Protokoll:
11095

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 11

  • date_rangeSitzungsnummer: 95

  • date_rangeDatum: 23. September 1988

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 14:03 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/95 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 95. Sitzung Bonn, Freitag, den 23. September 1988 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 6481 A Zur Geschäftsordnung Seiters CDU/CSU 6481 B Jahn (Marburg) SPD 6482 B Häfner GRÜNE 6482 C Frau Schilling GRÜNE 6483 D Ronneburger FDP 6484 A Tagesordnungspunkt 21: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Scheer, Dr. Soell, Verheugen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Einberufung einer zweiten Konferenz der Nicht-Kernwaffenstaaten (Drucksache 11/2202) Brandt SPD 6484 C Lummer CDU/CSU 6486 C Ebermann GRÜNE 6487 C Dr. Feldmann FDP 6488 D Schäfer, Staatsminister AA 6490 B Lowack CDU/CSU 6491 D Dr. Scheer SPD 6492 C Tagesordnungspunkt 22: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Konsequenzen aus der Katastrophe des Flugtages in Ramstein am 28. August 1988 (Drucksache 11/2897) Frau Dr. Götte SPD 6493 D Kossendey CDU/CSU 6495 B Frau Schilling GRÜNE 6497 B Ronneburger FDP 6498 C Heistermann SPD 6500 D Dr. Uelhoff CDU/CSU 6502 A Dr. Scholz, Bundesminister BMVg . . . 6504 A Tagesordnungspunkt 23: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Lammert, Porzner, Beckmann, Bernrath, Biehle, Buschbom, Cronenberg (Arnsberg), Esters, Eylmann, Dr. Göhner, Grunenberg, Günther, Dr. Haussmann, Dr. Hoffacker, Dr. Jenninger, Kleinert (Hannover), Lamers, Lennartz, Louven, Marschewski, Dr. Mertens (Bottrop), Neuhausen, Niggemeier, Reddemann, Frau Renger, Repnik, Reuschenbach, Dr. Scheer, Schmidbauer, Schreiber, Stücklen, Tillmann, Frau Dr. Timm, Frau Traupe, Dr. Unland, Wolfgramm (Göttingen) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Einsetzung und Verfahren von Untersuchungsausschüssen des Deutschen Bundestages (Drucksache 11/1896) b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse (Untersuchungsausschußgesetz) (Drucksache 11/2025) Dr. Langner CDU/CSU 6506 B Wiefelspütz SPD 6509 A Kleinert (Hannover) FDP 6510 D Schily GRÜNE 6512B Dr. Lammert CDU/CSU 6513 D Porzner SPD 6515 C II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1988 Zusatztagesordnungspunkt: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurfs zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung, des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten (Drucksache 11/2834) Engelhard, Bundesminister BMJ 6516 C Dr. de With SPD 6517 C Dr. Stark (Nürtingen) CDU/CSU 6520 A Frau Dr. Vollmer GRÜNE 6522 D Kleinert (Hannover) FDP 6524 C Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI . 6525 D Wüppesahl fraktionslos 6526 C Graf SPD 6528 C Dr. Hirsch FDP 6529 D Nächste Sitzung 6530 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 6531* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1988 6481 95. Sitzung Bonn, den 23. September 1988 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein 23. 9. Bahr 23. 9. Dr. Bangemann 23. 9. Frau Beck-Oberdorf 23. 9. Bindig** 23. 9. Dr. Bötsch 23. 9. Bohl 23. 9. Borchert 23. 9. Brauer 23. 9. Brück 23. 9. Catenhusen 23. 9. Clemens 23. 9. Frau Conrad 23. 9. Frau Dr. Däubler-Gmelin 23. 9. Dr. Dollinger 23. 9. Dr. Ehrenberg 23. 9. Frau Eid 23. 9. Eylmann 23. 9. Frau Fischer** 23. 9. Francke (Hamburg)** 23. 9. Gansel 23. 9. Gattermann 23. 9. Frau Geiger' ' 23. 9. Dr. Glotz 23. 9. Dr. Götz 23. 9. Dr. Haack 23. 9. Dr. Hauff 23. 9. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 23. 9. Frau Hensel 23. 9. Frau Hoffmann (Soltau) 23. 9. Dr. Holtz** 23. 9. Hüser 23. 9. Irmer** 23. 9. Dr. Kappes 23. 9. Frau Kelly 23. 9. Kleinert (Marburg) 23. 9. Dr. Köhler (Wolfsburg) 23. 9. Kolbow' ' 23. 9. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Kraus 23. 9. Dr. Kreile 23. 9. Frau Männle 23. 9. Magin 23. 9. Meyer 23. 9. Müller (Wadern) 23. 9. Niggemeier 23. 9. Frau Odendahl 23. 9. Frau Olms 23. 9. Opel 23. 9. Frau Pack 23. 9. Paintner 23. 9. Pfeifer 23. 9. Dr. Pinger 23. 9. Dr. Pohlmeier** 23. 9. Reschke 23. 9. Reuschenbach 23. 9. Dr. Scheer' 23. 9. Frau Schmidt (Nürnberg) 23. 9. Dr. Schneider (Nürnberg) 23. 9. Schreiber 23. 9. Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd) 23. 9. Schwarz 23. 9. Spilker 23. 9. Spranger 23. 9. Dr. Stavenhagen 23. 9. Dr. Stercken** 23. 9. Dr. Stoltenberg 23. 9. Frau Teubner 23. 9. Tietjen 23. 9. Frau Dr. Timm** 23. 9. Frau Trenz** 23. 9. Vosen 23. 9. Dr. Waigel 23. 9. Westphal 23. 9. Frau Wieczorek-Zeul 23. 9. Dr. Wittmann 23. 9. Zywietz 23. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an der 80. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union
Gesamtes Protokol
Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109500000
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Fraktion der CDU/CSU hat beantragt, die heutige Tagesordnung um die erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurfs zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung, des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten — Drucksache 11/2834 — zu erweitern. Die Vorlage soll heute als letzter Punkt mit einer Beratungszeit von einer Stunde aufgerufen werden.
Außerdem hat die Fraktion DIE GRÜNEN beantragt, die heutige Tagesordnung um den Antrag „Einstellung von Flugveranstaltungen, Abschaffung von Tiefflügen" auf Drucksache 11/2904 zu erweitern.
Hierzu wird das Wort zur Geschäftsordnung erbeten? — Bitte, Herr Abgeordneter Seiters.

Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1109500100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe hier eine Agenturmeldung vom gestrigen Tage: GRÜNE: Union will Sicherheitsgesetze durchpeitschen; scharfe Kritik der GRÜNEN an der Absicht der Unionsfraktion, die erste Beratung über eine Verschärfung der Sicherheitsgesetze überraschend am Freitag auf die Tagesordnung zu setzen. — Ich muß mich wirklich fragen, Frau Vollmer, wie Sie die Wahrheit so verbiegen können.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Vor 14 Tagen — es ist mehr als zwei Wochen her —, am 7 September, haben wir in der Runde der Geschäftsführer — Herr Kleinert war dabei, Herr Kollege Jahn war dabei — unsere Absicht erklärt, daß wir heute morgen eine erste Beratung machen wollen. Am nächsten Tag — auch vor zwei Wochen — ist das im Ältestenrat besprochen worden, und wir haben es am 9. September sogar schriftlich beantragt. Mit anderen Worten: Wir wollen nichts anderes, als einen Gesetzentwurf, der Monate alt ist, heute in erster Lesung im Parlament beraten,

(Unruhe — Glocke des Präsidenten)

um diesen Gesetzentwurf in die Ausschüsse zu geben und dort weiter zu behandeln. Von Durchpeitschen kann überhaupt keine Rede sein. Und deswegen muß ich Ihnen leider vorwerfen, mit Ihren öffentlichen Erklärungen vom gestrigen Tage ganz bewußt die Unwahrheit zu sagen und die Öffentlichkeit zu täuschen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte noch einmal — auch für die Öffentlichkeit — feststellen: Der Gesetzentwurf ist bereits vor zweieinhalb Monaten, nämlich am 8. Juli, im Bundesrat behandelt worden. Die Stellungnahme des Bundesrates bezieht sich auf eine einzige Vorschrift. Die Gegenäußerung der Bundesregierung liegt mittlerweile vor, und zwar dahin gehend, daß an dieser Vorschrift festgehalten werden soll. Seit zweieinhalb Monaten also unveränderter Sachstand. Es ist das normalste Verfahren der Welt, daß dann irgendwann auch eine erste Lesung durchgeführt wird.
Ich darf auch darauf hinweisen, daß wir im Grunde auch schon in der vergangenen Legislaturperiode materiellrechtlich über den Sachverhalt diskutiert, beraten und Anhörungsverfahren durchgeführt haben. Selbstverständlich wird eine umfassende Anhörung auch über diesen Gesetzentwurf, wenn er jetzt überwiesen wird, im Ausschuß stattfinden, damit alle Argumente für und gegen den Entwurf gewürdigt und gewichtet werden können. Wir werden deshalb eine geraume Zeit für die Beratungen im Rechtsausschuß benötigen.
Andererseits halten wir in der Tat das Inkrafttreten wesentlicher Bestimmungen, wie z. B. die Einführung der strafbewehrten Vermummung und passiven Bewaffnung sowie den Schutz der Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern — um nur einige Beispiele zu nennen —, für wichtig.
Ich halte es für einen schlechten parlamentarischen Stil, den Ausschuß an der Beratung dadurch hindern zu wollen, daß man bereits der ersten Lesung und damit der Überweisung widerspricht. Deswegen beantrage ich die erste Lesung für heute mittag, eine einstündige Debatte, die wir meinetwegen, wenn es wegen der Materie gewünscht wird, durchaus noch verlängern können, und die Überweisung an die zuständigen Ausschüsse.
Frau Präsidentin, ich habe vorhin gehört, daß ich gleich zu dem Antrag der GRÜNEN Stellung nehmen sollte. Wenn Sie gestatten, verbinde ich es damit.




Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109500200
Das können wir machen, bitte.

Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1109500300
Zum zweiten Punkt. Wir haben heute einen Antrag auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestages, der sich mit der Katastrophe des Flugtages in Ramstein am 28. August 1988 befaßt. Wenn die GRÜNEN ihrerseits zu diesem Thema einen zusätzlichen Antrag auf die Tagesordnung setzen möchten, wären alle anderen Fraktionen selbstverständlich bereit, dazu eine verbundene Debatte zu führen und beide Anträge gemeinsam in die zuständigen Ausschüsse zu überweisen.
Was die GRÜNEN heute morgen beantragen ist etwas völlig anderes. Sie wollen das Thema Ramstein mit einer generellen Debatte über militärische Tiefflüge verbinden. Auch über dieses Thema können wir jederzeit differenziert und ausführlich im Parlament und in den Ausschüssen diskutieren. Entsprechende Anträge für die kommenden Wochen liegen dem Ältestenrat des Deutschen Bundestages bereits vor.
Ich sage aber ganz deutlich: Die beabsichtigte Koppelung von Flugtagen, Tiefflügen und Ramstein ist nicht sachgerecht. Im Gegenteil: Ich möchte den Versuch, die Betroffenheit über das Unglück von Ramstein in unzulässiger Weise zu nutzen, um Flugveranstaltungen generell in Mißkredit zu bringen und Tiefflugübungen der Bundeswehr generell zu diskreditieren, für meine Fraktion nachdrücklich zurückweisen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und des Abg. Jahn [Marburg] [SPD])

Deswegen lehne ich für die Koalition den Aufsetzungsantrag der GRÜNEN ab.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109500400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jahn.

Gerhard Jahn (SPD):
Rede ID: ID1109500500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Hinsichtlich des Antrages der Regierungskoalition zur Kronzeugenregelung ist die Sachdarstellung des Kollegen Seiters zutreffend. Ich habe ihr nichts hinzuzufügen. Die Regierung hat einen Anspruch darauf, daß die von ihr eingebrachten Vorlagen hier beraten und behandelt werden. Das kann niemand bestreiten. Es ist überhaupt völlig unvernünftig, die ohnehin von dieser Koalition meistens zu knapp bemessene Beratungszeit nun noch dadurch weiter zu verkürzen, daß man Vorlagen hier nicht einbringt. Aber das Einbringen ist Ihre Sache. Es ist Ihr Geschäft, das haben wir nicht zu besorgen. Wir werden Ihrem Antrag nicht widersprechen, wir werden uns der Stimme enthalten.
Bezüglich der Behandlung des Antrages der GRÜNEN: Wir haben heute einen Antrag, mit dem wir uns ausschließlich mit den schrecklichen Vorgängen in Ramstein zu beschäftigen haben. Das Thema Tiefflüge ist ein ganz anderer Punkt. Der wiederholte Rat an die Fraktion der GRÜNEN, die beiden Themen zu trennen, ist zurückgewiesen worden. Das muß dazu führen, daß wir, wenn Sie nicht einsichtig sein wollen, über beide Themen mit Ihnen zur gleichen Zeit nicht reden wollen. Wir werden heute über Ramstein reden, über Tiefflüge ein andermal. Über den Antrag der
GRÜNEN, der sich überwiegend mit Tiefflügen beschäftigt, werden wir heute nicht reden und werden deshalb der Aufsetzung widersprechen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109500600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Häfner.

Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1109500700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich spreche nur zum Aufsetzungsantrag der CDU/CSU-Fraktion betreffend Sicherheitsgesetze. Der Antrag zu Ramstein ist ein davon getrennter und wird hier eigens vertreten.
Wir sprechen gegen Ihren Antrag auf Aufsetzung, und zwar deshalb, weil Sie hier an einem Freitag mittag einmal so eben ein Gesetzeswerk durch die erste Lesung bringen wollen, das wie kein anderes die Liberalität und die Demokratie in der Bundesrepublik beeinträchtigt.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Zur Sache! Zur Tagesordnung!)

— Das ist zur Sache. Das ist die Begründung unserer Ablehnung dieses Antrags.
Dabei handelt es sich im wesentlichen übrigens gar nicht um neue Vorstellungen. Im Gegenteil, Ihre Vorstellungen zu Kronzeugenregelung, Verbot der Befürwortung von Gewalt usw. sind alles alte Kamellen. Sie hatten die Sachen in der Tasche; sie werden immer wieder herausgezogen. Neu sind immer nur die Anlässe und die angeblichen Begründungen. Sie haben sich hierfür immer auf meines Erachtens sehr bedenkliche Weise Zusammenhänge zeitlicher Art gesucht. Das ging nach der abscheulichen Ermordung des Kammergerichtspräsidenten von Drenkmann los, der ein ganzes Paket von Strafverfahrensrechtsänderungen folgte, und so geht das bis heute weiter.
Ich bin der Meinung, Gesetze sollte man — vor allem dann, wenn sie tief in die elementaren Bürgerrechte hineinschneiden — in Ruhe und mit Besonnenheit beraten, man sollte sie auf ihre Ursachen und auf ihre Wirkungen hin bedenken, aber nicht in Hektik und Eile verabschieden. Insofern, Herr Seiters, nehme ich Ihre Bemerkung auf, daß Sie bereit wären, die Debatte zu verlängern. Das wäre für uns ein Punkt, über den man sprechen könnte. Es geht aber nicht an, die Vorlage in Hektik und Eile und in einem Verfahren, wie es von Ihnen jetzt beantragt wurde — ein anderes Verfahren können Sie gerne beantragen —, unter Ausnutzung unverständlicher Emotionen hier im Bundestag durchzupeitschen.
Ich lese Ihnen ein Zitat vor und sage Ihnen dann gleich, von wem es stammt. Die Erkenntnis, die ich eben geäußert habe, hat nämlich nicht nur das Bundesverfassungsgericht, sondern haben auch andere Stellen, die auf die Bundesregierung direkteren Einfluß haben als das Verfassungsgericht. Da heißt es:
Der gegenwärtige Zeitpunkt erscheint im Hinblick auf die nach Krawallen linksradikaler Minderheiten von Emotionen getrübte öffentliche Meinung für eine unvoreingenommene Überprüfung dieser Straftatbestimmungen wenig geeignet.



Häfner
Wissen Sie, von wem dieser Satz stammt? Er stammt von der Bayerischen Staatsregierung, und zwar aus einer Stellungnahme zur seinerzeitigen Diskussion über die Neufassung des Landfriedensbruchparagraphen im Jahre 1969.
Es gibt aber einen noch gewichtigeren Grund als diesen zeitlichen Zusammenhang, die plötzliche Aufsetzung heute und die Debatte in dem von Ihnen gewünschten Tempo zu verweigern, und zwar, wie ich denke, in Ihrem eigenen Interesse. Das vorgelegte Gesetzespaket ist nicht nur so umfangreich, daß eine einstündige Debatte gar nicht ausreicht, um auch nur die Grundzüge zu streifen, sondern ist bei näherer Betrachtung noch mehr: Es ist schlecht, und zwar so schlecht, so wenig begründet und durchdacht und in einigen Punkten auch so eklatant grundgesetzwidrig, daß es eigentlich gar nicht einbringungsfähig ist. Aber darüber müssen Sie entscheiden.
Ich möchte nur eines wissen. Es wurde ja in der Koalition verabredet, eine Kommission einzusetzen, die nach den Ursachen der Gewalt und nach möglichen Abhilfen fragen sollte. Wir wundern uns darüber, daß hier, obwohl diese Kommission noch gar nicht richtig zu arbeiten begonnen hat — sie hat sich nach meinen Informationen einmal getroffen —, dieses Gesetzespaket nun dennoch in der vorliegenden Form, praktisch unverändert, eingebracht werden soll. Es gab im Deutschen Bundestag einmal eine Kommission, die tatsächlich versucht hat, den Ursachen von Jugendprotest und auch von Gewalt nachzugehen. Diese Kommission hat erklärt:
Der Jugendprotest kann nicht als klassischer Generationenkonflikt erklärt werden, sondern ist im wesentlichen als Reaktion auf ungelöste gesellschaftliche Probleme zu verstehen.
Der Deutsche Bundestag in seiner Gesamtheit hat sich in einer Entschließung dem angeschlossen und formuliert:
Die übergroße Mehrheit der protestierenden Jugendlichen will nicht aus der Gesellschaft aussteigen, sondern in sie hineinwirken und fordert dazu nachdrücklich Mitsprache- und Mitent-scheidungsrechte.
Es heißt dann weiter, Mangel an tatsächlicher Mitbestimmung, starker Einfluß wirtschaftlicher Interessen und Unfähigkeit zu zukunftsgerichtetem Handeln in der Politik würden zu diesem Protest führen.
Ich frage Sie also, ob es nicht sehr viel angebrachter wäre, in Ruhe und mit Besonnenheit darüber nachzudenken, wie man tatsächlich die Ursachen von Protest und von Gewalt angehen kann, statt, wie Sie es tun, mit Verschärfung der Strafgesetze weiter Gewalt zu schüren und Menschen in die Kriminalität zu treiben.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Was hat das mit der Geschäftsordnung zu tun?)

Ich frage Sie zuletzt, welchen Sinn die Anhörung der Verbände gehabt hat, von denen nahezu alle die vorliegenden Gesetzentwürfe abgelehnt haben, und zwar mit zum Teil sehr bemerkenswerten und an
Deutlichkeit überhaupt nicht zu überbietenden Argumenten wie „verfassungswidrig", „Gesinnungsstrafrecht" usw.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109500800
Herr Kollege Häfner, darf ich Sie einmal unterbrechen. Sie sprechen ja schon beinahe zur Sache. Wir haben Ihnen mehr Zeit gegeben, weil Sie Ihren Antrag noch begründen wollten. Ich bitte herzlich, daß Sie das jetzt tun. Dafür haben Sie noch zwei Minuten.

Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1109500900
Ich habe jetzt den Absetzungsantrag behandelt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109501000
Dann haben Sie längst die Zeit für die Geschäftsordnungsdebatte überschritten. Da Sie auch einen Antrag hatten, habe ich Ihnen die Möglichkeit gegeben, auch zu Ihrem Antrag zu sprechen. Wenn das nicht nötig ist, ist die Zeit sowieso abgelaufen. Bitte sehr.

Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1109501100
Zu unserem Antrag spricht Frau Schilling. Es tut mir leid; mir war nicht bekannt, daß unsere Reden in der Geschäftsordnungsdebatte aufeinander angerechnet werden.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109501200
Das tut mir furchtbar leid, meine Damen und Herren. Es war ja ganz eindeutig und klar, daß beides miteinander verbunden war. Ich hätte Sie natürlich nach fünf Minuten unterbrechen müssen.
Sie haben jetzt nur noch zwei Minuten Zeit zur Begründung Ihres Aufsetzungsantrags. Man sollte sich wirklich kollegial an die Regeln hier halten.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1109501300
Wir sind heute morgen noch nicht ganz so gut drauf wie sonst. Aber das kommt heute schon noch. Ich habe jetzt zwei Minuten Redezeit. Hören Sie bitte gut zu, damit es schnell geht.
Wir beantragen, daß unser Antrag bezüglich der Einstellung von Flugveranstaltungen und der Abschaffung von Tiefflügen auf die heutige Tagesordnung kommt. Jede Partei, die einen Antrag stellt, sollte ihn auch auf der Tagesordnung wiederfinden können.
Im übrigen möchte ich ein paar Belege dafür vorlegen, warum die Verbindung von Ramstein, Nörvenich und Tiefflug gegeben ist. Wir schließen uns diesbezüglich dem Verteidigungsminister an, der diese Verbindung selbst hergestellt hat. Er hat in einem Schreiben vom 23. August 1988 den Zusammenhang zwischen Flugveranstaltungen und Tiefflug selbst hergestellt. Ich zitiere aus einem Schreiben im Zusammenhang mit Nörvenich an das Verwaltungsgericht:
Es wird keine akrobatischen Luftübungen oder Kunstflüge geben, sondern nur Darstellungen dessen, was der Flugzeugführer bzw. die Besatzung eines Luftfahrzeuges für den Einsatz und die Beherrschung ihres Waffensystems können muß. Es ist also im wesentlichen eine komprimierte Darstellung des taktischen Ausbildungsprogramms. Die Flüge, die am 28. 8. 1988 im Bereich des Fliegerhorstes Nörvenich durchgeführt



Frau Schilling
werden, sind Teile des jährlichen Ausbildungsprogrammes der für die alliierten Luftstreitkräfte gültigen Planung.
Das heißt doch, daß erstens die Katastrophe von Ramstein und die Beinahe-Katastrophe von Nörvenich im Tiefflug passiert sind. Das bedeutet zweitens: Auf diesen Flugveranstaltungen wird genau dieser Ausbildungsstand vorgeführt, der unter taktischen Ausbildungsbedingungen erworben wurde.
Der wesentliche Bestandteil dieser Ausbildungsbedingungen sind Tief- und Tiefstflugübungen. Erst durch Tief- und Tiefstflugübungen lernen die Piloten das, was sie nachher vorführen sollen. Sachlich und logisch gehört das also zusammen. Wer sich dem widersetzt, ist unsachlich und unlogisch.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109501400
Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.

Uwe Ronneburger (FDP):
Rede ID: ID1109501500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich nehme zunächst — übrigens nicht zur Sache, sondern zur Geschäftsordnung — zu der Aufsetzung des Artikelgesetzes Stellung. Ich sage dazu mit allem Nachdruck entgegen dem Sprecher der GRÜNEN, daß die Aufsetzung ja gerade deswegen erfolgt, um in den Ausschüssen eine ausreichende Zeit zur sachlichen und ruhigen Beratung dieses Komplexes zu haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich meine, für meine Fraktion hinzufügen zu sollen, daß wir keine Bedenken dagegen haben, die heutige Redezeit um etwa 30 Minuten zu verlängern, um auch hier im Plenum einer ausreichenden Anzahl von Rednern Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
Zu der zweiten Frage, nämlich der Verbindung zwischen Tiefflugübungen, dem Ausbildungsbetrieb und dem Unglück von Ramstein, sage ich allerdings mit aller Entschiedenheit: Eine solche Verbindung ist absurd, und sie läßt ohne weiteres erkennen, daß hier im Grunde genommen nicht Ramstein, nicht das Verbot von Kunstflugübungen gemeint sind, sondern daß es hier darum geht, die Ausbildungsmöglichkeiten der Luftwaffe für ihren tatsächlichen Auftrag einzuschränken. Gegen eine solche Verbindung wehre ich mich daher im Namen meiner Fraktion mit aller Entschiedenheit. Wir werden im Ausschuß und hier beides zu diskutieren haben, aber nicht in Verbindung miteinander.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109501600
Wir kommen zur Abstimmung.
Wer stimmt für den Erweiterungsantrag der Fraktion der CDU/CSU? Den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der SPD und Gegenstimmen der GRÜNEN angenommen.
Wer stimmt für den Erweiterungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN? — Gegenstimmen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Scheer, Dr. Soell, Verheugen, Bahr, Fuchs (Verl), Horn, Gansel, Jungmann, Stobbe, Voigt (Frankfurt), Catenhusen, Matthäus-Maier, Schäfer (Offenburg), Bachmaier, Dr. Ehmke (Bonn), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Einberufung einer zweiten Konferenz der Nicht-Kernwaffenstaaten
— Drucksache 11/2202 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Ausschuß für Wirtschaft
Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Forschung und Technologie
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. — Das Haus ist einverstanden. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Brandt.

Willy Brandt (SPD):
Rede ID: ID1109501700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mancher unter uns wird sich noch der dramatischen Warnungen erinnern, mit denen vor zwei Jahrzehnten — auch noch danach — das Projekt Nichtverbreitung von Atomwaffen begleitet worden ist. Die damals, auch im Bundestag, vorgebrachten Befürchtungen wurden nicht bestätigt. Und das ist gut. Bestätigt hat sich jedoch die damalige Einschätzung, daß es erstens schwer sein werde, die Zahl der Kernwaffenstaaten auf fünf begrenzt zu halten, und daß es zweitens von der großen Mehrheit der Staaten im Laufe der Zeit als unzumutbar empfunden werde, sich dauerhaft auf Verzicht einschwören zu lassen, wenn sich die stark herausgehobene Minderheit der Atomwaffenstaaten nicht dazu bequeme, ernste Schritte in Richtung Rüstungsbegrenzung und Abrüstung zu unternehmen.
Das ist der Hintergrund, vor dem der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion zu sehen ist, die Bundesregierung möge initiativ werden, um eine zweite Konferenz der Nicht-Kernwaffenstaaten einberufen zu helfen.
Die erste solche Konferenz unter dem Dach der Vereinten Nationen hat 1968 im Frühherbst in Genf stattgefunden. Meine politischen Freunde sind in der schriftlichen Begründung des Antrags irrtümlich davon ausgegangen, ich hätte damals als Außenminister mit dem Zustandekommen dieser Konferenz etwas zu tun gehabt. Dem war nicht so.

(Heiterkeit bei der SPD)

Ich hatte genug damit zu tun, Bedenken im Kabinett so weit dämpfen zu helfen, daß wir in Genf präsent sein und uns zu Wort melden konnten.

(Heiterkeit bei der SPD — Jahn [Marburg] [SPD]: Das war ja auch schon eine Menge!)

Aber auch das war nur möglich, weil Bundeskanzler
und Außenminister übereinstimmten. Das ist überhaupt eine Erfahrung, daß es der Außenpolitik gut



Brandt
bekommt, wenn Bundeskanzler und Außenminister übereinstimmen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ich darf heute an das anknüpfen, was ich am 4. September 1968 bei der Eröffnung der erwähnten Konferenz sagte, der ersten weltweiten Konferenz, auf der für die Bundesrepublik zu Fragen der Rüstungskontrolle zu reden war. Ich sagte, daß die Bundesrepublik Deutschland auf die Herstellung von Atomwaffen verzichtet und sich entsprechenden internationalen Kontrollen unterworfen habe. Sie strebe keine Verfügungsgewalt über Atomwaffen und keinen Besitz solcher Waffen an. Sie bekräftige ihre Haltung, ihre Sicherheit liege in einer Allianz.
Im Jahr 1968 hatten 70 Staaten den Nichtverbreitungsvertrag unterzeichnet. Der UN-Generalsekretär — das war damals U Thant — schrieb in einer Botschaft, eine Expertengruppe sei einmütig zu der Folgerung gelangt, Sicherheit könne nicht durch eine Vermehrung der Zahl der Kernwaffenstaaten oder durch einen Fortbesitz von Kernwaffen von jenen Mächten, die sie bereits hatten, gewährleistet werden. Erstrebt werden müsse vielmehr die Sicherheit für alle Länder durch die Liquidierung aller Vorräte von Kernwaffen und ein Verbot ihrer Verwendung auf dem Wege der allgemeinen und vollständigen Abrüstung.
Heute trägt der Vertrag die Unterschrift von 138 Staaten. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich unter meiner Kanzlerschaft im November 1969 dem Vertrag angeschlossen. Dies war eine der ersten Entscheidungen, die die sozialliberale Koalition nachzuholen hatte. Aber es bedurfte dann — woran sich mancher auch erinnern dürfte — noch erheblicher Auseinandersetzungen, bevor wir diesen Vertrag einige Jahre später ratifizieren konnten. Inzwischen sind die damaligen Kontroversen, wie ich gerne feststelle, weitgehend überholt.
Die Entwicklung hat wohl auch gezeigt, daß wir kein — wie es damals hieß — atomares Todesurteil akzeptiert hatten, noch daß wir ein Versailles von kosmischen Ausmaßen erleben.

(Dr. Vogel [SPD]: Das klingt nach Strauß!)

Unsere Wirtschaft und unsere Forschung haben insoweit nicht Schaden gelitten.
Die damalige Konferenz der Nicht-Kernwaffenstaaten hatte zum Ziel, Forderungen und Ansprüche der Nichtnuklearen gegenüber den Kernwaffenstaaten zu bekräftigen. Es ging darum, den Atomwaffenstaaten politisch und moralisch die Verpflichtung zur Abrüstung zuzuweisen. Von den Nicht-Kernwaffenstaaten wurde ja erwartet, daß sie mit ihrem Verzicht einen Beitrag zur Friedenssicherung leisteten. Von den Nuklearmächten war zu erwarten, daß sie ihre Atomwaffenarsenale verringerten und, wie es schon damals formuliert wurde, nach Möglichkeit abbauten. Der Nichtweiterverbreitungsvertrag war als eine Brücke auf dem Weg zu Rüstungskontrolle und Rüstungsbegrenzung gedacht. Fast niemand glaubte freilich, daß sich Abrüstung innerhalb ganz kurzer Frist würde realisieren lassen.
Bei jener Konferenz vor nun 20 Jahren sagte ich, Europa sei nicht in der glücklichen Lage, kernwaffenfrei zu sein. Dann führte ich wörtlich aus:
Die Entfernung bereits vorhandener Kernwaffen ohne gefährliche Veränderungen des gesamten Gleichgewichts, also unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen aller Beteiligten, ist eine schwierige und nicht schnell lösbare Aufgabe. Die Bundesregierung hat sich dafür eingesetzt, daß aus Europa eine Zone der Entspannung wird als Vorstufe einer dauerhaften Friedensordnung.
So habe ich am 4. September 1968 formuliert. Weiter habe ich gesagt, die Kernwaffenmächte seien aufgerufen, konkrete Schritte zu tun. An uns, den NichtKernwaffenstaaten, liege es, sie nicht aus ihren Verpflichtungen zu entlassen und verhandlungsfähige Lösungsvorschläge zu unterstützen.
Ich darf uns, meine Damen und Herren, daran erinnern, daß Art. VI des Nichtverbreitungsvertrages eine Pflicht zur Abrüstung enthält. Weil sich Fortschritte aber lange Jahre nicht blicken ließen, im Gegenteil die Arsenale weiter angereichert wurden, haben die Nicht-Kernwaffenstaaten bei den alle fünf Jahre stattfindenden Überprüfungskonferenzen ihre Ungeduld deutlich zu machen gehabt, einige stärker als andere. Anlaß zur Sorglosigkeit war gewiß nicht gegeben. Die Zahl der Atomwaffenstaaten ist inzwischen bestimmt nicht kleiner geworden, die Zahl der atomaren Schwellenländer erst recht nicht. Ich will heute vormittag bewußt nicht Adressen nennen, die ohnehin bekannt sind. Daß wir uns insoweit, weltweit gesehen, in einem schwer überschaubaren Gelände befinden, ist bekannt. Gleichwohl verdienen die auf Mäßigung zielenden Schritte hinreichend gewürdigt zu werden. Durch den Vertrag über den Abbau der landgestützten nuklearen Mittelstreckenraketen ist erstmals ein Schritt getan worden, der atomare Rüstung zurücknimmt, statt sie auszuweiten. Die Bilder von der Zerstörung der ersten Trägerwaffen, die auf unserem Teil europäischen Bodens stationiert waren, haben neue Hoffnung keimen lassen, wobei ich jetzt einmal unerörtert lassen will, ob nicht auch bei solcher Art von objektiv vernünftiger Zerstörung nach der Umweltverträglichkeit zu fragen ist.
Der zweite Schritt, also die Halbierung der interkontinentalen Zerstörungsmaschinen, steht nach allem, was man hört, weiterhin auf dem Fahrplan der beiden nuklearen Weltmächte. Und wer wollte und könnte eigentlich dagegen etwas haben?
Ich habe übrigens gern gehört, daß beide Männer, die Präsident der Vereinigten Staaten bei den Wahlen im November diesen Jahres werden wollen, dem Problem der Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen, folgt man ihren außenpolitischen Äußerungen, einen hohen Rang einräumen. Ich denke, man sollte sie rechtzeitig in dieser Absicht stärken und ihnen zusätzlich sagen, daß die Chancen zum Beitritt einiger Staaten, die noch immer abseits stehen, zum Nichtverbreitungsvertrag in dem Maße wachsen könnten, in dem die Interessen der Nicht-Kernwaffenstaaten künftig stärker berücksichtigt werden.



Brandt
Der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion enthält in Punkt 3 die Forderungen, um die es auf einer neuen Konferenz der Nichtnuklearen ginge.
Für eine Forderung der meisten Nicht-Kernwaffenstaaten stehen die Zeichen heute etwas günstiger als vor 20 Jahren. Ich meine das Verbot nuklearer Testexplosionen. Es wird über die seit langem fertiggestellten Verträge, die solche Explosionen erst begrenzen und dann beenden sollen, wieder ernsthaft geredet. Wer heute morgen die Nachrichten gehört hat, wird wissen, daß sich wahrscheinlich noch am heutigen Tage oder morgen die Außenminister Shultz und Schewardnadse diesem Thema neu zuwenden werden.
Die Vier-Kontinente-Initiative zum nuklearen test ban behält ihre Aktualität, und es wäre viel, wenn sich die betroffenen Weltmächte in diesem Bereich ein gutes Stück hin zum Verzicht bewegten.
Ich weiß, meine Damen und Herren, es fällt nicht leicht, sich auszumalen, daß die zerstörerische Kraft des Atoms eines Tages nicht mehr als Mittel von Krieg oder Abschreckung zur Verfügung stehen wird. Doch weshalb eigentlich hinter jener Vorstellungskraft zurückbleiben, mit der die Führungspersonen der beiden Weltmächte bei ihren Begegnungen über Zwischenlösungen hinausgedacht und eine Welt ohne Atomwaffen ins Auge gefaßt haben?

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

Auch aus dem, was Reagan und Gorbatschow anpeilten, ergibt sich Futter für eine neue Konferenz der Nicht-Kernwaffenstaaten.
In keinem Teil der Welt sind weiterhin so viele Atomwaffen auf engsten Raum angehäuft wie auf deutschem Boden. Keine Region der Erde ist weiterhin unmittelbar Kernwaffen so ausgesetzt wie die Mitte Europas. Deshalb sind wir in besonderem Maße gefordert. Deshalb beschäftigen uns mehr als andere neue Strukturen im Ost-West-Verhältnis, eine neue Sicht gemeinsamer Sicherheit, eine neue internationale Ordnung, die die Nord-Süd-Dimension so gut wie irgend möglich mit einbezieht, ein weltweit wirksames System, durch das Massenvernichtungswaffen geächtet werden und nach deren Abrüstung jedes Wiederaufrüsten mit solchen Waffen verhindert wird.
Ich möchte, daß die Bundesrepublik Deutschland nicht durch unvernünftiges Zögern auffalle oder sich noch einmal den Ruf eines überregionalen Bedenkenträgers zuziehe, sondern daß sie durch fundierte friedenssichernde Initiativen auf sich aufmerksam mache, durchaus auch durch solche, die ein Stück über die Schwelle des Jahres 2000 hinausreichen. Es wäre gut, könnten wir dies gemeinsam deutlich machen.
Schönen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109501800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lummer.

Heinrich Lummer (CDU):
Rede ID: ID1109501900
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben den Nichtverbreitungsvertrag ja nun seit 20 Jahren. Bis heute ist immer wieder die Gefahr des Scheiterns beschworen worden. Immer wieder war er auch Gegenstand unterschiedlichster Kritik. So haben manche Länder der Dritten Welt darauf hingewiesen, dieser Vertrag führe zu ihrer Diskriminierung durch die entwickelten Länder. Dennoch, so denke ich, darf man nach 20 Jahren feststellen, daß dieser Vertrag einen wertvollen Beitrag zum Frieden in der Welt geleistet hat, und zwar weil er einerseits die Weiterverbreitung von Kernwaffen verhinderte und andererseits die friedliche Nutzung der Kernenergie förderte.
Ich sehe vorwiegend drei Faktoren, die für eine positive Bewertung in Anspruch genommen werden können.
Zunächst einmal ist die Zahl der Länder, die dem Vertrag beigetreten sind, ständig gestiegen. 1968 wurde der Vertrag von den Vereinigten Staaten, Großbritannien und der Sowjetunion sowie 58 weiteren Staaten unterzeichnet. Inzwischen ist die Zahl der Staaten, die ihm beigetreten sind, auf 138 gestiegen; in Ihrem Antrag spricht die Opposition noch von 131. Das sind vier Fünftel der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, und das, finde ich, ist beachtlich. Die Tendenz wird hoffentlich so sein, daß weitere Beitritte erfolgen.
Zweitens — das ist nun ein sicher problematischer Punkt — ist die Zahl der Kernwaffenstaaten nicht größer geworden, obwohl es gewiß manches Land an der Schwelle gibt, das ohne Schwierigkeiten in der Lage wäre, Atomwaffen zu produzieren. Wenn ich dies sage, geschieht das nicht blauäugig, denn man weiß um die Problematik, die Indien, Israel und vielleicht auch Südafrika betrifft.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Sagen Sie doch einmal, wie das kam, Herr Lummer!)

