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ID0816705400

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    7. Ueberhorst.: 1
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    Plenarprotokoll 8/167 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 167. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979 Inhalt: Regelung für die Einreichung von Fragen für die Woche vom 10. September 1979 13317 A Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Energiepolitik nach dem Europäischen Rat und dem Weltwirtschaftsgipfel in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dollinger, Dr. Narjes, Pfeifer, Dr. Riesenhuber, Lenzer, Dr. Waigel, Dr. Laufs, Gerstein, Kolb, Dr. Czaja, Dr. Probst, Engelsberger, Dr. Hubrig, Pfeffermann, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, von Hassel, Benz, Dr. Jenninger und der Fraktion der CDU/CSU Sicherung der Energieversorgung und Zukunftsorientierung der deutschen Energiepolitik — Drucksache 8/2961 (neu) — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zu dem Übereinkommen vom 5. April 1973 zwischen dem Königreich Belgien, dem Königreich Dänemark, der Bundesrepublik Deutschland, Irland, der Italienischen Republik, dem Großherzogtum Luxemburg, dem Königreich der Niederlande, der Europäischen Atomgemeinschaft und der Internationalen Atomenergie-Organisation in Ausführung von Artikel III Abs. 1 und 4 des Vertrages vom 1. Juli 1968 über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (Verifikationsabkommen) (Ausführungsgesetz zum Verifikationsabkommen) — Drucksache 8/2779 — Schmidt, Bundeskanzler 13317 D, 13384 B, 13391 C Porzner SPD (Zur Geschäftsordnung gemäß § 34 GO) 13328 C Strauß, Ministerpräsident des Freistaates Bayern 13329 D Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 13339 B Dr. Albrecht, Ministerpräsident des Landes Niedersachsen 13348 A, 13390 D Genscher, Bundesminister AA 13352 B Dr. Narjes CDU/CSU 13354 C Schmidt (Wattenscheid) SPD 13359 D Dr.-Ing. Laermann FDP 13364 C Dr. Hauff, Bundesminister BMFT 13370 B Dr. Biedenkopf CDU/CSU 13373 D Ueberhorst SPD 13378 B Zywietz FDP 13381 C Dr. Kohl CDU/CSU 13387 D Dr. Gruhl fraktionslos 13393 D Nächste Sitzung 13397 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 13399* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Juli 1979 13317 167. Sitzung Bonn, den 4. Juli 1979 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 165. Sitzung, Seite 13231*: In die Liste der entschuldigten Abgeordneten ist der Name „Müller (Remscheid)" einzufügen. Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Althammer 4. 7. Dr. Arnold 4. 7. Bayha 4. 3. Dr. Becher (Pullach) 4. 7. Frau Benedix 4. 7. Blumenfeld 4. 7. Dr. Böhme (Freiburg) 4. 7. Brandt 4. 7. Büchner (Speyer)* 4. 7. Conradi 4. 7. Fellermaier* 4. 7. Frau Dr. Focke 4. 7. Haberl 4. 7. Hauser (Krefeld) 4. 7. Dr. Haussmann 4. 7. Graf Huyn 4. 3. Dr. Jahn (Braunschweig) 4. 7. Dr. h. c. Kiesinger 4. 7. Koblitz 4. 7. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Köster 4. 7. Lintner 4. 7. Dr. Dr. h. c. Maihofer 4. 7. Dr. Meinecke (Hamburg) 4. 7. Dr. Müller** 4. 7. Müller (Remscheid) 4. 7. Neumann (Bramsche) 4. 7. Oostergetelo 4. 7. Picard 4. 7. Pieroth 4. 7. Rappe (Hildesheim) 4. 7. Rosenthal 4. 7. Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein 4. 7. Scheffler** 4. 7. Frau Schlei 4. 7. Dr. Schmitt-Vockenhausen 4. 7. Frau Schuchardt 4. 7. Dr. Schwencke (Nienburg)** 4. 7. Spilker 4. 7. Dr. Starke (Franken) 4. 7. Volmer 4. 7. Dr. Waffenschmidt 4. 7. Walkhoff 4. 7. Frau Dr. Walz 4. 7. Würzbach 4. 7. Dr. Wulff 4. 7.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Kurt H. Biedenkopf


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Debatte über die Regierungserklärung, die sich in erster Linie mit der Energiepolitik beschäftigte, hat gezeigt, daß es in der Lagebeurteilung eine Reihe wichtiger Übereinstimmungen gibt.. Ich möchte mit diesen Übereinstimmungen beginnen, weil ich glaube, daß deren Feststellung in einer Art Konsenskatalog wichtig ist, um die Chance zu erhöhen, einige der Fragen, um die es geht, nachher auszudiskutieren.
    Es ist Übereinstimmung darüber erzielt worden, daß billige Energiequellen knapper werden und daß die Energiepreise steigen werden. Es ist offenbar allgemein eine politische Bereitschaft vorhanden, das Steigen der Energiepreise — jedenfalls in Grenzen — auch zu tolerieren. Es ist Einigkeit darüber erzielt worden, daß der künftige Energiebedarf schon wegen des Wachstums der Weltbevölkerung weiter steigen wird und daß — selbst dann, wenn es uns gelingt, Wachstumsraten ohne entsprechende Steigerung der Energienachfrage in unserem Land zu sichern — die Energie sich trotzdem durch die steigende Nachfrage weltweit verknappt.



