Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist er-eröffnet.
Meine Damen und Herren, zur heutigen Tagesordnung ist interfraktionell folgende Reihenfolge vereinbart worden: zuerst Punkt 41 betreffend den Wein, dann Punkt 42 betreffend die Eier, dann Punkt 43 betreffend das Getreide,
dann Punkt 10 — die Große Anfrage wegen der europäischen Agrarpolitik —, dann die Anträge der SPD unter den Punkten 73 und 74, schließlich der neue Bericht des Rechtsausschusses zu Punkt 16. — Das Haus ist damit einverstanden, es ist so beschlossen.
Folgende amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 28. Juni 1961 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Schlegelberger — Drucksache 2776 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 2825 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 28. Juni 1961 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Pflaumbaum, -Pietscher, Enk, Dr. Huys, Koch, Werner und Genossen betr. Überschwemmungsschäden in dem Aller-Oker-Leine-Gebiet — Drucksache 2829 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 2945 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 28. Juni 1961 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Corterier, Dr. Serres und Genossen betr. Konventionen über Straßenverkehr der Wirtschaftskommission für Europa — Drucksache 2841 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 2946 verteilt.
Ich rufe Punkt 41 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Gibbert, Diel, Schlick, Leicht und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Überleitung des deutschen Weinbaues in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ,
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Drucksache 2901)
.
Der Berichterstatter, der Herr Abgeordnete Mauk, hat einen Schriftlichen Bericht vorgelegt, für den ich ihm danke.
Ich komme damit in zweiter Beratung zu den einzelnen Bestimmungen und rufe §§ 1 bis 18 auf. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Die Bestimmungen sind angenommen.
Ich rufe § 19 ,auf, dazu den Antrag Umdruck 992, Änderungsantrag des Abgeordneten Bauknecht —. Herr Abgeordneter Bauknecht!
Meine Damen und Herren, ich darf das Hohe Haus bitten, meinem Antrag zuzustimmen. Es handelt sich nur um eine Anpassung der Berlin-Klausel an andere Gesetze. Es ist also nur eine redaktionelle Änderung ohne besonderen materiellen Inhalt.
Wird hierzu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann lasse ich abstimmen. Wer dem Änderungsantrag des Abgeordneten Bauknecht Umdruck 992 zuzustimmen und damit § 19 neu zu fassen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Dann ist § 19 durch die Neufassung ersetzt.
Ich komme sodann zu § 20 sowie zu Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer der aufgerufenen Bestimmung, der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Damit kommen wir zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Bitte, Herr Abgeordneter Gibbert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir wegen der Kürze der Zeit, einen ebenso kurzen wie dringlichen Appell an das Hohe Haus zu richten, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Das Gesetz ist bitter notwendig. Wir wollen gewiß nicht dramatisieren und nicht von einer Katastrophe im deutschen Weinbau reden, aber daß unbestritten eine schwierige Krise da ist, kann man überall und tagtäglich feststellen. Die Lagerbestände sind außerordentlich hoch. Die Preise sind weit unter die Gestehungskosten gefallen. Zur Lösung dieser Krise soll dieses Gesetz beitragen.
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9724 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. Juni 1961
GibbertEs soll aber auch dafür sorgen, daß künftige Krisen, wie wir sie leider in der EWG erwarten müssen, nach Möglichkeit vermieden werden. Die jetzige Krise ist allein schon aus einigen guten Jahrgängen entstanden, allerdings verstärkt durch einen erhöhten Import. Wie sich ein Massenimport im Rahmen der EWG aus der Überproduktion aus Frankreich und Italien in der Zukunft auswirken würde, kann man nur ahnen, und das gibt zu Furcht Anlaß, meine Damen und Herren. Im gesamten deutschen Weinfach ist man sich darüber einig, daß mit Rücksicht auf diese Entwicklung und diese Gefahr besondere Maßnahmen notwendig sind, auch wenn diesem Gesetz hie und da widersprochen wird.Hier helfen auch nicht gutgemeinte Subventionen, die sicherlich bald wiederkehren müßten. Das Übel muß an der Wurzel gefaßt werden. Das Übel liegt darin, daß wir in der Weinwirtschaft nicht das haben, was wir im übrigen in unserer sozialen Marktwirtschaft haben, also ein System, das auf das Allgemeinwohl der Gesellschaft abgestellt ist. Eine Bindung des einzelnen, wie wir sie dort haben, haben wir im Weinfach leider nicht. Hier regiert einer der beiden von Wilhelm Röpke so bezeichneten Feinde der sozialen Marktwirtschaft, der moralisch abgestumpfte Ökonomismus, also das System der ökonomischen Ausnutzung einer Situation, die in den allermeisten Fällen nicht von den Menschen, sondern von der Natur herbeigeführt ist. Das ist auch die Ursache dafür, daß wir — in Reich und Bund — in den vergangenen Jahrzehnten so oft und nachdrücklich und mit erheblichen Finanzmitteln in die Weinwirtschaft eingreifen mußten. Diesem Laisser-faire müssen wir ein gewisses Ordnungssystem entgegensetzen, wollen wir den Weinbau, die Weinbaugebiete und die mit dem Weinbau verbundenen Gewerbebetriebe und die gesamte deutsche Reb- und Weinkultur retten.Deshalb, meine Damen und Herren, sollten wir damit einverstanden sein, daß für alle Beteiligten des Weinfachs, sowohl die Weinhändler als auch die Weinimporteure und die Winzer, gewisse Bindungen festgelegt werden, die dieser Gesetzentwurf vorsieht, Bindungen, die von den Beteiligten aller Fraktionen so erarbeitet worden sind, daß sie grundgesetzkonform und EWG-konform sind.Es sind nun Bedenken geltend gemacht worden, daß mit diesen Ordnungsmaßnahmen ein Einbruch in die Freiheit des einzelnen geschehe, daß hier Dirigismus, eine gewisse Planwirtschaft eingeführt werde. Die Vertreter dieser Auffassung lehnen infolgedessen dieses Gesetz ab. Ich gebe allen, die solche Bedenken haben, auf, zu überlegen, was es für sie selbst bedeuten würde, wenn sie, wie Zehntausende von Winzerbetrieben das heute verzweifelt tun müssen, seit einem Dreivierteljahr auf die in ihrer Höhe objektiv 'unzureichende erste Entlohnung für ihre Arbeit des vergangenen Jahres warten müßten. Ich glaube, ,das Loblied auf die Freiheit wird dann bald verstummen.Von anderer Seite sind Bedenken geäußert worden, ob die vorgesehenen Maßnahmen ausreichen. Ich glaube daran, daß 'sie ausreichen. Ich glaube sogar zu merken, daß dieses 'Gesetz schon in statu nascendi seine Wirkung ausübt. Sollte es aber nicht ausreichen, meine Damen und Herren, — was verschlägt es, daß wir uns dann wieder mit ihm befassen und Verbesserungsvorschläge sowohl entgegennehmen als auch selber aus 'der Praxis heraus machen? Jetzt aber kommt es darauf an, den Anfang zu machen und dem deutschen Winzer zu beweisen, daß wir uns im Bundestag wirklich um sein Los kümmern und daß wir ihm ,das Vertrauen zu seiner Volksvertretung erhalten.Ich bitte das ganze Hohe Haus, dem Gesetz zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Kriedemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist unstrittig, daß mit anderen Teilen der deutschen Landwirtschaft auch der deutsche Weinbau in eine echte Strukturkrise hineingekommen ist. Das Bemühen, ihm bei der Überwindung dieser Schwierigkeiten zu helfen, ist durchaus legitim. Der Ernährungsausschuß hat sich eingehend mit der Vorlage beschäftigt, die Ausgangspunkt unserer 'Beratungen war und die aus der Initiative der Abgeordneten, die hier vorn aufgezählt sind, stammt. Es ist dabei eine Fülle von Problemen aufgetaucht, die nicht oder jedenfalls zum Teil nicht und für den Rest nur sehr schwierig bewältigt werden konnten. Es hat sich herausgestellt, daß sehr viel Zeit versäumt worden ist, Zeit, die nicht mehr eingeholt werden kann. Es wäre sicherlich besser gewesen, das deutsche Weingesetz schon vor längerer Zeit zu revidieren. Denn die besondere Stellung des deutschen Weinbaues in dem großen europäischen Weinmarkt, von dem der deutsche Weinbau nur einen ganz kleinen Teil 'ausmacht, läßt sich nur aufrechterhalten, wenn wir es auf die Qualität abstellen und alles das aufgeben, was nicht in der Lage ist, mit Qualitätsleistungen in diesem großen Markt zu bestehen.
Es kann auch heute nicht gesagt werden, ob die Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes durch den § 1, der in seiner jetzigen Fassung völlig anders ist, als er uns ursprünglich vorgelegt wurde, ausgeräumt sind. Es gebietet, glaube ich, die Fairneß den Winzern gegenüber, die soviel Hoffnung auf dieses Gesetz setzen, zu sagen, daß andere Bestimmungen in diesem Gesetz auf ihr Gewicht erst noch geprüft werden müssen.
Hier ist von einem Mindestpreis die Rede, den der Minister festsetzen soll. Aber der Minister hat kein Instrument in der Hand, diesen Mindestpreis wirksam zu verteidigen, da die Mittel für den Stabilisierungsfonds, der in den Markt eingreifen soll, eben nur aus den Beiträgen der Winzer stammen. Die Bundesregierung hat rundheraus erklärt, daß sie sich daran nicht beteiligen könne.
Es ist ebenfalls nur fair, wenn wir uns hier vor Augen halten, daß auch die Einfuhrsperre, die draußen im Lande als das Wunderinstrument angesehen wird, nur eine sehr eingeschränkte Bedeutung hat. Wir können uns natürlich nicht durch ein Gesetz
Kriedemann
autonom aller handelspolitischen Verpflichtungen für ledig erklären. Wir wissen, daß nur ein verhältnismäßig bescheidener Teil unserer Weineinfuhren von einer solchen Sperre — wenn sie bei Unterschreitung der Mindestpreise durch die Bundesregierung verhängt würde — erfaßt werden kann.
Es ist dies also wirklich nur der Torso eines Marktordnungsgesetzes, wie es den beteiligten Kreisen der Initiatoren sowie denen, die wirtschaftlich darauf angewiesen sind, wohl vorgeschwebt hat. Trotzdem werde ich und werden diejenigen meiner Freunde, die diese grundsätzlichen Bedenken überwinden können, die endgültig auszuräumen wir jetzt ganz einfach keine Zeit mehr haben, dem Gesetz zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Mauk.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch die FDP wird diesem Gesetz trotz schwerer Bedenken gegen einzelne Bestimmungen zustimmen. Viele Freunde aus meiner Fraktion waren der Überzeugung, daß dem deutschen Weinbau genauso oder vielleicht noch besser gedient gewesen wäre, wenn man ihm imSinne der Stellungnahme des Wirtschaftspolitischen Ausschusses 'des Bundestages genügend Mittel für die Einlagerung von Wein und für den Ausbau von Winzergenossenschaften zur Verfügung gestellt hätte. Sie wissen, daß es im Bundesgebiet, z. B. in Baden und Württemberg, Weinbaugebiete gibt, in denen heute schon über 80 % des Anfalls an Wein in Winzergenossenschaften erfaßt werden und die deshalb nicht dringend auf ein solches Gesetz angewiesen gewesen wären.
Ich wollte eigentlich heute noch einen Entschließungsantrag im Sinne dieses Beschlusses des Wirtschaftspolitischen Ausschusses einbringen. Leider ist er im Augenblick noch in der Schreibmaschine. Er läßt sich also nach der Geschäftsordnung nicht mehr verwirklichen. Deshalb möchte ich an dieser Stelle namens meiner Fraktion die Bundesregierung bitten, entsprechend dem Beschluß des Wirtschaftspolitischen Ausschusses unverzüglich geeignete Maßnahmen zum schnellen Wirksamwerden dieses Gesetzes zu ergreifen.
Wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Ich komme zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf in dritter Lesung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Einige Gegenstimmen. Enthaltungen? — Einige Enthaltungen. Angenommen!
Ich rufe auf Punkt 42 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Reinhard, Wittmer-Eigenbrodt, Bauknecht, Hesemann, Dr. Gossel, Dr.
Siemer, Wehking, Dr. Pflaumbaum und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der deutschen Eierwirtschaft ,
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 2902)
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Drucksachen 2898, zu 2898)
.
Ich danke dem Berichterstatter des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, dem Herrn Abgeordneten Bading, für seinen Schriftlichen Bericht. Soll seitens des Haushaltsausschusses gesprochen werden? — Das ist offensichtlich nicht der Fall.
Dann komme ich zur zweiten Beratung. Wir werden ziffernweise vorgehen müssen. Ich rufe 'auf Ziffer 1, — Ziffer 2, — Ziffer 3 entfällt, Ziffer 4. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Diese Bestimmungen sind angenommen.
Ich komme zu Ziffer 5 und rufe 'dazu den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 960 Ziffer 1 auf. Wird der Antrag begründet? — Herr Abgeordneter Kriedemann!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gerade weil wir das Prinzip, nach dem hier verfahren wird, für richtig halten — schließlich stammt das Eierförderungsgesetz aus unserer Initiative, das Gesetz, das allein es bewirkt hat, daß der deutschen Geflügelwirtschaft ein größerer Anteil am eigenen Markt gesichert wurde, als es wegen ihrer schlechten Wettbewerbslage, verursacht durch die hohen und nach unserer Meinung viel zu hohen Preise für Futtergetreide, zunächst der Fall war, so daß sie erst den Anschluß finden mußte —, stehen wir auch diesem Gesetz positiv gegenüber. Aber wir haben im Laufe der letzten Jahre doch erfahren müssen, daß die Möglichkeiten des Betrugs und der Verleitung dazu außerordentlich groß waren. Seinerzeit hatten wir uns ja vorgestellt, daß man nur mit gekennzeichneten Eiern würde handeln können. Die Regierung hat eine entsprechende Bestimmung später wieder rückgängig gemacht, und das hat viele Leute in eine außerordentlich schwierige Lage gebracht. Manch einer, der schuldig geworden ist, ist eigentlich durch das Versagen von Gesetzgebung und Regierung schuldig geworden. Deshalb müssen wir mit allen Mitteln versuchen, dieses Gesetz gegen solche Möglichkeiten und die Beteiligten gegen solche Versuchungen zu schützen.Deshalb schlagen wir Ihnen vor, die in der Ausschußdrucksache vorgeschlagene Formulierung „Jungmastgeflügel bis zum Alter von 8 Monaten" durch den ursprünglichen Text des Antrages —„Schlachtgeflügel" — zu ersetzen. Es scheint uns außerordentlich schwierig zu sein, in jedem Falle festzustellen, ob es sich denn wirklich um Jung-
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Kriedemannmastgeflügel bis zum Alter von acht Monaten handelt. Das klassische alte Suppenhuhn, das nach vielen Jahren des Herumlaufens auf dem Bauernhof dann von der Bäuerin in einem Anfall von Zorn geschlachtet wurde und zum Entsetzen der Hausfrau auch nach mehreren Stunden Kochens nicht weich werden wollte, gibt es heute nämlich gar nicht mehr. Eine rationelle Eierproduktion — und das ist für die große Zahl der bäuerlichen Familienbetriebe d i e Form der Geflügelwirtschaft — ist überhaupt nur möglich, wenn man die Tiere sehr jung, nach der ersten Legeperiode ohne weitere Überlegungen schlachtet. Wir alle erfreuen uns der ausgezeichneten frischen Ware, die in großen Mengen ,aus dem Ausland hier auf den Markt kommt.Man hat in den vergangenen Jahren oft gesagt, unsere Eierwirtschaft sei schon deshalb so benachteiligt, weil wir keinen Markt für das junge Geflügel hätten. Wir halten es ,für einen ausgesprochenen Irrtum, wenn man meint, man könne den Einwendungen des Finanzministers usw. dadurch begegnen, daß man den Kreis der Tiere, die einen Ausgleich für die zu hohen Futterkosten haben sollen, auf die Jungmasttiere im Alter von acht Monaten beschränkt. Bekanntlich werden die Hühner ja nicht standesamtlich eingetragen, und es wird also im einzelnen Fall sehr schwer sein, diejenigen zu ermitteln, die Subventionen empfangen oder solche Prämien beantragen, obwohl die Tiere, die sie auf den Markt bringen, älter als acht Monate sind.Aus diesen und anderen Gründen — wegen der Zeitnot, in der wir jetzt sind, fasse ich mich kurz — beantragen wir also, um klare Verhältnisse zu schaffen, um jede Durchstecherei, jeden Betrug, jede Täuschung, jede Erschwerung der Kontrolle unmöglich zu machen, auf die ursprüngliche Formulierung — „Schlachtgeflügel" — zurückzugehen.Lassen Sie mich noch ein Wort zu den Kosten sagen. Die Kosten werden dadurch sicherlich steigen. Aber, meine Damen und Herren, die Ausgaben für dieses Gesetz stehen nach wie vor den Einnahmen gegenüber, die der Bundesfinanzminister aus der sogenannten Abschöpfung, d. h. aus der mutwilligen Verteuerung des Futtergetreides in Deutschland hat. Ehe nicht diese Abschöpfung der landwirtschaftlichen Erzeugung in der einen oder anderen Weise — und das hier ist eine sehr wirksame Weise — in vollem Umfang zurückgegeben ist, habe ich bezüglich der Mittel, die hier erforderlich sind, überhaupt kein schlechtes Gewissen. Deshalb bitte ich Sie — um dieses Gesetz narrensicher und sozusagen diebessicher zu machen —, unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reinhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stimme mit Herrn Kriedemann überein, daß es das alte Suppenhuhn in dem angedeuteten Sinne nicht mehr gibt. Ich bin auch mit ihm der Meinung, daß wir alles tun müssen, um mögliche Mißbräuche zu unterbinden.
Wir haben uns trotzdem im Ausschuß entschlossen, die ursprüngliche Fassung, nach der das gesamte Schlachtgeflügel einbezogen werden sollte, fallenzulassen und die Suppenhennen, also die alten, abgelegten Hennen, herauszunehmen.
Das hat folgenden Grund: Wenn wir nicht zweimal den Ausgleich bezahlen wollen, müßte eine Umrechnung des Ausgleichs für Eier erfolgen. Der Herr Berichterstatter hat in seinem ausgezeichneten Bericht angeführt, daß nur die Erzeugungskosten eingesetzt werden dürften. Das würde bedeuten — und er hat auch die Zahl genannt —, daß die Eierprämie nur noch 0,6 Pf betragen dürfte. Das würde heißen, daß von einer Summe von rund 90 Millionen DM praktisch nur 18 Millionen DM auszubezahlen wären.
Ich bin nicht der Ansicht des Herrn Berichterstatters, sondern ich glaube, daß auch das Erhaltungsfutter bei der Errechnung des Eierausgleiches berücksichtigt werden müßte. Aber dann wäre es so, daß 2,2 Pf in diesem Quartal auszubezahlen wären. Das würde bedeuten, daß 18 Millionen DM weniger, also nur 72 Millionen, wenn wir 90 Millionen annehmen, auszuzahlen wären. Das wäre eine sehr viel größere Senkung der Auszahlung, als überhaupt für die Schlachthennen gegeben werden kann. Wenn wir annehmen, daß 40 000 t Schlachtennen anfallen und ungefähr die Hälfte auf den Markt kommt — das wird noch nicht einmal der Fall sein —, dann würden im höchsten Fall dafür 12 Millionen gezahlt werden. Ich glaube, wir würden dann den Bauern, die in Not gekommen sind, mehr wegnehmen, als ihnen gewähren könnten.
Aus diesem Grunde bitte ich, die Ausschußfassung anzunehmen und den gutgemeinten Antrag der SPD abzulehnen.
Wird des weiteren das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich komme zur Abstimmung. Wer dem Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 960 Ziffer 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Wir müssen die Abstimmung wiederholen. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.Ich lasse abstimmen über Nr. 5 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.Nr. 6 entfällt.Ich rufe Nr. 7 auf, dazu die Umdrucke 960 Ziffer 2 und 977 Ziffer 1. Wird zur Begründung der Anträge das Wort gewünscht? — Das Wort hat der Abgeordnete Kriedemann.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich im wesentlichen auf meine Ausführungen zu Nr. 1 beziehen. Auch hier handelt es sich für uns nur darum, das Gesetz gegen alle die Machenschaften zu schützen, die wir in der letzten Zeit zur Kenntnis nehmen mußten und die in Kreisen derjenigen, die über die Hauptgesichtspunkte dieses Gesetzes nicht unterrichtet waren, eine Menge von Entrüstung und Hohn und Spott heraufbeschworen haben.