Dennoch wird man sagen dürfen, daß der Erfolg des Vertrages erkennbar ist.
Drittens, meine ich, spricht dafür die Tatsache, daß wir heute im Gegensatz zu früher, auf Art. VI bezogen, Erfolge vermelden können, nämlich in Fragen der Abrüstung. Sicher ist das noch längst nicht das, was wir alle gemeinsam wollen. Aber nachdem die Balance zwischen der Verzichtsverpflichtung der Nicht-Kernwaffenstaaten und der Abrüstungsverpflichtung der Atomwaffenstaaten lange Zeit nicht stimmte, können wir nach dem INF-Vertrag doch sagen: Hier hat sich Wesentliches gebessert. Kollege Brandt hat zu Recht darauf hingewiesen, daß auch bezogen auf Teststopps Hoffnungen durchaus angemessen sind, und auch im Bereich der strategischen Raketen haben sich Dinge nennenswert bewegt, so daß die Balance, die im Vertrag angelegt ist, heute besser stimmt als in früheren Zeiten.
Aus diesen Gründen, meine ich, ist die Bilanz des Vertrages positiv, zumal auch die Entwicklung der internationalen Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie Fortschritte gemacht hat. Immerhin hat es früher viel Skepsis gegeben, die in manchen Punkten widerlegt ist. Manche gaben dem Vertrag keine Chance. Ich habe nachgelesen: Manche sahen die CDU/CSU als eine Gruppe, die sich der



Lummer
Abrüstung überhaupt verschließt; Herr Kollege Scheer, Sie haben das gesagt. Ich denke, heute kann man nicht mehr davon sprechen.

(Dr.Scheer [SPD]: Sie haben ja noch rechtzeitig die Kurve gekriegt!)

— Ja, rechtzeitig. Es ist doch schön, wenn das so heißt. Das ist doch die entscheidende Geschichte. — Heute kann man auch nicht sagen, die Regierung der Bundesrepublik Deutschland sei gewissermaßen überregionaler Bedenkenträger. Ganz im Gegenteil, die Bundesregierung erfährt gelegentlich Dämpfer, weil sie zu eifrig und zu heftig auf Abrüstungsbemühungen drängt. Ich denke, die Opposition sollte inzwischen doch auch einmal honorieren, was auf diesem Gebiet an Erfolgen zustande gekommen ist.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Man erkennt ihn gar nicht wieder! Das ist ja wie bei Rotkäppchen!)

Meine Damen und Herren, nun wünscht die Sozialdemokratie in ihrem Antrag, es möge vor der vertraglich vorgesehenen Überprüfungskonferenz eine Vorkonferenz der Nicht-Kernwaffenstaaten stattfinden. Im Hinblick auf die Wichtigkeit des Themas bin ich schon der Meinung, das Für und Wider ausgiebig im zuständigen Ausschuß zu diskutieren. Die Koalition hat einen weitgehend vergleichbaren Antrag 1985 zurückgewiesen. Natürlich, die Welt verändert sich, und wir sollten allesamt stets offen sein für neue Fragen und auch für die Prüfung neuer Argumente.
Dennoch möchte ich schon jetzt auf zwei Gründe hinweisen, die man nicht einfach vom Tisch wischen kann: Die erste Konferenz der Nicht-Kernwaffenstaaten fand vor dem Vertragsabschluß statt.

(Dr. Scheer [SPD]: Nein, nein! Am 1. Juli 1968 war der Vertragsabschluß, und die Konferenz war zwei Monate später!)

— Entschuldigung, ich meine: vor Inkrafttreten des Vertrags. — Es hat seit dem Vertrag 1975, 1980 und 1985 Überprüfungskonferenzen gegeben; 1990 folgt eine weitere. Diese Überprüfungskonferenzen waren sicherlich schwierige Konferenzen. Es hat heftige Diskussionen gegeben, manchmal war es schwierig, ein Kommuniqué zustande zu bringen. Dennoch war es möglich, auf diesen Überprüfungskonferenzen alle anstehenden Fragen zu besprechen. Ich meine, das wird auch 1990 der Fall sein.
Deshalb taucht hier die Frage auf: Warum soll eigentlich eine Vorkonferenz notwendig sein? Auch die Ausführungen des Kollegen Brandt haben mich jedenfalls zu diesem Zeitpunkt von der Notwendigkeit nicht überzeugen können.
Zweiter Punkt: Der Antrag der SPD sieht bewußt eine inhaltliche Erweiterung des Vertrages vor. In der Begründung wird befürchtet, daß eine Verlängerung des Vertrages über 1995 hinaus nur erreicht werden könne, wenn eine inhaltliche Erweiterung erfolge. Das ist eine Einschätzung zu politischen Chancen, die man nicht teilen muß. Man kann auch die Befürchtung äußern, daß bei dem Bemühen um eine inhaltliche Erweiterung dieser aus vielen Kompromissen zusammengebrachte Vertrag nicht mehr wieder gefügt werden kann, daß dann gewissermaßen durch
allzu viele Änderungsinitiativen das Ende des Vertrags in Sicht ist, wenn man ihn zu sehr mit neuen Dingen befrachtet.
In jedem Falle sollten wir diese Fragen ausgiebig diskutieren. Dabei sollte eines klar sein: Weil sich der Vertrag bewährt hat und eine Alternative nicht erkennbar erscheint, sollte er auch nach 1995 weiter gelten. Wir fordern die Bundesregierung auf, in diesem Sinne tätig zu bleiben; wenn ich es recht sehe, gibt es dafür auch gute Chancen, zumal die im SPD-Antrag vertretene Auffassung, der Vertrag laufe 1995 einfach aus, falsch ist. Dort wird nur auf eine Konferenz verwiesen, bei der über die Verlängerung der Fristen zu reden ist. Er läuft nicht einfach aus. In jedem Falle sollten wir uns in dem Punkt einig sein, diesen Vertrag über 1995 hinaus zu tragen. Ich fände es gut, wenn wir die Verlängerung eines bewährten Vertrages zum gemeinsamen Anliegen machen würden.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109502000
Das Wort hat der Abgeordnete Ebermann.

Thomas Ebermann (GRÜNE):
Rede ID: ID1109502100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Schön ist, daß Herr Willy Brandt selbst darauf hingewiesen hat, daß das mit der historischen Wahrheit nicht ganz so war. Es wäre auch ganz schön, wenn Sie noch hinzufügen würden, wer dafür gesorgt hat, daß dieser Atomwaffensperrvertrag im Jahre 1995 ausläuft. Denn die ersten Entwürfe waren ohne zeitliche Terminierung. Leider hat Ihre Regierung dazu beigetragen, daß die Frage, ob verlängert wird und wer verlängert, in wenigen Jahren wieder relevant wird.
Nun gut, wir unterstützen eigentlich alles, was irgendwie die Instrumentarien verschärft, die die Weiterverbreitung von Atomwaffen und deren Komponenten unterbinden. Der Atomwaffensperrvertrag selbst ist ein absolut kleines, mickriges und unzureichendes Hindernis. Daß wir trotzdem wollen, daß er über 1995 hinaus verlängert wird, liegt daran, daß wir hoffen, daß es zu Verschärfungen kommt.
Allerdings heute einen Antrag zu dieser Initiative zu stellen, ist irgendwie völlig hinter der Zeit, ebenso wie der wirklich anachronistische Art. IV des Atomwaffensperrvertrages, der die Unterzeichner verpflichtet — nicht nur ermuntert, sondern verpflichtet! — , den weitestgehend möglichen Austausch von Nuklearmaterial und Nukleartechnologie zu betreiben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist wirklich weit hinter der Zeit, wenn die SPD in ihrem Antrag zu — ich zitiere wörtlich — „strikter Trennung zwischen militärischen und zivilen kerntechnischen Anlagen in den Kernwaffenstaaten" auffordert.
Wenn es einen Lernprozeß gibt, sei er auch ganz zäh und langsam, dann doch den, daß diese strikte Trennung von militärischer und ziviler Nutzung von Kernenergie überhaupt nicht möglich ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)




Ebermann
Nehmen wir nur ein Beispiel heraus, den französischen Phénix, der unserem Schnellen Brüter doch so ähnlich ist wie ein Ei dem anderen und der die Force de frappe nun wirklich mit den nahezu 50 Kilogramm Waffenplutonium beliefert, die unser Schneller Brüter erst erbrüten soll. Was macht es für einen Sinn, zu sagen, dieser Phénix soll als militärisch oder zivil definiert werden? Es wäre nur eine Akrobatik, wenn man sagt: Es kann in der Bundesrepublik ein ziviles Kalkar, und es kann in Frankreich einen Phénix zugunsten der Force de frappe geben. Denn die Geräte sind die gleichen.
Wir wollen den Sperrvertrag verlängern, verändern und verschärfen. Wir glauben allerdings uberhaupt nicht, daß die SPD mit ihrem Antrag den richtigen Adressaten gefunden hat. Denn diese Regierung zu beauftragen, für die Verlängerung des Sperrvertrages und für seine Verschärfung einzutreten, ist geradezu absurd. Es gibt bekanntlich keinen Staat, der trotz der Unterzeichnung des Sperrvertrages so viele und umfangreiche Atomgeschäfte mit Nichtunterzeichnerstaaten gemacht hat, mit Südafrika, Pakistan, Argentinien, Brasilien und Indien. Die Geschäfte liefen ja nicht selten und geradezu zielgerichtet mit sensitiver, für den A-Bombenbau zu nutzender Technik.
Die große Regierungspartei, die CDU, hat sich ja seit dem Frühjahr dieses Jahres programmatisch festgelegt, Frankreich und Großbritannien aufzufordern — ich zitiere wörtlich — , „ihr nukleares Potential in eine gemeinsame europäische Sicherheitsunion einzubringen und einen europäischen Verteidigungsrat zu etablieren". Es ist lange nicht mehr, wenn ich von einzelnen absehe — früher konnten wir Todenhöfer zitieren — , von einer ganzen Partei so ausdrücklich gefordert worden, im europäischen Rahmen deutsche Mitverantwortung für Atomwaffen einzuklagen. Dem ging im letzten Sommer die politisch viel zuwenig beachtete Umdefinition der Pershing I a in ein Drittstaatensystem voraus, also die Anmaßung, über atomar bestückte Raketen, über die die Großmächte in Genf verhandelt haben, mit oder allein zu entscheiden.
Schließlich: Wer an Wackersdorf und Kalkar, dem Gegenstück des Phénix in Frankreich, festhält — gestern war die Debatte —, der kann irgendwie tatsächlich kein Interesse haben, daß der Atomwaffensperrvertrag in den entscheidenden Punkten verschärft wird.
Diese Regierung mit einer Initiative zur Vorkonferenz der Nichtkernwaffenstaaten zu betrauen — der Nichtkernwaffenstaaten und nicht etwa der Unterzeichnerstaaten; das Gewicht von Staaten wie Südafrika, Israel, Pakistan und Brasilien wäre auf einer solchen Konferenz nicht gering, weil man von ihnen weiß oder ahnt, welche Atomklamotten sie im Keller haben — , das scheint ungefähr so, als würde man mich persönlich in der bundesdeutschen Turnstaffel bei der Olympiade einsetzen. Ich gebe zu, ich bin ungeeignet, und auch diese Regierung ist für diesen Job ganz unpassend.
Wir wollen zur Stärkung der Nichtverbreitung von A-Waffen und gegen politisch-militärische Ambitionen hierzulande eine Kampagne von unten, die von
der Friedensbewegung getragen wird und die gesellschaftlichen Druck erzeugt, mit befördern und nicht an die Regierung appellieren. Wir wollen den einseitigen Schritt der Bundesrepublik, den dauerhaften Verzicht auf A-Waffen durch eine grundgesetzliche Selbstverpflichtung einzugehen. Hier in diesem Haus kann ganz unabhängig von irgendeiner Konferenz erklärt werden: Die Bundeswehr hört endlich auf, Atomeinsätze zu proben. Hier kann, wenn das Haus dies will, beschlossen werden, daß für immer auf jede nukleare Option, und zwar in jeder Variante, und ganz speziell auch auf die europäische Atomstreitmacht verzichtet wird. Hier kann grundgesetzlich verankert werden, daß es nie wieder eine materielle und finanzielle Stützung irgendeines Landes bei dessen Bau von A-Bomben geben darf. So kann konkret und einseitig von hier aus der Gedanke der Nichtverbreitung von Atomwaffen festgelegt werden.
Auch wenn die Verwirklichung dieses Ziels heute in diesem Haus nicht realistisch ist — für eine Grundgesetzänderung braucht man eine Zweidrittelmehrheit — , so sind wir doch überzeugt, daß die Aufnahme des Atomwaffenverzichts in das Grundgesetz, den sich die Friedensbewegung Gott sei Dank zu eigen gemacht hat — dieses Problem ist längst nicht mehr nur Gegenstand von Anträgen der GRÜNEN —, durchgesetzt werden wird.
So ungern ich das tue, so schwer mir das fällt, ich beende meine Rede mit dem Zitat eines Sozialdemokraten. Traube sagt — dafür danke ich ihm — :
Gerade auch die politische Debatte um eine solche Kampagne
— Aufnahme des Atomwaffenverzichts in das Grundgesetz —
ist wichtig, da sich dabei auch die Geister scheiden werden, und es wird klar, wer sich die Option auf eine eigene Atomwaffe offenhalten will.
Das halte ich für höchst interessant. Ich glaube, das werden wir nicht herauskriegen, wenn wir die Haltung bei irgendeiner weltweiten Konferenz betrachten, wo man dann den Kompromiß mit Pakistan, Indien oder mit wem auch immer vorschieben kann. Wir werden herauskriegen, wer die Option auf die Bombe verfolgt und wer sie für immer ad acta gelegt hat, und zwar gemessen an der Fragestellung, wer den Atomwaffenverzicht im Grundgesetz verankern will.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109502200
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Feldmann.

Dr. Olaf Feldmann (FDP):
Rede ID: ID1109502300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Thema der heutigen Debatte ist nicht neu. Bereits 1985 haben wir einen ähnlichen Entschließungsantrag der SPD über eine zweite Konferenz der Nicht-Nuklearwaffenstaaten beraten. So sympathisch der SPD-Antrag auf den ersten Blick scheint, es überwiegen doch die Gegenargumente.
Herr Kollege Brandt, ich stimme Ihnen zu: Die Gefahr der Weiterverbreitung von Atomwaffen ist eine der größten weltpolitischen Herausforderungen unserer Zeit. Das gilt heute besonders, da einige potentielle Atommächte große Fortschritte in der Raketen-



Dr. Feldmann
technik erzielt haben; Sie haben dies bereits erwähnt.
Den Nichtverbreitungsvertrag vom 1. Juli 1968 haben mittlerweile über 130 Staaten unterschrieben und ratifiziert. Kein anderes Rüstungskontrollabkommen ist von so vielen souveränen Staaten unterzeichnet worden.
Es ist ein weiterer Erfolg, daß dem Nichtverbreitungsvertrag allein seit der letzten Überprüfungskonferenz 1985 sechs weitere Staaten beigetreten sind. Die Gefahr der Weiterverbreitung ist dennoch nicht gebannt; das ist richtig. Wir können nicht einmal ausschließen, daß sich in den Club der fünf offiziellen Atommächte heimlich neue Mitglieder eingeschlichen haben. Es ist auch richtig, daß das Kernstück des Nichtverbreitungsvertrages die in Art. VI festgelegte Verpflichtung der Supermächte zur umfassenden Abrüstung ist. Das ist gewissermaßen die gemeinsame Geschäftsgrundlage zwischen Atommächten und Nicht-Nuklearwaffenstaaten.
Seit Unterzeichnung des Nichtverbreitungsvertrages ist das nukleare Potential der Atommächte auf ein Vielfaches angewachsen. Dies ist eine weitere schwere Belastung des Atomwaffensperrvertrages. Aber die Situation hat sich wesentlich verändert; Kollege Lummer hat darauf hingewiesen. Durch die Unterzeichnung des INF-Vertrages ist jetzt endlich ein erster Schritt zur Erfüllung des Art. VI getan.
Wir sind keine Bedenkenträger, Herr Kollege Brandt. Wir werden alles tun, um den nuklearen Abrüstungsprozeß zu fördern. Von besonderer Bedeutung sind dabei die START-Verhandlungen und die Teststopp-Gespräche. Wir begrüßen die Zusammenarbeit der Supermächte bei der Durchführung und der Überwachung der Testexplosionen. Unser Ziel bleibt ein vollständiger und überprüfbarer Teststop.

(Zustimmung bei der FDP)

Die nukleare Abrüstung ist ein wesentlicher Beitrag zur Festigung und Stärkung des Nichtverbreitungsvertrages über 1995 hinaus. Bis zur nächsten Überprüfungskonferenz 1990 sind erhebliche Anstrengungen erforderlich, um den Konsens der Vertragspartner zu stärken und auch Nichtunterzeichner zum Beitritt zu bewegen. Die FDP befürchtet, daß die hierzu von der SPD vorgeschlagene zweite Konferenz aller NichtKernwaffenstaaten nicht zum Erfolg, sondern eher in die Sackgasse führt.
Im SPD-Antrag sprechen Sie von gemeinsamen Interessen aller Nicht-Kernwaffenstaaten. Wer sind diese Nicht-Kernwaffenstaaten? Sie unterstellen in diesem Antrag gewissermaßen, daß es sich hier um eine homogene Gruppe von Staaten handelt, die ähnliche Interessen, wenn nicht gar gleiche Interessen haben. Das Gegenteil ist aber der Fall. Diese Gruppe besteht zum einen aus Blockfreien und Neutralen, zum anderen aus Mitgliedern der beiden Bündnissysteme, aus Unterzeichnern des Nichtverbreitungsvertrages und aus Nichtunterzeichnern, vor allem aber aus Befürwortern der Nichtverbreitung einerseits und Beinahe- und Möchtegern-Atommächten andererseits. Seien wir doch realistisch. So ist die Lage.
Die FDP bezweifelt, daß in einem solchen Kreis ein Durchbruch erzielt werden kann. Die erste Konferenz der Nicht-Nuklearwaffenstaaten, auf die die SPD in ihrem Antrag Bezug nimmt, hat das auch klar gezeigt.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109502400
Sie gestatten eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Scheer?

Dr. Olaf Feldmann (FDP):
Rede ID: ID1109502500
Dem Herrn Kollegen Scheer immer.

Dr. Hermann Scheer (SPD):
Rede ID: ID1109502600
Herr Kollege Feldmann, wenn Sie befürchten, daß das Zusammensitzen von nichtnuklearen, neutralen Staaten, NATO-Staaten und Warschauer-Paktstaaten die Sache erschweren würde, wie erklären Sie sich dann, daß genau ein solches Zusammensitzen bei der ersten Konferenz den Durchbruch gebracht hat?

Dr. Olaf Feldmann (FDP):
Rede ID: ID1109502700
Das kann ich Ihnen genau erklären, Herr Kollege. Es ist keine homogene Gruppierung, sondern dabei sind, wie ich eben ausgeführt habe, die unterschiedlichsten Interessen vertreten.

(Dr. Scheer [SPD]: Damals auch!)

— Nein. Gerade das Argument schlägt gegen Sie, Herr Kollege Scheer. 1968 wurde die Verabschiedung nur von 50 % der Teilnehmer getragen. Nur 50 % der Teilnehmer haben zugestimmt, 30 % haben sich enthalten, und ca. ein Viertel hat dagegen gestimmt. Eine solche Resolution mit einer so knappen Mehrheit ist international nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben wurde.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Lamers [CDU/CSU]: So ist es leider!)

1968 war die internationale Situation in Sachen Nichtverbreitungsvertrag sicher weniger kompliziert und weniger brisant als heute. Deswegen, Herr Kollege Scheer, ist die Wahrscheinlichkeit besonders groß, daß eine zweite Konferenz nicht nur einen erneuten Mißerfolg mit sich brächte, sondern den gemeinsamen Bemühungen möglicherweise sogar zusätzlichen Schaden zufügen würde.
Die Bemühungen der FDP um globale Entspannung und Friedenspolitik sind stets an den Realitäten orientiert. Das gilt für die Westpolitik der 50er Jahre und für die gemeinsam mit der SPD auf den Weg gebrachte Ostpolitik. Das gilt auch für unsere Bemühungen, den Nichtverbreitungsvertrag zu stärken. Im Ziel sind wir uns einig, Herr Kollege Brandt und Herr Kollege Scheer. Den Vorschlag der SPD halten wir aber für sehr problematisch. Man kann die Welt nicht so einfach in Atommächte und atomare Habenichtse aufteilen.
Zum Beispiel sind wir als ein Nichtnuklearwaffenstaat Verbündeter von Atommächten. Gerade hier, meine ich, liegt für uns eine große Chance, auf die Erfüllung von Art. VI nachdrücklich hinzuwirken und Einfluß zu nehmen. Unsere Chance liegt aber nicht in einer Konferenz, die die Welt in zwei fiktive Lager teilt.
Sicherlich muß der Abrüstungsprozeß auf eine breitere Grundlage gestellt werden. Auch die atomare Abrüstung darf nicht allein den Nuklearmächten



Dr. Feldmann
überlassen werden. Aber es kann keinen Sinn machen, ein neues Internationales Forum zu schaffen, das die Atommächte ausgrenzt. Das ist nicht der richtige Weg, den gerade erst in Gang gekommenen Prozeß der nuklearen Abrüstung zu fördern. Atomare Abrüstung kann — das ist die Realität — nicht gegen die Atommächte durchgesetzt werden.
Zum Abschluß noch einige Bemerkungen zum Antrag der SPD. Ich will gerne einräumen, daß einige Nachbesserungen am Nichtverbreitungsvertrag, beispielsweise hinsichtlich des Kontrollregimes, wünschenswert erscheinen können. Ich muß allerdings davor warnen, dieses mühsam geschnürte Konsenspaket zu gefährden. Hierin liegt die eigentliche Gefahr Ihres Vorschlages. Damals, 1985, Herr Kollege Scheer, ging es nur um die Erfüllung der Abrüstungsverpflichtung aus Art. VI. Jetzt laufen Sie Gefahr, durch Ihren umfassenden Forderungskatalog eine Vielzahl unterschiedlichster Änderungswünsche geradezu zu provozieren. Dadurch würde das Ganze in Gefahr gebracht werden.
Die FDP unterstützt die Bundesregierung in ihrem nachhaltigen Bemühen, die Zusammenarbeit mit anderen Staaten — Nuklearmächten wie Nichtnuklearmächten — zu verstärken und auf eine möglichst unbefristete Fortschreibung des Nichtverbreitungsvertrages über 1995 hinaus hinzuarbeiten.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109502800
Das Wort hat Herr Staatsminister Schäfer.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1109502900
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Nichtverbreitungsvertrag ist gegenwärtig von 138 Staaten ratifiziert und damit der Vertrag mit der größten Zahl von Parteien in der Geschichte der Abrüstung und Rüstungskontrolle überhaupt.
In einer Erklärung am 1. Juli 1988 aus Anlaß des 20. Jahrestages des Nichtverbreitungsvertrages hat Bundesaußenminister Genscher erklärt:
Der Nichtverbreitungsvertrag hat sich als ein wichtiger Eckpfeiler der internationalen Stabilität und Friedenssicherung bewährt. Wir werden uns auch zukünftig dafür einsetzen, daß der Nichtverbreitungsvertrag als Instrument einer wirksamen Verhinderung der Weiterverbreitung von Kernwaffen und als Basis für die internationale Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung von Kernenergie integral bestätigt und bekräftigt wird.
Insofern, Herr Kollege Brandt, gibt es eine Kontinuität der Außenpolitik von Ihrer ersten Teilnahme an dieser Konferenz bis heute.
Der Bundesaußenminister hat ferner ausdrücklich an alle Staaten appelliert, die dies noch nicht getan haben, dem Nichtverbreitungsvertrag beizutreten. Der beste Beitrag zur Nichtverbreitung ist der Beitritt zum Nichtverbreitungsvertrag. Bei dieser Haltung bleibt die Bundesregierung; sie ist unverändert aktuell und dringlich.
Meine Damen und Herren, es wäre eine verhängnisvolle Entwicklung, wenn mehr und mehr Staaten über Kernwaffen verfügen könnten. Dies gilt gerade angesichts offener und latenter Krisenregionen in der Dritten Welt, und ich meine, die Dritte Welt ist nicht so weit von Europa entfernt. Wenn ich an die Mittelmeerregion und den ungelösten Nahostkonflikt denke, dann, glaube ich, müssen wir auch in diesem Zusammenhang vor Folgen warnen, die uns beispielsweise schon bei der Anwendung anderer Waffensysteme, etwa im Golfkrieg, auf drastische Weise zeigen, wohin eine Entwicklung treiben kann, wenn sie nicht kontrolliert wird.
Bei der Schaffung des Nichtverbreitungsvertrages war es das Verlangen aller Staaten, insbesondere der Nichtkernwaffenstaaten, von der Möglichkeit zur friedlichen Nutzung der Kernenergie nicht ausgeschlossen zu werden. Dafür hatte sich die damalige Bundesregierung bei den entsprechenden Erörterungen während der Aushandlung des Nichtverbreitungsvertrages mit anderen Nichtkernwaffenstaaten in besonderem Maße eingesetzt. Art. VI des Nichtverbreitungsvertrages verpflichtet alle Vertragsparteien — ich zitiere — „in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle". Art. VI spricht zwar in erster Linie die Kernwaffenstaaten des Vertrages an, beinhaltet insgesamt jedoch einen umfassenderen Ansatz als den der nuklearen Abrüstung. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Erwartungen, die sie und ihre Vorgänger an Art. VI geknüpft haben, bislang nicht erfüllt sind. Sie sieht jedoch in dem seit der amerikanisch-sowjetischen Gipfelbegegnung in Reykjavik in Gang gekommenen Abrüstungsdialog zwischen den USA und der Sowjetunion eine ermutigende Entwicklung in diesem Zusammenhang.
Mit dem INF-Vertrag ist ein wichtiger erster Schritt gemacht worden. Vorrangig bleibt, daß die beiden Großmächte ihre Verhandlungen intensivieren, damit ein Abkommen über die Reduzierung ihrer strategischen Nuklearwaffen um 50 % möglichst bald abgeschlossen werden kann. Die Bundesregierung geht dabei davon aus, daß sich die Kernwaffenstaaten ihrer Verpflichtung aus dem Nichtverbreitungsvertrag bewußt sind. Die Präambel des INF-Vertrages enthält im übrigen auch eine ausdrückliche Bezugnahme auf Art. VI des Nichtverbreitungsvertrages.
Die Bundesregierung wird sich auch zukünftig mit Nachdruck für die zügige Weiterführung der nuklearen Abrüstungsverhandlungen einsetzen. Die Forderung, Herr Kollege Scheer, nach einer zweiten Konferenz der Nichtkernwaffenstaaten im Vorfeld der 1990 stattfindenden vierten Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag, die den Kern des vorliegenden Antrages stellt, ist nicht neu. Ich darf daran erinnern, daß wir bereits im Januar 1985 einen ähnlichen Antrag im Vorfeld der dritten Überprüfungskonferenz hatten. Wir haben damals bei den Aussprachen und Fragestunden im Januar und im Juni 1985 schon im einzelnen dargelegt, warum wir eine derartige Konferenz nicht für zweckmäßig halten. Unser Stand-



Staatsminister Schäfer
punkt in dieser Frage hat sich seitdem nicht geändert. Aus dem vorliegenden Antrag ist z. B. nicht ersichtlich, ob eine Konferenz aller oder nur der Nicht-Kernwaffenstaaten angestrebt wird, die dem Nichtverbreitungsvertrag beigetreten sind.
Lassen Sie mich in bezug auf die Konferenz der Nicht-Kernwaffenstaaten vom Sommer 1968, die als Vorbild herangezogen wird, einige Fakten vortragen, die der damalige Leiter der bundesdeutschen Delegation, Außenminister Brandt, sicher bestätigen kann. Die Konferenz erhielt ihr Mandat durch Resolutionen der UN-Generalversammlung vom 17. November 1966 und vom 19. Dezember 1967. Es war auf drei Themenbereiche beschränkt, nämlich Sicherheitsgarantien für Nicht-Kernwaffenstaaten, Kooperation der Nicht-Kernwaffenstaaten mit dem Ziel der Nichtverbreitung und Nutzung von Nuklearsprengkörpern zu ausschließlich friedlichen Zwecken. Da diese Konferenz vom 29. August bis 28. September 1968 anberaumt war, konnte sie den Nichtverbreitungsvertrag, der bereits am 1. Juli 1968 zur Unterzeichnung ausgelegt worden war, inhaltlich nicht beeinflussen. An der Konferenz nahmen auch Staaten wie Indien, Südafrika, Israel, Algerien, Brasilien und Argentinien teil, die es leider bis heute abgelehnt haben, dem Nichtverbreitungsvertrag beizutreten.
Aus der Tatsache, daß durchgängig über sämtliche Resolutionen der Konferenz — darauf hat Herr Kollege Feldmann hingewiesen — mit einem Stimmenverhältnis von etwa 50 % Ja-Stimmen und 50 % Enthaltungen bzw. NeinStimmen abgestimmt wurde, wird deutlich, daß gemeinsame Positionen angesichts der sehr großen Unterschiede zwischen den NichtKernwaffenstaaten nicht erreichbar waren.
Die Nicht-Kernwaffenstaaten, die Mitglieder des Vertrages sind, können alle von Ihnen im Antrag aufgelisteten Themenkreise im Rahmen der Überprüfungskonferenz erörtern. Es bedarf also einer solchen Vorkonferenz nicht. Drei Kernwaffenstaaten und 138 Nicht-Kernwaffenstaaten sind zur Teilnahme an dieser Überprüfungskonferenz berechtigt. Nach Wissen der Bundesregierung ist bisher von keinem anderen Staat die Einberufung einer zweiten Konferenz, Vorkonferenz, der Nicht-Kernwaffenstaaten angeregt oder befürwortet worden.

(Dr. Scheer [SPD]: Es muß ja mal einer einen Stein ins Wasser werfen!)

— Na, schön, Sie können den Stein ins Wasser werfen, es fragt sich nur, ob 141 Staaten bereit sind, Ihnen dann in der kurzen Zeit zu folgen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, entgegen vielfach auch in den Aussprachen im Bundestag vom Januar und Juni 1985 geäußerten Befürchtungen konnte die dritte Überprüfungskonferenz am 21. September 1985 mit einem substantiellen Schlußdokument erfolgreich abgeschlossen werden.
In zwei Jahren wird die vierte Nichtverbreitungsüberprüfungskonferenz stattfinden. Sie wird die letzte Überprüfungskonferenz vor der Konferenz im Jahre 1995 sein, die gemäß Art. X Abs. 2 des Nichtverbreitungsvertrages mit einer Mehrheit der Vertragsparteien beschließen muß, ob der Vertrag auf unbegrenzte Zeit in Kraft bleibt oder um eine oder um mehrere Fristen verlängert wird. Von der vierten Überprüfungskonferenz erwartet die Bundesregierung eine kritische, jedoch konstruktive Durchleuchtung des Nichtverbreitungsvertrages, die seine Ziele bekräftigt. Ein positives Ergebnis würde das Nichtverbreitungsregime stärken und zur Sicherung des Bestandes des Nichtverbreitungsvertrages auch über 1995 hinaus, beitragen.
Die Bundesregierung wird ihren Beitrag hierzu leisten. Sie wird sich für Initiativen einsetzen, die geeignet sind, das Nichtverbreitungsregime zu festigen und den Bestand des Nichtverbreitungsvertrages auch über 1995 hinaus zu gewährleisten. Ob eine Änderung des Vertrages einen geeigneten Weg zur Erreichung dieses Zieles darstellt, wird sich insbesondere im Licht der Konferenz im Jahre 1995 erweisen. Äußerungen, die auf eine fundamentale Änderung des Nichtverbreitungsvertrages hinweisen, sind der Bundesregierung bisher nur von Indien, das nicht Mitglied des Nichtverbreitungsvertrages ist, bekanntgeworden.
Wir stehen Änderungsinitiativen im Vorfeld von 1995 eher skeptisch gegenüber. Es ist zu befürchten, daß, das aus vielen schwierigen Kompromissen bestehende Paket des Vertrages falls es erst einmal geöffnet wird, wegen einer Vielzahl von Änderungsinitiativen wahrscheinlich nicht wieder zusammengeschnürt werden kann.

(Zuruf von der FDP: Das ist die Gefahr!)

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung wird sich aber weiter dafür einsetzen, daß der Nichtverbreitungsvertrag, für den es gegenwärtig und nach unserer Auffassung auch auf lange Sicht keine erkennbare Alternative gibt, weiter gelten wird.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109503000
Das Wort hat der Abgeordnete Lowack.

Ortwin Lowack (CSU):
Rede ID: ID1109503100
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der SPD betrifft zweifellos ein Anliegen, das unser aller Interesse verdient. Lieber Kollege Brandt, ganz inaktiv waren wir weder in Oppositionszeiten noch in der Zeit, in der wir an der Regierung sind, nicht, sicher aber mit einem anderen Aspekt. Ich glaube, es ist geradezu die Pflicht der Vertragsstaaten, die keine Atomwaffen haben, auf die Pflichten der Vertragsstaaten hinzuweisen, die atomare Waffen haben.
Sinn des Vertrages war es sicher nicht, Supermächte künstlich zu schaffen oder Machtstrukturen zu betonieren. Vielmehr wollten wir mit unserem Souveränitätsverzicht — der Vertrag sieht ja auch sehr einschneidende Kontrollen vor — auf der anderen Seite auch Gegenleistungen erreichen, die — das darf ich sagen — jedenfalls von den Supermächten bislang nicht erbracht wurden, wenn man von dem INF-Abkommen einmal absieht.
Der Vertrag sollte die Weiterverbreitung verhindern, aber unter der Prämisse, daß die Kernwaffenstaaten nicht weiter aufrüsten. Gerade die Sowjet-



Lowack
union hat in den 70er Jahren in einem Umfang auf gerüstet, auch im nuklearen Bereich, daß ich mich schon manchmal frage: Haben die Nicht-Kernwaffenstaaten, hat die Bundesrepublik Deutschland eigentlich die Zeit genutzt, um sich unter Berufung auf diesen Vertrag gegen diese Aufrüstung zu wenden? Viele der Probleme, die wir heute haben, sind leider erst nach Abschluß dieses Vertrages eingetreten. Ich glaube, wir haben gar keinen Grund, besonders stolz zu sein, wenn man sich die Ergebnisse anschaut.
Noch eines, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD: Die Frontstellung — auf der einen Seite Nicht-Kernwaffenstaaten, auf der anderen Seite Kernwaffenstaaten — können wir, weil sie eine echte Blickverengung ist, so nicht akzeptieren. Es ist leider immer das Problem, daß die Sozialdemokraten um so einseitigere Anträge stellen, je länger sie in der Opposition sind.

(Widerspruch bei der SPD)

Die westliche Rüstung war leider immer eine Reaktion auf Vorrüstung und Rüstungswahn der Sowjetunion. Das wird von klugen sowjetischen Journalisten und manchen Politikern heute ja schon eingeräumt. Leider nehmen wir einzelne Äußerungen aus der Sowjetunion immer schon als Wahrheit und forschen nicht nach, was wirklich geschieht.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Herr Lowack, sprechen Sie für die CSU oder die Koalitionsfraktionen? — Lummer [CDU/CSU]: Er spricht für die Vernunft! — Frau Unruh [GRÜNE]: Wo steckt die bei Ihnen? — Glocke des Präsidenten)

Die Rüstung der westlichen Allianz war vor allem immer defensiv. Ein Teil der nuklearen Systeme, die wir im Verteidigungsbündnis akzeptiert haben und die bei uns lagern, ist leider, meine sehr verehrten Damen und Herren, Kompensation für sonst dringend benötigte konventionelle Rüstung, die wir vernünftigerweise nicht bezahlen und für die wir nicht weiteres Personal stellen wollen.
Das eigentliche Drama ist doch, daß die sowjetische Verteidigungskonzeption bis heute, d. h. auch unter Gorbatschow, davon ausgeht, daß man in diesen 13 vorgestellten Kriegsszenarien immer stark genug sein möchte, um einen Krieg auf dem Territorium des Gegners führen und gewinnen zu können. Das Motto „Angriff ist die beste Verteidigung" ist leider bis heute immer noch offizielle sowjetische Doktrin.
Für uns bedeutet das, daß die Abrüstung im nuklearen Bereich, die zweifellos einer der Hauptzwecke des NV-Vertrages ist, die Probleme noch lange nicht löst. Solange der Warschauer Pakt seine Doktrin nicht geändert hat, gewaltige Überrüstungen, die in der Zwischenzeit zugestanden werden, nicht abbaut und uns auch vom System her — eine Demokratisierung würde einiges erleichtern — Probleme schafft,

(Frau Unruh [GRÜNE]: Sprechen Sie mal mit Zimmermann!)

haben nukleare Systeme leider ihren Sinn. Auch die Systeme, die wir auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland stationiert haben, haben — leider — bis heute eine wichtige Aufgabe zu erfüllen: durch ihre
Abschreckung nicht nur einen nuklearen, sondern auch einen konventionellen Krieg zu verhindern.
Was uns am Antrag der Sozialdemokraten stört, ist, daß er leider völlig überfrachtet ist. Die Anliegen, die hier alle untergebracht werden, werden wir unmöglich in eine Konferenz einbringen können. Immerhin: Es sind einige Anregungen drin, die es wert sind, die Sache im Ausschuß im einzelnen zu erörtern.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU — Heistermann [SPD]: Dann fangen Sie doch mal an!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109503200
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Scheer.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Herr Scheer, die Rede von Lowack war interessant, nicht?)


