Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, mit Bestürzung haben wir gestern in den späten Abendstunden die schreckliche Nachricht erhalten, daß ein italienisches Flugzeug bei schweren Gewittern auf dem Flug von Mailand nach Köln abgestürzt ist. An Bord befanden sich 37 Insassen, darunter 29 deutsche Mitbürger. Sie alle fanden den Tod. Den Angehörigen der Verunglückten gelten unser Mitgefühl und unsere aufrichtige Anteilnahme. — Sie haben sich zu Ehren der Toten von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen. —
Ich rufe Punkt 19 und Zusatzpunkt 16 der Tagesordnung auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur sozialen Flankierung des Strukturwandels in der Stahlindustrie
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Stahlpolitik der Bundesregierung
— Drucksache 11/947 —
Dazu liegen Entschließungsanträge der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN vor.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte zwei Stunden vorgesehen. — Kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man über die Stahlindustrie und die soziale Flankierung des Strukturwandels in dieser Branche diskutiert, muß man von einigen Grunderkenntnissen ausgehen, die schwerer wiegen als alle offenbar unvermeidliche Kritik und Polemik.Erstens. Wir debattieren kein deutsches, sondern ein internationales Problem. Natürlich wird das Stahlarbeiter, die ihren Arbeitsplatz aufgeben müssen, sicher nicht beruhigen. Das ist auch verständlich. Aber es ändert leider nichts an der Tatsache, daß der Strukturwandel, dem nicht nur diese Branche unterliegt, weltweite Dimensionen hat. Keine Regierung, kein Unternehmen kann ihn aufhalten. Es wäre auch nicht nur unmöglich, ihn aufzuhalten, es wäre gesamtwirtschaftlich verhängnisvoll. Wir können die sozialenFolgen dieses Umbruchs erträglicher machen. Das geschieht. Das geschieht mit dem Einsatz auch hoher Mittel des Steuerzahlers. Wir können und dürfen aber diesen Strukturwandel selbst nicht behindern.Zweitens. Nationale Stahlpolitik, nationale Stahlkonzepte stehen für ein einzelnes Mitgliedsland der Europäischen Gemeinschaft nicht mehr zur Diskussion. Wir haben eine gemeinsame Stahlpolitik der EG. Man mag das kritisieren. Aber es ist auch eine Tatsache: Kein Mitgliedsland allein kann sie bestimmen. Wir können sie freilich beeinflussen. Die Bundesregierung hat das getan, und sie wird es weiter tun. Ich meine, daß wir dabei auch erfolgreich gewesen sind. Wir werden auch künftig keine Anstrengung unterlassen, um die Wettbewerbssituation der deutschen Stahlunternehmen gleich mit der anderer Stahlunternehmen zu gestalten, Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der deutschen Stahlunternehmen abzuwehren.
Drittens. Die Bundesregierung ist weder gewillt noch in der Lage, unternehmerische Verantwortung in der Stahlindustrie zu übernehmen. Sie hält — ich habe es gesagt — den Strukturwandel in dieser Branche für unvermeidlich. Das heißt im Klartext: Sie ist wie alle Unternehmen, wie übrigens auch die IG Metall, der Meinung, daß Kapazitätsabbau unrentabler Anlagen unausweichlich ist und daß damit ein Arbeitsplatzverlust einhergeht, den auch wir bedauern, aber nicht vermeiden können. Wo und wie das geschieht, bleibt in der Kompetenz der mitbestimmten Unternehmen.Wir sind bereit und haben diese Bereitschaft bewiesen, mit sozialpolitischen Hilfen, mit der Förderung von Ersatzarbeitsplätzen Erschütterungen aufzufangen, die in einer solchen Situation durch die betroffenen Regionen gehen. Aber wir haben die Anpassungspläne der Gesellschaften zu respektieren. Nicht die Bundesregierung sagt, daß in der deutschen Stahlindustrie in den kommenden Jahren 35 000 Arbeitsplätze verlorengehen müssen. Das entscheiden andere in ihrer eigenen Verantwortung. Zu diesem im übrigen trostlosen Ergebnis sind Unternehmen und Gewerkschaften auch gemeinsam gekommen. Niemand in diesem Hause wird ihnen dabei unterstellen, daß sie das leichtfertig oder unbedacht gemacht ha-
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Bundesminister Dr. Bangemannben. Auch sie haben sich ökonomischem Zwang beugen müssen.Viertens. So schmerzlich, so einschneidend dieser Umbruch ist, so wenig genügt es, ihn nur zu beklagen und angeblich dafür Verantwortliche zu kritisieren. Wir müssen ihn zugleich auch als eine Chance begreifen, als eine gemeinsame Herausforderung von Gewerkschaften, Unternehmen und Politikern, die Leistungskraft unserer Wirtschaft zu erhöhen, auf diese Weise neue wettbewerbsfähige Arbeitsplätze zu schaffen.
Schuldzuweisungen, die im übrigen auch häufig ins Leere gehen, helfen den Betroffenen überhaupt nicht. Wir brauchen in den Regionen, die von diesen Belastungen betroffen sind, einen neuen Aufbruch. Ein besseres Investitionsklima gehört vor allem anderen dazu. Wir müssen die Unternehmen auffordern, — das ist geschehen — , gerade dort, wo Arbeitsplätze verlorengehen, ihre Investitionen vorzunehmen und damit neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Wir müssen alle Anstrengungen unterstützen, Umschulung und Fortbildung zu verstärken und dafür das notwendige Interesse bei den Arbeitnehmern zu wecken. Wir müssen Vorschriften abschaffen, die einen flexiblen Arbeitsmarkt behindern.Ich habe schon bei verschiedenen Gelegenheiten, auch hier von diesem Platz aus, Gewerkschaften darum gebeten — ich möchte das hier wiederholen —, bei ihren Forderungen, die sie in den Tarifverhandlungen erheben, auf regionale Besonderheiten mehr Rücksicht zu nehmen. Wer übersieht, daß die von der Strukturkrise betroffenen Regionen am besten dadurch Hilfe bekommen könnten, daß man auf ihre Situation auch mal bei Tarifvertragsverhandlungen eingeht, der trägt zur Vertiefung der Probleme in diesen Regionen bei.
Die sozialpolitischen Hilfen, die von der Bundesregierung beschlossen worden sind, geben eine ausreichende Grundlage, um jedenfalls materielle Not zu vermeiden. Aber es genügt nicht, dabei stehenzubleiben. Am Ende dieser mit so vielem persönlichen Leid verbundenen Entwicklung muß eine neue wettbewerbsfähige und leistungskräftige Struktur der Stahl- und Bergbaugebiete stehen. Das sind die Ziele unserer Politik. Alles andere würde nicht weiterführen, und besonders unrealistisch wäre es gewesen, die Teile der Stahlproduktion künstlich erhalten zu wollen, die international nicht mehr mithalten können. Denn auch das ist unbestreitbar und wird immer weniger bestritten: Der Stahlverbrauch geht weltweit zurück. In den westlichen Industrienationen steigt auch das Angebot aus Schwellenländern und Entwicklungsländern. Diese Länder bieten einfache Stahlsorten zu Bedingungen an, die in den Industrieländern gar nicht mehr möglich sind. Übrigens sind viele dieser Stahlwerke von Unternehmen westlicher Industrieländer erstellt worden, und man kann wohl nicht dabei Geld verdienen wollen und ihnen dann andererseits Marktchancen nicht einräumen, die sie zu Recht verlangen.Zudem sorgt der technische Fortschritt dafür, daß immer mehr Stahl mit immer weniger Arbeitskräften hergestellt werden kann. Auch der spezifische Stahlverbrauch ist zurückgegangen, weil immer mehr Ersatzstoffe verwendet werden, oder dort, wo Stahl verwendet wird, mit geringeren Mengen gearbeitet werden kann. Ich zitiere deshalb das Internationale Eisen- und Stahlinstitut, das zu ähnlichen Prognosen wie die OECD und die EG-Kommission kommt. Danach geht der Stahlverbrauch in der Europäischen Gemeinschaft bis 1995 auf 92 Millionen Tonnen zurück, ein Minus von 10 Millionen Tonnen innerhalb von zehn Jahren. In den Vereinigten Staaten wird zu gleicher Zeit ein Rückgang von 12 Millionen Tonnen und in Japan von 8 Millionen Tonnen erwartet.Natürlich sind das Prognosen. Man kann immer bestreiten, daß es tatsächlich so verläuft. Aber alle Fachleute sind sich einig, daß dies der generelle Trend ist. Die abwärts gerichtete Tendenz im Stahlverbrauch löst den Zwang zu weiteren Kapazitätsanpassungen aus.Die vergeblichen Bemühungen in einigen unserer Nachbarländer, eine hohe Stahlproduktion durch riesige Subventionen zu retten, sollten jedermann zu denken geben. Gegen den Markt, gegen den technischen Fortschritt und gegen weltweite Verbrauchsveränderungen gibt es kein Mittel. Selbst wenn es dies gäbe, wer wollte es bei den Kosten, die damit für die Volkswirtschaft verbunden sind, ernsthaft anwenden?Meine Damen und Herren, ich werde nicht müde, auch das immer wieder zu wiederholen: Das Aufhalten des Strukturwandels kostet nicht nur die Arbeitsplätze, die man letztlich gar nicht retten kann, weil sie schon wettbewerbsunfähig sind, sondern es kostet auch die neuen Arbeitsplätze, die nicht entstanden sind, weil man zu lange an einer überholten Struktur festgehalten hat.
— Ihr Problem besteht darin, daß Sie durchaus über die richtigen Erkenntnisse von Zeit zu Zeit verfügen, sie aber nicht anwenden.
Es ist gar nicht meine Erkenntnis.
Ich darf Ihnen einmal ein Papier in Teilen vorlesen, das eine Arbeitsgruppe bei Ihnen, an der auch Herr Glotz beteiligt war, ausgearbeitet hat. Da heißt es: „Das Bewußtsein für die Notwendigkeit einer solchen Politik", die nämlich nicht nur auf solidarische und soziale Absicherung setzt, sondern die auch Zukunftsentwicklungen ins Auge faßt, „ist in der Partei weiter entwickelt, als nach außen hin deutlich wird". Das sagt dieses Papier der SPD.
— Herr Vogel, Ihre vorschnellen Schlüsse — ich habeja bisher nur einen Satz aus Ihrem Papier vorgelesen — sind Ihnen schon verschiedentlich zum Ver-
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Bundesminister Dr. Bangemannhängnis geworden. Sie sollten eigentlich mit Zwischenrufen warten, bis der zweite Satz kommt.
Jetzt kommt nämlich der zweite Satz:Jedoch gibt es da und dort in der SPD eine Unteruns-gesagt-Mentalität. Intern wird längst eingeräumt, daß sich die Partei stärker solchen Gedanken öffnen müßte, aber in der Öffentlichkeit wird dann aus Rücksicht auf gesellschaftliche Organisationen in altbewährter Manier weiter argumentiert.Das ist Ihr Problem.
Sie machen ja wunderbar weiter, wie Herr Glotz es beschrieben hat: Nach außen haben Sie Ihre Scheinformeln. „Sie bedienen die Reichen" usw., und intern wissen einige von Ihnen schon, daß man an diesem Strukturwandel nicht vorübergehen kann, wenn man den Arbeitnehmern helfen will. Das erkennen Sie zwar, aber Sie handeln nicht danach; das ist Ihr Problem.
Dabei, meine Damen und Herren, ist die aktuelle Situation in der Bundesrepublik sogar verhältnismäßig günstig. Es kann gar nicht beschritten werden, daß die generelle Konjunkturbelebung, die außer der Opposition auch niemand hierzulande bestreitet, am Stahlmarkt nicht vorbeigeht. Das Inlandsgeschäft hat sich in den letzten Monaten wieder belebt. Die Auslandsnachfrage nimmt seit der Jahresmitte deutlich zu. Die Preise, zumindest bei Flachprodukten, stabilisieren sich. Auch die Produktion geht nach oben. So kann man nach heutigem Erkenntnisstand erwarten, daß wir in diesem Jahr etwa die gleiche Stahlproduktion wie 1986 haben werden, also rund 37 Millionen Tonnen. Am Jahresanfang war dagegen noch mit einem Rückgang gerechnet worden. Aber ich sage noch einmal: An den langfristigen Tendenzen ändert das auch nach Meinung der Stahlproduzenten nichts.Um so mehr kommt es darauf an, die Interessen der deutschen Stahlindustrie und ihrer Beschäftigten innerhalb der EG wahrzunehmen. Wir haben das getan. Auf deutsches Drängen hin ist der europäische Subventionsdschungel mit dem Subventionskodex beseitigt worden. Vor allem die Bundesregierung hat durchgesetzt, daß seit Ende 1985 keine stahlspezifischen Subventionen mehr gezahlt werden durften. Wir achten auch darauf, daß dieses Subventionsverbot in den EG-Ländern tatsächlich eingehalten wird. Ich weiß, eine gesetzliche Vorschrift, ein Verbot, wird nicht immer eingehalten; das weiß jeder, der mit Gesetzen und ihrer Durchsetzung zu tun hat. Aber ich weiß auch: Wir sind gar nicht diejenigen, die mit allzu weißer Weste mit den Fingern auf andere zeigen können: Von den Verfahren, die die Kommission eingeleitet hat, betreffen drei auch deutsche Unternehmen.Wir sind aber jedem Hinweis auf die mögliche Zahlung verbotener Subventionen sofort nachgegangen und haben die EG-Kommission aufgefordert, das sofort abzustellen. Das bedeutet dann natürlich auch, daß wir, wenn wir mit diesen Aufforderungen Erfolg haben wollen, uns selber bemühen müssen, nicht gegen den Subventionskodex zu verstoßen.
Immerhin, in der Sitzung des europäischen Stahlrats am 21. September haben alle Regierungen aller Mitgliedsländer noch einmal versichert, daß sie den Subventionskodex einhalten wollen.Dieser Stahlrat hat auf unser Drängen auch beschlossen, das geltende Produktionsquotensystem um drei Jahre zu verlängern, sofern die Sicherheit besteht, daß die Unternehmen dann auch den von der EG-Kommission für unumgänglich gehaltenen Anpassungsprozeß fortsetzen. Das ist eine ganz wichtige Fortentwicklung der europäischen Stahlpolitik, die im Interesse der deutschen Stahlunternehmen liegt.Es mag sein, daß der eine oder andere fragt: Wieso kann man unter einer liberalen Marktordnung für ein Quotensystem eintreten? Dieses Quotensystem hat zwei Vorteile:Erstens. In einer Situation, in der wir nicht ganz sicher sind, daß sich alle an den Subventionskodex halten, verhindert dieses System, daß sich ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile, die durch verbotene Subventionen entstehen, unmittelbar auf dem Markt bemerkbar machen.Zweitens. Die Weiterführung des Quotensystems ist notwendig, wenn der andere Gedanke, den wir auch in die Debatte eingebracht und unterstützt haben, nämlich der des Quotenkaufs und -verkaufs, umgesetzt werden soll. Es ist klar: Man kann keine Quote verkaufen, die nicht durch ein System geschützt wird. Dieser Kauf und Verkauf soll dazu beitragen, Mittel zu beschaffen, die wir einsetzen wollen und die den Stahlunternehmen den Kapazitätsabbau erleichtern werden.Wir haben uns auch darauf geeinigt, daß die europäische Stahlindustrie als Ganze nur dann gesunden kann, wenn in allen Mitgliedsländern weitere unrentable Anlagen abgebaut werden, deren Kapazität von der Kommission inzwischen auf 30 Millionen Tonnen veranschlagt wird. Ich sage bewußt „in allen Mitgliedsländern", damit deutlich wird, daß das ein Problem nicht nur der deutschen Stahlindustrie ist.Hier kann man nicht, wie es seitens der SPD geschehen ist, von Vorleistungen sprechen. Vielmehr bestanden die Stillegungspläne der deutschen Stahlindustrie bereits: Man muß sich einmal vorstellen, wie sich da die Argumentation der Opposition verändert hat:
In der Phase, in der wir die Einigung mit IG Metall und Stahlindustrie noch nicht hatten, hieß es: Die Bundesregierung drückt sich vor der Verantwortung; sie schiebt Dinge nach Brüssel, die in Brüssel gar nicht entschieden werden können. Ich habe dafür gewor-
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Bundesminister Dr. Bangemannben, daß man diese erste Sitzung des Stahlrats, von der ich jetzt spreche, abwartet, damit wir zunächst einmal eine europäische Grundlage für unsere eigenen Beschlüsse haben. Daß das richtig war, zeigen die Beschlüsse des Stahlrates, über die ich hier berichte.
Aber als wir diese Grundlage hatten, wäre es unverantwortlich gewesen, nicht Klarheit über die soziale Absicherung zu schaffen.
Das haben wir getan. Vorher hat die SPD kritisiert, daß wir es nicht getan haben; als wir es getan haben, hat sie kritisiert, daß wir es getan haben. Meine Damen und Herren, das ist unsere Opposition!
Wir müssen jetzt noch bestimmen, wo welche Anlagen stillgelegt werden. Das ist die Aufgabe der sogenannten drei Weisen. Niemand erwartet von ihrer Arbeit Wunder, aber es war schon deshalb richtig, sie mit dieser Aufgabe zu betrauen, weil es unwidersprochene Berichte gibt, daß einige Regierungen ihren eigenen verstaatlichten Unternehmen untersagt haben sollen, konkurrenzunfähige Kapazitäten stillzulegen. Daran ist nämlich die Bemühung von Eurofer gescheitert. Die privaten Unternehmen waren bereit, diese Entscheidungen zu treffen; verstaatlichte Unternehmen hätten sie von ihrer eigenen unternehmerischen Verantwortlichkeit her auch getroffen, sind aber von ihren Regierungen daran gehindert worden, das zu tun, was übrigens ein weiterer Beweis dafür ist, daß verstaatlichte Unternehmen das unternehmerisch Richtige und Wichtige nicht tun können, weil sie politisch daran gehindert werden.Diese Berichte werden es der Bundesregierung, den anderen Mitgliedsregierungen und der EG-Kommission erlauben, Stillegungen zu definieren. Dieses Ergebnis war übrigens auch deswegen so wichtig, weil wir die Zwangsumlage abgewehrt haben, an der die Kommission zwar immer noch festhält, die aber offensichtlich keine Mehrheit mehr findet. Diese Zwangsumlage wäre eine direkte Bestrafung der deutschen Stahlindustrie gewesen, denn man hätte Unternehmen, die Betriebe entweder schon stillgelegt haben oder noch stillegen werden, zur Finanzierung der überflüssig gewordenen Kapazitäten anderer Unternehmen herangezogen. Wir hätten also auf diese Weise einen Zustand erreicht, bei dem das, was wir tun, für uns nicht auch gewirkt hätte.Meine Damen und Herren, diese Ergebnisse des Ministerrats sind alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Es ist schwer gewesen, sie zu erreichen, aber wir sind doch ein wenig stolz darauf, daß wir sie erreicht haben. Wer die Diskussion verfolgt hat, der weiß, daß dieses Ergebnis die Bundesregierung in ihrer Politik bestätigt.Es war auch nicht selbstverständlich, daß wir uns darauf einigen konnten, den Umstrukturierungsprozeß mit verstärkten sozialen und regionalen Hilfen aus der Gemeinschaftskasse zu flankieren. Die Bundesregierung hat seit langem darauf gedrängt. Wir haben uns gemeinsam mit anderen gegen harten Widerstand durchgesetzt. Einzelheiten werden wir noch beschließen.Eines ist aber klar: Das Argument der Kommission, der EGKS-Haushalt dürfe hier nicht herangezogen werden, weil man die Reserven des EGKS-Haushalts brauche, um im ranking, in der Einordnung der Kreditwürdigkeit, möglichst oben zu bleiben, ist natürlich sachlich nicht haltbar. Man kann dieses ranking auch durch andere Maßnahmen — durch die Erklärung allein der Mitgliedsländer — herbeiführen; dazu braucht man keine Reserven. Deswegen müssen diese Reserven des EGKS-Haushalts nach Möglichkeit weitgehend eingesetzt werden. Wenn es dann noch nötig sein sollte — das habe ich erklärt — , sind wir auch bereit, über einen Transfer aus dem allgemeinen Haushalt zu reden. Aber das kann erst diskutiert werden, wenn der EGKS-Haushalt hier herangezogen worden ist.Die Ratstagung am 21. September hat auch die notwendigen Voraussetzungen für zusätzliche soziale Hilfen zur Flankierung des Kapazitätsabbaus in der deutschen Stahlindustrie geschaffen. Wir haben uns in dem Gespräch mit der Stahlindustrie und den Gewerkschaften bereit erklärt, über alle bisher schon gegebenen Mittel hinaus zusätzlich 300 Millionen DM zu zahlen. Wir erwarten, daß sich die betroffenen Länder mit weiteren 150 Millionen DM beteiligen. Das entspräche etwa ihrer Beteiligung an dem Stahlhilfeprogramm der Jahre 1983 bis 1985.Zuwendungen zu diesen Sozialhilfen, die von der EG gezahlt werden, werden auf die Hilfen des Bundes und der Länder nur angerechnet, wenn sie 150 Millionen DM übersteigen, d. h. in dieser Höhe — 150 Millionen DM — kommen noch die Mittel aus der europäischen Kasse dazu. Wir sehen auch die Möglichkeit, daß den Unternehmen aus den Erlösen des Quotenverkaufs von stillgelegten Anlagen wesentliche Beiträge für die soziale Flankierung dieses Prozesses bereitstehen werden. Wir erwarten natürlich, daß nach den Vereinbarungen zwischen der Stahlindustrie und der IG Metall keine einseitigen Kündigungen von den Unternehmen ausgesprochen werden; das ist die Geschäftsgrundlage dieser ganzen Vereinbarung.Ich meine, dies wäre jetzt der Augenblick, in dem die Opposition dieses Ergebnis würdigen könnte. Es wäre eigentlich möglich.
— Nein, ich erwarte es nicht. Es ist Ihr Problem, daß man es nicht erwarten kann.
Wir haben ein verantwortungsbewußtes Zusammenwirken von Bund, Ländern, Unternehmen und Gewerkschaften — und Gewerkschaften, möchte ich der Opposition sagen — gehabt. In einer äußerst schwierigen Situation ist es nach manchen — auch unsachlichen — Kontroversen gelungen, zu sachlich begründeten und politisch vertretbaren Beschlüssen zu kommen. Die Beteiligten haben über viele Mei-
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Bundesminister Dr. Bangemannnungsunterschiede hinweg gehandelt, und sie haben es gemeinsam im Interesse der Stahlarbeiter getan.Ich möchte ausdrücklich der IG Metall und auch den Unternehmen für ihre konstruktiven Vorschläge und Beschlüsse danken, und ich möchte auch dem Land Nordrhein-Westfalen für seine Bereitschaft danken, sich an den Finanzbeiträgen dafür zu beteiligen.Wir haben uns dem nicht verschlossen. Ich weise in aller Bescheidenheit darauf hin, daß sich der Bund auch angesichts der Haushaltsdebatte bereit erklärt hat, sich finanziell zu beteiligen.Ich glaube, daß dieser Beschluß ein gutes Zeichen für einen immer noch möglichen Konsens ist. Alle Beteiligten haben zuvor eingenommene Positionen verlassen und sind aufeinander zugegangen, um bedrängten Mitbürgern Lasten abzunehmen.Wir führen in diesen Tagen die Gespräche, um die Details festzulegen. Entscheidend ist dabei, daß wir nur Instrumente verwenden können und wollen, die mit dem EG-Beihilferecht vereinbar sind. Das engt den Kreis der Maßnahmen etwas ein, aber sicher ist, daß wir die Sozialhilfen nach Art. 56 EGKS-Vertrag verbessern können und die Sozialaufwendungen der Unternehmen, die durch Stillegungen verursacht werden, teilweise erstatten.Auch die Stahlländer der Bundesrepublik — das möchte ich hier mit Blick auf die Situation in diesen Ländern und einiger Stahlunternehmen dort ausdrücklich betonen — dürfen zur finanziellen Begleitung des Anpassungsprozesses nur EG-rechtliche Instrumente benutzen. Wenn jemand bei uns in den Ländern den Subventionskodex verletzt, muß er wissen, daß er damit der gesamten deutschen Stahlindustrie einen nicht wiedergutzumachenden Schaden beifügt.
Das sollte jeder bedenken, der heute insoweit Überlegungen anstellt.Meine positive Wertung dieser gemeinsamen Anstrengung wird nicht dadurch relativiert, wenn ich daran erinnere, daß sie freilich nur eine Ergänzung anderer Hilfen für die Stahlindustrie und ihre Beschäftigten ist. Bei solchen Diskussionen geht oft verloren, was in der Vergangenheit schon getan worden ist.Um mit der Vergangenheit zu beginnen: Von 1983 bis 1985 sind Subventionszulagen, Strukturverbesserungsbeihilfen, Beihilfen nach Art. 56 des EGKS-Vertrages von über 5 Milliarden DM gezahlt worden. Von 1983 bis 1985, in zwei Jahren, über 5 Milliarden DM! Davon hat der Bund 2,8 Milliarden DM aufgebracht. Aber auch das ist kein abgeschlossenes Kapitel; denn diese Beiträge wirken ja weiter.Von größerer aktueller und künftiger Bedeutung sind die Leistungen des Bundes, die den deutschen Stahlunternehmen und ihren Arbeitnehmern sowie den Stahlregionen in den kommenden Jahren zugute kommen werden. An sozialen Anpassungsbeihilfen nach Art. 56 des EGKS-Vertrages werden bereits nach der heutigen Fassung der entsprechenden Richtlinie bis 1997 zusätzlich zu den 5 Milliarden DM zirka 1,2 Milliarden DM gezahlt. Davon wird der Bund rund 70 % tragen, die EG-Kommission 30 %. Das entfällt nicht auf die Länder.Die Bundesregierung hat eine Verbesserung des Wartegeldes, der Umschulungshilfen und der Obergangshilfe beschlossen. Das führt in den Jahren 1987 bis 1991 zu zusätzlichen Ausgaben von 60 Millionen DM. Für die Arbeitnehmer der Stahlindustrie ist die Bezugsfrist für Kurzarbeitergeld auf 36 Monate verlängert worden. Das wird die BfA rund 40 Millionen DM kosten. Und in unserer Regionalpolitik wird das Stahlstandorteprogramm um drei Jahre verlängert. Die Bundesregierung gibt den Stahlländern Nordrhein-Westfalen, Bayern und Saarland zusätzliche Haushaltsmittel zur Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen.Jetzt ist es Sache der Landesregierungen und der Kommunen, Investitionshemmnisse abzubauen und Grundstücke anzubieten. Auch gerade das Land Nordrhein-Westfalen sollte sich sehr genau ansehen, was von Institutionen des eigenen Landes zur Verbesserung des Investitionsklimas gesagt wird.
Wenn man das berücksichtigt, dann braucht man weniger Geld — auch weniger eigenes Geld — , um neue Arbeitsplätze zu schaffen.Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen sollte sich die Verteilung der Mittel zur Wirtschaftsförderung in ihrem Haushalt ansehen. Wenn fast zwei Drittel dieser Mittel zur Erhaltung von Arbeitsplätzen aufgewandt werden, die in Wahrheit gar nicht mehr wettbewerbsfähig sind, und nur noch ein Drittel übrigbleibt, um Zukunftsaufgaben zu finanzieren, dann muß man sich nicht beklagen, wenn es in anderen Ländern, die eine bessere Wirtschaftspolitik machen, besser aussieht.
So sehen die Rahmendaten für die künftigen Unternehmensbeschlüsse aus. Wir werden es nicht still und ergeben hinnehmen, wenn diese falsche Politik unsere richtige Politik konterkariert. Wir werden das deutlich sagen; denn tatsächlich haben wir finanzielle Lasten auf uns genommen, die ihresgleichen suchen.
Sie haben ja auch bereits in anderen Branchen die Frage provoziert, was denn zur Linderung ihrer strukturellen Bedrängnisse geschehe.Die Bundesregierung, die verantwortlich ist für die Lebensverhältnisse in der ganzen Bundesrepublik,
kann nicht daran vorübergehen, daß andere Bereiche, denen nicht direkt geholfen worden ist, Fragen stellen, denen wir uns stellen und die wir auch beantworten müssen, wenn es um Gerechtigkeit in unserem Lande gehen soll. Deswegen glaube ich, daß wir dieses Ergebnis auch vor diesem Hintergrund diskutieren müssen.In jedem Fall wird es nicht zu Massenentlassungen in der Stahlindustrie kommen. Das ist ein Ergebnis,
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Bundesminister Dr. Bangemanndas wenige erwartet haben und über das wir uns alle freuen sollten, wie ich meine. Trotzdem wird sich niemand in diesem Hause beruhigt zurücklehnen und erklären, der unausweichliche Strukturwandel sei bereits geschafft.Die Bundesregierung verkennt keinen Moment die unermeßlichen menschlichen und ökonomischen Probleme, die hier noch zu lösen sind. Aber das, was bis zum heutigen Tag von uns zur Linderung dieser Probleme getan werden konnte, was wir tun mußten, haben wir getan. Ich denke, daß die Opposition einen Beitrag dazu leisten sollte, der über Lamento und ein lautes Geschrei hinausgeht.Wir handeln und wir werden weiter handeln, um den Bürgern nicht nur in den Stahlregionen, sondern überall in der Bundesrepublik eine Perspektive zu bieten.
Das Wort hat der Abgeordnete Roth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was ist der Vorgang der letzten 14 Tage? Die Bundesregierung hat sich damit einverstanden erklärt, daß in den nächsten zwei Jahren 37 000 Arbeitsplätze in der deutschen Eisen- und Stahlindustrie beseitigt werden sollen, ohne daß es ein Programm für Ersatzarbeitsplätze oder eine Zusage der Unternehmen für Ersatzarbeitsplätze gibt; das ist der Vorgang.
Hier wurde und wird der wirtschaftspolitische Kahlschlag von ganzen Regionen vorprogrammiert. Und Sie rühmen sich hier mit Selbstlob, daß Sie sich an den Beerdigungskosten beteiligen.
Das ist nach meiner Überzeugung ein wirtschaftspolitisch skandalöser Vorgang.
— Meine Damen und Herren — an die Zwischenrufer gerichtet — ,
wir sind keine Pharisäer, wir wissen, daß Strukturwandlungen notwendig sind. Wir wissen auch ganz genau — und haben das hier stets gesagt — , daß Stahlarbeitsplätze in der Zukunft wegfallen werden. Die Frage ist jedoch, ob man das nur mit Sozialplänen begleitet oder ob man aktive Strukturpolitik für neue Arbeitsplätze betreibt; das ist unsere Position.
Sicher — besser, als wenn es anders wäre — , es ist gut, wenn die Mehrheit der betroffenen Stahlarbeiter in den vorzeitigen Ruhestand geht, also nicht auf die Straße gesetzt wird. Dabei muß ich in Richtung auf dieKollegen der Union — die anderen habe ich bei sozialen Fragen sowieso abgeschrieben —
auch einmal fragen: Ist es so sozial, Menschen mit 50 Jahren nach Hause zu schicken, von der Arbeit wegzuschicken und nur für Abfederung zu sorgen? Ist das sozial?
Meine Damen und Herren, es ist — zum Glück — ein Stück Sozialkultur in diesem Lande, daß wir es bisher geschafft haben, daß Massenentlassungen im Stahl nicht vorkommen. Aber ich frage mich auch: Was bedeutet das ständige Anmahnen von mehr Flexibilität in diesem Lande anderes, als genau dieses Stück Sozialkultur in Frage zu stellen? Da sollten wir alle sehr hellhörig sein.Im übrigen: Angesichts der massiven Hilfe, beispielsweise für die deutsche Landwirtschaft, hatten die Stahlkocher nichts anderes als einen politischen Anspruch auf entsprechende Sozialpläne.
Herr Blüm, Sie sind nun in den vergangenen Wochen durch das Ruhrgebiet gereist und haben verkündet, es gebe 1 Milliarde DM zusätzlich zur sozialen Flankierung bei Eisen und Stahl.
Doch was ist tatsächlich herausgekommen? Der Bund beteiligt sich an Sozialplanhilfen mit 300 Millionen DM. Er verlangt von den Ländern, die das zugesagt haben, 150 Millionen DM. Von den 300 Millionen DM des Bundes sind 170 Millionen DM bereits im Etat der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl eingesetzt. Das heißt: Der zusätzliche Ausgabenposten, den Herr Blüm vorher auf 1 Milliarde DM veranschlagt hat, beträgt in Wirklichkeit 130 Millionen DM netto. Das ist der Vorgang, der hier stattgefunden hat.
Mehr hat Herr Blüm bei Herrn Bangemann und Herrn Stoltenberg nicht durchgesetzt.
