Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung wird im interfraktionellen Einvernehmen für die erste Sitzungswoche im September 1979 folgende Abweichung von den Richtlinien für die Fragestunde empfohlen. In der Woche vom 10. September 1979 finden mit Rücksicht auf die Haushaltsberatungen keine Fragestunden statt. Jedes Mitglied des Hauses ist jedoch berechtigt, für diese Sitzungswoche bis zu vier Fragen an die Bundesregierung zu richten, die schriftlich beantwortet werden.
Diese Abweichung von der Geschäftsordnung muß vom Bundestag nach § 127 der Geschäftsordnung mit Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder beschlossen werden. Ich bitte diejenigen, die mit dieser Empfehlung einverstanden sind, um ihr Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen. Die Empfehlung ist damit in Kraft.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Energiepolitik nach dem Europäischen Rat und dem Weltwirtschaftsgipfel
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dollinger, Dr. Narjes, Pfeifer, Dr. Riesenhuber, Lenzer, Dr. Waigel, Dr. Laufs, Gerstein, Kolb, Dr. Czaja, Dr. Probst, Engelsberger, Dr. Hubrig, Pfeffermann, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, von Hassel, Benz, Dr. Jenninger und der Fraktion der CDU/CSU
Sicherung der Energieversorgung und Zukunftsorientierung der deutschen Energiepolitik
— Drucksache 8/2961 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Forschung und Technologie
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zu dem Übereinkommen vom 5. April
1973 zwischen dem Königreich Belgien, dem Königreich Dänemark, der Bundesrepublik Deutschland, Irland, der Italienischen Republik, dem Großherzogtum Luxemburg, dem Königreich der Niederlande, der Europäischen Atomgemeinschaft und der Internationalen Atomenergie-Organisation in Ausführung von Artikel III Abs. 1 und 4 des Vertrages vom 1. Juli 1968 über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (Ausführungsgesetz zum Verifikationsabkommen — VerifAbkAusfG)
— Drucksache 8/2779 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Forschung und Technologie
Verteidigungsausschuß
Zu den Punkten 5 a bis 5 c ist verbundene Debatte vereinbart.
Zur Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung hat der Herr Bundeskanzler das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ehe ich Ihnen über das Treffen in Tokio und über die dortigen Beschlüsse zur Energiepolitik sowie über die Konsequenzen berichte, die sich daraus für die Energiepolitik der Bundesrepublik Deutschland ergeben, muß ich zunächst einige Bemerkungen zu den jüngsten Entwicklungen der allgemeinen Außen- und Sicherheitspolitik machen.Die in Wien von Präsident Carter und Generalsekretär Breschnew abgeschlossene SALT-II-Vereinbarung ist ein wichtiger Schritt zu einem stabileren nuklearen Kräfteverhältnis zwischen Ost und West und zur Zügelung des nuklearstrategischen Wettbewerbs der Großmächte, ein Schritt, der zur Verbesserung der sowjetisch-amerikanischen Beziehungen und damit zur Stabilisierung des gesamten Ost-West-Verhältnisses beiträgt.In anderen Bereichen — z. B. Naher und Mittlerer Osten, südliches Afrika, Südostasien — waren die Wiener Gespräche von vornherein nur auf Meinungsaustausch, nicht aber auf politische Lösungen angelegt. Gleichwohl sollte niemand geringschätzen, daß die führenden Staatsmänner der
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13318 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979
Bundeskanzler Schmidtbeiden Großmächte erstmals seit 1975, erstmals seit Helsinki, im direkten Gespräch, im persönlichen Gespräch das Grundverhältnis der Beziehungen ihrer beiden Länder diskutiert und ihre Haltung zu verschiedenen Fragen der Weltpolitik kennengelernt haben.Die Bundesregierung hofft auf eine baldige Ratifikation von SALT II in Washington und in Moskau. Ein Fehlschlag würde die Europäer und insbesondere die Bundesrepublik hart treffen. Niemand müßte sich von einem Rückfall in den Kalten Krieg mehr bedroht fühlen als wir Deutschen.
Die Unterstützung der Bundesregierung für das Zustandekommen von SALT II und für die Vorbereitung des Ratifikationsverfahrens, die ich jüngst bei meinen Gesprächen und Reden in den Vereinigten Staaten von Amerika zum Ausdruck gebracht habe, wurde von Präsident Carter wie auch von der sowjetischen Führung ausdrücklich anerkannt und gewürdigt.Wir erwarten von SALT II positive Auswirkungen auch für andere Rüstungskontrollverhandlungen. Dies erhoffen wir uns besonders für die Wiener MBFR-Verhandlungen, die Verhandlungen über die beiderseitige und gleichgewichtige Verringerung von Streitkräften in Mitteleuropa.Ich habe im Gespräch mit Ministerpräsident Kossygin und Minister Gromyko vor einer Woche darauf hingewiesen, daß es hinsichtlich der Anerkennung der Prinzipien Parität und Kollektivität in den vergangenen Jahren durchaus Fortschritte bei MBFR gegeben hat. Bei dem amerikanisch-sowjetischen Gipfeltreffen in Wien hat sich — ebenso wie bei meinem Gespräch in Moskau — gezeigt, daß im Augenblick die sogenannte Datenfrage das schwierigste unbewältigte Problem ist, das im Wege steht, oder mit anderen Worten: Wer über Truppenreduzierungen verhandeln will, der muß ja doch wissen, wie viele Truppen tatsächlich auf beiden Seiten stehen.Die Bundesregierung wünscht — ebenso wie Präsident Carter und andere westliche Verbündete — Fortschritt bei MBFR. Ich habe in Moskau den Eindruck gewonnen, daß auch daß sowjetische Interesse an Ergebnissen dieser Wiener MBFR-Verhandlungen gewachsen ist.Wir müssen unsere Bemühungen verstärken, um die gegenwärtige kritische Phase zu überwinden. Dabei könnte es hilfreich sein, und es wäre wünschenswert, angesichts des Stillstandes in dieser Datendiskussion in Wien der Definitionsfrage vermehrte Aufmerksamkeit zuzuwenden, der Frage nämlich, wer denn als militärisches Personal auf beiden Seiten gezählt werden soll und muß.SALT II schafft zugleich die Grundlage für die Fortsetzungen der Verhandlungen in SALT III. In meinen Gesprächen in West und Ost habe ich auf die Notwendigkeit hingewiesen, dabei für die Bedrohung Westeuropas durch das wachsende kontinentalstrategische Potential eine Lösung zu finden.Ich habe betont, daß erstens SALT III zu einer weiteren Reduzierung der interkontinentalstrategischen Systeme führen müsse; daß aber zweitens die kontinentalstrategischen oder die eurostrategischen Systeme, d. h. die uns bedrohenden, die uns betreffenden Systeme einbezogen werden müssen; und drittens, daß sich die Regelung für die letzteren kontinentalstrategischen Systeme an denselben Grundsätzen der Gleichheit und der gleichen Sicherheit orientieren müssen, wie sie in SALT II für die interkontinentalstrategischen, für die globalen, weltweiten Systeme schon niedergelegt sind.Hierzu habe ich in Moskau an unserer Auffassung keinen Zweifel gelassen, daß das westliche Bündnis alle Maßnahmen treffen muß, die zur Aufrechterhaltung seiner Sicherheit notwendig sind. Konkrete Maßnahmen zur Nachrüstung als Reaktion auf die seit Jahren anhaltende Rüstung im Warschauer Pakt können um so begrenzter gehalten werden, wie es gelingt, eine wirkungsvolle Begrenzung der kontinentalstrategischen Systeme in Ost und West in Rüstungskontrollverhandlungen, z. B. in SALT III, zu erreichen.Wir streben gemeinsam mit unseren Verbündeten einen Beschluß der NATO an, der verteidigungspolitische Notwendigkeiten so eng mit einem Angebot zur Rüstungskontrolle verbindet, daß es keinen Zweifel an unserer Absicht geben kann, die Entspannungspolitik und insbesondere die Rüstungskontrollpolitik auf der Basis gesicherter Verteidigungsfähigkeit forzusetzen.Unsere Verbündeten verstehen, daß es sich nur um gemeinsame Maßnahmen des gesamten westlichen Verteidigungsbündnisss handeln wird. Diese Gemeinsamkeit der Maßnahmen schließt aus, daß die Bundesrepublik Deutschland dabei eine singuläre Rolle spielt.Ein anderes seiner Aktualität wegen vorweg zu behandelndes Thema ist die Tatsache, daß die Bemühungen um die Bildung von Vertrauen und die Förderung von Zusammenarbeit zwischen Ost und West in Europa durch den Beschluß der Volkskammer in Ost-Berlin beeinträchtigt werden, die Ost-Berliner Abgeordneten in Abweichung von der bisherigen Regelung zukünftig direkt wählen zu lassen. Dies ist ein schwerwiegender Akt, der mit dem allseitigen Interesse an der Aufrechterhaltung einer ruhigen Lage in Berlin, um Berlin nicht vereinbar ist.
Die Bundesregierung teilt die Auffassung der Drei Mächte, daß -der Viermächtestatus der ganzen Stadt nicht einseitig verändert werden kann. Sie begrüßt, daß die Drei Mächte jetzt und in Zukunft alle Versuche zurückweisen werden, die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vereinigten Staaten, Großbritanniens, Frankreichs und der Sowjetunion in bezug auf Deutschland als Ganzes und auf ganz Berlin in Frage zu stellen.Für die Bundesregierung bleiben der Viermächtestatus von Berlin, die ungeschmälerten Rechte und Verantwortlichkeiten der Drei Mächte sowie die
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Bundeskanzler Schmidtstrikte Einhaltung und volle Anwendung des Viermächteabkommens unveränderte Grundlage der friedlichen Entwicklung der Stadt.
Wir wissen uns in dieser Politik mit den Drei Mächten einig. Ich weise noch einmal auf die Erklärung der vier Außenminister aus der letzten Woche hin, die in Tokio ihre Gemeinsamkeit bestätigt haben.Ein drittes Vorwegthema: An den Beratungen des Europäischen Rates in Straßburg nahmen erstmalig die beiden neuen Regierungschefs aus Großbritannien und aus Belgien teil. Ihre sehr aktive Mitwirkung an den Beratungen des Europäischen Rates hat das gut eingespielte Verfahren und den Zusammenhalt im Europäischen Rat erneut deutlich gemacht. Vielleicht darf ich als persönliche Bemerkung hinzufügen, daß mich besonders beeindruckt hat, mit welchem Sachverstand, mit welcher Autorität, mit welchem Verantwortungsbewußtsein Mrs. Thatcher an den Beratungen in Straßburg und übrigens danach auch in Tokio teilgenommen hat.
Die Ergebnisse, zu denen der Europäische Rat in der Energiefrage gelangt ist, haben gezeigt, daß die Europäische Gemeinschaft und der Europäische Rat in wichtigen — —
— Ich verstehe die Geräusche nicht. Sie sollten eigentlich zufrieden sein, wenn eine solche Bemerkung hier angebracht ist.
Die Beratungen in Straßburg haben gezeigt, daß der Europäische Rat, unabhängig von der Zusammensetzung der Regierungen, die in ihm vertreten sind, in wichtigen Fragen, in Fragen, die für die Zukunft Europas und seiner Bürger entscheidend sind, voll handlungsfähig ist. Ich werde darauf zurückkommen.Wir konnten des weiteren in Straßburg feststellen, daß die ersten Volkswahlen zum Europäischen Parlament den europäischen Völkern ihre Zusammengehörigkeit und ihre Solidarität unmittelbar erfahrbar gemacht haben.Außerdem haben die Staats- und Regierungschefs nach einem ersten positiven Überblick über die Anlaufphase des Europäischen Währungssystems die große politische Bedeutung der Währungsstabilität für den weiteren Aufbau Europas unterstrichen.Der Besuch in den Vereinigten Staaten im vorigen Monat hat Gelegenheit geboten, im 30. Jahr des Bestehens unseres Staates die Festigkeit der deutsch-amerikanischen Freundschaft in Gesprächen, in Reden, in öffentlichen Erklärungen herauszustellen. Meine Gespräche mit Präsident Carter und den Mitgliedern seiner Administration habendas enge Einvernehmen — auch das enge persönliche Einvernehmen — zwischen dem Präsidenten und mir in den grundlegenden Fragen als dauerhafte Basis unserer Zusammenarbeit eindrucksvoll bestätigt.
Eine Zwischenlandung in Moskau bot Gelegenheit zu einem Gespräch mit den Herren Kossygin, Gromyko und Tichonow, für das ich dankbar war. Obwohl es in der dreistündigen Unterredung nicht in allen Fragen eine lückenlose Übereinstimmung gegeben hat und auch nicht geben konnte, so ist es doch wichtig und nützlich, daß ausführlicher und offener Meinungsaustausch über aktuelle Fragen der Weltpolitik, der Weltwirtschaft und der bilateralen Beziehungen schon seit längeren Jahren regelmäßiger Bestandteil der deutsch-sowjetischen Beziehungen ist.Natürlich sind auch in Tokio am Rande dieses entscheidend von wirtschaftlichen Themen geprägten Treffens einige aktuelle außenpolitische Fragen besprochen worden. Mit besonderer Sorge haben die Teilnehmer die tragische und unmenschliche Lage zur Kenntnis genommen, in der sich die Vertriebenen aus Vietnam und Kambodscha befinden. Es versteht sich, daß wir die Verantwortung herausgestellt haben, die die Regierung Vietnams für dieses schwere Los dieser Vertriebenen trägt. Wir haben sie und die übrigen Regierungen Indochinas aufgefordert, alles zu tun, um weiteres Leiden zu vermeiden.Gegen den bewaffneten völkerrechtswidrigen Übergriff der vietnamesischen Marine in internationalen Gewässern auf ein deutsches Schiff, das ein Boot mit Flüchtlingen abschleppte, hat die Bundesregierung bei der Regierung Vietnams energischen Protest eingelegt. Sie wird alle Anstrengungen unternehmen, diesen Flüchtlingen,. deren Aufnahme in die Bundesrepublik Deutschland vorgesehen war, freie Ausreise zu ermöglichen.
Die deutsche Delegation hat auch den Vorschlag voll mitgetragen, eine internationale Konferenz unter der ,Aide des Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen einzuberufen mit dem Ziel, konkrete Hilfsmaßnahmen für die Vertriebenen zú behandeln.Ich füge hinzu, daß sich die Bundesregierung seit 1975 bei unseren Bundesländern für die Aufnahme von Vertriebenen aus Indochina in unser Gebiet verwendet. Insgesamt haben die Länder bisher 6 100 Plätze zur Verfügung gestellt. Wir stehen damit weltweit an fünfter Stelle, in Europa hinter Frankreich an zweiter Stelle. Kürzlich haben sowohl der Bundesminister des Innern wie der Bundesminister des Auswärtigen erneut an die Landesregierungen appelliert, und ich werde übermorgen diese Frage mit den Ministerpräsidenten der Länder erneut behandeln. Die Bundesregierung wird sich außerdem bemühen, denjenigen Flüchtlingen, die bei uns Aufnahme finden, bei der Ansiedlung zu helfen.
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Bundeskanzler SchmidtWir werden schließlich zusätzliche finanzielle Beiträge zu dem Programm des Hohen Flüchtlingskommissars beisteuern.Entwicklungshilfe an Vietnam kommt unter den gegenwärtigen Umständen nicht in Betracht.
Unser Land wird nicht den Vertreibern, sondern den Vertriebenen und den Aufnahmeländern in Südostasien helfen, und es wird die in der Rahmenplanung für 1979 angesetzten Mittel vielmehr zugunsten der Flüchtlinge verwenden.
Ich muß auch erwähnen, daß Ministerpräsident Ohira im Auftrag aller Teilnehmer am Tokioter Treffen öffentlich der Befriedigung der Staats- und Regierungschefs darüber Ausdruck gegeben hat, daß wir für die gemeinsame Bonner Willenserklärung zum Verhalten bei Flugzeugentführungen weltweite Unterstützung gefunden haben.Die Gipfelkonferenz in Tokio hat übrigens auch Gelegenheit gegeben, mit den neuen Ministerpräsidenten Japans und Kanadas — den Ministerpräsidenten Japans kannte ich schon seit einer Reihe von Jahren — je einen zweiseitigen politischen Meinungsaustausch zu führen, in dem sich in beiden Fällen der ausgezeichnete Stand unserer Beziehungen widergespiegelt hat.Abschließend zum äußeren Rahmen und zum Rankenwerk in Tokio: Mir scheint wichtig zu sein, daß diesmal Japan Gastgeber eines sogenannten Gipfeltreffens war. Dies entspricht der Bedeutung Japans in der Welt. Diese Bedeutung kam auch in den Beiträgen zum Ausdruck, die Ministerpräsident Ohira als Vorsitzender und als Vertreter seines Landes zu den Beratungen gemacht hat.Natürlich stand in Straßburg und in Tokio die Energiepolitik zwangsläufig im Vordergrund. Die dazu gefaßten Beschlüsse haben unmittelbar Konsequenzen für unsere deutsche Energiepolitik. Die Energiefragen sind und vor allem das Ölproblem ist nicht mehr in nationalen Alleingängen zu lösen. Bei einem internationalen Verteilungskampf um das knapper gewordene Öl würden am Ende alle zugleich die Verlierer sein. Dies gilt für die Industrieländer, dies gilt ganz besonders für die Entwicklungsländer, dies gilt sogar für die OPEC-Staaten selbst.In Straßburg und in Tokio hat die Europäische Gemeinschaft mit einer Stimme gesprochen. Die Gemeinschaft hat sich damit ihrer wachsenden Verantwortung in der Welt gewachsen gezeigt. Übrigens hat unser Land dabei für unsere energiepolitischen Vorstellungen weitgehend Zustimmung gefunden. In Tokio bestand für unser Land eine positive Ausgangssituation. Denn Deutschland hatte die ein Jahr zuvor auf dem Bonner Weltwirtschaftstreffen eingegangenen Verpflichtungen tatsächlich erfüllt. Dies traf nicht auf alle anderen teilnehmenden Staaten zu.Es ergab sich in Tokio in den folgenden wichtigsten Punkten eine die ganze Weltwirtschaft betreffende Übereinstimmung:1. Wir haben es nicht mit vorübergehenden Versorgungsengpässen, sondern mit einer dauerhaften Ölverknappung zu tun.2. Den Bemühungen, Energie einzusparen, gebührt Vorrang.3. Die herkömmlichen Alternativen zum Öl, also vor allem die Kohle, müssen verstärkt eingesetzt werden.4. Die nicht erschöpflichen, zugleich umweltfreundlicheren Energiequellen, z. B. die Sonnenenergie und die Erdwärme, müssen wissenschaftlich-technisch entfaltet werden.5. Ohne einen Ausbau der Kernenergie in den kommenden Jahrzehnten werden sich Wirtschaftswachstum und höhere Beschäftigung nur schwer erreichen lassen. Dies muß jedoch unter Bedingungen geschehen, die die Sicherheit der Menschen gewährleisten.6. — Ich bin immer noch bei den gemeinsamen Einsichten, die die sieben Teilnehmerstaaten für die gesamte Weltwirtschaft festgestellt haben: — Wir haben uns auf eine restriktive Öleinfuhrpolitik bis zum Jahre 1985 — dies ist zunächst der nächste Stichtag — verständigt.7. Es wurde ein Register für die internationalen Ölgeschäfte vereinbart, das mehr Licht in die Ölmärkte bringen soll. Auf deutsche Initiative soll dabei auch die Gewinn- und die Investitionspolitik der internationalen Ölgesellschaften durchleuchtet werden.
8. Wir haben bekräftigt, daß sich auch die nationalen Ölpreise in den einzelnen Volkswirtschaften am Weltmarktpreisniveau ausrichten müssen. Wir haben uns verständigt, bestehende Subventionen, die ja tendenziell den Welt-Ölpreis in die Höhe treiben, abzuschaffen und keine neuen Subventionen einzuführen.Wir haben in Tokio gemeinsam unser Bedauern, unsere Kritik hinsichtlich der in der letzten Woche in Genf bekanntgegebenen jüngsten Preisbeschlüsse der OPEC ausgedrückt. Diese Preisbeschlüsse werden weltweit, insbesondere in den Entwicklungsländern, schwerwiegende soziale und wirtschaftliche Folgen haben: mehr Inflation, weniger Wachstum, mehr Ungleichgewicht in den Zahlungsbilanzen, weniger Stabilität. Eine solche Entwicklung liegt, wie ich denke, auch nicht im Interesse der OPEC-Länder. Wir haben jedoch in Tokio das vergleichsweise maßvolle Verhalten einiger OPEC-Staaten ganz ausdrücklich anerkannt.
Die Bundesregierung dieser Koalition, der sozialliberalen Koalition, hatte schon vor der ersten Ölkrise von 1973/74 — als eine der ersten Regierungen überhaupt — ein Energieprogramm aufgestellt. Es hat seitdem dazu zwei Fortschreibungen gegeben, die letzte im Dezember des vorvergangenen Jahres, heute vor 18 Monaten, im Dezember 1977. Die erste Fortschreibung hatte die unmittelbaren Konsequenzen aus der ersten Energiekrise der Jah-
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Bundeskanzler Schmidtre 1973/74 gezogen. Sie leitete die Stabilisierung des Absatzes des deutschen Steinkohlebergbaus ein und setzte mit dem Programm zur nichtnuklearen Energieforschung neue Schwerpunkte.Die zweite Fortschreibung vor 18 Monaten hat diese Politik weiter konkretisiert, vor allem durch das große Energieeinsparprogramm von Bund und Ländern, durch die Verdrängung des Öls aus den Kraftwerken, das Verstromungsgesetz, die Förderung der Fernwärme und das Forschungsprogramm für energiesparende Techniken.Das Tokioter Weltwirtschaftstreffen hat diese von uns damals gesetzten Prioritäten voll bestätigt.
Es besteht deshalb gegenwärtig noch keine Notwendigkeit für eine erneute Fortschreibung unseres deutschen Energieprogramms. Wohl aber ist eine Verstärkung und zum Teil Beschleunigung dieser Politik insbesondere bei der Einsparung notwendig.Natürlich beschäftigen uns alle in diesen Wochen vorrangig die akuten Mengen- und Preisprobleme beim 01. Aber die eigentlichen Probleme werden erst richtig deutlich, wenn wir diese Energieversorgungsprobleme in ihrer langfristigen, weiträumigen Perspektive sehen. Nach Schätzung der Weltenergiekonferenz vom vorigen Jahr wird sich in den nächsten 20 Jahren — und das ist ein kurzer Zeitraum — der Weltenergiebedarf verdoppeln. Die Weltbevölkerung wird von heute 4 Milliarden Menschen in 20 Jahren auf mindestens 6 Milliarden Menschen wachsen, und zwar gerade in den Ländern der Dritten Welt, in denen Armut und Hunger ohne einen Anstieg ihres Energieverbrauchs nicht wirksam bekämpft werden könnten. Schon heute leiden die Entwicklungsländer am stärksten unter der Energieverteuerung, z. B. Brasilien, das 1972 gerade ein Zehntel seiner eigenen Exporterlöse aufwenden mußte, um seine eigenen Öleinfuhren zu bezahlen. 1978 mußte es beinahe 40 % seiner eigenen Exporterlöse aufwenden, um seine eigenen Ölimporte zu bezahlen. Man muß sich vorstellen, daß infolgedessen ein Drittel der Exporterlöse nicht mehr dazu verwandt werden kann, für ein solches Entwicklungsland — Brasilien ist ein Schwellenland - Kapitalgüter und Investitionsgüter einzuführen und zu bezahlen. Die explosiven Ölpreiserhöhungen dieses Jahres werden diese Entwicklung noch verschärfen.Wir können in dieser Situation helfen, wenn wir in den Industrieländern sparsam mit dem Öl umgehen und wenn wir es durch andere Energiequellen ersetzen. Dazu ist eine offene und eine öffentliche Erörterung der Lage in allen Ländern notwendig. Sie ist auch notwendig zur Abwägung der dabei einzugehenden Risiken bei allen Energieträgern.Das Risiko beim Öl, z. B. die Knappheit, teilweise die Nichtersetzbarkeit, birgt die Gefahr, das Risiko weltweiter Verteilungskämpfe. Mögliche Veränderungen der politischen Lage in wichtigen Ölförderstaaten lassen sich kaum vorhersehen. Deshalb bleibt das zukünftige internationale Ölangebot auspolitischen Gründen ungewiß und kaum längerfristig kalkulierbar. Deshalb tragen Länder mit hoher Importabhängigkeit von Energie, besonders von Öl, ein hohes Wachstumsrisiko mit Auswirkungen auf ihre Beschäftigung, auf ihren Lebensstandard und möglicherweise auch auf die Finanzierung ihrer sozialen Sicherungssysteme.Was die Unfallrisiken bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie angeht, so sind diese durch Harrisburg erneut jedermann ins Bewußtsein gerufen worden. Aber die Unfallrisiken z. B. bei der Kohle sind auch sehr hoch. Ich werde dazu nachher noch eine Zahl nennen, die ich als erschrekkend empfinde, wobei es sich aber nicht um eine theoretische Kalkulation handelt, sondern um sehr bittere tatsächlich eingetretene Verluste an Menschenleben.Es kommt hinzu, daß durch die Verfeuerung von Kohle und 01 und Gas die Umweltbelastungen insgesamt zunehmend gestiegen sind. In den letzten drei Jahrzehnten haben sich die Emissionen an Kohlendioxid auf der ganzen Welt verdreifacht. Die möglichen Konsequenzen für das Klima auf dem ganzen Erdball — nicht allein, aber z. B. auch in der Sahel-Zone — sind noch nicht sicher abzuschätzen, aber sie werden bei den langfristigen energiepolitischen Entscheidungen berücksichtigt werden müssen.Aus all diesen hier jetzt nur angedeuteten Risiken auf den Feldern der einzelnen Energieträger folgt zum einen, daß wir unsere Energieversorgung auf eine möglichst breite Basis stellen und alle verfügbaren Energieträger und -quellen nutzen müssen, um die Risiken zu streuen, zu mischen, um uns für später, wenn sie genauer abgeschätzt und beurteilt werden können, Optionen offenzuhalten. Zum anderen müssen bei jedem Energieträger die einzelnen Risiken so weit wie möglich herabgesetzt werden.Natürlich können viele Risiken vor allem dadurch eingeschränkt werden, daß man Energie spart. Dazu genügt es aber nicht, den guten Vorsatz zu fassen, sondern unser ganzes Verhalten in all unseren Industriestaaten wird sich ändern müssen und wird sich tatsächlich ändern.Die deutsche Sparpolitik beim Öl seit 1973 war schon sehr erfolgreich. Unsere Öleinfuhren waren im letzten Jahr immer noch niedriger als 1973 vor der Ölkrise, obgleich in der Zwischenzeit unser Sozialprodukt real um ein Zehntel gestiegen ist. Aber dies genügt noch nicht. Wir müssen davon ausgehen, daß Energie langfristig teurer wird, und deshalb können energieeinsparende Investitionen, auch wenn sie sich heute noch nicht rentieren, doch in der Zukunft schon sehr schnell wirtschaftlich werden. Sie müssen deshalb rechtzeitig vorgenommen werden. Energiepolitik muß langfristig angelegt sein.Vielleicht darf ich das am Beispiel des Autos ausführen. Wir wollen sicherlich auf das Auto nicht verzichten. Also müssen wir auf lange Sicht ein völlig neues Automobil entwickeln, eines, das energiesparend und umweltfreundlich ist. Dazu ge-
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Bundeskanzler Schmidthören neue Antriebstechniken; dazu gehört z. B. das durch eine elektrische Batterie angetriebene Auto, dazu gehört z. B. der Wasserstoffmotor. Bis es soweit ist, sollten die Automobilunternehmen im Wettbewerb ihr Augenmerk auf die Senkung des Benzinverbrauchs der von ihnen hergestellten Wagen richten,
allerdings auch auf die Senkung der Abgabe von Abgasen und Lärm. Die Firmen sollten die Chance ergreifen, sich auch in diesem Bereich im internationalen Wettbewerb eine Spitzenposition zu erobern.Ich drücke mich sehr konkret aus: Solche Verbesserungen der neu herzustellenden Automobile sind in Deutschland schon in weniger als 18 Monaten möglich. Natürlich kosten dann die Pkw für diejenigen, die sie kaufen, auch etwas mehr. Die deutsche Automobilindustrie hat mit dem Bundesminister für Wirtschaft eine Abrede zur Benzineinsparung per 1985 getroffen; aber diese Abrede wurde vor den jüngsten OPEC-Preiserhöhungen und vor den Öleinsparverpflichtungen von Straßburg und Tokio getroffen. Ich appelliere deshalb heute an die Automobilindustrie, diesen Zeithorizont zu verkürzen. Es sollte mich sehr wundern, wenn dies nicht möglich wäre. Die steigenden Treibstoffpreise werden jedenfalls die Mehrzahl der Autokäufer künftig zu sehr sorgfältigen Auswahlentscheidungen führen, was den Benzinverbrauch der Autos angeht. Wenn es nicht anders gehen sollte, stehen hierfür in Zukunft die Möglichkeiten des Gesetzgebers zur Verfügung.Im übrigen machen die Bürger unseres Landes vollen Gebrauch von dem 4,3-Milliarden-Programm zur Förderung energiesparender Investitionen in den bestehenden Gebäuden. Für Neubauten gelten inzwischen neue Wärmedämmungsvorschriften. Für neue Einspartechniken stehen Markteinführungshilfen zur Verfügung. Auch bei bescheidenen Wachstumsraten des Energieverbrauchs werden Energiesparen und neue alternative Energieträger nicht ausreichen. Übrigens verlangt das Einsparen von Energie in manchen Fällen gleichzeitig zusätzliche Energie in anderer Form. Zum Beispiel braucht man zum Einsatz von Wärmepumpen auch Strom oder Gas.Für den zusätzlichen Strom insgesamt brauchen wir zusätzliche Kohle- und Kernkraftwerke. Obwohl die massive Nutzung von Kohle trotz modernster Techniken auf Grenzen stößt, nämlich durch die damit verbundene Umweltbelastung, so wird die Kohle bei der Verstromung doch weiterhin Vorrang haben müssen.
Deshalb wird die deutsche Steinkohle jährlich mit 6 Milliarden DM unterstützt. Wir tun das, obwohl die Kohle auf diese Weise teurer wird, weil sie der einzige gewichtige Energieträger ist, bei dem wir uns von ausländischen Entscheidungen weitestgehend unabhängig machen können. Die Kohle hat eine große Zukunft bei der Erzeugung von Gas undvon Kraftstoffen, bei der Industriefeuerung und bei der Fernwärme.Die Bundesregierung wird die neuen Techniken zur Verflüssigung und Vergasung von Kohle von 1977 bis 1980 mit insgesamt 650 Millionen DM fördern. Acht Pilotanlagen zur Verflüssigung/Vergasung sind in den Bergbauländern in Betrieb oder in Bau, wobei der Betrieb bevorsteht. Die Entwicklung dieser neuen Techniken zur Erzeugung von Gas und Flüssigprodukten aus Kohle ist so weit fortgeschritten, daß eine beschleunigte großtechnische Anwendung wegen der zu erwartenden weiteren Ölpreissteigerung auch bei uns beginnen muß.
Wir sind deshalb der Meinung, daß Bundesregierung und Industrie jetzt gemeinsam eine große Anstrengung unternehmen müssen, damit die großmaßstäbliche Erzeugung von 01, von Benzin und. von Gas aus Kohle mit aller Kraft und ohne Verzug vorangetrieben wird. Wir werden deshalb im Laufe des Winters Programme und Vorhaben in ungewöhnlicher Größenordnung vorlegen, die übrigens auch hinsichtlich des Finanzbedarfs ungewöhnlich sein werden. Ihre Verwirklichung wird zugleich unseren investitionsgütererzeugenden Industrien, unserer Maschinenindustrie eine Spitzenstellung auf den Weltmärkten verschaffen.Langfristig aber — das muß man auch sehen — werden Kohle und Gas zum Verbrennen zu schade werden. Nach zwei oder drei Jahrzehnten — grob geschätzt — kann es so kommen, daß die Kohle in erster Linie für die chemische Industrie eingesetzt werden muß. Aber bis dahin muß die Kohle vor allem dazu genutzt werden, das für die industriellen Produktionsprozesse genutzte 01, vor allen Dingen das schwere Heizöl, auch aus der Industrie zu verdrängen.
Teile der deutschen Industrie überlegen, ihre Kessel wegen der gestiegenen Ölpreise wieder auf Kohle umzurüsten. Dieser Prozeß kann beschleunigt werden, wenn kostengünstigere Kohle bereitgestellt werden könnte. Es ist dies ein Sektor, auf dem wir uns dem Anschluß an den Weltmarkt nicht verschließen dürfen. Aber dies kann nur in einer Form und in einem Ausmaß geschehen, welche die Positionen des deutschen Steinkohlenbergbaus nicht berühren. Vorschläge z. B. der Saarberg Aktiengesellschaft gehen davon aus, daß damit auch eine zusätzliche Absatzsteigerung deutscher Kohle ausgelöst werden kann. Ebenfalls werden wir sichern, daß zusätzliche Importkohle nur dazu verwendet wird, eingeführtes 01 zurückzudrängen.Wenn wir über Kohle reden, so haben wir daran zu denken, daß die Kohle in schwerer und gefahrvoller Arbeit von Menschen aus dem Berg geholt wird. In den deutschen Revieren haben in den Jahren von 1949 bis 1978, also in 30 Jahren — und das ist die Zahl, die ich vorhin ankündigte —, 15 500 Bergleute ihr Leben verloren. Noch einmal: 15 500 Menschen haben in diesen 30 Jahren im Bergbau ihr Leben verloren! Wer so tut, als ob der Ener-
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Bundeskanzler Schmidtgieträger Kohle ohne Gefahren für Menschen genutzt werden könnte, der begeht eine böse Gedankenlosigkeit.
Wir, alle Deutschen, haben Grund, den deutschen Bergleuten, aber auch ihren türkischen und anderen ausländischen Kollegen Dank und Anerkennung für ihre Leistung zu sagen, ohne die der Wiederaufbau unseres Landes, ohne die unsere gegenwärtige Energieversorgung nicht möglich wäre.
Wir brauchen ihre Leistung auch fürderhin.
Aber ich sagte schon: Nach der gemeinsamen Tokioter Einsicht lassen sich für die Weltwirtschaft als Ganzes weder Wachstum noch höhere Beschäftigung ohne die Kernenergie verwirklichen. Ende 1978, Ende des letzten Jahres, wurden in der Welt insgesamt schon 230 Kernkraftwerke betrieben, allein in den Vereinigten Staaten von Amerika 69. Dort waren weitere 92 im Bau oder genehmigt, 58 davon bestellt. Von Ministerpräsident Kossygin weiß ich, daß die Sowjetunion westlich des Urals zur Deckung ihres wachsenden Strombedarfs nur noch Kernkraftwerke bauen wird. Sowohl die USA als auch die Sowjetunion sind Staaten mit großen Vorräten an Öl, an Erdgas, reich an Naturschätzen. Um ein drittes Beispiel zu geben: Frankreich beabsichtigt, binnen zehn Jahren zwei Drittel seines Strombedarfs durch Kernenergie zu decken.Auch die Bundesrepublik kann auf absehbare Zukunft, d. h. jedenfalls für die nächsten Jahrzehnte, nicht ohne Kernenergie auskommen. Aber ich füge hinzu: Auch heute treten wir keineswegs für einen bedingungslosen Ausbau der Kernkraft ein. Ihre friedliche Nutzung kann nur verantwortet werden, wenn die Sicherheit der Kernkraftwerke und der kerntechnischen Einrichtungen tatsächlich gewährleistet ist.
Deshalb hat die Bundesregierung — trotz der international anerkannten hohen Sicherheitsstandards der deutschen Kernkraftwerke — am 16. Mai ein Programm zur Überprüfung dieser Sicherheitsvorkehrungen verabschiedet. Darüber hinaus werden wir bis einschließlich 1982 ein Forschungsprogramm zur Reaktorsicherheit mit einem Volumen von rund 1 Milliarde DM durchführen.In West und Ost ist unsere Initiative bei der Internationalen Atomenergieorganisation begrüßt worden, in weltweiter Zusammenarbeit die Fragen der Sicherheit von Kernkraftwerken zu untersuchen, den Erfahrungsaustausch zu intensivieren und gemeinsam nach weiteren Verbesserungen zu streben.Der Schutz von Leben und Gesundheit von Menschen vor den Gefahren der Kernenergie muß allerdings Vorrang vor dem wirtschaftlichen Gesichtspunkt haben. Wir nehmen die Besorgnisse und die Ängste vieler Menschen ernst. Deshalb — aber nicht nur aus diesem Grunde — muß die Bundesregierung daran festhalten, daß ein weiterer Ausbau der Kernenergie eine ausreichende Entsorgung voraussetzt. Der Bundestag hat im Dezember des letzten Jahres in seiner Entschließung zur zweiten Fortschreibung des Energieprogramms diese Position der Bundesregierung unterstützt.Die niedersächsische Landesregierung hat nach einer wissenschaftlichen Durchleuchtung in ihrer eigenen Verantwortung die grundsätzliche Realisierbarkeit des integrierten Entsorgungskonzepts ausdrücklich bestätigt. Andererseits hat dieselbe Landesregierung Mitte Mai gleichwohl empfohlen, die Wiederaufarbeitung nicht weiter zu verfolgen. Die Bundesregierung hat am gleichen Tage zu dieser Hannoveraner Entscheidung erklärt, daß wir an dem integrierten Entsorgungskonzept grundsätzlich festhalten. Das gilt auch für die Wiederaufarbeitung, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit.Die Bundesregierung hat inzwischen mit Niedersachsen Gespräche über die schrittweise Verwirklichung aufgenommen, auch über sachliche Modifizierungen des Konzepts, über die ja durchaus geredet werden kann. Daneben werden wir auch Forschungs- und Entwicklungsarbeiten für alternative Entsorgungskonzepte durchführen. Diese Forschungsarbeiten müssen bis zum bergmännischen Aufschluß des Salzstocks abgeschlossen sein, durch welchen sich ja endgültig dessen Eignung für die theoretisch verschieden denkbaren Endlagerzwecke erweisen soll.Die Bundesregierung hat zur Kenntnis genommen, daß die niedersächsische Landesregierung nunmehr grünes Licht für die Durchführungen der Tiefbohrungen gegeben hat. Wir sind damit einverstanden, daß der Salzstock vorsorglich auf seine Eignung für alle theoretisch in Betracht kommenden Endlagerzwecke untersucht werden soll.Aber bis zur Bereitstellung endgültiger Entsorgungsmöglichkeiten wird schon aus technischen Gründen noch eine Reihe von Jahren vergehen. Bis dahin müssen in unserem Staat bis zu acht Zwischenlager geschaffen werden. Die Bundesregierung verläßt sich dabei auf die früher erklärte Bereitschaft der Länder Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, in ihren Ländern Zwischenlager einzurichten. Allerdings ist die Bundesregierung der Auffassung, daß grundsätzlich jedes Bundesland, in dem ein Kernkraftwerk betrieben wird, auch zur Aufnahme eines Zwischenlagers für den Abfall aus diesem Kernkraftwerk oder aus diesen Kernkraftwerken bereit sein muß.
Es geht nicht an, ökonomische und Versorgungsvorteile der Kernenergie in Anspruch zu nehmen, die Lasten dagegen auf den Nachbarn oder auf den Bund abwälzen zu wollen.
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13324 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979
Bundeskanzler SchmidtDas gilt auch für den Freistaat Bayern, der zwar Kernkraftwerke genehmigt,
ein Zwischenlager bisher jedoch abgelehnt hat.
— Wenn die Opposition so freundlich wäre, einen von den Ihren zum Zwischenrufer zu ernennen, könnte man ihn vielleicht verstehen.
Ich wäre dann auch gern bereit, darauf einzugehen.
— Ich habe den Zwischenruf jetzt verstanden.
Aber es ist doch wirklich schwer, die CDU/CSU zu verstehen; Sie haben sich doch monatelang selbst nicht verstanden, meine Damen und Herren!
Wenn ich das Gesicht Ihres Fraktionsvorsitzenden anschaue: Er versteht es heute noch nicht.
— Wer andere Leute mit Zwischenrufen bedient, muß selber in der Lage sein, auch einstecken zu können. Das muß er.
Was den Zwischenruf angeht, wiederhole ich den Satz, den ich vorhin sprach: Grundsätzlich muß jedes Bundesland, in dem ein Kernkraftwerk oder mehrere Kernkraftwerke betrieben werden, zur Aufnahme eines Zwischenlagers bereit sein.
— Nein, ich habe das ganz genauso gemeint und meine es genauso, wie ich es sage. Sie können in einer relativ kleinflächigen Großstadt wie z. B. Bremen, wo kein Kernkraftwerk betrieben wird, weil es dort vom Platz her nicht hinpaßt, auch kein Zwischenlager einrichten. Das wäre Unsinn. Das wissen Sie auch. Sie wollen nur polemisieren. Dazuhaben Sie noch Gelegenheit, wenn Herr Strauß spricht.
Ich werde übrigens mit den Regierungschefs der Länder am kommenden Freitag über die anstehenden Fragen der Entsorgung erneut sprechen.Wenn wir nun über die Jahrhundertwende hinausschauen, dann zeichnen sich neue Möglichkeiten ab, die Energieversorgung zu sichern. Dies gilt z. B. für die neuen Reaktorlinien, für den Schnellen Brüter, für den Hochtemperaturreaktor. Bei der Vorbereitung der hierfür erforderlichen Grundsatzentscheidungen, z. B. darüber, ob wir den noch erforderlichen Entwicklungsaufwand auf uns nehmen sollen, kommt der vom Bundestag mit seiner Entschließung vom 14. Dezember letzten Jahres eingesetzten Enquete-Kommission „Zukünftige Energiepolitik" nach unserer Einschätzung eine zentrale Rolle zu.
Bei der Kernfusion, bei der großtechnischen Nutzung der Sonnenenergie und der Wasserstofftechnologie, um nur drei weitere Zukunftsbereiche herauszugreifen, sind noch außerordentlich große wissenschaftliche und technische Anstrengungen notwendig. Übrigens: Auch bei der Kernfusion, die von vielen als Ausweg erhofft wird, entstehen Entsorgungsprobleme.Im Haushalt des Bundesministeriums für Forschung und Technologie waren 1969 keinerlei Mittel für diese nichtnukleare Energieforschung, die ich zuletzt nannte, enthalten. 1972 wurden für 1 DM, die im Forschungshaushalt für nichtnukleare Forschung stand, gleichzeitig 80 DM für nukleare Forschung ausgegeben. Wir haben das inzwischen schrittweise von Jahr zu Jahr umgedreht. 1979 hat sich das Verhältnis von nichtnuklearer Forschung zur Nuklearforschung im Energiebereich schon auf 1 : 2 grundlegend verändert, wobei in der Nuklearforschung nunmehr ein hoher Anteil der Forschung für Reaktorsicherheit zugewendet wird.Eine Bemerkung zur aktuellen Versorgungslage in den nächsten Monaten: Nach den Meldungen der Internationalen Energieagentur wird das Angebot an Rohöl und an Ölprodukten, d. h. insbesondere an leichtem Heizöl, wie wir es für unsere Heizungen zu Hause brauchen, an Benzin, auch an schwerem Heizöl, in den Monaten Januar bis August etwas stärker ansteigen als der Absatz, verglichen mit dem Vorjahr. Der Vorratsaufbau für den Winter erreicht international fast wieder normale Werte. Wir können deshalb davon ausgehen, daß in der Versorgung in den nächsten Monaten keine schwerwiegenden Probleme auftreten.Ich muß aber eine Warnung wiederholen. So wie der Ausfall des Öls aus dem Iran nicht in den energiepolitischen Prognosen vorhergesehen werden konnte, so kann auch heute keine energiepolitische Prognose, kein Szenario, alle denkbaren politischen Entwicklungen in der Welt vorhersehen und in die energiepolitische Voraussicht einbeziehen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979 13325
Bundeskanzler SchmidtDie Bundesrepublik ist zu einem Teil von den gegenwärtig sehr teuren Importen aus Rotterdam abhängig. Zum Beispiel haben wir bisher 20 %, ein Fünftel all unseres Benzins, zwei Fünftel all unseres leichten Heizöls für unsere Wohnungen aus Rotterdam importiert. Das hängt damit zusammen, daß bei uns nicht genug Crack-Anlagen in den Raffinerien zur Verfügung stehen. Weil das so ist und weil das zunächst so bleiben wird, deshalb hätten deutsche Höchstpreisvorschriften keine positive Wirkung. Dann würden nur andere ausländische Verbraucher auf diesen Märkten — ob Rotterdam, Genua oder Karibische See — zu den dortigen Preisen das Benzin und das Heizöl kaufen, das wir hier notwendig haben.Allerdings stört uns die Tatsache, daß die Mineralölgesellschaften die Preiserhöhungen in erster Linie über das Heizöl an die Verbraucher weitergeben, die ihnen weitgehend ausgeliefert sind; Der Bundesminister für Wirtschaft hat dies den. Mineralölgesellschaften nachdrücklich mitgeteilt. Wir erwarten von den Gesellschaften, daß sie außerdem die deutsche Offentlichkeit über die Entwicklung von Mengen und Preisen und Gewinnen und Gewinnverwendungen besser aufklären, besser informieren, als es bisher der Fall ist. Das liegt auch im Interesse der Gesellschaften selbst, weil sie nur so Vorwürfen vorbeugen können, die ungerechtfertigt sein könnten
Wir halten es nicht für akzeptabel, daß jenen Mineralölgesellschaften, die in der Bundesrepublik Erdöl und Erdgas fördern — Sie wissen alle, daß das keine sehr großen Mengen sind, weil unsere Lagerstätten geringfügig sind —, auf Grund der OPEC-Preispolitik unangemessen hohe Gewinne zufließen. Wir halten eine weitgehende Abschöpfung dieser in Deutschland entstehenden wind-fallprofits für unumgänglich.
Falls die Verhandlungen des Landes Niedersachsen mit den Ölgesellschaften über eine Erhöhung des Förderzinses nicht bald zu einem befriedigenden Ergebnis führen, so beabsichtigt in einem solchen Fall die Bundesregierung, auf der Basis des dem Parlament vorliegenden Berggesetzes einen hohen Förderzins von Bundes wegen festzusetzen.
Mitte Mai hat die Bundesregierung eine Reihe von Beschlüssen gefaßt, die im Bereich der öffentlichen Hand und des privaten Verbrauchs zu zusätzlichen Einsparungen führen werden. Ich verweise auf das Bulletin vom 18. Mai. Weitere Maßnahmen werden in der Sommerpause vorbereitet werden. Wir haben zu dem Zweck einen Ministerausschuß unter dem Vorsitz von Graf Lambsdorff eingesetzt, der alle in der Diskussion befindlichen Vorschläge zur Einsparung, zur Substitution von Öl prüfen wird und der nach der Sommerpause dem Kabinett Vorschläge unterbreiten wird.Ich lade heute die Unternehmenswirtschaft und die Gewerkschaften ausdrücklich ein, eigene Einsparvorschläge dazuzulegen. Wir werden sie sorgsam einbeziehen. Das gilt auch für etwaige Vorschläge der Opposition oder der Medien. Allgemeines Lamento ohne konkrete eigene Alternative ist allerdings nicht gefragt, meine Damen und Herren.
Für den heutigen Tag möchte ich für die Bundesregierung feststellen:Erstens. Die Bundesregierung verhandelt mit den Bundesländern über den Bau umweltfreundlicher Kohleheizwerke. Wir erwarten, daß der Bundestag bald die Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes verabschiedet, damit der Bau von Kohlekraftwerken zügiger vorangetrieben werden kann.
Zweitens. In der Bundesrepublik ist die Erzeugung von elektrischem Strom auf der Basis von Öl bereits drastisch zurückgeführt worden, nämlich auf ganze 9 %. Es gibt kaum einen anderen Staat in der Welt, der das Öl bei der Erzeugung von Elektrizität so weit zurückgedrängt hat.
Wir haben damit die Spitzenklasse in der Welt schon erreicht. Wir wollen aber darüber hinaus im Laufe der 80er Jahre den Einsatz von Öl in den Kraftwerken ganz abschaffen.
Drittens. Die Bundesregierung wird als Beispiel für alle für öffentliche Gebäude des Bundes die Raumtemperatur in den Heizperioden auf 20 Grad begrenzen und empfiehlt allen Ländern und Gemeinden, das gleiche zu tun.
— Übrigens, Herr Kohl, man kann auch über 19 Grad debattieren.
— Wir sind Ihren konkreten Vorschlägen gegenüber aufgeschlossen.
— Wenn es nur dummerhaftige Zwischenrufe sind, müssen Sie sich über harte Antworten nicht wundern, Herr Kohl.
Viertens. Die Bundesregierung hat eine Einigung zwischen der Elektrizitätswirtschaft und der industriellen Kraftwirtschaft über die Einspeisung von Industriestrom in das öffentliche Netz bewirkt. Sie erwartet nachdrücklich, daß diese Vereinbarung der Verbände unverzüglich durch entsprechende Verträge im einzelnen in die Praxis umgesetzt wird.
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13326 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979
Bundeskanzler SchmidtWir haben dem Bundestag eine Ergänzung des Kartellgesetzes vorgeschlagen, um dies zu erleichtern.Fünftens. In Kürze wird ein volles Jahr der Erfahrung mit dem 4,3-Milliarden-Mark-Programm zur Energieeinsparung vorliegen. Wir werden gemeinsam mit den Ländern prüfen, ob und welche Ergänzungen dieses Programms sinnvoll sind, Z. B. inwieweit die Umrüstung von Ölheizungen auf andere Energiearten einbezogen werden kann oder soll.Sechstens. Durch den Ausbau der kommunalen Verkehrsmittel hat die Bundesrepublik Deutschland einen international hoch anerkannten Beitrag sowohl zur Lösung der Probleme des Personennahverkehrs als auch zur Energieeinsparung geleistet. Wir danken den Gemeinden und den Gemeindeverbänden für diese Leistung, die wir erheblich aus Bundesmitteln ermöglicht haben. Dieser Weg muß in unserem Staate konsequent fortgesetzt werden.
Siebtens. Zu Beginn der nächsten Legislaturperiode wird die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorlegen, der die Abschaffung der KFz-Steuer und eine entsprechende Erhöhung der Mineralölsteuer vorsieht.
Sie wird dabei die besonderen Probleme der Schwerbehinderten und der Pendler berücksichtigen. An die Adresse des Bundesrates darf ich hinzufügen: Sie muß allerdings dafür sorgen, daß dies nicht zu einer neuen Verschiebung von Finanzmassen vom Bund auf die Länder führen kann.Lassen Sie mich eine mehr gesellschaftsphilosophische Betrachtung zum Thema der Angst vor der modernen technischen Entwicklung an dieser Stelle anstellen, meine Damen und Herren. Auch in unserem Volk ist die friedliche Nutzung der Kernenergie keineswegs unumstritten. Befürworter und Gegner führen die Auseinandersetzungen häufig mit Leidenschaft, häufig mit allzu großer Leidenschaft. An die Stelle eines eigentlich zu wünschenden abwägenden, ruhigen Gesprächs, des Austausches von Argumenten im einzelnen, sind häufig Bekenntnisse mit allzu einfachen Formeln getreten. Wir bedauern diese Entwicklung, denn sie schafft Gräben in unserer Gesellschaft; sie trägt Unruhe in viele Vereinigungen und in viele Familien; unsere Gewerkschaften stehen vor Belastungsproben; in allen demokratischen Vereinigungen, in den Parteien entwickelt sich eine früher nicht vorausgesehene Konfrontation;
auch die Kirchen sind von dieser Polarisierung erfaßt.
Wer diese menschlich unbefriedigende und politisch nicht ungefährliche Situation überwinden will, der muß sich selbst fragen, der muß andere fragen, warum es zu dieser Entwicklung hat kommen können und wie man sie denn überwinden kann.Vielleicht liegt es daran, daß diese Auseinandersetzung tatsächlich weit über die Kernenergie hinausreicht und noch ganz andere Bereiche einbezieht. Zwar steht die Kernenergie im Mittelpunkt der Diskussion, aber es geht im Grunde stellvertretend insgesamt um die weitere Entwicklung der Naturwissenschaft, der Technik, ihrer industriellen Nutzung, und es geht um das Verhältnis der Wissenschaft, der Technik zur Zukunft des Menschen, zur Menschlichkeit, zur humanitas.Die Wissenschaft, der technische Wandel und der technische Fortschritt haben uns einerseits eine atemberaubende Entwicklung des materiellen Wohlstandes gebracht, verglichen mit der Lage vor 30, 40, 50 oder 60 Jahren. Andererseits sind dabei neue Risiken entstanden, die von manchen Menschen in wachsendem Maße als Bedrohung empfunden werden. Nutzen und Gefahren, Chancen und Risiken sind fast in jeder wissenschaftlich-technischen Entwicklung untrennbar miteinander verknüpft.Es gibt fast keine Entwicklung ohne Risiko, wenngleich die Risiken sehr verschiedener Art sein können. Deshalb müssen Chancen und Risiken der einzelnen technischen Entwicklungen sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. Wir stehen eigentlich am Anfang einer solchen Diskussion über die weitere Entwicklung von Wissenschaft und Technik und darüber, was sie für den Menschen und für eine menschliche Gesellschaft bedeutet.Dies gilt für das Verhältnis von Technik und Umwelt, wie es heute vor allem bei der Kernenergie debattiert wird. Es gilt für das Verhältnis von Technik und Beschäftigung, wie es im Zusammenhang mit der Einführung der Mikroelektronik in unseren Fabriken debattiert wird. Es gilt für das Verhältnis von Technik und freiheitlicher Demokratie, wie es an den Beispielen der Speicherung von Daten über einzelne Menschen und der Datenverarbeitung sichtbar wird. Es gilt auch für das Verhältnis von Technik und internationaler Friedensordnung, z. B. wenn es um die Nichtverbreitung von Atomwaffen geht.Alle diese wissenschaftlich-technischen Entwicklungen werfen Fragen auf, die manche Menschen mit Sorgen, manche sogar mit Angst erfüllen. Angst ist aber ein schlechter Ratgeber. Angst zerstört Selbstbewußtsein und Urteilskraft. Angst schwächt das demokratische Engagement. Angst kann zu einer allgemeinen Technikfeindlichkeit führen, die unsere politische, unsere soziale und wirtschaftliche Stabilität gefährdet.Es kommt deshalb entscheidend darauf an, solcher Besorgnis nachzugehen. Dies kann nur gelingen, wenn die politisch Verantwortlichen — und das ist auch der Bundestag — für eine solche Entwicklung von Wissenschaft und Technik sorgen,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979 13327
Bundeskanzler Schmidtdie von einer breiten Mehrheit akzeptiert werden kann und die dann eben nicht als vermeidbare Bedrohung empfunden wird.
Damit dies ermöglicht wird, bedarf es sorgfältiger breiter Information und Aufklärung der öffentlichen Meinung.