Dr. Hermann Scheer (SPD):
Rede ID: ID1109503300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es zeichnet eine Bundestagsdebatte in einer ersten Lesung zu einem Antrag nicht aus, wenn vorbereitete Antworten, die eigentlich eine zweite Lesung, also eine gründliche Erörterung, überflüssig machen würden, einfach nur so gegeben werden. Wir wollen diesen Antrag nicht als plakativen Antrag verstehen, sondern sehr wohl unseren Wunsch zum Ausdruck bringen, daß andere diese Initiative mittragen, damit es eine bundesdeutsche Initivative werden kann. Wir bitten also darum, noch einmal nachzudenken.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf drei Punkte eingehen, die ich aus der Debatte herausgelesen habe, die gegen unseren Antrag sprechen.
Erstens. Es sei, sagt Herr Staatsminister Schäfer, bisher nicht erkennbar gewesen, daß andere einen solchen Wunsch geäußert hätten. Unsere Antwort: Erkennbar, sehr stark erkennbar ist der Unmut der Nicht-Kernwaffenstaaten über den mangelnden Fortschritt in der Erfüllung des Art. VI, also der atomaren Abrüstung. Was bisher auf Konferenzen an neuen Initiativen formal nicht erkennbar war, spricht ja nicht dagegen, eine Initiative zu ergreifen.
Wir müssen doch vorausschauend auf das Jahr 1995 hin sehen: Wie kommen wir über diese Klippe hinweg, ohne daß sich die Zahl der Kernwaffenstaaten ausweitet, und können wir das Vertragssystem stärken? Vorausschauende Politik ist doch das Ziel.

(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Es wurde gesagt, eine Debatte über Änderungen könne das Vertragswerk gefährden. Nun enthält unser Antrag Vorschläge zur Erörterung, welche Punkte geändert werden könnten. Eine Debatte darüber hat noch nie geschadet, es sei denn, man geht gewissermaßen mit einem Alles-oder-nichts-Standpunkt in eine solche internationale Diskussion.
Wir müssen aber eines sehen: Die Entwicklungen der letzten 20 Jahre und die voraussehbaren Entwicklungen der nächsten Jahre können über ein Vertragswerk hinweggehen, wenn dieses nicht mit den Problemen und mit der Zeit geht. Es kann hohl werden. Wir meinen aber, es darf nicht hohl werden, weil es einer



Dr. Scheer
der essentiellsten Vertragswerke in diesem atomaren Zeitalter überhaupt ist.

(Dr. Feldmann [FDP]: Da stimmen wir ja auch zu!)

Drittens. Zu dem Argument, es passe nicht in die Landschaft der Bündnissysteme. Es tut mir leid, Herr Feldmann, daß Sie dies gesagt haben. Die erste Konferenz paßte auch nicht in die Landschaft der Bündnissysteme. Aber gerade das war die Voraussetzung dafür, daß die nichtnuklearen Staaten einmal unter sich ihre Prioritäten, nämlich diesem Vertragswerk beizutreten, mehrheitlich finden konnten.
Das Kernproblem, mit dem wir es zu tun haben, ist doch, daß der Kernwaffensperrvertrag ein Vertragswerk ist, das zwei verschiedene Kategorien von Staaten geschaffen hat:

(Dr. Feldmann [SPD]: Nicht nur zwei!)

die Klasse der Kernwaffenstaaten und die Klasse der Nicht-Kernwaffenstaaten, aber natürlich nicht auf Dauer, sondern als Übergang hin zu einem Zustand eines Völkerrechts, in dem es wiederum nur NichtKernwaffenstaaten gibt. Das war das Ziel.
Es ist in den letzten Jahren immer wieder so gewesen, daß dieses gemeinsame Interesse der Nicht-Kernwaffenstaaten nicht in ausreichender Form

(Zuruf des Abg. Dr. Feldmann [FDP])

— Herr Feldmann, ich will doch gar nicht polemisieren — artikuliert wurde, weil die jeweiligen Bündnisrücksichtnahmen — hier NATO, dort Warschauer Pakt — dem entgegenstanden. Aber es gibt ein gemeinsames Interesse aller Nicht-Kernwaffenstaaten. Dieses gemeinsame Interesse herauszuarbeiten und den gemeinsamen Druck hin zu einem Völkerrecht, das keine Unterscheidungen dieser schwerwiegenden Art mehr kennt, zu schaffen ist doch das politische Ziel. Dies paßt von den Problemen her allemal in die Landschaft. — Sie haben eine Zwischenfrage.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109503400
Danke schön. Bitte, Sie haben sie.

Dr. Olaf Feldmann (FDP):
Rede ID: ID1109503500
Herr Kollege Scheer, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir im Ziel übereinstimmen und uns nur im Weg unterscheiden?

Dr. Hermann Scheer (SPD):
Rede ID: ID1109503600
Ja, natürlich. Wenn wir im Ziel übereinstimmen, Herr Feldmann, dann muß man doch nicht bei den Problemen — die wir alle sehen, wie fragil nämlich dieses Vertragswerk werden kann — alles, was an zusätzlichen Initiativen notwendig ist, zurückweisen unter Verweis auf Initiativen, die gegenwärtig auf Konferenzen stattfinden, die das Problem offensichtlich doch nicht ausreichend in den Griff bekommen.
Wir haben es damit zu tun, daß, wenn eine Reihe von Staaten, die Atomwaffen haben, nach wie vor — wie es sich abzeichnet — darauf bestehen, daß das atomare Abschreckungssystem für sie selber eines für die Dauer sein soll, und nicht ein System des Übergangs zur Atomwaffenfreiheit, dies natürlich den Übergang von bisherigen Nicht-Kernwaffenstaaten bzw. Schwellenmächten hin zu Kernwaffenstaaten geradezu provoziert. Das ist die Gefahr, die in den
90er Jahren eklatant gegeben ist. Davor dürfen wir nicht die Augen verschließen.
Es ist deshalb selbstverständlich erforderlich — ich kann das nur noch einmal unterstreichen — , daß die Nicht-Kernwaffenstaaten ihre spezifischen gemeinsamen Interessen, in diesem Punkte nicht durch Bündnisrücksichtnahmen durchkreuzt, und ihre spezifischen Anliegen, zu atomarer Abrüstung und zu den dafür erforderlichen Rahmenbedingungen zu kommen, artikulieren.
Es kann sein, daß Ihnen der Antrag heute noch nicht aktuell genug erscheint. 1985 haben wir ihn schon einmal gestellt. Das war in bezug auf die Überprüfungskonferenz von 1985 vielleicht ein bißchen zu kurzfristig. Aber jetzt sind wir im Jahre 1988. Wir hätten zwei Jahre Zeit, und es könnte ja sein, daß es in den Vereinten Nationen Länder gibt — das wäre ja nicht das erste Mal — , die eine sozialdemokratische Initiative aufgreifen, und daß sich die Bundesregierung dem dann gewissermaßen auf Umwegen anschließt. Vielleicht überlegen Sie sich in den Ausschußberatungen, es gleich jetzt zu tun.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109503700
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion der SPD an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Es erfolgt nun ein Wechsel im Präsidium.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109503800
Ich rufe Punkt 22 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Konsequenzen aus der Katastrophe des Flugtages in Ramstein am 28. August 1988
— Drucksache 11/2897 —
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuß (federführend) Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Verkehr
Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, daß die Beratungen auf eine Stunde begrenzt werden. Ich frage das Haus, ob es mit diesem Verfahrensvorschlag einverstanden ist. — Das ist offensichtlich der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Götte.

Dr. Rose Götte (SPD):
Rede ID: ID1109503900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Tod von jetzt 67 Männern, Frauen und Kindern, das Leid ihrer Angehörigen, die Schmerzen der Verletzten und die Verzweiflung derer, die für den Rest ihres Lebens entstellt oder behindert sein werden, können durch keine Maßnahmen und auch durch keinen Untersuchungsausschuß wiedergutgemacht werden.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Sehr wahr!)

Der Deutsche Bundestag hat seine Trauer über die
Katastrophe von Ramstein bekundet. Aber unsere
Worte des Mitgefühls und der Betroffenheit würden



Frau Dr. Götte
sich als hohle Phrasen entpuppen, wenn wir nun nicht alle Hebel in Bewegung setzten, um endlich sicherzustellen, daß nie wieder eine Flugschau in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden darf,

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

und wenn wir nicht alle ernsthaft den Willen hätten, zu klären, warum sich diese Katastrophe ereignen konnte und wer die Verantwortung dafür trägt.
Wie war es möglich, daß so viele Warnungen und teilweise fast flehentliche Bitten, auf Flugschauen zu verzichten und statt dessen einen Tag der offenen Tür zu veranstalten, so verdrängt, überhört, mißverstanden und falsch interpretiert wurden? Haben wir — die SPD, die GRÜNEN, die Gewerkschaften, die Kirchen und die Bürgerinitiativen — vielleicht die falschen Worte, die falschen Aktionen gewählt, so daß unser Protest wie das lästige Quengeln ungezogener Kinder abgetan werden konnte? Worte haben nichts bewirkt.
Aber wie war es möglich, daß auch die Fakten, nämlich die tödlichen Unglücksfälle bei Flugschauen in Bad Dürkheim, Mannheim, Frankfurt, Aschaffenburg, Siegen, Hannover und bei zahlreichen Flugschauen im Ausland, kein Umdenken in Gang gesetzt haben?
Ist es nicht grauenhaft, daß wir jetzt feststellen müssen, daß der Tod von zwei Menschen, von sechs Menschen, auch von 46 Menschen nicht ausreicht, die Verantwortlichen zur Besinnung zu bringen, daß erst eine Katastrophe vom Ausmaß von Ramstein geschehen muß, ehe ein Schlußstrich unter dieses unverantwortliche, militärisch absolut überflüssige Spiel mit dem Tod gezogen wird?

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr. Vogel [SPD]: Der Minister ist erheitert! Nehmen Sie ins Protokoll: Der Minister ist erheitert! Er lächelt! — Weitere Zurufe von der SPD: Eiskalt! Dickfellig!)

Die Pfarrersfamilie von Frankfurt, die am Pfingstmontag 1983 von einem Starfighter anläßlich einer Flugschau auf der Autobahn erschlagen wurde, war noch nicht beerdigt, als Staatssekretär Würzbach vor dem Bundestag erklärte, daß auf derartige Flugschauen grundsätzlich nicht verzichtet werden könne. So blieb den Angehörigen nicht einmal der Trost, daß der Tod dieser Menschen wenigstens den einen Sinn gehabt hätte: daß die Verantwortlichen zur Besinnung kommen und weiteres Unheil vermieden hätten.
Lediglich eine Konsequenz wurde gezogen. In einem Brief an den Vater der 19jährigen Gesine Wagner, die ebenfalls im Auto der Pfarrersfamilie saß nach 81 qualvollen Tagen ihren Brandwunden erlag, schrieb der Staatssekretär, er habe verfügt, über Ballungsgebieten keine Flugvorführungen militärischer Luftfahrzeuge mehr zuzulassen.
Welche Ironie, Flugschauen über Ballungsgebieten zu verbieten und sie dort zuzulassen, wo 300 000 oder mehr Menschen dichtgedrängt versammelt sind!

(Lowack [CDU/CSU]: Die zur Flugschau hingekommen sind!)

Der Untersuchungsausschuß wird viele Fragen zu klären und Widersprüche aufzudecken haben.
Eine ganze Reihe von Aussagen, die der Verteidigungsminister nach der Katastrophe vor der Presse gemacht hat, stehen im Widerspruch zu den Erkenntnissen, die der Verteidigungsausschuß während seiner Sondersitzung nach der Katastrophe gewonnen hat. Der Sicherheitsabstand zwischen Flugzeugen und Publikum sei mit 450 m doppelt so groß gewesen, wie es die internationalen Regeln vorschreiben, sagte der Minister, obwohl die STANAG bei Kurvenflügen, die ja in Ramstein praktiziert wurden, einen Mindestabstand von 900 m vorschreibt.
Bei bewölktem Himmel, so erfuhren wir, dürfen die vorgesehenen Flugfiguren nicht geflogen werden. Bei der Generalprobe am Samstag vor dem Unglückstag konnte der italienische Pilot, der später den Absturz verursacht hat, seinen Part nicht zu Ende fliegen, weil er wegen Wolken nichts sehen konnte.
Es geht in diesem Untersuchungsausschuß aber nicht nur um die Frage der Einhaltung oder Nichteinhaltung von Sicherheitsvorschriften, auch nicht nur um die rechtlichen Grundlagen für Genehmigung und Durchführung von Flugtagen; es geht auch um das Demokratieverständnis dieses Ministers und vor allem um seine Verantwortung für das Tun wie für das Unterlassen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Herr Minister Scholz, Sie hatten großes Verständnis für die Wünsche der Amerikaner, deren Gefühle man, wie es der rheinland-pflälzische Ministerpräsident formulierte, „nicht überstrapazieren" dürfe. Sie hatten auch großes Verständnis für die vielen Schaulustigen, die man, wie Sie Johannes Rau schrieben, „nicht enttäuschen" dürfe.
Sie hatten auch — das gebietet Ihr Amt — Verständnis für den Wunsch der deutschen und amerikanischen Luftwaffe, die Bewunderung und Begeisterung eines großen Publikums genießen zu dürfen.
Warum aber hatten Sie keinerlei Verständnis für die Resolutionen des Stadtrats und des Kreistages von Kaiserslautern, für die Entschließungen vieler Gemeinderäte rund um Ramstein, die sogar meistens einstimmig gefaßt wurden, für die Mahnungen des Kirchenpräsidenten, für den Protest der 45 pfälzischen Bürgermeister?
Warum haben die vielen Briefe, die 13 000 Unterschriften aus Heiligenkirchen, die beiden sehr persönlichen und eindringlichen Mahnbriefe des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten noch nicht einmal so viel Zweifel oder Verunsicherung bei Ihnen und Ihrem Haus auslösen können, daß Sie sich wenigstens einmal danach erkundigt hätten, was denn nun eigentlich an Flugvorführungen in Ramstein vorgesehen ist? Sie konnten vor dem Verteidigungsausschuß weder die Frage beantworten, wieviel Tote es bei früheren Unfällen gegeben hat, noch die Frage, ob die Frecce Tricolori schon bei früheren Veranstaltungen in Ramstein aufgetreten sind, noch die Frage, ob überhaupt und gegebenenfalls welche Sicherheitsauflagen den Veranstaltern gemacht worden seien.



Frau Dr. Götte
Die Genehmigung für den Flugtag, so hörten wir, sei erteilt worden, ohne — so wörtlich — daß die Inhalte der Vorführung Gegenstand der Prüfung gewesen seien.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Unverantwortlich! — Zuruf von der SPD: Unerhört!)

Es war in der Zeit vor der Katastrophe nicht möglich, Ihnen oder auch den amerikanischen Verantwortlichen in Ramstein klarzumachen — ich habe das mehrfach versucht — , daß es die Mehrheit der Bevölkerung in der Westpfalz als blanken Hohn empfindet, wenn sie — sozusagen als Belohnung für einen Sommer voll unerträglichen Fluglärms — auch noch die Belastung und Gefährdung durch einen Flugtag am Sonntag und die vorhergehenden Trainingsflüge hinzunehmen hätten.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Perverses Denken ist das!)

Ich wollte, Sie würden wenigstens jetzt eine Spur von Sensibilität für die Staatsverdrossenheit und die ohnmächtige Wut entwickeln, die sich bei vielen Bürgern in der Pfalz ausbreitet; und ich wünschte, Sie würden endlich begreifen, daß Sie mit dieser Flugschau keinen Beitrag zur Förderung der deutsch-amerikanischen Freundschaft geleistet haben.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Wir können Ihnen nicht helfen. Sie müssen sich der Verantwortung stellen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109504000
Das Wort hat der Abgeordnete Kossendey.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Was kommt da noch alles auf uns zu mit so einem Minister?)


Thomas Kossendey (CDU):
Rede ID: ID1109504100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Schrecken der Katastrophe von Ramstein wird uns noch lange bewegen, und er wird zu Konsequenzen führen. Daher kann ich mich der Kollegin Götte anschließen.
Als Berichterstatter in dem kommenden Untersuchungsausschuß möchte ich jedoch zu Ihrem Antrag einige Anmerkungen machen. Die Kollegen von den Sozialdemokraten haben diesen Ausschuß beantragt. Sie werden erleben, daß meine Fraktion mit dem gleichen Engagement wie Sie in diesem Ausschuß mitarbeiten wird, weil wir ein gleiches Interresse an der Aufklärung aller Vorfälle haben, die dorthin geführt haben, und weil wir das ändern wollen, was zur Katastrophe geführt hat.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr. Vogel [SPD]: Im Unterschied zu dem, was Herr Biehle sagt!)

Sie können aber auch davon ausgehen, daß wir uns in dieser Ausschußarbeit nicht von Vorverurteilungen leiten lassen wollen.

(Lowack [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Vorverurteilungen sind, glaube ich, das Schlechteste, was einen Untersuchungsausschuß in der Einleitungsphase begleiten kann.

(Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Wir dürfen eine redliche und für uns offene politische Debatte nicht durch voreilige Schuldzuweisungen ersetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Da Sie nun den Minister Scholz ins Visier genommen haben, möchte ich auch dazu meine Meinung sagen: Bundesminister Scholz hat nach der Katastrophe schnell und entschieden gehandelt. Das wird ihm von einigen von Ihnen zum Vorwurf gemacht. Wissen Sie, ich bin gar nicht sicher, was Sie eigentlich wollen. Wenn ein Politiker eine Meinung, einen Vorgang in Ruhe abwägt und vorbereitet, dann hängen Sie ihm das Etikett „Aussitzen" an; und wenn einer schnell und entschieden handelt, dann schießt er nach Ihrer Meinung aus der Hüfte.
Ich sage noch mal deutlich: Unsere Fraktion begrüßt dieses schnelle Handeln des Ministers. Er hat den Flugtag in Lechfeld abgesagt. War das etwa falsch? Er hat angeordnet, daß auf militärischen Flugschauen in Zukunft kein Kunstflug mehr passieren darf. Hätten Sie das anders entschieden?

(Lowack [CDU/CSU]: Überhaupt nicht!)

Er hat den über jeden Zweifel erhabenen General Steinhoff gebeten, eine genaue Abgrenzung zwischen Kunstflug und militärisch notwendigem Flug vorzunehmen. Hätten Sie dafür eine andere Lösung gehabt?
Ein gleichermaßen entschiedenes Handeln der Luftwaffenführung — gestatten Sie mir diese Anmerkung — im Komplex Nörvenich hätten wir als wohltuend empfunden. Damit wäre übrigens auch manche Beschädigung des Ansehens der Luftwaffe vermieden worden.

(Abg. Jungmann [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109504200
Herr Abgeordneter Kossendey, gestatten Sie — —

Thomas Kossendey (CDU):
Rede ID: ID1109504300
Nein; ich glaube, jetzt lieber nicht.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sie müssen erst einen Untersuchungsbericht darüber machen!)

Dieses schnelle Handeln von Minister Scholz ist ihm in einigen Zeitungen zum Vorwurf gemacht worden. Ein ehemaliges Regierungsmitglied — ich muß das hier leider sagen — nannte das Verbot des Flugtags in Lechfeld und das Verbot des militärischen Kunstflugs feige und opportunistisch. Dieser Mann, ein ehemaliger Staatssekretär, der die Welt im Augenblick offensichtlich nur am Sonntag betrachtet, und das auch nur vom grünen Tisch aus, vergißt, welche Aufgabe wir Politiker haben. Wir sind nicht nur für Sonntage gewählt, sondern sind gerade für die Werktage da. Die Bürger erwarten von uns angesichts der Katastrophe ein Innehalten.

(Zuruf von der SPD: Wer war das denn?)

Sie erwarten von uns eine sorgfältige und schnelle
Prüfung aller Umstände, die ursächlich gewesen sein



Kossendey
könnten und die so unsägliches Leid über die Betroffenen gebracht haben.
Nach meiner Meinung — auch das muß gesagt werden — hätten wir uns der Lösung dieser Probleme unter Umständen etwas schneller genähert, wenn wir nach dem 7. September, dem Tag, an dem wir zum ersten Mal im Verteidigungsausschuß darüber diskutiert haben, uns sehr schnell darauf hätten verständigen können, einige zusätzliche Verteidigungsausschußsitzungen zu machen. Sie haben den Weg über den Untersuchungsausschuß gewählt. Das führt dazu, daß wir uns nun frühestens ab Mitte Oktober mit dieser Angelegenheit befassen können.

(Jungmann [SPD]: Wieso denn? Sie können doch früher tagen!)

Ich habe manchmal den Eindruck — gestatten Sie mir auch diesen Hinweis — , daß Ihr Interesse an einer zügigen Aufklärung manchmal etwas hintangestellt wird, zugunsten eines parteitaktischen Spielchens.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Widerspruch bei der SPD)

Anders, Herr Vogel, kann ich mir nicht erklären, daß Sie am 7. September in einer Sitzung des Verteidigungsausschusses, die sieben Stunden lang dauerte, schon nach einer Stunde erklärt haben, Sie bräuchten einen Untersuchungsausschuß, als Sie noch gar nicht wissen konnten, was in den folgenden sechs Stunden alles auf uns zukommt.

(Abg. Jungmann [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109504400
Herr Abgeordneter Kossendey, habe ich Ihre Bemerkung richtig verstanden, daß Sie grundsätzlich keine Zwischenfragen wollen?

Thomas Kossendey (CDU):
Rede ID: ID1109504500
Ich grundsätzlich nicht, nein.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109504600
Danke schön. Dann wäre ich dankbar, wenn Sie darauf Rücksicht nähmen.

(Jungmann [SPD]: Freisprüche sind aber gestattet!)


Thomas Kossendey (CDU):
Rede ID: ID1109504700
Für uns wird es im Untersuchungsausschuß darauf ankommen, zu beiden Komplexen ausreichend Aufklärung zu erhalten, um Konsequenzen für die Zukunft zu ziehen.
Was die Katastrophe in Ramstein angeht, so muß man deutlich sagen, daß Ramstein entsprechend der STANAG genehmigt worden ist. Entsprechend dieser STANAG sind seit den 60er Jahren alle Flugschauen in der Bundesrepublik genehmigt worden.

(Jungmann [SPD]: Befangen!)

Alle Verteidigungsminister, egal welcher parteipolitischen Zugehörigkeit, haben das gleiche Verfahren angewandt.

(Jungmann [SPD]: Wo haben Sie denn schon untersucht? Sie wissen alles schon vorher!)

Wenn es daran etwas zu ändern gibt, wollen wir das
gerne für die Zukunft wahrnehmen. Sie sollten bloß
nicht so tun, als ob in diesem konkreten Fall etwas falsch gemacht worden ist.
Es ist auch sehr verwunderlich, daß Sie Ihren Antrag zum Untersuchungsausschuß im Laufe der letzten Woche viermal umgestellt haben. Zunächst wollten Sie gerne auch Aufklärung darüber haben, wie das in der Vergangenheit gehandhabt worden ist.

(Jungmann [SPD]: Sie können erweitern! Dieses Recht steht Ihnen zu!)

In dem neuesten, aktuellen Antrag von Ihnen fehlt der Blick auf die Vergangenheit.

(Zuruf von der FDP: Aber danach fragen wir dann! )

Ich will Ihnen noch eines sagen. Auch in den 70er Jahren haben wir bei militärischen Flugtagen bedauernswerterweise Unfälle gehabt,

(Jungmann [SPD]: Auch in den 60er!)

auch mit katastrophalen Folgen. Für das Genehmigungsverfahren und für die Durchführung hat es keine Konsequenzen gegeben.

(Jungmann [SPD]: Weil Sie als Opposition geschlafen haben!)

— Wenn Sie uns vorwerfen, Herr Kollege Jungmann, daß wir als Opposition geschlafen haben: Vielleicht sollten Sie Behutsamkeit und Verzicht auf parteipolitische Panikmache nicht mit Schlafen verwechseln.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich will zur STANAG zurückkommen. Vieles spricht dafür, daß in Ramstein die Regeln der STANAG verletzt worden sind.

(Jungmann [SPD]: Gerade haben Sie gesagt, die STANAG wurde als Grundlage genommen! Was war denn nun?)

Sowohl der direkte Anflug des Solopiloten in Richtung Zuschauer wie auch die im Ergebnis zu niedrig bemessenen Anflugentfernungen scheinen ein Indiz dafür zu sein. Die Offenheit der Amerikaner wird wichtig sein, wenn wir das alles klären wollen, was da passiert ist.
Zum Komplex Nörvenich, meine ich, liegen die Ergebnisse praktisch auf dem Tisch.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Dann brauchen wir ja keinen Untersuchungsausschuß! Sie haben schon alles gesagt!)

Wir bedauern das zögerliche Verhalten der Luftwaffenführung.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Ich bedaure, daß Sie Berichterstatter sind!)

Ich möchte Sie nur um eines in diesem Zusammenhang bitten. Das Fehlverhalten weniger Führungskräfte der Luftwaffe sollte Sie nicht dazu bringen, die Luftwaffe und alle die Soldaten, die dort Dienst tun, pauschal zu verdammen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Vogel [SPD]: Wer tut denn das? — Becker [Nienberge] [SPD]: Wer tut das denn?)

Das wäre das Schlimmste, was den jungen Menschen, die dort ihren Dienst tun, passieren könnte.



Kossendey
Ich will zum Schluß kommen. Die Arbeit in diesem Untersuchungsausschuß wird seitens unserer Fraktion von großer Offenheit geprägt sein. Wir sollten gemeinsam die Chance nutzen, eine saubere Bestandsaufnahme über das zu erarbeiten, was passiert ist. Wir sollten aber auch klären, was über unseren Köpfen in Zukunft erlaubt oder was auch heute schon verboten ist.

(Jungmann [SPD]: Wissen Sie noch nicht, was heute verboten ist?)

Wir müssen auch verbindlich feststellen, was die Bundesrepublik in ihrem eigenen Haus zulassen muß und was sie verbieten kann oder sollte. Wenn es für Ramstein Schuldige gibt, werden wir sie zur Rechenschaft ziehen.
Was den Stil angeht, möchte ich darauf hinweisen — darum bitte ich alle: sowohl die Ausschußmitglieder als auch die, die diese Diskussion von auswärts verfolgen — : Wir sollten diese Diskussion so führen, daß wir in den Augen der Opfer und deren Angehörigen bestehen können.

(Jungmann [SPD]: Sie haben doch schon Vorfreisprüche vorgenommen!)

Sie sitzen gewissermaßen mit am Beratungstisch. Erweisen wir uns dieser Aufgabe als würdig!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109504800
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schilling.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1109504900
Daß Sie jetzt sagen, die Toten und die Angehörigen sitzen mit am Beratungstisch, halte ich eher für zynisch. Das hätte unser sehr verehrter Herr Scholz vorher bedenken sollen. Dann hätten wir uns die ganzen Fragen nicht stellen müssen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Wieso ist der „verehrt"? — Dr. Hoyer [FDP]: Unverschämtheit!)

— Das war in Anführungsstrichen; vielleicht sind sie überhört worden.
Ich halte es für unglaublich — aber leider ist es wahr — , daß passieren kann, was will: Die Mehrheit der Politiker und die Bundesregierung verharmlosen, versuchen zu vertuschen, Verantwortung abzuwälzen.

(Lowack [CDU/CSU]: Das ist ungeheuerlich!)

Zum Schluß hat niemand die Schuld, und es soll sich ja schließlich auch gar nichts ändern.

(Jungmann [SPD]: Die Opfer sind selbst schuld!)

Herr Scholz, Sie lernen noch nicht einmal aus Erfahrung. Es ist eigentlich eine der am weitesten unten angesetzten Möglichkeiten für den Menschen, wenigstens dann zu lernen, wenn es einmal zu spät war. Aber bisher ist das bei Ihnen noch nicht einmal erkennbar.
Die Bevölkerung ist sensibilisiert, interessanterweise, was Sie hier in der Diskussion abstreiten, gegen Tiefflug, gerade nach Ramstein. Interessant, wie
das kommt? Das sind Ihre und unsere Wählerinnen und Wähler, ob CSU, CDU, SPD, GRÜNE oder FDP. Da fährt z. B. ein Bauer Otto von Schleswig-Holstein bis hierher nach Bonn und sammelt auf dem Weg ganz nebenbei in zehn Tagen 5 000 Unterschriften gegen Tiefflug. Wenn die Bevölkerung draußen diese Verbindung nicht zöge, würde sie diese Listen nicht unterschreiben. Das sind ganz andere Leute als sonst, die auf diesen Listen unterschreiben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Gipfel der Begründung ist dann, daß Sie sagen: Das ist ja eine Demonstration für Öffentlichkeitsarbeit, um dem Steuerzahler die Verteidigungsbereitschaft zu zeigen. — Also, zynischer geht es nicht mehr. Da kann ich nur für all die Leute, die sich um diesen Themenbereich bemühen, sagen: Es wird allerhöchste Zeit — und die GRÜNEN werden dazu nächstes Jahr einen Gesetzentwurf vorlegen — , daß die Friedenssteuer eingeführt wird, damit es endlich aufhört, daß Gelder für solche Sachen ausgegeben werden, für Kriegsübungen, die dann noch als Demonstrationen bezeichnet werden,

(Beifall bei den GRÜNEN)

die außerdem das zerstören, was vorgegeben wird verteidigen zu wollen.
Dann geht es aber noch in der Weise weiter, daß der Oberst Hoppe als bisheriges Bauernopfer, wie man aus der „Frankfurter Rundschau" gestern entnehmen konnte, eine „Strafbeförderung" bekommt. Er ist auf das Sprungbrett gehievt worden, von dem aus auch der jetzige Luftwaffeninspekteur Jungkurth seine Karriere begonnen hat — wie viele seiner Vorgänger. Das muß man sich einmal überlegen. Er wird noch dafür belohnt, daß er das getan hat. Es wird aber so hingestellt, als sei er zur Strafe versetzt worden. Das stimmt überhaupt nicht.
Es sind viele Einzelheiten, viele Ungeheuerlichkeiten, die zu klären sind. Das möchte auch ich gerne dem Untersuchungsausschuß überlassen. Ich möchte nur so viel dazu sagen: Bei jeder Demonstration gibt es mehr Auflagen, als es sie für Ramstein und Nörvenich gegeben hat. Die Genehmigung ist pauschal erteilt worden. Das hat der Herr Scholz selbst zugegeben. Da deutsches Recht gilt, wie Sie selber gesagt haben, Herr Scholz, wurde von Ihnen — jetzt kommt nur eine Auswahl dessen, was schon vordergründig da ist — gegen die Luftverkehrs-Ordnung, gegen das Luftverkehrsgesetz, gegen das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut, gegen das NATO-Truppenstatut, gegen die STANAG und gegen die Zentrale Dienstvorschrift der Bundeswehr für die Luftwaffe verstoßen — und das alles auf einmal. Herr Scholz hat genehmigt, wie er sagt, wie immer, obwohl — da braucht man gar nicht nachzufragen — schon in der primitivsten Vorschrift steht, daß man das gesamte Programm zu kennen hat, wenn man überhaupt anfängt zu genehmigen, ganz zu schweigen von allem, was da noch dranhängt.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Rechtloser Rechtsprofessor!)

Aufgabe für den Bundesgesetzgeber wäre hier, die deutschen Militärprivilegierungsklauseln, insbeson-



Frau Schilling
dere den § 30 des Luftverkehrsgesetzes zu ändern, um dann auch den Handlungsrahmen für die Stationierungsstreitkräfte präziser bestimmen zu können. Und es wäre eine Aufgabe für uns, nach dem Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut, insbesondere Art. 53 Abs. 1 und 2 und auch Art. 57 Abs. i und 3 — das betrifft die Beachtung deutschen Rechts und der deutschen Verkehrsvorschriften — , von den Vertragspartnern entsprechende Änderungen zu verlangen. Wenn wir meinen, daß das nach geltendem Recht nicht zu regeln sei, muß die Bundesrepublik endlich die Konsequenz ziehen und nach Art. 82 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut den Antrag stellen, das ganze Statut zu überprüfen. Das ist möglich, wenn für eine Seite besonders belastende oder unzumutbare Bedingungen vorliegen, und das dürfte ja wohl der Fall sein.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Das sind die Aufgaben, mit denen wir uns befassen sollten.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Dazu muß der Herr Scholz erst einmal ein bißchen Nachhilfe nehmen!)

— Ja.
Ich habe schon heute morgen in der Geschäftsordnungsdebatte gesagt, daß wir eine Verquickung von Ramstein, Nörvenich und Tiefflug sehen, und Herr Scholz hat sie auch selbst hergestellt,

(Würzbach [CDU/CSU]: Ist doch gar nicht wahr!)

indem er definiert hat, was Kunstflug ist, indem er gesagt hat, die Soldaten führten da das vor, was sie in der Ausbildung brauchten, was sie zur Verteidigung dieses Landes brauchten. Außerdem ist das Ganze während eines Tiefflugs passiert, so daß man das hier nicht abtrennen kann. Aber dazu haben Sie eben eine andere Meinung; wir sehen das anders.
Ich möchte die Widersprüche von Herrn Scholz noch einmal an einer Sache aufhängen. Er wußte bisher nicht, was Kunstflüge sind, und konnte es auch im Ausschuß nicht definieren. Kunstflüge in Höhen von weniger als 400 Meter sind generell verboten. Das steht in der Luftverkehrs-Ordnung. Danach hätte er, wenn es, wie er sagte, ein Kunstflug war, ihn gar nicht erlauben dürfen. Aber bisher wußte er das nicht so genau.
Er wußte auch noch etwas anderes nicht, was man in der neuesten Nummer der „Zeit" lesen kann, daß nämlich auch die Bundeswehr eine solche Kunstflugstaffel hat, „Die Wikinger" . Wissen Sie, wo die letzte Vorführung war? In Ramstein am 28. — die deutsche Bundeswehr. Auch das hat Herr Scholz nicht gewußt. Er hat gesagt, so etwas haben wir gar nicht. Also wir haben das auch.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Er ist überhaupt nicht im Bilde, der Minister!)

Die treten auch im Ausland auf und sind sehr stolz darauf und berufen sich auf die Tradition usw. usf.
Herr Scholz, ich will Sie zum Schluß etwas fragen. Im Verteidigungsausschuß lagen so wenig Unterlagen vor wie niemals zuvor, nämlich praktisch gar
keine. Bei jedem Waffensystem, das eingeführt werden soll, gibt es einen Packen Unterlagen, aber hier nicht. Sie hatten auf Ihrem Zettel noch nicht einmal Antworten auf die einfachsten Fragen von uns vorbereitet. Wir hätten uns die Situation ersparen können, ständig fragen zu müssen.
Herr Scholz, Sie haben geschworen, alles dafür zu tun, Schaden vom Volk abzuwenden. Bisher ist für mich nur erkennbar, daß Sie bei den einfachsten Dingen, die Sie zu beachten hätten, gröbste Amtspflichtverletzungen begangen haben. Von der Einhaltung Ihres Eides kann ich bisher nichts erkennen. Ich kann nicht erkennen, daß Sie ihn einhalten wollten, denn Sie machen Fehler über Fehler.

(Zuruf von der FDP: Unverschamtheit! )

Ramstein, Nörvenich, Erbenheim — es passiert immer wieder das gleiche. Ich muß Ihnen nun also unterstellen, daß Sie gar nicht vorhaben, Ihren Eid einzuhalten, daß sie ihn hier vorsätzlich verletzten.

(Beifall bei den GRÜNEN — Frau Unruh [GRÜNE]: Rechtsbruchprofessor! Der müßte wissen, was er tut! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Unverschämtheit!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109505000
Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.

Uwe Ronneburger (FDP):
Rede ID: ID1109505100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin in diese Debatte mit dem Gefühl hineingegangen, daß es zumindest zwei Punkte gibt, in denen wir Übereinstimmung erzielen würden können: das Gefühl, der Betroffenheit über das Unglück in Ramstein und die Frage des fairen Umgangs miteinander bei der Aufarbeitung dessen, was dort geschehen ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich bin in dieser Auffassung und Erwartung durch das, was Sie, Frau Kollegin Schilling, eben gesagt haben, tief enttäuscht worden.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Überhaupt nicht! Es war richtig! Als älterer Mensch müßten Sie wissen, daß das richtig war!)

Ich brauche dazu nicht in Einzelheiten Stellung zu nehmen. Der bisherige Verlauf der Debatte hat jedenfalls etwas anderes gezeigt, Frau Kollegin Unruh, als das, was Ihre Kollegin hier eben vorgetragen hat. Wir alle leben seit Ramstein in dem Gefühl der Bedrükkung. Ich meine, wir sollten das auch in dieser Debatte erkennen lassen und sollten das Klima einer solchen Debatte nicht durch beleidigende Äußerungen gegenüber anderen, die in diesem Zusammenhang involviert sind, negativ beeinflussen.
An die SPD gibt es einleitend allerdings einige formale Fragen zu richten. Ist es eigentlich sinnvoll, eine Debatte über Ramstein, über Nörvenich, über die gesamten Begleitumstände zu führen, bevor der von Ihnen beantragte und von uns gemeinsam eingesetzte Untersuchungsausschuß seine Arbeit überhaupt aufgenommen hat? Entweder brauchen wir den Untersuchungsausschuß nicht, wenn das, was Sie in Ihrem Antrag schreiben, hier bereits als Ergebnis festgelegt und als Beschluß des Plenums des Bundestages fest-



Ronneburger
geschrieben werden soll, oder wir sollten eine solche Debatte später führen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Zu Punkt 2 Ihres Antrages erinnere ich daran, daß es angesichts der Tatsache, daß es in Ramstein und Nörvenich unterschiedliche Veranstalter waren und es unterschiedliche Zuständigkeiten gab, unterschiedliche Bestimmungen gab, die anzuwenden waren — alles Themen, meine Damen und Herren, für den Untersuchungsausschuß, dessen genauen Arbeitsauftrag wir nach der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages erst noch gemeinsam festzulegen haben.
Ich füge hier hinzu: Konsequenzen aus der Arbeit des Untersuchungsausschusses sollen und müssen gezogen werden. Ich bin davon überzeugt, diese Konsequenzen werden über das Kunstflugverbot hinausgehen, das der Minister als erste Reaktion erfreulicherweise ausgesprochen hat. Konsequenzen werden weiter gehen müssen, als das bisher geschehen ist. Ich glaube, Frau Dr. Götte, das Ergebnis des Untersuchungsausschusses wird uns gemeinsam Veranlassung geben, darüber nachzudenken.
Lassen Sie mich hier in aller Offenheit auch etwas anderes sagen: Heute, beim Reden über Betroffenheit, über Trauer, über Mitgefühl fehlt mir eine selbstkritische Frage des Parlaments an uns im Verteidigungsausschuß, an uns alle in diesem Hohen Hause. Wir haben das Recht, wir haben die Pflicht, die Regierung zu kontrollieren, und wir sollten dieses Recht an jedem Punkt wahrnehmen, wo wir es vermögen. Aber wir sollten uns nie darüber hinwegtäuschen, daß mit einem solchen Recht und mit einer solchen Pflicht auch ein hohes Maß an Verantwortung verbunden ist.
Wenn es uns, wenn es auch den heutigen Antragstellern bereits in der Vergangenheit so klar war, wie groß die Gefahr bei Veranstaltungen wie in Ramstein oder in Nörvenich tatsächlich war: Wo waren denn unsere Anträge auf einschränkende Bestimmungen beim Genehmigungsverfahren? Oder wo waren unsere Anträge hier im Hohen Hause oder im Ausschuß auf ein Verbot von solchen Flugtagen?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109505200
Herr Abgeordneter Ronneburger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gerster? — Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Florian Gerster (SPD):
Rede ID: ID1109505300
Herr Kollege Ronneburger, wollen Sie vergessen machen, daß es in diesem Haus, aber auch in anderen Parlamenten eine ganze Reihe von Kolleginnen und Kollegen gab — nachzulesen in vielen Erklärungen, parlamentarischen Anfragen und Debattenbeiträgen — , die seit Jahren ein Verbot dieser Art von Flugtagen gefordert haben? Wollen Sie das vergessen machen?

