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    Plenarprotokoll 11/34 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 34. Sitzung Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1987 Inhalt: Gedenkworte für die Opfer des Absturzes eines italienischen Flugzeuges am 15. Oktober 1987 2273 A Tagesordnungspunkt 19: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur sozialen Flankierung des Strukturwandels in der Stahlindustrie in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 16: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Stahlpolitik der Bundesregierung (Drucksache 11/947) Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi 2273B, 2294 D Roth SPD 2278A Dr. Sprung CDU/CSU 2281 B Stratmann GRÜNE 2282 D Beckmann FDP 2285 C Dr. Blüm, Bundesminister BMA 2287 C Urbaniak SPD 2291 C Hinsken CDU/CSU 2292 D Frau Weyel SPD 2294 B Schreiner SPD 2294 D Zusatztagesordnungspunkt 8: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Laufs, Schmidbauer, Fellner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Knabe, Wetzel und der Fraktion DIE GRÜNEN: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Langfristiger Klimaschutz" (Drucksachen 11/533, 11/787, 11/971) 2296D Zusatztagesordnungspunkt 17: Aktuelle Stunde betr. Entsendung von Marine-Einheiten der Bundeswehr ins Mittelmeer Dr. Mechtersheimer GRÜNE 2297 B Kossendey CDU/CSU 2298 B Dr. Scheer SPD 2299 D Dr. Hoyer FDP 2300 D Frau Beer GRÜNE 2301 D Dr. Uelhoff CDU/CSU 2302 C Jungmann SPD 2303 C Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 2304 C Zumkley SPD 2305 D Dr.-Ing. Kansy CDU/CSU 2306 C Lowack CDU/CSU 2307 B Kolbow SPD 2308 D Schwarz CDU/CSU 2309 B Tagesordnungspunkt 20: a) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Beendigung der Arbeiten am Endlager Gorleben (Drucksache 11/511) und b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Entsorgung — Endlager (Gorleben) (Drucksache 11/581) Frau Wollny GRÜNE 2310B Kleinert (Marburg) GRÜNE (zur GO) . . 2312A II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1987 Tagesordnungspunkt 21: Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (Drucksache 11/73) Frau Nickels GRÜNE 2312 B Geis CDU/CSU 2313D, 2322A Dr. de With SPD 2316B Kleinert (Hannover) FDP 2318 D Engelhard, Bundesminister BMJ 2321 A Frau Roitzsch (Quickborn) CDU/CSU (zur GO) 2322 A Nächste Sitzung 2322 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 2323* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1987 2273 34. Sitzung Bonn, den 16. Oktober 1987 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 16. 10. Frau Beck-Oberdorf 16. 10. Frau Berger 16. 10. Bohlsen 16. 10. Brandt 16. 10. Bredehorn 16. 10. Dr. Briefs 16. 10. Büchner (Speyer) * 16. 10. Dr. von Bülow 16. 10. Carstensen (Nordstrand) 16. 10. Dr. Daniels (Bonn) 16. 10. Daubertshäuser 16. 10. Echternach 16. 10. Dr. Ehmke (Bonn) 16. 10. Dr. Ehrenberg 16. 10. Engelsberger 16. 10. Frau Fischer ** 16. 10. Gattermann 16. 10. Gerstein 16. 10. Dr. Götz 16. 10. Gries 16. 10. Grünbeck 16. 10. Grüner 16. 10. Grunenberg 16. 10. Haar 16. 10. Frau Hämmerle 16. 10. Hedrich 16. 10. Heimann 16. 10. Heistermann 16. 10. Hillerich 16. 10. Frau Hoffmann (Soltau) 16. 10. Hoss 16. 10. Ibrügger 16. 10. Irmer ** 16. 10. Jansen 16. 10. Jaunich 16. 10. Jung (Lörrach) 16. 10. Kirschner 16. 10. * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union ** für die Teilnahme an der 78. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Kittelmann * 16. 10. Koschnick 16. 10. Frau Krieger 16. 10. Dr. Lammert 16. 10. Leidinger 16. 10. Frau Luuck 16. 10. Maaß 16. 10. Frau Dr. Martiny 16. 10. Frau Matthäus-Maier 16. 10. Dr. Mertens (Bottrop) 16. 10. Meyer 16. 10. Dr. Müller ** 16. 10. Müller (Schweinfurt) 16. 10. Frau Olms ** 16. 10. Paintner 16. 10. Paterna 16. 10. Petersen 16. 10. Reddemann * 16. 10. Repnik 16. 10. Reschke 16. 10. Reuschenbach 16. 10. Schäfer (Offenburg) 16. 10. Scharrenbroich 16. 10. Freiherr von Schorlemer ** 16. 10. Schröer (Mülheim) 16. 10. Frau Dr. Segall 16. 10. Frau Dr. Skarpelis-Sperk 16. 10. Dr. Soell ** 16. 10. Dr. Stercken ** 16. 10. Stobbe 16. 10. Straßmeir 16. 10. Tietjen 16. 10. Frau Dr. Timm ** 16. 10. Toetemeyer 16. 10. Verheugen 16. 10. Dr. Vondran 16. 10. Dr. Waigel 16. 10. Weirich 16. 10. Wieczorek (Duisburg) 16. 10. Wischnewski 16. 10. Wissmann 16. 10. Wittich 16. 10. Wüppesahl 16. 10. Zierer 16. 10. Dr. Zimmermann 16. 10. Zywietz 16. 10.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Martin Bangemann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man über die Stahlindustrie und die soziale Flankierung des Strukturwandels in dieser Branche diskutiert, muß man von einigen Grunderkenntnissen ausgehen, die schwerer wiegen als alle offenbar unvermeidliche Kritik und Polemik.
    Erstens. Wir debattieren kein deutsches, sondern ein internationales Problem. Natürlich wird das Stahlarbeiter, die ihren Arbeitsplatz aufgeben müssen, sicher nicht beruhigen. Das ist auch verständlich. Aber es ändert leider nichts an der Tatsache, daß der Strukturwandel, dem nicht nur diese Branche unterliegt, weltweite Dimensionen hat. Keine Regierung, kein Unternehmen kann ihn aufhalten. Es wäre auch nicht nur unmöglich, ihn aufzuhalten, es wäre gesamtwirtschaftlich verhängnisvoll. Wir können die sozialen
    Folgen dieses Umbruchs erträglicher machen. Das geschieht. Das geschieht mit dem Einsatz auch hoher Mittel des Steuerzahlers. Wir können und dürfen aber diesen Strukturwandel selbst nicht behindern.
    Zweitens. Nationale Stahlpolitik, nationale Stahlkonzepte stehen für ein einzelnes Mitgliedsland der Europäischen Gemeinschaft nicht mehr zur Diskussion. Wir haben eine gemeinsame Stahlpolitik der EG. Man mag das kritisieren. Aber es ist auch eine Tatsache: Kein Mitgliedsland allein kann sie bestimmen. Wir können sie freilich beeinflussen. Die Bundesregierung hat das getan, und sie wird es weiter tun. Ich meine, daß wir dabei auch erfolgreich gewesen sind. Wir werden auch künftig keine Anstrengung unterlassen, um die Wettbewerbssituation der deutschen Stahlunternehmen gleich mit der anderer Stahlunternehmen zu gestalten, Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der deutschen Stahlunternehmen abzuwehren.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU)

