft herbeizuführen, von der die Eizelle stammt. Das bedeutet, daß die gezielte Erzeugung — oder härter ausgedrückt: Herstellung — menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken verboten ist und mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe geahndet wird.
Jahrelang ist kontrovers über die Problematik diskutiert worden. Als Ergebnis dieser Diskussion stellte sich heraus, daß ein Schweigen des Gesetzgebers als ein Votum für die Duldung solcher Experimente gewertet würde. Genau das wollen wir nicht.
Das britische Parlament hat die Erzeugung von Embryonen für bestimmte Forschungen unter ganz bestimmten, doch schon einengenden Bedingungen zugelassen. Danach müssen diese Embryonen spätestens am 14. Tag nach der Erzeugung entweder in eine Frau eingesetzt oder getötet werden.
Wir haben unsere Verfassung mit den Art. 1 und 2 geschaffen, um den Staat für alle Zukunft zum Schutz der Menschenwürde zu zwingen. Um jegliche Manipulationsmöglichkeit auszuschalten, muß der Schutz vom Anfang bis zum Ende des Lebens reichen.
Drittens. Dieser Schutz beginnt im Augenblick der Entstehung menschlichen Lebens, d. h. im Augenblick der Verschmelzung der Kerne von Eizelle und Samenzelle. Ohne diese genaue Festlegung, die in § 8 des Gesetzes vorgenommen wird, wären die Vorschriften des Gesetzes sinnlos. Es gibt weder naturwissenschaftlich noch rechtlich noch religiös eine andere Lösungsmöglichkeit, wenn wir die Herstellung von Embryonen z. B. zu Forschungszwecken unterbinden wollen.
Viertens. Höchstens drei Embryonen dürfen auf eine Frau übertragen werden, um eine Schwangerschaft zu erleichtern. Es dürfen auch nicht mehr Eizellen befruchtet werden, als übertragen werden dürfen. Aber ein Verbot, mehr als drei Eizellen zu gewinnen, halte ich im Interesse der behandelten Frau für nicht in Ordnung. Wieso kann man z. B. vor der Entnahme bereits wissen, daß die drei Eizellen alle befruchtungsfähig sind? Die Frau, die sich der Prozedur einer In-vitro-Fertilisation unterzieht, hat so schon genug zu ertragen. So sollte ihr die mehrmalige Entnahme von Eizellen in einem Zyklus erspart bleiben. Ich möchte an dieser Stelle wenn schon nicht davor warnen, dann doch wenigstens fordern, daß die Frau ganz genau über das aufgeklärt wird, was da auf sie zukommt.
Fünftens. Die verbrauchende Forschung an und der Handel mit sogenannten überzähligen Embryonen
werden strafrechtlich verboten. Das letztere wird von allen Leuten verstanden, beim ersteren werden Fragen gestellt. Die Schwierigkeiten kommen doch da-
her, daß der überzählige — d. h. nicht auf eine Frau transferierbare — Embryo ohnehin dem Tod geweiht ist. Man kann sich fragen, ob es aus ethischer Sicht nicht vertretbar sei, diesem ungewollt nutzlosen Leben noch einen Sinn zu geben und es hochrangigen Forschungszielen dienen zu lassen. Aber: Was sind hochrangige Forschungsziele?
Bisher habe ich noch von keinem hochrangigen Forschungsziel gehört, zu dessen Erreichung man gegenwärtig menschliche Embryonen verbrauchen müßte. Und wenn man ein solches Ziel wirklich finden würde, ist es doch sehr fraglich, ob sich die Forschung dann mit einzelnen überzähligen Embryonen zufriedengeben würde. Ich befürchte, daß sie dann viele gezielt hergestellte Embryonen benutzen müßte und möchte. Auch halte ich die Freigabe solcher Experimente nur für einen Anfang, der zu der Gefahr führt, daß Dämme einstürzen: Zuerst sind es nur die zehn Tage alten Embryos, dann die sechs Wochen oder zwölf Wochen alten — und dann? Im übrigen sehe ich in Art. 5 Abs. 3 unseres Grundgesetzes keine verfassungsrechtliche Grundlage für den Forscher, menschliches Leben zu töten, um Erkenntnisgewinne zu erreichen.
Sechstens. Lange habe ich mich für ein totales Verbot der Geschlechtswahl durch Spermienselektion
ausgesprochen. In § 3 des Gesetzentwurfes wird das Verbot auch ausgesprochen; selbst die Überschrift des Paragraphen ist verschärft worden.
Ich habe aber eingesehen, daß einem Ehepaar nicht zugemutet werden kann, das volle Risiko einzugehen, bei einer vorhandenen geschlechtsgebundenen Erbkrankheit ein krankes Kind zu erhalten, wenn künftig die Möglichkeit besteht, durch Spermienselektion ein gesundes Kind zur Welt zu bringen. Ich persönlich habe auch die Verbindung zu einer möglichen Abtreibung gesehen, die jetzt verhindert werden kann. Der Rechtsausschuß hat mit seinem Beschluß rechtlich sehr enge Grenzen gesetzt und die Ausnahmen wirklich auf ganz wenige Erbkrankheiten beschränkt. Die Bluter gehören z. B. nicht zu diesen Ausnahmen.