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Uwe Ronneburger (FDP):
Rede ID: ID1109505400
Herr Kollege Gerster, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir einen einzigen exakten Antrag nennen könnten, der von der Mehrheit dieses Hohen Hauses oder von der Mehrheit im Verteidigungsausschuß zu diesem Punkt abgelehnt worden ist.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Lachen und Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109505500
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Ronneburger?

Uwe Ronneburger (FDP):
Rede ID: ID1109505600
Ja, bitte. Vizepräsident Cronenberg: Bitte sehr.

Florian Gerster (SPD):
Rede ID: ID1109505700
Es gab solche Anträge. Darf ich Ihnen aus sehr klarer Erinnerung ein Beispiel einer mündlichen Anfrage vom Frühjahr dieses Jahres nennen, die ich nach einem Hubschrauberunglück in Franken selbst gestellt habe? Ich habe die Bundesregierung gefragt, ob solche Flugtage auch künftig durchzuführen sind. Die Antwort der Bundesregierung lautete: Eine gewisse Zahl von Flugtagen wird es nach unserer Auffassung auch künftig geben müssen.

Uwe Ronneburger (FDP):
Rede ID: ID1109505800
Sie haben, Herr Kollege — jetzt wollen wir vielleicht unser Zwiegespräch beenden — , die Bundesregierung gefragt, und die Bundesregierung hat eine Antwort gegeben. Aber Sie haben nicht darauf reagiert, indem Sie einen Antrag gestellt haben, ein Verbot solcher Unternehmungen durchzusetzen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich bitte nun wirklich um Ihr Verständnis. Ich rede hier nicht gegen die SPD, ich rede hier nicht gegen die GRÜNEN oder für uns, sondern ich rede im Gefühl der Betroffenheit, auch meiner eigenen Verantwortung.

(Beifall bei der FDP)

Dies, meine ich, sollte etwas stärker zum Ausdruck kommen, als das bisher der Fall war.
Wo waren denn einschneidende Konsequenzen aus glücklicherweise im Vergleich zu Ramstein geringeren Unfällen in der Vergangenheit?

(Abg. Zander [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Entschuldigen Sie, Herr Kollege. Gestatten Sie mir, jetzt einmal im Zusammenhang darzulegen, was ich sagen möchte. — Ich füge hier hinzu: Mit Demonstrationen und Resolutionen kann niemand dieser Verantwortung ausweichen, die auch mich persönlich betrifft. Seit Jahren gibt es unveränderte Bestimmungen, seit Jahren gibt es unveränderte Verfahren der Genehmigung, seit Jahrzehnten. Ich glaube, wir werden im Untersuchungsausschuß alle Veranlassung haben, auch darüber nachzudenken, wie das denn in der Vergangenheit gehandhabt worden ist.
Der Kollege Kolbow hat in der umfangreichen Sondersitzung des Verteidigungsausschusses gesagt: Deshalb würde mich interessieren, wie und in welcher Weise, wenn überhaupt Flugunfälle vorkommen, reagiert wird. Ja, das ist eine Frage, die wir vor uns haben



Ronneburger
werden und die nicht auf die zehn Jahre beschränkt werden kann, von denen Herr Kolbow gesprochen hat. Ich sage Ihnen hier: Es wäre nicht gut, wenn wir aus dieser Debatte des Parlaments nur mit der Frage nach der Verantwortung anderer herausgingen und nicht auch jene Verantwortung sähen, die wir selbst zu tragen haben.
Der Kollege Horn hat in der eben schon angesprochenen Sitzung des Verteidigungsausschusses an den Minister gerichtet gesagt: Wenn man Maßstäbe setzt, ist es notwendig, daß man die Maßstäbe, die man an andere anlegt, dann auch bei sich selber einhält. Ich habe das mit großer Aufmerksamkeit gehört. Ich glaube, wir alle haben Veranlassung, uns danach zu richten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109505900
Herr Abgeordneter Ronneburger, die Abgeordnete Frau Schilling möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.

Uwe Ronneburger (FDP):
Rede ID: ID1109506000
Bitte.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1109506100
Herr Ronneburger, weil Sie gerade von der Verantwortung sprachen, die das ganze Haus hier hat, und auch von Ihrer persönlichen Verantwortung und über die Möglichkeit, über Anträge hier mehrheitlich gemeinsam abzustimmen, möchte ich Sie gerne einmal fragen: Sehen Sie denn, wenn wir die dritte Lesung des Haushalts machen und die Abstimmung kommt, nicht da eine Möglichkeit für das gesamte Haus, was den Einzelplan 14 betrifft, wenigstens bestimmte Änderungen vorzunehmen, allen voran abzulehnen, daß der Jäger 90 angeschafft wird, der ein erneutes System dieser Art wäre und wieder die gleichen Schwierigkeiten bringen würde? Da hätten wir doch einen guten Ansatzpunkt.

Uwe Ronneburger (FDP):
Rede ID: ID1109506200
Frau Kollegin Schilling, Sie tun jetzt genau das, was wir bereits heute morgen im Plenum abgelehnt haben, nämlich eine Verbindung zwischen dem Verteidigungsauftrag der Luftwaffe und akrobatischen Vorführungen bei Flugtagen herzustellen. Bei dem zweiten Punkt sind wir uns hoffentlich einig, daß das nichts ist, was mit dem Auftrag der Luftwaffe zu tun hat, und daß die Gefährdung — wir hätten früher darauf kommen können — viel zu groß ist, als daß man das in der alten Form wiederholen könnte. Aber versuchen Sie doch nun nicht, den Auftrag der Luftwaffe zur Verteidigung und zur Sicherstellung des Friedens dadurch in Frage zu stellen, daß Sie jetzt über Haushaltsanträge die notwendigen Mittel dafür streichen wollen. Das ist ein völlig anderer Komplex. Über den können wir uns in aller Ruhe unterhalten, aber nicht bei diesem Punkt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich weiß natürlich, Frau Dr. Götte — Sie haben es gesagt — , daß solche Überlegungen, wie ich sie hier angestellt habe, nichts ungeschehen machen können. Aber ich glaube, es wäre schon gut, wenn diese Überlegungen nur ein wenig von der Selbstgerechtigkeit abbauen würden, die aus manchen Äußerungen seit Ramstein herausgeklungen ist.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU — Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Vor allem denen des Ministers!)

Darüber hinaus aber — das lassen Sie mich abschließend sagen — sollten wir uns vor die Soldaten unserer Luftwaffe stellen. Wir sollten verhindern, daß sie zum Ziel einer kritischen oder gar diffamierenden Kampagne werden. Wer in der letzten Zeit mit Fliegern unserer Luftwaffe und mit Piloten gesprochen hat, der weiß, in welcher bedrängten und bedrückenden Situation sie sich befinden.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Die Leichtsinnigen müssen weg!)

Diese Soldaten, die in unserem Auftrag täglich ihren ja nicht ungefährlichen Dienst tun, dürfen auch durch menschliches Fehlverhalten wie z. B. in Nörvenich nach dem Unglück von Ramstein oder durch das Unglück selbst nicht herabgesetzt und in ihrem Selbstverständnis verletzt werden.
Ich glaube, das Parlament hat alle Veranlassung, diese Debatte zum Anlaß zu nehmen, um sich auch selbstkritisch seiner eigenen Verantwortung zu stellen. Wir haben alle Veranlassung, in dem Untersuchungsausschuß gemeinsam nach Ursachen, nach Fehlverhalten und nach Verschulden zu suchen und vor allen Dingen zu verhindern, daß sich solche Dinge wiederholen können.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109506300
Das Wort hat der Abgeordnete Heistermann.

Dieter Heistermann (SPD):
Rede ID: ID1109506400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn einige kurze Anmerkungen zu den Ausführungen des Kollegen Kossendey machen. Wir laden Sie zu einer redlichen Debatte und zu einer redlichen Untersuchung ein. Es wäre wirklich gut gewesen, wenn Sie als der von Ihrer Fraktion vorgeschlagene Berichterstatter einiges noch deutlicher gemacht hätten und einige Nebensätze, die Sie in Richtung SPD gesagt haben, weggelassen hätten. Dann wäre das, was Sie gesagt haben, noch ein wenig glaubwürdiger geworden. Aber ich nehme es vorbehaltslos auf. Wir, die SPD, sagen Ihnen auch: Wir werden gründlich prüfen, wir werden zügig prüfen, aber wir werden uns nicht unter Zeitdruck setzen lassen, weil wir die Wahrheit aufdecken und zu Ergebnissen kommen wollen, die diesem schweren Unglück gerecht werden.
Ich sage auch zum Kollegen Ronneburger und auch noch einmal zu Ihnen, Kollege Kossendey: Sie haben von uns bis heute keine pauschale Verurteilung irgendeiner Gruppe der Bundeswehr oder irgendwelchen anderen Gruppen gehört. Wir werden auch keine solchen pauschalen Verurteilungen vornehmen. Wir werden erst dann zu Bewertungen kommen, wenn das Untersuchungsergebnis vorliegt.
Kollege Ronneburger, Sie haben soeben sehr süffisant gefragt. Heute liegt Ihnen ein Antrag vor, der sich zum ersten Mal mit solchen Vorgängen konkret befaßt. Deshalb wäre es gut gewesen, wenn Sie es begrüßt hätten, daß das Parlament hier und heute Gelegenheit hat, seine Meinung zu artikulieren, wie man künftig mit diesen Flugtagen umgehen will.

(Beifall bei der SPD)




Heistermann
Von daher war Ihre Rhetorik vorhin unangemessen. Sie hätten gut daran getan, wenn Sie sich diesen Aspekt unseres Antrages vielleicht noch ein wenig angeschaut hätten.

(Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Er sprach von Anträgen vorher!)

— Ja, ja, hören Sie doch einmal zu. Sie müssen sich auch einmal überlegen, ob wir vor Ramstein — ich beziehe mich dabei selbstkritisch mit ein — in diesem Hause eine Mehrheit gefunden hätten, um zu dem Ergebnis zu kommen, das hier und heute von Sprechern der verschiedenen Fraktionen vorgetragen worden ist.
Kollege Ronneburger, ich habe bereits im Ausschuß gesagt, daß ich den Minister im Jahre 1983 aufgefordert habe, die Flugtage zu verbieten. Aber auch damals ist keine Reaktion erfolgt. Nun muß man ja fragen: Wann reagiert eine Regierung? Nur wenn einzelne Abgeordnete oder bestimmte Abgeordnete oder wenn Fraktionen etwas tun? Die Regierung ist jederzeit zum Handeln verpflichtet, egal von wem sie Anstöße bekommt, von einzelnen Abgeordneten , von einer Bürgerinitiative oder von einer Fraktion.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die SPD-Bundestagsfraktion hat seit der Katastrophe von Ramstein zu keiner Zeit versucht, mit billigen Vorwürfen an die Verantwortlichen parteipolitisches Kapital aus der Katastrophe von Ramstein zu ziehen. Es besteht tatsächlich kein Grund, angesichts der Schreckensereignisse in Ramstein den Mantel der Selbstgerechtigkeit vor sich her zu tragen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wer macht denn das?)

Nachdenklichkeit stünde uns allen gut an.
Wir weisen deshalb die abstrusen Vorwürfe der CDU/CSU in Richtung SPD durch ihren Sprecher Wimmer zurück, der behauptete, die eigentliche Zielrichtung des eingesetzten Untersuchungsausschusses bestehe darin, massiv gegen die Anwesenheit der alliierten Truppen Stellung zu beziehen.

(Dr. Vogel [SPD]: Übel!)

Gegen derartige Vorwürfe einiger Unionspolitiker sprechen die Fakten. Wer genau hingeschaut hat, der weiß, daß sich die SPD bisher mit Bewertungen, Urteilen und Forderungen in der Sache sehr zurückgehalten hat. Das werden wir auch weiterhin tun, und zwar so lange, bis alle offenen Fragen beantwortet sind. Der Bundesminister der Verteidigung war für die Genehmigung in Ramstein einschließlich aller Flugvorführungen zuständig, ebenso für den Flugtag der Bundesluftwaffe in Nörvenich, und aus dieser Verantwortung werden wir ihn auch nicht entlassen.
Um hier Licht ins Dunkel zu bringen, haben wir beantragt, daß sich der Verteidigungsausschuß gemäß Artikel 45 a Abs. 2 Grundgesetz als Untersuchungsausschuß konstituiert. Dies ist am Mittwoch geschehen.
Wir wollen im Zusammenhang mit der Katastrophe von Ramstein Antworten auf die folgenden Fragen haben: Welche tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen lagen für die Genehmigung und für die Durchführung der Flugtage in Ramstein und Nörvenich am 27. und 28. August 1988 vor? Wir wollen wissen: In welcher Weise ist der Bundesminister der Verteidigung seiner Verantwortung für die Genehmigung, Planung und Durchführung der Flugtage in Ramstein und Nörvenich nachgekommen?
Wir wollen wissen: Wie hat der Bundesminister der Verteidigung Einwendungen, Proteste und Warnungen im Vorfeld beider Flugtage bewertet und bei seinen Entscheidungen berücksichtigt? Wir wollen wissen, in welcher Weise das Genehmigungsverfahren einschließlich der Ausnahmegenehmigungen für die Flugtage in Ramstein und Nörvenich durchgeführt wurde. Wir wollen wissen: Welche Entscheidungen sind nach der Katastrophe getroffen, welche Maßnahmen veranlaßt worden? Erst wenn wir u. a. auf diese Fragen Antworten bekommen haben, werden wir eine abschließende Bewertung vornehmen und unsere Forderungen stellen.
Wir alle sollten uns fragen, warum erst dann Konsequenzen angekündigt werden — hoffentlich sogar gemeinsam gezogen werden — , wenn die Zahl der Toten ausreichend groß ist. Vermögen wir vorher nicht unser Handeln und Tun daraufhin zu prüfen, welche Folgen und Ergebnisse am Ende stehen könnten? Ein Zustand, der mich jedenfalls bedrückt, vor allem weil wir wissen, daß wir solchen Katastrophen wie in Ramstein nicht unentrinnbar ausgeliefert sind. Es wäre aber gewissenlos und menschenverachtend, wenn nichts geschähe.
Ich gehe jedenfalls davon aus, daß wir alle begriffen haben, daß diese Art Flugspektakel eine unkalkulierbare Bedrohung für die Zuschauer darstellt. Die Konsequenzen liegen auf der Hand. Wir müssen sie nur ziehen. Dem Hinweis auf den selbst gewählten Nervenkitzel der Zuschauer dürfen wir nicht länger erliegen. Mit ihm wurden nur die tatsächlichen Probleme verdeckt. Schutz vor Lebensgefahr muß stärker wiegen als tausendfaches Vergnügen. Noch elender wird einem zumute, wenn man Hinweise auf die kommerziellen Erträge solcher Flugtage in den verschiedenen Medien wiederfindet.
Ich bin mir der Tatsache bewußt, daß wir mit unserer heutigen Debatte die Toten nicht wieder lebendig machen und den Verletzten nicht zur Genesung verhelfen. Aber ich hoffe von ganzem Herzen, daß unsere Debatte dazu beitragen wird, daß wir nicht nur zur Trauer, sondern auch zur Besinnung in der Lage sind. Daß diese Besinnung dringend vonnöten ist, daran besteht für mich kein Zweifel; denn wie alle vorausgegangenen Flugunglücke zeigen, sind bisher nie die richtigen und notwendigen Konsequenzen gezogen worden, nämlich jene sinnlose und menschengefährdende Akrobatik und jenes Machogehabe zu unterbinden, wie es General a. D. Steinhoff so treffend formuliert hat.
In unserem Antrag auf der Drucksache 11/2897, der Ihnen vorliegt, fordern wir deshalb das dauerhafte Verbot jeglicher Beteiligung von Militärmaschinen an öffentlichen Flugschauen in der Bundesrepublik Deutschland. Ich kann mir niemanden vorstellen, der angesichts der Opferzahlen die Parole „Weitermachen" herausgeben könnte. Nach dem Flammenin-



Heistermann
ferno in Ramstein sind — hoffentlich gemeinsam — noch viele Schritte nötig, um den Hinterbliebenen, den Verletzten schnell und unverzüglich zu helfen. Das ist die wichtigste politische Aufgabe, die wir zu erfüllen haben.
Nicht weniger wichtig wird die Aufgabe sein, den Entscheidungsträgern im Bundesministerium der Verteidigung und auch in der Bundesluftwaffe klarzumachen, daß der bestürzende Mangel an Mitmenschlichkeit, wie er beim Ball in Nörvenich am Unglückstag zum Ausdruck kam, nicht nur beseitigt, sondern ausgemerzt werden muß. Auch hier ist eine Kurskorrektur vonnöten.
Wir beantragen, unseren Antrag auf der Drucksache 11/2897 entsprechend der Empfehlung des Ältestenrates an den Verteidigungsausschuß — federführend — und an den Auswärtigen und den Verkehrsausschuß — mitberatend — zu überweisen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109506500
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Uelhoff.

Dr. Klaus Dieter Uelhoff (CDU):
Rede ID: ID1109506600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Trauer und Betroffenheit — das war und bleibt, was uns allen nach der Katastrophe von Ramstein gemeinsam ist.
Wir wollen Standpunkte überdenken, und wir wollen Positionen in Frage stellen, gleichgültig von wem sie vorgetragen werden.
Es geht um militärische und zivile Flugtage, nicht aber um Grundsatzentscheidungen unserer Politik wie etwa um die Fähigkeit der Landesverteidigung und die Notwendigkeit der atlantischen Partnerschaft in der NATO. Wir sollten im Gegenteil sehr darauf achten, daß unsere Diskussion um Flugtage nicht pervertiert zu einer Problematisierung unserer deutschen Verteidigungsbereitschaft und unserer Verbundenheit mit unseren amerikanischen Partnern.

(Beifall bei der CDU/CSU — Müller [Pleisweiler] [SPD]: Keine Probleme!)

— Ich danke für diese Ausführungen, Kollege Müller, daß es keine Probleme sind, und ich hoffe, daß es auch unsere Fraktionen weiterhin verbindet. Die atlantische Partnerschaft brauchen wir alle zu unserem eigenen Überleben und zur Sicherung unserer Freiheit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Luftakrobatik, wie sie von den „Frecce Tricolori" oder in früheren Jahren von den „Red Arrows " in Ramstein gezeigt wurde, hat mit dem militärischen Auftrag der Luftstreitkräfte nichts zu tun. Wir wollen solches künftig nicht mehr. Aber ich frage Sie alle: Wollen wir solche Akrobatik bei zivilen Flugtagen? Wo etwa waren denn die Proteste in den vergangenen Monaten, als allein im Lande Rheinland-Pfalz bei vier oder fünf zivilen Flugtagen die britische Kunstflugstaffel „Red Arrows" ihre Luftakrobatik über Zigtausenden von Menschen vorführte? Wo waren etwa die Proteste im Westerwald gegen diese zirzensischen Darbietungen in der Luft bei zivilen Flugtagen? Protestiert wurde
nur gegen den militärischen Flugtag in Ramstein. Warum nur dort?
Verehrte Frau Kollegin Götte und auch Kollege Gerster, ich darf daran erinnern, daß am 5. Mai, drei Monate vor Ramstein, im Innenausschuß des rheinland-pfälzischen Landtages auf Antrag Ihrer Landtagsfraktion über Ramstein gesprochen wurde. Ich zitiere aus der „Pirmasenser Zeitung" vom 13. September 1988, daß dort das Verbot des Flugtages als eine symbolische Handlung gefordert wurde. Ihr Fraktionskollege im Landtag, Lang, sprach von Lärmschutz und vom Geländebedarf der Amerikaner. Ich zitiere jetzt wörtlich einen Satz aus der „Pirmasenser Zeitung", nicht als Vorwurf, sondern nur, damit hier keine Legendenbildung eintritt, zur Richtigstellung. Zitat „PZ" : „Die Sicherheitsbelange der Bevölkerung und auch der Besucher eines solchen Flugtages waren laut Protokoll von seiten der SPD im Ausschuß nicht angesprochen worden. "

(Sielaff [SPD]: Der war doch gar nicht dabei! Sie können doch nicht einfach einen Journalisten zitieren, der überhaupt nicht dabei war!)

Es mag andere Fälle geben, verehrte Frau Kollegin Götte. Jedenfalls war dies am 5. Mai 1988 nicht Gegenstand einer Ramstein-Diskussion im Innenausschuß des rheinland-pfälzischen Landtags.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109506700
Herr Abgeordneter Dr. Uelhoff, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Götte?

Dr. Klaus Dieter Uelhoff (CDU):
Rede ID: ID1109506800
Nein, ich möchte jetzt meine Ausführungen weiterführen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109506900
Darf ich davon ausgehen, daß Sie heute morgen grundsätzlich keine Zwischenfragen zulassen?

Dr. Klaus Dieter Uelhoff (CDU):
Rede ID: ID1109507000
Also bitte, verehrte Frau Kollegin Götte. Ich gehe davon aus, daß mir dies nicht von der Zeit abgezogen wird.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109507100
Herr Dr. Uelhoff, so werde ich verfahren.

Dr. Rose Götte (SPD):
Rede ID: ID1109507200
Herr Kollege Uelhoff, Sie waren doch selber als Abgeordneter des rheinland-pfälzischen Landtages, als Staatssekretär dabei, als wir zweimal einen Antrag eingebracht haben, um diese Flugschauen zu verhindern. Warum haben Sie denn damals nicht mit uns gestimmt?

Dr. Klaus Dieter Uelhoff (CDU):
Rede ID: ID1109507300
Zunächst mal, Frau Kollegin Götte, konnte ich als Staatssekretär nicht mitstimmen. Aber dies war nicht das Thema. Sie haben eben deutlich gemacht, daß vor dieser schlimmen Katastrophe in Ramstein die Sozialdemokraten insbesondere wegen der Sicherheitsbelange davor gewarnt haben. Es mag ja sein, daß es anderswo war. Nur, als an einem wirklich zuständigen Ort, nämlich im rheinland-pfälzischen Innenausschuß, am 5. Mai 1988 dies ein Thema war, da war nicht von den Sicherheitsbe-



Dr. Uelhoff
langen der Bevölkerung, sondern von Lärmschutz und Geländebedarf die Rede.

(Frau Dr. Götte [SPD]: Aber in der Debatte doch!)

— Ich bestreite nicht, daß dies anderswo war, ich habe nur dieses Zitat aus einer Zeitung ganz neutral genannt.

(Sielaff [SPD]: Laut „Pirmasenser Zeitung", die wußte das! War der Journalist denn dabei? — Müller [Pleisweiler] [SPD]: Reine Abwiegelung!)

Wir sind uns ja einig, solche zirzensischen Veranstaltungen sollten bei Lufttagen nicht mehr stattfinden. Ich bitte im Interesse der intellektuellen Redlichkeit nur darum, daß wir dann nicht nur über militärische, sondern — bitte schön — auch über zivile Flugtage sprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Müller [Pleisweiler] [SPD]: Einverstanden!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109507400
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Dr. Klaus Dieter Uelhoff (CDU):
Rede ID: ID1109507500
Ich bitte um Verständnis; ich muß jetzt mit meinen Ausführungen fortfahren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Diskussion der letzten Tage kam, wie ich meine, auch ein teuflicher Pferdefuß intellektueller Unredlichkeit zutage. Es gab eilfertige Rücktrittsforderungen, und hier stellt sich in der Tat die Frage, ob es bei dem künftigen Untersuchungsausschuß wirklich um die sachliche Klärung eines schlimmen Unfalles geht oder um die Inszenierung eines parteitaktischen Manövers. Ich stelle nur die Frage, und ich bitte sehr eindringlich darum, daß wir uns darin einig sind, daß Parteitaktik nicht die Antwort ist, die die deutsche Öffentlichkeit von der deutschen Politik auf die Katastrophe von Ramstein erwartet.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Müller [Pleisweiler] [SPD]: Jeder anständige Mensch wäre in dieser Situation zurückgetreten!)

Unabhängig davon hat der Bundesverteidigungsminister wichtige Maßnahmen getroffen, unverzüglich und konsequent.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich nun zu dem Antrag kommen, der hier heute Gegenstand unserer Diskussion ist. Sie haben in diesem Antrag einen Tatbestand festgehalten, der im Grunde mit dem Antrag zur Konstituierung des Verteidigungsausschusses als Untersuchungsausschuß identisch ist. Es geht um dieselben Tatbestände: die Katastrophe von Ramstein und die Niveaulosigkeit von Nörvenich, aber beide Anträge der SPD sind nicht synchron, im Gegenteil. So unterstellt der heutige Plenarantrag einen Tatbestand, den der Untersuchungsausschuß erst noch klären soll. Wie kann der Deutsche Bundestag im nachhinein beschließen, daß der Bundesverteidigungsminister für die Genehmigung des Flugtages in Ramstein einschließlich aller Flugvorführungen zuständig ist? Verkennt die SPD wirklich, daß die Klärung der Zuständigkeit eine Frage der Rechtslage, also eine juristische Entscheidung, ist und keineswegs durch einen Beschluß des deutschen Parlamentes rückwirkend schlicht festgestellt werden kann?

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Aber ich will Ihnen folgen und unterstelle, daß dies möglich wäre. Wenn dies dennoch so wäre: Warum will dann die SPD im Untersuchungsausschuß unter anderem die Frage klären lassen — jetzt stelle ich Ihnen wörtlich diese Frage, die Sie in Ihrem Antrag zur Einsetzung als Untersuchungsausschuß haben — : Wer war für die Genehmigung der Flugtage zuständig? Diese Ihre Frage im Untersuchungsausschuß spricht für redliches Bemühen um Aufklärung. Ihre apodiktische Feststellung im heute vorliegenden Plenarantrag spricht für Vorverurteilung und parteitaktisches Manöver. Weiß bei der SPD die Rechte nicht mehr, was die Linke tut? Entweder, meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten, Sie nehmen Ihren heutigen Plenarantrag ernst, oder aber den Untersuchungsausschuß. Ich entscheide mich im Interesse der Sache für den Untersuchungsausschuß.
Noch ein letztes: Im Beschlußantrag fordern Sie zu 1 das dauerhafte Verbot jeglicher Beteiligung von Militärmaschinen an öffentlichen Flugschauen. Es geht Ihnen also nicht generell um das Verbot von Flugschauen — immerhin haben 1987 in der Bundesrepublik 90 zivile und nur 10 militärische Flugschauen stattgefunden — , nein, es geht Ihnen um ein Verbot von jedem öffentlichen Vorzeigen der Flugzeuge der Bundesluftwaffe und der verbündeten Streitkräfte.

(Gerster [Worms] [SPD]: Das könnten wir ja erweitern!)

Das von Ihnen gewollte Verbot jeglicher Beteiligung — ich zitiere Sie ja nur — von Militärfahrzeugen an Flugschauen hat mit zirzensischer Luftakrobatik und Gefahren für Leib und Leben von Menschen gar nichts zu tun.

(Gerster [Worms] [SPD]: Das gehört aber nicht zum Verteidigungsbereich!)

Sehr viel aber hat es damit zu tun, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, daß Sie der Bundeswehr als Einrichtung zur Sicherung des Friedens und der Freiheit ihre Pflicht zur Selbstdarstellung in der deutschen Öffentlichkeit bestreiten.

(Gerster [Worms] [SPD]: Doch nicht bei Flugschauen!)

Dies ist ja auch konsequent, denn Ihr letzter Parteitag in Münster will auch das Gelöbnis der Wehrpflichtigen aus dem Bewußtsein der Öffentlichkeit hinter die Kasernenmauern verbannen.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, wir wollen, daß der Bürger auch in Zukunft weiß, was der Bürger in Uniform tut. Wir wollen auch, daß der Bürger in Zivil weiß, warum der Bürger in Uniform dieses tut.

(Gerster [Worms] [SPD]: Thema!)

Wir wollen die Darstellung unserer Bundeswehr in der deutschen Öffentlichkeit.



Dr. Uelhoff
Den Antrag der Sozialdemokraten halte ich zum Teil für unschlüssig, zum Teil für unbegründet und zum größten Teil leider auch für unverständlich. Ich bitte Sie und fordere Sie alle auf, das wichtige Thema, das uns nach der Katastrophe von Ramstein — ich unterstelle, einigen sicherlich auch vorher schon — zu Bewußtsein kam, gründlich und fair aufzuarbeiten.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109507600
Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1109507700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist heute fast vier Wochen her, daß das Unglück von Ramstein passiert ist. Ich verberge nicht, daß die persönliche Betroffenheit, die mich, genauso wie Sie, wie es heute deutlich spürbar war, bewegt, es im Grunde schwer macht, über das eine oder andere zu reden, insbesondere auch im Hinblick darauf, daß nach wie vor eine Reihe von Opfern dieser Katastrophe um ihr Leben ringt. Dies mahnt unverändert -- ich habe dies auch neulich gesagt, und für mich persönlich gilt das nach wie vor — auch zur Stille und vor allem zum Nachdenken.
Der Verteidigungsausschuß hat sich in dieser Frage als Untersuchungsausschuß konstituiert. Ich mache aus meiner Sicht sehr deutlich — ich unterstreiche dies — , daß ich dies begrüße und daß das gut so ist. Denn es geht um die Aufarbeitung von Sachverhalten, Aufarbeitung von Sachverhalten, die uns — und hier schließe ich mich, hier schließe ich das Bundesverteidigungsministerium, hier schließe ich die Luftwaffe ausdrücklich ein — das nötige Nachdenken, das Nachdenken auch im Hinblick auf nötige Konsequenzen, erleichtert, möglich macht. Der Ausschuß wird aufzuklären haben, ob in Ramstein Fehler gemacht wurden, in welcher Weise und gegebenenfalls von wem. Und er wird weiterhin Konsequenzen und Lehren aufzeigen.
Meine Damen und Herren von der SPD, mit Ihrem heutigen Beschlußantrag wollen Sie feststellen lassen, daß alle Einzelheiten der Planung des Flugtages von Ramstein in meiner Zuständigkeit bzw. in der Zuständigkeit des Bundesverteidigungsministeriums lagen. Lassen Sie mich hierzu feststellen: Es ist zum ersten richtig, daß das Bundesverteidigungsministerium bzw. das Luftwaffenamt Genehmigungsbehörde für militärische Luftfahrtveranstaltungen ist. Demgemäß wurde für den Flugtag in Ramstein die Genehmigung — in Übereinstimmung mit den rechtlichen Bestimmungen und in Übereinstimmung mit unseren internationalen Vereinbarungen — im April dieses Jahres erteilt.
Richtig ist aber auch — und ich habe bereits mehrfach versucht, dies zu erläutern — , daß nach den Bestimmungen für die Planung und Durchführung dieses Flugtages, für die Flugvorführungen, die in Ramstein konkret geplant waren und zur Durchführung kamen, einschließlich all der damit zusammenhängenden Sicherheitsaspekte, der Veranstalter — anders, als Sie in Ihrem Beschlußantrag sagen — zuständig und damit auch verantwortlich war.

(Müller [Pleisweiler] [SPD]: Und wer kontrolliert?)

Das bedeutet in diesem Falle, daß die amerikanische Luftwaffe als Veranstalter dieses Flugtages hier die Verantwortung hatte. Und ob hier Fehler gemacht worden sind, werden die Untersuchungen zeigen. Aber, meine Damen und Herren, ich bitte wirklich, dies auseinanderzuhalten: Die Genehmigung ist nach §§ 24, 30 des Luftverkehrsgesetzes deutsche Zuständigkeit.

(Gerster [Worms] [SPD]: Aber in Nörvenich war das anders!)

— Das ist richtig, in Nörvenich gilt etwas anderes,

(Gerster [Worms] [SPD]: Eben!)

und das unterscheidet den Fall Ramstein von Nörvenich ganz evident, und es ist wichtig, daß das beachtet wird, gerade auch in der Diskussion, die Sie um Nörvenich in bezug auf Ramstein teilweise herzustellen versucht haben.

(Müller [Pleisweiler] [SPD]: Auch in Ramstein sind Sie verpflichtet, zu prüfen!)

Nörvenich ist eine von deutscher Seite genehmigte Veranstaltung und von deutscher Seite durchgeführte Veranstaltung. Das bedeutet: Genehmigungsverantwortung und Durchführungsverantwortung lagen auf deutscher Seite. In Ramstein lag die Genehmigung bei uns, bei der deutschen Seite, dagegen die Durchführungsverantwortung natürlich beim Veranstalter, d. h. bei der amerikanischen Luftwaffe.

(Biehle [CDU/CSU]: Die Grundlage war eine NATO-Vereinbarung, der wir alle zugestimmt haben!)

— Ich bedanke mich, Herr Biehle, dieser Hinweis ist richtig. Dies ist die heute ja schon mehrfach angesprochene STANAG, die eine ganz klare Regelung schafft, die auch ausdrücklich regelt, wie die Durchführungsverantwortung verfaßt ist: indem ein entsprechender Gesamtleiter vor Ort einzusetzen ist, der darüber wacht, was in der Realisierung der vorgeschriebenen Sicherheitsmaßstäbe, die wiederum in jener STANAG ihren Niederschlag, ihren Ausdruck finden, zu gewährleisten ist.
Meine Damen und Herren, militärische Flugtage gehören seit mehr als 20 Jahren in unserem Land zur Regel.

(Frau Dr. Götte [SPD]: Schlimm genug!)

Das waren Tage, an denen Fliegerhorste geöffnet wurden und an denen Flugzeuge nicht nur am Boden ausgestellt, sondern auch im Flug vorgeführt wurden. Kommunen, Länder, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus allen Parteien haben die Schirmherrschaften dafür häufig und gern übernommen, haben diese Veranstaltungen gern besucht und begrüßt.
Gerade dieser Flugtag in Ramstein hat eine lange Tradition. Gerade auch jene italienische Unglücksstaffel, jene „Frecce Tricolori", war dort häufiger Teilnehmer. Sie ist seit 1972 mehrfach in Ramstein geflogen. Sie ist mehrfach in anderen Orten in unserem



Bundesminister Dr. Scholz
Land geflogen — immer auf der Grundlage, natürlich, deutscher Genehmigungen.
Dies war, meine Damen und Herren von der SPD, z. B. unter den Verteidigungsministern Apel und Leber mehrfach der Fall; sie haben mehrfach solche Veranstaltungen genehmigt. Ich bitte, das mit in die Erinnerung zu nehmen. Dies bedeutet aus meiner Sicht nicht, daß ich irgendwie versuche, hierüber ein Urteil zu fällen. Ich bitte nur deutlich, zu begreifen, daß dies doch sehr klar macht, daß wir für die Zukunft zu lernen und zu fragen haben: Was geht, und was geht nicht? Wir können doch nicht sagen: Hier sind Fehler irgendeiner Art in diesem konkreten Sachverhalt, in jener Veranstaltung gemacht worden.

(Frau Dr. Götte [SPD]: Inzwischen ist so viel passiert!)

Meine Damen und Herren, mir geht es heute darum, in Respekt vor den Opfern der Katastrophe und in Trauer mit ihren Angehörigen fern aller Vordergründigkeit die Sachverhalte wirklich und wirksam aufzuklären.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109507800
Herr Minister, die Abgeordnete Frau Unruh möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1109507900
Ich wäre dankbar, wenn ich meine Rede zu Ende halten könnte.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109508000
Das ist Ihr gutes Recht.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1109508100
Mir geht es um Wege, die sicherstellen, daß sich diese Tragödie nicht wiederholt. Dazu habe ich vom ersten Unglückstag an erste Konsequenzen gezogen, die hier ja schon angesprochen worden sind. Ich darf sie dennoch noch einmal kurz in die Besinnung zurückrufen.
Erstens. Ich habe unmittelbar nach Bekanntwerden des Unfalls, noch am Sonntag, dem 28. August, den für Ende September beim Jagdbombergeschwader 32 in Lechfeld geplanten Flugtag abgesagt.
Zweitens. Ich bin am Montag nach Ramstein gefahren, habe dort gemeinsam mit den Botschaftern der Vereinigten Staaten und der Republik Italien, mit dem Oberbefehlshaber der NATO, General Galvin, und dem amerikanischen Oberbefehlshaber vor Ort, General Kirk, und mit dem Inspekteur der Luftwaffe sehr intensiv gesprochen und beraten. Ich habe erreicht, daß der für den 4. September von den amerikanischen Luftstreitkräften vorgesehene Flugtag in BitburgHahn abgesagt wurde.

(Müller [Pleisweiler] [SPD]: Das ist doch eine Selbstverständlichkeit!)

Drittens. Ich habe weiterhin erreicht, daß sofort eine Untersuchungskommission eingesetzt wird, und zwar unter Leitung des deutschen Generals Flugsicherheit.
Viertens. Am gleichen Tage habe ich im Einverständnis mit den alliierten Luftstreitkräften entschieden, daß keine militärischen Flugtage in der Bundesrepublik Deutschland bis auf weiteres durchgeführt werden, daß alle Beteiligungen von Luftfahrzeugen der Bundeswehr an zivilen und militärischen Flugtagen — sehr zu Recht sind soeben auch die zivilen Flugtage hier angesprochen worden — für 1988 umgehend abgesagt werden.