Meine Damen und Herren, der vorzeitige Ruhestand der Stahlarbeiter ist jedoch nicht das Hauptergebnis der Stahlrunde vom 2. Oktober. Das Hauptergebnis sind 37 000 Arbeitsplätze, die wegfallen, eine Zahl, die jeden überrascht hat, der die Stahldebatte des Sommers verfolgt hat: Zuerst war von 15 000 bis 20 000 Arbeitsplätzen die Rede, dann, unmittelbar vor dem Rat in Brüssel, von 25 000 Arbeitsplätzen, und Ende September sind es 35 000 Arbeitsplätze geworden; zählt man die Maxhütte hinzu, sind es insgesamt 37 000 Arbeitsplätze. Damit steht fest: Der Anpassungsprozeß in der europäischen Eisen- und Stahlindustrie geht in erster Linie zu Lasten der deutschen Stahlindustrie. Von 80 000 Arbeitsplätzen im Stahlbereich, die in der EG insgesamt wegfallen sollen, wer-
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Rothden also etwa 50 % in der Bundesrepublik Deutschland beseitigt. Die Bundesrepublik hat aber nur einen Anteil von etwa einem Drittel der Stahlarbeitsplätze.Meine Damen und Herren, Herr Bangemann, wie wollen Sie eigentlich den Stahlkochern in Dortmund, Duisburg, an der Saar oder in Osnabrück klarmachen, daß die Bundesrepublik Deutschland mehr als die anderen zur Sanierung beiträgt? Ich verstehe Ihre Freude über diesen Vorgang nicht.
Wie wollen Sie eigentlich der deutschen Öffentlichkeit klarmachen, daß es notwendig ist, Arbeitsplätze aufzugeben, die zu den modernsten in Europa gehören? Sie haben selber Zahlen genannt. Es waren da in der Regel Modernisierungszuschüsse. Die Bundesrepublik Deutschland hat schon in unserer Regierungszeit die deutsche Stahlindustrie rationalisiert und modernisiert. Deshalb müßte man zum Abbau von Arbeitsplätzen weniger und nicht überproportional beitragen. Das ist es, was wir kritisieren.
Wie können Sie der deutschen Öffentlichkeit klarmachen, daß die großen Vorleistungen, die erbracht wurden, überhaupt nicht mehr zählen? Es waren doch die deutschen Stahlunternehmen, die abgebaut haben: von 70 Millionen Jahrestonnen vor zehn Jahren auf heute 45 Millionen Jahrestonnen. Die Zahl der Beschäftigten lag 1978 bei 300 000; heute liegt sie bei 200 000. Gilt das alles nichts mehr? Hätten die Beschäftigten in der Stahlindustrie nicht mindestens einen Anspruch, gleichbehandelt zu werden?Geradezu unfaßbar ist das Selbstlob der Bundesregierung, wenn man sich die Ergebnisse des EG-Stahlrats vom 21. September anschaut. Damals haben sich die Wirtschafts- und Industrieminister nicht auf ein gemeinsames Konzept zur Strukturanpassung geeinigt. Statt dessen haben sie sich auf den 8. Dezember vertagt. Man hat sich also damals vor Entscheidungen gedrückt. Wir haben das zu Recht kritisiert.Bis Mitte November sollen nur die drei Sachverständigen, die inzwischen benannt worden sind, einen Kapazitätsabbau vorschlagen. Was hat es dann für einen Sinn, wenn die Deutschen 37 000 Arbeitsplätze vorleisten? Ich verstehe dann das Konzept der Moderatoren oder der drei Weisen überhaupt nicht mehr.
Wir hätten erwartet, daß Herr Friedrich, der von Ihnen benannt ist, kämpft, und zwar mit den anderen Moderatoren um jeden Arbeitsplatz kämpft.Bevor die Drei überhaupt an die Arbeit gegangen sind, haben Sie das also akzeptiert.Die Menschen in Bochum, Hattingen, Hagen, Bremen, Dortmund, Düsseldorf, Duisburg, MühlheimOberhausen, Osnabrück, an der Saar, in Peine-Salzgitter, Siegen, Troisdorf, Sulzbach-Rosenberg werden das Chaos, das Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, mit dieser Stahlpolitik angerichtet haben, ausbaden müssen.Wissen Sie, was es bedeutet, wenn allein an der Saar 4 800 Arbeitsplätze wegfallen, in Dortmund 3 600, in Duisburg 6 200, in Mühlheim-Oberhausen4 300, und zwar in den nächsten zwei Jahren, bevorirgendein Alternativarbeitsplatzprogramm überhauptgreifen kann? Das ist die Situation.Wir wissen aus der regionalen Wirtschaftsanalyse, daß auf einen Stahlarbeitsplatz zwei Zulieferer- bzw. Abnehmer- oder mit der Stahlindustrie verbundene Arbeitsplätze kommen. Das heißt, zu den 37 000 müssen wir noch etwa 80 000 Arbeitsplätze rechnen, die über die Jahre hin außerhalb des engeren Stahlbereichs wegfallen werden.Dieselben Regionen, von denen ich spreche, sind von der Kohlepolitik des Herrn Bangemann betroffen. Wir erwarten auch da, daß 30 000 Arbeitsplätze wegfallen.Man kann also insgesamt sagen, daß an Montanstandorten in der Bundesrepublik Deutschland in den nächsten Jahren etwa 200 000 Arbeitsplätze verlorengehen, ohne daß die betroffenen Bundesländer darauf noch einen Einfluß haben, weil die Bundesregierung ein Ersatzarbeitsprogramm verbietet oder untersagt oder dafür jedenfalls nichts leistet.
Meine Damen und Herren, reden Sie sich nicht mit dem Markt heraus. Wir haben hier vor drei Jahren eine Stahldebatte gehabt. In dieser Stahldebatte haben wir an den Bundeswirtschaftsminister appelliert, er sollte die Atempause, die die bessere Konjunktur biete, dazu nutzen, für diese Standorte Ersatzarbeitsplatzprogramme zu schaffen. Wir haben dazu Vorschläge entwickelt. Jedem mußte klar sein, daß es nur eine Atempause war. Wir haben Sie beschworen, sie zu nutzen. Wir haben Sie immer wieder aufgefordert, sich endlich mit allen Beteiligten an einen Tisch zu setzen. Wir sagten damals: Wir brauchen ein Konzept für die Stahlindustrie und für die Standorte. Wir nannten das ein nationales Stahlkonzept. Wir hatten die Betriebsräte und die Arbeitsdirektoren hier. Wir haben Ihnen das mehrfach ganz konkret abverlangt. Diese Zeit der guten Konjunktur ist versäumt worden. Es wurde nicht gehandelt, und jetzt stehen Sie vor dem Chaos und reden vom Markt.
Meine Damen und Herren, das Resultat ist klar: Die Bundesregierung nimmt hin, daß in kürzester Frist 200 000 Arbeitsplätze vernichtet werden, ohne dagegen ein Konzept zu haben. Statt etwas für die Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen zu tun, streicht sie in einer halbseidenen Steuerreform sogar noch Finanzmittel, die bisher den strukturschwachen Regionen zur Verfügung gestellt worden sind. Um die Steuerentlastung für Begüterte und Reiche zu finanzieren,
sollen nach Ankündigung des Bundesfinanzministers u. a. die Investitionszulagen im Rahmen der Regionalförderung völlig abgeschafft werden. Das heißt im Klartext: 1,6 Milliarden DM Fördermittel werden im Rahmen dieser Steuerreform gestrichen. Sie haben sich dann, um das ein bißchen zu kaschieren, ent-
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2280 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1987
Rothschlossen, 500 Millionen DM im Rahmen der regionalen Wirtschaftspolitik zuzulegen. Netto bleibt eine Streichung in dieser Phase von 1,1 Milliarde DM für regionale Förderungsmittel übrig. Das ist die Steuerreform gegen die Standorte mit Eisen und Stahl, gegen die Montanregionen und nicht für sie.
Dieser Vorgang liegt ganz auf der Linie der bisherigen Steuer- und Finanzreform der Bundesregierung, die gerade für die strukturschwachen Regionen besondere Probleme aufwirft. Wenn der Oberbürgermeister von Stuttgart, Rommel, sagt, daß diese Steuerreform in den gefährdeten Regionen nie verkraftet werden kann, so ist das eine bittere Wahrheit. Es ehrt den Oberbürgermeister einer der reichsten deutschen Städte, daß wenigstens er ein Stück Solidarität mit den bedrohten Montanstandorten zeigt und sich klar gegen Ihre Steuerreform äußert.
Die SPD wird diesem wirtschaftlichen Zusammenbruch von Regionen nicht zuschauen. Wir werden mit aller Kraft und Entschlossenheit für neue Perspektiven und Hoffnungen in Montanregionen kämpfen.Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat eine Zukunftsinitiative „Montanregionen" in dieser Woche im Kabinett beschlossen, an der sich Bund und Länder beteiligen sollen. Wir wollen diese NRW-Initiative bundesweit ausweiten. Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat einen Vorschlag entwikkelt, der durchaus zum Modell werden könnte.
Meine Damen und Herren, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister sich heute erneut vor den Bundestag gestellt und behauptet hat, die SPD stelle sich gegen notwendige Strukturanpassungen, dann ist das eine ganz bewußte Verdrehung der Tatsachen. Tatsache ist: Die Bundesregierung nimmt den Verlust von Zehntausenden hochmoderner Arbeitsplätze hin, ohne eine Antwort zu haben, welche neuen Arbeitsplätze an diesen Standorten entstehen sollen. Tatsache ist: Diese Bundesregierung nimmt die Vernichtung von fast 40 000 Arbeitsplätzen hin, ohne von der EG auch nur eine Zusage zu künftigen Produktionsquoten zu haben. Dazu hat der Herr Bundeswirtschaftsminister bezeichnenderweise kein Wort gesagt.
Tatsache ist: Wir schließen weitere Anpassungen im Stahlbereich nicht aus. Wir kämpfen jedoch mit aller Entschlossenheit gegen jeden voreiligen politischen Offenbarungseid gegenüber der EG oder im Rahmen der EG-Verhandlungen. Tatsache ist: Wir Sozialdemokraten hätten vor den Zusagen über die Finanzierung von Sozialplänen eine feste Zusage von den großen Stahlkonzernen — von Thyssen, Krupp und den anderen — verlangt, wie sie eigentlich in den nächsten Jahren an den Standorten Oberhausen, Hattingen und Duisburg, um nur diese zu nennen, Ersatzarbeitsplätze anbieten.Es war ja interessant: Am ersten Tag der Stahlrunde wurde vom Bundeswirtschaftsminister eine Zusage der Stahlindustrie angekündigt. Herr Kriwet, der verantwortliche Sprecher der Stahlindustrie, hat am nächsten Tag gesagt, es gebe keinerlei Verbindlichkeit im Hinblick auf Initiativen für Ersatzarbeitsplätze.
Tatsache ist: Die SPD und die Montanländer haben mit der Zukunftsinitiative Montanregionen ein klares Konzept auf den Tisch gelegt, wie neue Ersatzarbeitsplätze in den Krisenregionen geschaffen werden können. Der Ministerpräsident von Nordhrein-Westfalen hat sich in dieser Sache bereits im Sommer an den Bundeskanzler gewandt.
Bisher versucht die Bundesregierung, diese Initiative totzuschweigen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bangemann? — Bitte schön.
Herr Kollege Roth, würden Sie die Freundlichkeit haben, zu präzisieren, wann ich angekündigt haben soll, daß die Stahlindustrie eine verbindliche Zusage zur Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen abgibt? Ich habe nämlich diese Ankündigung nicht gemacht.
Das ist ja noch schlimmer.
Tatsache ist: Ohne die Initiative Montanregionen, d. h. ohne ein massives Ersatzarbeitsplatzprogramm für die im Strukturwandel befindlichen Krisenregionen, saufen nicht nur die Regionen selbst ab. Tatsache ist: Dort gibt es fähige und fleißige Menschen. Diese Montanstandorte sind anders als die Montanstandorte in England. Bisher sind es keine armen Regionen. Dort gibt es Qualifikation, dort gibt es eine Infrastruktur, die vorbildlich ist, dort gibt es auch ein kulturelles Leben, das vorbildlich ist.
Aber dieser Standard kann nicht aufrechterhalten werden, wenn man weiterhin eine derart passive Regionalpolitik betreibt wie diese Bundesregierung.
Soll es wirklich so kommen wie in England oder in einzelnen anderen Regionen in Westeuropa?Meine Damen und Herren, der dauernde Hinweis auf die Länder entbindet Sie doch nicht von der Verantwortung. Wer macht denn die Finanzpolitik? Wer streicht denn die Finanzen der Länder zusammen? Wer beutet denn die großen Städte des Ruhrgebiets durch eine Steuerreform aus? Wer macht das denn?
Im übrigen, meine Damen und Herren, der Verfall dieser Krisenregion müßte auch gesamtwirtschaftliche Folgen haben. Das Ruhrgebiet ist nicht nur Stahlstandort, sondern bezieht aus vielen Regionen der
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RothBundesrepublik Deutschland — bei der Saar ist es nicht anders — Vorleistungen, die dort Arbeitsplätze sichern. Dieser Zusammenhang scheint völlig vergessen zu sein.Meine Damen und Herren, wir fordern Sie auf: Hören Sie — insbesondere Herr Blüm; ich höre, er redet noch —
mit Sonntagsreden auf. Setzen Sie in den nächsten drei Monaten ein umfassendes 2-Milliarden-Initiativprogramm für die Montanstandorte in der Bundesregierung durch. Das ist die Meßlatte, die wir Ihnen hinhalten.
Hören Sie mit falschen Behauptungen über die angebliche Unabwendbarkeit der Vernichtung von Stahlarbeitsplätzen auf. Machen Sie Druck auf die großen Stahlkonzerne, daß sie investieren. Mittel sind z. B. im Thyssen-Konzern vorhanden. Das ist kein ausgebluteter Konzern, der unfähig wäre, etwas zu finanzieren. Aber statt Druck zu machen, versuchen Sie, sich auf einen Markt- und Strukturwandel herauszureden, der die Regionen treffen muß.Meine Bitte, insbesondere an die Kollegen der CDU, lautet: Zeigen Sie in dieser Debatte Solidarität mit den Montanregionen. Nur ein umfassendes Konzept zur Sicherung der Arbeitsplätze dort und zur Neuschaffung von Ersatzarbeitsplätzen kann dort eine Perspektive bieten. Sie werden es nicht schaffen, sich mit dem Hinweis auf die Landesregierung aus der Verantwortung zu stehlen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Sprung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Roth, Ihre Argumentation ist unseriös, und Sie wissen das.
Umstrukturierungsmaßnahmen sind ausschließlich Aufgabe der Unternehmen.
Zur sozialen Flankierung der Umstrukturierungsmaßnahmen hat der Bund seit 1982 erheblich mehr geleistet und wird auch künftig erheblich mehr leisten, als zu Ihren Zeiten je für die Stahlarbeiter geleistet worden ist.
Meine Damen und Herren, Herr Roth behauptet außerdem, daß der Verlust von Arbeitsplätzen hingenommen würde.
Nichts wird hingenommen! Auch für die Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen stellt die Bundesregierung seit Jahren mehr Mittel zur Verfügung, als je zu den Zeiten Ihrer Regierungsverantwortung dafür Mittel bereitgestanden haben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Urbaniak?
Herr Präsident, ich habe nur ganze sieben Minuten Redezeit. Ich möchte deshalb keine Zwischenfragen zulassen.
Wenn mir die Zeit nicht angerechnet wird, bin ich gerne dazu bereit. — Also dann bitte, Herr Urbaniak.
Herr Kollege Sprung, Ihnen ist doch bekannt, daß wir 1981 das Stahlstandorteprogramm hier verabschiedet haben und daß all diese Elemente — Investitions-Struktur-Förderung, Ersatzarbeitsplätze, aber auch soziale Flankierung — dazu geführt haben, daß die Unternehmen wieder in die schwarzen Zahlen gekommen sind. Können Sie nicht zugeben, daß die jetzige Koalition diese Voraussetzungen nicht genutzt hat, um gegen den Subventionskodex in Europa so anzugehen, daß er auch tatsächlich in Ordnung gehalten wird und sich das Unwesen nicht weiter entwickeln kann? Können Sie das zugeben?Dr. Sprung : Herr Urbaniak, noch einmal: Umstrukturierungsmaßnahmen sind Aufgabe der Unternehmen. Was die Maßnahmen anbetrifft: die sind ja seit 1981 verstärkt worden. Auf alles andere, was Sie angesprochen haben, insbesondere den Subventionskodex, werde ich in meinen Ausführungen gleich noch zurückkommen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn die EG-Länder in den Jahren seit 1975 nicht fast 100 Milliarden DM an Subventionen an ihre Stahlindustrien gezahlt hätten, dann bräuchten wir heute nicht die zahlreichen Stahlministerratssitzungen in Brüssel und nicht immer neue Überlegungen darüber, wie wir die durch diese massiven Subventionen geschaffenen Probleme — Überkapazitäten, nicht auskömmliche Preise, kein freier Zugang mehr zu den Märkten — lösen können.
Meine Damen und Herren, um die deutsche Stahlindustrie, die zu den leistungsfähigsten der Welt zählt und die in einem nicht durch Subventionen verzerrten Wettbewerb jederzeit bestehen kann, und ebenso um die in ihr Beschäftigten müßten wir uns keine Sorgen machen.Meine Damen und Herren, die Liste der Maßnahmen, welche die Bundesregierung in den letzten Jahren ergriffen hat, um der deutschen Stahlindustrie Hilfestellung gegen die hoch subventionierte Stahlindustrie der anderen Länder und für den unausweichlichen Anpassungsprozeß zu geben, ist lang: Strukturverbesserungshilfen und Investitionszulagen in den Jahren 1983 bis 1985, Übergangshilfen nach Art. 56 des EGKS-Vertrages, Verbesserung des Wartegeldes und der Umschulungshilfen, Verlängerung des Kurzarbeitergeldes, Stahlforschungsprogramm, Stahl-
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Dr. Sprungstandorteprogramm, mehrfache Verlängerung, Herr Urbaniak,
zuletzt für weitere drei Jahre bis 1990, ein zusätzliches Sonderprogramm über das hinaus, was früher geleistet worden ist, ein Sonderprogramm nach dem sogenannten Gleichbehandlungsgrundsatz der regionalen Wirtschaftsförderung zur Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen.Herr Urbaniak, die wichtigsten Maßnahmen, die ich eben aufgeführt habe, sind erst nach 1982 ergriffen worden.Jüngste Maßnahme ist die Vereinbarung vom 2. Oktober zur sozialen Flankierung im Rahmen der Strukturanpassungsmaßnahmen in der Stahlindustrie in der neuen Stahlrunde in Höhe von 600 Millionen DM, von denen der Bund allein 300 Millionen DM aufbringt.Um es klar und deutlich zu sagen: Wir begrüßen diese Vereinbarung sehr und unterstützen sie nachdrücklich. Wir begrüßen insbesondere auch, daß sie im Einvernehmen mit den unmittelbar Beteiligten, den Stahlunternehmen, der IG Metall und der DAG, zustande gekommen ist. Es geht um das Schicksal von Menschen. Durch die vorgesehene soziale Flankierung wird denjenigen geholfen, die von dem notwendigen Anpassungsprozeß in der Stahlindustrie am stärksten betroffen sind. Hier ist auch staatliche Hilfe Ausfluß der Verantwortung für sie und ihre Familien.Auch für die Schaffung neuer Arbeitsplätze in anderen Wirtschaftszweigen, also für die Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen, ist die Hilfe, die der Bund in Form des verlängerten Standorteprogramms und des Sonderprogramms für die Stahlregionen gewährt und zu der hoffentlich weitere Mittel auf Gemeinschaftsebene hinzukommen werden, eine Maßnahme von erheblichem Gewicht. Hier wird die Bundesregierung ihrer Verantwortung voll gerecht.Meine Damen und Herren, worauf es jetzt ankommt, ist, am 8. Dezember, also auf der nächsten Stahlministerratssitzung in Brüssel, zu weiteren und abschließenden Beschlüssen zu gelangen. Am 8. Dezember müssen Beschlüsse gefaßt werden, die der Stahlindustrie klare Entscheidungsgrundlagen für die Zukunft geben. Es darf nicht noch einmal zu einer Verschiebung kommen. Bis dahin wird auch das Gutachten der drei Weisen vorliegen. Darin wird hoffentlich zu lesen sein — das ist die Aufgabe, die den drei Weisen übertragen worden ist — , an welchen Standorten in der EG der unumgängliche Kapazitätsabbau stattfinden soll. Wir müssen erwarten können und erwarten, daß die Lösungsvorschläge auch den bereits vollzogenen Kapazitätsabbau in den einzelnen Ländern berücksichtigen — rund 4 Millionen Tonnen seit 1985 in der Bundesrepublik — und daß die Rentabilität bzw. die Wirtschaftlichkeit der Produktionsanlagen, daß ihre Leistungsfähigkeit die ausschlaggebende Rolle für die Lösungsvorschläge der drei Weisen spielen wird.Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Quotenfrage sollte die Bundesregierung bei ihrer Haltung bleiben: Kapazitätsabbau nur in Verbindung mit der Fortführung der Quotenregelung. Es ist ein Erfolg der Bundesregierung, daß darüber bereits am 21. September eine grundsätzliche Einigung zustande kam. Wichtig ist auch, daß die Quotenregelung für einen genügend langen Zeitraum weitergeht. Denn nur dann kann ein geordneter Kapazitätsabbau sichergestellt werden.Das Wichtigste aber ist, meine Damen und Herren: Es muß sichergestellt werden, daß mit dem Subventionsunwesen endlich Schluß ist. Sonst wiederholt sich das, was wir vor zwei Jahren erlebt haben und zur Zeit wieder erleben, in wenigen Jahren erneut. Es darf künftig keine Wettbewerbsverzerrung durch Subventionsgewährung, gleichgültig, in welcher Form auch immer, auch nicht über Verlustabdeckungen, mehr geben. Es darf nicht passieren, daß trotz eindeutiger Rechtslage und einstimmiger Ministerratsbeschlüsse die Subventionsschleuse erneut geöffnet wird.Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben begrüßt, daß alle Regierungen nochmals versichert hätten, den Subventionskodex einzuhalten. Sie haben zugleich darauf hingewiesen, daß einige Regierungen angekündigt hätten, möglicherweise über eine Änderung des Kodex zu reden. Ich meine, es genügt nicht, wenn sich die Bundesregierung nur nachdrücklich dafür einsetzt, daß durch eventuelle Änderungen deutsche Interessen nicht geschmälert würden. Sie würden geschmälert werden. Wir haben das in der Vergangenheit ja erlebt.
Herr Abgeordneter — —
Ich habe nur noch drei Sätze zu sagen. Ich hatte eine Verlängerung wegen der Zwischenfrage bekommen.
Die Haltung der Bundesregierung kann nur sein: keine Änderung des Subventionskodex, Verhinderung weiterer Subventionen unter Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Rechtsmittel. Wenn das durchgesetzt wird, wenn die Subventionierung der europäischen Stahlindustrie endlich definitiv aufhört, dann werden auch auf dem europäischen Stahlmarkt wieder marktwirtschaftliche normale Wettbewerbsbedingungen herrschen, dann wird sich die deutsche Stahlindustrie in diesem Wettbewerb gut behaupten können.
Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.
Das Wort hat der Abgeordnete Stratmann.
Liebe Mitbürgerinnen! Liebe Mitbürger! Wir GRÜNEN haben für die heutige Debatte einen Entschließungsantrag mit der Überschrift „Stahlpolitik der Bundesregierung: Staatliche Beihilfen zur Arbeitsplatz- und Standortvernichtung" eingebracht. Das Bundestagspräsidium hielt es für seine Aufgabe, diese kritische Kommentierung der Stahlpolitik der Bundesregierung zu streichen und sozusagen einen völlig neutralistischen Titel ohne Absprache mit den Antragstellern an diese Stelle zu setzen. Herr Prä-
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Stratmannsident, wir halten das für einen unzulässigen und unzumutbaren Eingriff in die politische Autonomie jeder Fraktion und weisen das strikt zurück.
Dann müssen Sie erst einmal wegen der Zuständigkeit einen Blick in die Geschäftsordnung werfen.
Am 2. Oktober tagte die fünfte Bonner Stahlrunde. Nach ihrem Abschluß kommentierte Herr Blüm diese Stahlrunde und sprach von einem — Zitat — „guten Tag für die Stahlarbeiter". Der Kollege Ippers vom Vorstand der IG Metall sprach gar von einem „erfreulichen Tag".Unsere Einschätzung ist: Dieser 2. Oktober war für die Stahlarbeiter und für die Stahlregionen ein schwarzer Freitag. Es ist unbestritten, daß in den Stahlrevieren inklusive Maxhütte ca. 37 000 Arbeitsplätze vom Abbau bedroht sind. Vereinbart wurde am 2. Oktober, daß es keine Massenentlassungen geben wird. Das begrüßen wir und halten wir für selbstverständlich. Es wurde aber ebenfalls mit Zustimmung der IG Metall vereinbart, daß Zehntausende von Arbeitsplätzen in den Stahlrevieren in den nächsten Jahren abgebaut werden
— lesen Sie das doch durch, Herr Meyer —; es ist exakt die gleichartige Vereinbarung, wie sie vor anderthalb Wochen in den Kohlegesprächen getroffen worden ist. Bei diesem Abbau von Arbeitsplätzen wird es auch zu Entlassungen kommen, wie die FDP bestätigt. An dieser Stelle ist die FDP die einzige ehrliche unter den etablierten Fraktionen, weil sie nämlich zwischen „echten" und „unechten" Entlassungen differenziert. Es handelt sich um „unechte" Entlassungen, wenn vorzeitige Pensionierungen vorgenommen werden, wenn Abfindungsbeihilfen für Menschen gegeben werden, die schon in einer Altersstufe sind, in der sie auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar sind.Nehmen wir den geplanten Arbeitsplatzabbau in den Stahlrevieren in der Größenordnung von über 30 000 zusammen mit dem geplanten Arbeitsplatzabbau bei Kohle, so kommen wir in den Kohle- und Stahlrevieren auf einen geplanten Arbeitsplatzabbau von 67 000 Arbeitsplätzen, bei einer durchschnittlichen Arbeitslosenquote im Ruhrgebiet von heute schon 15 % — Jahresdurchschnitt 1986 — , in einigen Großstädten des Ruhrgebiets von etwa 18%, so in Dortmund, Castrop-Rauxel und Duisburg.Wir werden, wenn diese Arbeitsplatzvernichtungsstrategie greift, bis 1995 in einigen Ruhrgebietsgroßstädten Arbeitslosenquoten von 20 % bis 25 % haben. Angesichts dieser Verhältnisse weigert sich die Bundesregierung nach wie vor, ein Programm zur Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen vorzulegen.Herr Sprung, wenn Sie sich hier auf das Stahlstandorteprogramm beziehen, nenne ich Ihnen Zahlen in folgender Größendimension: Seit Inkrafttreten des Stahlstandorteprogramms haben wir im bundesdeutschen Stahlbereich eine Arbeitsplatzvernichtung in der Größenordnung von 50 000 Arbeitsplätzen. Nach optimistischen Schätzungen hat das Stahlstandorteprogramm zur Schaffung von ca. 15 000 Arbeitsplätzen beigetragen. Es bleibt das Defizit einer faktischen Vernichtung von 35 000 Arbeitsplätzen. Daß das so ist, erklärt die Zunahme der strukturellen Arbeitslosigkeit in den Montanrevieren. Wir GRÜNEN sind natürlich für das Stahlstandorteprogramm, für die Verlängerung, auch für die Aufstockung der Mittel; das ist selbstverständlich. Ich will nur sagen: Allein die Fortführung des bisherigen Programms und auch der anderen bekannten Programme in den bisher ausgelegten Dimensionen wird keinen nennenswerten Beitrag zur Verhinderung weiter ansteigender Arbeitslosigkeit leisten.Die Bundesregierung weigert sich konsequent, ein ökologisches und soziales Investitionsprogramm für die Stahlregionen vorzulegen. Sie hat — Herr Kollege Roth hat darauf hingewiesen — mit der Steuerreform einen erheblichen Beitrag zur finanziellen Austrocknung der Montankommunen geplant: z. B. durch die geplante Mittelstreichung in der regionalen Wirtschaftsförderung. Hinzu kommt das vorgesehene Auslaufen des Kohleheizkraftwerks- und Fernwärmeausbauprogramms, eines Programms für den Energiesparbereich, was gerade in den Montanrevieren erstens ökologisch notwendig ist und zweitens Arbeitsplätze schafft. Alles das streichen Sie. Damit planen Sie — kalkuliert und eiskalt — den sozialen und den finanziellen Ruin der Montanreviere.
Die Bundesregierung verfolgt diese Politik strikt nach der Devise: Privatisierung der Gewinne, aber Sozialisierung der Verluste. Wenn aus den Stahlbelegschaften in Form von Petitionen an die Bundesregierung die Forderung nach Vergesellschaftung der Stahlunternehmen kommt, ist die Bundesregierung immer mit dem ideologischen Schlaghammer dabei und sagt: Alles Quatsch. — Diese Forderungen werden als Verstaatlichung diffamiert, und dann wird natürlich mit Recht auf die bankrotten verstaatlichten Stahlunternehmen in anderen Ländern hingewiesen. Wenn es aber darum geht, die Stahlmuttergesellschaften mit ihren hohen Gewinnen zu unterstützen, ist die Bundesregierung sofort dabei, Verluste zu übernehmen, z. B. durch staatliche Beihilfen für die Sozialplankosten.Wir verlangen, daß die Forderung aus den Stahlbelegschaften nach Vergesellschaftung der Stahlunternehmen, um den Stahlbelegschaften eine entscheidende Kontrolle über ihre eigene Zukunft zu geben, praktisches Gewicht auch in der tatsächlichen Politik gewinnt.Herr Blüm hat nach dem schwarzen Freitag am 2. Oktober gesagt, ein Grund dafür, daß die Bundesregierung keine Garantie für die Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen übernehmen könne, sei — wörtliches Zitat aus dem „Handelsblatt" : „Wir haben keine Planwirtschaft". Gucken wir uns aber das EG -Krisenmanagement an, dann stellen wir fest, daß EG-Kommissar Narjes dafür gesorgt hat, daß wir drei EG-
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StratmannStahlmoderatoren haben, deren Aufgabe es ist, planwirtschaftlich, höchstzentralistisch festzulegen, wo und wie viele Arbeitsplätze abgebaut werden. Gukken wir uns noch die Personen an, dann stellen wir fest: zwei von dreien sind Vertreter des Bankenkapitals, die natürlich ganz deutliche Interessen haben. Wir kennen doch den Herrn Herrhausen, Deutsche Bank, von den drei bundesdeutschen Stahlmoderatoren und wissen, mit welcher Kahlschlagmentalität und welcher Gewinnmaximierungsmentalität man an Arbeitsplatzvernichtungsstrategien herangeht. Dasselbe planwirtschaftliche Modell im Interesse des Kapitals, insbesondere des Bankenkapitals, vollzieht sich derzeit auf EG-Ebene. Man praktiziert Planwirtschaft im Interesse des Kapitals.Der dritte EG-Stahlmoderator ist übrigens ein Vertreter der italienischen Atomenergiewirtschaft, von dem wir auch nichts Nennenswertes zur Arbeitsplatzsicherung erwarten können.
Man praktiziert Planwirtschaft im Interesse des Bankenkapitals und lehnt eine geplante, eine geordnete Überwindung der Stahlkrise in den Montanregionen ab.Wir haben sieben Forderungen im einzelnen, um einen Beitrag zur Überwindung der Stahlkrise in den Montanregionen zu leisten.Erstens. Die Hauptverantwortung für die derzeitige Stahlkrise liegt bei den Stahlunternehmen selbst, die in den 70er Jahren bis Anfang der 80er Jahre die Stahlüberkapazitäten, die technischen Überkapazitäten in Erwartung höherer Gewinne und erweiterter Produktion aufgebaut haben. Wir verlangen, daß die Stahlmuttergesellschaften mit ihrer prächtigen Gewinnlage an erster Stelle zur Kasse gebeten werden, und zwar gezwungen werden, erhebliche finanzielle Beiträge zur Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen in den Krisenregionen bereitzustellen.Zweitens. Wie kann man sie dazu zwingen? Dadurch, daß staatliche Beihilfen zur Überwindung der Krise — wir fordern staatliche Beihilfen zur Überwindung der Krise — an Auflagen und Zweckbestimmungen gebunden werden, vor allem an die Auflage, daß diese Beihilfen nicht zur Arbeitsplatzvernichtung, sondern zur Arbeitsplatzschaffung und Arbeitsplatzerhaltung genutzt werden.Drittens. Es ist unbestritten, daß wir auf Dauer Arbeitsplätze in den Montanregionen nur durch die Bereitschaft zu einem grundlegenden Strukturwandel sichern können. Wir GRÜNEN sagen dazu: durch die forcierte Bereitschaft zu einem grundlegenden ökologischen und sozialen Umbau. Das war bei uns nie anders. Wenn wir sagen, daß wir Arbeitsplatzerhaltung nicht in der Weise wollen, daß wir auf Dauer strukturkonservativ an die Sache herangehen, so geschieht das, weil wir wissen, daß wir Arbeitsplätze nur durch eine forcierte Bereitschaft zum ökologischen und sozialen Umbau erhalten können.
