Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung von Auslaufzeiten in der Montan-Mitbestimmung
— Drucksache 11/288 —Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Wirtschaft
Rechtsausschuß
b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Montan-Mitbestimmung
— Drucksache 11/14 —
Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Wirtschaft
Rechtsausschuß
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung der Vorlagen zwei Stunden vorgesehen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, den wir heute einbringen, ist ein Beweis für Zuverlässigkeit und Handlungsfähigkeit. Wie in der letzten Tagungswoche, als wir Gesetze bezüglich der Erziehungszeiten für die älteren Mütter und bezüglich der Verlängerung der Zeit, in der Arbeitslosengeld gezahlt wird, hier eingebracht haben, handelt es sich auch bei der Sicherung der Montan-Mitbestimmung um ein Versprechen, das wir im Wahlkampf gegeben haben. Versprechen, die wir geben, halten wir!
Das Ja zur Montan-Mitbestimmung ist ein Ja, das im Bekenntnis zur Partnerschaft und zur Geschichte unseres Staates begründet ist. Die Montan-Mitbestimmung hat den Wiederaufbau begleitet und ermöglicht. Der Montanbereich ist ja nicht nur historische Wurzel der deutschen Industrialisierung; er war auch der Wegbereiter des Wiederaufbaus nach dem Krieg. Was die Welt als „Wirtschaftswunder" bezeichnete, basierte auch auf dem Fleiß der Kumpels, der Bergleute, und der Stahlarbeiter.Die Montan-Mitbestimmung hat sich in schwerer Zeit bewährt. Ihre mehr als 35jährige Geschichte wird von Strukturanpassungen begleitet, von schweren Zumutungen auch für die Arbeitnehmerschaft. Daß sie in unserem Lande ohne Aufstand und Revolution möglich waren, verdanken wir dem Zusammenwirken von Arbeitnehmern und Arbeitgebern.Selbstverständlich ist das nicht. Man mag sich einmal in anderen Ländern Europas danach umsehen, von welchen sozialen Eruptionen solche notwendigen Anpassungsprozesse begleitet wurden. Die Montan-Mitbestimmung ist ein Dokument, ein Beweis der Verantwortung beider Partner, der Gewerkschaften und der Arbeitgeber. Das ist eine große Leistung, die nicht vergessen werden darf.Sie ist auch — das ist der dritte Grund — eine Entscheidung für Zusammenarbeit und gegen Klassenkampf. Mitbestimmung, auch Montan-Mitbestimmung, läßt sich im wahren Sinne des Wortes nur in einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung verwirklichen. In einer Planwirtschaft gibt es für Mitbestimmung keinen Raum; da sind auch Gewerkschaften nur ausführende Behörden. Ohne Eigentum gibt es auch keine Mitbestimmung. Eigentum und Arbeit, Kapital und Arbeit, das sind die beiden Träger einer partnerschaftlichen Mitbestimmung. Sie ist nicht Alleinbestimmung einer Seite, weder Alleinbestimmung des Kapitals noch Alleinbestimmung der Arbeit. Beide Seiten sind notwendig für das Unternehmen, beide tragen Verantwortung.Die Mitbestimmung läßt sich deshalb zu Recht als das Konsensmodell des deutschen Weges bezeichnen. Dem Mitbestimmungsgesetz von 1951 ging die Einigung der Sozialpartner in Form der Richtlinien zur850 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 14, Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Mai 1987Bundesminister Dr. BlümMitbestimmung im Bergbau und in der eisenschaffenden Industrie voraus. Erst war der Konsens da, dann erst kam der Gesetzgeber. Das ist ein Beweis dafür, daß das Neue keineswegs ausschließlich auf Gesetzgebung angewiesen ist, sondern daß Konsens seine Wurzel im Leben hat. Ich appelliere auch an Gegner der Montan-Mitbestimmung, sich an Hand dieses Gesetzes daran zu erinnern, daß diese Montan-Mitbestimmung der freiwilligen Vereinbarung von Arbeitgebern und Gewerkschaften in schwerer Zeit entsprach. Es kann ja wohl nicht das Motto gelten: Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen. Der Gesetzgeber hat verwirklicht, worüber sich die Sozialpartner einigten, der Gesetzgeber, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratischen Partei, der damals von einer CDU/CSU-Mehrheit getragen wurde. Ich will, damit Sie mit den Füßen auf dem Boden bleiben, daran erinnern, daß die einzige paritätische Mitbestimmung in unserem Land unter einer CDU-Regierung Gesetz wurde.
— Sie sind immer dazu eingeladen, mit uns das Richtige zu machen. Sie haben in Ihrer Regierungszeit jedenfalls nichts Vergleichbares zustande gebracht.
— Wir wollen nicht in die Geschichte gehen, sonst erinnere ich Sie an das Angebot der damaligen Opposition CDU/CSU, eine solide Sicherung der Montanitbestimmung bereits in Ihrer Regierungszeit einzuführen. Damals haben Sie sich verweigert.
Meine Damen und Herren, wir haben beschlossen, die Montan-Mitbestimmung in zwei Schritten zu sichern. Der erste Schritt ist eine Verlängerung der bestehenden Regelung, um für eine solide dauerhafte Gesetzgebung ausreichend Zeit zu haben. Das Vorschaltgesetz ist notwendig, weil sonst bereits im September die Montan-Mitbestimmung im Salzgitterkonzern auslaufen und weil im Dezember ein weiteres Unternehmen folgen würde. Dies soll nicht geschehen. Wir wollen auf der Grundlage des Bestehenden die Montan-Mitbestimmung sichern.Voraussetzung für den Fortbestand der Montanitbestimmung ist zukünftig, daß es in dem betreffenden Konzern noch mindestens ein montanmitbestimmtes Tochterunternehmen gibt und dieser montanmitbestimmte Teil auf Grund seiner Größe noch eine gewisse Bedeutung für den Konzern hat. In Zahlen ausgedrückt: Dort müssen mindestens 2 000 Arbeitnehmer beschäftigt sein oder 20 To der Konzernwertschöpfung erwirtschaftet werden.Ein solch deutlicher Montanbezug ist schon aus verfassungsrechtlichen Gründen notwendig. Man kann nicht den Grundsatz aufstellen: Wenn auch nur noch ein Pfund Montanproduktion da ist, ist ein ganzer Konzern montanmitbestimmt. Eine solche Regelung würde in die Nähe von Willkür geraten.Die Mitbestimmung ist ein Stück Demokratie im Betrieb. Deshalb unterstreichen wir unser Anliegen, eine Sicherung der Montan-Mitbestimmung durch eine Stärkung der Wahlrechte der Belegschaft zu verbessern. Auch das ist ein Stück Demokratisierung. Wir übernehmen dafür das Wahlverfahren aus dem Mitbestimmungsgesetz von 1976. Es ist voreilig, dagegen zu schießen: Das ist ein Wahlverfahren, das Sie selbst für die Mitbestimmung damals eingeführt haben.
Wahlen, ob im Montanbereich oder außerhalb des Montanbereichs, sind demokratische Wahlen. Warum wollen Sie da eine Trennmauer errichten?
Verzichtet wird allerdings auf die Sonderrolle der leitenden Angestellten, weil sie nicht zum Traditionsbestand der Montan-Mitbestimmung gehören.Meine Damen und Herren, ich will noch einmal auf die Notwendigkeit dieses Gesetzes zurückkommen. Es ist ein Bekenntnis zu sozialstaatlichen Traditionen. Kein Staat, keine menschliche Gesellschaft kann ohne Traditionen leben. Keine Politik beginnt immer wieder bei Null. Zu den großen Traditionen, die wir zu bewahren haben, gehören nicht nur die rechtsstaatlichen Traditionen, sondern auch die sozialstaatlichen. Eine davon ist die Montan-Mitbestimmung. Das ist ein Grund für eine geradezu konservative Bewahrung von Erreichtem.
— Reizen Sie mich doch nicht, ich wollte heute an sich so friedlich sein.
Das sind meine besten Vorsätze. Ich möchte dann aber doch noch einmal daran erinnern: Im Wahlkampf haben Sie in diesem Bundestag gesagt: Nie wird die CDU die Montan-Mitbestimmung sichern. Noch am 6. November 1986 — ich habe die Protokolle nachgesehen — hat der Kollege Dreßler, der heute nicht da ist,
in diesem Hohen Hause gesagt, im Wahlkampfgetümmel, voll Entschlußkraft, uns zu attackieren — ich zitiere ihn — :Blüm und Mitbestimmung sichern, da lachen ja die Hühner.Nun, da lachen Sie mal, liebe SPD. Jetzt können Sie lachen. Wir sichern sie.
Damals sagte Dreßler: „draußen den Leuten nach dem Munde reden und hier das Gegenteil beschließen." — Wir reden hier drinnen so wie draußen. Was wir im Wahlkampf angekündigt haben, das verwirklichen wir. Die Kumpels an Rhein und Ruhr können sich auf uns verlassen. Das sage ich heute mit besonderem Genuß und Nachdruck.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Mai 1987 851
Bundesminister Dr. BlümMeine Damen und Herren, soll ich auch noch die Geschichte der Mitbestimmungssicherung durch die SPD vorführen? — Immer kurz vor Wahlen kam ein Mitbestimmungs-Sicherungsgesetz.
— 1969, Frau Fuchs, wurde ein Mitbestimmungsgesetzentwurf eingebracht, der noch nicht einmal mehr den Ausschuß erreicht hat. So etwas nenne ich Wahlkampfpflichtübung.
Im Juli 1980, kurz vor der Bundestagswahl, welcher Zufall, wurde ein Gruppenantrag zur Mitbestimmung angekündigt. Er kam noch nicht einmal bis zur ersten Lesung im Bundestag, vom Ausschuß war schon gar keine Rede mehr. Er war nur angekündigt worden, hat aber noch nicht einmal das Plenum erreicht.
Dann gab es 1981 ein Mitbestimmungs-Sicherungsgesetz, das vollmundig als „Sicherung" angekündigt war. Hätte es seine Überschrift erfüllt, wäre es heute nicht notwendig, diesen Gesetzentwurf einzubringen. Die Debatte des heutigen Tages einschließlich Ihres Gesetzentwurfs — Herr Urbaniak, passen Sie auf, daß Sie keine Selbsttore schießen — ist das offizielle Dementi Ihres damaligen Sicherungsgesetzes. Das war nichts anderes als Etikettenschwindel. Hätte das Türschild gestimmt, müßten Sie heute gar keinen Gesetzentwurf vorlegen. Dann wäre die Sache doch erledigt. Das war nichts anderes als eine Sterbehilfe, ein Auslaufgesetz, ja eine Verschiebung des Problems. Wäre es nicht verschoben worden, müßten wir heute nicht sichern.
— Hätten Sie gesichert, brauchten wir heute dieses Gesetz nicht.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Menzel?
Bitte, Herr Kollege.
Herr Minister, da Sie gerade bei der geschichtlichen Bewältigung der Mitbestimmung sind
— richtig — , stimmen Sie mir sicher zu, daß die Montan-Mitbestimmung, über die wir heute morgen
reden, das große geschichtliche Werk der beiden Fraktionen CDU/CSU und SPD war.
— Okay.
Da Sie gerade die Mitbestimmung als den großen Durchbruch sozialpolitischer Art bezeichnen: Vielleicht könnten sich diese Fraktionen — dafür finden Sie in diesem Haus sicher eine Mehrheit — —
Bitte, Herr Kollege, eine Frage stellen, keine Rede halten.
Ja, ich bin bei der Frage, Herr Präsident.
Vielleicht könnten wir dieses große geschichtliche Werk fortsetzen, indem wir gemeinsam die Montan-Mitbestimmung auf alle Großunternehmen der Wirtschaft ausdehnen?
Zum ersten Thema: Ich bestätige ausdrücklich, daß die Montan-Mitbestimmung einem großen Konsens entsprach, in den auch die SPD eingeschlossen war. Die beiden Männer, die stellvertretend für dieses große Werk stehen, heißen Hans Böckler und Konrad Adenauer — und der war bekanntlich nicht Mitglied Ihrer Partei. In der Tat, Adenauer und Böckler, das sind die beiden großen historischen Gestalten des Wiederaufbaus, eines partnerschaftlichen Wiederaufbaus. Ich wünsche allen Seiten, daß die Erinnerung an erfolgreiche Zusammenarbeit auch das Rezept sein mag, kommende Krisen zu bewältigen. Nicht Klassenkampf, sondern Kooperation ist auch das Motto für die Bewältigung der Krisen an Rhein und Ruhr.
— Das war nicht eine Selbstverpflichtung, sondern eine Selbstverständlichkeit.
Ich habe den Eindruck, daß Sie Platz nehmen können, Herr Kollege Menzel.
Meine Damen und Herren, zum SPD-Modell: Ich glaube, es ist mit leichter Hand genäht, voller verfassungsrechtlicher Risiken. Ich halte es nicht für denkbar, nicht für machbar, nicht in unserem Sinne, daß Montan-Mitbestimmung über Tarifverträge geregelt wird. Wir kämen in ein verfassungsrechtliches Gelände, in dem sozusagen das Parlament in die Unzuständigkeit geschickt würde.Ich bleibe bei unserem Weg. Ich lade Sie auch von dieser Stelle zur Kooperation ein. Das Gesetz verlangt eine zügige Beratung im Interesse der Kolleginnen und Kollegen, die in der Montanindustrie beschäftigt sind. Geben wir an dieser Stelle den Beweis, daß wir
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852 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Mai 1987
Bundesminister Dr. Blümuns nicht nur streiten können — dafür bin ich —, sondern daß wir auch zusammenarbeiten können in diesem Bundestag.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Urbaniak.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Blüm, wenn Sie von dem Konsens bei Einführung der Mitbestimmung sprechen, dann müssen die geschichtlichen Daten, wie sie sich nach 1945 ereignet haben, richtig dargestellt werden; denn es waren die alliierten Kontrollratsgesetze, die in unserem Lande anwiesen, diese Mitbestimmung zu praktizieren, nachdem die demokratischen Gewerkschaften vor allen Dingen die Labour Party in London aufgefordert hatten, solch eine Regelung voranzubringen, und es bedurfte großer Auseinandersetzungen, der Regierung Adenauer abzuringen, was seit Jahren im Bereich Kohle und Stahl zum Wiederaufbau praktiziert worden ist. So war die Situation. Die Arbeitnehmer mit ihren Gewerkschaften und Hans Böckler haben diesen Durchbruch vollzogen, und selbstverständlich hat sich auch der Bundeskanzler Adenauer angeschlossen. Aber hier waren es die Gewerkschaften, die dieses neue Bild einer demokratischen Gesellschaft mit den Alliierten vorangebracht haben.
Ich lege Wert darauf, auch festzustellen, daß in der damaligen Debatte — den Unterlagen und den Protokollen können Sie dies entnehmen — die sozialdemokratische Bundestagsfraktion die einzige Fraktion im Parlament war, die dem Montan-Mitbestimmungsgesetz geschlossen ihre Zustimmung gegeben hat.Das gab es nicht bei den Konservativen oder den anderen. Das ist ein wichtiger historischer Vorgang, weil es in dieser Frage der Demokratisierung der Wirtschaft klare Regeln und Solidaritätsverhalten in der SPD gibt.
Sie haben versprochen: Wir machen ein Sicherungsgesetz, und dieses Gesetz wird dann tragfähig sein. — Kollege Blüm, man muß auch hier mit aller Konsequenz das bedenken, was die Bundesregierung zum eigentlichen Sicherungsgesetz vorschlagen wird, über das wir heute nicht reden, denn es geht jetzt lediglich um die Verlängerung. Da sage ich Ihnen: Was Sie vorhaben, ist ein Auslaufgesetz; denn Sie schließen die Manipulationen der Vorstände bei den Aktiengesellschaften ja nicht aus, Sie verbinden diese Sicherungsvorstellungen mit Quoten, die bei dem rasanten Strukturwandel sehr schnell unterschritten werden. Darum ist der Entwurf der Sozialdemokraten Ihrem weitaus überlegen; denn wir wollen eine dauerhafte Sicherung, solange ein Montanbezug überhaupt noch da ist.
— Kollege Cronenberg, auch der Industriezweig, indem Sie tätig sind, hat von der Montan-Mitbestimmung, vom sozialen Konsens, von der Demokratisierung in unserer Gesellschaft und von den Funktionen der Gewerkschaften auf diesem Felde profitiert. Das nehmen Sie einmal zur Kenntnis! Sonst würden Sie heute nicht so dastehen.
Darum — das sage ich Ihnen — enthält der sozialdemokratische Entwurf eine klare Positionsbeschreibung, denn wir würden gern die paritätische Mitbestimmung für alle übrigen Branchen bis zu einer bestimmten Größenordnung ausbauen. So haben wir dies auch auf unserem Parteitag in Nürnberg beschlossen.
Darum sage ich dies mit aller Deutlichkeit und mit aller Klarheit. Wir hätten weder Gruppenanträge noch Entwürfe auszuarbeiten brauchen, wenn damals nicht die gigantischen Manipulateure im Mannesmann-Konzern diese schlimmen Konsequenzen — sich aus einem Gesetz herauszuflüchten — gezogen hätten. Schließlich hat dieses Gesetz dazu beigetragen, die Grundlagen des Wiederaufbaus in der Bundesrepublik Deutschland ganz entscheidend voranzubringen.In der sozialliberalen Koalition gab es nur einen Konsens über den zeitlichen Bereich; ein entsprechendes Gesetz ist dann auch verabschiedet worden. Wir haben in dem Zusammenhang unsere eigenen Anträge zu diesem wichtigen gesellschaftspolitischen Vorhaben vorgestellt. Das ist ja wohl nicht unehrenhaft, Kollege Blüm, sondern die Pflicht einer Fraktion. Wir haben um Konsens und Mitarbeit im Bundestag geworben. Weder Sie noch andere Fraktionen haben sich angeschlossen. Damals hätten Sie eine große historische Leistung vollbringen können. Darum kann ich den Norbert Blüm auch nicht loben. Ich suche ja nach Gelegenheiten, das zu tun,
aber es gibt doch in der Tat keine.
Wenn ich die Misere in der Stahlindustrie sehe, wo die Regierung ihre Aufgaben gegenüber Brüssel hinsichtlich der Chancen unserer Unternehmungen leider nicht wahrnimmt,
wenn ich die Langatmigkeit sehe, mit der man schlimme Überlegungen hinsichtlich des Steinkohlenbergbaus anstellt, wenn ich all die Bangemänner zusammen nehme
und mir vor Augen halte, was man vorhat, dann muß ich sagen, Kollege Blüm: Ich wünsche Ihnen viel Erfolg in Nordrhein-Westfalen. Es ist gut, daß man in der dortigen Oppositionspartei klare Verhältnisse
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Mai 1987 853
Urbaniakschaffen will. Wir werden uns fair und sauber auseinandersetzen, aber als Demokraten hart streiten.
Da sind wir ja an der Basis. Das haben wir bisher wohl auch vernünftig miteinander zustande gebracht, damit wir uns immer wieder in die Augen sehen konnten. Aber Lobeshymnen singt der Norbert immer nur auf sich selbst mit einer gewaltigen Palette von Sprüchen, von Aachen bis nach Bonn.
Nun geht es heute darum, das Vorschaltgesetz mit der Verlängerung der Auslauffristen den Ausschüssen zu überweisen. Wir werden dazu beitragen, daß wir nach gründlicher Beratung im Deutschen Bundestag sehr schnell zu einer abschließenden Regelung kommen.Es werden sich zwei Entwürfe gegenüberstehen,
die ja zu erwarten sind: ein äußerst komplizierter Entwurf der Bundesregierung für die Mitbestimmungsregelung, mit dem zunächst einmal das klare 51er Gesetz für die in Frage kommenden Gesellschaften herausgelöst und in die sogenannte 56er Mitbestimmungs-Ergänzungsregelung eingeordnet werden soll. Hinzu kommt dann ein äußerst kompliziertes Wahlverfahren nach dem 76er Gesetz, aber mit der Konsequenz, die Gewerkschaften ganz entscheidend zu schwächen, die Gewerkschaften aus den Positionen, die sie heute einnehmen, zurückzudrängen.
Kollege Cronenberg, so geht es ja nicht: Die Gewerkschaften draußen überall zu loben, wenn wir Auseinandersetzungen haben — ob es sich um Tarifkämpfe handelt, ob es, wenn sich Schwierigkeiten ergeben, um spontane Arbeitsniederlegungen geht, die es auch gibt, oder ob die Gewerkschaften aufgerufen werden, als gute Demokraten mit uns gemeinsam den Radikalismus zu bekämpfen —, ihnen bei der Demokratisierung der Wirtschaft aber nicht die Position zuzugestehen, die notwendig ist, wenn man von ihnen eine vernünftige Funktionsweise erwartet. Darum sage ich: Die Gewerkschaften dürfen bei der Mitbestimmungssicherung nicht ins Abseits gedrückt werden; denn ihre Aufgabe — das kann geschichtlich nachgewiesen werden — haben sie bisher volkswirtschaftlich sehr gut erfüllt.
Darum streiten wir für die Position der Gewerkschaften nach dem 51er Gesetz. Dieses wollen Sie verhindern.
Herr Kollege Blüm — das sagen Sie ja nicht, darum kann ich Sie nicht loben — , Sie werden das Betriebsverfassungsgesetz ändern. Sie schaffen eine Rege lung für die leitenden Angestellten und eine für sogenannte Minderheitengruppen oder Splittergruppen in den Betrieben,
die dazu führen, daß die Solidarität der Betriebsräte aufs größte gefährdet wird.
— Was wissen Sie denn von der Solidarität von Betriebsräten! Sie reden über etwas daher, wovon Sie überhaupt keine Ahnung haben!
Gehen Sie doch einmal in einen Metallbetrieb oder in einen Bergbaubetrieb, dann werden Sie erst einmal spüren, welch eine Leistung die Gewerkschaften und die Betriebsräte für unser Volk tagtäglich erbringen.
Darum sage ich Ihnen: Dies sind schlimme Vorhaben. Wenn Sie hier die Mitbestimmungssicherung als Ihren großen Erfolg darstellen, dann nenne ich das— gelinde gesagt — Etikettenschwindel; denn wir brauchen hier durchgängige Regelungen. Was sich 35 Jahre hervorragend bewährt hat,
das kann diese Koalition nicht durch einen Federstrich zerstören. Das muß beibehalten werden. Dazu haben wir unseren Entwurf vorgelegt.