Diese Aufklärung und Information ist eine Bringschuld, keine Holschuld für den Bürger. Es ist eine Bringschuld für die Wissenschaft, für die Industrie und ebenso für den Staat.
Allerdings bedarf es in dieser Diskussion dann auch einer geistigen Führung, welche die Notwendigkeiten klar beim Namen nennt.
Allerdings bedarf es dazu auch des sorgfältigen Gesprächs mit den Bürgern, die alle praktischen Überlegungen über gangbare und über sozial verträgliche Wege in die Zukunft zunächst müssen verstehen können, wenn man von ihnen erwartet, daß sie sie billigen.
Ich zitiere in dem Zusammenhang Walter Scheel. vom letzten Sonntag, hier an diesem Pult gesprochen:Die Bürger sind bereit, Einschränkungen hinzunehmen, wenn ihnen die Gründe dafür einsichtig sind. Sie sind auch bereit, ihr Verhalten zu ändern und damit neugewonnene Möglichkeiten zu nutzen— und dann hat er noch hinzugefügt — und zu genießen.
In diesem Sinne appelliert die Bundesregierung an die Vernunft und an die Disziplin.
Die Verbraucherschaft insgesamt hat sich in den letzten Monaten hervorragend bewährt und hat dazu beigetragen, daß wir in diesem Lande in keine ernsthaften Versorgungsschwierigkeiten geraten sind.
Wir setzen auch in Zukunft auf diese Vernunft.
Im Vertrauen darauf halten wir gegenwärtig eine Tempobeschränkung oder ein Fahrverbot nicht für notwendig. Das gleiche gilt für Kontingentierung von Heizöl oder von Benzin.
Ich bin übrigens der Meinung, daß derjenige, der mal sein Auto stehenläßt, dadurch nicht auf Freiheit verzichtet, sondern daß er, auf diese Weise vielmehr einen sehr vernünftigen Gebrauch von seiner Entscheidungsfreiheit macht.
Natürlich kann man auch ohne ,Verbot oder Gebot den Fuß vom Gashebel nehmen.
Wenn sich herausstellen sollte, daß sich die internationale Energieversorgungslage weiter verschärft, oder wenn sich herausstellen sollte, daß der .Appell an die Verbraucher nicht die notwendige Resonanz findet, werden wir diese Entscheidungen überdenken müssen.
Aber wir gehen davon aus, daß die erhöhten Energiepreise zu einem noch sorgsameren Umgang mit der Energie führen werden. Der gestiegene Ölpreis wird auch die Industrie veranlassen, energiesparende Produktionstechniken anzuwenden. Uns erscheint dies wirksamer, als Vorschriften und Verbote zu erlassen.Aber die Kostensteigerungen bei 01 dürfen keinen Vorwand für allgemeine Preissteigerungen liefern.
Das Geld, das wir für die höheren Ölpreise ausgeben müssen, kann auch nur einmal ausgegeben werden. Es gibt keinen Trick, sich daran vorbeizumogeln, weder über die Notenpresse noch über höhere Löhne. Das führte nur zu Inflation.
Andererseits wäre es ein ebenso falsches Rezept, die inflatorischen Folgen der Ölpreissteigerungen umgekehrt durch eine deflationistische Politik aus der Welt schaffen zu wollen.
Es gibt keinen Weg darum herum, daß die OPEC-Preiserhöhungen zu einem Transfer, zu einer Übertragung von Realeinkommen aus den Völkern und Gesellschaften der Ölverbraucher in die Staaten und Völker der t Ölexporteure führen. Daran gibt es überhaupt kein Vorbeikommen, keinen ökonomischen Trick. Wir sind dieser Einkommensübertragung ausgeliefert, wahrscheinlich noch auf eine Reihe von Jahren. Wir müssen sie ertragen und dürfen uns nicht einbilden, wir seien Zauberer, die durch diese oder jene Wirtschafts- oder Währungsoder Finanzpolitik dieser Übertragung von Realeinkommen entgehen könnten. Das können wir nicht.
Weil wir das nicht können, ergeben sich aus dieser von der OPEC verordneten Preiserhöhung soziale Härten. Die Bundesregierung weiß, daß diese
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13328 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979
Bundeskanzler SchmidtBelastungen die Menschen unterschiedlich treffen. Sie prüft, ob für besonders hart Betroffene eine einmalige Hilfe gegeben werden kann, die sich nach Art und Umfang an der einmaligen Regelung von 1973/74 orientiert.
Ich fasse zusammen, meine Damen und Herren.Erstens. Die Bundesregierung warnt vor einer Unterschätzung des Problems des Weltölmarkts. Wir müssen vielmehr von einer ständigen zukünftigen Verteuerung des Öls ausgehen; denn die Vorräte an 01 auf der ganzen Welt sind begrenzt. Hierauf hat die Bundesregierung ihre Energiepolitik ausgerichtet.Zweitens. Wir brauchen eine internationale Zusammenarbeit in der Energiepolitik in der Europäischen Gemeinschaft, zwischen allen Industriestaaten und mit den Entwicklungsländern. Diese Notwendigkeit ist nach der jüngsten OPEC-Preiserhöhung aus der vorigen Woche in Genf noch deutlicher geworden. Auf die Dauer können nur durch eine Zusammenarbeit von Ölexportländern und Ölverbraucherländern die chaotischen Zustände auf den Weltölmärkten in geordnete Bahnen überführt werden. Nur durch eine solche Zusammenarbeit kann eine neue tiefe Strukturkrise der ganzen Weltwirtschaft vermieden werden.
Die Bundesrepublik Deutschland ist zu solcher Zusammenarbeit bereit.Drittens. Verstärkte Anstrengungen zur Einsparung, vor allem zum Ersatz des Öls, haben oberste Priorität.Viertens. Die Bundesregierung wird ihre bisherige Energiepolitik kontinuierlich, stetig, fortsetzen. Die Schwerpunkte dieser Politik für die 80er Jahre sind: Erste Priorität für die Nutzung der deutschen Kohle, konsequente Fortführung unserer Politik weg vom Dl und Ausbau der Kernenergie.Fünftens. Neue Nutzungstechniken für die Kohle, Entwicklung alternativer Energiequellen, insbesondere beschleunigte Entwicklung nicht erschöpflicher Energiequellen wie Sonnenenergie und Erdwärme, sind notwendig.Sechstens. Wir brauchen diesen vielfachen Fächer von Energiequellen und Energienutzungen in seiner vollen Breite. Dies unterscheidet unsere Politik von den Vorstellungen der CDU/CSU-Opposition, deren einzige Antwort die Kernenergie zu sein scheint.
Dabei bleibt die CDU/CSU bis jetzt sogar die Antwort auf die Frage schuldig, was denn endgültig mit dem Atommüll geschehen soll.
Siebtens. Die Bundesrepublik Deutschland hat seit 1973 erhebliche Erfolge bei der Energieeinsparung erreicht.
Im internationalen Vergleich, z. B. in Tokio, stehen wir damit anerkannterweise sehr gut da.
Auf Grund dieser guten Erfahrungen bin ich sicher: Wir können und wir werden auch die neuen Olprobleme ebenso erfolgreich bewältigen.Zum Schluß, meine Damen und Herren: Wir dürfen dabei unsere starke wirtschaftliche Position nicht zu Lasten anderer Staaten und Völker ausnutzen. Die Bundesregierung wird alles in ihrer Macht Stehende tun, um einen internationalen Verteilungskampf um das Öl zu vermeiden. Wir sind darauf vorbereitet, auch auf diesem Felde unserer Verantwortung für die Sicherung des Friedens gerecht zu werden.
Bevor ich die Aussprache zur Regierungserklärung eröffne, erteile ich das Wort nach § 34 der Geschäftsordnung dem Herrn Abgeordneten Porzner.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestragsfraktion dankt dem Bundeskanzler für die Regierungserklärung, die er soeben abgegeben hat.
Es wäre jetzt — —
Einen Moment, Herr Abgeordneter Porzner! Es geht hier um die Geschäftsordnung.
Darf ich bitten.
Es wäre jetzt die Aufgabe der Mitglieder des Deutschen Bundestages, dazu zuerst Stellung zu nehmen.
Einen Moment bitte, meine sehr verehrten Damen und Herren!
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979 13329
Es wäre jetzt unsere Aufgabe und unsere Pflicht, zuerst diese Regierungserklärung zu diskutieren. So war das seit Bestehen des Bundestages in den vergangenen 30 Jahren der Fall: bei allen Regierungen und bei allen Regierungserklärungen.
Aber das ist nicht möglich,
weil ein Mitglied des Bundesrates
von seinem Recht Gebrauch macht,
das in unserer Geschäftsordnung steht und folgendermaßen formuliert ist:
Die Mitglieder der Bundesregierung und des Bundesrates sowie ihre Beauftragten müssen auf ihr Verlangen jederzeit gehört werden.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bestreitet nicht dieses Recht, das im Grundgesetz verankert ist.
Aber es würde dem Bundesrat oder einem Mitglied des Bundesrats gut anstehen, zuerst zu hören, was der Bundestag zur Regierungserklärung zu sagen hat.
Ich füge hinzu: Der Deutsche Bundestag ist auch deswegen nicht imstande, so zu verfahren, wie er seit 30 Jahren verfahren hat, weil die CDU/CSU-Fraktion gar keinen Redner beim Präsidenten gemeldet hat,
weil die CDU/CSU-Führung und -Fraktion abgetreten sind und die Führung an Bundesratsmitglieder abgegeben haben.
Ich bitte, daß darüber nachgedacht wird, daß das, was wir heute praktizieren müssen, eine Ausnahme bleibt.
Ein Wort zur Geschäftslage hier: Nicht nur unsere Geschäftsordnung, sondern schon Art. 43 Abs. 2 des Grundgesetzes gibt den Mitgliedern des Bundesrates und der Bundesregierung das Recht,
jederzeit das Wort zu ergreifen.
Der jeweilige Bundestagspräsident hat keine Möglichkeit, nach § 33 zu verfahren.
— Frau Kollegin Lepsius, es hat keinen Sinn, grundgesetzliche Bestimmungen wegdiskutieren zu wollen.
Die Geschäftsordnungslage ist die, daß sich zu Wort gemeldet haben: der Ministerpräsident des Freistaates Bayern,
der Bundesminister für Wirtschaft
und der Ministerpräsident des Landes Niedersachsen
sowie das Mitglied des Deutschen Bundestages, Herr Kollege Schmidt von der SPD.
Das heißt: Wenn der Präsident nicht nach den grundgesetzlichen Bestimmungen verfahren müßte, könnte er jetzt einem Mitglied des Bundestages das Wort erteilen.
Da er aber keinen Ermessensspielraum hat, eröffne ich die Aussprache zur Regierungserklärung und erteile dem Ministerpräsidenten des Freistaates Bayern das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist ein gutes Zeichen für die Wertschätzung des föderalistischen Systems in der Bundesrepublik Deutschland, daß der erste Auftritt eines an Amtsjahren jungen Ministerpräsidenten
vor dem Deutschen Bundestage soviel Aufsehen erregt
und eine so außergewöhnlich lautstarke Begleitmusik ausgelöst hat.
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13330 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979
Ministerpräsident StraußEs ist allerdings nicht neu, daß von dieser Stelle aus ein Mitglied des Bundesrats, vornehmlich der Regierungschef eines Landes, das Wort ergreift.
Das ist schon vielmals geschehen.
Wenn ich heute als erster nach dem Bundeskanzler zu sprechen die Ehre habe, dann deshalb,
weil seine kritischen Bemerkungen und seine ablenkenden Appelle ja in der Hauptsache an die Adressen der Bundesländer
und vornehmlich an die Adresse des Bundeslandes Niedersachsen und an die Adresse des Bundeslandes Freistaat Bayern gerichtet worden sind.
Ich möchte nicht verfehlen, soweit es mir im Rahmen meiner Antwort zusteht, den Teilnehmern dieser Debatte, die ja nicht nur aus Bundestagsmitgliedern bestehen, sondern auch aus einer breiten Offentlichkeit, das Vergnügen zu geben oder die Genugtuung zu verschaffen, daß die Worte des Herrn Bundeskanzlers auch gemäß unserer Wertschätzung für ihn entsprechend beantwortet werden,
und zwar von denen, an deren Adresse sie gerichtet worden sind.An die Adresse der Kollegen von der SPD darf ich die Frage richten — Sie brauchen sie nicht zu beantworten —,
warum Sie eigentlich so nervös sind.
Ist das von Ihnen auf den Bundeskanzler übergesprungen, oder haben seine heute demonstrativ vorgewiesenen schlechten Nerven sich Ihrer bemächtigt? Denn ich gehöre lange genug — auch in anderer Funktion — diesem Hohen Hause an, um sagen zu dürfen, daß Zwischenrufe von Abgeordneten der jeweils anderen Fraktion nicht als „dummerhafte Zwischenrufe" bezeichnet werden sollten.
Aber ich stelle seit geraumer Zeit fest, daß der Herr Bundeskanzler sprachschöpferisch nicht seine stärksten Seiten entwickelt.Herr Bundeskanzler, Sie haben über eine Reihe von Problemen gesprochen, die nationale und internationale Bedeutung und Auswirkung haben. Aber wir — sei es als Mitglieder des Bundesrates, sei es als Mitglieder des Hohen Hauses — haben nicht das Maß an Information bekommen, das wir bei diesemAnlaß und zu diesen Themen hätten erwarten dürfen.
Es ist doch nicht angängig, daß die gegensätzlichen Meinungen von bedeutenden Mitgliedern der Bundesregierung der mehr erschreckten als staunenden Offentlichkeit über die Presse dargeboten werden und die Länder ebenso informiert werden, der Regierungschef des Bundes hier dazu aber so gut wie nichts sagt. Sollen wir uns an Graf Lambsdorff orientieren, sollen wir uns an Herrn Hauff orientieren? Prophete links, Prophete rechts — wie man sie verteilt, bleibt den jeweils Betroffenen überlassen —; das Weltkind in der Mitte schweigt dazu.Der Herr Bundeskanzler hat die Überzeugung geäußert, daß das Gipfeltreffen in Tokio schon in relativ kurzer Zeit als „wirtschaftliche Zäsur" empfunden werden würde, aber mit dieser positiven Meinung steht er in der Bundesrepublik Deutschland bisher fast allein. Man muß doch wirklich fragen: War Tokio d i e Gipfelkonferenz? Jeder, der hernach das internationale Echo aufgenommen und analysiert hat, muß zu der Schlußfolgerung kommen: Es war im günstigsten Falle eine Vorgebirgskonferenz, aber noch lange nicht die Gipfelkonferenz, auf der die entscheidenden Probleme ausgetragen werden.
Niemand, Herr Bundeskanzler, spricht Ihnen Intelligenz, schnelle Urteilsgabe und noch schnellere Reaktion ab. Deshalb kann Ihnen doch nicht entgangen sein, daß Gipfelkonferenzen wie die in Tokio geeignet sind, den Begriff „Gipfeldiplomatie" allmählich ad absurdum zu führen. Denn die Veranstaltung von Gipfelkonferenzen ist kein Mittel zur Überwindung innenpolitischer Probleme und ist auch kein Mittel zur Bewältigung innerparteilicher Krisen.Bei einem ähnlichen Anlaß habe ich vor gut einem Jahr im Deutschlandfunk einmal folgendes gesagt — ich darf, wenn der Herr Präsident es genehmigt, einige Sätze zitieren —:Darf ich zunächst einmal auf das sattsam bekannte Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel aufmerksam machen, das seit vielen Jahren so abläuft, daß man angesichts der Unfähigkeit oder mangelnden Entschlossenheit, die Probleme zu Hause anzupacken, von der Notwendigkeit internationaler Lösungen spricht, die Menschheit vertröstet mit der Bemerkung: Zu Hause können wir das nicht machen, das können wir nur auf einem internationalen Treffen — auf europäischer Ebene, auf atlantischer Ebene, auf der Ebene der großen Industriestaaten — entscheiden. Wenn dann die Vertreter dieser jeweiligen Gremien sich treffen, dann stellen sie fest, daß sie international sich nicht einigen können, daß sie außer allgemeinen Schlagworten und gut klingenden Zielen sich nicht über konkrete Maßnahmen einigen können, weshalb sie dann sagen: Die eigentliche Wirtschaftspolitik, die Stabilisierungspolitik muß zu Hause einsetzen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979 13331
Ministerpräsident StraußGenauso kann man es auch hier für die Energieeinsparungspolitik sagen.Weil man aber zu Hause damit nichts anfangen kann — wegen ideologischer Streitigkeiten, wegen parteiinterner Gegensätze, wegen koalitionspolitischer Reibereien, wegen ideologischer Hindernisse u. a. —, verweist man die staunenden, erschreckten oder hoffnungsvollen Bürger wieder auf die nächste internationale Begegnung.
Der Tokio-Gipfel ist wie kein anderer Gipfel zuvor — man kann sagen, von rechts bis links — auf ein nahezu einhelliges Negativurteil in den Massenmedien der Bundesrepublik, in Presse, Rundfunk und Fernsehen, gestoßen. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" schreibt von einem „Gipfel der Unvernunft" und meint: „Es wäre besser gewesen, wenn der Welt dieser Gipfel erspart gebieben wäre." „Die Welt" urteilt, „die Tokioer Sparformel verdiene den Namen nicht", das Ergebnis komme „einem Fehlschlag nahe", für den Bundeskanzler bedeute es eine „Niederlage", die sich „nur mühsam beschönigen" lasse. Das waren wörtliche Zitate. Ein dem Bundeskanzler manchmal nahestehendes Magazin benutzt die Worte: „kleinliches Gezänk", „dürftiges Programm", „absurdes Theater". Die „Frankfurter Rundschau", die sicherlich nicht dem Lager meiner politischen Überzeugung nahesteht, gibt ihrem Leitartikel die Überschrift „Flucht aus der Verantwortung" und stellt fest:Was die Staats- und Regierungschefs nach ihrem Zwei-Tage-Ringen zum Thema Öleinsparen als kleinsten gemeinsamen Nenner in das Abschlußkommuniqué zauberten, läuft in der Praxis auf eine Verdummung der Wähler zu Hause hinaus. Mit ihrem Verzicht auf notwendige Führung haben die sieben Staats- und Regierungschefs die Einrichtung der Weltwirtschaftsgipfel, ins Zwielicht gebracht.Besonders kritisch vermerkt wird die Tatsache, daß die vier Länder der Europäischen Gemeinschaft eine „Niederlage" — so die „Frankfurter Rundschau" — erlitten haben, weil durch das Ergebnis der Konferenz „die Europäer in der Erdölpolitik auseinanderdividiert werden" — siehe die Ausklammerung des englischen Öles aus der Importberechnung — und weil „es die gemeinsame Politik der Gemeinschaft nur eine Woche lang gegeben hat". So die „FAZ". In der „Frankfurter Rundschau" hieß es:Dadurch, daß das englische Gemeinschaftsöl in Importöl für den Rest Europas verwandelt wird, ist auch „ein Spaltpilz in der Gemeinschaft geschaffen worden, der gefährlich wuchern kann".
— Ich glaube, daß Ihnen das unangenehm ist; aber ich werde mich nicht aus der Sicht eines Bundestagsabgeordneten, sondern nunmehr aus der Sicht eines Regierungschefs eines Landes, der sich mitdiesen Problemen genauso wie der Kollege Albrecht täglich herumschlagen und Entscheidungen treffen muß, sehr kritisch zu dem Rückhalt äußern, den wir auf der Länderseite von seiten der Bundesregierung in diesem Zusammenhang haben.
Hier nützen uns Appelle sehr wenig.
Auch „Time" schreibt am 2. Juli mit Recht: „These summits become nothing more than a kind of group therapy". Das heißt: Diese Gipfel haben allmählich keinen anderen Charakter mehr als den einer Art Gruppentherapie. Das ist der Ersatz von Nationaltherapie durch Gruppentherapie und umgekehrt.Lassen Sie mich einige Worte zu der Lage sagen, der wir gegenüberstehen, mit der wir fertig zu werden haben. Die Energiereserven der Welt werden insgesamt auf rund 909 Milliarden Tonnen Steinkohleeinheiten geschätzt. 70 % davon entfallen auf Kohle, 15 % auf Erdöl, 9 % auf Erdgas, 6 % auf Uran. Der Weltenergieverbrauch betrug 1977 rund 8,6 Milliarden Steinkohleeinheiten, ohne Wasserkraft. Davon entfielen auf Kohle 32 %, auf Erdöl 47 %, auf Erdgas 20 %, auf Uran 1 %. Man sieht, daß zwei Drittel des Weltenergiebedarfs heute durch Erdöl und Erdgas gedeckt werden. Ein Blick auf die Vorratskammern der Erde zeigt aber auch, daß es dabei nicht lange bleiben darf; denn Öl und Gas umfassen nur ein Viertel aller wirtschaftlich abbaubaren Energiereserven. Ich sage das deshalb, Herr Bundeskanzler, weil wir von Ihnen gern etwas über die Fristen gehört hätten, die Sie sich vorstellen. Wie lange wird es z. B. in der Bundesrepublik voraussichtlich dauern, bis wir mit eigener Kohle oder mit Importkohle, über die Sie sich sehr sorgsam, aber auch sehr zurückhaltend bis nichtssagend, geäußert haben, ein Kohleverflüssigungs- oder Kohlevergasungsverfahren industriell nutzbar und in unsere Energieprogrammierung einkalkulierbar machen können.Wenn Sie sagen, es habe keinen Sinn, eine weitere Fortschreibung des Energieprogramms zu verlangen, dann möchte ich Ihnen hier heute schon sagen, daß zumindest die unionsregierten Länder — da Sie auf die übermorgen stattfindenden Gespräche mit den Ländern hingewiesen haben, darf ich ebenfalls darauf hinweisen — von Ihnen eine Fortschreibung des Energieprogramms erwarten, weil es sich hier nicht mehr um Termine handelt, bei denen man von Wahlkampf zu Wahlkampf rechnen kann, schon gar nicht von Landtagswahlkampf zu Landtagswahlkampf, von Bundestagswahlkampf zu Bundestagswahlkampf, sondern weil es sich hier fast um Generationenfragen handelt, nämlich darum, ob die Haftung der heutigen Generation für das Leben der morgigen Generation von entschlossenen, verantwortungsbewußten Politikern — Sie wollen sich doch dazu rechnen — auch tatsächlich ernst genommen wird.
Ich verstehe es zwar, daß Sie es als Regierungschef schwer haben, etwas zum Verhalten einiger Mitglieder der Gipfelkonferenz zu sagen — hier ist sicherlich auch diplomatische Rücksicht und politi-
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13332 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979
Ministerpräsident Straußsehe Vorsicht geboten —, aber ein Vergleich zwischen den Energieverbrauchern zeigt, daß allein die USA 29 0/0 der Weltenergie verbrauchen, während die gesamten EG-Länder nur 15 % für sich beanspruchen. Japan besitzt einen Anteil am Weltenergieverbrauch von 5,6 %, die Bundesrepublik von 4,2 %, Großbritannien von 3,4 % und Frankreich von 3,0 %.
Auf die OPEC-Länder entfallen zur Zeit zwei Drittel der Ölreserven und fast die Hälfte der Ölförderung der Welt. Das Ausmaß der künftigen Ölbedarfsdeckung wird schwergewichtig von den 23 Staaten dieses Kartells entschieden werden. Auf Grund des Risikos einer geringen Förderbereitschaft der OPEC-Staaten dürfte die Obergrenze der Welterdölförderung ausgangs der 80er Jahre bei 4 Milliarden Tonnen pro Jahr liegen. Wie hoch das politische Risiko einer Erdölabhängigkeit von den OPEC-Ländern ist, ist nicht erst seit dem Fall Iran bekannt. Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, sagen, daß die Ereignisse im Iran nicht vorhersehbar waren, so ist richtig, daß niemand verlangt, daß Bundeskanzler über die Kunst der Prophetie verfügen. Soweit Sie es versucht haben, sind Sie in den letzten zehn Jahren von der Wirklichkeit meistens eines anderen belehrt worden.
Aber daß die Entwicklung im Iran zu einer krisenhaften Verschärfung auf diesem Gebiete führen würde, zeichnete sich doch angesichts der Äußerungen der in diesen Konflikt verwickelten Parteien seit geraumer Zeit ab.Ich kann nicht umhin, auch hier einmal zu sagen, welche vier Komponenten das explosive Gemisch, das brisante Problem ausmachen, vor dem wir heute politisch wie wirtschaftlich — man kann ruhig sagen: auch sicherheitspolitisch — stehen.Dieses brisante Gemisch wird zum ersten durch die Vorgänge im Iran selber dargestellt. Wenn es schon ausreicht, daß der Ausfall einer Marginalmenge zu solchen Erschütterungen führt, dann muß man — zweitens — die Frage stellen: Was sind die Auswirkungen der Ereignisse im Iran auf die politische Stabilität der Staaten des Mittleren Ostens, die ja nicht immer auf Granit gebaut sind, sondern die zum Teil auch — nicht nur geographisch — auf Sand gebaut zu sein scheinen?
Wenn hier noch eine weitere Erschütterung erfolgt, dann stehen wir vor der dritten großen Krise dieses Jahrhunderts. Wenn ich die erste mit dem Jahre 1914 bezeichne, die zweite mit den 30er Jahren, der Zuspitzung, die von Deutschland ausging und zum weltweiten Krieg durch Hitlers wahnsinnige, verbrecherische Politik führte, so stehen wir jetzt vor einer dritten großen Krise, wenn es uns nicht gelingt, sie zu vermeiden.Die dritte Komponente ist die Abhängigkeit der Industrieländer — noch viel mehr Europas als Nordamerikas — von der Belieferung aus dieser Region. Die Europäer — so auch wir — sind ja bis zu 80 % ihrer Ölversorgung davon abhängig. Die Amerikaner können sich, allerdings nur dann, wenn sie bereit sind, den Gürtel enger zu schnallen und große Konsumverzichte zu erbringen, innerhalb einer überschaubaren Zahl von Jahren für eine große Zahl von Jahren von Belieferungen aus dieser Ecke der Welt unabhängig oder fast unabhängig machen. Aber wir sind am Ende unserer wirtschaftlichen Stabilität, unserer sozialen Stabilität und unserer gesellschaftlichen Stabilität, wenn es hier zu Verteilungskämpfen ernster Art kommen wird.
Das vierte, worauf in diesem Zusammenhang hinzuweisen ist — ich sage es ungern, aber es nicht zu sagen, wäre Täuschung der Offentlichkeit oder Unehrlichkeit —, ist die Ungelöstheit der arabischisraelischen Frage, die als vierte Komponente — zusammen mit den drei anderen Komponenten — ein Gemisch ergibt, das einen hochexplosiven Charakter hat. Ich möchte zu diesem Thema aus verständlichen Gründen nichts weiter sagen, nur so viel: Sehr viele Gespräche mit vielen Besuchern aus dieser Region — aus beiden Lagern —, die in den letzten Jahren und Monaten nach München gekommen sind und ihre Lage auf der Durchreise dargestellt haben, haben mich zwei Dinge gelehrt:Erstens. Mit dem Friedensvertrag zwischen Begin und Sadat, einem mutvollen und verdienstvollen Werke zweier großer Staatsmänner, ist das Problem noch nicht gelöst, ja noch nicht einmal einer Gesamtlösung entscheidend nähergebracht worden.
Das zweite, was dazu gesagt werden muß: Herr Jamani hat ja keinen Zweifel gelassen, was uns ins Haus steht. Herr Jamani ist Erdölminister eines der großen Erdöllieferländer, eines Landes, das offensichtlich auch der Bundeskanzler heute als zur Gruppe der gemäßigten Länder gehörend bezeichnet hat. Herr Jamani hat in der Vertretung Saudi-Arabiens vor einer stärkeren Erdölpreisanhebung gewarnt und die Forderungen Saudi-Arabiens auf 18 Dollar pro Barrel begrenzt. Aber wir haben es jetzt zum erstenmal mit der Tatsache zu tun, daß man sich nicht auf einen einheitlichen Preis geeinigt, sondern eine sehr weite Preisspanne eröffnet hat. Und wie es bei solchen Dingen immer zu gehen pflegt: Wenn eine Ware knapp wird — sie ist ja knapper geworden —, wenn darüber hinaus weitere Marginalmengen entfallen, ist es unvermeidlich, daß sich der Verkaufspreis immer nach dem oberen Ende der Marge richtet, die von den Lieferländern vereinbart wird. Daran kann man — das ist leider so — ernsthaft nicht zweifeln.Herr Jamani sagt nun in einem Interview in der „New York Herald Tribune" von vorgestern auf die Frage, ob es zwischen den Problemen der Ölfront und der Lösung des Palästinenserproblems eine Verbindung gebe, sinngemäß: Das ist nicht unsere An-
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Ministerpräsident Straußgelegenheit; aber unsere Angelegenheit ist es, die Risiken zu sehen, die daraus erwachsen, und die Verpflichtung der Mächte Amerikas und Europas — Europa möglichst in einer Sprache sprechend —, zur Lösung dieses Problems das Ihre beizutragen.Ich weiß auch sehr wohl, daß man Lösungsmöglichkeiten solcher Probleme nicht von der Rednertribüne eines Parlamentes verkünden kann, wenn man nicht in höchst komplizierte Zusammenhänge eingreifen will. Herr Jamani sagt dann weiter — ich versuche schnell zu übersetzen —: Für die nächste Zukunft besteht hier kein unmittelbarer Zusammenhang. Aber seien Sie vorsichtig, machen Sie keinen Fehler; denn das ist eine sehr reale und sehr ernst zu nehmende Drohung. Wir wissen von der iranischen Krise, daß das plötzliche Fehlen von 3 Millionen Fässern pro Tag auf den Weltmärkten selbst in einer Zeit von Überfluß und Extrakapazitäten Saudi-Arabiens eine Panik verursacht hat. Sie können mit Sicherheit annehmen, daß wir dieses Kissen jetzt verloren haben. Wenn noch etwas in dieser Gegend passiert, das eine weitere Verminderung von 3 Millionen Fässern pro Tag auf den Weltmärkten zur Folge hätte, würde das Panik erzeugen, selbst wenn Saudi-Arabien Überkapazitäten und Überproduktion hätte. Sie können mit Sicherheit annehmen, daß wir dieses Kissen jetzt verloren haben — sagt Herr Jamani noch einmal —; es mag sein, daß der Preis innerhalb kurzer Zeit auf 50 Dollar je Faß hinaufschnellen wird.Selbst wenn man diesen Zeitraum nicht in Monaten oder wenigen Jahren bemißt, d. h., wenn es eine Entwicklung ist, die bis zu fünf Jahren, vielleicht aber auch zwischen fünf und zehn Jahren dauern wird, müssen die Staatsmänner der Welt in ihr Kalkül einfach einbeziehen, daß einerseits die Abhängigkeit der Europäer — mehr als der Nordamerikaner — von der Öllieferung aus dem Mittleren Osten wächst und andererseits mit der — wenn auch nicht offen ausgesprochenen, so aber doch deutlich zum Vorschein kommenden — Entschlossenheit der arabischen Länder zu rechnen ist, die Ölwaffe zur Erzielung politischer Ziele bzw. Erwirkung einer politischen Einflußnahme zu benutzen. Darum auch damals der Wunsch, Herr Bundeskanzler — wir haben uns ja nach der kleineren Gipfelkonferenz in Guadeloupe im sogenannten Kernenergierat um das Jahresende herum getroffen —, daß sich diejenigen, die für die großen Militärmächte oder für die großen Wirtschaftsmächte sprechen — zur zweiten Kategorie gehört die Bundesrepublik mit Ihnen als ihrem politisch Verantwortlichen —, endlich dieser Themen annehmen, um zu verhindern, daß wir nicht immer von Krise zu Krise taumeln, uns von Panik zu Panik weiterbewegen und eines Tages in eine Explosion hineingezogen oder auf einen abschüssigen Weg gebracht werden, auf dem es keinen Punkt der Umkehr mehr geben wird.
Darüber, Herr Bundeskanzler, hier ein Wort den Regierungschefs der Länder, aber auch den Mitgliedern dieses Hohen Hauses und des Bundesrats zu sagen, wäre für uns schon viel wichtiger gewesen als der Hinweis auf die Wintergarderobe und darauf, daß man sich in den Amtszimmern auf 20 Grad einzurichten hat, wobei wir auf die Amtszimmer im Zweifelsfall gar nicht angewiesen sind.Selbst „Figaro" schreibt:Das Verdikt ist gesprochen: Die Welt ist zur Rezession und zum Mangel verurteilt. Und das fängt erst an. Wir stehen am Rande des Abgrundes. Nichts hindert ein OPEC-Mitglied daran, in einem Monat, in drei Monaten neue „wilde" Haussen anzuwenden. Es ist so einfach, der Spekulation nachzugeben. Seien wir deutlich: Diese Woche war entscheidend für die Zukunft der ganzen Welt. Sie endete in einem Mißerfolg. Die OPEC hat es abgelehnt, sich wie eine erwachsene Organisation zu benehmen.So geht es in dem Text von „Figaro" weiter. „Figaro" gehört bestimmt nicht zu den scharfmacherischen, auf Panikerzeugung abgestellten Presseorganen, sondern zu den sehr maßvoll kommentierenden und — soweit es möglich ist — wahrheitsgemäß informierenden und auch sehr informativen Organen der europäischen Presse.Daß die Erdölzeuger natürlich für ihre Produkte möglichst viel bekommen wollen wer tut das nicht? Wo liegen die Grenzen? Daß sie ihre Reserven möglichst lange strecken wollen, um ihre Situation möglichst lange so zu erhalten, wie sie heute ist und sich immer stärker entwickelt, ist einfach eine Tatsache. Daß hier politische Forderungen mit der Ölwaffe angemeldet und durchgefochten werden, darüber kann man als aufmerksamer Beobachter einfach nicht mehr die Augen verschließen.
Herr Bundeskanzler, ich weiß, wie schwer es ist, wenn man mit diesen Parteien regieren muß, wie Sie sie haben.
Aber die deutsche Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf, zu erfahren, wie der deutsche Regierungschef den Ernst der Lage — der Weltlage, der europäischen Lage und der nationalen Lage — beurteilt;
denn die Offentlichkeit wird natürlich erschreckt, wenn sie etwas von „Verteilungskämpfen" hört, ja, wenn von „Verteilungskriegen" die Rede ist. Das ist aber nicht eine Aussage, die sich so in einem Kamingespräch zur Verbreitung eignet oder in einem Interview mit weiß Gott welchem Organ. Auch wir, die Mitglieder des Bundesrats, die Regierungschefs der Länder, die in weiten Bereichen auf Grund der gesetzlichen Lage Ihre Politik ausführen müssen, ausführen wollen und ausführen sollen, würden gern wissen, woran wir sind.Lassen Sie mich, gerade weil dieses Thema die Offentlichkeit heute mehr als in irgendeinem Zeitraum nach dem Zweiten Weltkrieg bewegt, folgendes sagen. Wir haben das Glück, 34 Jahre lang gesicherten Frieden und gesicherte, friedliche Zustände zu haben, die sich materiell immer besser entwickelt haben. Ich möchte hier mit ganz wenigen Sätzen meine Meinung zum Ausdruck bringen dür-
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13334 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979
Ministerpräsident Straußfen. Die geschichtliche Erfahrung dieses Jahrhunderts lehrt, daß es vor dem Ausbruch eines Krieges steht weniger und leichter lösbare Probleme gegeben hat als nach dem Ende eines solchen Krieges. Das trifft sowohl für den Ersten als auch für den Zweiten Weltkrieg zu.Deshalb können wir auch nur warnend sagen, als Bitte an diejenigen, die in dieser Welt die Macht in ihren Händen haben — ob die Macht aus Atomwaffen oder aus der Ölwaffe besteht —, sich dessen bewußt zu sein, daß die scheinbar unlösbaren Probleme von heute durch einen Krieg auf keinen Fall gelöst werden können
und daß jede gewaltsame Lösung mehr neue Probleme schafft, als sie alte Probleme zu bewältigen in der Lage ist.Ich will nicht nur vom Krieg sprechen, sondern auch, Herr Bundeskanzler, von einem anderen Wort, das gleichfalls mit „K" beginnt: es heißt „Konfrontation". Hier wird so leichtfertig davon gesprochen, daß der Bundesrat mit seiner Mehrheit angeblich eine Politik der Konfrontation vertrete, und natürlich darf mein Name dabei auf der ersten Seite nicht fehlen. Ich sage Ihnen dazu verbindlich etwas, was ich durch die Praxis beweisen kann. Da, wo wir Ihre Politik für das Wohl der Menschen in unseren Ländern — —
Darum darf ich mit großem Ernst sagen — —
— Jeder hat seine eigene Kinderstube.
Da, wo wir der Überzeugung sind, daß Ihre Politik dem Wohl der Menschen dient, dem Wohl der Menschen in unseren Ländern dient, dem Wohl der Menschen in der Bundesrepublik Deutschland dient, im anderen Teil Deutschlands dient, in Europa dient, unterstützen wir diese Politik ohne Wenn und Aber,— manchmal mehr, als Ihre eigenen Freunde es tun.
Das gilt ganz besonders für das Energieprogramm der Bundesregierung. Bund und Länder haben sich— ich darf sagen: auch die Fraktionen der CDU/ CSU, ohne derem Redner vorgreifen zu wollen — doch hier gleichlautend dazu verpflichtet, dieses Energieprogramm durchzuführen. Wir haben uns redliche Mühe gegeben — in den Ländern, aber auch innerhalb unserer politischen Gruppierungen —, dieses auch dort leicht zum Streitgegenstand machbare Thema aus wahlpolitischen Auseinandersetzungen im Sinne eines Kampfmittels gegen die Politik der Bundesregierung herauszuhalten.
Es gibt keine Konfrontation gegen eine Politik, die den Ländern nutzt, die dem deutschen Volke nutzt. Es gibt eine Politik der pragmatischen Beweglichkeit. Die haben wir auf dem Gebiete der Steuerpolitik bewiesen, wir haben Vorschläge der Bundesregierung, nicht ohne Wenn und Aber, angenommen, uns bemüht, von der Länderseite her sie zu verbessern — dafür haben wir ja das Instrument des Vermittlungsausschusses —, um dann ein Ergebnis zu erreichen, das den von uns angestrebten Zielen näherkommt, als es die Verwirklichung des Regierungsentwurfes bedeutet hätte. Das war ja auch keine Politik der Konfrontation. Dann ist es natürlich unvermeidlich, daß in solchen Bereichen wie der Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge oder bei der Neuregelung des Jugendhilferechts grundverschiedene Vorstellungen von der Stellung der Familie auf der einen Seite und der Funktion des Staates und der Gesellschaft auf der. anderen Seite uns zum Widerstand veranlassen. Auch das ist legitim.
Gerade das Beispiel Kernenergie beweist ja zwingend, daß die Chefs der Bundesländer — gerade der Unionsländer — sich bemühen, das Energieprogramm der Bundesregierung zu erfüllen, weil wir uns der gemeinsamen Verantwortung bewußt sind. Wer weiß, wer im Jahre 1985 noch Ministerpräsident ist? Wer weiß, wer im Jahre 1985 noch Bundeskanzler ist, oder wer es dann sein wird? Aber die Probleme, die wir heute zu lösen haben, die reichen für den Rest des 20. Jahrhunderts. Wir müssen sie heute anpacken, ohne auf den Tellerrand des nächsten Wahlkampfes zu schauen.
Zum Beispiel ist während des schleswig-holsteinischen Landtagswahlkampfes die Kernenergiefrage gerade von Ihren Vertretern — von den Vertretern Ihrer Partei, Herr Bundeskanzler — in den Mittelpunkt gestellt worden. Der Hauptgeschäftsführer Ihrer Partei hat erklärt, nur Herr Stoltenberg wolle Brokdorf und nur Herr Albrecht habe Gorleben zu verantworten. Mich als Ministerpräsidenten auch eines kernenergieproduzierenden Landes und als aufmerksamen Beobachter und Verfolger der Verhandlungen in dem Nuklearrat
hat dieses Verhalten mit hellichter Empörung erfüllt.
Der Regierungschef eines Stadtstaates, der 70 % des Stromes von Brokdorf beansprucht, sagt: Wir kommen ohne Kernenergie aus.
Er sagte es, um damit Herrn Stoltenberg — er hat ja das Recht, um seine Wiederwahl zu kämpfen; das ist das legitime Recht jedes demokratischen Politikers — bei den Wählern in Mißkredit zu bringen. Herr Bahr disqualifiziert die Anlage Brokdorf sozusagen als persönliche Laune des Herrn Stoltenberg und Gorleben als persönliche Laune des Herrn
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Ministerpräsident StraußAlbrecht. Wenn ein enger Mitarbeiter von Ihnen bei dem gleichen Anlaß erklärt, in Kiel sei die SPD eben gegen die Kernenergie, in Bonn könne sie aber dafür sein —
der Bund besteht ja territorial nur aus den Bundesländern; soviel ich weiß, gibt es keinen einzigen Quadratkilometer Fläche in der Bundsrepublik Deutschland, der nicht einem Bundesland zugeordnet wird —, dann ist das doch ein unglaublicher Akt von Verantwortungslosigkeit. Da, wo man an der Front die Dinge gegen echte oder vermeintliche Widerstände, gegen echte oder vermeintliche abergläubische oder auch nicht abergläubische Vorstellungen durchsetzen muß, scheut man die Verantwortung und wiegelt die Offentlichkeit gegen die Ministerpräsidenten, die ihren Kopf hinhalten müssen, auf, Ministerpräsidenten, die immer wieder vor der Frage stehen: Wie weit darf die Polizei gehen, wenn bürgerkriegsähnliche Vorbereitungen getroffen werden? Wir leben doch in unseren Ländern lieber in Ruhe und Frieden, statt daß wir uns wegen der Durchführung des Energieprogramms der Bundesregierung mit 5 000, 10 000 zum Teil als Chaoten organisierten Menschen auseinandersetzen.
Deshalb ist diese Frage, von der Sie heute sprechen, nicht von der Tribüne des Bundestages aus mit Appellen an die Vernunft und die Disziplin zu lösen. An Ort und Stelle, wo es um die konkrete Entscheidung geht, müssen die Führer der verantwortlichen politischen Kräfte in der Bundesrepublik und alle, die hinter ihnen stehen, gemeinsam den Kopf hinhalten.
Herr Albrecht hat eine von Ihnen beanstandete Entscheidung getroffen, daß zwar die Endentsorgung mit Wiederaufbereitung technisch realisierbar sei, aber, wenn ich ihn richtig verstanden habe, zur Zeit politisch nicht durchsetzbar sei. Ich bin kein Experte, der sagen kann, ob in den nächsten fünf oder zehn Jahren ein anderes Endentsorgungskonzept möglich sein wird. Das müssen wir den Wissenschaftlern und Technikern überlassen. Wir können uns aber nicht darauf verlassen, daß die mit Sicherheit ein anderes Konzept entwickeln werden.Ich habe hier einige Erfahrungen mit Terminen. Als wir damals begannen, unseren Rückstand auf dem Gebiete der Kernwissenschaft und Kerntechnik aufzuholen, beginnend im Jahre 1955, da waren wir der Meinung, daß die Zähmung der Fusionsenergie, von der auch heute hier die Rede war, in absehbarer Zeit gelöst werden könnte. Die internen Berechnungen der Mitarbeiterstäbe und ihrer wissenschaftlichen Berater — Persönlichkeiten von hohem Rang, wenn ich nur die Namen Heisenberg und Hahn erwähne — waren der Meinung, daß man das Problem 1980 experimentell gelöst haben könnte, daß man vielleicht bis. zur Jahrhundertwende diese Energie schon in Pilotanlagen verwenden und zu Beginn des 21. Jahrhunderts die industriell-wirtschaftliche Verwendung beginnen könnte. Diese Prognose warfalsch. Das Problem wird eines Tages gelöst werden. Sich aber heute auf Wasserstofftechnik oder auf Kernfusionstechnik zu verlassen, um der möglichen Probleme und Entscheidungen von heute enthoben zu sein, wäre grobe Verantwortungslosigkeit.Im übrigen ist es bezeichnend, daß Sie davon gesprochen haben, daß die nichtnukleare Forschung heute im Gegensatz zu früher einen größeren Anteil an den Forschungsmitteln im Verhältnis zum Anteil der nuklearen Forschung beanspruche, wobei Sie mit Recht die Sicherheitstechnik für die Reaktoren besonders hervorgehoben haben. Ich verstehe aber nicht, warum die Bundesregierung die Mittel für die Plasmaphysikforschung zur nichtnuklearen Forschung gerechnet hat. Wohl um damit das Verhältnis der Mittel optisch schön frisieren oder kosmetisch ausgestalten zu können. Forschungsmittel für Plasmaphysik betreffen nukleare Forschung. Das Ziel der plasmaphysikalischen Forschung läuft darauf hinaus, eines Tages eine unerschöpfliche Energiequelle aus Wasser in Gestalt der Fusionsenergie, allerdings dann auch mit Abfallbeseitigungsproblemen, zu erhalten.Ich kann in dem Zusammenhang auch nicht verhehlen — nicht, weil es ein Dauerlutscher ist, sondern weil ich schwere innenpolitische Auseinandersetzungen vor uns sehe —: Wenn das Energieprogramm der Bundesregierung durchgeführt und wenn es weitergeschrieben werden soll, warum hat man es uns in den Ländern fast unmöglich gemacht — fragen Sie alle Fachleute der Polizeien, die im Laufe der Jahre umfangreiche Erfahrungen mit Massendemonstrationen und gewaltsamen Demonstrationen gesammelt haben —, gewaltsame Demonstrationen unter Kontrolle zu bekommen? Warum haben Sie das Demonstrationsstrafrecht auf Vorschlag der Bundesregierung mit der Mehrheit hier im Hause so geändert, daß, wenn die Gewalttäter, die Chaoten, in unserem Lande angreifen, die Polizei in fast ausweglose Situationen gebracht wird?
Darum erbitten wir und verlangen wir ja nichts anderes, als daß die verantwortlichen politischen Kräfte sich nicht nur hier in diesem Hause zu einem gemeinsamen Energieprogramm bekennen und seine Fortschreibung auch hoffentlich rechtzeitig betreiben, sondern daß auch die Konsequenzen daraus von allen politischen Kräften an Ort und Stelle getragen werden.
Ich darf Ihnen zu dem Thema noch zwei Anwendungsfälle nennen. Es ist für uns eine fast unerträgliche Situation, wenn z. B. die Stationierungsstreitkräfte wegen der neuen Strategie der abgestuften Abschreckung, wegen der Notwendigkeit, die Atomschwelle zu erhöhen und nicht zu senken, gewisse Maßnahmen verlangen, die von den zuständigen Bundesministerien heimlich genehmigt, aber vor Ort der Offentlichkeit verschwiegen werden, weshalb die Bürgerinitiativen, die sich dagegen erheben, in der Hauptsache von den Parteien getragen werden, deren Vertreter in den Bonner Regierungsämtern das verlangen, wogegen man unten protestiert.
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13336 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979
Ministerpräsident StraußWenn Sie energiepolitisch konsequent handeln wollen — sicherlich ist Energieeinsparung ein wesentliches Mittel dazu —, dann kann ich Ihnen nur empfehlen: Streichen Sie alle Streckenstillegungspläne der Deutschen Bundesbahn.
Sie sind wirtschaftspolitisch unvernünftig, sie sind strukturpolitisch eine schwere Belastung, und sie machen vieles von dem zunichte, was Bund und Länder in gemeinsamem Bemühen um Förderung der revierfernen, wirtschaftsschwachen Gebiete bisher unternommen haben.
Ich weiß, Herr Bundeskanzler, für Sie sind die Bundesländer ein unvermeidbares Übel, so wie es für Herrn Porzner die Geschäftsordnung ist;
aber Sie sollten sich dieser Länder zur Durchführung der vernünftigen Teile Ihrer Politik so bedienen, daß es eine politische Gemeinschaftsfront der Vernunft und der Verantwortung gibt. Es ist auch möglich, diese Gemeinschaftsfront zu erzielen.Aber wenn Sie hier einfach sagen: Wir werden die Kraftfahrzeugsteuer abschaffen und dafür die Mineralölsteuer erhöhen — das sind 14 Pfennig mehr je Liter Treibstoff — und natürlich Schwerbeschädigte und andere Betroffene dafür entschädigen, dann ist das ein löbliches Vorhaben, trifft aber das Problem nur zum Teil, denn gerade die revierfernen, standortungünstigen, in Rand- und Grenzlagen befindlichen 'Regionen des Bundes — die sind in Bayern, die sind in Hessen, in Niedersachsen, in Schleswig-Holstein, aber auch in anderen Bundesländern — werden davon ganz anders betroffen. Wie sollen wir dort Betriebe zur Ansiedlung ermuntern,
wie sollen wir dort Betriebe zu Erweiterungsinvestitionen veranlassen? Da nützen uns unsere ganzen Millionen- oder Miliardenprogramme nichts, wenn sich die Kostenlage für sie durch solche Maßnahmen von neuem denkbar ungünstig und nachteilig auswirken wird.
Natürlich würden wir ja — das habe ich schon angedeutet — auch gerne wissen: War das, was der Bundesminister Hauff verkündet hat, ein Vorreiter,
ein Versuchsballon oder — wie wir im Kriege gesagt haben — ein „Minenhund"?
In brutalen Systemen hat man dafür Menschen verwendet; beim Militär auch demokratischer Staaten ist es üblich, zur Aufdeckung und Entschärfung von Minenfeldern Minenhunde zu verwenden. Die werden vorgeschickt. Geht eine Mine in die Luft, dann sieht man, daß da eine Mine gewesen ist. Der Hund ist zwar zerrissen, aber man wird selber davon nicht betroffen. Hat für Sie der Bundesminister Hauff diese Funktion zu erfüllen gehabt?
Und wieweit geht die Knurr-Erlaubnis von Graf Lambsdorff, die Ihnen dann wieder gewisse Hilfsspielräume eröffnen muß?
Denn was wir von der Bundesregierung im Laufe der letzten Monate dazu gehört haben, ist auch für unsere Planung in den Ländern wenig hilfreich gewesen.Wir haben vom Bundeswirtschaftsminister zuerst gehört: Es gibt keine Ölverknappung. Dann haben wir gehört: Lieber teures Öl als kein Öl. Das ist eine weise Erkenntnis, die zu den großen Sentenzen der Menschheitsgeschichte gehören wird.
Das führt doch in die Fragestellung hinein: Wieviel zahlt man für einen Liter Wasser in der Sahara, wenn man noch hundert Kilometer von der Oase weg ist?
Aber all das führt uns nicht weiter.Dann habe ich bisher auch nicht gewußt, daß es zur Forschung gehört, Sparvorschläge mit Reglementierungskodex zu entwickeln. Daß es zum Auftrag eines Forschungsministeriums gehört, Techniken zu fördern, die Energie einsparen, sei unbestritten. Aber was ist denn eigentlich mit Tempo 100 oder den privaten Schwimmbädern oder dem Verbot des Betriebs von Heizungen mit elektrischem Strom — ich habe das 20-Punkte-Programm mit Ironie gelesen — los? Sie müssen doch zugeben, daß die Einsetzung eines Staatssekretärsausschusses ein Akt der Verzweiflung ist.
Sie stehen hier zwischen zwei Vorstellungen. Wir neigen der Vorstellung des liberalen Welthandels zu, der liberalen, der marktwirtschaftlichen Regelung. Wir wissen natürlich auch, daß der Spielraum, solche Ölpreiserhöhungen über den Preis zu verkraften, nicht unbegrenzt groß ist. Da gibt es Grenzen, bei denen der Staat dann nicht durch Zwang, durch Gebot oder Verbot oder durch Reglementierungen mit der Möglichkeit, daß wieder Hunderttausende von Staatsbürgern von neuem strafrechtlich verfolgt werden können — was das Ziel vieler Gesellschaftsveränderer im Laufe der Zeit war —, die Probleme lösen kann, sondern dann muß der Staat eben helfend eingreifen.Aber wir hätten heute schon gerne von Ihnen gehört, daß das, was der Herr Hauff gesagt hat, sein privates Unternehmen war, seine privaten Vorstellungen waren und daß Sie hinter dem stehen, was Ihr Wirtschaftsminister sagt. Das ist auch nicht unproblematisch, kommt aber der Wirklichkeit näher.Zu der Bemerkung mit den Verteilungskämpfen: Es gibt für manche Leute eine unstillbare, nie ganz gestorbene Sehnsucht, etwas verteilen zu dürfen,
wenn sie irgendwo eine Chance sehen, daß am Horizont wieder die Möglichkeit der Kontingentierung
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Ministerpräsident Straußerscheint, daß man wieder Bezugsscheine drucken kann, daß man sich eine Position verschafft, aber hinter dem Schalter, damit die vor dem Schalter einen bitten müssen. Das ist eine Art Lustbefriedigung, die bei manchen anscheinend unausrottbar ist.
Aber für die Mehrheit der Bundesbürger stellt das nicht gerade eine besonders liebenswerte Zukunftswelt mit höherer Lebensqualität dar.Ich darf am Ende auch noch erwähnen, daß bei uns das Netz der sozialen Sicherung kein Eigenleben führen darf, sondern untrennbar mit der Funktionsfähigkeit unserer Wirtschaft, mit der Stabilität unserer Finanzen und mit der Vollbeschäftigung auf dem Arbeitsmarkt zusammenhängt.
Man erlebt immer wieder so merkwürdige Vorstellungen, als ob man die beiden Bereiche voneinander trennen könnte. Diese beiden Bereiche gehören, wenn man nicht auf Inflation spekuliert — und das tut doch wohl kein vernünftiger und verantwortlicher Mensch — engstens zusammen.Ich gebe Ihnen recht: Irgendwo muß sich das auswirken. Ich wäre der letzte, der einer deflatorischen Politik das Wort reden würde. Aber die Notenpresse in Gang zu setzen, um damit das Vorhandensein der Kaufkraft vorzutäuschen, die für die Bewältigung der höheren Preise erforderlich wäre, das wäre ein verantwortungsloser bis verbrecherischer Weg.
Deshalb darf die Geldmengenpolitik der Notenbank durch die jetzigen Vorgänge weder nach unten noch nach oben bewegt werden. Die Probleme müssen innerhalb des Kreislaufes bewältigt werden. Das gibt ohne Zweifel auch Verteilungskämpfe — im anderen Sinne des Wortes.Das gleiche Problem wie bei der Energie zu bezahlbaren Preise liegt natürlich auch vor und wird eines Tages auf uns zukommen — das kann durch den Nord-Süd-Dialog nicht einfach aus der Welt geschaft werden —, wenn es um die achtzehn wichtigsten Rohstoffe geht, von denen jede moderne Wirtschaft bestritten wird und ohne die eine moderne Industrie nicht funktionieren kann. Wir hängen z. B. bei Eisenerz zu 93 %, bei Bauxit — Aluminium — zu 100 %, bei Kupfer zu 99 %, bei Zink zu 68 %, bei Blei zu 87 %, bei Nickel zu 100 %, bei Zinn zu 100 %, bei Wolfram zu 100 %, bei Phosphat zu 100 % von der Zufuhr aus dem Ausland ab.