(Zuruf von der SPD: Na also! Es geht also! — Müller [Pleisweiler] [SPD]: Und 1989?)

Fünftens. Ebenfalls habe ich noch am Montag nach dem Unfall entschieden, daß Kunstflugvorführungen, Vorführungen militärischer Kunstflugteams künftig nicht mehr stattfinden werden. Dies ist eine Entscheidung, die in dieser Form bisher in unserem Lande nicht getroffen worden ist, die aber für mich eine zwingende definitive Konsequenz ist.
Sechstens. Darüber hinaus ist Weisung ergangen, alle Voraussetzungen und Bedingungen für Flugtage von Grund auf neu zu überprüfen. Wir werden mit den Verbündeten gemeinsam untersuchen, auf welche Weise unseren Bürgern in Zukunft Einsatzbereitschaft und Leistungsfähigkeit unserer Luftstreitkräfte überzeugend dargestellt werden können und zugleich alle Vorkehrungen für die Sicherheit der Zuschauer gewährleistet werden. Hierzu ist eine Arbeitsgruppe, eine Kommission, mit unseren Alliierten eingesetzt worden, die bereits am 27. September ihre erste Sitzung durchführen wird.
Siebtens. Wie Sie wissen, habe ich im gleichen Zusammenhang General Steinhoff — sein Name ist hier vorhin mit Recht, wie ich meine, sehr positiv angesprochen worden — , jenen hochangesehenen Mann, jene hochangesehene Autorität der Luftwaffe, gebeten, eine unabhängige Expertenkommission einzuberufen, Experten nach seinem Vertrauen, nach seiner Wahl zu berufen. Diese Kommission wird den Auftrag haben, unabhängig zu untersuchen, was für Empfehlungen hinsichtlich der Unterscheidung zwischen Kunstflug und militärischem Flugbetrieb zu Demonstrationszwecken und militärischem Flugbetrieb im Rahmen der üblichen Einsatzausbildung vorzunehmen sind und was hieraus für Konsequenzen für entsprechende Veranstaltungen zu ziehen sind.
Meine Damen und Herren, abschließende Entscheidungen über die Zukunft militärischer Flugveranstaltungen insgesamt können sicher erst fallen, wenn die Ergebnisse dieser laufenden Untersuchungen auf dem Tisch liegen und Ihre Diskussion — diese Diskussion wird sicherlich vor diesem Hohen Hause fortgesetzt werden — abgeschlossen sind. Sie dürfen aber versichert sein, daß von meiner Seite, von der Seite des Bundesverteidigungsministeriums alles getan werden wird, um in Fortführung jener bereits eingeleiteten Maßnahmen das zu gewährleisten, was für uns alle in dieser Frage wichtig ist.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109508200
Meine Damen und Herren, interfraktionell wird vorgeschlagen, den Antrag der Fraktion der SPD an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist. — Es ist so beschlossen.



Vizepräsident Cronenberg
Ich rufe nunmehr Punkt 23 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Lammert, Porzner, Beckmann, Bernrath, Biehle, Buschbom, Cronenberg (Arnsberg), Esters, Eylmann, Dr. Göhner, Grunenberg, Günther, Dr. Haussmann, Dr. Hoffacker, Dr. Jenninger, Kleinert (Hannover), Lamers, Lennartz, Louven, Marschewski, Dr. Mertens (Bottrop), Neuhausen, Niggemeier, Reddemann, Frau Renger, Repnik, Reuschenbach, Dr. Scheer, Schmidbauer, Schreiber, Stücklen, Tillmann, Frau Dr. Timm, Frau Traupe, Dr. Unland, Wolfgramm (Göttingen) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Einsetzung und Verfahren von Untersuchungsausschüssen des Deutschen Bundestages
— Drucksache 11/1896 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (federführend)

Rechtsausschuß
b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse (Untersuchungsausschußgesetz)

— Drucksache 11/2025 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (federführend)

Rechtsausschuß
Meine Damen und Herren, auch hier wurde interfraktionell eine Redezeit von einer Stunde vereinbart. Ist das Haus mit diesem Verfahrensvorschlag einverstanden? — Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Debatte. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Langner.

Dr. Manfred Langner (CDU):
Rede ID: ID1109508300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer eben zugehört hat, hatte den Eindruck, daß einige Kolleginnen und Kollegen — Frau Schilling, Sie besonders — schon vor der Durchführung einer Untersuchung das Ergebnis kannten. Das macht deutlich, daß es notwendig ist, einmal etwas grundsätzlicher über Untersuchungsausschüsse nachzudenken. Es gibt Beispiele notwendiger parlamentarischer Aufklärung und Untersuchung — Steiner/Wienand, Guillaume, Flick, Neue Heimat und zuletzt Pfeiffer/Barschel —, doch neigt die Opposition seit einigen Jahren dazu, das Instrument zu inflationieren. Hat man früher in fünf Fällen politisch mit einem Untersuchungsausschuß gedroht, bis man dann einmal einen eingesetzt hat, so läßt der heutige Oppositionsführer seiner Fraktion schon dann lange Leine, wenn etwa ein einzelner Abgeordneter von manischem U-Boot-Fieber ergriffen ist. Jeder Strohhalm wird von der Opposition aufgegriffen, oder längst geklärte Sachverhalte werden wiedergekäut; letzteres Schicksal droht beispielsweise dem derzeitigen Transnuklear-Untersuchungsausschuß.
Nicht nur ein Einsetzungsmißbrauch, sondern auch ein Verfahrensmißbrauch ist festzustellen. Einen Kanzler oder Exkanzler im Zeugenstand zu wissen,
übt auf manches schlichte, aber auch auf manches raffinierte Gemüt einen derartigen Reiz aus, daß Rechtsstaatlichkeit und die ihr dienende Juristenkunst
— Geeignetheits- und Erforderlichkeitsprüfung einer Beweisaufnahme — oftmals über Bord gehen. Antragsteller und einzelne Medien sind oft symbiotisch verbunden. Die Opposition versucht, die Regierung mit wirklichen oder vermeintlichen Skandalen in Verbindung zu bringen, und die zündende Berichterstattung darüber kann auflagenerhöhend sein.
Es gibt Beobachter des real existierenden Untersuchungsausschußparlamentarismus,

(Schily [GRÜNE]: Sehr witzig! Sie laufen zu großer Form auf!)

die von einem Gesetz keine Verbesserung erwarten. Die Dynamik des politischen Prozesses lasse sich begriffsjuristisch nicht kanalisieren, so hört man. Respekt vor der Skepsis, daß nicht alle Probleme durch neue Gesetze zu lösen sind; aber auch das Grundgesetz ist ja eine Eingrenzung für solche Art politischer Dynamik. Wie die Verfassung soll auch ein Untersuchungsausschußgesetz Anregung und Schranke zugleich sein, Anregung zum richtigen Gebrauch dieses Kontrollinstruments — auf Neuhochdeutsch: investigativer Parlamentarismus — und Schranke für den offenkundig gewordenen Mißbrauch.

(Wiefelspütz [SPD]: Eindrucksvoll, Herr Kollege Langner! — Schily [GRÜNE]: Genau, der Mann hat Politologie studiert!)

Dazu reicht es nicht, die Materie aus der momentanen Sicht der jeweiligen Oppositions- oder Regierungspartei zu regeln. Ein wirklich gutes Gesetz wird nur dann zustande kommen, wenn bei den Beratungen allseits berücksichtigt wird, daß Mehrheiten in einer Demokratie auch wechseln können.

(Schily [GRÜNE]: Da haben Sie recht! Denken Sie an die Oppositionszeit! — Heiterkeit bei den GRÜNEN)

— Sie werden sich gleich nicht mehr so freuen! — Im Gegensatz zu einem Wort von Herbert Wehner, das er im übrigen wahrscheinlich bereut hat: Wir brauchen die Opposition! Wenn sie allerdings allein ihre Vorstellungen und ihre Interessen im Auge hätte, könnte sich für die Koalition ernsthaft die Frage stellen, eine solche Materie auch mit knapper Mehrheit neu zu regeln.

(Dr. Penner [SPD]: Hört! Hört!)

Wenn ich mir den SPD-Gesetzentwurf ansehe, stelle ich fest, daß wir noch viel gegenseitige Überzeugungsarbeit nötig haben. Das Kontrollinstrument Untersuchungsausschuß wird hier fast ausschließlich als politische Waffe der Minderheit ausgeformt, und es drängt sich der Eindruck auf, die SPD habe die Hoffnung aufgegeben, jemals wieder Mehrheit zu werden.

(Wiefelspütz [SPD] : Im Gegenteil!)

Auch rechtsstaatliche Erfordernisse wie die Bestimmtheit des Auftrags werden einer höchst einseitigen Sicht geopfert.




Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109508400
Herr Abgeordneter, dies veranlaßt den Abgeordneten Penner, eine Zwischenfrage stellen zu wollen.

Dr. Manfred Langner (CDU):
Rede ID: ID1109508500
Auf die ich mich freue. Vizepräsident Cronenberg: Bitte sehr.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1109508600
Herr Kollege Langner, ich war ja auf die diesbezüglichen Einlassungen Ihrerseits vorbereitet. Aber würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich, der ich an der Formulierung dieses Gesetzentwurfs beteiligt gewesen bin, Wert darauf gelegt habe, daß dies auch gelten muß, wenn die Mehrheitsverhältnisse anders sind?

Dr. Manfred Langner (CDU):
Rede ID: ID1109508700
Wenn ich diesen Gesetzentwurf in Ruhe lese, muß ich sagen: Dann scheint Ihr Einfluß gering gewesen zu sein.
Rechtsstaatliche Erfordernisse wie die Bestimmtheit des Auftrags werden einer höchst einseitigen Sicht geopfert. Ich empfehle, einmal die erste Beratung zu einem entsprechenden Gesetzentwurf meiner Fraktion vom 15. Dezember 1977 nachzulesen. Da wollten Sie von der SPD als damalige Regierungspartei mitnichten die Rechte der Minderheit stärken. Vielmehr traten Sie damals — es sprach unser geschätzter, kürzlich verstorbener Kollege Dr. Friedrich Schäfer — für ein gerichtsähnliches Gremium nach Art der englischen tribunals of inquiry ein. Klaus von Dohnanyi regte im Hafenstraßen-Untersuchungsausschuß noch vor kurzem ein Gremium nach dem Vorbild der Royal Commission an. Also: äußerste Zurückhaltung, wenn die SPD selbst regiert.
Ein Untersuchungsausschußgesetz sollte, meine Damen und Herren, ein parlamentarisch flexibles Verfahren ermöglichen, das erstens zu raschen und effektiven Ergebnissen führt — ein Mangel vieler Untersuchungen in der letzten Zeit — , das zweitens Mißbrauchsgefahren weitestgehend entgegentritt und das drittens den grundrechtlichen Schutz Privater hinreichend sicherstellt — ein aktuelles Problem.
Untersuchungsausschüsse sind politische Kampfinstrumente. Jede Betrachtung, die an diesem Phänomen vorbeigeht, führt zwangsläufig zu unakzeptablen Vorschlägen hinsichtlich der Verfahrensgestaltung solcher Ausschüsse. In diesem Sinne realitätsfern ist etwa die Forderung nach einem Verbot wertender Betrachtungen von Ausschußmitgliedern während der laufenden Beweisaufnahme, wie es das NRW-
Untersuchungsausschußgesetz enthält; denn gerade hiervon lebt ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß.

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Das kann man wohl sagen!)

Das Hauptaugenmerk der Öffentlichkeit gilt, anders als beim Strafurteil, nicht dem späteren Abschlußbericht — oftmals interessiert sich dafür kaum jemand mehr — sondern der schnellen Aufdeckung der zu untersuchenden Mißstände. Da nicht strafrechtliche, sondern politische Konsequenzen aus tatsächlichen oder vermeintlichen Mißständen zu ziehen sind, muß ein Politiker sie auf dem öffentlichen Markt der Meinungen auch bewerten können.
Das Korrektiv hierzu müßte eine kritisch informierende Presse sein. Untersuchungsausschußmitglieder, die aus Mücken Elefanten machen oder Zeugen beleidigen — auch das haben wir jüngst wieder erlebt —, sollten von der Presse, von den Medien anständig in die Pfanne gehauen werden, meine Damen und Herren.
Die Tatsache, daß Untersuchungsausschüsse notwendigerweise in das Räderwerk parlamentarischer Auseinandersetzungen eingebunden sind, darf nicht dazu führen, daß die Grundrechte der Bürger, insbesondere als Zeugen, vor dem Ausschuß buchstäblich unter die Räder geraten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109508800
Der Herr Abgeordnete Penner bittet noch einmal um eine Zwischenfrage.

Dr. Manfred Langner (CDU):
Rede ID: ID1109508900
Herr Penner, bitte schön.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1109509000
Herr Langner, können Sie denn bestreiten, daß sich in der Praxis die Untersuchungsausschüsse so entwickelt haben, daß die Mehrheit, die die Regierung trägt, in der Regel wenig oder kein Interesse an der Aufklärung des Sachverhalts hat, sondern sich auf die Verteidigung beschränkt, während die Minderheit, die Opposition, regelmäßig das Untersuchungsinteresse trägt?

Dr. Manfred Langner (CDU):
Rede ID: ID1109509100
Nach meiner Erfahrung ist eine Mehrheit besonders gut beraten, wenn sie eine Untersuchungsausschußstrategie der Objektivität fährt.

(Dr. Penner [SPD]: Ja! — Schily [GRÜNE]: Da wird Ihnen Ihre Fraktion wohl kaum folgen!)

— Ja, ja. Bei Flick habe ich das gemacht.

(Dr. de With [SPD]: So macht es die Mehrheit auch im Untersuchungsausschuß? — Jahn [Marburg] [SPD]: Das war nicht witzig, das war zynisch!)

Ich sprach gerade über die Gefahr, daß die Zeugen unter die Räder geraten. Der Bürger muß durch eine rechtsstaatliche Verfahrensgestaltung davon bewahrt werden, daß er als Spielball der Kampfhähne mißbraucht wird. Rechtliches Gehör, der Beistand eines Rechtsanwalts, das Recht der Auskunftsverweigerung bei Gefahr eigener strafrechtlicher Verfolgung, auch Schweigen sind selbstverständlich. Aber auch der Appell an uns Parlamentarier zu einem fairen Umgang mit Zeugen gehört hierzu. Vor allem der Vorsitzende eines Untersuchungsausschusses hat hier eine besondere Fürsorgepflicht. Seine Stellung gilt es insoweit zu stärken.
Notwendig ist aber auch eine deutliche Grenzziehung, wann eine parlamentarische Untersuchung sich gegen Private richten kann. Das Bundesverfassungsgericht hat dies bisher nicht abschließend entschieden. Auch den Arbeiten zum Juristentag in der nächsten Woche kann ich hierzu noch nichts wirklich Überzeugendes entnehmen.
Eines ist klar: Wenn Private sich durch Einfluß auf staatliche Gewalt oder im Bereich des Subventionsempfangs gesetzwidrige Positionen verschaffen wol-



Dr. Langner
len, dann richtet sich der helle Strahl der Untersuchung auch auf sie. Doch muß dies die Ausnahme bleiben. Der Großteil des gesellschaftlichen Zusammenlebens ist auch für parlamentarische Untersuchungsausschüsse tabu. Untersuchungsausschüsse haben weder das Recht, mit Zwangsmitteln etwa die Urlaubsgewohnheiten der Bürger auszuforschen oder allgemein geschäftliche Aktivitäten deutscher Firmen auszukundschaften. Erforderlich — und dagegen wird ständig verstoßen — sollte stets ein enger Bezug auf die Staatsaufgabe sein und zumindest der Anfangsverdacht eines das öffentliche Interesse findenden Skandals oder Mißstands. Ich weiß, daß auch diese unbestimmten Rechtsbegriffe noch der Klärung und der Präzisierung bedürfen. Einen Doktorhut einen Ehrendoktorhut dem, der hier begriffschärfend wirken könnte!
In diesem Zusammenhang ist aber auch zu fordern, daß Aufträge von Untersuchungsausschüssen künftig präziser gefaßt werden. Von den Oppositionsparteien in diesem Haus wird gegen das Bestimmtheitsgebot zur Zeit massiv gesündigt. In einer Rundumschlagsmentalität konzentriert man sich nicht auf den konkret aufgetauchten Mißstand, sondern will alles zu einer riesigen Untersuchungsmaschinerie aufdonnern, die vor nichts mehr haltmacht. Mit Leerformeln und Sprachhülsen in den Auftragstexten versucht man, alles offenzuhalten für jedweden Zufallsfund in der Zukunft.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109509200
Herr Abgeordneter, würden Sie nunmehr eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Matthäus-Maier beantworten?

Dr. Manfred Langner (CDU):
Rede ID: ID1109509300
Ja, sehr gern.

Ingrid Matthäus-Maier (SPD):
Rede ID: ID1109509400
Herr Langner, sind nicht auch Sie der Ansicht, daß Ihre an sich berechtigte Forderung nach außerordentlich enger Bestimmtheit eines Untersuchungsauftrags dann ad absurdum geführt wird, wenn in der Praxis der Untersuchungsausschüsse die jeweilige Mehrheit die Bestimmtheit eines Untersuchungsauftrags benutzt, um neue Fakten und Daten, die auftauchen, immer als nicht unter den Untersuchungsauftrag fallend an die Seite zu schieben?

Dr. Manfred Langner (CDU):
Rede ID: ID1109509500
Frau Matthäus-Maier, bisher war es in Rechtsprechung, Lehre und Praxis eigentlich unbestritten, daß der Untersuchungsausschuß sich mit abgeschlossenen Sachverhalten zu beschäftigen hat.

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Ich sprach von abgeschlossenen Sachverhalten, die bekannt werden!)

— Wenn von einem abgeschlossenen Sachverhalt eine Tatsache erst später bekannt wird, ist die natürlich Gegenstand der Untersuchung.

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Na! — Jahn [Marburg] [SPD]: Ihre Praxis ist eine andere!)

Sonst wäre Frau Matthäus-Maier in der letzten Zeit schon viel unzulässig tätig geworden.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Ist sie auch!)

— Auch das ist richtig, Herr Kollege Hüsch.
Auf der mangelnden Bestimmtheit vieler Oppositionsuntersuchungsaufträge beruht sodann das derzeit wohl größte Übel bei Untersuchungsausschüssen
— das Hineinziehen völlig Unbeteiligter durch grenzenlose Beiziehung und Beschlagnahme von Akten. Hier sollten Parlamentarier endlich zur Selbstbesinnung kommen. Auch das Lahmlegen von Ministerien durch unspezifizierte Aktenbeiziehungsanträge ist deutlich zu kritisieren. Wenn zeitweilig rund 60 Beamte eines kleinen Ministeriums damit beschäftigt sind, für einen Bundestagsuntersuchungsausschuß die Unterlagen zusammenzustellen, so werden hier zudem Steuergelder schier verschleudert. Die Opposition sollte hier endlich die alte Weisheit beachten: Weniger ist oft mehr.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Jäger 90!)

Ein Wort noch zur Medienberichterstattung. Der mehr kontradiktorische Strafprozeß der Amerikaner liegt der parlamentarischen Untersuchung eigentlich näher als unsere Strafprozeßordnung. Idealiter müßten dann die Bürger die Geschworenen sein und ihr Urteil bei der nächsten Wahl sprechen. Das würde aber auch rein sachlich berichtende Medien als Transmissionsriemen voraussetzen.
Eine völlige Neuregelung sollte hinsichtlich des Rechtsschutzes im parlamentarischen Untersuchungsverfahren getroffen werden. Statt der parallelen Zuständigkeit der Straf-, Verwaltungs- oder Verfassungsgerichte, gelegentlich sogar auch der Finanzgerichte, sollte eine Konzentration auf einen Rechtsweg vorgesehen werden. Hierbei sollte für einen Bundestagsuntersuchungsausschuß instanziell das oberste Bundesgericht zuständig sein. Meines Erachtens sollte man den Rechtsschutz sogar gänzlich auf das Bundesverfassungsgericht verlagern. Denn letztendlich sind die Streitigkeiten im Kern alle verfassungsrechtlicher Natur. Es gibt kaum Streitigkeiten im Zusammenhang mit parlamentarischen Untersuchungsausschüssen aus jüngster Zeit, die nicht doch später, nach Ausschöpfung des Rechtswegs, irgendwann in Karlsruhe gelandet wären. Insofern habe ich persönlich Sympathie für den SPD-Gesetzentwurf, der die Alleinzuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts vorsieht. Doch sollte man diese Frage — auch wegen eventueller verfassungsrechtlicher Zuständigkeitsprobleme — sehr gründlich beraten.
Es hat, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, keinen Sinn, irgendein Untersuchungsausschußgesetz zu verabschieden. Da stimme ich dem Kollegen Hüsch in seiner generellen Skepsis — das darf ich wohl sagen — gegenüber einer solchen Gesetzgebung durchaus zu. Es hat keinen Sinn, irgendein Untersuchungsausschußgesetz zu verabschieden, sondern wenn, dann muß es ein gutes sein und bisher aufgetauchte Schwierigkeiten ausräumen. Wer irgendein Gesetz machen will, nur weil wir nach Jahren der Untätigkeit in gesetzgeberischen Verzug geraten sind, der würde der Sache einen Bärendienst erweisen. Denn es würden dann wahrscheinlich durch ungenaue Gesetzesformulierungen bei Untersuchungsverfahren mehr Schwierigkeiten auftreten als bisher, wo wir uns zumindest auf einige gesicherte Erkenntnisse der Rechtsprechung verlassen können.



Dr. Langner
Wir sehen, verehrte Damen und Herren, den Beratungen des Juristentages in Mainz in der nächsten Woche, der sich in einer Abteilung mit diesem Komplex beschäftigen wird, mit großem Interesse entgegen, und wir erhoffen praxisorientierte Anregung.
Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109509600
Das Wort hat der Abgeordnete Wiefelspütz.

Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Rede ID: ID1109509700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Langner, Sie haben es sich doch nicht versagen können, den Gesetzentwürfen einige taktische Unterstellungen beizumessen. Sehen Sie, das widerlegt sich eigentlich durch die Tatsachen. Wenn es zu einem Untersuchungsausschußgesetz kommen sollte, wird dieses gegen Ende der Legislaturperiode verabschiedet werden können. Es werden also erst Untersuchungsausschüsse der kommenden Bundestage sein, die nach diesem Gesetz verfahren müssen. Bis dahin werden durch Bundestagswahlen, durch Entscheidungen der Wähler und Wählerinnen die Karten neu gemischt. Es sollte, denke ich, völlig überzeugend sein, daß insbesondere unser Entwurf, der Entwurf der SPD-Fraktion von taktischen Überlegungen gerade nicht geprägt ist, ausdrücklich nicht geprägt werden sollte und nicht geprägt werden durfte. Es sollte ein Gesetz sein, das von den jeweiligen Mehrheitsverhältnissen in diesem Hohen Hause völlig unabhängig ist. Ich denke, davon müssen wir uns bei den Beratungen zum Untersuchungsausschußgesetz auch leiten lassen. Aber dieser Auffassung sind letztlich sicher auch Sie, Herr Kollege Langner.
Die Notwendigkeit eines Gesetzes zur Regelung des Rechts der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse, meine Damen und Herren, wird seit Jahren nachdrücklich bejaht. Bezeichnend ist, daß in den letzten Jahren insbesondere aus den Untersuchungsausschüssen des Bundestages heraus auf Grund leidvoller Erfahrungen immer wieder die Forderung nach einem Untersuchungsausschußgesetz laut wurde. Es hat in diesem Hohen Hause auch verdienstvolle parlamentarische Initiativen mit dem Ziel gegeben, ein Untersuchungsausschußgesetz zu verabschieden. Diesen Initiativen blieb der Erfolg bislang versagt.
Wir wollen nun erneut den Versuch unternehmen, ein Untersuchungsausschußgesetz zu verabschieden. Ich spreche von einem Versuch, weil uns allen klar sein dürfte, daß ein Untersuchungsausschußgesetz nur mit einer breiten Mehrheit in diesem Hohen Hause zu verabschieden sein wird. Ob es zu einer Verständigung zwischen den Koalitionsfraktionen und der Opposition kommt, wird abzuwarten sein. Die Art und Weise jedenfalls, wie die Kollegen aller Fraktionen im zuständigen Fachausschuß miteinander umgehen, veranlaßt mich zu der Erwartung, daß wir zumindest eine sehr intensive und faire Ausschußberatung haben werden.
Nun haben wir heute die nicht gerade alltägliche parlamentarische Konstellation, daß wir in erster Beratung über den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion und
über den neu eingebrachten sogenannten SchulteEntwurf, der auch von mehreren Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion unterschrieben wurde, reden. So ungewöhnlich dies sein mag, ich halte es gleichwohl für sachdienlich. Der sogenannte Schulte-Entwurf, der zu Recht den Namen des allseits geschätzten ehemaligen Kollegen Manfred Schulte trägt, ist verdienstvoll; denn er ist das Ergebnis des Aufeinanderzugehens von Kolleginnen und Kollegen aus den Fraktionen von CDU/CSU, FDP und meiner Fraktion. Gleichwohl, die Diskussion um die inhaltliche Ausgestaltung eines Untersuchungsausschußgesetzes ist in den vergangenen zwei Jahren in der SPD-Fraktion intensiv fortgesetzt worden. Das Ergebnis ist der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf meiner Fraktion.
In der gebotenen Kürze will ich die wesentlichen Merkmale und Grundsätze unseres Entwurfs erläutern:
Das Untersuchungsrecht gemäß Art. 44 des Grundgesetzes ist ein Recht des Bundestages als Verfassungsorgan und — auf Grund des Einsetzungsanspruchs der Minderheit von einem Viertel seiner Mitglieder — ein Mittel der Opposition zur parlamentarischen Kontrolle.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Das ist schon falsch!)

Der Schwerpunkt der Untersuchungen liegt in der parlamentarischen Kontrolle. Sie ist nur gewährleistet, wenn zwischen Parlament und Regierung — in den Worten des Bundesverfassungsgerichts — ein „politisches Spannungsverhältnis " besteht. Ein Untersuchungsverfahren, das nicht von dieser Spannung ausgelöst und in Gang gehalten wird, kann seinem Zweck nicht gerecht werden. In der Sicherstellung dieser Kontrolle liegt die verfassungsrechtliche Bedeutung des Minderheitsrechts.
Wir haben uns bei unserem Entwurf von einem zentralen Gesichtspunkt leiten lassen, den das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung, die im 49. Band der amtlichen Sammlung abgedruckt ist, folgendermaßen ausgedrückt hat — ich zitiere —
Mit dem Recht auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses allein ist jedoch das Kontrollrecht der Minderheit noch nicht gewährleistet. Eine ungehinderte Ausübung setzt weitere Sicherungen voraus.
Der Entwurf meiner Fraktion trägt dieser besonderen Kontrollfunktion der Untersuchungsausschüsse Rechnung. Im Zentrum unseres Entwurfs stehen deshalb Regelungen zugunsten der Ausschußminderheit. Diese Vorschriften geben der Ausschußminderheit eigenständige Rechte gegenüber der Ausschußmehrheit.
In § 3 unseres Entwurfs wird geregelt, daß der in einem Minderheitenantrag bezeichnete Untersuchungsgegenstand gegen den Willen der Antragsteller nicht geändert oder ergänzt werden kann. Das zentrale Beweiserhebungsrecht wird unter Berücksichtigung der Minderheitenrechte besonders geregelt.



Wiefelspütz
An der in Art. 44 Abs. 2 des Grundgesetzes vorgeschriebenen sinngemäßen Anwendung der Vorschriften über den Strafprozeß wird selbstverständlich in unserem Entwurf festgehalten.
Hervorheben möchte ich die Absätze 2 und 3 des § 13 unseres Entwurfs. Danach sind Beweise zu erheben, wenn dies von den Mitgliedern des Untersuchungsausschusses, die zu den Antragstellern gehören, oder von einem Viertel seiner Mitglieder beantragt wird. Auf Verlangen der antragstellenden Minderheit sind die von ihr beantragten Beweise mit Vorrang zu erheben. Hierdurch wird sichergestellt, daß eine Mehrheit im Untersuchungsausschuß im Rahmen des zentralen Beweiserhebungsrechts erst gar nicht in Versuchung geführt wird, Blockade- oder Verschleppungsversuche zu unternehmen. Den hier angesprochenen Versuchungen haben Mehrheiten in Untersuchungsausschüssen des Bundestages nicht immer widerstanden. Ich drücke das sehr zurückhaltend und höflich aus.
Eine vom Kollegen Lammert in Auftrag gegebene Studie des Wissenschaftlichen Dienstes unseres Hauses über formelle und materielle Streitfragen im parlamentarischen Untersuchungsrecht des ersten bis zehnten Bundestages stellt ein eindrucksvolles Zeugnis über das Anwachsen verfahrensrechtlicher Auseinandersetzungen in unseren Untersuchungsausschüssen dar.
Ich bin mir, liebe Kolleginnen und Kollegen, durchaus darüber im klaren, daß — insoweit komme ich den Bedenken des Kollegen Hüsch sehr wohl entgegen — ein Untersuchungsausschußgesetz nun noch nicht sicherstellt, daß wir in den Untersuchungsausschüssen der Zukunft gleichsam eine Insel des parlamentarischen Friedens haben werden; das ist sicherlich richtig. Aber ich denke, ein sachgerechtes Untersuchungsausschußgesetz wird ein gutes Stück Rechtsfrieden und Rechtssicherheit bringen, und das ist ein Ziel, das anzustreben es sich lohnt.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Unser Entwurf regelt, daß der Untersuchungsausschuß den notwendigen Geheimschutz zu gewährleisten hat. Da sich die Entscheidungen über die Geheimhaltungseinstufung nach der Geheimschutzordnung des Bundestages bzw. nach den entsprechenden Regelungen für die Exekutive richten, sind diese durch besondere Vorschriften für Auskunftsbegehren eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Bundestages zu ergänzen.
Auch die Regelungen über die Öffentlichkeit der Sitzungen sind von dem Leitgedanken des Minderheitenschutzes geprägt. Ton- und Filmaufnahmen sowie Ton- und Bildübertragungen sind nicht zulässig, es sei denn auf Antrag des Antragstellers oder mit den Stimmen eines Viertels der Mitglieder des Ausschusses wird eine Ausnahme zugelassen. Die Öffentlichkeit kann nur mit Zweidrittelmehrheit, jedoch nicht gegen den Willen der Antragsteller ausgeschlossen werden.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Lächerlich!)

— Herr Kollege Hüsch, Sie sollten nicht „lächerlich"
sagen. Mit solchen Sprüchen erreichen wir doch kein
Beratungsklima, so wie es beispielsweise im Geschäftsordnungsausschuß seit Jahren gang und gäbe ist. Mit billiger Polemik kommen wir in der Sache doch keinen Millimeter weiter.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Dann müssen Sie einen vernünftigen Vorschlag machen!)

Anders als der Schulte-Entwurf versagt unser Entwurf dem Ausschußvorsitzenden nicht das Stimmrecht. Unserem Entwurf liegt die Überlegung zugrunde, daß es mit dem Selbstverständnis eines Mitglieds des Bundestages nicht zu vereinbaren ist, wenn ihm in seiner Eigenschaft als Mitglied eines Untersuchungsausschusses das Stimmrecht versagt wird.
Für Streitigkeiten anläßlich des Untersuchungsausschußverfahrens ist grundsätzlich das Bundesverfassungsgericht zuständig, während der Schulte-Entwurf die Zuständigkeit des erstinstanzlichen Gerichts der örtlichen Gerichtsbarkeit am Sitz des Deutschen Bundestages vorsieht. Ich denke, daß die in unserem Entwurf vorgesehene Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts die angemessenere Lösung darstellt; dies ist wohl auch die Auffassung des Kollegen Langner.
Lassen Sie mich abschließend folgendes sagen. Nach den umfangreichen wissenschaftlichen und parlamentarischen Vorarbeiten zum parlamentarischen Untersuchungsrecht ist es an der Zeit, ein Untersuchungsausschußgesetz zu verabschieden. Wir haben dazu in dieser Legislaturperiode Gelegenheit. Wir sollten uns bei den Beratungen in den Fachausschüssen von der sehr einfachen Erkenntnis leiten lassen, daß jede Fraktion dieses Hohen Hauses Parlamentsminderheit sein kann. Ich habe die Hoffnung, daß diese Erkenntnis uns ein tragfähiges Ergebnis verschafft.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109509800
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert (Hannover).

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID1109509900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Es ist wirklich etwas erstaunlich, daß wir diese Beratung erst heute haben. Am 7. Februar 1950 haben sich Ollenhauer und Fraktion dafür interessiert, wie im Bereich der Bundeshauptstadt Bonn Aufträge vergeben worden sind und ob dabei überhöhte Preise gezahlt und Leute begünstigt worden sind, die vielleicht in damaligen Zusammenhängen im Verdacht standen, besonderes Interesse an der Einrichtung der Bundeshauptstadt Bonn zu haben. Da fing die Sache an; das war der erste Untersuchungsausschuß.

(Heiterkeit bei der SPD)

Seit damals ist das alles bekannt. Ich bin etwas verwundert, daß hier in der Debatte auch nur der Anschein erweckt wird, es könnte sich um eine Auseinandersetzung zwischen den Fraktionen oder zwischen Regierung und Opposition handeln. Herr Langner hat doch recht: Das hat ja im Laufe der Jahre erfahrungsgemäß nun einmal gewechselt. Erfahrungen sind reichlich vorhanden, und sie sind derart, daß ich mich wirklich wundere, warum wir erst jetzt an-



Kleinert (Hannover)

fangen, uns aufzuraffen, eine Sache zu regeln, die ich bei aller Begeisterung für möglichst wenige Regeln wirklich für dringend regulierungsbedürftig halte. Denn es stehen hier ja ganz erhebliche Rechtsgüter vieler Individuen auf dem Spiel.
Wenn die Ausschüsse dieses Hauses, Untersuchungsausschüsse mit strafprozessualen Befugnissen, sagen: Wir wenden „sinngemäß" — auch so ein Wort — die IPA-Regeln an, wenn man aber weiß, es handelt sich um den Gesetzentwurf einer Arbeitsgemeinschaft, die zwar auch Parlamentarier als Mitglieder hatte, die aber keineswegs aus diesem Parlament hervorgegangen ist, und wenn dann der sehr unverbindliche Entwurf als Verfahrensrecht für alle Untersuchungsausschüsse benutzt wird, die wir hier gehabt haben, dann ist das alles doch schon eine sehr merkwürdige Angelegenheit.
Ich habe einem Untersuchungsausschuß angehört
— dem Untersuchungsausschuß Steiner —, von dem mitgeteilt wurde — ich weiß nicht, ob das der einzige Grund war; es war jedenfalls der offiziell erklärte Grund — , es wäre ihm nicht zumutbar, mit den vorliegenden verfahrensrechtlichen Regeln seine Untersuchungen weiter durchzuführen. Mit dieser Erklärung hat sich der Untersuchungsausschuß — übrigens einstimmig — von diesem Hause dann verabschiedet.

(Heiterkeit bei der FDP)

Das ist allerdings schon eine ziemlich lange Zeit her, und es ist nichts geschehen.
Ich möchte unserem Freund Manfred Schulte, der heute erstmals auf der Besuchertribüne Platz genommen hat, sehr herzlich dafür danken, daß er die Sache so vorangetrieben hat, daß wir wenigstens einen Entwurf haben,

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

über den wir dann sicherlich in den Einzelheiten sprechen können.

(Zuruf des Abg. Dr. Penner [SPD])

— Lieber Willfried Penner, wie die Zusammenhänge zwischen Opposition und Regierung sind und ob der Untersuchungsausschuß wirklich ein Instrument der Opposition ist, wird besonders zweifelhaft angesichts einer statistischen Feststellung, die mich bei der vorbereitenden Lektüre für die heutige Aussprache überrascht hat: Es hat nur eine Legislaturperiode ohne Untersuchungsausschüsse gegeben. Das war die Legislaturperiode von 1957 bis 1961, die Zeit der absoluten Mehrheit der CDU/CSU. Das spricht jedenfalls nicht unbedingt für die Theorien, die hier aufgestellt worden sind; das meine ich. Deshalb ist es wahrscheinlich richtig, daß all diese Theorien nicht so ganz zutreffend sind.
Eins steht allerdings fest: Wenn wir strafprozessuale Befugnisse haben und damit drohen, nicht nur falsche uneidliche Aussagen, sondern auch Meineide zu verfolgen — über Auskünfte, die erzwungen werden, weit jenseits all dessen, was in diesem Hause z. B. zum Thema Datenschutz gesagt wird — , müssen wir sehr klare Regeln haben, in denen sich ein solches Verfahren bewegt. Denn sonst lassen wir den Bürgern, die als meistens recht Unbeteiligte in ein solches
Untersuchungsverfahren hineingezogen werden, in diesem parlamentarischen Verfahren erheblich weniger Rechtsgarantien zugute kommen, als sie sie im Strafprozeß in vergleichbarer Rolle bei vergleichbaren Risiken hätten. Das ist der tiefere Grund, und das ist meiner Ansicht nach auch der wichtigste rechtspolitische Grund, daß wir hier ein Verfahren brauchen.
Es gibt viele praktische Gesichtspunkte: Ich bin z. B. ein großer Freund des Sondervotums — wie das so geht, er kommt gerade hinein — von Herrn Hirsch aus der Enquete-Kommission — das ist auch schon wieder 13 Jahre her —, in der er gesagt hat — das halte ich für einen besonders listigen Gedanken —, der Vorsitzende solle durch Los bestimmt werden. Man muß sich einmal überlegen, welche nützlichen Auswirkungen es auf die Fraktionsberatungen hat, wenn die Fraktion nicht weiß, wer schließlich den Vorsitz bekommt.