    Dr. Biedenkopf
    Auch in bezug auf Antworten auf diese sich verändernde Weltlage sind einige Übereinstimmungen erzielt worden. Es besteht wohl Übereinstimmung darüber, daß die Eigenversorgung aus Kohle verbessert werden muß, daß die Kohle in der Zukunft eine noch wichtigere Rolle für die Energieversorgung in der Bundesrepublik Deutschland haben wird als heute. Es besteht Einigkeit darüber, daß auch Kohle importiert werden muß. Der Bundeskanzler hat die Schranke mit der Formulierung aufgezeigt, er wolle den Import von Kohle nur in dem Umfang zulassen, in dem die Kohle Ölimporte substituiere. Wenn man allerdings den Umfang der Ölimporte in Betracht zieht, dann ist dies ein sehr breiter Rahmen.
    Es ist Übereinstimmung darüber erzielt worden, daß alle Einsparungsmöglichkeiten ausgeschöpft, daß alle alternativen Energiequellen gefördert werden müssen und daß ihre Entwicklung vorangetrieben werden muß, und es besteht jedenfalls zwischen den Sprechern der Regierung, den Ländern und der Opposition auch Einigkeit darüber, daß ohne ein Vorantreiben der Kernenergie die energiepolitischen Probleme nicht lösbar sind.
    Was uns Sorge bereitet und was in der Diskussion eine große Rolle spielt und wahrscheinlich auch zunehmend spielen wird, ist die Frage, wie diese Aufgaben gelöst werden sollen. Es geht also weniger um die Prognose in die Zukunft, um die Einigkeit oder Uneinigkeit über die Analyse, als um die Therapien.
    Es ist vorhin von dem Ministerpräsidenten Strauß und dann in Antwort darauf von Graf Lambsdorff über die Gipfel-Politik gesprochen worden. Ich bin nicht der Meinung, Graf Lambsdorff, daß man auf Gipfeltreffen gänzlich verzichten sollte, sondern ich glaube, das Problem liegt an einer anderen Stelle. Wenn eine Gipfelkonferenz wie die in Tokio unter dem Erfolgszwang steht, in jedem Fall zu einem Kompromiß kommen zu müssen, d. h. zu einer einheitlichen Aussage, und dieser Erfolgszwang so weit führt, daß die einheitliche Aussage — jedenfalls bezüglich einiger Beteiligter, hier z. B. bezüglich der Vereinigten Staaten — im Grunde überhaupt kein Problem löst, auf der anderen Seite aber durch die übereinstimmende Aussage eine Art Legalisierung der bisherigen Lage in den Vereinigten Staaten herbeigeführt wird, auch für innenpolitische Zwecke, dann muß man sich die Frage stellen, ob es nicht möglicherweise auch besser sein kann — selbst wenn man solche Gipfelkonferenzen durchführt —, in gewissen Bereichen einen Dissens zum Ausdruck zu bringen, statt einen Konsens zu erzwingen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich bin der Meinung, daß es gerade in diesem Fall gut gewesen wäre, und zwar auch vor dem Hintergrund der ungewöhnlichen innenpolitischen Schwierigkeiten, die in den Vereinigten Staaten bestehen, zu einer Energiepolitik zu finden, die unter anderem auch mit den europäischen Interessen verträglicher ist als die gegenwärtige; denn ein wesentlicher Teil der Probleme — das darf man wohl, ohne dem wichtigen Verbündeten Vereinigte
    Staaten zu nahe zu treten, sagen —, mit denen wir uns im Augenblick im Bereich des Öls herumschlagen, ist darauf zurückzuführen, daß die Bevölkerung der Vereinigten Staaten auf Grund einer jetzt 30jährigen Entwicklung zu Verbrauchsbesitzständen gekommen ist, die in unseren Augen Verschwendung bedeuten, und daß es ungeheure Schwierigkeiten macht, diese Verbrauchsbesitzstände abzubauen. Die gesamte Öleinfuhr der Vereinigten Staaten ist notwendig, um den Ölverbrauch der Vereinigten Staaten zu decken, der in den Vereinigten Staaten über den Durchschnittsölverbrauch der Bevölkerung in Europa hinausgeht. Das heißt, die ganze externe Ölnachfrage der Vereinigten Staaten ist, wenn Sie so wollen, notwendig, um einen Ölverbrauchsstandard abzudecken, der weit über dem liegt, was z. B. in der Bundesrepublik Deutschland als eine angemessene Ölversorgung angesehen und jetzt schon unter Gesichtspunkten der Einsparungsnotwendigkeit diskutiert wird.
    Keiner bezweifelt die ungeheuren Schwierigkeiten, die es macht, sich von solchen Besitzständen zu entfernen, wenn man sich an sie gewöhnt hat. Schon wegen meiner eigenen Kenntnis der Verhältnisse in den Vereinigten Staaten wäre ich der letzte, der daraus einem amerikanischen Präsidenten einen wie immer gearteten Vorwurf machen würde. Aber eine solche relativ unterschiedliche Dringlichkeit festzustellen und daraus die politischen Konsequenzen zu ziehen, scheint mir notwendig; denn auch in Amerika könnte es eindrucksvoll sein, wenn die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, deren Bevölkerung zahlenmäßig sogar etwas größer als die amerikanische Bevölkerung ist, auf die Dringlichkeit einer Anpassung an das hinweist, was in Westeuropa jedenfalls schon als ein besonders hoher Lebensstandard anerkannt wird.

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD] : Das ist doch wiederholt geschehen!)

    — Das geschieht natürlich. Ich habe das gar nicht bezweifelt. Ich habe nur gesagt, Herr Kollege Wolfram, es könnte vielleicht notwendig sein. Insofern kann ein durch Gipfel-Politik erzwungener Konsens eher von Nachteil sein, und es kann vorteilhafter sein, einen Dissens deutlicher herauszustellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    — Das hat mit „spektakulär" überhaupt nichts zu tun. Das ist auch schon früher geschehen.

    (Dr. Steger [SPD] : Was hätten Sie gemacht, wenn man mit einem Dissens gekommen wäre?)

    — Ich habe Ihnen das gerade beschrieben. Wir werden das auch noch hier in diesem Hause — darauf gebe ich Ihnen Brief und Siegel — genau in diesem Sinne diskutieren.

    (Reuschenbach [SPD] : Der Strauß hat den Vorwurf gemacht, daß man nicht einig genug geworden sei!)