    Drittens. Die Bundesregierung ist weder gewillt noch in der Lage, unternehmerische Verantwortung in der Stahlindustrie zu übernehmen. Sie hält — ich habe es gesagt — den Strukturwandel in dieser Branche für unvermeidlich. Das heißt im Klartext: Sie ist wie alle Unternehmen, wie übrigens auch die IG Metall, der Meinung, daß Kapazitätsabbau unrentabler Anlagen unausweichlich ist und daß damit ein Arbeitsplatzverlust einhergeht, den auch wir bedauern, aber nicht vermeiden können. Wo und wie das geschieht, bleibt in der Kompetenz der mitbestimmten Unternehmen.
    Wir sind bereit und haben diese Bereitschaft bewiesen, mit sozialpolitischen Hilfen, mit der Förderung von Ersatzarbeitsplätzen Erschütterungen aufzufangen, die in einer solchen Situation durch die betroffenen Regionen gehen. Aber wir haben die Anpassungspläne der Gesellschaften zu respektieren. Nicht die Bundesregierung sagt, daß in der deutschen Stahlindustrie in den kommenden Jahren 35 000 Arbeitsplätze verlorengehen müssen. Das entscheiden andere in ihrer eigenen Verantwortung. Zu diesem im übrigen trostlosen Ergebnis sind Unternehmen und Gewerkschaften auch gemeinsam gekommen. Niemand in diesem Hause wird ihnen dabei unterstellen, daß sie das leichtfertig oder unbedacht gemacht ha-



    Bundesminister Dr. Bangemann
    ben. Auch sie haben sich ökonomischem Zwang beugen müssen.
    Viertens. So schmerzlich, so einschneidend dieser Umbruch ist, so wenig genügt es, ihn nur zu beklagen und angeblich dafür Verantwortliche zu kritisieren. Wir müssen ihn zugleich auch als eine Chance begreifen, als eine gemeinsame Herausforderung von Gewerkschaften, Unternehmen und Politikern, die Leistungskraft unserer Wirtschaft zu erhöhen, auf diese Weise neue wettbewerbsfähige Arbeitsplätze zu schaffen.

    (Beifall bei der FDP)

    Schuldzuweisungen, die im übrigen auch häufig ins Leere gehen, helfen den Betroffenen überhaupt nicht. Wir brauchen in den Regionen, die von diesen Belastungen betroffen sind, einen neuen Aufbruch. Ein besseres Investitionsklima gehört vor allem anderen dazu. Wir müssen die Unternehmen auffordern, — das ist geschehen — , gerade dort, wo Arbeitsplätze verlorengehen, ihre Investitionen vorzunehmen und damit neue Arbeitsplätze zu schaffen.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Wir müssen alle Anstrengungen unterstützen, Umschulung und Fortbildung zu verstärken und dafür das notwendige Interesse bei den Arbeitnehmern zu wecken. Wir müssen Vorschriften abschaffen, die einen flexiblen Arbeitsmarkt behindern.
    Ich habe schon bei verschiedenen Gelegenheiten, auch hier von diesem Platz aus, Gewerkschaften darum gebeten — ich möchte das hier wiederholen —, bei ihren Forderungen, die sie in den Tarifverhandlungen erheben, auf regionale Besonderheiten mehr Rücksicht zu nehmen. Wer übersieht, daß die von der Strukturkrise betroffenen Regionen am besten dadurch Hilfe bekommen könnten, daß man auf ihre Situation auch mal bei Tarifvertragsverhandlungen eingeht, der trägt zur Vertiefung der Probleme in diesen Regionen bei.

    (Stahl [Kempen] [SPD]: Das passiert doch auch!)

    Die sozialpolitischen Hilfen, die von der Bundesregierung beschlossen worden sind, geben eine ausreichende Grundlage, um jedenfalls materielle Not zu vermeiden. Aber es genügt nicht, dabei stehenzubleiben. Am Ende dieser mit so vielem persönlichen Leid verbundenen Entwicklung muß eine neue wettbewerbsfähige und leistungskräftige Struktur der Stahl- und Bergbaugebiete stehen. Das sind die Ziele unserer Politik. Alles andere würde nicht weiterführen, und besonders unrealistisch wäre es gewesen, die Teile der Stahlproduktion künstlich erhalten zu wollen, die international nicht mehr mithalten können. Denn auch das ist unbestreitbar und wird immer weniger bestritten: Der Stahlverbrauch geht weltweit zurück. In den westlichen Industrienationen steigt auch das Angebot aus Schwellenländern und Entwicklungsländern. Diese Länder bieten einfache Stahlsorten zu Bedingungen an, die in den Industrieländern gar nicht mehr möglich sind. Übrigens sind viele dieser Stahlwerke von Unternehmen westlicher Industrieländer erstellt worden, und man kann wohl nicht dabei Geld verdienen wollen und ihnen dann andererseits Marktchancen nicht einräumen, die sie zu Recht verlangen.
    Zudem sorgt der technische Fortschritt dafür, daß immer mehr Stahl mit immer weniger Arbeitskräften hergestellt werden kann. Auch der spezifische Stahlverbrauch ist zurückgegangen, weil immer mehr Ersatzstoffe verwendet werden, oder dort, wo Stahl verwendet wird, mit geringeren Mengen gearbeitet werden kann. Ich zitiere deshalb das Internationale Eisen- und Stahlinstitut, das zu ähnlichen Prognosen wie die OECD und die EG-Kommission kommt. Danach geht der Stahlverbrauch in der Europäischen Gemeinschaft bis 1995 auf 92 Millionen Tonnen zurück, ein Minus von 10 Millionen Tonnen innerhalb von zehn Jahren. In den Vereinigten Staaten wird zu gleicher Zeit ein Rückgang von 12 Millionen Tonnen und in Japan von 8 Millionen Tonnen erwartet.
    Natürlich sind das Prognosen. Man kann immer bestreiten, daß es tatsächlich so verläuft. Aber alle Fachleute sind sich einig, daß dies der generelle Trend ist. Die abwärts gerichtete Tendenz im Stahlverbrauch löst den Zwang zu weiteren Kapazitätsanpassungen aus.
    Die vergeblichen Bemühungen in einigen unserer Nachbarländer, eine hohe Stahlproduktion durch riesige Subventionen zu retten, sollten jedermann zu denken geben. Gegen den Markt, gegen den technischen Fortschritt und gegen weltweite Verbrauchsveränderungen gibt es kein Mittel. Selbst wenn es dies gäbe, wer wollte es bei den Kosten, die damit für die Volkswirtschaft verbunden sind, ernsthaft anwenden?
    Meine Damen und Herren, ich werde nicht müde, auch das immer wieder zu wiederholen: Das Aufhalten des Strukturwandels kostet nicht nur die Arbeitsplätze, die man letztlich gar nicht retten kann, weil sie schon wettbewerbsunfähig sind, sondern es kostet auch die neuen Arbeitsplätze, die nicht entstanden sind, weil man zu lange an einer überholten Struktur festgehalten hat.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    — Ihr Problem besteht darin, daß Sie durchaus über die richtigen Erkenntnisse von Zeit zu Zeit verfügen, sie aber nicht anwenden.