Deswegen sind sowohl die Finanzmittel der Stahlmuttergesellschaften als auch der verschiedenen staatlichen Ebenen auf das Ziel eines geordneten, Herr Blüm, eines geplanten ökologischen und sozialen Umbaus hin zu konzentrieren.Viertens. Damit auch die Stahlkonzerne einen nennenswerten Beitrag zu diesem ökologischen und sozialen Umbau mit der Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen leisten, ist es notwendig, die Forderung der IG Metall nach Einrichtung von konzerninternen Beschäftigungsgesellschaften in die Tat umzusetzen. Wie kann man das machen? Ebenfalls wieder dadurch, daß staatliche Beihilfen an die Auflage gebunden werden, daß konzerninterne Beschäftigungsgesellschaften geschaffen werden, deren finanzielle Ausstattung so hoch sein muß, daß in dem Umfang Ersatzarbeitsplätze in den Muttergesellschaften und in den Krisenregionen geschaffen werden können, wie auf der anderen Seite ein Arbeitsplatzabbau geplant wird.Fünftens. Die paritätische Montan-Mitbestimmung in den Beschäftigungsgesellschaften muß zur Überparität ausgedehnt werden, so daß diese Beschäftigungsgesellschaften auch der Einstieg in die Vergesellschaftung der Stahlunternehmen sind, wie es ebenfalls in den Petitionen von mehreren Stahlbelegschaften an die Bundesregierung gefordert wird.Sechstens. Die Investitionskraft der Gemeinden, um den ökologischen Umbau auch auf der kommunalen Ebene tatsächlich bewerkstelligen zu können, muß gestärkt werden, statt, wie die Bundesregierung es macht, die Gemeinden finanziell von ihrer Investitionskraft her auszutrocknen.Siebtens. Herr Bangemann, es ist völlig unbestritten, daß eine rein nationale Stahlpolitik das Problem nicht angemessen anfassen kann. Nur ist es ebenfalls falsch, die Hauptverantwortung für die Krise in der bundesdeutschen Stahlindustrie auf der EG-Ebene zu suchen. Zwar ist es richtig, daß in den anderen EG-Partnerländern unverhältnismäßig mehr Subventionen an die Stahlindustrie gezahlt werden als bei uns. Dennoch ist es so, daß in den letzten Jahren trotz dieser Subventionspraxis der bundesdeutsche Anteil an der EG-Stahlproduktion konstant geblieben ist. Es schwankt immer um 31, 32 oder 33 % , d. h. zu den hier immer proklamierten großartigen Wettbewerbsverzerrungen ist es faktisch nicht gekommen.Weiterhin: Trotz der EG-Subventionen ist die Arbeitsplatzvernichtung in Belgien, in Frankreich, in Großbritannien im Stahlbereich noch erheblicher gewesen. Ich möchte den sehen — Herr Hoffmann wird dazu Stellung nehmen —, der staatliche Beihilfen und Subventionen zur Umstrukturierung der saarländischen Stahlindustrie fordert, aber dagegen ist, wenn das im Ausland passiert. Das halten wir für international unsolidarisch. Wir fordern solche staatlichen Beihilfen bei uns und auch in anderen EG-Staaten, allerdings nicht zur Arbeitsplatzvernichtung, sondern zur Arbeitsplatzsicherung.
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Stratmann— Ich habe gerade sieben Punkte für ein Konzept genannt. Ich weiß nicht, Herr Stahl, ob Sie das kapieren können.Ich möchte mich in meinen noch verbliebenen zwei Minuten Redezeit mit dem Konzept der Sozialdemokraten in NRW „Zukunftsinitiative Montanregionen" auseinandersetzen. Wir begrüßen eine solche Zukunftsinitiative. Was wir als ökologisches und soziales Umbauprogramm vorschlagen, geht in die gleiche Richtung, ist aber sowohl in qualitativer als auch in finanzieller Hinsicht weitreichender. Ich will es Ihnen darstellen.Erstens. Die Landesregierung NRW hat im Jahre 1988 und in den folgenden Jahren lediglich 180 Millionen DM im Landeshaushalt für diese Initiative bereitgestellt. Was man 180 Millionen DM angesichts der zu erwartenden Vernichtungen von 67 000 Arbeitsplätzen anfangen kann, wissen Sie selbst. Das sind Krümel. An der Haushaltspolitik bemesse ich die Ernsthaftigkeit des politischen Willens. Das finde ich nicht besonders ernsthaft.Zweitens. Wir kennen alle noch das Aktionsprogramm Ruhr der Landesregierung für die Jahre 1979 bis 1984 — Kostenrahmen 7 Milliarden DM —, was nichts anderes war als eine Bündelung längst vorhandener Programme in einer neuen Broschüre mit einer neuen Überschrift. Es gab kein neues innovatives Element. Trotz dieser Glanzbroschüre ohne Innovationskraft ist der weitere soziale und wirtschaftliche Abstieg des Ruhrgebiets nicht aufgehalten worden. Das heißt, die Zukunftsinitiative Montanregionen ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wir suchen dabei auch mit Ihnen Übereinstimmung.
Nur müssen wir aus diesem Aktionsprogramm Ruhr lernen und wesentlich tiefer greifende Maßnahmen zur Investitionsförderung ergreifen.Vielleicht darf ich in einem Satz noch einen letzten Punkt ansprechen, weil meine Redezeit leider zu Ende ist. Ich will mich jetzt angesichts der knappen Zeit nicht damit aufhalten, darzustellen, welche Förderinstrumente finanziell aufgestockt werden müßten: Gemeinschaftsaufgabe, Stahlstandorteprogramm. Ich möchte ein institutionelles, sozusagen ein strukturelles Instrument nennen. Wir haben in den Montanregionen einen öffentlichen Sektor, den wir koordinieren wollen, damit dort koordiniert eine kommunale und regionale Strukturplanung und Investitionsplanung erfolgen kann. Zu diesem Sektor gehören die kommunal kontrollierbaren Sparkassen, der öffentliche Personennahverkehr, die Energieversorgungsunternehmen. Dazu gehören die Universitäten, die dankenswerterweise in den letzten zwanzig Jahren sehr ausgebaut worden sind. Wenn wir dieses Instrumentarium nutzen und koordiniert einsetzen, um das gesamte wissenschaftlich-technische Knowhow einzusetzen, um die Finanzkraft einzusetzen, uns dies also gezielt für den ökologischen und sozialen Umbau zunutze machen, werden wir einen erheblichen Beitrag dazu leisten, um Arbeitsplätze zu sichern, nicht strukturkonservativ, sondern auch durch ein forciertes Herangehen an den Strukturwandel, an den ökologischen und sozialen Umbau.Danke schön.
Die Länge Ihres letzten Satzes war umgekehrt proportional zu Ihrer Ankündigung hinsichtlich der Länge.
Jetzt hat der Herr Abgeordnete Beckmann das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die FDP-Fraktion unterstützt die einstimmig gefaßten Beschlüsse der Länderwirtschaftsminister: erstens Verlängerung des bestehenden Quotensystems für einen überschaubaren Zeitraum, zweitens angemessener Abbau von Kapazitäten und drittens soziale Flankierung der unausweichlichen Arbeitsplatzverluste durch Bund und Land, um Massenarbeitslosigkeit zu verhindern. Dies ist genau die Politik der FDP im Stahlbereich seit vielen Jahren. Viele überflüssige Diskussionen wären uns erspart geblieben, wenn auch andere politische Kräfte in diesem Lande auf unsere Linie eingeschwenkt wären.Ich habe kein Verständnis dafür, daß sich die SPD-Fraktion mit ihrem heutigen Antrag offensichtlich aus dieser Gemeinsamkeit der Länder durch neue Forderungen herausstehlen will.
Soll jetzt wieder der fruchtlose Streit darüber entbrennen, ob überhaupt Stahlkapazitäten abgebaut werden müssen und ob mit Aufstellung eines Subventionskodex in der EG, dessen strikte Einhaltung die Kommission überwacht, der richtige Weg beschritten ist?Die soziale Anpassung im Stahlbereich ist auch aus der Sicht der FDP notwendig und wichtig. Das ist ein guter Weg, der jetzt mit der Vereinbarung beschritten worden ist.Ich verstehe die Kritik, die der Kollege Roth hier zwar wortgewaltig, aber in der Sache falsch vorgetragen hat, überhaupt nicht. Ich erinnere mich sehr gut daran, Herr Kollege Roth, daß am Tage dieser Vereinbarung der Oberbürgermeister einer der Städte, die von der Stahlkrise am meisten betroffen worden sind, nämlich Oberbürgermeister Krings aus Duisburg, in einem Rundfunkinterview die Vereinbarungen wie folgt qualifiziert hat. Er hat gesagt: Dies ist ein glücklicher Tag in meinem Leben. — Er hat verstanden, daß wir den Menschen, den betroffenen Stahlarbeitern und ihren Familien, und den betroffenen Regionen helfen wollten.
Wenn das so ist, wenn die Leute in den Stahlrevieren es so begreifen und es auch angeblich ein Anliegen der Landesregierung Nordrhein-Westfalens ist,
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Beckmannden Stahlarbeitern zu helfen, dann frage ich mich im übrigen: Wo ist denn die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen an diesem Morgen? Wo ist der zuständige Ministerpräsident Rau? Wo ist der zuständige Wirtschaftsminister Jochimsen? Ich sehe sie hier nicht; sie zeigen Desinteresse; das ist die Wirklichkeit, vor der wir hier stehen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Weiermann?
Nein, vielen Dank.
Im übrigen, Herr Kollege Roth, ist es nicht der Bund, der die Revierländer ausbluten läßt; es ist das Land Nordrhein-Westfalen. Das werde ich Ihnen jetzt an Hand einiger Zahlen deutlich machen.
— Ich verstehe, Herr Kollege Vogel, warum Sie sich aufregen. Sie können die Wahrheit nicht vertragen.
Dennoch werde ich sie jetzt hier vortragen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will Ihnen einmal klarmachen, in welcher Form und in welcher Größenordnung das Land Nordrhein-Westfalen die Gemeinden, insbesondere die Städte des Ruhrgebietes, in den letzten Jahren hat ausbluten lassen. Die Mittel aus dem Steuerverbund — das sind die Mittel, die von der Landesregierung an die Gemeinden gezahlt werden müssen — sind von 1982 bis 1988 von 28,5 % auf 23 % gekürzt worden.
Das macht in der Summe 12,8 Milliarden DM aus. Das ist das Geld, das den Gemeinden vorenthalten wird. Deswegen geht es ihnen so schlecht. Aber das ist es nicht allein. Es kommen auch die Mittel aus dem Kraftfahrzeugsteuerverbund hinzu. Auch diese Mittel in Höhe von 1,8 Milliarden DM werden den Städten und Gemeinden dieses Landes seitens der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen vorenthalten. Das ist eine SPD-Landesregierung. Nun stellen Sie sich hier nicht so scheinheilig hin und beschimpfen die Bundesregierung, Herr Roth!
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schreiner?
Nein, der Kollege Schreiner hat ja gleich noch die Möglichkeit, selbst zu sprechen.
Habe ich Sie recht verstanden, daß Sie während Ihrer ganzen Rede keine Zwischenfragen erlauben?
Ja, ich lasse keine Zwischenfragen zu. Vielen Dank.Meine Damen und Herren, ich habe den Kollegen Roth hier so verstanden, daß er die SPD-Fraktion hier mehr als Vollstrecker der Strategie des Kabinetts Rau betrachtet, von den eigenen Schwierigkeiten abzulenken und den Schwarzen Peter, so wie es ja in Düsseldorf konzipiert worden ist, nach Bonn zu schieben, nur um von der Unfähigkeit der nordrhein-westfälischen Landesregierung unter Herrn Rau abzulenken.
Ich habe kein Verständnis dafür — —
— Daß Sie sich getroffen fühlen, merkt man allerdings.Nun, meine Damen und Herren, nicht nur Nordrhein-Westfalen leidet in seinem wirtschaftlichen Kern, im Ruhrgebiet, an dem verschleppten und verzögerten Strukturwandel.
Kohle und Stahl haben Struktur und äußeres Erscheinungsbild des Ruhrgebiets seit vielen Jahrzehnten geprägt. Gleiches gilt für das Saarland und mit gewissen Einschränkungen auch für andere Stahlregionen. Die Hypothek überalterter Strukturen und das Versäumnis, rechtzeitig neue Arbeitsplätze anzuwerben, haben dazu geführt, daß diese Regionen in ihrer Wirtschaftskraft ausbluten. Schon jetzt wandern viele qualifizierte Arbeitskräfte aus den Stahlregionen ab. Dieser Trend muß gebremst und umgekehrt werden. Deshalb wollen wir alle Anstrengungen auf die Wiederbelebung dieser Regionen richten. Wir setzen uns offensiv für die Bewältigung des Strukturwandels und damit für die Zukunft der Menschen in den Stahlrevieren ein.
Gerade das Ruhrgebiet mit seiner vorzüglichen Infrastruktur bietet hierfür beste Voraussetzungen. Ich glaube, daß wir, auf Dauer gesehen, auch dort wieder eine gute wirtschaftliche Zukunft erreichen können. Die qualifizierte und arbeitsame Bevölkerung hat neue Zukunftschancen und Zukunftsperspektiven verdient.
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Beckmann— Ja, wir brauchen eine Bündelung aller Kräfte, die auf dieses Ziel gerichtet werden muß.
Wir brauchen nicht den Konservativismus der nordrhein-westfälischen Landesregierung. Wir brauchen Dynamik, wir brauchen Innovation, um das Ruder in den Stahlregionen herumzureißen.
Ihr ständiger Pessimismus, Ihre Klagen und Anklagen sowie Ihre politischen Wunschträumereien helfen den Menschen dort nicht weiter.
Darf ich noch einmal um etwas mehr Ruhe und um Aufmerksamkeit für den Redner bitten!
Herr Kollege, nehmen Sie einmal Abschied vom Leitbild der Montanindustrie der 50er und 60er Jahre. Das mag für Sie zwar schmerzhaft sein, aber man darf diesen Abschied doch nicht weiter hinauszögern. Kohle und Stahl sind nicht mehr die Schlüsselindustrien in unserer Republik, von denen allein der wirtschaftliche Erfolg abhängig wäre.
Das darf auch nicht sein.
Wenn das hohe Lohnniveau gerade in den Stahlregionen seine Rechtfertigung behalten soll, muß der technische Fortschritt ohne nostalgisches Zaudern vorangetrieben und in neue Arbeitsplätze umgesetzt werden.
Deswegen wird es auch den Gewerkschaften nicht erspart bleiben, gründlich umzudenken. Wer Arbeitsplätze wettbewerbsfähig erhalten und zu ihrer Neuschaffung ermutigen will, darf seine Forderungen nicht voll ausreizen.
Meine Damen und Herren, ein Wort noch zu den Gemeinden: Einerseits hat die Landesregierung sie in den letzten Jahren aushungern lassen; andererseits sind sie in den betroffenen Regionen besonders gefordert. Ohne ein Klima, das Aufgeschlossenheit für unternehmerische Risiken, neue Technologien und anspruchsvolle Produkte signalisiert, ist eine Revitalisierung dieser Regionen auf Dauer nicht denkbar. Falsche Signale allerdings setzt, wer dort Gemeindesteuern, Gebühren und Beiträge ständig erhöht und so an einer Kostenschraube ohne Ende dreht.
So geschieht es z. B. in den Städten und Gemeinden des Ruhrgebiets.
Diese sind von der SPD regiert. Ausgabendisziplin
und Beschränkung der öffentlichen Abgabelasten
dürfen auch an diesen Rathaustüren nicht haltmachen.
Ich bin davon überzeugt, daß wir mit den Maßnahmen zur sozialen Flankierung und zur Vermeidung von Massenarbeitslosigkeit das Richtige getan haben, um den Anpassungsprozeß in der deutschen Stahlindustrie sozial auszugestalten und damit erst möglich zu machen. Jetzt ist es unsere Aufgabe, den Erhalt unserer Wettbewerbsfähigkeit nicht aus den Augen zu lassen. Meine Damen und Herren, ich glaube, daß die Bundesregierung, daß die Koalition mit ihrer Politik in diesem Bereich den richtigen Weg beschritten hat. Wir werden auf ihm weiter fortgehen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Strukturwandel ist keine Neuigkeit des Jahres 1987. Der Verlust von Arbeitsplätzen in der Stahlindustrie ist auch kein neues Ereignis des Jahres 1987. Seit 1974 verlor die deutsche Stahlindustrie rund 90 000 Arbeitsplätze, zwei Drittel davon vor 1982.
Es ist auch kein Ereignis, das nur die Bundesrepublik betrifft. Der Arbeitsplatzabbau hier betrug 40 %. Die Briten haben 70 To ihrer Stahlarbeitsplätze abgebaut.
Belgier und Franzosen haben 50 % ihrer Stahlarbeitsplätze abgebaut. Auch heute gilt der Satz: Strukturwandel ja, Strukturbruch nein.Ich verstehe die Soziale Marktwirtschaft so, daß sie den Wandel ermöglichen soll. Modernisierung ist unsere einzige Erfolgschance. Aber dieser Strukturwandel muß sozial bewältigt werden. Schließlich verbergen sich hinter den Zahlen, die ich genannt habe, menschliche Schicksale, Schicksale von Familien, auch die Schicksale ganzer Regionen, nicht nur der Stahlarbeiter, sondern auch des Mittelstandes in solchen Regionen. Deshalb muß der Strukturwandel von der Anstrengung begleitet werden, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Das ist die erste Aufgabe. Arbeitsplätze schaffen in unserer Wirtschaftsordnung die Unternehmen. Das ist auch der Erfolg unserer Wirtschaftsordnung, eine Bedingung des Wohlstandes, der den Wohlstand jeder Planwirtschaft, Herr Stratmann, ausweislich der Erfahrung übertrifft.Freilich, auch der Staat hat Pflichten. Er hat Rahmenbedingungen zu schaffen. Wenn ich von der öffentlichen Hand rede, meine ich nicht nur die Bundesregierung, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Opposition, sondern auch die Landesregierung, und an erster Stelle nenne ich Nordrhein-Westfalen.
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2288 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1987
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann?
Bitte, Herr Stratmann.
Bitte schön.
Herr Blüm, wie soll ich es verstehen, daß, wenn Sie wörtlich sagen: In unserer Wirtschaftsordnung schaffen die Unternehmen Arbeitsplätze, seit 1975 in der Montanregion — insbesondere im Ruhrgebiet — bei Kohle und Stahl von der Größenordnung her mehr Arbeitsplätze abgebaut worden sind, als zusätzlich Ersatzarbeitsplätze geschaffen wurden, und ist es nicht so, daß sich nach allen erkennbaren Trends und auch nach der von der Bundesregierung proklamierten Politik in der Zukunft nichts an diesem Mißverhältnis zwischen Arbeitsplatzvernichtung einerseits und der Schaffung einer wesentlich geringeren Zahl von Ersatzarbeitsplätzen andererseits ändern wird?
Vielleicht liegt es daran, daß die Regierung des großen Industrielandes Nordrhein-Westfalen mit einer großen Tradition und mit einer gut ausgebildeten Arbeitnehmerschaft die Modernisierung verschlafen hat.
Es wird ja wohl niemand behaupten, daß die Arbeitnehmer in Baden-Württemberg oder Bayern fleißiger wären als die Arbeitnehmer in Nordrhein-Westfalen. Da muß ich die nordrhein-westfälischen Arbeitnehmer schützen. Der Unterschied besteht darin, daß jene eine bessere Regierung haben.
Ich will die Arbeitnehmer von Nordrhein-Westfalen ausdrücklich in Schutz nehmen.
Herr Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Menzel?
Bitte schön.
Herr Minister, ist Ihnen denn nicht klar, daß die besonderen Probleme in den Stahlregionen in der ganzen Welt darin bestehen, daß es in den sogenannten Schornsteinregionen arbeitsintensive Unternehmen oder Branchen gibt, bei deren Niedergang Arbeitskräfte freigesetzt werden, für die nicht so schnell Arbeitsplätze von kapitalintensiven Branchen geschaffen werden können? Ist Ihnen das Problem nicht bewußt?
Doch, das Problem ist mir sehr bewußt.
Deshalb muß auch jenen Regionen der alten Schornsteinindustrien, die schließlich einmal die Industrialisierung vorwärtsgetrieben haben, geholfen werden. In der Tat, denen muß geholfen werden, aber doch nicht nur von Bonn, sondern auch von der Landesregierung. Was bietet denn die nordrhein-westfälische Landesregierung
nachweislich des Papiers der Staatskanzlei? Das werde ich Ihnen immer wieder vorlesen: „Die Proteste müssen nach Bonn gelenkt weden. " Das ist doch die einzige Antwort, die Nordrhein-Westfalen auf die Misere gegeben hat: Ablenkung.
— Wissen Sie, wir wollen jetzt über die Stahlarbeitnehmer, über ihr Schicksal reden. Ich will ihnen versichern: Die Bundesregierung wird so wie in der Vergangenheit an ihrer Seite sein. 2,6 Milliarden DM haben wir zwischen 1983 und 1985 an Stahlinvestitionshilfen, Strukturverbesserungen gezahlt. Herr Vogel, keine Bundesregierung — wenn Sie mir Ihre Aufmerksamkeit schenken, verehrter Herr Oppositionsführer — —
Noch einmal ganz langsam
— nein, zum Mitschreiben — : 2,6 Milliarden DM seit 1983 aus den Kassen der Bundesregierung für die Stahlindustrie.
Hier sitzt der Kollege Urbaniak. Er wird sich sicherlich mit mir daran erinnern, daß wir beispielsweise die Durchlaufglühe bei Hoesch in Dortmund mitfinanziert haben.
— Die Schmidt-Regierung hat viel beschlossen. Wir haben es gemacht. Das ist der Unterschied zwischen beschließen und machen. Ich danke Ihnen für dieses Kontrastprogramm
Nein, ich bleibe dabei: Die Unternehmen haben die Hauptverantwortung. Der Staat muß jenen Regionen, die es schwer haben, helfen. Sicherlich. Das tun wir.Und als zweites kommt die soziale Flankierung. Auch das halte ich für eine wichtige Aufgabe der Sozialen Marktwirtschaft.Statt sich jetzt mit uns darüber zu freuen, daß es uns gelungen ist, Herr Roth — was Sie ja nicht geglaubt haben; soll ich Ihnen jetzt Ihre Presseerklärung vom Juni noch einmal vorlegen? — , einen Konsens zustande zu bringen zwischen Wirtschaftsvereinigung, IG Metall und Bundesregierung, statt sich über diesen Erfolg — das ist nämlich ein Erfolg für die Stahlarbeitnehmer — zu freuen, machen Sie diesen Erfolg in einer Sprache madig, über die Sie, Herr Roth, sich
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1987 2289
Bundesminister Dr. Blümnoch einmal Überlegungen machen sollten. Sozialpläne nennen Sie Beerdigungskosten.
Um die Sozialpläne haben die Arbeitnehmer in Hat-tingen gezittert. Das nennen Sie Beerdigungskosten. Wollen Sie sich nicht noch einmal die zynische Sprache überlegen? Wollen Sie sich nicht noch einmal überlegen, daß die IG Metall zusammen mit uns, mit den Stahlunternehmen um soziale Flankierung gekämpft hat? Diesen Erfolg wollen Sie in einer so zynischen Sprache ungeschehen machen?Da verlasse ich mich auf die Arbeitnehmer, da verlasse ich mich auf deren gesunden Menschenverstand. Die wissen: Die Bundesregierung hat Wort gehalten. Sie hat ihnen geholfen, zusammen mit der IG Metall und der Wirtschaftsvereinigung.
Herr Minister, gestatten Sie ein Zwischenfrage des Abgeordneten Weiermann?
Aber bitte.
Sehr geehrter Herr Bundesminister, haben Sie nicht zur Kenntnis genommen, daß der Vorsitzende der Wirtschaftsvereinigung Eisen und Stahl am Tage nach dieser Stahlrunde in Bonn öffentlich erklärt hat, daß es nur dann zur Vorbereitung der Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen kommt und nur dann eine volle Übernahme hinsichtlich des Vorhabens erfolgt, auch Sozialpläne ins Leben zu rufen, wenn am 8. Dezember 1987 in Brüssel das Quotensystem weiter aufrechterhalten wird? Hier ist eine deutliche Einschränkung und noch keine eindeutige Zusage, auch so zu verfahren.
An dieser Stelle möchte ich meinem Kollegen Bangemann ausdrücklich danken, daß er im September die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, daß jetzt nicht das Chaos eintritt, sondern ein geordneter Übergang in die Marktwirtschaft.
— Was wahr ist, muß doch wahr bleiben. Hätten Sie gewünscht, daß im September alles zusammenbricht? Da sind wir doch hoffentlich einer Meinung.
— Ja, in der Tat. Das sollten Sie mitmachen: daß wir die Quotenregelung im Dezember auch abschließen.
Weil gesagt wird „ein Herz und eine Seele" : In das Herz werden selbst Sie eingeschlossen. Ja, selbst Sie werden zugunsten der Arbeitnehmer darin eingeschlossen, wenn Sie wollen.
Jetzt lassen Sie mich aber doch noch einmal zum Sozialplan zurückkommen. Ist es sozial — fragt heute der Kollege Roth — , 50jährige in den Ruhestand zu schicken? Habe ich hier einen falschen Text? Dr. Vogel und Fraktion — das ist doch die Fraktion, der der Kollege Roth angehört. In dem Antrag steht: Die Übergangsbeihilfen sollen bereits nach Vollendung des 50. Lebensjahres gezahlt werden.
Also hier stellen Sie sich hin, attackieren uns, daß 50jährige in den Ruhestand gehen können, und anschließend verlangen Sie vom Bundestag, das zu beschließen, was Sie uns gerade vorgeworfen haben. Geht es eigentlich noch konfuser?
Kann man eigentlich noch konfuser Politik machen?
— Herr Kollege Roth, vielleicht können Sie das in Ihre Frage gleich einbauen: Sie haben gesagt „ 1 Milliarde DM" und das offenbar in Frage gestellt. Hätten Sie vielleicht noch die Geduld, daß ich Ihnen die Liste vorlese, wieso 1 Milliarde DM? Das war nämlich eine Untertreibung. Es sind noch mehr.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Roth?
Wenn der Kollege so fortfahren will, ich bin immer zuvorkommend. Bitte.
Ich bedanke mich für Ihre Zuvorkommenheit. —
Herr Bundesminister, würden Sie es in der Tat als eine soziale Maßnahme bezeichnen, Menschen — unabhängig davon, ob sie das wollen oder nicht — mit 50 Jahren für den Rest ihres Lebens in die Nichtarbeit zu schicken? Das kann doch — Herr Minister, würden Sie mir da nicht zustimmen? — höchstens eine Notmaßnahme sein; zu der stehe ich allerdings.
Also können Sie keinen Vorwurf gegen uns richten, wenn Sie dieselbe Notmaßnahme in Ihrem Antrag enthalten haben.
Was soll eigentlich die Polemik gegen uns, wenn Sie dieselbe Notmaßnahme in Ihrem Antrag vorlegen?!
— Nein, das ist kein Verfolgungswahn. Bleiben Sie doch dabei: Sie haben uns hier wegen vorzeitiger Pensionierung attackiert.
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2290 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1987
Bundesminister Dr. BlümUnd ich wiederhole: Dasselbe legen Sie in Ihrem Antrag vor. — Ich bin überhaupt nicht wehleidig. Ich bin nur für Klarheit.
Ich will die Konfusion auf Ihrer Seite vor der Öffentlichkeit bloßstellen. —
Aber die Zusammensetzung der 1 Milliarde DM will ich jetzt auch noch vorlesen. Also, der Kollege Roth hat gesagt: nur Worte. Jetzt frage ich Sie: Sind das nur Worte? Montanunionshilfen bis 1991: 1 Milliarde DM; nochmalige Aufstockung der Mehrleistungen um 219 Millionen DM, ergibt 1,2 Milliarden DM; Leistungsverbesserungen — bereits durchgeführt, nicht angekündigt — mit Verlängerung des Kurzarbeitergeldes für die Stahlarbeiter: noch einmal 100 Millionen DM. Sie sehen, wenn ich gesagt habe: 1 Milliarde DM mehr, dann war das eher untertrieben als übertrieben. Wollen Sie das als „Worte" bezeichnen? Jetzt appelliere ich an meine Kollegen Betriebsräte bei Mannesmann, bei Thyssen, bei Hoesch; die wissen, daß wir ihnen geholfen haben. Die lassen sich durch diese Polemik nicht von ihrer Erfahrung abbringen, daß die Bundesregierung diese Stahlarbeitnehmer nicht im Stich gelassen hat.
Sollen sich doch einmal die Kollegen von Hoesch, Thyssen, Mannesmann melden und sagen, ob wir ihnen geholfen haben oder ob wir sie im Stich gelassen haben.
— Ja, wissen Sie — ich will es noch einmal sagen —, was die nordrhein-westfälische Landesregierung über Monate gesagt hat? Keine Beteiligung an Sozialplänen. Nur dadurch, daß die Bundesregierung vorangegangen ist, ist es uns überhaupt gelungen, zu erreichen, daß Nordrhein-Westfalen seine Sozialplanblokkade aufgegeben hat. Das ist der Erfolg dieser Bundesregierung.
Stahl ist kein nur nordrhein-westfälisches Thema. Ich will in unsere Sorge die Kollegen der Oberpfalz, der Saar, Bremens, der Georgsmarienhütte, aus Peine/Salzgitter und Osnabrück ausdrücklich einschließen.Ich will in meinem Beitrag — hier stimmen wir überein — auch nachdrücklich an die Unternehmen, an die Unternehmer appellieren, sich ihrer sozialen Verantwortung bewußt zu sein. Den Stahlbetrieben — das stimmt — geht es nicht gut, aber den Stahlkonzernen geht es nicht schlecht. Und auch das ist soziale Verantwortung: sich dann auch für die notleidenden Töchter dieser großen Stahlfamilie einzusetzen. Auch das ist ein Stück unternehmerischer Solidarität. Ich bleibe bei meinem Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft, zu unternehmerischer Verantwortung; keine Planwirtschaft kann sie ersetzen.Und, Herr Kollege Stratmann, da scheinen Sie etwas verwechselt zu haben: Die Moderatoren sollen den Unternehmen nicht die Entscheidung abnehmen, sondern sollen Vorschläge machen; die unternehmerische Verantwortung bleibt.
Und wenn Sie fragen, wessen Opfer die deutschen Stahlkocher in erster Linie sind, dann ist die Antwort, daß sie das Opfer jener planwirtschaftlichen Staatsunternehmen in Europa sind, die sich dem Anpassungsprozeß auf Knochen der deutschen Stahlkocher entzogen haben.
Die deutschen Stahlkocher sind nicht zuletzt das Opfer planwirtschaftlicher Blockade, die verhindert hat, daß rechtzeitig ein Anpassungsprozeß eingeleitet wird, der nicht erst dann beginnen darf, wenn das Kind schon im Brunnen liegt.Ich bleibe bei meinem Bekenntnis zur unternehmerischen Verantwortung, allerdings mit dem ausdrücklichen Appell, mit zu sorgen, daß neue Arbeitsplätze entstehen. Ich bleibe bei meinem Appell an das Land Nordrhein-Westfalen, Investitionshemmnisse abzubauen. Das größte Hemmnis ist, daß man sich in Nordrhein-Westfalen auf Entscheidungen nicht verlassen kann. Kalkar ist ein Beispiel für Unzuverlässigkeit von Investitionsplanungen und politischen Entscheidungen.
Herr Minister, gestatten Sie?
Lassen Sie mich das noch im Zusammenhang sagen.
Ich bin bei Kalkar der Meinung, daß die Sicherheitsfrage die wichtigste Frage ist und daß Kalkar nur dann in Betrieb genommen werden kann, wenn die Sicherheitsfrage geklärt ist. Aber Nordrhein-Westfalen sagt doch bereits nein, bevor die Sicherheitsfrage überhaupt geklärt ist. Das zeigt, daß man sich auf Rahmenbedingungen, auf politische Vorgaben der Regierung Rau nicht verlassen kann. Das ist das größte Hindernis für die Neuansiedlung von Industrien in NordrheinWestfalen.
Bitte, Herr Kollege Stratmann.
Sie gestatten eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann?
Ja.
Bitte schön.
Herr Blüm, wie können Sie die Behauptung aufrechterhalten, die bundesdeutschen Stahlkocher seien das Opfer in erster Linie aus-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1987 2291
Stratmannländischer Stahlstaatskonzerne, angesichts der folgenden zwei Tatsachen:
erstens, daß sowohl in der britischen verstaatlichten Stahlindustrie — gleiches gilt für die französische und die belgische — um Dimensionen mehr Arbeitsplätze vernichtet worden sind — Sie haben ja selber die Zahlen genannt — als in der bundesdeutschen Stahlindustrie, und zweitens, daß die bundesdeutschen Stahlkonzerne bis 1974 die enormen technischen Überkapazitäten aufgebaut und damit nach Einbruch der Stahlkrise bis Anfang der 80er Jahre fortgefahren haben?
Herr Kollege Stratmann, wollen Sie sich gegen die deutschen Stahlkocher stellen, die immer behauptet haben, daß in Europa Subventionsschwindel betrieben wird und daß der in erster Linie von den Staatsunternehmen betrieben wird? Es ist doch auch ein Verdienst der Bundesregierung, daß wir einen Subventionskodex durchsetzen und daß wir über seine Einhaltung wachen werden. Wo ist der denn nicht eingehalten worden? Bei jenen Staatsunternehmen, die durch die Vordertür die Subventionen abgeschafft und durch die Hintertür Unternehmen, die in den roten Zahlen waren, jahrelang mit Subventionen weiter betrieben haben, ohne daß irgendeine Anpassung vorgenommen wurde. Das ist das Opfer, das die deutschen Stahlkocher bringen müssen, weil andere nicht rechtzeitig die Anpassungsmaßnahmen vorgenommen haben.