    Dr. Biedenkopf
    Meine Damen und Herren, die weitere Frage ist, wie man die weltpolitisch verursachten, durch die Energieverknappung, durch die Politik der OPEC-Länder, durch die Politisierung des Ölangebots entstandenen Probleme innenpolitisch bewältigt. Was wir als Parlament hier im Rahmen der Überlegungen bewirken können, ist eine Diskussion dieser Frage. Ich glaube nicht, daß es dabei im Parlament sinnvoll ist, bis in die Einzelheiten die technologischen und sonstigen Maßnahmen zu diskutieren und zu beschreiben, die man ergreifen könnte, um hier oder dort Energie einzusparen. Die mir viel wichtiger erscheinende Frage ist zunächst die, ob die jetzt in Aussicht stehende Verknappung und Verteuerung von Energie gegenüber den Zuständen, wie sie noch vor wenigen Jahren geherrscht haben, die Rechtfertigung dafür liefern können, wichtige grundsätzliche Entscheidungen, z. B. über die Organisation unserer Wirtschaft, über das Verhältnis von Wirtschaft und Staat, über die Bedeutung der marktwirtschaftlichen Ordnung, über den Regel- und Eingriffsanspruch des Staates, in Zukunft anders zu entscheiden, als wir es in der Vergangenheit entschieden haben.
    Ich habe mit Interesse und Zustimmung zur Kenntnis genommen, daß Herr Kollege Hauff am Schluß seiner Rede den Bundespräsidenten zitiert hat und dort darauf hingewiesen hat, daß es die Aufgabe der Politik sei, dafür Sorge zu tragen, daß wir uns unter Erhaltung unserer Freiheit im Rahmen der neuen Bedingungen einrichten. Aber ich kann nur sagen, daß dies nicht mit dem übereinstimmt, was in seinem 20-Punkte-Programm stand, wo nämlich neben einer Reihe von sinnvollen Vorschlägen zur Energieeinsparung eine Fülle von Verboten enthalten waren, die offenbar alle davon ausgingen, daß der Zeitpunkt gekommen sei, sich nicht mehr auf das Funktionieren von Marktmechanismen zu verlassen, sondern mit Verboten einzugreifen. Diese 20 Punkte haben in einem anderen Haus der Bundesregierung, nämlich im Wirtschaftsministerium, eine vernichtende Kritik erfahren, wie ich glaube, zu Recht. Ich bin der Meinung, daß der Weg, der hier vorgeschlagen worden ist, der falsche Weg ist.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Wenn er nur in Suche nach dem richtigen Weg vorgeschlagen wurde, bin ich der letzte, der die Bonafides bestreitet. An der Falschheit, an der Ungeeignetheit und an der politischen Unvertretbarkeit dieses Weges ändert das allerdings überhaupt nichts.
    Es hat keinen Sinn, eine nur auftretende Schwierigkeit und politische Probleme sofort mit Verboten zu beantworten, auch dann, wenn es sich um private Schwimmbäder handelt und ein Verbot privater Schwimmbäder vielleicht einer gewissen Popularität nicht entbehrt. Es sind nicht die privaten Schwimmbäder, die verboten werden sollen. Auch der Kollege Hauff ist sicher nicht der Auffassung, daß damit energiepolitischer Eindruck erzielt werden kann.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Gleich Null!)

    Es ist vielmehr die Richtung, die darin zum Ausdruck kommt,

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    auf den Versuch der Steuerung über Preise oder andere marktwirtschaftliche Mittel von vornherein zu verzichten, ein Verbot einzurichten und damit zugleich die Zahl derer zu erhöhen, die im Auftrag des Staates solche Verbote dann überwachen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ausnahmeregelung für die Regierung! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Eppler wollte die einfachste Lösung!)

    Meine Damen und Herren, wir müssen uns darüber im klaren sein, daß bei der Lösung der energiepolitischen Probleme die Politik, vor allem, wenn die Probleme sich so wie heute darstellen, auf enorme Schwierigkeiten stößt.

    (Zuruf von der SPD: Marktwirtschaft!)

    — Diese Marktwirtschaft ist eine der wichtigsten politischen Entscheidungen, und Sie — wie alle anderen, die hier sitzen — profitieren sehr davon, daß sie 1948 getroffen wurde.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Die hat der Kollege noch nicht so verstanden!)

    Meine Damen und Herren! Die Schwierigkeit besteht darin, daß wir es mit der Lösung von Zukunftsaufgaben zu tun haben und daß politische Entscheidungen, die wir zu treffen haben, wenn wir die Zukunft gestalten wollen, immer auf Besitzstände in der Gegenwart treffen. Wenn ich diejenigen, die z. B. als Studenten mit ihrem Auto zur Bochumer Universität fahren, auf dem hinten der Aufkleber „Atomkraft? — Nein danke!" klebt, frage, ob sie es auch in Betracht ziehen würden, mit dem Fahrrad oder dem öffentlichen Verkehrsmittel zur selben Hochschule zu fahren,

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Dann sagen sie: Nein, danke!)

    dann sagen sie auch: nein, danke!

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU — Wolfram [Recklinghausen] [SPD] : Haben sie einmal mit Studenten diskutiert? — Dr. Kohl [CDU/CSU] : Der weiß gar nicht, was das ist!)

    — Ich diskutiere sehr viel mit Studenten, wahrscheinlich mehr als Sie, Herr Kollege Wolfram.

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Nicht auf diesem Niveau!)

    — Wahrscheinlich. Vorhin hörten wir von Herrn Minister Hauff, bei höheren Preisen bestehe die Gefahr von „Studentenbenzin", „Rentnerbenzin", „Studentenöl" oder „Rentneröl".

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ministeröl!)

    — Ich nehme jetzt nur die Studenten heraus. Dazu kann ich nur eines feststellen: Wir haben in den letzten Jahren an der Ruhruniversität Bochum riesige Parkhäuser gebaut, damit die Studenten mit dem Auto zur Universität kommen können. Das ist sicher eine gute Investition gewesen, es ist auch eine nützliche und bequeme Sache, daß die Studenten mit dem Auto zur Universität fahren können.

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: 20 Jahre zu spät!)




    Dr. Biedenkopf
    Aber eine Bewirtschaftung, eine Quotenregelung oder etwas anderes mit dem Argument einzuführen, hier müsse eine neue Art von Gleichheit geschaffen werden, weil es einem Student nicht zumutbar sei, auf einen Lebensstandard, den er in den letzten zwei oder drei Jahren erreichen konnte, zu verzichten, um politische Probleme zu lösen, ist keine Politik mehr. -

    (Beifall bei der CDU/CSU — Schäfer [Offenburg] [SPD] : Wer hat denn das behauptet? — Wolfram [Recklinghausen] [SPD] : Wer sagt denn das?)

    — Das kommt genau in dem zum Ausdruck, was mit dem Begriff „Studentenbenzin" angesprochen wird. Sie haben das offenbar überhaupt nicht verstanden.