— Das ist kein Grund, sich über jemanden lustig zu machen, der das vorträgt. Das Lachen wird Ihnen, meine Damen und Herren, eines Tages noch vergehen.
Diese Rohstoffe kommen zum großen Teil aus Ländern, die politische Krisenherde und heute Gegenstand der großen sowjetischen Expansionsstrategie im Mittelost- und afrikanischen Raum sind.
Ich hoffe, daß man in Tokio das Denken über diese Fragen nicht allein den Amerikanern überlassen hat. Im Zweifelsfall — ich möchte das nur andeuten — werden die Amerikaner in der Lage sein, ihre Probleme so oder so zu lösen. Sie werden aber nicht mehr bereit sein, Probleme auf eigene Kosten zu lösen, ohne daß die anderen Länder in Europa sich daran beteiligen, aber dann ihren Anteil am Ergebnis der Lösung verlangen. Deshalb sollten sich die Europäer darauf einrichten, mit den Amerikanern zu einer gemeinsamen Analyse der weltpolitischen Lage, der Bewertung der Chancen und Risiken und der Entscheidung über mögliche Schlußfolgerungen zu kommen.Das weltpolitische Gefüge hat sich grundlegend verändert. Zum einen geht die zwei-polare Welt von Jalta zu Ende. Das Aufkommen Chinas, Pekings — als einer dritten großen Weltmacht — hat die Gewichtsverhältnisse auf der Welt geändert. Daß auf der einen Seite Peking sich in Ostasien gegen lokale Hegemonien wendet, war ja der eigentliche Grund für den Krieg Chinas gegen Vietnam, nachdem die Welt sich nicht empört hatte, als Vietnam Kambodscha und Laos überfallen hat. Den Appell zur Aufnahme von Flüchtlingen haben wir wohl vernommen. Aber hat man nicht bei uns auch in den Jugendorganisationen der heutigen Regierungsparteien viele Marschkilometer zurückgelegt, um für ein „demokratisches Vietnam" zu demonstrieren?
Jetzt haben wir dieses „demokratische Vietnam" mit dem Ergebnis, daß Hunderttausende von Flüchtlingen in der Welt an der Grenze des Krepierens angelangt sind.Herr Bundeskanzler, wir nehmen gerne weitere Flüchtlinge aus Vietnam auf. Das ist aber nur möglich, wenn die Mehrheit hier in diesem Hause unter gutem Beispiel der Bundesregierung daran geht, das Asylantenwesen oder -unwesen auf das Maß zu reduzieren, das die Väter des Grundgesetzes unter politischem Asylrecht verstanden haben.
Wir erleben derzeit an den bayerischen Grenzen, wo wir das Berliner Beispiel nachmachen, kommerzielles Asylantenunwesen. Der Strom der Asylbewerber wächst ja mit der Höhe der Sozialhilfe. Wenn die Sozialhilfe bei uns — was ich begrüße und bejahe, damit ja niemand etwas anderes darunter verstehen kann — höher als anderswo ein Facharbeitergehalt ist, dann ist die Versuchung sehr groß, ganze Syndikate zu bilden, die solche Asylanten zu Hause organisieren, Fuhrunternehmen einschließlich Luftkutschen bereitstellen, die sie transportieren, und Ringe von Rechtsanwälten bemühen, die dann unter Ausnutzung aller rechtlichen Möglichkeiten deren Interessen vertreten.
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13338 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979
Ministerpräsident StraußAber jetzt, wo es nicht mehr ohne weiteres möglich ist, in die Bundesrepublik einzureisen, erleben wir, daß die Welle schon vor der östereichischen Grenze zum Halten kommt, daß die Österreicher diese Personen schon nicht mehr hereinlassen, obwohl sie sich bisher als Transitland für viele dieser Asylanten empfunden haben.Nur, geben Sie uns bitte einwandfreie Rechtsgrundlagen, damit die Polizeien und Einreiseorgane der Länder sich in einem rechtssicheren Raume bewegen können. Wir wollen ja tun, was wir können. Ich schildere Ihnen einmal, wie das ist. Sie haben doch in Ihren Reihen auch viele Bürgermeister und Landräte. Es ist doch für mich ein — ich darf sagen -- zwar nicht zum Lachen bewegender, wenn auch zur Schadenfreude herausfordernder Zustand — es ist in der Offentlichkeit geschehen, sonst würde ich es nicht sagen -, daß der sozialdemokratische Oberbürgermeister einer bayerischen Großstadt, ein Mann, dem ich nie meinen Respekt, meine Achtung und meine Zusammenarbeit verweigert habe, nämlich der Oberbürgermeister von Augsburg, in der Mandatsträgerkonferenz den bayerischen Ministerpräsidenten scharf angegriffen hat, daß die Staatsregierung nicht genug tue, um dem Asylantenunwesen ein Ende zu bereiten. Ich habe ihm dann in meiner Erwiderung gesagt: Da sind Sie an der falschen Adresse; da müssen Sie sich an die Bundesregierung in Bonn, an die Mehrheit in Bonn wenden; wir werden gerne von einer verschärften Rechtslage Gebrauch machen, um die wirklichen politischen Flüchtlinge nachhaltig unterstützen und die Wohlstandsimmigranten von den echten politisch • Verfolgten besser, rechtlich sicherer und rechtsstaatlich einwandfreier trennen zu können. Darum bitten wir Sie herzlich.
Bei all diesen Problemen kann die Bundesregierung nicht behaupten, daß sie von den Regierungen der Länder im Stich gelassen wird oder daß es einen Unterschied zwischen unionsregierten Ländern und SPD-regierten Ländern gibt. Bei mir wird kein Mensch bezweifeln, welcher Partei ich angehöre. Aber die Bundesregierung kann auch nirgendwo behaupten, daß wir in der Regierung des Freistaates Bayern unsere bundesstaatliche Pflicht nicht getreulich erfüllt haben, auch auf den Gebieten und in den Bereichen, wo die Amtsträger in Bonn von ihren eigenen Parteifreunden vor Ort häufig im Stich gelassen werden.Wenn man den Ernst der Gesamtlage überblickt, gehört dazu auch, Herr Bundeskanzler, daß Sie, Ihre politischen Freunde, Ihre Koalitionspartner mit uns gemeinsam der Dämonisierung der Kernkraft entgegentreten. Man hat ja beinahe den Eindruck: Seit die Menschheit säkularisiert. ist und seit sie nicht mehr an Gott glaubt, ist an die Stelle Gottes die Gesellschaft getreten. Weil aber der Verlust Gottes auch den Verlust des Teufels mit sich gebracht hat, wird der Teufel heute durch die Kernkraft ersetzt.
Das führt zu einem Dämonisierungsprozeß, der mit den eigentlichen technischen Risiken fast nichts mehr gemeinsam hat.Ich weiß, soweit man es als Laie wissen kann, aus meiner Zeit als Atomminister — gut, das ist schon über 20 Jahre her —, jedenfalls aber als Ministerpräsident eines Landes, das Kernkraftwerke im Bau und in der Planung hat, abzuschätzen, wie groß die Risiken sein können.Ich warne — selbst auf die Gefahr hin, daß es mißbraucht wird — immer wieder davor, von der „Katastrophe von Harrisburg" zu reden. Im deutschen Bergbau — das hat Herr Albrecht im Zusammenhang mit Gorleben gesagt, und der Herr Bundeskanzler hat es heute wiederholt — sind so viele Menschen, wie einer kriegsstarken Division Soldaten angehören, ums Leben gekommen, um anderen Menschen Wärme, Energie und technischen Fortschritt zu gewährleisten.Man soll nicht einfach eine neue Energieart von vornherein dämonisieren und dieser Dämonisierung zum Zweck der Wählerwerbung noch lautstark Vorschub leisten.
Ich sage Ihnen gerade im Zusammenhang damit ein Beispiel. Wir hatten in der Anlage Garching — Garching sollte eigentlich bei Ihnen Gefühle des schlechten Gewissens hervorrufen, Herr Bundeskanzler — in der Atomanlage, die seinerzeit von mir als dem ersten Atomminister angeregt und von einem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten initiiert und gebaut worden ist, einen Laborbrand. Solche Laborbrände wird es immer wieder geben. Es sind keine Menschen ums Leben gekommen — Gott sei Dank —; es ist niemand zu Schaden gekommen — Gott sei Dank —; es ist niemand außer zu einer kurzen Überprüfung längere Zeit im Krankenhaus gewesen.Daraufhin hat einer der führenden lautstarken Mitglieder der SPD-Landtagsfraktion in Bayern von der „Atomgefahr von Garching" gesprochen. Die gab es überhaupt nicht. Aber warum stiftet man zum Zweck der Erzeugung von Unruhe und Panik und politischen Schadens eine solche psychologische Unruhe in diesen Bereichen, statt diesen Problemen mit kühler Vernunft, mit staatsbürgerlicher Verantwortung und mit dem nötigen politischen Ernst zu begegnen?Der Technische Direktor der Reaktorstation Garching, Professor Kösters, hat in einem Brief geschrieben:In Münchener Zeitungen wurde erstaunlich umfangreich über einen Beitrag des Abgeordneten Kolo in der Sozialdemokratischen Pressekorrespondenz über die Atomlabors in Garching in irreführender Weise berichtet. Ich halte es für notwendig, gegen die Leichtfertigkeit im Umgang mit Information und gegen parteipolitischen Mißbrauch schärfstens zu protestieren. Es ist krasse Unwahrheit, zu behaupten, daß in Garching Strahlenschutztechniker, Mechaniker, Wachleute, Betriebsärzte und Feuerwehr fehlen. Das alles ist vorhanden und hat dazu beigetragen, daß in den letzten 20 Jahren in dem nunmehr größten Forschungsgelände von Universitäten kein ernster Unfall mit Personenschäden aufgetreten ist.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979 13339
Ministerpräsident StraußEs ist infam,— schreibt Professor Köster —wie abwertend die Beaufsichtigung der Institute durch die Institutsleiter dargestellt wird. Es ist falsch, daß der Umgang mit 20 Gramm Plutonium für die Umwelt immens gefährlich sei. Es ist Verleumdung, zu behaupten, daß in den Atomlabors in Garching mit äußerst gefährlichen Dingen leichtfertig umgegangen wird.So schreibt der Technische Direktor des Atomlabors in Garching gegen die unglaublichen Auslassungen in der sozialdemokratischen Pressekorrespondenz, die doch keinen anderen Zweck hatten, als der Staatsregierung und unserer Kultusverwaltung in Bayern die Bevölkerung auf den Hals zu laden, sie aufzuhetzen, politische Unruhe und Verwirrung zu stiften.
— Es ist bezeichnend, daß Sie den Zusammenhang zwischen der Lösung des Energieproblems und dieser grob instinktlosen, verantwortungslosen, leichtfertigen Haltung gewisser Politiker nicht zu verstehen vermögen.
Wohin kommen wir denn, wenn in unionsregierten Ländern SPD-Politiker die Forschungstätigkeiten erschweren, die Bevölkerung dagegen aufhetzen, die Durchführung gemeinsamer Programme damit sabotieren helfen und wenn in SPD-regierten Ländern von Unionspolitikern auf örtlicher Ebene das gleiche gemacht würde!
Darum appelliere ich ja an die gemeinsame Verantwortung, und darum glaube ich auch, daß die Endentsorgung so oder so, wie die Wissenschaft und Technik sie erlaubt, möglich sein wird. Sie wird aber nur möglich sein, wenn sie im Konsensus aller demokratischen Kräfte, nicht nur durch platonische Redensarten von dieser Bühne aus, sondern durch konkludentes, konsequentes Verhalten an Ort und Stelle gerechtfertigt wird. Das ist unsere Bitte.
Das Wort hat Herr Bundesminister Graf Lambsdorff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Herr bayerische Ministerpräsident hat hier in seinem Recht als Mitglied des Bundesrates gesprochen und uns zur Begründung dieser Wortmeldung wissen lassen, daß er vom Herrn Bundeskanzler angesprochen worden sei und die Absicht habe, ihm gestellte Fragen zu beantworten.Herr Ministerpräsident, Sie sind mit einer sehr konkreten Frage vom Bundeskanzler angesprochen worden: Sind Sie bereit, für den Freistaat Bayern zu erklären, daß Sie ein Zwischenlager aufnehmen? Ja oder nein? Sie haben nichts dazu gesagt.
Wir hätten darauf gerne eine Antwort.
Herr Kollege Strauß, ich bin dagegen, bei einer Debatte, die man möglichst nicht mit verlesenen Texten bestreiten sollte,
Philologie zu betreiben. Wenn Sie sich über die Antwort „dummerhaftig" durch den Bundeskanzler auf einen Zwischenruf aufhalten und meinen, diese kritisieren zu müssen, dann frage ich Sie, ob die Bezeichnung für das Flüchtlingselend „an der Grenze des Krepierens" die Ausdrucksform ist, die wir wählen sollten.
Wir sind mit Ihnen darin einig, Herr Ministerpräsident, daß wir das Thema, das heute zu behandeln ist, ohne die Begrenzung durch den Tellerrand des nächsten Wahlkampfes miteinander diskutieren müssen. Herr Ministerpräsident, ich habe hier schon in mehreren Debatten meiner Überzeugung Ausdruck, gegeben, daß die programmatischen Aussagen von Koalition und Opposition auf dem Gebiete der Energiepolitik sehr viel näher beieinander liegen, als dies manche unserer Debatten nach außen hin erkennen läßt. Ich halte das für richtig und begrüße es. Wenn ich mir die Mühe machen wollte, wie Sie das leider immer noch tun, Herr Ministerpräsident, mit Zeitungsartikeln bewaffnet zum Rednerpult des Deutschen Bundestages zu kommen, könnte ich aus der deutschen veröffentlichten Meinung zahlreiche Zitate in dieser Richtung vorlesen.Herr Ministerpräsident, Einsparung, Kernenergie,Kohleeinsatz, Kaufkraftentzug für den deutschenBürger und keine Möglichkeit, durch neue Umverteilung Ersatz zu schaffen, das sind Themen, dieder Bundeskanzler mit einer solchen Deutlichkeitangesprochen hat, daß Sie ihm nicht zu Rechtnachsagen können, hier wäre um die Probleme herumgeredet, hier wären die langfristigen, unbequemen, unpopulären Probleme nicht erörtert worden.Sie sind unbequem, und sie sind langfristig, aberwir haben sie erwähnt.Eben deswegen, weil ich mit Ihnen, Herr Ministerpräsident, der Meinung bin, daß es sich hier um eine Generationenfrage und nicht nur um Fragen der Tagespolitik von heute bis morgen handelt, bin ich mit der Bundesregierung der Auffassung, daß uns eine neue Fortschreibung des Energieprogramms nicht helfen würde und daß sie angesichts der klaren Aussagen und der nach wie vor richtigen Zielsetzungen auch nicht notwendig ist. Nur in einem einzigen Punkte könnte eine neue Fortschreibung des Energieprogramms notwendig werden, nämlich dann, Herr Ministerpräsident Albrecht, wenn Ihre Entscheidung uns dazu zwingen sollte.
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13340 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979
Bundesminister Dr. Graf LambsdorffWir wollen keine Änderung des Atomgesetzes. Wir sind auch bereit, der Aufforderung zu folgen, uns so, wie Herr Ministerpräsident Strauß es uns angeboten hat, der Länder zu bedienen, um vernünftige Politik durchzusetzen und um gemeinsame Verantwortung zu tragen. Ich billige nicht — und Sie wissen das — all das, was zu dieser Auseinandersetzung insbesondere im Bereich der Kernenergie gelegentlich gegen die von der Bundesregierung vertretene Politik — einmal lautstark, einmal weniger lautstark — landauf, landab verkündet wird. Aber, meine Damen und Herren, ich weise auch darauf hin, daß das Tragen gemeinsamer Verantwortung von Ihnen mit Recht von den Verfassungsorganen verlangt werden kann, die dazu bestellt sind, für die Politik verantwortlich einzutreten. Dies ist in dem Fall, über den wir hier reden, die Bundesregierung, und diese Bundesregierung tritt für diese Energiepolitik ein. Sie hat das insbesondere — und zwar in einer schmerzlichen Operation; das sei hier erwähnt .— bei der Entscheidung über eine neue Teilerrichtungsgenehmigung für Kalkar durch einige der Kollegen und durch mich selber auch deutlich unter Beweis gestellt.Herr Ministerpräsident Strauß, Sie werden wohl ein Zitat wie das, das Sie hier vorgetragen haben, nämlich daß es keine Ölverknappung gäbe, meinerseits nicht finden. Sie werden Zitate von mir finden, die besagen: Die Versorgungslage der Bundesrepublik Deutschland ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt gesichert. Dies ist ein Unterschied. Ich stehe zu dem, was Sie ebenfalls zitiert haben, daß mir teures 01 lieber ist als gar keines, denn gar kein 01 ist das teuerste 01, das sie sich in der Wirtschaft der Bundesrepublik vorstellen können.Nun bin ich, weil es ja auch dort keine amtlich verordneten Preise gibt, bedauerlicherweise nicht in der Lage, Ihnen die Frage zu beantworten, was der Liter Wasser in der Sahara 100 km vor der Oase kostet. Es dürfte ein Knappheitspreis sein, Herr Strauß. Aber vielleicht kostet er etwa so viel wie ein Liter Bier 100 km vor München bei geschlossenen Gasthäusern.
Meine Damen und Herren, unsere Debatte und vor allem die Debatte draußen im Lande zeigt doch wohl, was die Gemüter am meisten bewegt, nämlich das Thema „Energiesparen" und das Thema „Alternativen zum O1". Das ist auch nicht verwunderlich. Es sind weltweit die brennendsten Fragen, und es waren die Fragen, die wir in der Europäischen Gemeinschaft, in der OECD und auf dem Weltwirtschaftsgipfel diskutiert haben, und es werden national und international die beherrschenden Fragen bleiben. Was aber die Zukunft auch immer an schon bekannter oder noch völlig unbekannter Möglichkeit der Alternative zum Öl bringen mag, es bleibt die Notwendigkeit, Energie einzusparen. Die Verpflichtung, die sich daraus ergibt, geht jeden von uns an: Politiker, Wirtschaft, jeden einzelnen Bürger.Die Beschlüsse von Straßburg und Tokio- haben erhärtet, daß es darüber in keinem westlichen Industrieland überhaupt noch den geringsten Zweifel gibt. Das ist im übrigen auch in keinem östlichen Land so. Ich brauche die Worte des Bundeskanzlers nicht zu zitieren; mit Recht hat er das Thema der Energieeinsparung in seinem Rückblick auf Tokio deutlich herausgestellt. Wir haben in Straßburg und in Tokio Begrenzungen der Öleinfuhren bis 1985 vereinbart. Was heißt das für die Bundesrepublik, was heißt das für den einzelnen Bürger? Es gibt über beide Beschlüsse Mißverständnisse und Fehlinterpretationen, und deshalb möchte ich ein Wort zur Klarstellung anfügen.In Straßburg haben die Mitgliedsländer der EG vereinbart, daß die Gemeinschaft ihre Öleinfuhr in den Jahren 1980 bis 1985 nicht über die des Jahres 1978 steigen lassen wird. Unter diesem Globalziel verbergen sich — natürlich ist das so — sehr unterschiedliche Einfuhrnotwendigkeiten der einzelnen Mitgliedsländer. Italien und die Bundesrepublik haben einen hohen Importbedarf, Großbritannien hat Nordseeöl und deshalb einen geringeren Importbedarf. In Tokio haben die vier dort teilnehmenden EG-Länder zugestimmt, daß sie sich als gemeinsames Ziel vornehmen, ihre Ölimporte im Jahre 1985 nicht höher als 1978 ausfallen zu lassen, und weiter, ihren fünf EG-Partnern, die nicht am Konferenztisch in Tokio gesessen haben, vorzuschlagen, eine Aufbesserung dieses Globalzieles für die einzelnen Mitgliedsländer vorzunehmen. Der Unterschied zwischen dem Beschluß von Tokio und dem von Straßburg liegt demnach darin, daß neben das Ziel der Gemeinschaft für 1985 nunmehr ein solches der vier in Tokio vertretenen EG-Länder getreten ist. Zusätzlich sind aber — das ist wegen der weltwirtschaftlichen Dimensionen der Ölproblematik besonders wichtig; Herr Strauß hat sie angesprochen — die USA, Kanada und Japan in dieses Ziel eingebunden worden.Wir haben unsere amerikanischen Partner mit aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, daß sie mit der Erfüllung ihrer Zusagen — das weiß jedermann, und deswegen kann man darüber sprechen — aus dem Bonner Weltgipfeltreffen noch im Rückstand sind. Aber wir haben fairer- und richtigerweise differenziert, daß sich die Regierung der Vereinigten Staaten alle Mühe gegeben hat, daß es der Kongreß gewesen ist, an dem sie bisher gescheitert ist. Aber daß ein Drittel des Welterdölverbrauchs durch 5 % der Weltbevölkerung in den Vereinigten Staaten geschieht, scheint uns in der Tat auf Dauer nicht vertretbar zu sein, und das Preisniveau in den Vereinigten Staaten spiegelt die Knappheit dieses Gutes nicht wider. Insofern bestehen keine Meinungsverschiedenheiten, Herr Kollege Strauß.
Ich muß dennoch einige Worte zu dem sagen, was Herr Ministerpräsident Strauß zu der Gipfeldiplomatie im allgemeinen und zu Tokio im besonderen geäußert hat.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979 13341
Bundesminister Dr. Graf LambsdorffEs ist nicht richtig zu behaupten, hier sei Gipfeldiplomatie ad absurdum geführt worden. Jeder, der mit einigermaßen Verstand versuchte vorherzudenken, konnte und mußte sehen, daß sich das Gipfeltreffen in Tokio insofern von dem Treffen in Bonn unterscheiden mußte, als man in Bonn zu operationalen Entscheidungen zusammengekommen war, die hier getroffen worden sind und die dann in die Wirklichkeit umgesetzt werden konnten. Dies konnte und sollte in Tokio nicht der Fall sein. Das war nicht zu erwarten. Aber ich frage den Ministerpräsidenten des Freistaates Bayern, welche Möglichkeiten und Konsequenzen ich eigentlich aus seiner Kritik an solchen Veranstaltungen ziehen soll. Wird er uns vorschlagen, nicht teilzunehmen und uns aus dem Kreis der Gipfelländer herauszuführen oder würde er wegen Kompromißunfähigkeit schon den ersten Gipfel, an dem er selbst teilnimmt, sprengen? Im übrigen zeigt sich ja auch hier, daß es in seiner eigenen Partei, der CSU, vertreten durch den Kollegen Dollinger, eine ganz andere Einschätzung — ich begrüße, Herr Kollege Dollinger, diese Einschätzung des Wirtschaftsgipfels — gegeben hat. Sie haben die Ergebnisse begrüßt. Sie haben zwar Kritik an der nationalen Energiepolitik der Bundesregierung damit verbunden, aber Sie haben — wie ich glaube, mit Recht — darauf hingewiesen, daß dieser Kompromiß eine Ausgangsbasis sei, um mit den OPEC-Staaten — das ist ja ein wichtiger Punkt; Herr Strauß hat ihn angesprochen — zukünftig Gespräche zu führen.Im Gegensatz dazu, meine Damen und Herren, hat sich Ministerpräsident Stoltenberg 24 Stunden später über den Wirtschaftsgipfel außerordentlich kritisch geäußert. Aber auch dies ist ja nichts Besonderes. Denn wir kennen es, daß wir aus Ihren Reihen zu einem Problem immer mehrere Ansichten serviert bekommen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dollinger?
Herr Bundesminister, in meiner Erklärung heißt es allerdings auch:
Es ist zu bedauern, daß es nicht gelungen ist, über eine allgemeine Erklärung hinaus eine gemeinsame Strategie der Industrieländer zur Sicherung des nach wie vor steigenden Energiebedarfs ihrer Volkswirtschaften zu entwickeln.
Würden Sie mir das bestätigen?
Diesen Punkt habe ich soeben mit dem Hinweis — entschuldigen Sie, Sie haben recht — auf Ihre nationale Kritik ansprechen wollen. Im übrigen, Herr Dollinger, ist dies sicherlich nicht ganz richtig. Denn gemeinsame Einsparziele bis zum Jahre 1985, gemeinsame Überprüfungsveranstaltungen, ob diese Einsparziele erreicht werden, sowie eine gemeinsame Überprüfung der Spot-Märkte durch die Einführung eines weltweiten Registers sind schon strategische Gesichtspunkte, die uns auf 1 dieser Gipfelveranstaltung ein gutes Stück weitergebracht haben. Jeder, meine Damen und Herren, der von einem solchen Gipfel handfeste Entscheidungen in Einzelfällen wünscht, frage sich bitte vorher, wie solche Entscheidungen auf dem Hintergrund und im Zusammenhang mit einer liberalen marktwirtschaftlichen Welthandelsordnung aussehen könnten.
Aber ich sagte schon: Unterschiedliche Stellungnahmen von Ihnen sind nichts Neues. Herr Ministerpräsident Strauß hat uns soeben gesagt, im Bundesrat habe es zwei grundlegende unterschiedliche familienpolitische Vorstellungen gegeben, die dort aufeinandergestoßen seien. Wenn ich richtig zähle, waren es vier: eine der Koalition und drei der CDU/CSU-Fraktion, die sich in Fragen der Familienpolitik deutlich darstellten.
— Es können auch fünf gewesen sein; ich bitte um Entschuldigung.Meine Damen und Herren, weder Tokio noch Straßburg können als reine Kosmetikveranstaltungen dargestellt werden. Ich möchte diesen Irrtum ausräumen. Schon das Straßburger Globalziel mit dem Auftrag an die EG-Kommission, es zu überprüfen, kann nicht so eingeordnet werden. Dies gilt erst recht für Tokio. Natürlich wird zu berücksichtigen sein — dies haben wir ausdrücklich vorgesehen, und wir haben auch darum gebeten, daß es vorgesehen wird —, daß der Öleinfuhrbedarf der EG-Länder unterschiedlich hoch ist. Die Versorgungsstrukturen sind unterschiedlich, die Wachstumserwartungen und auch die Einsparpotentiale sind unterschiedlich. Niemand, meine Damen und Herren, kann die Bundesrepublik Deutschland durch hoheitlichen Akt daran hindern, in den nächsten Jahren so viel Erdöl zu importieren, wie sie das für richtig hält. Aber: Wir haben in Tokio die Einhaltung und Überwachung der Einsparziele — genauer gesagt: der Einfuhrziele — vereinbart. Wer sie überschreitet, wird sich rechtfertigen müssen und damit unter erheblichen politischen Druck geraten. Eine massive Mehrinanspruchnahme von Erdöl ist ganz sicherlich nicht vertretbar.Es kommt dabei im Ergebnis nicht auf akrobatische Zahlenspielerei für das Einsparziel an, sondern entscheidend ist die Richtung. Im Klartext: Wir stehen in .der Bundesrepublik nach Tokio und Straßburg vor der Aufgabe, eine Einsparpolitik, eine Politik zur Entwicklung von Alternativen zum Öl sowie der Substitution von 01 durch andere Energieträger, insbesondere durch Kohle, so zu verstärken, daß unser Öleinfuhrbedarf nicht über dem von 1978 liegt. Das heißt aber — in Zahlen ausgedrückt —, daß wir bei unseren derzeitigen Erwartungen hinsichtlich der Einfuhrziele des Jahres 1985 zehn bis zwölf Millionen Tonnen weniger Öl einführen können, als uns das zur Zeit vorschwebt. Diese Zahl, 12 Millionen Tonnen Öl weniger an Einfuhr, muß unsere Richtschnur sein.
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13342 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979
Bundesminister Dr. Graf LambsdorffDie Beschlüsse von Tokio verpflichten die Bundesregierung nicht, nunmehr etwa die freie Handelspolitik für Öleinfuhren zu ändern. Wir werden weder entliberalisieren noch werden wir kontingentieren. Auch in Zukunft werden die Unternehmen keinem Einfuhrstopp unterliegen. Das Ziel von Tokio muß durch weniger Nachfrage erreicht werden. Wir haben mit der Politik des „weg vom U1" früher als andere Nachbarländer begonnen, nämlich schon 1973, also vor der Ölkrise. Wer das heute nicht mehr wahrhaben will, kann es im ersten Energieprogramm der Bundesregierung nachlesen.Wir haben diese Politik energisch und konsequent fortgeführt. Der Erfolg dieses konsequenten Weges läßt sich an Hand des Öleinsatzes in der Stromherstellung belegen. 1974 noch ist unser Strom zu 15 % auf der Basis von Öl erzeugt worden; 1978 betrug der Anteil bei uns nur noch 9 %, in den USA heute noch 17 %, in Frankreich 23 % und in Japan sogar 63 %. Ich glaube, daß diese Zahlen für sich sprechen, daß sie aber auch zeigen, daß der Spielraum für die Substitution von Öl in der Bundesrepublik geringer ist — eben weil wir schon länger eine konsequente Politik des Einsparens und des Ersatzes von Öl betreiben —, als das bei unseren Nachbarn der Fall ist. Man kann nicht jedesmal, Jahr für Jahr die gleiche Menge sparen. Das ist unmöglich. Wenn andere später mit dem Einsparen anfangen, sind sie heute selbstverständlich in der Lage, im Jahr 1979 und vielleicht auch 1980 bessere Einsparergebnisse aufzuweisen, als uns das möglich sein wird.
— Ich werde mich mit der Frage der Preise noch befassen. Nur, für uns ist es von Vorteil, daß wir den Verbrauch und die Einfuhr bei steigenden Preisen niedriger gehalten haben. Wir liegen, was die Einfuhren anbelangt, im Jahre 1978 niedriger als im Jahre 1973, wo die Konjunktur lief und wir noch keine Erdölkrise hatten. 1978, bei wieder anziehender Konjunktur, war unser Verbrauch geringer als 1973. Das ist ein sehr vorzeigbares Ergebnis.
— In den ersten vier Monaten dieses Jahres sind die Erdöleinfuhren nicht gestiegen. Der Energieverbrauch ist gestiegen, insbesondere der Stromabsatz ist im ersten Quartal dieses Jahres um plus 9 % gestiegen. Das sei all denen in Erinnerung gerufen, die bei jeder Gelegenheit davon reden, wir hätten ungenützte Stromreserven und Stromkapazitäten. Ich sage das auch an die Adresse derjenigen, die jetzt befürchten, daß unsere Netze beim Betreiben von Heizgeräten im Winter 1979/80 durchbrennen könnten. Ich frage, ob es nicht gerade die waren, die noch vor wenigen Monaten gesagt haben, wir hätten ja viel zuviel Strom, wir brauchten keine neuen Kapazitäten für die Stromerzeugung.
Wir haben in den letzten Jahren durch vielfältige Maßnahmen — neben dem Industriebereich — auch auf den Bereich der privaten Haushalte eingewirkt. Wir haben im EG-Ministerrat auf Vorschlag der deutschen Seite die freiwillige Kennzeichnung der Haushaltsgeräte bezüglich des Stromverbrauchs beschlossen. Wir haben die Wärmedämmung für Neubauten und das 4,35-Milliarden-Programm zur Isolierung bestehender Gebäude beschlossen. Wir haben die Verbraucheraufklärung verstärkt. Wir haben am 16. Mai 1979 die Ihnen bekannten weiteren Beschlüsse zur Energieeinsparung beschlossen. Schließlich noch einmal: Wir haben schon vor fünf Jahren die Bemühungen, 01 zu sparen, begonnen, während manche unserer Partner damit erst vor wenigen Monaten angefangen haben. Ich sage das nicht als Vorwurf, sondern als Feststellung. Das Ergebnis der Kabinettsitzung vom Montag, das Ihnen der Bundeskanzler dargelegt hat, ist Ausdruck dieser langfristig angelegten, besonnenen und konsequenten Einsparpolitik.Es ist kein Geheimnis, daß in dieser Kabinettsitzung über verschiedene Einsparmaßnahmen und über unterschiedliche Ansätze der Einsparpolitik diskutiert wurde. Ich halte das für selbstverständlich; denn nur an unterschiedlichen Auffassungen kann sich die Überzeugungskraft der eigenen Argumente beweisen. Wenn der Ministerpräsident Strauß das Beispiel vom Minenhund gebracht hat— das mich im übrigen an einige faule Witze aus der Zeit des Nordafrikafeldzuges erinnert —, so sage ich Ihnen: Das geht schon deswegen nicht, weil ich keineswegs bereit bin — er weiß das —, dem Kollegen Hauff in irgendeiner Form den Vortritt zu lassen. Er kann gar nicht vor mir einhergehen; dann gehen wir schon gemeinsam auf die Minen.
— Sie freuen sich auch, Herr Katzer; hervorragend.Meine Damen und Herren, der eingesetzte Kabinettsausschuß ist nun wahrlich kein Akt der Verzweiflung, wie Herr Strauß das zu bezeichnen beliebte.
— Er ist nicht da. Das haben wir früher auch schon erlebt. Es hat sich insofern vom Bundestagsabgeordneten zum Ministerpräsidenten nichts geändert: Rede abliefern und verschwinden. Das ist das alte Lied.
— Irgendwann kommt er wieder; das kennen wir auch. Das Szenarium, der Auftritt, das ist alles dasselbe wie früher.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979 13343
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff— Ich antworte hier auf den Herrn Ministerpräsidenten Strauß.
— Der Bundeskanzler kennt meine Darlegungen und meine Ansicht. Wir sind auch meistens einig; Sie werden es kaum glauben. Insbesondere in dieser Frage sind wir einig.
Dieser Kabinettsausschuß wird mit aller Sorgfalt die Vorschläge prüfen, die schon vorliegen und die uns noch vorgelegt werden. Ich bitte die CDU/ CSU, von dieser Einladung und von dieser Anregung Gebrauch zu machen. Wir werden auch — ich sage das für meine Partei — in diesen Kabinettsausschuß die Einsparvorschläge des FDP-Bundesparteitages einbringen, und sie werden dort zur Diskussion stehen.
Aber an den Bundesrat richte ich erneut die Frage, ob wir noch einmal den Versuch machen können, über die Abschaffung verbrauchsfördernder Stromtarife miteinander zu reden, oder ob er uns wieder scheitern lassen will.
Es hat doch nicht an uns gelegen, daß der Stromtarif II nicht zum Zuge gekommen ist, sondern er ist im Bundesrat gescheitert.Ich habe mit Interesse gehört, daß der einzige Vorschlag, zu dem Herr Ministerpräsident Strauß Stellung genommen hat, der Vorschlag einer Umlegung der Kfz-Steuer auf die Mineralölsteuer gewesen ist. Mir scheint, daß aus diesen Darlegungen, die ich mit begrenzter Sicht für durchaus logisch vertretbar halte, die notwendige Weitsicht für die strukturellen Veränderungen in der deutschen und internationalen Wirtschaft nicht abzulesen ist.Wir werden auch regionalpolitisch in. der Folge dieser Energiepreisentwicklung über andere Vorstellungen, andere Modelle, andere Zusammenhänge nachzudenken haben. Wir können nicht eine Energiepolitik und eine energieeinsparungspolitisch sinnvolle Maßnahme wie die Umlegung dieser Steuer auf die Mineralölsteuer gleich an den regionalpolitischen Einwendungen aus dem ländlichen Raum, die ich nicht vom Tisch wische, über die nachgedacht werden muß, scheitern lassen, sondern wir müssen Auswege suchen, wie wir die damit verbundenen Probleme lösen können.Nur: Diese Auswege, meine Damen und Herren, können eben nicht ausschließlich so aussehen, daß es hier zu einer neuen Dauersubvention kommt. Das fällt genauso in das Kapitel der nicht möglichen zweiten Umverteilung von Kaufkraft, die bei den OPEC-Ländern gelandet ist und die der Herr Bundeskanzler im Zusammenhang mit tarifpolitischen Erwägungen und Gesprächen erwähnt hat. Es bedarf deswegen längeren Nachdenkens und gründlicher Diskussion und nicht des Abschmetterns mit vordergründig einleuchtenden, beimzweiten Nachdenken aber nicht mehr überzeugenden Argumenten.Im übrigen muß ja wohl zugegeben werden — und das fehlte mir bei der zwar bekundeten liberalen marktwirtschaftlichen Haltung, die Herr Strauß hier vorgetragen hat —, daß die deutschen privaten Haushalte ihren Einsparbeitrag angesichts der explosionsartigen Verteuerung des leichten Heizöls heute und im nächsten Winter ohnehin schon leisten und leisten werden.Wir wissen, daß gesamtwirtschaftliche Interessen und das Interesse des einzelnen in einer marktwirschaftlichen Ordnung nicht jederzeit übereinstimmen. Aber hohe marktwirtschaftliche Preise für ein knappes Gut erleichtern diese Übereinstimmung. Die volkswirtschaftliche Notwendigkeit, Energie zu sparen, wird auch zum Vorrang des einzelnen Bürgers im eigensten Interesse, nämlich Geld zu sparen.Ich glaube nicht daran — ich sage das ganz offen —, daß man auf die Dauer mit dem bloßen Appell — nachhaltig, langanhaltend — „Du mußt Energie sparen, weil das ein knappes Gut ist" die notwendigen Ergebnisse erreichen kann. Die Kombination von Preis, dadurch bedingtem Einsparwillen am eigenen Geldbeutel und Aufforderung, die volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten zu sehen, das, so glaube ich, ist der Weg, der uns als einziger bleibt und den wir nicht vermeiden können
International wie national taucht angesichts der Herausforderung an den Mineralölmärkten immer wieder die Frage auf: kann man diesen Kräften des Marktes vertrauen, oder versprechen administrative Eingriffe bessere und wirkungsvollere Lösungen? Diese Frage dürfen wir nicht nur für die augenblickliche Situation, sondern wir müssen sie auch in mittel- und langfristiger Perspektive zu beantworten suchen. Vor allem die spekulativ überhitzten Preisentwicklungen an den Spotmärkten für 01 haben in jüngster Zeit anscheinend d e n Ratgebern Auftrieb gegeben, die nicht nur diese Probleme mit dirigistischen Eingriffen lösen möchten. Staatliche Höchstpreise, verbindliche Importquoten, Zuteilung und Bewirtschaftung werden als schnellwirkende Patentrezepte angeboten.Bevor ich mich zu dieser Fragestellung äußere, möchte ich vorab überhaupt keinen Zweifel daran lassen, daß ein massiver weiterer Produktions- und Mengenausfall in den Förderländern uns in eine Lage bringen kann, in der wir um alles dieses nicht mehr herumkommen. Ein zweites Iran — Herr Ministerpräsident Strauß hat von „marginalem Produktionsausfall" gesprochen. Da müssen ihm die Zahlen nicht geläufig sein: 7,5 Millionen Barrel pro day war die Normalproduktion in Persien. 3,1 sind es heute. Das ist die halbierte Produktion des zweitgrößten Erdölproduzenten. Wer das „marginal" nennt, der muß schon einen guten Schluck nehmen, wenn er in solchen Größenordnungen so redet.
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13344 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979
Bundesminister Dr. Graf LambsdorffWenn uns dies erneut ausfällt, dann werden wir am drastischen Krisenmechanismus der Internationalen Energieagentur nicht vorbeikommen. Dann wird es zu internationaler Zuteilung von Erdöl kommen. Dann werden früher oder später auch in der Bundesrepublik Zuteilung, Bewirtschaftung und Bezugscheine unvermeidlich. Ich sollte besser sagen: dann w ü r den — um mich klar und unmißverständlich auszudrücken — diese Eingriffe unvermeidlich. Denn dies ist nicht die Situation, vor der wir heute stehen.
Wir befinden uns in voller Übereinstimmung, was die Einschätzung der Lage betrifft, mit der Internationalen Energieagentur, für die ihr Exekutivdirektor Ulf Lantzke vor wenigen Tagen erklärt hat, daß wir bei weitem nicht so weit sind, von einem solchen wirklichen Krisenfall zu reden. Ich möchte dies hier sehr nachdrücklich unterstreichen. Die Zahlen zur Versorgungslage, die der Energieagentur jeden Monat von den Mineralölgesellschaften gemeldet werden, belegen das. In die Mitgliedsländer IEA sind im ersten Vierteljahr 1979 2,1 %, im zweiten Vierteljahr 3,8 % mehr Rohöl und Mineralölprodukte geflossen als in den Vergleichszeiträumen 1978. Der Verbrauch ist demgegenüber nur um 0,6 bzw. 1,3 % gestiegen. Es besteht kein akuter Grund zur Beunruhigung.Aber gewiß bleibt auf den Olmärkten derzeit manches im dunkel. Deshalb brauchen wir in der. gegenwärtigen Situation vor allem mehr Transparenz, mehr Offenlegung von Zahlen, von Fakten. Die Bundesregierung hat es deshalb begrüßt, daß in Tokio auch Maßnahmen vereinbart wurden, die dazu beitragen sollen, die Vorgänge an den Ölmärkten durchsichtig zu gestalten. Es war die Bundesregierung, die sich in der EG und in Tokio für eine weltweite Registrierung der Preise an allen Spotmärkten eingesetzt hat. Denn eine Beschränkung nur auf Rotterdam hätte unausweichlich zur Folge gehabt, daß das Ölangebot auf andere Märkte ausgewichen wäre. Daran können wir angesichts unserer Abhängigkeit vom Rotterdamer Markt nun wahrlich kein Interesse haben.Auch wegen dieser Abhängigkeit kann ich unter kurzfristigen Aspekten dirigistischen Vorschlägen, deren Befolgung das Öl nicht billiger, wohl aber knapper machen würde, nichts Positives abgewinnen.
Bisher hat mir jedenfalls noch niemand erklären können, warum bewirtschaftetes Öl; warum staatliche Zuteilung zu einer besseren, billigeren und gerechteren Versorgung führen sollte. Im Zweifel ist das Gegenteil der Fall.
Nun ist der Ruf nach dem Staat, nach schnellen und harten Maßnahmen natürlich sehr geeignet, um sich leicht im populären Lichte frischer Aktivität und politischer Entscheidungsfreudigkeit zu sonnen. Das macht sich gut. Auf den ersten Blick scheint es gar nicht so einfach, gegenüber solchen Forderungen marktwirtschaftliche Standfestigkeit zu beweisen. Auf den zweiten Blick wird man aber erkennen: Vorschnelle Entscheidungen führen zu wenig befriedigenden Ergebnissen, und der Ruf nach dem „Knüppel des Gesetzgebers" — der Bundeskanzler hat diese Formulierung gewählt, ablehnend — ist nicht durchdacht, und er wird die gewünschten Ergebnisse nicht bringen.
— International und national, Herr von Spies, kommt er aus vielen Ecken. Wir haben im Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft einen erheblichen Abwehrkampf führen müssen, um das z. B. auf diesem Gebiete bleibenzulassen. Wenn Sie ihn dort bekommen, ist er bei unserer Importabhängigkeit hier nicht mehr vermeidbar.Ich erinnere an eine vergleichbare Situation in der Geschichte der Bundesrepublik, nämlich die Rohstoffkrise während des Koreakrieges. Auch damals wurde gegen heftigen Widerstand die richtige Entscheidung durchgesetzt.Ich wiederhole: Ohne Zweifel heißt das volkswirtschaftliche Gebot der Stunde, Energie und vor allem 01 rationeller und sparsamer zu verwenden. Die Frage bleibt, wie die Umsetzung dieses Gebotes auf den einzelnen wirkungsvoll zu erreichen ist: durch eine Flut von Gesetzen, die hier eine Beschränkung, dort eine Auflage diktieren, oder indem individuelles Interesse in freiwilliger Selbstbeschränkung mit der volkswirtschaftlichen Notwendigkeit zur Deckung gebracht wird. Ich bin überzeugt, daß dies der Weg ist, den wir mit aller Konsequenz einschlagen müssen.Dieser Weg ist aber nicht denkbar ohne die Signalfunktion der Preise. Erst über sie wird ein bewußter sparsamer Energieverbrauch zu einer sinnvollen rationalen Entscheidung des einzelnen. Ich habe keinen Zweifel, daß es auch ohne den Holzhammer staatlicher Gebote und Verbote zu einer freiwilligen Veränderung der individuellen Verhaltensweisen kommen wird.Wer in diesen Tagen die Heizkostenabrechnung des vergangenen Winters erhält und die inzwischen erfolgten Preissteigerungen mit einkalkuliert, erhält eine äußerst drastische Anregung zur Energieeinsparung. Er sollte wissen, daß er seinen Energieverbrauch bereits durch Senkung der Temperatur seiner Raumheizung um 1 Grad Celsius um 5 °/o senken kann.Den Autofahrern, die den Benzinpreissteigerungen entgegenwirken wollen, braucht man keine staatlichen Fahrverbote zu verordnen. Energie- und preisbewußte Autofahrer brauchen nur an einem Wochenende im Monat freiwillig auf das Autofahren zu verzichten. Die Benzineinsparungen, die sich auch im Geldbeutel auswirken, betragen bei die-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979 13345
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffsem Autofahrer im Schnitt ca. 10 % oder 120 DM im Jahr.
— Das Auto kostet deswegen nicht mehr.Wenn der Fahrer eines Mittelklassewagens, der bisher auf der Autobahn durchschnittlich 130 Stundenkilometer gefahren ist, 30 Stundenkilometer weniger fährt, spart er auch ohne staatliche Regelung jährlich 15 % Kraftstoff. Das sind bei den gegenwärtigen Benzinpreisen rund 200 DM.Wer in diesen Tagen eine Urlaubsreise mit dem Auto antritt, sollte ein benzinsparenderes Tempo fahren. Mancher Autofahrer könnte bei entsprechendem Fahrverhalten die bisherigen Benzinpreissteigerungen auffangen.
— Das ist richtig. Ich sagte „mancher", Sie können auch sagen: „Alle Autofahrer".Auch die Hausfrauen können Energiepreissteigerungen im Haushalt entgegenwirken. Wer die Waschmaschine — und das kommt nicht selten vor— zweimal nur halbvoll lädt, zahlt doppelt soviel Strom, als wenn sie einmal voll beladen ist.Schließlich ist Sparen auch im gewerblichen Bereich möglich und nötig. Nur ein tatsächliches Beispiel aus der Praxis: Ein Holzverarbeitungsbetrieb konnte durch Umstellung seiner Eichenholztrocknung und Einbau einer Wärmepumpe mit einem Investitionsaufwand von 145 000 DM eine Öleinsparung von 120 000 Litern jährlich erzielen. Das bedeutet bei heutigen Ölpreisen eine Einsparung von 60 000 bis 70 000 DM und eine Kapitalrücklaufzeit von nur zwei Jahren.Meine Damen und Herren, ich bin Ihnen für die Aufmerksamkeit, mit der Sie auch diesem Teil der Ausführungen zugehört haben, dankbar. Ich hatte, offen gestanden, nicht ganz damit gerechnet.
— Ich freue mich über diesen Irrtum. Einige meiner Kollegen, meiner Mitarbeiter hatten gesagt: Das ist zu lang. Aber ich bin Ihnen dankbar dafür, weil wir uns klar sein müssen, daß wir, wenn wir freiwillige marktwirtschaftliche Lösungen wollen, Fall für Fall, Beispiel für Beispiel vortragen und erläutern müssen, um die Menschen im Lande zu überzeugen.
Meine Damen und Herren, ich wünschte mir nichts sehnlicher in diesem Bereich als die Bereitschaft unserer Fernsehanstalten, der sehr sinnvollen Sendung „Der 7. Sinn" eine Sendung „Energie einsparen" an die Seite zu stellen.
Auch mittel- und langfristig kann ich das Heil nicht in einem komplizierten Gebäude von Geboten und Verboten sehen. Bei aller Notwendigkeit, beimEnergiesparen staatliche Förderaktivitäten einzusetzen und noch schärfere Normen zur Eindämmung des Energieverbrauchs zu setzen, bei aller Unterstützung, die zur Nutzung von Alternativenergie notwendig ist, können wir auch hier die zentrale Funktion der Preise nicht übersehen.Hohe, d. h. staatlich nicht künstlich nach unten manipulierte Ölpreise — ich sage das all denen, die nach einer Senkung der Steuer fragen — veranlassen aber nicht nur zum Sparen, sie machen ja auch Investitionen in neuen Energiearten vielfach erst wirtschaftlich. Ich gestehe auch hier — mancher hört es nicht gern; auch in Tokio hat es nicht jeder gern gehört —, daß ich schon 1974 vieles für die floor-price-Idee des damaligen amerikanischen Außenministers übrig hatte. Diese Funktion des Preises, Investitionen wirtschaftlich zu machen, ist ein unschätzbarer Vorteil gegenüber gesetzlichen und bürokratischen Regelungen, denn auch in mittel- und langfristiger Perspektive könnte mit administrativen Beschränkungen und Verordnungen nur das an Energie verteilt werden, was zum behördlich fixierten Preis auf dem Markt ist.
Aber der Marktpreis sorgt nicht allein für einen wesentlich reibungsloseren Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage und gleichzeitig für eine ökonomisch rationale Verwendung; seine Funktion geht weiter. Er schafft — ich sage dies auch all denjenigen, die das bestreiten — auch in diesen Energiemärkten ein höheres Angebot, denn alternative Energien werden wettbewerbsfähig. Ich denke an Kohlevergasung und Kohleverflüssigung.Mit Recht hat der Herr Bundeskanzler — und ich schließe mich dem an — die deutsche Industrie aufgefordert, hier an großindustrielle Anlagen heranzugehen.
Diese werden von Tag zu Tag wirtschaftlicher. Ich denke an bisher unrentable Energievorkommen, die genutzt werden können, an Ölschiefer und Ölsände.Die Rohölverteuerung bringt nicht nur Nachteile für die internationale Wettbewerbsfähigkeit stark energieintensiver Produktionen mit sich, sie beinhaltet auch nicht zu übersehende Chancen, beachtliche Gewinne für Investitionen in Energieeinsparungsprojekten und Alternativenergien zu erzielen und damit den notwendigen Prozeß der Strukturanpassung an die teurere Energie möglichst reibungslos zu bewältigen.Meine Damen und Herren, diese Darlegungen dürfen nun aber nicht mißverstanden werden. Zwar haben wir Verständnis für die Überlegungen der Ölproduzenten — auch Herr Ministerpräsident Strauß hat dies vorhin angedeutet —, die ihr knapper werdendes Gut nicht länger zu billigen Preisen verschleudern wollen; aber keinesfalls billigen wir die sprunghaften, exorbitanten Preiserhöhungen vor allem einiger OPEC-Länder, die auf die Entwicklung der Weltwirtschaft und vor allem auf die
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13346 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979
Bundesminister Dr. Graf LambsdorffLage der nicht erdölproduzierenden Entwicklungsländer überhaupt keine Rücksicht nehmen.Wir, der Bundesaußenminister und ich, haben vor zehn Tagen in Saudi-Arabien Gespräche zu diesem Problemkreis geführt. Wir haben begrüßt, daß die saudiarabische Regierung in ihrer Erdölproduktion und in ihrer Preispolitik zu den Moderaten, zu den Einsichtigen zählt, die die weltwirtschaftlichen Zusammenhänge und nicht nur ihre Verantwortung — das klingt sehr schön, das ist auch sehr gut —, sondern auch ihr eigenes Interesse an einer funktionierenden Weltwirtschaft sieht und sich danach ausrichtet. Wir haben das begrüßt. Ich denke, daß der Bundesaußenminister in dieser Debatte noch Gelegenheit haben wird, um zu dem, was der bayerische Ministerpräsident zu den außenpolitischen Problemen im Nahen Osten gesagt hat, Stellung zu nehmen.Wir übersehen nicht, meine Damen und Herren — das wäre ja auch töricht und unserer Verantwortung nicht gemäß —, daß diese Preisentwicklung den deutschen Verbraucher mit voller Härte trifft. Der Bundeskanzler hat dazu das Notwendige gesagt. Um Notfälle müssen wir uns kümmern. Dem Normalverbraucher und uns allen aber bleibt nichts anderes übrig, als einen größeren Teil unseres Einkommens als bisher für Energie aufzuwenden. Noch einmal: Das ist für viele bitter. Aber Darumherumreden hilft überhaupt nichts. Das ist die Realität des Jahres 1979, und es wird noch lange Realität für uns alle bleiben.Unsere Anstrengungen, Energie sparsamer und rationeller einzusetzen und neue Energiequellen zu entwickeln, werden uns ab 1985/90 eine deutliche Abkopplung der Zunahme des Energieverbrauchs vom gesamtwirtschaftlichen Wachstum bringen. Trotzdem müssen wir auch bei bescheidenen Wachstumsraten und allen Bemühungen um Öleinsparung davon ausgehen, daß unser Energieverbrauch — nach unserem heutigen Wissensstand — im Jahre 2000 um etwa ein Drittel höher sein wird als jetzt und daß die neuen Energien, wie z. B. Sonne, Wind und Erdwärme, nur einen um 5 % liegenden Anteil des Gesamtverbrauchs beisteuern können.Für dieses unverzichtbare Mehr an Energie ist die Kohle unumstritten eine tragende Säule. Unsere Politik, der deutschen Kohle trotz hoher Kostennachteile ihren angemessenen Platz zu sichern, werden wir konsequent fortführen.
Mit direkten Schutzmaßnahmen und dem massiven Aufwand öffentlicher Mittel haben wir bereits in den vergangenen Jahren die Voraussetzungen für einen zunehmenden Einsatz deutscher Kohle in den kommenden Jahrzehnten geschaffen. Dabei werden auch die neuen Kohletechnologien zunehmende Bedeutung gewinnen, bei deren Entwicklung die Bundesrepublik Deutschland anerkannt führend ist. Meine Damen und Herren, die Anlagen Sassol I und II, die in Südafrika aus Kohle Benzin produzieren, beruhen auf deutschen Erfindungen, auf deutschen Konstruktionen. Das Stadium der Marktreife ist, wie ich glaube, in greifbare Nähe gerückt.Wir sind uns deshalb alle einig, daß künftig mehr Kohle eingesetzt werden soll und muß, und zwar auch mehr, als wir im Lande, selbst bei Steigerung unserer Erzeugung, bereitstellen können. Ich glaube deshalb, daß wir in Zukunft mehr als bisher Importkohle heranziehen müssen, um die in der Industrie eingesetzten Ölmengen durch wettbewerbsfähige Kohle allmählich zu ersetzen. Das ist der einzige Weg, durch den wir die in Straßburg und Tokio eingegangenen Verpflichtungen, nämlich im Jahre 1985 10 bis 12 Millionen t Öl weniger als bisher erwartet zu importieren, wirklich erfüllen können.In keinem anderen wesentlichen Verbrauchsbereich, weder beim Verkehr noch bei der Raumbeheizung, sind die notwendigen Einsparergebnisse in diesem Zeitraum erreichbar. Es muß für uns schlicht heißen: mehr 01 raus aus der Industrie, mehr Kohle in die Industrie.