Die Montan-Mitbestimmung aus dem Jahre 1951 ist, wie Sie wissen, nicht ohne den Druck der Gewerkschaften zustande gekommen. Bis heute ist es das einzige Modell geblieben, das Parität verwirklicht. Diese treffenden Sätze hat übrigens Hans Katzer anläßlich der Verleihung des Hans-Böckler-Preises 1985 an Herbert Wehner gerichtet, ein Mann, der auf diesem Felde sehr, sehr erfahren ist. Willi Weyer — ich möchte auch einen Anwalt aus der FDP anführen — hat geäußert:Ich bekenne mich zu dieser Form der Zusammenarbeit als 21. Mann bei Klöckner nach dem 51er Gesetz— also als der neutrale Mann —bei paritätischen Anteilseignern und Arbeitnehmern im Aufsichtsrat. Ich habe den Wert dieses Modells in jahrzehntelanger praktischer Erfahrung schätzen gelernt.Sie sehen also: Erfahrene Politiker haben auch klare Positionsbeschreibungen zur Montan-Mitbestimmung.Aus diesem Grunde fordern wir Sie auf — selbstverständlich werden wir der Verlängerung der Fristen
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854 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Mai 1987
Urbaniakzustimmen — , mit uns gemeinsam sehr gründlich die sozialdemokratische Initiative zu prüfen. Sie werden erkennen, daß wir damit eine langfristige Sicherung bewährter Zusammenarbeit in den Unternehmen erreichen. Es ist nicht die Stunde der Auseinandersetzung in den Betrieben. Es ist die Stunde der sachlichen Zusammenarbeit. Strukturveränderungen können nur von Arbeitnehmern, Gewerkschaften und Unternehmern zusammen vorgenommen werden; denn wir wollen, daß unsere Stahlindustrie, unser Steinkohlenbergbau mit ihren Leistungen weiterhin eine Spitzenstellung einnehmen. Dazu hat auch die Mitbestimmung beigetragen. Herr Kollege Blüm, was Ihre Initiativen angeht, gibt es für mich keinen Anlaß zum Loben. Dennoch sage ich: Sie werden immer wieder Gelegenheit haben, und ich würde mich freuen, so etwas einmal hier zu machen. Sie haben die Gelegenheit: Stimmen Sie dem SPD-Entwurf zu!
Das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg.
Herr Präsident! Verehrte Kollegen und Kolleginnen! Der Kollege Urbaniak hat eben von dieser Stelle aus erklärt, Norbert Blüm könne nur Lobeshymnen auf sich selber halten.
Kollege Urbaniak irrt. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Norbert Blüm, hat eben die gleiche Lobeshymne auf die Montan-Mitbestimmung gehalten wie der Abgeordnete Urbaniak. Ich nehme an, es wird das Haus nicht überraschen, wenn ich von dieser Stelle aus in diesen gemeinsamen Gesang, in diese Lobeshymne, nicht einstimmen kann.
Die Montan-Mitbestimmung ist ein typisch deutscher Sonderweg, aus der besonderen Nachkriegssituation erklärbar. Ich kann verstehen, daß die Konservativen, seien sie rot oder seien sie schwarz,
am Status quo festhalten möchten. Tradition, so hat der Bundesarbeitsminister gesagt, müsse man an dieser Stelle hochhalten; Tradition also statt Veränderung. Nur, meine Damen und Herren, damit kommt eine dynamische Wirtschaft letztlich nicht weiter.
Die Montan-Mitbestimmung ist meines Erachtens kein Urgestein des Sozialstaates, Herr Bundesarbeitsminister. Die Montan-Mitbestimmung ist, um im Bild zu bleiben, meines Erachtens mehr ein Felsbrocken, der den Weg zu einer sachgerechten Mitbestimmungsregelung — hier meine ich das Mitbestimmungsgesetz von 1976 — versperrt,
ein Felsbrocken, der den strukturellen, technologischen und wirtschaftlichen Wandel in der Montanindustrie erschwert. Sie ist in meinen Augen mit ein Grund dafür, daß man an den traditionellen Standorten an Ruhr und Saar vielfach die Zeichen der Zeit zu spät erkannt, zu lange auf alte Industrien gesetzt
und den Anschluß an neue Technologien nicht in dem Maße gefunden hat, wie es sinnvoll und notwendig gewesen wäre. Der verblassende Glanz der alten traditionellen Industriestandorte im Vergleich zu den neuen Zentren technologischer Weiterentwicklung im Süden der Republik belegt dies deutlich.
Lassen Sie mich, Herr Kollege Urbaniak, einige Worte zum sozialen Konsens sagen. Mir liegt — verlassen Sie sich darauf — am Schicksal eines jeden einzelnen Menschen genausoviel wie Ihnen. Sie liegen mir genauso am Herzen. Ich lasse mich nicht in irgendeine Ecke drücken, die mit „eiskalter Kapitalistenmentalität" umschrieben wird. Aber müssen Sie, müssen wir, muß ich mich nicht fragen und fragen lassen, ob wir diesen Menschen nicht besser gedient hätten, wenn wir die ungeheuren Summen für Kohle und Stahl früher, besser und effektiver für den Strukturwandel eingesetzt hätten und nicht schwergewichtig für die Erhaltung?
— Ich nicht. — Immerhin betrug diese Summe von 1980 bis 1987 ca. 40 Milliarden DM bei Kohle — ich will gar nicht davon reden, was Miegel von 1961 bis 1986 ausgerechnet hat: 180 Milliarden, die mehr für Kohle gebraucht wurden. Beim Stahl haben wir 1981 bis 1986 ohne die Bürgschaften 6,5 Milliarden DM ausgegeben.
— Hoffentlich können sie es. Wenn sie den Strukturwandel ordentlich praktizieren, neue Produkte machen, dann können sie es. Sonst können sie es nicht.
Mit Recht beschweren wir uns gemeinsam, Kollege Urbaniak, über die Stahlsubventionen der Belgier, der Franzosen und anderer Europäer. Mit Recht beklagen wir das. Verlieren wir aber nicht an Glaubwürdigkeit, wenn wir im Kohlebereich genauso verfahren? Müssen Sie sich, müssen wir uns nicht fragen und vorwerfen lassen, daß wir die mittelständischen Unternehmen, die Textilarbeiter in Gronau oder die Schmieden in Remscheid, entschieden schlechter behandeln als die Beschäftigten in den Großbetrieben? Schaffen Sie nicht mit Ihren Forderungen, schaffen wir nicht mit unserer Politik, so müssen wir uns fragen, eine Zwei-Klassen-Arbeitergesellschaft?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reimann?
Bitte sehr, wenn es mir nicht auf die Zeit angerechnet wird, Herr Präsident.
Herr Kollege Cronenberg, würden Sie mir zustimmen, daß die Stahl- und Kohlekrise, daß die Subventionsmisere, daß die ganzen Schwierigkei-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Mai 1987 855
Reimannten dieses Wirtschaftszweiges nichts, aber auch gar nichts mit der Mitbestimmung zu tun haben?
Herr Kollege Reimann, ich bin davon überzeugt, daß das Organisationsmodell Montanbestimmung, paritätische Mitbestimmung aus zweierlei Gründen entscheidend mitursächlich für diese Misere ist.Erster Grund: Die Entscheidungsprozesse zur Umstrukturierung sind durch die Erschwernisse, die das Gesamtverfahren in der Unternehmensentscheidung bringt, aufgehalten und verzögert worden.
Zweitens. In der Gewißheit, daß sich ein montanmitbestimmtes Unternehmen immer auf den Staatshaushalt verlassen kann, also letztendlich auf Subventionen, ist die notwendige Umstrukturierung, wie sie in der Textilindustrie und anderswo stattgefunden hat, gehemmt worden. Insofern ist es mitursächlich dafür.
Die Textilindustrie, die kleinen Unternehmen, die Werkzeuge gemacht haben, die genauso im internationalen Wettbewerb stehen, vielleicht sogar noch stärker, mußten selber damit fertigwerden. Denen hat man gesagt: Das sind Managementfehler. Bei der Großindustrie ist man hergegangen und hat geholfen, wo immer man eine Notwendigkeit sah.
Wären nicht wahrscheinlich viel mehr und viel sicherere Arbeitsplätze an Ruhr und Saar vorhanden, wenn man sich nicht dank der auch von Ihnen so hoch gelobten Mitbestimmung immer auf die Hilfe des Staates verlassen hätte? Das sind Fragen, die man nicht nur stellen darf, sondern die man, so meine ich, auch stellen muß, wenn es einem wirklich um die Menschen an der Ruhr und an der Saar geht. Es ist nicht eiskalte Kapitalistenmentalität, wie ich eben schon gesagt habe, die mich diese Fragen stellen läßt, sondern die große Sorge um krisenfeste, um Steuer erwirtschaftende und nicht Steuer schluckende Arbeitsplätze.Meine Damen und Herren, wie Sie wissen, wäre es, wenn es nach der FDP gegangen wäre, bei der Montan-Mitbestimmungsregelung des Jahres 1981 geblieben, d. h., wenn die Voraussetzungen entfallen, ein langsamer Übergang zur sachgerechten Mitbestimmungsregelung des Mitbestimmungsgesetzes von 1976, dem, wenn ich mich recht erinnere, wir alle zugestimmt haben. Mit diesem vernünftigen Vorschlag haben wir uns — das ist offensichtlich — nicht durchsetzen können. Die in den Koalitionsvereinbarungen vorgesehene Regelung ist ein Kompromiß. Der eine ist etwas mehr und der andere etwas weniger zufrieden. Es wird Sie nicht überraschen, daß ich sagen muß: Ich gehöre zu den anderen.Wir haben aus folgenden Gründen zugestimmt.Erstens. Immerhin tritt an die Stelle der Stärkung der Funktionärsmacht eine Stärkung der Beteiligung der Arbeitnehmer an den Wahlen zum Aufsichtsrat. Herr Kollege Urbaniak, hier unterscheiden wir uns ganz deutlich. Sie haben eben von dieser Stelle aus gesagt, Ihnen ginge es dabei um die Stärkung der Gewerkschaften. Mit Verlaub, mir geht es in diesen Mitbestimmungsfragen und Wahlverfahren nicht um die Stärkung der Gewerkschaften, mir geht es um die Stärkung des einzelnen Arbeitnehmers, um das Individuum.
Das ist Mitbestimmung im Interesse der Menschen und mit den Rechten der einzelnen Menschen. Das ist der entscheidende Unterschied. Wir sind eben der Meinung, daß die Beteiligungsrechte des einzelnen Arbeitnehmers gestärkt werden müssen und nicht die Rechte der Gewerkschaften als Organisation.
Zweitens. Der Grundsatz „Einmal montanmitbestimmt, auf ewig montanmitbestimmt" wird abgelehnt. Ob die gefundenen Quoren von 20 % Montanarbeit und 2 000 Arbeitnehmern in einem Montantochterunternehmen einer verfassungsrechtlichen Prüfung letztendlich standhalten, werden die Verfassungsrichter zu entscheiden haben. Vermutlich. Ich kann es nicht sagen. Ich habe gewisse Zweifel.Drittens. Die Änderungen im Bereich der MontanMitbestimmung werden parallel mit der notwendigen Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes, insbesondere der gesetzlichen Absicherung der Sprecherausschüsse leitender Angestellter,
sowie des Minderheitenschutzes verabschiedet werden. Dieser Teil des Kompromisses, Herr Arbeitsminister, gefällt mir schon besser.Wir werden selbstverständlich zu den Vereinbarungen stehen. Das fällt uns um so leichter, je sicherer wir sein können, daß sich die Union genauso verhält.
Was den SPD-Gesetzentwurf betrifft, so bringt er nichts Neues. Er ist die Wiederholung dessen, was schon im vorigen Jahr auf dem Tisch gelegen hat. Nicht einmal, Herr Kollege Urbaniak, die Forderung, die Montan-Mitbestimmung durch Tarifvertrag einzuführen, ist gestrichen worden, obwohl der Kollege Lutz, wie Sie sich erinnern werden, in der vorigen Legislaturperiode die Streichung dieser Vorschrift im damaligen SPD-Entwurf in Aussicht gestellt hatte. Dies zeigt, daß der damalige Vorschlag zu Recht von niemand ernst genommen wurde und es sich um ein wahltaktisches Manöver handelte. Denn letztlich — und das ist ja soeben in aller Offenheit bestätigt worden — geht es der SPD nicht um die Erhaltung der Montan-Mitbestimmung allein, sondern um die Einführung der paritätischen Mitbestimmung in allen Großbetrieben.
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856 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Mai 1987
Cronenberg
Ich habe überhaupt keinen Zweifel, daß dies nur der erste Schritt ist. In der letzten Konsequenz wollen Sie natürlich jedes kleine Unternehmen paritätisch mitbestimmen lassen,
das heißt, die Effektivität der deutschen Wirtschaft lahmlegen. Das ist das Interesse.Zusammenfassend darf ich also feststellen: Der jetzige Gesetzentwurf gewährt der Bundesregierung die notwendige Zeit, um die erforderlichen Novellen zur Montan-Mitbestimmung und zum Betriebsverfassungsgesetz gleichzeitig zu erarbeiten und auf den Weg zu bringen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Urbaniak?
Bitte schön.
Kollege Cronenberg, es ist ja so, daß wir uns stets sachlich auseinandersetzen. Ist Ihnen nicht in der Tat ein gewaltiger Fehler — oder wollten Sie bewußt provozieren? — unterlaufen, als Sie sagten, die Sozialdemokraten wollen schließlich auch die letzte Klitsche mit der Montan-Mitbestimmung überziehen, und kennen Sie nicht unsere klaren Kriterien, die wir dazu vor der Öffentlichkeit aufgestellt haben?
Also, verehrter Kollege Urbaniak, natürlich will ich Sie nicht provozieren. Sie fühlen sich immer schon ohnedies sofort provoziert. Da brauche ich gar nicht viel anzuheizen. Tatsache ist — und das ist ja eben noch einmal durch den eindeutigen Beifall der Fraktion bestätigt worden —
daß Sie eine Ausweitung, jetzt sage ich mal nicht: der Montan-Mitbestimmung,
sondern der paritätischen Mitbestimmung — das ist korrekter, Frau Kollegin Fuchs —
auf weite Bereiche — Sie sagen: Großbetriebe —
wollen. Es gibt aber, mit Verlaub, keinen vernünftigen Grund, da dann zu unterscheiden.
Natürlich gibt es Forderungen en masse, die die paritätische Mitbestimmung weit in den mittelständischen Bereich bei Ihnen und in den Gewerkschaften fordern. Insofern ist mein Vorwurf nicht unberechtigt. Man kann ja unterschiedlicher Meinung sein. Man kann das für notwendig halten. Ich sage Ihnen aus der betrieblichen Erfahrung: Wer die Effektivität des deutschen Mittelstandes erhalten will, muß Entscheidungsstrukturen, wie sie bei der paritätischen Mitbestimmung vorgezeichnet sind, vermeiden. Sonst wird
der Laden nicht mehr funktionieren. Das ist meine Auffassung.
— Also, Kollege Reimann, es geht doch gar nicht um die Strukturen. Es geht um die paritätische Mitbestimmung, die über den Betriebsrat da natürlich eingeführt werden soll. Das ist überhaupt keine Frage.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, Herr Kollege Cronenberg?
Herr Präsident, ich bin in der Sorge — — Aber bitte schön.
Kollege Cronenberg, nehmen Sie uns ab, daß wir, um bei dem Gesetzentwurf Vereinbarungen zustande zu bringen, auf den Konsens von Arbeitgebern und Gewerkschaften abstellen — das ist das eine — , und nehmen Sie uns ab, daß wir weniger den mittelständischen Bereich als vielmehr die Deutsche Bank im Auge haben?
Herr Kollege Urbaniak, genau Ihre Formulierung beweist, wie recht ich habe. Daß Sie den mittelständischen Bereich weniger im Auge haben, glaube ich, aber Sie haben ihn im Auge, und das ist das, was ich behaupte. — Meine Damen und Herren, gleichzeitig werden die Gesetzentwürfe auf den Weg gebracht. Dies ist für uns außerordentlich wichtig.
Vergessen wir aber nicht — und damit lassen Sie mich schließen, meine Damen und Herren — : Die Novellierung von Gesetzen, auch die Novellierung des Montan-Mitbestimmungsgesetzes, hilft keinem Arbeitslosen. Das, was an der Ruhr, an der Saar gebraucht wird, sind aktive, tüchtige und erfolgreiche Unternehmer, die neue Arbeitsplätze schaffen,
nicht aber Politiker und Ministerialräte, die sich über die Montan-Mitbestimmung streiten. Ersteres scheint mir wichtiger zu sein.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hoss.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die beiden vorliegenden Gesetzentwürfe haben eines gemeinsam, und das ist die Verlängerung der Fristen, ist zunächst der Erhalt des bestehenden Zustandes, um dann zu sehen, wie es weitergeht. Dagegen haben wir GRÜNEN nichts einzuwenden. Wir werden der Verlängerung der Fristen zustimmen.Die SPD hat in ihrem Entwurf angezeigt, daß sie darüber hinausgehen will und Verbesserungsvorschläge hat — wir werden sie sehr genau untersuchen und weitgehend mittragen können — , nämlich das
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Mai 1987 857
HossMitbestimmungsrecht zu erweitern und auch einige andere Kriterien dafür festzulegen.Die CDU hat angekündigt, daß sie nach der Verlängerung der Fristen darangeht, ein Paket zu schnüren, in dem Dinge enthalten sind, die die Anpassung an das Mitbestimmungsrecht von 1976 beinhalten, also Anpassung des Wahlverfahrens, Fragen der leitenden Angestellten, der Minderheiten im Betrieb, ein Paket zu schnüren — —
— Lesen Sie die gestrige Pressemeldung von Herrn Seiters, der das genau ausgeführt hat.
— Sie lesen Ihre eigenen Pressemeldungen nicht, Herr Scharrenbroich. —
Wir werden uns das — es liegt ja noch nicht auf dem Tisch — genau ansehen, sagen aber im vorhinein: Nach dem, was wir von der CDU in bezug auf Arbeitnehmerfragen bisher erlebt haben, erwarten wir nicht allzu Gutes, zumal sich der CDU-Wirtschaftsrat vorgestern gegen die Konservierung der Montan-Mitbestimmung und für ein Überwechseln in eine Mitbestimmungsart nach dem Gesetz von 1976 ausgesprochen hat, d. h. für eine Reduzierung. Es gibt also ein Tauziehen auch in der CDU; das sehe ich sehr wohl. Es ist der Wirtschaftsrat,
der bessere und größere Möglichkeiten hat, Pressionen auszuüben,
als die Sozialausschüsse; das sehe ich sehr wohl. Es gibt also in dieser Frage in der CDU Differenzen, die wir uns genau ansehen. Wir werden versuchen, in diesen Fragen, wenn es möglich ist, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen.
— Natürlich, ist klar. —Die erste Lesung eignet sich dazu, an die Frage der Montan-Mitbestimmung sehr grundsätzlich heranzugehen. Ich glaube, daß es gut ist, sich nicht mit der „Gnade der späten Geburt" zu begnügen, sondern zu versuchen, aus der Geschichte der Montan-Industrie, auch aus der Geschichte der Montan-Mitbestimmung zu lernen. Es ist für manchen schon verwunderlich, daß es in der Bundesrepublik zwei Arten von Mitbestimmungsmodellen in der Großindustrie gibt, und das hat ja seine Ursachen.
Und wenn wir jetzt über die Veränderung und Weiterentwicklung der Mitbestimmung reden, dann müssen wir auf die Geschichte zurückgreifen und uns das, was dort gelaufen ist, ansehen, damit wir nichts Falsches machen.Nach dem Krieg wurde die Montan-Mitbestimmung vorangetrieben, und zwar sowohl auf Grund der Interessen der Alliierten als auch der Interessen der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften. Denn man hatte gesehen, daß man im Bereich der Eisen- und Stahlindustrie und des Bergbaus mehr tun mußte als in anderen Industrien, weil es sich hier um einen zentralen Rüstungsbereich handelt, um einen Bereich, der in der Geschichte — im Ersten Weltkrieg und danach bei Hitler — eine zentrale Rolle gespielt hat.Diese Kriterien gingen von der Gefährlichkeit bestimmter Industrien aus, Gefährlichkeit sowohl nach innen, nämlich dadurch, daß diese Industrien eine unkontrollierte Einwirkung auf die Politik haben, wie auch in die äußere Politik hinein. Selbst das, Herr Scharrenbroich und Herr Blüm, steht ja im Ahlener Programm, wo 1947 von der CDU festgestellt wurde, daß sich durch große Zusammenballungen industrieller Unternehmungen die Dinge entwickelt haben, die für die Öffentlichkeit — wörtlich — undurchsichtig und unkontrollierbar geblieben sind.Ich bin dankbar dafür, daß Ihr Kollege Lammert von der CDU anläßlich des 40. Jahrestages dieses Ahlener Programms in diesem Jahr noch einmal darauf hingewiesen hat: Die neue Struktur der deutschen Wirtschaft muß davon ausgehen — Ahlener Programm —, daß die Zeit der unumschränkten Herrschaft des privaten Kapitalismus vorbei ist. Er kommt zu dem heutigen Ergebnis und sagt: Der hohe Anspruch von damals ist nicht erledigt, weil sich die Gefährlichkeit der Industrien verschoben hat. Heute steht nicht mehr der Bergbau im Zentrum der Gefährlichkeit; es steht nicht mehr die Eisen- und Stahlindustrie so im Mittelpunkt, sondern andere Industrien. Darauf werde ich nachher eingehen.Die SPD hebt bei der Betrachtung der Montanindustrie die Vorzüge hervor, jubelt, eigentlich ziemlich undifferenziert, die bisherige Praxis der Mitbestimmung in der Montanindustrie hoch und stellt sie als glänzendes Ergebnis dar. Sie sieht dabei nicht — das konnte man auch aus der Frage des Kollegen Reimann entnehmen — , daß man sich auf die Regelung betrieblicher und unternehmerischer Angelegenheiten beschränkt hat, daß man sich aber nicht um strukturpolitische Fragen gekümmert hat. Die SPD hat zumindest das was notwendig gewesen wäre, nicht mit Vehemenz ausgeführt, weil es ja auch Kombinationen mit der SPD an der Regierung gab, die den Arbeitnehmern und den Gewerkschaften hinderlich waren. Denn sonst würden wir heute nicht vor dem Desaster stehen, daß ganze Standorte geschlossen werden und daß eigentlich das große Theater erst beginnt, nachdem sozusagen das Kind mit dem Bade ausgeschüttet ist.