    (Zurufe von der SPD und Gegenrufe von der CDU/CSU)

    Die Schwierigkeit bei der Lösung der energiepolitischen Fragen besteht darin, daß sie in der Gegenwart von der Bevölkerung noch gar nicht als so dringlich empfunden werden — was im übrigen auch in der Präsenz des Parlaments zum Ausdruck kommt.

    (Zuruf von der SPD)

    Denn in der Vergangenheit bis heute war der Verbrauch von Energie, und zwar sowohl Benzin wie Heizöl, dadurch gekennzeichnet, daß er real jedenfalls nicht teurer und bei Benzin real sogar billiger wurde.

    (Zuruf der Abg. Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD])

    — Wenn Sie mich nicht ernst nehmen, beschwert mich das kaum.

    (Lachen und Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf der Abg. Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD])

    Wenn man den Anteil der Energieversorgung am Nettoeinkommen von Privathaushalten mißt, stellt man fest, daß der gesamte Energiebedarf, also Benzin, Heizöl, Kohle, Strom, zur Zeit etwa 6 % des Nettoeinkommens des durchschnittlichen privaten Arbeitnehmerhaushalts verbraucht. Der gesamte Konsum an ölorientierter Energie beträgt also rund 3 %. Das ist nicht viel. Die Veränderung dieser 3 % greift natürlich in die Konsumgewohnheiten des Privathaushalts ein.
    Wenn in der Bundesrepublik Deutschland der Ölpreis um 20 % steigt, dann vermehren sich eben diese 3 % um 20 %. Das ist kein so großer Eingriff, daß die Leute schon deshalb ihre Konsumgewohnheiten ändern. Das ist ja eines der Probleme, die wir haben.
    Die Shell-AG hat durch eine Befragung feststellen lassen — ich kann das nur wiedergeben —, daß die Benzinpreiserhöhung, die in der Vergangenheit eingetreten ist, das Konsumverhalten der Bevölkerung nicht berührt und daß der Benzinverbrauch sich nicht geändert hat und daß eine Benzinpreiserhöhung, die ein verändertes Fahrverhalten der Bevölkerung zur Folge haben soll, wesentlich höher sein muß. Das zeigt, daß die Nachfrage
    nach Benzin zur Zeit noch sehr stabil ist, weil die überwältigende Mehrheit derer, die Benzin nachfragen, sich durch die bisherigen Preiserhöhungen in ihrem Konsumverhalten kaum beeinflussen lassen.
    Das ist eine sehr wichtige Feststellung für die weitere Behandlung unseres Problems. Denn das heißt ja ganz offenbar: Über die Preise wird eine veränderte Verhaltensweise wichtiger Konsumententeile erst eintreten, wenn sich die Preise weiter erhöhen.
    Wir müssen vor diesem Hintergrund auch die sozialen Auswirkungen solcher Preiserhöhungen sehen. Ich halte es für falsch, bereits jetzt angesichts der bisher eingetretenen Preiserhöhungen nach einer grundsätzlichen Veränderung unserer Steuerungsmechanismen mit dem Argument zu rufen, die Preiserhöhungen seien sozial nicht mehr vertretbar. Ich halte das deshalb für falsch, weil ich glaube, daß wir sonst sehr schnell in eine planwirtschaftliche, bewirtschaftungsorientierte Energiepolitik kommen, deren Folgen weit über den energiepolitischen Bereich hinausgehen.
    Wir müssen nach meiner Überzeugung den Mut haben, gerade die Auswirkungen der veränderten Energiepreise — diese sind ja nichts anderes als der Ausdruck der veränderten Mengen und der veränderten Angebotslage — in der Bundesrepublik Deutschland, was ihre politische Vertretbarkeit betrifft, auch etwas vor dem Hintergrund der internationalen Lage zu sehen. Ich sage das besonders deshalb, weil ich glaube, daß dieser internationale Bezug, der ja in fast allen Reden angesprochen worden ist, nicht nur für die Ölpreisfrage, sondern auch für die Kernenergiepolitik gilt.
    Dazu möchte ich noch zwei Bemerkungen machen. Ministerpräsident Albrecht hat vorhin vorgetragen, daß seine Landesregierung ungeachtet des Ergebnisses der sicherheitstechnischen und sicherheitspolitischen Prüfung die Wiederaufbereitungsanlage, die für Gorleben vorgesehen war

    (Zuruf von der SPD:... und ist!)

    — und ist, soweit es sich verwirklichen läßt —, aus politischen Gründen nicht genehmigen kann.

    (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Das nimmt er für sich in Anspruch, anderen billigt er es nicht zu!)

    — Herr Wolfram, Sie nehmen das politisch für sich in der gleichen Weise in Anspruch. Bei jeder geringsten Veränderung des von Ihnen vertretenen Besitzstandes sind Sie der erste, der sagt, dies sei politisch unmöglich.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Hier geht es aber um eine ganz andere politische Situation,

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Er ist sogar der leibhaftige Besitzstand!)

    nämlich um die Frage — ich möchte, daß wir diese Fragen mit dem notwendigen Ernst behandeln —, ob möglich ist, was Herr Ministerpräsident Albrecht auch sagte, einen politischen Konsens zwi-