    (Zurufe von der SPD) Es ist gar nicht meine Erkenntnis.

    Ich darf Ihnen einmal ein Papier in Teilen vorlesen, das eine Arbeitsgruppe bei Ihnen, an der auch Herr Glotz beteiligt war, ausgearbeitet hat. Da heißt es: „Das Bewußtsein für die Notwendigkeit einer solchen Politik", die nämlich nicht nur auf solidarische und soziale Absicherung setzt, sondern die auch Zukunftsentwicklungen ins Auge faßt, „ist in der Partei weiter entwickelt, als nach außen hin deutlich wird". Das sagt dieses Papier der SPD.

    (Dr. Vogel [SPD]: Na und? Bei Ihnen ist es umgekehrt!)

    — Herr Vogel, Ihre vorschnellen Schlüsse — ich habe
    ja bisher nur einen Satz aus Ihrem Papier vorgelesen — sind Ihnen schon verschiedentlich zum Ver-



    Bundesminister Dr. Bangemann
    hängnis geworden. Sie sollten eigentlich mit Zwischenrufen warten, bis der zweite Satz kommt.

    (Dr. Vogel [SPD]: Welches Papier denn? — Zuruf von der SPD: Sie sind das Verhängnis der Wirtschaftspolitik! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Jetzt kommt nämlich der zweite Satz:
    Jedoch gibt es da und dort in der SPD eine Unteruns-gesagt-Mentalität. Intern wird längst eingeräumt, daß sich die Partei stärker solchen Gedanken öffnen müßte, aber in der Öffentlichkeit wird dann aus Rücksicht auf gesellschaftliche Organisationen in altbewährter Manier weiter argumentiert.
    Das ist Ihr Problem.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Darum bedienen Sie die Reichen!)

    Sie machen ja wunderbar weiter, wie Herr Glotz es beschrieben hat: Nach außen haben Sie Ihre Scheinformeln. „Sie bedienen die Reichen" usw., und intern wissen einige von Ihnen schon, daß man an diesem Strukturwandel nicht vorübergehen kann, wenn man den Arbeitnehmern helfen will. Das erkennen Sie zwar, aber Sie handeln nicht danach; das ist Ihr Problem.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Dabei, meine Damen und Herren, ist die aktuelle Situation in der Bundesrepublik sogar verhältnismäßig günstig. Es kann gar nicht beschritten werden, daß die generelle Konjunkturbelebung, die außer der Opposition auch niemand hierzulande bestreitet, am Stahlmarkt nicht vorbeigeht. Das Inlandsgeschäft hat sich in den letzten Monaten wieder belebt. Die Auslandsnachfrage nimmt seit der Jahresmitte deutlich zu. Die Preise, zumindest bei Flachprodukten, stabilisieren sich. Auch die Produktion geht nach oben. So kann man nach heutigem Erkenntnisstand erwarten, daß wir in diesem Jahr etwa die gleiche Stahlproduktion wie 1986 haben werden, also rund 37 Millionen Tonnen. Am Jahresanfang war dagegen noch mit einem Rückgang gerechnet worden. Aber ich sage noch einmal: An den langfristigen Tendenzen ändert das auch nach Meinung der Stahlproduzenten nichts.
    Um so mehr kommt es darauf an, die Interessen der deutschen Stahlindustrie und ihrer Beschäftigten innerhalb der EG wahrzunehmen. Wir haben das getan. Auf deutsches Drängen hin ist der europäische Subventionsdschungel mit dem Subventionskodex beseitigt worden. Vor allem die Bundesregierung hat durchgesetzt, daß seit Ende 1985 keine stahlspezifischen Subventionen mehr gezahlt werden durften. Wir achten auch darauf, daß dieses Subventionsverbot in den EG-Ländern tatsächlich eingehalten wird. Ich weiß, eine gesetzliche Vorschrift, ein Verbot, wird nicht immer eingehalten; das weiß jeder, der mit Gesetzen und ihrer Durchsetzung zu tun hat. Aber ich weiß auch: Wir sind gar nicht diejenigen, die mit allzu weißer Weste mit den Fingern auf andere zeigen können: Von den Verfahren, die die Kommission eingeleitet hat, betreffen drei auch deutsche Unternehmen.
    Wir sind aber jedem Hinweis auf die mögliche Zahlung verbotener Subventionen sofort nachgegangen und haben die EG-Kommission aufgefordert, das sofort abzustellen. Das bedeutet dann natürlich auch, daß wir, wenn wir mit diesen Aufforderungen Erfolg haben wollen, uns selber bemühen müssen, nicht gegen den Subventionskodex zu verstoßen.

    (Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aber der Unterschied ist doch eklatant!)