Ich bin für die Montan-Mitbestimmung, für die paritätische Mitbestimmung; ich bin aber dafür, daß die Kriterien in politischer Hinsicht auch ausgeweitet werden, daß sich die Mitbestimmung auf die politi-
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Hossschen Handlungen ausdehnt, die im Montanbereich und in anderen Industrien durchgeführt werden.Ich nehme z. B. bloß einmal den Betrieb Mannesmann: Ich habe Gelegenheit gehabt, das anzusehen und mit dortigen Betriebsräten zu sprechen. Wer hat sich denn schon darum gekümmert, wie es bei Mannesmann in Brasilien in Belo Horizonte aussieht; wer hat denn einmal gesehen, ob die einen Betriebsrat haben, ob die Rechte haben, ob die Jugendvertretungen haben,
ob die demokratischen Rechte, die wir hier haben, auch dort gelten? Wer von den Gewerkschaften hat sich denn mit intensiver Kraft dafür eingesetzt, daß das dort auch kommt? Ich habe mit den Kollegen dort gesprochen und festgestellt, daß die Kontakte von Mannesmann Belo Horizonte in Brasilien — man kann auch Argentinien nehmen — zu den Betrieben in Duisburg gleich Null sind und sich darauf beschränken, daß da mal ein Besuch gemacht wird und daß von der Stammfirma in Duisburg einige Funktionäre die Gelegenheit haben, dorthin zu fahren, und durch den Betrieb geführt werden. Aber ändern tut sich nichts, und das ist die Kritik, die wir zu üben haben.
Wenn es um den Montanbereich geht, dann ergibt sich die Aufgabe, wenn wir aus der Geschichte lernen, danach zu suchen: Welche Unternehmen sind denn heute so gefährlich, daß sie eigentlich der paritätischen Mitbestimmung unterworfen werden müssen, weil man es nicht zulassen kann und darf, daß die Kapitalseite allein das Geschehen bestimmt und die Arbeitnehmer und Gewerkschaften darauf reduziert werden, sich um die inneren Bedingungen, die Arbeitsbedingungen und Sozialkonditionen innerhalb des Betriebes, zu kümmern? Da aber — Herr Blüm, das möchte ich Ihnen so zur Erinnerung sagen und damit an Ihr Inneres appellieren —,
fragt man sich: Was ist eigentlich an der Position des Ahlener Programms erledigt, daß die zu dem engen Kreis der Großbanken und der großen industriellen Unternehmen gehörenden Personen infolgedessen eine zu große wirtschaftliche und damit politische Macht haben und diese politische Macht auch ausüben können? Wer kontrolliert denn bei uns die Giganten der chemischen Industrie? Wer kontrolliert Bayer oder BASF? Wer kann sich denn darum kümmern, was da abläuft? Wir kriegen es mit.
— Nein, es geht um die Ausdehnung der Mitbestimmung in diesen Fragen. —
Wir erkennen die gesellschaftliche Relevanz dessen, was in den Hochhäusern und in den oberen Etagen der Konzerne gemacht wird, erst daran, wenn wir die Rheinkatastrophe sehen, wenn wir mitkriegen, in welchem Verhältnis sich die Konzerne auch in anderen Ländern, in Ländern der Dritten Welt, bewegen und dort auch Einfluß ausüben.Wir hatten gestern ein interessantes Gespräch im Kreis der Mitglieder des Arbeitsausschusses mit argentinischen Abgeordneten und Gewerkschaftern. Der Abgeordnete Cornaglia aus Argentinien hat gesagt, daß es Einwirkungen und Beeinflussung westdeutscher Konzerne — Bayer und Hoechst — in Richtung der Putschisten gebe
— ich habe ihn nachher gefragt, Herr Scharrenbroich, um welche Konzerne es sich handele, und da hat er gesagt: Bayer und Hoechst — , weil in Argentinien zur gleichen Zeit ein Arzneimittelgesetz zur Debatte stehe und verabschiedet werden solle, welches die Aktionen dieser Chemie- und Pharmakonzerne einengen solle. Das sind die politischen Wege. Und wer kontrolliert das? Niemand! Die Erfahrungen aus der Geschichte nach 1945 zeigen uns, daß wir uns darum kümmern müssen.Gleiches gilt für einen Konzern wie Daimler-Benz. Spätestens seit dem Zusammenschluß der Autoindustrie mit Dornier, mit der AEG, mit MTU, mit dem Bereich der Rüstungsindustrie muß man in der Bundesrepublik darüber reden, daß die Kontrolle über die paritätische Mitbestimmung auf diese heute gefährlichen Bereiche ausgedehnt werden muß.
Denn ich kann es nicht verantworten, später — wenn das überhaupt noch möglich ist, — in Büchern lesen zu müssen, wie das damals gelaufen ist. Ich möchte heute etwas tun.Ich habe noch zwei, drei Minuten Redezeit, und ich biete an, auch noch über die Deutsche Bank zu reden, darüber, wie Sie über die Fäden, die in den Aufsichtsräten, in denen Sie sitzen, zusammenlaufen, über die Kreditvergabe, durch andere Möglichkeiten Einfluß ausüben, der nicht nur wirtschaftlicher Art ist, sondern der so weit geht, daß sogar Strukturpolitik und Regionalpolitik gemacht wird,
und zwar an den Parlamenten, an den Regierenden vorbei. Und wer kontrolliert das? Diese Dinge müssen unter Kuratel. Das ist die Frage, die wir zusammen mit den Sozialdemokraten lösen müssen.Ich appelliere jetzt auch an Sie: Ich möchte gerne, daß es in dieser Frage auch zu einem Dialog mit den Christlichen Sozialausschüssen kommt. Ich würde mich riesig freuen, wenn Sie einmal ein Kolloquium oder eine Diskussion über das Ahlener Programm durchführen würden und wenn Sie bei dieser Gelegenheit unter dem Gesichtspunkt der Aufarbeitung der Geschichte einmal die Frage untersuchen würden: Was hat zum Zustand von 1945 geführt? Was hat sich in der Zeit bis heute entwickelt, und was müssen wir tun, damit wir unseren Kindern oder den uns nachfolgenden Generationen nicht sagen müssen: Wir hatten nicht nur die Gelegenheit, von der Gnade der späten Geburt zu reden, sondern wir hatten auch die Gelegenheit, die Geschichte aufzuarbeiten, aber wir haben nichts getan. In diesem Sinne sehen wir die Montan-Mitbestimmung. Ich denke, man muß dieses Angebot eines Dialogs annehmen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Mai 1987 859
HossSo habe ich auch meinen Kollegen Häfner verstanden. Ich muß jedoch sagen: Ich hätte dieses Wort nicht gebraucht — das will ich von dieser Stelle aus sagen —, aber die Idee, die Intention, die er vorgetragen hat, liegt genau darin begründet, daß es in diesem Hause nicht möglich ist, über die Fraktionsgrenzen hinweg zu einem Dialog zu kommen und im Interesse unseres Volkes ordentlich miteinander zu reden.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Zink.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will versuchen, wieder zu dem zurückzuführen, was uns heute hier an Gesetzesvorlagen vorliegt, nämlich zum einen der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verlängerung der Auslaufzeiten in der Montan-Mitbestimmung und zum anderen der Gesetzentwurf der SPD.Die Fraktion der CDU/CSU nimmt mit großer Genugtuung zur Kenntnis, daß heute der Gesetzentwurf zur Verlängerung der Auslaufzeiten in der Montan-Mitbestimmung zur ersten Beratung ansteht. CDU und CSU haben vor der Bundestagswahl versprochen, daß sie im Benehmen mit den Tarifparteien die Montan-Mitbestimmung sichern wollen. Heute schaffen wir eine weitere Voraussetzung für die Einlösung unseres Versprechens. Eile ist geboten. Ohne eine kurzfristig zu verabschiedende Übergangsregelung würde nämlich bereits am 30. September dieses Jahres die Obergesellschaft des Salzgitter- Konzerns aus dem Geltungsbereich der Montan-Mitbestimmung ausscheiden. Dies ist die mißliche Folge des im Jahre 1981 von der damaligen Mehrheit beschlossenen Auslaufgesetzes.
Es hat der Montan-Mitbestimmung vor allem im Stahlbereich nur eine kurze, d. h. eine sechsjährige Galgenfrist eingeräumt.Durch die Verlängerung der Auslaufzeiten bis zum 31. Dezember 1988 schaffen wir die Voraussetzung für eine sorgfältige und intensive Beratung einer praktikablen und verfassungskonformen Dauerlösung, wie sie derzeit von der Bundesregierung schon erarbeitet wird.Die überragende gesellschaftspolitische Bedeutung der Montan-Mitbestimmung verbietet parlamentarische Schnellschüsse. Der CDU/CSU ist sehr daran gelegen, in den kommenden Monaten auch die Sozialpartner in die parlamentarischen Beratungen einzubeziehen. Wir wissen nämlich, daß diese die MontanMitbestimmung im Geiste der Kooperation praktizieren müssen, wenn sie gut funktionieren soll.Ich appelliere deshalb von dieser Stelle aus mit aller Eindringlichkeit sowohl an die Gewerkschaften als auch an die Arbeitgeber, sich dem angebotenen Konsens nicht zu verweigern.Für die CDU/CSU als Volkspartei mit einer langen christlich-sozialen Tradition und einer festen Verankerung auch in der gewerkschaftlich organisiertenArbeitnehmerschaft steht fest, daß die Montan-Mitbestimmung zu den Kernelementen unserer auf Sozialpartnerschaft gegründeten freiheitlichen und Sozialen Marktwirtschaft gehört. Wir können und wollen es nicht zulassen, daß die seit Jahrzehnten praktizierte und bewährte paritätische Mitbestimmung im Bergbau und in der Eisen- und Stahlindustrie in einem schleichenden Auszehrungsprozeß zu einer unbedeutenden Restgruppe verkümmert.Von Kritikern der Montan-Mitbestimmung wird auch heute wieder die These vertreten, sie sei ein Fremdkörper in unserer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung. Ich meine, das Gegenteil ist richtig. Die im Jahre 1951 erstmals von einem deutschen Gesetzgeber geschaffene paritätische Mitbestimmung im Montanbereich war ein gesellschaftspolitischer Durchbruch. Sie markierte den Beginn der institutionalisierten Verankerung des Gedankens der Sozialpartnerschaft. Nach den negativen Erfahrungen mit einer Gesellschafts- und Eigentumsordnung, die bis dahin die Ausübung wirtschaftlicher Macht in die Hände weniger legte, begründete die Montan-Mitbestimmung die Voraussetzung für eine notwendige Demokratisierung und Kontrolle unternehmerischer Entscheidungsprozesse in den damaligen Schlüsselindustrien des Bergbaus und der Eisen- und Stahlindustrie.
Gerade in den schwierigen Aufbaujahren unserer Republik war die Montan-Mitbestimmung ein Symbol für erstmalige Integration der Arbeiter und ihrer Gewerkschaften in die neue Gesellschaftsordnung unseres Grundgesetzes.Die Mitbestimmung im Montan-Bereich steht im Einklang mit den sozialethischen und verfassungspolitischen Vorstellungen der Union. Auch im Wirtschafts- und Arbeitsleben soll der Mensch vor Sachen rangieren. Unternehmerisches, auf Gewinnerzielung ausgerichtetes Handeln ist kein Selbstzweck, sondern hat immer dem Menschen zu dienen. Der arbeitende Mensch im Unternehmen muß als handelndes und mitverantwortliches Subjekt und nicht als Objekt fremdbestimmter Entscheidungen angesehen werden.Indem Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat paritätisch, d. h. bei voller Gleichberechtigung mit den Repräsentanten der Anteilseigner, auf unternehmerische Entscheidungen kontrollierend Einfluß nehmen, wird die mit jeder unternehmerischen Entscheidung von größerer Bedeutung weit verbundene gesellschaftspolitische Macht erst ordnungs- und verfassungspolitisch legitimiert.Bei Licht betrachtet ist also Mitbestimmung ein Wesensmerkmal und ein Gütesiegel des sozialen Rechtsstaats.
Damit leistet sie auch einen wichtigen Beitrag zur politischen Absicherung der Sozialen Marktwirtschaft, die durch Privateigentum, freies Unternehmertum und Wettbewerb gekennzeichnet ist.Denjenigen, meine Damen und Herren, die behaupten, paritätische Mitbestimmung diene nicht
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860 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Mai 1987
Zinkdem Interesse der einzelnen Arbeitnehmer, sondern sichere nur die Macht von Gewerkschaftsvertretern, halte ich entgegen: Jede wirksame Kontrolle und verantwortungsvolle Mitwirkung an unternehmerischen Entscheidungen setzt fachliche Kompetenz, insbesondere wirtschaftlichen und rechtlichen Sachverstand voraus.
— Ich bin davon überzeugt, daß wir im Verlaufe der weiteren Beratungen noch über den einen oder anderen Punkt zu diskutieren haben werden.
Angesichts der hohen Komplexität und der daraus resultierenden schweren Durchschaubarkeit unternehmerischer Entscheidungen gerade in Großunternehmen sind die Arbeitnehmer auf den Rückhalt und das Wissen ihrer organisierten Vertretungen, also auch ihrer im Betrieb vertretenen Gewerkschaften, dringend angewiesen. Ohne die Mitwirkung kompetenter Gewerkschaftsvertreter, die sich auf das Fachwissen und den Einfluß ihrer Organisationen stützen können und die von den Unternehmen arbeitsrechtlich und wirtschaftlich unabhängig sind, stünde die Mitbestimmung auf der Unternehmensebene häufig nur auf dem Papier. Die angemessene Berücksichtigung von Arbeitnehmervertretern aus den Gewerkschaftszentralen ist gerade vor dem Hintergrund der aktuellen schwierigen Strukturprobleme der Montanindustrie ein unverzichtbares Element jeder wirksamen Mitbestimmung.
Ein Rückblick auf die Geschichte der Montan-Mitbestimmung beweist im übrigen, daß es gerade die Gewerkschaften waren, die bei schwierigen unternehmenspolitischen Entscheidungen das Rückgrat hatten, aktuell unpopuläre, aber langfristig vernünftige und hilfreiche Entscheidungen mitzutragen und vor den Arbeitnehmern glaubwürdig zu vertreten. Das Management der Unternehmen hat sich bei etwa notwendigen Betriebsveränderungen oder bei unvermeidlichem Abbau gern der Unterstützung dieser externen Vertreter bedient.
Ihrem mäßigenden und ausgleichenden Einfluß und ihrem hohen Ansehen bei den Arbeitnehmern ist es zu verdanken, daß die Strukturkrisen und Anpassungsprozesse im Bergbau und in der Stahlindustrie bisher ohne große soziale Erschütterungen und Unruhen verlaufen sind.
Ich bin sicher: Gerade bei der Bewältigung der aktuellen Probleme der Stahlindustrie wird sich der ausgleichende und auf das gesamtwirtschaftliche Interesse gerichtete Einfluß der Gewerkschaften und ihrer Repräsentanten in den Aufsichtsgremien sehr positiv auf die Bewahrung des sozialen Friedens und der Krisenbranchen auswirken.Bei grundsätzlicher Anerkennung der positiven und vor allem stabilisierenden Wirkungen einer Entsendung von Gewerkschaftsvertretern in die Aufsichtsräte von Montanunternehmen sollte man gleichwohl einem geläuterten Demokratieverständnis im Arbeits- und im Unternehmensrecht Rechnung tragen. Die demokratische Legitimation der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat würde durch eine qualitative Stärkung des Einflusses der Belegschaft auf die Kandidatur und die Wahl der Mitglieder der Arbeitnehmerbank verstärkt. Damit trügen wir zugleich den berechtigten Forderungen weiter Teile der Arbeitnehmerschaft Rechnung, deren Selbstbewußtsein und Fähigkeit zur Selbstbestimmung auf Grund einer wesentlich verbesserten Schulbildung und höherer beruflichen Qualifikation gewachsen ist. Die Arbeitnehmer möchten in stärkerem Maße als bisher selber darüber entscheiden, wem sie als Vertreter ihrer Interessen das Vertrauen schenken und wen sie auf die Arbeitnehmerbank des Aufsichtsrates wählen möchten.
Die deutschen Gewerkschaften, deren Verdienste um die Emanzipation der Arbeitnehmer und um die Demokratie im Arbeitsleben unbestritten sind, sind meiner Meinung nach gut beraten, wenn sie sich diesem berechtigten Anliegen nicht verschließen.Den noch nicht ausformulierten Detailregelungen des in Vorbereitung befindlichen Gesetzentwurfes zur dauerhaften Sicherung der Montan-Mitbestimmung
will ich nicht vorgreifen. Soviel sei jedoch gesagt: Der in einer politischen Grundsatzentscheidung im Rahmen der Koalitionsvereinbarung neu festgelegte Schlüssel für die Anteile von Externen und Belegschaftsangehörigen trägt der Forderung nach größerer demokratischer Teilhabe der Belegschaft Rechnung. Zugleich sichert er einen ausreichenden gewerkschaftlichen Einfluß, damit auch unternehmensübergreifende, d. h. gesamtwirtschaftliche Arbeitnehmerinteressen kontinuierlich berücksichtigt werden können. Externe Gewerkschaftsvertreter und unternehmensangehörige Betriebsräte gehören zusammen; sie sind gleichermaßen geborene Arbeitnehmervertreter.Meine Damen und Herren, wir beraten heute in erster Lesung auch eine Vorlage der SPD-Fraktion. Sie trägt die verheißungsvolle Bezeichnung „Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Montan-Mitbestimmung". Dieser Ankündigung folgen nach meiner Meinung nur eine Reihe von leeren Versprechungen. Der Entwurf ist eine politische Demonstration für Schauzwecke.
Nach der erklärten Absicht der SPD sollen Unternehmen im Geltungsbereich des Montan-Mitbestimmungsgesetzes von 1951 und des Mitbestimmungsergänzungsgesetzes von 1956 trotz Wegfalls der darin vorgeschriebenen gesetzlichen Voraussetzungen in der Montan-Mitbestimmung verbleiben, sofern „eine
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Mai 1987 861
ZinkBeziehung dieser Unternehmen zum Montanbereich erhalten bleibt". Mit dieser bemerkenswerten unklaren oder weichen Formulierung wird nach unserer Auffassung bewußt einer willkürlichen Auslegung Vorschub geleistet. Ehemalige Montanunternehmen, deren Montanproduktion oder -verarbeitung nach einer schrittweisen Änderung des Betriebszwecks unterdessen auf einen minimalen Anteil der gesamten Wertschöpfung geschrumpft ist, sollten gleichwohl in der Montan-Mitbestimmung gehalten werden. Das ist Ihre feste Absicht.
Erst eine völlige Reduzierung der Montanproduktion einschließlich des Handels mit solchen Produkten auf Null soll die Voraussetzung dafür schaffen, daß ein Unternehmen aus der Montan-Mitbestimmung nach Ablauf einer Frist von sechs Jahren ausscheidet.
Wenn man die Vorlage ihrer juristischen Verbrämung entkleidet, bedeutet das für die Praxis, alle Unternehmen, die heute noch montanmitbestimmt sind, würden praktisch auf unbegrenzte Zeit ohne Rücksicht auf ihren Betriebszweck in dieser Form der Unternehmensmitbestimmung verbleiben.
— Das will ich sofort sagen. Gegen diesen Vorschlag verehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion gibt es bei uns schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken.
Unternehmen, die in ihrer Struktur, vor allem in ihrer Produktions- und Verarbeitungspalette mit Großunternehmen identisch sind, für die die Regelungen des Mitbestimmungsgesetzes 1976 gelten, dürfen nicht auf die Dauer in der Montan-Mitbestimmung gehalten werden, nur weil sie in der Vergangenheit einmal Montanunternehmen waren. Eine solche Ungleichbehandlung von Unternehmen mit gleicher oder vergleichbarer Struktur ist dem Gesetzgeber untersagt; denn für sie läßt sich ein sachliches, d. h. ein sich am Betriebszweck des Unternehmens orientierender Grund für ihren unternehmensrechtlichen Sonderstatus nicht herleiten.
Mit einer solchen willkürlichen Ungleichbehandlung würde der Gesetzgeber die Verfassungsklagen regelrecht auf sich ziehen, und diese würden die entsprechende negative Entscheidung erfahren.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reimann?
Bitte schön, Kollege Reimann.
Herr Kollege Zink, ich habe Ihre Ausführungen mit sehr viel Aufmerksamkeit verfolgt, und ich frage Sie: Heben Sie mit Ihrer jetzigen Feststellung im Redekonzept nicht Ihre gesamten politischen Ausführungen zur Mitbestimmung von vorhin auf?
Herr Kollege Reimann, ich hebe nicht auf, was ich vorher gesagt habe. Es nützt uns nichts, wenn am Ende ein Verfahren vor dem höchsten Gericht stattfindet und wir dort unterliegen. Das sollte sich ein Gesetzgeber nach unserer Auffassung nicht leisten.
Was also veranlaßt Sie, meine Herren der SPD, heute, einen Gesetzentwurf vorzulegen, dem schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel anhaften? Politisch ist es offenkundig: In den zurückliegenden 13 Jahren hätten Sie sicherlich die Möglichkeit gehabt, sich dieser Frage zuzuwenden, um in der vollen Kenntnis dessen, was an Reduzierung und Auslauf im Bereich der Montanindustrie ansteht, dem vorzubeugen.
— Das ist Ihre Frage auch an diejenigen, mit denen Sie damals zu tun hatten. Immerhin, Frau Kollegin Fuchs, haben wir heute zumindest eine andere Verständigung mit unserem Koalitionspartner erzielt, während Sie nur ein Auslaufgesetz hinbekommen haben.
Meine Damen und Herren, es ist schon seltsam, daß die SPD, wo sie sich um die Mehrheitsfähigkeit ihrer Vorlage keine Gedanken mehr zu machen braucht, einen verfassungsrechtlich zweifelhaften und ordnungspolitisch verfehlten Entwurf im Deutschen Bundestag einbringt. Sie weiß genau, daß sie die Gefahr einer Verfassungsklage nicht zu fürchten braucht, weil ihre Vorlagen niemals Gesetzeskraft erlangen werden.