    Dr. Biedenkopf
    schen den Parteien herbeizufühen über die Voraussetzungen, unter denen Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland einen Teil der Energienachfrage befriedigen kann. Das war ja der eigentliche Gegenstand der Fragestellung.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Der Gegenstand der Fragestellung war ja: Ist es denkbar, daß der Überzeugungsprozeß, der geleistet werden muß, von den politischen Parteien gemeinsam geleistet werden kann? Ist also das in der Energiepolitik denkbar, was sonst erst nach jahrzehntelanger politischer Auseinandersetzung im Bereich der Sozialen Marktwirtschaft gelungen ist, daß nämlich alle politischen Parteien die Grundgedanken der Sozialen Marktwirtschaft — jedenfalls wenn man sich an den Regierungserklärungen von Willy Brandt und Helmut Schmidt orientiert — genauso tragen, wie das frühere Regierungen getan haben? In Sachen Kernenergie kann diese Feststellung nicht getroffen werden. Es kann keine Rede davon sein, daß es in der Sozialdemokratischen Partei hier einen politisch belastbaren Konsensus gibt. Er ist nicht vorhanden.
    Der Ministerpräsident von Niedersachsen hat zu Recht darauf hingewiesen, daß er nicht, notfalls mit staatlichen Gewaltmitteln, Widerstände in der Bevölkerung überwinden könne, die sich auf die Autorität wichtiger Teile der Sozialdemokratischen Partei berufen,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    und daß es ihm nicht zugemutet werden könne, das staatliche Handeln und die ganze damit verbundene Belastung, auch die staatlichen Gewaltmittel zur Durchsetzung staatlichen Handelns, zur Durchsetzung einer Politik im Auftrage der Bundesregierung in Anspruch zu nehmen, wenn die die Bundesregierung tragenden Parteien diese Politik gleichzeitig vor Ort mit aller Entschiedenheit ablehnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dies und nichts anderes ist die Frage, die hier aufgeworfen worden ist.
    Im Zusammenhang mit dieser Frage scheint es für mich wesentlich zu sein, daß man den Rahmen der Diskussion über die Sicherheitsprobleme, die mit der Kernenergie verbunden sind, über das Bisherige hinaus ausdehnt. Ich finde es sehr verdienstvoll, daß der Bundeskanzler heute morgen —ähnlich wie der Ministerpräsident von Niedersachsen — in seiner Regierungserklärung auf die Gefahren des Kohlebergbaus hingewiesen hat. Wenn wir die von Teilen der Sozialdemokratischen Partei an die Kernenergie und ihre kommerzielle und industrielle Verwertung gerichteten Sicherheitsanforderungen auf den Kohlebergbau übertrugen, müßten wir alle Schachtanlagen im Ruhrgebiet schließen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Kohl [CDU/CSU] : Natürlich!)

    Es ist überhaupt keine Frage, daß sich die Sicherheitsanforderungen, die an den Kohlebergbau gestellt werden, in deutlicherem Maße an der Realität messen lassen als in anderen Bereichen, insbesondere im Kernbereich. Das bedeutet überhaupt nicht, daß man nicht auch im Kohlebergbau alle Anstrengungen macht, um die Sicherheit der Bergleute zu gewährleisten. Dort ist in den letzten 30 Jahren Erhebliches geleistet worden. Auch das steht völlig außer Diskussion. Aber es kommt doch niemand auf die Idee, dort absolute Sicherheit zu verlangen; es gibt sie nämlich gar nicht.
    Daß bei der Kernenergie Risiken ganz anderer Art mit im Spiel sind, steht völlig außer Frage. Diesen Risiken muß auch entsprochen werden. Aber, meine Damen und Herren — darauf kommt es mir hier an —, wenn wir unsere Erwartungen und Anforderungen an die Sicherheit der Kernenergie formulieren, müssen wir uns darüber im klaren sein, daß jedes nicht gebaute Kernkraftwerk die Inanspruchnahme von Energie anderer Art, d. h. auch von 01, bedeutet. Wenn wir aber, wie der Herr Bundeskanzler das gesagt hat und wie vor allen Dingen auch Herr Hauff und Graf Lambsdorff das gesagt haben, bei unserer nationalen Energiepolitik auch unserer Verantwortung gegenüber den Entwicklungsländern Rechnung tragen wollen, müssen wir auch die Konsequenzen z. B. der Erdölverteuerung, die durch unsere vermehrte Nachfrage für die Entwicklungsländer entsteht, in unsere kernenergiepolitischen Betrachtungen mit einbeziehen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Was bei uns dann noch marginale Sicherheitsfragen sind, sind für die Menschen in diesen Entwicklungsländern nicht marginale Sicherheitsfragen, sondern Überlebensfragen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn wir aber diese Überlebensfragen in unsere innenpolitische Güterabwägung gar nicht Eingang finden lassen, sondern unsere innenpolitische Güterabwägung bezüglich Risiko und Notwendigkeit ohne jede Rücksicht auf die internationalen Konsequenzen unserer Entscheidung vornehmen, müssen wir uns den Vorwurf machen lassen, daß wir im Ergebnis unser Sicherheitsbedürfnis zu Lasten von Millionen Menschen in den Entwicklungsländern, deren Existenz gefährdet ist, optimieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Und das sogar mit einer Kriegsdrohung! — Zuruf von der SPD: Vor allen Dingen in Südafrika!)

    Ich bin der Überzeugung, daß auf die Dauer diese Betrachtungsweise in den westlichen Industrieländern durch die Entwicklungsländer nicht mehr toleriert werden wird und daß die Ölländer, wenn sie im Verhältnis zu anderen, z. B. islamischen Entwicklungsländern ihre eigene Lage betrachten, sich früher oder später zu den Sprechern auch dieser Interessen der Entwicklungsländer machen werden, und diesen Sprechern können wir dann nicht mit der moralischen Entrüstung über Erpressung entgegentreten, sondern wir müssen ihnen recht geben, wenn sie sagen, daß wir die Interessen von Millionen Menschen in den Entwicklungsländern ignorieren, weil wir glauben, uns einen Lebensstandard, einen Sicherheitsquotienten und ein Maß an Be-



    Dr. Biedenkopf
    quemlichkeit leisten zu können, welches, gemessen an dem Zustand der restlichen Welt, nicht mehr als politisch verantwortbar angesehen werden kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, wenn wir die Diskussion gerade mit den Kernkraftgegnern um diese Dimension erweitern, wird sie sich in ihrer Qualität verändern. Denn die Kernkraftgegner sind oft die gleichen jungen Leute — und ich nehme diese jungen Leute sehr ernst —, die mit großer Leidenschaft für die Interessen und für das Leben der Menschen in den Entwicklungsländern eintreten, die wir bisher aber nicht über die Zusammenhänge aufgeklärt haben,

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Sehr gut!)

    die zwischen dem, was wir hier innenpolitisch diskutieren, und dem, was in den Entwicklungsländern geschieht, bestehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Wir verweigern ihnen das Wissen um diese Zusammenhänge und wundern uns dann, wenn sie in dem engen Diskussionsrahmen, der allein innenpolitisch bestimmt ist, ihre Entscheidungen treffen. Wir müssen ihnen die Möglichkeit geben, abzuwägen und bei der Güterabwägung, die hier allemal getroffen werden muß, auch die immer größere und immer direkter und unmittelbarer werdende politische Verantwortung gegenüber den Entwicklungsländern mit einzubeziehen, die wir auch haben, wenn wir unsere kernenergiepolitischen Entscheidungen treffen.
    Ich kann nur hoffen, daß die Sozialdemokratische Partei, wenn sie auf ihrem Parteitag über diese Frage diskutiert, in der Lage sein wird, innerparteilich die Voraussetzungen herzustellen, von denen Ernst Albrecht gesprochen hat, die Voraussetzungen, ohne die eine konstruktive Fortführung wichtigster energiepolitischer Programme nicht möglich ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Wehner [SPD]: Schönen Dank für Ihre Ratschläge!)