Wir müssen zu einer Verbesserung der Kontrolle kommen, und deshalb wollen wir, daß auch die in den Kleinpackungen verkauften Eier gekennzeichnet werden. In Deutschland hat sich ein Aberglaube breitgemacht — und ich bedaure, daß die Regierung ihm dadurch Vorschub geleistet hat, daß sie ihre Handelsklassenverordnung seinerzeit zurückgezogen hat —, der Aberglaube nämlich, daß das gestempelte Ei ein altes Ei, das ungestempelte Ei ein frisches Ei sei. Das trifft nur in dem einzigen und sehr seltenen Fall zu, daß ein Verbraucher unmittelbar an der Betriebsstätte eines Erzeugers seinen Eierbedarf decken kann. Aber 'in einer Gesellschaft wie der unsrigen mit ihren Ballungsräumen hat eben nur eine Minderheit diese Chance. Alle anderen müssen sich auch bezüglich ihres Eierbedarfs so versorgen, wie sie es mit anderen Lebensmitteln tun.
Das deutsche Ei konkurriert mit gestempelten Eiern, die aus dem Ausland kommen und die eine ausreichende Qualität haben. Deshalb müssen wir auch die deutschen Verbraucher daran gewöhnen, daß das deutsche Ei seine Qualität durch seine Kennzeichnung deutlich macht.
Wenn wir nun aber zulassen, daß in ein und demselben Betrieb gestempelte und ungestempelte Eier angetroffen werden und dem Kontrolleur dann auf seine erstaunte Frage gesagt wird: Die ungestempelten kommen noch in die Kleinpackungen, dann machen wir ein neues Loch auf, nachdem wir uns soeben bemüht haben, ein sehr großes und gefährliches Loch zu schließen, indem wir die Betriebe zwingen, sich zu entscheiden, ob sie ihre Geschäfte mit gekennzeichneten oder mit ungekennzeichneten Eiern machen wollen. Dieses Nebeneinander und Durcheinander hat gerade 'dazu geführt, daß die Dinge undurchsichtig wurden.
Wir haben uns in 'dem Urteil eines Schöffengerichts aus Rheine bescheinigen lassen müssen, man habe es gewußt, wie bei der Eierprämie verfahren werden wird. Meine Damen und Herren, die Eierprämie ist keine Subvention; sie ist nichts anderes als die Rückerstattung von — meine Kollegin Frau Strobel macht mich darauf aufmerksam, daß es mit „mutwillig" eigentlich viel zu gelinde ausgedrück ist — zuviel erhobenem Futtergetreidepreis. Die Eierprämie ist also nicht eine Subvention, sondern eine Rückerstattung.
Im Falle des Prozesses gegen einen solchen Mann, der diese Rückerstattung gegen den Wortlaut des Gesetzes für ungestempelte Eier bezogen hat, haben wir uns also bescheinigen lassen müssen, der Staat und seine Funktionäre hätten wissen müssen, daß
so verfahren wird. Der Mann ist freigesprochen worden. Das dient weder dem Ansehen der Demokratie noch dem Ansehen des Gesetzgebers.
Um nun nicht neben einer gerade erst zugeschweißten Stelle selber gleich ein neues Loch zu bohren, schlagen wir Ihnen vor, Nr. 7 zu streichen, d. h. zu verordnen, daß Prämien nur für Eier gezahlt werden können, die gekennzeichnet sind, in welcher Sorte von Packung sie sich auch immer befinden mögen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reinhard.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Gesetz zur Förderung der deutschen Eierwirtschaft war dringend notwendig. Erst mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes hat sich die Eiererzeugung bei uns erhöht. Aber es ist ganz zweifellos, daß dieses Gesetz Lükken hatte. Herr Kriedemann hat ,da vollkommen recht, das soll nicht beschönigt werden. Wir bemühen uns, mit diesem Gesetzentwurf die Lücken zu schließen, damit kein Mißbrauch vorkommen kann.
Wir haben aus diesem Grunde eine Reihe von Maßnahmen eingeführt: Einmal muß sich der kennzeichnende Betrieb verpflichten, sämtliche Eier zu kennzeichnen. Zum zweiten soll eine schärfere und bessere Kontrolle ermöglicht und durchgeführt werden. Wir glauben, daß die Lücken, die das Gesetz ließ und die einen Mißbrauch ermöglichten, damit geschlossen sind.
Mit der Konzession an die Nachfrage nach dem ungestempelten Ei bei den Kleinpackungen glauben wir nicht etwa neue Maschen geöffnet zu haben, durch die man schlüpfen könnte. Da die Kleinpakkungen banderoliert sein müssen, entsprechende Aufdrucke und Kennzeichnungen haben müssen, da auf der anderen Seite auch gar kein Grund vorliegt, sie wieder zu öffnen, und da auch die Hausfrauen sicher Wert darauf legen, die Kleinpackungen geschlossen zu erhalten, glauben wir nicht, daß ein Mißbrauch möglich ist. Allerdings wollen wir nicht die Großpackungen einbeziehen; denn diese müssen zwangsläufig spätestens im Einzelhandelsgeschäft geöffnet werden, und die Eier müssen einzeln verkauft werden.
Aus diesen Gründen bitte ich, den Antrag der SPD-Fraktion, aber auch den Antrag Umdruck 977, abzulehnen
und die Ausschußfassung anzunehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Bauknecht.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nicht zu dem Gesetz, sondern nur zu der Äußerung meines Kollegen Kriedemann Stellung nehmen, der vorhin behaup-
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Bauknechttet hat, daß die Bundesregierung und demnach auch die Politik der Mehrheitsfraktion an den überhöhten Futtergetreidepreisen schuld sei und daß das ein Akt der Mutwilligkeit sei. Meine Damen und Herren, das ist kein Akt der Mutwilligkeit, sondern daß ist die Absicherung, daß nicht ein Drittel des deutschen Bodens der Produktion völlig entzogen wird. Denn wenn wir mit dem Futtergetreidepreis absteigen, dann werden — das habe ich von diesem Platz aus schon oft erklärt — auch die anderen agrarischen Preise absinken, da ein innerer Zusammenhang besteht. Weil wir das nicht wollen, sind wir für diese Abschöpfung und für die Förderbeträge bzw. einen Ausgleich im Reexport, solange die Abschöpfungen an der Grenze nicht funktionieren.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmücker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn Sie die Vorlage des Ausschusses — die übrigens im Widerspruch zu den Vorschlägen des Wirtschaftsausschusses steht — und den Antrag der SPD durchlesen, dann, meine ich, sollten Sie sich einen Moment überlegen, ob die beiden Vorschriften, die hier vorgeschlagen werden, überhaupt durchsetzbar und durchführbar sind. Was wir seit einiger Zeit auf dem deutschen Eiermarkt erleben, ist doch eine Art Tragikomödie, und ich möchte einmal wissen, wie, wenn August Hinrichs noch lebte, sein „Krach um Jolanthe" heute aussehen würde. Meine Herren von der Regierung, das bezieht sich auch auf die Kontrolle, die Sie auf dem Eiermarkt in Cloppenburg vor einigen Tagen durchgeführt haben. Die Administration hat gewisse Grenzen, und Sie können den Leuten nicht etwas vorschreiben, was ,sie partout nicht wollen und meiner Meinung nach auch nicht zu tun brauchen.Kollege Kriedemann hat vorhin schon einen Prozeß angeführt, der die Situation in etwa beleuchtet. Auf eine kurze Formel gebracht, heißt das Rheiner Urteil: „Man kann nur denjenigen betrügen, der nicht weiß, daß er betrogen wird, und weil der Staat weiß, daß er betrogen wird, kann er nicht betrogen werden." Meine Damen und Herren, das ist doch eine groteske Situation.Oder nehmen Sie den Düsseldorfer Fall, wo man Prämien bezogen hat, ohne überhaupt mit irgendwelchen Eiern zu handeln; woraus doch hervorgeht, daß die Kontrolle der Stempelung überhaupt nicht möglich ist. Die Kontrolle ist eine Sache der Buchführung.Oder nehmen Sie den dritten Prozeß, der sehr interessant ist; das ist der Prozeß in Celle über die Amtspflichtsverletzung. Dort ist ausdrücklich festgestellt worden, daß die Behörden gewußt haben, daß einige, oder sehr viele, Eier abgeliefert haben, ohne sie zu stempeln, und die Prämie gefordert haben und daß andere, die sich ausdrücklich geweigert haben, sie zu stempeln, keine Prämie bekommen haben; und das sei eben eine ungleiche Behandlung. Hier liege eine Amtspflichtverletzung vor.Nun kann man sagen: „Wie ist es möglich, daß diese Dinge vor allem im nordwestdeutschen Raum passieren? Sind die Leute dort unehrlicher als in anderen Gegenden, oder woran liegt das?" Meine Damen und Herren, es liegt ganz einfach daran, daß in Nordwestdeutschland die Eierproduktion eine andere Bedeutung hat als in anderen Gegenden. In Nordwestdeutschland ist sie eine Spezialproduktion geworden, ist sie für viele landwirtschaftliche Betriebe, vor allem Kleinbetriebe, eine Existenzgrundlage. Aber das braucht ja keine Entschuldigung zu sein. Ich bin der Meinung, daß ein Gesetz, das so angelegt ist wie dieses, nicht funktionieren kann. Es verführt die Menschen!Herr Kollege Kriedemann sprach von einem „Aberglauben". Nun, ich will mich nicht in eine Diskussion darüber einlassen, ob es zutrifft, daß ein ungestempeltes Ei frischer ist oder besser ist als ein gestempeltes. Darauf kommt ,es auch gar nicht an. Die Kunden kontrollieren doch selber, und sie wissen doch, welche Ware sie kaufen. Warum wollen wir vorschreiben, daß ein Ei gestempelt sein muß? Nachher schlagen Sie noch vor, daß es rot oder blau angepinselt werden muß. Wir wollen doch den Leuten überlassen, was und wie sie kaufen. Das können sie doch selber beurteilen. Worauf es mir im wesentlichen ankommt, ist, meine Damen und Herren, daß Sie meiner Meinung nach keine Kontrolle über die Stempelung ausüben können. Sie können ,es den Hausfrauen durchaus überlassen, daß sie die Ware kaufen, die sie für richtig halten.Es muß doch irgendeinen Grund haben, daß sich das ungestempelte Ei einen gewissen Markt und einen guten Preis erobert hat. Das mag an der Qualität liegen; das will ich gar nicht erörtern. Ich glaube, im wesentlichen liegt es daran, daß das ungestempelte Ei in einem Minderangebot steht. Wenn ein mangelhaftes Angebot da ist, dann werden sich die Preise immer nach oben bewegen. Es ist ganz selbstverständlich, daß die Menschen dann versuchen, diesen Preis zu erzielen und, da das Eierförderungsgesetz in der Anlage dem Ausgleich der Mehrfutterkosten dient, auch die Eierförderungsmittel zu bekommen. Denn an sich hat die Eierförderung mit der Stempelung als solcher gar nichts zu tun, und eine totale Stempelung, Herr Kriedemann, liegt ja wohl nicht drin. Denn den Ab-Hof-Verkauf können Sie einfach nicht unterbinden.
— Das will auch niemand. Aber da Sie das nicht können, meine Damen und Herren, können Sie kein lückenloses System herstellen. Das, was hier in dem SPD-Antrag vorgeschlagen wird, ist nach meiner Meinung nicht durchführbar.Wir müssen nun aber sehen, die Betrugsmomente, die Hintergehungstatbestände möglichst einzuengen. Das kann man doch am besten dadurch, daß man den Anreiz zum Betrug beseitigt. Wenn man also das ungestempelte Ei, das gütebearbeitet sein
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Schmückerund in einer bestimmten Aufmachung, eben in größeren Kartonagen, angeboten werden muß, freigibt, fällt der Anreiz weg. Gleichzeitig aber wird das Angebot an ungestempelten Eiern größer. Der Überpreis wird also heruntergehen, und Sie haben, ohne daß Sie administrativ eingreifen — was Sie übrigens gar nicht können —, ,die Sache geregelt.Eine wirksame Kontrolle ist nach meiner Meinung nur über die Buchungsbelege möglich. Es müßte also mindestens eine ordentliche Buchführung stattfinden. Dabei ist eine gewisse Orientierung an der Reichsabgabenordnung erforderlich. Jetzt wird doch eine völlig isolierte, auf diesen Zweck zugeschnittene Buchführung vorgelegt, bei der überhaupt keine Gegenkontrolle besteht und die gar keine Gefahr für den einzelnen Unternehmer in sich birgt, wenn sie nicht ganz exakt durchgeführt wird. Eine solche Buchführung ist einfach nicht zu kontrollieren.Ich wäre natürlich sehr froh, wenn es uns gelingen könnte, aus diesem System schneller als beabsichtigt herauszukommen. Wir wisssen, daß es diese Art der Eierprämiierung nur noch kurze Zeit geben wird. Aber wenn wir jetzt die Dinge freiheitlicher gestalten und die natürlich oder durch das Gesetz künstlich gegebenen Anreize zur Umgehung beseitigen, werden wir der Befriedung dienen und dem Markt die Entwicklung überlassen.Ich glaube, es wäre im Sinne der freien Konsumwahl und einer freiheitlichen Gestaltung sehr gut, wenn sich der Deutsche Bundestag dem Vorschlag des Wirtschaftsausschusses anschlösse und den Antrag annähme, den wir Ihnen auf Umdruck 977 vorgelegt haben.
Wird weiterhin das Wort gewünscht? — Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte das Hohe Haus, das heute am letzten Tage vor Ablauf der Legislaturperiode zusammengetreten ist, nicht mit langen Eiervorträgen behelligen. Ich möchte vor allen Dingen vermeiden, daß dieses Gespräch über die Eierstempelei noch weiter ausgedehnt wird. Wir haben in den vergangenen Jahren aus mancherlei Gründen bereits so unendlich lange Besprechungen geführt, daß ich glaube, die Experten haben sich bereits bis auf das äußerste angestrengt, um den richtigen Weg zu finden.
Es handelt sich einfach darum, daß wir in diesem Hohen Hause mit der Stempelung einen Modus gefunden zu haben glaubten, um die Eierprämie an den Mann zu bringen, soweit ein Anspruch berechtigt erscheint. Hier sind Mißbräuche vorgekommen. Die Mißbräuche sind bedauerlich. Aber die Grundsatzfrage ist: Ist das Gesetz schlecht, oder ist der Mensch schlecht?
— Eben doch nach unserer Auffassung, Herr Kollege Schmücker!
Nun wird in dem Antrag Umdruck 977 gefordert, eine Erweiterung in dem Sinne vorzunehmen, daß ungestempelte Eier in geschlossenen Packungen als gekennzeichnete Eier verkauft werden dürfen. Darunter kann man dann aber auch Eier, die in Großpackungen z. B. Kisten, verpackt sind, verstehen. Hiergegen wende ich mich. Ich bin durchaus bereit, der Ausschußvorlage meine Zustimmung zu geben, die von Kleinpackungen spricht. Hier kommt man bis zu einem gewissen Grade den Einwänden entgegen, die von den Gegnern der Stempelung ins Feld geführt werden. Würden wir jedoch die Großpackungen einbeziehen, wäre eine Kontrolle überhaupt nicht mehr möglich.
Die Kontrolle aber ist die Voraussetzung dafür, daß die Zahlungen einigermaßen ordnungsgemäß vorgenommen werden. Eine mangelhafte Kontrolle würde die Möglichkeiten für einen Mißbrauch bei der Auszahlung der Ausgleichsbeträge unendlich erweitern. Und das kostet sehr viel Geld. Des weiteren laufen wir aber bei einer solchen Handhabung Gefahr — wie auch schon gesagt wurde —, daß die ausländischen Eier nicht mehr gestempelt zu werden brauchten. Dann besteht die Gefahr, daß zwischen dem deutschen und dem ausländischen Ei überhaupt kein Unterschied mehr ist. Hiermit meine ich nicht gute Eier aus Nachbarländern, sondern ich meine Eier sehr ferner Herkunft, die dann völlig unkontrolliert auf den Markt kommen. Ich habe deshalb die Bitte, daß Sie den Antrag auf Umdruck 977, der eine Neufassung von § 1 Abs. 2 vorsieht, ablehnen und der Ausschußvorlage Ihre Zustimmung geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmücker.
Meine Damen und Herren, ich wehre mich dagegen, daß hier gesagt wird, das sei eine Frage, ob das Gesetz oder der Mensch gut oder schlecht sei. Schlecht hin, gut her, wir haben die Gesetze so zu gestalten, daß sie nicht aus sich heraus einen Anreiz zur Übertretung bieten.
Das Gesetz in der Fassung der Ausschußvorlage
bietet einen Anreiz zur permanenten Übertretung.
Als Zweites wollte ich sagen: ich bitte auch den Antrag unter Ziffer 2 zu bedenken. Dort ist das Schwergewicht der Kontrolle dahin gelegt, wo einzig und allein kontrolliert werden kann, nämlich in die Buchhaltung.
Das Wort hat der Abgeordnete Kriedemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin bemüht, mich streng an die getroffenen Abmachungen zu halten, die darauf hinauslaufen, daß wir auf alle Fälle Zeit genug für die Behandlung der Großen Anfrage haben. Herr Kol-
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Kriedemannlege Schmücker, ich bin aber auch nach drei Legislaturperioden nicht so sentimental, daß ich sage, am letzten Tage solle man nicht so hart formulieren, wie Sie das eben getan haben. Wir haben uns redlich bemüht, die Löcher im Gesetz zu stopfen, die sich im Laufe seiner Praktizierung gezeigt haben. Ich habe Ihnen schon gesagt, warum sich diese Löcher überhaupt erst zeigen konnten. Wir gingen seinerzeit bei der Schaffung des Gesetzes von der sogenannten Handelsklassenverordnung aus, wonach die Eier, die in den Verkehr gebracht und nicht im Erzeuger-Verbraucher-Direktverkehr gehandelt wurden, gekennzeichnet werden sollten. Wir wußten, warum wir das taten: nicht aus einem Perfektionismus oder um der Farbenindustrie zu helfen, indem die Eier — diese Idee haben Sie vorhin angeboten — grün oder blau rot haben Sie wohl nicht gesagt — angestrichen werden. Auf diese Idee ist überhaupt noch kein vernünftiger Mensch gekommen.
Hier werden öffentliche Mittel eingesetzt. Wir müssen alles tun, um zu einer wirksamen Kontrolle zu kommen. Es gibt aber gerade bei denen, die die Eier ungestempelt verkaufen, keine Kontrolle. Deswegen soll die Zahlung der Prämie auf solche Betriebe konzentriert werden, die kennzeichnen und in diesem Zusammenhang verpflichtet sind, bestimmte Kontrollen über sich ergehen zu lassen. Wenn wir so verfahren, wie Sie vorgeschlagen haben, öffnen ,wir dem Betrug und der Verleitung zum Betrug Tür und Tor. Schauen Sie sich um und schauen Sie, wie Ihre sachverständigen Kollegen mir wenigstens in diesem Falle ihren Beifall und ihre Zustimmung nicht versagen. Ohne Kontrollmöglichkeiten ist dem Betrug Tür und Tor geöffnet. Wir wissen das aus Hunderten von Fällen. Ich kann für mich in Anspruch nehmen — ich habe hier mehrere Dutzend Betroffener und Beteiligter im Hause gehabt —, zu wissen, wie das passiert ist. Wenn wir so verführen,
Würden wir ,die Kontrolle völlig illusorisch machen, und dann wäre es wahrhaftig nicht zu verantworten, einem solchen Gesetz zuzustimmen. Ich kann nur hoffen, daß Ihre Ausführungen nicht allzu vielen die Sache so fragwürdig haben erscheinen lassen, daß sie sich jetzt bei der Abstimmung bei uns revanchieren.Nur unter diesem Gesichtspunkt sind wir der Ansicht gewesen, man solle auch Eier in der geschlossenen Kleinpackung stempeln. So töricht ist doch wohl keine Hausfrau, daß sie glaubt, ungestempelte Eier seien frischer, selbst wenn die Verpackung gestempelt ist. Das ist eine Konzession.Man hat uns auch seitens Ihrer Freunde gesagt, man wolle Ihnen wenigstens insofern entgegenkommen, als man ,die Eier in der Kleinpackung ungestempelt läßt, denn auch Ihre Freunde im Ausschuß haben uns und der Regierung darin zugestimmt, daß mit der in Ihrem Änderungsantrag vorgeschlagenen Formulierung dem Mißbrauch Tür undTor geöffnet wäre und jede Kontrolle wegfiele. Niemand könnte es verantworten, für ein solches Verfahren öffentliche Mittel einzusetzen.Ich bitte Sie also dringend, das zu beherzigen, was der Herr Minister gesagt hat, und den Änderungsantrag Umdruck 977 auf alle Fälle abzulehnen. Ich wiederhole meine Bitte, so zu beschließen, wie wir vorgeschlagen haben, nämlich die Eier in der Kleinpackung nur dann zu prämiieren, wenn sie gestern-pelt sind.