Ich komme zum Schluß: Vor dem Hintergrund Ihres Versagens bei der Sicherung der Montan-Mitbestimmung sind Sie zweifellos auch nicht legitimiert, uns zu kritisieren, wenn wir in einem Zweistufenplan versuchen, jetzt das wieder geradezuzurren, was entstanden ist. Wir fordern Sie deshalb auf, an dem in wenigen Monaten vorliegenden ausgereiften und verfassungskonformen Gesetzentwurf der Bundesregierung konstruktiv mitzuwirken. Am Ende eines solchen Gesetzgebungsprozesses könnte dieses Kernstück unserer freiheitlichen und sozialen Wirtschaftsordnung gemeinsam, so will ich hoffen, von Regierungsund Oppositionsparteien verabschiedet werden.
Schönen Dank.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Fuchs.
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862 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Mai 1987
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Zink, ich wollte Sie eigentlich loben. Aber nach dem zweiten Teil Ihrer Rede fällt mir das nun ein bißchen schwerer.
Aber ich sage: Wir begrüßen es, daß wir so weit sind, daß zumindest die Montan-Mitbestimmung nicht ausläuft. Wir begrüßen es, daß die Bundesregierung mit diesem Gesetzentwurf zumindest durch Verlängerung der Fristen erst einmal die Montan-Mitbestimmung sichern will. Wenn wir
im Jahre 1981 nicht gehandelt hätten, wären schon eine ganze Menge Betriebe aus der Montan-Mitbestimmung herausgefallen.
Unser Gesetzentwurf bietet — so sagen wir — die notwendige Entscheidungshilfe. Ich denke, daß wir zunächst einmal in der Verlängerung übereinstimmen. Und dann werden wir uns sicherlich, Herr Kollege Zink, über unseren Gesetzentwurf mit Ihnen zusammenraufen können. Ich hoffe es wenigstens.
Die Montan-Mitbestimmung ist ein Symbol unserer Demokratie und unseres Sozialstaates. Darauf ist heute wiederholt hingewiesen worden. Wir wollen nicht, daß die dauerhafte Sicherung der Montan-Mitbestimmung auf die lange Bank geschoben wird.
Nun komme ich auf die Vergangenheit: Herr Kollege, Sie sagten, wir seien dazu nicht in der Lage gewesen.
Ich will zugeben, daß Sie in diesem Punkt der FDP etwas haben abringen können. Aber man muß doch fragen: zu welchem Preis?
Der Preis für diese Montan-Mitbestimmungs-Sicherung ist im Grunde eine Schwächung des sozialen Konsenses;
denn wir dürfen diesen Entwurf zur Verlängerung der Montan-Mitbestimmung nicht losgelöst von dem sehen, was in den letzten Jahren in diesem Land an arbeitnehmerfeindlichen Gesetzen durchgebracht worden ist.
— Ja.
Ich beginne mit der Veränderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes und mit der Verabschiedung des Beschäftigungsförderungsgesetzes. Ich gehe weiter. und sage: Mit dem, was Sie sich jetzt einhandeln müssen, nämlich Sprecherausschüsse für leitende Angestellte und Minderheitenschutz in den Betriebsräten, zahlen Sie einen teuren Preis. Diesen teuren Preis hat die Montan-Mitbestimmung nicht verdient, meine Damen und Herren.
Es ist eben so, daß dieses Thema — und es ist eigentlich traurig, was Herr Cronenberg hier gesagt hat — noch einmal bestätigt, daß die FDP nie begriffen hat, worum es bei der Mitbestimmung geht.
Der Kollege Zink hat das noch einmal deutlich gemacht. Mit diesen Liberalen ist eine vernünftige Demokratisierung der Wirtschaft in unserer Gesellschaft nicht zu machen.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Cronenberg?
Bitte sehr, mit Vergnügen.
Frau Kollegin Fuchs, haben Sie vergessen, daß ich von dieser Stelle wie viele Liberale, von diesem Podium und dem drüben, immer wieder ein klares Bekenntnis zu dem Institut Mitbestimmung gegeben habe, daß das Mitbestimmungsgesetz 1976 einstimmig verabschiedet worden ist und daß die Freiburger Thesen für uns Parteiprogramm sind? Frau Kollegin, haben Sie das vergessen, oder wollen Sie das dem Hause bewußt verschweigen? Woher nehmen Sie den Mut, eine solche These hier zu vertreten?
Herr Kollege Cronenberg, weil Ihre Philosophie der Mitbestimmung eine arbeitnehmer- und gewerkschaftsfeindliche Philosophie ist,
hat sie mit dem, was wir unter Mitbestimmung verstehen, überhaupt nichts zu tun.
Sie gehen von einem individualistischen Anspruch des einzelnen Arbeitnehmers aus und verkennen dabei, daß bei den Machtkonstellationen, die es in einem Betrieb gibt, eine vernünftige Interessenvertretung überhaupt nur gewährleistet sein kann, wenn es eine einheitliche Interessenvertretung in einem Betrieb gibt; und dies haben Sie niemals begriffen.
Für mich war in der heutigen Debatte schon der Hinweis beachtlich, daß wir die Frage, wo gesellschaftlicher Konsens liegt, wiederum nicht einheitlich beantworten können; denn der Bundesarbeitsminister hat sich nicht dazu geäußert, was er in den letzten Jahren an Verschlechterungen hat durchsetzen müs-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Mai 1987 863
Frau Fuchs
sen. Ich nehme an, er meint, der § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes sei sozusagen abgehakt,
die Aushöhlung des Arbeitnehmerrechts durch das Beschäftigungsförderungsgesetz sei sozusagen abgehakt. Wir müssen erneut darauf hinweisen, auch wenn wir heute die Verlängerung der Montan-Mitbestimmung miteinander besprechen, wieviel weniger Arbeitnehmerrechte die Arbeitnehmer in unserem Lande haben, seit diese Regierung an der Macht ist.
Dann hätte ich eigentlich erwartet, daß der Bundesarbeitsminister nicht nur etwas zur Sicherung der Montan-Mitbestimmung gesagt und das Eigenlob ausgesprochen hätte, das ihm ansteht, wie wir alle wissen, sondern ich hätte eigentlich erwartet, daß er die Gelegenheit nutzt, mit uns auch die Frage zu diskutieren: Wie wollen wir Arbeitsplätze in den Bereichen Kohle und Stahl erhalten?
Da waren die Bemerkungen von Herrn Cronenberg beachtlich. Herr Wirtschaftsminister Bangemann hat gelegentlich gesagt, er habe das Interview, das in der „Welt" abgedruckt worden ist, gar nicht gegeben. Inhaltlich hat Herr Cronenberg heute die Auffassung von Herrn Bangemann vollauf bestätigt;
denn da wird so getan, als ob Strukturwandel bei Kohle und Stahl durch die Mitbestimmung verhindert worden wäre. Sollen wir Ihnen die Zahlen noch einmal nennen, Herr Kollege Cronenberg, wieviel Arbeitsplätze in diesen Regionen abgebaut werden mußten, um den Strukturwandel vernünftig zu begleiten? Dank der Mitbestimmung haben wir es doch hinbekommen, daß dieser Strukturwandel ohne sozialen Unfrieden, ohne soziale Unruhe in diesen Regionen vonstatten gegangen ist. Das ist ein Erfolg der Mitbestimmung. Sie können die Mitbestimmung dafür nicht verantwortlich machen.
Dann habe ich eine Bitte, Herr Kollege Cronenberg: Lernen Sie doch mal den Unterschied zwischen Wirtschaftspolitik zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmen und der Frage, wie wir mit nationalen Wirtschaftsstrukturproblemen umgehen! Sie könnten doch mit uns Sozialdemokraten zusammen für die kleinen und mittleren Unternehmen endlich die von uns lange geforderte steuerstundende Investitionsrücklage einführen.
Das wäre ein Instrument für die kleineren und mittleren Unternehmen.
Aber Sie können die Hilfe für Kohle und Stahl doch nicht in einen Topf mit der Frage packen: Wie werden Arbeitnehmer von Arbeitslosigkeit individuell betroffen? Es ist doch nicht so, daß unsere Region, in der es Stahlunternehmen und in der es Bergbau gibt, nicht die modernsten Anlagen, die modernsten Techniken hätte, sondern die Absatzschwierigkeiten bei Kohle und Stahl liegen auch in einer verfehlten Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung.
Ich komme auf die Stahlindustrie zurück. Wir haben immer noch kein nationales Konzept, wo, an welchen Standorten die Stahlindustrie erhalten werden soll. Wir haben immer noch kein durchsetzbares Konzept dieser Bundesregierung, wie wir eigentlich die Wettbewerbsverzerrungen in der Europäischen Gemeinschaft vernünftig verdrängen wollen; dann hätte nämlich auch die Stahlindustrie in unserem Lande wieder eine größere Chance. Sie machen es sich zu leicht, Herr Cronenberg, wenn Sie für diese Strukturprobleme die Mitbestimmung und die Region allein verantwortlich machen. Die Bewältigung der Stahlkrise ist eine nationale Aufgabe, der auch Sie sich nicht verschließen dürfen.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Cronenberg?
Bitte sehr.
Frau Kollegin, offensichtlich ist Ihnen entgangen, daß ich nicht gesagt habe „allein", sondern daß das auch die Ursache sei. Es geht aber darum, zu fragen, Frau Kollegin: Haben Sie nicht gemerkt und nicht gehört, daß ich hier ein Plädoyer für die Umstrukturierung, den Abbau von Erhaltungssubventionen gehalten habe? Haben Sie nicht das Gefühl, daß Sie mich fast bewußt mißinterpretieren, wenn Sie mir unterstellen, wir hätten kein Verständnis für Region und für die Betriebe in der Montanindustrie?
Herr Kollege Cronenberg, auch Ihre sanfte Tonart täuscht nicht darüber hinweg, daß wir in dieser Frage absolut unterschiedlicher Auffassung sind.
Was Sie als Erhaltungssubventionen bezeichnen, ist doch die national notwendige Hilfe, solange es dieser Bundesregierung nicht gelingt, im EG-Bereich für vernünftige Wettbewerbsbedingungen zu sorgen.
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864 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Mai 1987
Frau Fuchs
Was Sie als Erhaltungssubventionen ansehen, führt doch zu der Grundsatzfrage: Was geschieht eigentlich in den Stahlregionen,
wenn wir dort statt anderer Arbeitsplätze jetzt nur Arbeitslosigkeit schaffen? Wo sollen denn die Menschen Arbeit finden?Wenn Sie sagen, Herr Günther, wir hätten uns um die Strukturprobleme nicht gekümmert, so muß ich antworten: Das ist schlicht falsch.
Ich sage deswegen noch einmal: Sie können Stahlpolitik nicht allein als regionale Politik begreifen. Was wir vielmehr brauchen, ist die nationale Verantwortung, um in diesen schwierigen Wirtschaftsregionen zu einem vernünftigen Ergebnis zu kommen.Das gilt auch für die Kohle.
In den Zeiten der Ölpreisexplosion haben alle nach heimischer Kohle gerufen. Damals war die Kohle gut genug, uns Energie zu geben. Heute tun wir so, als ob die arbeitenden Menschen im Revier eine Arbeit leisten, die wir nicht mehr brauchen. Herr Bangemann irrt mit seiner sehr zweifelhaften und zynischen Meinung, wir könnten in unserer gesamten Volkswirtschaft auf Kohle verzichten.
Deswegen hätte ich vom Arbeitsminister auch erwartet, daß er neben dem Eigenlob für dieses Gesetz zur Verlängerung der Montan-Mitbestimmung — das eben, wie gesagt, sehr relativ gesehen werden muß, wenn man bedenkt, welche Verschlechterungen wir in den letzten Jahren haben hinnehmen müssen — auch ein Wort zu der Kohlepolitik sagt. Es war ja schon beachtlich, was der Wirtschaftsminister hierzu gestern in der Kohledebatte gesagt hat. In der Tat, bei diesem Wirtschaftsminister — und der Arbeitsminister hält es nicht für nötig, dagegen aufzutreten — ist das Kohlerevier in schlechten Händen.Es geht doch nicht nur um die Erhaltung der Arbeitsplätze an Rhein und Ruhr und im Aachener Revier, sondern es geht doch auch um die Sicherung unserer Energieversorgung. Deswegen muß der Jahrhundertvertrag in der Verantwortung der gesamten Volkswirtschaft bleiben, auch wenn südliche Länder das anders sehen. Wir Sozialdemokraten werden mit Nachdruck für die Erfüllung und Anpassung des Jahrhundertvertrages eintreten.
Zu alldem wurde nichts gesagt. Vielmehr wird es weitergehen. Wir werden die Sprecherausschüsse für leitende Angestellte bekommen — gegen den Rat der Gewerkschaften,
gegen den Rat der Arbeitgeber. Wir werden zusammen mit Arbeitgebern und Gewerkschaften noch einmal mit Nachdruck darauf hinweisen, daß es falsch ist, die einheitliche Interessenvertretung der Gewerkschaften im Betrieb zu schwächen. Wir brauchen keine Vielzahl von Minderheiten in den Betriebsräten, sondern wir brauchen den Unternehmern gegenüber eine einheitliche Interessenvertretung.
Das wissen die Unternehmer genauso gut wie die Gewerkschaften. Wir werden diese Diskussion mit Ihnen aufnehmen.Das ist interessant, Herr Kollege Günther; denn in den jetzigen gesetzlichen Bestimmungen ist ein Minderheitenschutz enthalten. Die Betriebsräte müssen Rücksicht nehmen auf Arbeiter, auf Angestellte, auf Frauen und Männer, auf Behinderte. Aber das, was Sie wollen,
ist die Berücksichtigung von kleinen politischen Gruppen, die in den Betriebsräten nicht genug Stimmen bekommen haben, um eine einheitliche Interessenvertretung wahrnehmen zu können. Darum geht es eigentlich.
Es wird weitergehen; denn wir haben zu befürchten, daß das Ladenschlußgesetz geändert und das Nachtarbeitsverbot für Frauen aufgehoben wird. Wir haben erlebt, welche verheerenden Auswirkungen das Beschäftigungsförderungsgesetz hat.Deswegen sage ich: Es reicht nicht, sich hier als Arbeitsminister hinzustellen und für die Verlängerung und Sicherung der Montan-Mitbestimmung einzutreten. In diesem Punkt haben Sie unsere Unterstützung. Vielmehr wäre es angebracht gewesen, Herr Bundesarbeitsminister — gerade auch angesichts Ihrer neuen Aufgabe, die Sie übernehmen müssen —, daß Sie sich zu der Frage geäußert hätten: Wie halten wir es eigentlich mit der nationalen Verantwortung für Kohle und Stahlindustrie? Wo ist das wirtschaftspolitische Programm dieser Bundesregierung, das Strukturwandel ermöglicht, aber Arbeitsplätze erhält? Es kann nicht so weitergehen, daß Herr Bangemann mit seinen Beamten im Wirtschaftsministerium das Sagen behält und der Arbeitsminister schweigt, wenn es um die Arbeitsplätze im Revier geht.
Meine Damen und Herren, wir sind in der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem sozialen Konsens gut gefahren. Ich stimme mit dem Kollegen Zink in seiner Beurteilung der Montan-Mitbestimmung noch einmal ausdrücklich überein. Ich denke, wir müssen sehen — da ist die FDP manchmal nicht gerade hilfreich; das wissen wir alle miteinander — ,
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Mai 1987 865
Frau Fuchs
daß wir Mitbestimmungsrechte auch gegen den individualistischen Liberalismus durchsetzen. Wir sollten versuchen, uns gegenüber ehrlich zu sein. Wir mögen Veränderungen wünschen. Es kann aber nicht sein, daß wir in Sonntagsreden die Gewerkschaften loben, jedoch dann, wenn es darum geht, bei den außerbetrieblichen Vertretern auch Gewerkschaftsvertreter zuzulassen, sagen, das seien keine Arbeitnehmervertreter; sie hätten im Aufsichtsrat nichts zu sagen. Sie haben es ausdrücklich nicht gesagt. Ich bin Ihnen dafür dankbar, daß wir in dieser Frage übereinstimmen.Es ist ein Teil der Montan-Mitbestimmung, ein Teil der Mitbestimmung in Großbetrieben, Herr Kollege Cronenberg, den wir wollen, daß nicht nur die betrieblichen Vertreter dort sitzen, sondern daß Gewerkschafter von außerhalb die Chance erhalten, daß man über betriebliche Interessen hinausschaut und gesamtgesellschaftliche und gesamtökonomische Aspekte einbringt.
Wenn Betriebsräte — deren Verantwortung ich hoch schätze — , die in den Aufsichtsräten sitzen, ihren eigenen Betrieb mit stillgelegt haben, dann wird uns bewußt, was wir den Betriebsräten in ihrer Verantwortung zumuten. Sie brauchen für diese schwierige Aufgabe die Hilfe ihrer Gewerkschaften.
Es ist völlig falsch, wenn man immer so tut, als ob betriebliche Interessenvertreter und außerbetriebliche, also Gewerkschaftsvertreter, zweierlei sind. Wenn es richtig funktioniert, ist dies eine einheitliche Interessenvertretung.
Von daher, denke ich, sind wir gut beraten, für unsere Auffassung von Mitbestimmung zu kämpfen.Ich wehre mich noch einmal dagegen, daß wir die Großunternehmen gegen die kleinen und mittleren Betriebe ausspielen. Das tut die FDP gerne. Dies ist falsch. Es ist ein Unterschied, ob in einer Region der eine Großbetrieb mit den ganzen Folgewirkungen für die Menschen dieses Gebietes zugrunde geht
oder ein kleiner oder mittlerer Betrieb. Von daher, Herr Kollege Cronenberg, unternehmen wir noch einmal den Versuch, bei Gelegenheit die FDP von der steuerstundenden Investitionsrücklage für kleine Unternehmen zu überzeugen.
Vielleicht können wir Sie mit diesem Schub irgendwann einmal davon überzeugen, daß die Montan-Mitbestimmung, wie sie nach dem Krieg konzipiert worden ist, der richtige Weg ist, wenn wir die soziale Demokratie und den sozialen Konsens in unserem Land erhalten wollen.
Zu einer kurzen Erwiderung erteile ich das Wort dem Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Arbeitsminister schweigt, sagt Frau Fuchs. Eine halbe Stunde vorher sagte Herr Urbaniak. Der Arbeitsminister redet nur. Will sich die Opposition nun einmal entscheiden: Rede ich nur, oder schweige ich?
Ich sage, für die Kumpels, für die Bergleute, für die Stahlkocher sind die Reden völlig unwichtig; wichtiger ist, was gemacht wird.
Nochmals für alle an Rhein und Ruhr: Wir sichern die Montan-Mitbestimmung, die die Sozialdemokraten 1981 im Stich gelassen haben. Das sind die Tatsachen.
Hätten Sie die Montan-Mitbestimmung gerettet, müßten wir sie heute nicht sichern. Das entspricht dem Gesetz der Logik.Liebe Frau Kollegin Fuchs, ich dachte, wir diskutieren heute über Montan-Mitbestimmung.
Sie haben über den Ladenschluß, über das Beschäftigungsförderungsgesetz, über Jugendarbeitsschutz gesprochen. Wir können über alles reden.
Jetzt rede ich über das, was wir für die Stahlarbeiter und für die Bergleute machen. Hier wird keiner Auseinandersetzung aus dem Wege gegangen. Im Reden ist Johannes Rau Weltmeister. In der Tat, da können wir nicht mithalten. Wir haben gehandelt: 2,6 Milliarden DM für die Stahlindustrie in unserer Regierungszeit. Nie gab es eine Bundesregierung, die die Stahlindustrie mehr unterstützt hat als diese von der CDU/CSU geführte Bundesregierung mit der FDP.
— Das ist nicht falsch. Zahlen — das habe ich immer gesagt — sind Ihr Schicksal. Adam Riese war nie Ihr Freund; die Zahlen sprechen für uns.
Jetzt bereiten Sie sich auf den nächsten Zahlenschlag vor: Sozialpolitik! Wir lassen die Stahlarbeitnehmer nicht im Stich. Wir haben das Instrumentarium zur Hilfe ausgebaut. Auch hierzu wieder Zahlen: In den letzten vier Jahren wurden an Montanunionshilfen 404 Millionen DM an die Stahlarbeitnehmer
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Bundesminister Dr. Blümgezahlt — zum Mitschreiben, Herr Urbaniak: 404 Millionen DM!
— Setzen Sie sich erst einmal, denn jetzt kommt die zweite Zahl: In den 13 Jahren, in denen Sie regiert haben, Herr Urbaniak, waren es nicht 404 Millionen DM, sondern genau 77 Millionen DM. Was ist mehr: 404 Millionen oder 77 Millionen?
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, Herr Urbaniak, jetzt beantworte ich erst einmal die Frage von Frau Fuchs. Bevor Sie neue Fragen stellen, bekommen erst Frau Fuchs und die SPD ihre Antwort.
Wir erhöhen das Wartegeld. Das ist nicht geredet, das ist gehandelt, wenn Ihnen das entgangen ist. Wir erhöhen die Umschulungsbeihilfe. Wir stehen in Verhandlungen, das Übergangsgeld, die Einkommenshilfen zu erhöhen. Wir haben einen Gesetzentwurf eingebracht und in der letzten Bundestagsdebatte darüber gesprochen, nach dem das Kurzarbeitergeld für Stahlarbeiter auf drei Jahre verlängert werden soll. Das ist eine handfeste Hilfe, weil auf diese Weise der notwendige, unumgängliche StrukturanpassungsprozeB gestreckt werden kann. Wenn ein Unternehmen vor der Wahl steht, einen Teil der Arbeitnehmer zu entlassen oder alle kurzarbeiten zu lassen, dann finde ich es sozialer und solidarischer, alle kurzarbeiten zu lassen, als die einen rauszuschmeißen und die anderen weiter im Betrieb zu lassen. Das ist nicht Blabla, wie ich immer von Ihnen höre, das ist nicht „Raurau" , das ist „Blümblüm", nämlich handfest für die Arbeitnehmer.
Zur Sache, Frau Fuchs: Kohle. Gestern haben wir die Erhöhung des Kohlepfennigs beschlossen.
— Warum fangen Sie denn Streit an? Laßt uns doch versuchen, den Konsens gerade in der Kohle zu halten. Ich bin ja, wie Sie wissen, für jeden Streit zu haben, aber es muß doch nicht über alles gestritten werden. Laßt uns den alten Kohiekonsens wiederherstellen! Denn Kohle ist doch keine Sache, von der Hand in den Mund zu leben. Gerade die Kohle müssen wir uns erhalten als ein Stück energiepolitischer Unabhängigkeit.