Rede von Liselotte Funcke
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ueberhorst.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Reinhard Ueberhorst


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich meine, Herr Biedenkopf, man kann es vielleicht einmal im Raum stehen lassen, wie ernst Ihre Hoffnungen in bezug auf die SPD gemeint sind. Ich will sie ernst nehmen, und ich will Ihnen auch beipflichten, daß wir gut daran tun, irgendwann in einem Stadium in dieser Debatte auf die Frage zu kommen: Welchen parlamentarischen Beitrag will dieses Parlament in der aktuellen deutschen Kernenergiediskussion leisten, welche Aspekte müssen da einbezogen werden, und was wollen wir als Fraktion, jeder für sich und jeder auf seine Art, dazu beitragen?
    Sie haben in diese Debatte einen anonymen Studenten eingeführt, der mit einem Aufkleber „Atomkraft — nein danke" an dem Auto herumfährt und der auf Ihr Befragen hin erklärt hat, er sei nicht bereit, auf das Auto zu verzichten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das tun sehr viele!)

    Ich unterstelle einmal, daß dieser konkrete Fall vorgefallen ist; Sie werfen gerade ein, daß es weitere Fälle gibt. Aber Pharisäer gibt es überall. Auch in der Marktwirtschaft haben wir große Theoretiker der Marktwirtschaft, die dennoch Maßnahmen vertreten, die überhaupt nicht marktwirtschaftlich sind.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich will auch nicht in Abrede stellen, daß es im Kreise der Kernenergiekritiker Leute gibt, die das, was Sie mit internationaler Auswirkung usw. angedeutet haben, nicht durchdacht haben.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Das ist nicht das Problem des Pharisäers, sondern die Leute sind nicht aufgeklärt! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Herr Kohl, wenn Sie das in einem selbstkritischen Ton sagen, will auch ich gern einräumen, daß wir unsere Bürger nicht genug aufgeklärt haben, wie Sie sagen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Oder falsch aufgeklärt! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

    Ich weiß aber nicht, ob Sie mir auch folgen, wenn ich sage: Die breite Masse unserer Bürger ist weit klüger und einsichtiger, als es in dem Beispiel deutlich wird, das Herr Biedenkopf hier eingeführt hat.

    (Beifall bei der SPD — Rawe [CDU/CSU] : Deswegen hat sie in Schleswig-Holstein euren Kandidaten nicht gewählt!)

    Die breite Masse unserer Bürger weiß, daß wir in einem Zeitalter leben, in dem auch individuelle Verhaltensänderungen zum Bestandteil einer Politik gemacht werden müssen, und deshalb hatte Minister Hauff vollkommen recht, als er hier aufzeigte, daß die Politik für diese gesellschaftlichen Lernprozesse auch Hinweise darauf geben muß, was passieren kann. Es kann nicht so sein, daß sich eine kreative Verwaltung, die die Vorschläge macht, und die Orientierung an einem freiheitlichen Prinzip gegenseitig ausschließen.
    Herr Biedenkopf, in diesem Sinne meine ich auch, daß Sie mit Ihrer Anregung recht haben, wir sollten uns fragen, wie wir Konsens erzeugen können. Wir können uns allerdings daran erinnern, daß Sie bei der letzten Energiedebatte größerer Art hier am 14. Dezember 1978 die Zentralvokabel in den Raum stellten: „anweisen!", die Landesregierung Nordrhein-Westfalen sollte angewiesen werden.

    (Dr. Biedenkopf [CDU/CSU] : Das hat die Landesregierung angefordert! Die hat ausdrücklich um diese Anweisung gebeten!)

    — Die Landesregierung hat erklärt, sie warte das ab, was der Bundestag sagt, und der Bundestag hat etwas gesagt, und die Landesregierung hat gehandelt.

    (Zuruf des Abg. Dr. Kohl [CDU/CSU])




    Ueberhorst
    Heute haben verschiedene Ihrer Sprecher, weniger Herr Biedenkopf, aber viele andere Kollegen, insbesondere Herr Strauß, erklärt — auch in Ihrem Antrag, auf den Sie selten zurückgekommen sind, heißt es so —: Da ist eine sich zuspitzende Diskussion. Sie beklagen die sich zuspitzende Diskussion, und es wird gesagt, „an der Front" müßte mehr durchgesetzt werden. Außerdem wird in diesen Tagen ein Memorandum vorgelegt, das Sie glücklicherweise in dieser Debatte auch nicht so stark benutzt haben, in dem es immer wieder heißt: Hier gibt es in den Parteien Widersprüche, unterschiedliche Meinungen usw. Ich will Ihnen dazu eindeutig sagen: Darin unterscheiden wir uns. Die SPD-Fraktion braucht ihre Partei mit all diesen unterschiedlichen Diskussionsprozessen überhaupt nicht zu verstecken.

    (Beifall bei der SPD)

    Als der Bundeskanzler vorhin seine Regierungserklärung abgab, haben Sie zu Recht protestiert, als er erklärte, die Kirchen, die Verbände und alle Parteien hätten eine sehr intensive, strittige Kernenergiediskussion. Sie haben hier in der Tat zu Recht protestiert, weil Sie für sich nicht beanspruchen können, zu diesen Parteien zu gehören, die wie unsere Bevölkerung in dieser Frage ringen und in denen es in der Tat auch viele Mitglieder gibt, die die Hoffnung haben, daß wir nach einer Übergangszeit einmal ohne Kernenergie leben können, und die in diesen Parteien dafür arbeiten.
    Für uns Sozialdemokraten ist dies und die Tatsache, daß wir das aus der Parteidiskussion hier ins Parlament bringen, ein wichtiger Bestandteil unserer Art und Weise, Politik gesellschaftlich zu verankern und diese Politik nicht losgelöst — Sie können ja sogar einen Kanzlerkandidaten ohne Einbeziehung der Parteien wählen — von den Parteien und der Bevölkerung zu machen.