Wird weiterhin das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Es liegen zwei Änderungsanträge vor: der Antrag der SPD auf Streichung, der Antrag der Abgeordneten Schmücker und Genossen auf eine andere Fassung. Man kann geschäftsordnungsmäßig verschieden vorgehen; in diesem Falle scheint es mir zweckmäßig zu sein, zuerst über den Streichungsantrag abstimmen zu lassen.
Wer dem Änderungsantrag der SPD Umdruck 960 Ziffer 2 auf Streichung der Nr. 7 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme nunmehr zum Änderungsantrag der Abgeordneten Schmücker, Diebäcker, Illerhaus, Dr. Stecker und Genossen auf Umdruck 977 Ziffer 1. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Man kann nicht sagen, welches die Mehrheit war; wir müssen auszählen lassen. —
Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Abstimmung durch Auszählung über den Änderungsantrag Umdruck 977 Ziffer 1 bekannt. Es haben mit Ja gestimmt 126 Mitglieder des Hauses, mit Nein 163 Mitglieder des Hauses, 10 Mitglieder haben sich enthalten. Der Antrag ist abgelehnt. Ich nehme, an, daß die, die sich enthalten haben, sich für die Zuständigkeit des Osterhasen entscheiden wollten.
Ich komme nunmehr zu Nr. 7 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Nr. 8 und zugleich den Antrag der Abgeordneten Bauknecht und Genossen auf Umdruck 965. Wird der Antrag begründet? — Herr Abgeordneter Bauknecht!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Ernährungsausschuß haben wir stundenlang über die Frage diskutiert, ob es Rechtens zu verantworten ist, eine Begrenzung des Ausgleichsbetrags auf eine bestimmte Höhe vorzunehmen. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß in den abgelaufenen Monaten eine Reihen von Kleinen Anfragen gestartet wurden und daß auch bei der Verabschiedung des letzten Grünen Planes darüber gesprochen wurde, welche Möglichkeiten sich vor allem der bäuerlichen Familienwirtschaft eröff-
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Bauknechtnen, die tierische Veredelungsproduktion zu behalten. Es ging auch um die Frage: wie kann man verhindern, daß die gesamte zusätzliche tierische Veredelungsproduktion nur in gewerblichen Großbetrieben vorgenommen wird?Meine Damen und Herren, eines der Mittel, die uns in die Hand gegeben sind, haben Sie in diesem Antrag niedergelegt. Daß wir gerade zu einer Begrenzung auf 100 000 kg im Jahr gekommen sind, ergibt sich aus folgender Überlegung: Wenn man bei der Hähnchenmast fünf Umtriebe hat und jeweils 20 000 Tiere hält, kommt man zu einem Umschlag von 100 000 Tieren im Jahr, und die Betreuung dieser Geflügelzahl erfordert gerade eine volle bäuerliche Arbeitskraft. Das war der Grund hierfür. Ich gestehe offen zu, es handelt sich um einen Ausgleich für die in der Bundesrepublik und im Ausland unterschiedliche Höhe der Futterkosten.Auf der anderen Seite müssen wir bedenken, daß die Großbetriebe im Einkauf und Verkauf vielleicht noch andere, zusätzliche Vorteile haben. Ich bitte Sie daher, diesem Antrag im Interesse der Schaffung von Möglichkeiten, die bäuerliche Familienwirtschaft in bezug auf die tierische Veredelungsproduktion auch bei der Geflügelmast bevorzugt zu behandeln, zuzustimmen.Ich darf noch darauf aufmerksam machen, daß es sich hier um eine Übergangslösung handelt. Das Gesetz kann außer Kraft treten, sobald an der Grenze ein System gefunden wird — etwa durch Abschöpfungsbeträge in Verbindung mit Mindestpreisen —, durch das die gleichen Wettbewerbsbedingungen wie für das Ausland wiederhergestellt werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Siemer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Ausschuß für Ernährung und Landwirtschaft hat die Frage, die von Herrn Kollegen Bauknecht vorgetragen wurde, in langer Diskussion behandelt und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß sie noch einmal nach der rechtlichen Seite überprüft werden sollte. Es bestehen nämlich zunächst sehr divergente Auffassungen darüber, ob es überhaupt zulässig ist, für die Produktion unterschiedliche Bedingungen zu stellen. Daß man damit den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz verletzen würde, davon bin ich persönlich völlig überzeugt. Auch verschiedene Juristen innerhalb der Ministerien teilen diese Auffassung.Aber die rechtliche Frage soll hier gar nicht entscheidend sein, sondern die Frage, ob es richtig ist, daß wir bis zum Übergang in die EWG, d. h. bis zu der gesetzlichen Festlegung des Ausgleichsbetrages jetzt eine Regelung treffen, die notwendigerweise alle die Betriebe treffen würde, die heute eine Fleischproduktion von mehr als 100 t haben. Seit Jahren bemühen wir uns im Ministerium, für die unterschiedliche Futterkostengestaltung der Betriebe, die durch die Liberalisierung der Geflügelfleischproduktion der Konkurrenz auf dem Weltmarkt ausgesetzt sind, einen Ausgleich ähnlich wie beim Eiergeld zu schaffen. Das ist 'deswegen nicht gelungen, weil die deutsche Produktion auf diesem Sektor bisher restlos rückständig war. Wir haben heute noch eine Einfuhr von 140- bis 150 000 t und eine eigene Produktion an Broiler-Mast, die nicht über 20 000 bis 25 000 t hinausgeht.Und nun frage ich Sie: Sollen nun etwa die Betriebe, 'die eine Produktion von mehr als 100 t schaffen — weil heute auf dem 'deutschen Markt die Einfuhr bestimmend ist —, deswegen zum Erliegen kommen, weil man vorgibt, es sei eine Hilfe für die bäuerlichen Familienbetriebe? Meine Damen und Herren, wem kommt denn dieser Schnitt zugute? Doch nicht dem bäuerlichen Familienbetrieb! Diese sogenannte Begrenzung hat doch nur den Sinn, daß das Ausland besser importieren kann. Mit der Begrenzung, Herr Kollege Bauknecht, können Sie dem Familienbetrieb nicht helfen, sondern dann müssen Sie Wege gehen, die ich seit Jahren vorschlage und die nicht beschritten worden sind. Ich mache darauf aufmerksam: die Geflügelmastproduktion ist ebenso wie ,die Eierproduktion ein typischer Produktionszweig bäuerlicher Betriebe. Aber es ist wenig dafür getan worden. Darum ist ja das Ausland mit 140 000 t Einfuhr marktbeherrschend, und wir selber können die Betriebe kaum am Leben erhalten.Nun haben Sie, Herr Dr. Reinhard — gerade wegen der letzten Liberalisierung, und zwar der amerikanischen Einfuhr, die vollends liberalisiert ist —, mit uns zusammen den Versuch gemacht, die Reste der Produktion zu erhalten, und Sie wollen das dadurch erreichen, daß der Ausgleichsbetrag in Höhe I des Futterkostenunterschiedes rückvergütet wird — wie das vorhin von 'dem Kollegen Kriedemann mit Recht gesagt worden ist — aus 'dem Fonds, der vom Herrn Bundesfinanzminister durch ,die Abschöpfungsbeträge in Höhe von 300 Millionen eingenommen wird. Diese Rückvergütung nun etwa bei denen zu begrenzen, die mehr als 100 t erzeugen, halte ich auch deswegen für einen Widerspruch in sich, weil ja jeder bäuerliche Betrieb ab 50 ha nach den jetzigen gesetzlichen Bestimmungen 160 t Fleisch erzeugen kann. Ein Betrieb mit 100 ha kann nach der heutigen gesetzlichen Bestimmung 320 t erzeugen. Aus welchem Grunde wollen Sie nun die Produktion von Geflügelfleisch, die sowieso eine schwierige und risikovolle Angelegenheit ist, begrenzen? Der Familienbetrieb kann — ich wiederhole es — durch die Begrenzung nicht einen Schritt vorankommen; wir müssen ihm vielmehr mit verbilligten Krediten und mit dem sogenannten Beratungs- und Marktsystem helfen.Herr Kollege Bauknecht sagte, in einem Jahr hoffe man, die Ausgleichsgesetze in der EWG zu haben, und dann würde ja sowieso durch die Ausgleichsbeträge der Unterschiedsbetrag, den wir heute gesetzlich auszuzahlen versuchen, aufgehoben. Das ist richtig. Aber weswegen wollen wir dann bis dahin die wenigen Betriebe, die Pionierbetriebe, wenn ich so sagen darf, abschlachten? Warum wollen wir bis dahin die Betriebe, die heute maßgeblich und vorbildlich die Produktion beeinflussen, aus dem Markt nehmen, ganz abgesehen davon, daß wir ja das Gegenteil von dem tun, was
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Dr. Siemerwir die ganzen Jahre hindurch mit dem Grünen Plan versucht haben: durch Zuschüsse Geflügelschlachtereien aufzuziehen, die durch diese Bestimmung zum Erliegen kommen? Denn es ist Ihnen doch klar, daß die Produktion, die an die Geflügelschlachterei geht, die Rentabilität dieses sogenannten Schlachtereiprozesses bestimmen muß. Und wenn Sie das nach unten hin begrenzen, indem nur bis 100 t Fleischerzeugung die Produktion rückvergütet wird, fällt ein großer Teil der Produktion flach, weil diese bäuerlichen Betriebe mit ihrer Produktion dann eben nur bis zu 100 t gehen. Wir haben nicht viele davon, die sich in dieses Geschäft hineingestürzt haben. Ich jedenfalls habe von meinem Standpunkt aus alle meine Freunde gewarnt, weil ich dieses Situation kommen sah. Man kann nicht produzieren, wenn man um ein Drittel der Gestehungskosten teurer ist als das Ausland.Meine Damen und Herren, ein Letztes. Mit gütiger Erlaubnis des Herrn Präsidenten darf ich Ihnen die neue Zeitschrift „AGRI FORUM" zeigen, die von der EWG unter maßgeblicher Mitarbeit unseres Kollegen Lücker herausgegeben wird. Ich darf mir erlauben, aus dieser schönen Zeitschrift nur die Überschriften auf Seite 20 vorzulesen: „Bauern in Europa — Ein Familienbetrieb, der mit der Zeit geht —200 000 Schlachtküken jährlich produziert ein Bauer in Brabant". 300 Rinder, Mastrinder und 100 Schweine, ein Betrieb von 21 ha!Sie wollen begrenzen. Sie wollen die Konkurrenz von vornherein dem Ausland zubilligen, das uns überlegen ist. Warum wollen Sie nicht auch bei uns, wie das in der übrigen gewerblichen Wirtschaft ist, bäuerliche Betriebe sich als Pionierbetriebe zu zugkräftigen, beispielhaften Betrieben entwickeln lassen? Ich bin der Auffassung, daß auch diese Betriebe nicht Großbetriebe genannt werden können. Das sind doch alles Betriebe mit einem Umsatz von 1 bis 6 Millionen. Wenn ich von der Wirtschaft spreche, sind das doch mittelständische Betriebe. Aber sobald es sich um die Landwirtschaft handelt, glaube ich wenigstens von vielen immer gehört zu haben, daß ein bäuerlicher Betrieb unbedingt in altväterlicher Weise weiterwirtschaften müsse.
Nach meiner Meinung, Herr Kollege Bauknecht, müssen wir diesen Betrieben geradezu das Rückgrat stärken, damit sie beispielhaft in unserer kommenden Marktwirtschaft bestehen können und die anderen Bauern mitreißen. Ich bitte deshalb, den Antrag abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Kriedemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weil wir vier Jahre vergeblich auf die Vorlage eines Geflügelwirtschaftsgesetzes durch die Bundesregierung gewartet haben — es ist in diesen vier Jahren wiederholt angekündigt worden, es hat sehr weit geförderte Referentenentwürfe gegeben, die dann wieder verschwanden —, sind wir erst im letzten Augenblick an die Beratung dieses Gesetzentwurfs herangekommen, der jetzt zur Debatte steht. Im allerletzten Augenblick, der dem Ernährungsausschuß zur Verfügung stand, kam dann die Frage hoch, ob man denn das nicht in der Weise begrenzen solle, wie es auf dem Umdruck 965 vorgeschlagen wird. Damals war sogar noch die Rede von einer Begrenzung auf 50 000 kg. Es ist bei diesen Beratungen völlig klargeworden, daß es sich nicht um eine Subvention handelt, also um eine Maßnahme, die man zielen kann, die man auf die besonderen Verhältnisse der einen oder anderen Gruppe abstellt, sondern daß es sich wirklich um die Rückerstattung von zuviel erhobenen Futtergetreidekosten handelt und daß man hier nicht unterschiedlich verfahren kann.Es sollte noch versucht werden, eine Stellungnahme des Rechtsausschusses bezüglich der Verfassungsmäßigkeit einer solchen unterschiedlichen Behandlung nach der Größe einzuholen. Auch dazu war natürlich keine Zeit. Es war natürlich auch keine Zeit für den einzelnen von uns jedenfalls für viele meiner Freunde und für mich nicht —, sich auf eigene Faust darüber zu informieren, ob man so verfahren kann oder nicht. Im Unterschied zu einem meiner Herren Vorredner möchte ich sagen, daß es sich für mich schon in erster Linie um die rechtliche Frage dreht. Wir machen ja schließlich ein Gesetz, und da muß nun einmal die Rechtsgrundlage so unantastbar und so gesichert sein, wie es nur irgend möglich ist.Herr Kollege Siemer hat soeben schon dargestellt, daß die Vorstellung von bäuerlicher Produktion fließend ist. Gerade in diesem Wirtschaftszweig sieht es ganz anders aus, als man es sich früher vorgestellt hat. In Holland hat man Jahre hindurch versucht, die Geflügelhaltung auf die kleinen Betriebe zu beschränken, sie, besser gesagt, den kleinen Betrieben zu reservieren. Eines schönen Tages vor nicht allzu langer Zeit haben die Holländer dieses System aufgeben müssen, weil sie eben nicht mit der kleinen Geflügelhaltung sitzenbleiben konnten, während ihre Nachbarn und Konkurrenten auf die größere Geflügelhaltung umschalteten. Auf Grund des Beispiels, das der Kollege Siemer hier soeben vorgetragen hat, weiß man ja, daß es sich auch noch dann um eine bäuerliche Geflügelwirtschaft handelt, wenn sie mit sehr viel größeren Mengen arbeitet und auf den Markt kommt, als es hier vorgesehen ist.Aber so schön es wäre, den kleineren Betrieben gewisse Reservationen zu sichern, ihnen einen Raum zu bieten, in den niemand anders mit mehr Kapital oder mit mehr Bodenfläche usw. einbrechen kann, so übersehe ich und übersehen viele meiner Freunde mit mir im Augenblick wirklich nicht, ob man so verfahren kann, wie es hier vorgeschlagen ist. Ich habe das Bedenken, daß wir etwas tun, was nicht mit der Verfassung in Übereinstimmung ist. Das würde zur Folge haben — wir haben ja solche Beispiele —, daß dieses Gesetz hängenbleibt, ohne daß dieser Bundestag es noch in Ordnung bringen kann. Dann würden wir weitere Zeit verlieren. Nur um dieser Gefahr zu entgehen, werde ich und werden diejenigen meiner Freunde, die sich auf eigene
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KriedemannFaust ihren Vers in dieser Angelegenheit machen mußten — aus ,den Gründen, die ich dargetan habe, gab es gar keine Möglichkeit zu einer vernünftigen Beratung in den Fraktionen —, gegen diesen Antrag stimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Bading.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir einige Worte nicht vom rechtlichen, sondern vom agrarpolitischen Standpunkt aus. Bei der Begründung dieses Antrags hat Herr Kollege Bauknecht gesagt, er solle dem bäuerlichen Familienbetrieb dienen. Herr Kollege Siemer hat nun wieder gesagt: Nein, wir brauchen hier Beispielwirtschaften, und deswegen können wir die Begrenzung auf 100 000 kg nicht gebrauchen. Er hat dieses schöne Beispiel von dem Brabanter Bauern angeführt, der mit einer ungeheuer starken Fleischleistung auf den Markt kommt.
Ich glaube, wir dürfen die Sache nicht nur vom nord- oder nordwestdeutschen Standpunkt aus betrachten. Ich fühle mich gezwungen, hier auch auf die Verhältnisse in Hessen und in Süddeutschland hinzuweisen, wo angesichts der relativ geringen Größe der Betriebe eine solche Fleischproduktion pro Betrieb völlig unmöglich ist. Wenn wir diesen Betrieben helfen wollen — und das wollen wir ja, denn die Mehrzahl unserer landwirtschaftlichen Betriebe befindet sich in diesen Gegenden —, müssen wir ganz andere Maßnahmen ergreifen. Da genügt eben nicht einfach die Begrenzung auf 100 000 kg geschlachtetes Geflügel.
Ich habe mir sagen lassen, daß bei dieser Begrenzung lediglich ein halbes Dutzend Betriebe in Deutschland keine Berücksichtigung finden würde.
— Selbstverständlich, nur für die Spitze nicht. Es soll also lediglich sechs Betriebe in Deutschland geben, die mehr als 100 000 kg Geflügelfleisch erzeugen. Meine Damen und Herren, das aber kann nicht der Sinn dieses Gesetzes sein, jedenfalls nicht, wenn wir es begründen wollen mit einer Förderung der bäuerlichen Familienbetriebe. Das ist eine Ausnahmegesetzgebung gegen einzelne Große. Wenn Sie die Grenze niedriger gesetzt hätten und tatsächlich die anlaufende Geflügelmast in den bäuerlichen Betrieben bevorzugen wollen — ich wäre durchaus geneigt, sie ganz bewußt zu bevorzugen —, dann könnte man sich mit einer solchen Regelung agrarpolitisch einverstanden erklären. Auf die rechtliche Seite will ich hier nicht eingehen; dazu zu sprechen, bin ich nicht befugt. Wenn Sie aber die Grenze so hoch setzen, dann nützt das dem Aufbau der Mastgeflügelhaltung in den kleinbäuerlichen Gebieten überhaupt nichts.
Deswegen muß ich raten, diesen Antrag abzulehnen. Er ist tatsächlich wieder, wie so oft solche Anträge, lediglich dazu bestimmt, bei den Bauern die Meinung hervorzurufen, daß etwas für sie getan wird, während in Wirklichkeit durch diesen Antrag gar nichts für sie getan wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Seidl .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Debatte um dieses Gesetz ist auch die Verfassungsmäßigkeit in Frage gestellt worden, und zwar wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 GG. Ich darf dazu doch einige Ausführungen machen.
In unserem Staatsleben, auch in unserer Finanz- und Sozialpolitik, haben wir durchaus die Möglichkeit der Differenzierungen, die für bestimmte Zwecke Hilfen in einer bestimmten Grenze möglich machen. Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, nur die einen zu fördern, bringe schon eine gewisse Ungleichheit in der Behandlung. Aber im Bereich .der Hilfe und Förderung und gewährenden Staatstätigkeit sind Regelungen zugunsten einzelner Gruppen der Bevölkerung zulässig, wenn vernünftige Gründe dafür bestehen, der Gesetzgeber also nicht zu willkürlichen Privilegierungen und Diskriminierungen übergeht, vielmehr den Kreis der Begünstigten sachgemäß abgrenzt.
Ich glaube, ,daß das in diesem Antrag geschehen ist. Der eine Zweck ist ein Augleich der Beträge, die in dem Unterschied zwischen dem Auslands- und dem Inlandkraftfutter liegen. Diesen Ausgleich soll das Gesetz zum einen geben. Zum anderen soll nach dem Antrag, den ,der Kollege Bauknecht begründet hat, der weitere Zweck 'die Förderung dieser bäuerlichen Familienbetriebe sein, von denen eben ständig gesprochen wurde. Wenn diese beiden Zwecke kombiniert sind, dann bestehen Bedenken wegen der Verfassungsmäßigkeit nach Art. 3 sicherlich nicht.
Zweifellos haben die größeren Betriebe — und deshalb werden ja auch manche anderen Differenzierungen in der Steuer-, in der Finanz- und in der Sozialgesetzgebung vorgenommen — schon durch größeren Umsatz, rationellere Bewirtschaftung, billigeren Einkauf einen gewissen Vorteil. Deshalb kann es durchaus genügen, wenn eine Förderung hier bis zu 100 000 Kilo geht.