— Sie haben mich doch angegriffen, deshalb bekommen Sie jetzt eine Antwort. Spielen Sie doch nicht dauernd über die Bande; jetzt reden wir zusammen. —Ich bleibe dabei: Stahl und Kohle haben ganz unterschiedliche Ursachen ihrer Bedrängnis. Beim Stahl handelt es sich darum, daß unsere Stahlarbeitnehmer eine faire Wettbewerbschance in Europa erhalten. Bei Kohle darf man diese Hoffnung gar nicht haben. Da geht es nicht um Wettbewerbschancen; denn die deutsche Kohle wird nie wettbewerbsfähig sein gegenüber Lagerstätten, in denen die Kohle viel bequemer zu fördern ist. Da handelt es sich darum, daß wir unabhängig bleiben, daß wir unsere Energieversorgung auf möglichst viele Beine stützen. Deshalb brauchen wir eine Energieversorgung, die aus mehreren Quellen gespeist wird. Eine davon ist die Kernenergie. Deshalb war der härteste Angriff auf den Jahrhundertvertrag der Ausstieg aus der Kernenergie.
— Doch!
Meine Damen und Herren, ich kämpfe für diesen Jahrhundertvertrag, ich kämpfe für den Konsens. Ich will nur darauf aufmerksam machen, daß es natürlich schwer ist zu kämpfen, wenn sich Länder durch billige Kernenergie das Geld verschaffen, um den Kohlepfennig zu bezahlen, und dann die von den Sozialdemokraten geschickten Demonstranten in Wackersdorf zurückhalten müssen. Das ist eine Arbeitsteilung, die natürlich nicht funktioniert. Laßt uns diesen Streit zurückdrängen! Laßt uns versuchen, mit Kohle und Kernenergie zu leben! Ich bin weder Kernenergiefetischist noch überhaupt ein Fetischist. Ich bin dafür, daß wir unsere Energie auf eine breite Basis stellen. Wir brauchen die Kohle und die Bergleute. Das will ich nach allen Seiten sagen — ich kann mich ja nicht drehen.
Wie wollen Sie es denn gerne haben? Ich wollte mich gerade der Opposition zuwenden.Ich bleibe dabei: Nordrhein-Westfalen hat in schwerer Zeit der ganzen Bundesrepublik geholfen. Die Bergleute und die Stahlkocher haben dafür gesorgt, daß die Menschen in Bayern, in Baden-Württemberg, in Niedersachsen nicht erfroren sind. „Gefringst" worden ist ja schließlich nicht nur in Köln, um darauf zurückzukommen. Die Kohle hat ein frierendes Volk davor bewahrt, daß Millionen von Menschen erfroren sind, im wörtlichen Sinne. Wenn es in der Politik Dankbarkeit gibt, dann ist das, was die nordrhein-westfälischen Arbeitnehmer jetzt fordern, kein Almosen, sondern nichts anderes als ein Stück Wiedergutmachung.Im übrigen ist das Land Nordrhein-Westfalen kein Land am Rande der Industriegesellschaft. Es hat gewisse Schwierigkeiten, hervorgerufen nicht zuletzt dadurch, daß Modernisierung verpennt wurde, von einem sozialistischen Heiapopeia in den Schlaf gewiegt.
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Bundesminister Dr. BlümAber die Voraussetzungen, daß dieses Land wieder Spitzenland in der Bundesrepublik wird, sind besser als in jeder anderen Region. Es gibt keine Region, in der so viele qualifizierte Arbeitnehmer auf engstem Raum zusammenleben. Laßt uns zusammen helfen!
— Nicht mit Heiapopeia und nicht mit Blabla, sondern mit konkreter Politik. Wir haben für die Stahlarbeiter gesorgt. Wir sorgen für die Bergleute. Wir bekennen uns zur Solidaritätspflicht gegenüber Nordrhein-Westfalen.
Das Wort hat der Abgeordnete Andres.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Blüm, es wäre sicherlich besser gewesen, wenn Sie einen Teil ihres erregten Debattenbeitrags Herrn Cronenberg und Ihrem Koalitionspartner gewidmet hätten.
Denn nach den Äußerungen, die Herr Cronenberg heute morgen hier in der Debatte von sich gegeben hat, kann man die sozialpolitischen Realitäten in unserem Lande nicht mehr schlimmer auf den Kopf stellen.
Herr Cronenberg hat hier erzählt, daß die MontanMitbestimmung verhindert habe, daß im Stahlbereich strukturelle und technologische Anpassungen vorgenommen worden seien. Welch ein Quatsch! Wer weiß eigentlich nicht, daß unsere Stahlindustrie zu den modernsten in Europa gehört, und wer weiß eigentlich nicht, daß die großen Anpassungsprozesse, die in den letzten Jahren stattgefunden haben, gerade dank Montan-Mitbestimmung ohne große soziale Auseinandersetzungen möglich waren?
Herr Arbeitsminister, Sie haben sich in Ihrer Rede als der große Retter der Montan-Mitbestimmung und als Kämpfer für Arbeitnehmerinteressen dargestellt. Ich will Sie daran erinnern, daß die gesetzliche Regelung von 1981 dafür gesorgt hat, daß schon zum damaligen Zeitpunkt Mannesmann nicht aus der MontanMitbestimmung herausgefallen ist. Ich will Sie daran erinnern, daß Sie offensichtlich ein außerordentlich kurzes Gedächtnis haben.
Ich stelle mir die Frage, wie Ihr Gesichtsverlust gewesen wäre, wenn Sie aus den wochenlangen Koalitionsverhandlungen — wo wir ein Gefeilsche um Steuerreform für Hochverdienende erlebt haben, wo aber über Wochen von Montan keine Rede war —
ohne Montan herausgekommen wären. Dann säßen Sie ohne Gesicht in diesem Parlament, Herr Arbeitsminister.
Auch muß man sich einmal genau anschauen, zu welchem Preis Sie sich diese Montanregelung eingehandelt haben. Wir diskutieren heute ja überhaupt nicht über Montansicherung, sondern wir diskutieren über ein Vorschaltgesetz, über die Verlängerung von Auslauffristen. Das, was Sie uns konkret präsentieren könnten, liegt nicht auf dem Tisch dieses Hauses.
Die sozialdemokratische Fraktion hat einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht,
der deutlich macht, daß für uns die Montan-Mitbestimmung das weitestgehende Mitbestimmungsmodell ist, daß dieses Mitbestimmungsmodell — erstens — möglichst in allen Großunternehmen und Konzernen eingeführt werden muß und — zweitens — daß wir diese Montan-Mitbestimmung jetzt und ohne Abstriche sichern müssen. Das ist allerdings nicht der erklärte Wille der Regierungskoalition.Herr Blüm, es wäre interessant, hier über die Bedingungen zu reden, die Sie sich für die Montan-Mitbestimmungs-Regelung, wie sie in Ihren Koalitionsvereinbarungen festgelegt ist, eingehandelt haben. Herr Cronenberg hat Ihnen heute morgen in der Debatte die Kette gezeigt, die er Ihnen um den Hals gewunden hat. Da steht, daß wir mit einer Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes zu rechnen haben. Deswegen ist es richtig, daß meine Kollegin Fuchs darüber geredet hat, was an weiteren grundlegenden Veränderungen des sozialen Konsenses in unserem Lande zu erwarten ist.
Da steht darüber hinaus, daß Sie die Sprecherausschüsse für leitende Angestellte einführen werden, und da ist niedergeschrieben, daß sozusagen ein Junktim zwischen der Montan-MitbestimmungsRegelung und diesen gesetzlichen Veränderungen besteht.Ich will Ihnen sagen, daß die Notwendigkeit, Sprecherausschüsse gesetzlich zu verankern, außer einer kleinen Gruppe von Verbandsfunktionären niemand sieht. Weder die Arbeitnehmer noch die Arbeitgeber, weder die Arbeitgeberverbände noch die Gewerkschaften, ja noch nicht einmal die leitenden Angestellten selbst halten solch eine Regelung für notwendig.
Und ich sage Ihnen: Ich weiß aus Gesprächen in Großbetrieben, die freiwillig Sprecherausschüsse oderSprecherkonstruktionen für leitende Angestellte ein-
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Andresgeführt haben, daß auch diese Betroffenen kein Interesse an einer gesetzlichen Regelung haben.
— Sie können ja darauf antworten.Herr Blüm, eine weitere Frage wäre zu stellen. Sie haben in Ihrer Rede am 15. Mai im Bundesrat die Montan-Mitbestimmung als das soziale Urgestein unserer Gesellschaft bezeichnet. Herr Cronenberg hat heute morgen davon gesprochen, daß das sozusagen die Felsbrocken seien, die für seine Regelung im Weg liegen. Ich möchte Sie mal fragen: Wenn dieses soziale Urgestein sich laut Ihren Äußerungen so bewährt hat, warum nehmen Sie dann eigentlich Veränderungen an dieser Regelung vor? Warum ändern Sie beispielsweise das Wahlverfahren?
Warum ändern Sie die Zusammensetzung der Arbeitnehmerbank? Wenn sich dieses soziale Urgestein so bewährt hat, gibt es nach meiner Auffassung keinen Grund, es zu schleifen. Sie müßten einmal etwas näher begründen, warum Sie diese Absichten haben.Herr Cronenberg hat ja in einem zweiten wichtigen Punkt seiner sehr bedeutsamen Rede heute morgen die Katze ein bißchen aus dem Sack gelassen. Er hat davon gesprochen, daß die individuellen Rechte der Arbeitnehmer gestärkt werden müssen.
Wir wissen aus unserer Erfahrung der Arbeits- und Sozialgeschichte, daß der Anspruch, die Rechte des einzelnen zu stärken, immer mit dem Versuch einhergeht, die gemeinsame Interessenvertretung der Arbeitnehmer zu schleifen und damit den einzelnen schutzlos der Macht ökonomisch Starker auszusetzen.
Deswegen gehören für uns das Recht des einzelnen und die gemeinsame Interessenvertretung über die Gewerkschaften zusammen.
— Ich bin Gewerkschaftssekretär; ja. Ich bin stolz darauf. Und ich weiß, wovon ich rede.
Diesen Eindruck habe ich bei Ihnen manchmal nicht.
Herr Blüm, für uns kann ich feststellen, daß die Montan-Mitbestimmung, um die es hier heute zumindest bei zwei Gesetzentwürfen geht, ein bedeutsamer Schritt zur Demokratisierung der Wirtschaft war. Auch das Betriebsverfassungsgesetz brachte Mitbestimmungsrechte für Arbeitnehmer und ihre Interessenvertretung. Für uns ist klar, daß Mitbestimmung im Betrieb und Unternehmen immer auch Mitverantwortung für Arbeitnehmer und ihre Vertretung bedeutet.Diese Gemeinsamkeiten sind nach unserer Auffassung einer der Grundpfeiler unseres demokratischen Sozialwesens, der mit dafür gesorgt hat, daß die Herausbildung unseres demokratischen und sozialen Gemeinwesens und unsere wirtschaftliche Stärkung möglich waren.Ich fordere Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, deshalb auf, diese sozialen und demokratischen Grundbedingungen in unserem Land nicht zu gefährden, sondern weiter auszubauen. Wir laden Sie ausdrücklich ein, sich den Vorstellungen, die wir heute als SPD-Fraktion für die Montansicherung vorgelegt haben, anzuschließen.Ich sage ausdrücklich dazu: Unser Gesetzentwurf enthält keine Quotenregelung und keine Regelung, die die Montanzugehörigkeit einer Untergesellschaft beinhaltet. Denn wenn Sie solche Regelungen schaffen, führt dies dazu, daß durch Veränderungen im Unternehmen selber, durch Willkür der Unternehmer dafür gesorgt werden kann, daß trotzdem weiter Unternehmen aus dem Bereich der Montan-Mitbestimmung herausfallen.Deshalb ist es, meine ich, notwendig — und da widersprechen wir Ihnen von der FDP ganz entschieden und auch dem Bundesarbeitsminister, der immer verfassungsrechtliche Gründe vorschiebt — , daß, solange Montan in diesen Unternehmen eine Rolle spielt, die Montan-Mitbestimmung in diesen Unternehmen gesichert wird.
Mein Platz ist auf der Seite der Arbeitnehmer. Das entspricht nicht nur meiner Herkunft aus einer Arbeiterfamilie, sondern auch der Ansicht, daß die Arbeitnehmer, gemessen an den Möglichkeiten der Arbeitgeber zur Durchsetzung ihrer Interessen, noch immer im Rückstand sind.
— Schreien Sie doch später! Warten Sie mal ab!Arbeitnehmer brauchen also Verstärkung, wenn das Gleichgewicht der Kräfte hergestellt werden soll. Das stammt leider nicht von mir, sondern das hat Herr Blüm, heute Arbeitsminister, am 15. Dezember 1969 gesagt. Deswegen hätten Sie sich Ihre Schreierei ersparen können.
Die Zukunft wird zeigen, wie ernst Sie es mit dieser Aussage meinen, Herr Blüm. Nicht dieses VorschaltGesetz, sondern die Frage, wie zügig und mit welchen endgültigen Regelungen die Sicherung der MontanMitbestimmung beschlossen werden wird und wie Sie mit der Betriebsverfassung umgehen, wird uns darüber aufklären. Wir hoffen sehr, daß das nicht nach der Melodie geschieht: „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?"Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Scharrenbroich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist wichtig, daß die Arbeitnehmer wissen: Die beherrschende politische Kraft dieses Parlaments erfüllt nach der Wahl das, was sie vorher sagt.
Die Union hat in ihrem Wahlprogramm vor der Bundestagswahl gesagt: „CDU und CSU wollen die Montan-Mitbestimmung im Benehmen mit den Tarifvertragspartnern sichern. " Und dies geschieht. Ich durfte für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 6. November vergangenen Jahres hier ausführen: „Die deutschen Arbeitnehmer können sich darauf verlassen, daß die CDU und CSU die Montan-Mitbestimmung in der nächsten Legislaturperiode" — also in der jetzigen Legislaturperiode — „sichern werden". Und das machen wir jetzt. Das Programm wird erfüllt.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch der FDP danken, daß sie zu dieser Vereinbarung bereit war. Es ist ihr zwar nicht leichtgefallen, aber wir haben hier — damit das auch klar ist — eine Lösung gefunden, die nicht gewerkschaftsfeindlich ist. Und, Kollege Andres, wie kommen Sie eigentlich dazu, jetzt zu sagen: Auf der Arbeitnehmerseite gibt es eine Verteilung? Ja, es werden mehr Leute aus dem Betrieb auf der Arbeitnehmerbank sitzen. Ist denn das schlimm? Sehen Sie denn die Leute, die aus dem Betrieb selbst kommen, als schlechtere Vertreter der Arbeitnehmerinteressen als die Gewerkschaftsfunktionäre an?
Das darf doch wohl nicht wahr sein!Ich möchte auch klar sagen, daß es nicht gegen die Gewerkschaften gerichtet ist, wenn jetzt ein echtes Wahlverfahren stattfindet.
Das kann doch nur dazu führen, daß die qualifizierten Kollegen aus den Gewerkschaften in den Aufsichtsrat hineinkommen.
Wir sind dafür, daß es eine feste Zahl von Externen gibt. Denn wir wissen, daß es notwendig ist, daß auch Kollegen von außen hineinkommen.
Ich sage auch ganz klar, meine Damen und Herren: Ich halte es für verfrüht, wenn von Arbeitgeberseite behauptet wird, hier komme eine verfassungsrechtlich bedenkliche Vorlage. Wie kommt man eigentlich dazu? Erstens. Die Vorlage liegt ja noch gar nicht auf dem Tisch. Zweitens. Gerade durch dieses Vorschaltgesetz haben wir jetzt Zeit bis Ende 1988, sorgfältigst einen Entwurf zu erarbeiten, der auch verfassungsrechtlichen Bedenken standhalten würde. Das ist ja gerade der Grund, warum wir dem SPD-Gesetzentwurf nicht zustimmen können: Er stößt auf verfassungsrechtliche Bedenken. Das wissen auch die deutschen Gewerkschaften. Denn erinnern wir uns doch: Als wir den SPD-Gesetzentwurf am 6. November hier ablehnten — Herr Urbaniak sagte damals: Wer die Montan-Mitbestimmung noch haben will, muß jetzt zustimmen;
nein, jetzt haben wir Zeit — . Damals haben die deutschen Gewerkschaften das ohne Kommentar passieren lassen. Denn sie wußten, daß er verfassungsrechtlich nicht haltbar war.
Und wie kommen Sie mir eigentlich daher! 13 Jahre lang haben Sie zur Ausweitung der Mitbestimmung nichts getan, und jetzt wollen Sie durch die Hintertür die Montan-Mitbestimmung, die paritätische Mitbestimmung mit Ihrem Gesetzentwurf auf andere Wirtschaftszweige ausdehnen. Also, da hätten Sie in den 13 Jahren, die Sie in der Regierung waren, schon etwas solidere Politik betreiben müssen.
Wir brauchen uns auch gar nicht selbst zu loben. Ich glaube, wir sollten den Satz des Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, der uns bei der Bundestagswahl bekanntlich nicht als Wahlhelfer zur Verfügung stand, hier noch einmal in Erinnerung rufen. Nachdem die Koalitionsvereinbarung bekannt war, hat Ernst Breit am 11. März folgendes gesagt— Herr Präsident, ich möchte dies vorlesen — :Mit der Sicherung der Montan-Mitbestimmung wurde nicht irgendeine, sondern eine zentrale Forderung der Gewerkschaften erfüllt. Politisch sehe ich darin eine respektable Leistung der CDA.— Ich höre das sehr gerne. —Ich bedanke mich bei den Kolleginnen und Kollegen der CDA ausdrücklich für diese Leistung.Also, eine klarere Aussage zu dieser dauerhaften Sicherung der Montan-Mitbestimmung, die wir in der Koalition beschlossen haben, kann man nicht finden. Allerdings muß ich auch sagen: Der Kollege Breit hätte auch noch feststellen können, daß dies ohne Norbert Blüm nicht möglich gewesen war.
Und ich halte es für wichtig, zu sagen: Wir machen die Politik, die für Arbeitnehmer wichtig ist,
unabhängig davon, was Funktionäre sagen. Auch wenn dieser Norbert Blüm vor dem Bundestagswahlkampf von der IG Metall bis aufs Messer bekämpft worden ist, machen wir dennoch die Politik, die wir für Arbeitnehmer für richtig halten.
Lassen Sie mich ein klärendes Wort sagen: Es geht nicht nur darum, daß wir bis Ende 1988 die Montan-
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ScharrenbroichMitbestimmung sichern, sondern wir haben ja in der Koalition auch ganz klar im Detail geregelt, wie die Montan-Mitbestimmung darüber hinaus gesichert wird. Der Arbeitsminister hat das geklärt.Dann wird behauptet, wir hätten einen zu hohen Preis dafür bezahlt:
Sprecherausschüsse, Minderheitenschutz. Da will ich Ihnen einmal sagen, meine Damen und Herren von der SPD: Sie haben überhaupt kein Recht, sich darüber zu beschweren. Wir von den Sozialausschüssen halten von den Sprecherausschüssen auch nichts. Nach meiner Auffassung sind das auch komische leitende Angestellte, die zu ihrem Vorsitzenden sagen müssen: Also, ich habe da ein Anliegen; das muß der Sprecherausschuß regeln.
— Sie von der SPD haben die Todsünde begangen, weil Sie die Arbeitnehmervertretung in dem 76er Mitbestimmungsgesetz gespalten haben und dort den leitenden Angestellten plaziert haben, mit den Stimmen von Vorsitzenden von Einzelgewerkschaften hier im Hause. Aber wir werden Verträge selbstverständlich einhalten. Wenn das der Koalitionsvertrag ist, dann werden wir dies auch vollziehen.
Wir werden das anders machen — Augenblick —; wir werden das so regeln, daß dadurch die Rechte des Betriebsrates nicht behindert werden. Das hat auch niemand in der Koalition vor. Auch die FDP will nicht die Rechte des Betriebsrates abbauen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Fuchs?
Herr Kollege Scharrenbroich, darf ich Ihren Bemerkungen entnehmen, daß Sie mit uns zusammen bereit sind, diesen Teil des 76er Gesetzes zu ändern?
Meine sehr verehrte Frau Kollegin Fuchs,
wir halten sehr viel davon, daß die Koalition arbeitsfähig bleibt. Denn hier sind noch sehr wichtige Aufgaben für die deutschen Arbeitnehmer zu erfüllen.
Wie kommen Sie dazu, daß Sie ein so komisches Gesetz beschließen und dann sagen, wir sollten das gegen die Stimmen der FDP wieder aufheben? Das ist doch unseriös.
Das ist äußerst unseriös.
Ich möchte auch ein Wort zum Minderheitenschutz sagen. Ich erinnere daran, daß wir in der Koalitionsvereinbarung festgelegt haben: Qualifizierte Minderheiten sollen zu ihren Rechten kommen. Wir werden regeln, wie dies gemacht wird. Aber die deutschen Gewerkschaften wären sehr gut beraten, wenn sie mithelfen würden, daß demokratische Selbstverständlichkeiten auch in den Betrieben berücksichtigt werden.
Schließlich mache ich auch darauf aufmerksam, daß zu dieser Koalitionsvereinbarung noch ein weiterer Punkt gehört, nämlich daß wir die Jugendvertretung in eine Jugend- und Auszubildendenvertretung umwandeln.
Meine Damen und Herren, warten Sie in Geduld ab. Wir werden durch unsere Gesetze wie jetzt bei der Sicherung der Montan-Mitbestimmung belegen, daß wir die Mitbestimmung nach der Form eines demokratischen Rechtsstaates sichern werden, auch in den Unternehmen, aber so, wie es in der Koalitionsvereinbarung festgelegt worden ist.
Danke schön.
Meine Damen und Herren. Ich schließe die Aussprache.
Zu dem Tagesordnungspunkt 16 a und b wird interfraktionell vorgeschlagen, die Gesetzentwürfe an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Weiter ist interfraktionell vereinbart worden, die Gesetzentwürfe zusätzlich an den Rechtsausschuß zur Mitberatung zu überweisen. Gibt es anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Meine Damen und Herren, bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, erteile ich nach § 32 unserer Geschäftsordnung dem Abgeordneten Dr. Langner das Wort zur Abgabe einer persönlichen Erklärung außerhalb der Tagesordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe am 2. April 1987 in einer Bundestagsrede die Äußerungen eines Wolfgang Ehmke aus der Zeitung „taz" vom 29. November 1986 wiedergegeben. Dieses Zitat habe ich damals dem ehemaligen Bundestagskollegen und jetzigen Beamten im hessischen Umweltministerium Wolfgang Ehmke zugeschrieben. Zwischenzeitlich hat sich herausgestellt, daß nicht dieser, sondern eine Person gleichen Namens das fragliche Interview in der „taz" gegeben hat. Ich bedaure, daß ich auf Grund der mir bis dahin nicht bekannten Namensgleichheit den ehemaligen Kollegen verwechselt habe, und möchte hiermit den Sachverhalt vor dem Plenum richtigstellen.