    (Beifall bei der SPD)

    Es ist schon bedauert worden, daß Herr Strauß hier zwar eine Debatte mit eröffnen kann, aber dann verschwindet. Weil er sich zu Schleswig-Holstein geäußert hat, muß ich als Schleswig-Holsteiner noch darauf antworten. Wir Schleswig-Holsteiner mögen es nicht, wenn die Herren, die uns angegriffen haben, weggehen. Da heißt es, in Kiel habe die SPD ein Landtagswahlprogramm vorgelegt. Der Bundeskanzler hat in der Tat erklärt, daß er es respektieren werde, wenn eine gewählte schleswigholsteinische Landesregierung erkläre, weitere Kernkraftwerke würden nicht gebaut. Wir haben hier häufig über Föderalismus geredet, und ich frage Sie: Was ist denn eigentlich mit Ihren föderalistischen Prinzipien los? Wenn man in den Ländern entscheiden will, ob, wann und wie viele Kraftwerke und welche Art von Kraftwerken man baut, so kann z. B. Nordrhein-Westfalen entscheiden, welche Kraftwerkspolitik es betreiben will. Für den Fall, daß wir in Schleswig-Holstein gewonnen hätten — leider haben wir es nicht —,

    (Lampersbach [CDU/CSU]: Gott sei Dank!)

    hätten wir auch entschieden, welche Kraftwerkspolitik wir betrieben hätten.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Herr Kollege, wenn Sie gewonnen hätten, könnten Sie hier doch gar nicht zur Kernkraft reden!)

    Aber ich darf Ihnen sagen, die Mehrheit der Schleswig-Holsteiner hat nicht für Brokdorf gestimmt. Die Mehrheit der Schleswig-Holsteiner — das hat Herr Stoltenberg auch erkannt — wollte Brokdorf nicht. Herr Stoltenberg ist nach der Wahl auch sehr viel nachdenklicher geworden. Es wäre gut, wenn auch Herr Strauß das registrieren würde.

    (Kolb [CDU/CSU] : Dann schalten Sie doch den Hamburgern den Strom ab! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Meine Herren, wir führen hier jetzt die- Gipfeldebatte. Aber ich bin gern bereit, einmal länger über Regionalpolitik in Schleswig-Holstein und über den Bau von Kraftwerken — Kohlekraftwerken, Kernkraftwerken — in Schleswig-Holstein zu sprechen. Aber nehmen Sie bitte diesen Punkt zur Kenntnis! Wenn Herr Strauß noch hier wäre, hätte man darüber noch ausführlicher streiten können. Nur, ich finde, es ist schlechter Stil, hier etwas einzuführen und dann bei der Erörterung nicht mehr anwesend zu sein.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Herren, zu diesen Fragen, die in unserer Partei gestellt werden, die wir auch hier im Parlament, Herr Biedenkopf, gestellt und einvernehmlich in einem Beschluß verdichtet haben, mit dem wir die sogenannte Enquete-Kommission Zukünftige Kernenergiepolitik eingesetzt haben, bekennen wir uns. Die Bundesregierung begrüßt diese parlamentarische Kommission. Die Fraktionen von FDP und SPD begrüßen sie ebenfalls. Sie arbeiten in dieser Kommission zwar mit — ich darf als Vorsitzender sagen, daß wir einen guten Einstieg in die Arbeit gehabt und einstimmig ein Arbeitsprogramm verabschiedet haben —, bringen das aber hier leider nicht in die Debatte ein. Wenn wirklich ein Konsens herbeigeführt werden soll, genügt es nicht, sich mit vorgefaßten Meinungen zu übertreffen und einseitige Überzeugungsprozesse mit Konsensfindungsprozessen zu verwechseln.

    (Beifall bei der SPD)

    Dafür muß man offener, wesentlich offener sein, so offen, wie wir es waren, als wir uns beispielsweise gefragt haben, ob die Nutzung der Kernenergie notwendig ist oder ob auf sie verzichtet werden könne, als wir uns gefragt haben, welche Kriterien und Maßstäbe für die Akzeptanz der Kernenergie und anderer Energieträger als wesentlich zu erachten sind und wie sie parlamentarisch umgesetzt werden können.

    (Lenzer [CDU/CSU] : Sagen Sie doch einmal genau, ob Sie dafür oder dagegen sind! — Lachen und Zurufe von der SPD)

    — Herr Lenzer, ich habe mir angesichts all der Zwischenrufe fest vorgenommen, auf diesen Zwischenruf einmal zu antworten; denn er ist ja häufig zu



    Ueberhorst
    hören. Wofür ich hier bin und streite, ist folgendes. Erstens. Es gibt eine Fülle — ich habe Ihnen soeben drei vorgelesen — berechtigter Fragen, die man zur Kernenergienutzung und zur Perspektive kritisch und engagiert stellen kann. Zweitens. Ich bin dafür, daß das hier ins Parlament gebracht und nicht immer nur draußen diskutiert wird.

    (l eifall bei der SPD und der FDP)

    Ich bin auch dafür, daß wir uns als Volksvertretung hier dazu bekennen, daß wir nicht neben diesem Volk, sondern als Teil desselben existieren, so daß sich die Meinungen hier auch wiederfinden können.

    (Erneuter Beifall bei der SPD und der FDP)

    Drittens. Ich bin dafür, daß diese Fragen wirklich konsensorientiert behandelt werden, daß hier jeder ohne Gesichtsverlust mitarbeiten kann. Denn sonst werden wir nie einen Konsens zustande bringen, sondern bestenfalls Mehrheiten bilden. Das aber ist, wie auch Herr Biedenkopf hier betont hat, angesichts der Notwendigkeit, eine breite Übereinstimmung zu erzielen, zu wenig.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Kolb [CDU/CSU] : Fragen muß man beantworten, Herr Kollege, und nicht nur stellen! — Lampersbach [CDU/CSU] : Sind Sie nun dafür oder dagegen? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich komme jetzt zu dem Teil, der von Herrn Albrecht als zentraler Punkt in dieser Debatte eingeführt worden und der auch in der Tat sehr wichtig ist. Vielleicht behalten wir diese Fragestellung im Auge — Konsensfindung, Verhältnis der Partei zum Bürger, des Menschen zur Politik, der Politik zur Technik —, wenn wir uns jetzt der aktuellen Entsorgungspolitik und der Gorleben-Politik zuwenden.