(Heiterkeit)

Das kann ungewöhnlich nützliche Auswirkungen auf
die Frage haben, ob man es nicht doch lieber sein läßt
— wenn man nämlich einen anderen hat oder wenn man nicht weiß, wer von den eigenen Leuten sich nun ein halbes Jahr abseits jeder normalen parlamentarischen Tätigkeit in so einem Ausschuß von morgens früh bis abends spät vergraben lassen muß. Denn man darf ja hier wohl auch einmal sagen, daß es nicht ganz einfach ist, die entsprechenden Leute für all diese Untersuchungsausschüsse zu finden. Da ist mir dieser Losentscheid hochgradig sympathisch.

(Zuruf des Abg. Wiefelspütz [SPD])

Das ist nur eine dieser vielen Einzelheiten, die man
— Herr Wiefelspütz — ganz locker und fair und sachlich miteinander wird besprechen müssen, um hier zu einem Ergebnis zu kommen, das unserer wichtigsten Aufgabe gerecht wird, nämlich Rechtschutz für die Beteiligten in dem Maße zu sichern, das sie auch in einem Strafverfahren haben würden. Denn die Auswirkungen sind schließlich mindestens so wie in einem Strafverfahren, ganz abgesehen davon, daß diese Untersuchungsausschüsse — das ist ja wohl auch so gewollt — eine erheblich größere Öffentlichkeitswirkung erreichen als die meisten Strafverfahren, mit denen wir so zu tun haben.

(Dr. Penner [SPD]: Aber wo bleibt denn die Enquete des Parlaments?)

— Die Enquete des Parlaments sollte man bei dieser Gelegenheit von dem Thema Untersuchungsausschuß ganz deutlich separieren. Die allgemeine Erforschung interessierender Umstände sollte man ganz deutlich absetzen. Es gibt hier eine Grauzone; es gibt hier eine Vermischung von Dingen, die nicht miteinander verbunden werden sollten. Herr Langner hat zu Recht von den Mißständen gesprochen, die untersucht werden sollen. Ich gehe nicht soweit, zu sagen: Es handelt sich einmal um eine Skandal-Enquete und einmal sozusagen um eine Sach-Enquete; diesen Gegensatz könnte man ja auch bilden. Jedenfalls sollte man es dann scharf voneinander trennen.
Bei einer sachlichen Untersuchung, bei einer Enquete-Kommission, bestehen die Risiken, von denen



Kleinert (Hannover)

ich eben sprach, für eine Fülle von Beteiligten nicht annähernd in dem Maße, in dem sie bei einem Untersuchungsausschuß bestehen.
Lieber Herr Hüsch, ich schätze Sie nun wirklich
sehr. Aber in dieser Frage scheinen wir etwas auseinander zu sein. Die Idee: Laßt uns erstmal auf eine solche Sache zugehen, wir sind souverän, wir sind auch
gescheit genug, um dann schließlich herauszufinden,
in welcher Richtung wir uns bewegen — ich habe es
sicherlich etwas unfair überzeichnet — , möchte ich
keineswegs teilen. Ich bin für eine ganz klare Abgrenzung. Ich bin auch für ganz klare Beweisbeschlüsse
und nicht für das, was in den Landtagen zum Teil im
Schwange ist, daß da in völlig schwammiger Weise
mit einer langen Stange im Heuhaufen herumgestochert wird, und man dann freudig überrascht ist, wenn dieses oder jenes oder gar nichts dabei herauskommt. Das, meine ich, ist dieses Instituts nicht würdig. Das müssen wir schon etwas konkreter und das müssen wir schon etwas präziser angehen. Darum wollen wir uns gemeinsam — anders kann es gar nicht sein — bei Gelegenheit der jetzt vor uns stehenden Beratungen kümmern.
Ich bin wirklich, um noch einmal auf den Anfang zurückzukommen, der Meinung: Es ist höchste Zeit; wir können es den an diesen Verfahren Beteiligten einfach nach all den Jahren der Ungewißheit nicht länger zumuten, daß auf einer so schwankenden Grundlage derart wichtige Untersuchungen stattfinden.
Danke schön.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109510000
Das Wort hat der Abgeordnete Schily.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1109510100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin ja durchaus beeindruckt, Herr Kleinert, daß Sie als parlamentarischer Croupier das Glücksspiel jetzt auch in das Parlamentsleben einführen wollen; das halte ich aber durchaus für einen interessanten Gedanken.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielleicht käme auf diese Weise auch einmal der Vorsitz eines parlamentarischen Untersuchungsausschuß an eine kleinere Fraktion; das wäre ja eine angenehme Vorstellung.
Wir wissen hier alle miteinander, daß der Bundesregierung eine beachtliche Produktivitätssteigerung gelungen ist.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109510200
Herr Abgeordneter Schily, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kleinert in diesem Zusammenhang?

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1109510300
Ja, selbstverständlich. Bitte sehr, Herr Kleinert. Es wird eine witzige Zwischenfrage sein.

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID1109510400
Herr Kollege Schily, da Sie soeben liebenswürdigerweise einen Untersuchungsausschuß des niedersächsischen Landtages in die Debatte eingeführt haben, wären Sie so freundlich, bei Ihren weiteren Überlegungen zu berücksichtigen, ob es wohl richtig ist, daß Akten, die im Interesse aller Beteiligten normalerweise sehr sorgfältig verwahrt zu werden pflegen, durch Ihren Kollegen Schörshusen dem „Spiegel" zugänglich gemacht werden, damit er dann nach seinem Belieben daraus völlig willkürlich ausgewählte Desinformationen unter die Menschen streuen kann?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109510500
Herr Abgeordneter Kleinert, würden Sie die Güte haben, die Antwort des Abgeordneten Schily stehend entgegenzunehmen?

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1109510600
Da wir hier ja über parlamentarische Untersuchungsausschüsse reden, Herr Kollege Kleinert, werden Sie sich vielleicht daran erinnern, daß z. B. aus Ihren Reihen — vor allen Dingen auch von dem Kollegen Langner — immer höchster Wert darauf gelegt worden ist, die Bundeszuständigkeit ganz strikt einzuhalten. Deshalb werde ich mich auf Ihre Frage hin sehr zurückhalten, zu Vorgängen des niedersächsischen Landtagsausschusses Stellung zu nehmen, zumal mir dazu die Kenntnisse fehlen, die Sie offenbar haben oder nicht haben und die Sie veranlassen, hier etwas in die Bundestagsdebatte einzustreuen, von dem Sie glauben, daß es Ihrer Verteidigung dort dient. Aber ich glaube, wir wollten das Thema jetzt eigentlich verlassen und uns dem Gesetzgebungsvorhaben zuwenden.

(Kleinert [Hannover] [FDP]: Eingeführt durch Sie! — Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Eine sehr schwache Antwort!)

— Nein, nein, Herr Kollege.
Wir wissen alle, daß der Bundesregierung eine beachtliche Produktivitätssteigerung gelungen ist, und zwar in der Skandalbranche.

(Heiterkeit bei den GRÜNEN)

Daraus ergibt sich die bedauerliche Notwendigkeit, in sehr kurzen zeitlichen Abständen neue Untersuchungsausschüsse einzusetzen. In der vergangenen Legislaturperiode gab es vier; im zweiten Jahr der laufenden Legislaturperiode gibt es immerhin schon drei Untersuchungsausschüsse. An Aktualität fehlt es unserer heutigen faszinierenden Debatte also keineswegs.
Das in Art. 44 des Grundgesetzes verbriefte Untersuchungsrecht ist eines der bedeutsamen scharfen Kontrollinstrumente des Parlaments, insbesondere der Opposition gegenüber der Regierung. Im Idealfall sollte das Parlament in seiner Gesamtheit das Kontrollinstrument nutzen, und mitunter ist das ja auch der Fall. Ich denke, in Schleswig-Holstein kann man durchaus anerkennen, daß ein Mann wie Graf Kerssenbrock, der dann unglückseligerweise bei seiner eigenen Partei in Verruf geraten ist, den Untersuchungsauftrag in einer objektiven Weise, Herr Kollege Langner, ernstgenommen hat. Das wollen wir hier durchaus anerkennen.
Da sich die Koalitionsfraktionen aber immer mehr lediglich als Servierer für die Regierung begreifen, haben sie in der Vergangenheit in den Untersuchungsausschüssen ihre Aufgabe meist darin gese-



Schily
hen, Beweiserhebungen zu verhindern und eine vollständige Aufklärung zu hintertreiben.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Aha!)

— Das „Aha", Herr Kollege Hüsch, beweist, daß Sie da auch noch eine gute Erinnerung haben.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU] : Sicher!)

Besonders beredte Beispiele sind der Flick-Ausschuß und der U-Boot-Untersuchungsausschuß.
Ein neues Gesetz, das das Verfahren von Untersuchungsausschüssen regelt, muß deshalb vor allem die ungehinderte Ausübung des Kontrollrechts nach Art. 44 des Grundgesetzes sichern.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Das ist richtig!)

Zur Sicherung des Kontrollrechts aus Art. 44 Grundgesetz ist der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion offenkundig besser geeignet, während der interfraktionelle Antrag wesentliche Mängel aufweist. Nur wenn die Rechte der Minderheit, die die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses nach Art. 44 Grundgesetz beantragen kann, verfahrensrechtlich gestärkt werden, kann künftiger Obstruktion vorgebeugt werden. Beispielsweise muß gewährleistet sein, daß die Durchsetzung von Beweiserhebungen, die Ausübung des Fragerechts und die Prüfung von Akten nicht von der Gnade der Mehrheitsfraktionen abhängt. Das ist ein sehr entscheidender Gesichtspunkt.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD — Dr. Penner [SPD]: Und die Reihenfolge der Vernehmungen, Herr Schily!)

— Zum Beispiel auch das. Wer — gerade im FlickAusschuß — daran denkt, welche erpresserischen Methoden im Rahmen der Reihenfolge von Beweiserhebungen angewendet wurden und wie man auf diese Weise auch den Abschluß einer Beweiserhebung erzwungen hat, weiß, wovon wir sprechen.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Sagen Sie das mal deutlich!)

— Ja, ja, Herr Hüsch, das wissen Sie doch ganz genau. Sie haben doch vermutlich selber an den Gesprächen teilgenommen.
Wer erlebt hat, wie in den zurückliegenden Jahren die Koalitionsfraktionen ihre Verfahrensmehrheit in den Untersuchungsausschüssen rücksichtslos mißbraucht haben

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Alles falsch!)

— jetzt werden Sie unruhig, Herr Hüsch, nicht — , darf auf eine klare Festlegung der Minderheitsrechte nach Art. 44 des Grundgesetzes nicht verzichten.
Allerdings kann ich nicht ganz verstehen — das muß ich kritisch in Richtung der SPD sagen — , daß die SPD seltsamerweise auf zwei Hochzeiten tanzt. Einerseits haben Sie auf der Drucksache 11/2025 einen beachtlichen Entwurf vorgelegt, andererseits unterstützen mehrere SPD-Abgeordnete immer noch den interfraktionellen Antrag. Diesen Widerspruch müßten Sie heute freundlicherweise doch noch einmal klären.

(Dr. de With [SPD]: Das ist pluralistisch!)

— Ja, das ist der Pluralismus. — Vielleicht sind die unterschiedlichen Versionen der SPD so zu verstehen, daß die eine für die Zeit der Opposition und die andere für die Zeit nach Übernahme der Regierung gelten soll.

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN)

Es wäre aber zu wünschen, daß wir uns auf ein Gesetz einigen können, in dem das uneingeschränkte Untersuchungsrecht aus Art. 44 des Grundgesetzes anerkannt und gewährleistet wird — auch von der Seite des Parlaments, die die Regierung stellt. Wir sollten deshalb die entsprechende Gesetzesvorlage mit einem Mindesthaltbarkeitsdatum versehen.
Eine rot-grüne Bundesregierung, die wünschenswert wäre,

(Zurufe von der CDU/CSU: Aha! — Dr. de With [SPD]: Das glaubt er selber nicht!)

wird sich selbstverständlich von Skandalen frei halten oder — sagen wir vorsichtshalber — die Skandalrate mindestens erheblich senken. Dessen ungeachtet sollte der künftigen Opposition nichts in den Weg gelegt werden,

(Dr. de With [SPD]: Das ist wieder richtig!)

ungeschmälert ihre Kontrollrechte aus Art. 44 des Grundgesetzes wahrzunehmen. Dafür wünschen wir Ihnen für die Zukunft alles Gute.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109510700
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lammert.

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1109510800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Schily, daß Sie heute bei dieser Tagesordnung die ersten Versatzstücke einer rot-grünen Regierungserklärung vortragen würden, hatten wir in der Tat kaum zu hoffen gewagt.

(Dr. Langner [CDU/CSU]: Mit Herrn Schily als Vizekanzler! — Wiefelspütz [SPD]: Diese Regierungserklärung rechnen Sie uns bitte nicht zu!)

— Das ist auch eine bemerkenswerte Erklärung zur Sache. Vielleicht sollten wir doch noch ein bißchen bei diesem Aspekt bleiben.
Auch ohne ein Untersuchungsausschußgesetz hat es bisher im Deutschen Bundestag fast 40 Untersuchungsausschüsse gegeben: 27 nach Art. 44 des Grundgesetzes und 11 Untersuchungsausschüsse des Verteidigungsausschusses nach Art. 45 a des Grundgesetzes. Sie haben meist sehr erfolgreiche Arbeit geleistet. Dennoch ist die naheliegende Schlußfolgerung falsch, es bedürfe offensichtlich eines eigenen Gesetzes nicht.
Zum einen reichen die Bestimmungen des Grundgesetzes — für jedermann erkennbar — nicht aus, auch nicht der Hinweis auf die „sinngemäße Anwendung" der Strafprozeßordnung. Die Lücken und die Probleme, die sich aus der Eigenart des parlamentarischen Untersuchungsverfahrens ergeben, können auch durch die sinngemäße Anwendung der Strafprozeßordnung nicht in verfassungsrechtlich einwand-



Dr. Lammert
freier Weise behoben werden. Es ist im übrigen ja auch aufschlußreich — der Kollege Kleinert hat vorhin darauf verwiesen —, daß wir jedenfalls in den letzten Jahren im Deutschen Bundestag regelmäßig eine Vereinbarung herbeigeführt haben, die sogenannten IPA-Regeln als besonderes Geschäftsordnungsrecht anzuwenden.
Das zeigt zum einen den besonderen Regelungsbedarf, den es offensichtlich über die Bestimmungen des Grundgesetzes hinaus gibt, ist zum anderen aber in der Handhabung geradezu skurril, weil ein Gesetz zwar nicht zustande kommt, man sich aber nahezu ausnahmslos in jedem konkreten Fall darauf verständigt, einen Gesetzentwurf zur verbindlichen Grund lage des Verfahrens zu machen.
Auch auf dieser Basis sind die Verfahrensprobleme nicht ausgeräumt, was sowohl andere Gremien des Bundestages als inzwischen auch zunehmend ordentliche Gerichte für die Behebung solcher Probleme in Anspruch genommen hat. Dies gilt, wenn man das über die gesamte Zahl der Untersuchungsausschüsse der letzten Jahre verfolgt, inzwischen für beinahe jeden zweiten bisher eingesetzten Untersuchungsausschuß, daß im Ausschuß nicht lösbare Verfahrensprobleme anderen Gremien, bis hin zu ordentlichen Gerichten, vorgelegt werden mußten. Der absolute Kulminationspunkt wurde diesbezüglich im Untersuchungsausschuß „Neue Heimat" mit insgesamt 24 Gerichtsverfahren erreicht, von denen einige noch immer anhängig sind. Die damit verbundene Tendenz zur Entparlamentarisierung eines zentralen Parlamentsrechts ist weder unter grundsätzlichen noch unter praktischen Gesichtspunkten hinnehmbar.
Zu Recht ist in dieser Debatte darauf hingewiesen worden, daß folgerichtig in den letzten Jahren die Forderung nach einem eigenen Gesetz über Einsetzung, Rechte und Verfahren eines Untersuchungsausschusses immer häufiger erhoben worden ist, sowohl von seiten der Wissenschaft, der Rechtswissenschaft wie der Politikwissenschaft, als auch vom Bundestag selbst, der mehrere vergebliche Anläufe bereits hinter sich hat. Aufschlußreich ist im übrigen auch, daß mindestens sechs Untersuchungsausschüsse in ihren Schlußberichten, zuletzt sowohl der Flick-Untersuchungsausschuß wie der Untersuchungsausschuß „Neue Heimat" ein solches eigenes Gesetz ausdrücklich eingefordert haben.
Auf genau diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, hat der Geschäftsordnungsausschuß des Bundestages im Rahmen seines Selbstbefassungsrechts schon in der letzten Legislaturperiode seine Bemühungen um einen solchen Gesetzentwurf begonnen und im Herbst 1985, also inzwischen vor auch schon wieder fast drei Jahren, in einem weitgehenden Konsens aller Fraktionen im Ausschuß abgeschlossen. Ich schließe mich sehr gerne den Worten des Dankes an den damaligen Vorsitzenden des Geschäftsordnungsausschusses Manfred Schulte an, die einige meiner Vorredner hier bereits vorgetragen haben, der seine jahrzehntelangen parlamentarischen Erfahrungen — übrigens in Regierung und Opposition — in den Dienst dieser Sache gestellt hat und ohne dessen geduldiges Bemühen um ein ausgewogenes konsensfähiges Ergebnis dieser Entwurf vermutlich nicht zustande gekommen wäre.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und bei der SPD)

Es gehört sich auch deswegen, dies hier vorzutragen, weil sein Name auf dem Gesetzentwurf, der jetzt zur Beratung ansteht, nicht mehr steht, weil er mit Ablauf der letzten Legislaturperiode aus dem Deutschen Bundestag ausgeschieden ist. Wir haben aber aus guten Gründen den damals erarbeiteten Gesetzentwurf unverändert übernommen und nun erneut in den Bundestag zur Beratung eingebracht.
Ich möchte in wenigen Punkten die grundlegenden Überzeugungen skizzieren, die uns zu diesem vorliegenden Gesetzentwurf veranlaßt haben.
Erstens. Ein eigenes Untersuchungsausschußgesetz ist dringend erforderlich, sowohl aus politischen wie aus rechtlichen und aus praktischen Gründen. Die angemessene und verbindliche Regelung der offensichtlichen Probleme der Einsetzung und des Verfahrens von Untersuchungsausschüssen ist aus rechtsstaatlichen Grundsätzen ebenso geboten wie aus dem Selbstverständnis des Parlaments.
Zweitens. Ein Untersuchungsausschußgesetz muß den spezifischen Charakter dieses besonderen parlamentarischen Instruments wahren und praktikabel machen, das der Aufklärung von Sachverhalten dienen und zugleich Mittel der politischen Auseinandersetzung bleiben muß. Untersuchungsausschüsse sind folglich weder parlamentarische Gremien wie alle anderen auch, noch sind sie ordentliche Gerichte.
Drittens. Untersuchungsausschüsse sind schon durch das Grundgesetz als Minderheitenrecht konstruiert, dem die einzelnen Verfahrensregelungen angemessen Rechnung tragen müssen. Insofern stelle ich ausdrücklich eine weitgehende Übereinstimmung zwischen den beiden Gesetzentwürfen — jedenfalls in ihrer Intention — fest. Für die Unterzeichner dieses Gesetzentwurfs hat jedenfalls nie in Zweifel gestanden, daß es eine solide Berücksichtigung dieses Minderheitsrechts auch in den Verfahrensregeln in der Tat geben muß, wenn dieses Gesetz seinen Zweck überhaupt erfüllen soll. Dabei dürfen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Minderheitenrechte allerdings nicht als Oppositionsrechte mißverstanden werden. Minderheitenschutz ist auch, aber noch etwas anderes und vielleicht sogar mehr als Oppositionsschutz.
Viertens — dies erklärt auch den vorhin mehrfach nachgefragten Unterschied in den beiden Gesetzentwürfen — muß die Verantwortlichkeit der parlamentarischen Mehrheit für Verfahren und Beschlüsse in der Sache gewahrt bleiben. Die notwendige Berücksichtigung von Minderheitsrechten darf die Verantwortung des Parlaments als Ganzes und damit das grundlegende Prinzip der Mehrheitsentscheidung nicht aufheben.
Fünftens. Ein Untersuchungsausschußgesetz muß schon wegen des notwendigen Grundrechtsschutzes die Rechte der Auskunftspersonen und anderer Verfahrensbeteiligter sichern. In diesem Zusammenhang



Dr. Lammert
ist gegebenenfalls der Status von Zeugen und Betroffenen zu klären.
Sechstens. Ein Untersuchungsausschußgesetz muß die bisher gewonnenen Erfahrungen in den Parlamenten sowohl des Bundes wie der Länder sowie die sachkundigen Hinweise der Wissenschaft berücksichtigen, aber möglichst die Neigung zum Regelungsperfektionismus vermeiden. Die Grundsatzfragen müssen ohne Zweifel geklärt werden, aber nicht jedes einzelne denkbare Verfahrensproblem muß durch eine Gesetzesformulierung angepackt werden.
Siebtens. Der eingebrachte Gesetzentwurf muß und soll Veränderungen ermöglichen, die neue Probleme, Erfahrungen und Fragestellungen berücksichtigen. Hierzu gibt es selbstverständlich auch in meiner Fraktion inzwischen intensive Beratungen, und ich hätte mir gewünscht, daß die beachtlichen Hinweise, die der Kollege Hüsch dazu in unseren internen Beratungen vorgetragen hat, nicht der verkürzten Beratungszeit heute morgen zum Opfer gefallen wären, sondern auch hier in erster Lesung im Deutschen Bundestag hätten vorgetragen werden können.
Achtens. Dies erklärt vielleicht am besten die allgemeine Linie dieses Gesetzentwurfes: Alle Initiatoren und Unterzeichner sind von der Überzeugung ausgegangen, daß ein Untersuchungsausschußgesetz interfraktionell erarbeitet und verabschiedet werden muß.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ein Untersuchungsausschußgesetz wird in diesem Bundestag entweder im Konsens verabschiedet oder überhaupt nicht.

(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)

Nach sorgfältiger Beratung in den Ausschüssen kann es ohnehin erst in der nächsten Legislaturperiode in Kraft treten. Niemand weiß heute, wer nach der Wahlentscheidung des Souveräns dann tatsächlich die Mehrheits- und die Minderheitsrechte in Anspruch nehmen wird.

(Seiters [CDU/CSU]: Aber in etwa! — Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Aber hoffen darf man doch!)

Diese im übrigen vielleicht lästige Ungewißheit, Herr Kollege Seiters, könnte uns allen vielleicht das Bemühen um Augenmaß erleichtern.
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß meinen Dank an die Kollegen im Geschäftsordnungsausschuß aus allen Fraktionen sagen, deren Bereitschaft zur Kooperation und zum Kompromiß diesen Gesetzentwurf möglich gemacht hat. Ich möchte mich aber auch bei den Kollegen aus anderen Fachausschüssen, bei den Fraktionsgeschäftsführern, bei Mitgliedern des Präsidiums und des Ältestenrates bedanken, die dem Gruppenantrag beigetreten sind und ihm dadurch besonderes politisches Gewicht gegeben haben. Für die Initiatoren des überfraktionellen Entwurfs kann ich die Bereitschaft zur unvoreingenommenen Prüfung und Weiterentwicklung der vorgelegten Regelungsentwürfe zusagen. Wenn diese Bereitschaft zum Konsens auch bei allen anderen Beteiligten in weiteren Gesetzgebungsverfahren deutlich würde, besteht eine konkrete Chance, zum Ende dieser Legislaturperiode erstmals und endlich ein Untersuchungsausschußgesetz zu bekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109510900
Das Wort hat der Abgeordnete Porzner.

Konrad Porzner (SPD):
Rede ID: ID1109511000
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Ganz kurz nur zum Schluß, weil die Frage gestellt wurde, warum es auch Unterschriften von Sozialdemokraten unter dem Schulte-Entwurf gibt: Ich habe, soweit ich mich mit der Thematik befassen konnte, erfahren, daß in allen Fraktionen fast alle Positionen vertreten werden. Deswegen ist es gar kein Widerspruch in der Sache und in der Absicht, wenn diejenigen, die in der letzten Legislaturperiode den damaligen interfraktionellen Entwurf unterschrieben haben, es jetzt wieder getan haben.

(Wiefelspütz [SPD]: Sehr richtig!)

Da verschiedene das nicht mehr tun konnten, weil sie dem Bundestag nicht mehr angehören, war es gar nicht so verkehrt, daß andere an ihre Stelle getreten sind, die damals sagten: Die Zahl der Unterschriften reicht. So praktisch wird Parlamentsarbeit ja oft auch gemacht. Ich überschätze jetzt aber auch nicht, was Sie dazu gesagt haben, Herr Schily. Warum sollen nicht auch ein paar flapsige Bemerkungen gemacht werden, was Mehrheiten- und Minderheitenwünsche in diesem Zusammenhang sein könnten.
Parlamentarische Verfahrensregeln, Geschäftsordnungen sind geronnene Erfahrungen von Generationen. Unsere Geschäftsordnung geht bis auf die Paulskirche zurück. Dort sind die Anfänge gemacht, und vieles findet man noch in unserer Geschäftsordnung. — Sie sind zwar nicht Verfassungsrecht, aber haben, materiell gesehen, verfassungsähnliche Bedeutung. Denn im parlamentarischen Verfahrensrecht wird geregelt, wie härteste inhaltliche Streitfragen verhandelt werden. Insofern ist es interessant, daß wir bisher damit ausgekommen sind, auch wenn es unbefriedigend war, Untersuchungsausschüsse ohne solche geschriebenen Verfahrensregeln arbeiten zu lassen.
Da alle unzufrieden sind — alle! — , wollen wir den Versuch machen. Ich bin zuversichtlich, daß es uns gelingt, wenn alle diejenigen, die Maximalpositionen vertreten, darauf verzichten können, daß sich diese Positionen im Gesetz wiederfinden. Wir werden auch Erfahrungen von Landtagen auswerten. Wir können auch, so beschränkt das nur möglich ist, die eine oder andere Erfahrung aus parlamentarischen Systemen in anderen Staaten mit einbeziehen, nicht abschreiben.
In der vergangenen Woche war eine Delegation des 1. Ausschusses, des Geschäftsordnungsausschusses, in den Niederlanden. Es war interessant, zu sehen, wie dort die erste Phase nach Abschluß einer Untersuchung im Parlament gestaltet ist. Diejenigen, die die Untersuchung vorgenommen haben, die Mitglieder des Untersuchungsausschusses, haben nämlich zuerst ein Gespräch mit dem Gesamtparlament geführt. Erst in der zweiten Phase wird es dann eine Auseinandersetzung zwischen Regierung und Parla-



Porzner
ment geben. Es wird nicht die Absicht sein — die Niederlande haben eine andere Geschichte, eine andere parlamentarische Praxis — , solches hier einzuführen. Aber ich will damit nur sagen: Es mag auch interessant sein, Erfahrungen anderer Staaten mit einzubeziehen.
Ich habe aus den Beiträgen heute nicht gehört, daß es nicht eine breite Grundlage für ein Gesetz gibt. Das macht zuversichtlich.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109511100
Sie sind bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten?

Konrad Porzner (SPD):
Rede ID: ID1109511200
Ja.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109511300
Bitte, Herr Schily.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1109511400
Herr Kollege Porzner, ich teile ja die Auffassung des Kollegen Lammert, daß eine interfraktionelle Regelung, daß ein möglichst breiter Konsens für eine solche Neuregelung notwendig ist. Aber ich stelle mir vor, daß Sie sich bei Ihrem eigenen Gesetzentwurf durchaus etwas gedacht haben. Was mir jetzt bei Ihren sehr interessanten Ausführungen verborgen geblieben ist: Was strebt denn die SPD-Fraktion an? Soll der breite Konsens für ihren eigenen Gesetzentwurf oder für den interfraktionellen Antrag hergestellt werden, der auch die Unterschrift einiger SPD-Abgeordneter trägt? Es wäre doch interessant für uns, das zu erfahren.

Konrad Porzner (SPD):
Rede ID: ID1109511500
Das ist ein Beitrag zu dem Konsens, den wir finden werden. Frau Herta Däubler-Gmelin hat den Gesetzentwurf vorgestellt und gesagt, daß sie sich klar ist, daß es im Parlament für ein Gesetz breite Übereinstimmung geben muß.

(Abg. Schily [GRÜNE] meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage)

— Nein, ich muß auch zum Schluß kommen und will die Redezeit nicht überziehen, Herr Schily. — Der 1. Ausschuß dieses Hauses, der diesen Antrag bearbeiten muß, wird alle Erfahrungen, die es auf diesem Gebiet gibt, einbeziehen. Wir werden das schwierige Spannungsverhältnis zwischen den Rechten der Minderheit, die im Grundgesetz garantiert sind, und der zwingenden Notwendigkeit, daß im Parlament immer nur Mehrheiten beschließen können, in einem Gesetz — so hoffe ich — lösen, damit jene Mängel, die genannt wurden, bei den künftigen Untersuchungsausschüssen so weit wie möglich vermieden und beseitigt werden können.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109511600
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende dieser Debatte. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Gesetzentwürfe an die in der Tagesordnung vorgesehenen Ausschüsse zu überweisen. — Widerspruch dagegen erhebt sich im Hause nicht, so daß ich das als beschlossen feststellen darf.
Ich rufe nunmehr den heute morgen auf die Tagesordnung gesetzten Zusatztagesordnungspunkt auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurfs zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung, des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten
— Drucksache 11/2834 —
Auch hier hat sich der Ältestenrat auf eine Debatte von einer Stunde geeinigt. Erhebt sich Widerspruch im Hause? — Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann darf ich dies als beschlossen feststellen.
Ich gebe dem Bundesminister der Justiz, Engelhard, das Wort.

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1109511700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf soll die bereits vorhandenen gesetzlichen Möglichkeiten zur Bekämpfung politisch motivierter Gewalttaten verbessern. Ein Kernstück ist die Neuregelung des Verbots von Vermummung und passiver Bewaffnung im Versammlungsgesetz. In den letzten Jahren ist eine zunehmende Bereitschaft radikaler Gruppierungen festzustellen, zur Durchsetzung ihrer auf demokratischem Wege nicht erreichbaren Ziele Gewalt anzuwenden. Kennzeichnend ist der zunehmende Mißbrauch des Demonstrationsrechts durch gewalttätige Ausschreitungen.
Nach dem Ergebnis einer Ende letzten Jahres im Bundesinnenministerium unter dem Vorsitz des Staatssekretärs im Bundesinnenministerium und des Staatssekretärs im Bundesjustizministerium durchgeführten Anhörung von Polizeiexperten und Staatsanwälten aus der Praxis richten sich Gewalttätigkeiten neuerdings nicht mehr gegen bestimmte Sachobjekte, sondern in immer stärkerem Maße unmittelbar gegen Personen, insbesondere gegen Polizeibeamte. Dabei ist ein zunehmend brutales Vorgehen vielfach mit dem erkennbaren Ziel der Verletzung von Beamten zu beobachten. Allein im Jahre 1986 sind in der Bundesrepublik Deutschland bei gewalttätig verlaufenen Demonstrationen und Aufläufen mehr als 800 Polizeibeamte verletzt worden.
Zwischen dem Auftreten Vermummter und dem Ausbruch von Gewalttätigkeiten besteht heute ein deutlicher Zusammenhang. Das Erscheinen von Vermummten indiziert Gewaltbereitschaft und erhöht die Risikobereitschaft bei der Begehung von Straftaten. Vermummte bilden in der Regel den Kern der Gewalttäter, bestärken diese in ihrer Aggressionsbereitschaft und tragen durch ihr martialisches Erscheinungsbild zur Gewaltbereitschaft Dritter und damit zum Umschlagen friedlicher Veranstaltungen in unfriedliche bei.
Zwar sind bereits 1985 Vermummungen und passive Bewaffnung bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel und bei Aufzügen verboten und Zuwiderhandlungen mit Geldbuße bedroht worden; es hat sich jedoch inzwischen gezeigt, daß diese Regelungen nicht ausreichen. Die derzeit angedrohte Geldbuße bei Demonstrationen und Aufzügen im



Bundesminister Engelhard
noch friedlichen Stadium hat keine ausreichende abschreckende Wirkung entfaltet. Der betroffene Personenkreis läßt sich hiervon erfahrungsgemäß nicht beeindrucken. Zuwiderhandlungen sollen deshalb künftig mit Kriminalstrafe bedroht werden.
Meine Damen und Herren, ein weiterer Schwerpunkt dieses Gesetzentwurfes ist der Vorschlag, zeitlich befristet und auf eine enge Zielgruppe begrenzt Straffreiheit bzw. Strafmilderung für denjenigen zu ermöglichen, der verkürzt als Kronzeuge bezeichnet wird, weil er durch Offenlegung seines Wissens zur Verhinderung künftiger terroristischer Straftaten, zur Aufklärung solcher Straftaten oder zur Ergreifung von Terroristen beiträgt.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Manipulation!)

Die Verbrechen der Terroristen, die auf Destabilisierung der Gesellschaft und der staatlichen Ordnung zielen, sind unverändert eine besondere Gefahr für unsere Republik. Der Anschlag auf Herrn Staatssekretär Dr. Tietmeyer und seinen Fahrer in der Bundeshauptstadt, buchstäblich vor unseren Augen,

(Frau Unruh [GRÜNE]: Ja, da staunt ihr!) ist ein Signal


(Frau Unruh [GRÜNE]: Ja!)

und eine erneute Warnung an uns alle.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Richtig!)

Jenes Wort „alle" möchte ich noch einmal sehr deutlich unterstreichen.
Die Ermittlungen gestalten sich in solchen Verfahren sehr schwierig. Die Terroristen haben teilweise ihre Methoden raffiniert verfeinert. Der harte Kern der Terroristen wird von einem größeren Kreis von Sympathisanten abgeschottet und massiv unterstützt. Angesichts dieser Tatsachen müssen neue Wege gegangen und ungewöhnliche, unkonventionelle, uns möglicherweise bisher nicht so vertraute Maßnahmen ergriffen werden.
Die Kronzeugenregelung eröffnet die Chance, die Terrorszene aufzubrechen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Nein!)

Wer behauptet, die vorgeschlagene Regelung ermögliche eine zu großzügige Strafmilderung für feige Terroristen und eine viel zu großzügige Strafmilderung für feige Mörder, der verkennt, daß das maßgebliche Prinzip der Regelung lautet: Weitgehende Vergünstigungen kommen nur bei außerordentlich weitgehender Aufklärung und Mithilfe zur Verhütung künftiger Taten in Betracht.
Ich setze hinzu und unterstreiche und wiederhole es: Wenn es nicht vor allem darum ginge, künftige Straftaten zu verhüten, könnte man sich möglicherweise mit einem solchen Gedanken nicht befreunden.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Er ist nicht rechtsstaatlich! Das ist der Punkt!)

Aber wenn es um die Sicherheit unserer Bürger geht und wenn weitere schwerwiegende terroristische Gewalttaten verhindert werden können, müssen wir diese Chance nutzen. Eine nun seit vielen Jahren andauernde terroristische Bedrohung erfordert — immer im Rahmen unserer verfassungsmäßigen Ordnung — außergewöhnliche Gegenmaßnahmen. Zu diesen Maßnahmen sagen wir ja, und deshalb haben wir diesen Gesetzentwurf dem Hohen Hause zur Beratung und Beschlußfassung vorgelegt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109511800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. de With.

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1109511900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich sage auch sehr dezidiert: Herr Minister Engelhard!
„Kosten: keine" steht auf dem Deckblatt des sogenannten Sicherheitsgesetzes, das wir heute in erster Lesung beraten. Aber wenn es je Gesetz werden sollte, dann kostet es mehr als Geld. Es kostet ein Stück Rechtssicherheit, es kostet Vertrauen in diesen Staat.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Die Damen und Herren von den Regierungsparteien zitieren gern Adolf Arndt. Wir wünschten, Sie hielten sich an ihn. Er hat in seiner berühmten Rede zum „Strafrecht in einer offenen Gesellschaft" auf dem Juristentag 1968 in Nürnberg zur Frage, welche Anforderungen an das Strafrecht zu stellen sind, gesagt:
Strafrecht zu erfinden, bleibt unser Behelf dort, wo sich ein unwiederbringlicher Rechtsverlust ereignete und die Gerechtigkeit unterging. Diesem Rechtsverlust nur muß sich solche Tatsächlichkeit oder, grob gesagt, Handgreiflichkeit eignen, die mit den Mitteln des gerichtlichen Verfahrens beweisbar ist.
Er hat dort auch gesagt:
Noch immer ist es eine besonders verführerische Demagogie, wenn eine politische Partei den Wählern ein hartes Strafrecht und einen strengsten Strafvollzug verspricht.
Was bieten Sie dem Deutschen Bundestag an? Wenn wir die Befürwortung von Straftaten — so heißt der eine vorgesehene Straftatbestand — unter Strafe stellen sollen, so klingt das im ersten Moment ganz verständlich. Der neue Straftatbestand ließe sich auch trefflich verwenden im Parteienstreit, auch in Sonntagsreden, um nicht zu sagen: im Bierzelt.
Aber was steckt eigentlich dahinter? Ich lese die Vorschrift zunächst einmal vor, damit sich die Öffentlichkeit klarmachen kann, was das bedeutet:

(1) Wer eine Schrift (§ 11 Abs. 3), die die Begehung einer in § 126 Abs. 1 genannten rechtswidrigen Tag befürwortet und nach ihrem Inhalt bestimmt ist, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, durch die Begehung einer solchen Tat den öffentlichen Frieden zu stören, verbreitet, öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.




Dr. de With

(2) Ebenso wird bestraft, wer

1. eine Schrift (§ 11 Abs. 3), die die Begehung einer in § 126 Abs. 1 genannten rechtswidrigen Tat befürwortet, verbreitet, öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht oder
2. öffentlich oder in einer Versammlung die Begehung einer in § 126 Abs. 1 genannten rechtswidrigen Tat befürwortet,
um die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, durch die Begehung einer solchen Tat den öffentlichen Frieden zu stören.
Auf Anhieb, meine sehr verehrten Damen und Herren, versteht das keiner, und schon das ist schlecht.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Genau!)