    Immerhin, in der Sitzung des europäischen Stahlrats am 21. September haben alle Regierungen aller Mitgliedsländer noch einmal versichert, daß sie den Subventionskodex einhalten wollen.
    Dieser Stahlrat hat auf unser Drängen auch beschlossen, das geltende Produktionsquotensystem um drei Jahre zu verlängern, sofern die Sicherheit besteht, daß die Unternehmen dann auch den von der EG-Kommission für unumgänglich gehaltenen Anpassungsprozeß fortsetzen. Das ist eine ganz wichtige Fortentwicklung der europäischen Stahlpolitik, die im Interesse der deutschen Stahlunternehmen liegt.
    Es mag sein, daß der eine oder andere fragt: Wieso kann man unter einer liberalen Marktordnung für ein Quotensystem eintreten? Dieses Quotensystem hat zwei Vorteile:
    Erstens. In einer Situation, in der wir nicht ganz sicher sind, daß sich alle an den Subventionskodex halten, verhindert dieses System, daß sich ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile, die durch verbotene Subventionen entstehen, unmittelbar auf dem Markt bemerkbar machen.
    Zweitens. Die Weiterführung des Quotensystems ist notwendig, wenn der andere Gedanke, den wir auch in die Debatte eingebracht und unterstützt haben, nämlich der des Quotenkaufs und -verkaufs, umgesetzt werden soll. Es ist klar: Man kann keine Quote verkaufen, die nicht durch ein System geschützt wird. Dieser Kauf und Verkauf soll dazu beitragen, Mittel zu beschaffen, die wir einsetzen wollen und die den Stahlunternehmen den Kapazitätsabbau erleichtern werden.
    Wir haben uns auch darauf geeinigt, daß die europäische Stahlindustrie als Ganze nur dann gesunden kann, wenn in allen Mitgliedsländern weitere unrentable Anlagen abgebaut werden, deren Kapazität von der Kommission inzwischen auf 30 Millionen Tonnen veranschlagt wird. Ich sage bewußt „in allen Mitgliedsländern", damit deutlich wird, daß das ein Problem nicht nur der deutschen Stahlindustrie ist.
    Hier kann man nicht, wie es seitens der SPD geschehen ist, von Vorleistungen sprechen. Vielmehr bestanden die Stillegungspläne der deutschen Stahlindustrie bereits: Man muß sich einmal vorstellen, wie sich da die Argumentation der Opposition verändert hat:

    (Zuruf von der CDU/CSU: Eine absurde Argumentation ist das!)

    In der Phase, in der wir die Einigung mit IG Metall und Stahlindustrie noch nicht hatten, hieß es: Die Bundesregierung drückt sich vor der Verantwortung; sie schiebt Dinge nach Brüssel, die in Brüssel gar nicht entschieden werden können. Ich habe dafür gewor-



    Bundesminister Dr. Bangemann
    ben, daß man diese erste Sitzung des Stahlrats, von der ich jetzt spreche, abwartet, damit wir zunächst einmal eine europäische Grundlage für unsere eigenen Beschlüsse haben. Daß das richtig war, zeigen die Beschlüsse des Stahlrates, über die ich hier berichte.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Aber als wir diese Grundlage hatten, wäre es unverantwortlich gewesen, nicht Klarheit über die soziale Absicherung zu schaffen.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Das haben wir getan. Vorher hat die SPD kritisiert, daß wir es nicht getan haben; als wir es getan haben, hat sie kritisiert, daß wir es getan haben. Meine Damen und Herren, das ist unsere Opposition!

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD)

    Wir müssen jetzt noch bestimmen, wo welche Anlagen stillgelegt werden. Das ist die Aufgabe der sogenannten drei Weisen. Niemand erwartet von ihrer Arbeit Wunder, aber es war schon deshalb richtig, sie mit dieser Aufgabe zu betrauen, weil es unwidersprochene Berichte gibt, daß einige Regierungen ihren eigenen verstaatlichten Unternehmen untersagt haben sollen, konkurrenzunfähige Kapazitäten stillzulegen. Daran ist nämlich die Bemühung von Eurofer gescheitert. Die privaten Unternehmen waren bereit, diese Entscheidungen zu treffen; verstaatlichte Unternehmen hätten sie von ihrer eigenen unternehmerischen Verantwortlichkeit her auch getroffen, sind aber von ihren Regierungen daran gehindert worden, das zu tun, was übrigens ein weiterer Beweis dafür ist, daß verstaatlichte Unternehmen das unternehmerisch Richtige und Wichtige nicht tun können, weil sie politisch daran gehindert werden.
    Diese Berichte werden es der Bundesregierung, den anderen Mitgliedsregierungen und der EG-Kommission erlauben, Stillegungen zu definieren. Dieses Ergebnis war übrigens auch deswegen so wichtig, weil wir die Zwangsumlage abgewehrt haben, an der die Kommission zwar immer noch festhält, die aber offensichtlich keine Mehrheit mehr findet. Diese Zwangsumlage wäre eine direkte Bestrafung der deutschen Stahlindustrie gewesen, denn man hätte Unternehmen, die Betriebe entweder schon stillgelegt haben oder noch stillegen werden, zur Finanzierung der überflüssig gewordenen Kapazitäten anderer Unternehmen herangezogen. Wir hätten also auf diese Weise einen Zustand erreicht, bei dem das, was wir tun, für uns nicht auch gewirkt hätte.
    Meine Damen und Herren, diese Ergebnisse des Ministerrats sind alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Es ist schwer gewesen, sie zu erreichen, aber wir sind doch ein wenig stolz darauf, daß wir sie erreicht haben. Wer die Diskussion verfolgt hat, der weiß, daß dieses Ergebnis die Bundesregierung in ihrer Politik bestätigt.
    Es war auch nicht selbstverständlich, daß wir uns darauf einigen konnten, den Umstrukturierungsprozeß mit verstärkten sozialen und regionalen Hilfen aus der Gemeinschaftskasse zu flankieren. Die Bundesregierung hat seit langem darauf gedrängt. Wir haben uns gemeinsam mit anderen gegen harten Widerstand durchgesetzt. Einzelheiten werden wir noch beschließen.
    Eines ist aber klar: Das Argument der Kommission, der EGKS-Haushalt dürfe hier nicht herangezogen werden, weil man die Reserven des EGKS-Haushalts brauche, um im ranking, in der Einordnung der Kreditwürdigkeit, möglichst oben zu bleiben, ist natürlich sachlich nicht haltbar. Man kann dieses ranking auch durch andere Maßnahmen — durch die Erklärung allein der Mitgliedsländer — herbeiführen; dazu braucht man keine Reserven. Deswegen müssen diese Reserven des EGKS-Haushalts nach Möglichkeit weitgehend eingesetzt werden. Wenn es dann noch nötig sein sollte — das habe ich erklärt — , sind wir auch bereit, über einen Transfer aus dem allgemeinen Haushalt zu reden. Aber das kann erst diskutiert werden, wenn der EGKS-Haushalt hier herangezogen worden ist.
    Die Ratstagung am 21. September hat auch die notwendigen Voraussetzungen für zusätzliche soziale Hilfen zur Flankierung des Kapazitätsabbaus in der deutschen Stahlindustrie geschaffen. Wir haben uns in dem Gespräch mit der Stahlindustrie und den Gewerkschaften bereit erklärt, über alle bisher schon gegebenen Mittel hinaus zusätzlich 300 Millionen DM zu zahlen. Wir erwarten, daß sich die betroffenen Länder mit weiteren 150 Millionen DM beteiligen. Das entspräche etwa ihrer Beteiligung an dem Stahlhilfeprogramm der Jahre 1983 bis 1985.
    Zuwendungen zu diesen Sozialhilfen, die von der EG gezahlt werden, werden auf die Hilfen des Bundes und der Länder nur angerechnet, wenn sie 150 Millionen DM übersteigen, d. h. in dieser Höhe — 150 Millionen DM — kommen noch die Mittel aus der europäischen Kasse dazu. Wir sehen auch die Möglichkeit, daß den Unternehmen aus den Erlösen des Quotenverkaufs von stillgelegten Anlagen wesentliche Beiträge für die soziale Flankierung dieses Prozesses bereitstehen werden. Wir erwarten natürlich, daß nach den Vereinbarungen zwischen der Stahlindustrie und der IG Metall keine einseitigen Kündigungen von den Unternehmen ausgesprochen werden; das ist die Geschäftsgrundlage dieser ganzen Vereinbarung.
    Ich meine, dies wäre jetzt der Augenblick, in dem die Opposition dieses Ergebnis würdigen könnte. Es wäre eigentlich möglich.

