Rede von
Dieter-Julius
Cronenberg
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Verehrte Kollegen und Kolleginnen! Der Kollege Urbaniak hat eben von dieser Stelle aus erklärt, Norbert Blüm könne nur Lobeshymnen auf sich selber halten.
Kollege Urbaniak irrt. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Norbert Blüm, hat eben die gleiche Lobeshymne auf die Montan-Mitbestimmung gehalten wie der Abgeordnete Urbaniak. Ich nehme an, es wird das Haus nicht überraschen, wenn ich von dieser Stelle aus in diesen gemeinsamen Gesang, in diese Lobeshymne, nicht einstimmen kann.
Die Montan-Mitbestimmung ist ein typisch deutscher Sonderweg, aus der besonderen Nachkriegssituation erklärbar. Ich kann verstehen, daß die Konservativen, seien sie rot oder seien sie schwarz,
am Status quo festhalten möchten. Tradition, so hat der Bundesarbeitsminister gesagt, müsse man an dieser Stelle hochhalten; Tradition also statt Veränderung. Nur, meine Damen und Herren, damit kommt eine dynamische Wirtschaft letztlich nicht weiter.
Die Montan-Mitbestimmung ist meines Erachtens kein Urgestein des Sozialstaates, Herr Bundesarbeitsminister. Die Montan-Mitbestimmung ist, um im Bild zu bleiben, meines Erachtens mehr ein Felsbrocken, der den Weg zu einer sachgerechten Mitbestimmungsregelung — hier meine ich das Mitbestimmungsgesetz von 1976 — versperrt,
ein Felsbrocken, der den strukturellen, technologischen und wirtschaftlichen Wandel in der Montanindustrie erschwert. Sie ist in meinen Augen mit ein Grund dafür, daß man an den traditionellen Standorten an Ruhr und Saar vielfach die Zeichen der Zeit zu spät erkannt, zu lange auf alte Industrien gesetzt
und den Anschluß an neue Technologien nicht in dem Maße gefunden hat, wie es sinnvoll und notwendig gewesen wäre. Der verblassende Glanz der alten traditionellen Industriestandorte im Vergleich zu den neuen Zentren technologischer Weiterentwicklung im Süden der Republik belegt dies deutlich.
Lassen Sie mich, Herr Kollege Urbaniak, einige Worte zum sozialen Konsens sagen. Mir liegt — verlassen Sie sich darauf — am Schicksal eines jeden einzelnen Menschen genausoviel wie Ihnen. Sie liegen mir genauso am Herzen. Ich lasse mich nicht in irgendeine Ecke drücken, die mit „eiskalter Kapitalistenmentalität" umschrieben wird. Aber müssen Sie, müssen wir, muß ich mich nicht fragen und fragen lassen, ob wir diesen Menschen nicht besser gedient hätten, wenn wir die ungeheuren Summen für Kohle und Stahl früher, besser und effektiver für den Strukturwandel eingesetzt hätten und nicht schwergewichtig für die Erhaltung?
— Ich nicht. — Immerhin betrug diese Summe von 1980 bis 1987 ca. 40 Milliarden DM bei Kohle — ich will gar nicht davon reden, was Miegel von 1961 bis 1986 ausgerechnet hat: 180 Milliarden, die mehr für Kohle gebraucht wurden. Beim Stahl haben wir 1981 bis 1986 ohne die Bürgschaften 6,5 Milliarden DM ausgegeben.
— Hoffentlich können sie es. Wenn sie den Strukturwandel ordentlich praktizieren, neue Produkte machen, dann können sie es. Sonst können sie es nicht.
Mit Recht beschweren wir uns gemeinsam, Kollege Urbaniak, über die Stahlsubventionen der Belgier, der Franzosen und anderer Europäer. Mit Recht beklagen wir das. Verlieren wir aber nicht an Glaubwürdigkeit, wenn wir im Kohlebereich genauso verfahren? Müssen Sie sich, müssen wir uns nicht fragen und vorwerfen lassen, daß wir die mittelständischen Unternehmen, die Textilarbeiter in Gronau oder die Schmieden in Remscheid, entschieden schlechter behandeln als die Beschäftigten in den Großbetrieben? Schaffen Sie nicht mit Ihren Forderungen, schaffen wir nicht mit unserer Politik, so müssen wir uns fragen, eine Zwei-Klassen-Arbeitergesellschaft?