Die zitierte Äußerung des Kernkraftgegners Wolfgang Ehmke, der Verständnis für militante Aktionen
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Dr. Langnerbekundete, verurteile ich nach wie vor auf das schärfste.
Ich rufe auf den Zusatzpunkt:
Aktuelle Stunde
Konkrete Abrüstungschancen in Europa und die Erklärung des Bundeskanzlers Kohl vom 15. Mai 1987 zum augenblicklichen Stand der Verhandlungen über Mittelstreckenraketen
Die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem genannten Thema verlangt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Schilling.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Guten Tag! In einer beispiellosen Kampagne versuchen die USA, die immer verkündet haben, sie seien die Größten, mit Hilfe der Bedrohungslüge und Feindbildaufrechterhaltung die Aufrüstung des Westens zu rechtfertigen. Es ist nicht die Frage: „Was tun, wenn die Russen kommen?", sondern es ist die Frage: „Was tun, wenn die Amerikaner bleiben?" Fast alle Militärangaben sind schief, beruhen auf falschen Zahlen, aber die Politiker vertrauen natürlich darauf, daß das in der Bevölkerung so schnell niemand nachprüfen kann.Der Kräftevergleich zwischen NATO und Warschauer Pakt hat bisher immer ein Gleichgewicht festgestellt, und es ist gelogen, wenn man jetzt plötzlich etwas anderes behauptet. Diese ganzen Waffen-, Fliegenbeine- oder Erbsenzählereien, wie man das oft verharmlosend ausdrückt, sind für mich ein ganz konkreter Ausdruck eines Männlichkeitswahns. Nehmen wir diesen Männer doch endlich ihr Kriegsspielzeug weg! Dabei gucke ich bewußt natürlich auch Sie an, Herr Dregger. Es müssen mehr Frauen in die Politik; dann könnten solche perversen Ausdrücke, wie sie hier im Bereich der Militarisierung verwendet werden, nicht so schnell passieren.Wer Konflikte mit Waffengewalt austrägt, ist für mich kein Demokrat mehr. Wir brauchen eine Friedenskultur und kein Kriegsführungsdenken und keine Politiker, die Kriege für machbar und führbar halten. Wenn wir das ganze Geld, die Phantasie und die Kraft in den Frieden statt in Rüstung stecken würden, dann hätten wir schon längst Frieden.Stell dir vor, es greift einer deine Vorschläge auf, ... und keiner hätte es geglaubt. Warum will sich die CDU/CSU eigentlich nicht auf die doppelte Null-Lösung einlassen? Warum will sie eine historische Chance nicht nutzen, und warum pflegt sie hierbei neuerdings sogar eine recht interessante Variante des Antiamerikanismus? Diese Abrüstungsverweigerer betrachten nämlich den Anteil dieser Waffen als wichtigen Bestand einer künftigen bundesdeutschen oder westeuropäischen Atom- und Militärstreitmacht, die den Status einer künftigen Militärgroßmacht begründen soll.Drei Dinge braucht der Mann dazu — kann man ganz getrost sagen — , braucht der Staat dazu: weitreichende Atomraketen, Know-how für die Fertigung von Atomsprengköpfen und Atomanlagen zur Herstellung von Plutonium oder hochangereichertemUran, die jetzt in Hanau erweitert werden sollen. Das paßt wunderbar ins Bild.Da der ganze Kampf um den Atomwaffensperrvertrag hier im Bundestag auch nicht gerade der einfachste war, weil die Mehrheit des Bundestages damals schon nicht so recht wollte, ist es jetzt natürlich sehr gut, wenn man weiß, daß er Mitte der 90er Jahre ausläuft. Dann will man natürlich vorbereitet sein, um dann gleich den Übertritt und Beitritt zu einer Atommacht vollziehen zu können.Die Bundesrepublik Deutschland entwickelt sich vom größten Atomwaffenlager der Welt zu einem atomaren Aufrüstungsstaat, mit dem Ziel, direkt über Atomwaffen zu verfügen.
Herr Strauß und Herr Dregger belegen das sehr anschaulich. Ich nehme an, wir werden nachher auch noch Kostproben davon bekommen. Herr Dregger, die doppelte Null-Lösung mit Wiedervereinigungsgedanken zu verbinden, zeigt, daß Sie großdeutsche Ansprüche haben, daß Sie deutschnationale Hegemonialvorstellungen haben. Dazu paßt es dann auch, daß Sie keinen Unterschied zwischen SS und Waffen-SS machen und sehen wollen. Herr Dregger, haben Sie sich eigentlich schon einmal überlegt, wie freudig Alt-und Neonazis Ihre Gedanken aufgreifen und dann lieber das braune Original wählen? Sie versuchen, eine Renationalisierung der bundesdeutschen Außenpolitik zu erreichen, und das ist eine Provokation gegen europäische Interessen und gegen die antifaschistischen Konsequenzen, die die Siegermächte nach dem Zweiten Weltkrieg gezogen haben. Sie haben offensichtlich nichts eingesehen, geschweige denn dazugelernt.Die Pershing I a ist das politische Symbol der Bundesrepublik für sogenannte nukleare Teilhabe im Bündnis. Durch Begriffe wie „Drittstaatensysteme" soll die Bundesrepublik zumindest politisch-psychologisch als atomare Mittelmacht neben Großbritannien und Frankreich, mit denen Sie ja fleißig konferieren, aufgewertet werden. Deswegen will die Bundesregierung die Pershing I a im Rahmen der doppelten Null-Lösung nicht zur Disposition stellen.Ausgerechnet also, als diese Supermachtsüchtigen ihrem Ziel näherzukommen scheinen, kommt der Gorbatschow und bietet Entzug an. Nehmen wir doch mal die Bundesregierung von der Nadel, veordnen wir ihr einen Entzug, und zwar durch Druck — parlamentarisch und außerparlamentarisch — , denn die parlamentarischen Mehrheiten sind gegeben. Sie werden nur aus reinen Machterhaltsgründen nicht genutzt. Das muß man hier einmal ganz klarstellen.
Um zu zeigen, daß die da oben nicht immer machen können, was sie wollen, um denen da oben, die jetzt hier so neben mir sitzen, zu zeigen: „So geht es nicht, und mit uns schon gar nicht", deswegen, so denken wir GRÜNEN, dürfte der Volkszählungsboykott ein erstes sehr wirkungsvolles Zeichen sein, das zu demonstrieren.
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872 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Mai 1987
Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Blockaden, zu denen die GRÜNEN aufrufen, — —
Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
— — dürften auf jeden Fall sehr deutlich zeigen, daß aktiver, gewaltfreier Widerstand existiert gegen eine solche Politik.
Frau Abgeordnete, ich wiederhole, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Sie haben bereits um 41 Sekunden überzogen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wer sollte denn eigentlich abrüsten, wenn nicht wir? Und wann, wenn nicht jetzt?
Frau Abgeordnete, ich entziehe Ihnen das Wort.
Ich bitte, darauf zu achten, daß die Redezeit von fünf Minuten nicht überschritten werden darf. Die Aktuelle Stunde dauert 60 Minuten. Für die Einhaltung ist der Präsident zuständig. Ich bitte, darauf zu achten.
— Frau Abgeordnete, die Maßnahmen des Bundestagspräsidenten werden nicht aus den Bänken der Abgeordneten heraus kritisiert, sondern im Ältestenrat. Dafür ist dieser da.
Die Bundesregierung teilt mit, daß der Herr Bundeskanzler, der Herr Bundesaußenminister, der Herr Bundesverteidigungsminister an der Debatte leider nicht teilnehmen können, weil sie zur Zeit beim deutsch-französischen Gipfel unentbehrlich sind.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rühe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da in den letzten Tagen in diesem Zusammenhang das Papier eines Fraktionskollegen eine Rolle gespielt hat, möchte ich hier für die Fraktion und auch abgestimmt mit dem Fraktionsvorsitzenden erklären: Bei diesem Papier des Kollegen Friedmann handelt es sich um eine persönliche Stellungnahme, nicht um ein Fraktionspapier.Der Fraktionsvorsitzende, Herr Dr. Dregger, hat im übrigen sowohl vor einigen Wochen in Paris als auch in seinem Buch „Der Vernunft eine Gasse" erklärt, daß ein Ende der deutschen Teilung nur mit der Überwindung der europäischen Teilung und des Ost-WestKonflikts wird erfolgen können.Das, was Deutschland teilt, teilt auch Europa. Nur wenn wir bereit wären, um der Einheit Deutschlands willen auf die Freiheit zu verzichten, könnte es einen Widerspruch zwischen den beiden Zielen deutsche Einheit und Vereinigung Euro-pas geben. Wir aber halten am Vorrang der Freiheit vor der Einheit fest.
— Das war klar.Oberstes Ziel unserer Politik ist es, jeden Krieg— konventionell wie nuklear — zu verhindern. Der Bundeskanzler hat das in seiner Regierungserklärung am 7. Mai ausgeführt:Aus diesen Erwägungen heraus hat unser Bündnis seine bewährte Strategie der flexiblen Antwort entwickelt. Für diese Strategie gibt es in absehbarer Zeit keine Alternative. Für ihre Wirksamkeit und Glaubwürdigkeit bedarf es weiterhin ausgewogener nuklearer und konventioneller Streitkräfte. Deshalb kann unser Bündnis auf absehbare Zeit auf Nuklearwaffen nicht völlig verzichten.Dies ist auch die Meinung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.Ziel unserer Rüstungskontrollvereinbarungen muß es deshalb sein, die Sicherheit aller Beteiligten zu erhöhen. Bei der Herstellung eines möglichst niedrigen und ausgewogenen Streitkräfteniveaus darf es keine Zonen minderer Sicherheit geben. Deshalb müssen die berechtigten Sicherheitsinteressen aller Staaten — der großen wie der mittleren und der kleineren — berücksichtigt werden.Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sagt ein ganz klares zur Null-Lösung für die Mittelstreckenraketen größerer Reichweite.
Wir wollen, daß sie noch in diesem Jahr unter Dach und Fach gebracht wird.
Dieses Ergebnis wäre der Erfolg unserer Sicherheits-und Abrüstungspolitik, denn wenn CDU/CSU und FDP nicht 1983 zu beiden Teilen des NATO-Doppelbeschlusses gestanden hätten,
wenn wir der Politik der SPD gefolgt wären, würde diese greifbar nahe Abrüstungschance heute nicht bestehen. Darüber muß immer wieder geredet werden.
Sprecher von Ihnen, so Herr Bahr, haben es damals als Zumutung an die Sowjetunion bezeichnet, daß wir Null verlangen,
und noch auf Ihrem letzten Parteitag im letzten Jahr waren Sie bereit, den Sowjets ein Monopol in diesem Bereich zuzugestehen.
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Wir wollen auch noch in diesem Jahr, wenn möglich, Abrüstung bei den amerikanischen und den sowjetischen Mittelstreckenraketen kürzerer Reichweite. Die 72 Pershing in der deutschen Luftwaffe können nach Auffassung aller NATO-Mitglieder nicht Gegenstand dieser Verhandlungen sein. Wir wollen, daß beide Weltmächte dann auch möglichst bald die versprochene und militärisch bedeutsame 50 %ige Reduzierung ihrer strategischen Systeme vereinbaren und durchführen.
Für uns Europäer sind die wichtigsten weiteren Schritte die weltweite und überprüfbare Beseitigung aller chemischen Waffen, der Einstieg in die Rüstungskontrolle bei der konventionellen Rüstung durch den Abbau der konventionellen Überlegenheit des Warschauer Paktes, durch die Beseitigung der Invasionsfähigkeit, sowie Verhandlungen über weitere substantielle Verringerungen des noch verbliebenen Gefechtskopfpotentials im nuklearen Bereich.Ich meine, hier können wir alle miteinander es uns als einen Erfolg auch der Diskussion der vergangenen Wochen zurechnen, das Thema „Brandmauer" angegangen zu haben, denn ich glaube, hier sollte es große Übereinstimmung in der deutschen Politik geben. Manche treten ja für die nackte zweite Null-Lösung ein, sagen dann aber: danach Schluß der Verhandlungen und vielleicht sogar Aufrüstung im Bereich unter 500 km.
Das fordern viele der glühendsten Befürworter, aber diese Lösung kann nicht unsere Politik sein. In der Koalition gibt es darüber jedenfalls völlige Einigkeit.
Die Verhandlungen müssen weitergehen, und ich kann mir auch nicht vorstellen, daß Sie Befürworter einer solchen Politik sind.
Deswegen ist Ihre Formel „Ja zur zweiten Null-Lösung ohne Wenn und Aber" etwas töricht,
denn es gibt gewichtige westliche Verhandlungspartner, die mit dieser Null-Lösung die Idee einer Brandmauer verbinden.
— Seien Sie doch nicht so unruhig! In dieser Frage gibt es doch wirklich einen Diskussionserfolg.Die Punkte, die ich hier angesprochen habe, werden uns auch in den nächsten Tagen begleiten. Wir werden Sie alle enttäuschen: Wir werden in der Koalition Einigkeit herstellen, wir werden in der Allianz Einigkeit herstellen, und dann werden wir mit denen verhandeln, mit denen wir verhandeln müssen, nämlich mit den Sowjets, und das erfolgreich.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stobbe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bürger der Bundesrepublik Deutschland, darunter, Herr Rühe, viele treue Anhänger der CDU, haben in den vergangenen Wochen und Monaten wegen der Abrüstungspolitik der Bundesregierung vor Verzweiflung die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen.
Als ihnen das Ausmaß der Konflikte klar wurde, die den Bundeskanzler unfähig zum entschlossenen Handeln machen, und als sie merkten, wie die Konfliktlinien in der Koalition parteipolitisch verlaufen, haben sie in den beiden Landtagswahlen ein deutliches Zeichen gesetzt. Jetzt reibt sich die CDU die Augen — und die FDP die Hände.Mit der in letzter Minute — ohne Abstimmung mit dem Außenminister — abgegebenen Erklärung des Bundeskanzlers wurde innenpolitisch für die CDU nichts mehr aufgehalten, aber außen- und sicherheitspolitisch erneut Verwirrung gestiftet. Der Bundeskanzler weiß augenscheinlich nicht, was er wollen darf und kann. Die Folge ist ein Bild des Jammers. In einer essentiellen Frage deutscher und europäischer Politik erweist sich die Bundesregierung als führungslos und als kopflos.
Die Wahlbürger haben sich da als wirklich klüger erwiesen. Sie haben die Kräfte gestärkt, die wollen, daß in der gegenwärtigen weltpolitischen Konstellation die Gelegenheit der Abrüstung beim Schopfe gepackt wird. In unserem Volk und im Deutschen Bundestag gibt es, wenn man die Erklärungen, die abgegeben wurden, ernst nimmt, eine klare politische Mehrheit für den jetzt möglichen Abrüstungsschritt, für die doppelte Null-Lösung.
Hinter der mitleiderregenden Immobilität des Bundeskanzlers stecken jene rechten politischen Kräfte in der Union, vor deren gefährlichem nationalem Starrsinn und verhängnisvoller internationaler Borniertheit wir Sozialdemokraten schon immer gewarnt haben.
Viele der jüngsten öffentlichen Erklärungen aus diesem Kreis erinnern in gefährlicher Weise an das Verhalten der CDU in den 60er Jahren, als sich die damalige Bundesregierung am Ende des Kalten Krieges der beginnenden Kooperation der Weltmächte durch das unrealistische Insistieren auf dem Vorrang der Wiedervereinigungspolitik widersetzte, und sie erinnern auch an die blanke Obstruktion, mit der die CDU die deutsche Entspannungspolitik zu blockieren versuchte, die sie dann allerdings doch nicht aufhalten konnte.Auch heute erweisen sich diese Teile der Union im Grunde genommen als Kräfte des Kalten Krieges,
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Stobbedenen die ganze sich jetzt abzeichnende Richtung eben einfach nicht paßt. Sie wollen nicht Ost-West-Kooperation.
— Herr Rühe hat sich in dem Sinne auch geäußert. Ich denke an seine Mission nach Washington.
Sie wollen nicht Ost-West-Kooperation, Sie wollen nicht Ost-West-Interessenausgleich, Sie wollen nicht Entspannung, gemeinsame Sicherheit, strukturelle Nichtangriffsfähigkeit der beiden Bündnisse; im Grunde genommen wollen Sie nicht Abrüstung, nein, Sie wollen betonten Systemgegensatz und die Aufrechterhaltung von Feindbildern. Die Option für eigene Auf- bzw. Nachrüstung ist Ihnen offensichtlich wichtiger als die Abrüstung, wie sie jetzt erreichbar ist.
Die Argumente, die gegen die doppelte Null-Lösung vorgebracht werden, erweisen sich als durchweg haltlos. Wir werden im Verlauf der Debatte darauf noch im einzelnen eingehen. Zu den neuen Bedingungen, an welche die doppelte Null-Lösung nach Auffassung dieser Kreise in der Union nunmehr geknüpft werden soll, kann man sagen: Die CDU soll endlich für ein eigenes durchdachtes Konzept sorgen, wie die konventionelle Stabilität in Europa erreicht werden kann. Sie hat nicht vorgedacht, und in der Perspektive hat sie nichts vorzuweisen.
Die Bundesregierung könnte, wenn sie wollte, auf das zurückgreifen, was die SPD zu diesem Thema vorgelegt hat: Die chemiewaffenfreie Zone, der nuklear-waffenfreie Korridor beispielsweise passen genau in das Bild einer sich abzeichnenden Ost-West-Verhandlung über konventionelle Stabilität. Genauso passen die Vorschläge für eine Umrüstung beider Bündnisse auf strukturelle Nichtangriffsfähigkeit, genauso paßt die große Idee der Sicherheitspartnerschaft zwischen den beiden Bündnissen.Es geht doch darum, daß die Bundesregierung im Interesse der Abrüstung, und das heißt, im Interesse der Menschen in Europa, initiativ wird, statt sich durch internen Streit handlungsunfähig zu machen und damit international zu isolieren. Die Bundesrepublik Deutschland kann sich eine Regierung des Zögerns, des Zauderns und des Blockierens in Sachen Abrüstung wirklich nicht leisten.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hamm-Brücher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Aktuelle Stunde gibt Gelegenheit, eine Zwischenbilanz der Prüfungsphase zu ziehen, wie wir sie anläßlich der letzten Aussprache zur Regierungserklärung vereinbart haben. Die FDP wird sich dabei weder durch aufgeregte Störmanöver noch durch irritierende Vorschläge von ihrem klaren Kurs abbringen lassen.
Seit der letzten Debatte müssen für eine Zwischenbilanz folgende Sachverhalte berücksichtigt werden: die Neunpunkteerklärung des Bundeskanzlers am Freitag vor den Landtagswahlen, der Besuch des Außenministers in Washington, die Sitzung der NATO-Verteidigungsminister in Stavanger und die deutsch-französischen Konsultationen, die zur Zeit noch stattfinden. Unter Berücksichtigung dieser Ergebnisse möchte ich für die FDP noch einmal zusammengefaßt bekräftigen, was der Fraktionsvorsitzende Wolfgang Mischnick am 7. Mai gesagt hat:Erstens. Die FDP unterstützt die amerikansiche Position für einen INF-Vertrag mit folgenden Schwerpunkten: Die weltweite Gültigkeit für die doppelte Null-Lösung — sehr wichtig, meine Damen und Herren —, keine Einbeziehung und Berücksichtigung sogenannter Drittstaatensysteme. Raketen mit der Reichweite von 500 bis 1 000 km, SRINF, müssen Teil des INF-Abkommens sein. Das ist die Konsequenz aus den Erfahrungen mit den SALT-Abkommen. Andernfalls würde nämlich die Ratifizierung im amerikanischen Kongreß Schwierigkeiten bereiten.
Zweitens. Die FDP bekräftigt die Notwendigkeit des europäischen Schulterschlusses, wie sie sich klar in Stavanger abgezeichnet hat.
Keine Isolierung für unsere deutschen Sicherheitsinteressen, gilt als erstes Gebot, keine Singularisierung, sprich: kein Sonderweg.Drittens. Keine Belastung der derzeitigen Verhandlungen. Die nahe greifbaren Ergebnisse, meine Damen und Herren, dürfen nicht mit zusätzlichen Bedingungen und Junktims befrachtet werden.
Ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Kollege Rühe, daß Sie dies heute nicht neuerlich wiederholt haben. Wir müssen aber immer wieder — auch da kriege ich hoffentlich Beifall von der Opposition —
auf die große Bedeutung von Anschlußverhandlungen in den bekannten Abrüstungsbereichen hinweisen.
Viertens. Für unser Land bedeutet nach Überzeugung der FDP eine doppelte Null-Lösung keine Sonderbedrohung, Herr Kollege Rühe. Es werden keine Zonen minderer Sicherheit geschaffen.
Die Amerikaner versichern wieder und wieder, daß der atomare Schutz voll gewährleistet ist. Die Anwesenheit von 300 000 amerikanischen Soldaten sollte uns wirklich hier die Sorge nehmen, daß wir einer minderen Sicherheit ausgesetzt seien.
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Frau Dr. Hamm-BrücherIch bin Ihnen auch sehr dankbar, Herr Kollege Rühe, für Ihre Anfangserklärung, die wir mit Befriedigung zur Kenntnis genommen haben. Ich brauche darauf nicht näher einzugehen; denn die FDP bekennt sich zur Bindung im Grundgesetz, verdeutlicht im Brief zur deutschen Einheit, daß es darauf ankommt, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken — da sind wir ja nun hoffentlich auf dem richtigen Wege — , der es uns ermöglicht, in freier Selbstbestimmung dann die deutsche Frage zu lösen.Aber einen kleinen Seitenhieb kann ich mir als altgediente Parlamentarierin dann doch nicht verkneifen: Vorsicht bei kühnen Vorschlägen, Herr Kollege Friedmann! Ähnlich wie beim Doppelbeschluß könnten Sie eines Tages hier auch beim Worte genommen werden.
Bis zum Besuch des amerikanischen Präsidenten in Berlin am 12. Juni und der NATO-Konferenz in Reykjavik muß der Nachdenk- und Entscheidungsprozeß abgeschlossen sein. Ich glaube, wir sind auf gutem Wege. Der Prozeß war, meine Kollegen von der SPD, kein Zeichen der Schwäche oder des Chaos, eher ein Zeichen der Stärke und der Offenheit, die einer demokratischen Koalitionsregierung eigentlich zur Ehre gereicht.