Es kommt hinzu, daß der Weltkohlemarkt in diesen Jahren im wahrsten Sinne des Wortes verteilt wird. Das erinnert mich an die „Verteilung der Erde". Deshalb haben wir uns an der Ausarbeitung eines Kohle-Aktions-Programms in der Internationalen Industrieagentur und an der Formulierung des Gipfelkommuniqués in Tokio, daß ein weltweiter Kohlemarkt entwickelt werden muß, aktiv beteiligt.Meine Damen und Herren, wir wissen im übrigen eines: Auch Importkohle wird nicht so billig bleiben wie heute.
Ihr Einsatz kann Märkte für die künftige Verwendung auch deutscher Kohle erschließen und diese attraktiv machen. Der Bundeskanzler hat mit Recht auf eine uns vorliegende Anregung aus dem Bereiche des Steinkohlebergbaus hingewiesen. Aber um auch hier jedes Mißverständnis auszuschließen: Die deutsche Steinkohle behält ihren Platz. Ich bin überzeugt davon, daß angesichts der Entwicklung der Weltenergiepreise die Bedeutung der deutschen Steinkohle für unsere Versorgung wachsen wird. Es bleibt ebenso dabei, daß Importkohle, wie es der Bundeskanzler gesagt hat, nur dort in Frage kommt, wo importiertes Öl durch Kohle verdrängt werden muß.
Aber, meine Damen und Herren, Kohle kann heute und für die Zukunft kein Allheilmittel sein. Wollten wir die zusätzliche Nachfrage nach Strom allein mit Kohle decken, so müßten wir nach heutigen Einschätzungen im Jahre 2000, also schon in 20 Jahren, fünf- bis sechsmal soviel Kohle verstromen wie heute. Das würde Importmengen erfordern, die selbst bei optimistischer Einschätzung der Weltkohlemärkte sehr schwer zu beschaffen sein dürften und die uns überdies in eine neue unver-
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorfftretbare Importabhängigkeit bringen würden. Gegen eine so stark gesteigerte Verbrennung von Kohle — es wären zusätzlich 40 bis 60 Kraftwerke erforderlich — sprechen auch die Umweltbedenken, vor allem die noch gar nicht abzuschätzenden Gefahren der massierten Abgabe von Kohlendioxid.Damit, meine Damen und Herren, bin ich beim Thema Kernenergie. Ich habe mich zur Notwendigkeit des Einsatzes von Kernenergie schon so oft und so eindeutig geäußert — zuletzt in meiner Rede vor der IG Chemie in Hannover am 2. Mai dieses 'Jahres und auf dem Bundesparteitag der FDP in Bremen —, daß ich mich heute kurz fassen und feststellen kann:Erstens. Nach meiner Überzeugung ist der künftige wettbewerbsfähige Energiebedarf der Bundesrepublik ohne den Einsatz von Kernenergie nicht zu decken.Zweitens. Die Sicherheit der Bürger muß absoluten Vorrang vor wirtschaftlichen Überlegungen haben. In diesem Punkt hat uns Harrisburg geradezu bestätigt. Die hohen Sicherheitsauflagen für deutsche Reaktoren sind im übrigen ein positives Argument der deutschen Hersteller im internationalen Wettbewerb geworden.Drittens. Das integrierte Entsorgungskonzept muß aufrechterhalten bleiben. Endlagerung ohne Wiederaufbereitung ist nach derzeitigem Erkenntnisstand ökologisch nicht zu verantworten.
Es fällt mir auf, meine Damen und Herren, daß dieses Thema in der Großen Anfrage der Opposition sorgfältig ausgespart wird. Ich frage Sie deshalb zurück: Wie ist die Entscheidung des niedersächsischen Ministerpräsidenten zum integrierten Entsorgungskonzept mit den energiepolitischen Vorstellungen der CDU/CSU vereinbar?
Ich frage zweitens: Gibt es nach den jüngsten kritischen Äußerungen zu dieser Entscheidung aus München immer noch eine gemeinsame Kernenergiepolitik von CDU und CSU?
Nicht nur die Opposition, meine Damen und Herren, erwartet Antworten.
Auch wir möchten wissen, woran wir mit Ihnen sind.
— Auf den Vorwurf, meine Damen und Herren, ich trüge Eulen nach Athen, wäre mir die Antwort, ich trüge Eulen nach Hannover, am liebsten. Damit wäre ich sehr zufrieden.
— Ja, ich warte gerne ab; selbstverständlich warte ich ab.
— Ich bin gleich am Ende, sie brauchen keine Sorgen zu haben.Der Kollege Narjes hat beklagt, daß die Öffentlichkeit das Ergebnis des FDP-Parteitages von Bremen zur Kernenergie zu positiv gewürdigt habe. Herr Narjes, ich sehe das nicht so. Ich verstehe Ihre Klagen darüber; Sie hätten das lieber anders gesehen. Aber ich sage: Wir haben kein enthusiastisches Ja zur Kernenergie gesagt. Sie wissen, ich habe das nie getan. Wir haben uns vielmehr zu ihrer Notwendigkeit bekannt.
Ich bin auch gern bereit — ich möchte dies hier ausdrücklich unterstreichen —, mit denen ernsthaft zu diskutieren, die meinen, es könne und müsse auch eine Option gegen Kernenergie geben.
— Natürlich, auch mit Herrn Eppler.Ich muß nur, meine Damen und Herren, überzeugende Szenarien sehen, die mir dartun, daß diese Rechnung aufgeht. Diese Szenarien — und deswegen meine erste Feststellung, daß ich von der Notwendigkeit der Kernenergie überzeugt bin — habe ich allerdings bisher nirgendwo gesehen. Ich habe sie nicht bei einigen meiner eigenen Freunde gesehen; ich bestreite das gar nicht. Ich sehe sie nicht bei Herrn Eppler, der die außenwirtschaftlichen Zusammenhänge und zu meinem großen Erstaunen die entwicklungspolitischen Verpflichtungen — gerade der Herr Eppler! —
der Bundesrepublik übersieht. Ich sehe sie aber auch nicht bei Herrn Professor Pestel, Herr Albrecht, der Mitglied Ihrer Regierung ist und
heute in der „Neuen Osnabrücker Zeitung" verkündet, man brauche weniger Kernenergie.
Das kann man heute nachlesen, sozusagen zur Einstimmung in unsere Debatte. All diese Szenarien überzeugen mich nicht. Sie sind unrealistisch, sie sind häufig wachstumsfeindlich,
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13348 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffsie nehmen keinerlei Rücksicht auf Entwicklungsländer, und sie nehmen auch keine Rücksicht auf unsere Wettbewerbssituation auf den Exportmärkten. In dieser Frage fühle ich mich dem Deutschen Gewerkschaftsbund außerordentlich nahe.
Dieser sieht sehr wohl, warum er auch mit Rücksicht auf Arbeitsplätze seine kritische, aber im Prinzip positive und richtige Position einnimmt.Es besteht gegenwärtig keinerlei Anlaß, die Richtigkeit des seit Jahren wirksamen langfristig ausgerichteten Energieprogramms der Bundesregierung in Zweifel zu ziehen oder, wie es einige vorschnell möchten, gar über Bord zu werfen. Diese Politik hat uns seit 1974 — ich betone dies; wir waren ja schon einmal in einer ähnlichen Situation — vor echten Versorgungslücken verschont. Sie hat sich als richtig erwiesen. Wir werden sie fortsetzen.
Ich möchte Sie bloß darüber informieren, daß wir nach den vorliegenden Wortmeldungen mit vier bis fünf Stunden Diskussion rechnen müssen.
Das Wort hat der Herr Ministerpräsident von Niedersachsen, Dr. Albrecht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst meine ich, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister recht hatte,
als er sagte, daß die Meinungsunterschiede zwischen Regierung und Opposition in Sachen Energiepolitik geringer sind, als es manchmal den Anschein hat. Das ist gut so. Denn es steht zweifelsfrei fest, daß die Bundesregierung völlig außerstande ist, eine Energiepolitik ohne die Bundesländer durchzuführen. Die Bundesländer ihrerseits können hier in gar keinem Fall ohne Zusammenarbeit mit der Bundesregierung auskommen. Dies verlangt der Natur der Sache nach ein hohes Maß an Gemeinsamkeit.
Wir sind einig, daß wir mehr Energie einsparen wollen. Wir sind einig, daß eine Umlenkung der Forschungsmittel auf zukunftsträchtige Energie notwendig ist. Wir sind einig über die verstärkte Nutzung der Kohle. Wir sind einig, daß wir beschleunigt darangehen müssen, auch Ersatztreibstoffe zu entwickeln.
Nur, dies soll uns nicht abhalten, zunächst festzustellen, daß z. B., was die Umlenkung der Forschungsmittel angeht, die Bundesregierung jahrelang im Verzug ist und daß wir das heute ausbaden müssen.
Wir wollen auch nicht verschweigen, daß wir offensichtlich vor einer ganz entscheidenden Debatte über die Frage stehen, mit welchen ordnungspolitischen Mitteln das Problem der Verteuerung und
Verknappung des Erdöls bewältigt werden soll. Als ich den Herrn Bundeswirtschaftsminister hörte, habe ich den Eindruck gehabt: Der hat doch nicht zu uns gesprochen; der hat hier zu seinem eigenen Koalitionspartner gesprochen.
Uns hat das, was Sie gesagt haben, Herr Bundeswirtschaftsminister, gut in den Ohren geklungen.
Ich unterstreiche noch einmal ausdrücklich: Wer eine freiheitliche Verfassung unserer Wirtschaft weiterhin will, wer die Entscheidungsfreiheit der Bürger im Rahmen ihres eigenen Budgets will, muß auch akzeptieren, daß in einer solchen Situation die Energie teurer wird und die Signalfunktion der Preise erhalten bleibt. Dies schließt nicht aus — auch darin sind wir einig —, daß die Verteuerung der Energie' gewisse Bevölkerungsgruppen und auch gewisse mittelständische Unternehmen, z. B. Gartenbaubetriebe, besonders hart trifft und daß wir mit dem bewährten marktwirtschaftlichen Instrumentarium unter Verwendung des Steuerrechts und anderer Möglichkeiten dieser Situation gerecht werden müssen.
Die eigentliche kritische Frage der Energiepolitik ist nach wie vor: Wie soll es mit der Kernenergie weitergehen? Dies ist nicht ein Problem der Bundesregierung und dessen, was sie sagt, sondern dies ist ein Problem der politischen Wirklichkeit in unserem Land, also der Frage, ob die Bundesregierung in der Lage ist, in ihren eigenen Reihen, in den sie tragenden Parteien ihre Konzeption durchzusetzen.
Wir sind ja in der fast einzigartigen Situation, daß die Bundesregierung erfreulicherweise unmißverständlich sagt: „Wir brauchen die Kernenergie; ein weiterer Ausbau der Kernenergie ist unverzichtbar" und daß diese Position von Anfang an und zweifelsfrei vor Harrisburg und nach Harrisburg von der CDU/CSU-Opposition in ganz Deutschland gestützt worden ist. Zur Stunde kann allerdings niemand sagen, wieweit eigentlich die Unterstützung von FDP und insbesondere von der SPD für die eigene Bundesregierung reicht.
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja gern.
Herr Wolfram, bitte!
Herr Ministerpräsident, kennen Sie die von der SPD und der FDP vorgelegte Entschließung vom 14. Dezember 1978
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979 13349
Wolfram
und würden Sie hier bestätigen, daß es klare Aussagen dieser Fraktionen zu den von Ihnen aufgeworfenen Fragen gibt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist mir, Herr Abgeordneter, sehr wohl bekannt. Leider ist Ihr Datum etwas alt und durch die Entwicklung in vielerlei Hinsicht überholt.
Aber ich sage auch dieses in aller Deutlichkeit: Hier ist es nicht mit der Fraktion getan, denn ich sagte ja eingangs, die Politik müsse in den Ländern verwirklicht werden.
Wenn ich mir die Situation in den Ländern ansehe, muß ich fragen: Wie ist es denn bei Herrn Eppler, bei Herrn Ravens, bei Herrn Matthiesen und bei Herrn Jansen?
Ich möchte fairerweise hinzufügen, daß die FDP inzwischen ihre Arbeit geleistet hat. Ich kann nicht behaupten, Herr Genscher, daß das Dokument von Bremen eine erfreuliche Lektüre wäre. Dies ist es gewiß nicht. Man spürt in jeder Zeile das Tauziehen zwischen Kernenergiegegnern und Kernenergiebefürwortern. Aber immerhin ist im Endergebnis ein Ja zur Kernenergie herausgekommen, wenn auch ein reichlich gequältes Ja.
Was uns skeptisch stimmt, ist etwas anderes, nämlich die Tatsache, daß die entscheidenden Abstimmungen mit 194 gegen 191 und mit 183 gegen 181 gefällt wurden und die überstimmte Minderheit noch auf dem selben Bundesparteitag der FDP in Bremen erklärte, der Kampf gegen die Kernenergie würde weitergehen. Ich weiß also heute noch nicht, auf welche Position in den Ländern wir uns verlassen können.
Aber ganz anders ist die Situation heute in der SPD, und dies ist das eigentliche Problem der deutschen Energiepolitik.
Ich muß den Herrn Bundeskanzler fragen, welche Bedeutung das Energieprogramm der Bundesregierung eigentlich hat, wenn wir doch wissen, daß die SPD/FDP-geführte Landesregierung von NordrheinWestfalen nicht mehr bereit ist, weitere Kernkraftwerke zu genehmigen, wenn wir wissen, daß die SPD-regierten Länder Bremen, Hamburg, Berlin ohnehin keine Kernkraftwerke bauen, und wenn wir wissen, daß die SPD-Landesverbände in SchleswigHolstein, in Niedersachsen und in Baden-Württemberg dafür eintreten, daß keinerlei weitere Kernkraftwerke genehmigt werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wo wären Sie eigentlich heute mit Ihrer Politik, wenn Sie nicht das ungewöhnliche Glück hätten, daß in der Mehrzahl der deutschen Bundesländer die CDU und die CSU die Regierungsverantwortung tragen?
Wie würden Sie eigentlich heute schlafen, wenn Sie die Vorstellung mitnehmen müßten, daß in Baden-Württemberg Herr Eppler regiert, in Niedersachsen Herr Ravens regiert und in Schleswig-Holstein Herr Matthiesen regiert?
Wie die Dinge heute liegen, ist es zweifelsfrei, daß dann ihre Energiepolitik schon längst gescheitert wäre.Und dies muß ich nun auch an Ihre Adresse sagen: Sie haben erklärt — der Herr Bundeswirtschaftsminister hat es widerholt —, daß das Energieprogramm der Bundesregierung nicht geändert zu werden bräuchte. Als ich den Herrn Bundeskanzler nach der Wahl in Schleswig-Holstein auf seine Ausführungen im schleswig-holsteinischen Wahlkampf ansprach, sagte er: Nein, nein, was wir für die Kernenergie im Energieprogramm vorgesehen haben, ist nur eine Prognose; das ist nicht verbindlich. — Im Wahlkampf in Schleswig-Holstein hörten wir dann: „Ich bin zwar für den Ausbau der Kernenergie, aber Brokdorf braucht nicht gebaut zu werden." Er meinte,
wenn die Landesregierung in Schleswig-Holstein — die neue, damals erhoffte Landesregierung — sagen würde: Keine weiteren Kernkraftwerke!, dann würde die Bundesregierung das respektieren.Hier muß man doch sagen: Wenn Brokdorf nicht gebaut zu werden braucht, warum dann Grohnde, warum dann Wyhl, warum dann Ohu? Dies gilt doch für alle Bundesländer.
Mit dieser Art von Argumentation in Wahlkämpfen kann man eine klare Entscheidung nicht herbeiführen.Nun, meine Damen und Herren, dieses Problem ist natürlich auch unser Problem „Gorleben". Deshalb, Herr Kollege Kühbacher, möchte ich jetzt auf die Entsorgungsfrage eingehen. Die niedersächsische Landesregierung hat, wie Sie wissen, zwei Jahre lang mit einer ungeheuren Sorgfalt die sicherheitstechnischen Probleme erörtert, und es gibt noch manche hier in diesem Raum, die sich daran erinnern werden, wie wir dafür kritisiert worden sind, daß wir diese Prüfung so sorgfältig und ohne
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13350 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979
Ministerpräsident Dr. Albrecht
Zeitdruck durchführen wollten. Nach Harrisburg und nach dem Hearing über Gorleben ist diese Kritik verstummt. Ich registriere das und freue mich darüber.Die Landesregierung hat sich dann nicht vor der Beantwortung der Frage gedrückt. Wir haben nach einer sorgfältigen Analyse gesagt, daß das geplante Entsorgungszentrum mit einer Reihe wichtiger Änderungen so gebaut werden kann, daß es sicherheitstechnisch realisierbar und vertretbar ist.Ich muß aber auch hier anmerken, daß ich bis zur Stunde keine Antwort von der FDP in Niedersachsen bekommen habe. Dort hat man gesagt: Wir können uns noch nicht entscheiden, wir brauchen noch eine Fülle von weiteren Studien. Mit anderen Worten, man ist der Beantwortung dieser Frage ausgewichen und hat sie weit in die Zukunft hinein verlegt.Die Position der SPD ist insofern wenigstens klarer. Da schallt es uns ganz eindeutig entgegen: Wir, die SPD in Niedersachsen, verlangen von der niedersächsischen Landesregierung, daß sie aus sicherheitstechnischen Gründen den Antrag auf ein Entsorgungszentrum ablehnt. Dies ist die Forderung, die an uns gerichtet wird.
Die Landesregierung hat sich nicht bereit gefunden, dieser Forderung der SPD-Opposition nachzugeben.
Wir haben allerdings gesagt, Herr Ehmke, daß wir aus politischen Gründen den Bau einer Wiederaufbereitungsanlage zur Zeit nicht für möglich halten.
Ich weiß, daß die Tatsache, daß wir hier politische Gründe angeführt haben, zu manchem Erstaunen geführt hat. Es scheint ja bei uns zu Lande nicht gerade gewöhnlich zu sein, daß man echte Gründe nennt. Es wäre ja auch für uns ein leichtes gewesen, eine Fülle von ungelösten technischen Problemen zum Vorwand zu nehmen, wenn wir diese Entscheidung nicht hätten treffen wollen. Nein, das Problem ist politisch, und mir liegt auch daran, daß dieses Problem offen angesprochen wird.
Sehen Sie, Herr Genscher, dabei geht es nicht um Mut; dabei geht es in Wahrheit um eine moralische Entscheidung. Wenn man der Entwicklung vor Ort gefolgt ist, wenn man den engen Kontakt mit der Bevölkerung hat, weiß man, daß sich leider innerhalb des letzten Jahres die Einstellung unserer Bevölkerung in Lüchow-Dannenberg fundamental gewandelt hat. Während wir zunächst eine Offenheit, eine Aufgeschlossenheit für den Bau eines solchen Entsorgungszentrums hatten, hat sich dies gewandelt, und eine Mehrheit der Menschen ist jetzt davon überzeugt, daß diese Anlage des Teufels ist, daß sie schwere gesundheitliche Schäden für die Menschen mit sich bringt und daß vor allem — das beunruhigt die Menschen besonders — das Erbgut der Kinder durch eine solche Anlage geschädigt werden könnte.Aus dieser Überlegung leiten viele Menschen für sich eine Art übergesetzliches Notstandsrecht ab, ein Recht, das sie zum Widerstand nicht nur berechtigt, sondern ihrer Meinung nach auch verpflichtet. Ich bin zwar persönlich nach sorgfältigster Prüfung der Überzeugung, daß dies objektiv falsch ist. Aber auch falsche Überzeugungen von Menschen sind reale Überzeugungen, auch falsch empfundene Ängste sind reale Ängste, und wir müssen sehen, welche Konsequenzen das hat.Die Landesregierung, die für den Einsatz der Polizei in Gorleben allein verantwortlich ist, wußte sehr wohl, daß in dieser Situation der Bau einer Wiederaufbereitungsanlage mit vertretbaren polizeilichen Mitteln nicht gewährleistet werden konnte. Wir hatten also eine Güterabwägung vorzunehmen. Es ist klar, wie wir uns entschieden haben, und ich will es hier in aller Deutlichkeit wiederholen. Wir, die Landesregierung von Niedersachsen, waren und sind nicht bereit, auf verängstigte Menschen zu schießen, damit eine Anlage gebaut werden kann, die zur Stunde zwar wünschenswert, aber nicht absolut notwendig ist.Dies will ich zum Thema Mut, Kneifen und ähnliches noch einmal an Ihre Adresse, Herr Genscher, sagen: Wo wäre denn gerade die FDP zu finden, wenn in Gorleben geschossen würde?
Diese Frage brauche ich nicht zu beantworten; Sie können sie sich selber beantworten. Aber ich empfehle, daß etwas weniger naßforsch dahergeredet wird.
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kühbacher?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, ich möchte das jetzt zu Ende führen, Frau Präsidentin.In Wahrheit ist dies eine demokratische Herausforderung für uns alle, und ich habe das immer gesagt. Wenn wir Projekte der geplanten Art verwirklichen wollen, dann müssen wir die Menschen überzeugen. Ich habe sehr wohl notiert, daß der Herr Bundeskanzler heute gesagt hat, solche Vorhaben müßten für eine breite Mehrheit unserer Bevölkerung akzeptierbar sein und wir hätten hier eine Bringschuld an Information. Zu Gorleben kann ich nur sagen, daß die Bringschuld zunächst nicht erbracht worden ist. Aber auch hier kommen wir immer wieder auf denselben Punkt zurück. Wir haben nach meiner Erfahrung nicht die geringste Chance, unsere Bürger zu überzeugen, wenn nicht einmal die Parteien selber überzeugt sind.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979 13351
Ministerpräsident Dr. Albrecht
Solange die SPD in Bonn sagt, wir brauchen unbedingt die Wiederaufarbeitung, und die SPD in Hannover und in ganz Niedersachsen sagt, wir wollen auf keinen Fall eine solche Wiederaufarbeitung, solange die SPD als große Regierungspartei also mit zwei Zungen spricht, besteht überhaupt keine Chance dafür, daß sich die politischen Verhältnisse im Lande verbessern.Dies ist die Lage, und es bleibt für uns zu erörtern, welche Konsequenzen sich aus dieser Lage ergeben. Für die Landesregierung sind zwei Anliegen vorrangig. Das eine ist, daß die deutschen Kernkraftwerke sicher entsorgt werden. Das zweite ist, daß die im. Atomgesetz verankerte Entsorgungskopplung nicht so gefaßt werden darf, daß wir eines Tages vor der Blockade eines großen Teils unserer Elektrizitätsversorgung stehen. Die niedersächsische Landesregierung verlangt von der Bundesregierung nicht — ich habe das ausdrücklich noch einmal bestätigt —, daß sie auf die Option der Wiederaufarbeitung verzichtet. Ich will gern hinzufügen: Es entspricht meiner persönlichen Meinung, daß wir schlußendlich doch zu dieser Lösung des Entsorgungsproblems kommen müssen.
Aber die Landesregierung empfiehlt der Bundesregierung, ihr Entsorgungskonzept zu erweitern, damit wir nicht plötzlich vor einer Wand stehen. Wir haben eine Reihe von Vorschlägen gemacht, und ich habe mit Interesse gesehen, daß der Bundesparteitag der FDP diese Vorschläge weitgehend übernommen hat.Diese Vorschläge bestanden erstens darin, daß man zunächst einmal zwischenlagert — der FDP-Parteitag hat das akzeptiert —, damit wir aus dem Zeitdruck herauskommen und auch die technischen Entwicklungsarbeiten weiter vorantreiben, können.Wir haben zweitens gefordert, daß man die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten über die Wiederaufarbeitung und die Endlagerung nach Wiederaufarbeitung zu Ende führt. Das braucht ohnehin noch zehn Jahre Zeit. Parallel dazu sollen die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten für die direkte Endlagerung ohne Wiederaufarbeitung weitergeführt werden. Es ist zwar richtig, daß diese direkte Endlagerung zur Stunde nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik entspricht; aber das ist kein Grund, die Voraussetzungen dafür nicht zu schaffen. Wir haben uns bisher kaum Mühe gegeben, Forschungsarbeiten für die direkte Endlagerung zu betreiben, und deshalb ist es höchste Zeit, daß dies geschieht. Ich habe mich gefreut, zu sehen, daß in Bremen von der FDP auch diese Untersuchung alternativer Entsorgungstechnologien, wie es dort heißt, gefordert wird.Drittens haben wir gesagt, daß wir aktiv und sofort das vorbereiten müssen was letztlich für die Entsorgungskopplung ausschlaggebend ist, und das ist das Endlager. Dafür sind die Tiefbohrungen erforderlich. Die Landesregierung hat jetzt dank ihrer Entscheidung die Schlußfolgerung ziehen können, daß die Tiefbohrungen in Gorleben beginnen. Wir können jetzt hoffen, daß sich diese Tiefbohrungen unter tragbaren innenpolitischen Umständen vollziehen.Meine Damen und Herren, dies ist in der Tat schon eine beachtliche Annäherung. Ich habe den Gesprächen zwischen der Bundesregierung und der niedersächsischen Landesregierung entnommen, daß auch die Bundesregierung prinzipiell bereit ist, diesen Weg zu gehen. Eine große Meinungsverschiedenheit bleibt: Die Landesregierung hat bisher feststellen müssen, daß die Bundesregierung nicht bereit ist, die Entsorgungsdefinition im Atomgesetz zu ändern. Wir meinen, daß sich hieraus große Risiken für die gesamte Bundesrepublik Deutschland ergeben. Nach einer sorgfältigen Analyse des Urteils des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg sind wir der Meinung, daß es notwendig ist, eine Erweiterung — nicht Veränderung, Erweiterung! — der Entsorgungsdefinition vorzunehmen, die Zwischenlager in die zulässige Entsorgung für mehrere Jahre einzubeziehen und dann auch die Möglichkeit der direkten Endlagerung anzusprechen.Ich kann überhaupt nicht verstehen, warum sich die Bundesregierung weigert, an das Atomgesetz heranzugehen. Ich mag nicht unterstellen, daß das Prestigegesichtspunkte sind, daß man etwas, was man früher einmal beschlossen hat, nicht ändern will. Nein, ich glaube, daß die Antwort woanders zu suchen ist. Ich meine, daß die innere Zerstrittenheit der Regierungskoalition so groß ist,
daß sie es nicht mehr wagen kann, irgendwo Hand an das Atomgesetz zu legen.
Hierzu müssen wir von seiten der Opposition und von seiten der deutschen Bundesländer sagen: Daran darf doch nicht die deutsche Energieversorgung scheitern! Wir dürfen doch nicht riskieren, daß eines Tages die Gerichte sagen, auf Grund eurer Entsorgungsdefinition ist die Entsorgung nicht gewährleistet, und daß wir deshalb zu einem Baustopp für alle weiteren Kernkraftwerke und — in einer zweiten Phase — zur Abschaltung auch bestehender Kernkraftwerke kommen! Mir liegt deshalb daran,
heute vor diesem Hohen Hause zu Protokoll zu geben, daß die Landesregierung nachdrücklich verlangt, daß die Entsorgungsdefinition erweitert wird, und daß, wenn dies nicht geschieht, die Bundesregierung — und nur die Bundesregierung! — dies eines Tages zu verantworten haben wird.
In Wahrheit, meine Damen und Herren, läuft das alles auf denselben entscheidenden Punkt hinaus: Es kommt nicht darauf an, was die Bundesregierung hier verkündet, es kommt nicht auf die geschriebenen Programme an, es kommt darauf an, daß in der politischen Wirklichkeit die Aktionseinheit wiederhergestellt wird. Und hier ist der Bun-
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13352 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979
Ministerpräsident Dr. Albrecht deskanzler gefordert, und hier sind auch Sie gefordert, Herr Wehner, hier ist Herr Brandt gefordert, den man im allgemeinen nur oberhalb der Wirklichkeit thronen sieht.
— Es braucht Sie nicht zu beschweren, Herr Wehner, ob ich ein Komödiant bin oder nicht. Aber wenn Sie hier Ihre Arbeit leisten und dafür sorgen würden,
daß auch die SPD in Deutschland in der Energiepolitik wieder mit einer Stimme spricht, dann hätten Sie der Bundesrepublik Deutschland einen Dienst erwiesen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen, Herr Genscher.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gehöre der Bundesregierung inzwischen fast zehn Jahre an
und habe niemals in einer Parlamentsdebatte — es sei denn zu einer Regierungserklärung — das Wort ergriffen, bevor nicht die Redner der ersten Runde des Parlaments gesprochen hatten. Der Beitrag des Herrn Ministerpräsidenten Albrecht zwingt mich indessen dazu, heute von dieser Regel im Sinne der Klärung der Verhältnisse in diesem Lande abzuweichen.
Herr Kollege Albrecht, wir haben in einer für unser Land historischen Stunde verantwortungsvoll zusammengearbeitet. Ich denke, daß wir damit unserem Lande gemeinsam einen Dienst geleistet haben. Mein persönlicher Respekt vor Ihrem Verhalten damals ist in keiner Weise beeinträchtigt. Was Sie aber heute vorgetragen haben, war der Versuch, nach der Devise „Haltet den Dieb" zu handeln.
Ich sage Ihnen: Ich teile Ihren Respekt vor denSorgen der Bürger in jener Gegend, in der das Ent-sorgungslager errichtet werden soll, in jener Gegend, in der die Wiederaufbereitungsanlage errichtet werden soll, dort, wo die Tiefbohrungen stattfinden sollen. Ich teile Ihren Respekt vor der Sorge der dort wohnenden Menschen. Aber weil ich diesen Respekt teile, erwarte ich auch von Ihnen, daß Sie Respekt vor denjenigen haben, die in den Regierungsparteien, auch wenn sie nicht dort wohnen, ebenfalls Sorgen wegen der Probleme haben, die dort entstehen.
Wenn wir schon über Mehrheitsverhältnisse auf Parteitagen sprechen, dann bitte ich, daß Sie klar und eindeutig wiedergeben, was der Parteitag der FDP mit welcher Mehrheit beschlossen hat. Nicht mit zwei oder drei Stimmen Mehrheit, sondern mit einer satten Zweidrittelmehrheit hat unser Parteitag unser Programm beschlossen.
— Da mögen Sie lachen, Herr Kollege, weil das nicht in Ihr Konzept paßt. Es paßt nicht in das Konzept, uns die Verantwortung dafür aufzuerlegen, daß in Niedersachsen jetzt Probleme für die nationale Energieversorgung entstanden sind.
In der Frage der Energieversorgung der Bundesrepublik Deutschland tragen wir alle, ganz gleich, welcher Partei wir angehören, eine gemeinsame nationale Verantwortung.
Wir tragen sie als Parteien, wir tragen sie als Abgeordnete, wir tragen sie als Bundesregierung, und wir tragen sie als Landesregierungen. Da kann sich die Bundesregierung nicht — und sie wird es nicht tun — mit Hinweis auf eine Landesregierung herausreden. Aber es kann sich auch keine Landesregierung mit Hinweis auf die Bundesregierung herausreden. Es kann sich auch keine Regierung, weder im Bund noch im Land, mit dem Hinweis auf das Verhalten ihrer jeweiligen Opposition herausreden.
Wohin hätten wir denn in den letzten zehn Jahren kommen sollen, wenn wir jedesmal das unterlassen hätten, wogegen Sie in diesem Parlament gestimmt haben?
Was von dieser Debatte ausgehen muß, wenn sie einen Nutzen haben soll, ist die Erklärung der Bereitschaft, daß die Verfassungsorgane dieses Landes — die Bundesregierung, die Landesregierungen und die zur Entscheidung berufenen gesetzgeben-
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Bundesminister Genscherden Organe, also auch Bundesrat und Bundestag — zusammenwirken, um die ohne Zweifel vorhandenen Mehrheiten für die Sicherstellung der nationalen Energieversorgung einzusetzen.
— Herr Kollege, können Sie nicht wenigstens einmal zuhören, wenn jemand aus dem anderen Lager etwas sagt, weil er sich Sorgen darum macht, ob dieses Land seine Energieversorgung auch wirklich garantieren kann?
Meine Damen und Herren, was hier von diesem Beitrag ausgehen soll, ist das Angebot zu einer energiepolitischen Kooperation von Bundesregierung und Landesregierungen. Da wollen wir kein Schwarzer-Peter-Spiel in Gang setzen, da wollen wir Gemeinsamkeiten dort, wo sie da sind, nicht verdecken, sondern deutlich machen: Zur Pflicht in der Politik gehört es, daß man Gegensätze nicht verkleistert. Die Offentlichkeit muß wissen, wo jeder steht. Die Offentlichkeit muß erkennen können, was Parteien trennt. Aber es gehört auch zur Verantwortung der Politiker, daß dort, wo Überzeugungen gemeinsam sind, diese gemeinsamen Überzeugungen auch dann ausgesprochen werden, wenn ein Stück Auseinandersetzungsmöglichkeit auf diese Weise verlorengeht.
— Ich biete hier, Herr Kollege von Bismarck, eine Kooperation an, nicht mehr.Ich hätte mich — ich sage es noch einmal — zu diesem Teil überhaupt nicht gemeldet, wenn nicht ein Parteitag meiner Partei in dieser Weise in die Diskussion eingeführt worden wäre. Wir wollen in der Tat als Bundesregierung wissen, ob alle Länder— der Kollege Albrecht hat ja dargelegt, in wie vielen Ländern die CDU die Regierungschefs stellt— bereit sind, dem Vorschlag des Bundeskanzlers zu folgen, Zwischenlager zu errichten. Das wäre auch ein praktischer Ausdruck der Bereitschaft, die Verantwortung gemeinsam zu tragen. Das machte es auch leichter, den Menschen das Risiko der friedlichen Nutzung der Kernenergie verständlich, aber auch erträglich zu machen.
Vielleicht können wir dazu eine Antwort bekommen.Meine Damen und Herren, ich möchte gern noch eine andere Frage stellen.
Ich möchte fragen, ob die Kollegen der CDU/CSU und auch die hier vertretenen Landesregierungen, gleichviel wie sie zusammengesetzt sind, einer Formulierung zustimmen könnten, die etwa lautet: „Die Regierungen von Bund und Ländern werden in gemeinsamer Verantwortung" — ich betone: „in gemeinsamer Verantwortung" — „das Ziel einesintegrierten Entsorgungskonzepts aufrechterhalten und gleichzeitig parallel alternative Entsorgungstechnologien untersuchen. Angesichts der Entscheidung der niedersächsischen Landesregierung ist auch die Möglichkeit zu erörtern, bei der Verwirklichung eines integrierten Entsorgungskonzepts schrittweise vorzugehen."Meine Damen und Herren, ist das nicht ein verantwortungsvolles Angebot? Könnte nicht diese Debatte ein Anlaß sein, dazu eine Klärung herbeizuführen, die dann Grundlage einer gemeinsamen nationalen Energiekonzeption und einer nationalen Energiepolitik sein könnte?
Die Bundesregierung hat sich gegenüber dem Land Niedersachsen niemals ihrer Verantwortung entzogen. Herr Ministerpräsident Albrecht wird sicher zugestehen, daß das Verwaltungsabkommen, das er für notwendig hielt, wie die Bundesregierung es für notwendig hielt, nach gründlichen Beratungen zustande gekommen ist. Das zeigt, daß die Bundesregierung nicht nur Worte in Parlamentssitzungen gebraucht, sondern daß sie Taten dort vollbringt, wo sie erwartet werden.
Von „schießen" hat bei uns niemand gesprochen, und schießen will niemand. Ich denke, daß wir auf allen Seiten dieses Hauses das feststellen können, was hier Herr Ministerpräsident Albrecht zum Ausdruck gebracht hat.Als ich mich zur Wort meldete, meine Damen und Herren, war der Grund eigentlich ein gänzlich anderer. Ich hätte deshalb auch eine Stunde später sprechen können. Ich wollte etwas zu den Bemerkungen sagen, die Herr Ministerpräsident Strauß zur internationalen Situation und ihrer Bedeutung für den Frieden in Europa, den Frieden im Nahen Osten und damit auch für die Entwicklung unseres Landes und die Energieversorgung gemacht hat.Ich teile Ihre Auffassung, Herr Ministerpräsident, daß wir im Nahen Osten in einer außerordentlich kritischen Situation stehen. Es ist ein Vorzug, daß sich die Nahostpolitik der Bundesregierung in Übereinstimmung mit ihren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft befindet. Wir müssen uns der Tatsache bewußt sein, daß in diesen Wochen und Monaten die Ländern -des Nahen Ostens an die Staaten der Europäischen Gemeinschaft Erwartungen für eine aktive Rolle im Friedensprozeß herantragen, weil sie wissen, daß es nur den einen Frieden gibt: für Europa und für den Nahen Osten.Wir haben durch die Beitrittsverhandlungen mit Griechenland, Portugal und Spanien drei weitere südeuropäische Länder in der Gemeinschaft. Damit sind wir mit dem Mittelmeerraum noch näher verbunden. Es ist keine Übertreibung, zu sagen, daß der Frieden des Nahen Ostens unser Frieden ist und daß unser Frieden auch der Frieden des Nahen Ostens ist.
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Bundesminister GenscherDie Lage in der Türkei hat deutlich gemacht, daß nicht nur die Mitgliedschaft dieses Landes in der NATO, sondern allein seine innere Stabilität von Bedeutung für die Stabilität in der ganzen Region ist. Ich stehe hier nicht an, dem Herrn Kollegen Kiep für seine verdienstvollen Bemühungen zu danken, eine vernünftige Lösung zur wirtschaftlichen Stärkung der Türkei herbeizuführen oder mindestens mit Tatkraft zu fördern.
Die Bundesregierung bemüht sich mit ihren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft, aktiv zur Lösung des Nahostkonfliktes beizutragen. Unsere Vorstellungen darüber, wie eine umfassende, gerechte und damit dauerhafte Lösung des Nahostproblems aussehen sollte, haben wir mit unseren EG-Partnern beraten. Wir haben sie in der gemeinsamen Erklärung der Staats- und Regierungschefs vom Juni 1977 niedergelegt. Wir haben unlängst eine neue Erklärung zur Siedlungspolitik und zu anderen Fragen abgegeben. Es geht jetzt entscheidend darum, daß wir unseren ganzen Einfluß dafür einsetzen, daß die Einheit des arabischen Lagers wiederhergestellt werden kann, weil nur dann eine umfassende, von allen akzeptierte Friedensregelung erreicht werden kann, eine Friedensregelung, die auch Ägypten wieder mit seinen arabischen Brudervölkern zusammenführen wird, und eine Friedensregelung, die das Existenzrecht Israels auf Dauer garantiert.
Das ist das Ziel deutscher und europäischer Nahostpolitik. In dieser Frage wollen wir mit unseren europäischen Partnern zusammenarbeiten.Ich habe die Ausführungen des Herrn Ministerpräsidenten Strauß heute dahin verstanden, daß er im Prinzip einer solchen Politik seine Zustimmung geben kann. Er hat kritisiert, daß sich der Bundeskanzler — so habe ich das jedenfalls verstanden — zu einzelnen Fragen dieses Problems nicht näher geäußert hat, hat aber gleichzeitig auch festgestellt, daß es sich um so komplizierte und delikate Fragen handelt, daß sie einer öffentlichen Erörterung nicht zugänglich sind.Herr Ministerpräsident, ich mache Ihnen das Angebot, diese Fragen der Nahostpolitik im Auswärtigen Ausschuß des Deutschen Bundestages, im Auswärtigen Ausschuß des Bundesrates und, wenn es gewünscht wird, auch am Freitag dieser Woche bei der Zusammenkunft des Bundeskanzlers mit den Regierungschefs der Länder zu besprechen.
Ich wiederhole, was ich am Anfang gesagt habe: Eine lebendige Demokratie lebt davon, daß Gegensätze nicht verkleistert, sondern offengelegt werden. Aber Parlamentarier und Politiker würden ihre Pflicht versäumen und frevelhaft handeln, wenn sie dort, wo Übereinstimmung vorhanden ist, diese Übereinstimmung nicht auch der Offentlichkeit deutlich machten. Mir scheint, an dieser Stelle ist das der Fall. Das deutlich zu machen war Zielmeines Beitrages. Ich wäre dankbar, wenn das für die Offentlichkeit festgehalten werden könnte und der Offentlichkeit verständlich geworden wäre.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Narjes.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Herr Bundesaußenminister hat soeben für einen Teilbereich der Energiepolitik die Voraussetzungen zu definieren versucht, unter denen eine nationale gemeinsame Energiepolitik zustande kommen kann. Ich nehme an, daß die Formel, die er vorgeschlagen hat, sich in erster Linie auf die Zusammenkunft der Ministerpräsidenten beim Bundeskanzler am Freitagabend bezieht.Ich möchte aber die Grundhaltung des Bundesaußenministers akzeptieren und hier zur Energiepolitik für andere Bereiche das aufzeigen, was trennt, das aufzeigen, was Voraussetzung dafür sein kann und sein muß, um herauszufinden, ob auch in diesen Bereichen eine gemeinsame Energiepolitik möglich ist.Ich darf darauf hinweisen, daß die Energiepolitik von Bundesregierung und Opposition lange Zeit gemeinsam getragen wurde. Regierung und Opposition haben über 20 Jahre hinweg insbesondere gemeinsam die Kernenergie entwickelt. Regierung und Opposition haben lange Zeit die Grundfragen der Kohlepolitik gemeinsam getragen und einmütig viele schwierige Probleme gelöst. Wenn diese Gemeinsamkeit ihr Ende gefunden hat, so im wesentlichen aus drei Gründen:1. Die Koalitionsparteien haben ohne erkennbaren sachlichen Grund etwa im Jahre 1976 die gemeinsame Linie in der Kernenergie aufgegeben.2. Zwischen Regierung und Opposition hat es zunehmend größere Meinungsverschiedenheiten über die Beurteilung der Konsequenzen des ersten Ölinfarkts 1973/74 gegeben.3. Regierung und Opposition unterscheiden sich auch — das hat die Debatte heute morgen erneut unterstrichen — in den Anforderungen an die Zeithorizonte, von denen sich eine deutsche Energiepolitik leiten lassen muß.Helmut Kohl hat in der Debatte zur Lage der Nation am 18. Mai zuletzt Gemeinsamkeit angeboten. Eine Antwort habe ich bisher nicht gehört. Offensichtlich ist die Koalition nicht nur handlungs-, sondern in dieser Frage auch koalitionsunfähig. Die Debatte soll dazu beitragen, hier weitere Klärung zu schaffen.Dazu ist es nötig, das Problem in seinem Zusammenhang zu sehen. Die Energieversorgung der Industriestaaten ebenso wie die der nicht ölproduzierenden Entwicklungsländer ist zu einem globalen Problem höchster Priorität geworden. Für diese Herausforderung gibt es kein Beispiel in der Wirtschaftsgeschichte. Auch die Industriestaaten stehen vor wirtschaftspolitischem Neuland. Es geht um
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Dr. Narjesden Versuch, gemeinschaftlich einen planetaren Strukturwandel der Energieversorgung in einem geordneten Verfahren einer Lösung zuzuführen, die den Frieden nicht gefährdet und die keine Einbußen an sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungschancen nach sich zieht, weder für die Bürger in den Industriestaaten noch für die Menschen in der Dritten Welt. Die Verantwortung für den Erfolg dieser Aufgabe liegt in allererster Linie bei den Industriestaaten, schon weil sie die größten Verbraucher von 01 und Gas sind, weil aber auch nur sie über die notwendige Wirtschaftskraft und Technologie verfügen. Globale Absprachen werden nur in dem Maße erfolgreich sein, wie die beteiligten Nationen handlungsbereit und -fähig sind, das weltweit Vereinbarte auch schnell und vollständig in ihren Volkswirtschaften durchzusetzen. Darum geht es hier und heute, wenn wir uns über die deutsche Energiepolitik auseinandersetzen. Es geht um ihre organische und sinnvolle Eingliederung in die Entwicklung der Weltenergiewirtschaft. Indem wir die globalen Bedingungen beachten, sichern wir zugleich die nationale Energieversorgung. Dieser Entwicklung und den sich daraus ergebenden Verpflichtungen wird die Praxis der bisherigen deutschen Energiepolitik in entscheidenden Punkten nicht gerecht. Sie ist durch die Ereignisse überholt. Die Reden des Bundeskanzlers und des Bundeswirtschaftsministers heute morgen haben uns in dieser Erkenntnis nur bestärkt.Wir fordern deshalb die Bundesregierung durch unseren Antrag auf, die deutsche Energiepolitik —präzise: die zweite Fortschreibung — unverzüglich, d. h. bis zum 1. Oktober, neu zu formulieren und ihre kurz-, mittel- und langfristigen Ziele und Strategien den veränderten Umständen anzupassen.
Eine verantwortungsbewußte und vorausschauende Energiepolitik, die wir fordern, muß konsequent von der Erkenntnis beherrscht sein, daß sich das Problem der Energieversorgung in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weltweit noch drastisch verschärfen kann. Die Rede des Herrn Bundesaußenministers, die er soeben gehalten hat, hat dieses im Grunde nur bestätigt.Ausgangspunkt der Krise, in die die Industriestaaten, auch durch ein hohes Maß an eigenem Verschulden, hineingeraten sind, sind einmal die politischen Störungen der Versorgung und zum anderen aber auch die unzureichende Vorbereitung auf die sich ohnehin abzeichnende Erschöpfung der Weltvorräte an 01 und Gas. Seit einigen Jahren verbraucht die Welt mehr 01, als neue Reserven gefunden werden. Die nachgewiesenen Vorräte nehmen also ab. Der Höhepunkt der Weltölförderung war ohnehin für Anfang der 90er Jahre in Aussicht gestellt worden. Es war also bekannt, daß die Angebote auf den Weltölmärkten nach diesem Zeitpunkt schrittweise zurückgehen würden.Auf der Nachfrageseite wächst unverändert der Bedarf; er wird auch in Zukunft noch unverändert wachsen, weil die Weltbevölkerung zunimmt, aber auch weil die Großverbraucher — allen voran die Vereinigten Staaten — es versäumt haben, sich auf die seit Jahren erkennbare Entwicklung hinreichend einzustellen. Die Großverbraucher leben über ihre Ölverhältnisse, und zwar — und das trennt uns von den Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers — in einem größeren Maße, als dies auch in seinen Sparzielen bis 1985 zum Ausdruck kommt.Rein rechnerisch hat die Internationale EnergieAgentur für die Jahrhundertwende eine Differenz zwischen Angebot und wachsender Nachfrage von jährlich 1,4 Milliarden t 01 ermittelt. Das wäre ein Defizit, das beinahe der heute insgesamt weltweit gehandelten Ölmenge entspricht, oder eine Versorgungslücke, die das Vierzehnfache dessen ausmacht, was uns heute durch den Teilausfall des Iran-Öls schon erheblich belastet. Lassen Sie mich dazu sagen, Herr Bundeswirtschaftsminister: Ich glaube, wir sollten von denselben Zahlen ausgehen. Der Minderexport des Irans ist bis zu einer Größenordnung von etwa 2 Millionen Barrel täglich durch anderweitige Mehrlieferungen gedeckt. Die Lücke hat im Augenblick also eine Größenordnung von 80 bis 100 Millionen t.Die Rechnung der Internationalen Energie-Agentur, auf die ich hinwies, zeigt, was passiert, wenn energiepolitisch nicht gehandelt wird, was insbesondere dann passiert, wenn man sich auf eine Sparpolitik beschränkt.Es war ohnehin die herrschende Meinung der Sachverständigen, daß auch ohne die Iran-Krise Mitte der 80er Jahre die Nachfrage das Angebot überholt haben würde und daß von da an unabsehbare Konsequenzen für die Mengen und die Preise der Versorgung entstehen müßten. Auf diese Phase waren die Industriestaaten nicht vorbereitet. Der zweite Ölinfarkt, die Iran-Krise, hat diese Entwicklung nur beschleunigt, und zwar in doppelter Hinsicht: einmal durch den Ausfall der eben beschriebenen Mengen, zum anderen aber — das ist wichtiger — durch die Rückwirkungen der Iran-Krise auf die Politik der gemäßigten Ölproduzenten der arabischen Halbinsel. Sie haben ihre Politik neu orientiert und sich stärker den konfliktträchtigen politischen Bedingungen des Nahostraumes angenähert.Für die Ölpolitik heißt dies praktisch — und darin möchte ich die Ausführungen des Bundesaußenministers verlängern —, daß die gemäßigten Ölproduzenten ihre bisherige Rolle als Mengenregulator aufgegeben haben, der durch Zusatzproduktionen dann einspringt, wenn auf den Ölmärkten die Preisentwicklung auszuufern droht. Mehr noch: Sie scheinen auch in der Zwischenzeit der neuen OPEC-Strategie zugestimmt zu haben, die bei einer politisch kontrollierten Regulierung der Produktionsmengen darauf gerichtet ist, das Angebot auf die Dauer unter der Nachfrage zu halten. Dadurch werden einmal die Preise gestützt — und noch in die Höhe getrieben —, zum anderen scheint man sich davon sogar zusätzliche umfassende politische Möglichkeiten der Einwirkung auf die Verbraucherländer zu erhoffen.
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Dr. NarjesDiese Strategie ist äußerst bedenklich. Sie kann ein Spiel mit dem Feuer werden, wenn ihr das Augenmaß fehlt. Das Öl ist keine ausreichende Basis für wirtschaftliche Weltherrschaftsansprüche.Daß die Situation für die Versorgungssicherheit und auch die politische Selbstbehauptung der Industrieländer — und damit auch für die Bundesrepublik Deutschland — völlig untragbar ist, bedarf keiner weiteren Begründung. Sie wird so lange anhalten, bis die Verbraucherländer, also auch wir, vom Bezug des OPEC-Öls so unabhängig geworden sind, daß die Drohung mit einem Lieferentzug uns nicht mehr treffen kann. Das Ziel des Gleichgewichts genügt angesichts der neuen OPEC-Strategie nicht mehr, weil es nicht erreicht werden kann; denn die Produzenten würden ihre Förderung jeweils wieder zurücknehmen.Die Geschlossenheit der Industriestaaten und ihre Abstimmung mit den nicht ölverbrauchenden Entwicklungsländern sind unter diesen Umständen ein hohes Ziel der Politik und der Diplomatie. Ohne sie wird der notwendige Dialog mit den Ölproduzenten wesentlich schwieriger, wenn er nicht ganz zur Erfolglosigkeit verurteilt ist.Dieser wünschenswerten Geschlossenheit läuft diametral die seit einigen Wochen zu beobachtende Praxis, auch der Bundesregierung, zuwider, den Ölbezug durch bilaterale Absprachen mit den Ölproduzenten zu politisieren. Unser Beitrag zur Zersplitterung des geschlossenen Westens steht in keinem Verhältnis zum denkbaren Nutzen.Am besten illustriert dies der Besuch des Bundesaußenministers kürzlich in Libyen.
Nur wenige Tage nach der lautstark verkündeten Erfolgsmeldung über zusätzliche Lieferungen fühlte sich der libysche Staatschef nicht gehindert, laut darüber nachzudenken, ob er für zwei Jahre seine Produktion insgesamt einstellen und den Export unterbinden könne. Wenn dies das Ergebnis solcher Besuche ist, bedarf es keiner weiteren Beweise mehr, daß es nicht zweckmäßig ist, über diese Methode erneut nachzudenken.Ich darf auch darauf hinweisen, daß allein in den letzten Wochen Nigeria und Libyen in mehreren Fällen versucht haben, den Vereinigten. Staaten und Großbritannien politisch bedingte Lieferauflagen zu machen. Auch diese Beispiele sollten schrecken.Wichtig für uns ist vielmehr, zu erkennen, daß jeder Tag, an dem wir uns in einer solchen prekären Versorgungssituation befinden, ein Tag möglicher politischer Erpreßbarkeit ist. Wichtig ist es, außerdem zu erkennen, daß wir ein nationales Interesse daran haben, daß der strategischen Bedrohung unserer energiepolitischen und damit auch politischen Eigenständigkeit mit einer strategisch angelegten Politik des „Weg vom Öl" begegnet werden muß. Schon im Interesse des Friedens haben wir die Pflicht, uns so schnell und so umfassend wie möglich von dieser Abhängigkeit zu befreien.Einer der größten Engpässe einer solchen umfassenden Politik der Befreiung vom Diktat der Ölproduzenten ist der Zeitbedarf für den umfassenden Umstellungsprozeß auf andere Energieträger. Gerade hierüber sind die Meinungen zwischen Regierung und Opposition wohl am weitesten auseinander. Wir in Deutschland haben schon fünf kostbare Jahre seit dem ersten Ölinfarkt 1973/74 verbummelt.
Diese Bundesregierung und ihre Vorgängerin haben schweren Tadel verdient, daß sie die Dinge so haben treiben lassen.Ich bin nicht müde geworden, hier an dieser Stelle im Namen meiner Fraktion auf die politischen Risiken der Ölversorgung, die spätestens im Winter 1973/74 sichtbar wurden, aufmerksam zu machen. Mehrfach habe ich darauf hinweisen können, daß die nächste Krise anders verlaufen könne als der erste Ölinfarkt und daß sich die nächste Krise nicht zwangsläufig mit denselben Mitteln lösen lassen werde, die die erste Krise überwinden halfen. Seit mehr als vier Jahren haben wir an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß die Zeit gegen uns arbeitet und daß wir uns in einem Wettlauf mit der Uhr befinden, daß wir vor allen Dingen auf die sich für die Mitte der 80er Jahre abzeichnende eben erwähnte Versorgungskrise nicht vorbereitet sind.Entsprechende Signale aus dem Ausland wurden ebenso übergangen, sei es die zutreffende Analyse von Henry Kissinger, die dazu geführt hat, daß die Regierung Nixon 1974 das „Program Independence" verkünden konnte, das an der Uneinsichtigkeit des Kongresses scheiterte, sei es die geradezu dramatische Begründung des Präsidenten Carter, die drei Jahre später abgegeben wurde und auch auf die Bundesrepublik Deutschland bezogen werden konnte, mit der er sein Ölprogramm in den Kongreß einbrachte, wo er damit auch scheiterte — nicht weil das Programm schlecht gewesen wäre, sondern weil der Kongreß sich seiner Verantwortung nicht bewußt war.Beiden Aktionen lagen Lagebeurteilungen zugrunde, die plausibel, ja unangreifbar waren und so, wie sie für die Vereinigten Staaten galten, auch für uns hätten gelten und herangezogen werden müssen. Die Bundesregierungen haben sich dagegen auf einen Stil der Behäbigkeit, des bürokratischen Leerlaufs und der provinziellen Selbstgefälligkeit zurückgezogen.