Im Kern — ich will versuchen, es zu interpretieren — soll damit bestraft werden, wer z. B. ein Flugblatt, ein Buch oder einen Film verbreitet, in welchem die Begehung schwerer Straftaten befürwortet wird, die — jetzt nehme ich den Gesetzestext — nach ihrem Inhalt bestimmt sind, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, mit Hilfe einer solchen Straftat den öffentlichen Frieden zu stören. Genauso — das ist der Punkt — soll bestraft werden, wer z. B. in einer Versammlung eine solche Handlung befürwortet, um andere entsprechend aufzustacheln. Es genügt also
— das bleibt festzuhalten — das flüchtige Wort. Es wird eine Handlung bestraft, die weit vor der Beihilfe oder der Anstiftung liegt. Auf den Erfolg kommt es überhaupt nicht an.
Ist Georg Büchners Wort „Friede den Hütten, Krieg den Palästen" mit einem brennenden Haus im Hintergrund schon ein solches Wort? Oder reicht der im Bierdunst nicht selten bejubelte Satz „Die sind wie Ungeziefer und gehören ausgeräuchert"? Gehört das auch dazu? Was bedeutet „dem Inhalt nach die Bereitschaft zu fördern oder zu wecken"? Wie ist das objektiv überhaupt feststellbar?

(Frau Garbe [GRÜNE]: Gar nicht!)

Damit ist die Folge einer solchen Vorschrift schon offenkundig. Es kann leicht ein Verdacht behauptet werden. Verurteilungen aber wird es kaum geben, weil Beweise nur schwer und nur selten zur Verfügung stehen.
Es wird Abgrenzungsschwierigkeiten geben zu literarischen und künstlerischen Erzeugnissen.
Dementsprechend stellt der Deutsche Richterbund
— keine Unterabteilung der SPD — im Grunde Adolf Arndt folgend lakonisch fest: beweisrechtlich kaum praktikabel.
Was Sie hier vorschlagen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Bundesregierung, trägt den Kern des Gesinnungsstrafrechts in sich.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich füge hinzu: Von der Vorgängerin dieser Vorschrift, dem vormaligen § 88a des Strafgesetzbuchs, der 1976 während des Höhepunkts terroristischer Bedrohung in das Strafgesetzbuch Eingang fand, aber 1981 von derselben sozialliberalen Koalition aus dem
Strafgesetzbuch genommen wurde, sollten Sie gelernt haben.

(Kleinert [Hannover] [FDP]: Ich bin gern bereit, über Einzelheiten zu berichten!)

— Wir Sozialdemokraten waren damals mit Ihnen, Herr Kleinert, mit den Liberalen, einsichtig genug, einen Fehler einzugestehen und daraus die Konsequenz zu ziehen.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Frau Un ruh [GRÜNE])

Denn — ich sage das ganz selbstkritisch — die Wirklichkeit hatte uns widerlegt: Es gab in der Tat einige spektakuläre Beschlagnahmen — das wissen Sie ganz genau — , in Bücherläden vornehmlich, im Grunde aber keine Verurteilungen.
Genau dieselbe Meinung hat heute der Bundesrat, auch er, wie Sie wissen, mehrheitlich nicht SPD-beherrscht. Der Bundesrat empfiehlt in seiner Stellungnahme zu Ihrer Vorschrift schlicht und einfach: streichen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zur Begründung verweist der Bundesrat nicht nur auf die eben geschilderte Geschichte des § 88 a des Strafgesetzbuchs. Er zitiert auch die von Ihnen 1986 gegen unseren heftigen Widerstand eingeführte Parallelvorschrift der „Anleitung zu Straftaten", nämlich § 130 a, wofür er schon jetzt, nach nur zwei Jahren, kein Bedürfnis mehr sieht.
Wenn Sie — auch das soll erwähnt werden — die Mindeststrafe bei der Geiselnahme von drei auf fünf Jahre anheben, mag auch dies vielen zunächst plausibel erscheinen. Nur, Sie selbst sehen Bedenken, da Sie für minder schwere Fälle eine Strafmilderung vorschlagen. Dasselbe tun Sie beim erpresserischen Menschenraub. Der Deutsche Anwaltverein sagt hierzu, daß diese Anhebungen weder eine spezial- noch eine generalpräventive Wirkung erwarten ließen. Und die Gewerkschaft der Polizei fügt hinzu
— auch das ist, wie die jüngste Geschichte belegt, nicht von der Hand zu weisen —, daß die Erhöhung der Mindeststrafe hier ungewollte Nebeneffekte haben könne, wenn die Polizei mit den Geiselnehmern
— was praktisch immer der Fall ist — zu verhandeln habe.
Wer innerhalb eines fein abgestuften Strafrahmengefüges die Mindeststrafen anhebt, darf eben nicht nur an Abschreckung und Vergeltung denken — falls die Erhöhung überhaupt derart wirkt. Er muß auch das potentielle Opfer in Betracht ziehen, dessen Vernachlässigung Sie uns so oft zu Unrecht vorgeworfen haben.
Ebenso unzweckmäßig und unnötig sind Ihre Vorschläge zur Einführung des Schußwaffen- und Sprengstoffdiebstahls als Regelbeispiel des Diebstahls im besonders schweren Fall und die Einführung des besonders schweren Falles der Störung öffentlicher Betriebe. Entweder sind diese Vorschriften bereits durch andere Strafvorschriften abgedeckt, oder sie sind deutlich zu weit gefaßt. Wenn Sie den Haftgrund der Wiederholungsgefahr auf den besonders schweren Fall des Landfriedensbruch ausdehnen wollen, laufen Sie verfassungsrechtlich Gefahr. Denn Sie



Dr. de With
tun damit nichts anderes, als daß Sie das Strafverfahrensrecht zu präventivpolizeilichen Aufgaben mißbrauchen.

(Beifall des Abg. Wüppesahl [fraktionslos])

Über die gefährlichen Auswirkungen der Strafbewehrung des Vermummungsverbots wird mein Fraktionskollege Günter Graf sprechen.
Ich wende mich dem Herzstück Ihrer Novelle zu, nämlich der Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten. Wird Ihr Vorschlag wahr, dann kann der Generalbundesanwalt mit bloßer Zustimmung des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof jeden terroristischen Straftäter, gleichgültig, was er begangen hat, laufen lassen, wenn er nur, wie es im Jargon heißt, „singt". Nur bei Völkermord, Mord und Totschlag ist Straffreiheit nicht möglich. Er kann aber die lebenslange Freiheitsstrafe bis auf drei Jahre absenken. Also auch bei Anstiftung — das ist wichtig — zum vollendeten Mord, in welchem Falle ja lebenslange Freiheitsstrafe verhängt werden kann, kann ein Täter diese Freiheitsstrafe von sich weisen lassen.
Ein Anhörungsverfahren in der letzten Legislaturperiode hatte dieser Regelung — man darf das so formulieren — eine vernichtende Absage erteilt.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Nach den Ihnen und uns vorliegenden Äußerungen wird in dem von uns hier erneut zu beantragenden Anhörungsverfahren der Verriß kaum anders ausfallen, auch wenn Sie nunmehr sagen: Hier gibt es eine Begrenzung, und hier gibt es eine zeitliche Befristung.
Denn auch bei der neuen Regelung besteht die große Gefahr, daß der Generalbundesanwalt — man muß sich das einmal vergegenwärtigen — über einen Mittelsmann mit dem Straftäter dessen „Laufenlassen" aushandelt. Ob die Hinweise dieses Zeugen als Beweismittel dann aber brauchbar sind, wird sich häufig erst erweisen, wenn der Täter das Weite gesucht hat.
Ich darf sagen: Wird diese Kronzeugenregelung wahr, dann werden wir damit nach deutschem Recht den schlechtesten aller Zeugen im Gesetzbuch haben.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN sowie des Abg. Wüppesahl [fraktionslos])

Daß ein solches Aushandeln als Sonderrecht für Terroristen das Rechtsbewußtsein beschädigt und damit die Rechtsordnung destabilisieren wird, liegt auf der Hand. Wir wissen aus Italien, das immer — wenn oft auch fälschlicherweise — zum Vergleich herangezogen wird, daß dort die Vorbehalte gegen das PentitoGesetz — so nennt man es dort — gerichtsnotorisch sind. Der Appellationshof in Mailand hat zu diesem Sondergesetz ausgeführt:
Es gab die Wiederauflage von Gesetzen der Heiligen Inquisition mit unmoralischen und unsozialen Belohnungen für den Verräter, die sich nach der Zahl der Menschen richten, die er ins Zuchthaus bringt.
Dabei wird in Italien — anders, als bei uns vorgesehen
— der vorleistungspflichtige Kronzeuge immer als
Angeklagter vor Gericht gestellt. Erst am Schluß der
Verhandlung bewertet das erkennende Gericht dort einerseits die Straftat und andererseits die der Strafverfolgung geleistete Hilfe.
Wenn wir uns noch einmal vergegenwärtigen, daß durch die beabsichtigte Kronzeugenregelung im Kern der Staatsanwalt in Gestalt des Generalbundesanwalts darüber entscheidet, ob schwerste terroristische Straftaten straffrei bleiben oder nur verhältnismäßig geringfügig geahndet werden, dann, meine sehr verehrten Damen und Herren, wird dreierlei deutlich: erstens die Ungleichbehandlung gegenüber dem Normaltäter, zweitens die Durchbrechung des Legalitätsprinzips in der Schwerstkriminalität und drittens die Ausschaltung von Öffentlichkeit und erkennendem Gericht.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN sowie des Abg. Wüppesahl [fraktionslos])

Es war das Verfassungsgericht, das gesagt hat, das Legalitätsprinzip sei die Aktualisierung des Willkürverbots.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Damit müssen schon jetzt durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken angemeldet werden.
In diesem Zusammenhang, meine sehr verehrten Damen und Herren, verwundert eines. Fast dieselben, die nicht abzuhalten waren, dem Bundespräsidenten vorzuwerfen, er tangiere das Rechtsbewußtsein und beschädige sein Amt, wenn er zur Prüfung der Gnadenfrage zwei Terroristen anhöre oder ihnen gar nach siebeneinhalb bzw. zehn Jahren einen Gnadenerweis erteile, dieselben schlagen munter vor, daß in Zukunft Terroristen bei entsprechendem Verhalten die lebenslange Freiheitsstrafe auf drei Jahre gekürzt erhalten oder gar straflos davonkommen sollen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN sowie bei den Abg. Baum [FDP] und Lüder [FDP] und des Abg. Wüppesahl [fraktionslos])

Eine merkwürdige Logik! Der Bundespräsident jedenfalls hat bei uns volles Vertrauen.

(Beifall bei SPD und den GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Die CSU hat den Stein geworfen, die CDU duckt sich. Aber kann die FDP wirklich die Augen schließen und das alles als notwendiges Koalitionsopfer entschuldigen? Ein Friedrich Naumann, ein Thomas Dehler oder auch ein Karl-Hermann Flach könnte Sie nicht freisprechen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Mit diesem Entwurf der Bundesregierung, würde er Gesetz, käme es zur Wende in unserem Strafgesetzbuch — ich meine das mit vollem Ernst —, aber zur Wende mit der Tendenz zum Gesinnungsstrafrecht und der einer unvertretbaren Beschädigung unseres Rechtsbewußtseins.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109512000
Herr Abgeordneter, beantworten Sie noch eine Frage des Abgeordneten Hirsch, der sich gemeldet hat?




Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1109512100
Ich bin fertig, aber ich tue es gern.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1109512200
Herr Kollege, halten Sie es mit der Würde des Bundespräsidenten und der Bedeutung seines Gnadenrechtes für vereinbar und angemessen, die Frage der Ausübung des Gnadenrechts in diese Debatte hineinzuziehen?

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Nickels [GRÜNE]: Diese Frage hat doch damit zu tun!)


Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1109512300
Ich habe nicht die Würde des Präsidenten angegriffen. Ich habe nur darauf hingewiesen, in welchem Gegensatz in sich die Kritiker eines Gnadenerweises stehen, die hier eine Kronzeugenregelung vorschlagen, die deutlich weiter als das geht, was hier beim Bundespräsidenten zur Debatte steht. Mit keiner Silbe will ich hier den Bundespräsidenten hineinziehen, von dem ich sagte: er hat unser volles Vertrauen. Und Sie wissen, daß wir hier behutsam sind.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109512400
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stark.

Dr. Anton Stark (CDU):
Rede ID: ID1109512500
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst für die CDU/CSU-Fraktion unsere Zustimmung zu den jetzt von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwürfen zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes anzeigen. Wir halten diese Maßnahmen für notwendige Schritte zur inneren Sicherheit in unserer Bundesrepublik.
Lieber Herr Kollege de With, Sie haben hier zwar beachtliche rechtstheoretische Erörterungen hin und her zu einzelnen Punkten gebracht, aber zu dem eigentlichen Problem, warum dieser Gesetzentwurf vorgelegt wird, haben Sie kein Wort gesagt.

(Dr. Hirsch [FDP]: Sehr richtig!)

Zu der Tatsache, daß in den letzten zwei Jahren bei gewalttätigen Demonstrationen tausend Polizeibeamte verletzt, zwei heimtückisch totgeschossen und 300 Brandanschläge und Explosionsanschläge verübt wurden, haben Sie nichts gesagt. So können Sie das Problem nicht behandeln, so als großer Rechtsprofessor aus dem Sofa heraus, zum schönen Garten, und dann mal überlegen, was man tun könnte oder nicht.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Das ist ja unverschämt!)

Das war wirklich kein Beitrag zur Lösung der Probleme, vor die wir gestellt sind.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109512600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Nickels?

Dr. Anton Stark (CDU):
Rede ID: ID1109512700
Bitte schön.

Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1109512800
Herr Stark, wenn Sie hier jetzt den Herrn de With kritisieren, habe ich eine Frage an Sie. Wenn Sie sagen, da sind politische
Gründe, und deshalb greifen wir zu diesem Gesetzespaket, .. .

Dr. Anton Stark (CDU):
Rede ID: ID1109512900
Habe ich nicht gesagt.

Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1109513000
... und Herr de With kritisiert genau dieses Gesetzespaket als verfassungsrechtlich bedenklich und untauglich, um dieser politischen Entwicklung entgegenzutreten, muß ich Sie fragen: Sollen wir denn Recht beugen oder verfassungsrechtlich bedenkliche Gesetze machen, um eine politische Problematik, die Sie anderweitig anscheinend nicht in den Griff kriegen, umzukehren?

Dr. Anton Stark (CDU):
Rede ID: ID1109513100
Liebe Frau Kollegin Nickels, ich habe nicht gesagt: aus politischen Gründen, sondern ich habe gesagt: Weil die Tatsachen so sind, wie sie sind, und wir mit unserem jetzigen Rechtsinstrumentarium diesen Erscheinungen der Gewalttätigkeit, des Terrorismus bisher nicht beikommen, brauchen wir eine Verbesserung unserer Gesetze.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Aber dann dürfen Sie kein Recht beugen!)

— Wir beugen kein Recht.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109513200
Herr Abgeordneter Dr. Stark, auch der Abgeordnete Schily möchte eine Frage stellen.

Dr. Anton Stark (CDU):
Rede ID: ID1109513300
Bitte schön, Herr Schily.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109513400
Bitte sehr.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1109513500
Herr Kollege Stark, ich glaube, der Kollege Dr. de With, Sie, Frau Kollegin Nickels und ich sind uns sicherlich alle einig, wenn Erscheinungen, die Sie jetzt so pauschal geschildert haben, kritisiert und Besorgnisse daran geknüpft werden und man sich überlegt: Wie kann man dem entgegenwirken? Aber Sie müssen doch Verständnis dafür haben, daß von der Opposition — das ist meine Frage — rechtsstaatliche, verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Auswahl des Instrumentariums geltend gemacht werden. Würden Sie denn auch so reagieren, wenn sich der Kollege Dr. de With dagegen verwahren würde, daß man sagt, als ultima ratio müßten wir die Wiedereinführung der Folter in der Strafprozeßordnung problematisieren?

(Frau Nickels [GRÜNE]: Das ist die Argumentationskette, Herr Stark!)


Dr. Anton Stark (CDU):
Rede ID: ID1109513600
Herr Kollege Schily, eine erste Lesung ist ganz sicher nicht dazu da, alle verfassungsrechtlichen und rechtlichen Probleme im einzelnen zu erörtern. Dazu haben wir eine Anhörung, dazu werden wir einige Rechtsausschußsitzungen haben; das werden wir noch tun. Sie dürfen davon ausgehen, daß in dieser Koalition keine verfassungswidrigen Gesetze gemacht werden: Darum werden wir uns bei diesem Gesetz bemühen.
Aber ich möchte jetzt fortfahren. Herr Kollege de With, zu den Erscheinungen des Terrorismus und der gewalttätigen Demonstrationen nenne ich noch



Dr. Stark (Nürtingen)

ein Beispiel. Wir können es doch nicht zulassen, daß friedliche Diskussionen, wie neulich in Hamburg mit einem unserer Kollegen durch 35 vermummte Chaoten gesprengt werden. Wir müssen uns doch etwas einfallen lassen, daß so etwas nicht möglich ist.

(Dr. de With [SPD]: Das hat doch mit dem Demonstrationsstrafrecht nichts zu tun! Das war in einem Saal!)

— Das hat sehr wohl damit zu tun. Ich komme gleich noch zur Grundeinstellung zu Terrorismus und Gewalt.

(Schily [GRÜNE]: Man kann doch den Rechtsstaat nicht mit der Abschaffung des Rechtsstaats verteidigen!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109513700
Herr Abgeordneter Dr. Stark, Frau Matthäus-Maier möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Anton Stark (CDU):
Rede ID: ID1109513800
Nein, danke schön.
Wir werden auch das nicht tun, was der Kollege Häfner heute morgen vorgeschlagen hat: auf diesem Gebiet abwarten, bis die Kommission die Gewaltursachen untersucht hat — ich halte die Untersuchung aber für sehr gut — , was zwei oder drei Jahre dauern kann. Wenn ich als Rechtsstaat sagen müßte: Liebe Gewalttäter, vorläufig können wir noch nichts gegen euch tun, wir müssen noch untersuchen, warum ihr Gewalt anwendet, dann würde das niemand verstehen. Deswegen müssen wir auf diesem Gebiet jetzt handeln.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Lassen Sie mich, da man in der Kürze der Zeit nicht alle Punkte behandeln kann, die meines Erachtens wichtigsten Punkte des Gesetzentwurfs ansprechen, zu denen Herr de With erstaunlicherweise sehr wenig gesagt hat.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Heute sind Sie nicht stark, heute sind Sie schwach, Herr Stark!)

Das erste betrifft die Vermummung als Straftat.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Herr Engelhard, das muß Ihnen doch auch weh tun!)

Wir haben 1985 durch Einführung des Ordnungswidrigkeitstatbestands der Vermummung versucht, dem Problem beizukommen. Das hat sich als völlig unzureichend erwiesen. Nach der Gesetzesänderung im Jahre 1985 — deshalb habe ich mit 1986 angefangen — haben wir tausend verletzte Polizeibeamte gehabt. Alle Praktiker — jetzt haben Sie einmal Verständnis, daß wir natürlich auch Praktiker und nicht nur Theoretiker anhören — haben uns gesagt: Mit diesem Gesetz können wir nichts anfangen, das ist nicht ausreichend.

(Abg. Lüder [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109513900
Herr Abgeordneter Dr. Stark — —

Dr. Anton Stark (CDU):
Rede ID: ID1109514000
Nein, danke schön.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109514100
Darf ich dann feststellen, daß Sie keine weiteren Zwischenfragen mehr zulassen?

Dr. Anton Stark (CDU):
Rede ID: ID1109514200
Ja. Ich möchte jetzt im Zusammenhang vortragen. Ich habe bereits einigen von mir sehr geschätzten Kollegen Zwischenfragen gestattet. Meine Ablehnung richtet sich nicht gegen Sie, Frau Matthäus-Maier, aber ich möchte im Zusammenhang vortragen.
Was wird jetzt vorgeschlagen? Die Vermummung und passive Bewaffnung wird im Gesetz ohne Wenn und Aber als Straftat bestimmt. Wir sind uns, glaube ich, im großen und ganzen einig: Vermummung bei einer Demonstration ist inhuman.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Polizei ohne Nummer auch!)

— Unser Bundespräsident hat bei dieser Frage „inhuman" gesagt. Dies darf ich hier einführen, ohne irgend etwas gegen seine Neutralität zu sagen. Er hat gesagt, Vermummung sei inhuman; das sage auch ich. Vermummung bei einer Demonstration ist eines freien, verantwortlichen Bürgers unwürdig. Aber das allein könnte kein Grund sein, Vermummung zur Straftat zu machen.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Richtig, das wäre nämlich eine!)

Sondern: Die Vermummung und passive Bewaffnung tragen in sich die Sozialschädlichkeit, die Gefährlichkeit, wie wir von vielen Praktikern inzwischen wissen. Wer vermummt und passiv bewaffnet zu einer Demonstration geht, indiziert Gewaltbereitschaft.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Erst einmal Männern den Bart ab!)

Er stimuliert Gewaltbereitschaft nicht nur bei sich selber, sondern auch bei zunächst friedlichen Demonstranten; das ist die Erfahrung der letzten Jahre. Es ist eine Erfahrungstatsache, daß Demonstrationen ohne Vermummte friedlich verlaufen und die Gefahr mit Vermummung zehnmal größer ist.
Jetzt nenne ich Ihnen ein Beispiel: Wir haben keinerlei Bedenken, einen betrunkenen Kraftfahrer, der mit überhöhter Geschwindigkeit durch die Lande fährt, aus dem Verkehr zu ziehen, obwohl gar nichts passiert ist. Er ist nur betrunken. Sein Zustand ist das Gefährliche. Und so tragen Vermummte in sich die Sozialschädlichkeit und die Gefährdung. Deshalb wollen wir durch dieses Gesetz damit Schluß machen; das halte ich für ganz wichtig.

(Zurufe von den GRÜNEN und der SPD)

— Ja, das hören Sie nicht gerne; das ist mir schon klar. Bei Ihnen steht ja das, was wir strafen wollen, im Parteiprogramm, Frau Nickels. Ich habe das genau studiert.
Ein zweites: Bisher konnte ein sogenannter reisender Gewalttäter, der überall auftauchte — in Hamburg, dann in Wackersdorf, dann wieder in der Hafenstraße, dann wieder in Berlin — , nicht in Untersuchungshaft genommen werden.

(Zurufe von den GRÜNEN)




Dr. Stark (Nürtingen)

— Herr Präsident, darf man immer gestört werden oder nur gelegentlich?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109514300
Zwischenrufe sind sicher das Salz der Debatte; aber Herr Abgeordneter, ich habe viel Verständnis dafür, daß Sie in diesem Punkt keine Übertreibungen wünschen. Ich wäre dankbar, wenn das Plenum ein wenig Rücksicht auf den Redner nähme.

Dr. Anton Stark (CDU):
Rede ID: ID1109514400
Danke schön. — Ein zweiter Punkt: Untersuchungshaft für sogenannte reisende Gewalttäter. Der Gewalttäter konnte, selbst wenn der Polizeibeamte wußte, er steht in dringendem Verdacht eines schweren Landfriedensbruches, selbst dann nicht in Untersuchungshaft genommen werden, wenn er sagte: Morgen sehen wir uns wieder. — So ist das bisher geregelt. Denn es lag keine Fluchtgefahr oder Verdunkelungsgefahr vor; er hat einen festen Wohnsitz, oder zumindest gibt er einen an.
In Zukunft wird es in diesem Fall unter den einengenden Bestimmungen möglich sein, einen solchen reisenden Gewalttäter auch ohne vorherige Verurteilung in Untersuchungshaft zu nehmen. Der bisherige Zustand war für die Polizeibeamten höchst frustrierend und hat im Rechtsgefühl unserer Mitbürger keinerlei Verständnis gefunden.
Nun komme ich noch zum dritten Schwerpunkt dieses Gesetzes, dem Versuch, mit einer Kronzeugenregelung die terroristische Szene aufzubrechen. Ich spreche ausdrücklich von einem Versuch; mehr kann es auch nicht sein, und es ist ein befristeter Versuch. Aber er liegt nicht so weit außerhalb der Verfassung, lieber Herr de With und andere, wie das hier behauptet wurde. Wir haben nämlich Ansätze zum Kronzeugen schon jetzt in § 129 a Abs. 5 und Abs. 6 des Strafgesetzbuches und in § 31 des Betäubungsmittelgesetzes; da ist es eine ganz klare Kronzeugenregelung.
Im übrigen, tun wir doch nicht so: Alte Demokratien wie die USA, Großbritannien, Italien, Spanien und Frankreich haben doch die Kronzeugenregelung und haben damit zum Teil recht gute Erfahrungen gemacht.

(Dr. de With [SPD]: Die haben doch ein ganz anderes Rechtssystem! — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Deshalb schafft Italien das auch wieder ab ! — Vorsitz: Vizepräsident Frau Renger)

Meine Damen und Herren, wir unterscheiden uns von Ihnen, daß wir nicht sagen: Wir können aus rechtstheoretischen Gründen einfach nichts mehr tun; wir müssen das einfach hinnehmen. Die neuesten Ereignisse in diesen Tagen sollten Sie doch zum Überdenken Ihrer Position gebracht haben: der Anschlag auf Tietmeyer, der Vorfall in Hamburg und das, was in Berlin geschieht.

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Was hat das denn damit zu tun?)

Wer meint, Terrorismus und Gewaltanwendung seien Dinge der Vergangenheit, die es jetzt nur noch aufzuarbeiten gelte, der lebt in einer Schein- und Traumwelt, in der wir nicht leben. Aus diesen Gründen begrüßen wir, daß sich die Bundesregierung dazu
durchgerungen hat, diesen Gesetzentwurf jetzt vorzulegen. Wir werden ganz sicher eine große Anhörung
dazu haben; wir werden ihn sehr gründlich beraten.
Ich habe nicht zu jeder Bestimmung Stellung nehmen können; das wollte ich vielleicht auch nicht. Es gibt auch etwas, Herr de With, was nicht so wichtig ist; darüber kann man vielleicht später reden. Aber ich bin insgesamt der Überzeugung, daß wir im Interesse der Erhaltung des Rechtsfriedens, des Rechtsgefühls und der Verfolgung der Terroristen sowie der Gewalttäter in unserem Lande auf diesem Gebiet dringend tätig werden müssen.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Symbolische Gesetzgebung ist fehl am Platze!)

Man mag über Einzelheiten dieses Gesetzentwurfes denken, wie man will. Über eines sollten wir Demokraten in diesem Hohen Hause einig sein: Es darf in Zukunft in unserer Republik keine rechtsfreien Räume geben. Das ist der Anfang vom Ende des Rechts, wenn es so etwas gibt.

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Das machen Sie doch gerade so!)

— Nein, nein. Das hat uns noch niemand unterstellt, daß wir dadurch rechtsfreie Räume schaffen.

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Der Kronzeuge führt dazu!)

Wir sollten uns darüber einig sein, daß Terroristen und politisch oder ideologisch motivierte Straftäter nicht anders behandelt werden dürfen als sonstige Straftäter. Ich glaube, über diese Gesichtspunkte sollten wir uns einig sein.
Wir werden uns an der Beratung dieses Gesetzes sehr sorgfältig beteiligen, und wir werden, wie ich hoffe, nicht zulassen, daß das Gesetz auf den SanktNimmerleins-Tag verschoben wird. Wir werden auch darum besorgt sein, daß es im Interesse unseres Rechtsfriedens, der Sicherung des Demonstrationsrechts und einer besseren Bekämpfung des Terrorismus bald verabschiedet wird.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109514500
Das Wort hat Frau Abgeordnete Vollmer.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1109514600
Ich möchte vorweg der CDU zu Ihrem Redner in dieser Debatte gratulieren. Sie haben einen ausgezeichneten Redner gewählt, um zu demonstrieren, wie untauglich die Instrumente sind, die Sie uns vorgeben. Es wimmelte in dieser Rede geradezu von rechtsstaatlichen Bedenklichkeiten. Das nimmt uns viel Arbeit ab.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach dem Anschlag auf Hans Tietmeyer werden sieben Personen aus der RAF als Tatverdächtige gesucht. In der letzten Woche habe ich mit dem Vater eines dieser Tatverdächtigen, die jetzt auf den Plakaten stehen, gesprochen. Dieser Vater und ich, wir wußten beide, daß es im Rahmen der IWF-Tagung zu Anschlägen kommen konnte. Wir haben beide kein Zaubermittel



Frau Dr. Vollmer
gefunden, das seinem Sohn die Waffen aus der Hand hätte nehmen können.
Ich bin sehr froh, daß Hans Tietmeyer und sein Fahrer leben. Ich wünsche ihm, daß er jetzt nicht sein weiteres Leben ständig unter Polizeischutz verbringen muß.
Aber wie kommen wir dahin — für ihn und alle anderen, die irgendwann wieder Objekt eines dieser ganz und gar sinnlosen tödlichen Anschläge sein könnten? Ich frage dies auch im Interesse der Politik. Denn Menschen, die ihr Leben lang von Polizisten geschützt werden, können keine freiheitliche Demokratie planen; so etwas prägt.
Ich habe zusammen mit Christa Nickels in der Vergangenheit vieles versucht, was vielleicht ein Beitrag zu einer gewaltfreien Lösung hätte sein können. Wir haben damit keinen Erfolg gehabt. Wir haben noch keinen Erfolg gehabt. Wir haben diese Versuche immer in dem Wissen darüber unternommen, daß sie jedesmal wieder von solchen Anschlägen zurückgeworfen, zerstört oder behindert werden könnten.
Im Januar 1985 haben wir einen Brief an Mitglieder aus dem Bereich der RAF geschrieben, in dem wir ihnen ein Gespräch angeboten haben, um den damaligen Hungerstreik zu beenden. Wenige Tage später kam es zu einem Anschlag auf ein Dortmunder Kaufhaus und zu wütenden Angriffen auf uns. Der Attentäter — so stellte sich später heraus — war ein Mitglied rechtsradikaler Kreise.
Im Jahre 1985 haben wir mit einer Gesetzesinitiative die Haftbedingungen der RAF-Mitglieder zum Thema gemacht. Die Debatte mußte unter dem Eindruck des Mordes an dem Industriellen Zimmermann stattfinden.
Im Jahre 1987 haben wir in der Fraktion über die politischen Lehren aus dem deutschen Herbst diskutiert und einen gesellschaftlichen Dialog vorgeschlagen. 14 Tage später gab es die Polizistenmorde an der Startbahn West.
Im Juli dieses Jahres ist der Vorschlag eines Gesprächs mit Mitgliedern aus der RAF in Nordrhein-Westfalen, an dem wir mitgearbeitet hatten, bekanntgeworden, ebenso die Bereitschaft des Bundespräsidenten, mit zwei ehemaligen RAF-Mitgliedern anläßlich eines Gnadengesuches, das von ihnen gestellt wurde, zu reden.
Jetzt, unter dem Eindruck dieses letzten — Gott sei Dank mißlungenen — Attentats reden wir über die in großer Eile eingebrachten Artikelgesetze und über die Kronzeugenregelung.
Die Situation, in der diese Debatte stattfindet, ist mir also sehr wohl bekannt.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Zwei Jahre Vorbereitung!)

Mir braucht keiner zu erzählen, daß es Gründe für Müdigkeit und auch für Ratlosigkeit gibt. Ich glaube, ich kenne diese Gründe alle.
Trotzdem werde ich nicht resignieren; ich habe auch gar keine andere Wahl. Mit dieser Klarheit im Kopf lese ich jetzt Ihre Gesetzesvorhaben, die Sie zu einem schlechten Zeitpunkt eingebracht haben. Auch
Sie wußten natürlich, daß es in dieser Woche eine dramatische Zuspitzung geben könnte. Deswegen wollten Sie die Debatte auch in dieser Woche. Das ist schlecht für eine ruhige Debatte, die wir alle brauchen. Ich finde in diesen Gesetzen dieselbe Ratlosigkeit und viel Unvernunft.
Was schlagen uns diese Gesetze vor, die vorgeben, eine Lösung zu wissen, obwohl sie überhaupt keine haben?
Nehmen wir die Kronzeugenregelung. Herr Rebmann ist ein Gegner von Begnadigungen; das ist bekannt. Er bekämpft sie mit Mitteln, die nicht der feinen englischen Art entsprechen.

(Frau Matthäus-Maier [SPD]: Das kann man wohl sagen!)

Er maßt sich ein Vetorecht über Entscheidungen des Präsidenten an. Er hat mit illegitimem Druck versucht, auf Angelika Speitel und Peter-Jürgen Boock Einfluß zu nehmen. Er hat auch unzulässigen Druck auf mich ausgeübt. Und er verfängt sich immerzu in Widersprüchen. Er, der sich gegen die Begnadigung zweier Menschen wehrt, die sich nach langjährigen Haftstrafen glaubhaft und unbezweifelbar vom Terrorismus getrennt haben, ist bereit — Herr de With hat richtigerweise darauf hingewiesen —, einen Mörder, der bereit ist, seine ehemaligen Genossen zu verraten, bereits nach drei Jahren ziehen zu lassen. Er schafft damit das, was wir nie wollten, nämlich ein Sondergesetz, ein Gesetz, das unserer gesamten Strafrechtstradition völlig fremd ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Es werden zahllose scheußliche Verbrechen begangen. Dazu gehören Morde und Vergewaltigungen. Bei all diesen Straftaten soll die Kronzeugenregelung eben nicht gelten. Wer beispielsweise am Mord einer alten Dame beteiligt ist, wird beim Verrat seiner Freunde nicht belohnt.
Herr Rebmann weiß auch, was er tut. Er weiß, daß eine solche Regelung die Gruppe, um die es hier geht, nämlich die Rote-Armee-Fraktion, immer stärker zusammenschließen muß, weil sie den Ausstieg aus der Gruppe mit einer unwürdigen Existenz und einer lebenslangen Abhängigkeit nunmehr von der „Gnade" der Bundesanwaltschaft verbindet. Er weiß, daß dieses Mittel gerade bei dieser Gruppe genau das Gegenteil bewirkt. Die Folge wird sein: Die Gruppe wird sich noch mehr isolieren und noch militanter, noch radikaler, noch unberechenbarer sein.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Ganz genau!)

Ich sehe darin keine Lösung. Ich finde es auch nicht klug.
Ähnliche Einwände gibt es gegen das Vermummungsverbot. Sie brechen damit mit dem Grundprinzip jedes Rechtsstaats, daß nicht die Gesinnung, sondern die vollzogene Tat strafwürdig ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Ergebnis wird sein, daß der Mythos der schwarzen Kappen nicht etwa zerstört, sondern überhaupt erst verewigt wird. Es wird sozusagen zur Mutprobe, sie zu tragen. Eine präventive Strategie ist das nicht. Es ist nicht einmal eine Strategie, die mit Vernunft



Frau Dr. Vollmer
zum Erfolg führen kann. Der Rechtsstaat wird damit zum Gesinnungsverfolgungsstaat oder — genauer — es wird ein Doppelstaat geschaffen: der Rechtsstaat für den gehorsamen Normalbürger und der Gesinnungsverfolgungsstaat für die Aufmüpfigen. Das gilt auch für die Bücher und die Flugblätter.
Ein Ergebnis wird sein, daß die Angst der Bevölkerung, an Demonstrationen teilzunehmen, wachsen wird, daß die Einschüchterung zunehmen wird und daß die dann verbliebenen Demonstranten, die sich noch zu demonstrieren trauen, sich radikalisieren mit der Geste der „outlaws". Alles, was dann folgt, haben wir schon einmal gehabt. Es ist altes Denken, und es ist langweilig.
Was schlagen uns Herr Rebmann und Herr Zimmermann dann vor? Noch eine GSG 9? Noch ein Sicherheitsgesetz? Noch mehr Kontrollstellen? Noch mehr Zwang zur Kooperation mit der Polizei vor den Demonstrationen? Wie hilflos, wie unvernünftig, wie ratlos sind all diese Vorschläge! Sie zeugen auch von einer merkwürdigen Gereiztheit, die schlecht zu der Ausführung eines solchen Amtes paßt, das sich einer freien, offenen Gesellschaft verpflichtet sehen müßte. Diese Gereiztheit — ich will das offen sagen — macht Herrn Rebmann für mich unberechenbar. Deswegen wäre es für ihn vielleicht auch eine Gnade, jetzt in die Freiheit eines zivilen Berufes rotieren zu können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es gibt zwei Linien in der Innen- und Rechtspolitik, so etwas wie einen Scheideweg, über den wir in den kommenden Wochen zu entscheiden haben: Wollen wir eine Gesellschaft mit mehr Repression, die eine Sicherheit vorspiegelt, die sie nicht garantieren kann und die sie auch unter Garantie nicht bringen wird, oder wollen wir eine selbstbewußte Demokratie, die selbstbewußt genug ist, die Ursachen von Gewalt, Agressivität und Militanz zu diskutieren? Auch darin, Herr Engelhard, hatten Sie nicht recht: Alle Statistiken zeigen, daß es zwar eine Zunahme der Zahl der Demonstrationen gegeben hat, die man begrüßen sollte, daß aber der Anteil der Gewalttätigkeiten bei Demonstrationen prozentual eben abgenommen hat, und das noch nach Angaben der Polizei, d. h. unter der Definitionsgewalt der Polizei, was sie als „gewalttätig" empfindet.
Ein letztes Wort noch zur Rolle der Liberalen in dieser Debatte. Es ist ein sehr schlechtes Zeichen für Ihre Liberalität, daß Sie in der Vermummungsfrage — alle, auch die Befürworter — wider besseres Wissen nachgegeben haben. Das Kernstück liberaler Politik entscheidet sich in der Innenpolitik und in der Entwicklung gewaltfreier Strategien. Diese waren in diesem Lande — das ist bekannt — nie populär.
Ich glaube zu wissen, warum sich Herr Genscher damals auf dem FDP-Parteitag auf die Seite der Befürworter geschlagen hat. Aber, ich glaube, er hat einen sehr schlechten Tausch gemacht, auch im wohlverstandenen Interesse seiner Partei, auch im Sinne liberaler Tradition. Es ist nämlich unsinnig und kurzsichtig — Herr Genscher sollte das wissen — zu meinen, es ließe sich eine liberale Außenpolitik in einer Regierung und in einem Lande auf Dauer aufrechterhalten,
das im Innern eben nicht Liberalität, sondern pingeligste Rechtsstaatlichkeit hochhält.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Zustimmung zu diesem Abbau liberaler Demonstrationsrechte ist ein liberaler Offenbarungseid und eine Bankrotterklärung.
Meine Damen und Herren, wir sind an einem Punkt, wo mit jedem Ausbau weiterer Sicherheitsmaßnahmen ein Stück Freiheit stirbt und damit die Chance auf eine Gesellschaft kleiner wird, die auch mit der in ihr entstehenden Gewalttätigkeit und Anarchie, die ich nicht leugne, umzugehen versteht. Der Knüppel, die Wasserwerfer, die harte Linie waren immer sehr schlechte Ratgeber in gesellschaftlichen Konflikten. Freiheit stirbt dabei mit Sicherheit.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109514700
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID1109514800
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! So schlecht ist es mit unserem Gewissen nicht, wie Sie das eben darzustellen beliebten.
Ihren Ausführungen fehlt doch wohl ein wenig die Logik.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Ja!)