Meine Damen und Herren, ein Schlußgedanke: In diesen Maitagen erinnern wir uns des Waffenstillstandes in Europa vor 42 Jahren. An diese historische Dimension zu erinnern ist eigentlich kein Schade. Seither haben die Waffen in Europa gottlob geschwiegen. Aber einen Stillstand der Waffenproduktion hat es nicht gegeben. Im Gegenteil, ein fast ununterbrochener Wettlauf, der zur Vernichtungsüberüberkapazität geführt hat, überschattet die lange Friedenszeit. Und die Sorgen und Ängste der Bürger sind berechtigt. Hier kann der Anfang für eine rückläufige Entwicklung gemacht werden. Das ist der Erfolg unserer Politik. Ja, meine Damen und Herren, die doppelte Null-Lösung ist ein Stein des Anstoßes, aber nicht im Sinne des Hindernisses, des Obstakels, sondern sie ist der Grundstein für ein zwar kompliziertes Abrüstungsgebilde, das aber den Frieden in Europa sichern kann. Dazu können und dazu wollen wir, glaube ich, alle gemeinsam beitragen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lippelt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Außenminister hat neulich sinngemäß mal gesagt, er betrachte Waffensysteme immer nur unter dem Aspekt: Was tragen sie zur Kriegsverhütung bei? Hier liegt genau der Punkt, an dem die Friedensbewegung, an dem wir GRÜNEN in der Nachrüstungsdebatte Widerspruch angemeldet haben. Denn wir können und wollen nicht von der physischen Realität der uns bedrohenden Overkill-Potentiale absehen. Im gegenwärtigenAugenblick erleben wir allerdings möglicherweise eine historische Gelegenheit, der Menschheit die Angst zu nehmen. Wie erleben wir in diesem Moment die Bundesregierung? Wir erleben sie zerstritten, und mit Ausnahme des Außenministers ist sie diesem Moment anscheinend nicht gewachsen.Fünf Punkte:Erstens. Da will die Sowjetunion 130 Raketen dreingeben, offensichtlich um die Verhandlungen im Bereich der längeren Reichweite der Mittelstreckenraketen voranzubringen. Was erleben wir? Wir erleben Zögern. Herr Rühe, ich habe Ihnen heute sehr gut zugehört. Ich denke, die Position wandelt sich bei Ihnen, aber trotzdem bin ich noch nicht ganz damit klargekommen.
Der Verdacht ist doch nicht von der Hand zu weisen, daß hinter Ihrem Zögern ursprünglich die Überlegung stand, sich eine Option für Nachrüstung in diesem Bereich offenzuhalten, wenn denn die Abrüstung im oberen Bereich käme.Zweitens. Immer ist die Rede von der Unterlegenheit im Kurzstreckenraketenbereich. Ich möchte hier einmal wirklich diskutieren, wieviel Overkill-Kapazität für die NATO in diesem Bereich, der uns in Deutschland direkt betrifft, immer noch übrigbleibt und immer noch übrig ist. Das ist doch der Punkt.Drittens. Wir erleben ein Angstschüren durch den Hinweis auf die große Überlegenheit im konventionellen Bereich. Nun möchte ich von Ihnen mal eine Stellungnahme zu dem Buch von John R. Deane haben, der immerhin drei Jahre Verhandlungsleiter der Amerikaner bei den MBFR-Verhandlungen war und der sagt: Wir können nur das, was an Angriffsdivisionen zur Verfügung steht, vergleichen, und das steht im Verhältnis 33 : 24, und die Divisionen sind in sich nicht vergleichbar. Dazu möchte ich gern eine Stellungnahme haben, damit diese Angstmacherei aufhört.Viertens. Wenn Sie die Furcht in diesem Bereich umtreibt, warum greifen Sie dann nicht die Anregungen des Jaruzelski-Plans auf? Herr Rühe, Sie haben — das fand ich sehr interessant — gesagt: Wir wollen mit der Sowjetunion verhandeln, und die Interessen der kleinen Staaten muß man berücksichtigen. Im Grunde sind Sie darauf fixiert, gewissermaßen besser als die USA zu sein und Interessen dieses Raumes nicht wahrzunehmen. Sonst greifen Sie die Jaruzelski-Anregung auf! Dann kommen Sie nämlich auch in diesem Bereich zu einer Lösung. Aber das wird beiseite getan.Ich will mit einem letzten Satz enden: Wehe, wenn die Bundesregierung diesen Moment verpaßt! Ihnen würde eine Friedensbewegung ins Haus stehen, die weit in die Wählerschaft der CDU hineingehen würde, und die würde Sie wegfegen und dahin befördern, wohin Sie dann gehören würden, nämlich ins Vergessen.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Geiger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Für uns ... ist weder Abrüstung noch Rüstungskontrolle Selbstzweck. Sie haben Mittel zu sein, dazu beizutragen, den Frieden sicherer zu machen.
Unkontrollierte Abrüstung schafft Verunsicherung und Mißtrauen, verkehrt den Sinn friedenssichernder Politik, indem sie Spannung erzeugt, statt Entspannung herzustellen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das habe nicht ich formuliert, diese Worte stammen von einem Sozialdemokraten, von einem Kollegen von Ihnen, Herr Stobbe, von Peter Männing, der dies am 8. Mai 1981 im Deutschen Bundestag gesagt hat. Aber der ehemalige Berliner Kollege ist bei der SPD inzwischen genauso in der Versenkung verschwunden wie die Sicherheitspolitik des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt.
Vielleicht ist die SPD-Fraktionsspitze deshalb dieser Debatte fast geschlossen ferngeblieben.
Die SPD hat Kanzler Schmidt — —
Einen Augenblick, Frau Abgeordnete Geiger! Meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, ich habe mitgeteilt, daß der deutsch-französische Gipfel im Augenblick im Gange ist und daß deshalb weder der Bundeskanzler noch der Außenminister noch der Verteidigungsminister dasein können.
— Frau Kollegin Fuchs, ich bitte, das nicht nachträglich zu monieren.
Die SPD hat Kanzler Schmidt in Sicherheitsfragen die Gefolgschaft verweigert. Für die SPD ist Abrüstung heute Selbstzweck. Heute will die SPD Abrüstung ohne Wenn und Aber.
Wir, die CDU und CSU, wollen Abrüstung. Aber wir wollen Abrüstung, die unserem Land mehr statt weniger Sicherheit bringt. Abrüstung, die unsere Sicherheit erhöht, muß vor allem bei den Waffensystemen ansetzen, die uns unmittelbar bedrohen. Das sind neben den Mittelstreckenraketen größerer und kürzerer Reichweite besonders die nuklearen Kurzstrekkenwaffen. Das sind die chemischen Waffen genauso wie die sowjetischen Panzerarmeen, die uns mit ihren Begleitwaffen in mehrfacher Überlegenheit gegenüberstehen.
Wir wollen die Zahl aller heute vorhandenen Nuklearwaffen reduzieren,
besonders diejenigen, deren Ziele allein auf deutschem Gebiet liegen.Die Raketen kurzer Reichweite können nur in Deutschland stationiert und, von einigen Randgebieten abgesehen, nur in Deutschland zum Einsatz gebracht werden. Eine Lösung, bei der in einem Krisenfall ausschließlich Deutschland betroffen wäre, dürfen und wollen wir nicht akzeptieren.
Wir haben bewiesen, daß sich Standfestigkeit und Konsequenz in der Abrüstungsfrage auszahlen. Nur weil die Bundesregierung eben an beiden Teilen des NATO-Doppelbeschlusses, am Verhandlungsteil und am Nachrüstungsteil, unbeirrt festgehalten hat, ist die Abschaffung der weiterreichenden Mittelstreckenraketen in Europa heute in Reichweite gerückt. Was SPD und GRÜNE mit ihrer Abrüstungsstrategie verhindert hätten, wird zum erstenmal gelingen: Eine ganze Waffenkategorie wird aus Europa verschwinden. Wären wir damals — wie Herr Vogel das heute fordert — ohne Wenn und Aber auf sowjetische Vorschläge eingegangen, hätten wir diesen Abrüstungserfolg nie erreichen können.
Wir wollen Abrüstung. Die Abrüstung muß jedoch in der richtigen Reihenfolge kommen. Es muß für einen potentiellen Gegner immer ein Risiko bleiben, uns anzugreifen. Nur wenn das gewährleistet bleibt, nur wenn wir vor politischem und militärischem Druck geschützt bleiben, gibt es Raum für einen weiteren Ausbau der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Osten.Das Thema Abrüstung, das wir nun seit Wochen und Monaten heiß diskutieren, darf nicht die Themen verdrängen, die für die Gestaltung des Ost-West-Verhältnisses genauso wichtig sind. Die Spannungen in der Welt gibt es ja nicht deshalb, weil es Waffen gibt, sondern die Waffen sind Ausdruck der Spannungen. Deshalb müssen wir die Ursachen der Spannungen abbauen.
Spannungen können beseitigt werden, wenn Menschenrechte gewährleistet werden. Vor einem Nachbarn, der seinen Bürgern fundamentale Menschenrechte vorenthält, fühlt man sich nicht sicher. Die Ein-
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Frau Geigerhaltung der Menschenrechte ist ein Gradmesser der Friedfertigkeit eines Staates.
Friede kann nur in Freiheit bestehen, hat Ernst Reuter gesagt.
Wichtig sind aber auch die Fragen der wirtschaftlichen und technologischen Zusammenarbeit zwischen Ost und West. Verträge zwischen Ost und West dürfen nicht auf die Abrüstung beschränkt bleiben. Vertrauensbildende Maßnahmen sind vor allem bei der wirtschaftlichen und technologischen Zusammenarbeit denkbar, auch im Bereich der Medien. Umweltschutzprobleme machen nicht vor Grenzen halt, wie wir seit Tschernobyl wissen. Sie müssen von Ost und West gemeinsam bewältigt werden.Wir im Westen sollten jetzt in die Offensive gehen und auch diese Dinge, die für ein friedliches Zusammenleben der Völker so wichtig sind, in Angriff nehmen und vorantreiben.Danke schön.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Fuchs .
Herr Präsident! Kein Mensch, meine Herren und Damen, versteht — das habe ich in vielen Veranstaltungen lernen müssen —, warum sich die Bundesregierung mit der doppelten Null-Lösung so schwertut. Was steckt eigentlich hinter dieser Haltung?Das Grundproblem, denke ich, ist Ihr Verständnis von atomarer Abschreckung. Herr Kissinger, Herr Iklé und andere haben uns mehr oder weniger offen gesagt, daß mit dem Wegfall der nuklearstrategischen Überlegenheit der USA die wichtigste Voraussetzung der NATO-Strategie entfallen ist, nämlich strategische Atomwaffen der USA auch wirklich einsetzen zu können. In der Tat, das wäre der Selbstmord der USA.Auch die Bundesregierung weiß das. Herr Rühl hat das in einem „FAZ"-Artikel in die Worte gefaßt, daß zusammen mit der Bereitschaft der Vereinigten Staaten zur nuklearen „Drohung" auch die Bündnisstrategie der flexiblen Erwiderung systematisch „in Zweifel gezogen" würde.In einer solchen Lage kann man dann zweierlei tun: entweder die atomare Abschreckung repolitisieren, um sie langfristig zu überwinden — das will die SPD — , oder man kann sich, wie Herr Rühl sagt, an die „ Wiederherstellung der Wirksamkeit der westlichen Nuklearstrategie" machen. Das bedeutet aber, daß Abschreckung flexibler werden muß und daß neue Kriegsführungsoptionen aufgebaut werden müssen. Sonst wäre Abschreckung ja nicht glaubwürdig.Für Europa erfordert das auch Mittelstreckenwaffen, denn nur sie erreichen, wie uns Herr Dregger lehrt, die Sowjetunion, und zusätzlich eine europäische Raketenabwehr. Wird nun aus dem Gebäude von Gefechtsfeldwaffen, Mittelstreckenraketen und der immer noch geplanten europäischen Raketenabwehr ein Baustein, nämlich die Mittelstreckenraketen, herausgelöst, gerät nach konservativer Logik der ganze Rest ins Wanken.Bemerkenswert finde ich in diesem Zusammenhang Herrn Dreggers Äußerung: „Je kürzer die Reichweiten, desto deutscher die Zerstörung." Dies, meine Herren und Damen, war doch schon immer so und nicht erst jetzt, wo die Mittelstreckenraketen wegkommen sollen.
Die SPD hat schon immer die besondere Gefahr der atomaren Gefechtsfeldwaffen, Herr Rühe, für unsere Bevölkerung betont und gerade deswegen den atomwaffenfreien Korridor vorgeschlagen. Dabei bleiben wir, und wir wollen auch weitergehen.
Die Frage ist doch: Warum fällt der Union erst heute ein, die Gefechtswaffen weghaben zu wollen, wo sie bisher gerade in diesem Bereich mit noch moderneren Atomwaffen, mit neuen Lance- und neuen LASOMRaketen, die sich alle im Bundeswehrplan 1987 befinden, aufrüsten will. Nach Ihren neuesten Erkenntnissen, Herr Rühe und Herr Dregger, erwarte ich um so mehr, daß diese Passagen im Bundeswehrplan 1988 nicht mehr auftauchen werden.Warum sind diese Kurzstreckenraketen auf einmal ein Problem für Sie? Die Antwort lautet, denke ich: Weil die Mittelstreckenraketen wegkommen sollen und weil dann jene abstruse Theorie der atomaren Eskalationsleiter, in der keine Sprosse fehlen darf, in sich zusammenbricht. Deswegen wird jetzt in Brüssel bei der NATO intensiv über sogenannte kompensatorische Maßnahmen nachgedacht, z. B. über mit Cruise Missile ausgerüstete F-111-Bomber.
— Wir sind nicht für diese Nachrüstung. Deswegen wird jetzt auch darüber nachgedacht, wie Abrüstung in einem Bereich mit Aufrüstung in einem anderen kompensiert werden kann.
Für Herrn Wörner wird es natürlich immer schwieriger, seine Euroraketenabwehr zu begründen, je weniger sowjetische Raketen da sind.
Die Unionsparteien haben die Mittelstreckenwaffen nicht nur zum Eckpfeiler ihrer Militärphilosophie hochstilisiert, sondern sie haben diese Raketen auch zum Symbol für die amerikanische Bündnisstrategie gemacht. Wie groß muß Ihr Mißtrauen doch sein, wenn Ihnen 300 000 amerikanischen Soldaten zur Ankoppelung nicht genügen, wenn Sie meinen, dazu bedürfe es Atomraketen?
Ich will hier nicht von Antiamerikanismus reden; denken Sie aber einmal darüber nach.
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878 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Mai 1987
Frau Fuchs
Ihr sicherheitspolitisches Denken ist nicht nur militarisiert, es ist atomwaffenfixiert. CDU und CSU können sich Sicherheit ohne Atomwaffen, ohne militärische Stärke nicht mehr vorstellen. Damit sind sie weit hinter dem Denken der Mehrheit der Bevölkerung zurückgeblieben.
Marion Gräfin Dönhoff hat in der „Zeit" vom 8. Mai 1987 beschrieben, worauf es heute ankommt. Sie sagt:In der neuen Phase, die nun anbricht, weil in Moskau ein neues Denken eingezogen ist und weil alle eingesehen haben, daß die bisherige Politik ökonomisch nicht länger zu rechtfertigen ist, hängen Macht und Stärke einer Nation nicht mehr vom militärischen Potential ab, sondern von ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und ihrer politischen Kreativität.Daraus muß unser Handeln abgeleitet werden, wenn Europa eine Zukunft haben will. Wenn Sie den Anschluß noch gewinnen wollen, müssen Sie sich allerdings beeilen. Als ersten Schritt schlage ich vor, vorbehaltlos zur doppelten Null-Lösung ja zu sagen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einige kurze Bemerkungen zu den bisherigen Beiträgen.
Ich bin sehr froh darüber, daß über einige Punkte weitgehende Übereinstimmung zu herrschen scheint, a) daß wir den Erfolg, der möglich erscheint, nutzen wollen, b) daß damit die Verhandlungen über Abrüstung nicht abgeschlossen sind, c) daß jede Chance auch unter Wahrung der eigenen Interessen genutzt werden muß. Das ist erfreulicherweise eine Übereinstimmende Feststellung.
Wenn nun der Kollege Stobbe davon sprach, die FDP reibe sich die Hände, dann klingt das ein bißchen so, als hätten wir Freude daran, jemand anders irgendwo hereingelegt zu haben. Völliger Irrtum. Wir freuen uns über die Unterstützung für die Auffassung, die wir haben, weil wir sie für richtig halten. Wenn das breit unterstützt wird, ist das um so besser, wenn es zu weiteren Erkenntnissen führt, ist das auch erfreulich, wenn das Ergebnis dann entsprechend ist, ist das das Allererfreulichste.
Sie haben nun davon gesprochen, der Bundeskanzler blockiere. Das ist ein völliger Irrtum. Sie können von Ihrem Standort sagen: Das geht nicht schnell genug, hier wird gezaudert, hier hätte man schneller entscheiden sollen. Aber daß eine Entscheidung blokkiert wird, ist absolut falsch. Wenn man die neun Punkte, die er erklärt hat, durchliest, sieht man, daß die Überlegungen, die dort dargelegt worden sind, zu Weiterentwicklungen führen sollen.
Natürlich wollen wir in allen Bereichen Abrüstung. Dabei spielt die völlige Beseitigung der chemischen Waffen eine ganz entscheidende Rolle, wobei die
Verifikationsfrage hier von großer Bedeutung ist. Denn Raketen lassen sich relativ leicht überwachen, chemische Waffen lassen sich nur sehr schwer überwachen. Hier müssen wir erwarten, daß die sowjetische Seite sich bei der Verifikation bewegt.
Natürlich wollen wir bei den Raketen unter 500 Kilometer Reichweite und bei den konventionellen Waffen ebenfalls Verhandlungen, allerdings nicht als Junktim, sondern parallel zu dem, was heute geschieht.
Wenn man alles zusammenfaßt, kommt man meiner Überzeugung nach zu vier kurzen Punkten: Erstens. Es war, es ist und es bleibt richtig, den Entscheidungsprozeß bei uns reifen zu lassen. Das hat den Vorteil, daß die Konsensmöglichkeit größer wird. Zweitens. Jeder Schritt zu mehr Abrüstung ist ein Stück mehr Vertrauensbildung. Drittens. Mehr Vertrauensbildung hilft, die Teilung Europas zu überwinden. Viertens. Die Überwindung der Teilung Europas bedeutet auch, die deutsche Frage eines Tages möglicherweise lösen zu können. Das ist die Kurzfassung dessen, was wir wollen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Breuer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war für mich sehr eindrucksvoll, als Frau Kollegin Hamm-Brücher vorhin in ihrem Redebeitrag darstellte, wie sich die Entwicklung in der Frage der Rüstungspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg insbesondere hier in Europa vollzogen hat. Wenn man weiß, daß die Berge von Rüstung seit 1945 in Europa nur gewachsen sind, ist es um so wichtiger, festzustellen, daß die Bemühungen eines ganzen Jahrzehnts, ausgehend von den 70er Jahren bis heute, nun gekrönt werden können, belohnt werden können, durch die hohe Wahrscheinlichkeit der Abrüstung bei den Mittelstreckenwaffen längerer Reichweite.
Ich halte es für notwendig, daß Sie, meine Damen und Herren bei der SPD, bei dieser Fragestellung einmal selbstkritisch bestimmen, welche Positionen Sie in diesem Prozeß eingenommen haben.
— Ihre Nervosität beweist, daß wir dem Nervus rerum näherkommen.
Sie haben sich vor der Geschichte zu verantworten, welche Position Sie dort eingenommen haben. Ich will gar nicht Ihre unkluge Haltung gegenüber dem ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt beschreiben. Sie haben vorhin bei der Rede des Kollegen Rühe in Zwischenrufen gesagt, er solle, was Ihre Position im letzten Jahr angehe, bei der Wahrheit bleiben. Ich
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Mai 1987 879
Breuerhabe den Beschluß Ihres Parteivorstandes vom 28. April 1986 dabei.
— Entschuldigung, es ist Ihr Parteivorstand und Ihr Beschluß.
Auf der Seite 9 steht, verehrte Kollegen von der SPD:In Einklang mit dem Beschluß des Essener Parteitages fordert die SPD von den USA einen Aufstellungsstopp und die Rücknahme der Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles und — zweitens — von der UdSSR den unverzüglichen Abbau der im Gegenzug in der DDR und der CSSR aufgestellten Raketen sowie eine drastische Verminderung der SS 20 auf einen Stand von 1979.
— „Von" . Ich kann noch lesen; Sie können das nachvollziehen: „von 1979".
Daß Sie heute lieber „vor 1979" hätten, kann ich gut verstehen.
Wenn Sie uns hier auffordern, wir sollten bei der Wahrheit bleiben, dann würde ich Sie auffordern, das erst einmal selbst zu vollziehen.
Meine Damen und Herren, dieser Erfolg ist der Erfolg — das ist eindeutig — dieser Koalition von CDU/CSU und FDP. Wir werden uns — obwohl das der Hauptauftrag Ihrer Redner heute ist — überhaupt nicht verwirren lassen. Das ganze Schauspiel der letzten Monate und dieser Tage geht nur darum, daß Sie Ihre sicherheitspolitische, ihre abrüstungspolitische Kompetenz wiedergewinnen wollen, die Sie verloren haben.
Darum geht es, um nichts anderes.Deswegen bin ich fest davon überzeugt, daß diejenigen — nämlich wir — , die in den letzten Jahren die richtige Sicherheitspolitik, die richtige Abrüstungspolitik gemacht haben,
auch in dieser Phase die richtige Abrüstungspolitik betreiben.
Ich möchte mit einem Zitat eines deutschen Journalisten schließen. Er schrieb vor 155 Jahren:Der einzige Weg, mit einer Macht wie Rußland zu verhandeln, ist die Politik der Furchtlosigkeit.Dieser Deutsche Journalist hieß Karl Marx.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Soell.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zwei kurze Vorbemerkungen. Herr Breuer, wenn man zitiert, sollte man immer den letzten Stand der Dokumente zitieren.
Sonst könnten wir aus den Zettelkästen alte Zitate der Jahre 1980/81 nehmen, wo von den Herren Kohl und Strauß gegenüber der Null-Lösung große Skepsis geäußert worden ist. Wenn man sich die alten Zitate um die Ohren haut, kommt man sicherlich nicht weiter.