Aus diesen Gründen — und wenn man hinzunimmt, daß in diesem Falle auch eine Heranziehung des Art. 20 GG — soziale Bindung von Eigentum — möglich ist, sehe ich gegen diese Übergangsvorschrift keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Das Wort hat der Abgeordnete Wehking.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem Herr Kollege Bauknecht zu Anfang diesen Antrag begründet hat und demgegenüber dann von verschiedenen Seiten gebeten wurde, dem Antrag nicht zuzstimmen, möchte ich
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WehkingSie recht herzlich bitten, diesem Antrag Bauknecht doch zuzustimmen. Hier geht es nämlich wirklich um ein echtes Anliegen der bäuerlichen Betriebe. Das ganze Gesetz soll ja gerade den bäuerlichen Betrieben gegenüber der ausländischen Konkurrenz und insbesondere der Konkurrenz aus den Großbetrieben des Auslandes helfen.Es gibt keinen Betriebszweig in der Landwirtschaft, der so sehr den kleinen Betrieben vorbehalten ist wie die Geflügelhaltung. Hier gibt es eben große Ausdehnungsmöglichkeiten, und hier ist auch etwas geschehen. Aber es ,gibt auch keinen Betriebszweig, in dem mit fremdem Kapital 'die Erzeugung derart ausgeweitet werden kann, daß sie dann gerade diesen kleinen Betrieben eine echte Konkurrenz bietet. Wenn wir mit diesem Gesetz den kleinen Geflügelhalter vor der ausländischen Konkurrenz schützen wollen, dann müssen wir aber auch alles tun, um das ausdrücklich auf diesen Kreis zu beschränken.Ich glaube, man kann wirklich sagen, die 100 000 kg — das bedeutet also bei einem fünfmaligen Umsatz 20 000 Tiere — stellen eine Grenze dar, jenseits deren der bäuerliche Betrieb aufhört.
Wir kämpfen nun einmal für den bäuerlichen Familienbetrieb, und wir sollten hier Farbe bekennen. Hier geht es darum: bäuerlicher Familienbetrieb oder Großbetriebe mit fremdem Kapital!
Meine Damen und Herren, wird weiterhin das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Dr. Siemer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte klarstellen, daß es hier nicht um sechs Betriebe geht. Das ist völlig irrig. Es geht hier nach meiner Schätzung zumindest um Hunderte von bäuerlichen Betrieben, die diese Produktion übersteigen.
— Um Hunderte, Herr Bauknecht. Ich kenne einen Verband, der allein 50 zur Lieferung zusammengeschlossen hat.
— Herr Bauknecht, wenn ich einen Betrieb habe, und der Betrieb ist darauf eingestellt, eine bestimmte Menge Tonnen zu produzieren, dann werden Sie ihn durch die Beschneidung zum Erliegen bringen. Ich kann mir gar nicht vorstellen — und hier muß ich dem Kollegen Wehking ganz entschieden widersprechen—, daß Sie mit dieser Maßnahme auch nur einen Handschlag getan haben, um ,dem bäuerlichen Familienbetrieb zu helfen. Die Einfuhr wird sich vergrößern, weil Sie diese Betriebe abschlachten, und die Einfuhr wird sich vergrößern, weil Sie dem Ausland neue Chancen geben, diesen Markt in Deutschland restlos zu beherrschen.
Wenn aber Herr Kollege Wehking wirklich den Familienbetrieben helfen will, dann hätte er schon vor zwei Jahren mit mir — ich habe ja bei den Kollegen darum gebettelt — Maßnahmen ergreifen sollen, um innerhalb der Kleinbetriebe 'die kreditmäßigen Voraussetzungen zu schaffen, daß sie ebenfalls diesen sehr risikovollen und kapitalintensiven Produktionszweig aufbauen können.
Bisher ist innerhalb des Grünen Plans Geld nur für Schlachtereien zur Verfügung gestellt worden, und diese Schlachtereien leben das muß ich auch einmal ausdrücklich betonen — fast ausschließlich von diesen, wenn Sie so wollen, Großlieferanten. Die sind bei mir gewesen und haben gesagt: Wenn diese Begrenzung kommt, können sie die mit Mitteln des Grünen Plans ausgebauten Schlachtereien schließen. — Das möchte ich hier ausdrücklich erwähnen.
Ich gebe zwar zu, Herr Kollege Bading, daß die Verhältnisse in Norddeutschland anders sind als in Süddeutschland. Aber dieser Betriebszweig ist ja erst im Kommen, und wie sehr er im Kommen ist, wie sehr wir diese Dinge nicht richtig angepackt und sie vernachlässigt haben, zeigt doch die große Importziffer von 140 Millionen, die sich wahrscheinlich in diesem Jahr auf 200 Millionen steigern wird, während unsere eigene Produktion von uns mit Fleiß zurückgedrängt wird.
Ich bitte nochmals zu überlegen, ob es sinnvoll ist, die Produktion zu begrenzen und damit eine große Anzahl von bäuerlichen Betrieben und Familienbetrieben — ich betone: Pionierbetrieben — zum Erliegen zu bringen.
Meine Damen und Herren, wird weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht 'der Fall. Ich komme zur Abstimmung, und zwar über den Änderungsantrag der Abgeordneten Bauknecht, Wehking, Hesemann, Dr. Reinhard und Genossen auf Umdruck 965, wonach Nr. 8 eine neue Fassung erhalten soll. Wer 'diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.— Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen. Damit hat Nr. 8 eine neue Fassung erhalten.Ich komme nunmehr zu Nr. 9. -- Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.Ich rufe auf Nr. 10 und den Änderungsantrag Umdruck 977 Ziffer 2. Soli er begründet werden, oder isst er schon begründet? — Das Wort wird nicht gewünscht.Ich lasse abstimmen. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 977 der Abgeordneten Schmücker, Diebäcker, Illerhaus und Dr. Stecker zuzustimmen wünscht, den bitte ich um 'das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Meine Damen und Herren, die Beteiligung an der Abstimmung ist minimal. Ich muß sie wiederholen. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. —
— Herr Abgeordneter Schmücker, wenn Sie einen Antrag zurückziehen, müssen Sie 'das doch sagen.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. Juni 1961 9735
Vizepräsident Dr. Jaeger— Wenn der Antrag entfällt oder zurückgezogen wird ,ist es mir recht. Dann lasse ich abstimmen über Nr. 10 in ,der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ,das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.Ich rufe auf die Nrn. 11, — 12, — 13, — 14. — Das Wort wird nicht gewünscht.Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.Ich lasse nunmehr über Art. 1 im ganzen in der Ausschußfassung mit den beschlossenen Änderungen abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.Ich rufe auf Art. 2, — Art. 3, — Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht.Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.Wir kommen zurdritten Beratung.Ich eröffne ,die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Dr. Reinhard!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, über die Eier haben wir heute genug gesagt. Ich will nur noch einige Worte über das Schlachtgeflügel sagen. Die Schlachtgeflügelproduktion ist in den letzten zehn Jahren bei uns ganz erheblich gestiegen. Allerdings hat Herr Dr. Siemer recht: die Einfuhr ist noch mehr gestiegen. Während die Eigenerzeugung im Jahr 1954 nur 52 000 t betrug, beträgt sie im Augenblick 100 000 t. Die Einfuhr ist jedoch von 5000 t auf 134 000 t gestiegen. Durch die De-facto-Liberalisierung sind die ,eingerichteten Mästereien in gewaltige Schwierigkeiten gekommen. Sie legen praktisch bei jedem gemästeten Hähnchen und bei jeder Ente zu. Das ist nicht zu bestreiten. Auf der anderen Seite ist die Mästerei durch die Mittel des Grünen Plans, durch die Förderung der Stallbauten und durch die Förderung der Schlachtereien angeregt worden.
Der Herr Berichterstatter hat in seinem Bericht die Preisentwicklung für die importierten Masthähnchen angegeben. Ich darf dazu noch sagen, daß unter dem Einfluß der importierten Mengen die Lebendpreise sich bei uns in den letzten drei bis vier Monaten ganz erheblich verringert haben. Im Januar betrug der Lebendpreis für Broiler noch 2,78 DM je kg, im Augenblick werden rund 2 DM bezahlt. Es ist damit zu rechnen, daß der Druck, unter dem die Geflügelpreise stehen, nicht eine vorübergehende Erscheinung darstellt, sondern daß der Druck aus Amerika sich auch in Zukunft mengenmäßig auswirken wird. Denn in den Vereinigten Staaten sind erheblich mehr Mastküken eingesetzt worden. Es läßt sich auch leicht übersehen, daß die
Zahl der Elterntiere, die stark vermehrt wurden, dazu beitragen wird, diese Mast noch auszudehnen. Außerdem wird der Preisverfall in Amerika weiterhin dazu beitragen, daß wir immer unter einem sehr starken Preisdruck stehen werden.
Die Mäster sind also in eine ungeheuer schwierige Lage gekommen. Sie stehen am Rande des Ruins. Deslhalb muß etwas geschehen, und es muß schnell etwas geschehen. Möglichkeiten wären über den Zoll da, Möglichkeiten wären auch dadurch da, daß man das Geflügelfleisch in die Marktordnung einbezieht.
Aber weder ein Zollschutz noch eine Einbeziehung in die Marktordnung würde in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit zu realisieren sein. Rechtlich wären zwar beide Maßnahmen gegenüber den Vereinigten Staaten anwendbar. Aber zweifellos würde ein erhöhter Zoll bzw. Abschöpfungen an der Grenze sehr angreifbar sein, da sie nur gegenüber Drittländern, nicht aber gegenüber den Partnerländern der EWG angewendet werden können.
Die einzige Möglichkeit, die wir sahen, ist die Gewährung eines Ausgleichsbetrages, wie dies bereits bei Eiern geschieht. Das ist keine ideale Lösung, und wir halten sie auch nur für so lange brauchbar, bis eine gemeinschaftliche Lösung innerhalb der EWG durch Einführung eines Abschöpfungssystems möglich wird. Es wird mit diesem Gesetz die Landwirtschaft nicht subventioniert, sondern es wird nur die Differenz, die sich aus dem unterschiedlichen Futtergetreidepreis auf der Weltmarktbasis und im Inland errechnet, ausbezahlt.
Ich bitte Sie, um die Mästereien zu erhalten, um den bäuerlichen Betrieben zu helfen, dem Gesetz Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Kriedemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unserer Überzeugung nach ist das Gesetz durch die Beratungen in diesem Hause nicht besser geworden, wenn auch das Allerschlimmste, der Antrag des Kollegen Schmücker, glücklicherweise abgewehrt werden konnte. Nach wie vor bleibt es fraglich, ob mit diesem Gesetz das eingeholt und wiedergutgemacht werden kann, was wir im Laufe der Jahre versäumt haben, nicht nur durch die Getreidepreispolitik und die unzulänglichen Ausgleichsmaßnahmen. Es ist uns neulich ausdrücklich bestätigt worden, daß man mehrmals über die drei Pfennig Eierprämie hätte hinausgehen müssen. Aber es hat eben diese Begrenzung gegeben, und in diesem Zusammenhang war es eben eine unzulängliche Hilfe, ein unzulänglicher Ausgleich. Es bleibt auch abzuwarten, ob das, was jetzt für das Schlachtgeflügel getan wird, ausreicht.
Um aber wenigstens den Versuch zu machen, etwas von dem einzuholen, etwas von dem gutzumachen, was versäumt worden ist, werden meine Freunde diesem Gesetz zustimmen.
9736 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 1G6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. Juni 1961
Das Wort hat der Abgeordnete Schmücker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weil Herr Kriedemannn meinte, das Schlimmste sei verhütet worden, indem mein Antrag nicht angenommen wurde, muß ich noch einmal erklären: Mein Antrag hatte zum Ziel, jeden Anreiz zum Betrug aus diesem Gesetz auszumerzen. Durch die Gleichstellung der Eier ohne Rücksicht darauf, ob sie gestempelt sind oder nicht, wäre der Anreiz beseitigt worden. Leider ist mein Antrag nicht angenommen worden, und ich befürchte, daß wir nunmehr weiterhin mit groben Unregelmäßigkeiten zu rechnen haben. Dafür tragen diejenigen die Verantwortung, die den von mir gestellten Antrag abgelehnt haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Logemann.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für die Freie Demokratische Partei darf ich sagen, daß wir das Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der deutschen Eierwirtschaft begrüßen. Wir sehen in diesem Gesetz aber auch — das möchte ich ganz offen aussprechen — eine gewisse Wiedergutmachungsleistung für Schäden, die der deutschen Geflügelwirtschaft durch die Liberalisierung der Einfuhr von Mastgeflügel entstanden sind.
Das Gesetz enthält allerdings — auch das darf ich sagen — für uns gewisse Unklarheiten. Wir hätten sie gern beseitigt gesehen. Das ist hier nicht gelungen.
Ich muß hier sagen, daß ich persönlich die Sorgen des Abgeordneten Schmücker in etwa teile. Auch ich sehe es so, daß durch die Entwicklung, die die Beratung jetzt genommen hat, in etwa doch wieder eine „Aufforderung zum Tanz" da ist und daß leider die Mogelei weitergehen wird.
Ich darf vielleicht noch etwas hinzufügen. Wir haben heute morgen ein Weinwirtschaftsgesetz verabschiedet und sind jetzt bei den Eiern. Ich weise darauf hin, daß zwischen beiden ein großer Gegensatz besteht: bei Wein ist die Spätlese sehr beliebt, bei Eiern dagegen gar nicht. Ich wünsche also nur, daß dieses Gesetz dazu beiträgt, die Qualität und die Frische der Eier für die deutschen Verbraucher noch zu verbessern.
Das Wort hat der Abgeordnete Schoettle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte für mich persönlich, nicht für meine politischen Freunde, zu der Verabschiedung dieses Gesetzes folgendes erklären.
Ich halte den Weg, der schon mit dem ersten Gesetz — das jetzt verbessert werden soll — eingeschlagen worden ist, für falsch. Ich bin der Meinung, daß dieser Weg auch dadurch nicht besser wird, daß man jetzt die Schlaglöcher mit einigen Steinen ausfüllt, die man in diesem Änderungsgesetz zusammengetragen hat.
Hier in der Debatte ist von mehreren Seiten, nicht nur von meinem Freund Kriedemann, sondern auch von anderen, auf die eigentliche Ursache für dieses Gesetz und für seinen Vorgänger hingewiesen worden, nämlich auf eine falsche Politik bezüglich eines wesentlichen Teils der Produktionskosten dieses Wirtschaftszweiges. Ich glaube, daß das durch das neue Gesetz, also durch die Änderung des alten Gesetzes, nicht verbessert wird.
Ich jedenfalls werde, weil ich diesen Weg für prinzipiell falsch halte, gegen dieses Gesetz stimmen.
Wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Ich komme zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Einige wenige Gegenstimmen. Enthaltungen? — Einige wenige Enthaltungen; mit Mehrheit angenommen.
Damit komme ich zu Punkt 43 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung ides von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Getreidegesetzes ,
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für. Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Drucksache 2909)
.
Ich danke dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Logemann, für seinen Schriftlichen Bericht. Ich komme in der zweiten Beratung zu den einzelnen Bestimmungen und rufe auf Art. 1, — Art. 2, — Art. 3, — Einleitung und Überschrift. — Sie wünschen das Wort? Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gegen den Bericht des Herrn Kollegen Logemann erhebe ich Einspruch. Gemäß § 74 der Geschäftsordnung des Bundestages ist der Berichterstatter verpflichtet, auch die Stellungnahme der Minderheit in dem Bericht wiederzugeben. Dieser Vorschrift wurde im vorliegenden Falle leider nicht Rechnung getragen.Zur Sache selbst habe ich folgendes zu erklären. Es ist nicht einzusehen, wieso es, wie es im Bericht heißt, ein geeignetes Mittel sein soll, die Einfuhr von ausländischem Getreide von der Abnahme einer bestimmten Menge von Getreide aus der Bundesreserve abhängig zu machen, solange es marktkonforme Mittel des Abbaus gibt. Es ist falsch, zu behaupten, die Ausschüsse seien zu dem Ergebnis gekommen, das in dem Gesetz vorgesehene Verfahren sei das wirksamste und zweckmäßigste Mit-
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Müller
tel zum Abbau der Interventionsbestände bei der Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide. Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und die Mehrheit in den mit der Beratung befaßten Ausschüssen haben diesen Standpunkt vertreten. Die Minderheit hat dieser dirigistischen Auffassung mit guten Gründen widersprochen. Der Bericht erwähnt davon nicht ein Wort.Nach Meinung der Verwaltung, die der Berichterstatter kritiklos übernommen hat, ist ein Export der Getreideüberschüsse nur in begrenztem Umfang möglich, weil dafür erhebliche Haushaltsmittel erforderlich sind und der Weltmarkt nicht in dem Umfange für deutsche Getreideexporte aufnahmefähig ist, in dem die Interventionsbestände abgebaut werden müßten. Der Berichterstatter weiß offenbar nicht, daß in dem jetzt ablaufenden Getreidewirtschaftsjahr etwa 300 000 t Roggen exportiert worden sind und der Weizenexport bis zum China-Geschäft etwa 50 000 t betrug. Erstaunlicherweise hat das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten den Export von Roggen und Weizen stoppen lassen, weil die Haushaltsmittel erschöpft seien. Wenn es also wahr wäre, daß die Koppelung notwendig ist, wie es in Abs. 2 des Berichts heißt, um die intervenierten Getreidebestände wieder beschleunigt dem Markt zuzuführen, damit die Läger der Einfuhr- und Vorratsstelle für die Aufnahme des neuen Erntejahres freigehalten werden können, hätte ganz im Gegenteil der Export gefördert werden müssen. Die Läger wären ) dann frei geworden. Ich frage mich, wie es hier mit der Logik steht.Sie können, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, die Sie den Initiativgesetzentwurf eingebracht haben, die Dinge drehen und deuteln, wie Sie wollen: die Koppelung ist unwirtschaftlich, unnötig, dirigistisch und ein Requisit der Zwangswirtschaft.
Mit den Grundsätzen der doch sonst von Ihnen vertretenen sozialen Marktwirtschaft ist sie unvereinbar.Es ist in der Bundesrepublik unbestritten, daß die Verwertung der inländischen Getreideernte den Vorrang hat. Die Verwaltung hat es aber nicht verstanden, mit den beteiligten Kreisen der Wirtschaft ein Arangement zu treffen. Das vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in diesem Jahr zunächst angeordnete Koppelungsverfahren ist durch Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main als unzulässig und mit den bestehenden Gesetzen als unvereinbar bezeichnet worden. Daraufhin hat sich das Bundesernährungsministerium entschlossen, den Staatshandel einzuführen, importierten Mais in die Vorratshaltung zu übernehmen und ein Mais-Weizen-Gemisch im Verhältnis 1 zu 1 an die Mischfutterbetriebe zu einem erhöhten Preis von 410 DM je Tonne abzugeben. Da das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten aber sehr bald einsehen mußte, daß man Weizen und Mais nicht vermischen kann, hat es später erklärt, daß Weizen und Mais auch unvermischt von der Einfuhr- und Vorratsstelle abgenommen werden können, wobei allerdings der Preis der gleiche sein müsse. Die Preiserhöhung für dieses Weizen-Mais-Gemisch wurde im übrigen just in dem Augenblick verfügt, als die D-Mark aufgewertet worden war und eigentlich damit hätte gerechnet werden müssen, daß die Preise entsprechend gesenkt werden. Auch dieses Verfahren der Koppelung wurde vom Verwaltungsgericht Frankfurt am Main durch Urteil vom 8. Juni dieses Jahres als ungesetzlich verworfen. Die vorgeschlagene Gesetzesänderung stellt also einen Eingriff in schwebende Prozesse dar, so daß die Verabschiedung des Gesetzentwurfs auch aus diesem Grunde höchst bedenklich erscheint.Schließlich hat der Bericht unerwähnt gelassen, daß im Rechtsausschuß die Vertreter aller Parteien, also auch der Regierungspartei, rechtliche Bedenken vorgetragen haben und der Gesetzentwurf hier nur mit 9 zu 8 Stimmen eine ganz knappe Mehrheit erhalten hat.Wenn es den Initiatoren ernst wäre, die Bestände abzubauen, müßten sie den Getreideexport fortsetzen, statt ihn mit der fragwürdigen Begründung, die Haushaltsmittel seien erschöpft, aufzuheben. Was zur Verbilligung des Exports von Getreide aus den Beständen der Einfuhr- und Vorratsstelle an Zuschüssen geleistet wird, kommt auf der anderen Seite bei der Einfuhr der hierzulande benötigten Futtergetreidearten durch die Abschöpfung wieder herein. Wenn man die Bestände aber, wie beim Roggen, vier Jahre lang lagert, an Lagerkosten zirka 240 DM je Tonne aufwendet und beim Export nur etwa 180 DM erlöst, also noch nicht einmal die Lagerkosten hereinbringt, so zeugt das nicht gerade für eine ökonomische Praxis.Nach meinem Dafürhalten muß schnell und muß laufend exportiert werden. Die jetzt verfügte Unterbindung des Exports macht die Bemühungen des Außenhandels, den Auslandsmarkt für deutsches Getreide zu erschließen, zunichte. Die Gründe hierfür sind unerfindlich. Der Getreideexport geht ebensowenig zu Lasten des deutschen Steuerzahlers wie der Mehlexport.Die Begründung für diese Behauptung hat mir dankenswerterweise das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten selbst geliefert. Laut einem Bericht, der in den Vereinigten Wirtschaftsdiensten am 26. Juni veröffentlicht worden ist, hat das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten folgendes erklärt — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:Nur dem flüchtigen Beobachter mag der Verkauf von Weizen aus .der Bundesreserve zu Weltmarktpreisen für den Mehlexport als eine Belastung des Steuerzahlers erscheinen, weil er vergißt, daß es sich praktisch nur um eine Rückerstattung der bei der Einfuhr erhobenen Abschöpfungsbeträge handelt, die nach geltendem Haushaltsrecht an den Fiskus abgeführt werden müssen. Eine Inanspruchnahme von Steuergeldern träte nur für den Fall ein, daß
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Müller
.der Abschöpfungsbetrag bei der Einfuhr wegen der höheren Weltmarktpreise niedriger war als die für die Getreideabbaumaßnahmen benötigten Gelder. Umgekehrt kann ,aber auch der Abschöpfungsbetrag höher sein. Das hängt von der jeweiligen Entwicklung der Weltmarktpreise ab. Im Durchschnitt der Fälle bedeutet die Hergabe von Weizen für die Herstellung von Exportmehl bei Weltmarktpreisen daher keine Belastung für den Steuerzahler.Ich stimme dieser Auffassung des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ausdrücklich zu. Aber ich bemerke: das gilt Wort für Wort auch für ,den Getreideexport.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Unterbrechung.