    (Zuruf von der SPD: Er muß aber selbst lachen! — Weitere Zurufe von der SPD)

    — Nein, ich erwarte es nicht. Es ist Ihr Problem, daß man es nicht erwarten kann.

    (Urbaniak [SPD]: Seien Sie doch nicht so langweilig!)

    Wir haben ein verantwortungsbewußtes Zusammenwirken von Bund, Ländern, Unternehmen und Gewerkschaften — und Gewerkschaften, möchte ich der Opposition sagen — gehabt. In einer äußerst schwierigen Situation ist es nach manchen — auch unsachlichen — Kontroversen gelungen, zu sachlich begründeten und politisch vertretbaren Beschlüssen zu kommen. Die Beteiligten haben über viele Mei-



    Bundesminister Dr. Bangemann
    nungsunterschiede hinweg gehandelt, und sie haben es gemeinsam im Interesse der Stahlarbeiter getan.
    Ich möchte ausdrücklich der IG Metall und auch den Unternehmen für ihre konstruktiven Vorschläge und Beschlüsse danken, und ich möchte auch dem Land Nordrhein-Westfalen für seine Bereitschaft danken, sich an den Finanzbeiträgen dafür zu beteiligen.
    Wir haben uns dem nicht verschlossen. Ich weise in aller Bescheidenheit darauf hin, daß sich der Bund auch angesichts der Haushaltsdebatte bereit erklärt hat, sich finanziell zu beteiligen.
    Ich glaube, daß dieser Beschluß ein gutes Zeichen für einen immer noch möglichen Konsens ist. Alle Beteiligten haben zuvor eingenommene Positionen verlassen und sind aufeinander zugegangen, um bedrängten Mitbürgern Lasten abzunehmen.
    Wir führen in diesen Tagen die Gespräche, um die Details festzulegen. Entscheidend ist dabei, daß wir nur Instrumente verwenden können und wollen, die mit dem EG-Beihilferecht vereinbar sind. Das engt den Kreis der Maßnahmen etwas ein, aber sicher ist, daß wir die Sozialhilfen nach Art. 56 EGKS-Vertrag verbessern können und die Sozialaufwendungen der Unternehmen, die durch Stillegungen verursacht werden, teilweise erstatten.
    Auch die Stahlländer der Bundesrepublik — das möchte ich hier mit Blick auf die Situation in diesen Ländern und einiger Stahlunternehmen dort ausdrücklich betonen — dürfen zur finanziellen Begleitung des Anpassungsprozesses nur EG-rechtliche Instrumente benutzen. Wenn jemand bei uns in den Ländern den Subventionskodex verletzt, muß er wissen, daß er damit der gesamten deutschen Stahlindustrie einen nicht wiedergutzumachenden Schaden beifügt.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Das sollte jeder bedenken, der heute insoweit Überlegungen anstellt.
    Meine positive Wertung dieser gemeinsamen Anstrengung wird nicht dadurch relativiert, wenn ich daran erinnere, daß sie freilich nur eine Ergänzung anderer Hilfen für die Stahlindustrie und ihre Beschäftigten ist. Bei solchen Diskussionen geht oft verloren, was in der Vergangenheit schon getan worden ist.
    Um mit der Vergangenheit zu beginnen: Von 1983 bis 1985 sind Subventionszulagen, Strukturverbesserungsbeihilfen, Beihilfen nach Art. 56 des EGKS-Vertrages von über 5 Milliarden DM gezahlt worden. Von 1983 bis 1985, in zwei Jahren, über 5 Milliarden DM! Davon hat der Bund 2,8 Milliarden DM aufgebracht. Aber auch das ist kein abgeschlossenes Kapitel; denn diese Beiträge wirken ja weiter.
    Von größerer aktueller und künftiger Bedeutung sind die Leistungen des Bundes, die den deutschen Stahlunternehmen und ihren Arbeitnehmern sowie den Stahlregionen in den kommenden Jahren zugute kommen werden. An sozialen Anpassungsbeihilfen nach Art. 56 des EGKS-Vertrages werden bereits nach der heutigen Fassung der entsprechenden Richtlinie bis 1997 zusätzlich zu den 5 Milliarden DM zirka 1,2 Milliarden DM gezahlt. Davon wird der Bund rund 70 % tragen, die EG-Kommission 30 %. Das entfällt nicht auf die Länder.
    Die Bundesregierung hat eine Verbesserung des Wartegeldes, der Umschulungshilfen und der Obergangshilfe beschlossen. Das führt in den Jahren 1987 bis 1991 zu zusätzlichen Ausgaben von 60 Millionen DM. Für die Arbeitnehmer der Stahlindustrie ist die Bezugsfrist für Kurzarbeitergeld auf 36 Monate verlängert worden. Das wird die BfA rund 40 Millionen DM kosten. Und in unserer Regionalpolitik wird das Stahlstandorteprogramm um drei Jahre verlängert. Die Bundesregierung gibt den Stahlländern Nordrhein-Westfalen, Bayern und Saarland zusätzliche Haushaltsmittel zur Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen.
    Jetzt ist es Sache der Landesregierungen und der Kommunen, Investitionshemmnisse abzubauen und Grundstücke anzubieten. Auch gerade das Land Nordrhein-Westfalen sollte sich sehr genau ansehen, was von Institutionen des eigenen Landes zur Verbesserung des Investitionsklimas gesagt wird.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU)