Diesen Tadel können wir Ihnen nicht ersparen.Die Bundesregierungen haben dabei insbesondere übersehen, daß die Überwindung der Krise von 1973/74 nur zu einem Teil auf die strikte Beachtung marktwirtschaftlicher Regeln zurückzuführen war. Sie haben verkannt, daß der andere Teil der Krisenlösung aus dem engen amerikanisch-saudiarabischen und amerikanisch-iranischen Verhältnis
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Dr. Narjeserwuchs, wo mit Hilfe von Waffenlieferungen und politischem Entgegenkommen die großen Ölproduzenten zu maßvollem Verhalten veranlaßt wurden. Diese Voraussetzung, die es damals gab, ist heute entfallen.Weil soviel Zeit vertan worden ist, ist sie heute kostbar wir das Öl. Und daran hat sich jede Energiepolitik auszurichten. Es ist richtig, daß schon in den ersten Absätzen des Energieprogramms der Bundesregierung die Lösung vom Öl als zentrale Langzeitaufgabe herausgestellt worden ist. Es ist aber auch richtig, daß die Bundesregierung noch in ihrer zweiten Fortschreibung des Energieprogramms, die sie vor sechs Wochen, am 16. Mai dieses Jahres, meinte bestätigen zu können, für das Jahr 1990 einen Ölanteil an unserer Primärenergieversorgung von 43 bis 45 % vorhergesehen hat, also noch knapp die Hälfte unserer Versorgung auf dieses politisch so prekäre und mit seinen politischen Risiken so belastete Öl abstellt. Dies ist eine völlig unannehmbare Entwicklung. Sie kann nicht hingenommen werden, wenn wir mit den erwähnten politischen, strategischen, wirtschaftlichen und auch sozialen Bedrohungen aus Nahost angemessen fertig werden wollen.Wenn die Feststellung des Bundesaußenministers richtig ist, daß die Ruhe und der Friede in Nahost unsere Ruhe und unser Friede sind, daß die Konflikte in Nahost unsere Konflikte sind, ist es angesichts dieser völligen Abhängigkeit unseres Friedens und unserer Entwicklung von der Lage in Nahost nicht zu verantworten, daß wir uns ihr über Jahrzehnte hinweg in dem im Energieprogramm vorgesehenen Umfang noch ausliefern wollen. In einem solchen Postkutschentempo kommen wir aus unserer bedrängten Lage nicht heraus,
leisten wir auch keinen verantwortlichen Beitrag zur Entspannung der Weltenergiesituation.Aus unserer Analyse heraus ist die Bestätigung, des Energieprogramms durch diese Bundesregierung am 16. Mai 1979, also zu einem Zeitpunkt, an dem schon alle Erkenntnisse auf dem Tisch lagen, die danach auf den Gipfelkonferenzen in Straßburg und in Tokio dann auch von der Bundesregierung akzeptiert worden sind, die größte energiepolitische Fehlentscheidung der Nachkriegszeit. Sie ist das Produkt hilfloser Ohnmacht.
Dabei gibt es jedenfalls in der Lagebeurteilung, die sich der Bundeskanzler jetzt im Gegensatz zu seiner recht oberflächlichen Neujahrsansprache zu eigen gemacht hat, unter uns kaum Unterschiede. Man mag darüber streiten, ob es zweckmäßig ist, von der Gefahr kriegerischer Konflikte zu sprechen. In der Sache können und wollen wir aber seiner Warnung nicht widersprechen.Aber gerade weil die Versorgungslage so labil ist, ist es unbegreiflich, daß der Bundeskanzler aus dieser Lagebeurteilung nicht die notwendigen umfassenden Konsequenzen zieht, daß er sich vor überfälligen Entscheidungen drückt.
Die Gründe für diesen fundamentalen Widerspruch zwischen Erkenntnis und Handeln liegen indessen auf der Hand. Sie ergeben sich aus der energiepolitischen Handlungsunfähigkeit der ihn nicht mehr voll tragenden Koalition, aus der Zerstrittenheit zweier sogenannter Regierungsparteien, die mit ihrer energiepolitischen Totalblockade seit nahezu drei Jahren deutsche vitale Interessen mißachten und dem deutschen Volk unabsehbare Langzeitschäden zufügen.
Ihre Handlungsunfähigkeit beschränkt sich nicht etwa auf die Nutzung der Kernenergie, für die es ein politisches oder faktisches Moratorium für alle Anlagen gibt, die über das Jahr 1985 hinaus in Aussicht genommen sind. Sie umfaßt ebenso den Bau von Kohlekraftwerken, die Kohleveredlung, die notwendige Definition der künftigen Rolle der Importkohle — dazu gab es übrigens heute erstmals von seiten der Bundesregierung fortgeschrittene Formulierungen —.
Sie betrifft vor allem die ungelösten Konflikte zwischen Umweltpolitik und Energieversorgung sowie die schweren Mängel in der Rechtssicherheit für alle Investitionen der Energiewirtschaft.
Der Bürger, die Wirtschaft und die Verbraucher in diesem Land müssen über diese Lage im höchsten Maß verwirrt sein. Unterschiedliche Zahlen, unterschiedliche Maßeinheiten, unterschiedliche Währungen, unterschiedliche Prognosen und zum Teil kraß unterschiedliche Urteile aus Wissenschaft und Wirtschaft müssen ihre Skepsis stärken und ihr Mißtrauen schüren. Unterschiedliche Zeithorizonte, vor allem die ständige Vermischung von kurz-, mittel- und langfristigen Entwicklungen haben dazu beigetragen, daß nicht einmal mehr erkennbar ist, welche Aussagen untereinander vergleichbar sind und welche Unterschiede es in den Annahmen und welche Widersprüche es in den Schlußfolgerungen gibt.Lassen Sie mich zur Erklärung dieser Lage beitragen, indem ich versuche, sie in zwölf Punkten zusammenzufassen.Erstens. Wir sind untrennbar mit der Weltenergiewirtschaft verbunden und daher mit dem Schwerpunkt der nächsten zehn Jahre vor die beispiellose Aufgabe gestellt, uns so weit wie möglich vom OPEC-Öl zu lösen. Gelingt dies nicht, sind Konflikte nicht auszuschließen.Zweitens. Nach fünf vertanen Jahren haben wir unverzüglich und im großen Stil mit der Umstrukturierung der Energieversorgung zu beginnen. Wir müssen unsere Angebotsstrukturen von Grund auf
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Dr. Narjesändern und den Verbrauchern in Wirtschaft, Verkehr und Haushalt andere Energien anbieten.
Drittens. Die volle Ausschöpfung unseres Sparpotentials ist eine notwendige Voraussetzung dieser Politik. Sie muß dazu beitragen, die für den Umstrukturierungsprozeß notwendige Zeit zu gewinnen und Spannungen auf den Energiemärkten zu mildern, abzufedern.Es wäre aber viertens ein gefährlicher Irrtum, die politischen Anstrengungen ausschließlich auf das Energiesparen zu konzentrieren. Die mittel- und langfristigen Entscheidungen zur Umstrukturierung des Energieangebots haben gleich hohen Rang. Sie stehen unter demselben Zeitdruck. Noch so erfolgreiche Sparmaßnahmen können sie nicht ersetzen.Fünftens. Wir benötigen eine weitsichtige Energiepolitik, die über den nächsten Wahltag hinausdenkt. Wir sind zur Mitwirkung daran bereit, auch wenn die Umstellungsmaßnahmen vorübergehend unpopulär sind. Weitsicht heißt aber vor allen Dingen eine Orientierung an den langen Vorlaufzeiten der Energiewirtschaft. Wenn der Kohleschacht zehn Jahre braucht, bis die erste Lore gefördert wird und ein Kernkraftwerk zehn Jahre benötigt,
bis das erste Kilowatt ans Netz geht, neue Öl- und Gasfelder in Übersee bis zu acht, zehn Jahre benötigen, bis sie einen größeren Beitrag leisten, und die Vergasung und Verflüssigung von Kohle ebenfalls nur in langen Fristen verwirklicht werden kann, ist die Zeit so kostbar, darf kein Tag mehr vertan werden, ohne die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Aufgabe der Energiepolitik ist es, das 1990 und 2000 Notwendige heute möglich zu machen. Die Horizonte dieser Jahre müssen unser Handeln heute bestimmen.
Sechstens. Ein großer Teil der uns belastenden Fristen ist von uns selbst verursacht. Die Behördeli- und Gerichtsfristen sind inzwischen unkalkulierbar geworden. Die Kosten, die mit ihnen verbunden sind, haben vielfach Größenordnungen erreicht, die nicht mehr zu vertreten sind.
Es ist für den Vorstand eines Energieunternehmens heute mit seinen aktienrechtlichen Sorgfaltspflichten kaum noch zu vereinbaren, eine Großinvestition einzuleiten.
Diese Feststellung ist ein dramatisches Signal dafür, daß sich unsere Genehmigungs- und Standortverfahren in einer tiefen Sackgasse befinden. Die Zielkonflikte zwischen Rechtspolitik, Umweltschutzpolitik und Energiepolitik sind nicht sachgerecht gelöst. Die Zielvorstellungen beider Politikbereiche sind nicht mehr miteinander vereinbar. 22 000 Unterschriften auf dreieinhalb Tonnen Papier und viele hundert Ingenieurjahre sind heuteMinimumvoraussetzungen für ein Kernkraftwerk. Dies ist kein Nachweis hoher Verwaltungskunst.
Die sachgerechte energiepolitische Daseinsvorsorge ist mit dieser Entwicklung der Genehmigungs- und Standortverfahren ernsthaft behindert. Die Bundesregierung steckt vor diesem Problem den Kopf in den Sand und sucht nach absurden Ausweichlösungen.
Der Staat, also letztlich der Steuerzahler — dies scheint die letzte Blüte dieser Entwicklung zu sein —, soll jetzt mit der rechten Hand dem Investor Gewährleistungen dafür in Aussicht stellen, daß ihm keine Schäden aus Handlungen der linken Hand erwachsen, die der Staat ihm in den Genehmigungs- und in den Standortverfahren zugefügt hat oder zufügen könnte.
Ohne die Wiederherstellung der Rechtssicherheit für Investoren kann kein Energieprogramm gelingen.
Siebentens. Es gibt genügend andere Energien auf der Welt; wir müssen sie uns verfügbar machen, wir müssen sie uns erschließen. Dazu ist eine umfassende Politik nötig, an der die Wirtschafts- und Forschungspolitik, die Sicherheits- und Außenpolitik, die Innen- und Rechtspolitik und vor allen Dingen auch die Finanzpolitik ihren Anteil haben werden. Sie müssen koordiniert eingesetzt werden. Vor allem die Außenpolitik ist stärker als in der Vergangenheit gefordert. Sie muß ihre Ziele deutlicher als bisher auch den energiepolitischen Bedürfnissen anpassen und bereit sein, bisherige Konzeptionen von Grund auf zu überprüfen. Ich denke dabei insbesondere an die ohnehin verfahrene Politik in bezug auf das südliche Afrika. Ich hoffe, wir haben bald Gelegenheit, in diesem Hohen Hause darüber zu diskutieren.
Achtens. Die neue Energiepolitik kann ihre Ziele grundsätzlich nur in der Ordnung der Sozialen Marktwirtschaft erreichen. Die Versorgungslage darf nicht als Vorwand für Interventionismus mißbraucht werden und schon gar nicht als Anlaß für ideologische Nationalisierungs- oder Vergesellschaftungswünsche. Innerhalb unserer Grenzen — und nur hier können wir sie durchsetzen — verbürgt allein die Soziale Marktwirtschaft die notwendige Effizienz und die Fortdauer unserer freiheitlichen Ordnung. Sie steht der sozialen Abfederung der von der uns aufgezwungenen Energieverteuerung besonders Betroffenen nicht im Wege. Wir erwarten von der Bundesregierung Vorschläge für Sozialhilfeempfänger, Wohngeldempfänger und Kriegsopfer und verweisen als Mittel dazu auf die Mehreinnahmen auf Grund der gestiegenen Mehrwertsteuererträge aus den höheren Benzin- und Heizölpreisen.
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Dr. NarjesNeuntens. Die Herausforderung, der wir zu begegnen haben, ist globaler Natur. Der Wert der weltweiten Abstimmung über die neue Richtung der Politik ergibt sich in concreto aber nur aus der Politik der einzelnen Staaten. Ihnen obliegt die Last der Durchführung; andere können sie uns nicht abnehmen.Schon auf vier früheren Gipfelkonferenzen wurde jeweils in kraftvollen Formulierungen zur Energiepolitik Wesentliches vereinbart, und kaum etwas davon ist gehalten worden. Ich erspare es mir aus Zeitgründen, von Rambouillet bis Bonn einzelne Beispiele dafür zu geben.
Zehntens. Die Aufgabe der Erschließung und Bereitstellung neuer Energiequellen beschränkt sich nicht allein auf Energieträger, die wir innerhalb unserer Grenzen nutzbar machen können. Die Weltvorräte an Energien, Teersänden, Ölschiefern und schweren Olen sind in ihrer Gesamtheit dreimal so groß wie die heute bekannten Mineralölreserven. Wir müssen uns an ihrer Erschließung in den Ländern beteiligen, in denen es möglich ist, unter hinreichend sicheren Bedingungen zu investieren. Ein möglicher Ölpreis von etwa 50 Dollar für ein Faß 01 1990 — das ist nicht nur eine Drohung von Herrn Yamani, das sind auch die Prognosen etwa der amerikanischen Großbanken — rechtfertigt solche Investitionen.Elftens. Umstrukturieren heißt investieren. Die Größenordnungen, in denen wir denken müssen, übersteigen die bisher üblichen Dimensionen. Ich verweise auf neuere Projekte in den Vereinigten Staaten, die den dortigen Umstellungsprozeß mit den Anstrengungen gleichstellen, die unternommen wurden, um in den sechziger Jahren den ersten Menschen die Landung auf dem Mond und die sichere Rückkehr zu ermöglichen.Zwölftens. Unsere Wirtschaft und unsere Technik sind diesen Aufgaben gewachsen. Es geht darum, in der Bundespolitik hier und heute die künstlichen Hindernisse und Hemmschuhe herauszustellen und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß sie weggeräumt werden, damit wir uns mit ganzer Kraft dieser wohl größten Aufgabe der Nachkriegszeit widmen können.
Was die Sicherung gegen kurzfristige Versorgungsstörungen anlangt, so ist in der öffentlichen Diskussion ein wenig unterschlagen worden, daß die Bundesregierung die nationale Ölreserve zum Jahresende nicht aufgefüllt hatte. Nur 6 Millionen Tonnen der vorgesehenen 10 Millionen Tonnen waren eingelagert. Inzwischen sind Verpflichtungen eingegangen worden, die uns daran hindern, diese Lager zu füllen. Wir gehen also mit begrenzten Reserven in eine ungewisse Zukunft, obwohl wir von der Opposition seit Jahren darauf hingewiesen haben, daß diese Anstrengungen verstärkt werden müssen.
Herr Abgeordneter, ich darf Sie darauf hinweisen, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Lassen Sie mich zum Bereich der Einspartechniken abschließend auf einen Punkt hinweisen. Der Bundeskanzler hat bezüglich des Verkehrssektors offensichtlich die Ansicht vertreten, es sei möglich, den Übergang vom Benzinmotor auf neue Technologien — Elektroauto oder Wasserstoffmotor — so lange hinzuziehen, bis diese neuen Technologien entwickelt sind. Angesichts der zu erwartenden Preisentwicklung halte ich das für utopisch. Ich bin der Ansicht, daß die Entwicklung gerade auch unter dem Gesichtspunkt der Lösung vom OPEC-Öl in kürzester Zeit schwerpunktmäßig darauf konzentriert werden muß, daß der turbogeladene Diesel mit wenig Importöl und hoher Beimischung das Standardauto der nächsten Generation wird. Nur so gewinnen wir die Zeit, die wir benötigen, um die übernächste Generation der Automobile vorzubereiten und einzuführen.
Dafür müßten die Signale heute gegeben werden. Vor allen Dingen wäre es eine Aufgabe der Mineralölsteuergesetzgebung, für alle Zusatztreibstoffe die notwendigen Sätze festzulegen.
— Die Motoren sollen nicht von den Ministerialräten des Finanzministeriums gebaut werden. Sie sollen vielmehr der Wirtschaft Daten setzen, damit deren Konstrukteure in die Lage versetzt werden, die notwendigen Motoren schnell zu entwickeln, sie dem Suchprozeß des Marktes auszusetzen und dem Kunden anzubieten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Lassen Sie mich bitte, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, bevor ich die Gedanken der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion in diese Debatte einbringe, ein paar Bemerkungen vorausschicken.Die erste Bemerkung: Ich beklage sehr — und bitte Sie, mit mir über diesen Umstand nachzudenken —, daß der Deutsche Bundestag in einer so wichtigen Debatte nur in der zweiten Halbzeit mitspielen kann.
Diese Klage richtet sich gegen niemand. Es ist aber die Frage, ob es für unser Parlament, für das Parlament freier deutscher Menschen gut ist, daß wir uns am letzten Arbeitstag vor der Sommerpause eben gerade so verhalten.Die zweite Bemerkung: Der Herr bayerische Ministerpräsident hat von seinem Rederecht Gebrauch gemacht und ein paar, wie ich denke, bemerkenswerte energiepolitische Gedanken entwik-
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kelt. Einigen kann ich zustimmen, jedenfalls dem, daß die gegenwärtigen Probleme nicht durch kriegerische Auseinandersetzung zu lösen sind und gelöst werden dürfen, und auch dem, daß — wenn ich ihn richtig verstanden habe — die Energiepolitik, die wir am Ende des 20. Jahrhunderts zu formulieren haben, nicht dazu geeignet ist, die parteipolitische Polarität zu demonstrieren.Aber ich erkenne, daß beim Herrn bayerischen Ministerpräsidenten bei den Wirklichkeiten, in denen wir zu leben haben und die wir zum Teil gar nicht verändern können, die Zusammenhänge nicht auf rechtem Fuhrmannswege sind. Wie versteht es sich, Herr Ministerpräsident, daß Sie unter dem jubelnden Beifall Ihrer Fraktion hier von der Regierung den Termin wissen wollen, zu dem die Ergebnisse der Kohleveredelung vorliegen, und daß Ihre Fraktion, d. h. Ihre Parteifreunde, vor wenigen Wochen hier im selben Bundestag, wenn ich es richtig gesehen habe, geschlossen gegen die Mittel stimmte, die man dafür braucht,
als wir nämlich die Umlage erhöht haben, die man im Lande „Kohlepfennig" nennt?
Beides kann man nicht tun. Es gibt keine Zwänge, Herr Narjes, daß der Verwendungszweck dieses Kohlepfennigs unbedingt so bleiben müßte, wie er ist. Ich wende mich gerade an Sie, Herr Narjes. Sie waren Wirtschaftsminister.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Narjes?
Gerne.
Herr Kollege Schmidt, um keine Mißverständnisse zu vermeiden,
frage ich Sie: Wollen Sie bestreiten, daß die Auseinandersetzung um den Kohlepfennig hier in diesem Hause am 14. Dezember einzig und allein um die Frage der sachgerechten Höhe dieses Kohlepfennigs und um nichts anderes gegangen ist?
Herr Narjes, es ging und geht um die Frge, wie unser Land durch unsere Parlamentsentscheidung die erforderlichen Mittel dafür zur Verfügung stellt, daß wir am Ende und nach dem Ölzeitalter ruhig schlafen können, weil wir andere Energie haben. Um nichts anderes geht es.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Narjes?
Ja.
Herr Kollege Schmidt, wenn dies das Ziel des Kohlepfennigs sein sollte, dann bitte ich Sie zur Kenntnis zu nehmen, daß das genau die Bestätigung für die Gegner der Kohlepfenniglösung ist, weil Sie daraus eine „schwarze" Kasse für ganz andere, außerhalb ihres Haushaltsgebarens liegende Ziele fördern.
Wenn Sie weitergehende Ziele verfolgen wollen, dann sollte das nicht über den Kohlepfennig, sondern auf einem normalen Haushaltswege geschehen.
Von meiner Redezeit sind nun vier Minuten um, und ich habe nur wenig mehr als 30. Herr Narjes, Sie waren Wirtschaftsminister und sollten und wollten wohl bei einem Wahlsieg Ihrer politischen Freunde 1972 auch Bundeswirtschaftsminister werden. Ich sage dies, weil ich bei mancher Bemerkung von Ihnen jetzt von dieser Stelle auf der einen Seite sehr, sehr nachdenklich geworden und auf der anderen Seite glücklich darüber bin, daß Sie und Ihre Freunde die Wahl nicht gewonnen haben.
Sie reden tatsächlich davon, daß fünf Jahre verbummelt worden seien. Wo nehmen Sie um Gottes willen diese Überzeugung her? Sie haben all das in den Ausschüssen mitgestaltet, was wir gestaltet haben, und Sie haben all das, was gestaltet worden ist, in diesem Parlament mitgetragen.Lassen Sie mich nun ein paar Gedanken von sozialdemokratischer Position aus und aus der Sicht eines Sozialdemokraten in unserem Lande entwikkeln. Ich muß dabei ein paar Gedanken auf die Geschichte, auf diese fünf Jahre, die hinter uns liegen, verwenden. Diese heutige Energiedebatte wird, so denke ich, genauso erwartungsvoll und genauso aufmerksam wie die am 17. Januar 1974 verfolgt, weil uns bei beiden Debatten in diesem Lande, wenn man dies in diesem Bild sagen darf, das Wasser bis Oberkante Unterlippe stand. Verehrter Herr Narjes, daß wir damals besser als alle anderen, auch besser als alle vergleichbaren und sogar besser als manche, die bessere Voraussetzungen als wir hatten und haben, durchgekommen sind, liegt an vielen Umständen. Zwei davon sind für mich so bedeutsam, daß ich daran erinnern möchte:Die sozialliberale Regierung war im Besitze eines Instrumentariums, das es bis dahin in der deutschen energiepolitischen Geschichte noch nicht gegeben hat,
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und in der Zeit vorher haben Sie regiert. Sie war im Besitze ihres Energieprogramms, das zu schaffen sie lange vor der Krise begonnen hatte, so daß es — Gott sei Dank — rechtzeitig zur Verfügung stand. Auf dieser Grundlage konnten Regierung und Parlament die notwendigen Entscheidungen treffen, die dann — Gott sei Dank — auf das Verständnis und die Zustimmung bei der Bevölkerung gestoßen sind.Das, meine Damen und Herren, meine Kolleginnen und Kollegen, worüber heute in der Erinnerung an damals viel gesprochen wird, die autofreien Sonntage und die GeschwindigkeitsBeschränkungen, war bei Gott der harmloseste Teil der damaligen Entwicklungen. Mit dem Schwerwiegenden, mit dem dauerhaft Belastenden, mit dem, was auch von heute aus die Struktur unserer Wirtschaft möglicherweise verändert, mit dem damals vervielfachten und danach in rascher Folge erheblich erhöhten und — ich sage es mit ruhiger Stimme — überhöhten Ölpreis, haben wir es auch heute noch zu tun.Wie auch immer eine Ölkrise verläuft, was auch immer ihre öffentlich erklärte Ursache sein mag, letztlich begründen sich die nicht mehr endenden Schwierigkeiten in der Ölversorgung in der Tatsache, daß Erdöl ein zur Neige gehender Energieträger ist; darauf haben wir uns einzurichten. Viele von uns werden das Ende des Ölzeitalters erleben. Denn durch unsere Debatte wird keine einzige Bohrung nach Erdöl im eigenen Lande etwa fündig, noch begründet sich durch unsere Debatte ein Mitbestimmungsrecht bei den Entscheidungen der OPEC.Aber: Wir können das Verbraucherverhalten unserer Mitbürger von hier aus nachhaltig beeinflussen. Das wird uns dann am besten gelingen, wenn wir Bedingungen und Verhältnisse nüchtern, realistisch und illusionslos beschreiben, unseren Handlungsrahmen deutlich machen und die notwendigen Entscheidungen nach Möglichkeit — da stimme ich mit Ihnen überein, Herr Narjes — geschlossen treffen und auch geschlossen vertreten.Wir reden ja, wenn wir über Energiepolitik reden, über den eigentlichen Dreh- und Angelpunkt wichtiger Entscheidungen zur Sicherheit unserer Zukunft. Dabei sollten sowohl sektorale wie regionale und auch parteitaktische Egoismen zurücktreten. Der engagierte Streit um den richtigen Weg, den wir ehrlich und offen austragen wollen, muß doch am Ende in Lösungen münden, die von allen mitgetragen werden können und von allen mitgetragen werden.Wir, meine Damen und Herren, formulieren seit Jahren eine Energiepolitik der Langfristigkeit und der Stetigkeit. Unser Energieprogramm, das der Vorsorge und dem Schutz von Krisen dient, stammt in seiner ersten Fassung aus dem Jahre 1973; es stand uns also schon nach den OktoberEreignissen dieses Jahres, des Jahres 1973, zur Verfügung. Wir haben es seitdem zweimal bedachtsam angepaßt, weil sich die wirtschaftlichen Rahmendaten gewandelt haben. Dabei sind dieGrundlinien unseres Programms unverändert geblieben — unverändert richtig! — und durch die Entwicklung bestätigt worden. Es sind dies vor allem die rationellere Verwendung von Energie, die vorrangige Nutzung der heimischen Steinkohle, die Entwicklung alternativer Energiequellen und der unter dem Sicherheitspostulat stehende weitere Ausbau der Kernenergie. Das alles, meine Kolleginnen und Kollegen, trägt doch bereits heute seine Früchte. Früchte muß man allerdings, will man sie ernten, säen. Ich bitte Sie, in unser aller Interesse daran nicht vorbeizusehen.
Was bedarf denn an dieser Energiepolitik der Neufassung? Man zaubert doch besser kein neues Programm — und dann auch noch bis zum 1. Oktober — aus dem Hut, wenn man Bewährtes hat, das behutsame Fortentwicklung verlangt. Nicht Neufassung, sondern Ausgestalten nach bewährten Prinzipien, das sind die Aufgaben von heute. Heute haben wir erneut zu prüfen, was in der heutigen Situation zu tun ist, damit wir nicht vom Ziele abkommen.Unser erstes energiepolitisches Ziel — darüber sind wir ja offenbar alle einig —, ist und muß die rationellere Verwendung knapper Energiereserven bleiben. Unsere Energieversorgung stützt sich heute noch nahezu ausschließlich auf solche Energieträger, die auf der Erde nur begrenzt verfügbar sind. Das gilt für Kohle, deren Vorräte für Jahrhunderte reichen, im Prinzip genauso wie für Öl und Erdgas, die heute noch gemeinsam mehr als zwei Drittel unseres Energiebedarfs abdecken, jedoch heute schon nicht mehr ausreichen und in wenigen Jahren oder Jahrzehnten kaum noch zur Verfügung stehen. Das läßt sich von hier aus nicht verändern. Fossile Energieträger sind zudem gleichzeitig unersetzbare Rohstoffe.
Wir müssen sie zur Entwicklung unserer Wirtschaft in der Verantwortung vor zukünftigen Generationen erhalten.Wir haben aber auch die Verantwortung für die armen Länder der Erde, die bei steigenden Energiepreisen nicht nur Einbußen am Lebensstandard hinnehmen müssen, sondern in vielen Fällen tatsächlich hungern, also das erleben müssen, was man in unserem Lande Gott sei Dank nicht mehr kennt.Auch die mit jeder Art der Energieverwendung letztlich unvermeidbar zusammenhängende Belastung der Umwelt zwingt zur Optimierung unserer Energietechnologie, und zwar sowohl in der Gewinnung als in der Umwandlung, in der Nutzung in Industrie, im Verkehr und in den privaten Haushalten.Oberstes und erstes Ziel war und ist es bis heute, den Ölverbrauch zu begrenzen, weil hier die Risiken und Engpässe am massivsten und am bedrohlichsten sind. Die bisherigen Ergebnisse können sich doch bei Gott sehen lassen. 1973 haben wir uns noch den Luxus erlaubt, 12,5 Millionen Tonnen
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Heizöl in Kraftwerken einzusetzen. Weil wir es politisch wollten, wurden es 1978 zirka 8 Millionen Tonnen. In der Stromerzeugung spielt das Öl nur noch eine reduzierte Rolle. Und dennoch ist es richtig und gut, daß sich die Bundesregierung vornimmt — sie kann unserer flankierenden Unterstützung sicher sein —, auf den Öleinsatz in Kraftwerken ganz zu verzichten. Ob nun Postkutschentempo oder wie man das auch immer betrachtet: Dieses Ziel, um das uns die ganze Welt beneidet, wurde von der Energiekrise 1973 abgesteckt und wurde vor der jetzigen Energiekrise 1979 erreicht.
Die Klage darüber, daß andere Industrienationen mit solchen Überlegungen erst vor kurzem begonnen haben oder erst jetzt beginnen, führt uns in unserem Lande, im Dienste an unseren Menschen leider auch nicht weiter. Das entscheidenste Merkmal der Freiheit ist die Freiwilligkeit. Darum sind Gebote und Verbote für uns nur für den Fall denkbar, für den sie unausweichlich notwendig sind. Niemand von uns — der Herr Bundeswirtschaftsminister hat das sehr deutlich gemacht — kann ausschließen, daß sie doch noch angewendet werden müssen. Je mehr es uns eben vor diesem Hintergrund gelingt, daß Bewußtsein unserer rund 60 Millionen Mitbürger für die tatsächliche Energiesituation zu schärfen, je sparsamer und sorgfältiger jeder in seinem Bereich aus eigener Einsicht mit der vorhandenen Energie umgeht, um so größer ist die Chance, daß wir auf Reglementierungen verzichten können. Aus der Summe vieler kleiner Einsparungen wird ein großer Effekt entstehen.Natürlich wissen wir, daß nicht alle Probleme mit Appellen an die Sparsamkeit der Bürger gelöst werden können. Aber da mehr als die Hälfte des gesamten Ölverbrauchs auf den Einsatz von Heizöl entfällt, erscheint es mir sinnvoll, die staatlichen Bemühungen zur Förderung der rationellen Energieverwendung weiterhin auf den Wärmemarkt zu konzentrieren. Hier ergeben sich die weitestreichenden Aussichten, wenn man an die Möglichkeiten der Kraft-Wärme-Kopplung, den Ausbau der Fernwärmeversorgung, die weiter verbesserte Isolation von Gebäuden, aber möglicherweise auch an die Senkung der Temperaturen in überheizten Wohnungen und Büros denkt. Für mich ist dieser Punkt nicht ein Punkt, über den ich schmunzeln oder gar lachen könnte. Er bietet uns in unserem Land bei den Gegebenheiten eine ganz erhebliche Chance.Unser zweites wichtiges Ziel in der Energiepolitik ist und muß bleiben die vorrangige Nutzung der heimischen Kohle.
Das ist ein Ziel, das natürlich mit der Einsparung von 01 auf der anderen Seite eng verbunden ist.Wer die bei uns optimale Unabhängigkeit erreichen will — wir werden nie total unabhängig sein können —, der muß den deutschen Bergbau stärken. Auch das, meine Kolleginnen und Kollegen, verehrter Herr Narjes, ist lange schon erklärtes Ziel und Grundlage unserer Politik. Wir, die sozialliberale Regierungs- und Parteienkoalition, können uns, ohne die Geschichte zu klittern, anschreiben, daß wir die Erhaltung des deutschen Steinkohlebergbaus gegen mancherlei Widerstände durchgesetzt haben, weil wir wußten, daß wir ihn für die Zukunft brauchen.
Diese Zukunft hat spätestens in der vergangenen Woche begonnen.Sie reden von vertanen Jahren, Herr Narjes. Jetzt wird es nicht mehr um die Erhaltung des Steinkohlenbergbaus, sondern um die Entwicklung seiner Förderkapazitäten und deren Sicherung durch die Erschließung neuer Lagerstätten gehen. Unser Land braucht Kohle als unersetzbaren Rohstoff für die Stahlerzeugung, als wichtigste Energiequelle zur Stromerzeugung, als einzig verfügbaren Rohstoff für unsere chemische Industrie, wenn 01 und Gas nicht mehr zur Verfügung stehen werden, sowie für einen wieder größer werdenden Kreis weiterer industrieller und privater Verbraucher.öl muß eingespart werden, d. h., der Beitrag der Kohle muß sich schon in den 80er Jahren kräftig erhöhen. Das geht nur mit neuen Schachtanlagen, die jetzt in dieser Zeit aufgeschlossen werden müssen. Das geht nur, meinen Kolleginnen und Kollegen, wenn wir bei der Gewinnung in der Zukunft verstärkt darauf achten, die Lagerstätte so vollständig wie möglich auszubeuten. Wir dürfen nicht länger im bisherigen Umfang unersetzbare Kohlevorräte aufgeben, nur weil diese mit unserer modernen und leistungsfähigen Technik im Augenblick nicht kostengünstig gewinnbar sind.
Forschung zur Verbesserung der Abbautechnik unter schwierigen Lagerstättenverhältnissen, aber auch die finanzielle Förderung der Kohlegewinnung unter erschwerten Bedingungen können einen wesentlichen Beitrag zur Steigerung der Leistungsfähigkeit unseres Bergbaus erbringen.Der Bergbau selbst muß auch sekundäre und tertiäre Fördermethoden entwickeln, die bei der inländischen Erdöl- und Erdgasgewinnung in immer größerem Umfang und Gott sei Dank mit immer wachsendem Erfolg angewendet werden. Ich fühle es als meine Pflicht, in diesem Zusammenhang von dieser Stelle aus der Erdgas- und Erdölgewinnungsindustrie den Respekt für ihre diesbezügliche Leistung deutlich auszusprechen.Damit wir unsere Kohle auch umweltfreundlich einsetzen können, brauchen wir dringend neue Kraftwerke. Ihr spezifischer Schadstoffausstoß beträgt bei den wesentlichen Bestandteilen nur noch ein Fünftel bis ein Viertel der Belastung, die von alten Kraftwerken ausgeht. Gleichzeitig verbraucht ein modernes Kraftwerk bis zu einem Drittel weniger Kohle als ein altes Kraftwerk bei gleicher Stromerzeugung. Moderne Kraftwerke müssen daher die alten ergänzen und ersetzen.
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Um Kohle auch in den Privathäusern wieder attraktiv zu machen, sollten wir darüber nachdenken, ob man nicht den Hausbesitzern, vielleicht auch den Industriebetrieben, die ihre Heizanlagen von auf Kohle umstellen wollen, eine Beihilfe zu den Umbaukosten geben kann.Der dritte Schwerpunkt unseres Energieprogramms ist die Entwicklung alternativer Energiequellen, die möglichst den Vorzug der Unerschöpfbarkeit haben sollen. Ich will keine dieser Quellen vernachlässigen, weil sie alle der Untersuchung, viele der Entwicklung und manche der Nutzung wert sind. Die größte Bedeutung wird aber die direkte Nutzung der Sonnenstrahlung haben, auch in unseren regnerischen Breiten. In anderen Ländern wird man sie bald auch zur Stromerzeugung heranziehen. Unserer Industrie bieten sich hier reizvolle Entwicklungsperspektiven, die sowohl Beschäftigung wie auch Ertrag versprechen. Wir müssen die Anwendung dieser Technik im Inland vorantreiben, einer Technik, die schon bald konkurrenzfähig sein wird, um uns nicht nur den energiepolitischen Ertrag zu sichern, sondern auch die Basis für eine wachsende Exportindustrie.Parallel zur direkten Nutzung der Sonnenstrahlung werden wir die Nutzung der unerschöpflichen Energiequelle Sonne mit Hilfe der Wärmepumpe entwickeln müssen. All dies muß getan werden und in der Energieforschung noch vieles mehr.Beiträge zur Versorgung aber, die so ins Gewicht fallen, daß wir unserer Sorgen ledig wären— oder auch nur erleichtert —, können wir in den nächsten Jahren, ich fürchte: Jahrzehnten nicht erwarten. Trotz stärkerer Nutzung der Kohle, trotz rationellerer Verwendung von Energie, trotz vielleicht auch spürbarer Beschränkungen in unseren Gewohnheiten werden wir schon in diesem Jahrhundert unsere Energieversorgung nicht mehr ohne die stärkere Nutzung der Kernenergie sicherstellen können. Dies gilt auch, wenn man an die kostengünstige Umwandlung von Kohle in Gas. oder in flüssige Stoffe denkt.Beim Ausbau der Kernenergie müssen wir, wie wir das bisher schon getan haben, der Sicherheit den Vorrang vor der Wirtschaftlichkeit geben. Sicherheit bedeutet aber auch, daß wir im eigenen Lande Entsorgungsmöglichkeiten schaffen. Die Einrichtung des geplanten Entsorgungszentrums ist so dringend geworden, daß weitere Verzögerungen sowohl für die Energieversorgung als auch für die Sicherheit eine nicht mehr kalkulierbare Belastung bedeuten. Je deutlicher man sieht, welche Bedeutung die Kernenergie für unsere Energieversorgung erlangen wird, um so wichtiger ist die Fortführung unserer Sicherheitsforschung, die den Ausbau begleiten muß. Wir wissen, welch hohen Sicherheitslevel wir in diesem Lande haben. Der Unfall im amerikanischen Harrisburg hat aber gezeigt, daß man in der Erforschung neuer Möglichkeiten nicht nachlassen darf. Verbesserung der Sicherung ist eine Aufgabe, die — wie überall im Leben — nie abschließend erfüllt sein wird.Wir stehen heute alle noch unter dem frischen Eindruck steigender Ölpreise. Dabei ist es für denEnergiepolitiker gar nicht so entscheidend, wo die Preise gemacht werden. Er und insbesondere wir hier muß und müssen wissen, daß man ihren Anstieg nicht durch bürokratische Kontrollen im Inland, auch nicht in Europa wirksam bekämpfen kann, sondern langfristig nur durch Sparsamkeit und Besinnung auf die eigenen Quellen.Zur stärkeren Nutzung der eigenen Energievorräte, auch zur Entwicklung der Kernenergie zwingt uns auch die internationale Solidarität, die Rücksicht auf die armen Völker unserer Erde. Unsere Volkswirtschaft wird auch mit höheren Energiepreisen leben können, sie wird sich auch weiterentwickeln. Wir wollen und müssen aber darauf achten, daß dabei nicht unsere finanziell schwächeren Mitbürger die Lasten der Anpassung in zu starkem Umfange tragen müssen. Hohe Preise für Öl — und ich bin ganz sicher, bald auch für Gas — dürfen niemanden in unserem Lande zum Frieren zwingen. Wo hohe Energiepreise die Existenzgrundlage unserer Mitmenschen gefährden, muß die Gesellschaft helfen, schnell und ohne den Hochmut der Mildtätigkeit. Wir sind dem Bundeskanzler dankbar, daß in der Regierungserklärung die Absicht enthalten ist, diesem Anliegen Rechnung zu tragen.Meine Damen und Herren, in der Energiepolitik treffen sich wie in kaum einer anderen Politik ökonomische und psychologische Zwänge und Erfordernisse. Die Energiepolitik zwingt zu grenzüberschreitenden Lösungen. Die nationalen Volkswirtschaften allein sind jetzt am Ende des 20. Jahrhunderts nicht mehr in der Lage, die aus der Energiepolitik erwachsenden Aufgaben zu lösen. Darum ist es auch für unser Land gut und nützlich, daß der Wirtschaftsgipfel in Tokio wie zuvor der europäische Gipfel in Straßburg sich dieses Themas angenommen hat. Der deutschen Delegation unter Führung unseres Bundeskanzlers spricht die sozialdemokratische Bundestagsfraktion Respekt und dankbare Anerkennung für ihre Arbeit
vor, für und in Tokio aus. Tokio hat den Willen und die Fähigkeit der Staats- und Regierungschefs zu praktischer und praktizierter Verantwortung für die Welt deutlich gemacht. Das ist gut. Von Tokio aus wird weltweit die Diskussion um Energie und um Energieprobleme stimuliert. Das ist notwendig. Obwohl die sieben westlichen Regierungs- und Staatschefs keine Verpflichtungen eingingen, die gegenseitig einklagbar sind, bleiben ihre Verabredungen über abgestimmtes Verhalten für die Welt und besonders für uns lebensnotwendig und lebenswichtig. Ein rücksichtsloser Konkurrenzkampf der sieben führenden Industrienationen der westlichen Welt auf den Energiemärkten müßte uns alle zu Verlierern machen. Wir wissen aber auch, wie schwer es dennoch war, angesichts der. unterschiedlichen Situation und Interessen in allen Teilnehmerländern des Tokioter Gipfels zu solchen Vereinbarungen zu kommen. Ihre Fraktion, Herr Bundeskanzler, wird alles in ihrer Kraft Stehende tun, damit das von Ihnen gegebene Wort eingelöst werden kann.
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Manches sowohl im großen wie im kleinen Rahmen bei der Formulierung der Energiepolitik wäre leichter, wenn es uns gelingen könnte, Vorbehalte abzubauen. Da halten gelegentlich die Produzenten und Händler die Angst und das Mißtrauen der Verbraucher für unverständlich, und da dringen andererseits die Verbraucher nach ihrem Verständnis zuwenig in die Geheimnisse der Preisbildung ein: Sie befürchten, daß sich andere an ihrer Zwangslage bereichern könnten. Eine Frage steht: Wie läßt sich verbreitetes Unbehagen abbauen? Reichen die bisherigen Informationswege und -mittel aus? Ich fürchte, nein. Die vielen richtigen und klugen Broschüren erreichen, wie jederman weiß, nicht immer die, für die sie gemacht sind.Vielleicht, meine Kolleginnen und Kollegen, verehrter Herr Bundeswirtschaftsminister, wird in Ihrem Hause überlegt, ob man trotz aller nicht gerade ermunternden Erfahrungen mit Kommissionen, Räten und Beiräten usw. nicht ein Forum für die an der Energiepolitik besonders Interessierten schaffen kann, in dem Informationen über Probleme, über Zwänge und über Entscheidungsgründe von allen allen angeboten werden.Energiepolitische Probleme in unserer Zeit sind auch nicht systembegründet. Sie bedrängen die Führer und die Geführten in der freien Welt wie in den kommunistischen Ländern. Wir stimmen uns auf den westlichen Wirtschaftsgipfeln ab, der Osten tut dies auf seine Weise. In Anbetracht der vielfältigen Einzelvertragsbindungen zwischen der westlichen Wirtschaft und Staatshandelsländern und ähnlicher Probleme hier wie dort bitten wir die Bundesregierung, zu prüfen, ob und gegebenenfalls wie das Energiethema in den Ost-West-Dialog zum Gewinn für beide einbezogen werden kann.
Meine Damen und Herren, statt eines rhetorischen Schlußwortes lassen Sie mich das bisher Gesagte so zusammenfassen.Erstens. Die Energiepolitik der Regierung und der sie tragenden Parteien hat bisher ermöglicht und gewährleistet, daß jeder Mitbürger zu jeder Zeit die von ihm gewünschte Energieart in der von ihm gewünschten Menge zur Verfügung gehabt hat. Sie hat sich also bewährt.Zweitens. Sie wird also fortgesetzt. Wir sehen die Probleme der Gegenwart wie die der Zukunft und stellen uns ihnen in der Verantwortung, die wir für die Wohlfahrt der Menschen unseres Landes tragen, mit dem entschlossenen Willen, sie zu lösen.Drittens bitten wir die gesellschaftlichen Gruppen und Kräfte, besonders herzlich und dringend aber auch alle unsere Mitbürger, uns dabei zu helfen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Laermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte namens der FDP-Fraktion den Dank an die Bundesregierung aussprechen — insbesondere auch an den Bundeskanzler — für das überzeugende, der politischen, wirtschaftlichen und insbesondere der energiewirtschaftlichen Situation angemessene Auftreten beim Europäischen Rat in Straßburg und vor allen Dingen auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Tokio. Wir möchten mit diesem Dank die Hoffnung verbinden, daß die Industriestaaten nicht nur mit einer Zunge geredet haben, sondern auch entsprechend der vereinbarten Linie handeln werden. Dies ist nun einmal die große gemeinsame Verantwortung der Industriestaaten für eine weltwirtschaftlich optimale Entwicklung.Nun hat die Opposition in dem vorliegenden Antrag — der Herr Kollege Narjes hat das noch einmal wiederholt — eine Neufassung der deutschen Energiepolitik bis zum Oktober 1979, also im Eiltempo, verlangt. Sie legt dabei einen Themenkatalog vor, der bereits durch die Zweite Fortschreibung des Energieprogramms weitgehend und darüber hinaus durch die Beschlüsse der Bundesregierung vom 16. Mai als Schlußfolgerung aus der politischen Lage im Frühjahr 1979 mehr als abgedeckt ist.Der Kollege Narjes sprach davon, die Bundesregierung verharre in Behäbigkeit. Er sprach vom „Postkutschentempo" und von der „hilflosen Ohnmacht". Ich muß aber nun die Kollegen von der Opposition fragen: Wo sind eigentlich neue und konstruktive Vorschläge oder Einsichten der CDU/CSU-Fraktion?
Auch der bayerische Ministerpräsident hat heute morgen zum eigentlichen Thema nichts gesagt, jedenfalls nichts, was neu gewesen wäre.
Hätte die Opposition z. B. im Jahre 1960, also etwa 20 Jahre zurück, bereits die energiepolitische Situation des Jahres 1980 voraussehen können? Heute verlangt diese Opposition von der Bundesregierung, auf Zeithorizonte bis zum Jahre 2020, ja sogar 2030, abzustellen, so weit, wie die am längsten wirkenden strukturbestimmenden Investitionsentscheidungen der Energiewirtschaft reichen. Wenn dies nicht zu einem Prognosefetischismus führt, weiß ich nicht, wie das anders zu bezeichnen wäre.Warum haben Sie, wenn Sie heute Langfristigkeit fordern, nicht, als Sie in der Regierungsverantwortung waren, bereits mit Energiepolitik begonnen; denn erst 1973 ist ein erstes Energieprogramm aufgelegt worden.
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— Ich gebe gern zu, Herr Kollege Narjes, daß ich zu diesem Zeitpunkt dem Parlament noch nicht angehörte.Aber ich weiß, daß ich, als ich hier 1973 eintrat, ein erstes offizielles Energieprogramm der Bundesregierung vorfand, das auf Grund der damaligen Entwicklungen in der sogenannten Ölkrise 1973/74 aktualisiert wurde und im Laufe der seither vergangenen Jahre durch die Bundesregierung auch schon wieder ergänzt und fortgeschrieben worden ist. Wir haben das gerade Ende letzten Jahres vom Tisch gebracht.Es ist aber auch richtig — und das ist sicherlich unbestreitbar —, daß Energiepolitik nicht für die Dauer von Legislaturperioden angesetzt werden kann, sondern daß sie tatsächlich längerfristig angesetzt werden muß.Ihre sogenannte Dokumentation „Energiepolitik ohne Mandat", die Sie vorgelegt haben, ist höchstens eine Dokumentation Ihrer Fähigkeit, Aussagen aus ihrem Kontext zu reißen, zu verfälschen und damit demagogisch zu argumentieren. In den Parteigremien von SPD und FDP kommt eben die Vielfalt der Meinungen in einem offenen Willensbildungsprozeß noch zum Ausdruck und zur Geltung. Aber wie wir heute morgen erlebt haben, scheinen Sie Ihre Anweisungen aus der bayerischen Zentrale zu empfangen.
- Die Unsachlichkeit Ihrerseits ist Veranlassung, sich dagegen auch zur Wehr zu setzen und einmal zu verdeutlichen, was denn hier eigentlich vorgelegt wird und was bezweckt wird.
- Herr Kollege Pfeffermann, wollen Sie mich bitte ausreden lassen.
Herr Abgeordneter, fahren Sie fort, bitte.
Die Dokumentation zeigt aber auch die Unfähigkeit der Opposition, die Energiepolitik der Bundesregierung als ein geschlossenes, in sich schlüssiges Gesamtkonzept zu begreifen, das selbst die gegenwärtige Situation abdeckt.Ich stimme dem Herrn Bundeskanzler zu: Wir brauchen kein neues Energieprogramm. Was wir brauchen, sind mehr und raschere Umsetzungen des Programms.
Die Entwicklungen am Ölmarkt hinsichtlich Preis und Verfügbarkeit machen es überdeutlich.Wegen der Begrenztheit der Ressourcen, aus politischen Gründen und wegen der Grenzen der Belastbarkeit der Biosphäre muß der Energieverbrauch eingeschränkt werden. In erster Linie kommt es dabei darauf an, weniger Öl einzusetzen, den Primärenergiebedarf herabzusetzen.Nun frage ich die Kollegen von der Opposition, die Zustände beklagt und Situationen beschrieben haben: Wo sind da die Konsequenzen geblieben? Herr Kollege Narjes, auch Sie haben keine konkreten alternativen Vorschläge gemacht. Sie haben davon gesprochen, daß der Mengenregulator die Zusatzproduktion sei und einige OPEC-Länder noch dazu bereit seien. Frage: Ist dies überhaupt noch möglich? Wir müssen doch feststellen, daß die Förderung an die Grenze der Kapazität gekommen ist, daß die Kosten für die Förderung steigen werden und daß in Zukunft nachdrücklich auf Sekundär- und Tertiärförderung, nicht nur in unserem Lande, sondern auch in diesen Ländern, abgehoben werden muß, mit all den Konsequenzen für die Kosten, die sich daraus ergeben. Ich meine, hier auch für die FDP sprechen zu dürfen, wenn ich sage daß wir vernünftigerweise in unserer Energiepolitik — schon in der zweiten Fortschreibung des Programms, auch in den Erläuterungen und in den neuen Beschlüssen der Bundesregierung — Priorität auf die rationelle Energieverwendung gelegt haben. Hier liegen nun einmal bedeutende Möglichkeiten und auch Notwendigkeiten zur rationellen Energieverwendung, in erster Linie also zur Öleinsparung.Voraussetzung ist ein vernünftiger Umgang mit Energie in allen Sektoren: in der Industrie, im privaten Bereich und im Verkehr. In erster Linie und zur kurzfristigen Wirkung sind wohl die Verbraucher angesprochen. Hier ist das vernünftige Handeln der Verbraucher geboten. Ich bin davon überzeugt, daß der Bürger bereit ist, dieses Gebot, diese Notwendigkeit zu erkennen, gegebenenfalls auch Einschränkungen hinzunehmen, wenn ihm die Gründe einsichtig sind, wenn sie ihm plausibel gemacht werden. Und das sollte die Aufgabe des Parlaments sein. Wir sollten nicht in parteipolitische Querelen, Auseinandersetzungen und Grundsatzdiskussionen verfallen, sondern wir sollten einmal von hier aus das Wort an den Bürger richten und ihn auf die Notwendigkeit hinweisen.
Wenn wir den Wohlstand, ja mehr noch, wenn wir unsere Unabhängigkeit und Freiheit erhalten wollen, müssen wir, muß der Bürger in unserem Lande weniger verbrauchen, bewußter mit den begrenzten
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Dr.-Ing. LaermannRessourcen, besonders den begrenzten Energieressourcen, umgehen.Die verfügbaren Rohstoffe und Energiequellen nehmen ab — dies ist klar —, ihre Erschließung wird immer teurer und schwieriger, die Zahl derjenigen Nationen und Menschen, die daran teilhaben, wächst auch bei langsamer wirtschaftlicher Entwicklung der Länder der Dritten Welt rapide. Mit zunehmender Verknappung und steigenden Preisen geraten die Zahlungsbilanzen der Schwellenländer völlig durcheinander, die heute schon fast die Hälfte ihrer Exporterlöse für Energieimporte aufwenden müssen. Jede Tonne Öl, die wir hier in den Industrieländern einsparen, ist somit ein gewichtiger Beitrag zur Erhaltung unserer Unabhängigheit einerseits und ein ebenso wichtiger Beitrag zur Entwicklungshilfe andererseits.
Kurzfristig können Öl und Ölderivate durch entsprechendes Verbraucherverhalten eingespart bzw. substituiert werden, über das Maß dessen hinaus, was bisher schon durch Förderungsmaßnahmen des Staates zur Reduzierung des Ölbedarfs geführt hat. Hier haben wir doch eine beachtliche Bilanz aufzuweisen, Herr Kollege Narjes. Es ist doch nicht so, daß fünf Jahre verbummelt worden seien. Hier ist doch etwas geschehen. Die Zahlen belegen es, und Sie kennen diese Zahlen genau, so daß ich sie nicht wieder darzulegen brauche.Auch im Bereich des Individualverkehrs sollte es ohne staatliche Gebote, wie z. B. ein Tempolimit, zu vernünftigem, den Kraftstoffverbrauch beachtlich herunterdrückendem Fahrverhalten kommen. Ich bin überzeugt, daß die Appelle und Vorschläge — wie z. B. die des ADAC — nachdrücklich aufgenommen werden.Auch im industriellen Bereich sind rasche kurzfristige Einsparungen noch möglich, gewiß nicht im nichtenergetischen Bereich, also dort, wo beispielsweise die chemische Industrie Öl und Gas als Rohstoff benutzt und verwenden muß, aber z. B. dort, wo ohne Schwierigkeiten Öl — beispielsweise durch Braunkohlestaub, wie z. B. in der Zementindustrie oder in anderen Bereichen — ersetzt werden kann.Der Anteil des Öles an der Stromerzeugung beträgt bei uns nur noch 9 %. Dabei handelt es sich vorwiegend um schweres Heizöl. Die Kraftwirtschaft hat zugesagt, daß sie hier noch weiter reduzieren will. Aber im Gegensatz zu anderen Ländern — etw a Frankreich mit 23 % Anteil des Öles an der Stromerzeugung oder gar Japan mit mehr als 60 % —haben wir hier kein großes Einsparungspotential mehr zu verzeichnen.Wesentlich ist aber, mittelfristig Öl und die Derivate stärker zu substituieren. Seit Jahren — mit verstärkter Tendenz in den letzten Jahren — hat die Bundesregierung mit Unterstützung des Parlamentes die Forschungsförderungsmittel im nichtnuklearen Bereich für Sonnenenergie und für Kohletechnologien erhöht, sind Förderprogramme zur Einsparung von Energie im Produktionsbereich angelaufen und in starkem Maße genutzt worden.Und da behauptet der Ministerpräsident Albrecht in seinen Ausführungen vorhin, die Bundesregierung sei mit der Umsetzung der Mittel in der Forschungs- und Entwicklungsförderung im Verzug. Ich frage mich allerdings, warum denn die Opposition, wenn sie eine solche Position vertritt, in den letzten Jahren beispielsweise in den Haushaltsberatungen nicht viel stärker gedrückt und versucht hat, hier Umsetzungen hervorzubringen und durchzuführen. Sie hat ihre Kritik im wesentlichen auf den Offentlichkeitsfonds des Ministers
und andere marginale Größenordnungen in diesem Haushalt beschränkt.Ich erwarte — das habe ich schon zum wiederholten Mal gesagt —, daß auf Grund solcher Behauptungen, die hier seitens der Opposition vorgebracht werden, nun entsprechendes Handeln und entsprechende Konsequenzen in der gemeinsamen politischen Arbeit folgen. Sonst wird sie leicht unglaubwürdig. Das muß man einmal ganz deutlich sagen.
— Herr Pfeffermann, Sie sollten sich erst mal informieren. Es ging um Umsetzungen.