— Herr Rühe, wenn Sie gerade dazwischenrufen: Wir haben heute wieder erlebt,
wie Sie, der Sie den Ehrgeiz hatten, eine Art christdemokratischer Herbert Wehner zu sein —
in der Rede vom 30. Juni 1960 hat Herbert Wehner bestimmte weltpolitische Bedingungen so verarbeitet, daß die SPD daraus ihre neuen Vorstellungen entwikkelt hat — , noch nicht einmal ein Wehnerlein geworden sind. Heute haben Sie erneut dokumentiert, daß Sie nicht in der Lage sind, eine realistische Haltung zu der Friedens- und Entspannungspolitik, die wir seit den 70er Jahren entwickelt haben, zu gestalten. Es ist doch unbestreitbar, Herr Rühe, daß Sie mit Begriffen wie Brandmauer — Orwell hätte gesagt: Neusprach — ihre tiefe Konfusion überdecken.
Wenn Sie die internationalen Stimmen gerade in den westlichen Ländern über deutsche Alleingänge, Isolierung der Bundesregierung, über den deutschen Sonderweg hören,
dann wird deutlich, daß sich gerade die internationalen Kommentare noch sehr zurückhaltend gegenüber Ihren Bocksprüngen und gedanklichen Purzelbäumen in den letzten Monaten, was die Null-Lösung angeht, äußern. Insbesondere der Vorwurf, den ja auch Herr Dregger erhoben hat, die Bundesrepublik gerate durch die doppelte Null-Lösung in eine Zone minderer Sicherheit, werde gar singularisiert, ist an den Haaren herbeigezogen, weil er nämlich außer
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880 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Mai 1987
Dr. Soellacht läßt — und dies ist kritisch vor allem bei unseren westeuropäischen Nachbarn vermerkt worden — , daß auch die Benelux-Länder und Dänemark sowie selbst Teile Frankreichs im Reichweitenbann der Raketen unter 500 km liegen und daß außerdem auf westlicher Seite nach wie vor in diesem Bereich see- und luftgestützt Hunderte von Raketensystemen und -spreng-köpfen vorhanden sind.Es ist aber nicht nur die Konfusion innerhalb der Bundesregierung, die ein sich verstärkendes kritisches westliches Echo hervorruft.
Es wird von den Vertretern der Bundesregierung auch systematisch Mißtrauen gesät. Dafür kurz zwei Beispiele:Vor zwei Tagen erschien in der französischen Zeitung „Le Monde" ein Artikel des Abgeordneten Alphandéry aus der dortigen Regierungsmehrheit, der sich mit dem deutsch-französischen Verhältnis und der Null-Lösung beschäftigt. Er beschwört dort die Gefahren einer Null-Lösung, kombiniert mit einem sowjetischen Wiedervereinigungsangebot, und zitiert Helmut Kohl,
der sich François Mitterrand mit einem gewissen Pessimismus auf folgende Weise anvertraut haben soll — ich zitiere jetzt —: „Ich" „bin der letzte der Kanzler, der gegen die Wiedervereinigung Widerstand leistet".
Wie reimt sich eine solche Äußerung mit öffentlichen Forderungen aus dem gleichen Regierungslager und mit Aufträgen von Herrn Dregger an Herrn Friedmann zusammen, die Lösung der Abrüstungsprobleme direkt mit der Wiedervereinigungsfrage zu verbinden?
Müssen solche eklatanten Widersprüche nicht das Mißtrauen steigern?
— Ich frage ja, ob dieses Zitat richtig ist.
In Paris so und hier ganz anders zu sprechen, ist eben etwas, was Mißtrauen sät.
Ein zweites Beispiel für die enormen Widersprüche innerhalb der Bundesregierung, die nach innen und außen Mißtrauen sät, ist die nur mühsam verschleierte Tatsache, daß der uralte Streit der zwei strategischen Schulen wieder ausgebrochen ist: auf der einen Seite die Gleichgewichts- und Rüstungskontrollschule — aus dieser Logik sind der Doppelbeschluß und auch die Null-Lösung entwickelt worden — , auf der anderen Seite die Schule der Vertreter der aus Überlegenheit geborenen Eskalationsdominanz, Herr Wörner ist Anhänger der zuletzt genannten Schule. Es ist eine Strategie des Als-ob: als ob nicht alle Eingeweihten wüßten, daß sich beim ersten atomaren Schuß die Lage in Europa von Grund auf ändert. Das ist etwas, was auch Helmut Schmidt, der ja von Ihnen sonst reichlich zitiert wird, erneut betont hat. Diese Eskalationsfiktion, der Herr Wörner seit vielen Jahren nachjagt, neuerdings unterstützt von Herrn Feldmeyer von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung", nährt den Verdacht, daß die NATO strukturell zur Abrüstung unfähig ist. Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien sollten alles tun, um diesen Verdacht auszuräumen. Denn wenn er sich fortfrißt, wird es zu einem Prozeß der Delegitimierung bundesdeutscher und westlicher Sicherheitspolitik kommen, der alles bisher Erlebte in den Schatten stellt. Ich warne davor.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lowack.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind zweifellos in einer besonderen historischen Situation. Das wird leider von den Damen und Herren der GRÜNEN mißverstanden, die meinen, wir seien in einer besonderen hysterischen Situation.
Aber die Zeiten sind vorbei, in denen man versucht hat, uns mit Kassetten mit dem Szenario eines Atomkriegs davon abzuhalten, wichtige politische Entscheidungen zu treffen, auch mit Mahnwachen und was sich sonst alles damals bei der Diskussion um den Nachrüstungsbeschluß abgespielt hat.
Gerade der Nachrüstungsbeschluß, den wir erkämpft haben,
ist die Grundlage dafür, daß wir heute über weltweite Abrüstung diskutieren können.Wir warnen natürlich vor Euphorie. Meine sehr verehrten Kollegen, die bisherigen Angebote der Sowjets erfassen gerade 3% des gesamten atomaren Potentials. Sie erfassen nicht den konventionellen und den chemischen Bereich. Auf unserer Seite geht es darum, daß wir das technisch modernste und effizienteste atomare Potential aufgeben, daß einen konventionell und taktisch-nuklear gegen Deutschland vorgetragenen Angriff verhindern könnte.Wir sehen die große Chance, die in den laufenden Verhandlungen liegt. Aber sie gefährdeten unsere Sicherheit in unverantwortlicher Weise, würden sie nicht auf alle atomaren, konventionellen und chemischen Systeme erstreckt, wären sie nicht ein Anfang für den Abbau von Spannungen, die durch eine offensive und aggressive, mit überlegenen Mitteln ausgestattete sowjetische Militärdoktrin und -strategie begründet sind.
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LowackDaß die GRÜNEN in geradezu kriecherischer Unterwürfigkeit
— das muß auch einmal offen gesagt werden — jederzeit bereit sind, rote Teppiche vor sowjetischen Parteistrategen auszurollen
— ich weiß ja, Sie sind zwischendurch immer wieder sehr ehrenwert — , erweckt allmählich nur noch unser Mitleid.
— Danke schön. — Es ist erstaunlich, wie Sie schon immer vordenken, was sowjetische Führer dann später als ihr Konzept vorlegen.Daß die SPD — und das möchte ich auch einmal klargestellt haben — den Sowjets eine Überrüstung noch dort zugesteht, wo die Sowjetunion selbst nicht mehr darauf besteht, disqualifiziert sie eigentlich für diese Debatte. Ich verstehe natürlich Ihre Taktik, meine Damen und Herren von der SPD: Nachdem Sie sich auf Ihrem Parteitag vorschnell festgelegt haben und von Gorbatschows Offerten regelrecht überrollt worden sind
und sich insoweit etwas lächerlich gemacht haben, versuchen Sie nun, uns zu vorschnellen Entscheidungen zu bringen, damit wir in der gleichen Situation sind.
— Nur, sehr verehrter Herr Kollege Stobbe: Wir werden die Fehler der SPD nicht wiederholen. Die können Sie sich in der Opposition leisten, aber nicht wir in der Regierungsverantwortung. Für die Gewissenhaften unter Ihnen mag das vielleicht sogar ein Trost sein.Meine sehr verehrten Kollegen, mit dem Abbau und Abzug der Mittelstreckensysteme längerer Reichweite aus Europa geben wir ein Pfand unserer Sicherheit und der Verklammerung unseres wichtigsten Verbündeten, der Vereinigten Staaten von Amerika, mit Europa auf.
Damit setzen wir großes Vertrauen nicht nur in die Sowjetunion, sondern besonders auch in die Vereinigten Staaten von Amerika. Wir werden das den USA klarmachen müssen.
Nicht nur Deutschland, unsere gemeinsame Freiheit muß in Europa verteidigt werden können.Unser Vertrauen muß durch eine umfassende und vollständige Verifikation und durch weitere Maßnahmen — in erster Linie auf sowjetischer Seite — abgestützt werden, die dieses Vertrauen rechtfertigen. Am Ende einer Abrüstung im Mittelstreckenbereich muß stehen: Es darf keine Minderung der Sicherheit geben, es darf keine Sonderbedrohung Deutschlands geben, es darf keine Überlegenheit im Bereich der konventionellen Rüstung geben, die chemischen Waffen müssen weltweit beseitigt werden. Wir wollen keine kurzfristigen oder kurzsichtigen Erfolge, wir wollen Sicherheit und Freiheit auf Dauer.Danke schön.
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes. Bitte.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat angekündigt, daß er am 4. Juni, also in der nächsten Sitzungswoche des Hohen Hauses, eine Regierungserklärung zu den Fragen, die auch Gegenstand dieser Aktuellen Stunde sind, abgeben möchte.
Der Präsident hat ja mitgeteilt, daß sich der Herr Bundeskanzler mit vielen Kollegen zu deutsch-französischen Konsultationen in Paris befindet.
Herr Kollege Soell, ich habe mich lediglich wegen Ihres Zitates zu Wort gemeldet. Ich habe dabei einen Moment gezögert, weil ich mir überlegt habe, ob das Zitat, das Sie dem Bundeskanzler in den Mund gelegt haben, nicht so absurd ist, daß es gar nicht erst widerlegt werden muß.
— Herr Kollege Soell, es ist eine derartig absurde Vorstellung, daß der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, der Bundeskanzler Helmut Kohl, das gesagt haben soll, was Sie ihm in den Mund gelegt haben. Sie haben, wenn ich das richtig verstanden habe, ein Zitat aus einer ausländischen Zeitung gebracht, in der jemand dies nach dem Hörensagen— nach dem Hörensagen eines Dritten und Vierten — wiedergegeben haben soll.
Ich finde, Sie sollten mit solch abenteuerlichen Zitaten wirklich nicht versuchen, verleumderische Kampagnen in die Welt zu setzen.
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882 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Mai 1987
Bundesminister Dr. SchäubleDie Position der Bundesregierung, die Position des Bundeskanzlers ist völlig klar.
Unser Ziel ist die Einheit in Freiheit. Aber da wir die Realitäten, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland, in Europa und in der Welt geworden sind, natürlich kennen, wissen wir auch, daß wir für eine nicht absehbare Wegstrecke mit der Teilung Berlins, mit der Teilung unseres Vaterlandes, mit der Teilung Europas — und alle drei sind identisch — leben müssen.Es ist eine klare Politik dieser Bundesregierung, daß wir an dem Vorrang der Freiheit vor der Einheit festhalten, daß wir die Einheit nur in Freiheit wollen. Volker Rühe hat dies auch zu Beginn dieser Aktuellen Stunde noch einmal gesagt.Herr Kollege Soell, das eigentlich Bedrückende in den Fragen unserer nationalen Ziele ist, daß es in der Sozialdemokratischen Partei heute nicht mehr eine gemeinsame Position ist, daß wir an dem Ziel der Einheit in Freiheit festhalten,
und daß aus Ihrer Fraktion Überlegungen kommen, die Präambel des Grundgesetzes zu ändern.
Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler, die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien sind über jeden Zweifel erhaben, daß sie an dem Ziel der Einheit in Freiheit festhalten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Verheugen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann der Beurteilung des Kollegen Mischnick nicht zustimmen, daß sich hier Übereinstimmung ergeben hätte. Im Gegenteil: Das Bild von Unklarheit, Verworrenheit, Ausweichen, ja geradezu Chaos, das die Debatte über die Abrüstung von Mittelstreckenraketen seit Wochen bestimmt hat, hat sich auch heute hier wieder gezeigt.
— Heute, jawohl.Das wirklich Erschreckende ist, Herr Bundesminister Schäuble, nicht das, was Sie der SPD eben als Verleumdung unterzujubeln versucht haben, sondern das wirklich Erschreckende ist, daß die Regierung und die Koalition kein sicherheitspolitisches Konzept in dieser schwierigen Lage haben, überhaupt keins. Sie reden gern und viel über Abrüstung, sehr viel vor allen Dingen. Ich verweise auf die neun Punkte. Aber jetzt, vor einem möglichen Durchbruch, suchen Sie verzweifelt nach Möglichkeiten, wenigstens einen Teil der offenbar heißgeliebten Raketen auf deutschem Boden zu behalten.
Ich beziehe mich auf einen bisher nicht dementierten Bericht des „Herald Tribune" vom 19. Mai — Herr Bundesminister, jetzt können Sie gleich wiederkommen und ein Dementi abliefern — , in dem der Bundesverteidigungsminister — bisher nicht dementiert — für die Absicht der Stationierung und Modernisierung von Mittelstreckenraketen im Bereich von 500 bis 1 000 km auf deutschem Boden in Anspruch genommen wird. Konkret geht es um 40 deutsche und 40 amerikanische Pershing I B mit atomaren Sprengköpfen unter amerikanischer Verfügung, die nach der Vorstellung des Bundeskanzlers, die wir vorige Woche hier gehört haben, dann als Drittstaatensysterne zu betrachten wären. Das wirft die Frage auf, ob für die jetzige Bundesregierung der 1955 völkerrechtlich verbindlich ausgesprochene Verzicht der Bundesrepublik Deutschland auf ABC-Waffen eigentlich noch gilt und ernst genommen wird.
— Ich will Ihnen sagen, Herr Rühe: Was da innerhalb des Verteidigungsministeriums und in Ihren Reihen diskutiert wird, bedeutet, daß Sie die militärische Option einer Bedrohung Polens und der Tschechoslowakei behalten möchten, auch um den Preis, daß dann die sowjetische Bedrohung mit entsprechenden Systemen bestehenbleibt; darum geht es. Welchen Zweck soll das denn haben? Die Frage stellt sich ja gerade dann, wenn man sich bemüht, den Schnellschuß des Bundeskanzlers vom vergangenen Freitag ernst zu nehmen.Ich weiß nicht richtig, was das eigentlich ist. Der Außenminister und der Verteidigungsmini ster haben es offenbar nicht gekannt. Er hat es aber als Bundeskanzler gesagt, nicht als Wahlkämpfer und nicht als CDU-Vorsitzender. Daß er es zwei Tage vor einer Wahl gesagt hat, war natürlich Zufall. Wir nehmen das einmal als eine Richtlinienentscheidung des Bundeskanzlers.
Vielleicht tut man der Erklärung damit zu viel Ehre.Aber auf welcher Linie bewegt er sich denn eigentlich? In seiner Erklärung behauptet der Bundeskanzler, es sei ein Erfolg seiner Regierung, wenn jetzt ein Abkommen über Mittelstreckenwaffen größerer Reichweite in greifbare Nähe gerückt sei. Das Gegenteil ist richtig: Es ist der amerikanische Präsident, der gegen die Bedenken der Bundesregierung eine regionale, auf Europa bezogene Null-Lösung in Reykjavik verabredet hat. Herr Kollege Dregger wird ganz sicher bestätigen, daß er den Bundeskanzler im vergangenen Jahr geradezu bedrängt hat, dem amerikanischen Präsidenten einen Brief zu schreiben und gegen die damals diskutierte modifizierte Null-Lösung Stellung zu nehmen. Der Bundeskanzler hat es ja auch getan; dieser Brief ist geschrieben worden. Es ist versucht worden, diese modifizierte, auf Europa
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Verheugenbezogene Null-Lösung zu verhindern. Da können Sie jetzt doch nicht hingehen und sagen, daß sie jetzt möglich werde, sei ein Erfolg dieser Regierung.
Es ist eben so, daß Sie jetzt versuchen, einen eklatanten Mißerfolg Ihrer eigenen Bemühungen in einen Erfolg umzumünzen. Das ist der Gipfel der Unredlichkeit in dieser Diskussion.
Erlauben Sie mir die Frage, ob diese Meinungsverschiedenheiten des Bundeskanzlers mit dem amerikanischen Präsidenten eigentlich als Antiamerikanismus gewertet werden müßten. Jedenfalls eines drückt die Sache aus: ein abgrundtiefes Mißtrauen gegenüber der Verläßlichkeit der USA, für die Sicherheit Westeuropas zu sorgen.
Frau Kollegin Geiger, ich finde es schlimm, daß Sie hier im Deutschen Bundestag Mißtrauen gegenüber unserem amerikanischen Verbündeten säen, wie Sie das in Ihrer Rede getan haben. Das ist schlimm!
Diese Koalition nimmt die Abrüstung doch nicht ernst. Sie operieren mit Zickzackargumenten. Völlige Beliebigkeit, wie es Ihnen gerade paßt, mal so und mal so! In Wahrheit suchen Sie immer nur Argumente, um Abrüstung verhindern zu können. Nachdem Sie über Verifikation nicht mehr reden können, weil Gorbatschow Ihnen das aus der Hand geschlagen hat, erfinden Sie immer wieder neue Argumente. Es geht Ihnen nicht um Abrüstung, sondern es geht Ihnen darum, eine Politik weiterbetreiben zu können, die Atomwaffen auf europäischem und deutschem Boden auch in Zukunft möglich macht. Wer ein Lehrstück zu dem Thema „Wie verhindere ich Abrüstung?" schreiben wollte, der könnte aus den Stellungnahmen der Koalition und der Regierung aus den letzten Wochen eine Menge Stoff entnehmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lamers.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Verheugen, es ist in der Tat absolut zutreffend, daß die Bundesregierung in der Vergangenheit wie heute — und das mit der Unterstützung aller Koalitionsfraktionen — einer globalen, weltweiten Null-Lösung den Vorzug gegeben hätte. Daß das von Vorteil ist, werden Sie selber ja wohl auch nicht bestreiten.Wenn wir heute über die sogenannte doppelte Null-Lösung reden, können wir das ja nur deswegen, weil wir der einfachen Null-Lösung zum Greifen nahe gekommen sind. Nun will ich zugeben, daß die SPD auch immer für eine einfache Null-Lösung war, aber für eine einseitige, für eine solche nur auf unserer Seite. Es ist in der Tat unbestreitbar, was der KollegeBreuer hier vorgetragen hat und was Sie mit immer demselben emotionalen Aufschrei beantworten, was aber die Sache nicht aus der Welt schafft.
Ich finde — ich sage das wirklich ganz ehrlich und ohne irgendeine parteipolitische Sichtweise —,
es täte Ihrer Glaubwürdigkeit wirklich gut, wenn Sie sagen würden: Hier haben wir uns geirrt. — Das wäre wirklich besser.
Herr Kollege Stobbe, es täte Ihrer Glaubwürdigkeit auch außerordentlich gut, wenn Sie endlich einmal damit aufhören würden, davon zu reden, es müsse eine strukturelle Nichtangriffsfähigkeit beider Seiten hergestellt werden. Das heißt doch, daß auch der Westen eine solche habe.
Sagen Sie wirklich einmal: Hat er sie, oder hat er sie nicht? — Ich sage: Nein, er hat sie nicht.
Worum es geht, ist die Beseitigung der Invasionsfähigkeit des Warschauer Pakts.
Das ist der Punkt, um den es geht; es geht nicht umeine strukturelle Nichtangriffsfähigkeit des Westens.
— Herr Kollege Stobbe, wir brauchen keine Feindbilder. Ich bin gegen Feindbilder. Das ist das, was unsere heutige Welt immer weniger vertragen kann.
Das schließt aber nicht aus, daß ich weiß, wo meine Freunde sitzen und wo mein Gegner sitzt.
Das ist ein Unterschied, und um nichts anderes geht es uns.Frau Kollegin Hamm-Brücher, Sie haben zu Recht auf die Notwendigkeit von Anschlußverhandlungen hingewiesen. Das ist aber ein gewisses Problem. Wie immer man die Diskussion, die wir in unseren Reihen gehabt haben, bewerten mag, einen Zweck hat sie ohne jeden Zweifel auch und gerade im westlichen Bündnis erfüllt, nämlich auf die unbedingte Notwendigkeit hinzuweisen, diesen Bereich — den Bereich unter 500 km — einzubeziehen.
Daß das in der Tat ein uns besonders bedrückender und bedrohender Aspekt ist, wird doch wirklich niemand übersehen und bestreiten können.Herr Kollege Lippelt, zu dem Jaruzelski-Plan. Ich will ihn hier im Zusammenhang mit der Notwendigkeit konventioneller Abrüstung nicht abschließend bewerten. Aber ich finde, in dieser Hinsicht war die
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884 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Mai 1987
LamersSowjetunion auch schon einmal etwas weiter, und sie ist es ja auch noch, indem sie jetzt konventionelle Abrüstung vom Atlantik bis zum Ural vorgeschlagen hat. Der Jaruzelski-Plan birgt die Möglichkeit, die Gefahr in sich, daß wir uns wieder auf eine bestimmte Zone reduzieren. Da haben wir Bedenken.
Frau Kollegin Fuchs, ich will schließlich zu der Frage der atomaren Abschreckung nur eines sagen: Wir müssen einmal wirklich ernsthaft darüber diskutieren. Wir sind auch für eine langfristige Überwindung der atomaren Abschreckung, aber die Menschheit hat in ihrer ganzen Geschichte nur dann etwas wirklich Neues gelernt — und sie muß etwas ganz grundlegend Neues lernen, nämlich ohne Krieg auszukommen — , wenn sie unter existentiellem Druck gestanden hat, und die atomare Abschreckung ist dieser existentielle Druck. Bei aller Notwendigkeit der Abschreckung müssen wir uns darüber unterhalten, wie und wie lange dieser Druck aufrechterhalten werden muß. Ich habe den Eindruck, daß Sie glauben, wir könnten ihn morgen schon abschaffen. Ich sage Ihnen: Das wird nicht gehen.Danke schön.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Aktuellen Stunde und auch am Ende unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 3. Juni 1987, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.