Ich wende mich ausdrücklich auch an Europa, den Beitrag zu einem geordneten Übergang in eine Marktwirtschaft zu leisten, die allen gleiche Chancen läßt.
Ich bleibe dabei, daß die letzten Monate gezeigt haben: Kooperation ist besser als Konfrontation. Das ist das Ergebnis mühsamer Arbeit, Zusammenarbeit, Anstrengung zwischen der IG Metall, der ich meine Anerkennung und meinen Dank für diese Anstrengung sage, der Wirtschaftsvereinigung, der ich meinen Dank und meine Anerkennung sage, und der Bundesregierung.
Es bleibt auch für die Zukunft unser Lösungsmodell, den Konsens dem Konflikt vorzuziehen. Schwierige Probleme werden nicht gegeneinander, sondern leichter miteinander gelöst.
Die zweite Erfahrung, die weitergegeben werden soll: Die Bundesregierung hat Wort gehalten. Wir haben dazu beigetragen, daß keine Massenentlassungen notwendig werden. Es kommt nicht auf Worte an — hier schließe ich mich dem Kollegen Roth an — , es kommt auf Praxis und Taten an. Die Bundesregierung hat gehandelt.
Das Wort hat der Abgeordnete Urbaniak.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat heute durch Herrn Bangemann eine Erklärung zur sozialen Flankierung des Strukturwandels in der Stahlindustrie abgegeben. Ein Konzept zur Bewältigung der Situation im Stahlbereich hat sie hier nicht vorgetragen, sondern sie hat es sehr, sehr eingeschränkt; denn die Entscheidungen über die wirtschaftlichen Tatbestände und die Sicherung der verbleibenden Arbeitsplätze und der notwendigen Ersatzarbeitsplätze werden ja doch erst am 8. Dezember dieses Jahres in Brüssel getroffen. Sie, Herr Bangemann, haben dieser Entscheidung eine Vorgabe gegeben, daß Sie auf 37 000 Arbeitsplätze verzichten. Das ist kein Konzept. Darüber sind wir uns doch wohl klar.
Ein zweiter Punkt, Kollege Blüm. Wenn Sie dieses Hohe Haus dazu nutzen, die nordrhein-westfälische Landesregierung ungerechtfertigterweise anzugreifen, dann sage ich Ihnen: Diese handelt auch in dem so schwierigen Fall Kalkar für uns alle, einem Fall, der darum so schwierig ist, weil hier Dimensionen möglich werden, die wirklich an das Gewissen herangehen, nach Recht und Gesetz. Sie können dieses Beispiel nicht heranziehen, um dem Ministerpräsidenten Rau bezüglich seiner Verpflichtungen als Landeschef hier einen Vorwurf zu machen. Ich würde Sie doch sehr bitten, sehr sachlich, sehr korrekt und sehr ehrlich in dieser schwierigen Frage vorzugehen. Nur so kann man diese Fragen überhaupt erörtern.Ein weiterer Punkt, Herr Bangemann: Die Stahlunternehmen in der Bundesrepublik brauchten überhaupt gar keine öffentliche Hilfe, wenn Sie dafür sorgen würden, daß es in der Europäischen Gemeinschaft kein Subventionsunwesen gäbe ; denn wir haben die modernsten Stahlwerke, die höchste Produktivität und die am besten qualifizierten Arbeitskräfte. Diese Substanz haben Sie für die europäische Politik nicht genutzt. Das sage ich Ihnen.
Wenn Sie sagen: Wir haben erreicht, daß Massenentlassungen verhindert werden, dann sage ich Ihnen: Das ist doch wohl in einem sozial verfaßten Staat eine Selbstverständlichkeit. Wissen Sie denn nicht, wieviel die Montan-Industrie zum Aufbau dieser Republik mit Kohle und Stahl beigetragen hat? Jetzt feiern Sie, daß Massenentlassungen verhindert werden. Hier ist doch lediglich das einzulösen, was für uns als Sozialdemokraten selbstverständlich ist. Darum brauchen Sie das nicht zu feiern. Es ist selbstverständlich, daß dies gemacht wird.
Was die Frage der Sozialpläne angeht, sage ich Ihnen: Das haben die Betriebsräte und die Arbeitsdirektoren in einem sehr harten Kampf, nachdem wir Sozialdemokraten die Voraussetzungen in der Betriebsverfassung 1972 geschaffen haben, den Vorständen abgerungen. Betriebsräte und Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten sind immer für die Modernität, für Investitionen in den Unternehmen eingetreten. Lesen Sie dazu das Gutachten über die Mitbestimmungserfahrungen nach, für das Herr Biedenkopf verantwortlich zeichnet.
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2292 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1987
UrbaniakSehen Sie, Herr Bangemann: Sie haben hier herausgestellt, daß Sie in Europa am 8. Dezember ganz kräftig vorgehen werden. Ihnen ist sicherlich schon zugetragen worden, daß Herr Kriwet heute in der Presse erklärt hat — ich habe hier einen Artikel der „Westfälischen Rundschau" aus Dortmund — , daß die italienische Regierung aufgefordert ist, eine Subventionsspritze in Höhe von 4,3 Milliarden DM für das Geschäftsjahr 1987 zu gewähren, um einen Ausgleich bei der italienischen Stahlindustrie herbeizuführen. Es ist doch wohl richtig, daß die nichtsubventionierten Unternehmen ein Recht darauf haben, daß sie vor solchen Praktiken geschützt werden. Dieses haben Sie bis heute nicht erreicht, und darum sollten Sie sich bemühen, meine Damen und Herren.
Der Kollege Beckmann sprach von einer Perspektive — Hen Bangemann sprach ebenfalls von einer Perspektive — und hat dabei herausgestellt, die Gewerkschaften und die Arbeitnehmer dürften ja wohl in den Regionen, wo es kritisch sei, Lohnerhöhungen, wie sie den Arbeitnehmern der Branche allgemein zugute kommen, gefälligst nicht verlangen. Sie dürften das nicht ausreizen. Sie wollen also ein Gefälle. Tarifpolitik im Sinne von Herrn Bangemann versteht sich so: In diesen Krisenbereichen dürfen nur geringere Löhne und Gehälter gezahlt werden. Sie wollen also auch eine Verschiebung des Wohlstandsgefälles in der Bundesrepublik. Dies können Sie mit den Sozialdemokraten nicht machen. Wir werden die Gewerkschaften bei ihrem Kampf um die Tarifausgestaltung unterstützen.
— Diese Wettbewerbsfähigkeit interessiert uns sehr. Wir sind immer darauf eingegangen. Schaffen Sie das Subventionsunwesen ab,
dann werden wir mit unserer hochmodernen Stahlindustrie überall bestehen und eine gewichtige Rolle auf den Märkten spielen.
Kollege Blüm, Sie sollten hier der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen nicht alles mögliche unterstellen. Führen Sie von dieser Stelle aus auch nicht den Kampf als CDU-Vorsitzender in Nordrhein-Westfalen; machen Sie das woanders. Wenn Sie dorthin kommen, dann finden Sie in Hattingen, dann finden Sie in Oberhausen, dann finden Sie in Siegen, dann finden Sie in Dortmund, dann finden Sie in Mülheim, dann finden Sie in Duisburg überall Transparente:
„Blüm, aufhören mit den Sprechblasen, wir verlangen von dir Taten!"Man muß weg von den Sprechblasen. Wenn Sie das täten, würden wir Sie loben. Aber dazu gibt es keinen Anlaß, sage ich ausdrücklich.
Wir vergessen auch nicht, daß Sie die Stahlstandorte von Sulzbach-Rosenberg bis zum Ruhrgebiet, von Salzgitter bis zum Saarland als „Schrottindustrien" bezeichnet haben. Das war ein schlimmes Wort, das Sie sich da erlaubt haben. Wir werden Ihnen das selbstverständlich immer wieder vorhalten.Wir haben eine klare Entschließung vorgelegt. Wir fordern Sie auf, am 8. Dezember dafür einzutreten, daß die Produktionsquoten unter Einbeziehung aller Produkte für die Dauer der Krisenbewältigung beschlossen werden, daß die Bündelung aller Programme erfolgt und daß mit den Instrumenten der EG auf der Ebene der Bundesländer unverzügliche Maßnahmen getroffen werden, die betroffenen Regionen zu berücksichtigen; denn wir benötigen dringend Arbeitsplätze. Dafür hat die Bundesregierung heute überhaupt keine zufriedenstellende Perspektive vorgelegt.Für uns ist es selbstverständlich, daß die Freisetzung sozialverträglich gestaltet werden muß. Schließlich haben wir ja in der sozialliberalen Koalition Art. 56 Abs. 2 so entwickelt, daß alle Voraussetzungen für diese soziale Flankierung geschaffen werden konnten.Schließlich, Herr Blüm: Das Stahlstandorteprogramm, das wir Sozialdemokraten damals unter dem Kollegen Lambsdorff beschlossen haben, hat die Unternehmen wieder in die schwarzen Zahlen geführt. Sie hatten die Chance, in einer guten Konjunktur dafür zu sorgen, daß alle europäischen Wettbewerbsvoraussetzungen in Ordnung gebracht werden konnten. Dieses haben Sie nicht getan, und darum machen wir Ihnen den Vorwurf, daß Sie mit Ihrer halbherzigen Erklärung hier keine Bewältigung der großen Probleme in den Stahlstandorten anbieten.Es fehlt Ihnen nicht nur das Konzept; es fehlt Ihnen auch der Wille, den Menschen durchschlagend zu hel-f en.
Das Wort hat der Abgeordnete Hinsken.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer der Bundesregierung Untätigkeit vorwirft,
hat die Fähigkeit zum Lesen und zum Hören verloren. Ich möchte an Hand von zehn Punkten ganz kurz klarstellen, was gerade der Bund in den letzten Jahren geleistet hat.
Erstens ist für das Stahlprogramm zwischen 1983 und 1985 ein Betrag von 2,6 Milliarden DM aufgebracht worden.Zweitens. Für die bereits laufenden Fälle der sozialen Anpassungshilfe nach dem Vertrag über die Montanunion wird bis 1991 eine weitere Milliarde DM aufgebracht, wovon der Bund 70 % trägt.Drittens. Die Bundesregierung hat die Aufstockung der Bezugsdauer für das Wartegeld, die Verbesserung der Umschulungszulage und die Erhöhung des Ein-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1987 2293
Hinskenkommenshöchstbetrags für die Übergangshilfe durchgesetzt.Viertens. Im Programm „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" werden vor allem für die Stahlregionen 180 Millionen DM zur Verfügung gestellt.Fünftens. Das Stahlstandorteprogramm wurde um drei Jahre bis 1990 verlängert.Sechstens. Beispielsweise Hattingen hat dort als Schwerpunkt zusätzlich mit einem Förderhöchstsatz von 15 °A, Anerkennung gefunden.Siebtens. Für alle Stahlarbeitnehmer wurde das Kurzarbeitergeld auf 36 Monate verlängert.Achtens. Insgesamt stellt der Bund für die soziale Flankierung im Stahlbereich 1,5 Milliarden DM über die bisherigen Verpflichtungen hinaus zusätzlich zur Verfügung.Neuntens. Das Stahlgespräch hatte Erfolg. 600 Millionen DM werden von der EG, vom Bund und von den Ländern aufgebracht.Zehntens. Das Stahlgespräch hatte auch das positive Ergebnis, daß keine Massenentlassungen vorzunehmen sind.Meine Herren Bundesminister für Arbeit und Soziales und für Wirtschaft, ich möchte mich an dieser Stelle für dieses Engagement und diese Ergebnisse herzlich bedanken.
Meine Kollegen von der SPD, das ist Politik für die Arbeitnehmer! Herr Urbaniak, Polemik und Schaumschlägerei dienen doch niemandem; Geschrei und Demonstrationen schaffen doch keine Arbeitsplätze. Dadurch werden Regionen doch eher in Verruf gebracht, und Investoren sind dann nicht mehr bereit, dort Arbeitsplätze zu schaffen, sondern lassen sich abschrecken.Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf verweisen, daß dieses Problem europaweit besteht. Wir haben eine Überkapazität bei Stahl von 30 Millionen Tonnen. Frühere Bundesregierungen haben dieses Problem leider nicht gesehen und nicht angepackt. Meine Kollegen Dr. Jobst und Hermann Fellner haben das in früheren Reden ausdrücklich unterstrichen. Das Angebot wächst; die Nachfrage sinkt. Es ist unredlich, die gegenwärtige Bundesregierung dafür verantwortlich zu machen. Sie kann keinen Markt für mehr Absatz schaffen.Meine Damen und Herren, die Stahlpolitik wird übrigens nicht allein von der Bundesregierung, von den Ländern und in den Stahlstandorten gestaltet, sondern vor allen Dingen und überwiegend in Brüssel. Da hilft es auch nicht, wenn sich die DGB-Zentrale in Düsseldorf immer wieder meldet und versucht, Stimmung zu machen, damit die Leute auf die Straße getrieben werden, ohne daß sie berücksichtigt, was ich vorher schon vorgetragen habe. Eine Weltuntergangsstimmung, wie sie von Ihnen und vor allen Dingen von Herrn Steinkühler geschaffen wird, ist nicht angebracht. Lassen Sie mich das an Hand verschiedener Beispiele kurz erläutern.
Herr Hinsken, wollen Sie zwischendurch eine Zwischenfrage zulassen?
Nein, weil ich mich auch kurz fassen soll, da noch ein Redner von meiner Fraktion auf der Rednerliste steht und ich ihm keine Zeit wegnehmen möchte.
Dann müssen Sie aber die Zeiten hier überschätzen.
Ich möchte darauf verweisen, daß auch andere Branchen Strukturprobleme hatten. So gab es beispielsweise in der Textilindustrie im Jahre 1970 noch 550 000 Arbeitsplätze, 1986 nur noch 250 000, im Bekleidungssektor 1970 noch 433 000, 1986 nur noch 221 000. Das war ein Abbau von über einer halben Million Arbeitsplätze. Das sind mehr Arbeitsplätze, als in der gesamten eisenverarbeitenden Industrie 1970 vorhanden waren, nämlich 376 000.Auch in der lederverarbeitenden Industrie gab es eine Schrumpfung um 100 000 Arbeitsplätze 1970 auf 73 000 im Jahre 1986. Im Bauhauptgewerbe mußte zwischen 1970 und 1986 ein Aderlaß von 500 000 Arbeitsplätzen hingenommen werden. Meine Damen und Herren, wer rief hier nach dem Staat? Gab es hier Sozialpläne? Diese Branchen haben die Probleme bewältigt!Wer kümmert sich denn darum, daß wir 1970 noch 36 000 Fleischerfachgeschäfte und 41 000 Bäckereien hatten und jetzt nur noch 27 000 bzw. 27 600 haben?
Wer kümmert sich denn darum, daß 1970 noch 170 000 Lebensmittelgeschäfte vorhanden waren, jetzt nur noch 77 000 vorhanden sind? Man hat hier nicht nach Sozialplänen gerufen, man hat hier nicht den Staat in gewisser Hinsicht gefordert, sondern man hat versucht, diese Probleme selbst zu meistern.Gestatten Sie, daß ich den Hinweis bringe: Gerade bei Stahl ist festzustellen, daß man sich, was Hilfen anbelangt, in der Bundesrepublik Deutschland in der Spitzengruppe befindet. Schwarz in schwarz oder rot in rot zu malen ist meines Erachtens nicht angebracht, sondern man wird diese Probleme in den Griff bekommen und auch bewältigen. Wir alle müssen hier zusammenstehen. Aber wir dürfen nicht falsche Hoffnungen wecken. Diese sind nicht angebracht.Lassen Sie mich ganz kurz auf die Situation in meinem Heimatland Bayern eingehen, wo wir speziell die Maxhütte haben. Hier bemühen sich die Bayerische Staatsregierung und die hier anwesenden Bundestagsabgeordneten — Dr. Jobst oder Hermann Fellner — intensiv, Ersatzarbeitsplätze zu gewinnen. Es ist auf Grund der Tatsache, daß dort vernünftige Politik gemacht wird, auch gelungen, seit 1980 6 500 Ersatzarbeitsplätze vor allem im elektronischen
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2294 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1987
HinskenBereich neu zu schaffen. Das kann sich sehen und hören lassen.
Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, Sie wären aufgefordert, in den Ländern, in denen Sie regieren, Maßnahmen zu ergreifen, ein wirtschaftsfreundlicheres Klima zu schaffen, damit man bereit ist, dorthin zu gehen.
Lassen Sie mich abschließend feststellen, daß die Bundesregierung von seiten der CDU/CSU aufgerufen ist, weiterhin alles zu unternehmen, damit eine akzeptable Produktionsquotenregelung gefunden wird. Ich möchte vor allen Dingen den Stahlkochern zurufen: Sie haben verständnisvolle Freunde in Bonn. Laßt euch von falschen Propheten und Demagogen nicht aufhetzen. Auch dieses Problem wird gemeistert. Hoffen wir, daß wir noch lange an der Regierung bleiben.
Dann haben diese Leute auch Zukunft. Wenn das bei Ihnen der Fall wäre, dann würde ich weiterhin rot in schwarz sehen.Herzlichen Dank.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat die Abgeordnete Frau Weyel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der SPD-Fraktion beantrage ich die Herbeirufung des Bundesministers für Wirtschaft.
Wir halten es für ein unmögliches Verfahren, daß der Minister — —
Frau Abgeordnete, ich möchte zunächst einmal im Hause die notwendige Ruhe herstellen.
Ich bedanke mich.
Dann können Sie weiterreden.
Ich wäre dankbar, wenn Sie diesen Geschäftsordnungsantrag in aller Ruhe begründen lassen.
— Obwohl sich das, Frau Kollegin, offensichtlich erübrigt hat, bin ich trotzdem gern bereit, Ihnen das Wort zu lassen.
Vielen Dank. Vizepräsident Cronenberg: Bitte sehr.
Ich darf zunächst einmal mit Befriedigung feststellen, daß der Herr Minister an seine Pflicht erinnert worden ist und dem Ruf gefolgt ist.
Ich darf aber dazusagen: Es ist wohl ein großer Unterschied, ob sich der Minister, der am Beginn einer Debatte eine Regierungserklärung abgegeben hat, während der Debatte entfernt
oder ob ein Ministerpräsident, der sich zur Zeit im Bundesrat befindet, nicht anwesend ist. Ich denke, das ist ein großer Unterschied. Das sollten Sie wohl beachten.
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe während dieser Debatte zweimal den Raum verlassen, wie Sie sehen, jeweils nur für kurze Zeit. Ich kann Ihnen versichern, daß mein Respekt vor dem Hohen Hause von niemandem übertroffen werden kann. Ich bin sehr lange Parlamentarier gewesen, bevor ich Mitglied einer Regierung wurde. Ich werde auch in Zukunft dem Parlament jederzeit zur Verfügung stehen.
Ich kann Ihnen aber auch erklären, verehrte Frau Kollegin, daß es unrichtig ist, wenn Sie meinen, daß es keinen wichtigeren Grund für einen Minister geben kann, das Plenum zu verlassen, als den, zum Bundesrat zu gehen. Es gibt auch wichtigere Gründe.
Nun, glaube ich, können wir in der normalen Debatte fortfahren. Das Wort hat der Abgeordnete Schreiner.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, daß das Verhalten des Bundeswirtschaftsministers nur als eine bewußte Mißachtung dieses Parlamentes gekennzeichnet werden kann.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1987 2295
SchreinerHerr Bangemann, Sie sind nach Ihrem Haushaltsbeitrag und Sie sind am vergangenen Freitag nach Ihrem Kohlebeitrag hier im Parlament jeweils verschwunden gewesen. Sie haben es nicht mehr für nötig gehalten, sich die anschließenden Diskussionsbeiträge anzuhören. Sie stehlen sich fortgesetzt dann aus diesem Parlament heraus, wenn es gerade um Ihre ureigenen Aufgabenbereiche geht. Das kann man nur benennen als glatte Mißachtung des Parlamentes.
Ich denke, Sie hätten sich diese Diskussionen ersparen können, wenn Ihr Geschäftsführer, Herr Beckmann, nicht eben in heuchlerischer Weise hier die Abwesenheit des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministers beanstandet hätte.
Es ist in der Tat ein äußerst sonderbares Verfahren, daß, wenn die beteiligten Montanländer in der Stahlrunde nicht beteiligt worden sind, Sie dann pharisäerhaft verlangen, daß ihre Vertreter hier auf der Bundesratsbank sitzen sollen.
Auch Herr Blüm hat hier seinen Gespensterkampf gegen die Landesregierung vorgeführt, anstatt sich um die eigentliche Frage zu kümmern. Herr Blüm, Sie haben die eigentliche Frage wohl formuliert. Sie lautet: Wie steht es um die Chance der betroffenen Regionen? Das ist der Kernpunkt der Debatte: Die Chance der betroffenen Regionen.Ich will versuchen, Ihnen mit Hilfe einiger weniger Zahlen deutlich zu machen, warum die Vereinbarungen, um die es hier geht, in den entscheidenden Punkten für die betroffenen Regionen keinen guten Tag, sondern einen schwarzen Tag kennzeichnen werden. Es geht im Kern um die Tatsache, daß jeder sechste deutsche Arbeitsplatz im Stahlbereich vernichtet werden soll. Es geht im Kern darum, daß 37 000 Arbeitsplätze auf Nimmerwiedersehen verschwinden werden. Von diesen 37 000 Arbeitsplätzen werden nach den Angaben der Wirtschaftsvereinigungen 4 800 im Saarland sein.
Wenn man sich die Situation an der Saar anguckt, stellt man fest: Saarstahl hat seit 1974 einen Beschäftigungsverlust von 17 000 Arbeitern erlebt — 17 000 seit 1974!
Das Saarland hat seit der gleichen Zeit, seit 1974, eine Arbeitsmarktentwicklung von damals 14 000 Arbeitslosen auf jetzt 51 000 Arbeitslose ohne stille Reserve erlebt. Wenn man weiß, daß der Verlust eines Montan-Arbeitspiatzes den Verlust von zwei weiteren Arbeitsplätzen im vor- und nachgelagerten Bereich zur Folge hat, bedeuten die Zahlen, die für die Saar vorgesehen sind, alleine im Stahlbereich den zusätzlichen Verlust von annähernd 15 000 Arbeitsplätzen. Wenn man weiterhin weiß, daß die Bundesregierunghartnäckig versucht, an der Saar eine Grube zu schließen — mit einem Beschäftigungsverlust von annähernd 6 000 Arbeitsplätzen — , dann heißt dies im Klartext, daß wir in den nächsten Jahren alleine auf Grund der von Ihnen gewollten Maßnahmen im Montansektor einen weiteren Beschäftigungsverlust von rund 20 000 Arbeitsplätzen zu vergegenwärtigen haben. Wenn Sie dies auf die Arbeitslosenquote hochrechnen, werden wir an der Saar eine landesweite Arbeitslosenquote von deutlich über 20 % erhalten. Das ist die Situation. Eine vergleichbare Situation gibt es in den anderen Montanstandorten, insbesondere an der Ruhr.
— Das ist kein Eingeständnis der eigenen Schwäche, das ist der Versuch, die Ausgangslage hier ohne Polemik in aller Ruhe zu schildern. Dieses Thema, bei dem es um das Schicksal von vielen Tausenden von Menschen und ihren Familien geht, von Familien, die über Jahre hinweg unter der Angst und dem Zittern um ihre Arbeitsplätze gelitten haben, ist mir viel zu wertvoll, um es Ihrer billigen Polemik preiszugeben.
Ich sage Ihnen zweitens: Im Art. 106 unseres Grundgesetzes steht der wörtlich formulierte Auftrag an jede staatliche Politik, die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet zu wahren. Das ist ein Verfassungsauftrag auch an die Bundesregierung.
Im jüngsten Raumordnungsbericht der Bundesregierung heißt es — ich zitiere wörtlich — :Es wird festgestellt, daß sich die Probleme der traditionell strukturschwachen Räume eher vergrößern, statt sich dem notwendigen Ausgleich anzunähern.Diese nüchterne Feststellung im Raumordnungsbericht der Bundesregierung heißt im Klartext, daß die Bundesregierung einen verfassungswidrigen Zustand tatenlos hinnimmt. Man kann es härter formulieren:
— Herr Kollege Schwarz, Sie sind wirklich ein Plattmacher in Sachen Zwischenrufe. Wenn Sie so reden, wie Sie zwischenrufen, wird es hier schlimm werden.Wir haben zahlreiche Anzeichen dafür, daß die sogenannten regionalen Disparitäten, also das Auseinanderentwickeln der Bundesrepublik in reiche und arme Regionen, weiter dramatisch zunehmen werden. Und die Bundesregierung wirkt an diesem verfassungswidrigen Prozeß kräftig mit, sie treibt diesen Prozeß mit voran. Ich werde Ihnen dafür zwei Beispiele, von vielen, geben.Der niedersächsische Wirtschaftsminister, Herr Hirche, Herr Bangemann, einer Ihrer Parteikollegen, hat vor kurzem erklärt, daß z. B. die Bundespost 1986 Aufträge für über 17 Milliarden DM vergeben habe, von
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Schreinerdenen 53 To nach Bayern und Baden-Württemberg geflossen seien. Diese Summe, die alleine über die öffentliche Auftragsvergabe der Bundespost an die beiden süddeutschen Länder geflossen ist, übersteigt die gesamte Summe der regionalen Wirtschaftsförderungsmittel von Bund und Ländern.Ähnlich verhält es sich mit anderen öffentlichen Aufträgen, der Bundeswehr, anderer, bezogen auf das Nord-Süd-Gefälle. Wir erleben eine eklatante Benachteiligung der eh schon armen Bundesländer in Sachen öffentlicher Auftragsvergabe des Bundes und der bundesnahen Einrichtungen.Die niedersächsische Finanzministerin, Frau Breuel, hat mitgeteilt, daß die Verteilung dieser Gelder für die Überwindung der unterschiedlichen Wirtschaftsstrukturen in der Bundesrepublik wichtiger sei als der gesamte Länderfinanzausgleich. Das heißt, die Bundesregierung betreibt mit der öffentlichen Auftragsvergabe, wo viele, viele Milliarden DM bewegt werden, eine weitere Verschärfung der Auseinanderentwicklung in der Bundesrepublik. Sie nehmen den buchstäblichen arbeitsmarktpolitischen Ausverkauf von ganzen Regionen bewußt in Kauf.
Ich sage Ihnen ein zweites Beispiel: Nach Auskünften aus dem Bundeswirtschaftsministerium wird zur Finanzierung der Steuerreform beabsichtigt, die Bundesmittel zur regionalen Wirtschaftsförderung drastisch zu verstümmeln. Der Kollege Roth hat die Nettozahl 1 Milliarde DM genannt. Wenn die reichen Bundesländer die verbleibenden Restmittel der Gemeinschaftsaufgabe mit ihren regionalen Mitteln aufstocken können, dann geraten die armen Bundesländer erst recht so hoffnungslos ins Hintertreffen, daß sie überhaupt keine Chance mehr haben, die regionalen Subventionswettläufe für sich zu entscheiden.Wir brauchten intern eine völlige Neuordnung der regionalen Wirtschaftsförderung, wobei einer der Hauptindikatoren die Höhe der Arbeitslosigkeit in der jeweiligen Region sein muß.
Man kann dies alles beliebig ergänzen. Ich will Ihnen abschließend nur eines sagen: Die Montan-Länder haben die materiellen Möglichkeiten nicht, mit den Problemen fertig zu werden. Ihnen fehlen angesichts der in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten aufgebrachten Mittel die finanziellen Grundlagen.Die von Ihnen avisierte Steuerreform wird in ihren finanziellen Auswirkungen zusätzlich zum Ausbluten der armen Bundesländer und der dortigen Städte und Gemeinden führen. Es ist weit und breit nichts in Sicht, was auch nur annähernd das ausgleichen könnte, was hier an zusätzlichen Einnahmeverlusten einprogrammiert ist. Sie treiben die Kommunen in diesen Regionen buchstäblich in den Bankrott, in die Handlungsunfähigkeit.
— Das sind Wahrheiten, Sie können gerne versuchen, diese Wahrheiten zu widerlegen. Aber lassen Sie die dümmliche Polemik, Herr Kollege Beton.Die Summe dieser regionalpolitischen Irrationalitäten der Bundesregierung, die eindeutig zu Lasten der Montanregionen gehen, legt bei manchen Bürgern den Verdacht nahe, die Bundesregierung wolle sie wegen ihres Wahlverhaltens abstrafen. Dazu hätten Sie allerdings kein Recht. In einer Zeit, wo wir alle mehr denn je Grund haben, über gewisse Grundprinzipien einer gemeinsamen demokratischen Kultur nachzudenken, darf nicht auch noch von der Bundesregierung der Eindruck erweckt werden, als ob die Bundesregierung ihre von der Verfassung auferlegte regionalpolitische Mitverantwortung mit zweierlei Maß mißt.Das Saarland leidet nicht nur unter den Montanlasten. Durch die späte Eingliederung in der Bundesrepublik Deutschland hat seine Wirtschaftsstruktur bis heute den Anschluß an das übrige Bundesgebiet nicht ausreichend gefunden. Wir verlangen ein bißchen Gerechtigkeit. Wir verlangen, daß wir nicht zum Auswanderungsland werden, daß die Menschen in unserer Grenzregion eine Lebens- und Arbeitsperspektive haben und, soweit sie sie verloren haben, wiederbekommen.Ich will mit einem Satz unseres — ich denke — gemeinsamen Bundespräsidenten anläßlich seines Besuchs an der Saar vor einiger Zeit abschließen: „Das Saarland", so Richard von Weizsäcker, „hat sich in einer schwierigen Zeit zur Bundesrepublik Deutschland bekannt; jetzt muß sich auch die Bundesrepublik Deutschland zum Saarland bekennen."Herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, die für diese Aussprache vorgesehene Zeit ist abgelaufen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD „Stahlpolitik der Bundesregierung" auf Drucksache 11/947. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Damit ist dieser Antrag abgelehnt.Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf der Drucksache 11/974. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Damit ist dieser Entschließungsantrag abgelehnt.Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr den Zusatztagesordnungspunkt 8 auf:Beratung und Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Laufs, Schmidbauer, Fellner, Dr. Göhner, Lenzer, Gerstein, Dr. Blens, Bauer, Carstensen , Dörflinger, Eylmann, Dr. Friedrich, Harries, Herkenrath, Kalb, Dr. Lippold (Offenbach), Lummer, Dr. Meyer zu Bentrup, Dr. Neuling, Regenspurger, Frau Rönsch (Wiesbaden), Schmitz (Baesweiler), Schulhoff,
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Vizepräsident CronenbergSchwarz, Seesing, Zierer und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Baum, Frau Dr. Segall, Wolfgramm , Bredehorn, Eimer (Fürth), Grünbeck, Dr. Hirsch und der Fraktion der FDPEinsetzung einer Enquete-Kommission „Vor-sorge zum Schutz der Erdatmosphäre"zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Knabe,Wetzel und der Fraktion DIE GRÜNENEinsetzung einer Enquete-Kommission „Langfristiger Klimaschutz"— Drucksachen 11/533, 11/787, 11/971 —Berichterstatter:Abgeordnete Schmidbauer Schäfer
Dr. KnabeEine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen also direkt zur Abstimmung. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Damit darf ich feststellen, daß der Antrag angenommen worden ist.Meine Damen und Herren, ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 17 auf:Aktuelle StundeEntsendung von Marine-Einheiten der Bundeswehr ins MittelmeerDie Fraktion der GRÜNEN hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu oben genanntem Thema verlangt.Meine Damen und Herren, ich möchte die Aussprache eröffnen. Ich tue das aber erst, wenn die notwendige Ruhe im Hause hergestellt ist. Ich wäre Ihnen also dankbar, wenn Sie für den Fall, daß Sie kein Interesse an der Aktuellen Stunde haben, den Saal verlassen würden. Dies gilt auch für den Abgeordneten Hoffacker. — Danke schön.Ich glaube, wir können nun beginnen. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mechtersheimer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Schatten der Kieler Affäre begann gestern morgen um 10 Uhr eine andere Affäre mit nicht minder schwerwiegenden Folgen; denn gestern sind von Kiel und Bremerhaven drei Schiffe der Bundesmarine ausgelaufen: der Zerstörer Mölders, die Fregatte Niedersachsen und der bewaffnete Versorger Freiburg. Ihr Ziel ist das Mittelmeer.Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wird sich ein deutscher Einsatzverband in dieser Region aufhalten. Diese Entscheidung des Verteidigungsministers ist eine indirekte Einmischung in den irakisch-iranischen Krieg,
weil die Entsendung der Bundesmarine ausschließlichdazu dient, die in der Golfregion verstrickten US-Streitkräfte zu entlasten. Damit macht sich die Bundesregierung zum Helfershelfer der Interventionspolitik der USA.