Es geht bei der Energieeinsparung, bei der Substitution des 'Öls darum, im privaten und öffentlichen Bereich vorwiegend den Wärmebedarf zu reduzieren, Wärme durch entsprechende Rückführung in der Haustechnologie zurückzugewinnen, alternative Energiequellen wie Sonnenenergie, Wind-, Gezeiten- oder Meeresenergie und Biomasse zu nutzen, Wärmepumpen, mono- oder bivalent, auch gas- oder dieselbetrieben, Blockheizkraftwerke in der Einzelhausanlage einzusetzen. Fernheizung und Fernwärme, vor allem in der Kraft-Wärme-Kopplung, weiter auszubauen, ist ein wichtiges Ziel. Über das Zukunftsinvestitionsprogramm hinaus sollte diese Entwicklung weiter gefördert werden. Damit kann, eventuell wiederum in Verbindung mit Wärmepumpen im Rücklauf, selbst unter Hinnahme eines geringen Abfalls in der elektrischen Leistung die thermische Leistung von Kraftwerken in der Nähe von Fernwärmeversorgungsgebieten besser genutzt, die Umweltbelastung aus den Kraftwerken beachtlich reduziert und die Umweltbelastung aus den meist schlecht gesteuerten Einzelheizungen und Feuerungen im Versorgungsgebiet nahezu völlig abgebaut werden. Dies schafft Freiräume für weitere Kraftwerksbauten oder andere emittierende Industrieanlagen.Zweitens sollen die von der Bundesregierung geförderten Entwicklungen im Verkehrsbereich forciert in den Markt eingeführt werden: Motoren, die für eine Methanol-Beimischung bis zu 15 % ausgelegt sind, Pkw und Nutzfahrzeuge mit erheblich geringerem Kraftstoffverbrauch als bisher, Einsatz von Elektrofahrzeugen im Stadtverkehr und, wenn's sein muß, Herr Kollege Narjes, selbstverständlich
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Dr.-Ing. Laermannauch der Turbo-Diesel. Das ist doch im Grund genommen nur eine Kostenfrage. Der Käufer, der Verbraucher ist auch hier aufgerufen, sich den sparsamen Umgang mit Energie etwas kosten zu lassen.Die technisch und versorgungstechnisch relativ kurzfristige Umrüstung von Bussen im öffentlichen Personennahverkehr auf Flüssiggas würde erheblich Öl einsparen. Elektrobusse, Hybridbusse sind bereits in der Erprobung. Dies alles bedeutet Substitution von Öl im öffentlichen Personennahverkehr. Verbesserungen des Angebots im öffentlichen Personennahverkehr und die Fortentwicklung von Verkehrsverbünden zur Entlastung des Individualverkehrs sind darüber hinaus eine weitere Möglichkeit zur Reduzierung des Benzin- und Kraftstoffbedarfs im Verkehr.Schließlich: Wir sollten schnellstmöglich die Umstellung der Kraftfahrzeugbesteuerung vom bisherigen System auf die Mineralölsteuer vornehmen.
Neben der Preisentwicklung wird diese Umstellung der Kraftfahrzeugsteuer ein verbrauchsbewußtes Fahrverhalten hervorbringen.Das sind Überlegungen und Forderungen, die auch die FDP seit Jahren immer wieder ausgesprochen hat und die in völliger Übereinstimmung mit den energiepolitischen Zielen der Bundesregierung stehen. Da gelingt es keiner Opposition, uns in diesem Bereich auseinanderzudividieren.Wir wollen das alles nicht durch Gebote und Verbote, gesetzlichen Zwang oder administrative Maßnahmen durchsetzen, sondern wir sind der Meinung, daß die Bürger, die Verbraucher, aufgeklärt und motiviert werden sollen, selbstverständlich gestützt durch Anreize und Empfehlungen.Zweifellos wird dies auch zu haushaltspolitischen Auswirkungen führen, und zwar in dem Maß, in dem das Tempo der Entwicklung forciert werden soll. Unter Umständen kann man auf die eine oder andere gesetzliche Regelung nicht verzichten. Der Staat, die öffentliche Hand, das heißt Bund, Länder und Gemeinden, haben die Rahmenbedingungen in einer gesamtwirtschaftliche Verantwortung zu schaffen. Das kann und das muß aber auch heißen: Der rationellen Energienutzung und der Nutzung alternativer Energiequellen entgegenstehende und behindernde Gesetze und Rechtsvorschriften, wie z. B. die Landesbauordnungen oder die Bundestarifordnung Elektrizität, müssen geändert werden.Ganz wichtig aber ist — dies möchte ich mit Nachdruck betonen —, daß die öffentliche Hand beispielhaft im Energiesparen, im vernünftigen Umgang mit der wertvollen Energie, bei der Nutzung neuer und alternativer Technologien vorangeht.
Warum werden z. B. nicht Verwaltungs- und öffentliche Gebäude, wie Schulen, Schwimmbäder und Sporthallen, unter Beachtung der Notwendigkeit zur Energieeinsparung geplant und gebaut?
Warum setzt z. B. die Post nicht über das Berlin-Programm hinaus Elektrotransporter im Zustelldienst ein?Mir scheint — und hier stütze ich mich wiederum auf eine Forderung des Bremer Parteitags der FDP — es eine wichtige Aufgabe zu sein, von Berufsschulen, Fachhochschulen und Hochschulen in den entsprechenden Berufen und in den Studiengängen für Architekten und Ingenieure viel stärker, als es schon bisher erfreulicherweise geschieht, die Notwendigkeiten, Möglichkeiten und planerischen Konsequenzen zur rationellen Energieverwendung und zur Nutzung alternativer Energiequellen zu vermitteln.Außerdem sollten — ich wiederhole, was der Herr Bundeswirtschaftsminister heute morgen schon erwähnte und was ich in früheren Energiedebatten forderte — Fernsehspots „Energie" ähnlich wie „Der 7. Sinn" eingeführt werden. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sollten dabei auch die Kostenfrage im Sinne ihrer staatspolitischen Verpflichtung und Verantwortung lösen.Schließlich ist aber auch jeder von uns, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, gehalten, im Rahmen seiner Möglichkeiten in seinem Wahlkreis und auch in den politischen Parteien aufklärerisch zu wirken. Auch dort besteht die Möglichkeit zu weitgehender und vielfältiger aufklärender Tätigkeit.Um es noch einmal ganz deutlich zu wiederholen: Wir Freien Demokraten setzen mehr auf die Einsicht und die Vernunft der Bürger als auf Gebote und Verbote. Im übrigen wird aber der Preis, der sich aus marktwirtschaftlichen Entwicklungen ergibt, solche Einsichten nur nachdrücklichst fördern und fördern können.
Mit allen diesen wichtigen und unverzichtbaren Bemühungen und Maßnahmen werden wir eine beträchtliche Reduzierung des Nutzenergiebedarfs erreichen können. Wir müssen uns jedoch auch darüber im klaren sein, daß sich erstens die Wirkungen wesentlich erst in einem bis zwei Jahrzehnten einstellen werden; denn die erforderlichen Umstellungen im privaten, im öffentlichen Bereich wie auch im Verkehrsbereich werden sich ähnlich einer Wachstumsfunktion zunächst nur langsam vollziehen und zweitens insgesamt ein enormes Investitionsvolumen ausmachen, das ohne staatliche Hilfen wohl kaum aufgebracht werden kann.Mit dirigistischen oder Bewirtschaftungsmaßnahmen wird nichts erreicht. Mangelverwaltung vergrößert den Mangel oder bringt ihn erst hervor. Deshalb ist es notwendig, Öl so schnell wie möglich nicht nur einzusparen, sondern zu substituieren. Dazu bietet sich derzeitig in erster Linie die Kohle, die Steinkohle sowie die Braunkohle, an. Der heimische Kohlebergbau ist leistungsfähig genug, verfügt über weitreichende Lagerstätten und moderne Förderkapazitäten und ist damit eine wesentliche Stütze der nationalen Energiewirtschaft. Die Position der deutschen Steinkohle ist durch das Dritte Verstromungsgesetz, durch die vertraglichen Vereinbarungen zwi-
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13368 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979
Dr.-Ing. Laermannschen Elektrizitätswirtschaft und der Steinkohle gesichert; sie wird und muß gesichert bleiben. Dennoch muß gefragt werden, ob durch inländische Kohle allein, die auch im Vergleich zu den gestiegenen Ölpreisen immer noch teuer ist, allein der Substitutionsbedarf an Öl langfristig gedeckt werden kann, und zwar zu wettbewerbsfähigen Preisen. Im Hinblick auf die mit Sicherheit steigende Weltnachfrage an Kohle wird es deshalb schon heute notwendig sein, Importkohle zu kontraktieren.Neue Kraftwerkstechnologien, die einen höheren Wirkungsgrad und geringere Umweltbelastungen beispielsweise an SO2 und NOx erwarten lassen, und Entwicklungen wie z. B. die Wirbelbettfeuerung, die in absehbarer Zeit auch Standorte in der Nähe von Ballungsgebieten zulassen werden und damit die Wärme-Kraft-Koppelung, also den Ausbau der Fernwärme, begünstigen können, können hier zur nachdrücklichen Substitution von 01 eingesetzt werden. Zusammen mit den Vereinbarungen zwischen dem Verband Industrieller Kraftwerksbetreiber und der Elektrizitätswirtschaft über die Einspeisung von Industriestrom in das öffentliche Netz — sozusagen ein Nebenprodukt der Prozeßwärme — kann damit ein erheblicher Teil des Strombedarfs zur Substitution von 01 — insbesondere auf dem Stromsektor, aber auch am Wärmemarkt — gedeckt werden.Die Technologie der Kohleveredelung, also der Vergasung, der Verflüssigung oder der Methanolherstellung, ist bekannt. Sie wurde und wird von der Bundesregierung und den Bergbauländern stark gefördert. In Versuchsanlagen werden derzeit verschiedene Verfahren erprobt, und eine Reihe von Pilotanlagen ist im Bau. Diese Entwicklung, zunächst also die autotherme Veredelung, d. h. die Veredelung von Kohle mit Kohle etwa im Einsatzverhältnis von 5 : 1, ist mit Nachdruck voranzutreiben. Ich begrüße ausdrücklich die Ankündigung in der Regierungserklärung, daßgroßtechnische Demonstrationsanlagen nun beschleunigt gebaut werden sollen.Beim Einsatz der Kohle zur Stromerzeugung wie bei der autothermen Vergasung dürfen nun einige Probleme nicht übersehen werden. Erstens. Die Kohle ist teuer, und damit ist das Produkt, z. B. der Vergaserkraftstoff, vorläufig noch nicht wettbewerbsfähig. Zweitens. Bei diesen Prozessen entstehen auch — allein schon durch die zunehmende CO2-Belastung der Atmosphäre — bedenkliche Umweltprobleme. Drittens. Die Kohle ist auf Dauer zu wertvoll, um mit einem so schlechten Wirkungsgrad bei nur teilweiser Ausnutzung des tatsächlichen Energiepotentials verbrannt zu werden und beträchtliche Umweltbelastungen zu verursachen. Wir sollten Kohle mehr als Rohstoff begreifen.Unsere Chance kann daher, so meine ich, für die Zukunft einzig und allein in einem Verbund Kohle/ Kernenergie liegen. Auf der Grundlage der Hochtemperaturreaktortechnologie wird Prozeßwärme zur Kohlevergasung und zur Kohleverflüssigung erzeugt werden können, aber auch kostengünstige Prozeßwärme für andere Industrie- bzw. Produktionsbereiche, vor allem etwa für die chemische Industrie, aber auch für die Stahlindustrie. Die weitereErforschung und Entwicklung fortgeschrittener Reaktorlinien, hier insbesondere der Linie des Hochtemperaturreaktors, der offenbar eine größere inhärente Sicherheit besitzt als andere derzeit bekannte Entwicklungen, dessen Brennstoffkreislauf allerdings — dies ist sein Nachteil — noch nicht geschlossen entwickelt ist, ist mithin unverzichtbar.Sicher ist die kommerzielle Nutzung dieser Verbundtechnologie erst in 15 bis 20 Jahren möglich. Dies setzt aber eine kontinuierliche Entwicklung der Kernspaltungstechnologie, ausgehend von den derzeit genutzten Leichtwasserreaktoren, voraus.Die FDP hat sich wiederholt, zuletzt in Bremen — das wurde heute schon vielfach angesprochen —, zu einem skeptischen Ja, zu einem Ja mit Bedingungen zur Kernenergie bekannt. Sie wird keine undifferenzierten Forderungen nach einem ungehemmten Ausbau der Kernenergie mittragen, und sie macht den weiteren Ausbau von der Regelung und der zuverlässigen und sicheren Lösung der Entsorgungsfrage abhängig. Ich darf hier noch einmal den Standpunkt bekräftigen, daß der Schutz von Leben und Gesundheit des Bürgers Vorrang vor wirtschaftlichen Erwägungen hat.Mit einem Anteil von 11 % liegt die Kernenergie derzeit bei der Stromerzeugung in der Bundesrepublik schon vor dem 01 mit dem bereits erwähnten Anteil von 9 %. Das führt konsequent dazu, die wie auch immer gearteten Risiken der verschiedenen Energietechniken, d. h. ihre Auswirkungen — oder denkbaren Auswirkungen — auf die Natur, auf den Menschen, auf seine natürliche, geistige, wirtschaftliche und soziale Umwelt, gegenüberzustellen, die Risiken zu vergleichen und zu bewerten und daraus dann die Schlüsse für notwendiges politisches Handeln zu ziehen.Die Technologien zur friedlichen Nutzung der Kernenergie müssen zu mehr Sicherheit, zu weiteren Risikoreduzierungen fortentwickelt werden. Derzeitig ist nicht erkennbar, ob auf diese neue Energiequelle wegen ihrer zweifellos vorhandenen Risiken und Probleme, wegen der zum Teil erheblichen Ängste und Nöte der Menschen vor dieser neuen elementaren Energiequelle verzichtet werden kann, die durch die schreckliche Atombombe eingeführt und von daher mit einem negativen Erbe belastet ist. Denn selbst wenn es den Industriestaaten gelänge, auf jeglichen Energiezuwachs zu verzichten, würde nach den Untersuchungen der OECD dennoch mit einem etwa 2 bis 3 % jährlich steigenden Weltenergiebedarf zu rechnen sein. In 20 Jahren ist daher etwa eine Verdoppelung zu erwarten, und wir müssen uns fragen: Wie könnte dieser Weltenergiebedarf gedeckt werden, wenn wir uns der Begrenztheit der Ressourcen an fossilen und mineralischen Energieträgern bewußt sind?Es kann sich wohl jeder leicht ausrechnen, daß der Weltfriede damit höchst gefährdet wäre. Der Selbsterhaltungstrieb der Völker würde uns zweifellos in schwierige Verteilungskämpfe stürzen. Es ist geradezu eine Verpflichtung der Industrienationen, auf ihrem hohen technischen, wirtschaftlichen Ni-
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Dr.-Ing. Laermannveau die zukünftige Energieversorgung der Welt zu sichern, und dazu ist die Kernenergie zu neuen, verbesserten Techniken mit mehr Sicherheit fortzuentwickeln. Nur die Industriestaaten können die dafür erforderlichen hohen Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen aufbringen. Wer aber auf Kernenergie verzichten will, muß andere Versorgungsstrategien entwickeln, die sich aber derzeitig noch nicht als realistisch oder realisierbar abzeichnen. Da gibt es die Überlegungen von Herrn Eppler, die durchaus in weiten Teilen vernünftig sind, wie ich meine. Sie decken sich im Prinzip auch mit energiepolitischen Vorstellungen der Regierung. Aber seine Rechnung ohne Kernenergie geht ähnlich wie beim Programm der schwedischen Zentrumspartei nur für den nationalen Bereich unter Voraussetzungen auf, von denen heute niemand sagen kann, ob sie in 20, 30 oder 40 Jahren noch Gültigkeit haben werden. Wir leben aber in einem europäischen, ja einem weltweiten Bezugssystem und können deshalb durch nationale Alleingänge selbst bei einem Verzicht auf Kernenergie nichts bewirken.Die FDP wird sich, wie dies im übrigen auch eine der Aufgaben der von diesem Hohen Hause eingesetzten Enquete-Kommission zu künftiger Kernenergiepolitik ist, mit den Möglichkeiten und Konsequenzen eines Verzichts auf Kernenergie befassen, was selbstverständlich unter internationalen Aspekten geschehen wird. Dies ist ein Auftrag des Parteitags an uns. Wir nehmen die Sorgen, die Ängste der Menschen in bezug auf die Risiken des technischen Fortschritts sehr ernst. Das sind die Bedenken und die Sorgen, die sich derzeitig vorrangig in Bedenken und Widerstand gegen die Nutzung der Kernenergie artikulieren. Aber ich sage Ihnen: Das sind keine Roten, das sind nicht Systemveränderer, sondern das sind Menschen, die verständliche Antworten auf ihre Fragen haben wollen, auf die sie bisher, jedenfalls von uns, nicht immer die gebotene Antwort bekommen haben. Sie haben uns auch schon manche peinliche Frage gestellt, und wir haben dann versprochen, diese Fragen projektbegleitend zu lösen. Ich glaube, auf diese Weise können wir nicht fortfahren, sondern wir müssen den Dialog mit diesen Menschen suchen, und wir müssen ihnen den Gesamtzusammenhang in der Energiewirtschaft und den Bezug zur Kernenergie und ihren Risiken schon deutlich darstellen. Dies ist eine unserer politischen Aufgaben.Heute ist auch die Frage der Entsorgung angesprochen worden. Wo stehen wir heute mit der Entsorgung? Niemand wird bestreiten können, daß der Bau weiterer Kernkraftwerke nur genehmigt werden kann, wenn die Entsorgung — nach dem Konzept der Bundesregierung eine integrierte Entsorgung, d. h. die Zwischenlagerung, die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente, die Konditionierung und Verglasung radioaktiven Abfalls und die endgültige Verbringung dieses Abfalls in geologisch stabile Formationen wie den Salzstökken in Niedersachsen — in den erforderlichen Zeithorizonten gesichert ist. Dieses Konzept kann sicherlich in einzelnen Phasen realisiert werden. Hier stellt sich die Frage, warum Herr Albrecht hier heute eine Novellierung des Atomgesetzes fordert.Er fährt fort, dazu sei die Regierung wegen innerer Zerstrittenheit der Regierungsparteien nicht in der Lage.
Es fragt sich, was Herr Albrecht mit einer Novellierung des Atomgesetzes will.
— Nun, dann steht es ihm ja frei, die nötigen Entscheidungen in der Verantwortung der niedersächsischen Landesregierung zu treffen und jetzt nicht ein Alibi mit dem Hinweis zu suchen,
die Regierungsparteien seien auf Grund ihrer Zerstrittenheit nicht in der Lage, eine entsprechende Änderung des Atomgesetzes durchzuführen.
— Ich glaube, es wird einmal notwendig sein, daß wir die einzelnen Alibis, die hier immer so vorgetragen werden — auch im Verlauf der heutigen Debatte —, genau und sorgfältig analysieren. Wir sollten uns dieser Mühe einmal unterziehen, und zwar, wie ich meine, gemeinsam.
— Ich bedanke mich für Ihr Interesse, Herr Kollege Pfeffermann.Zwischenlager sollen in all den Bundesländern eingerichtet werden, in denen Kernkraftwerke betrieben werden. Dies ist zwar sicherlich eine notwendige Entscheidung, aber es ist hinzuzufügen: Diese Zwischenlager dürfen und können auf keinen Fall zu Endlagern werden. Diese Zwischenlager entheben uns nicht der Notwendigkeit, die Entsorgung — unter Einbeziehung der Wiederaufarbeitung oder ohne Wiederaufarbeitung, dies bleibt noch zu prüfen — auch endgültig zu regeln. Mit Sicherheit aber geht es darum, radioaktiven Abfall einer sicheren Endlagerung zuzuführen. Die Eignung der Salzstöcke für eine Endlagerung ist zügig zu untersuchen. Forschung und Entwicklung sowie die Planung einer Wiederaufarbeitungsanlage auf der Grundlage fast 20jähriger Erfahrungen mit der Karlsruher Anlage— eventuell in einem kleineren Übersetzungsverhältnis, also mit einem anderen scale-up-Faktor — zur Optimierung der Konzeption, sind im Interesse von Sicherheit und Umweltschutz unverzichtbar. Dabei sind auch alternative Entsorgungskonzeptionen, z. B. eine Endlagerung abgebrannter Brennelemente ohne Wiederaufarbeitung, intensiv zu untersuchen.
Die erforderlichen Zeithorizonte dafür stehen uns zur Verfügung.Gleichzeitig aber dürfen wir die außenpolitischen Dimensionen der Entsorgung, insbesondere die der
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13370 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979
Dr.-Ing. LaermannWiederaufarbeitung, nicht übersehen. In der bisherigen Konzeption wird das deutsche Konzept weltweit von Experten als die bisher beste und konsequenteste Lösung beurteilt und nicht von dem US Non-Proliferation Act erfaßt. Riskieren wir nicht, daß es durch unsere eigenen Entscheidungen schließlich doch in diese US Non-Proliferation Act einbezogen wird! Dies könnte zu erheblichen Nachteilen für unsere wirtschaftliche — insbesondere energiewirtschaftliche — Entwicklung führen.Lassen Sie mich abschließend — die Zeit ist abgelaufen — sagen: Wir sehen die Verpflichtung, die Energieversorgung zu sichern, langfristig zu sichern. Wir sehen unsere weitere Verpflichtung darin, die Energieversorgung so zu sichern, daß es weder zu Auseinandersetzungen zwischen den Industriestaaten um die begrenzten Rohstoffvorräte noch darüber hinaus zu Auseinandersetzungen zwischen den Rohstoffländern einerseits und den Industriestaaten andererseits kommt. Dabei dürfen wir unsere weltweite Verantwortung, insbesondere auch unsere Verantwortung gegenüber den Entwicklungsländern, nicht aus dem Auge verlieren. In diesem Sinne hat die Bundesregierung bisher Energiepolitik betrieben. Wir sind sicher, daß sie diese Energiepolitik mit der Unterstützung der Koalitionsfraktionen auch erfolgreich fortsetzen wird.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Dr. Hauff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute hier im Deutschen Bundestag über Fragen der Energiepolitik, über Fragen, die für die Zukunft unseres Landes, im Hinblick auf die weitere wirtschaftliche Entwicklung, aber auch im Hinblick auf die Erhaltung der natürlichen Lebensbedingungen, die Erhaltung der Umwelt in unserem Lande lebenswichtig sind, insbesondere dann — meine Damen und Herren, das ist das, was mich am meisten beschäftigt —, wenn wir die Demokratie auch bei der Erörterung eines so schwierigen Themas erhalten und stärken wollen. Die Menschen suchen eine Orientierung. Sie wissen zwar, daß kurzfristig erhebliche Risiken vorhanden sind, aber sie wollen gern wissen, ob diejenigen, die politische Verantwortung tragen, tatsächlich wissen, wo es langfristig langgeht.
Dazu ist — davon hat der Herr Bundeskanzler heute morgen gesprochen — ein ruhiges, ein abwägendes Gespräch, ein Austauschen von differenzierten Meinungen notwendig. Um so mehr bedauere ich es, daß der Ministerpräsident des Freistaates Bayern hier seine Reden abgelassen hat, um von dannen zu ziehen und nicht das Gespräch zu suchen.
Es ist kein guter Stil, ein schwieriges Thema so zubehandeln. Das ist der Stil der Politik der 50er und60er Jahre, aber nicht dem Thema angemessen, das heute auf der Tagesordnung steht.
Wir müssen bei der Erörterung dieses Themas die Tatsache zur Kenntnis nehmen — darauf wurde schon hingewiesen —, daß es keinen risikolosen Weg in die Zukunft gibt. Wenn wir an das Öl denken, müssen wir in der Tat den internationalen Experten zustimmen, die sagen: Wenn es nicht zu einschneidenden Veränderungen kommt, sind spätestens in den 80er Jahren schwere internationale Verteilungskämpfe nicht auszuschließen. Eine internationale Studiengruppe schätzt die Auseinandersetzungen um das Erdöl für die wichtigste internationale Krisenursache in den 80er Jahren ein. Ich halte die Formulierung von Herrn Strauß, daß hier die dritte große Krise dieses Jahrhunderts unmittelbar bevorstehe, für etwas überzogen, aber in der Tendenz für richtig. Wir haben es, wenn wir an die Kernenergie denken, mit Gefahren zu tun, die zwar äußerst unwahrscheinlich sind — und wir bemühen uns, sie noch unwahrscheinlicher zu machen —, die in ihrer Wirkung gleichwohl keinen von uns ruhig lassen können, die jeden von uns in der Tat dazu zwingen, für das, was verantwortbar ist, moralische Verantwortung zu übernehmen. Was die Kohlendioxydbelastung bei Öl, bei Kohle, bei anderen fossilen Energieträgern angeht, so kann zum heutigen Zeitpunkt keiner ausschließen, daß im Laufe der nächsten Jahre Entwicklungen eintreten, die schwere Naturkatastrophen nach sich ziehen.All das ist zutreffend, und ich nehme das sehr, sehr ernst. Es verlangt von uns, daß wir mit diesen Fragen nicht formelhaft umgehen, sondern daß wir bei allen Fragen der Energiepolitik in der politischen Auseinandersetzung mehr Nachdenklichkeit und auch mehr Ehrlichkeit praktizieren. Auch Horrorbilder helfen hier nicht weiter, auch nicht das Horrorbild mit kriegsähnlichen Zuständen im Innern, das Herr Strauß gezeichnet hat. Nein, wir müssen die Schwierigkeiten beim Namen nennen, aber auch die Hoffnung aufzeigen, mit der man in die Zukunft blicken kann.Die Menschen wollen auf ihre, auf unsere Frage Antworten, wie und zu welchem Preis sie in Zukunft eine warme Wohnung bekommen, ob jeder seinen Arbeitsplatz ohne große Mühen erreichen kann, ob die Haushaltskasse nicht alleine durch die Heizölrechnungen völlig durchlöchert wird. Das sind praktische Fragen, die die Menschen bei uns in der Bundesrepublik stellen. Und in der Welt, in vielen anderen Ländern lautet die Frage: Was tun eigentlich die Industrieländer dafür, daß die übrige Welt, insbesondere die Dritte Welt, menschenwürdig leben kann?Wir haben diese Diskussion in der Bundesrepublik seit einigen Jahren geführt. Wir haben zunächst gegen den leidenschaftlichen Widerstand der CDU/CSU Energieprogramme durchgesetzt; sie
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Bundesminister Dr. Hauffhat es als der Marktwirtschaft abträgliche Planung abgetan, über die Energieversorgung nachzudenken. Ich erinnere mich daran noch sehr genau. Ich habe zu der Zeit studiert und mich dafür interessiert, was in der Politik stattfand. Damals wurde gesagt, Energieplanung dürfe man gar nicht machen, das müsse man den Marktkräften allein überlassen. Mittlerweile haben wir Energieprogramme, Fortschreibungen, Prioritäten, die im wesentlichen richtig sind und die für die wichtigsten Energieträger auch die erforderlichen längerfristigen Perspektiven aufzeigen. Wir haben den Mut gehabt, Dinge zu sagen, als zunächst noch ein großer Teil der Menschen eher dazu geraten hatte, das noch etwas liegenzulassen. Wir haben den Mut gehabt, bezüglich der Kernenergie zu sagen, wir wollen die Option auf den Schnellen Brüter. Das ist eine schwierige politische Auseinandersetzung. Wir haben uns jedoch überlegt: Was ist in einem Zeitraum von 20, 30 Jahren wirklich erforderlich?Wir haben den Mut gehabt, schon vor mehreren Jahren zu sagen, wir müßten vom Öl wegkommen, wir müßten energisch gegen die weitere Verwendung des Öles angehen. Wir haben bei der Kohle — Gott sei Dank, muß man heute sagen — sehr frühzeitig gesagt: Aus Gründen der Versorgungsunabhängigkeit, der Versorgungssicherheit, der Daseinsvorsorge auf diesem wichtigen Gebiet ist es erforderlich, erhebliche Lasten auf uns zu nehmen und den deutschen Steinkohlenbergbau eben nicht absaufen zu lassen.Ich meine, es kommt auch beim Energiesparen jetzt darauf an, längerfristige Perspektiven offen demokratisch zu erörtern und zu entwickeln. Mir kommt es dabei nicht darauf an, in irgendeiner Frage recht zu behalten — das wäre eine ganz schlechte Orientierung —, aber mir kommt es darauf an, Denkverbote abzuschaffen. Wir brauchen einen geistigen Wettbewerb darüber, wo die Perspektiven der Energiepolitik und für das Energiesparen liegen.
Dann soll sich nach offenem und ruhigem Erörtern das Vernünftige durchsetzen. Herr Strauß meinte, mich als „Minenhund" ansprechen zu müssen. In dem Sinne der verstärkten Suche, wie der Weg in die Zukunft eigentlich aussehen kann, habe ich das durchaus als Kompliment empfunden. Aber ich kann auch nicht verhehlen, daß es mich an einen Ausspruch von Herrn Strauß aus dem Jahre 1968 oder 1969 erinnert hat, als er im Hinblick auf friedliche Demonstranten gesagt hat: Die benehmen sich wie Tiere, deswegen braucht man die für Menschen gemachten Gesetze auf sie auch nicht anzuwenden.
Ich frage mich, ob dieser Geist hier wieder einkehrt, daß man Menschen mit Tieren vergleicht.
Meine Damen und Herren, das Gorleben-Hearing, das die niedersächsische Landesregierung durchgeführt hat — wir hatten angeboten, es zusammen zu machen; Sie kamen zu der Entscheidung, es alleine zu machen —, war meiner Meinung nach insgesamt eine gute Veranstaltung, Herr Ministerpräsident Albrecht. Diese Veranstaltung hat in einem Punkt eine Frage offengelassen, und das ist die Frage nach dem zukünftigen Bedarf an Kernenergie, die dort umstritten war. In dieser Beziehung gab es viele Argumente hin und her. Wenn wir über den Bedarf nachdenken, müssen wir natürlich fragen: Wieviel können wir tatsächlich an Energie einsparen, um die Risiken insgsamt so niedrig wie möglich zu halten? Das trifft generell zu, ob es sich um die Kernenergie oder das 01 oder die Kohle oder irgendeinen anderen Energieträger handelt.Ich stimme entgegen allen Zeitungsmeldungen ausdrücklich mit dem Bundeswirtschaftsminister überein, daß dabei freiwillige Lösungen besser sind als Vorschriften, als Verbote und als Gebote. Da gibt es überhaupt keinen Zweifel. Dies muß der Weg sein, den wir zu gehen haben. Aber wir werden nur dann mit freiwilligen Lösungen auskommen, wenn von der Freiheit tatsächlich ein verantwortlicher Gebrauch gemacht wird. Das heißt, meine Damen und Herren, wer die Fanfare der Freiheit, die die Geschichte unseres Landes geprägt hat, mit der Lichthupe auf der Autobahn verwechselt, der provoziert gesetzliche Regelungen.
Wir Bundesbürger sind in der westlichen Welt die einzigen Menschen, die so schnell Auto fahren dürfen, wie sie wollen. Ich wünsche mir, daß das so bleibt, aber ich frage mich: Können wir uns das tatsächlich leisten, als einzige diesen Weg zu gehen?Es ist richtig und muß deutlich betont werden: Seit 1973 haben wir stolze Energieeinsparerfolge erzielt, mehr als andere. Das wurde gerade in einem Bericht der Internationalen Energieagentur bestätigt. Diese Erfolge waren nur möglich wegen der Vernunft der Verbraucher, aber eben auch über Instrumente, die sich von ihrer Wirksamkeit her vordringlich am Ziel der Energieeinsparung orientiert haben und auch dort, wo es unumgänglich war, vor ordnungspolitischen Eingriffen nicht halt gemacht haben. Ich denke nur an das grundsätzliche Verbot von Ölkraftwerken, das wir ja alle miteinander für richtig halten, oder an das Energieeinspargesetz mit seinen Verordnungen zur Wärmedämmung von Neubauten oder zur Auslegung von Heizungsanlagen, die dort unmittelbar vorgeschrieben sind.Die Vernunft der Verbraucher und solche Vorschriften, sie miteinander haben es verhindert, daß wir heute vor der Frage stehen, Energie kontingentieren zu müssen, was in der Tat der schlechteste aller Wege wäre.Aber ich frage mich auch: Hätten wir 1974 allein auf die Appelle an die Elektrizitätsversorgungsunternehmen gesetzt, doch lieber keine weiteren Ölkraftwerke zu bauen, weil das Öl eben langfristig knapper würde und es doch besser wäre, die heimische Kohle zu verstromen — meine Damen und
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Bundesminister Dr. HauffHerren, wir hätten — wer wollte das bestreiten — heute wahrscheinlich einen noch höheren Ölverbrauch und noch größere Absatzprobleme bei der Kohle.Die Gewißheit, daß das Öl knapp und noch teurer wird, und zwar Jahr für Jahr, dürfte uns allen klar sein. Niemand will das, aber wir müssen damit rechnen. Damit ist unsere Verantwortung nicht nur zu Hause, sondern auch weltweit und unser Verhältnis gegenüber der Dritten Welt angesprochen. Denn Öl ist eine der wichtigsten Überlebensvoraussetzungen für die Länder der Dritten Welt. Die brauchen Öl und keine Bekenntnisse. Die brauchen Öl für Lastkraftwagen, für Busse, für Bewässerungspumpen und auch als Brennstoff, damit nicht die letzten Wälder abgeholzt werden und, das Holz verbrannt wird; denn nach den Wäldern folgt nur die Dürre und auch Hunger.Unsere moralische Verantwortung in der Weltöl- und in der Weltenergiepolitik ist riesengroß. Wir müssen diese Verantwortung, meine ich, verstärkt wahrnehmen. Mit guten Wünschen kann man da nicht helfen. Tokio war ein ganz konkreter Schritt zu dieser Verantwortung. Wir müssen den Menschen bei uns sehr deutlich sagen, daß Energieverschwendung bei uns auch für Armut und Not bei den anderen in der Dritten Welt mitverantwortlich ist. Oder kümmern uns die Menschen überhaupt nicht in Mali, in Tschad oder in Mauretanien? Alternative Energiequellen zum Öl, beispielsweise die Produktion von Biogasen aus Abfällen oder die Solarenergie, müssen wir für die Dritte Welt verstärkt bereitstellen. Schon der Weltwirtschaftsgipfel in Bonn im letzten Jahr hat hier einen Anfang gesetzt. Wir haben im Anschluß daran Solaranlagen in Mexiko, in Ägypten, in Indien installiert und dadurch als Bundesrepublik Deutschland für die Entwicklung in diesen Ländern Mitverantwortung übernommen.Bei uns zu Hause kann Energieeinsparung über die Verteuerung des Öls oder anderer Energieträger nur dann zum Erfolg führen, wenn die Verteuerung auch sozial vertretbar ist. Da frage ich mich: Was nützt uns eine Entwicklung, die zu sehr hohen Preisen führt, die uns aber auch dazu zwingt, das Heizöl zu subventionieren, wenn wir dann zum Schluß Subventionen haben für Öl für Rentner, für Studenten, für Behinderte, für Zonenrand, für Pendler und — heute morgen haben wir es auch schon wieder gehört — für Gärtner? Dies kann nicht die Entwicklung sein, die wir fraglos einfach für richtig halten.Denn unter anderem wäre die unmittelbare Folge eine unnötige bürokratische Aufblähung für eine scheinbar marktgerechte Lösung. Sehr schnell würde im übrigen nach meiner Einschätzung die Inflationsspirale wieder angedreht werden, die Konjunktur geriete ins Stocken, die Arbeitsplätze gerieten in Gefahr. Deswegen ist Energieeinsparen auch ein ökonomisches Gebot, vor dem wir heute hier stehen. Das heißt, wir brauchen Maßnahmen und wir brauchen Techniken der Energieeinsparung, die vernünftige, konkrete, verschiedene Angebote für den einzelnen Haushalt und die einzelneUnternehmung eröffnen. Wir wollen verantwortungsbewußte Rahmendaten setzen, die sich nicht alleine an den augenblicklichen Gegebenheiten orientieren. Wir tun das ja auch — mit Recht — bei der Kernenergie, wo wir für langfristige Überlegungen Prioritäten setzen und nur für eine einzige neue Reaktortechnologie mehr als 3 Milliarden DM ausgeben, was ich für richtig halte.Im übrigen sei an der Stelle der Hinweis erlaubt, daß der Herr Strauß irrt, wenn er meint, wir würden die Fusionsforschung der nichtnuklearen Energieforschung zurechnen. Dies ist schlicht falsch. Die Fusionsforschung ist nach unserer Meinung noch lange — im Augenblick auf jeden Fall — im Bereich der Grundlagenforschung. Aber diese Überlegung, mehr Möglichkeiten aufzuzeigen, war für uns Grund, warum wir demonstrieren, daß die Gaserzeugung aus Abfällen, daß die Gaserzeugung aus Braun- und Steinkohle eine Möglichkeit darstellt. Das wollen wir verstärken und jetzt großtechnisch realisieren. Deshalb bauen und fördern wir auch eine Großwindanlage an der Nordsee. Deswegen fördern wir die Fernwärmeschienen an der Saar und an der Ruhr. Deswegen haben wir darauf gedrungen und ein schornsteinloses, umweltfreundliches Kohlekraftwerk an der Saar gefördert. Dies ist der Grund, warum es solarbeheizte Schwimmbäder gibt, die wir mit unterstützt haben, solarbeheizte Einfamilienhäuser und Mehrfamilienhäuser. Deshalb bauen wir auch Blockkraftheizwerke und Wärmepumpen mit. Deshalb untersuchen wir neue Kraftstoffe wie Methanol oder Wasserstoff. Allein über 500 Projekte im Jahr 1977 mit einem Gesamtfördervolumen von mehr als 700 Millionen DM demonstrieren den Breiteneinsatz dieser Regierung für alle technisch sinnvollen Energietechnologien im nichtnuklearen Energieforschungsbereich.
Ich finde es einigermaßen merkwürdig, wenn Sprecher der Opposition sagen, unter anderem Sie, Herr Albrecht, in dem Bereich müßte mehr getan werden. Meine herzliche Bitte ist: Reden Sie bitte einmal mit dem Kollegen Stavenhagen, Mitglied des Haushaltsausschusses, der im letzten Jahr nicht nur nicht für eine Erhöhung plädiert hat, sondern auf Streichung von über 100 Millionen DM im Bereich der nichtnuklearen Energieforschung.
Da wollen wir doch ein bißchen bei dem bleiben, wie die Welt wirklich aussieht.
Tatsache ist, daß wir in wichtigen Bereichen heute Spitzenleistungen anzubieten haben.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber selbstverständlich, Herr Kollege Riesenhuber.
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Bitte schön!
Herr Minister, trifft die Aussage zu, daß nach dem Dafin-Report von Ende Dezember vorigen Jahres nur 59 0/o der Mittel für den Bereich der nichtnuklearen Energien abgeflossen sind und weitere Mittel nicht ausgegeben werden konnten?
Das ist falsch, Herr Kollege.
— Aber selbstverständlich.
Tatsache ist, daß wir auf einer Vielzahl energietechnischer Gebiete heute als Bundesrepublik Spitzenleistungen anzubieten haben. Wir haben wettbewerbsfähige und, was den Sicherheitsstandard angeht, wirklich in der Spitzenposition befindliche Kernkraftwerke. Wir gehen einen neuen Weg in der Urananreicherung, der sich deutlich von dem unterscheidet, der in anderen Ländern praktiziert wird, unter anderem im Hinblick auf den Energieverbrauch. Bei uns wird nur ein Zehntel der Energie verwendet. Wir werden im übrigen auch weltweit um das Konzept beneidet, das wir im Zusammenhang mit dem integrierten Entsorgungszentrum entwickelt haben, und den Stand von Wissenschaft und Technik, den wir auf diesem Gebiet erreicht haben.
Die Gaserzeugung aus Kohle geht in unserem Lande auf eine lange Tradition zurück und hat in den letzten Jahren deutliche neue Schübe erhalten und technische Durchbrüche erreicht. Die Kohleabbautechnik wird ja nicht nur in unserem eigenen Lande angewendet. Es gibt vielmehr eine Vielzahl von Kontakten in andere Länder hinein, um diese Technik, diese Anlagen zu exportieren. Wir sind dabei, im Bereich der Fernwärmesysteme völlig neue Technologien zu entwickeln, nachdem mit Sicherheit weltweit in allen Industrieländern in den nächsten Jahren und Jahrzehnten verstärkt nachgefragt wird. Deswegen ist dies auch ein ganz wichtiges Stück Industriestrukturpolitik, die wir zunächst aus energiepolitischen Gründen eingeleitet haben.
Wir haben heute Wärmepumpen auf dem Markt, die unter bestimmten Bedingungen auch für private Hausbesitzer bereits eine wirtschaftliche Alternative zu den klassichen Formen der Hausbeheizung sind. Wir sind dabei, auf breiter Front energiesparende Verkehrsmittel vom privaten PKW bis hin zu den öffentlichen Nahverkehrsmitteln zu entwikkeln. Wir haben im Bereich der Solarenergie wirklich etwas erreicht.
All dies darf für uns nicht Anlaß sein, auf diesen Lorbeeren auszuruhen. Es zeigt aber, daß wir gerade im Bereich von Forschung und Technologie stolz darauf sein können, was in den vergangenen Jahren tatsächlich in unserem Lande geleistet wurde. Soweit die Bundesregierung das beeinflussen kann, werden wir die Anstrengungen nicht vermindern, sondern in den nächsten Jahren eher verstärken.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß aus der Rede des Altbundespräsidenten Scheel vom vergangenen Sonntag zitieren. Er hat dort ausgeführt:
Freilich müssen wir etwas tun. Wir müssen die Grenzen der Zukunft zur Kenntnis nehmen, und wir müssen uns in Freiheit in diesen erkennbaren Grenzen einrichten. Nur dann werden wir nicht an die Grenzen der Zukunft stoßen. Aber wir werden an diese Grenzen stoßen, mit allen Folgen, die sich für Freiheit und Demokratie daraus ergeben würden, wenn wir die Zukunft nur als eine Fortschreibung der Gegenwart verstehen. Wir müssen den Bürgern zumuten, in manchen Bereichen ihr Verhalten zu ändern.
Da wird dann häufig von „Opfern" gesprochen. Aber was will dieses Wort heißen? Erkaufen wir nicht auch unseren jetzigen Lebensstil mit Opfern: Opfern an Lebensfreude, Opfern auch an Zukunftshoffnungen? Nein, es geht nicht darum, den Bürgern irgend etwas wegzunehmen; es geht darum, daß sie, daß wir alle die Zukunft in Freiheit gewinnen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, dies ist der Weg, den wir auch in der Politik und in der Energiepolitik zu beschreiten haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Biedenkopf.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Debatte über die Regierungserklärung, die sich in erster Linie mit der Energiepolitik beschäftigte, hat gezeigt, daß es in der Lagebeurteilung eine Reihe wichtiger Übereinstimmungen gibt.. Ich möchte mit diesen Übereinstimmungen beginnen, weil ich glaube, daß deren Feststellung in einer Art Konsenskatalog wichtig ist, um die Chance zu erhöhen, einige der Fragen, um die es geht, nachher auszudiskutieren.Es ist Übereinstimmung darüber erzielt worden, daß billige Energiequellen knapper werden und daß die Energiepreise steigen werden. Es ist offenbar allgemein eine politische Bereitschaft vorhanden, das Steigen der Energiepreise — jedenfalls in Grenzen — auch zu tolerieren. Es ist Einigkeit darüber erzielt worden, daß der künftige Energiebedarf schon wegen des Wachstums der Weltbevölkerung weiter steigen wird und daß — selbst dann, wenn es uns gelingt, Wachstumsraten ohne entsprechende Steigerung der Energienachfrage in unserem Land zu sichern — die Energie sich trotzdem durch die steigende Nachfrage weltweit verknappt.
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13374 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979
Dr. BiedenkopfAuch in bezug auf Antworten auf diese sich verändernde Weltlage sind einige Übereinstimmungen erzielt worden. Es besteht wohl Übereinstimmung darüber, daß die Eigenversorgung aus Kohle verbessert werden muß, daß die Kohle in der Zukunft eine noch wichtigere Rolle für die Energieversorgung in der Bundesrepublik Deutschland haben wird als heute. Es besteht Einigkeit darüber, daß auch Kohle importiert werden muß. Der Bundeskanzler hat die Schranke mit der Formulierung aufgezeigt, er wolle den Import von Kohle nur in dem Umfang zulassen, in dem die Kohle Ölimporte substituiere. Wenn man allerdings den Umfang der Ölimporte in Betracht zieht, dann ist dies ein sehr breiter Rahmen.Es ist Übereinstimmung darüber erzielt worden, daß alle Einsparungsmöglichkeiten ausgeschöpft, daß alle alternativen Energiequellen gefördert werden müssen und daß ihre Entwicklung vorangetrieben werden muß, und es besteht jedenfalls zwischen den Sprechern der Regierung, den Ländern und der Opposition auch Einigkeit darüber, daß ohne ein Vorantreiben der Kernenergie die energiepolitischen Probleme nicht lösbar sind.Was uns Sorge bereitet und was in der Diskussion eine große Rolle spielt und wahrscheinlich auch zunehmend spielen wird, ist die Frage, wie diese Aufgaben gelöst werden sollen. Es geht also weniger um die Prognose in die Zukunft, um die Einigkeit oder Uneinigkeit über die Analyse, als um die Therapien.Es ist vorhin von dem Ministerpräsidenten Strauß und dann in Antwort darauf von Graf Lambsdorff über die Gipfel-Politik gesprochen worden. Ich bin nicht der Meinung, Graf Lambsdorff, daß man auf Gipfeltreffen gänzlich verzichten sollte, sondern ich glaube, das Problem liegt an einer anderen Stelle. Wenn eine Gipfelkonferenz wie die in Tokio unter dem Erfolgszwang steht, in jedem Fall zu einem Kompromiß kommen zu müssen, d. h. zu einer einheitlichen Aussage, und dieser Erfolgszwang so weit führt, daß die einheitliche Aussage — jedenfalls bezüglich einiger Beteiligter, hier z. B. bezüglich der Vereinigten Staaten — im Grunde überhaupt kein Problem löst, auf der anderen Seite aber durch die übereinstimmende Aussage eine Art Legalisierung der bisherigen Lage in den Vereinigten Staaten herbeigeführt wird, auch für innenpolitische Zwecke, dann muß man sich die Frage stellen, ob es nicht möglicherweise auch besser sein kann — selbst wenn man solche Gipfelkonferenzen durchführt —, in gewissen Bereichen einen Dissens zum Ausdruck zu bringen, statt einen Konsens zu erzwingen.
Ich bin der Meinung, daß es gerade in diesem Fall gut gewesen wäre, und zwar auch vor dem Hintergrund der ungewöhnlichen innenpolitischen Schwierigkeiten, die in den Vereinigten Staaten bestehen, zu einer Energiepolitik zu finden, die unter anderem auch mit den europäischen Interessen verträglicher ist als die gegenwärtige; denn ein wesentlicher Teil der Probleme — das darf man wohl, ohne dem wichtigen Verbündeten VereinigteStaaten zu nahe zu treten, sagen —, mit denen wir uns im Augenblick im Bereich des Öls herumschlagen, ist darauf zurückzuführen, daß die Bevölkerung der Vereinigten Staaten auf Grund einer jetzt 30jährigen Entwicklung zu Verbrauchsbesitzständen gekommen ist, die in unseren Augen Verschwendung bedeuten, und daß es ungeheure Schwierigkeiten macht, diese Verbrauchsbesitzstände abzubauen. Die gesamte Öleinfuhr der Vereinigten Staaten ist notwendig, um den Ölverbrauch der Vereinigten Staaten zu decken, der in den Vereinigten Staaten über den Durchschnittsölverbrauch der Bevölkerung in Europa hinausgeht. Das heißt, die ganze externe Ölnachfrage der Vereinigten Staaten ist, wenn Sie so wollen, notwendig, um einen Ölverbrauchsstandard abzudecken, der weit über dem liegt, was z. B. in der Bundesrepublik Deutschland als eine angemessene Ölversorgung angesehen und jetzt schon unter Gesichtspunkten der Einsparungsnotwendigkeit diskutiert wird.Keiner bezweifelt die ungeheuren Schwierigkeiten, die es macht, sich von solchen Besitzständen zu entfernen, wenn man sich an sie gewöhnt hat. Schon wegen meiner eigenen Kenntnis der Verhältnisse in den Vereinigten Staaten wäre ich der letzte, der daraus einem amerikanischen Präsidenten einen wie immer gearteten Vorwurf machen würde. Aber eine solche relativ unterschiedliche Dringlichkeit festzustellen und daraus die politischen Konsequenzen zu ziehen, scheint mir notwendig; denn auch in Amerika könnte es eindrucksvoll sein, wenn die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, deren Bevölkerung zahlenmäßig sogar etwas größer als die amerikanische Bevölkerung ist, auf die Dringlichkeit einer Anpassung an das hinweist, was in Westeuropa jedenfalls schon als ein besonders hoher Lebensstandard anerkannt wird.
— Das geschieht natürlich. Ich habe das gar nicht bezweifelt. Ich habe nur gesagt, Herr Kollege Wolfram, es könnte vielleicht notwendig sein. Insofern kann ein durch Gipfel-Politik erzwungener Konsens eher von Nachteil sein, und es kann vorteilhafter sein, einen Dissens deutlicher herauszustellen.
— Das hat mit „spektakulär" überhaupt nichts zu tun. Das ist auch schon früher geschehen.
— Ich habe Ihnen das gerade beschrieben. Wir werden das auch noch hier in diesem Hause — darauf gebe ich Ihnen Brief und Siegel — genau in diesem Sinne diskutieren.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979 13375
Dr. BiedenkopfMeine Damen und Herren, die weitere Frage ist, wie man die weltpolitisch verursachten, durch die Energieverknappung, durch die Politik der OPEC-Länder, durch die Politisierung des Ölangebots entstandenen Probleme innenpolitisch bewältigt. Was wir als Parlament hier im Rahmen der Überlegungen bewirken können, ist eine Diskussion dieser Frage. Ich glaube nicht, daß es dabei im Parlament sinnvoll ist, bis in die Einzelheiten die technologischen und sonstigen Maßnahmen zu diskutieren und zu beschreiben, die man ergreifen könnte, um hier oder dort Energie einzusparen. Die mir viel wichtiger erscheinende Frage ist zunächst die, ob die jetzt in Aussicht stehende Verknappung und Verteuerung von Energie gegenüber den Zuständen, wie sie noch vor wenigen Jahren geherrscht haben, die Rechtfertigung dafür liefern können, wichtige grundsätzliche Entscheidungen, z. B. über die Organisation unserer Wirtschaft, über das Verhältnis von Wirtschaft und Staat, über die Bedeutung der marktwirtschaftlichen Ordnung, über den Regel- und Eingriffsanspruch des Staates, in Zukunft anders zu entscheiden, als wir es in der Vergangenheit entschieden haben.Ich habe mit Interesse und Zustimmung zur Kenntnis genommen, daß Herr Kollege Hauff am Schluß seiner Rede den Bundespräsidenten zitiert hat und dort darauf hingewiesen hat, daß es die Aufgabe der Politik sei, dafür Sorge zu tragen, daß wir uns unter Erhaltung unserer Freiheit im Rahmen der neuen Bedingungen einrichten. Aber ich kann nur sagen, daß dies nicht mit dem übereinstimmt, was in seinem 20-Punkte-Programm stand, wo nämlich neben einer Reihe von sinnvollen Vorschlägen zur Energieeinsparung eine Fülle von Verboten enthalten waren, die offenbar alle davon ausgingen, daß der Zeitpunkt gekommen sei, sich nicht mehr auf das Funktionieren von Marktmechanismen zu verlassen, sondern mit Verboten einzugreifen. Diese 20 Punkte haben in einem anderen Haus der Bundesregierung, nämlich im Wirtschaftsministerium, eine vernichtende Kritik erfahren, wie ich glaube, zu Recht. Ich bin der Meinung, daß der Weg, der hier vorgeschlagen worden ist, der falsche Weg ist.
Wenn er nur in Suche nach dem richtigen Weg vorgeschlagen wurde, bin ich der letzte, der die Bonafides bestreitet. An der Falschheit, an der Ungeeignetheit und an der politischen Unvertretbarkeit dieses Weges ändert das allerdings überhaupt nichts.Es hat keinen Sinn, eine nur auftretende Schwierigkeit und politische Probleme sofort mit Verboten zu beantworten, auch dann, wenn es sich um private Schwimmbäder handelt und ein Verbot privater Schwimmbäder vielleicht einer gewissen Popularität nicht entbehrt. Es sind nicht die privaten Schwimmbäder, die verboten werden sollen. Auch der Kollege Hauff ist sicher nicht der Auffassung, daß damit energiepolitischer Eindruck erzielt werden kann.
Es ist vielmehr die Richtung, die darin zum Ausdruck kommt,
auf den Versuch der Steuerung über Preise oder andere marktwirtschaftliche Mittel von vornherein zu verzichten, ein Verbot einzurichten und damit zugleich die Zahl derer zu erhöhen, die im Auftrag des Staates solche Verbote dann überwachen.
Meine Damen und Herren, wir müssen uns darüber im klaren sein, daß bei der Lösung der energiepolitischen Probleme die Politik, vor allem, wenn die Probleme sich so wie heute darstellen, auf enorme Schwierigkeiten stößt.
— Diese Marktwirtschaft ist eine der wichtigsten politischen Entscheidungen, und Sie — wie alle anderen, die hier sitzen — profitieren sehr davon, daß sie 1948 getroffen wurde.
Meine Damen und Herren! Die Schwierigkeit besteht darin, daß wir es mit der Lösung von Zukunftsaufgaben zu tun haben und daß politische Entscheidungen, die wir zu treffen haben, wenn wir die Zukunft gestalten wollen, immer auf Besitzstände in der Gegenwart treffen. Wenn ich diejenigen, die z. B. als Studenten mit ihrem Auto zur Bochumer Universität fahren, auf dem hinten der Aufkleber „Atomkraft? — Nein danke!" klebt, frage, ob sie es auch in Betracht ziehen würden, mit dem Fahrrad oder dem öffentlichen Verkehrsmittel zur selben Hochschule zu fahren,
dann sagen sie auch: nein, danke!
— Ich diskutiere sehr viel mit Studenten, wahrscheinlich mehr als Sie, Herr Kollege Wolfram.
— Wahrscheinlich. Vorhin hörten wir von Herrn Minister Hauff, bei höheren Preisen bestehe die Gefahr von „Studentenbenzin", „Rentnerbenzin", „Studentenöl" oder „Rentneröl".
— Ich nehme jetzt nur die Studenten heraus. Dazu kann ich nur eines feststellen: Wir haben in den letzten Jahren an der Ruhruniversität Bochum riesige Parkhäuser gebaut, damit die Studenten mit dem Auto zur Universität kommen können. Das ist sicher eine gute Investition gewesen, es ist auch eine nützliche und bequeme Sache, daß die Studenten mit dem Auto zur Universität fahren können.