Der Deutsche Bundestag ist eine Stätte der Arbeit und kein Theater. Die Benutzung von Operngläsern ist deshalb verboten.
Bitte, fahren Sie fort.
Schließlich möchte ich noch einen Gedanken aufgreifen, den der Vizepräsident der EWG, Dr. Mansholt, auf der Tagung der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft am 20. Juni in Bad Godesberg geäußert hat. Als eine der Ursachen für die Isolierung der Landwirtschaft bezeichnete er in seinem viel beachteten Referat die, wie er sagte, „Philosophie" der nationalstaatlichen Selbstversorgung. Wer die westliche freie Welt und ihre Verteidigung bejaht, sollte auch die Sicherung der Ernährung unter diesem Aspekt sehen. Ich .appelliere infolgedessen an die ökonomische Einsicht der Antragsteller und bitte namens meiner Fraktion, den vorliegenden Gesetzentwurf aus diesen Gründen abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Pflaumbaum.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Gesetzentwurf Drucksache 2716 soll eine einwandfreie Gesetzesgrundlage dafür geschaffen werden, daß die Einfuhr- und Vorratsstelle die Auflage machen kann, ,den Import von ausländischem Getreide mit der Abnahme einer bestimmten Menge von Inlandsgetreide zu verbinden. Dieses Verfahren ist jahrelang angewandt worden. Infolge einer unterschiedlichen Rechtsprechung haben sich neuerdings Bedenken ergeben, ob diese Handhabung auch eine entsprechende Rechtsgrundlage hat. Deshalb soll jetzt die Rechtsgrundlage einwandfrei wiederhergestellt werden.
Es erhebt sich die Frage: Müssen wir denn das tun? Was ist die Veranlassung? Im vergangenen Jahr hat die Vorratsstelle durch die Unwetterschäden außergewöhnlich hohe Mengen von Futtergetreide ausnahmsweise aufnehmen können, die besonders hohe Feuchtigkeitsgrade hatten. Nunmehr muß das Futtergetreide wieder aus den Vorräten verschwinden, damit für die neue Ernte Platz zur Übernahme geschaffen wird. Das ist die Veranlassung.
Nun kann man natürlich mit Recht — wie Herr Kollege Müller — fragen, ob es dafür nicht andere und bessere Wege gibt. Die Vorratsstelle hat in der letzten Zeit, aus der Not geboren, das Importgetreide — wie man so sagt — körperlich, also echt übernommen, hat es mit Inlandsgetreide gekoppelt und in dieser Form wieder abgegeben. Ich teile die Auffassung des Herrn Kollegen Müller, daß das wohl die unschönste Form ist, die man sich denken kann.
Man hat auch andere Wege geprüft, und von seiten der Importeure ist vorgeschlagen worden, sie weitgehend mit zur Beurteilung heranzuziehen. Man könnte daran denken, das Futtergetreide, das sogenannte Schadgetreide, auf den Markt zu bringen, und zwar mit so niedrigen Preisen, daß der Einkauf und Ankauf dadurch schmackhaft wird. Das würde aber bedeuten, daß die Futtergetreidepreise schlechthin unterboten würden. Dies ist nach dem Getreidepreisgesetz nicht möglich und nicht Rechtens.
Man könnte weiter daran denken, das gesamte Futtergetreidepreisniveau anzuheben, damit das dort vorhandene Futtergetreide seinen Weg zum Konsum findet, ohne daß die Neigung besteht, das überteuerte Auslandsgetreide zu kaufen. Das aber wäre unerträglich für den deutschen Verbraucher des Futtergetreides und vor allem für den deutschen Veredler, von dessen Schwierigkeiten wir vorhin allerlei vernommen haben. Wenn schon ihm besonders das nicht zugemutet werden kann, so ergibt sich die weitere Notwendigkeit, unabhängig davon Getreidearten aus dem Auslande einzuführen, wofür wir im ,deutschen Getreide keinen Ersatz haben.
Herr Kollege Müller hat mit Recht die Frage des Exports angesprochen. Wir teilen diese Auffassung, und ich nehme an, daß auch das Ernährungsministerium diese Auffassung teilt: Soweit ein echter Export dieses Getreides möglich ist, muß unbedingt die Priorität dieser Form gegeben sein. Die Frage ist, Herr Kollege Müller, ob die umliegenden Länder auf diesem Gebiete so aufnahmefähig sind. Sie werden mit mir der Auffassung sein, daß man auf diesem Gebiete nicht den Markt dadurch erobern will, daß man den Preis unterbietet.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller ?
Sind Sie, Herr Kollege Pflaumbaum, mit mir der Meinung, daß es nicht richtig ist, in diesem Augenblick den Export von Getreide aus den Beständen der Einfuhr- und Vorratsstelle abzustoppen, wenn man diese Bestände auf ein Mindestmaß reduzieren will?
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Herr Kollege Müller, 'ich bin insofern mit Ihnen völlig einig: Soweit der Auslandsmarkt zu echten, angemessenen Preisen für dieses Getreide aufnahmefähig ist!
— Entschuldigen Sie, Herr Kollege Bading, Sie können vielleicht meine Antwort abwarten! Wir dürfen nicht mit diesen Preisen auf dem Markt erscheinen und einen Preisdruck ausüben, und wir dürfen nicht unter Wert abgeben. — Herr Kollege Bading, Sie schütteln den Kopf; ich darf noch einmal bitten, Geduld zu haben! — Dann würde man vom Ausland die Veredlungsproduktion mit deutschem Getreide zu ganz niedrigen Preisen durchführen und unseren Veredlungsleuten mehr Wettbewerb und mehr Konkurrenz machen, als das bisher der Fall war.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
ist Ihnen bekannt, Herr Dr. Pflaumbaum, daß der Export von Weizen und Roggen bereits unterbunden worden ist?
Das ist mir nacht bekannt. Dazu kann ich nicht Stellung nehmen; das müssen die Herren von der Regierung tun. Da kann ich Ihnen — bitte verzeihen Sie mir — keine Antwort in der Form geben, wie Sie es von mir erwarten.
Wenn der Export die Bestände, die wir haben, nicht beseitigt, müssen wir eine andere Lösung finden. Diese Lösung liegt nunmehr in dem Gesetzentwurf vor. Wir sind weit davon entfernt, dieses Gesetz als ein 'besonders gutes Gesetz anzusehen. Es ist aus der Not geboren, und es ist noch die beste Lösung unter den dafür 'anstehenden Lösungen.
Ich darf Sie namens meiner Freunde, nachdem der federführende Ausschuß für Ernährung sowie der Hausshaltsausschuß und der Außenhandelsausschuß dem Entwurf zugestimmt haben und der Rechtsausschuß sowohl in verfassungsrechtlicher als auch in rechtspolitischer Hinsicht keine Bedenken erhoben hat, bitten, dem vorliegenden Gesetzentwurf unter diesem Gesichtspunkt zustimmen zu wollen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir noch einige Sätze zu der Drucksache 2716. Die Einfuhr- und Vorratsstelle hat eine Interventionspflicht. Sie muß der Landwirtschaft das Getreide abnehmen, soweit diese es nicht anderweitig an den Mann bringen kann. In einem Schadensjahr wie dem Jahre 1960 ist es selbstverständlich, daß die geschädigten Getreidemengen nicht anders schnell unterzubringen sind als bei der Einfuhr- und Vorratsstelle auf Grund ihrer
Interventionspflicht. Es besteht aber derzeit keine Möglichkeit und keine rechtliche Handhabe, das Getreide nun auch wieder abzugeben. Die Landwirtschaft, die das Getreide abgeliefert hat, ist wohl bereit, es wieder zu nehmen, aber dieser Weg ist im Augenblick erschwert oder verbaut. Das soll das Gesetz in Ordnung bringen.
Der Betroffene ist niemand anders als die Landwirtschaft. Ihr mutet man zu, das wieder zu nehmen, was sie gegeben hat, und sie ist dazu bereit. Keine einzige Klage ist aus der Landwirtschaft gekommen.
Ich habe deswegen die Bitte, daß der Gesetzentwurf angenommen wird. Sowohl der Haushaltsausschuß als auch der Außenhandelsausschuß, der Ernährungsausschuß und der Rechtsausschuß haben zugestimmt. Ich kann nicht einsehen, warum wir uns dieserhalb am heutigen Tage noch so lange damit beschäftigen sollen, um so mehr, als auch alle anderen Lösungen, die hier angedeutet wurden, letztlich ihre Schwierigkeiten aufweisen. Das gilt auch für den Export, Herr Kollege Müller, denn es handelt sich hier um Schadgetreide, und der Weltmarkt ist gerade für diesen Artikel sehr wenig ansprechbar. Ich möchte darum bitten, dem Gesetz die Zustimmung zu erteilen.
Keine Wortmeldungen? — Wir kommen dann zur Abstimmung über diesen Gesetzentwurf. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist angenommen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Allgemeine Aussprache wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz in dritter Lesung zustimmt, erhebe sich. — Gegenprobe! - Enthaltungen? — Das Gesetz ist -mit Mehrheit angenommen.
Ein Nachtrag zu Punkt 42 b der Tarifordnung: Ziffer 2 des Antrags des Ausschusses ist mit der Annahme der Ziffer 1 erledigt. — Ich darf Ihr Einverständnis feststellen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Große Anfrage der Fraktion der FDP betr.
Agrarpolitik in der EWG .
Das Wort zur Begründung der Großen Anfrage hat der Abgeordnete Mauk.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die Ehre, zur Begründung der Großen Anfrage der FDP über die EWG-Agrarpolitik folgendes auszuführen.Die deutsche Landwirtschaft ist in großer Sorge um ihre Zukunft. Sie ist es deshalb, weil die undurchsichtige Haltung der Bundesregierung in der Frage der beschleunigten Errichtung des Gemeinsamen Marktes in der EWG die deutsche Landwirtschaft völlig im unklaren läßt.
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9740 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. Juni 1961
MaukUnsere Bauern haben zur Sorge allen Anlaß, denn zwischen den Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers und des Herrn Bundesernährungsministers, daß die Lebensinteressen der deutschen Landwirtschaft auch in der EWG gesichert sein würden, und anderen bis heute nicht offiziell dementierten Informationen, die anscheinend auch auf amtliche Quellen zurückgehen — nämlich daß die Bundesregierung spätestens nach der Bundestagswahl dennoch zu neuen Vorleistungen auf landwirtschaftlichem Gebiete bereit sein werde —, besteht ein offenkundiger Widerspruch. Ja, man muß fast den Eindruck gewinnen, daß ein gewisses System in diesen Meldungen liegt, die in der letzten Zeit durch die deutsche Presse gingen. Es sieht ganz so aus, als wolle man die Öffentlichkeit auf die Meinung hinsteuern, daß sich die deutsche Landwirtschaft einer schnelleren wirtschaftlichen Einigung in Europa quer in den Weg stellen wolle.Meine sehr verehrten Damen und Herren, so ist das ja nun doch nicht. Der EWG-Vertrag ist unterschrieben, er ist ratifiziert und damit Bundesgesetz geworden. Die Freien Demokraten haben hier im Bundestag seinerzeit gegen den EWG-Vertrag gestimmt, und zwar in klarer Erkenntnis auch der Tatsache, daß aus diesem Vertrag Schwierigkeiten und Gefahren auf die deutsche Landwirtschaft zukommen, von denen die Bundesregierung beim Vertragsabschluß offenbar keine richtigen Vorstellungen hatte. Der Vertrag ist, wie gesagt, Gesetz und muß respektiert werden, auch von der Opposition.Aber was wir nicht mitzumachen bereit sind, das sind die Zugeständnisse und Vorleistungen, das sind jene sogenannten Beschleunigungen, der Hallstein-Plan vom vorigen Mai und seine Neuauflage von diesem Mai, Zugeständnisse, die weit über die ursprünglichen und von diesem Hohen Haus gebilligten Vertragsverpflichtungen hinausgehen.Man versucht in Brüssel und wohl auch in Bonn, diese Beschleunigung mit der Behauptung zu rechtfertigen, daß die Konjunkturlage eine schnelle Realisierung des Gemeinsamen Marktes begünstige und sogar erfordere. Nun, das mag für einige gewerbliche Bereiche vielleicht zutreffen, aber niemals für die deutsche Landwirtschaft. Die deutsche Landwirtschaft befindet sich in einer trostlosen Lage, die es keineswegs gestattet, ihr neue Belastungen zuzumuten.Ich denke hierbei nicht bloß an den geforderten beschleunigten Zollabbau. Ich meine vor allem die Pläne der EWG-Kommission für die Angleichung der Agrarpreise innerhalb der EWG. Zwar erklärt Herr -Mansholt immer wieder, daß die Kommission bisher noch keine bestimmten Vorstellungen über das künftige Preisniveau habe. Aber einer seiner engsten Mitarbeiter und einer der maßgeblichen Herren innerhalb der Kommission, Herr Dr. Kron, Abteilungsleiter in der Generaldirektion Landwirtschaft in der EWG-Kommission, hat bereits die Karten auf den Tisch gelegt und jüngst in einer den Brüsseler Büros anscheinend sehr nahestehenden Zeitschrift wörtlich erklärt: „Die EWG-Kommission hat vorgeschlagen, ein mittleres Preisniveau anzusteuern." Hier haben wir es schwarz auf weiß. Der deutschen Landwirtschaft soll zugemutet werden, noch niedrigere Preise, wesentlich niedrigere Preise sogar als bisher hinzunehmen. Dabei hat. die Bundesregierung im Grünen Bericht 1961 offen zugeben müssen, daß schon bei den bisherigen deutschen Preisen nur 6 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche rentabel bewirtschaftet werden konnten.Wie ist denn die gegenwärtige Situation der Landwirtschaft? Meine Damen und Herren, ich möchte Sie nicht mit Zahlen berieseln, die allerdings für die Beschleunigungsfanatiker ein wünschenswerter kalter Guß sein würden. Nur einige wenige Tatsachen: Während die Preise und die Löhne fast in der ganzen übrigen Wirtschaft immer weiter nach oben klettern, sind die Erzeugerpreise der Landwirtschaft heute, im Juni 1961, um durchschnittlich 10 % niedriger als im Juni 1960 und 1959. Laut amtlichem Nachweis sind sie sogar niedriger als vor fünf Jahren um dieselbe Jahreszeit.Dazu kommt jetzt außerdem eine neue Lohnwelle auch auf die Landwirtschaft zu, die das Lohnkonto um mindestens 12 bis 18 % — es ist in den einzelnen Ländern unterschiedlich — erhöht. Dafür gibt es keinerlei Ausgleich in der Wirtschaftsrechnung der Betriebe. Ja, es muß sogar darauf hingewiesen werden, daß jede für den Landarbeiter an sich durchaus wünschenswerte Lohnerhöhung den Rückstand des Arbeitseinkommens der familieneigenen Kräfte weiter vergrößert.Am 24. Februar, bei der Debatte zum Grünen Bericht, habe ich diesem Hause, bis heute unwidersprochen, vorgerechnet, daß die Lohndifferenz für die familieneigenen Arbeitskräfte gegenüber vergleichbaren Berufs- und Wirtschaftsgruppen auf dem Lande je Stunde fast 50 % beträgt. Soll der Lohn dieser bäuerlichen Bevölkerung, die täglich 10 und noch mehr Stunden und meistens auch samstags und im Stall auch sonntags arbeiten muß, weiter geschmälert werden? Das ist die Frage, die sich auftut.Ich stelle fest: Die Bundesregierung hat mit ihrer Agrarpolitik das Agrarpreisniveau bereits unter den Punkt gedrückt, an dem bei weitgehendem Verzicht der 'bäuerlichen Familienmitglieder auf einen angemessenen Lohn vielleicht noch ein Kostenausgleich möglich gewesen wäre. Und jetzt verlangt man von der Landwirtschaft geradezu mit einer Hast, in das noch kältere EWG-Wasser zu springen.Sehen Sie, meine Damen und Herren, das ist die Ursache, weshalb es heute mit einer gewaltigen und bedenklichen Unruhe in der Landwirtschaft brodelt. Es kann nicht geleugnet werden: Unsere Bauern wollen endlich eine ehrliche Antwort auf die Frage haben: Steht die Bundesregierung überhaupt noch zum Landwirtschaftsgesetz?
— Bitte, Frau Weber?
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. Juni 1961 9741
Mauk— Ich frage bewußt und wiederhole es, falls Sie es nicht richtig gehört haben sollten. Diese Frage müssen wir vorlegen: Steht die Bundesregierung noch zum Landwirtschaftsgesetz?
Wird sie wirklich die Durchführung des EWG-Vertrages davon abhängig machen, daß, bevor alle Schranken fallen, auch alle Wettbewerbsverzerrungen beseitigt sind und ein echter Leistungswettbewerb möglich ist? Den echten Leistungswettbewerb scheut der deutsche Bauer nicht.Wir wollen vor allen Dingen wissen: Wird man der deutschen Landwirtschaft auch wirklich nicht zumuten, neue Milliarden-Verluste durch amtlich verfügte Preissenkungen am Gemeinsamen Markt hinzunehmen?Wir wünschen eine klare und verbindliche Auskunft der Bundesregierung zu allen Punkten unserer Großen Anfrage, weil wir anders keine Möglichkeit sehen, endlich die Voraussetzungen für eine ehrliche Agrarpolitik zu schaffen.Agrarsprecher der CDU/CSU — bitte vergleichen Sie: Agrarbrief der CDU/CSU vom 23. Juni! — halten diese unsere Forderung für eine Zumutung. Sie meinen, man könne von der Bundesregierung nicht erwarten — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten wörtlich zitieren —, „sich in der Agrarpolitik jetzt und für die Zukunft festzulegen". Meine Damen und Herren, wenn man das nicht erwarten kann, weiß ich eigentlich nicht, was man erwarten muß.Man wirft uns Mangel an politischem Fingerspitzengefühl vor. Ich möchte das Gegenteil sagen: Gerade das sehr feine Fingerspitzengefühl der deutschen Landwirtschaft für die merkwürdigen Vorgänge vor und hinter den Kulissen veranlassen uns, von der Bundesregierung zu fordern, daß sie der Landwirtschaft ehrlich sage, wieviel hunderttausend bäuerliche Familienbetriebe sie ,dem Gemeinsamen Markt zum Opfer bringen will.Herr Bundesernährungsminister Schwarz hat z. B. auf einer Präsidialkonferenz des Deutschen Bauernverbandes erklärt: das Landwirtschaftsgesetz zu erfüllen, den EWG-Vertrag zu erfüllen und dazu noch die Verpflichtungen gegenüber dritten Ländern einzuhalten, das komme der Quadratur des Kreises gleich. Das heißt, es ist unmöglich oder unerfüllbar.Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat auf der Kölner Kundgebung des Rheinischen Landwirtschaftsverbandes das EWG-Problem auf die Formel gebracht: Wasch mich, aber mach mir den Pelz nicht naß!Angesichts der Tatsache, daß zwei zuständige Ressortminister eine Meinung äußern, die von den offiziellen Versicherungen, z. B. denen des Herrn Bundeskanzlers und seinen Versprechungen an die Landwirtschaft, so offenkundig abweicht, wollen wir eben endlich Klarheit haben.Die deutsche Landwirtschaft erinnert sich in diesem Augenblick an das Kanzlerversprechen 1952 in Rhöndorf, sie erinnert sich an die Wahlversprechen der CDU 1953 und 1957, und sie erinnert sich an die beiden Regierungserklärungen 1953 und 1957. — Ich will es Ihnen ersparen, sie Ihnen vorzulesen. — Die deutsche Landwirtschaft erinnert sich ferner daran, welche Hoffnungen mit dem Landwirtschaftsgesetz erweckt wurden.Alle diese Versprechen sind bis heute nicht eingelöst. Die Landwirtschaft befindet sich nach wie vor in einer verzweifelten Lage. Sie erwartet deshalb von der Bundesregierung, daß heute eindeutig Farbe bekannt wird, was sie in Zukunft zu tun gedenkt, und vor allen Dingen, was sie für den Fall eines neuen Wahlsieges nach dem 17. September tun wird.