Der Aufmarsch der USA und anderer westlicher Staaten dient in keiner Weise den angeblichen Sicherheits- und Friedensinteressen. Im Gegenteil: Mit der Präsenz der US-Armada wurde der Tankerkrieg nicht eingedämmt, sondern neu entfacht. Zudem haben sich Kriegsschiffe zum Schutz der Öltanker als untauglich erwiesen, weil sie viel empfindlicher und verwundbarer, wie es heißt, sind als die Tanker selbst.Die gewaltige Militärintervention der westlichen Staaten mit bisher über 80 Schiffen hat den iranischirakischen Krieg nicht begrenzt, sondern in eine neue Eskalation getrieben. Mit dem Vorwand, die internationale Schiffahrt und eine angeblich gefährdete Ölversorgung sichern zu wollen, greifen die USA immer deutlicher auf irakischer Seite in den Krieg ein. Folgerichtig hat in der vergangenen Woche der Iran die Vereinigten Staaten zum Kriegsgegner erklärt. Was die USA im Golf treiben, ist eine skrupellose Ausnutzung eines von ihnen selbst jahrelang geschürten Regionalkrieges für ihre innenpolitischen und machtpolitischen Interessen.
Die Verwerflichkeit der US-Politik läßt sich auch daran erkennen — hören Sie genau zu, Herr Lowack — ,
daß die Vereinigten Staaten durch hohe Ölimporte aus diesem Land indirekt die Rüstung des Iran mitfinanzieren; ich verstehe, daß das unangenehm ist.
Aber es gibt noch mehr Absurditäten. US-Flugzeuge werden mit Produkten der US-Industrie abgeschossen. Dies ist genauso widersinnig wie die Tatsache, daß infolge der amerikanischen Politik die Sowjetunion stärker in die Golfregion hineingezogen wird als je zuvor.
Die Reagan-Administration betreibt am Golf eine besonders widerwärtige Form von Kanonenbootpolitik, und die Bundesregierung unterstützt sie dabei mit der Entsendung der Bundesmarine ins Mittelmeer.
Das ist eine Stellvertreter-Kanonenbootpolitik; wir nennen das Stellvertreter-Kanonenbootpolitik.Washington kann nach dem Fiasko im Libanon ein weiteres Desaster nur verhüten, wenn es sich aus der Golfregion zurückzieht. Statt die USA zum Rückzug zu ermutigen, erleichtert die Bundesregierung durch diese Kompensationsmaßnahme den Ausbau der US-Präsenz im Golfkrieg.In dem Zusammenhang ist mir auch völlig unerklärlich, wie sich diese Entscheidung des Verteidigungs-
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Dr. Mechtersheimerministers mit Warnungen aus dem Auswärtigen Amt vor einem Hochschaukeln der Situation infolge der starken Militärpräsenz vereinbaren läßt.
— Wir werden hoffentlich noch erfahren, wer hier entschieden hat.Dieser in der Qualität völlig neue Einsatz westdeutscher Streitkräfte in einer Region, in der sie bisher nicht stationiert waren, steht im Widerspruch zur bisherigen Politik des Außenministers, der sich um die Dialogfähigkeit sowohl mit dem Irak als auch gerade mit dem Iran bemühte. Es steht auch im Widerspruch zu dem, was Herr Genscher im Auswärtigen Ausschuß dazu gesagt hat.Der Bewerber um das Amt des NATO-Generalsekretärs und Noch-Verteidigungsminister, Wörner, will sich offenkundig als strammer Freund der NATO und US-Regierung profilieren und hätte ja offenkundig die Entsendung von Schiffen sogar in das Kriegsgebiet selbst vorgenommen, wenn das Grundgesetz hier keinen Riegel vorgeschoben hätte.Die Entsendung von 620 Soldaten in das Mittelmeer ist Zeichen eines falschen Solidaritätsverständnisses, Ausdruck einer historischen Blindheit und ein Beweis der Unfähigkeit, Krieg auch dann als Krieg zu begreifen, wenn er in der Dritten Welt stattfindet.
Der gestrige Tag ist ein folgenschwerer Rückfall in eine unselige Tradition großdeutscher Außenpolitik.
Machen Sie diesen Schritt rückgängig!
Das Wort hat der Abgeordnete Kossendey.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, der Kollege Mechtersheimer hat sich eigentlich im wesentlichen um die Dinge gekümmert, die heute nicht auf der Tagesordnung stehen. Es geht darum, was die deutsche Bundesmarine möglicherweise im Mittelmeer zu tun gedenkt. Da will ich Ihnen ganz einfach mal das zitieren, was im Verteidigungsweißbuch von 1979 über die Aufgabe der Marine steht, 1979 deswegen, damit die Kollegen von der SPD auch zustimmen können. Da steht über den Auftrag der Marine, daß sie sich im Nordflankenraum konzentriert einsetzen möge, damit bei den Marinen unserer Bündnispartner Kräfte für die Abwehr von Bedrohungen im Atlantik und, wann immer geboten, auch außerhalb des NATO-Vertragsgebiets, das durch den Wendekreis des Krebses nach Süden begrenzt ist, freigesetzt werden. Genau das hat Manfred Wörner mit seiner Entscheidung eigentlich getan.
— Darüber will ich jetzt mit Ihnen gerne reden. — Wir haben also unsere Schiffe nicht in die Krisenregion selbst geschickt, sondern helfen unseren Verbündeten mit der Entlastung durch unsere Schiffe im Mittelmeer.Wir begrüßen diese Entscheidung von Manfred Wörner, und wir tun das aus drei guten Gründen:Der erste Grund: Die Bundesrepublik ist eine friedliebende Nation.Der zweite Grund: Die Bundesrepublik steht in der Solidargemeinschaft aller NATO-Länder,
und wir werden es einfach nicht zulassen, daß die Aufgaben unter den NATO-Ländern so aufgeteilt werden, daß sie für die verschiedenen Länder eine unterschiedliche Belastung bedeuten.
Ein dritter guter Grund — Herr Lippelt, möglicherweise interessiert Sie das auch — ist ganz einfach die Tatsache, daß wir als Bundesrepublik eine Handelsnation sind, die in ganz besonderem Maße auf die Sicherheit der Seeverbindungen angewiesen ist.Zu diesen drei Punkten will ich etwas sagen. Erstens. Friedliebende Nation, das heißt aus unserer Sicht nicht einfach nur, daß wir selber friedfertig sind; vielmehr wollen wir durch unser eigenes Verhalten überall, wo es möglich ist, friedliche Verhältnisse herstellen. Nun besteht wohl überhaupt kein Zweifel daran, daß das Legen von Minen auf internationalen Seestraßen eine kriegerische Sache ist.
Darum werden Sie doch wohl nicht herumdiskutieren wollen.Ich will Ihnen einmal deutlich sagen: Die NATO handelt in diesem Sinne friedenssichernd, wenn wir uns gemeinsam bemühen, die Minen von den internationalen Schiffahrtsstraßen wegzubekommen.
Was das mit Imperialismus oder mit Kanonenbootpolitik zu tun haben soll, verstehe ich eigentlich nicht. Herr Mechtersheimer, Sie sollten sich einmal vor Augen halten, daß die Sowjets dort genauso suchen wie die Amerikaner und daß sie sich sehr eng abstimmen, weil nämlich beide wissen, daß die Sicherheit der Meereswege ein ganz besonders hohes Gut ist.
— Das ist, glaube ich, nicht erlaubt. Es tut mir leid. Hinterher können wir gern darüber sprechen.
Der zweite Punkt: Wir stehen in der Solidargemeinschaft aller NATO-Länder, und wir wollen verhin-
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Kossendeydern, daß sich die NATO in zwei Teile teilt: diejenigen, die die Arbeit machen, und diejenigen, die davon profitieren, z. B. wir, wenn wir im Winter unseren Ölhahn aufdrehen und unbesorgt unsere warme Stube genießen. Was Sie wollen, wundert mich allerdings ein bißchen: Sie wollen hier die Kernkraftwerke abschalten und wollen auch noch am Golf den Ölhahn für uns zudrehen. Das paßt ja irgendwie nicht gut zusammen.
Der dritte Punkt:
Wir sind ein Land, das in ganz besonderem Maße vom Im- und Export abhängig ist.
Das wissen Sie. Die risikofreie Benutzung der internationalen Seestraßen sichert letztendlich auch bei uns eine Menge von Arbeitsplätzen. Aus diesem Grunde kann es uns einfach nicht gleichgültig sein, daß die Lebensadern der Handelsnationen in aller Welt vom Infarkt bedroht sind.
— Gut, darüber können wir hinterher gern diskutieren. Jetzt haben wir leider nicht die Möglichkeit.Nun haben Sie, Herr Wörner, wie wir wissen, aus guten Gründen darauf verzichtet, Minensuchboote direkt in den Golf zu entsenden. Unsere Hilfe beschränkt sich auf die verstärkte Präsenz im Mittelmeerraum. Dort üben — das sollten Sie, meine Damen und Herren, eigentlich wissen — die Marineeinheiten seit Jahren, und deswegen kann ich Ihre Aufgeregtheit gar nicht verstehen.Ich will versuchen, eine Ursache Ihrer Nervosität zu ergründen. Der Grund liegt wohl darin: Die Ereignisse im Golf zeigen sehr deutlich, daß Ihre Thesen von Krieg und Frieden sehr selten mit der Realität in Einklang zu bringen sind. Wer wie Sie bedingungslose Abrüstung fordert und wer in der eigenen militärischen Wehrlosigkeit schon eine Friedensgarantie sieht, bekommt tatsächlich am Golf eine deutliche Lektion erteilt. Wenn wir die Geschicke der Welt nicht irgendwelchen fanatischen Führern von irgendwelchen fanatisierten Völkern überlassen wollen,
müssen wir — das sage ich ganz deutlich — in der Lage sein, Freiheit und Sicherheit der Meere gegebenenfalls auch mit militärischem Gerät — und Minensuchboote sind nun einmal militärisches Gerät — zu gewährleisten. Ohne diese Option wären wir Einschüchterungen, Erpressungen und letztendlich auch Aggressionen ausgesetzt. Das vergessen Sie; Ihre Politik, wenn wir sie denn so durchgeführt hätten,hätte die Welt in eine gefährliche Situation gebracht.Andererseits haben Sie, Herr Mechtersheimer, überhaupt kein Konzept dafür vorgelegt, was man tun sollte. Ich glaube, Sie sollten begreifen: Am Golf hilft kein Lamentieren. Minen kann man nicht wegdiskutieren; die muß man wegräumen. Wer das nicht tut, handelt fahrlässig.
Deswegen füge ich hinzu: Diejenigen, die das im Golf tun, verdienen unseren Dank — genauso wie unsere Soldaten, die im Mittelmeer unseren Teil dieser Aufgabe erledigen.Gestatten Sie mir als jungem Parlamentarier zum Schluß noch eine Bemerkung: Wenn man den Grad der Aktualität dieser Aktuellen Stunde an der Anwesenheit der Mitglieder Ihrer Fraktion, die sie ja beantragt hat, messen wollte, käme man auf einen ziemlich geringen Wert.
Sie entschärfen dieses ehedem scharfe Schwert der parlamentarischen Aktuellen Stunde dadurch nicht unerheblich. — Danke.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Scheer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sollten nicht durch Übertreibungen oder Untertreibungen von den tatsächlichen Problemen des Nahen Ostens ablenken. Es ist falsch und unangemessen, den amerikanischen Flotteneinsatz mit der Kanonenpolitik eines Wilhelms II. zu vergleichen.
Dies enthält eine problematische Unterschätzung der Aktionen der fundamentalistischen Strömungen des Islam, die durchaus kriegsträchtigen Charakter haben.Andererseits darf nicht übersehen werden, welche weltpolitischen Gefahren der Eskalation aus unbedachtem Vorgehen in der Golfregion erwachsen. Höchste Umsicht ist nötig, um friedensfördernde Bedingungen zu schaffen. Dazu gehört selbstverständlich auch die aktuelle Eindämmung von Brandherden, auch wenn damit nicht alle Ursachen eines Konflikts aufgehoben werden können.Von daher ergibt sich für die aktuelle Konfliktlage im Golf folgendes: Es darf selbstverständlich nicht zugesehen werden, daß sich diejenigen durchsetzen, die am aggressivsten vorgehen. Dies bedeutet: Provokationen des islamischen Fundamentalismus in der Straße von Hormuz muß entgegengetreten werden. Ich glaube, darum darf man nicht herumreden. Strittig
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Dr. Scheerist für uns nicht, daß das geschehen muß, sondern allein, wie dies zu geschehen hat.
Ein Einsatz von Streitkräften kann allenfalls eine Ultima ratio, niemals aber eine eilfertige vorrangige ratio sein.Vorrangig sind für uns drei Elemente eines internationalen Krisenmanagements:Erstens. Friedensbemühungen im Nahen Osten müssen in enger Kooperation mit der Sowjetunion erfolgen.
Dazu muß im Westen von der Fiktion Abstand genommen werden, die Sowjetunion strebe an an die arabischen Ölquellen, um dem Westen den Ölhahn irgendwann einmal zudrehen zu können.Konfliktlösungen im Nahen Osten dürfen nicht mit dem Versuch der Erringung von Postitionsvorteilen im Ost-West-Verhältnis in Verbindung stehen. Wird dies versucht, dann besteht die Gefahr, daß der Golfkonflikt zu Spannungen im Ost-West-Verhältnis führt und daß spätestens dann die Vorgänge außer Kontrolle geraten.Die Gelegenheit zu einem gemeinsamen politischen Krisenmanagement mit der Sowjetunion war noch nie so günstig. Wir haben den Eindruck, daß dennoch zu viele mit einem westlichen Alleingang vorlieb nehmen, weil zwar ein sowjetisches Stillhalten, aber keine Mitbestimmung erwünscht ist. Der Golfkonflikt ist aber zu heikel, als daß wir uns dabei gleichzeitig eine Fingerhakelei zwischen Ost und West leisten könnten.
Zweitens. Es sind westliche Länder, die den Golfkrieg seit Jahren durch dauernde Waffenlieferungen verlängern helfen.
Befreundete westeuropäische Regierungen haben sich jüngst der amerikanischen Forderung nach einem Waffenembargo verweigert.
Diese Forderung kommt zwar sehr spät; sie ist aber dennoch richtig.
— Sie ist von den vorhergehenden Vorgängen her nicht ganz glaubwürdig, aber sie ist dennoch richtig.Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie unverzüglich alles für einen sofortigen internationalen Stopp des Exports von Waffen in den Irak und den Iran tut.
Das Geschäft mit dem Tod muß aufhören. Die Verantwortlichen der bundeseigenen Firma, die illegal Waffen in die Krisenregion geliefert haben, gehören entlassen und vor den Kadi, um hier einmal deutlich zu machen, wie da vorzugehen ist.
Drittens. Die Sicherung der Freiheit der Meere mit militärischen Mitteln ist eine weltpolizeiliche Aufgabe.
Wenn diese Aufgabe von einem einzelnen Staat oder Bündnis wahrgenommen wird, besteht die Gefahr des Umschlagens in einen sich eskalierenden Staatenkrieg.
Um diese Gefahren zu vermeiden, sollte deshalb einer Flotte der Vereinten Nationen die weltpolitische Aufgabe der Sicherung freier Seewege in der Golfregion übertragen werden. Dies könnte rasch geschehen, indem nationale Flottenverbände der UNO assigniert, also zugeordnet werden. Die Sowjetunion hat ihre Bereitschaft dazu bereits signalisiert. Die italienische Regierung hat jüngst eine UNO-Flotte vorgeschlagen. Sie fand leider keine ausreichende Unterstützung dafür. Wir schlagen erneut die Bildung einer solchen UNO-Flotte als Signal dafür vor, wie solche Konflikte, die alle angehen, künftig ohne die Gefahr einer Eskalation geregelt werden können.
Statt auf Forderungen nach einem Engagement der Bundesmarine mit unwägbarem Ausgang zu reagieren, sollte sich die Bundesregierung für die Einsetzung einer UNO-Flotte engagieren. Es ist unsere Bitte, daß so gehandelt wird.
— Das, was ich gesagt habe, ist deutlich genug.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hoyer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe drei Punkte, auf die ich gerne eingehen möchte. Das erste ist die Frage, ob das, was mit der Entsendung von Schiffen ins Mittelmeer verbunden ist, politisch richtig ist. Zweite Frage: Ist es bündnispolitisch wichtig und notwendig? Und die dritte Frage: Ist es militärisch vertretbar?Zur ersten Frage: Ich denke, es ist keinem, der an der Entscheidung beteiligt war, leichtgefallen, zu diesem Ergebnis zu kommen. Das aus zwei Gründen: Zum einen geht es schließlich um deutsche Soldaten, denen wir eine Last aufbürden, insbesondere denjenigen, die bereits in den letzten Monaten über längere Zeiträume hinweg auf hoher See gewesen sind. Das trifft zumindest für eines der betroffenen Schiffe zu. Wir wissen, daß wir hier ein Opfer verlangen. Wir sind dankbar, daß die Soldaten diesen Dienst auf sich nehmen. Wir meinen, daß wir es bei der Aufgabe, die sie
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Dr. Hoyerübernommen haben, von ihnen auch erwarten können.
— Gnädige Frau, bitte zähmen Sie Ihre Unruhe. Wir sind bei einem wichtigen und ernsten Thema. Ich versuche, mich damit auch entsprechend auseinanderzusetzen.
Der zweite Gesichtspunkt, warum diese Entscheidung schwergefallen ist, ist, daß die Bundesregierung in der Iran-Irak-Auseinandersetzung, in diesem fürchterlichen Krieg eine Vermittlungsmission begonnen hat, durchgeführt und, ich hoffe, auch weiter durchführen wird. Wir sind einer der wenigen Staaten, der mit beiden kriegführenden Parteien noch zu einem halbwegs konstruktiven Dialog in der Lage ist. Wir haben die Verantwortung — nicht nur im Bündnis, sondern drüber hinaus — zu versuchen, auf diesem Wege diesen fürchterlichen Krieg zu beenden, der schon viel zu lange andauert. Wir fordern die Bundesregierung auf, auf diesem Wege unverändert fortzufahren.
Von daher müssen wir feststellen, daß der Einsatz der Bundesmarine, die Entsendung von drei Schiffen ins Mittelmeer überhaupt nicht mit der Aufgabe, mit dem Versuch, im Iran-Irak-Konflikt vermittelnd einzugreifen, im Widerspruch steht. Wir greifen auch nicht im Golfkrieg ein, weder direkt noch indirekt.
Vielmehr schicken wir Schiffe ins Mittelmeer, um dort präsent zu sein, Übungen durchzuführen und Lücken zu füllen, die in der Tat von europäischen wie amerikanischen Bündnispartnern offengelassen worden sind.
Deshalb halten wir diese Entscheidung der Bundesregierung für politisch vertretbar.Zweitens. Wir halten diese Entscheidung für einen Akt praktischer Solidarität im Bündnis. Wir werden uns im Bündnis auf Dauer nicht darauf beschränken können, unseren Partnern immer nur zu sagen, was wir nicht zu tun gedenken, um zum gemeinsamen Ziel zu kommen.
Wir müssen auch einmal sagen, was wir konkret tun wollen. Wenn es mit der notwendigen Klugheit geschieht — wie das hier der Fall zu sein scheint — , werden wir Liberale das begrüßen und mittragen.
Es handelt sich um einen Akt praktischer Solidarität, auf den die Bündnispartner Anspruch haben. Sie haben ihn zu Recht angemahnt. Sie haben Verständnis dafür, daß wir uns so viel Zeit genommen haben,
daß es uns so schwergefallen ist, Herr Kollege Lippelt. Aber sie haben diese Botschaft auch verstanden.Dritter Punkt: Ist es vertretbar, die Schiffe aus dem eigentlichen Operationsgebiet herauszulösen und im Mittelmeer einzusetzen? Ich kann als Laie diese Frage nicht beantworten; ich muß mich auf das verlassen, was unsere Militärs, der Generalinspekteur und der Inspekteur der Marine, dazu sagen. Nach deren Auskunft scheint es vertretbar zu sein. Ich füge hinzu — ich sage das nun allerdings auch wieder als Laie — : Es würde mich doch sehr wundern, wenn das Herauslösen von drei Schiffen aus dem Nord- und Ostseegebiet im tiefsten Frieden bereits die gesamte Verteidigungskonzeption der Bundesmarine in der Nordregion gefährden würde. Das wäre allerdings ein übles Zeichen für den Zustand unserer Bundesmarine.
Dann müßten wir uns in der Tat die Gedanken über weitere Verbesserungen im Bereich der Marine machen, die von Ihnen, Herr Mechtersheimer, bereits angesprochen worden sind.
Kommen wir zur Conclusio: Die Entscheidung der Bundesregierung ist politisch richtig. Sie gefährdet unsere Bemühungen um einen Ausgleich, um eine Beendigung des Krieges im Iran-Irak-Konflikt in keiner Weise.
Die Entscheidung ist bündnispolitisch wichtig und signalgebend. Sie hat unsere Politikfähigkeit unter Beweis gestellt.
Und sie ist militärisch, was die Aufgabenerfüllung der Bundesmarine in ihrem eigentlichen Operationsgebiet angeht, vertretbar. Von daher halten wir diese Entscheidung für richtig. Unsere Gedanken sind bei den Soldaten, die dort jetzt hinfahren. Wir hoffen, daß sie bald gesund wiederkehren.Danke schön.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Beer.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ihre „ernsthafte" Auseinandersetzung besteht in Ignoranz und Arroganz. Deshalb werde ich hier noch einmal einige Tatsachen ansprechen.Am Persischen Golf kämpfen zwei Regime um die Vorherrschaft, die sich beide durch interne Repression und nach außen gerichteten Expansionsmus auszeichnen. Der Beginn des Krieges durch den Irak, die unversöhnliche Kriegshaltung des Iran, Giftgas- und Raketenangriffe auf die Zivilbevölkerung sind Praktiken, die zeigen, daß sich beide Kriegsparteien an
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2302 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1987
Frau BeerMenschenverachtung und Brutalität in nichts nachstehen.
Statt wirklich an einer Beendigung des Krieges zu arbeiten, haben die USA — das ist klar geworden — in den Konflikt zunehmend interveniert. Sie haben den Konflikt durch die Entsendung einer großen Kampfflotte weiter zugespitzt und das Risiko eines internationalen Zusammenstoßes vergrößert.Frankreich, Großbritannien und andere westeuropäische Länder sind nach langem Zögern inzwischen auf die US-Position eingeschwenkt und haben eigene Marineeinheiten in den Golf entsandt. Die Bundesregierung — bzw. der Bundesverteidigungsminister im Alleingang — hat der Bundesmarine neue, zusätzliche Aufgaben zugewiesen, die die US-Kriegsmarine und andere NATO-Flotteneinheiten entlasten sollen.Damit lassen sich zwei Dinge feststellen: Erstens ist das Säbelrasseln im Golf, ist der „Panthersprung" in den iranisch-irakischen Krieg inzwischen faktisch eine NATO-Out-of-Area-Operation, wenn auch nicht formell. Diese Operation hat allerdings nichts mit Verteidigung zu tun, auch nichts mit Friedenspolitik. Es handelt sich um eine klassische imperialistische Machtdemonstration, um einen Quasi-Krieg zur Sicherung und Ausdehnung westlicher Machtsphären.Zweitens. Die Bundesregierung ist von ihrer Position abgegangen, nur klammheimlich Hilfestellung zu leisten und hat die Rolle einer aktiven Beihilfe übernommen. „Wir sind wieder wer! " das ist es, worum es geht. Pikant ist dabei natürlich das Doppelspiel, in dem sich die Bundesregierung gefällt: Während sie einerseits die Kanonenbootpolitik der USA gegen den Iran im Golf flankiert und absichert, möchte sie andererseits zugleich die iranische Karte spielen.In Arbeitsteilung mit Frankreich, das den Irak für den freien Westen zurückgewinnen möchte, geht es Herrn Genscher offensichtlich darum, zu erreichen, was die Reagan-Administration durch ihre iranischen Waffendeals nicht erreichte: im iranischen Regime den Fuß in der Tür zu behalten. Wer auf beide Pferde setzt, kann wohl nicht verlieren, und dem Außenhandel dient das allemal. Die geheimen und illegalen Waffenlieferungen an den Iran durch die bundeseigene Firma Fritz Werner sind hier nur ein besonders schönes Beispiel.All diese politisch und militärisch abgestimmten Maßnahmen sind ein weiterer Schritt, die NATO-Länder als außenpolitischen Kampfverband zu organisieren und über informelle Mechanismen an Einsätzen in der Dritten Welt zu beteiligen, auch wenn sich die NATO als Organisation dabei zurückhält. Eine militärische Machtdemonstation — —
Frau Abgeordnete, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir das Geschäft nicht allzu schwer machen würden. Sie haben Ihre Redezeit deutlich überschritten. Und bei aller Großzügigkeit: Es gibt eine Vereinbarung des Ältestenrates.
Frau Beer [GRÜNE]: Ich komme zum Schluß. — Sie fragen nach unserem Konzept, und das möchte ich noch ganz kurz darstellen: Es kann nur darin bestehen, sämtliche Waffenlieferungen an die Kriegsparteien durch alle Staaten zu unterbinden, jede militärische Präsenz von Nicht-Anliegerstaaten zu beenden und alle fremden Flotteneinheiten aus dem Golf zurückzuziehen. Die Kriegsparteien sind aufgerufen, Giftgas- und Raketenangriffe gegen Zivilisten und den Tankerkrieg einzustellen und den Krieg ohne jede Vorbedingung zu beenden.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Uelhoff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte ein böses Wort der GRÜNEN hier nicht unwidersprochen im Raum stehenlassen.
Wer hier von dem Engagement der Bundesmarine im Mittelmeer als von Kanonenbootpolitik spricht, hat von der Geschichte keine Ahnung. Und da es sich um intelligente Redner handelt,
hat er hier Infames vorgetragen.
Unser Bundespräsident heißt nicht Kaiser Wilhelm, und der Generalinspekteur der Bundeswehr ist nicht Admiral Tirpitz.
Schiffe der Bundesmarine im Schutzbereich „Mittelmeer" sind Ausdruck der Solidarität mit unseren Verbündeten und darüber hinaus — das sollten die GRÜNEN sich auch mal merken — Ausdruck der Wahrnehmung wohlverstandener wirtschaftlicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland. 50 % des Erdölvorkommens der Welt — hören Sie mal gut zu; es geht nicht um Kernkraft; es geht um Erdöl — liegen in der Golf-Region. Keine Industrienation kann für ihre Entwicklung, für ihren Wohlstand und für ihre soziale Sicherheit auf diesen Rohstoff Erdöl verzichten.
Ich halte es deshalb für die vornehmste Pflicht aller Staaten, ihren Beitrag zum Frieden in dieser Region zu leisten. Auch die Bundesregierung hat in den letzten Jahren das ihrerseits Mögliche durch persönliche und diplomatische Kontakte getan.
Leider tobt der mit furchtbaren konventionellen Waffen geführte Krieg zwischen Iran und Irak weiter und macht keinen Halt vor der Zivilbevölkerung, geschweige denn vor den internationalen Seewegen und den Handelsschiffen im Persischen Golf. Nach
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Dr. UelhoffMeldungen aus den USA weicht sogar der Ost-West-Konflikt einer begrenzten Partnerschaft in dieser Region; denn seit Monaten schon sollen die USA und die Sowjetunion ihre Geheimdienstdaten über die georteten Lagerplätze von Minen austauschen. Daraus mögen Sie entnehmen, meine Kollegen der GRÜNEN, daß auch sowjetische Streitkräfte in der Golf-Region aktiv sind.
Schließlich geht es in der Golfregion, und zwar mit allem Nachdruck, auch um den Schutz deutscher Staatsangehöriger; denn immerhin fahren zur Zeit sieben deutsche Container- und Versorgungsschiffe mit etwa 200 deutschen Seeleuten an Bord im Persischen Golf.Marineeinheiten der USA, aus Großbritannien, Italien, den Niederlanden und Belgien schützen im Golf nicht nur deutsche Wirtschaftsinteressen; nein, sie schützen dort auch deutsche Staatsbürger. Nehmen Sie das bitte einmal zur Kenntnis. Unsere Verbündeten leisten diesen Dienst, weil dies die deutsche Marine im Persischen Golf aus guten Gründen nicht tut.Es ist ein starkes Stück, wenn unsere Verbündeten für diesen Dienst aus Deutschland gelegentlich sogar kritisiert werden. Nein, den amerikanischen, den englischen, den italienischen, den holländischen und den belgischen Marinesoldaten und ihren Heimatländern gebührt unser Dank für ihre Solidarität mit uns in der Bundesrepublik Deutschland.
Ihnen gebührt Dank dafür, daß sie mit Minensuchbooten unter Gefahr für Leib und Leben die Tod und Zerstörung bringenden Seeminen wegräumen und damit sowohl Menschenleben als auch die freie Handelsschiffahrt sichern. Angesichts dieser Rechtsgüter will ich die großen finanziellen Belastungen unserer Verbündeten nur am Rand erwähnen.Solidarität ist keine Einbahnstraße!Die Bundesregierung und Verteidigungsminister Wörner haben sich solidarisch verhalten, als sie drei deutsche Schiffe zur Entlastung unserer Verbündeten ins Mittelmeer geschickt haben; übrigens völlig übereinstimmend mit dem Bundeswehr-Report 1979. Als sie diese drei Schiffe zur Entlastung unserer Verbündeten dorthin geschickt haben, war das ein Akt der Solidarität.
In der Atlantischen, aber auch in der Europäischen Gemeinschaft sitzen wir wahrlich in einem Boot, und es geht nicht an, daß sich eine wirtschaftliche Großmacht wie die Bundesrepublik Deutschland von ihren Freunden die Kohlen aus dem Feuer holen läßt. Wir wollen und wir müssen und wir werden unseren Solidarbeitrag leisten.Einige liegen schon auf der Lauer, die jenen gefährlichen Kräften in den USA Argumente zuspielen wollen, auf die europäischen Verbündeten sei kein Verlaß. Immerhin hat der Direktor für Europafragen im Pentagon, George Bader, schon mit Sorge signalisiert, mangelnde Eigenleistung der Europäer bei der Verteidigung könne ein großes Wahlkampfthema in den USA werden. Dies kann niemand wünschen,
der weiß, daß wir alle — auch Sie, Herr Kollege Mechtersheimer; das haben Sie hoffentlich nicht erst bei der Bundeswehr gelernt, sondern schon früher —
unsere Freiheit der NATO und der Partnerschaft mit den USA verdanken. Die Verbündeten schützen auch deutsche Interessen in der Golf-Region. Wir entlasten unsere Verbündeten im NATO-Schutzbereich Mittelmeer, und dies, wie der Kollege Hoyer zutreffend nachgewiesen hat, ohne den Marineauftrag an der Nordflanke der NATO zu gefährden.Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jungmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Uelhoff! Mein Kollege Scheer hat hier festgestellt, daß wir der Auffassung sind, daß der Golf-Krieg nicht mit militärischen Mitteln zu lösen ist. In diesem Zusammenhang sollten wir uns davor hüten, über die Bundesrepublik Deutschland, in welchem Zusammenhang auch immer, als von einer Großmacht zu reden. Wer von der wirtschaftlichen Großmacht spricht, ist nicht weit von der militärischen Großmacht. Davor sollten wir uns hüten.
Meine Damen und Herren, die Bundesmarine stellt seit einiger Zeit immer größere Kontingente für Aufgaben außerhalb ihres eigentlichen, mit der NATO vereinbarten Einsatzgebietes ab. Seit gestern nun sind der Zerstörer „Mölders", die Fregatte „Niedersachsen" und der Versorger „Marburg" auf dem Weg ins Mittelmeer zu Übungen mit einem NATO-Abrufverband. Gehört das alles zu den Aufgaben, die mit der NATO vereinbart worden sind? Gemäß Auftrag der NATO stellt die Konzeption der Marine folgende Prioritäten fest: Schutz der Sicherung der Ostseezugänge, Aufgaben in der Nordsee und Sicherung des Nachschubs in der Nordsee und in der Deutschen Bucht. Die jetzt durchgeführten Maßnahmen stehen in Widerspruch zu diesem Auftrag und zu Ihrer eigenen Bedrohungsanalyse, Herr Wörner. Die Lagebeurteilung der NATO-Oberbefehlshaber und des Inspekteurs der Marine steht seit Jahren fest. Sie sehen in der Bedrohung der Seewege durch die sowjetische Nordmeerflotte ihre Hauptaufgabe.Mit welchem Recht handeln Sie gegen die Aufgabenstellung der Marine und damit gegen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland? Wenn Sie die
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2304 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1987
JungmannBedrohung heute plötzlich anders sehen, wenn der riesige, bedrohliche rote Pfeil, den Sie immer auf Ihren Karten zeigen — von der Halbinsel Kola bis in den Atlantik hinein —, den Sie immer so dramatisch darstellen, nicht mehr so gefährlich ist, dann müssen Sie das sagen. Sie werden dann bei uns volles Verständnis finden; denn das entspräche genau unserer seit langem behaupteten Auffassung, daß Ihre Bedrohungsanalysen überzeichnet sind.Es scheint aber fast so, als ob hinter diesen Aktivitäten der Marine in den letzten Jahren ein Konzept für eine schrittweise Aufgabenerweiterung der Marine steht. Es fing 1980 mit der Freigabe der Begrenzung der Einsatzgebiete im 61. Breitengrad nördlicher Breite und im Ärmelkanal an. Wie es weitergeht, sehen wir heute.Es stellt sich die Frage, warum Einheiten plötzlich ins Mittelmeer müssen! Wo ist denn die Krise im Mittelmeer?
Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium hat in der Fragestunde erklärt, daß wir in einer politischen Landschaft leben, in der glücklicherweise ein militärischer Konflikt in unserer Region ausgeschlossen ist. Sie, Herr Minister, haben das im Verteidigungsausschuß bestätigt. Wenn diese sicherheitspolitische Analyse richtig ist, frage ich mich, welche Krisensituation vom 7. auf den 8. Oktober im Mittelmeer eingetreten ist, um plötzlich weitere deutsche Seestreitkräfte in das Mittelmeer zu schicken. Hat Herr Würzbach dem Parlament am Mittwoch bewußt Tatsachen verschwiegen oder gar die Unwahrheit gesagt?Er hat in dieser Fragestunde außerdem ganz besonders die Mobilität der Marine gewürdigt. Wenn die Marine so mobil ist, . dann könnte sie zur Unterstützung der Verbündeten auch genauso schnell ins Mittelmeer fahren, wie sie angeblich aus dem Mittelmeer ins Nordmeer bei einer Krise zurückkommen könnte. Oder fährt man aus dem Süden in Richtung Norden mit einem Schiff schneller als aus dem Norden in Richtung Süden? Ich stelle fest, daß die ganze Situation politisch nicht durchdacht ist und nicht von einem außenpolitischen Konzept getragen wird.
Hier wird überstürzt und ohne Not gehandelt, nur um den Amerikanern ein wenig gefällig zu erscheinen.Die SPD-Fraktion kann aus wichtigen Gründen diesen Schritt nicht mittragen. Er schwächt die Position der NATO an der Nordflanke. Wir wehren uns dagegen, daß eine Krise herbeigeredet wird und wegen dieser vermeintlichen Krise auch noch Schiffe dorthin entsandt werden. Wir sind dagegen, daß eine schleichende Ausdehnung des Einsatzgebietes unserer Marine betrieben wird. Es ist besser, die Aufgaben, die man innerhalb der NATO hat, vernünftig auszufüllen, als auf allen Hochzeiten zu tanzen und sich dabei zu übernehmen.
Jede direkte oder indirekte Beteiligung an der Golfkrise lehnen wir ab.
Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Zunächst einmal steht eines außer Zweifel: Die Bundesregierung — wie alle vernünftigen Menschen — unterstützt aktiv die Bemühungen um Frieden im Golf. Die Bundesregierung wirkt nicht erst seit gestern — und das hört auch heute nicht auf — aktiv auf beide kriegführenden Staaten im Sinne der Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen ein und leistet damit einen wesentlichen politischen Beitrag im Sinne des Westens, ja des Weltfriedens.Wir — hoffentlich nicht nur wir — verfolgen mit besonderer Sorge die Ausweitung des Konflikts durch den Einsatz von Minen, auch in internationalen Gewässern. Das scheinen manche zu übersehen: Damit stehen Menschenleben und Schiffe auf dem Spiel; übrigens: unbeteiligte, neutrale, zivile. Sie sollten einmal lesen, was der Verband Deutscher Reeder in Sorge um deutsche Seeleute und ihr Leben erst unlängst wieder an den Bundesverkehrsminister geschrieben hat.Darum, Herr Mechtersheimer, und nicht, um direkt oder indirekt Krieg zu führen, sind die USA und die beteiligten Europäer im Golf. Sie sind dort, um das Leben unbeteiligter, ziviler Seeleute zu schützen. Deswegen verdienen sie nicht Kritik, sondern Anerkennung für diesen Einsatz.
Im übrigen weise ich die Vorwürfe auch im Interesse unserer Verbündeten mit aller Entschiedenheit zurück. Das gilt im übrigen auch für die Bundesregierung. Ich meine, man muß die Dinge schon sehr stark auf den Kopf stellen, um zu behaupten, wir beteiligten uns indirekt an diesem Krieg oder eskalierten den Krieg in der Golfregion, indem wir Schiffe ins Mittelmeer entsenden.Ganz abgesehen davon: Ausdrücke wie „Kanonenbootpolitik" oder — wie hieß es? — „Panthersprung" zeigen nur eines: eine beklagenswerte Unkenntnis der Geschichte, meine Damen und Herren.
Aber das ist typisch für die GRÜNEN: Sie klagen nicht den an, der die Minen legt; sie klagen den an, der sie wegräumt und damit Menschenleben schützen will.
Für uns bleibt klar: Verletzungen des Völkerrechts gegenüber der neutralen Schiffahrt dürfen von der Völkergemeinschaft und den Flaggenstaaten nicht hingenommen werden. Wir, die Deutschen, haben
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Bundesminister Dr. Wörnerwie alle anderen Staaten — darauf haben die Kollegen der Koalition mit Recht alle hingewiesen — ein Interesse an der Aufrechterhaltung des Prinzips der Freiheit der Meere und der Freiheit der Schiffahrt. Dieses gilt es auch im Golf zu erhalten. Um nichts anderes geht es.
Für den Westen ist auch die ungehinderte Ölversorgung wichtig; im übrigen auch für uns. Dies wurde beim Gipfeltreffen der westlichen Industriestaaten in Venedig von allen zum Ausdruck gebracht. Darum sage ich für die Bundesregierung: Wir wissen das maritime Engagement von sechs verbündeten Nationen — den Amerikanern, den Franzosen, den Briten, den Italienern, den Belgiern und den Niederlanden — zum Schutz der freien Schiffahrt in der Golfregion zu würdigen. Ich danke ihnen für diesen Einsatz namens der Bundesregierung.
Im übrigen bin ich mir jetzt nicht mehr sicher, was die SPD will und was sie nicht will. Der Kollege Jungmann sprach hier davon, daß die SPD diese Situation nicht mit militärischen Mitteln bereinigen wolle. Der Kollege Scheer schlug die Entsendung eines Rottenverbands, also militärischer Mittel, vor. Da kann ich nur sagen: entweder das eine oder das andere. Solange Sie sich selbst nicht im klaren sind, sollten Sie sich nicht hier hinstellen und große Worte sprechen.
Solidarität im Bündnis — Herr Scheer, das sollten Sie wissen; denn Ihre Parteifreunde beschwören es laufend in Washington und überall sonst im Bündnisgebiet — zeigt sich nicht bei Sonntagsreden und nicht, wenn die Sonne scheint. Solidarität zeigt man, wenn unangenehme Entscheidungen getroffen werden müssen, in schwierigen Zeiten.
Das ist der Sinn der Entscheidung, die ich getroffen habe und zu der ich stehe.Der Bundeskanzler hat
am Rande des Wirtschaftsgipfels seine grundsätzliche Bereitschaft zu Kompensationsleistungen durch Einheiten der deutschen Marine erkennen lassen.
Ich habe diese Erklärung umgesetzt und entschieden, eine Einsatzgruppe der deutschen Marine in das Mittelmeer zu entsenden. Diese Einsatzgruppe ist gestern ausgelaufen. Dieser Entscheidung ist übrigens die Abstellung des Tenders „Saar" vorausgegangen. Auch diese Einsatzgruppe, die sogenannte Standing Naval Force Channel, operiert im Augenblick im Mittelmeer.Mit diesen Maßnahmen verfolgen wir drei Zwecke: Erstens zeigen wir unsere Solidarität mit unseren Bündnispartnern. Zweitens tragen wir zu ihrer Entlastung bei. Drittens bekunden wir damit unser eigenes nationales Interesse an der weltweiten Freiheit der Schiffahrt, auch im Golf.
Im übrigen: Bei krisenhaften Entwicklungen, Herr Kollege Jungmann, können diese Einheiten schnell und flexibel zurückgerufen werden; das wissen Sie sehr gut.Das Bild der maritimen Bedrohung — das sagte ich Ihnen bereits im Ausschuß und habe es dort begründet — hat sich nicht geändert.
Aber es ist nun einmal die Eigenart von Flottenverbänden, beweglich zu sein, daß heißt, auch schnell von einem Gebiet in das andere verlegt zu werden.
Die Bundesregierung hat sich mit diesem Schritt entschieden, nicht von Solidarität zu reden, sondern Solidarität zu praktizieren. Daß diese Entscheidung von den NATO-Partnern auch so verstanden wird, mag Ihnen die positive Reaktion unserer Bündnispartner zeigen. Stellvertretend dafür nehme ich die öffentliche Bekundung des italienischen Verteidigungsministers, meines Kollegen Zanone, der im Ersten Deutschen Fernsehen folgendes erklärt hat — und das sollten Sie sich vielleicht doch noch einmal anhören — :Besonders möchte ich meine Wertschätzung hinsichtlich der Entscheidung der deutschen Regierung, drei Schiffe der eigenen Flotte ins Mittelmeer zu entsenden, ausdrücken.
Es bleibt festzuhalten, daß die deutsche Regierung hiermit gegenüber den Alliierten, die die Aufgabe in der Golfregion übernommen haben, die freie Schiffahrt aufrechtzuerhalten, ihre konkrete eigene Solidarität ausdrücken wollte. Die Entscheidung der deutschen Regierung, welche anerkannt hat, daß die freie Schiffahrt im Golf auch den Interessen der Bundesrepublik Deutschland entspricht, ist eine logische Folge der Verpflichtungen, die von den sieben industrialisierten Ländern auf dem Gipfel in Venedig im Juni übernommen worden sind.
Dem habe ich nichts hinzuzufügen, außer dem einen Gedanken: Wenn Bündnispartner der Allianz Aufgaben wahrnehmen, die im Interesse des Friedens und im Interesse aller Bündnispartner liegen, dann verdienen sie die Unterstützung. Die Bundesregierung ist bereit, ihnen diese Unterstützung heute und auch zukünftig zu geben.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Zumkley.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat im Juni am Rande des Gipfels von Venedig von Arbeitsteilung im Hinblick auf die Entlastung der Amerikaner wegen deren Engagement in der Golfregion gesprochen. In diesem
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ZumkleyZusammenhang, Herr Minister, war davon die Rede, die Präsenz der Bundesmarine im Zusammenhang mit der Atlantikroute zu erhöhen, um die USA zu entlasten. Spätestens seit diesem Zeitpunkt war die Frage einer Ausweitung der bundesdeutschen Aktivitäten im Atlantik erneut gestellt. Mit der Entscheidung, eine Einsatzgruppe der Bundesmarine unter NATO-Kommando in das Mittelmeer zu entsenden, ist ein Schritt zur Konfliktbeteiligung getan, ohne daß damit die Konfliktlösung im Golf nähergerückt ist.
Bereits bei der Ablösung eines belgischen Schiffes durch den Tender „Saar" im ständigen Einsatzverband Ärmelkanal hat die Bundesregierung die Frage, ob dies der bundesdeutsche Einstieg in die Golfkrise ist, mit Nein, aber auch mit Ja beantwortet. Durch den jetzt erfolgten Schritt in Richtung Mittelmeer ist nicht nur geographisch eine weitere Annäherung an die Position der USA im Golfkonflikt erfolgt.Zu einem vernünftigen Krisenmanagement gehören eine ausreichende parlamentarische Behandlung und umfassende Informationspolitik. Wir kritisieren, daß weder in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages noch in einer einen Tag vor der Bekanntgabe der Entscheidung stattgefundenen Fragestunde des Deutschen Bundestages über die Vorgänge und Absichten durch die Bundesregierung rechtzeitig informiert wurde.
Die Bundesregierung bezeichnet die Entsendung des Einsatzverbandes in das Mittelmeer als Ausdruck der Bündnissolidarität. Ich kann das, Herr Minister, bis zu einem gewissen Maße sogar nachvollziehen, zumal das NATO-Gebiet nicht verlassen wird und Übungen in diesem Raum unter Beteiligung der Bundesmarine gelegentlich bereits staatfanden. Der jetzige Einsatz jedoch geht über diese bisherige Routine hinaus: Kein NATO-Staat — insbesondere im Mittelmeerraum — ist bedroht.Die Bundesmarine hat — das ist in der Vergangenheit immer wieder betont worden, und mein Kollege Jungmann hat darauf hingewiesen — ihre Aufgaben in der Ost- und Nordsee sowie im Atlantik, im Interesse des Bündnisses. Die Bundesregierung sollte die Bundesmarine sich auf diese Aufgaben konzentrieren lassen. Das ist dann auch Bündnissolidarität.Mit dem jetzigen Schritt, meine Damen und Herren, bleibt zudem abzuwarten — der Kollege Dr. Hoyer hat darauf hingewiesen — , ob die deutschiranischen Beziehungen, die bisher besser schienen als die Beziehungen anderer westlichen Staaten zum Iran, belastet werden. Die Bundesrepublik sollte weiterhin in der Lage sein, Einfluß auf den Iran — wenn der denn vorhanden ist — im Interesse einer Kriegsbeendigung im Golf zu behalten. Das liegt wiederum im Interesse des westlichen Bündnisses.Die Bedenken des amerikanischen Kongresses, der eine Ausweitung in einen größeren Krieg in der Golfregion und die Verwicklung von Verbündeten in diesen Konflikt befürchtet, sind ernst zu nehmen. Es müssen alle Anstrengungen unternommen werden, die Gegner in der Golfregion zur Einstellung der Kriegshandlungen zu bringen und die Flottenpräsenz im Golf wieder abzubauen. Der Einsatz im Mittelmeer scheint mir in dieser Lage nach Abwägung aller Faktoren nicht das Klügste zu sein.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kansy.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor drei Wochen ist eine Reihe von Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die Mitglieder der Nordatlantischen Versammlung, sind, des Parlamentariergremiums des NATO-Bündnisses, in Oslo mit einer Resolution konfrontiert worden, die anschließend mit großer Mehrheit verabschiedet worden ist, Herr Kollege Jungmann. In dieser Resolution bekräftigen Abgeordnete aus 16 Bündnisländern, aus 16 Demokratien die Forderung, in der Situation, in der sich zur Zeit der Golf befindet, seitens der Partnerstaaten der NATO zu helfen.Die Frage an uns war: Warum nicht auch ihr Deutschen? Warum nur wir Amerikaner? Warum nur wie Engländer? Warum nur wir Franzosen, wir Italiener, wir Holländer, wir Belgier? Wir haben diese Frage auf Grund unserer spezifischen Verfassungssituation beantwortet. Aber deswegen, meine Damen und Herren, ist die Entscheidung, die die Bundesregierung getroffen hat — ich gehe sogar etwas weiter als mein Kollege Hoyer — , nicht nur richtig und vertretbar, sondern richtig und notwendig und auch überfällig, um im Bündnis glaubhaft zu bleiben.Zweitens. Herr Kollege Jungmann, Sie haben zwar nicht gerade Herrn Tirpitz angesprochen, aber indirekt den Vorwurf gemacht, wir wollten diese Situation benutzen, die Aufgaben der Bundesmarine in neue Regionen zu verschieben. Sie haben dabei die veränderte Aufgabenstellung beispielsweise im Bereich der Norwegensee erwähnt, die tatsächlich vor 15 oder 20 Jahren nicht im Konzept der Bundesmarine war.
Nur, Herr Kollege, zu dieser Zeit gab es keine sowjetische Nordflotte auf Kola, keine massive neue Bedrohung des Nordatlantik durch die Sowjetunion. Auch die Entsendung von deutschen Kriegsschiffen über den Bereich der Küstenregion der Nordsee hinaus z. B. in die Norwegensee ist kein Ausdruck von deutscher Großmannssucht, sondern auf Grund langen Drängens unserer Bündnispartner erfolgt. Vor diesem Hintergrund warne ich gerade die Kollegen der Sozialdemokraten, die schlimmen Vorwürfe der GRÜNEN — Kanonenbootpolitik und ähnliches — hier zu wiederholen
— ich nehme das Wort „wiederholen" zurück — oder mit der Verschiebung der Einsatzbereiche der Bundesmarine und ähnlichem hier den Eindruck zu erwecken, als ob wir vor lauter Langeweile für unsere Schiffe nichts Besseres zu tun hätten, als neue Einsatz-
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Dr.-Ing. Kansygebiete zu suchen. Es war eine notwendige und wesentliche Verpflichtung für uns, um im Bündnis glaubhaft zu bleiben. Deswegen begrüßen wir die Entscheidung der Bundesregierung, die hier getroffen wurde.
— Herr Kollege Horn, richtig ist, daß es sich um einen Einsatz handelt, der zunächst befristet ist. Diese Befristung ist vom Verteidigungsminister soeben begründet worden. Das Abziehen eines Zerstörers, einer Fregatte und einem Versorger aus den Nordatlantik
gibt überhaupt keinen Anlaß, hier das Szenario aufzustellen, die Sicherheit im Nordatlantik sei dadurch gefährdet.
Aber, Herr Kollege Jungmann, ich möchte auch an dieser Stelle sagen: Natürlich bedeutet das einen zusätzlichen Einsatz für Menschen und Material. Wenn sich, Herr Verteidigungsminister, diese Solidaritätsaktion nicht auf die Zeit befristen läßt, wie wir heute hoffen, dann stellt sich natürlich die Frage, ob wir im Bereich der Bundesmarine mit den Kräften, die heute vorhanden sind, auskommen. Das muß hier ausgesprochen werden.
Wenn sich, Herr Kollege Jungmann, diese bisher befristete Solidaritätsaktion ausweiten sollte, ergibt sich auch für uns das Problem — wir haben das im Verteidigungsausschuß vereinbart — , über die Möglichkeiten unserer Bundesmarine nachzudenken.
Nun hat der Abgeordnete Lowack das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Diese Aktuelle Stunde hat leider gestern nachmittag einen besonders aktuellen Anlaß durch die Zerstörung einer weiteren Schiffseinheit im Golf erhalten. Ich wäre dankbar gewesen, wenn die GRÜNEN darüber heute etwas mehr gesprochen hätten, als sich auf Nebenkriegsschauplätze zu begeben.Bei dieser Aktuellen Stunde handelt es sich um die Frage einer deutschen Kompensationsleistung im Bündnis. Ich frage Sie zunächst einmal: Wenn wir für uns in Anspruch nehmen, daß Amerikaner, daß Briten, daß Holländer, daß Belgier bei uns in Deutschland Dienst tun, ist es dann nicht natürlich, daß wir auch bereit sind, deutsche Einheiten im Mittelmeer einzusetzen?
Lieber Herr Jungmann, Sie haben die Bedrohungsanalyse angesprochen. Sie wissen selber, über welcheausgezeichneten technischen Einrichtungen wirheute verfügen, um genau zu wissen, was in der Ostsee oder auch im Mittelmeer los ist, und daß allein die Kenntnis dessen, was sich abspielen kann und welche Einheiten in dem Raum sind, für den wir in erster Linie Verantwortung tragen, diesen Einsatz dieser drei Einheiten ermöglicht.
— Lieber Kollege Jungmann, das Entscheidende ist, daß mit dem Abzug oder mit der anderen Verwendung dieser drei Einheiten keine Gefährdung im Bereich der Ostsee eintritt, weil wir hervorragend darüber informiert sind, was sich dort abspielt.
— In Ost- und Nordsee, gut.Um aber mal bei dem Hintergrund der Entsendung von drei Einheiten der Bundesmarine zu bleiben, frage ich Sie, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen: Sind der Schutz der freien Schiffahrt und die ungehinderte Ölversorgung nur im amerikanischen, britischen, italienischen, holländischen, belgischen oder sowjetischen Interesse? Ist er nicht auch ein deutsches Problem und in deutschem Interesse?An die Fraktion der GRÜNEN gerichtet: Legen Sie doch bitte endlich einmal Ihre gespielte oder vielleicht auch tatsächlich vorhandene Naivität und vor allen Dingen Ihre Trittbrettfahrermentalität ab, mit der Sie letztlich Ihre Verantwortung für die deutsche Sicherheit ablehnen!
Ich will es noch klarer sagen: Legen Sie doch mal Ihre politischen Eierschalen ab! Wir sind ein souveräner Staat.
Würde das jemand in Zweifel ziehen, dann höchstens deshalb, weil Sie hier den Eindruck erwecken, daß Ihnen die notwendige Souveränität fehlt, mit diesem Thema umzugehen.Wir sind kein aggressiver Staat, und die ganze Welt weiß das. Wir brauchen das nicht täglich zu beweisen. Wir sind auch kein Staat zweiter oder dritter Klasse. Wir nehmen wie jeder andere Staat für uns in Anspruch, unsere Rechte und Interessen zu wahren.
Wir tun es nicht allein, wir tun es zusammen mit anderen, mit denen wir verbündet sind. Und wir tun es auch zugunsten anderer Länder, mit denen uns ein gemeinsames Interesse, die Freiheit der Meere zu verteidigen, verbindet. Wir stehen innerhalb der Völkerfamilie und nicht außerhalb. Es liegt im Interesse aller Nationen, die Freiheit der Schiffahrt auf internationalen Seerouten zu gewährleisten.
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2308 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1987
LowackDie Rechtslage ist klar.
Dazu möchte ich in einem Schwerpunkt Bezug nehmen: Gemäß Art. 24 Abs. 2 des Grundgesetzes kann sich der Bund zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit anschließen. Wir haben das mit dem Beitritt zur NATO getan. Innerhalb des in Art. 6 des NATO-Vertrages definierten Gebietes, d. h. des Bereichs der Gebietshoheit und des atlantischen Gebietes nördlich des Wendekreises des Krebses, ist jeder übungs- und kriegsmäßige Einsatz zur kollektiven Verteidigung zulässig.
Die Abordnung von Marineeinheiten der Bundeswehr in das Mittelmeer entspricht deswegen nationalem, es entspricht Bündnis- und es entspricht internationalem Recht.
Herr Abgeordneter, entschuldigen Sie, wenn ich Sie mal unterbreche.
Herr Dr. Mechtersheimer, bei allem Verständnis für Engagement: Die Summe Ihrer Zwischenrufe ist nicht erträglich. Das ist inzwischen störend für den Redner. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich ein wenig zurückhielten.
Ich bin gern zu einem kleinen Privatissimum bereit, lieber Herr Mechtersheimer, wenn das erforderlich erscheint.
Es wäre zulässig — das auch an Ihre Adresse —, wenn Einheiten der Bundesmarine, etwa zu Übungszwecken, jedenfalls in Wahrnehmung der Freiheit der Seewege, das ihnen nach internationalem Recht Zustehende in Anspruch nehmen und den Persischen Golf befahren würden, wenn sie sich bei einem Angriff verteidigten oder wenn sie bei einem Angriff auf andere Schiffseinheiten mit dazu beitrügen, daß der Angriff abgewiesen werden könnte.
Dazu wäre nicht einmal erforderlich, das Bündnisgebiet der NATO auf die Golf-Region auszudehnen. Das wäre möglich mit einer Entscheidung der NATO, zu der der Deutsche Bundestag nach Art. 59 Abs. 2 des Grundgesetzes mit einem Bundesgesetz zustimmen müßte. Aber darum geht es überhaupt nicht.
Art. 87 a des Grundgesetzes nimmt auf den völkerrechtlichen Verteidigungsbegriff Bezug. Er geht von einer Definition des Angreifers aus, wie ihn beispielsweise die UN-Generalversammlung vom 14. Dezember 1974 mit Zustimmung der Bundesregierung umschrieben hat. Demnach wäre der Einsatz der Streitkräfte nicht nur beim Angriff auf das Staatsgebiet, sondern z. B. auch bei einer Blockade von Küsten oder beim Angriff auf Schiffe oder Flugzeuge, die sich außerhalb des Staatsgebietes aufhalten, zulässig. Auch das muß uns klar sein.
Eine andere Bewertung ergäbe sich sicherlich dann, wenn Marineeinheiten direkt zum Schutz von Anlagen und Schiffseinheiten in Gebiete außerhalb des Verteidigungsbereichs des NATO-Bündnisses entsandt würden. Diese Frage steht heute aber nicht an. Wir werden uns auch in Zukunft dazu Gedanken machen.
Bei der Entsendung der Marineeinheiten der Bundeswehr in das Mittelmeer geht es um unsere rechtlich begründete, nach nationalem und internationalem Recht zulässige Verwendung militärischer Einheiten im Rahmen unseres Bündnisses der kollektiven Sicherheit. Wer das leugnet, leugnet unsere deutschen Interessen, die Interessen des Bündnisses und die Interessen aller freien Staaten.
Herr Abgeordneter, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluß kommen; denn in der Aktuellen Stunde muß ich auf die Einhaltung der Zeiten achten.
Sehr verehrter Herr Präsident, ich bin fertig.
Der Herr Abgeordnete Kolbow hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Fazit dieser Aktuellen Stunde kann schon jetzt gezogen werden; denn alle haben geredet, und man kann jetzt bewerten.Erstens. Der Vorwurf, die Entsendung deutscher Marineeinheiten in das Mittelmeer bedeute die Anwendung einer Kriegsstrategie oder diese Handlung sei eine Kanonenbootpolitik, ist abwegig.
Zweitens. An der Nordflanke, Herr Bundesminister, besteht nunmehr eine empfindliche Lücke, wobei wir gespannt sein dürfen, wer diese Lücke füllt und wie dies getan wird. Darüber wird es sicherlich bei der NATO-Tagung Anfang Dezember in Brüssel zu Auseinandersetzungen kommen.Drittens. Die Entsendung von Marineeinheiten der Bundeswehr in das Mittelmeer angesichts der Sensibilität der Lage am Persischen Golf ist ein untaugliches Mittel zur Lösung des Problems. So hat sich selbst Kissinger am 13. Oktober 1987 im Westdeutschen Rundfunk über die Lage im Golf dahin gehend geäußert, „daß man auf beiden Seiten sehr vorsichtig sein soll" und zur vorsichtigen Handhabung von Rotteneinsätzen geraten.Viertens. Die Bemühungen der UNO zur internationalen Konfliktregelung werden durch diesen Einsatz gestört. Denn der Nahost-Konflikt und der Golfkrieg können nicht ohne oder gar gegen die Sowjetunion, sondern nur mit ihr gelöst werden.
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KolbowInsoweit können Aktivitäten der Bundesmarine im Mittelmeer als indirekte Unterstützung für „out of area-Einsätze " der USA die Bemühungen des Sicherheitsrates zur Durchsetzung seiner Resolution 598 berühren.
Fünftens. Die Rolle Bonns als neutraler Vermittler zwischen dem Iran und dem Irak wird ebenfalls tangiert. Der Einsatz droht, die Bemühungen des Außenministers in dieser Konfliktsituation zu unterlaufen. Herr Hoyer, Ihre Parallelwertung aus der Laienssphäre ist interessant, aber paßt nicht zu den Bemühungen Ihres eigenen Außenministers.
Es heißt in einem Kommentar des italienischen Rundfunks vom 9. Oktober 1987 — die Lage wird dort meines Erachtens richtig beschrieben — : „Der eigentliche Beweggrund des Bonner indirekten Golf-Engagements ist die tiefe Gespaltenheit der Bonner Regierungskoalition zwischen jenen, die unter dem Druck Washingtons eine vollständige Solidarität mit den übrigen westlichen Ländern wünschen, die im Golf bereits präsent sind, und anderen, die sich wie Genscher einem Engagement an vorderster Front widersetzen. "
Schließlich weise ich im Rahmen der Bündnissolidarität auf die seit langem geleistete Hilfe, Verteidigungshilfe der Bundesrepublik für die Südflanke der NATO mit 5 Milliarden DM bis heute hin. Damit ist unsere Forderung nach einem UNO-Engagement, einer UNO-Flotte in diesem Bereich richtig, und ich stelle fest: Die Entsendung dieser Einheiten wirkt nicht krisenstablilisierend, sondern sie stört nationale und internationale Bemühungen und gibt zu Spekulationen über das Verhalten der Bundesregierung innerhalb der NATO Anlaß. Was nicht nützt, schadet in diesem Fall. Die Schiffe sollten zurückbeordert werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schwarz.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die eine Zusammenfassung ist gemacht; ich will die andere machen. Das muß nicht zwangsläufig in allen Punkten übereinstimmen, aber es braucht auch nicht durchgängig unterschiedlich zu sein.Ich glaube, daß die Entscheidung der Bundesregierung richtig ist, da, erstens, wie gesagt worden ist, im Gegensatz zu Ihrer Theorie die Sicherheit der Nord-und Ostsee nicht beeinträchtigt wird, daß zweitens der deutsche Beitrag die Sicherheitslage im Mittelmeer verbessert und daß dies eine Angelegenheit ist, an der wir selbst ein vitales Interesse haben. Drittens erfolgt der deutsche Beitrag — ich halte dies für wichtig — auf Bitten und im Einklang mit dem Bündnis als Ganzem und insbesondere mit den Bündnispartnern USA — das ist keine Schande für uns, im Gegenteil - und Italien. Viertens wird dadurch die europäische atlantische Zusammenarbeit weiter intensiviert. Die Gemeinsamkeit der Interessen der Bündnispartner auch in diesem Gebiet wird wirkungsvoll unterstrichen.
Das Prinzip der Einheitlichkeit des Bündnisgebietes wird durch diesen konkreten Akt erneut bekräftigt, ein Prinzip, an dem uns als exponiertestem Bündnispartner besonders gelegen sein muß. Das ist natürlich der große Unterschied zwischen uns und den GRÜNEN.Fünftens entlastet diese Geste der politischen und militärischen Solidarität die Bündnispartner, die im Persischen Golf mit Schiffen präsent sind und dort ein für uns gleichermaßen vitales Prinzip schützen, nämlich — und das muß noch einmal gesagt werden — den Grundsatz der Freiheit der Schiffahrt. Dafür ist Anerkennung zu zollen.Wie es aber heute aussieht, haben jedoch diese Anstrengungen und das persönliche Engagement des Generalsekretärs der Vereinten Nationen noch nicht die Unterstützung, die wir brauchen. Deshalb glaube ich, daß die Entscheidung der Bundesregierung, Schiffe zu entsenden, von Bedeutung ist.Trotzdem ist die militärische Lösung nicht die Antwort, auf die es ankommt. Denn es muß uns ja wohl alle mit Schmerz erfüllen, daß wir nun seit sieben Jahren diesen Krieg erleben, daß wir einen Krieg erleben, der zwischen zwei durch Geschichte und Kultur eigentlich verbundenen Staaten stattfindet. Wenn wir darüber diskutieren, dann meine ich, daß die Bemühungen der Bundesregierung erfolgreich waren, auf beide streitenden Parteien Einfluß auszuüben, Mäßigung und Kompromißbereitschaft zu zeigen. Dennoch bleibt, daß unser Einfluß begrenzt ist. Wir müssen von dieser Stelle aus heute den Appell an die kriegführenden Länder richten, diesen Krieg zu beenden.
Ich glaube, es kommt jetzt nicht darauf an, große Erklärungen darüber zu machen, wer den Krieg begonnen hat, sondern das Entscheidende ist, daß jetzt ein Schritt getan wird, um diesen Krieg zu beenden. Jetzt diesen Krieg zu beenden, ist wichtiger, als danach zu fragen, wie er einmal angefangen hat.
Das ist, meine ich, etwas, was in diese Debatte hineingehört.Es gibt einen deutschen Beitrag zu diesem Dialog. Trotzdem glaube ich, daß der Appell von dieser Stelle aus und in diesem Augenblick zuerst an den Iran gerichtet werden muß, das Angebot, Frieden zu machen, aufzugreifen und damit der Aufforderung der UNO zu folgen.
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2310 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1987
SchwarzWir müssen einen Beitrag dazu leisten, daß keine Waffen an die, die diesen Krieg fortsetzen wollen, geliefert werden; das ist der entscheidende Punkt, glaube ich, von dem wir ausgehen müssen.
Unser Beitrag im Mittelmeer soll helfen, deutlich zu machen, daß wir das Ende des Krieges wollen und daß wir Frieden in dieser Region wollen.
Da unterscheiden wir uns. Wir müssen Frieden, Sicherheit und Freiheit verteidigen, und wir appellieren, daß die, die auf Allah hoffen, auch darauf hoffen, daß dieser — wie sie sagen — Allerbarmherzigste Einfluß auf das Volk des Iran und auf das Volk des Irak ausübt und daß auch diejenigen, die die Verantwortung tragen, jetzt zum Kriegsschluß ja sagen und über den Rest verhandeln.
Meine Damen und Herren, nachdem die Aktuelle Stunde beendet ist, kann ich in der Tagesordnung fortfahren.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Beendigung der Arbeiten am Endlager Gorleben
— Drucksache 11/511 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Forschung und Technologie
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Entsorgung — Endlager
— Drucksache 11/581 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Forschung und Technologie
Im Ältestenrat, meine Damen und Herren, ist zu diesem Tagesordnungspunkt vereinbart worden, daß für jede Fraktion bis zu zehn Minuten Redezeit zur Verfügung stehen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Wollny.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir, die GRÜNEN, haben einen Antrag zur Beendigung der Arbeiten am Endlager Gorleben eingebracht. Nehmen wir es genau, ist diese Formulierung falsch. Denn in Gorleben wird ein Bergwerk zur Gewinnung von Bodenschätzen gebaut. So steht es im Genehmigungsantrag, und es steht gleich dabei: Ob diese Bodenschätze einer Verwendung zugeführt werden, ist dabei unerheblich. Herr Riesenhuber hat allerdings anläßlich des Kübelfestes in Gorleben erklärt, auch ein Loch im Salz kann ein Bodenschatz sein.