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13376 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979
Dr. BiedenkopfAber eine Bewirtschaftung, eine Quotenregelung oder etwas anderes mit dem Argument einzuführen, hier müsse eine neue Art von Gleichheit geschaffen werden, weil es einem Student nicht zumutbar sei, auf einen Lebensstandard, den er in den letzten zwei oder drei Jahren erreichen konnte, zu verzichten, um politische Probleme zu lösen, ist keine Politik mehr. -
— Das kommt genau in dem zum Ausdruck, was mit dem Begriff „Studentenbenzin" angesprochen wird. Sie haben das offenbar überhaupt nicht verstanden.
Die Schwierigkeit bei der Lösung der energiepolitischen Fragen besteht darin, daß sie in der Gegenwart von der Bevölkerung noch gar nicht als so dringlich empfunden werden — was im übrigen auch in der Präsenz des Parlaments zum Ausdruck kommt.
Denn in der Vergangenheit bis heute war der Verbrauch von Energie, und zwar sowohl Benzin wie Heizöl, dadurch gekennzeichnet, daß er real jedenfalls nicht teurer und bei Benzin real sogar billiger wurde.
— Wenn Sie mich nicht ernst nehmen, beschwert mich das kaum.
Wenn man den Anteil der Energieversorgung am Nettoeinkommen von Privathaushalten mißt, stellt man fest, daß der gesamte Energiebedarf, also Benzin, Heizöl, Kohle, Strom, zur Zeit etwa 6 % des Nettoeinkommens des durchschnittlichen privaten Arbeitnehmerhaushalts verbraucht. Der gesamte Konsum an ölorientierter Energie beträgt also rund 3 %. Das ist nicht viel. Die Veränderung dieser 3 % greift natürlich in die Konsumgewohnheiten des Privathaushalts ein.Wenn in der Bundesrepublik Deutschland der Ölpreis um 20 % steigt, dann vermehren sich eben diese 3 % um 20 %. Das ist kein so großer Eingriff, daß die Leute schon deshalb ihre Konsumgewohnheiten ändern. Das ist ja eines der Probleme, die wir haben.Die Shell-AG hat durch eine Befragung feststellen lassen — ich kann das nur wiedergeben —, daß die Benzinpreiserhöhung, die in der Vergangenheit eingetreten ist, das Konsumverhalten der Bevölkerung nicht berührt und daß der Benzinverbrauch sich nicht geändert hat und daß eine Benzinpreiserhöhung, die ein verändertes Fahrverhalten der Bevölkerung zur Folge haben soll, wesentlich höher sein muß. Das zeigt, daß die Nachfragenach Benzin zur Zeit noch sehr stabil ist, weil die überwältigende Mehrheit derer, die Benzin nachfragen, sich durch die bisherigen Preiserhöhungen in ihrem Konsumverhalten kaum beeinflussen lassen.Das ist eine sehr wichtige Feststellung für die weitere Behandlung unseres Problems. Denn das heißt ja ganz offenbar: Über die Preise wird eine veränderte Verhaltensweise wichtiger Konsumententeile erst eintreten, wenn sich die Preise weiter erhöhen.Wir müssen vor diesem Hintergrund auch die sozialen Auswirkungen solcher Preiserhöhungen sehen. Ich halte es für falsch, bereits jetzt angesichts der bisher eingetretenen Preiserhöhungen nach einer grundsätzlichen Veränderung unserer Steuerungsmechanismen mit dem Argument zu rufen, die Preiserhöhungen seien sozial nicht mehr vertretbar. Ich halte das deshalb für falsch, weil ich glaube, daß wir sonst sehr schnell in eine planwirtschaftliche, bewirtschaftungsorientierte Energiepolitik kommen, deren Folgen weit über den energiepolitischen Bereich hinausgehen.Wir müssen nach meiner Überzeugung den Mut haben, gerade die Auswirkungen der veränderten Energiepreise — diese sind ja nichts anderes als der Ausdruck der veränderten Mengen und der veränderten Angebotslage — in der Bundesrepublik Deutschland, was ihre politische Vertretbarkeit betrifft, auch etwas vor dem Hintergrund der internationalen Lage zu sehen. Ich sage das besonders deshalb, weil ich glaube, daß dieser internationale Bezug, der ja in fast allen Reden angesprochen worden ist, nicht nur für die Ölpreisfrage, sondern auch für die Kernenergiepolitik gilt.Dazu möchte ich noch zwei Bemerkungen machen. Ministerpräsident Albrecht hat vorhin vorgetragen, daß seine Landesregierung ungeachtet des Ergebnisses der sicherheitstechnischen und sicherheitspolitischen Prüfung die Wiederaufbereitungsanlage, die für Gorleben vorgesehen war
— und ist, soweit es sich verwirklichen läßt —, aus politischen Gründen nicht genehmigen kann.
— Herr Wolfram, Sie nehmen das politisch für sich in der gleichen Weise in Anspruch. Bei jeder geringsten Veränderung des von Ihnen vertretenen Besitzstandes sind Sie der erste, der sagt, dies sei politisch unmöglich.
Hier geht es aber um eine ganz andere politische Situation,
nämlich um die Frage — ich möchte, daß wir diese Fragen mit dem notwendigen Ernst behandeln —, ob möglich ist, was Herr Ministerpräsident Albrecht auch sagte, einen politischen Konsens zwi-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979 13377
Dr. Biedenkopfschen den Parteien herbeizufühen über die Voraussetzungen, unter denen Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland einen Teil der Energienachfrage befriedigen kann. Das war ja der eigentliche Gegenstand der Fragestellung.
Der Gegenstand der Fragestellung war ja: Ist es denkbar, daß der Überzeugungsprozeß, der geleistet werden muß, von den politischen Parteien gemeinsam geleistet werden kann? Ist also das in der Energiepolitik denkbar, was sonst erst nach jahrzehntelanger politischer Auseinandersetzung im Bereich der Sozialen Marktwirtschaft gelungen ist, daß nämlich alle politischen Parteien die Grundgedanken der Sozialen Marktwirtschaft — jedenfalls wenn man sich an den Regierungserklärungen von Willy Brandt und Helmut Schmidt orientiert — genauso tragen, wie das frühere Regierungen getan haben? In Sachen Kernenergie kann diese Feststellung nicht getroffen werden. Es kann keine Rede davon sein, daß es in der Sozialdemokratischen Partei hier einen politisch belastbaren Konsensus gibt. Er ist nicht vorhanden.Der Ministerpräsident von Niedersachsen hat zu Recht darauf hingewiesen, daß er nicht, notfalls mit staatlichen Gewaltmitteln, Widerstände in der Bevölkerung überwinden könne, die sich auf die Autorität wichtiger Teile der Sozialdemokratischen Partei berufen,
und daß es ihm nicht zugemutet werden könne, das staatliche Handeln und die ganze damit verbundene Belastung, auch die staatlichen Gewaltmittel zur Durchsetzung staatlichen Handelns, zur Durchsetzung einer Politik im Auftrage der Bundesregierung in Anspruch zu nehmen, wenn die die Bundesregierung tragenden Parteien diese Politik gleichzeitig vor Ort mit aller Entschiedenheit ablehnen.
Dies und nichts anderes ist die Frage, die hier aufgeworfen worden ist.Im Zusammenhang mit dieser Frage scheint es für mich wesentlich zu sein, daß man den Rahmen der Diskussion über die Sicherheitsprobleme, die mit der Kernenergie verbunden sind, über das Bisherige hinaus ausdehnt. Ich finde es sehr verdienstvoll, daß der Bundeskanzler heute morgen —ähnlich wie der Ministerpräsident von Niedersachsen — in seiner Regierungserklärung auf die Gefahren des Kohlebergbaus hingewiesen hat. Wenn wir die von Teilen der Sozialdemokratischen Partei an die Kernenergie und ihre kommerzielle und industrielle Verwertung gerichteten Sicherheitsanforderungen auf den Kohlebergbau übertrugen, müßten wir alle Schachtanlagen im Ruhrgebiet schließen.
Es ist überhaupt keine Frage, daß sich die Sicherheitsanforderungen, die an den Kohlebergbau gestellt werden, in deutlicherem Maße an der Realität messen lassen als in anderen Bereichen, insbesondere im Kernbereich. Das bedeutet überhaupt nicht, daß man nicht auch im Kohlebergbau alle Anstrengungen macht, um die Sicherheit der Bergleute zu gewährleisten. Dort ist in den letzten 30 Jahren Erhebliches geleistet worden. Auch das steht völlig außer Diskussion. Aber es kommt doch niemand auf die Idee, dort absolute Sicherheit zu verlangen; es gibt sie nämlich gar nicht.Daß bei der Kernenergie Risiken ganz anderer Art mit im Spiel sind, steht völlig außer Frage. Diesen Risiken muß auch entsprochen werden. Aber, meine Damen und Herren — darauf kommt es mir hier an —, wenn wir unsere Erwartungen und Anforderungen an die Sicherheit der Kernenergie formulieren, müssen wir uns darüber im klaren sein, daß jedes nicht gebaute Kernkraftwerk die Inanspruchnahme von Energie anderer Art, d. h. auch von 01, bedeutet. Wenn wir aber, wie der Herr Bundeskanzler das gesagt hat und wie vor allen Dingen auch Herr Hauff und Graf Lambsdorff das gesagt haben, bei unserer nationalen Energiepolitik auch unserer Verantwortung gegenüber den Entwicklungsländern Rechnung tragen wollen, müssen wir auch die Konsequenzen z. B. der Erdölverteuerung, die durch unsere vermehrte Nachfrage für die Entwicklungsländer entsteht, in unsere kernenergiepolitischen Betrachtungen mit einbeziehen.
Was bei uns dann noch marginale Sicherheitsfragen sind, sind für die Menschen in diesen Entwicklungsländern nicht marginale Sicherheitsfragen, sondern Überlebensfragen.
Wenn wir aber diese Überlebensfragen in unsere innenpolitische Güterabwägung gar nicht Eingang finden lassen, sondern unsere innenpolitische Güterabwägung bezüglich Risiko und Notwendigkeit ohne jede Rücksicht auf die internationalen Konsequenzen unserer Entscheidung vornehmen, müssen wir uns den Vorwurf machen lassen, daß wir im Ergebnis unser Sicherheitsbedürfnis zu Lasten von Millionen Menschen in den Entwicklungsländern, deren Existenz gefährdet ist, optimieren.
Ich bin der Überzeugung, daß auf die Dauer diese Betrachtungsweise in den westlichen Industrieländern durch die Entwicklungsländer nicht mehr toleriert werden wird und daß die Ölländer, wenn sie im Verhältnis zu anderen, z. B. islamischen Entwicklungsländern ihre eigene Lage betrachten, sich früher oder später zu den Sprechern auch dieser Interessen der Entwicklungsländer machen werden, und diesen Sprechern können wir dann nicht mit der moralischen Entrüstung über Erpressung entgegentreten, sondern wir müssen ihnen recht geben, wenn sie sagen, daß wir die Interessen von Millionen Menschen in den Entwicklungsländern ignorieren, weil wir glauben, uns einen Lebensstandard, einen Sicherheitsquotienten und ein Maß an Be-
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13378 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979
Dr. Biedenkopfquemlichkeit leisten zu können, welches, gemessen an dem Zustand der restlichen Welt, nicht mehr als politisch verantwortbar angesehen werden kann.
Meine Damen und Herren, wenn wir die Diskussion gerade mit den Kernkraftgegnern um diese Dimension erweitern, wird sie sich in ihrer Qualität verändern. Denn die Kernkraftgegner sind oft die gleichen jungen Leute — und ich nehme diese jungen Leute sehr ernst —, die mit großer Leidenschaft für die Interessen und für das Leben der Menschen in den Entwicklungsländern eintreten, die wir bisher aber nicht über die Zusammenhänge aufgeklärt haben,
die zwischen dem, was wir hier innenpolitisch diskutieren, und dem, was in den Entwicklungsländern geschieht, bestehen.
Wir verweigern ihnen das Wissen um diese Zusammenhänge und wundern uns dann, wenn sie in dem engen Diskussionsrahmen, der allein innenpolitisch bestimmt ist, ihre Entscheidungen treffen. Wir müssen ihnen die Möglichkeit geben, abzuwägen und bei der Güterabwägung, die hier allemal getroffen werden muß, auch die immer größere und immer direkter und unmittelbarer werdende politische Verantwortung gegenüber den Entwicklungsländern mit einzubeziehen, die wir auch haben, wenn wir unsere kernenergiepolitischen Entscheidungen treffen.Ich kann nur hoffen, daß die Sozialdemokratische Partei, wenn sie auf ihrem Parteitag über diese Frage diskutiert, in der Lage sein wird, innerparteilich die Voraussetzungen herzustellen, von denen Ernst Albrecht gesprochen hat, die Voraussetzungen, ohne die eine konstruktive Fortführung wichtigster energiepolitischer Programme nicht möglich ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ueberhorst.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich meine, Herr Biedenkopf, man kann es vielleicht einmal im Raum stehen lassen, wie ernst Ihre Hoffnungen in bezug auf die SPD gemeint sind. Ich will sie ernst nehmen, und ich will Ihnen auch beipflichten, daß wir gut daran tun, irgendwann in einem Stadium in dieser Debatte auf die Frage zu kommen: Welchen parlamentarischen Beitrag will dieses Parlament in der aktuellen deutschen Kernenergiediskussion leisten, welche Aspekte müssen da einbezogen werden, und was wollen wir als Fraktion, jeder für sich und jeder auf seine Art, dazu beitragen?Sie haben in diese Debatte einen anonymen Studenten eingeführt, der mit einem Aufkleber „Atomkraft — nein danke" an dem Auto herumfährt und der auf Ihr Befragen hin erklärt hat, er sei nicht bereit, auf das Auto zu verzichten.
Ich unterstelle einmal, daß dieser konkrete Fall vorgefallen ist; Sie werfen gerade ein, daß es weitere Fälle gibt. Aber Pharisäer gibt es überall. Auch in der Marktwirtschaft haben wir große Theoretiker der Marktwirtschaft, die dennoch Maßnahmen vertreten, die überhaupt nicht marktwirtschaftlich sind.
Ich will auch nicht in Abrede stellen, daß es im Kreise der Kernenergiekritiker Leute gibt, die das, was Sie mit internationaler Auswirkung usw. angedeutet haben, nicht durchdacht haben.
— Herr Kohl, wenn Sie das in einem selbstkritischen Ton sagen, will auch ich gern einräumen, daß wir unsere Bürger nicht genug aufgeklärt haben, wie Sie sagen.
Ich weiß aber nicht, ob Sie mir auch folgen, wenn ich sage: Die breite Masse unserer Bürger ist weit klüger und einsichtiger, als es in dem Beispiel deutlich wird, das Herr Biedenkopf hier eingeführt hat.
Die breite Masse unserer Bürger weiß, daß wir in einem Zeitalter leben, in dem auch individuelle Verhaltensänderungen zum Bestandteil einer Politik gemacht werden müssen, und deshalb hatte Minister Hauff vollkommen recht, als er hier aufzeigte, daß die Politik für diese gesellschaftlichen Lernprozesse auch Hinweise darauf geben muß, was passieren kann. Es kann nicht so sein, daß sich eine kreative Verwaltung, die die Vorschläge macht, und die Orientierung an einem freiheitlichen Prinzip gegenseitig ausschließen.Herr Biedenkopf, in diesem Sinne meine ich auch, daß Sie mit Ihrer Anregung recht haben, wir sollten uns fragen, wie wir Konsens erzeugen können. Wir können uns allerdings daran erinnern, daß Sie bei der letzten Energiedebatte größerer Art hier am 14. Dezember 1978 die Zentralvokabel in den Raum stellten: „anweisen!", die Landesregierung Nordrhein-Westfalen sollte angewiesen werden.
— Die Landesregierung hat erklärt, sie warte das ab, was der Bundestag sagt, und der Bundestag hat etwas gesagt, und die Landesregierung hat gehandelt.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979 13379
UeberhorstHeute haben verschiedene Ihrer Sprecher, weniger Herr Biedenkopf, aber viele andere Kollegen, insbesondere Herr Strauß, erklärt — auch in Ihrem Antrag, auf den Sie selten zurückgekommen sind, heißt es so —: Da ist eine sich zuspitzende Diskussion. Sie beklagen die sich zuspitzende Diskussion, und es wird gesagt, „an der Front" müßte mehr durchgesetzt werden. Außerdem wird in diesen Tagen ein Memorandum vorgelegt, das Sie glücklicherweise in dieser Debatte auch nicht so stark benutzt haben, in dem es immer wieder heißt: Hier gibt es in den Parteien Widersprüche, unterschiedliche Meinungen usw. Ich will Ihnen dazu eindeutig sagen: Darin unterscheiden wir uns. Die SPD-Fraktion braucht ihre Partei mit all diesen unterschiedlichen Diskussionsprozessen überhaupt nicht zu verstecken.
Als der Bundeskanzler vorhin seine Regierungserklärung abgab, haben Sie zu Recht protestiert, als er erklärte, die Kirchen, die Verbände und alle Parteien hätten eine sehr intensive, strittige Kernenergiediskussion. Sie haben hier in der Tat zu Recht protestiert, weil Sie für sich nicht beanspruchen können, zu diesen Parteien zu gehören, die wie unsere Bevölkerung in dieser Frage ringen und in denen es in der Tat auch viele Mitglieder gibt, die die Hoffnung haben, daß wir nach einer Übergangszeit einmal ohne Kernenergie leben können, und die in diesen Parteien dafür arbeiten.Für uns Sozialdemokraten ist dies und die Tatsache, daß wir das aus der Parteidiskussion hier ins Parlament bringen, ein wichtiger Bestandteil unserer Art und Weise, Politik gesellschaftlich zu verankern und diese Politik nicht losgelöst — Sie können ja sogar einen Kanzlerkandidaten ohne Einbeziehung der Parteien wählen — von den Parteien und der Bevölkerung zu machen.
Es ist schon bedauert worden, daß Herr Strauß hier zwar eine Debatte mit eröffnen kann, aber dann verschwindet. Weil er sich zu Schleswig-Holstein geäußert hat, muß ich als Schleswig-Holsteiner noch darauf antworten. Wir Schleswig-Holsteiner mögen es nicht, wenn die Herren, die uns angegriffen haben, weggehen. Da heißt es, in Kiel habe die SPD ein Landtagswahlprogramm vorgelegt. Der Bundeskanzler hat in der Tat erklärt, daß er es respektieren werde, wenn eine gewählte schleswigholsteinische Landesregierung erkläre, weitere Kernkraftwerke würden nicht gebaut. Wir haben hier häufig über Föderalismus geredet, und ich frage Sie: Was ist denn eigentlich mit Ihren föderalistischen Prinzipien los? Wenn man in den Ländern entscheiden will, ob, wann und wie viele Kraftwerke und welche Art von Kraftwerken man baut, so kann z. B. Nordrhein-Westfalen entscheiden, welche Kraftwerkspolitik es betreiben will. Für den Fall, daß wir in Schleswig-Holstein gewonnen hätten — leider haben wir es nicht —,
hätten wir auch entschieden, welche Kraftwerkspolitik wir betrieben hätten.
Aber ich darf Ihnen sagen, die Mehrheit der Schleswig-Holsteiner hat nicht für Brokdorf gestimmt. Die Mehrheit der Schleswig-Holsteiner — das hat Herr Stoltenberg auch erkannt — wollte Brokdorf nicht. Herr Stoltenberg ist nach der Wahl auch sehr viel nachdenklicher geworden. Es wäre gut, wenn auch Herr Strauß das registrieren würde.
— Meine Herren, wir führen hier jetzt die- Gipfeldebatte. Aber ich bin gern bereit, einmal länger über Regionalpolitik in Schleswig-Holstein und über den Bau von Kraftwerken — Kohlekraftwerken, Kernkraftwerken — in Schleswig-Holstein zu sprechen. Aber nehmen Sie bitte diesen Punkt zur Kenntnis! Wenn Herr Strauß noch hier wäre, hätte man darüber noch ausführlicher streiten können. Nur, ich finde, es ist schlechter Stil, hier etwas einzuführen und dann bei der Erörterung nicht mehr anwesend zu sein.
Meine Herren, zu diesen Fragen, die in unserer Partei gestellt werden, die wir auch hier im Parlament, Herr Biedenkopf, gestellt und einvernehmlich in einem Beschluß verdichtet haben, mit dem wir die sogenannte Enquete-Kommission Zukünftige Kernenergiepolitik eingesetzt haben, bekennen wir uns. Die Bundesregierung begrüßt diese parlamentarische Kommission. Die Fraktionen von FDP und SPD begrüßen sie ebenfalls. Sie arbeiten in dieser Kommission zwar mit — ich darf als Vorsitzender sagen, daß wir einen guten Einstieg in die Arbeit gehabt und einstimmig ein Arbeitsprogramm verabschiedet haben —, bringen das aber hier leider nicht in die Debatte ein. Wenn wirklich ein Konsens herbeigeführt werden soll, genügt es nicht, sich mit vorgefaßten Meinungen zu übertreffen und einseitige Überzeugungsprozesse mit Konsensfindungsprozessen zu verwechseln.
Dafür muß man offener, wesentlich offener sein, so offen, wie wir es waren, als wir uns beispielsweise gefragt haben, ob die Nutzung der Kernenergie notwendig ist oder ob auf sie verzichtet werden könne, als wir uns gefragt haben, welche Kriterien und Maßstäbe für die Akzeptanz der Kernenergie und anderer Energieträger als wesentlich zu erachten sind und wie sie parlamentarisch umgesetzt werden können.
— Herr Lenzer, ich habe mir angesichts all der Zwischenrufe fest vorgenommen, auf diesen Zwischenruf einmal zu antworten; denn er ist ja häufig zu
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13380 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979
Ueberhorsthören. Wofür ich hier bin und streite, ist folgendes. Erstens. Es gibt eine Fülle — ich habe Ihnen soeben drei vorgelesen — berechtigter Fragen, die man zur Kernenergienutzung und zur Perspektive kritisch und engagiert stellen kann. Zweitens. Ich bin dafür, daß das hier ins Parlament gebracht und nicht immer nur draußen diskutiert wird.
Ich bin auch dafür, daß wir uns als Volksvertretung hier dazu bekennen, daß wir nicht neben diesem Volk, sondern als Teil desselben existieren, so daß sich die Meinungen hier auch wiederfinden können.
Drittens. Ich bin dafür, daß diese Fragen wirklich konsensorientiert behandelt werden, daß hier jeder ohne Gesichtsverlust mitarbeiten kann. Denn sonst werden wir nie einen Konsens zustande bringen, sondern bestenfalls Mehrheiten bilden. Das aber ist, wie auch Herr Biedenkopf hier betont hat, angesichts der Notwendigkeit, eine breite Übereinstimmung zu erzielen, zu wenig.
Ich komme jetzt zu dem Teil, der von Herrn Albrecht als zentraler Punkt in dieser Debatte eingeführt worden und der auch in der Tat sehr wichtig ist. Vielleicht behalten wir diese Fragestellung im Auge — Konsensfindung, Verhältnis der Partei zum Bürger, des Menschen zur Politik, der Politik zur Technik —, wenn wir uns jetzt der aktuellen Entsorgungspolitik und der Gorleben-Politik zuwenden.
— Herr Pfeffermann, vielleicht hören Sie zu.
Historisch ist es so — das sollte man sich bewußtmachen, das ist eine ernsthafte Feststellung —, daß wir in eine Situation „hineingewachsen" sind, in der weltweit Kernkraftwerke genutzt werden, ohne daß das Entsorgungsproblem bisher in einem Land der Welt so gelöst ist, daß eine Endlagerung des Atommülls realisiert ist. Das empfinden draußen viele Menschen, insbesonders junge Menschen - und ich hoffe, wir alle — als eine historische Hypothek. Es war daher gut, daß wir in der 7. Legislaturperiode des Bundestages — in vielen Diskussionsbeiträgen ist das unterstrichen worden — das sogenannte Entsorgungsjunktim entwickelt, daß wir uns bewußtgemacht haben, daß wir die Nutzung der Kernenergie u. a. an eine sichere Entsorgung binden müssen.Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung im Dezember 1976 erklärt, daß die Errichtung neuer Kernkraftwerke nur noch dann genehmigt werde, wenn ihre Entsorgung hinreichend sichergestellt sei; bei schon im Bau oder in Betrieb befindlichen Anlagen müsse die gesicherte Entsorgung in angemessener Frist nachgewiesen werden. Der Bundestag hat — mit der Mehrheit von SPD und FDP — zuletzt am 14. Dezember 1978 unterstrichen, daß eine Neugenehmigung von Kernkraftwerken von dem Nachweis einer sicheren Entsorgung abhängig zu machen sei. Der Bundesinnenminister hat das in all seinen entsorgungspolitischen Stellungnahmen ebenfalls unterstrichen. Er hat auch darauf hingewiesen, daß das Parlament zu Recht eine parlamentarische Überprüfung der ausländischen Entsorgungsverträge erwarten dürfe, und erklärt, er werde im Zusammenhang mit der Entsorgungsvorsorge keine Absprachen mehr honorieren, die sich auf Cogema-Verträge stützen, solange das Parlament nicht Einblick in diese wichtigen Verträge bekommen hat.Es sollte eigentlich für uns alle nachvollziehbar sein — Konsens! — so wie es die Bürger empfinden, daß hierin ein politisches Prinzip steckt, eine Rationalität, die uns abverlangt, daß wir an diesem Prinzip der gesicherten Entsorgung als Voraussetzung zum Bau neuer Kernkraftwerke sehr sorgfältig festhalten.
Es gibt keinen Grund, von diesem Entsorgungsjunktim abzuweichen.Jetzt möchte ich mich Herrn Albrecht widmen, wobei das angesichts der Komplexität der Erklärungen und Darstellungen, glaube ich, auch nur differenziert geschehen kann. Ich meine, Herr Albrecht hat viele gute Ansätze in die Entsorgungspolitik hineingebracht. Herr Albrecht hat gesagt, wir müßten, wenn wir über eine solche Technologie entscheiden wollten, Pro und Contra, insbesondere auch Kritiker hören und abwägen. Er hat ferner gesagt, hier dürfe nichts überhastet werden, es müsse alles mit Sorgfalt entschieden werden. Er hat darauf hingewiesen, daß die Bevölkerung in der Region Lüchow-Dannenberg ständig informiert werden und an dem Entscheidungsprozeß teilnehmen können müsse. Er hat schließlich auch noch einmal das notwendige hohe Ausmaß an Gemeinsamkeit bei der Entscheidung dieser Fragen betont.Nun war ich angesichts dieser Maßstäbe, die Sie aufgestellt haben, Herr Albrecht — ich glaube, es sind die wichtigsten —, sehr gespannt auf das, was Sie vortragen würden. Sie haben erklärt, das sei eine moralische Entscheidung. Ich glaube in der Tat, daß Sie mit diesem Anspruchsniveau richtig liegen. Aber Sie treffen uns nicht, wenn Sie sagen, Ihnen werde fehlender Mut vorgeworfen, Sie würden kneifen. Ich stelle mir vielmehr die Frage, ob Sie sich eigentlich richtig in die Menschen hineindenken, ob Sie die richtigen Konsequenzen aus den Gesichtspunkten ziehen, die Sie angeführt und die Sie dazu bewogen haben, Ihre Entscheidung zu treffen. Wir müssen doch alle miteinander sehen: Nicht nur in der Region Lüchow-Dannenberg, sondern bundesweit — das hat Herr Laermann schon angespro-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979 13381
Ueberhorstchen — haben die Bürger doch zum Teil Fragen und Bedenken, die wir hier ohne jede Schwierigkeit aufnehmen und diskutieren könnten. Wenn man z. B. sagt, ein Salzstock solle angebohrt werden und solle erkundet werden, dann müssen wir vorher wissen, nach welchen Kriterien dies erfolgt, damit man hinterher im Zusammenhang mit den Ergebnissen darüber auch vernünftig diskutieren kann.Wenn man sagt, bei der Einschaltung von Wissenschaftlern, die diese Prozesse untersuchen und diese ökologisch-regionalwirtschaftlichen oder andere Gutachten machen sollen, sollten keine Prüfer beauftragt werden, die ihrerseits im Verdacht stehen, mit der Kernenergie verflochten zu sein, so ist das ebenfalls ein rationaler Gesichtspunkt von Bürgern. Wenn die Bürger sagen „Es kann dort nichts gebaut werden, bevor die Geeignetheit des Standorts, d. h. auch des Salzstocks, nachgewiesen ist", weil wir ja ein integriertes Konzept wollen, so ist das ein rationaler Gesichtspunkt.
Herr Kollege, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Ich sehe, daß ich zum Schluß kommen muß. Dann muß ich dies leider abrunden, weil wir in dieser Debatte heute morgen schon sehr viel Zeit genutzt haben.
Herr Albrecht — nehmen Sie es mir bitte nicht übel, ich hoffe, daß wir eine andere Gelegenheit haben, das zu diskutieren -, wenn ich dies verdichte aus der Fülle der Bedenken und Fragen, die Sie ernst genommen haben, dann meine ich, daß Sie einen fundamentalen Fehler gemacht haben, der zu zwei falschen Resultaten führt. Sie kommen von einer Moral, dann gehen Sie den langen Weg der parteipolitischen Pluspunktesammler und kommen mit Ausfällen gegen die SPD und die FDP. Sie kommen zu einem Ergebnis, das — und das macht mir Sorgen — entsorgungspolitisch opportunistisch erscheint.
Ich habe bei Ihnen nicht heraushören können, daß Sie es mit dem Entsorgungsjunktim weiterhin ernst meinen.
Ich habe deshalb auch nicht heraushören können, ob Sie vielleicht einen Zubau von Kernkraftwerken zulassen wollen, ohne daß die Entsorgung realisiert wird.
Meine Damen und Herren, ich nehme an, daß mit diesem kurzen Beitrag ein bißchen deutlich geworden ist, daß wir hier nicht nur Konsenskataloge aufstellen müssen. Wir müssen uns auch darüber klarwerden, wie wir miteinander umgehen. In der Tatsache, daß man in einer Sekunde 20 Zwischenrufe gleichzeitig beantworten soll, wird auch deutlich, wie Sie den Konsens finden wollen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zywietz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist wieder Stimmung eingekehrt. Insofern scheint der Beitrag des Vorredners gar nicht so verkehrt gewesen zu sein.Ich wollte aus einem anderen Blickwinkel heraus etwas zu dem Thema der Energiepolitik, das ja zu einem Fortsetzungsthema mit dem Spitzenplatz Nummer eins geworden ist, in dieser Phase der Debatte hinzufügen. Die Bedeutung der Kernenergie für die nationale und internationale Situation ist hier deutlich dargelegt worden. Bei diesem Stand der Debatte habe ich versucht, mich die ganze Zeit zu fragen, was wir eigentlich als Koalitionsfraktion, als Liberale verkehrt gemacht haben. Diese Frage stellt sich mir angesichts Ihrer Debattenbeiträge und angesichts des Antrags, der die Grundlage dieser Debatte bildet.Da kann ich nichts Rechtes finden. Sie haben Vorwürfe erhoben, aber keine Vorschläge gemacht. Das muß eigentlich in der Tendenz ein Beweis dafür sein, daß es so viel an der Energiepolitik dieser Koalition, dieser Regierung gar nicht auszusetzen gibt.
— Diesen Zwischenruf habe ich schon so oft gehört; er ist nicht sehr originell.
Ich möchte ein wenig auf die Vorwürfe eingehen, die von Ihnen sowohl schriftlich als auch hier in der Debatte vorgebracht wurden. Sie sprachen erneut — und das ist wirklich ein alter Hut; anders kann man es nicht nennen — von der Handlungsunfähigkeit der Koalition. Wievielmal sind Sie eigentlich schon eines Besseren belehrt worden, in wieviel energiepolitischen Debatten hier?
Es wurde von „verbummelter Zeit" gesprochen. Zeigen Sie mir ein Land, eine Regierung, die seit 1973 so gut strukturiert und so folgerichtig Energiepolitik betrieben hat wie diese Koalition! Das habe ich seit 1973 hier selbst miterlebt.
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13382 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979
ZywietzZeigen Sie mir eine Regierung, eine Koalition, die auf diesem Gebiet mehr darzulegen hat!
Die Kritik an den Vereinigten Staaten von Amerika — aus meiner Sicht zu Recht — ist von Ihnen, Kollege Narjes, und, ich glaube, auch von Herrn Professor Biedenkopf dargelegt worden: was da alles versäumt worden ist. Das ist nun wirklich kein Beispiel für eine gelungene Energiepolitik, an der wir uns hier messen lassen müssen.
— Wir sehen schon ganz gut, auch ohne Brille, wenn es sein muß, auch mit einem Auge. Unser Erkenntnisstand ist da nicht der schlechteste.Ein weiterer Vorwurf: Außenpolitik, Nahostpolitik sei vernachlässigt worden. Konkret ist es allerdings nicht erfolgt. Wieviel Mühe hat die Koalition, hat die Regierung darauf verwandt, im europäischen Rahmen, im Gespräch mit den Staaten der OPEC, jetzt auf dem Gipfeltreffen mit den Vereinigten Staaten Grundsätze der Energiepolitik, auf die wir uns hindiskutiert haben, auf die wir unser Programm festgelegt haben, auch in die internationale Praxis verstärkt einzuführen!Dann heute morgen der Vorwurf von der Bundesratsbank, aber auch hier aus dem Plenum, in manchen Bundesländern sei man alleingelassen worden, in Niedersachsen und auch in Schleswig-Holstein, so habe ich das noch im Ohr. Da muß ich wirklich sagen: Wer ist womit in Schleswig-Holstein alleingelassen worden? Der bessere Stil, der hier von einigen Vorrednern auch aus Ihren Reihen zitiert worden ist — ich denke an Herrn Kollegen Biedenkopf — ist in der Frage Brokdorf von der CDU-Landesregierung in Schleswig-Holstein doch nun wirklich nicht gepflegt worden. Sie wollen das jetzt hier mit Zeitverzögerung als Ihr Anspruchsniveau darlegen. Da hat niemand aus Bonn Standort und Stil des Umgangs mit der Bevölkerung vorgeschrieben. Die einstweilige Anordnung ist allein die stilistische Entscheidung der Landesregierung in SchleswigHolstein. Das muß man in diesem Zusammenhang einmal sehr deutlich sagen, wenn das schon so hingespielt wird.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Gerne.
Herr Kollege, wenn Sie hier schon die Landesregierung von Schleswig-Holstein heranziehen und von stilistischen Fragen sprechen, würden Sie mir dann sagen, ob Sie in der Sache selbst, daß dieses Land ausreichend mit Energie versorgt werden muß, mit uns übereinstimmen?
Daß das Land mit Energie ausreichend versorgt werden muß, ist eine bare Selbstverständlichkeit.
Aber auf die parlamentarischen Anfragen — auch der FDP-Landtagsfraktion —, wie eigentlich das Zahlenbild aussieht, sind wirklich nur sehr zaghafte und ungenaue Informationen gegeben worden. Da kann ich Ihnen reihenweise die Protokolle zur Verfügung stellen. Bevor man ökonomisch etwas unternimmt, muß man auch der Bevölkerung und dem Parlament einen solchen Zahlenspiegel der Notwendigkeit darlegen. Das ist nur die eine Seite des Problems. Selbst die haben Sie in Schleswig-Holstein nicht zufriedenstellend gelöst.
— Das ist total verkehrt — —
Ich habe mir die Mühe gemacht — ich weiß nicht, wie weit Sie in die Sache eingedrungen sind, Kollege Narjes —, das in Schleswig-Holstein zu überprüfen. Ich will Ihnen da gern meine Unterlagen zur Verfügung stellen. Aber eigentlich sollten Sie sie haben.
— Ihre Reaktion zeigt eigentlich nur, daß da ein wunder Punkt getroffen wurde.
Das ist das einzige, was ich daraus schließen kann.
Ein Blick auf Niedersachsen! Der Beitrag von Herrn Ministerpräsident Albrecht zur Sache war ja sehr viel ausgesuchter und präziser und nicht so ein Ritt durch die Zettelkastenstichworte, wie ihn Herr Kollege Strauß hier gemacht hat. Aber auch seine Einlassungen zu der Entsorgungsfrage haben nach meiner Meinung einen Schwachpunkt. Ich versuche, mir — wenn auch noch ohne abschließendes Ergebnis — die Frage — und sie wird ja auch in unserer Partei sehr intensiv gestellt — nach Entsorgung mit Wiederaufbereitung, Chancen und Möglichkeiten, Sinnhaftigkeit der Entsorgung ohne Wiederaufbereitung besser zu beantworten. Das ist voll akzeptiert. Das erwartet auch der Bürger. Nur, zu sagen, Sie halten es für richtig und für machbar, aber es politisch nicht durchzuführen, diese Begründung zu akzeptieren bin ich allerdings nicht bereit, weil das ein etwas zu billiges und zu taktisches Wegspielen der Problematik ist und auch in Widerspruch zu
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979 13383
Zywietzder Auffassung von Politik steht, die ich im groben aus Ihrem eigenen Buch habe entnehmen können. Wenn Sie es für richtig halten, müssen Sie auch den politischen Willen haben. Sie haben die Mehrheit, diese Frage auch durchzusetzen. Dann sollten Sie diesem A auch das B hinzufügen. Dann wäre es in dieser Sache vom Verfahren her, vom Verhalten her glaubwürdiger, wie ich meine.
In der gesamten Diskussion, wie sie sich heute für mich dargestellt hat, stehen wir erneut vor dem Abtasten der Bedarfsentwicklung und der Frage, wie wir dem durch entsprechende Energiedarbietung gerecht werden. Für mich und für die FDP ist deutlich geworden, daß es keine Alternative, keine besseren Vorschläge zu den Stichworten der zweiten Fortschreibung des Energieprogramms gegeben hat. Wir haben insbesondere mit Blick auf die Ölthematik und die Beschlüsse von Tokio gesagt, daß bevorratet werden müsse, daß Energie rationell verwendet werden müsse, und wir haben gesagt, daß die heimische Energie besonders gefördert und eingesetzt werden müsse. Das alles ist geschehen. Wir haben den nichtnuklearen Bereich in einer Weise gefördert, der Sie in der Vergangenheit so deutlich nicht gefolgt sind. Wir haben uns auch bemüht, eine Politik weg vom Öl oder, besser gesagt, hin zu weniger Öl zu betreiben.Herr Kollege Narjes, Ihre Wortprägung, wir müßten die Nachölgesellschaft vorbereiten,
die Nachölwirtschaft vorbereiten, betrachte ich als ein Stück zu derb und zu verführerisch. Angesichts der Ausgangssituation, daß das Öl jetzt über 50 % des Energiebedarfs abdeckt, stellt sich nicht die Frage, jetzt auf ein Drittel oder ein Viertel zu kommen. Nachdem wir jetzt einen Anteil von über 50 % haben, werden wir, wenn wir uns zehn Jahre lang sehr viel Mühe machen, auf einen Anteil um die 50 % oder knapp unter 50 % kommen. In der Zwischenzeit bleibt die Frage, was man tun kann, um diesen Ölfluß sicherzustellen. Da haben wir es mit den OPEC-Staaten und deren innenpolitischer Situation zu tun.Wenn wir uns jetzt fragen, welche Erfahrungen wir machen mußten, welche Ereignisse es im letzten halben oder Dreivierteljahr gegeben hat, vor deren Hintergrund wir die bisher praktizierte Energiepolitik überprüfen können und müssen, so ist dort einmal Harrisburg. Das war kein Unfall, setzt aber immerhin ein Zeichen für eine wachsende Skepsis in der Bevölkerung und zeigt, daß für die Sicherheit in diesem Bereich, wenn auch auf gutem Niveau, noch mehr getan werden muß. In Verlängerung dieses Gedankens hat auch die Diskussion über die Entsorgung aus der Sicht des Bürgers zu Recht, wie ich meine, eine verstärkte Aktualität bekommen.Wir haben weiter die Erfahrung der Unterbrechung der Öllieferungen aus dem Iran machen müssen. Ich ziehe daraus den Schluß, da wir diesen Ölfluß nicht befehlen können, daß wir eine Politikeinleiten und unterstützen müssen, die in diesen Staaten innenpolitische Entwicklungen unterstützt, die nicht zu Umbrüchen, zu schwer kalkulierbaren Verwerfungen führen. Diese Koalition und diese Regierung versuchen, eine solche Außenpolitik zu betreiben. Vielleicht sollten wir sie mit Blick auf die innenpolitische Situation mancher dieser Staaten noch verstärken.Im Volksmund gibt es das Wort, man diene seinen Interessen immer dann am besten, wenn man einem anderen so gut wie möglich helfe. Vielleicht gilt dies auch im Hinblick auf die innenpolitische Situation mancher OPEC-Staaten oder der ölproduzierenden und ölliefernden Staaten überhaupt. Je mehr wir uns auf deren innenpolitische Situation einstellen und für eine gedeihliche Entwicklung dort sorgen, desto sicherer sind diese 50 % Öl, die wir dringend brauchen, und die wir trotz aller Notwendigkeit nicht kurzfristig merklich vermindern können.In diesen Zusammenhang gehört auch die Erfahrung, daß die Energiemärkte, und zwar nicht allein der Ölmarkt, sondern auch der Markt für Gas, weltweit in eine immer stärkere Politisierung geraten. Unsere politische Vorsorge für diesen Bereich ist also richtig angesetzt.Wir haben hier im Plenum von diesem Pult aus das zentrale Stichwort der rationellen Energieverwendung in die Diskussion eingeführt. Von Ihrer Seite wurde dies mit Lächeln oder kaum verhülltem Hohn bedacht. Jetzt sehen wir, wie richtig es war, daß wir dieses Stichwort gegeben haben. Ohne die Dominanz der rationellen Energieverwendung kann man in die Zukunft hinein gar keine sinnvolle Energiepolitik mehr betreiben. Wir müssen diesen Weg mit Konsequenz und Konzept gehen, um alle Möglichkeiten voll ausschöpfen zu können. Die rationelle Energieverwendung ist die sicherste und ergiebigste Möglichkeit, Energie einzusparen. Wir stehen hier am Anfang einer Entwicklung, die noch um einiges verstärkt werden muß und, wie ich meine, im Bereich der Energieerzeugung, des Energietransports, der Energieverwendung im Verkehr, in den Haushalten und in allen anderen Verbrauchsbereichen auch verstärkt werden kann. Ich meine mit Blick auf die Praktiken der Mineralölkonzerne und mit Blick auf den Ölmarkt, wo es, auch zeitlich, am stärksten zwickt, es ist angebracht, konstruktive Lösungen zu erarbeiten, um in einigen Marktbereichen, wie z. B. auf dem Wärmemarkt, Marktnischen zu schaffen, indem die Verwendung von Öl durch den Einsatz ergänzender, nichtnuklearer Energieträger ersetzt wird. Eine Substitution schweren Heizöls durch Kohle ist — bildlich gesprochen — auch für einige andere Bereiche des Wärmemarktes nach meiner Auffassung nötig und auch möglich und bedarf daher der aktiven und ideenreichen Unterstützung der multinationalen Gesellschaften.Es wird für unsere Versorgung mit Öl wichtig sein, im weiteren Vollzug einer Politik der rationellen Energieverwendung auch die Unternehmen noch stärker zu motivieren, ihre Raffineriestrukturen so anzupassen, daß mehr Mitteldestillate und mehr
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13384 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979
Zywietzleichte Fraktionen, Benzin, hergestellt werden können, weil diese Energieträger auf geraume Zeit wohl am schwersten zu ersetzen sein werden. In anderen Bereichen ist ein Ersatz möglich, aber hier geht es um eine Frage der Raffineriestruktur, die in den letzten vier bis fünf Jahren erhebliche Fortschritte gemacht hat, was die Steigerung der Konversionskapazitäten von 20 auf 30 Millionen Jahrestonnen anbelangt. Die von uns eingeleitete Politik wird noch verstärkte Anstrengungen erfordern.Ich möchte abschließend in Ergänzung des Gedankens einer rationelleren Energieverwendung — das wird von der FDP als außerordentlich wichtig erachtet — anregen, in den Analysen, die wir in der Kommission zweifelsohne vornehmen müssen, die Notwendigkeit einer Erhöhung der Flexibilität in bezug auf die Produktionsstrukturen, aber auch in bezug auf den Verbraucherbereich, zu berücksichtigen. Wir sehen jetzt, daß sich viele Bürger überlegen, ob sie neben ihrer Ölheizung eine Solaranlage benutzen sollen. Die Bürger in ländlichen Gebieten überlegen sich, ob sie zusätzlich auch normale Kohlefeuerungsanlagen betreiben sollen. Hier ergibt sich — auch für den industriellen Bereich — nach meinem Dafürhalten eine ganze Menge von Möglichkeiten, eine noch bessere Vorsorgepolitik zu betreiben, als das auf Grund des von der Regierung und den Liberalen erstellten Konzepts bisher der Fall war. Diese Politik halten wir für richtig. Wir konnten nicht erkennen, daß die Opposition auch nur einen einzigen originären Beitrag erbracht hätte.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf der heutigen Tagesordnung steht ein Antrag der Opposition zur Sicherung der Energieversorgung. Die Fragen, die sich in diesem Zusammenhang gegenüber dem ambivalenten und schwankenden Verhalten der niedersächsischen Landesregierung stellen, sind allerdings bei diesem Antrag sorgfältig ausgespart worden.Ihre beiden heutigen Hauptredner, die beiden Herren Ministerpräsidenten aus Hannover und München, haben sich keinerlei Mühe gemacht, den Antrag der gemeinsamen Fraktion zu behandeln.
Diese beiden bisherigen Aspiranten auf die Kanzlerkandidatur Ihrer Partei, die Herren Albrecht und Strauß, haben dagegen heute morgen von sich aus wortreiche und zum Teil polemische Vorträge gehalten, die Angriffe auf die Bundesregierung enthielten. Danach waren sie entschwunden. Ich habe deshalb um 14 Uhr, d. h. zu einem Zeitpunkt, als die CDU/CSU-Fraktion noch genau durch sieben Kollegen besetzt war, den Kollegen Jenninger, den Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, darauf hingewiesen, daß ich die Absicht hätte, am Schluß dieser Debatte für die Bundesregierung die Schlußfolgerungen zu ziehen, und daß ich dabei nicht würdeumhinkönnen, auf die Herren Albrecht und Strauß einzugehen.
Daß daraufhin Herr Ministerpräsident Albrecht zurückgekehrt ist, ehrt ihn genauso, wie es die Fraktion der CDU/CSU ehrt, daß sie inzwischen wieder etwas stärker besetzt ist.
— Ich spreche in dem Stil, der mir gemäß ist, und Sie schreien in dem Stil, der Ihnen gemäß ist.
— Sie schreien in dem Stil, der Ihnen gemäß ist.
Als ich mich mit dem Herrn Kollegen Jenninger in Verbindung setzte, habe ich die Präsenz aller drei Bundestagsfraktionen durchgezählt. Da ergab sich — wenn Sie es denn hören wollen — eine Mehrheit von 50 : 7 — falls Ihnen das genügen sollte.
Ich verzichte gegenwärtig auf Richtigstellungen der in „Spiegel"-Manier von beiden Herren verfälschten Wortzitate, die man mir in den Mund gelegt hat, mit einer einzigen Ausnahme, und zwar der Ausnahme — —
— Ich jedenfalls, der ich heute morgen gesprochen habe, habe die ganze Debatte mit einer Ausnahme von 20 Minuten Mittagspause hier sorgfältig verfolgt.
Es würde sich auch für die Herren Albrecht und Strauß gehört haben, die Debatte sorgfältig zu verfolgen.
Jemand, der selber gesprochen hat, kann nicht gehen, ohne die Replik anzuhören.
In einem Falle muß ich aber richtigstellen, was Herr Albrecht gesagt hat. Er hat mir ein angebliches Zitat unterstellt, was meine früher getanen öffentlichen Äußerung zu Brokdorf angeht. Herr Ministerpräsident, meine Äußerungen waren immer gleich und immer die folgenden — das hat eben schon Herr Ueberhorst in anderem Zusammenhang, aber nicht Ihnen gegenüber, gesagt —: Wenn dort in Brokdorf ein Kohlekraftwerk statt des bisher vorgesehen gewesenen Kernkraftwerks gebaut werden
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979 13385
Bundeskanzler Schmidtsollte, so werde die Bundesregierung nichts dagegen einzuwenden haben, sondern dies respektieren.
Wie hätte ich denn eigentlich auch anders sprechen können auf der Basis des Energieprogramms und seiner Fortschreibung durch die Bundesregierung, die den Kohlekraftwerken die Priorität gibt?
Dies mußte meine Einstellung sein, in voller Übereinstimmung mit dem von mir mit herbeigeführten, beschlossenen und einschließlich des heutigen Tages und der nächsten Monate und Jahre vertretenen Energieprogramm der Bundesregierung und seiner Grundlinien.Ich befinde mich auch mit allen anderen Teilen des Energieprogramms der Bundesregierung in allen meinen öffentlichen Äußerungen immer im Einklang, wie ja auch die ganze Bundesregierung daran festhält.Vielleicht darf ich aber dem Herrn Ministerpräsidenten Albrecht sagen, daß jemand, der wie er es getan hat — und ich respektiere das —, für sich in Anspruch nimmt, auf Ängste in Niedersachsen und auf die öffentliche Meinung dort Rücksicht zu nehmen und Rücksicht nehmen zu müssen und zu wollen, solche Rücksichtnahme auf Ängste anderer auch als legitimes, als wünschenswertes Verhalten anderer Politiker seinerseits respektieren muß.
Es hieße, mit zweierlei Maß zu messen, wenn das, was in Niedersachsen als staatsmännische Tugend dargelegt wird, woanders als Entscheidungsunfähigkeit denunziert würde.
Der Herr Ministerpräsident hat sodann auf Meinungsverschiedenheiten innerhalb der beiden Bonner Regierungsparteien und -fraktionen hingewiesen. Dies ist ein zutreffender Hinweis gewesen. Ich weiß nicht, ob damit ein politischer oder moralischer Vorwurf impliziert gewesen soll. Jedenfalls muß man, Herr Ministerpräsident, aufpassen, daß man sich nicht — Herr Genscher hat Ihnen das, nach meinem Gefühl zu Recht, entgegengehalten — in die Lage bringt, wo einem zugerufen werden muß, es handle sich um eine Politik nach dem Motto „Haltet den Dieb!". Ist denn etwa die CDU/CSU mit der Grundhaltung der niedersächsischen Landesregierung, die ich als opportunistisch bezeichnen muß, einverstanden?
Hat nicht etwa der Minister der Landesregierung von Niedersachsen, Herr Professor Pestel,
wiederholt öffentlich ganz anders gesprochen als Herr Albrecht heute hier?
— Lieber Herr Abgeordneter Kohl, darauf wird Herr Ministerpräsident Albrecht ja antworten können; das können Sie von Mainz her nicht so gut beurteilen. Das kann er aus Hannover selbst beantworten.
Hat nicht der Herr Ministerpräsident Albrecht in Sachen Gorleben sich ganz anders, als Herr Strauß und als andere aus Ihrer Fraktion es für richtig halten, entschieden? Soll das auch unwahr sein?
Und hatte etwa Herr Albrecht die Zustimmung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, als er empfohlen hat, das integrierte Entsorgungskonzept aufzugeben? Zuerst hat er gesagt, man solle darauf verzichten, später hat er gesagt, es solle nicht weiterverfolgt werden. Und hatte er Ihre Zustimmung, als er zweitens — wörtlich so im niedersächsischen Landtag — die Wiederaufarbeitungsentscheidung auf eine spätere Generation zu verschieben vorgeschlagen hat? Hatte nicht seine eigene Landesregierung gemeinsam mit der Bundesregierung die heute noch geltenden Entsorgungsgrundsätze beschlossen? Das war ja wohl zu Zeitpunkten, wo andererseits aus derselben Landeshauptstadt noch exotische Pläne öffentlich gewälzt wurden, ob man nicht den Atommüll nach Grönland, nach Labrador oder sonst wohin bringen könnte?Ich werfe niemandem vor, daß er im Laufe seiner eigenen Befassung mit diesem Stoff viel hinzugelernt hat — jedenfalls habe ich eine ganze Menge hinzugelernt —, aber ich finde auch nichts dagegen einzuwenden, Herr Ministerpräsident, wenn es in den politischen Parteien — wie es in Ihrer Partei geschieht und Ihre Person betrifft — zu den einzelnen Fragen Meinungsverschiedenheiten gibt, wie ich sie für Ihre Landesregierung — eine Einparteienregierung — in Erinnerung gerufen habe. Ich meine nur, wenn man sich selbst in einer solchen Lage befindet, darf man nicht so tun, als ob andere moralisch zu disqualifizieren wären.
Der Ministerpräsident von Niedersachsen hat heute eine Änderung des Atomgesetzes verlangt, um seine Landespolitik der Kurswechsel, der Wendigkeit, der schlauen Ausreden — so möchte ich beinahe sagen —
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13386 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979
Bundeskanzler Schmidtund der Finten gesetzgeberisch abzudecken. Er hat sich zu der Aussage verstiegen, wir seien zu feige, eine solche Gesetzesänderung einzubringen. Der vom Grundgesetz vorgesehene Weg, Herr Ministerpräsident, ist, daß Sie im Bundesrat einen Initiativgesetzentwurf einbringen und versuchen, dort eine Mehrheit zu erlangen.
Da ich mich im Augenblick mit der sicher eindrucksvollen und in vielen Punkten zustimmungswürdigen Darlegung des niedersächsischen Ministerpräsidenten beschäftige, will ich doch die Frage stellen,
warum Sie bei Ihrer Darstellung der Lage, Herr Ministerpräsident, nicht die Ergebnisse Ihres Besuches bei der französischen Staatsregierung dargelegt haben. Sie haben sich darüber ja im Fernsehen geäußert. Ich erfuhr auf diese Weise von diesem Besuch.Ich habe mich natürlich bei der französischen Regierung erkundigt, wie Ihre Unterhaltung über das Entsorgungsthema mit der französischen Regierung verlaufen ist.
— Es ist ja wohl etwas Normales, daß die deutsche Bundesregierung, wenn eine uns verbündete und befreundete Nachbarregierung einem deutschen Landesregierungschef etwas sagt, sich danach erkundigt; denn vielleicht ist es für uns wertvoll.
Herr Albrecht hat keine Veranlassung genommen, die Bundesregierung über die Ergebnisse seines Gesprächs zu unterrichten. Wir haben uns selbst unterrichtet. Wir haben festgestellt, Herr Ministerpräsident,
daß die französische Regierung Ihnen gesagt hat, Ihre Entsorgungspolitik gefährde die industrielle Zukunft Deutschlands und damit der ganzen Europäischen Gemeinschaft.
Das muß so nicht Ihre oder meine Meinung sein, das muß man nicht unbedingt akzeptieren.