Die Große Anfrage wird von ,dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft beanwortet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantworte die Anfrage zunächst in meiner Eigenschaft als deutsches Mitglied des Ministerrats der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.Zur Verdeutlichung darf ich die Fragen noch einmal vorlesen.Anschließend wird der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft eine agrarpolitische Erklärung abgeben.Die Anfrage lautet:1. Warum hat die Bundesregierung einer Beschleunigung der Durchführung des EWG-Vertrages auf dem Gebiet der Land- und Ernährungswirtschaft zugestimmt, obwohl über die Beseitigung der Wettbewerbsverzerrungen bis heute keine befriedigende Vereinbarung zustande gekommen ist? Wird die Bundesregierung der erneuten Beschleunigung, die die Land- und Ernährungswirtschaft einschließt, wiederum zustimmen?Ich beantworte diese Frage wie folgt: Die Bundesregierung stimmte einer Beschleunigung der Durchführung des EWG-Vertrages auf dem Gebiet der Land- und Ernährungswirtschaft in begrenztem Umfang zu, nachdem sich die anderen Mitgliedstaaten und die Kommission bereit erklärt hatten, bei den von diesen Maßnahmen betroffenen Erzeugnissen die bestehenden Exportsubventionen nicht zu vergrößern oder durch Ausgleichsabgaben den Wettbewerbsverzerrungen zu begegnen.Zu der zweiten dieser Fragen: Die Bestimmung des Beschleunigungsbeschlusses vom 12. Mai 1960, nach welcher der Rat der EWG vor dem 30. Juni 1961 entscheiden soll, ob am 31. Dezember desselben Jahres eine zusätzliche Herabsetzung der Zölle um weitere 10 % möglich ist, gilt nicht für die Landwirtschaft.
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9742 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. Juni 1961
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard Die Frage 2 der Anfrage lautet:Hat die Bundesregierung bei der Unterzeichnung des EWG-Vertrages volle Kenntnis gehabt von den Wettbewerbsverzerrungen, die jetzt der Herstellung des Gemeinsamen Manktes auf dem Gebiet der Land- und Ernährungswirtschaft entgegenstehen?Der Bundesregierung war bei Unterzeichnung des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bekannt, daß als Folge der unterschiedlichen Marktpolitik der einzelnen Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft Wettbewerbsverzerrungen vorhanden sind. Die Bundesregierung ging und geht davon aus, daß im Zuge der nach dem Vertrag zu entwickelnden gemeinsamen Agrarpolitik diese Wettbewerbsverzerrungen beseitigt werden. Die Frage der Wettbewerbsverzerrungen ist Gegenstand ständiger Verhandlungen in der Gemeinschaft.Frage 3:Ist die Bundesregierung bereit, das bei den zuständigen Ministerien, insbesondere beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten verfügbare Material über die in den EWG-Ländern der Land- und Ernährungswirtschaft und dem Agrar-Export direkt und indirekt gewährten Subventionen dem Bundestag unverzüglich vorzulegen?Ich antworte: Die Bundesregierung ist bereit, das ihr verfügbare Material über die in den EWG-Ländern der Land- und Ernährungswirtschaft und dem Agrar-Export direkt und indirekt gewährten Subventionen dem Bundestag vorzulegen.Frage 4 lautet:Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen um diese Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen?Die Antwort lautet: Um die Schwierigkeiten, die sich aus Wettbewerbsverzerrungen auf Grund direkter und indirekter Exportbeihilfen ergeben, einer Lösung näherzubringen, hat der Rat entsprechend einer Forderung der Bundesregierung bei einer Reihe von Agrarprodukten einen „standstill" der Exportsubventionen beschlossen. Die Bundesregierung wird weiter dafür eintreten, daß die von den anderen Mitgliedstaaten gewährten Exportbeihilfen Zug um Zug mit den vorzunehmenden Zollsenkungen abgebaut werden.Für die landwirtschaftlichen Veredelungsprodukte ergeben sich Schwierigkeiten auf Grund der unterschiedlichen Preissysteme in den Mitgliedstaaten. Die Bundesregierung hat daher für eine Reihe von Erzeugnissen, z. B. für Malz, Vollmilchpulver, Kunsthonig, Eier, Ausgleichsabgaben nach Art, 46 oder, soweit es sich um nichtlandwirtschaftliche Erzeugnisse im Sinne des EWG-Vertrages wie Brot, Fondantmasse, Waffeln und Kekse handelt, Ausgleichsabgalben nach Art. 26 beantragt. Bisher hat die Kornmission den Anträgen bei Brot, Fondantmasse, Vollmilchpulver und ,Malz entsprochen. Die Bundesregierung wird auch in Zukunft darauf bestehen, daß mit der schrittweisen Verwirklichung der gemeinsamen Agrarpolitik ein schrittweiser Abbau der wettbewerbsverzerrenden Maßnahmen einhergeht.Frage 5:Kann die Bundesregierung dem Bundestag verbindlich erklären, daß das Landwirtschaftsgesetz vom 5. September 1955 auch nach der Herstellung des Gemeinsamen Marktes in vollem Umfang, insbesondere hinsichtlich der in § 1 des Gesetzes bestimmten Maßnahmen, durchgeführt werden kann?Die Antwort lautet: Der Vertrag über die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft — ich verweise auf Art. 39 des Vertrages — und das deutsche Landwirtschaftsgesetz vom 5. September 1955 verfolgen in der Agrarpolitik die gleichen Ziele; die Ziele des deutschen Landwirtschaftsgesetzes werden unverändert weiter verfolgt.Die Frage 6 lautet:Welche Preisvorstellungen hat die Bundesregierung für einen Gemeinsamen Agrarmarkt a) bei Getreide, b) bei Veredelungserzeugnissen, und mit welchen Maßnahmen soll dieses Preisniveau gesichert werden?Ich anworte: Zur Zeit haben weder die Regierungen der Mitgliedstaaten noch die Kommission der EWG konkrete Preisvorstellungen für einen gemeinsamen Agrarmarkt bei Getreide und Veredelungserzeugnissen bekanntgegeben. Die Bundesregierung wird sich bei ihren Entscheidungen davon leiten lassen, daß das Einkommen der in der Landwirtschaft tätigen Bevölkerung nicht gemindert wird.
Die Sicherung des anzustrebenden Preisniveaus auf dem 'Gemeinsamen Markt wird wesentlich von den Organisationsformen und von den anzuwendenden handelspolitischen Maßnahmen abhängen.Die Frage 7 lautet:Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung über eine gemeinsame Agrarpolitik nach einem zu erwartenden und begrüßungswerten Beitritt Großbritanniens und anderer Mitglieder der EFTA zur EWG?Die Antwort lautet: Die Bundesregierung ist sich dessen bewußt, .daß ein Beitritt weiterer europäischer Länder zur EWG die Gestaltung der gemeinsamen Agrarpolitik beeinflussen kann, ja beeinflussen wird.Über die Frage, in welcher Form eine Harmonisierung der unterschiedlichen Agrarsysteme zu finden ist, liegen konkrete Vorstellungen noch nicht vor. Die Bundesregierung hält es jedoch für möglich, daß eine Angleichung erreicht werden kann.
Zur Beantwortung der Großen Anfrage der FDP hat weiterhin das Wort der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus der Stellung als Oppositionspartei, ohne verpflichtet zu sein, selbst eine Antwort geben zu müssen, haben Sie, meine Herren von der Fraktion der FDP, von der Bundesregierung verlangt, den Kurs der künftigen Agrarpolitik, insonderheit einer solchen in unserem Verhältnis zur EWG, festzulegen. Sie wissen dabei genau, daß es dem verantwortungsbewußten Politiker in keinem Bereich der Politik möglich ist, sich außerhalb der festen Generalkonzeption auf Jahre hinaus auf Einzelheiten festzulegen. Ich sage dies in dieser Deutlichkeit, weil ich davon überzeugt bin, daß auch Sie, wenn Sie in der Veranwortung ständen, eine Antwort, soweit sie die Zukunft betrifft, nicht bis ins einzelne geben könnten.Die politischen Geschehnisse, in deren atemberaubendem Ablauf wir im Augenblick stehen, sind so elementar, daß es um nicht mehr und nicht weniger als um die Erhaltung unserer Freiheit geht. Diese zweifellos auch von Ihnen vorbehaltlos anerkannte Tatsache ist maßgebend für die Generalrichtung der Politik der Bundesregierung insgesamt und auch in dem agrarischen Bereich im speziellen. Wie immer in der Politik muß, wenn allgemeine Ziele erreicht werden sollen, für die Wahl der jeweils erforderlichen Mittel jene Beweglichkeit vorbehalten bleiben, die erforderlich ist, um zu dem für unser Volk absolut notwendigen Erfolg zu kommen.Sie können aber das Bestreben der Bundesregierung und ihren Willen, der deutschen Landwirtschaft im Rahmen des nur irgend Möglichen zu helfen, an dem ablesen, was in der Vergangenheit geschehen ist. Ich glaube, in diesem Hohen Haus sind sich alle darüber einig, daß die Eingliederung der Landwirtschaft in die soziale Marktwirtschaft besondere Maßnahmen nicht nur gestattet, sondern sogar notwendig macht. Aus dieser Erkenntnis ist das Landwirtschaftsgesetz entstanden, das 1955 von allen Parteien angenommen wurde.Was hat nun die Bundesregierung zur Verbesserung der Lage der Landwirtschaft in dieser Legislaturperiode getan? Ich möchte Sie daran erinnern, daß die Aufwendungen für den Grünen Plan in dieser Zeit von 1,3 Milliarden DM auf 1,6 Milliarden DM erhöht wurden. Dazu kommen in diesem Jahre auf Grund der Schäden, die das Jahr 1960 gebracht hat, außerhalb der direkten Schadensregulierungen noch weitere 300 Millionen DM für unsere bäuerlichen Familienbetriebe.Um die Selbsthilfe der Landwirtschaft zu unterstützen, wurden zusätzlich zu den Grünen Plänen und den bereits bestehenden Kredithilfen weitere Mittel zur Kreditverbilligung zur Verfügung gestellt. Damit soll die Anpassung der Landwirtschaft an eine durch die moderne Technik bestimmte Wirtschaft, die große Investitionen erfordert, erleichtert werden. Gerade auf diesem Gebiet wird in der Zukunft noch sehr viel getan werden müssen.
Bisher habe ich von dem gesprochen, was die Bundesregierung für die Landwirtschaft getan hat. Die Darstellung wird aber einseitig, wenn ich nicht auch die Leistungen der Landwirte selbst gebührend hervorhöbe. Daß die Landwirtschaft auf das äußerste bestrebt ist und sich bemüht hat, sich durch Rationalisierung und Modernisierung der fortschreitenden Entwicklung anzupassen, geht u. a. aus den von der Landwirtschaft vorgenommenen Investitionen hervor. Sie wendet, gezwungen durch den ständigen Entzug von Arbeitskräften, heute etwa doppelt soviel für Investitionen auf wie vor fünf Jahren. Die Anstrengungen der Landwirtschaft haben, unterstützt durch die Hilfe des Staates, zu einer Steigerung der Arbeitsproduktivität in der Landwirtschaft geführt, die sich im Vergleich zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität in anderen Wirtschaftsbereichen durchaus sehen lassen kann, diese in gewissen Sparten sogar weit übertrifft.Die Einkommensituation der Landwirtschaft verbesserte sich seit Bestehen des Landwirtchaftsgesetzes. Das Einkommen je landwirtschaftlicher Arbeiter erhöhte sich in diesem Zeitraum um 1300 DM, das ist fast 60 v. H. Das Ziel des Landwirtschaftsgesetzes, das Einkommen der Landwirtschaft an das der übrigen Wirtschaftsbereiche heranzuführen, konnte allerdings noch nicht erreicht werden. Der Einkommensabstand hat sich zwar verringert, aber nicht in dem gewünschten Ausmaß. Die Einkommensdifferenz wäre aber ohne die Maßnahmen des Grünen Plans beträchtlich größer gewesen.Meine Damen und Herren, Sie legen Ihre Kritik an die Maßnahmen der Vergangenheit an und übersehen dabei, daß die aus politischen Gründen geschlossenen Verträge zumindest in der Zeit, die Ihre Kritik trifft, nicht etwa dazu dienten — hier kann ich mich auf meinen Kollegen Herrn Professor Erhard berufen —, den deutschen Export an Industriegütern zu fördern.Die gegenwärtige Hochkonjunktur läßt die Notwendigkeiten, die zur Beteiligung der Bundesrepublik an den internationalen Vertragswerken geführt haben, stark in den Hintergrund treten. Die deutsche Industrie und die gewerbliche Wirtschaft sind auf eine weitere Ausdehnung des Exports unter solchen Voraussetzungen nicht mehr angewiesen. Dennoch lesen Sie immer wieder vom Abschluß bilateraler, also zweiseitiger Verträge mit den verschiedensten Staaten. In diesen Verträgen, die den Warenaustausch zum Gegenstand haben, muß die Bundesrepublik oft Zugeständnisse hinsichtlich des Imports landwirtschaftlicher Güter machen. Die Ergebnisse solcher Vertragsverhandlungen erregen oft den Unwillen unserer Bauern, und es wird dann darauf hingewiesen, es würden „unnötige" Importe hereingelassen, es würden Zugeständnisse gemacht, die nur zum Schaden der deutschen Landwirtschaft seien.Meine Damen und Herren, wenn Sie diese Frage so isoliert betrachten, werden Sie keine einer kritischen Nachprüfung standhaltende Antwort finden. Wer aufmerksam das Weltgeschehen verfolgt, wird immer wieder zwei Faktoren feststellen, die die große Politik entscheidend beeinflussen. Zunächst
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9744 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. Juni 1961
Bundesminister Schwarzist dies die große Auseinandersetzung zwischen dem Osten und dem Westen, zwischen dem Kollektiv der östlichen Diktatur und der freien westlichen Welt. In dieser harten, jeden Lebensbereich erfassenden Auseinandersetzung muß der Staat und muß jeder einzelne von uns Stellung beziehen. Wir haben uns für den Anschluß an die freie westliche Welt entschieden, der es uns ermöglicht, unserer Art gemäß zu leben, der uns Privateigentum, Privatinitiative und Eigenverantwortung garantiert. Das ist die eine der Grundtatsachen. Die zweite Tatsache ist, daß diese freie Welt einen möglichst liberalen Markt wünscht. Insbesondere die USA und auch zum Beispiel Kanada registrieren jeden Versuch der Beschränkung des freien Warenaustausches. Der Abschluß zweiseitiger Wirtschaftsverträge ist also eine politische Notwendigkeit, der wir uns nicht entziehen können. Sie erfordern manchmal auch Zugeständnisse, die hart an der Grenze des wirtschaftlich Tragbaren liegen. Uns bleibt hier jedoch keine Wahl, wollen wir nicht die Freundschaft dieser Staaten aufs Spiel setzen.Von landwirtschaftlicher Seite wird mir dann aber oft vorgehalten, daß ja nicht nur die Verträge mit den Staaten der uns politisch so eng verbundenen westlichen Welt geschlossen worden sind; es wird insbesondere auf den deutsch-sowjetischen Handelsvertrag, den Polenvertrag, das Abkommen mit der sowjetischen Zone und Verträge meinetwegen mit den Balkanstaaten hingewiesen. Bei oberflächlicher Betrachtung kann man leicht geneigt sein, die Notwendigkeit von handelspolitischen Zugeständnissen diesen Staaten gegenüber zu verneinen. Die Dinge liegen aber keineswegs so einfach. Wir leben in einer Welt voller internationaler Hochspannung, die uns immer wieder der unmittelbaren Explosionsgefahr gegenüberstellt. Jeder Weg, der an ,der Katastrophe vorbeizuführen geeignet ist, muß in einer solchen Situation gegangen werden. Die Bundesregierung sieht sich hier allerdings immer wieder vor die Notwendigkeit gestellt, diesen, meist Agrarexportländern, Zugeständnisse zu machen. So kam es am 31. Dezember 1960 zur Unterzeichnung des langfristigen Abkommens über den Waren- und Zahlungsverkehr und eines Protokolls über den Warenverkehr im Jahre 1961 mit der Sowjetunion. Die Abnahme von 150 000 t Qualitätsweizen und 150 000 t Futtergetreide für das Jahr 1961 ist das Resultat. Diese Mengen belasten aber ,die deutsche Landwirtschaft nicht; denn der Getreidepreis wird durch diese Einfuhren, wie Sie wissen, nicht beeinflußt. Er ist durch das Getreidepreisgesetz festgelegt, und die Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel sorgt dafür, daß die festgesetzten Preise nicht unterschritten werden.Die deutsch-polnischen Wirtschaftsbeziehungen basieren auf dem Protokoll über den Warenverkehr vom 16. November 1956. Die wichtigsten Positionen der deutschen Einfuhren aus Polen sind 8000 t lebende Schweine und die Eier. Bei den Schweinen haben wir noch immer einen gewissen kleinen Einfuhrbedarf, wenn wir auch in diesem Jahr mit einer außerordentlich hohen Eigenerzeugung zu rechnen haben. Bei der Gesamtmenge der in der Bundesrepublik jährlich geschlachteten Schweine ist dieEinfuhrmenge verhältnismäßig unbedeutend. Ich erinnere daran, daß wir etwa 22 Millionen Schweine schlachten und eine Einfuhrverpflichtung von 600 000 Schweinen haben. Diese Einfuhrmenge ist jedenfalls nicht geeignet, den Preis auf dem Markt in Unordnung zu bringen. Der Preis auf dem Schweinemarkt wird durch die eigenen Auftriebe gestaltet.Häufiger Kritik unterliegen die Eiereinfuhren aus Polen. Hierzu muß ich Ihnen aber sagen, daß die Einfuhr von Eiern seit dem Jahre 1953 unbeschränkt zugelassen war. Durch das deutsch-polnische Wirtschaftsabkommen von 1960 ist es möglich geworden, die Eiereinfuhr zu kontingentieren, und zwar auf eine dem jeweiligen Marktbedarf angepaßte Menge. Ich glaube, daß wir in diesem Jahr die Folgen dieser Vereinbarung merken und daß hier ein Fortschritt gegenüber dem früheren Zustand ist.Ähnlich ist die Situation bei der Einfuhr von Geflügel aus Polen. Auch diese Einfuhren werden häufig unter Bezugnahme auf die deutsch-polnischen Verhandlungen des vergangenen Jahres kritisiert. Aber auch hier ist die bisher unbeschränkte Einfuhrmöglichkeit in kontingentierte Mengen umgewandelt worden, die dem jeweiligen Marktbedarf angepaßt werden können. Wegen der amerikanischen Hähncheneinfuhren hatte ich gerade in jüngster Zeit in den Fragestunden darauf hinzuweisen, daß der Preisverfall auf diesem Gebiet nicht eine Folge übergroßer Einfuhren, sondern die Folge stark abgesunkener Preise im Erzeugerland ist. Die für die deutsche Landwirtschaft hieraus folgenden Nachteile hat das Hohe Haus durch die auf diesem Gebiet vor wenigen Stunden beschlossenen Maßnahmen zu beseitigen versucht.Auch der Interzonenhandel unterliegt häufiger Kritik. Er ist, wie Sie wissen, nach der Kündigung bestehender Vereinbarungen im vergangenen Jahr neu geregelt worden. Das neue Abkommen ist ebenfalls am 1. Januar 1961 in Kraft getreten und hat eine unbegrenzte Laufzeit, wenn es nicht drei Monate vor Ablauf des Kalenderjahres gekündigt wird. Auf dem uns besonders interessierenden landwirtschaftlichen Sektor sind folgende Positionen wichtig. Aus der sowjetisch besetzten Zone beziehen wir für 25 Millionen Verrechnungseinheiten Zucker und ebenfalls für 25 Millionen Verrechnungseinheiten Schweinefleisch und für 15 Millionen Einheiten Getreide.Sie dürfen diese Importverpflichtungen jedoch nicht isoliert betrachten. Uns ist in diesem Abkommen die Möglichkeit gegeben, auch unsererseits Agrarprodukte in ,die SBZ zu liefern. Wenn Sie den 25 Millionen Verrechnungseinheiten Schweinefleisch unsere Liefermöglichkeiten auf dem Vieh- und Fleischsektor mit 45 Millionen Verrechnungseinheiten entgegenstellen, so sehen Sie sofort, daß unser Vieh- und Fleischmarkt durch dieses Abkommen entlastet wird. Außerdem können wir für 25 Millionen Verrechnungseinheiten Käse liefern. Die Zucker- und Getreidelieferungen aus der SBZ belasten uns nicht, wie ich schon sagte, weil wir hier unsere Vorratsstellen einschalten.Bundesminister SchwarzIch will und kann nicht mehr auf jeden einzelnen Handelsvertrag eingehen. Aber an diesen Beispielen, die den am meisten kritisierten Handelsverkehr betreffen, mögen Sie ersehen, daß die Belastungen, die wir für die deutsche Landwirtschaft übernommen haben, nicht so unerträglich sind, wie sie häufig und manchmal auch in etwas demagogischer Weise dargestellt werden. Seien Sie bitte überzeugt, daß wir bei derartigen Vertragsverhandlungen alles tun, um die berechtigten Interessen der deutschen Landwirtschaft, soweit das nur irgend möglich ist, zu wahren. Ich möchte jedoch ausdrücklich betonen, daß die sich infolge der Importe an manchen Stellen häufenden Warenmengen, auch wenn sie von den Vorratsstellen aufgenommen werden, nicht zu Lasten der Landwirtschaft gehen dürfen. Ich muß vielmehr die Forderung stellen, daß das, was im Interesse der Gesamtheit erforderlich erschien, dann auch wieder von der Gesamtheit als Last getragen wird.