    Wenn man das berücksichtigt, dann braucht man weniger Geld — auch weniger eigenes Geld — , um neue Arbeitsplätze zu schaffen.
    Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen sollte sich die Verteilung der Mittel zur Wirtschaftsförderung in ihrem Haushalt ansehen. Wenn fast zwei Drittel dieser Mittel zur Erhaltung von Arbeitsplätzen aufgewandt werden, die in Wahrheit gar nicht mehr wettbewerbsfähig sind, und nur noch ein Drittel übrigbleibt, um Zukunftsaufgaben zu finanzieren, dann muß man sich nicht beklagen, wenn es in anderen Ländern, die eine bessere Wirtschaftspolitik machen, besser aussieht.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD)

    So sehen die Rahmendaten für die künftigen Unternehmensbeschlüsse aus. Wir werden es nicht still und ergeben hinnehmen, wenn diese falsche Politik unsere richtige Politik konterkariert. Wir werden das deutlich sagen; denn tatsächlich haben wir finanzielle Lasten auf uns genommen, die ihresgleichen suchen.

    (Zuruf von der SPD: Wer ist denn „wir"?)

    Sie haben ja auch bereits in anderen Branchen die Frage provoziert, was denn zur Linderung ihrer strukturellen Bedrängnisse geschehe.
    Die Bundesregierung, die verantwortlich ist für die Lebensverhältnisse in der ganzen Bundesrepublik,

    (Zurufe von der SPD: Eben!)

    kann nicht daran vorübergehen, daß andere Bereiche, denen nicht direkt geholfen worden ist, Fragen stellen, denen wir uns stellen und die wir auch beantworten müssen, wenn es um Gerechtigkeit in unserem Lande gehen soll. Deswegen glaube ich, daß wir dieses Ergebnis auch vor diesem Hintergrund diskutieren müssen.
    In jedem Fall wird es nicht zu Massenentlassungen in der Stahlindustrie kommen. Das ist ein Ergebnis,



    Bundesminister Dr. Bangemann
    das wenige erwartet haben und über das wir uns alle freuen sollten, wie ich meine. Trotzdem wird sich niemand in diesem Hause beruhigt zurücklehnen und erklären, der unausweichliche Strukturwandel sei bereits geschafft.
    Die Bundesregierung verkennt keinen Moment die unermeßlichen menschlichen und ökonomischen Probleme, die hier noch zu lösen sind. Aber das, was bis zum heutigen Tag von uns zur Linderung dieser Probleme getan werden konnte, was wir tun mußten, haben wir getan. Ich denke, daß die Opposition einen Beitrag dazu leisten sollte, der über Lamento und ein lautes Geschrei hinausgeht.
    Wir handeln und wir werden weiter handeln, um den Bürgern nicht nur in den Stahlregionen, sondern überall in der Bundesrepublik eine Perspektive zu bieten.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Roth.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Wolfgang Roth


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was ist der Vorgang der letzten 14 Tage? Die Bundesregierung hat sich damit einverstanden erklärt, daß in den nächsten zwei Jahren 37 000 Arbeitsplätze in der deutschen Eisen- und Stahlindustrie beseitigt werden sollen, ohne daß es ein Programm für Ersatzarbeitsplätze oder eine Zusage der Unternehmen für Ersatzarbeitsplätze gibt; das ist der Vorgang.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Hier wurde und wird der wirtschaftspolitische Kahlschlag von ganzen Regionen vorprogrammiert. Und Sie rühmen sich hier mit Selbstlob, daß Sie sich an den Beerdigungskosten beteiligen.

    (Zustimmung bei der SPD — Beckmann [FDP]: Unerhört!)

    Das ist nach meiner Überzeugung ein wirtschaftspolitisch skandalöser Vorgang.

    (Beifall bei der SPD — Unruhe bei der CDU/ CSU)

    — Meine Damen und Herren — an die Zwischenrufer gerichtet — ,

    (Werner [Ulm] [CDU/CSU]: Wer hat hier denn gerufen?!)

    wir sind keine Pharisäer, wir wissen, daß Strukturwandlungen notwendig sind. Wir wissen auch ganz genau — und haben das hier stets gesagt — , daß Stahlarbeitsplätze in der Zukunft wegfallen werden. Die Frage ist jedoch, ob man das nur mit Sozialplänen begleitet oder ob man aktive Strukturpolitik für neue Arbeitsplätze betreibt; das ist unsere Position.

    (Beifall bei der SPD)

    Sicher — besser, als wenn es anders wäre — , es ist gut, wenn die Mehrheit der betroffenen Stahlarbeiter in den vorzeitigen Ruhestand geht, also nicht auf die Straße gesetzt wird. Dabei muß ich in Richtung auf die
    Kollegen der Union — die anderen habe ich bei sozialen Fragen sowieso abgeschrieben —

    (Beckmann [FDP]: Na, na!)

    auch einmal fragen: Ist es so sozial, Menschen mit 50 Jahren nach Hause zu schicken, von der Arbeit wegzuschicken und nur für Abfederung zu sorgen? Ist das sozial?

    (Günther [CDU/CSU]: Sie wollen doch schon auf 40 heruntergehen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, es ist — zum Glück — ein Stück Sozialkultur in diesem Lande, daß wir es bisher geschafft haben, daß Massenentlassungen im Stahl nicht vorkommen. Aber ich frage mich auch: Was bedeutet das ständige Anmahnen von mehr Flexibilität in diesem Lande anderes, als genau dieses Stück Sozialkultur in Frage zu stellen? Da sollten wir alle sehr hellhörig sein.
    Im übrigen: Angesichts der massiven Hilfe, beispielsweise für die deutsche Landwirtschaft, hatten die Stahlkocher nichts anderes als einen politischen Anspruch auf entsprechende Sozialpläne.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Blüm, Sie sind nun in den vergangenen Wochen durch das Ruhrgebiet gereist und haben verkündet, es gebe 1 Milliarde DM zusätzlich zur sozialen Flankierung bei Eisen und Stahl.