Wo sind denn diejenigen, die behindert werden? Sind das die Demonstranten? Sie haben zu Recht gesagt: Erfreulicherweise gibt es mehr Demonstrationen. Erfreulicherweise stellen sich mehr Bürger den Problemen, die sie berühren, und treten dafür öffentlich in Erscheinung, und zwar unter Einsatz ihrer Person. Dazu gehört natürlich, daß man weiß, welche Person das ist. Demonstrieren heißt sich zeigen.
Darin liegt ja der tiefe Widerspruch bei dieser Frage der Vermummung: daß sich genau der eben nicht zeigt und daß der nicht demonstriert — im Wortsinne —, der sich vermummt. Diejenigen, die sich vermummen und damit, wie Bundesminister Hans Engelhard es vorhin gesagt hat, das Gewaltpotential in den Demonstrationen vergrößern, nehmen den friedlichen Bürgern, denen, die sich zeigen und an Demonstrationen teilnehmen wollen, die Möglichkeit, ein Verfassungsrecht auszuüben. Dafür sind doch diejenigen verantwortlich, die vermummt zu diesen Demonstrationen gehen und deren ganzes Klima verändern.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Celler Loch, nicht?!)

Das ist doch einigermaßen logisch nachvollziehbar.
An dieser Stelle werden Sie unsere liberalen Bedenken nicht am Kern treffen. Da haben wir einige andere Punkte in diesem Gesetz, denen zuzustimmen uns schwerfällt.
Ich habe mir ja all das, was unser Freund Hans de With vorhin gesagt hat, angehört. An einigen Punkten trifft er auch tiefe Bedenken von uns. Das Interessante an dem Vorgang ist allerdings, daß er in einigen Punkten unsere Bedenken trifft, die wir schon in früheren Zeiten gegenüber unserem sozialdemokratischen Koalitionspartner vertreten mußten. Wer weiß denn noch, wie das mit der Verteidigerüberwa-



Kleinert (Hannover)

chung gewesen ist? Herr Schily weiß noch, wie wir in der Fasanenstraße im Haus des Kaufmanns gewesen sind. Ich war damals der einzige, der behauptet hat, wir Liberalen würden es in der sozialliberalen Koalition in Bonn erreichen, daß die Verteidigerüberwachung nicht stattfindet. Die Leute haben mich ausgelacht und mich gefragt, wie ich dazu käme, so etwas zu glauben.

(Dr. de With [SPD]: Aber jetzt stützen Sie Herrn Zimmermann!)

Wir haben es gegen den Willen unseres sozialdemokratischen Koalitionspartners verhindert. Und von solchen Leuten lasse ich mir nicht gern hier Vorhaltungen grundsätzlicher Art machen. Das muß man in dem Zusammenhang mal sehen. Wer hat denn — übrigens interessanterweise mit der CDU/CSU zusammen, das ist wirklich ein eigentümlicher Vorgang — wenigstens das Minimum an Rechtsstaatlichkeit im Fall der Kontaktsperre durchgesetzt, nämlich den Zugang einer Vertrauensperson zu den Inhaftierten? Das sind doch wohl die Liberalen gewesen, und das war doch wohl mit den Sozialdemokraten nicht möglich. Da möchte ich nur das Gedächtnis ein wenig auffrischen helfen.
Wer ist denn das mit der Kronzeugenregelung gewesen? Das waren doch wohl Sozialdemokraten, die damit gekommen sind. Das war der Antrag des Landes Nordrhein-Westfalen.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident Kühn, Herr Posser, die Sozialdemokraten haben diesen Vorschlag gemacht. Dann waren die Sozialdemokraten dafür und dagegen wie andere Leute auch. Wir haben dann in den Beratungen im Rechtsausschuß schließlich davon Abstand genommen.
Was mich nun an der Veranstaltung stört — das sage ich ganz offen bei allen Zweifeln, die man sowieso haben kann — : Ich hätte wenigstens wennschon — dennschon gesagt, aber unser Parteitag hatte da eine andere rechtsstaatliche Erwägung, die ich auch nicht gering achte. Wir sind die einzige Partei gewesen, die sich die Sache so zu Herzen genommen hat, daß sie deshalb eigens einen Parteitag einberufen hat.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Mir kommen die Tränen! Auf das Ergebnis kommt es ja wohl an!)

Wir haben uns diese Dinge wahrlich nicht leichtgemacht.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Alle umgekippt!)

Aber wir geben in keiner wirklich entscheidenden Frage hier nach.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Herr Kleinert, stellen Sie sich dahin und behaupten das! Da lacht die ganze Republik!)

Wir haben aber auch bei uns einige, die sagen: Wenn wir nicht das äußerste tun, was etwa dem Gesetzgeber zugemutet werden kann, auch da, wo es sehr schwierig wird, dann haben wir nicht das Recht, von den Polizeibeamten zu verlangen, sich in die Bresche zu schlagen, ihre Gesundheit und schließlich ihr Leben einzusetzen,

(Frau Nickels [GRÜNE]: Was heißt denn „sehr schwierig", Herr Kleinert? — Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

um Frieden auf unseren Straßen aufrechtzuerhalten, und deshalb muß sich auch das Parlament einsetzen. Dieser Gesichtspunkt läßt uns über einiges hinwegsehen, aber keineswegs über alles.
So, wie Herr Dr. Stark es vorhin hier vorgetragen hat, werden wir sehr sorgfältig beraten. Zum Beispiel werden wir den Bereich des § 130b, den Herr de With vorhin ausführlich angesprochen hat, sicherlich mit Hilfe der noch zu tätigenden Anhörungen sehr gründlich beraten, und ich hoffe, daß wir zu einem Ergebnis kommen können, bei dem angesichts der nach wie vor sehr schwierigen Situation im Hinblick auf unseren inneren Frieden die Parteien dieses Hauses schließlich erheblich weiter aufeinander zugehen, als sich das heute, am Anfang dieser Debatte, abzuzeichnen scheint. Wir werden jedenfalls daran mitarbeiten.
Danke.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109514900
Das Wort hat der Bundesminister des Innern, Herr Dr. Zimmermann.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1109515000
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Entwurf hat drei Schwerpunkte. Der erste ist die Strafvorschrift gegen die Befürwortung der Gewalt, wie sie der Entwurf des neuen § 130b vorsieht. Ich bedaure, daß sich der Bundesrat gegen diese Bestimmung ausgesprochen hat. Denn nach den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden hat die Propagierung von Gewalt in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Gewalt befürwortende Schriften sind die geistige Quelle und Grundlage für die spätere Anwendung und Eskalierung von Gewalt. Wir sehen das jetzt wieder in Reinkultur auch bei der IWF-Tagung in Berlin, wo eine Fülle von zu Gewalt auffordernden Schriften in Umlauf gesetzt worden sind. Durch die Befürwortung von Kriminalität wird ein Klima geschaffen, in dem Gewalttaten gedeihen können, und diese neue Vorschrift soll der Austrocknung des geistigen Umfeldes krimineller Gewalt dienen und den Sicherheitsbehörden ihre Aufgabe bei der Bekämpfung von Terror und Gewalt erleichtern.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109515100
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. de With?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1109515200
Nein.
Es kann nicht hingenommen werden, daß Anschläge auf Menschen oder Sachen als vorbildhaft hingestellt werden oder der militante, revolutionäre Kampf gegen staatliche oder gesellschaftliche Institutionen öffentlich befürwortet wird. Ich habe daher die Hoffnung, daß sich im weiteren Gesetzgebungsverfahren eine parlamentarische Mehrheit finden wird.
Ein weiterer Schwerpunkt ist das strafbewehrte Verbot von Vermummung und Schutzbewaffnung



Bundesminister Dr. Zimmermann
bei öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel. Es war von der Zahl der verletzten Polizeibeamten die Rede und von der Anhörung, die Innen- und Justizministerium gemeinsam vorgenommen haben und über die Kollege Engelhard schon gesprochen hat.
Die Bundesregierung ist mit ihrem Entwurf den Erfahrungen und den Erkenntnissen der Praktiker gefolgt, und sie findet damit auch die breite Zustimmung der Bevölkerung. Die überwältigende Mehrheit unserer Mitbürger fordert ein schärferes Vorgehen insbesondere gegen vermummte Gewalttäter. Das weisen auch die Ergebnisse einer im Auftrag der Bundesregierung im Dezember letzten Jahres durchgeführten Umfrage aus.

(Dr. de With [SPD]: Sie machen Strafrecht nach Meinungsumfragen?)

— Nein, nein, wir wollen nur testen, wie sich das Rechtsbewußtsein der Bevölkerung in einer solchen Umfrage niederschlägt, und danach wollen Dreiviertel der Bevölkerung, daß Vermummte bestraft werden.
Wir haben eindeutige polizeiliche Erfahrungen, wonach zwischen dem Auftreten Vermummter einerseits und dem Ausbruch von Gewalttätigkeiten andererseits ein deutlicher Zusammenhang besteht. Es hat keinen Sinn, Herr de With, das leugnen zu wollen; das ist alles beweisbar.
Die dritte Säule des Entwurfs ist die Kronzeugenregelung, die keine Erfindung der CDU/CSU ist, sondern die interessante Vorgänger hat, wie der Herr Kollege Kleinert es zu Recht ausgeführt hat.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Sagen Sie mal, wie scharf die SPD mal drauf war!)

Da war man einmal dieser und einmal jener Meinung. Ich war von Anfang an durchaus kein überzeugter Anhänger der Kronzeugenregelung. Ich habe mich an dieses internationale Instrument, das ja nicht nur in Italien, sondern auch in anderen wichtigen Ländern durchaus eine Rolle spielt, heranarbeiten müssen, aber ich bin heute davon überzeugt, daß die Motive, die die Bundesregierung leiten und die wir sorgfältig durch Besprechungen und Sachverständige untermauern konnten, eine Chance geben, auch in der zeitlichen Befristung, eine Chance, nicht mehr und nicht weniger. Wenn die Kronzeugenregelung einen einzigen Mord verhindern könnte, dann hätte sie sich bereits bewährt.
Wir müssen erreichen, daß sich unser Staat gegenüber denjenigen durchsetzen kann, die Gewalt für ein Mittel der politischen Auseinandersetzung halten. Die Menschen wollen mehr Sicherheit. Sie möchten auch an Demonstrationen teilnehmen können, ohne daß es dort zu Gewalttätigkeiten kommt. Sie wollen, daß der durch freie Wahlen legitimierte Rechtsstaat in der Lage ist, seine Entscheidungen und Gesetze durchzusetzen.
Wir haben erfreulicherweise im ersten Halbjahr 1988 einen Rückgang der politisch motivierten Brand- und Sprengstoffanschläge um über 50 % gegenüber dem Vergleichszeitraum 1987. Ich bin der Überzeugung, daß das u. a. auch auf die gezielten gesetzgeberischen Initiativen der Bundesregierung
zurückzuführen ist, die bereits im vergangenen Jahr Gesetzeskraft erlangt haben. Wie notwenig auch gesetzliche Maßnahmen des Staates sind, zeigen die kriminellen Aktivitäten gegen die internationale Tagung in Berlin, die Spreng- und Brandanschläge gegen beteiligte Firmen, das gewaltsame Auftreten vermummter Schlägertrupps in Hamburg und der Mordanschlag auf Staatssekretär Tietmeyer. Nicht der Staat allein, die Demokratie insgesamt und jeder friedliebende Bürger werden durch extremistische Terrorgruppen bedroht. Mit welchem Zynismus haben die Täter erklärt, daß sie eigentlich zuerst den Fahrer von Staatssekretär Tietmeyer treffen wollten, um dann den eigentlichen Anschlag auszuführen! Hier darf nichts verniedlicht oder verharmlost werden. Die Bürger müssen wissen, daß ihre demokratischen Institutionen fähig und willens sind, diese Herausforderung anzunehmen und ihr wirksam entgegenzutreten. Dazu leistet der heute in erster Lesung beratene Gesetzentwurf nach meiner Auffassung einen wichtigen Beitrag.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109515300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wüppesahl.

Thomas Wüppesahl (GRÜNE):
Rede ID: ID1109515400
Ich möchte noch einige wenige Gedanken hinzufügen und bereits vorgetragene vertiefen, wobei ich mich dann bei der Auswahl der wesentlichen Argumente sehr beschränke.
Das erste Kapitel heißt: „Präventive Notstandsvorschrift ist ineffektiv", und zwar bezogen auf diese Kronzeugenregelung. In früheren Anläufen zu einer Kronzeugenregelung wurde stets ein „Ermittlungsnotstand" beschworen, der für den Bereich des § 129 a StGB geradezu typisch sei; u. a. das MdB Gnädinger führte dies aus. Die Vorschrift „soll die Mitglieder in ihrem gegenseitigen Vertrauen zueinander verunsichern und dazu beitragen, den organisierten Zusammenhalt krimineller Gruppen zu untergraben". So die Bundesregierung in der Bundesrats-Drucksache 238/88. Ein weiteres Zitat: „Im Vordergrund steht die Absicht, künftige Straftaten zu verhindern. " So Herr Engelhard am 8. Juli dieses Jahres bei der Bundesratssitzung.
Dieser Begründung des Gesetzentwurfs ist folgendes entgegenzuhalten: Zunächst einmal handelt es sich bei dem Begriff „Ermittlungsnotstand" um eine völlig nichtssagende, empirisch — schon mangels geeigneter Vergleichswerte — regelmäßig nicht belegte und belegbare Floskel, die lediglich auf emotionalisierende Wirkung sowie hiermit regelmäßig auf Einräumung neuer Kapazitäten für die Strafverfolgungsorgane abzielt. Genauso beliebig wird der Begriff „Ermittlungsnotstand" auch von der Polizeigewerkschaft zur Begründung von zusätzlichen Personalforderungen verwendet und dabei auf Bereiche wie Autoaufbrüche oder Tagesdiebstähle aus Wohnungen bezogen.
Zum anderen ist dieser These für den hier interessierenden Bereich in der Expertenanhörung entgegengehalten worden, eine Kronzeugenvergünstigung werde den Gruppenzusammenhalt nur festigen und sei daher schädlich. Dieser Ansicht ist aktuell auch der



Wüppesahl
Chef des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz, Lochte, als ausgewiesener Kenner der Materie: „Kronzeugenregelung und Geldangebote halten vom Ausstieg nur ab." Quelle: Spiegel vergangenen Jahres.
Der Widerspruch zur sonstigen Ablehnung von Sonderbehandlung für Terroristen ist bereits von mehreren Rednern der GRÜNEN und der SPD ausführlich dargelegt worden.
Mich interessiert noch die „Verschiebung der den polizeilichen Under-Cover-Agenten gesetzten Grenzen" . Polizeilich in Täterorganisationen eingeschleuste Untergrundagenten werden oftmals zur eigenhändigen Begehung von Straftaten als sogenannter Keuschheitsprobe angehalten. Bisher galt — wenn auch nicht in der polizeilichen Praxis, so doch zumindest in der rechtlichen theoretischen Bewertung —, daß dies ungeachtet der Art und Schwere der verlangten Delikte nicht zulässig sei. Dies betont etwa die Polizeigewerkschaft GdP — Stellungnahme zum Artikelgesetz vom 9. Februar 1988 — und befürchtet künftig Verschiebungen in dieser Grenzziehung, wenn viele gewichtige Delikte über die Kronzeugenregelung ungeahndet blieben. Diese könnte in entsprechender Anwendung zudem zur motivatorischen und judiziellen Standardentlastung der eingesetzten UCAs werden.
Ich habe bereits gestern die Person des Generalbundesanwalts gewürdigt. Es ist auch von anderen Rednern schon dargelegt worden, wie die rechtsstaatswidrige Verlagerung von Rechtsprechungsaufgaben auf den Generalbundesanwalt durch dieses Gesetzesvorhaben bewirkt würde.
Ob die Bedeutung des offenbarten Wissens angesichts der von Kronzeugen selbst begangenen Delikte ein Absehen von Strafe verhältnismäßig erscheinen läßt, soll der Generalbundesanwalt mit Zustimmung des BGH-Ermittlungsrichters entscheiden. Mit dieser Fassung des Entwurfs hat sich das Bundesinnenministerium gegenüber Herrn Engelhard und seinem Hause durchgesetzt, das zunächst die Zustimmung des gesamten für die Hauptverhandlung zuständigen Kollegialgerichts vorgesehen hatte. Damit wird der Kronzeuge bzw. Straftäter entgegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes „seinem gesetzlichen Richter entzogen", nämlich dem für Taten nach § 129 a StGB eigentlich zuständigen OLG-Strafsenat in fünfköpfiger Besetzung mit drei Berufs- und zwei Laienrichtern.
Diese Ausschaltung des zuständigen Gerichts ist in den schon heute bestehenden Bereichen eines Absehens von Strafe nach dem Opportunitätsprinzip, §§ 153 ff. StPO, ohne Beispiel, wenn man einmal von wenigen, mit Diversionserwägungen wohlbegründeten Ausnahmen auf dem Gebiet der Jugenddelinquenz absieht.
Das Problem potenziert sich noch, wenn man sich vergegenwärtigt, daß willfährige BGH-Ermittlungsrichter die Anträge und Entscheidungen des Generalbundesanwalts nach den vorliegenden Erfahrungen in aller Regel absegnen und dies angesichts der vorgesehenen Eigenheiten bei der Entscheidung über Kronzeugenvergünstigungen erst recht werden tun
müssen. Wenn hierbei nach Art. 4 § 1 des Entwurfs die Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die Schwere der vom Kronzeugen begangenen Delikte und das Gewicht seines Offenbarungsbeitrags „insbesondere im Hinblick auf die Verhinderung künftiger Straftaten" zu beurteilen ist, hat im Zweifelsfalle allein der Generalbundesanwalt und nicht der Richter den hierfür nötigen Überblick. Damit würde Herr Rebmann im Ergebnis rechtsstaatswidrig Rechtsprechungsaufgaben wahrnehmen.
Das Thema Straffreiheit ist bereits angesprochen worden. Ich möchte sie auch im Zusammenhang mit Totschlagshandlungen bis zum eigenhändigen Mord als Konsequenz dieses Gesetzeswerkes darlegen.
Gegen den von der Bundesregierung 1986 zuletzt eingebrachten Entwurf einer Kronzeugenregelung wurde, wie oben erwähnt, eine Fülle von Einwänden vorgebracht. Jedoch fand — zumindest in der öffentlichen Wiedergabe — die Kritik an einer möglichen Straffreiheit sogar für eigenhändige Mörder die größte Beachtung. Auch auf Ihrem FDP-Parteitag war das ein wichtiger Diskussionsstreitpunkt.
Daraus zog die Bundesregierung jetzt scheinbar die Konsequenz und behauptet in der Entwurfsbegründung, die uns vorliegt,
daß dem Täter eines Mordes oder eines Totschlags ... allenfalls eine begrenzte Strafmilderung bis zur Untergrenze von drei Jahren zuerkannt werden kann .. .
Dies stimmt nicht. Insgesamt ermöglicht der Entwurf nämlich eine Behandlung der Beteiligung an Totschlagsdelikten wie folgt: § 3 Satz 1 nimmt Völkermord von der Möglichkeit jeglicher Kronzeugenvergünstigungen aus.
§ 3 Satz 2 läßt bei Mord und Totschlag kein völliges Absehen von Verfolgung und Strafe zu, sondern nur Strafmilderungen bis zu einer Mindeststrafe von drei Jahren. Die letztgenannte Einschränkung ist jedoch gemäß § 3 Satz 3 auf Fälle des Versuchs, der Anstiftung und der Beihilfe nicht anzuwenden. Dieses Vorschriftengeflecht führt zu Wertungswidersprüchen, Systembrüchen und versteckten Zusatzvergünstigungen über den Wortlaut hinaus.
Nun zu Einzelbeispielen: versuchte Totschlagsdelikte. Die Bestrafung des Versuchs unterliegt gemäß § 23 Abs. 2 StGB grundsätzlich nur einer fakultativen Strafmilderung durch das Gericht. Danach kann etwa bei versuchtem Mord durchaus auf lebenslange Freiheitsstrafe erkannt werden, während die Anwendung der Kronzeugenvorschrift in diesen Fällen nun die Möglichkeit gänzlicher Straflosigkeit eröffnet.
Zweites Beispiel: Anstiftung zu Totschlagsdelikten. Nach § 26 StGB werden Anstifter grundsätzlich gleich dem Täter bestraft. Obwohl also der Unwertgehalt des Täter- und des Anstifterverhaltens normalerweise als gleich schwer angesehen werden muß, kann nach dem oben Gesagten mit Hilfe der Kronzeugenregelung bei Anstiftung vollends von Strafe abgesehen werden.
Drittes Beispiel: Täterschaft gleich Beihilfe gleich straflos bei Totschlagsdelikten? Während sich die Strafe für den Gehilfen grundsätzlich gemäß § 27



Wüppesahl
Abs. 2 Satz 1 StGB nach der Strafdrohung für den Täter richtet und sodann zu mildern ist, führt das Kronzeugenprivileg in § 3 Satz 3 des Entwurfs dazu — Herr Zimmermann ist sehr interessiert beim Zeitunglesen; das sollte ins Protokoll gelangen — , daß z. B. auch Gehilfen zu Mord oder Völkermord gänzlich straffrei ausgehen können.
Dies leitet zu folgendem zentralen Einwand über: Die herrschende sogenannte subjektive Theorie des BGH zur Abgrenzung von Täterschaft und Beihilfe ermöglicht, auch den eigenhändig Tötenden, den Mörder, als bloßen Gehilfen anzusehen, wenn er z. B. bei der Tat einem starken Gruppendruck ausgesetzt war. Nach dieser Logik kann die Kronzeugenvorschrift in solchen Fällen zu gänzlicher Straflosigkeit führen. Damit wird die vorgegebene Intention des Entwurfs nach der Kritik an der Vorgängerplanung, nun Mördern „kein Pardon" für Verrat mehr zu gewähren, hinfällig.
Aber selbst wenn bei erstbestraften Mördern auf Täterschaft erkannt wird, kann die Milderung auf drei Jahre Freiheitsstrafe nach der üblichen Halbstrafenpraxis dazu führen, daß diese Verräter nach anderthalb Jahren auf Bewährung entlassen werden. Es ist also nichts anderes als Roßtäuscherei, was hier an angeblichen Veränderungen zum ersten Entwurf hineingeschrieben wurde.
Ich möchte noch eine Schlußbemerkung zur FDP machen. Der erwähnte NRW-Entwurf wurde zwar vom damaligen FDP-Landesinnenminister Weyer mitinitiiert, sein Amtsnachfolger, Dr. Hirsch — heute im Gewand eines liberalen Hüters des Rechtsstaats —, muß sich jedoch ab Dienstantritt am 4. Juni 1975 die politische Mitverantwortung für die Fortsetzung der angestoßenen Neuregelungsanstrengung in Bonn zurechnen lassen. Der heutige rechtspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Herr Kleinert, schloß sich der Begriffskosmetik — siehe oben bei Herrn Vogel — an. Zitat: „Das ist für uns viel sympathischer als das Wort ,Kronzeuge'."

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109515500
Das war die letzte Bemerkung, verehrter Herr Kollege.

Thomas Wüppesahl (GRÜNE):
Rede ID: ID1109515600
Ich komme zum Schluß.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109515700
Nein, nein, der Schluß ist schon gegeben! Ich bitte sehr um Entschuldigung, aber Sie haben noch eine Minute überzogen und hatten eben den Schluß auch schon angekündigt. Bitte seien Sie so freundlich und lassen Sie mich dem nächsten Redner das Wort geben.

Thomas Wüppesahl (GRÜNE):
Rede ID: ID1109515800
Ich wünsche mir, daß ich dann vor dem Verfassungsgericht mehr Redezeit bekomme.

(Becker [Nienberge] [SPD]: Aber wir alle auch! — Zuruf von der CDU/CSU: Ja, wir dann auch!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109515900
Der Herr wünscht mehr als die kleinste Fraktion; das finde ich natürlich außerordentlich interessant.
Das Wort hat der Abgeordnete Graf.

Günter Graf (SPD):
Rede ID: ID1109516000
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mein Kollege Hans de With hat in seinen Eingangsausführungen grundsätzliche Bemerkungen zu dem Artikelgesetz gemacht, so daß ich mich hier im wesentlichen auf die Bestimmung des Vermummungsverbots beschränken möchte.
In der Begründung zum Artikelgesetz der Bundesregierung heißt es — und das hat heute der Bundesjustizminister in diesem Hause wiederholt — , zwischen dem Auftreten Vermummter einerseits und dem Ausbruch von Gewalttaten andererseits bestünde ein deutlicher Zusammenhang. Was mir allerdings fehlt, ist der notwendige Beweis. Ich denke, wir sollten uns einmal erinnern, und möchte einige Zahlen nennen, die aus dem Hause des Bundesinnenministers stammen.
Im Jahre 1985 gab es in der Bundesrepublik 5 691 Demonstrationen; davon verliefen 207 gewalttätig, was einem Prozentsatz von 3,6 entspricht. Im Jahre 1986 waren es 7 143, davon 261 gewalttätig, was wiederum exakt einem Prozentsatz von 3,6 entspricht. Im Jahre 1987 waren es — das ist die letzte Zahl — 7 320 Demonstrationen, davon 289 gewalttätig; dies entspricht einem Prozentsatz von 3,9.
Das heißt, im Klartext gesprochen, nichts anderes, als daß sich zwar die Zahl der Demonstrationen erhöht hat, die Relation der gewalttätig verlaufenen zur Gesamtzahl aber konstant geblieben ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch kein Argument!)

Im übrigen muß wohl daran erinnert werden, daß im Jahre 1985 das bußgeldbewehrte Vermummungsverbot von dieser Bundesregierung eingeführt wurde und daß sich die Zahl der Demonstrationen von 1985 bis Ende 1987 um etwa 29 % erhöht hat.
Zwangsläufig muß man an dieser Stelle die Frage stellen: Worin liegen eigentlich die Ursachen für diesen Anstieg? Ganz sicher nicht in der Repression. Vielleicht wäre es sinnvoller, wenn sich die Bundesregierung verstärkt, nein, überhaupt mit dieser Frage auseinandersetzen würde. Könnte es nicht vielleicht sein, daß Massenarbeitslosigkeit, Kernenergie, Wiederaufbereitung, Aufrüstung, Zerstörung der Natur und vieles andere mehr die Ursachen hierfür sind?

(Frau Nickels [GRÜNE]: Das ist eine Ursache!)

Ich denke, es würde sich lohnen, darüber einmal nachzudenken und entsprechende Konsequenzen zu ziehen.
Aber wenn dies geschieht, dann bitte schön nicht mit dem Ergebnis, daß durch immer neue strafbewehrte Gesetze Demonstrationen künftig schon im Keim erstickt oder schier unmöglich gemacht werden, wie es heute in einem ersten Schritt mit dem hier zur Debatte stehenden Artikelgesetz getan wird.
Das Recht des Bürgers, durch Ausübung der Versammlungsfreiheit aktiv am politischen Meinungs-
und Willensbildungsprozeß teilzunehmen, gehört zu



Graf
den unentbehrlichen Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Aber friedlich und ohne Waffen!)

— Sehr richtig, Herr Kollege. — Diese grundlegende Bedeutung des Freiheitsrechts ist vom Gesetzgeber beim Erlaß grundrechtsbeschränkender Vorschriften sowie bei der Auslegung und Anwendung von Behörden und Gerichten zu beachten. So heißt es im Leitsatz zum sogenannten Brokdorf-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Mai 1985.
Hieran gemessen — das hat mein Kollege Hans de With heute auch schon angesprochen — stellt sich die Frage, ob der vorliegende Gesetzentwurf der Koalition verfassungsgemäß ist. Wer hier ansetzt, die Versammlungsfreiheit zu demontieren, der beseitigt deren stabilisierende Funktion in unserem Staat und verhindert demonstrativen Protest, der aber notwendig ist, wenn die Repräsentanten dieses Staates mögliche Mißstände und Fehlentwicklungen nicht oder nicht rechtzeitig erkennen oder aus Rücksichtnahme auf andere Interessen hinnehmen. Auch hierüber gibt es Interessantes in dem von mir bereits erwähnten Brokdorf-Urteil zu lesen.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Für die Einführung einer generellen Strafandrohung gegen die Vermummung bei Demonstrationen, also auch bei den friedlichen, besteht gegenwärtig keinerlei Bedürfnis. Das heute geltende Recht verbietet die Vermummung bereits generell, nur die Sanktionen sind abgestuft.
Im übrigen befinde ich mich mit dieser Feststellung in guter Gesellschaft mit den Kolleginnen und Kollegen der FDP, wenn ich mich an den Beschluß des Bundesparteitags am 5. und 6. September 1987 erinnere. Dort hat man u. a. beschlossen: „Nach jetziger Sachlage überwiegen deshalb für die FDP die Gründe gegen eine Änderung der geltenden Rechtslage. "Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Lassen Sie mich zum Schluß meiner Ausführungen noch einige Anmerkungen als ehemaliger Hundertschaftsführer einer Polizeieinheit machen; denn ich habe mich in der Vergangenheit sehr oft gefragt: Wem hilft eigentlich ein strafbewehrtes Vermummungsverbot? Der Polizei? Ich sage da ein ganz deutliches Nein.
Es gibt heute schon mindestens 20 Straftatbestände, die bei unfriedlichen Demonstrationen zur Anwendung kommen können, angefangen bei der einfachen Sachbeschädigung über Nötigung, Widerstand, Landfriedensbruch bis hin zum Mord.
Jeder Einsatzleiter der Polizei benötigt zum Einsatz einen gewissen Handlungsfreiraum. Dies wird von fast allen Polizeibeamten bestätigt. Diese sollten Sie auch einmal fragen, wenn es zur Anhörung in den Ministerien kommt, nicht nur diejenigen, die von vornherein eine festgelegte Position vertreten.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Nikkels [GRÜNE])

Bei einer Straftat gilt das Legalitätsprinzip, also die Pflicht des Staates zur Strafverfolgung. Der Bundesinnenminister läßt hierzu sagen, die Polizei könne nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit davon absehen, gegen Vermummte bei einer friedlichen Demonstration vorzugehen. Dieses ist, milde beurteilt, trügerisch, irreführend und unfair gegenüber unserer Polizei.
Wem hilft dann das strafbewehrte Vermummungsverbot? Ich stelle für die SPD-Bundestagsfraktion fest: keinem. Die Vergangenheit hat gezeigt, daß die zur Gewalt bereiten Chaoten — ich betone: Chaoten; das sind keine Demonstranten — , die das Vermummungsverbot ja wohl treffen soll, sich stets taktisch auf die jeweilige Situation eingestellt haben. Hierzu empfehle ich die Lektüre des Sonderbandes des Bundeskriminalamts über die systematische Kriminalprävention. Darin wird sehr anschaulich geschildert, daß Chaoten nach den Gewalttaten in der Menge untertauchen, ihre Kleider wechseln und die Vermummung fortwerfen. Was nützt da das neue Gesetz? — Nichts.
Das strafrechtliche Vermummungsverbot wird — davon bin ich überzeugt — die gleiche Wirkung haben wie ein mögliches Gesetz, das es einem Bankräuber verbietet, bei einem Banküberfall eine Maske zu tragen.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Das tut weh!)

Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf, der Polizei den notwendigen Handlungsfreiraum zu lassen. Zwingen Sie sie nicht, noch mehr Gewalt zu produzieren! Lösen Sie die politischen Konflikte, und lassen Sie diese nicht auf dem Rücken der Polizei austragen! Das hat unsere Polizei nicht verdient.
Aus diesen Gründen stimmt die SPD-Fraktion dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zu.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109516100
Letzter Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1109516200
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Behauptungen, die der Kollege Wüppesahl, bezogen auf mich, aufgestellt hat, habe ich schon so oft öffentlich widerlegt, daß ich darauf nicht weiter eingehen möchte.
Ich bedanke mich für die Courtoisie der Fraktionen, insbesondere meiner Fraktion, daß ich hier noch einmal Positionen vortragen kann, die insbesondere von den Kollegen Baum, Lüder, Richter und Frau Dr. Segall vertreten werden.
Wir lehnen Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung bedingungslos ab. Wir stimmen darin zu, daß die sogenannte Vermummung die Ausübung von Gewalt erleichtern kann. Das entbindet aber nicht von der Verpflichtung, zu prüfen, mit welchen Mitteln die Gewaltlosigkeit gesichert werden kann und ob nicht die immer weitere Ausdehnung von Strafdrohungen auch solche Bürger dem Staat und seiner Rechtsordnung entfremdet, die in einer Demonstration die einzige verbliebene Möglichkeit se-



Dr. Hirsch
hen, für eine politische Meinung einzutreten, die von der Mehrheit bekämpft oder abgelehnt wird.
Der vorliegende Gesetzentwurf fördert nach unserer Überzeugung die Gewaltlosigkeit nicht. Der Umfang und die Ungenauigkeit der vorgeschlagenen Strafvorschriften lösen sich von bisherigen Rechtsgrundsätzen. Sie werden zu vermehrten Auseinandersetzungen führen, zu staatlichen Eingriffen, wo in Wirklichkeit noch keine strafwürdige Handlung vorliegt, und zu der Behauptung, der Staat wolle im Kern ungelöste politische Probleme mit den Mitteln des Strafrechts und der Polizei „lösen".
Wir erwarten eine gründliche und umfangreiche Anhörung, in der der straf-, verfassungs- und polizeirechtliche Inhalt des Entwurfs ebenso behandelt werden muß wie seine Wirkung insbesondere auf die Demonstrationswirklichkeit, und wir werden uns für eine sorgfältige parlamentarische Beratung der Ergebnisse dieser Anhörung einsetzen.
Dem Gesetzentwurf fehlt eine von der FDP für unverzichtbar gehaltene exakte Regelung, wann heimliche oder offene Bild- und Tonaufnahmen von Versammlungen gemacht werden, wie lange sie aufbewahrt und wozu sie verwendet werden dürfen. Diese Frage hat im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Verfassungsrang und muß jedenfalls dann entschieden werden, wenn man entgegen dem bisherigen Recht die strafbewehrte Rechtspflicht einführt, sich in einer Versammlung erkennbar zu zeigen. Wir werden dazu einen ausformulierten Antrag einbringen.
Der Gesetzentwurf hat in der vorgelegten Form erhebliche Mängel, z. B.:
Zu der neuen Strafvorschrift „Befürwortung von Straftaten" weist schon der Bundesrat angesichts der bestehenden Gesetze darauf hin, daß sie überflüssig ist, daß die Vorläufervorschriften bedeutungslos blieben, und daß die inhaltliche Unbestimmtheit der jetzt geforderten massiven Strafdrohung zu einer ausufernden Strafverfolgung zu führen droht.
Die Ausdehnung der Vorbeugehaft auf neue Tatbestände verstößt gegen Grundsätze des bisherigen Rechts der Untersuchungshaft, wo es in Wirklichkeit notwendig gewesen wäre, für eine Beschleunigung der Strafverfahren insbesondere beim Landfriedensbruch zu sorgen.
Die Ausdehnung des Straftatbestandes der „Vermummung" und der „passiven Bewaffnung" löst sich von der Unfriedlichkeit einer Versammlung und bedroht künftig schon denjenigen mit Gefängnis, der es wagt, auf dem Wege zu einer öffentlichen Versammlung einen Motorradhelm oder eine Lederjacke mit sich zu führen. Der „Täter" muß nicht einmal die Absicht haben, sich damit bei einem Krawall zu schützen. Es reichen „die Umstände", also eine Vermutung zu Lasten des Beschuldigten, dem letztlich nicht eine Handlung, sondern eine vermutete Absicht zur Straftat gerät, sich gegen einen „Träger der Hoheitsgewalt" schützen zu wollen. Eine Geldbuße droht demjenigen, der auf dem Wege zur Versammlung Kleidungsstücke bei sich hat, mit denen er sein Gesicht verbergen könnte — ein beispielloser Vorschlag.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD)

Die Polizei wird künftig keine Entscheidungsfreiheit mehr haben, sondern gegen vermummte Personen auch dann vorgehen müssen, wenn die Versammlung völlig friedlich geblieben ist und die Versammlung erst durch das Eingreifen der Polizei in einen Landfriedensbruch umzuschlagen droht.
Wenn die Bundesregierung beabsichtigen sollte, die Polizei von ihrer bisherigen Verpflichtung zur Verfolgung von Straftaten, also vom Legalitätsprinzip, zu entbinden, dann fordern wir sie auf, diese beabsichtigte Regelung in die parlamentarische Beratung einzubringen.
Der Brokdorf-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts ruft angesichts der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Demonstrationsrechts zu einer Zusammenarbeit zwischen Demonstranten, Veranstaltern und den Behörden auf. Wenn ein solches Gespräch mit Hilfe einer Geldbuße erzwungen werden soll, fragen wir uns, was dabei unter solchen Bedingungen herauskommen soll.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und der GRÜNEN)

Zur Kronzeugenregelung brauche ich nichts weiter zu sagen. Sie enthält ungelöste Probleme.
Wir werden uns bei den anstehenden Beratungen um Lösungen bemühen, die geeignet sind, den Rechtsfrieden in unserer Gesellschaft zu sichern.
Wir werden in diesem Sinne der Überweisung an die Ausschüsse zustimmen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1109516300
Ich schließe die Aussprache.
Es wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuß und zur Mitberatung an den Innenausschuß zu überweisen. — Kein Widerspruch. So beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 28. September 1988, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.