Das heißt also: ein Reexport darf die Landwirtschaft nicht berühren.Zum Abschluß dieses kurzen Überblicks möchte ich Ihnen noch einige Zahlen über unsere Importe im Jahre 1960 geben, weil immer wieder behauptet wird, die Bundesregierung habe im Übermaß agrarische Produkte zum Nachteil der deutschen Landwirtschaft importiert, was zu einem Verfall der Erzeugerpreise geführt habe. An Schlachtrindern, Rind- und Kalbfleisch wurden im Wirtschaftsjahr 1958/59 rund 167 000 t, im Jahre 1959/60 dagegen etwas weniger, nämlich 162 000 t eingeführt. Hierbei ist noch zu beachten, daß die Ausfuhr dieser Produkte einschließlich ,der Fleischlieferungen in die SBZ und an die Streitkräfte im Wirtschaftsjahr 1959/60 gegenüber dem vorhergehenden Jahr 1958/59 erheblich größer geworden ist; die Ausfuhr ist nämlich von 28 000 auf 43 000 t gestiegen.Betrachten wir die Preisentwicklung, so trifft die immer wieder aufgestellte Behauptung, die Preise seien infolge der Einfuhren zurückgegangen, nicht in dem Maße zu, wie es behauptet worden ist. Seit dem Inkrafttreten des Landwirtschaftsgesetzes im Jahre 1955 hat es eine stetige Aufwärtsentwicklung gegeben. Damals lagen die durchschnittlichen Rinderpreise bei 184,20 DM je 100 kg. Im Wirtschaftsjahr 1959/60 lagen sie bei 208 DM. Zwar ist der Preisanstieg vom Wirtschaftsjahr 1958/59 zum darauffolgenden Jahr 1959/60 mit 0,5 % nur geringfügig. Diese Tatsache wird in öffentlichen Diskussionen immer wieder herausgestellt. Ich bitte dabei aber doch davon Kenntnis zu nehmen, daß die Preise vom Wirtschaftsjahr 1957/58 zum darauffolgenden Jahr 1958/59 einen sehr großen Sprung von 185 auf 207 DM gemacht haben, Ich glaube, wir sollten solche Extreme nicht immer wieder in die Argumentation hineinbringen, sondern lieber die stetige Gesamtentwicklung betrachten.
Die Situation auf dem Schweinemarkt ist ebenfalls recht interessant. Auch hier noch einige kurze Ausführungen. Die Einfuhr von Schweinen, in Tonnen Schlachtgewicht umgerechnet, sowie von Schweinefleisch ist iim Wirtschaftsjahr 1958/59 gegenüber dem Jahr 1959/60 von 114 000 auf 127 000 t etwas angestiegen. Der Durchschnittspreis für Schweine betrug im Wirtschaftsjahr 1958/59 128 DM je 100 kg. Dieser Preis ist geringfügig niedriger als der im Wirtschaftsjahr 1958/59. Damals betrug er 130,80 DM. Ich möchte Sie nicht noch mit weiteren Zahlen belasten, sondern nur darauf hinweisen, daß wir 'in den Jahren 1957/58 Preise von 117 DM hatten. Auch hier müssen wir feststellen, daß die Schweinepreise trotz der außerordentlichen Mehrproduktion von jährlich rund 500 000, die der Konsum immer aufnimmt, eine Stetigkeit in der Gesamtentwicklung aufweisen.Nun noch ein Wort zu den viel kritisierten großen Butterimporten im Jahre 1959. Sie spielen nach wie vor in einer gewissen Presse eine große Rolle. Der Bundesregierung, insbesondere dem Bundesernährungsminister, wird wahrhaftig zu Unrecht der Vorwurf gemacht, sie habe durch die damaligen Butterimporte der Landwirtschaft Schaden zugefügt. Ich darf Sie daran erinnern, daß diese Butterimporte ihren Ursprung nicht in einer allzu großen Bereitwilligkeit der Bundesregierung hatten, sondern daß es die damalige Meinung des Hohen Hauses war, den Butterzoll fallenzulassen. Die Folge waren übergroße Importe, die für die Landwirtschaft außerordentlich schwerwiegend waren. Die in diesem Punkt gegenüber der Bundesregierung erhobenen Vorwürfe sind völlig uniberechtigt.Sie, meine Damen und Herren von der Fraktion der FDP, beziehen sich in Ihrer Großen Anfrage weitestgehend auf die Wirkung, die der EWG-Vertrag auslöst. Durch die Bildung der EWG sind zwar etliche neue Probleme für die deutsche Landwirtschaft entstanden; es wäre jedoch ein Irrtum, zu glauben, daß bei dem schnellen Zusammenwachsen der Völker des Westens diesen Problemen hätte ausgewichen werden können. Es handelt sich vielmehr darum, mit den Schwierigkeiten in einer kürzeren Zeit fertig zu werden. Wenn durch den EWG-Vertrag die Agrarmärkte der sechs Länder geordnet werden sollen, so hat die Bundesregierung im Verlauf gerade der vergangenen Jahre bewiesen, daß sie wohl bereit ist, im Geiste dieses Vertrages, jedoch unter weitgehender Schonung der deutschen Erzeugerinteressen, den Warenaustausch zu fördern.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einige Zahlen nennen: Die Einfuhr der Bundesrepublik an Gütern der Ernährungswirtschaft ohne Kaffee und Tabak stieg von 1955 bis 1960 aus Belgien/Luxemburg von 97 auf 177 Millionen DM, aus Frankreich von 404 auf 709 Millionen DM, aus Italien von 544 auf 872 Millionen DM, aus den Niederlanden von 864 auf 1470 Millionen DM. Demgegenüber sank die Einfuhr an diesen Gütern aus den EFTA-Ländern vom Jahre 1959 zum Jahre 1960 von 1310 auf 1255 Millionen DM.Wir sind immer bestrebt gewesen, dort, wo sich die Möglichkeit hierfür bot, durch langfristige Abkommen und durch die im Vertrag vorgesehene Koordinierung der Marktordnungen dem gemeinsamen Ziel näherzukommen. Die Bundesregierung hat sich da-
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9746 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. Juni 1961
Bundesminister Schwarzbei bemüht, der Landwirtschaft für die notwendige Umstellung die volle im Vertrag vorgesehene Übergangszeit zu geben. Bisher ist keine beschleunigte Durchführung des Vertrages beschlossen worden, durch die der Landwirtschaft sichtbarer Schaden zugefügt worden ist. Bedeutsam erscheint mir, daß es bei den Verhandlungen, die zum Beschleunigungsbeschluß vom 12. Mai 1960 geführt haben, gelungen ist, zu erreichen, daß die Frage der Beseitigung der Wettbewerbsverzerrungen als vordringlich anerkannt worden ist und auch angepackt wird. Die Wettbewerbsgleichheit ist unerläßliche Voraussetzung für die Funktion des Gemeinsamen Marktes. Die EWG-Kommission hat zugesagt, die Beseitigung der Wettbewerbsverzerrungen unverzüglich in Angriff zu nehmen. Sie ist zur Zeit dabei, einen Überblick über die verschiedenen Formen der unterschiedlichen Förderungsmaßnahmen durch eine Zusammenstellung zu ermöglichen, und wir haben die Zusage, daß dieser Frage eine besondere Vordringlichkeit zuerkannt wird.Sie, meine Damen und Herren von der FDP, verlangen nun, daß Ihnen die Bundesregierung heute schon eine Antwort darauf gibt, wie sie sich zu einem eventuellen Antrag auf eine weitere Beschleunigung in der nächsten Ministerratssitzung der EWG verhalten werde. Sie werden es aber verstehen — ich glaube, gerade Sie als liberale Partei werden es verstehen —, daß es unter Verhandlungspartnern nicht üblich ist, drei Tage vor einer Verhandlung öffentlich zu erklären, was man zu tun beabsichtigt.
Ich möchte Ihnen daher empfehlen, diese wenigen Tage abzuwarten, bis Sie erfahren werden, welche Entscheidung unter den in Brüssel sich ergebenden Verhältnissen möglich und notwendig ist.Über eines kann es jedoch gar keinen Zweifel geben: Die Bundesregierung hat die Verpflichtung, das Landwirtschaftsgesetz zu erfüllen und damit die Existenzmöglichkeit unserer landwirtschaftlichen Betriebe abzusichern.
Die Bundesregierung weiß, daß die Notwendigkeit der Erhaltung der deutschen Landwirtschaft nicht allein um ihrer selbst willen unbedingt erforderlich ist, sondern daß ihr Fortbestand auch weitestgehend im Interesse der deutschen Verbraucher liegt.
Damit ist die Zielsetzung der Agrarpolitik der Bundesregierung klar aufgezeigt.
Die Große Anfrage ist beantwortet. Ich frage, ob die Große Anfrage und die Antwort beraten werden sollen. Wer das wünscht, der gebe bitte das Handzeichen. — Der Antrag ist hinreichend unterstützt. Wer wünscht das Wort zur Aussprache? — Das Wort hat Herr Abgeordneter Margulies.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß sich die Fraktion der Freien Demokraten an dieser letzten Sitzung der 3. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages zum Sprecher der ernsten Sorge der deutschen Landwirtschaft gemacht hat, welche Konsequenzen sich in den nächsten Tagen bei den Beratungen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ergeben werden, hängt mit der konsequenten Erfüllung der Politik zusammen, die wir hinsichtlich der mittelständischen Ordnung verfolgen. Uns liegt das Schicksal der 1,8 Millionen selbständigen landwirtschaftlichen Betriebe am Herzen.Wir haben noch eine andere Sorge, die uns von unseren Vertragspartnern immer wieder abgenommen worden ist: die Sorge, daß sich, wenn sich die Verhältnisse in der deutschen Landwirtschaft durch die gemeinsame europäische Agrarpolitik verschlechtern sollten, das in erster Linie entlang der Zonengrenze auswirkt, so daß wir möglicherweise durch die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft in etwa zu denselben Ergebnissen kämen, zu denen die drüben im Osten durch Anwendung von Gewalt und Terror gekommen sind. Das aber kann niemand wollen. Das sind die Gründe, die uns veranlaßt haben, diese unsere Sorge vor den Deutschen Bundestag zu tragen.Ich bin dem Herrn Bundesernährungsminister sehr dankbar, daß er diese Sorgen gar nicht verkleinert hat. Auch er hat diese Sorgen hier vorgetragen, auch er hat davon gesprochen, welche Schwierigkeiten im Ausbalancieren der verschiedenen Anliegen gegeben sind, daß er zwar das Landwirtschaftsgesetz durchhalten will, aber auf der anderen Seite auch genötigt ist, Zugeständnisse — wie hat er gesagt: „bis an die Grenze des wirtschaftlich Vertretbaren" zu machen. Die Präferenz-Interessen innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft stehen im Gegensatz zu den Notwendigkeiten, „die traditionellen Warenströme", wie das so schön im EWG-Vertrag heißt, aufrechtzuerhalten. Dieses Problem hat Herr Minister Schwarz gar nicht verkleinert, aber er hat geglaubt, uns, der Opposition, schnell eins auswischen zu sollen, und hat gesagt, wir könnten ja aus der Verantwortungslosigkeit heraus leicht reden. Ich will gar nicht die Zukunft apostrophieren,
aber wir haben schon in der Vergangenheit immer wieder Gedanken geäußert und darum gebeten, daß die Bundesregierung diese Gedanken untersucht. Wir haben Vorschläge gemacht. Aber das ist dann alles versickert, es ist nichts daraus geworden. Wir haben also — ich glaube, darüber werden wir uns verständigen können — eine konstruktive Opposition betrieben, und davon wollen wir auch heute, am letzten Tage der dritten Legislaturperiode, nicht abgehen.
Herr Minister Schwarz hat weiter gesagt: Niemand kann sich auf Jahre hinaus festlegen. Nun, das wollen wir auch gar nicht. Wir wollen ja nur wissen, mit welchen Vorstellungen die Bundesregie-
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Marguliesrung am kommenden Montag, also in drei Tagen, zu der Ministerratssitzung fährt. Das war unser Anliegen. Wir wollen nicht im einzelnen wissen, welche Maßnahmen die Regierung dort mitmachen will und welche sie nicht mitmachen will.Es liegt uns aber die Drucksache 2874 vor, in der der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers dem Bundestag mitteilt:Der Rat hatte am 30. Mai 1961 einen ersten Gedankenaustausch über diese Frage. Eine Beschlußfassung des Rates ist für den 3. und 4. Juli 1961 vorgesehen.Das ist inzwischen verschoben, aber immerhin, das war noch die Mitteilung.Bei der vorgesehenen Zollsenkung ergeben sich infolge der Preisunterschiede bei den wichtigsten Rohstoffen Probleme für eine Reihe von Erzeugnissen der deutschen Ernährungsindustrie. Im übrigen haben die anderen Mitgliedsländer in der Ratssitzung am 30. Mai 1961 die Forderung erhoben, daß zusätzliche Zollsenkungsmaßnahmen auch auf dem Gebiet der Landwirtschaft getroffen werden sollen.Das ist eine sehr eindeutige und klare Mitteilung. Sie steht auch durchaus in Einklang mit dem, was wir von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu erwarten haben.Ich möchte noch einmal unterstreichen, was mein Freund Mauk zur Begründung ausgeführt hat: daßwir den Vertrag als solchen nicht in Frage stellen. Wir haben ihn damals abgelehnt, und wir sind recht froh darüber, daß die CDU jetzt überall die Wähler daran erinnert, daß wir ihn abgelehnt haben, weil wir ja nicht so reichliche Propagandamittel zur Verfügung haben; Sie nehmen uns damit viel Arbeit ab.
Es ist ganz selbstverständlich — und ich habe das von dieser Stelle aus mehrfach erklärt —, daß die Verträge gültig sind und daß niemand bei uns sich dem Verdacht aussetzen will und aussetzen wird, diese Verträge etwa nicht erfüllen zu wollen.Wir müssen uns aber dann auch klar darüber sein — ich glaube, die Regierung weiß das mindestens so gut wie ich —, daß in diesem Vertrag unausgesprochen ein Nehmen und Geben beschlossen ist, daß die anderen fünf Länder, unsere Vertragspartner, wenn auch mit erheblichen Sorgen und gelegentlichen Verzögerungen, ihre Märkte für die Erzeugnisse der deutschen Industrie geöffnet haben und daß sie als Gegenleistung beanspruchen, daß wir unseren Markt für die Überschüsse an landwirtschaftlichen Erzeugnissen der anderen fünf Länder öffnen. Das steht nirgendwo, und trotzdem, meine Damen und Herren, ist das der eigentliche Kern des Vertrages. Wir hatten in den letzten Tagen wegen der Bauernunruhen in der Bretagne in Straßburg häufig Gelegenheit, uns über die Dinge zu unterhalten. Ich habe mich sehr lange mit Herrn Pleven ausgesprochen, dem ehemaligen Ministerpräsidenten, der einen bäuerlichen Wahlkreis in der Bretagne vertritt, und mit meinem Freund Briot, der aus dem Herzen Frankreichs stammt und dort Bauer ist. Beide sagten mir übereinstimmend, obwohl sie aus ganz verschiedenen politischen Lagern Frankreichs kommen, daß sie das Ergebnis ihrer vieljährigen Arbeit für Europa gefährdet sehen, und zwar gefährdet durch die deutsche Agrarpolitik. Sie sagen: Wir haben unsere Wähler, unsere Bürger dazu gebracht, sich zu Europa zu bekennen; sie haben die alten Geschichten, die vielen Differenzen, die zwischen Deutschland und Frankreich bestanden, vergessen, darüber soll nicht mehr gesprochen werden; wir haben es dahin gebracht, daß sie bereit sind, an Europa zu glauben, an Europa mitzuarbeiten; wir haben ihnen selbstverständlich gesagt, daß der deutsche Markt künftig für Ernährungsgüter allen Sechs offenstehe, daß die ganze Entwicklung zu einem gemeinsamen Markt führen werde und daß sich die Überschüsse der einzelnen Länder innerhalb der Gemeinschaft ausgleichen würden; aber was habt ihr nun getan?1958 ist der Vertrag in Kraft getreten. Dann sind die Verhandlungen in Stresa gewesen. Im Europäischen Parlament haben die Mitglieder der CDU die Fahne getragen für eine europäische gemeinsame Agrarpolitik. Sie haben fleißig mitgemacht. In den Regierungskonferenzen haben die deutschen Vertreter zugestimmt. Aber als es dann soweit war, hat die Bundesregierung gesagt: Nischt, aus, nein, machen wir nicht!Es wurde mir von den beiden französischen Kollegen weiter gesagt — ich berichte jetzt einmal, wie das Bild von der anderen Seite her aussieht —: Sie haben uns nicht nur unsere Waren nicht abgenommen, sondern Sie haben durch neue Maßnahmen — man behauptet, vertragswidrig — verhindert, daß das Volumen der Agrarausfuhr nach Deutschland größer wird; Sie haben das Malz in die Marktordnung eingebaut, Sie haben das geschälte Getreide in die Marktordnung eingebaut, Sie haben wegen der angeblichen Gefahren der Einschleppung der Maul-und Klauenseuche die Fleisch- und Vieheinfuhr aus Frankreich verhindert; Sie haben diese und jene Maßnahme gemacht.Was meinen ''Sie, meine Damen und Herren, welche Freude in Frankreich und in Italien über dieses Weinwirtschaftsgesetz herrschen wird, das Sie heute morgen hier beschlossen haben!Das sind doch alles Tropfen, die den Becher allmählich füllen. Jetzt ist es zu den Unruhen in Frankreich gekommen. Jetzt machen die Bauern in der Bretagne und in den anliegenden Gebieten Schwierigkeiten. Ich kann Ihnen hier aus einer Rede, die dort gehalten worden ist, folgendes zitieren: „Besonders der deutsche Markt müßte den französischen Bauern für große Exporte zur Verfügung gestellt werden." Oder an anderer Stelle: „Deutschland, so hatte man uns gesagt, würde ein ungeheurer Markt für unsere Überschüsse werden." Da haben Sie genau die These, die ich Ihnen soeben vorgetragen habe und die den entscheidenden Hintergrund darstellt.Wenn ich darüber berichte, was mir Herr Pleven und Herr Briot sagten, dann ist 'das natürlich auch
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9748 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. Juni 1961
Marguliespolitisch zu verstehen. Sie sehen, wie ihr Werk in Gefahr kommt, wie sich die Kommunisten — die Zitate stammen von einem Kommunisten — der Sache bemächtigen und wegen der Maßnahmen, die die deutsche Regierung ergriffen hat, gegen Europa schießen. Ich will diese Maßnahmen nicht kritisieren, in keiner Weise. Sie sind ja zum großen Teil von uns mitgetragen oder sogar initiiert worden; sie waren eben notwendig, um diesen Ausgleich herzustellen, den Schutz noch zu erhalten. Aber sie wirken drüben angesichts dessen, was wir ihnen nach ihrer Meinung versprochen haben, als Schläge.Zum Schluß sagten mir beide Herren: Jetzt stellen Sie sich mal unsere Situation vor, wenn wir nun zu unseren Wählern hinkommen und sagen denen: „So, nun müßt ihr aber stramm stehen für Berlin."Ich bitte, das nicht zu leicht zu nehmen, meine Damen und Herren. Ich habe mich bemüht, Ihnen das Spiegelbild des Ergebnisses unserer Maßnahmen von der anderen Seite zu zeigen.Natürlich kann man viel dagegen einwenden. Es gibt hundert Vorwürfe, die wir ihnen zurückgeben könnten, wenn wir das wollten. Aber das erreicht selbstverständlich nicht den einfachen Menschen irgendwo auf dem Lande; das sind Auseinandersetzungen für Anwälte. Das nützt uns gar nichts. Wenn einmal dort der Wille zu Europa zerstört ist, werden wir ihn kaum wiedergewinnen.Also wie kommen wir über die Schwierigkeiten weg? Im Vertrag steht ja nicht sehr viel über die Agrarpolitik. Das Wichtigste ist wohl, daß man vereinbart hatte, eine Konferenz abzuhalten. Schön! Sie hat in Stresa stattgefunden. Dort hat es auch eine Anzahl einander völlig widersprechender Beschlüsse gegeben: Das Einkommen der Landwirtschaft muß gehoben werden, und die Preise für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse sollen gesenkt werden. Das steht alles in derselben Entschließung. Dann hat man sich darangemacht, im Schoß der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die Möglichkeiten einer gemeinsamen europäischen Agrarpolitik zu untersuchen. Wie schon gesagt, die Herren von der CDU im Europäischen Parlament haben sich sehr bemüht — das muß man anerkennen —, das mitzumachen; sie haben allerdings dabei einige Kleinigkeiten übersehen.Die deutsche Marktordnung z. B. für Getreide besteht ja nicht aus der Einfuhrschleuse allein, sondern mindestens in gleichem Maße wirkt die Kontingentierung, die mengenmäßige Beschränkung. Und das Festpreisgesetz für Getreide, das wir haben, wäre ja ein Stück Papier und hätte gar keine Wirkung, wenn es nicht durch die Interventionspflicht der Einfuhr- und Vorratsstelle ergänzt würde.Erst durch das Zusammenwirken dieser vier Dinge kommen wir zu dem Ergebnis, das wir aus unserer deutschen Sicht kennen. Wenn man also Teile dieser Maßnahmen auf das europäische Feld überträgt, erreicht man gar nichts. Außerdem ist es doch so — darüber sind wir uns wohl alle im klaren —, daß eine Einfuhrschleuse nur eine Wirkung haben kann, solange ein Strom fließt. Nun sind wir aber zu einem ganz großen Teil innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Selbstversorger. Wir überschreiten bereits den Bedarf. Selbst bei Weizen liegen wir schon auf 96 %, und nur bei Futtergetreide liegen wir noch bei 80 % unseres Bedarfs. Ob es dabei bleiben wird, weiß ich nicht. Jedenfalls hat die Einfuhrschleuse nur so lange eine Wirkung, wie Einfuhren stattfinden. Sonst ist die Preisbeeinflussung weg. Es wird von einem „Richtpreis" geredet. Die Funktionäre bringen ja überhaupt jeden Tag eine neue Bennung. Jetzt haben wir einen „Schwellenpreis". Wir haben auch schon einen Bodenpreis gehabt. Das wird alles nicht näher definiert, so daß man nicht genau weiß, was das sein soll.Im Endeffekt kommt es doch darauf an, daß die Preise, die ja sehr weit auseinanderklaffen, irgendwie harmonisiert werden müssen. So steht es in den Vorschlägen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Ja, meine Damen und Herren, meine Herren Minister, da wollen doch die Leute jetzt von uns mal wissen: Was heißt denn „harmonisieren"? Sollen die Preise heruntergehen, sollen sie heraufgehen; wo sollen sie eigentlich bleiben? Jeder drückt sich um das Preisproblem herum. Die Herren von der CDU sind so enorm stolz darauf, daß sie erreicht haben, daß wir seinerzeit in Rom eine Entschließung angenommen haben, wonach der Weizenpreis an das Preisniveau des größten Einfuhrlandes angeglichen werden soll; das würde also heißen, an den deutschen Preis. Aber es redet leider niemand davon, daß im nächsten Satz schon steht: Das gilt aber nicht für Futtergetreide.Nun beklagen Sie sich darüber, daß ich dies nicht unterstützt habe. Sie haben völlig recht. Sie können von mir nicht verlangen, daß ich einem solchen Quatsch zustimme. Das geht, ehrlich gesagt, über meine Verhältnisse. Wenn Sie den Weizenpreis nach dem deutschen Modell ausrichten wollen, — einverstanden, in Ordnung! Dann müssen Sie aber die anderen Getreidepreise auch so ausrichten. Da steht aber das Gegenteil in dieser Entschließung drin: Futtergetreide soll nicht unter diese Maxime fallen. Dabei wird nichts über den Preis gesagt, der endgültig angestrebt wird. Ja, aber genau das ist es doch, was die Menschen nun einmal wissen möchten. Sie möchten sich doch auf irgend etwas einstellen.Die Frage ist nun — wir haben sie hier schon vor eineinhalb Jahren gestellt —: Wie sieht das aus, was verstehen Sie unter einer Harmonisierung? Zunächst einmal: Wenn wir das ,deutsche Einfuhrschleusensystem auf den Gemeinsamen Markt übertragen, fällt natürlich der Schutz im Innern weg. Der ist dann nicht mehr da. Deshalb wirken sich ja diese Preisfragen unmittelbar auf das Einkommen unserer Landwirtschaft aus. Sie kommen nicht darum herum, irgendwie einmal die Frage zu beantworten: Wo wollen Sie mit den Preisen hin? Das ist das, was die Leute interessiert. Sie können auf das deutsche Niveau gehen. Einverstanden, ist in Ordnung! Dann müssen Sie aber damit rechnen, daß als Folge davon im Laufe der Übergangszeit in Frankreich sofort eine 50°/oige Preiserhöhung eintritt, daß dort also auch eine entsprechende Mehrproduktion entsteht.