Nun ja!Warum vermeidet es die Bundesregierung so ängstlich, öffentlich von einem Endlager für radioaktive Abfälle zu reden? Ich kann es Ihnen sagen: Würde sie ihre Absichten nur einmal irgendwo niederschreiben,
wäre es gleich aus mit diesen Plänen. Dann müßte sie nämlich ein Planfeststellungsverfahren nach dem Atomgesetz durchführen, in dem dann auch kritische Wissenschaftler und Bürger zu Wort kämen,
und das scheint sie zu fürchten wie der Teufel das Weihwasser.
Statt dessen wird mit offenen Tricks gearbeitet. Wie das gemacht wurde und wird, will ich an Hand von ein paar Fakten beschreiben. Da ist die Geschichte vom Umgang mit Gutachten, übrigens mit Gutachten von Wissenschaftlern, die nicht von der Alternativwirtschaft abhängen.
1981 erstellte Professor Breuer, Trier, im Auftrag der damaligen Regierung ein Rechtsgutachten für 270 000 DM. Es endete mit dem Fazit: Ein Planfeststellungsverfahren vor Abteufen der Schächte ist unbedingt notwendig, da ansonsten grundgesetzlich garantierte Rechte der Bürger verletzt würden. Klare Worte sollte man meinen, aber schnell ad acta gelegt, nachdem Herr Professor Rauschning aus Göttingen in einem Vortrag erklärte, das lasse sich alles umgehen, wenn man nur nach Bergrecht baue.
So bleibt die unangenehme Bürgerbeteiligung außen vor, und deshalb wird heute kein Endlager gebaut, sondern ein Salzbergwerk — das man allerdings nie gebrauchen kann.
Wie sagte mir Dr. Viel von der PTB in einem Gespräch neulich grinsend: Tja, manchmal sind Gesetze halt so, da muß man eben mal tricksen.
1982 erstellte Professor Duphorn, Kiel, seit 25 Jahren Gutachter der Bundesrepublik zu unterschiedlichen Fragen und bis heute ein Befürworter von Salz als Endlagermedium, ein geologisches Gutachten. Dieses Gutachten gipfelte in zehn Thesen, die alle sinngemäß mit den Worten endeten: Aus diesem Grunde können wir nicht für einen Weiterbau des Erkundungsbergwerkes plädieren.Professor Duphorn hatte u. a. vor der Gefahr von plötzlich auftretenden Gebirgsschüben gewarnt, und
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1987 2311
Frau Wollnyzwar exakt in der Tiefe, in der sich am 12. Mai 1987 der tragische Unfall ereignete.
Doch der bis dahin hochgeschätzte Wissenschaftler mußte sich böse Beschimpfungen anhören: er habe seine Kompetenzen überschritten, von ihm sei ein Gutachten gefordert, die Beurteilung habe er gefälligst den Politikern zu überlassen.Bleibt drittens das Gutachten von Professor Jessberger zum Tertiär: Aus ihm geht hervor, daß die Bohrkerne aus dem Teufenbereich 228 bis 239 m — wo jetzt der Unfall passierte — zur Untersuchung nicht vorlagen. Lange Zeit hieß es, Bohrproben aus dem Gebiet seien nicht vorhanden. Neuerdings sind sie bei der BGR wieder aufgetaucht. Auf meine Anfrage hin sagte mir Professor Ventzlaff: Natürlich waren die Bohrkerne immer da. Auf die Frage, warum Professor Jessberger sie nicht habe untersuchen können, hieß es: Wir geben doch unsere Beweisstücke nicht aus der Hand. Seltsamerweise standen ihm aber alle anderen Bohrkerne zur Verfügung. Seinem Verlangen, für das betroffene Gebiet eine Sonderuntersuchung durchzuführen, wurde nicht entsprochen.
Erst als sich die plötzlichen Gebirgsdrücke ankündigten, wurden Zusatzuntersuchungen durchgeführt. Das Ergebnis kam einen Tag nach dem Unglück.Zu dem Umgang mit Gutachtern gehört auch die Anhörung im Innenausschuß zum Endlager Gorleben im Jahre 1984. Die Mehrheit der Gutachter sprach sich gegen Gorleben aus. Das wurde einfach ignoriert. So kommt man vom Gutachten zum Mißachten.
Nehmen wir einen anderen Punkt aus der Geschichte. Ursprünglich wurde ein Mehrbarrierensystem verlangt, das eine Verseuchung der Biosphäre mit radioaktiven Stoffen verhindern sollte. Vier Barrieren sollten es sein, und was blieb davon? Der Salzstock sollte jungfräulich sein. Leider war er bereits angebohrt. Ein unverritzter Gipshut sollte über dem Salzstock sein. Er fehlt auf sechs Quadratkilometern. Eine durchgehende Tonschicht wurde gefordert. Es gibt sie nicht. Ein großer Block altes Steinsalz wird gefordert. Er wurde bis heute nicht gefunden.Dies alles wußten Sie seit Beendigung der Vorbohrungen. Aber was soll's? Schließlich lassen sich die Bedingungen ja auch an die vorgefundenen Ergebnisse anpassen.Noch eine Sache, eigentlich fast eine Kuriosität. Dieser Salzstock heißt eigentlich Gorleben-Rambow, doch Rambow liegt in der DDR, und weil man in der DDR nicht untersuchen kann, greift man zu einem simplen Trick.
Wennschon die Elbe Grenze im geteilten Deutschland ist, dann soll sie gelegentlich auch einmal etwas Gutes sein.
Deshalb wird sie ganz schnell dazu benutzt, auch die Grenze für den Salzstock zu sein. Deshalb endet der Salzstock auf allen Karten der PTB seit neuestem vor der Elbe.Wer diese Geschichten kennt und hautnah miter-fahren hat, fragt sich: Weshalb wird ein Salzbergwerk gebaut, das keines sein soll? Weshalb wird ein atomrechtliches Verfahren herausgezogen, bis die Tatsachen geschaffen sind? Weshalb bleibt — ich weiß es schon — Herr Töpfer bei seiner Behauptung, es werde erkundet und nicht gebaut, auch wenn Herr Salander — bis vor kurzem Vorstandssprecher der DWK — sagt: „Natürlich bauen wir das Endlager; oder glauben Sie, wir würden Milliarden aus dem Fenster schmeißen"?Weshalb wird an einem Salzstock festgehalten, der nach allen internationalen Standards nicht einmal in Erwägung gezogen würde? Weil in der Bundesrepublik seit 20 Jahren Atommüll erzeugt wird, weil die Besorgnis in der Bevölkerung, wo der Dreck denn bleiben soll, immer größer wird, weil sowohl die Regierungsparteien als auch die SPD nicht gewillt sind, mit der Produktion von Atommüll aufzuhören. Deshalb wird der Bevölkerung weiterhin vorgegaukelt, es gebe einen Ausweg.
Und diese Gaukelei läßt sich die Regierung im nächsten Jahr — laut Haushalt — 200 Millionen DM kosten.
Deshalb kann auch die SPD nicht sagen: Schluß mit Gorleben. Sie kann vielmehr nur die Untersuchung anderer Salzstöcke fordern. Deshalb soll Gorleben wie auch immer fertiggetrickst, gesundgebetet und — wenn nötig — gesundgelogen werden.
Meine Damen und Herren, nehmen Sie sich die Worte von Hans Jonas zu Herzen, den ja der Bundespräsident am letzten Sonntag so sehr geehrt hat. Er sagt:Es kommt nicht mehr darauf an, daß es unseren Kindern einmal besser geht. Es kommt darauf an, daß unsere Enkel noch leben können. Sie dürfen nicht die Zeche zahlen für unsere Fehler.
Deshalb fordern wir Sie auf: Hören Sie auf mit Gorleben! Machen Sie Schluß mit der Atommüllproduktion! Dann wiederholen wir unser altes Angebot Ihnen gegenüber: Wenn wir Zeit genug haben, sind wir bereit, gemeinsam mit Ihnen die beste der immer nur schlechten Möglichkeiten zu suchen.Danke schön.
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2312 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1987
Herr Abgeordneter Kleinert, Sie haben das Wort zur Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Anbetracht der Bedeutung dieses Themas beantrage ich gemäß § 42 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, zu beschließen, Herrn Minister Töpfer zur Teilnahme an dieser Debatte herbeizurufen.
Weitere Wortmeldungen zur Geschäftsordnung liegen mir nicht vor.
Dann lasse ich über den Antrag abstimmen. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist dem Antrag zugestimmt worden.
Ich unterbreche die Sitzung.
Meine Damen und Herren, ich kann nach Rücksprache mit den Parlamentarischen Geschäftsführern die unterbrochene Sitzung wieder aufnehmen.
Wir haben uns dahin gehend verständigt, daß ich den Tagesordnungspunkt 21 aufrufe:
Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht
— Drucksache 11/73 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Auch hier hat der Ältestenrat eine Beratungszeit bis zu zehn Minuten
je Fraktion vereinbart. — Widerspruch dagegen erhebt sich nicht, so daß dies beschlossen ist.
Als erste Rednerin hat die Abgeordnete Frau Nikkels das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von Zeit zu Zeit gerät das Bundesverfassungsgericht in besonderer Weise in die Schlagzeilen, und zwar dann, wenn Richterstellen beim Bundesverfassungsgericht zu besetzen sind. In diesem Jahr sind es fünf Richterstellen, die vakant geworden und neu zu besetzen sind. In Insiderkreisen wurden im Vorfeld Namen von Personen gehandelt, von denen es hieß, sie kämen als Bundesverfassungsrichter in Betracht. Einige Namen haben sich bis zum Schluß in der Debatte gehalten, andere sind daraus entschwunden. Von einigen Personen hat es geheißen, sie würden in der Öffentlichkeit nur genannt, um anderen den Zugang zum Bundesverfassungsgericht zu versperren.Für Menschen, die mit dieser Materie nicht vertraut sind, ist das Verfahren der Wahl der Bundesverfassungsrichter ein sehr undurchschaubares. Es ist ein Feld für Mutmaßungen, ein Feld, auf dem sich auchKommentatoren gerne tummeln und Dinge andeuten, auf denen man sich in Spekulationen ergeht und wo auch die Parteistrategen in dem Maße zunehmend interessant werden, in dem die Zahl der Kaffeesatzleser hier zunimmt.
Man könnte dieses Schauspiel ja eigentlich genießen, wenn es nicht um ein so wichtiges Organ wie das Bundesverfassungsgericht ginge.Das Bundesverfassungsgericht ist in der Bundesrepublik — das muß man klipp und klar sagen — ein politisches Gericht, und zwar die Instanz, die letzten Endes das Parlament, die Regierung, Gesetz und Recht zu kontrollieren hat. Ich erinnere nur an einige schwerwiegende Entscheidungen, die durch das Bundesverfassungsgericht getroffen worden sind: zum § 218, zur Kriegsdienstverweigerung, zu den Beruf s-verboten und zum Deutschlandvertrag. Das sind hochpolitische, brisante Themen in der Bundesrepublik.Das Wahlverfahren für die Richter, die hier zu entscheiden haben, ist im Verhältnis zu der Bedeutung dieses Gerichts wirklich ein Hohn. Art. 94 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes lautet:Die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichtes werden je zur Hälfte vom Bundestage und vom Bundesrate gewählt.Nach § 6 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht werden die vom Bundestag zu wählenden Richter in indirekter Wahl durch einen zwölfköpfigen Wahlmännerausschuß — Frauen kommen im Ausschußnamen nicht vor — bestimmt; zum Richter ist gewählt, wer mindestens acht Stimmen auf sich vereinigt. Nach § 7 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes werden die vom Bundesrat zu berufenden Richter mit Zweidrittelmehrheit des Bundesrates gewählt.Die Bestimmungen des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht sind verfassungsrechtlich insoweit mehr als problematisch, als das Wahlverfahren durch den Bundestag betroffen ist. Denn der Wortlaut des Art. 94 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes spricht eigentlich dafür, daß das Wahlverfahren auch hier im Bundestag in unmittelbarer Wahl stattzufinden hat. Man kann diesen Art. 94 Abs. 1 Satz 2 nur unter dem Gesichtspunkt verstehen, daß hier das Bundesverfassungsgericht eigentlich in ganz besonderer Weise legitimiert sein soll. Darum dieser Artikel und das genannte Wahlverfahren.Es ist natürlich eine Konterkarierung, wenn man Ausführungsbestimmungen macht, die den Sinn des Grundgesetzes auf den Kopf stellen und diese besondere Legitimierung von der großen Mehrheit der Abgeordneten wegnimmt und in ganz kleine Zirkel verlagert. Das Wahlverfahren geschieht nicht öffentlich in diesem Wahlmännerausschuß. Es ist damit von jeder politischen Kontrolle und der Entscheidung durch die Öffentlichkeit abgehoben.Zugespitzt gesagt, fällt in diesem Zwölf-Wahlmänner-Gremium die Entscheidung überhaupt nicht. Vielmehr ist es im Endeffekt eine klitzekleine Gruppe, eine sogenannte Arbeitsgruppe, wo drei oder vier Menschen die Entscheidung zu treffen haben und die
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1987 2313
Frau NickelsPersonen, die am Bundesverfassungsgericht Richter sein sollen, auskungeln. Man spricht ja davon, daß im Endeffekt nur zwei Richtermacher, Königsmacher dort das große Sagen haben. Das sind in diesem Fall Sie, Herr Jahn, und Herr Schäuble.In der politischen Praxis ist es so: Wir haben in der vorigen Woche im Bundestag drei Verfassungsrichter gewählt. Wir waren alle hier. Ich habe im Bundestag gar nichts davon gemerkt. Es gab keine Wahl, keinen Wahlakt. Es gab keine Anhörung im Bundestag. Es gab noch nicht einmal eine Vorlage, aus der ersichtlich wurde, warum diese Richter benannt wurden.
Es ist kaum zu fassen, daß letzten Endes ein Personenkreis, der mit den Fingern einer Hand zu zählen ist, bestimmt, wer Bundesverfassungsrichter wird, ohne Öffentlichkeit und ohne parlamentarische Kontrolle.Da kann man ganz neidisch und wehmütig werden, wenn man das Wahlverfahren für die Richter des Bundesverfassungsgerichts mit dem Verfahren in den Vereinigten Staaten zur Bestellung von Richtern am Obersten Gerichtshof vergleicht. Dazu gab es in den letzten Wochen ein Beispiel. Der Präsident hat von seinem Vorschlagsrecht Gebrauch gemacht und den Juristen Borg vorgeschlagen. Der Justizausschuß hat eine ganze Woche über diesen Vorschlag diskutiert und sich dann gegen die Nominierung ausgesprochen. Das ist auf heftige Diskussionen im Ausschuß und in der Öffentlichkeit zurückzuführen. Ob Herr Borg vom Senat letztlich gewählt wird, ist fraglich.Das ist für mich ein lebendiger Beweis dafür, wie ernst man ein solches Gericht nimmt und nehmen muß
und wie ernst man sich damit auseinandersetzt.Was in Amerika Realität ist, stößt bei unserer Regierungsmehrheit absurderweise auf Widerstand.
Historisch bemerkenswert finde ich dabei folgendes. Das Verfahren der Wahl mittels eines Wahlmännerausschusses geht auf einen Vorschlag der SPD zurück, während die Regierungsmehrheit 1950 zunächst für eine Wahl der Bundesverfassungsrichter durch das Plenum des Deutschen Bundestags eingetreten ist.Immer wieder wurde das Standardargument vorgetragen, die Öffentlichkeit des Wahlverfahrens sei nicht gut, um geeignete Bewerber zu bekommen. Man argumentierte, geeignete Bewerber könnten dadurch abgeschreckt werden. Ich frage mich, was das eigentlich soll. Jeder einfache Abgeordnete in diesem Haus muß sich vielfältigen Befragungen und Verf ah-ren aussetzen, ehe er auf eine Liste kommt und sich einem Mandat überhaupt stellen kann. Um wieviel mehr müßte das für Verfassungsrichter und Verfassungsrichterinnen gelten, die eine so entscheidende und wichtige Funktion in der Bundesrepublik Deutschland zu spielen haben.
Ich bin der Meinung, daß derjenige oder diejenige, die für solch ein Amt kandidieren wollen und die Öffentlichkeit scheuen, dafür nicht geeignet wären.Ich hoffe, daß wir im Sinne unseres Gesetzentwurfs, der diese notwendige Transparenz herstellen will, hier in der Beratung vielleicht eine Anhörung initiieren könnten, in der man den ganzen Bedenken — seit es das Bundesverfassungsgericht gibt, hat man ja immer Bedenken gegen dieses Wahlverfahren ausgesprochen — endlich Rechnung trägt, sie sorgfältig auswertet und hier im Sinne der Transparenz eine vernünftige Regelung trifft.
Ich will noch einmal sagen: Transparenz ist meiner Meinung nach essentiell für die Demokratie; da, wo Transparenz herrscht, können bestimmte Dinge überhaupt nicht passieren. Ich will als Beispiel die augenblickliche Situation in Schleswig-Holstein nehmen. Wenn hier Transparenz als wichtiges Prinzip der Demokratie zum Tragen gekommen wäre, hätten bestimmte Dinge überhaupt nicht geschehen können. Von daher gesehen muß man auch in diesem Bereich alles tun, um der Transparenz zum Durchbruch zu verhelfen.Wir hoffen, wie gesagt, auf Unterstützung. Es ist ja auch so, daß von seiten der SPD schon in diese Richtung gedacht worden ist. Es sind vielfältige Vorschläge gemacht worden, so daß ein Votum für die Intentionen zustande kommen kann, die sich in unserem Gesetzentwurf ausdrücken, wonach der Wahl der Bundesverfassungsrichter eine öffentliche Anhörung im Rechtsausschuß vorgeschaltet werden und die Wahl selber hier im Bundestag stattfinden soll.Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Geis.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die GRÜNEN wollen mit ihrem Gesetzesentwurf zum einen die Verlagerung der Entscheidung über die Wahl der Bundesverfassungsrichter vom Wahlmännergremium in das Plenum erreichen, und zum anderen wollen sie die angeblich nicht vorhandene Transparenz bei dem Entscheidungsprozeß verbessern.Vor nahezu 40 Jahren, als das Bundesverfassungsgerichtsgesetz vorgelegt wurde und zur Entscheidung stand, gab es einen Meinungsstreit darüber, ob die Verlagerung der Entscheidung vom Plenum in ein Wahlmännergremium verfassungskonform ist. Einigkeit bestand schon immer darin, daß dieses Bundesverfassungsgericht ein wichtiges Staatsorgan ist und daß deshalb die Richter des Bundesverfassungsgerichts nicht wie andere Mitglieder der Judikatur von der Administration oder der Exekutive bestellt werden, sondern von dem Gremium gewählt werden, das unmittelbar aus dem Volk hervorgegangen ist, vom Parlament. Darüber bestand allseits schon immer Einigkeit, Einigkeit auch darüber, daß es sich um ein sehr wichtiges Organ unseres gesamten politischen Systems handelt.
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2314 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1987
GeisUneinigkeit — wie vorher schon vorgetragen wurde — bestand damals, vor nahezu 40 Jahren, über die Frage, ob es erlaubt ist, die Entscheidung vom Parlament auf ein Gremium zu verlagern. Die, die der Meinung waren, das dürfe man, haben sich auf Art. 94 Grundgesetz berufen — im Gegensatz zu Ihnen, Frau Nickels — , weil in diesem Artikel eben nicht festgelegt ist, daß dies unmöglich sei. Deshalb gab es schon damals eine überwiegende Mehrheit in der Literatur und auch hier im Parlament, die der Auffassung war, man müsse aus guten Gründen diese Entscheidung auf ein Wahlmännergremium verlagern.Die Frage der Verfassungswidrigkeit hat sich damals gestellt. Inzwischen haben wir eine nahezu 40jährige Praxis. Die Praxis hat sich, wie ich meine, bewährt; denn das Bundesverfassungsgericht wird, so wie es jährlich oder in bestimmten Zeitabschnitten immer wieder zustande kommt, von der Bevölkerung als wichtige Institution anerkannt. Deshalb, meine ich, ist es völlig müßig und überflüssig, sich heute noch einmal Gedanken darüber zu machen, ob die damalige Entscheidung dem Art. 94 Grundgesetz entspricht.Wir haben, wie ich gesagt habe, inzwischen eine 40jährige Praxis. Selbst wenn man damals der Meinung gewesen sein sollte, es sei nicht ganz der Verfassung entsprechend gehandelt worden, so hat sich inzwischen auf Grund dieser 40jährigen Praxis so etwas wie die normative Kraft des Faktischen herausgebildet
— das wird in der Literatur so vertreten — , die insoweit eine Wandlung des Verfassungsverständnisses herbeigeführt hat, wie auch das Bundesverfassungsgericht in einem Gutachten es so ja selber festgestellt hat.Deshalb, meine ich, ist es völlig überflüssig und müßig, sich darüber heute noch einmal Gedanken zu machen, wie ich überhaupt meine, daß es Ihnen gar nicht so sehr darum geht, Transparenz zu haben, daß es Ihnen gar nicht so sehr darum geht, dafür zu sorgen, daß das Plenum darüber entscheidet; denn all die, die das verlangen, verschweigen der Bevölkerung, daß es ja um eine qualifizierte Mehrheit gehen muß, wenn ein Richter gewählt wird. Um eine qualifizierte Mehrheit muß es deshalb gehen, damit das Gericht nicht einseitig parteipolitsich besetzt wird.Aber wenn es um eine qualifizierte Mehrheit geht, dann wird es — das wissen Sie so gut wie ich — immer sehr schwierig sein, sie in einem großen Plenum zustande zu bringen. Das wird immer sehr schwierig sein. Das war der Grund dafür, daß man diese Aufgabe einem Wahlmännergremium übertragen hat. Wir sind dabei, wie ich gesagt habe, gut gefahren.Ich habe den Verdacht, Frau Nickels, daß es Ihnen, wie ich gesagt habe, nicht so sehr darum geht, daß die Verfassung eingehalten wird, sondern ich habe den Verdacht, daß es Ihnen um einen Angriff auf das Verfassungsgericht selbst geht.
Sie wollen in der Bevölkerung deutlich machen, daß sie mit dem Gericht nicht zufrieden sind. Sie kaschieren das mit dem Gegenteil. Sie wollen dieses Gericht in der Öffentlichkeit als parteipolitisches Gericht hinstellen, um sich auf diese Weise besser herausreden zu können, wenn das Gericht einmal eine Entscheidung fällt, die Ihnen nicht paßt, wenn beispielsweise durch diesen Richterspruch Ihre verfassungswidrigen Ziele bei irgendeinem Vorhaben zunichte gemacht werden.
Herr Abgeordneter, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß auch in Kreisen des Deutschen Richterbundes sehr ernsthaft die Frage einer Veränderung des Wahlverfahrens diskutiert wird? Unterstellen Sie auch den Damen und Herren des Deutschen Richterbundes, daß damit nur ganz andere Absichten verbunden würden, wenn man eine solche Veränderung des Wahlverfahrens wünscht?
Herr Schily, es geht mir hier nicht um die Motivation des Deutschen Richterbundes und um die einzelnen Stimmen im Deutschen Richterbund, sondern es geht mir hier darum, was Sie als Fraktion DIE GRÜNEN veranlaßt haben mag, diese Gesetzesänderung hier im Bundestag vorzuschlagen.
Da komme ich zu dem Schluß, den ich bereits vorgetragen habe.
Eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Schily.
Wenn Sie nach der Motivation der Bundestagsfraktion DIE GRÜNEN fragen, wäre es dann nicht fair, sich auf das zu beziehen, was wir als Begründung unseres Gesetzentwurfs vorgelegt haben? Da ist ja schriftlich festgelegt, welches unsere Beweggründe sind.
Herr Schily, ich komme in meinen weiteren Ausführungen jetzt auf diesem Punkt zu sprechen. Sie verlangen nämlich mehr Transparenz und begründen dies damit, daß, wie Frau Nickels hier vorgetragen hat, die Entscheidung über die Vorlage der Liste letztendlich nicht einmal — so tragen Sie es vor — dem Wahlmännergremium überlassen bleibt, sondern einer kleinen Gruppe. Sie sagen, dies sei undemokratisch.
Ich will Ihnen nun vortragen, daß diese Ihre Meinung falsch ist. Diese Meinung ist deswegen falsch, weil Sie wiederum übersehen, daß wir für jeden einzelnen Kandidaten eine qualifizierte Mehrheit benötigen. Auf Grund des Erfordernisses der qualifizierten Mehrheit ist es notwendig, Herr Schily, daß Verhand-
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Geislungen mit dem politischen Gegner geführt werden, daß Abstimmungen mit dem politischen Gegner getroffen werden. Viele Gespräche gehen voraus, bevor diese Liste vorgelegt wird. Es müssen Verhandlungen geführt werden, es müssen Abstimmungen erfolgen, es muß eine Rückkopplung mit dem eigenen Lager erfolgen.Dies, Herr Schily, ist zu allen Zeiten geeigneten Unterhändlern überlassen worden. Das konnten und können Sie nicht in einem großen Gremium praktizieren. Wer das Gegenteil behauptet, hat von dem Entscheidungsprozeß, der sich in der Demokratie abspielt, keine Ahnung. Es geht bei dieser Entscheidung immer um einen Kompromiß. Jeder Kompromiß bedeutet eine Integration von gegensätzlichen Vorstellungen. Bei jedem Kompromiß entsteht also Integration. Deshalb ist jeder Kompromiß das Salz in der Suppe der Demokratie.Der Kompromiß kann nicht in einem großen Gremium gefunden werden. Das Gegenteil widerspricht einfach jeglicher politischen Erfahrung. Wer das Gegenteil behauptet, war nie in einem Gemeinderat, war nie in einem Kreistag, hat keine Ahnung von der politischen Praxis. Der Kompromiß muß immer — das war zu allen Zeiten so — von geeigneten Unterhändlern zustande gebracht werden. Das ist das Entscheidende.
— Lassen Sie mich doch bitte ausreden. Hören Sie doch erst einmal zu. Ich komme ja gar nicht zu Wort. Ich muß Sie ständig übertönen; entschuldigen Sie bitte. Die Entscheidung muß von einer kleinen Gruppe vorbereitet werden.
Deshalb habe ich überhaupt nichts dagegen, daß die-Entscheidung von einer Meinen Gruppe vorbereitet wird. Die Entscheidung wird dann vom Wahlmännergremium getroffen.
Herr Abgeordneter Geis, der Abgeordnete Dr. Lippelt bittet um eine Zwischenfrage. Sie gestatten das?
Bitte sehr, wenn es nicht von meiner Redezeit abgeht.
Glauben Sie nicht, daß dieses Verfahren und die Praxis dieses Verfahrens, die Sie gerade geschildert haben, zu Eindrükken führen können, die sich von einem etwas idealeren Bild von Demokratie entfernen? Warum unterstellen Sie einer Partei, die hier neu im Bundestag ist, die vielleicht von viel idealeren Vorstellungen von Demokratie ausgeht, als Sie sie selber im Moment darlegen, solche Motive?
Herr Kollege, wenn Ihre Fraktion wirklich großes Interesse an diesem Wahlmännergremium gehabt hätte, dann hätte sie Ihren Kollegen Schily nicht allein gelassen und wäre nicht zu einer untergeordneten, völlig überflüssigen Demonstration gegangen. Das war nicht nur eine Mißachtung des
Parlaments, sondern auch des Bundesverfassungsgerichts. Deswegen halte ich diese ganze Argumentation für sehr windig, ich will nicht sagen, für verlogen, aber für sehr, sehr windig.
Sie sagen, daß durch eine Anhörung der Kandidaten eine bessere Transparenz zu erreichen sei. Ich gebe zu, daß es diese Übung in den USA gibt, aber: andere Länder, andere Sitten.
— Herr Schily, Sie wissen ja gar nicht, was ich sagen will. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland eine andere Situation. In der Verfassung und im politischen System der USA ist die Parteiendemokratie nicht so ausgeprägt wie bei uns. Wenn Sie hier die öffentliche Anhörung eines Verfassungsrichters veranstalten,
stellen Sie ihn — das ist Ihre geheime Absicht, wie ich vermute — immer in eine bestimmte parteipolitische Ecke.
Sie wollen ihn vorn vornherein in eine parteipolitische Ecke stellen, um auf diese Weise das Verfassungsgericht selbst in eine parteipolitische Ecke stellen zu können, Herr Schily.
Herr Abgeordneter, kommen Sie dem Wunsch der Abgeordneten Frau Nickels, eine Zwischenfrage stellen zu dürfen, nach? — Bitte sehr!
Wenn ich das ernst nehme, was Sie gerade gesagt haben — und ich nehme das ernst — , dann muß ich Sie doch fragen, wie das mit der Praxis seit den 70er Jahren zusammenpaßt, daß die Richter nicht im Zwölf-Männer-Ausschuß, sondern in dieser kleinen Gruppe ganz Mar, fix und fest nach Parteienproporz gewählt werden? Das widerspricht dem, was Sie gerade ausgeführt haben.
Das widerspricht überhaupt nicht dem, was ich gerade ausgeführt habe. Das Verfahren im Wahlmännergremium wird auf Grund des Vorschlags des Rechtsausschusses aus dem Jahre 1956 in Verschwiegenheit absolviert. Der Rechtsausschuß hat 1956 übereinstimmend vorgeschlagen — Frau Kollegin, Sie sind genauso Mitglied des Rechtsausschusses wie ich —, daß dieses Verfahren zugunsten der Wahlmänner und der Kandidaten in Verschwiegenheit abgewickelt werden sollte, damit sich die Kandidaten nicht in aller Öffentlichkeit ausbreiten müssen.Frau Nickels, Sie versuchen, dieses Verfahren mit Ihrer Forderung auf öffentliche Anhörung im Rechtsausschuß zu verletzen. Sie verletzen damit nicht nur die Integrität einer Person, wie ich meine, weil Sie von ihr verlangen, daß sie sich öffentlich ausbreitet, sondern Sie haben den Hintergedanken — das ist meine Vermutung — , auf diese Weise den Richter von vornherein in aller Öffentlichkeit parteipolitisch abzustempeln. Sie wollen ihn deshalb parteipolitisch abstempeln, weil Sie dieses ganze, Ihnen mißliebige Ge-
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2316 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1987
Geisricht in der Öffentlichkeit als parteipolitisch hinstellen wollen.
Das ist der eigentliche Grund Ihres Antrags; davon lasse ich mich auch nicht abbringen.
— Diese Frage habe ich bereits mit meinen vorausgegangenen Bemerkungen beantwortet. Ich kann auf Fragen nicht alles noch einmal wiederholen; Sie müssen schon zuhören.
Wir haben eine parlamentarische Demokratie, in der die Parteien eine entscheidende Rolle spielen. Deshalb spielt der parteipolitische Gegensatz auch eine entscheidende Rolle, und der parteipolitische Gegensatz muß in aller Öffentlichkeit ausgetragen werden.
Wenn wir aber schon an der parlamentarischen Demokratie festhalten wollen — und ich halte es für gut, daß wir daran festhalten — , brauchen wir in unserer Gesellschaft integrierende Kräfte. Eine integrierende Kraft war und ist das Bundesverfassungsgericht. Deshalb müssen wir mit aller Entschiedenheit den Angriff auf dieses Gericht zurückweisen.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. de With.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst ein paar Vorbemerkungen. Eine Verfassungsgerichtsbarkeit, die sich wahrhaftig so nennen kann, gibt es erst seit 1803. Das war, als sich der United States Supreme Court im berühmten Fall Marbury versus Madison seine Kompetenz zur verfassungsrechtlichen Prüfung von staatlichen Akten und Gesetzen anmaßte. Ich sagte: anmaßte, denn noch 16 Jahre vorher hatten die Verfassungsväter dies dem Gericht abgesprochen. Obwohl kein Geringerer als Alexis de Tocqueville 1835 in seinem bekannten Buch „Über die Demokratie in Amerika" diese Verfassungsgerichtsbarkeit des Supreme Court besonders hervorhob und den europäischen Staaten empfahl, dauerte es noch sehr, sehr lange bis es bei uns entsprechende Verfassungsgerichtsbarkeiten gab. Es war, nebenbei bemerkt, auch eine Forderung der Paulskirche.
Ich sage: Eine wirkliche Verfassungsgerichtsbarkeit in Deutschland gibt es erst seit 1951, seitdem wir das Gericht in Karlsruhe haben. Denn was es davor gab, den Staatsgerichtshof des Deutschen Reiches, wird man wohl nicht als echten Vorgänger bezeichnen können. Ich erinnere nur an dessen Entscheidung vom 25. Oktober 1932 zum sogenannten Preußenschlag, als es um die Amtsenthebung der Regierung Braun/Severing ging. Die Ohnmacht dieses Gerichts war damals offenbar. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe heute hat demgegenüber eine ganz ander Stellung.