Siebtens. Auf Vorschlag der Kollegen der SPD ist im Gesetzentwurf verankert worden, daß die wissentliche Befruchtung einer Eizelle mit dem Samen eines schon verstorbenen Mannes strafrechtlich geahndet werden muß, wobei die betroffene Frau von einer strafrechtlichen Verfolgung ausgenommen werden soll.
Achtens. Von besonderer Bedeutung ist das Verbot der künstlichen Veränderung menschlicher Keimbahnzellen. Schon die Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie" hat ein solches Verbot gefordert.
Der Bundestag hat sich mehrfach für ein solches Verbot ausgesprochen, so bei der Abschlußberatung des Berichts der Enquete-Kommission im Oktober 1989 und bei der Verabschiedung des Gentechnikgesetzes im März dieses Jahres.
Seesing
In Teilen der Öffentlichkeit stößt das Verbot auf Kritik. Es wird gefragt, ob wir Politiker denn nicht die Heilung von schwersten Erbkrankheiten durch Gentransfer in Keimbahnzellen oder totipotente Zellen erreichen wollten. Natürlich wollen auch Politiker die Heilung von Krankheiten. Aber die Frage ist doch eine ganz andere. Vielleicht geht es heute nur um eine Krankheit. Morgen sind es dann schon andere Eigenschaften eines Menschen. Wie soll also der Mensch denn letztlich aussehen, der da verändert werden soll? Wollen wir eventuell eine Welt mit nur schönen und gesunden Menschen? Sind wir noch bereit, Behinderte und Behinderungen anzunehmen?
Wenn wir in der nächsten Wahlperiode die Probleme der Genomanalyse zu diskutieren haben, dann werden sich diese Fragen neu und verschärft stellen. Das Problem der sogenannten Keimbahntherapie liegt ja insbesondere darin, daß alle Nachkommen eines Menschen betroffen sind, der aus der Verschmelzung der Kerne einer gentechnisch veränderten Eizelle und einer möglicherweise ebenso behandelten Samenzelle entstanden ist. Das wäre der klassische Fall von Menschenzüchtungen, und die wollen wir nicht.
Neuntens. Daß wir das Klonen und die Chimären– und Hybridbildung verbieten müssen, darüber gibt es Einigkeit im Hause. Deswegen ist es notwendig zu erklären, warum die Koalition einen weitergehenden Antrag der SPD-Fraktion abgelehnt hat, der vorsah, die Befruchtung einer menschlichen Eizelle mit dem Samen eines Tieres oder einer tierischen Eizelle mit dem Samen eines Menschen zu bestrafen.
Um die Befruchtungsfähigkeit männlichen Samens
festzustellen, ist heute der sogenannte Goldhamstertest weit verbreitet. Viele menschliche Samenzellen können nur deswegen nicht eine Befruchtung herbeiführen, weil sie die äußere Eihülle nicht durchdringen können. Diese Eihülle bei einer Frau hat die gleichen Eigenschaften wie die Eihülle eines Goldhamsters. So können bei den in großer Zahl anfallenden Goldhamstereizellen die notwendigen Versuche durchgeführt werden.
Ein Verbot aber müßte die jetzigen Möglichkeiten zur Feststellung der Ursachen der Unfruchtbarkeit und ihrer Behandlung stark einschränken. Da die Männer zu etwa 40 % ausschließlich und zu weiteren 20 % zusammen mit der Frau für die Unfruchtbarkeit bei einem Paar verantwortlich sind, könnte ein Verbot wieder ganz zu Lasten der Frau gehen. Bis Ersatztests ausreichend zur Verfügung stehen, sollte deswegen auf ein Verbot verzichtet werden.
Zehntens. Der Rechtsausschuß hat einen Arztvorbehalt in den Gesetzentwurf eingefügt und damit eine Forderung des Bundesrats erfüllt. Danach darf nur der Arzt die Konservierung eines menschlichen Embryos oder einer Eizelle, in die eine Samenzelle eingedrungen oder künstlich eingebracht worden ist, vornehmen.
Ich will ganz deutlich machen, daß die Konservierung vom Embryonen nur ausnahmesweise zuzulassen ist, wenn der Gesundheitszustand der Frau den Transfer vorübergehend nicht erlaubt, die Frau diesen aber weiterhin wünscht. Ich kann mir vorstellen, daß wir diesen Punkt in einem Fortpflanzungsmedizinge-
setz genau festlegen müssen. Ich möchte auch vorschlagen, gleich zu Beginn der nächsten Wahlperiode die dafür notwendigen Grundgesetzänderungen auf den Weg zu bringen.
Meine Damen und Herren, ich weiß, daß die Mitglieder des Hauses die Problematik „Schutz des menschlichen Lebens" sehr ernst nehmen. Ich weiß auch, daß der Gesetzentwurf noch Mängel aufweist. Aber er zeigt einen richtigen Weg an. Ich kenne zur Zeit kein Land, das einen ähnlich strengen Schutz des Menschen gesetzlich geregelt hat. Ich hoffe aber, daß viele sich auch um diese Frage bemühen. Deswegen sollten wir schon ein Zeichen setzen.
Ich bitte Sie daher um Zustimmung zum Embryonenschutzgesetz.