    (Pfeffermann [CDU/CSU] : Sind Sie denn nun dafür oder dagegen? — Kolb [CDU/ CSU] : Wir kennen nur Ihre Frage, nicht Ihre Antwort!)

    — Herr Pfeffermann, vielleicht hören Sie zu.

    (Pfeffermann [CDU/CSU] : Sagen Sie, wo Sie stehen! — Lampersbach [CDU/CSU] : Deine Rede sei ja, ja — nein, nein!)

    Historisch ist es so — das sollte man sich bewußtmachen, das ist eine ernsthafte Feststellung —, daß wir in eine Situation „hineingewachsen" sind, in der weltweit Kernkraftwerke genutzt werden, ohne daß das Entsorgungsproblem bisher in einem Land der Welt so gelöst ist, daß eine Endlagerung des Atommülls realisiert ist. Das empfinden draußen viele Menschen, insbesonders junge Menschen -
    und ich hoffe, wir alle — als eine historische Hypothek. Es war daher gut, daß wir in der 7. Legislaturperiode des Bundestages — in vielen Diskussionsbeiträgen ist das unterstrichen worden — das sogenannte Entsorgungsjunktim entwickelt, daß wir uns bewußtgemacht haben, daß wir die Nutzung der Kernenergie u. a. an eine sichere Entsorgung binden müssen.
    Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung im Dezember 1976 erklärt, daß die Errichtung neuer Kernkraftwerke nur noch dann genehmigt werde, wenn ihre Entsorgung hinreichend sichergestellt sei; bei schon im Bau oder in Betrieb befindlichen Anlagen müsse die gesicherte Entsorgung in angemessener Frist nachgewiesen werden. Der Bundestag hat — mit der Mehrheit von SPD und FDP — zuletzt am 14. Dezember 1978 unterstrichen, daß eine Neugenehmigung von Kernkraftwerken von dem Nachweis einer sicheren Entsorgung abhängig zu machen sei. Der Bundesinnenminister hat das in all seinen entsorgungspolitischen Stellungnahmen ebenfalls unterstrichen. Er hat auch darauf hingewiesen, daß das Parlament zu Recht eine parlamentarische Überprüfung der ausländischen Entsorgungsverträge erwarten dürfe, und erklärt, er werde im Zusammenhang mit der Entsorgungsvorsorge keine Absprachen mehr honorieren, die sich auf Cogema-Verträge stützen, solange das Parlament nicht Einblick in diese wichtigen Verträge bekommen hat.
    Es sollte eigentlich für uns alle nachvollziehbar sein — Konsens! — so wie es die Bürger empfinden, daß hierin ein politisches Prinzip steckt, eine Rationalität, die uns abverlangt, daß wir an diesem Prinzip der gesicherten Entsorgung als Voraussetzung zum Bau neuer Kernkraftwerke sehr sorgfältig festhalten.

    (Beifall bei der SPD)

    Es gibt keinen Grund, von diesem Entsorgungsjunktim abzuweichen.
    Jetzt möchte ich mich Herrn Albrecht widmen, wobei das angesichts der Komplexität der Erklärungen und Darstellungen, glaube ich, auch nur differenziert geschehen kann. Ich meine, Herr Albrecht hat viele gute Ansätze in die Entsorgungspolitik hineingebracht. Herr Albrecht hat gesagt, wir müßten, wenn wir über eine solche Technologie entscheiden wollten, Pro und Contra, insbesondere auch Kritiker hören und abwägen. Er hat ferner gesagt, hier dürfe nichts überhastet werden, es müsse alles mit Sorgfalt entschieden werden. Er hat darauf hingewiesen, daß die Bevölkerung in der Region Lüchow-Dannenberg ständig informiert werden und an dem Entscheidungsprozeß teilnehmen können müsse. Er hat schließlich auch noch einmal das notwendige hohe Ausmaß an Gemeinsamkeit bei der Entscheidung dieser Fragen betont.
    Nun war ich angesichts dieser Maßstäbe, die Sie aufgestellt haben, Herr Albrecht — ich glaube, es sind die wichtigsten —, sehr gespannt auf das, was Sie vortragen würden. Sie haben erklärt, das sei eine moralische Entscheidung. Ich glaube in der Tat, daß Sie mit diesem Anspruchsniveau richtig liegen. Aber Sie treffen uns nicht, wenn Sie sagen, Ihnen werde fehlender Mut vorgeworfen, Sie würden kneifen. Ich stelle mir vielmehr die Frage, ob Sie sich eigentlich richtig in die Menschen hineindenken, ob Sie die richtigen Konsequenzen aus den Gesichtspunkten ziehen, die Sie angeführt und die Sie dazu bewogen haben, Ihre Entscheidung zu treffen. Wir müssen doch alle miteinander sehen: Nicht nur in der Region Lüchow-Dannenberg, sondern bundesweit — das hat Herr Laermann schon angespro-



    Ueberhorst
    chen — haben die Bürger doch zum Teil Fragen und Bedenken, die wir hier ohne jede Schwierigkeit aufnehmen und diskutieren könnten. Wenn man z. B. sagt, ein Salzstock solle angebohrt werden und solle erkundet werden, dann müssen wir vorher wissen, nach welchen Kriterien dies erfolgt, damit man hinterher im Zusammenhang mit den Ergebnissen darüber auch vernünftig diskutieren kann.
    Wenn man sagt, bei der Einschaltung von Wissenschaftlern, die diese Prozesse untersuchen und diese ökologisch-regionalwirtschaftlichen oder andere Gutachten machen sollen, sollten keine Prüfer beauftragt werden, die ihrerseits im Verdacht stehen, mit der Kernenergie verflochten zu sein, so ist das ebenfalls ein rationaler Gesichtspunkt von Bürgern. Wenn die Bürger sagen „Es kann dort nichts gebaut werden, bevor die Geeignetheit des Standorts, d. h. auch des Salzstocks, nachgewiesen ist", weil wir ja ein integriertes Konzept wollen, so ist das ein rationaler Gesichtspunkt.