Ich wage zu sagen: Es ist wohl das Verfassungsgericht mit der umfassendsten Kompetenz überhaupt und es ist, was das Gericht als Machtfaktor angeht, dem Bundestag und der Regierung ebenbürtig.
Das Verfassungsgericht hat sich in der sehr kurzen Zeit, seitdem es judiziert, als Hort der Verfassung einen — das darf man wohl auch sagen; das sind keine zu hehren Worte — bedeutenden Ruf erworben. Von allen Einrichtungen der Bundesrepublik nimmt dieses Gericht, bestehend, wie wir wissen, nur aus zwei Senaten mit je acht Richtern, einen Spitzenplatz ein. Es ist nicht ohne Interesse — ich füge hinzu: nicht ohne Pikanterie — , wie das Institut für praxisorientierte Sozialforschung die Prioritäten 1986 setzte:
Höchstes Vertrauen genießt das Bundesverfassungsgericht, gefolgt von den Gerichten ganz allgemein, der Polizei, dem Bundestag, der Bundesregierung und der Bundeswehr. Am wenigsten Vertrauen genießen die Presse, die Gewerkschaften, das Fernsehen und die Kirchen.
Diese Spitzenstellung des Bundesverfassungsgerichts kommt sicher nicht von ungefähr. Sie kann nur auf die große Qualität der Richter und deren Rechtsprechung zurückgeführt werden. Deswegen sagen wir Sozialdemokraten, auch an Ihre Adresse gerichtet: Wir sollten bei einer Änderung des Wahlverfahrens sehr vorsichtig und sehr bedacht sein. Wir sollten nicht unnötig Porzellan zerschlagen.
Wenn der Antrag der GRÜNEN vorsieht, daß die Richter in Zukunft nicht mehr von einem zwölfköpfigen Wahlmännergremium, sondern vom Bundestagsplenum nach einem vorangegangenen Anhörungsverfahren im Ausschuß gewählt werden sollen, so ist das — das sagen Sie selber — kein neuer Vorschlag. Über diese und andere Formen wird eigentlich seit Bestehen des Verfassungsgerichtsgesetzes debattiert.
Nur kann ich Ihnen eines nicht ersparen, auch Ihnen nicht, Frau Nickels. Der Gesetzentwurf hier trägt das Datum vom 20. März 1987. Nur zehn Tage später, am 1. April — es mutet beinahe wie ein Aprilscherz an —, sind von Ihnen bei der Wahl nur 29 von 46 Mitgliedern anwesend gewesen. Ihr Kandidat fiel durch. Das heißt, Ihre hehren Begründungen in jenem Entwurf vom 20. März stehen in einem merkwürdigen Gegensatz zur tagtäglichen, zur wirklichen Praxis hier im Deutschen Bundestag.
Herr Abgeordneter Dr. de With gestattet Ihnen die Zwischenfrage, Frau Abgeordnete Nickels.
Ja, bitte schön.
Ich bitte Sie, die Frage zu stellen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1987 2317
Herr de With, Sie haben gerade auf unsere Blamage — das war es für uns — abgehoben. Ich möchte Sie fragen, ob Sie zur Kenntnis nehmen, daß der Blamage unserer Fraktion nicht eine Mißachtung irgendwelcher Organe oder Wahlverfahren zugrunde lag, sondern einfach die Tatsache, daß wir uns nicht ordentlich über das Wahlverfahren aufgeklärt hatten. Das muß man auch einmal zugestehen.
Zum zweiten möchte ich Sie fragen, ob es nicht in gewisser Weise erhellend war, was uns da passiert ist. Denn selbst wenn Otto Schily im Zwölf-Männer-Ausschuß gewesen wäre: Die eigentliche Entscheidung fällt in einem ganz kleinen Gremium, in einer Arbeitsgemeinschaft, wo auch Leute das Sagen haben, die von diesem Parlament überhaupt nicht gewählt zu werden brauchen.
Frau Kollegin Nickels, es war bestimmt erhellend für den Zustand ihrer Fraktion. Wenn man zehn Tage vorher — dem muß ja eine Debatte in Ihrer Fraktion vorangegangen sein — eine derart hehre Begründung in die Drucksache hineinschreibt und dann ganz anders handelt, muß das auf Ihre Fraktion negativ zurückfallen. Deswegen spreche ich einzelnen Mitgliedern durchaus nicht die Absichten ab, von denen Sie hier gesprochen haben. Sie müssen aber lernen, daß man nicht auf der einen Seite tolle Ankündigungen in die Welt posaunen darf, um dann in der Wirklichkeit kläglich zu versagen und genau das zu konterkarieren, wofür Sie angetreten sind.
— Bitte schön. — Sie wird ja wohl nicht angerechnet.
Die Fragen rechne ich Ihnen nicht an, und auch bei den Antworten bin ich großzügig. Es muß sich allerdings im Rahmen halten.
— Das ist geschäftsordnungsmäßig schon bedenklich, Frau Kollegin; aber wenn Sie, Herr Abgeordneter, darauf antworten wollen, bitte sehr.
Gern.
Die Frau Abgeordnete glaubt, eine zweite Frage gestellt zu haben,
die Sie noch nicht beantwortet hätten. Das ist der Sachverhalt.
Dann bitte ich um Nachsicht.
Meine zweite Frage lautete, ob dies nicht in gewisser Weise auch erhellend war: dann, wenn Otto Schily in dieses Zwölf-Männer-Gremium gekommen wäre, finden die eigentlichen Entscheidungen und Verhandlungen in Wirklichkeit in der Arbeitsgruppe, statt, wo Leute das Sagen haben, die vom Parlament vom Deutschen Bundestag überhaupt nicht gewählt zu werden brauchen.
Der Ausschuß kann immer von einem Vorschlag, der auf einer Vereinbarung beruht
— der Kompromiß ist das Lebenselexier der Demokratie — abweichen, auch mit Herrn Schily. Sicher wäre aber, daß Herr Schily für Ihre Fraktion dann mehr Lärm schlagen könnte. Dies aber haben Sie ihm und damit Ihrer Fraktion abgeschnitten. Das ist das Bedauerliche.
— Bitte.
Herr Kollege de With, ich kann verstehen — und in gewissem Maße begrüße ich das auch —, daß Sie diesen Vorgang noch einmal in Erinnerung rufen, der für uns in der Tat blamabel war. Aber auf der anderen Seite sind es zwei Paar Schuhe, die hier zu diskutieren sind. Könnten Sie uns freundlicherweise einmal nähere Auskünfte darüber geben, was es mit dieser ominösen Arbeitsgruppe auf sich hat, über deren Wirken man nur von Zeit zu Zeit über die bekannten Artikel von Herrn Fromme in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" erfährt, der über diese Dinge mehr erfahren kann als ein einfacher Abgeordneter des Deutschen Bundestages?
Herr Kollege Schily, Sie wissen genau so gut wie ich, daß bei einer Zweidrittelmehrheit zur Wahl der Richter — so daß die Regierungskoalition nicht die Opposition überstimmen kann — Gespräche zwischen beiden Lagern notwendig sind. Das wird auch so bleiben, wenn wir ein Anhörungsverfahren im Wahlmännergremium einschalten und durch das Plenum wählen lassen. Wenn das aber so ist, sind Vorabsprachen unumgänglich. Diese Gespräche werden durch bestimmte Leute geführt, die die Fraktionen bestellen. Deswegen ist dieses Vorgremium nicht ominös, sondern notwendig; es ergibt sich aus der Zweidrittelmehrheit, die auch Sie in keiner Weise in Frage stellen.
Meine Damen und Herren, zwei Punkte aus dem Entwurf der GRÜNEN sind indessen nach wie vor diskussionswürdig. Der eine Punkt ist die Wahl durch das Plenum, nicht durch den Ausschuß, der andere Punkt ist das Verfahren zur Anhörung der Richter vor dem Ausschuß. Beides soll der größeren Transparenz dienen und offenbar auch der Erprobung — ich darf das einmal so formulieren — der Öffentlichkeitsfestigkeit der Richter. Das sind — das betone ich — Eigenschaften des Wahlverfahrens bzw. der Richter, die auch wir wünschen. Der Streit, ob Art. 94 des Grundgesetzes das Bundestagsplenum meint, wenn dort statuiert wird:Die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichtes werden je zur Hälfte vom Bundestage und vom Bundesrate gewählt,oder aber die Wahl auch durch einen Ausschuß offenläßt, ist so alt — das ist schon erwähnt worden — wie das Verfassungsgerichtsgesetz.
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2318 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1987
Dr. de WithIch darf noch einmal daran erinnern: Es war Adolf Arndt — der hier gerne zitiert wird und an dessen Demokratieverständnis wohl kein Zweifel besteht —, der letztlich den Vorschlag gemacht hat, dem wir hier bei der Wahl bis heute folgen. Er war nämlich der Auffassung, daß Art. 94 des Grundgesetzes nur meint, daß es eine hälftige Teilung zwischen Bundestag und zwischen Bundesrat geben sollte, nicht aber, daß damit die Unmittelbarkeit der Wahl angesprochen ist. Denn das Grundgesetz unterscheidet durchaus zwischen Mittelbarkeit und Unmittelbarkeit der Wahl. In den Art. 28 und 38 ist nämlich der Ausdruck „unmittelbar" erwähnt, so daß die Väter, die den Art. 94 konzipierten, durchaus zwischen Mittelbarkeit und Unmittelbarkeit der Wahl unterscheiden konnten.Dennoch sage ich: Bei einer Wahl durch das Bundestagsplenum würde die Gewichtigkeit der Wahl des Bundesverfassungsgerichts im Bewußtsein der Öffentlichkeit sicher stärker werden.Nur — ich sage auch das noch einmal — , das Erfordernis der Zweidrittelmehrheit müßte beibehalten werden, eben um zu verhindern, daß eine Regierungsmehrheit sich durchsetzt und damit einen ihr genehmen Verfassungsgerichtskörper wählt. Wenn das aber so ist — und ich betone es wiederholt —, dann muß es bei Absprachen bleiben und natürlich auch beim Schnüren von Paketen. Die Zweidrittelmehrheit erfordert eben einen Kompromiß.Was wir allerdings überlegen sollten — und das sage ich auch ganz ernst — , ist ob wir nicht eine Zweidrittelmehrheit bei der Wahl unserer obersten Richter einführen sollten; denn in der letzten Legislaturperiode gab es zwei Sitzungen des entsprechenden Ausschusses, wo die Regierungskoalition nicht nur einen Durchmarsch versucht, sondern auch geprobt hat — ich meine, sehr zum Ärger nicht nur einiger, sondern auch zu Lasten dessen, was man Gerechtigkeit bei der Ernennung von Bundesrichtern nennt. Sie sind deswegen mit Recht harsch kritisiert worden.Es hat sich bisher auch erwiesen — das sage ich —, daß die Richter des Bundesverfassungsgerichts auch außerhalb des Judizierens durchaus der von ihnen erwarteten Rolle, öffentliche Personen zu sein, gerecht geworden sind. Ich meine, daß das sonst häufig beklagte Im-Elfenbeinturm-Leben im Kern jedenfalls auf die Richter des Bundesverfassungsgerichts nicht angewandt werden kann.Die Frage nach der Öffentlichkeitswertigkeit eines Kandidaten für das Amt des Richters am Bundesverfassungsgericht kann — und ich stehe nicht an, das zu verschweigen — durch ein Anhörungsverfahren ganz sicher leichter beantwortet werden. Wir sollten aber auch wissen, ob dadurch wirklich die Transparenz der Findung — und das sind zwei unterschiedliche Dinge — größer wird. Sehr wahrscheinlich kaum. Ich will aber nicht ausschließen — das sage ich auch —, daß durch ein Anhörungsverfahren möglicherweise vorangegangene Fehlentscheidungen offenkundig werden und deswegen korrigiert werden können.Auf der anderen Seite — es ist schon erwähnt worden — dürfen auch Sie nicht übersehen, daß ein Anhörungsverfahren durchaus zum Verhör ausarten kann. Ich bin dagegen, daß man schlicht und einfach überträgt, was in Amerika postuliert wurde und diePraxis ist; denn in Amerika ist die Situation ganz anders. Dort ernennt der Präsident, und er kann über seine Amtsperiode hinaus einen Verfassungsgerichtskörper bestimmen, der imstande ist, über Jahrzehnte hinaus in eine Richtung zu judizieren, die niemand will. Und deswegen wurde nach dem Begriff „Checks und Balances" dort ein Anhörungsverfahren durchgesetzt, um die Macht des Präsidenten zu konterkarieren. Das heißt, das Motiv in den Vereinigten Staaten für Anhörungsverfahren ist ein ganz anderes als bei uns.
Im übrigen darf auch ein Weiteres nicht übersehen werden: Auch in Amerika unterliegt das Anhörungsverfahren herber Kritik.Lassen Sie mich zum Schluß kommen: Es gibt — das verschweigen wir nicht — positive Dinge, aber auch Gefahren, die niemand übersehen sollte. Ich sagte eingangs, daß wir mit Offenheit an die Beratungen dieser Vorlage herangehen.
Es geht einmal darum — um das noch einmal zum Schluß zu statuieren — , die bewährten Findungs- und Wahlprinzipien nicht zu zerschlagen, die im wesentlichen durch das Zweidrittelprinzip bestimmt werden. Auf der anderen Seite müssen wir aber mit Nachdruck darauf bedacht, sein, diesen Findungsprozeß durchschaubarer, für die Öffentlichkeit verständlicher zu machen und auch die Öffentlichkeitswertigkeit der Richter mehr ins Rampenlicht zu rücken.
Ich kann nur sagen und hoffen und wünschen, daß die Beratungen ernst genug sein werden, dem Thema entsprechend, und die Entscheidung erst gefällt werden wird, nachdem wir uns gründlich umgeschaut haben.
Unsere Verfassungsgerichtsbarkeit ist noch sehr jung, und deswegen können wir mit Recht sagen: Auf Grund dieser jungen Erfahrung ist durchaus eine Korrektur möglich.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Detlef Kleinert .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einige wesentliche Dinge sind hier schon zu bedenken gegeben worden. Wir sind der Meinung, daß die besondere Bedeutung der Institution des Bundesverfassungsgerichts uns allen ständig die Aufgabe gibt, darüber nachzudenken, ob wir irgend etwas an seiner Zusammensetzung, an der Art seiner Wahl, seines Zustandekommens noch verbessern können. Dieser Aufgabe werden wir uns nicht entziehen. Wir sind für jede Anregung dankbar, die hier zu erneutem Nachdenken führt.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1987 2319
Kleinert
Deshalb nehmen wir auch das, was heute hier von den GRÜNEN auf den Tisch gelegt worden ist, in diesem Sinne ernst. Das ist das eine.
Das nächste ist: Sie haben, Frau Nickels, hier immer von dem „Wahlmännergremium" gesprochen und sich verzweifelt bemüht, bei dem Wort „Männer" den Ton besonders deutlich herauszubringen.
Ich kann Ihnen sagen: Sowohl Frau Däubler-Gmelin als auch Frau Fuchs, beide von der SPD in dieses Gremium entsandt, gehören meines Wissens zu den Damen, die mit der Bezeichnung ihrer Eigenschaft überhaupt keine Probleme haben, wenn sie nur mitbestimmen können. Da bin ich ganz sicher. Wenn wir noch einige mehr hätten, wäre es noch besser. Die GRÜNEN haben natürlich das gleiche Problem wie die Freien Demokraten: Wir können uns immer nur so oder so entscheiden, weil nach dem System von Hare-Niemeyer auf die beiden Fraktionen nur einer entfällt.Sie haben sich — ich weiß gar nicht, ob Ihnen das schon einmal in den Sinn gekommen ist — dieser Peinlichkeit, die bei Ihnen vielleicht besonders peinlich sein könnte, dadurch entzogen, daß Sie sich die Möglichkeit, überhaupt teilzunehmen, durch Nichtteilnahme an der Sitzung versagt haben. Aber vielleicht wechseln wir uns einmal ab.Jetzt komme ich zu einer anderen Sache, die nicht nur etwas mit dem Bundesverfassungsgericht, sondern mit allen Vorschlägen betreffend mehr Transparenz zu tun hat. Sie sind nun auch schon so lange hier und, wie ich glaube, zum größeren Teil auch leidvoll hier vertreten, daß Sie wissen, daß die GRÜNEN die längsten und kompliziertesten — teilweise auch öffentlichen — Sitzungen von allen Fraktionen haben und daß Sie sich für eine friedfertige Vereinigung dabei verhältnismäßig unfriedlich miteinander beschäftigen. Auch das dürfte inzwischen allgemein bekannt sein; darin liegt ein tiefer Widerspruch,
der mir auch weh täte, wenn ich dabei wäre, noch dazu mit so hohem Anspruch.Aber deshalb wissen Sie auch: Je transparenter Sie ein Verfahren gestalten, um so untransparenter werden die Vorgespräche.
Bei Ihnen gibt es genauso Vorgespräche vor allen noch so öffentlichen Wahlen wie in allen anderen Gremien, übrigens auch im außerpolitischen Raum. Das haben Sie selbst in Gesangvereinen und in ganz harmlosen kulturellen Vereinigungen, daß sich vorher einige wenige überlegen, wer der nächste Vorsitzende werden soll und daß sie mit kunstvollen Argumenten in der Mitgliederversammlung vortragen, was sie vorher unter sich ausgeguckt haben. Dieser Vorgang findet überall statt. Er sollte so weit eingeschränkt werden wie möglich, er sollte so transparent gemacht werden wie möglich, und man sollte die Entscheidung für ein so wichtiges Gremium wie das Bundesverfassungsgericht auch auf möglichst viele Verantwortliche legen.Aber man sollte bei der Gelegenheit nicht in schlichte Heuchelei verfallen — das wäre dem Gegenstand unangemessen — und so tun, als ob man durch irgendeine Gestaltung des Verfahrens die Prozesse, die sich nun einmal aus der Natur der Menschen, der Gesellschaft und ihrer Umstände ergeben, durch irgend etwas Formales aufheben könnte. Dieser Versuch wird mit Ihrem Vorschlag natürlich gemacht.
Das hindert uns überhaupt nicht, darüber nachzudenken. Wir werden im Rechtsausschuß Gelegenheit haben, etwas ausführlicher und dann hoffentlich noch verständlicher und deutlicher, als das jetzt hier bei der ersten Lesung der Fall sein kann, über die Dinge zu sprechen.Ich wiederhole mich in diesem Punkt, weil er mir so wichtig erscheint: Niemandem soll man vormachen, daß man die tatsächliche Handhabung solcher Dinge durch irgendwelche formellen Änderungen aus der Welt schaffen könnte. Diejenigen, die das schlechteste Gewissen haben, tun sich normalerweise am meisten damit hervor, solche Dinge formell in Ordnung zu bringen, während sie hinter den Kulissen so wie eh und je laufen. Eine Zwei-Drittel-Mehrheit ist eine Zweidrittelmehrheit. Ich bin mit Herrn de With der Meinung, daß diese Zweidrittelmehrheit an dieser Stelle gebraucht wird. Aber ich sehe auch die Schwierigkeiten. Würden wir z. B. im Richterwahlausschuß im Gegensatz zum Wahlmännergremium eine solche Zwei-Drittel-Mehrheit ebenfalls einführen, dann wäre ich sehr energisch dagegen, weil mir eine Kampfabstimmung mit mal dieser und mal jener Mehrheit oder das Gegeneinanderstellen von unterschiedlichen Kandidaten, die dann von beiden Seiten akzeptiert werden — das ist der normale Fall — , viel lieber ist als die bei der Zwei-Drittel-Mehrheit angelegte Entscheidung auf den gemeinsamen Nenner. Ich bleibe bei der Bezeichnung „gemeinsamer Nenner" . Das andere kann sich jeder hinzudenken.
Deshalb, meine ich, sollten wir hier zusätzliche Komplikationen vermeiden, und wir sollten ganz ehrlich miteinander umgehen, was Transparenz angeht. Sie sind längst aus dem Stadium der chaotischen Unschuld heraus, in dem Sie sagen könnten, Sie würden Ihre Leute transparent wählen und bestimmen oder Ihre Gremien transparent besetzen. So etwas gibt es nicht auf dieser Welt.
Man kann nur versuchen, sich diesem Zustand zunähern, aber man soll nicht hergehen und irgend jemandem in unserer Öffentlichkeit vortäuschen wol-
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Kleinert
len, daß man diesen Zustand etwa erreichen könnte, noch dazu durch formale Änderungen.Im übrigen meine ich: Das Wichtigste, was dieses Haus innerhalb der 40 Jahre, von denen Vorredner gesprochen haben, entschieden hat, war die 70er Novellierung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes mit der Bestimmung, daß die Richter nur einmal und dann auf zwölf Jahre zu wählen sind. Darin lag eine tiefe Weisheit; denn nur der, der nicht auf seine Wiederwahl schielt, hat die höhere Wahrscheinlichkeit und die höhere Erwartung der Öffentlichkeit für sich, daß er wirklich unabhängig ist. Damit relativiert sich allerdings auch, und zwar richtig schön normal, praktisch und gesund, die Bedeutung des Wahlverfahrens. Denn wenn die Leute das taugen, was sie ja offensichtlich taugen,
dann sind sie uns mit zwölf Jahren ohne Wiederwahlmöglichkeit natürlich sehr viel lieber und sehr viel sicherer, als das früher der Fall war.
Nun ist der Satz zu Ende, und ich kann fragen, ob der Abgeordnete Schily eine Zwischenfrage stellen darf, Herr Abgeordneter Kleinert.
Ja.
Wenn mir das gestattet ist, möchte ich das Talent von Herrn Kleinert, zu langen Sätzen zu kommen, doch bewundern. Aber das war jetzt nicht der Gegenstand der Frage.
Herr Kollege Kleinert, Sie haben auf einen richtigen Tatbestand hingewiesen, daß auch bei der äußersten Transparenz einer Entscheidungsprozedur erfahrungsgemäß Absprachen vorausgehen. Das werden wir auch nicht bestreiten. Deshalb möchte ich Sie fragen, ob Sie auch den Satz in der Begründung unseres Gesetzentwurfes entdeckt haben, in dem wir diese Erfahrungstatsache überhaupt nicht in Abrede stellen, nämlich den Satz: „Dem Wahlakt werden naturgemäß Absprachen vorhergehen." Das heißt aber doch nicht — wenn ich das noch ausführen darf —, daß man deshalb die Transparenz des Wahlaktes nicht herstellen soll. Denn genauso wie wir es hier im Bundestag immer wieder erleben, daß unsere geschätzten Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer ja manchmal auch nicht so sehr transparente — ich will mich ein bißchen vielleicht dem Stil von Herrn Kleinert nähern —
Absprachen treffen, wollen wir doch die Transparenz unserer Bundestagsplenardebatte als ein Gut hüten, denke ich.
Wir sind uns, Herr Kollege, da vollkommen einig. Ich bin allerdings nicht auf die schriftliche Begründung Ihres Entwurfs, sondern auf die Darstellung Ihrer Kollegin Frau Nickels eingegangen, die versucht hat, hier darzulegen, daß wir bei dieser Gelegenheit zu mehr Transparenz kommen. Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie Ihre eigene Erkenntnis eingeführt haben — ich habe hier auch versucht, das der Öffentlichkeit zu erklären — , daß es nämlich mit dem Formalen allein nicht geschehen kann und daß wir das Ziel immer nur anstreben können, aber nicht erreichen werden. Denn ich habe auch — ich wiederhole mich auch hier jetzt noch einmal — gesagt: Wir sind ja bereit, darüber zu reden. Aber wir wollen niemandem sagen: Schlagartig werden wir hier zu ganz anderen, revolutionär neuen Ergebnissen kommen. Wenn der Deutsche Bundestag die Verfassungsrichter z. B. in einer Plenarsitzung wählte, würden ganz erstaunlich ähnliche Ergebnisse wie bisher herauskommen. Aber wenn es der Sache dient, wollen wir das mindestens sehr aufgeschlossen diskutieren.
Herr Abgeordneter Kleinert, der Abgeordnete Geis möchte noch eine Zwischenfrage stellen.
Herr Kollege Kleinert, könnten Sie die Mitglieder der Fraktion DIE GRÜNEN darauf hinweisen, daß — —
Herr Abgeordneter, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß die Geschäftsordnung Dreiecksfragen ausdrücklich nicht zuläßt. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie die Geschäftsordnung beachten würden.
Ich bin dazu gerne bereit und frage: Herr Kollege Kleinert, ist Ihnen bekannt, daß all die, die heute Transparenz durch öffentliche Anhörung der Richter verlangen, es als „Gesinnungsschnüffelei" ablehnen, daß die Kandidaten für den öffentlichen Dienst nach ihrer Verfassungstreue gefragt werden?
Ich habe gelegentlich davon gehört, möchte das Thema jetzt aber nicht zu sehr erweitern. Ich möchte Ihnen nur sagen, daß ich aus ganz ansehnlichen Zeitungen einige Schlagzeilen zu dem mehrfach gerühmten amerikanischen System mitgebracht habe. Da finden Sie z. B. im ,,Mannheimer Morgen" vom 2. Oktober die Schlagzeile: Selbst der Bart kommt unter die Lupe — nämlich bei der Befragung des eventuellen Richters Bork.
Weiter: Der Volkston fällt Richter Bork noch schwer. Die „Neue Zürcher" schreibt: Auftakt zu Bork-Hearing — ungewisser Ausgang nach schriller Propagandaschlacht. Ich würde eine schrille Propagandaschlacht jedenfalls nicht für das geeignete Mittel halten, zu einem besseren Verfassungsgericht zu kommen.
Abschließend möchte ich noch einmal auf das zurückgreifen, was Herr Kollege de With schon ausgeführt hat. Wenn das Bundesverfassungsgericht in der
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Kleinert
Meinung unserer Bevölkerung einen so herausragenden Ruf hat, wie die Meinungserforschungen es ergeben haben, sollten wir dafür dankbar sein. Wir teilen diese Ansicht. Es ist aber verhältnismäßig ungewöhnlich, daß man mit Reformen bei den Institutionen ansetzt, die sich allgemein eines besonders guten Ruf es erfreuen, statt sich denen zu widmen, die sich eines weit weniger guten Rufes erfreuen.
Danke sehr.
Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Wahl des Bundesverfassungsgerichts und seiner Richter kommt, bedenkt man die umfassenden Kompetenzen und Funktionen des Bundesverfassungsgerichts in unserem Verfassungsgefüge, eine außerordentlich große Bedeutung zu. Wir sollten daher immer darauf achten, daß die Vorschriften über die Richterwahl und ihre Handhabung dem hohen Stellenwert des Bundesverfassungsgerichts gerecht werden.
Mängel, die hier und da bei der Handhabung, dem zeitlichen Ablauf und der Durchsichtigkeit des Geschehens gesehen wurden, sollten mit der gebotenen Sorgfalt besprochen werden. Der Vorschlag der GRÜNEN, das gesamte System der Richterwahl zu ändern, verfehlt jedoch völlig das Ziel konstruktiver Verbesserungen.
Das Bundesverfassungsgericht genießt, wie bereits betont wurde, über die Jahrzehnte ein hohes und höchstes Ansehen bei der Bevölkerung.
Auch jüngste Umfragen haben wieder ausgewiesen, daß neben dem Bundespräsidenten das Bundesverfassungsgericht unter den Verfassungsorganen am weitaus positivsten bewertet wird.
Die Vorschläge der GRÜNEN ziehen das Bundesverfassungsgericht im Ergebnis ganz zwangsläufig in den politischen Tagesstreit und schwächen damit seine Funktion als Spitze der dritten Gewalt in unserem Staate.
So sollen die Bewerber nach diesen Vorschlägen ja gehalten sein, auf Fragen über alles und jedes Auskunft zu geben. Die Kandidaten müßten sich also zwangsläufig auch zu Fragen äußern, über die sie später, und zwar auch schon voraussehbar, als Bundesverfassungsrichter zu befinden hätten. Die genaue Protokollierung aller Äußerungen der Richterkandidaten täte noch ein Übriges, so daß jeder Richter in der Öffentlichkeit von vornherein in einer bestimmten Weise mit all seinen Auffassungen fixiert und abgestempelt wäre. Jeder Richter wäre damit von vornherein dem Verdacht der Befangenheit ausgesetzt. Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Bundesverfassungsgerichts wären in Frage gestellt.
Abstrakt betrachtet könnte man sich vielleicht einmal der Überlegung hingeben, ob ein solches Hearing nicht doch erwogen werden sollte. Wer aber in der Praxis derartige Unternehmungen kennt, der weiß doch, daß in ganz vielen Fällen ganz gezielt gefragt werden wird, dies ist ein Akt der politischen Entkleidung, das Herauspressen von Auffassungen. Es werden, wie ich betont habe, ganz gezielt Fragen im Hinblick auf in nächster — absehbarer — Zeit vom Bundesverfassungsgericht zu entscheidende Fragen gestellt werden.
Ich meine, im übrigen sollte die Qualifikation für das höchste Richteramt nicht davon abhängig gemacht werden, wie sich der Kandidat vor den Augen der Öffentlichkeit verkauft. Hier sind ja nicht schauspielerische oder rednerische Talente gefragt, sondern die Fähigkeit, überzeugende juristische Entscheidungen zu treffen und sachlich zu begründen.
Die vorgeschlagenen Regelungen verbessern daher nicht die Chance, sondern erschweren die Möglichkeit, allseits akzeptierte hochqualifizierte Richterpersönlichkeiten für das hohe Amt eines Verfassungsrichters zu gewinnen.
Die Einführung der unmittelbaren Wahl des Bundesverfassungsrichters durch den Bundestag ist weder verfassungsrechtlich notwendig noch verfassungspolitisch sinnvoll. Die demokratische Legitimation, die für das Bundesverfassungsgericht als Verfassungsorgan wesensnotwendig ist, geht nicht dadurch verloren, daß ein Ausschuß des Bundestages die Wahl vornimmt. Der Ausschuß spiegelt in seiner Zusammensetzung das wesentliche politische Kräftefeld im Plenum wider. Dies entspricht dem Repräsentationsprinzip, das als Strukturprinzip unserer staatlichen Ordnung in zahlreichen Bestimmungen des Grundgesetzes zum Ausdruck kommt.
Außerdem — darauf ist bei dieser Debatte bereits hingewiesen worden — : Bei einer unmittelbaren Wahl durch das Plenum des Bundestages wird entweder vom Auswahlverfahren her alles so bleiben sie bisher, nur daß sich die Zahl der abgegebenen Stimmen schließlich vervielfacht, oder aber die unmittelbare Wahl würde zu einem sehr probaten Mittel, eine rechtzeitige Richterwahl zu verhindern und damit die Funktionsfähigkeit des Gerichts zu gefährden, weil es schwierig werden könnte, zwei Drittel aller Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf bestimmte Richterkandidaten festzulegen.
Diese beiden Möglichkeiten stellen sich. Welche näher liegt, möchte ich von dieser Stelle hier nicht entscheiden. Aber daß sich so viel im guten ändern könnte, ist absehbar nicht der Fall. Die Gefahren aber, die in diesem Vorschlag liegen, sind ganz offenkundig.
Das Wort hat der Abgeordnete Geis.
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2322 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1987
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich beantrage für meine Fraktion die Überweisung dieses Antrages nicht nur an den Rechtsausschuß — zur federführenden Beratung — , sondern wegen der verfassungspolitischen Situation auch — zur Mitberatung — an den Innenausschuß.
Dann muß ich über diesen Antrag abstimmen lassen.
Zur Geschäftsordnung hat sich aber vorher Frau Abgeordnete Roitzsch gemeldet.
— Das werden wir feststellen.
Nun hat das Wort zur Geschäftsordnung Frau Roitzsch.
Herr Präsident, nach § 45 der Geschäftsordnung bitte ich Sie, die Beschlußfähigkeit festzustellen.
Außerdem ist mir von der Fraktion der FDP mitgeteilt worden, daß der Überweisung in den Innenausschuß nicht zugestimmt wird. Es besteht also kein Einvernehmen, Herr Abgeordneter Kleinert,
so daß der Geschäftsordnungsantrag der CDU/CSU-Fraktion ordnungsgemäß gestellt worden ist.
Das Präsidium ist sich darüber einig, daß die Beschlußfähigkeit des Hauses nicht gegeben ist. Ich muß daher die Sitzung schließen.
Zur Geschäftslage darf ich aber vorher festhalten, daß wir damit erstens den Entwurf eines Gesetzes der Fraktion der GRÜNEN zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht — Tagesordnungspunkt 21 — nicht an die Ausschüsse überwiesen haben. Das muß also wohl in der nächsten Sitzungswoche erledigt werden.
Zweitens sind der Antrag der GRÜNEN auf Drucksache 11/511 und der Antrag der SPD auf Drucksache 11/581 — Tagesordnungspunkt 20a und 20b — nicht erledigt. Sie werden also ebenfalls wieder auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestages stehen.
Ich darf den Deutschen Bundestag für Mittwoch, den 4. November 1987, 13 Uhr — —
— Das Präsidium hat übereinstimmend die Beschlußunfähigkeit festgestellt. Damit ist der Geschäftsordnung Genüge getan, Herr Abgeordneter Kleinert.
Ich möchte es aber nicht versäumen, mich bei all denjenigen, die die Geduld hatten, heute so lange auszuhalten, zu bedanken.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für Mittwoch, den 4. November 1987, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.