Rede von
Dr.
Hans
de
With
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst ein paar Vorbemerkungen. Eine Verfassungsgerichtsbarkeit, die sich wahrhaftig so nennen kann, gibt es erst seit 1803. Das war, als sich der United States Supreme Court im berühmten Fall Marbury versus Madison seine Kompetenz zur verfassungsrechtlichen Prüfung von staatlichen Akten und Gesetzen anmaßte. Ich sagte: anmaßte, denn noch 16 Jahre vorher hatten die Verfassungsväter dies dem Gericht abgesprochen. Obwohl kein Geringerer als Alexis de Tocqueville 1835 in seinem bekannten Buch „Über die Demokratie in Amerika" diese Verfassungsgerichtsbarkeit des Supreme Court besonders hervorhob und den europäischen Staaten empfahl, dauerte es noch sehr, sehr lange bis es bei uns entsprechende Verfassungsgerichtsbarkeiten gab. Es war, nebenbei bemerkt, auch eine Forderung der Paulskirche.
Ich sage: Eine wirkliche Verfassungsgerichtsbarkeit in Deutschland gibt es erst seit 1951, seitdem wir das Gericht in Karlsruhe haben. Denn was es davor gab, den Staatsgerichtshof des Deutschen Reiches, wird man wohl nicht als echten Vorgänger bezeichnen können. Ich erinnere nur an dessen Entscheidung vom 25. Oktober 1932 zum sogenannten Preußenschlag, als es um die Amtsenthebung der Regierung Braun/Severing ging. Die Ohnmacht dieses Gerichts war damals offenbar. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe heute hat demgegenüber eine ganz ander Stellung.
Ich wage zu sagen: Es ist wohl das Verfassungsgericht mit der umfassendsten Kompetenz überhaupt und es ist, was das Gericht als Machtfaktor angeht, dem Bundestag und der Regierung ebenbürtig.
Das Verfassungsgericht hat sich in der sehr kurzen Zeit, seitdem es judiziert, als Hort der Verfassung einen — das darf man wohl auch sagen; das sind keine zu hehren Worte — bedeutenden Ruf erworben. Von allen Einrichtungen der Bundesrepublik nimmt dieses Gericht, bestehend, wie wir wissen, nur aus zwei Senaten mit je acht Richtern, einen Spitzenplatz ein. Es ist nicht ohne Interesse — ich füge hinzu: nicht ohne Pikanterie — , wie das Institut für praxisorientierte Sozialforschung die Prioritäten 1986 setzte:
Höchstes Vertrauen genießt das Bundesverfassungsgericht, gefolgt von den Gerichten ganz allgemein, der Polizei, dem Bundestag, der Bundesregierung und der Bundeswehr. Am wenigsten Vertrauen genießen die Presse, die Gewerkschaften, das Fernsehen und die Kirchen.
Diese Spitzenstellung des Bundesverfassungsgerichts kommt sicher nicht von ungefähr. Sie kann nur auf die große Qualität der Richter und deren Rechtsprechung zurückgeführt werden. Deswegen sagen wir Sozialdemokraten, auch an Ihre Adresse gerichtet: Wir sollten bei einer Änderung des Wahlverfahrens sehr vorsichtig und sehr bedacht sein. Wir sollten nicht unnötig Porzellan zerschlagen.
Wenn der Antrag der GRÜNEN vorsieht, daß die Richter in Zukunft nicht mehr von einem zwölfköpfigen Wahlmännergremium, sondern vom Bundestagsplenum nach einem vorangegangenen Anhörungsverfahren im Ausschuß gewählt werden sollen, so ist das — das sagen Sie selber — kein neuer Vorschlag. Über diese und andere Formen wird eigentlich seit Bestehen des Verfassungsgerichtsgesetzes debattiert.
Nur kann ich Ihnen eines nicht ersparen, auch Ihnen nicht, Frau Nickels. Der Gesetzentwurf hier trägt das Datum vom 20. März 1987. Nur zehn Tage später, am 1. April — es mutet beinahe wie ein Aprilscherz an —, sind von Ihnen bei der Wahl nur 29 von 46 Mitgliedern anwesend gewesen. Ihr Kandidat fiel durch. Das heißt, Ihre hehren Begründungen in jenem Entwurf vom 20. März stehen in einem merkwürdigen Gegensatz zur tagtäglichen, zur wirklichen Praxis hier im Deutschen Bundestag.