    (Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Das hat euch arg geärgert!)

    Doch was ist tatsächlich herausgekommen? Der Bund beteiligt sich an Sozialplanhilfen mit 300 Millionen DM. Er verlangt von den Ländern, die das zugesagt haben, 150 Millionen DM. Von den 300 Millionen DM des Bundes sind 170 Millionen DM bereits im Etat der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl eingesetzt. Das heißt: Der zusätzliche Ausgabenposten, den Herr Blüm vorher auf 1 Milliarde DM veranschlagt hat, beträgt in Wirklichkeit 130 Millionen DM netto. Das ist der Vorgang, der hier stattgefunden hat.

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    Mehr hat Herr Blüm bei Herrn Bangemann und Herrn Stoltenberg nicht durchgesetzt.

    (Dr. Emmerlich [SPD]: Politik der schillernden Seifenblasen!)

    Meine Damen und Herren, der vorzeitige Ruhestand der Stahlarbeiter ist jedoch nicht das Hauptergebnis der Stahlrunde vom 2. Oktober. Das Hauptergebnis sind 37 000 Arbeitsplätze, die wegfallen, eine Zahl, die jeden überrascht hat, der die Stahldebatte des Sommers verfolgt hat: Zuerst war von 15 000 bis 20 000 Arbeitsplätzen die Rede, dann, unmittelbar vor dem Rat in Brüssel, von 25 000 Arbeitsplätzen, und Ende September sind es 35 000 Arbeitsplätze geworden; zählt man die Maxhütte hinzu, sind es insgesamt 37 000 Arbeitsplätze. Damit steht fest: Der Anpassungsprozeß in der europäischen Eisen- und Stahlindustrie geht in erster Linie zu Lasten der deutschen Stahlindustrie. Von 80 000 Arbeitsplätzen im Stahlbereich, die in der EG insgesamt wegfallen sollen, wer-



    Roth
    den also etwa 50 % in der Bundesrepublik Deutschland beseitigt. Die Bundesrepublik hat aber nur einen Anteil von etwa einem Drittel der Stahlarbeitsplätze.
    Meine Damen und Herren, Herr Bangemann, wie wollen Sie eigentlich den Stahlkochern in Dortmund, Duisburg, an der Saar oder in Osnabrück klarmachen, daß die Bundesrepublik Deutschland mehr als die anderen zur Sanierung beiträgt? Ich verstehe Ihre Freude über diesen Vorgang nicht.

    (Beifall bei der SPD)

    Wie wollen Sie eigentlich der deutschen Öffentlichkeit klarmachen, daß es notwendig ist, Arbeitsplätze aufzugeben, die zu den modernsten in Europa gehören? Sie haben selber Zahlen genannt. Es waren da in der Regel Modernisierungszuschüsse. Die Bundesrepublik Deutschland hat schon in unserer Regierungszeit die deutsche Stahlindustrie rationalisiert und modernisiert. Deshalb müßte man zum Abbau von Arbeitsplätzen weniger und nicht überproportional beitragen. Das ist es, was wir kritisieren.

    (Beifall bei der SPD)

    Wie können Sie der deutschen Öffentlichkeit klarmachen, daß die großen Vorleistungen, die erbracht wurden, überhaupt nicht mehr zählen? Es waren doch die deutschen Stahlunternehmen, die abgebaut haben: von 70 Millionen Jahrestonnen vor zehn Jahren auf heute 45 Millionen Jahrestonnen. Die Zahl der Beschäftigten lag 1978 bei 300 000; heute liegt sie bei 200 000. Gilt das alles nichts mehr? Hätten die Beschäftigten in der Stahlindustrie nicht mindestens einen Anspruch, gleichbehandelt zu werden?
    Geradezu unfaßbar ist das Selbstlob der Bundesregierung, wenn man sich die Ergebnisse des EG-Stahlrats vom 21. September anschaut. Damals haben sich die Wirtschafts- und Industrieminister nicht auf ein gemeinsames Konzept zur Strukturanpassung geeinigt. Statt dessen haben sie sich auf den 8. Dezember vertagt. Man hat sich also damals vor Entscheidungen gedrückt. Wir haben das zu Recht kritisiert.
    Bis Mitte November sollen nur die drei Sachverständigen, die inzwischen benannt worden sind, einen Kapazitätsabbau vorschlagen. Was hat es dann für einen Sinn, wenn die Deutschen 37 000 Arbeitsplätze vorleisten? Ich verstehe dann das Konzept der Moderatoren oder der drei Weisen überhaupt nicht mehr.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir hätten erwartet, daß Herr Friedrich, der von Ihnen benannt ist, kämpft, und zwar mit den anderen Moderatoren um jeden Arbeitsplatz kämpft.
    Bevor die Drei überhaupt an die Arbeit gegangen sind, haben Sie das also akzeptiert.
    Die Menschen in Bochum, Hattingen, Hagen, Bremen, Dortmund, Düsseldorf, Duisburg, MühlheimOberhausen, Osnabrück, an der Saar, in Peine-Salzgitter, Siegen, Troisdorf, Sulzbach-Rosenberg werden das Chaos, das Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, mit dieser Stahlpolitik angerichtet haben, ausbaden müssen.
    Wissen Sie, was es bedeutet, wenn allein an der Saar 4 800 Arbeitsplätze wegfallen, in Dortmund 3 600, in Duisburg 6 200, in Mühlheim-Oberhausen
    4 300, und zwar in den nächsten zwei Jahren, bevor
    irgendein Alternativarbeitsplatzprogramm überhaupt
    greifen kann? Das ist die Situation.
    Wir wissen aus der regionalen Wirtschaftsanalyse, daß auf einen Stahlarbeitsplatz zwei Zulieferer- bzw. Abnehmer- oder mit der Stahlindustrie verbundene Arbeitsplätze kommen. Das heißt, zu den 37 000 müssen wir noch etwa 80 000 Arbeitsplätze rechnen, die über die Jahre hin außerhalb des engeren Stahlbereichs wegfallen werden.
    Dieselben Regionen, von denen ich spreche, sind von der Kohlepolitik des Herrn Bangemann betroffen. Wir erwarten auch da, daß 30 000 Arbeitsplätze wegfallen.
    Man kann also insgesamt sagen, daß an Montanstandorten in der Bundesrepublik Deutschland in den nächsten Jahren etwa 200 000 Arbeitsplätze verlorengehen, ohne daß die betroffenen Bundesländer darauf noch einen Einfluß haben, weil die Bundesregierung ein Ersatzarbeitsprogramm verbietet oder untersagt oder dafür jedenfalls nichts leistet.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der FDP: Das ist doch Unsinn!)

