Rede von
Willi
Hoss
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das, was sich hier zuletzt abgespielt hat, dieser lustige Streit über 10 oder 15%,
— Herr Blüm, Sie können gern eine Frage stellen; lassen Sie mich aber erst einmal drei Minuten reden. Ich freue mich darauf, daß Sie fragen. Aber ich habe mich noch gar nicht äußern können, und die Zeit läuft mir weg. Ich habe fünf Minuten. Jetzt steht die Zeitanzeige schon auf „4".
— Jetzt machen Sie genau da weiter, wo Sie vorhin hier aufgehört haben.
Grundsätzlich ist es gut, daß für die Rentner am 1. Dezember etwas gemacht wird. Das Problem besteht darin, daß durch die Entwicklung in der ehemaligen DDR, insbesondere die Lohnentwicklung und die Preisentwicklung, die Frage aufgeworfen wurde, ob nicht angesichts dessen, daß sich die Rentner nicht wehren können, sondern darauf angewiesen sind, daß die Renten erhöht werden, etwas geschehen müsse.
Wir waren die ersten — Herr Blüm, Sie wissen das genau —, die im Ausschuß den Begriff der „scala mobile" in die Debatte eingeführt und gesagt haben, daß man rechtzeitig daran denken müsse, eine gleitende Anpassung der Rentenniveaus an das Lohn- und Preisgefüge der DDR vorzusehen.
Grundsätzlich ist also zu begrüßen, daß erhöht wird.
Im Gegensatz zu vorherigen Verlautbarungen sollen nun auch die Kleinrenten — und das ist gut — nicht vollständig ausgeschlossen werden. Nach dem alten von Ihrer Seite diskutierten Konzept war es nämlich so, daß es bei den Kleinrenten überhaupt keinen Zuwachs geben sollte, weil Sie bei 495 DM gedeckelt und gesagt haben, daß es nicht darüber hinausgehen werde.
Durch die Art der Anhebung erhalten die Bezieher und Bezieherinnen kleiner Renten zwar mehr Geld, werden aber zugleich abgekoppelt, indem der Sozialzuschlag nicht dynamisiert, sondern eingefroren und nur der Rententeil angehoben wird.
Beispiel: Lag die Mindestrente bisher bei 330 DM, so erhöht sie sich jetzt um 15 % auf 379, 50 DM. Zusammen mit dem eingefrorenen Sozialzuschlag ergibt sich daraus eine Rente von 544, 50 DM.
— Das entspricht einer Gesamterhöhung — da haben Sie recht, Herr Blüm — von 10%.
Jetzt muß aber die Frage gestellt werden: Auf wen trifft die 10 %ige Erhöhung zu, und auf wen trifft eine echte 15%ige Erhöhung zu? Der Anhebungsmodus hat im Mindestsicherungsbereich zur Folge: Je niedriger die Rente, desto niedriger die prozentuale Anpassung.
15% werden erst bei Eigenrenten ab 495 DM gewährt. Alle, deren Rente darunter liegt, bekommen
nicht die 15%, sondern weniger. Mehr als 400 000 Kleinstrentner werden also mit 10% abgespeist.
Das sind zu 80 bis 90 % Frauen, Herr Blüm. Das müssen Sie auch sehen.
Hier schmelzen Sie die Rente insgesamt ab, in erster Linie bei der Mehrheit der Frauen. Das zeigt, daß Sie nicht für die Sicherung einer eigenständigen Frauenrente sind und daß Sie nicht dafür sind, daß solche Rentenanwartschaften aufgebaut werden können.
Zweitens wird grundsätzlich an dem im Einigungsvertrag formulierten Ziel festgehalten, den Sozialzuschlag nach und nach bis 1995 abzuschmelzen. Wenn damit jetzt noch nicht begonnen wird, dann hat das zwei einfache Gründe:
Der erste ist der, daß Sie mit den Sozialämtern noch nicht so weit sind,
daß Sie es gar nicht können, so sagen: Wir müssen für diese Erhöhung diese Regelung finden. Aber Sie sagen gleichzeitig, daß dann, wenn die Sozialämter aufgebaut sind — das haben Sie hier heute auch gesagt —, mit der Abschmelzung des Sozialzuschlags begonnen bzw. dieser durch Beiträge aus der Sozialhilfe ersetzt wird.
Der zweite Grund, warum Sie die alte Lösung nicht durchbringen, ist, daß Sie mit Blick auf die im Dezember anstehenden Wahlen Negativschlagzeilen fürchten, wenn ausgerechnet die Ärmsten der Armen leer ausgehen, wenn man das so gemacht hätte, wie Sie das wollen.
Bei alldem hat man nur eines im Blick: Es darf auf Dauer — das ist das Entscheidende — keine Mindestsicherung geben, weder in der ehemaligen DDR noch bei uns, obwohl auch bei uns die Probleme wachsen. Das haben Sie hier noch einmal gesagt. Sie wollen die Kleinstrentner, nachdem das alles abgeschmolzen ist, auf die Sozialhilfe verweisen und wollen, daß diese Menschen in die Sozialhilfe abgeschoben werden.
— Das spielt doch keine Rolle! Es ist doch so, daß auch bei uns die Zahl der Sozialhilfeempfänger, die Zahl der Rentner, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, zunimmt.
Dafür brauchen wir eine neue Lösung. Sie wollen, daß immer mehr Rentner auf die Sozialhilfe verwiesen werden. Wir dagegen wollen, daß wir eine menschen-
Hoss
würdige Lösung finden, die davon ausgeht, daß eine Mindestrente geschaffen wird.