Nur, wenn es so war und wenn Sie genauso wie der Ministerpräsident aus dem Freistaat Bayern hier antreten und große Panoramen über die Gesamtlage entrollen, muß ich fragen: Warum verschweigen Sie denn, daß Sie sich nicht nur in Ihrer eigenen Partei, sondern sogar innerhalb der EG inzwischen mit Ihrer Entsorgungspolitik in die Isolierung begeben haben?Meinungsverschiedenheiten in politischen Parteien sind in meinen Augen etwas Normales, auch in Regierungen, auch in Landesregierungen, auch in der CDU/CSU. Dafür braucht man sich zunächst nicht zu schämen. Es ist auch normal, daß Oppositionsfraktionen, ob in Landtagen oder im Bundestag, bei ihrer Kritik an der jeweiligen Regierung oder Regierungskoalition, die ihnen gegenübersitzt, auch mal ein bißchen zu weit gehen oder im Ausmaß über das Ziel hinausschießen. Auch das scheint mir ganz normal zu sein.
Aber daß die Regierung eines Bundeslandes ihren klaren gesetzlichen Pflichten ausweicht, ist neu, Herr Ministerpräsident. Und daß eine Landesregierung sodann sich dessen auch noch öffentlich berühmt, durch ihre Nichtentscheidung habe sie einer anderen Regierung, wie es wörtlich hieß, den Schwarzen Peter zugespielt, ist zwar ganz neu. Aber zugleich ist es ganz und gar zu schlau und zu leichtgewichtig, um meinen Respekt zu gewinnen.
Ihr Ministerpräsidentenkollege Herr Strauß hat uns ein großes allgemeines Lagebild entwickelt; manches davon war wirklich zustimmungswürdig.Nun ist er ja ohne Frage einer der wortreichsten und zugleich kompromißlosesten Verfechter der Kernenergie in unserem Land. Er hat auf diesem Feld vor 20 Jahren als Bundesminister für die friedliche Nutzung der Atomenergie debütiert. Er könnte sich heute als bayerischer Ministerpräsident Verdi enste auch um das weniger geliebte hintere Ende der von ihm geliebten Kernenergienutzung erwerben, wenn er sich um die Entsorgung bekümmern würde.
Der Brennstoffkreislauf — das muß ich dem bayerischen Ministerpräsidenten sagen — läßt sich nicht durch Bekenntnisse schließen, auch nicht durch markige Bekenntnisse,
sondern nur durch eigenes Handeln, auch wenn — so, wie die Dinge heute liegen — dieses Handeln nicht überall populär ist und wenn dazu Entschlußkraft und Entscheidungskraft gehören.
Ich habe den Herrn Ministerpräsidenten in meiner Regierungserklärung heute früh um 9 Uhr vor die Frage gestellt, ob denn nicht auch der Freistaat Bayern, der eine Kernkraftkapazität von rund 5 000 MW im Betrieb oder im Bau hat, es nötig habe, selbst bei einem noch kooperativeren Verhalten der niedersächsischen Landesregierung, was Gorleben angeht, für seine Kernkraftwerke ein Zwischenlager zu errichten. Sein Amtsvorgänger, Herr Ministerpräsident Goppel, hatte der Bundesregierung in dieser Richtung eine ernsthafte Prüfungszusage gegeben. Ich habe vor mehreren Monaten den Amtsnachfol-
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Bundeskanzler Schmidtger, Herrn Ministerpräsident Strauß, darauf hingewiesen. Ich habe heute morgen die Frage erneut gestellt. Sie haben alle gehört, daß Herr Strauß mit keinem Wort auf diese Frage einging. Graf Lambsdorff hat die Frage zu Beginn seiner Rede wiederholt. Wir sind auch heute nachmittag um 16.25 Uhr ohne Antwort durch den bayerischen Ministerpräsidenten. Und dies ist es eigentlich, was ich als doppeldeutig und zweizüngig empfinde, wenn ich gleichzeitig hier immer wieder Appelle an die Einmütigkeit hören muß.
Herr Strauß hat dann Spott
über das Treffen von sieben Staats- und Regierungschefs der größten westlich orientierten, demokratisch orientierten Industrieländer der Welt ausgegossen. Wenn er den Spott nur über mich ausgegossen hätte, müßte ich dies ertragen. Ich kann auch ertragen, daß er über meine sechs Kollegen den Spott mit ausgießt. Ich habe nur nicht gehört, weder vor dem Treffen in Tokio noch heute, also nachher, was Ministerpräsident Strauß statt dessen hätte wünschen wollen, das in Tokio hätte beschlossen werden sollen. Davon habe ich kein einziges Wort gehört.
Herr Ministerpräsident Strauß, Herr Ministerpräsident Albrecht, Herr Kollege Narjes und Herr Kollege Biedenkopf, alle vier müssen sich nicht vergewaltigt fühlen, wenn ich feststelle, daß keiner von ihnen — und ich habe sorgfältig zugehört — heute einen einzigen zusätzlichen konkreten Vorschlag zu meiner Ihnen vorgetragenen Regierungserklärung gemacht hat.
Sie haben uns auch in keinem Punkte aufgefordert, von den konkreten Punkten der Regierungserklärung etwas abzustreichen, weil Sie es für falsch gehalten hätten.
Ich gebe insoweit dem Herrn Kollegen Zywietz von der FDP, der unmittelbar vor mir sprach, vollständig recht.Vielleicht darf ich Ihnen am Schluß etwas aus der heute erschienenen Londoner Financial Times zitieren. Auf Seite 2 gibt es einen Aufsatz mit der Überschrift: „Strauß moves in to fill vacuum" ;
auf deutsch: „Herr Strauß füllt den Hohlraum aus".
— Ich hatte eigentlich gehofft, Herr Kollege Wehner, daß sich diese Assoziation einstellen würde, auch ohne daß ich es ausspräche.
Es handelt sich um den Hohlraum in der Führung der Unionsparteien. Es handelt sich auch um das Vakuum einer gemeinsamen energiepolitischen Gesamtvorstellung oder eines Programmes der CDU/ CSU. Allerdings hat die von Herrn Strauß herausgegebene Zeitung „Bayern-Kurier" vor drei Tagen geschrieben: „Strauß ist ein Programm", also in dem Sinne, mehr brauche man nicht. Allein, ich denke, dies kann doch wohl nicht ganz im Sinne des Herausgebers jener Zeitung gewesen sein. Denn sonst wäre ja die von ihm viele Male, öffentlich hörbar und lesbar, verlangte „Klärung von Sachfragen" zwischen CDU und CSU — er hat sie häufig genug verlangt, er hat sie aber bisher nicht erreicht — nicht notwendig, wenn Strauß allein als Programm ausreichte. Ich denke, Herr Ministerpräsident Strauß muß auf die Ängste der Menschen achten, die auch in der Sache Bescheid wissen wollen und die sich sicher wissen wollen, ehe sie seiner Person eine Blanko-Vollmacht geben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kohl.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Art und Weise, auf die der Herr Bundeskanzler vorzugehen beliebt, wenn er in einer Sachfrage nicht überkommt, wenn er drängende Fragen nicht beantworten kann, erzwingt hier wenigstens eine kurze Antwort.Herr Bundeskanzler, eine Vorbemerkung zu Ihrer berechtigten Rüge — die auch unsere Rüge ist —, daß bei wichtigen und großen Debatten die Präsenz im Deutschen Bundestag viel zu wünschen übrigläßt. Ich kann mich dieser Äußerung nur anschließen. Nur finde ich, Herr Bundeskanzler, Sie sind eines jener Mitglieder des Hohen Hauses, die am wenigsten dazu berufen sind, eine Rüge zu erteilen. Denn ich muß Ihnen gestehen: Ich gehöre nun 20 Jahre deutschen Parlamenten an, und ich habe noch nie einen Regierungschef in irgendeinem Parlament gesehen, der dieses Parlament, der das Hohe Haus so ausdrücklich und demonstrativ mit Verachtung straft, wie Sie das fortdauernd zu tun pflegen.
Herr Bundeskanzler, ich hätte dieses Thema heute nicht in die Debatte eingeführt, aber daß Sie den Mut haben, sich hier an dieses Pult zu stellen und so etwas nach all den Aufführungen auszusprechen, die viele von uns ertragen müssen, wenn wir Sie während großer Debatten auf der Regierungsbank beobachten, das ist schon ein ziemlicher Skandal.
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13388 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979
Dr. KohlHerr Bundeskanzler, Millionen Fernsehzuschauer haben während eines wichtigen Augenblicks in der Geschichte unserer Republik, bei der Vereidigung des Bundespräsidenten vor wenigen Tagen, erleben können, wie Sie sich in einem solchen Augenblick verhalten, wie Sie Zeitung lesen, wie Sie scheinbar Akten bearbeiten. Herr Bundeskanzler, ein Mann, der so wenig Gespür für die Würde des Augenblicks hat, ist nicht berufen, anderen Noten zu erteilen.
Herr Bundeskanzler, Sie mögen es für bedeutend und für einen Beweis Ihrer 'inneren Souveränität halten, wenn Sie sich von Ihrem Platz aus dem jeweils ungeliebten Redner demonstrativ entgegengesetzt darstellen und zeigen.
Uns oder mich berührt dies überhaupt nicht.
Nur habe ich die herzliche Bitte: Sprechen Sie nie von „beispielgebenden Formen" Ihrer Politik! Sie sind dazu gänzlich unfähig. Das ist die Erfahrung, die wir hier gemacht haben.
Zum zweiten: Herr Bundeskanzler, Sie haben eben darauf hingewiesen — heute früh haben Sie es anklingen lassen, und der Herr Kollege Genscher hat das auch getan —, daß in dieser wichtigen und zentralen Frage der Energiepolitik — und mein Freund Ernst Albrecht hat das ausdrücklich aufgegriffen und unterstrichen — —
— Ach Gott, lieber Herr Kollege, ich weiß wirklich nicht, ob wir jetzt die Probleme, die alle demokratischen Parteien haben, auch wir in der CDU/CSU, hier in dieser Weise behandeln sollten. Soll ich jetzt darstellen, was der Herr Wehner über den Herrn Brandt denkt und was Herr Brandt über Herrn Wehner denkt und was beide über Herrn Schmidt denken und was die meisten von Ihnen über Herrn Schmidt denken? Soll ich das Ihnen jetzt von dieser Tribüne aus vortragen?
Meine Damen und Herren, wir haben uns um die Energiepolitik zu bemühen, und wenn wir über die Energiepolitik reden, ist es, meine ich, wirklich — —
— Meine Damen und Herren, es stört mich überhaupt nicht, wenn Sie in dieser Form versuchen, dieDebatte zu stören. Das zeigt doch nur, daß Sie nicht fähig sind, eine solche Debatte über Fragen der Kernenergie konsequent durchzustehen.
Herr Bundeskanzler, Sie wissen so gut wie ich, daß es in der Frage der Sicherung der Energiebasis unserer Bundesrepublik Deutschland, und zwar auf jedem Felde dieser Energiepolitik, auch und insonderheit im Bereich der Kernenergiepolitik, die unabdingbare Voraussetzung für das Gewinnen einer sicheren Zukunft ist, daß wir zu einem Stück Gemeinsamkeit kommen. Ich habe in meiner Rede zu Ihrer Regierungserklärung zur Lage der Nation am 17. Mai 1979 dieses Angebot hier ausdrücklich gemacht. Mein Kollege Narjes hat Sie heute erneut darauf angesprochen. Glauben Sie im Ernst, daß die Art und Weise, wie Sie hier CDU und CSU ansprechen,
wie Sie einzelne Regierungschefs deutscher Bundesländer ansprechen,
ein Klima der Gemeinsamkeit schaffen kann?Ernst Albrecht muß sich notgedrungen und aus der Amtsverantwortung des niedersächsischen Ministerpräsidenten mit der konkreten Situation befassen, die er in seinem Land vorfindet und die ihn hier zum Handeln beruft.
Sie sagen in diesem Zusammenhang von der Haltung der niedersächsischen Landesregierung, sie sei ambivalent, schwankend, opportunistisch und finde schlaue Ausreden.
Herr Bundeskanzler, selbst wenn Sie so denken würden — Sie wissen, daß das rundherum blanker Unsinn und falsch ist —, frage ich mich, welche Vorstellung Sie eigentlich von der Würde Ihrer Gesprächspartner haben, wenn Sie in einer solchen Weise von genau jenem reden, dessen Hilfe und Unterstützung Sie brauchen, um das gemeinsame Ziel zu erreichen. Ich will es ganz nüchtern und ganz ruhig sagen: Das Geschäft des Amtes des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland ist schwierig.
— Welche Juso-Assoziationen müssen Sie in Ihren Köpfen haben, wenn eine solche Feststellung bei Ihnen zu einem solchen Ausbruch führt!
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979 13389
Dr. KohlAber gerade weil es so ist, weil wir Respekt vor dem Amt haben und weil wir, ob Regierung oder Opposition, auch die Pflicht haben, um unseres ganzen Landes willen die Dinge so gut zu befördern, wie wir es können, ist das ein Sprachgebrauch und eine Umgangsformel, die ganz und gar unerträglich sind. Sie wissen doch genau — Sie haben das in meinem Beisein im Kernenergierat laut und deutlich anerkannt —,
daß sich diese niedersächsische Landesregierung und der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht mehr als alle anderen um die Probleme bemühen, die uns heute hier bewegen, wie Entsorgungsfragen und Zwischenlager. Herr Bundeskanzler, warum haben Sie soeben nicht auch einmal eingeräumt, lobend erwähnt und deutlich gemacht, daß es Respekt verdient,
daß diese niedersächsische Landesregierung in ihrem Beschluß u. a, auch ein Zwischenlager angeboten hat, das weit über die Bedürfnisse Niedersachsens hinausgeht? Sie wissen, daß in diesem Beschluß ein wichtiges Stück politischer Klugheit enthalten ist, was in einer Zeit, die nicht zuletzt durch Ihre eigenen politischen Freunde in diesem Zusammenhang so aufgeregt geworden ist, einen Weg nach vorn weist.Herr Bundeskanzler, sie reden von Opportunismus. Ich muß Ihnen ganz offen sagen: Wenn ich mich an die Haltung Ihrer Partei und an Ihre eigene Haltung, etwa im Zusammenhang mit Schleswig-Holstein, erinnere, dann kann ich mir keinen blankeren Opportunismus vorstellen, als Sie ihn praktiziert haben.
Ich weiß, daß Sie das trifft, weil Sie sich genau am richtigen Punkt ertappt fühlen, weil Sie vor Wahlen bewährtermaßen immer ganz anders als nach der Wahl reden. Wir haben das vor der Bundestagswahl erlebt, und ohne diese Behauptungen vor der Wahl säßen Sie überhaupt nicht mehr auf Ihrem Stuhl. Das wissen Sie so gut wie ich.
Deswegen, meine Damen und Herren, kann ich Ihnen nur dringend raten: Lassen Sie solche Formulierungen sein! Die niedersächsische Landesregierung hat in ihrem Beschluß auch der Bundesregierung ein Angebot gemacht. Sie, Herr Bundeskanzler, sind diesem Angebot bisher mit der Formulierung begegnet, dort seien klare gesetzliche Pflichten gebrochen worden. Nun, Herr Bundeskanzler, es ist Ihre Aufgabe als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, politische Verhältnisse mit herbeizuführen, die eine nüchterne und ruhige Betrachtung dieser schwierigen Frage der Kernenergie überhaupt erst möglich machen.Vorhin hat einer der Kollegen, die vor mir gesprochen habe, gemeint, es gebe Parteien — er meinte damit die CDU/CSU —, die in Sachen Kernenergie deswegen kein Problem hätten, weil über diese Fragen dort überhaupt nicht diskutiert werde. Meine Damen und Herren, das ist ein eigenartiges Demokratieverständnis. Wir haben diese Fragen durch viele Jahre hindurch diskutiert. Wir haben Fachkongresse darüber abgehalten. Wir haben eine mehr als zweijährige Diskussion in allen Gliederungen der Partei und der CDU gehabt, um unser Grundsatzprogramm im vergangenen Herbst in Ludwigshafen zu verabschieden. Dabei hat auch die Frage der Energiebasis und der Kernenergie eine wichtige Rolle gespielt. Ich finde, es ist ein eigentümliches Verfahren, eine Partei dann, wenn sie zu klaren Beschlüssen gekommen ist, mangelnder demokratischer Gesinnung zu bezichtigen, nur weil sie zu Beschlüssen gekommen ist.
Auch wir in der CDU und in der CSU tun uns gelegentlich schwer mit Beschlüssen. Dann kreiden Sie uns das an und sagen: Sie reden mit vielen Zungen. Jetzt haben Sie ein klassisches Beispiel dafür, daß wir als einzige deutsche Partei — CDU wie CSU gemeinsam — fähig sind, unsere Politik ohne Wenn und Aber vorzutragen. Und das paßt Ihnen dann auch nicht.Meine Damen und Herren, was soll's eigentlich? Die Lage ist doch so, daß Sie auf Grund Ihrer ideologischen Verwirrungen unfähig sind, hier eine wirklich zukunftsbezogene Politik zu machen. Ihr Problem in diesem Zusammenhang, Herr Bundeskanzler, ist doch nicht, daß Sie in diesem Hause keine Mehrheit haben; die haben Sie natürlich. Nur dürfen Sie sie nicht in Anspruch nehmen, weil Sie sonst die Kanzlermehrheit verlieren. Das ist doch der eigentliche Punkt, der so bedrückend ist.
In der Sachfrage Sicherung der Energiebasis der Bundesrepublik gäbe es bei einer Abstimmung, die nicht von sonstigen Gründen beeinflußt wird, in diesem Hause glatt eine Mehrheit, die weit über 400 Stimmen liegen würde. Aber Sie dürfen diese Mehrheit gar nicht beanspruchen, weil Sie unter dem Zwang jener Ideologen in Ihrer Fraktion und Ihrer Partei stehen, die etwas ganz anderes wollen. Das ist doch der Punkt!Da ist bereits wieder das Thema Bundestagswahl 1980 anvisiert. Ich habe nach der Europawahl die vielen Äußerungen des Kollegen Brandt zum Thema „Grüne Listen" mit großem Interesse gehört. Herr Bundeskanzler, das, was Sie heute dazu gesagt haben, ist ja nur der Hintergrundton zu dieser gleichen Offensive. Sie wissen zwar, daß es aus ganz klaren, sachlich überzeugenden Gründen überhaupt
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13390 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979
Dr. Kohlkeine Alternative zur Kernenergie gibt und geben kann, aber Sie wollen es so laut nicht sagen und sich um das Thema in der Offentlichkeit herummogeln, weil Sie im nächsten Herbst auch noch die Stimmen jener, die vielleicht „Grüne Listen" wählen wollen, einholen wollen. Das ist das eigentliche Problem Ihrer Politik! Deswegen reden Sie im Lande — mit „Sie" meine ich jetzt vor allem die SPD — ganz anders als hier im Deutschen Bundestag. Wenn ich mir die Sitzungen des Energierates oder auch die Sitzungen hier im Bundestag vergegenwärtige, Herr Bundeskanzler, dann komme ich zu dem Schluß: Viele unserer Debatten könnten auf ein Zehntel der Redezeiten beschränkt werden.
— Herr Kollege Wehner, daß Sie das höchst ungern hören, ist ganz klar, weil Sie auch in dieser Frage zunächst die Taktik und nicht das Ziel für die nationale Politik der Bundesrepublik Deutschland sehen.
Herr Bundeskanzler, wir geben Ihnen schon den Rat, das was der niedersächsische Ministerpräsident im Blick auf seine Regierungserklärung vor dem Niedersächsischen Landtag heute wiederholt hat, sehr ernst .zu nehmen. Ich gebe Ihnen auch von mir aus wirklich den Rat, doch den Versuch zu machen, statt den zu beschimpfen, der in dieser Frage anders denkt, weil er auch eine ganz andere Verantwortung vor Ort hat, ihn in ein vernünftiges Gespräch, in eine vernünftige Politik einzubeziehen. Herr Bundeskanzler, daß Herr Albrecht im Kreise LüchowDannenberg die Bedingungen vorfindet, von denen er gesprochen hat, verdankt er nicht zuletzt jenen politischen Kreisen, denen Sie Ihre Existenz als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland verdanken.
Weil das so ist, ist es doch ganz und gar berechtigt und — weil Sie Bezug auf das Moralische genommen haben — moralisch einwandfrei, wenn einer, der vor Ort Verantwortung trägt, seine Motive ehrlich vorträgt. . Die Landesregierung Niedersachsen und der niedersächsische Ministerpräsident haben keine sicherheitsmäßigen Überlegungen vorgeschoben, die von einem Großteil der Bevölkerung, den allermeisten von uns, in ihrer Bedeutung gar nicht richtig hätten gewürdigt werden können. Er hat die Wahrheit gesagt, er hat das politische Umfeld genannt.Herr Bundeskanzler, Sie haben kein Wort dazu gesagt, was Sie angesichts der Gesamtentwicklung getan hätten, die wir im Zusammenhang mit dem Thema Umweltschutz und der Diskussion in der Bevölkerung zu verzeichnen haben. Wir haben Ihnen immer wieder gesagt: Lassen Sie uns in den nächsten Jahren gemeinsam die Voraussetzungen schaffen, damit das, was auch nach unserer Überzeugung im Blick auf die Entsorgung an dieser Stelle in Niedersachsen notwendig ist — wenn alle technischen Gutachten in diese Richtung laufen —, baldmöglichst realisiert werden kann. Aber — weil Sie vom Schwarzen-Peter-Spiel sprachen —: es genügt eben nicht, daß Sie hier so reden und Ihre Freunde oder auch Sie draußen ganz anders. Dazu gehört, daß wir wirklich gemeinsam versuchen, das Thema Energiepolitik aus dem parteipolitischen Streit herauszubringen.Wenn alles richtig ist, was wir hören und lesen, wenn auch richtig ist, was Sie jetzt auf dem Gipfel besprochen und uns berichtet haben bzw. was wir aus anderen Quellen wissen, dann, glaube ich, wird dieser Deutsche Bundestag schon in der nächsten oder in der übernächsten Legislaturperiode, also in den 80er Jahren, nicht daran gemessen werden, wie lange, wie gut oder wie strittig unsere Reden heute oder an anderen Tagen waren, sondern ob wir die Zeichen der Zeit erkannt haben und in Fragen der Energiepolitik gemeinsam einen mutigen Schritt nach vorne zu tun bereit waren. Ich mache Ihnen, Herr Bundeskanzler, für die CDU/CSU-Fraktion, für meine Freunde in den beiden Schwesterparteien noch einmal dieses Angebot. Ich kann Ihnen nur raten: Nehmen Sie die Hand an. Mit Beschimpfungen läßt sich keine Politik machen. Damit kann man einen Wahlkampf überstehen, aber in die Geschichte werden Sie mit einer solchen. Politik nicht eingehen.
Das Wort hat Herr Ministerpräsident Albrecht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will nur ganz kurz einige Behauptungen richtigstellen, die Sie, Herr Bundeskanzler, gemacht haben. Sie haben gesagt, daß Sie über meinen Besuch beim französischen Premierminister nicht informiert worden seien. Ich darf dazu feststellen: Erstens. Der Besuch ist mit dem deutschen Auswärtigen Amt vorbereitet worden, wie sich das gehört.
Zweitens. Der deutsche Gesandte in Paris hat mich zu dem französischen Premierminister begleitet und einen ausführlichen Bericht geschrieben.
Die deutsche Bundesregierung ist also vollständig informiert.
Was daran interessant ist, ist doch ganz etwas anderes, nämlich das die Kluft zwischen Bundeskanzleramt und Auswärtigem Amt offenbar so groß geworden ist, daß das, was an das Auswärtige Amt geht, nicht mehr an das Bundeskanzleramt geht.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979 13391
Ministerpräsident Dr. Albrecht
Im übrigen ist es .nur halb richtig, wenn der Herr Bundeskanzler sagt, die französische Regierung habe ihrer Sorge Ausdruck gegeben, daß die Gorleben-Entscheidung die energiepolitische Zukunft in Deutschland gefährde. Richtig ist — wie das Gespräch gezeigt hat —, daß in der Tat die Sorge besteht, daß die Entsorgungskopplung in Deutschland zu einer Stillegung von Kernkraftwerken, zumindest zu einem Stopp für den Bau von neuen Kernkraftwerken führen würde und daß das eine höhere Beanspruchung der ohnehin zu knappen Erdölvorkommen durch die Bundesrepublik zur Folge haben könnte. Deshalb hat der französische Premierminister zu Recht daran erinnert, daß auch Frankreich, obwohl es in Sachen Kernenergie mit Deutschland im Wettbewerb stehe, ein Interesse daran habe, daß die Kernenergie in Deutschland weiter entwickelt werden könne. Ich habe dem französischen Premierminister darlegen können, daß selbstverständlich mit einer von uns vorgeschlagenen Ausweitung der Entsorgungsdefinition dieses Problem gelöst werden könne.Herr Bundeskanzler, Sie werden auch nirgendwo den Nachweis liefern können, daß ich mich jemals gerühmt hätte, einer anderen Regierung den Schwarzen Peter zugespielt zu haben. Ich wäre Ihnen wirklich sehr verbunden, wenn Sie mir Ihre Quelle nennen würden. Die Wahrheit ist, daß ich wiederholt in der Offentlichkeit gesagt habe, daß ich überhaupt ,nichts davon halte, in einer so wichtigen Frage, die unser aller gemeinsames Interesse berührt, ein Spiel des Schwarzen Peters vorzunehmen.Schließlich zum Kern Ihrer Ausführungen: Sie haben mir in der Substanz gesagt, daß die politischen Gründe, die ich für unsere Entscheidung in Anspruch nehme, auch anderen zugebilligt werden müßten, daß mit gleichen Maßstäben gemessen werden müßte. Dies ist richtig, und dies will ich sicherlich auch tun. Das, was ich angesprochen habe, ist etwas ganz anderes — Herr Kohl hat es wiederholt —, nämlich daß nach den Diskussionen in den großen Parteien diese Parteien in der Lage sein müssen, durch Abstimmung zu Entscheidungen und zur Willensbildung zu kommen.
Hier ist der Punkt, wo zur Zeit die Sozialdemokratische Partei nicht in der Lage ist, das Notwendige zu tun. Ich will nicht sagen, daß Sie nicht in der Lage wären, vielleicht auf dem Parteitag im Dezember diese Entscheidung nachzuholen. Aber auch das, Herr Ehmke, ist ja eigentlich ein tolles Stück: daß wir noch so viele Monate warten müssen, bis die Sozialdemokratische Partei sich bequemt, bei sich eine Entscheidung herbeizuführen.
Schließlich, meine Damen und Herren, möchte ich mich herzlich bedanken für den Hinweis des verehrten Herrn Bundeskanzlers, daß wir ein Initiativgesetz zur Änderung der Entsorgungsdefinition im Bundesrat einbringen möchten. Wir werden dieserAufforderung Folge leisten. Wir sind sehr gespannt, wie sich dann hier in diesem Hohen Hause die SPD-Fraktion dazu einlassen wird.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gab in der Intervention des Herrn Abgeordneten Kohl drei Bemerkungen, die ein Zurechtrücken nötig machen.Ich muß zurückweisen, Herr Abgeordneter Kohl, daß Sie mir Verachtung für den Deutschen Bundestag unterstellt haben.
Ich bin seit 1953 dessen Mitglied; ich bin stolz darauf. Ich habe Respekt von dem verfassungsmäßigen Rang dieses Parlaments. Aber Sie werden verstehen, daß mein Respekt vor dem Rang dieses Parlaments in einigen Fällen größer ist als der Respekt vor einzelnen seiner Mitglieder.
Zweitens hat der Abgeordnete Kohl mir vorgeworfen, ich hätte die Bereitschaft der niedersächsischen Landesregierung nicht anerkannt, in Niedersachsen Zwischenläger zu errichten. Das Gegenteil ist wahr; ich habe das heute morgen in meiner Regierungserklärung ausdrücklich begrüßt.
Drittens haben Sie mich — wie ich annehme: aus Versehen; aber ich muß es gleichwohl richtigstellen — verfälschend zitiert mit den Worten, ich hätte der niedersächsischen Landesregierung vorgeworfen, klare gesetzliche Pflichten gebrochen zu haben. Dies war nicht mein Wortgebrauch, Herr Abgeordneter Kohl; sondern ich habe gesagt, daß die niedersächsische Landesregierung klaren gesetzlichen Pflichten, wie sie heute im Atomgesetz gegeben sind, ausweiche.
Ich lege Wert auf diesen Unterschied, nachdem Sie vorher dargelegt hatten, wie sehr es Ihnen auf Stil ankommt. Es war nicht mein Stil, der Landesregierung in Hannover einen Gesetzesbruch vorwerfen zu wollen.
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13392 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979
Bundeskanzler SchmidtSie haben sodann gerügt, daß ich das Wort „opportunistisch" verwendet hätte. Das haben Sie zunächst hart gerügt, und anschließend haben Sie es selber mir gegenüber verwendet. Lassen wir das auf sich beruhen. Aber ich frage Sie, mit welchem Adjektiv Sie dann eigentlich das Verhalten der von Ihnen geführten Bundestagsfraktion qualifizieren wollen, die seinerzeit gegen Ihre eigene, sachlich begründete Überzeugung gegen den Schnellen Brüter hier im Parlament gestimmt hat. Das möchte ich gerne wissen.
Dieses war nun in der Tat Opportunismus.
Was Ihr wiederholtes Gemeinsamkeitsangebot angeht: Solange Sie selber zur Energiepolitik nichts beitragen außer Stildebatten, sehe ich nicht recht, auf welche Gemeinsamkeit wir uns mit Ihnen einlassen können. Ich habe vorhin in meinem Resümee zu Ihren beiden Hauptrednern gesagt, daß vieles von dem, was Herr Albrecht, und vieles von dem, was Herr Strauß vorgetragen hatten, zustimmungswürdig sei. Ich hoffe, Sie haben das nicht überhört; Sie werden es sonst im Protokoll wiederfinden.Ich muß dann noch eine oder zwei Bemerkungen hinzufügen, was den Herrn Ministerpräsidenten Albrecht angeht. Herr Albrecht, ich hatte gesagt, ich hätte von Ihnen über Ihre Unterhaltungen mit der französischen Regierung nichts gehört. Natürlich habe ich — —
— Natürlich habe ich die Berichte gelesen. Ich darf dies aber einmal sagen: es wäre ganz gut, wenn deutsche Ministerpräsidenten, welche ausländische Regierungen souveräner Staaten besuchen, sich anschließend darüber mündlich oder schriftlich gegenüber der Bundesregierung äußerten. Wir haben das früher, als wir Opposition waren, selbstverständlich immer getan — gegenüber einer CDU/CSU-Bundesregierung.
Hier saß den ganzen Tag — da sitzt er noch — der Abgeordnete Kollege Dr. Schröder. Er möge bitte entweder mit dem Kopfe nicken oder wackeln, wenn ich behaupte — —
— Sie entheben ihn durch Ihr Gelächter der Notwendigkeit, zu bestätigen, was ich hier sage.In einer so wichtigen Frage wie derjenigen der Entsorgung gegenüber der nuklearen Industrie, die alle Staaten der Europäischen Gemeinschaft gleicherweise bedrängt und beschäftigt, wo niemand ein Patentrezept hat, wäre in der Tat ein Telefonanruf oder ein Briefchen schon wünschenswert gewesen. Aber dies habe ich ja gar nicht gerügt. Was ich gerügt habe, Herr Ministerpräsident, ist die Tatsache, daß Sie den wesentlichen Inhalt des Gesprächs nicht öffentlich bekanntgemacht haben, obwohl Sie über andere Teile des Inhalts öffentlich gesprochen haben.
— Nun habe ich in der Tat natürlich mit dem andern — —
— Selbstverständlich steht mir der Ausdruck zu.
Das ist doch ein sehr harmloser Ausdruck.
Der Anlaß für meine rügende Bemerkung war, daß ein wesentlicher Teil des Gespräches veröffentlicht und ein anderer wesentlicher Teil des Gespräches durch den Ministerpräsidenten Albrecht nicht veröffentlicht worden ist.
— Nicht ganz allein, Herr Kollege Marx. Im Umgang z. B. mit uns verbündeten oder befreundeten ausländischen Regierungen ist es nicht ganz allein Sache einer Landesregierung, den Teil der Beziehungen, den sie für wichtig hält, zu veröffentlichen. Das werden Sie, Herr Abgeordneter Marx, eher verstehen als andere.
Ich habe mich im übrigen darüber gefreut, daß der Ministerpräsident Albrecht die Sache mit dem Schwarzen Peter vom Tisch genommen hat.
Ich bin damit einverstanden.
Im übrigen weiß er natürlich, daß die Bundesregierung zu einer Zusammenarbeit mit der niedersächsischen Landesregierung bereit ist; das hat sie ja durch die Tat bewiesen. — Es ist ja nicht so wie bei dem Herrn Abgeordneten Kohl, der mit der Regelmäßigkeit von Kirchenfesten Gemeinsamkeitsangebote erläßt, die dann von ihm aus nicht ernst gemeint sind. Sondern wir haben tatsächlich ge-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979 13393
Bundeskanzler Schmidthandelt, was Zusammenarbeit mit der niedersächsischen Landesregierung angeht.
Wir haben noch am selben Tage, als Herr Albrecht seine Erklärung vor dem niedersächsischen Landtag abgegeben hat, nachmittags durch das Bundeskabinett eine sorgfältige, und, wie er zugeben wird, kooperativ formulierte und nachbarschaftlichfreundlich formulierte Stellungnahme dazu erarbeitet, beschlossen und veröffentlicht. Wir haben uns heute morgen in der Regierungserklärung nicht mit einem einzigen Angriff auf die niedersächsische Landesregierung getummelt. Wir haben statt dessen von unserer Bereitschaft gesprochen, das integrierte Entsorgungskonzept schrittweise zu verwirklichen
und es auch hinsichtlich des Inhalts zu modifizieren, nicht es zu verwerfen, nicht es aufzugeben, nicht darauf zu verzichten, aber es zu modifizieren. Es wäre kooperativ gewesen im Sinne der Gemeinsamkeit, von der Herr Abgeordneter Kohl sprach, wenn die niedersächsische Landesregierung oder ihr Ministerpräsident heute im Laufe der Debatte, da er ja ohnehin hier sprach, darauf eingegangen wäre. Das. ist nicht geschehen. Wir haben der niedersächsischen Landesregierung auf ihren Wunsch hin in einem Verwaltungsabkommen mit erheblichen Beträgen aus dem Bundeshaushalt geholfen, die nirgendwo sonst in Gesetzen vorgesehen waren. Wir sind der niedersächsischen Landesregierung auch entgegengekommen, was unsere Bereitschaft angeht, mit erheblichem Aufwand, während sie den Salzstock erforscht, alternative, andere Entsorgungstechnolologien zu erforschen und zu erarbeiten.Dies alles sind nur wenige Beispiele, die ich aus meiner Erinnerung, aus meiner Kenntnis herausgreife. Wenn der Herr Ministerpräsident heute morgen auf jede Polemik gegenüber der Bundesregierung und den beiden die Bundesregierung tragenden Parteien verzichtet hätte, wäre überhaupt keine Schärfe zwischen einer Landesregierung und der Bundesregierung notwendig gewesen.
Dies muß sich ein CDU-Mann, ob er aus Hannover oder aus Mainz kommt, gefallen lassen. Wenn einer in den Wald hineinruft, dann schallt es auch heraus, und zwar in derselben Tonart. Wir wollen hier keine falschen Vorstellungen über Mimosenhaftigkeit in Deutschland aufkommen lassen,
die dem einen erlaubt wäre, und der andere hätte demgegenüber nur den Rücken zu beugen. Das ist ein Irrtum.
Letztes Wort, Herr Ministerpräsident: Wir halten die Änderung des Atomgesetzes, die Sie betreiben, nicht für richtig.
Wir halten sie für unzweckmäßig. — Ich habe das heute morgen in der Regierungserklärung gesagt. Wenn Sie sagen, das komme erst jetzt zum Vorschein, haben Sie nicht richtig zugehört.
Wir halten sie nicht für richtig, und zwar deswegen nicht, weil sie die Chance zur Entkoppelung, zur Auflösung des integrierten Entsorgungskonzepts eröffnet.
Wir wollen dieses Konzept nicht auflösen, wir wollen daran festhalten. Dies ist ein klarer Gegensatz in der Beurteilung dessen, was zweckmäßig ist. Das ist weder für die niedersächsische Landesregierung unehrenhaft noch für die Bundesregierung. Der Ministerpräsident möge bitte verstehen, daß wir dies für unzweckmäßig halten und daß wir seine Begründung, daß ein niedersächsisches Oberverwaltungsgericht sich soundso geäußert habe, noch nicht für der Weisheit letzter Schluß der Rechtsprechung im deutschen Vaterlande halten müssen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gruhl.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn sich die verehrten Parteien dieses Hauses ziemlich einig sind, dann müssen sich die Kollegen persönlich angreifen, damit der Wähler draußen den Eindruck gewinnt, als wäre man sich spinnefeind. Dabei sind Differenzen gerade in dem heute behandelten Punkt kaum vorhanden.Einige Redner heute haben auch von der Einsparung in öffentlichen Gebäuden gesprochen. Gestern wurde im Verteidigungsministerium auf der Hardthöhe geheizt. Wenn schon die Bundeswehr am 3. Juli friert, dann muß es wohl nicht so gut um sie bestellt sein.
Der Bundeskanzler hat heute morgen von Gräben gesprochen, die die Bürger dieses Landes, die innerhalb der Parteien und selbst die in den Kirchen trennen. Er hat wörtlich gesagt: „Wir stehen am Anfang einer Diskussion über die weitere Entwicklung von Wissenschaft und Technik." Ich füge hinzu, auch die Frage nach dem Sinn des Ganzen wird diskutiert. Ich habe hier leider die schwierige Aufgabe,
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13394 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979
Dr. Gruhldie eine Seite jenseits der Gräben ziemlich allein zu vertreten und dies noch in verhältnismäßig kurzer Zeit. Das erschwert natürlich eine Diskussion. Es kann auch keine Diskussion zustande kommen, wenn z. B. der Ministerpräsident des Landes Bayern hier auftritt, seine Show hier abzieht und dann wieder abfliegt.
Daher ist eine Diskussion über diese Gräben hinweg leider nicht möglich. Ich fühle mich aber dennoch verpflichtet, die Meinung eines großen Teils der Bevölkerung und auch die Meinung von Minderheiten in Ihren Parteien, die permanent überstimmt werden und hier gar nicht erst zu Wort kommen, hier vorzutragen. Die SPD hat ihren Herrn Eppler, und selbst die CDU hat wieder einen Abweichler, den Herrn Pestel. — Die ganze Landesregierung Niedersachsens ist inzwischen verschwunden.
— Na eben! — Herr Pestel hätte seine Äußerungen in „Quick" gar nicht zu dementieren brauchen, denn er hat ja in seinem Buch „Das Deutschlandmodell" in der Sache genau das gleiche gesagt. Also steht er hier in einer Linie mit vielen anderen wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Ergebnissen, von denen es inzwischen Tausende gibt, zum Teil von Leuten, die der Herr Bundeskanzler laut „Spiegel" „Umweltidioten" zu nennen beliebt. Ich hoffe, der „Spiegel" hat in diesem Fall richtig zitiert.
— Gut, ich nehme das zur Kenntnis. Dann hat der „Spiegel" falsch zitiert, denn ich kann mir auch gar nicht denken, daß der Bundeskanzler eine solche Bezeichnung benutzt, zumal er ja selbst auch „lernfähig" ist. Ich beziehe mich wieder auf den „Spiegel", worin es heißt, daß Sie erkannt haben, Herr Bundeskanzler, daß eine zunehmende Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre zu einem Treibhauseffekt führt. Das ist richtig. So gesehen, scheinen die Kernkraftwerke an Stelle der Kohlekraftwerke eine Verbesserung zu sein.
Das ist nicht richtig.
Die noch viel schwerwiegendere Folge der menschlichen Energieerzeugung ist aber die Abwärme, die nach den Gesetzen der Thermodynamik entsteht. Diese Abwärme entsteht bei Kernkraftwerken genauso wie bei Kohlekraftwerken. Die Politik des sogenannten wirtschaftlichen Wachstums — verbunden mit einer vervielfachten Energieproduktion — würde die Erde bereits im nächsten Jahrhundert dem sogenannten Wärmetod entgegentreiben. Dies ist eine der entscheidenden Grenzen der Menschheit, aber längst nicht die einzige.Da sind außerdem die begrenzten Primärenergievorräte; auch die Uranvorräte sind begrenzt. Es ist daher ein verhängnisvoller Irrtum zu glauben, es könnte alles fortwährend gesteigert werden, wenn nur die Energie dafür bereitgestellt würde.Die mineralischen Rohstoffe sind ebenfalls begrenzt. Herr Strauß hat hier heute morgen 18 dieser wichtigsten mineralischen Rohstoffe aufgezählt und unsere Abhängigkeit von den Importen dieser Rohstoffe eingehend geschildert. Er benutzte dieselben Zahlen, die ich in meinen Vorträgen oft verwende. Aber er hat leider nicht einen einzigen Vorschlag gemacht, wie wir von dieser Abhängigkeit etwas herunterkommen können.Er hat auch auf die Abhängigkeit vom Erdöl verwiesen. Die Abhängigkeit vom Erdöl ist zu einer Zeit entstanden, als die CDU hier in der Regierung und Herr Strauß einer der Minister war.
Da hat man, weil das Erdöl billig war, nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten die Kohlekraftwerke sogar mit Staatszuschüssen stillgelegt und ist in die totale Abhängigkeit vom Erdöl gelangt. Es war also falsch, dies dem freien Markt zu überlassen. Darum finde ich es eigenartig, wenn Herr Strauß heute morgen gesagt hat, die marktwirtschaftlich-liberalen Grundsätze würden alle Probleme lösen; sie lösen sie offensichtlich eben nicht, wie dieses Beispiel beweist.Ich möchte ihn auch fragen, ob er die marktwirtschaftlich-liberalen Grundsätze aufrechterhalten will, wenn der Liter Benzin erst einmal 5 DM kosten wird. Ob dann nur noch diejenigen Benzin kaufen können, die 5 DM dafür auszugeben vermögen oder auch andere?
Das muß ihn insofern interessieren, als er fast geweint hat, daß bei einer Benzinsteuererhöhung um einige Pfennige pro Liter — wegen der Verlagerung der Kfz-Steuer — einige Menschen irgendwo in entfernten Gebieten benachteiligt sein könnten. Es ist aber zu berücksichtigen, daß sie den Betrag der nicht bezahlten Kfz-Steuer dafür gewinnen. Es kann also letzten Endes nur noch um Bruchteile von Pfennigen gehen. Das möchte er schon nicht. Das empfindet er als Ungerechtigkeit. Wie will er dann andere Dinge der liberalen Lösung des Marktes und der Preise anvertrauen? Dies paßt nicht zueinander.Die mineralischen Rohstoffe werden in den nächsten Jahrzehnten ebenso knapp werden, wie das zur Zeit beim Erdöl der Fall ist. Es ist bezeichnend, daß bereits seit Jahren 150 Nationen in der UNO-Seerechtskonferenz darum streiten, wer wohl die Rohstoffe des Meeresbodens ausbeuten dürfe, und daß inzwischen auch konkrete Pläne gemacht werden, um die Rohstoffe der Antarktis auszubeuten. Das alles deutet darauf hin, daß die Knappheit zunehmen
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979 13395
Dr. Gruhlwird und demnach die Preise steigen werden. Dies ist auch eine Grenze für die Wachstumspolitik.Weitere sind: die Umweltzerstörungen, die durch die fortgesetzte Wachstumspolitik noch größer werden müßten. Fruchtbare Böden, natürliche Landschaften müßten auch künftig weiter betoniert werden.Auch hier haben die sieben Länder, die auf dem Wirtschaftsgipfel vertreten waren, gerade diese sieben Länder, die Grenzen des für die Menschen Sinnvollen erreicht, hier und da schon überschritten.Die Regierungen dieser Länder wie die Parteien, die sie tragen, wie auch die Oppositionsparteien versprechen aber ihren Völkern immer noch das zukünftige Schlaraffenland. Sie haben aus der Erdölkrise des Jahres 1973 und anderen Warnungen keine Konsequenzen gezogen. Der vorjährige Gipfel in Bonn verpflichtete die beteiligten Länder sogar zu einer weiteren Wachstumspolitik.Angesichts eines verantwortungslos immer noch weiter gesteigerten Erwartungshorizonts bei den Völkern vermag nun auch der amerikanische Präsident ebenso wenig seine Bürger zur Sparsamkeit zu bewegen wie der deutsche Bundeskanzler, der auch heute nicht die volle Wahrheit über das gesagt hat, was uns in Zukunft erwartet.Die Gründe für ein anderes Verhalten müssen den Bürgern mit allem Ernst beigebracht werden. Die Bringschuld der Aufklärung für die Bürger dieses Landes, von der der Bundeskanzler heute sprach, ist auf seiten der Bundesregierung und auf seiten der Parteien sehr, sehr groß.Die Wahrheit ist doch: Hier handelt es sich nicht um eine Energiekrise, sondern um die weltweite Sackgasse der Wachstumspolitik. Die Energiekrise ist nur ein Aspekt dieser Katastrophenpolitik, und auch darin befinden wir uns erst am Anfang der Schwierigkeiten, aus denen die Völker nie mehr herauskommen werden. Es wird bei diesen Schwierigkeiten nicht „bei einer Reihe von Jahren" bleiben, wie der Bundeskanzler heute sagte. Wir werden nie mehr aus der Energiekrise herauskommen, vor allen Dingen dann nicht, wenn weiterhin die Behauptung aufrechterhalten wird, daß sich der Weltenergieverbrauch in 20 Jahren schon wieder verdoppelt haben müßte. Ja, wo soll dies denn herkommen? Das ist eine völlig unsinnige Forderung, die kluge, in die Zukunft denkende Politiker heute nicht mehr erheben dürften.Die Erhöhung des Energieverbrauchs findet doch nicht etwa bei den armen Völkern statt, auf die dann auch heute wieder einige mitleidige Worte verwendet worden sind: Wir müßten zu deren Gunsten dieses und jenes tun, die Ärmsten litten, hat der Bundeskanzler gesagt. Ja, sie leiden und werden um so mehr leiden, je stärker die Industrienationen ihren Wohlstand noch weiter erhöhen, verdoppeln, verdreifachen usw., wollen. Denn womit erhöhen sie Ihren eigenen Wohlstand? Dochmit der Energie, die Sie von dort hierher importieren.Sollte das Uran eine zukünftige Energiequelle sein, dann wird es von den Industrievölkern bereits verbrannt worden sein, bevor andere, arme Völker noch etwas abbekommen können. Genauso verhält es sich mit den Dutzenden mineralischer Rohstoffe, von denen ich schon vorhin sprach.Auf diese Herausforderungen, Herr Bundeskanzler, gehen Gipfelkonferenzen fast überhaupt nicht ein. Darum sind auch ihre Ergebnisse so bescheiden. Weltpolitisch bedeutende Beschlüsse, die eine sofortige, höchst reale Wirkung haben, sind nicht in Tokio, sondern in Genf gefaßt worden. Die OPEC-Staaten erhöhten die Erdölpreise um rund 50 °/o, damit in Dollar umgerechnet im Jahr 1979 stärker als im Jahre 1973.All die Maßnahmen, die man bereits 1973 hätte in Angriff nehmen müssen, beginnt man nun nicht etwa durchzuführen, sondern zu diskutieren. 51/2 Jahre hat man verstreichen lassen. Statt in dieser Zeit energiesparende Autos zur Serienreife zu führen, hat man sich darüber gefreut, daß in den letzten Jahren steigende Millionenziffern benzinsaufender Autos von den Bändern liefen.Es ist längst bekannt, daß auf niedrigere Geschwindigkeiten ausgerichtete Motoren nicht nur weniger Energie benötigen, sondern auch abgasärmer und leiser sein könnten. Aber an eine Geschwindigkeitsbegrenzung will man auch heute noch nicht heran. Ich glaube, hier handelt man sogar logisch. Denn wozu sollte derjenige, der nicht einmal die Geschwindigkeit in die Gesamtkatastrophe der Welt bremsen will, die Geschwindigkeit auf den Straßen mindern wollen?Eines der unwahren Schlagworte dieser Jahre lautet: Wir müssen Kernkraftwerke bauen, um weniger Erdöl zu verbrauchen. Das Energieprogramm der Bundesregierung sieht aber zwischen 1975 und 1985 immer noch eine Steigerung des Erdölverbrauches von 181 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten auf 223 Millionen Tonnen vor. Auch dies ist logisch. Denn aus Uran kann nur Elektrizität erzeugt werden. Mit dieser können Schienenfahrzeuge angetrieben werden. Schienenwege werden aber abgebaut, der Personenverkehr wird auf Busse, der Güterverkehr auf Lkw — in beiden Fällen also auf Erdöl — umgestellt.Was wir also dringend brauchen, ist ein Ausbauplan der Deutschen Bundesbahn, statt der immer noch im Vollzug befindlichen Abbaupläne. Die USA bekommen es heute hart zu spüren, daß sie leichtfertigerweise ihr Eisenbahnnetz völlig verkommen ließen. Für die Bundesbahn und andere Verkehrsmittel gilt künftig nicht die finanzielle Bilanz, sondern die Energiebilanz.Übrigens dürfen wir heute schon davon ausgehen, daß sich der Preis des Erdöls in den nächsten fünf Jahren mindestens wieder verdoppeln wird. Damit ergeben sich ganz andere Kalkulationsgrundlagen, auch für die Beheizung von Häusern.
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13396 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979
Dr. Gruhl Sonnenkollektoren, die heute noch teuer sind, werden dann finanziell kostengünstiger sein. Der einzige Bereich, wo Erdöl in bedeutendem Ausmaß durch Kernenergie ersetzt werden könnte, ist die Raumheizung durch Elektrizität. Davon hatten sich die Elektroversorgungsunternehmen auch einen großen Zugewinn versprochen. Da der Primärenergieaufwand über die Elektroheizung aber dreimal so hoch wie bei anderen Heizungsmethoden ist, scheidet diese Lösung von der Energiebilanz her als glatter Wahnsinn aus.Dagegen muß die Abwärme der Kraftwerke für die Fernwärme eingesetzt werden. Es sollten daher die Kraftwerke mit der Kraft-Wärme-Koppelung versehen werden, was heute verschiedentlich schon verlangt worden ist.Als Sekundärenergie steht Elektrizität und als Primärenergie Kohle zur Zeit genügend zur Verfügung. Gespart werden muß Erdöl, und gespart werden sollte Erdgas. Uran ist genauso knapp wie Erdöl. Dies hat sich nur noch nicht genügend herumgesprochen. Darum sind die Leichtwasserreaktoren nur eine vorübergehende Episode, die mehr Langzeitprobleme aufwerfen, als sie Nutzen bringen.Darum ist die Energiepolitik gegenüber künftigen Generationen am besten zu verantworten, wenn man ohne die Plutonium-Wirtschaft auskommt. Atomenergie kann also Erdöl nicht ersetzen. Wenn eine Sonntagszeitung schrieb, statt die Geschwindigkeit zu begrenzen, solle man drei Atomkraftwerke bauen, dann bewies sie damit nur ihre völlige Unkenntnis.Um Benzin zu sparen, hilft, solange sparsame Motoren noch nicht zur Verfügung stehen, eben nur eine wirksame Geschwindigkeitsbegrenzung, z. B. auf 100 km/h. Selbst wenn nur 5 % Ersparnis dabei herauskommen, ist das schon bedeutend. Weitere Anreize wären durch die Verlagerung der Kraftfahrzeugsteuer zu erreichen, wie ich sagte, auch durch die Kilometerpauschale für Nichtautofahrer und Mitfahrer, auch durch ein längerfristiges Projekt „Ausbau von Radfahrwegen", damit Radfahrer ihr Rad ohne Lebensgefahr benutzen können; das können sie heute ja nicht.Die Tarifgestaltung der Elektrizitätswerke ist auf Förderung der Verschwendung statt auf Sparsamkeit angelegt. Gleicher Kilowattstundenpreis für alle und Wegfall der Grundgebühr ist das mindeste, was einzuführen ist. Ungenützte Stromkapazitäten der Industrie könnten genutzt, statt, wie bisher, abgewürgt werden.Ich lasse viel weg, um zum Schluß zu kommen.Das Pendel schlägt zurück. Ein energiereiches Zeitalter ist unwiderruflich zu Ende. Es war ein angenehmes Zeitalter, gewiß, in dem die Energie immer billiger wurde. 1958 mußte ein Industriearbeiter 16 Minuten arbeiten, um einen Liter Benzin kaufen zu können, 1978 nur noch vier Minuten. 1958 mußte er fünf Minuten für eine Kilowattstunde Strom arbeiten, 1978 nur noch eine Minute. Dasging so lange, wie uns die Quellen der ganzen Welt unbeschränkt zur Verfügung standen und andere Länder sich ausbeuten ließen.Damit ist es vorbei. Je gieriger wir weiterhin Energie verbrauchen, um so mehr werden wir künftig selbst ausgebeutet werden: über die Preise und über die Knappheit.Darum wird die weitaus billigste Energie die sein, auf die wir ohne Not verzichten können. Dazu ist eine wahrheitsgemäße Darstellung durch die Regierungen, die Parteien und alle Instanzen nötig. Davon sind wir aber noch sehr weit entfernt, wie auch diese Debatte gezeigt hat, wo man versuchte, sich gegenseitig die Schuld zuzuschieben und parteipolitisches Einzelkapital herauszuschlagen.
Herr Kollege, ich gebe Ihnen noch eine Kilowattstunde.
Was heute sichtbar wurde, ist eine große Koalition der Atomparteien. Der ehemalige Atomminister Strauß, der Atomkanzler Schmidt — das kommt aus Ihrer eigenen Partei — und der Atomgraf Lambsdorff stehen dicht beieinander.
Die Minderheit, für die ich spreche, wird wachsen und wird die verheerende Gesamtpolitik der drei hier vertretenen Parteien zu verhindern suchen, um dieses Land und künftige Generationen vor weiteren Schäden zu bewahren und uns eine, wenn auch viel bescheidenere Zukunft, als Sie sie versprechen, zu sichern, aber eben, wie wir hoffen, eine sichere Zukunft.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat empfiehlt, den Antrag der CDU/ CSU-Fraktion auf der Drucksache 8/2961 an den Wirtschaftsausschuß — federführend — und — mitberatend — an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen, an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und an den Ausschuß für Forschung und Technologie zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keine Widerspruch. Es ist so beschlossen.Weiter empfiehlt der Ältestenrat, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Drucksache 8/ 2779 an den Ausschuß für Forschung und Technologie — federführend — und an den Verteidigungsausschuß — mitberatend — zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Es ist so beschlossen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979 13397
Vizepräsident Frau FunckeDamit sind wir am Ende der heutigen Sitzung,der letzten Sitzung vor der Sommerpause. Ich wünsche allen Mitgliedern des Hauses einen schönen und erholsamen Urlaub und eine gesunde Rückkehr nach den Parlamentsferien.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 12. September 1979, 11 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.