    Meine Damen und Herren, reden Sie sich nicht mit dem Markt heraus. Wir haben hier vor drei Jahren eine Stahldebatte gehabt. In dieser Stahldebatte haben wir an den Bundeswirtschaftsminister appelliert, er sollte die Atempause, die die bessere Konjunktur biete, dazu nutzen, für diese Standorte Ersatzarbeitsplatzprogramme zu schaffen. Wir haben dazu Vorschläge entwickelt. Jedem mußte klar sein, daß es nur eine Atempause war. Wir haben Sie beschworen, sie zu nutzen. Wir haben Sie immer wieder aufgefordert, sich endlich mit allen Beteiligten an einen Tisch zu setzen. Wir sagten damals: Wir brauchen ein Konzept für die Stahlindustrie und für die Standorte. Wir nannten das ein nationales Stahlkonzept. Wir hatten die Betriebsräte und die Arbeitsdirektoren hier. Wir haben Ihnen das mehrfach ganz konkret abverlangt. Diese Zeit der guten Konjunktur ist versäumt worden. Es wurde nicht gehandelt, und jetzt stehen Sie vor dem Chaos und reden vom Markt.

    (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Vennegerts [GRÜNE] — Dr. Jobst [CDU/CSU]: Die Ursachen liegen in den 70er Jahren!)

    Meine Damen und Herren, das Resultat ist klar: Die Bundesregierung nimmt hin, daß in kürzester Frist 200 000 Arbeitsplätze vernichtet werden, ohne dagegen ein Konzept zu haben. Statt etwas für die Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen zu tun, streicht sie in einer halbseidenen Steuerreform sogar noch Finanzmittel, die bisher den strukturschwachen Regionen zur Verfügung gestellt worden sind. Um die Steuerentlastung für Begüterte und Reiche zu finanzieren,

    (Beckmann [FDP]: So ein Quatsch!)

    sollen nach Ankündigung des Bundesfinanzministers u. a. die Investitionszulagen im Rahmen der Regionalförderung völlig abgeschafft werden. Das heißt im Klartext: 1,6 Milliarden DM Fördermittel werden im Rahmen dieser Steuerreform gestrichen. Sie haben sich dann, um das ein bißchen zu kaschieren, ent-



    Roth
    schlossen, 500 Millionen DM im Rahmen der regionalen Wirtschaftspolitik zuzulegen. Netto bleibt eine Streichung in dieser Phase von 1,1 Milliarde DM für regionale Förderungsmittel übrig. Das ist die Steuerreform gegen die Standorte mit Eisen und Stahl, gegen die Montanregionen und nicht für sie.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Dieser Vorgang liegt ganz auf der Linie der bisherigen Steuer- und Finanzreform der Bundesregierung, die gerade für die strukturschwachen Regionen besondere Probleme aufwirft. Wenn der Oberbürgermeister von Stuttgart, Rommel, sagt, daß diese Steuerreform in den gefährdeten Regionen nie verkraftet werden kann, so ist das eine bittere Wahrheit. Es ehrt den Oberbürgermeister einer der reichsten deutschen Städte, daß wenigstens er ein Stück Solidarität mit den bedrohten Montanstandorten zeigt und sich klar gegen Ihre Steuerreform äußert.

    (Beifall bei der SPD)

    Die SPD wird diesem wirtschaftlichen Zusammenbruch von Regionen nicht zuschauen. Wir werden mit aller Kraft und Entschlossenheit für neue Perspektiven und Hoffnungen in Montanregionen kämpfen.
    Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat eine Zukunftsinitiative „Montanregionen" in dieser Woche im Kabinett beschlossen, an der sich Bund und Länder beteiligen sollen. Wir wollen diese NRW-Initiative bundesweit ausweiten. Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat einen Vorschlag entwikkelt, der durchaus zum Modell werden könnte.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist Herr Rau denn eigentlich heute morgen?)

    Meine Damen und Herren, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister sich heute erneut vor den Bundestag gestellt und behauptet hat, die SPD stelle sich gegen notwendige Strukturanpassungen, dann ist das eine ganz bewußte Verdrehung der Tatsachen. Tatsache ist: Die Bundesregierung nimmt den Verlust von Zehntausenden hochmoderner Arbeitsplätze hin, ohne eine Antwort zu haben, welche neuen Arbeitsplätze an diesen Standorten entstehen sollen. Tatsache ist: Diese Bundesregierung nimmt die Vernichtung von fast 40 000 Arbeitsplätzen hin, ohne von der EG auch nur eine Zusage zu künftigen Produktionsquoten zu haben. Dazu hat der Herr Bundeswirtschaftsminister bezeichnenderweise kein Wort gesagt.

    (Zuruf von der SPD: Kann er ja nicht!)

    Tatsache ist: Wir schließen weitere Anpassungen im Stahlbereich nicht aus. Wir kämpfen jedoch mit aller Entschlossenheit gegen jeden voreiligen politischen Offenbarungseid gegenüber der EG oder im Rahmen der EG-Verhandlungen. Tatsache ist: Wir Sozialdemokraten hätten vor den Zusagen über die Finanzierung von Sozialplänen eine feste Zusage von den großen Stahlkonzernen — von Thyssen, Krupp und den anderen — verlangt, wie sie eigentlich in den nächsten Jahren an den Standorten Oberhausen, Hattingen und Duisburg, um nur diese zu nennen, Ersatzarbeitsplätze anbieten.
    Es war ja interessant: Am ersten Tag der Stahlrunde wurde vom Bundeswirtschaftsminister eine Zusage der Stahlindustrie angekündigt. Herr Kriwet, der verantwortliche Sprecher der Stahlindustrie, hat am nächsten Tag gesagt, es gebe keinerlei Verbindlichkeit im Hinblick auf Initiativen für Ersatzarbeitsplätze.

    (Zuruf von der SPD: So ist es!)

    Tatsache ist: Die SPD und die Montanländer haben mit der Zukunftsinitiative Montanregionen ein klares Konzept auf den Tisch gelegt, wie neue Ersatzarbeitsplätze in den Krisenregionen geschaffen werden können. Der Ministerpräsident von Nordhrein-Westfalen hat sich in dieser Sache bereits im Sommer an den Bundeskanzler gewandt.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Wo ist Herr Rau denn?)

    Bisher versucht die Bundesregierung, diese Initiative totzuschweigen.