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MarguliesIch möchte das an sich gar nicht alles wiederholen. Das hat unser Kollege Köhler schon vor zwei Jahren von dieser Steile aus vorgetragen. Aber auch damals ist keine Antwort gegeben worden.Die Frage ist also: Was soll nun geschehen, damit wir mit dem, was auf uns zukommt, fertig werden? Darum geht es doch letztlich. Wir müssen doch die Menschen draußen in irgendeiner Form beruhigen und ihnen sagen können, daß es ihnen nicht ans Leder geht. Das kann ich aber doch nicht in der Form machen, daß ich einfach sage: Hab du nur Vertrauen zur Regierung! Die wird das schon alles machen.Wir haben vor etwa eineinhalb Jahren die Regierung gebeten, einmal zu untersuchen, ob das britische System eventuell geeignet wäre, die Forderung zu erfüllen, auf die sich doch schließlich alles zusammendrängt, nämlich die Forderung, den EWG-Vertrag in vollem Umfang und ehrlich gegenüber unseren Partnern zu erfüllen, ohne die deutsche Landwirtschaft in ihrer Substanz zu schädigen. Das ist doch die Forderung, die erfüllt werden muß. Wir sind nicht stolz auf diesen unseren Gedanken. Das britische System ist schließlich überall bekannt. Ich möchte nur, um Irrtümern vorzubeugen, gleich hier sagen, daß wir niemals daran gedacht haben, das britische System könne etwa die Methode der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik sein. Unserer Meinung nach könnte es höchstens in Frage kommen, um der deutschen Regierung die Eingliederung der deutschen Agrarpolitik in die gemeinsame Agrarpolitik zu ermöglichen.Es wird davon gesprochen, daß Subventionen abgeschafft werden müssen. Nun, mir hat Herr Mansholt erst vor einigen Tagen zur Antwort gegeben, daß der Art. 91, der die Subventionen verbiete, für den Bereich der Landwirtschaft nicht gelte. Also kann er dagegen auch nichts haben. Aber das ist, wie gesagt, nur eine der Möglichkeiten, um die es hier geht. Man hätte das inzwischen ruhig einmal prüfen können.Es gibt durchaus auch andere Möglichkeiten, das, was man, etwa gezwungen von den Partnern, über den Preis der Landwirtschaft nicht mehr geben kann, ihr als Schadenersatz zu leisten. Da wird natürlich Herr Etzel furchtbar erschrecken und neue Forderungen auf sich zukommen sehen. Die Engländer haben dieses Problem, wie gesagt, sehr schön gelöst, und vielleicht können wir uns da etwas abgucken, wenn wir es an unsere Verhältnisse anpassen. Ich möchte damit also nur den Vorwurf entkräften, daß wir einfach nur kritisierten und uns nicht überlegten, wie man es besser machen kann.Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, meine Damen und Herren, daß uns die Erklärungen, die der Herr Minister abgegeben hat, natürlich nicht befriedigen. Was er uns hier über die Einfuhr, über die Interzonenverträge, über die polnischen Verträge erzählt hat, betrifft nicht die Frage. Unsere Frage ging dahin: Wie wollen Sie, deutsche Bundesregierung, den EWG-Vertrag wirklich ehrlich erfüllen, so daß unsere Partner das anerkennen, ohne der deutschen Landwirtschaft Schaden zuzufügen?
Das Wort hat del Abgeordnete Lücker .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie werden sicherlich verstehen, wenn ich zunächst einmal zum Ausdruck bringen möchte, daß ich mich nicht nur in meinem christlichen, sondern auch in meinem politischen Glauben darin bestärkt sehe, daß es doch offensichtlich noch Zeichen und Wunder gibt. Ich habe den Eindruck, die Rede, die wir soeben gehört haben, legt Zeugnis dafür ab, daß zumindest der Wille vorhanden zu sein scheint, aus einem Saulus zu einem Paulus zu werden. Damit will ich diese Wandlung — um mit denselben Worten zu sprechen, die Sie, Herr Kollege Margulies, gebraucht haben — durchaus nicht in Zusammenhang mit dem 17. September bringen. Immerhin muß ich sagen, nach den Reden ides Herrn Kollegen Mauk zur Begründung der Anfrage und von Ihnen, Herr Kollege Margulies, habe ich den Eindruck, daß Sie offensichtlich das Kriegsbeil, das wegen der deutschen Agrarpolitik auszugraben Sie anscheinend einmal vorhatten, heute wieder in eine seidene Hülle verpackt haben.Herr Kollege Margulies, Sie haben davon gesprochen, daß Sie die Sorge um .die deutsche Landwirtschaft veranlaßt hat, am letzten Tage der Legislaturperiode dieses Hohen Hauses noch einmal die Fragen der Agrarpolitik aufzuwerfen. Sie haben auch davon gesprochen, daß es die Sorge ist, die Sie aus möglichen Entwicklungen der europäischen Agrarpolitik zu sehen glauben, insbesondere für die Bauern und Landwirte an der Zonengrenze, und Sie haben auf das Schicksal hingewiesen, das unsere Bauern in der sowjetisch besetzten Zone in der letzten Zeit erfahren mußten. Ich möchte diesen Gedanken ausweiten. Wir sind ja gegenwärtig mittragender, mitfühlender Zeuge der besonderen Schwierigkeiten, die sich in der Versorgung der Sowjetzonen-bevölkerung zweifellos dadurch einstellen, daß man drüben die landwirtschaftlichen Familienbetriebe, die Landwirtschaft mit Gewalt und brutalem Terror kolchosiert, in einer überstürzten Art und Weise in sogenannte Zwangsproduktionsgenossenschaften geführt hat. Ich sage ,das deswegen, weil ich doch etwas schmerzlich berührt war, als heute früh der Kollege Mauk seine Begründung mit den Worten einleitete, die Lage unserer Landwirtschaft sei „trostlos", sei „verzweifelt", sei „hoffnungslos". Als ich diese Worte hier hörte, stellte ich mir die Frage: Ist nicht die gegenwärtige Situation in der sowjetisch besetzten Zone so, daß wir uns in diesem Hohen Hause im freien Deutschland doch etwas maßvoller über die Lage unserer deutschen Landwirtschaft äußern sollten.
Herr Kollege Margulies, Sie haben anerkannt, daß auch der Herr Minister für die Bundesregierung durchaus nicht den Versuch unternommen hat, etwas zu beschönigen oder festzustellen, daß es etwa keine Schwierigkeiten in der Landwirtschaft gebe. Ich wäre der letzte, der hier den Versuch machen würde, etwa zu sagen, in der deutschen
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9750 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. Juni 1961
Lücker
Landwirtschaft ist alles in Ordnung. Wir wissen selbst, daß das nicht der Fall ist. Aber ich glaube, wenn wir uns heute hier hinstellen und sagen, die Lage der Landwirtschaft ist „trostlos, hoffnungslos, verzweifelt", dann liefern wir doch den Machthabern der Zone geradezu die Begründung in die Hand, daß sie ihr System weiter praktizieren.
Ich würde doch bei aller Anerkennung der Schwierigkeiten im einzelnen, in bestimmten Sektoren, in bestimmten Regionen unserer Landwirtschaft dafür plädieren, daß wir auch bei dem, was wir an Kritik, meinetwegen an berechtigter Kritik vorzubringen haben, immer wieder darauf sehen, wie diese Kritik in dem anderen schmerzlich geprüften Teil unseres deutschen Vaterlandes zu einer völlig anderen Wirkung führen kann, als man es vielleicht von hier aus angenommen hat.Nun darf ich vielleicht auf einige Punkte der Diskussion und der Auseinandersetzung eingehen, die mir sehr wesentlich erscheinen. Zunächst einmal hat Herr Kollege Mauk in der Begründung seiner Anfrage — Herr Kollege Margulies, Sie haben das nachher auch getan — u. a. die These vertreten — ich gebe zu, Sie haben sie hier etwas weniger kraftvoll vertreten, als man das gelegentlich in den Publikationen und Reden außerhalb dieses Hauses bei Ihnen hört —, Sie hätten seinerzeit wegen der Sorgen um die Landwirtschaft gegen die Ratifizierung des Vertrages von Rom gestimmt.Ich möchte hier doch einmal die Frage stellen: Bei welcher Gelegenheit ist die Haltung Ihrer Fraktion zu dem Abschluß des Römischen Vertrages in echter Weise mit dem Argument begründet worden, daß Sie aus Sorge um [die deutsche Landwirtschaft Bedenken wegen der Ratifizierung hätten?
Ich habe mir in den letzten 14 Tagen die Mühe und Arbeit gemacht — das ist für einen Mann, der als Einmannbetrieb arbeiten muß, nicht ganz leicht, ich habe einige Stunden geopfert — und habe einmal die ganzen Protokolle über die Ratifizierungsdebatte zu [den Römischen Verträgen hier im Hohen Hause, über [die Debatte, die wir im Oktober 1958 in Berlin hatten, und über die Debatte vom 4. Mai letzten Jahres in [diesem Hohen Hause, ferner die Straßburger Protokolle nachgelesen. Ich habe in allen idiesen Protokollen nicht ein einziges Mal in einer überzeugenden Art gefunden, daß man in Ihrer Fraktion gegen den Vertrag von Rom gewesen ist, weil man wegen des Schicksals der deutschen Landwirtschaft Sorgen gehabt hat.
Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie hatten sicherlich Gründe für Ihre Einstellung zum Vertrag von Rom. Diese Gründe respektiere ich. Es ist Ihr gutes Recht gewesen, diese Motive und Gründe zu vertreten, die Sie damals in allen Reden angeführt haben. Aber ich bin immer wieder darauf gestoßen, daß es Ihnen darum ging, an Stelle der EWG die Freihandelszone zu bekommen.
Wir wollten demgegenüber sowohl die EWG, wie auch darüber hinaus in 'der weiteren Entwicklung einen größeren europäischen Zusammenschluß, nach unserem Wunsch allerdings nicht in der Gestalt der Freihandelszone. Wenn ich diese These und Antithese einmal gegenüberstelle und darauf eine agrarpolitische Antwort gebe, muß ich sagen: Herr Kollege Margulies, ein Wirtschaftsliberalismus, wie er in der Gestalt einer Freihandelszone praktiziert wird, ist für die deutsche und für die europäische Landwirtschaft in dieser Form nicht annehmbar und nicht praktikabel. Wir stehen schon zu dem Konzept der sozialen Marktwirtschaft, Herr Kollege Dr. Starke, mit dem Maß an Liberalismus, das darin ist. Aber ich spreche hier von der Form des Wirtschaftsliberalismus, wie er in einer Freihandelszone praktiziert wird. Die Kleine Freihandelszone, die ja nach der EWG geschaffen wurde, hat ja auch aus diesem Grunde die Landwirtschaft völlig aus ihrem Vertrag ausgeschlossen. Die Begründung aller Beteiligten dafür war, daß man in eine solche Freihandelszone die Landwirtschaft nicht ohne entsprechende Bindungen und Sicherungen einführen kann. Sicher, wir haben damals auch gesagt: Wenn es im Augenblick für den größeren Zusammenschluß nichts Besseres gibt und nichts anderes möglich ist als eine Freihandelszone, dann werden wir das tun, aber dann müssen für die Landwirtschaft auf sie zugeschnittene besondere Regelungen und Bindungen gesucht werden.Herr Kollege Margulies, Sie haben zum Schluß, als Sie die Agrarier der CDU/CSU im Europäischen Parlament apostrophierten, den Eindruck erweckt, wir seien nach Ihren Vorstellungen nicht genügend protektionistisch gewesen, was die Sicherung der Interessen der deutschen Landwirtschaft anlangt, wir hätten einer europäischen Marktordnung mit einem gemeinsamen Preisniveau zugestimmt, hätten aber auf die Kontingente und die anderen Möglichkeiten, den Handelsverkehr zu hemmen, von uns aus verzichtet.Nun, in Straßburg und in Brüssel hat sich das bei den Diskussionen etwas anders angehört. Ich erinnere mich noch sehr gut an das, was Sie damals als erster Sprecher im Ausschuß in Brüssel sagten, als ich im Sommer 1958 meinen ersten Bericht vorlegte, der ja in bezug auf die Schutzmaßnahmen für die deutsche und europäische Landwirtschaft zweifellos noch einige Schritte weiterging, als wie ex nachher vom Parlament und vom Ausschuß verabschiedet wurde; auch ich habe Konzessionen machen müssen, um einen gemeinsamen Nenner zu finden, Sie haben das damals mit einem Maß ,an Liebenswürdigkeit gesagt, und es liegt sicherlich an mir, daß ich es als boshaften Zynismus aufgefaßt habe, Jedenfalls kann ich mich noch deutlich daran erinnern, daß Sie sagten:Herr Präsident,— Sie sprachen den Präsidenten des Ausschusses an —ich beantrage Streichung des Kapitels 1 des Berichts Lücker, und ich werde auch in der Folge Streichung dieses Berichtes beantragen.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. Juni 1961 9751
Lücker
Als Begründung fügten Sie an:Herr Kollege Lücker, wenn Sie in der Lage sind, eine Konzeption vorzulegen, ,die liberal ist auch für die deutsche und europäische Agrarpolitik, dann werde ich Ihnen zustimmen können.
Aber dieses Maß an Protektionismus führt ja in die finstersten Zeiten des Mittelalters zurück, und solchen Vorschlägen kann ich nicht zustimmen.
Herr Kollege Margulies, ich will Ihnen das heute hier nicht vorhalten. Ich freue mich über den „Paulus", und wenn wir in dieser Art und Weise auch nach dem 17. September im Europäischen Parlament weiterhin gemeinsame Agrarpolitik machen können, dann dürfen Sie überzeugt sein, daß ich der erste bin, der sich darüber freut, daß das möglich geworden ist.Wir von der CDU/CSU-Fraktion haben uns unsere Entscheidung für die Verträge von Rom auch nicht leicht gemacht. Es würde zweifellos zu weit führen, wenn ich 'den Versuch unternehmen wollte,- hier zu begründen, warum wir dem Vertrag zugestimmt haben. Ich glaube, daß unsere Entscheidung von damals auch heute noch richtig ist und für die Zukunft noch bedeutungsvoller sein wird, wenn wir uns alle vor Augen führen, was sich in der weltpolitischen Situation in den letzten Jahren getan hat, was sich gegenwärtig tut und was an neuen Bedrohungen und Belastungen auf uns zukommt. Ich glaube also, wir haben einen richtigen Weg eingeschlagen. Wir haben diesen Weg eingeschlagen, weil wir überzeugt waren, auch im Hinblick auf die berechtigten Interessen der deutschen Landwirtschaft in dieser europäischen Integration einen Weg finden zu können, der uns in eine Gemeinsamkeit, auch in eine gemeinsame Agrarpolitik, aber auch in eine Schicksalsgemeinschaft mit diesen Partnern Europas bringen wind.Herr Kollege Mauk hat in seiner Begründung noch einmal darauf hingewiesen, daß diese Ungewißheit über die zukünftige Entwicklung der gemeinsamen Agrarpolitik besteht, und hat dabei insbesondere auf die Preisfrage aufmerksam gemacht. Jedermann in 'diesem Hohen Haus weiß, daß die Frage der Preise zweifellos die Gretchenfrage der europäischen Agrarpolitik ist. Es ist eine Frage des vernünftigen Vorgehens, ob man sie an den Anfang aller Entscheidungen stellt oder ob man sie zu dem Zeitpunkt prüft und entscheidet, zu dem es notwendig und richtig ist.Herr Kollege Mauk hat eine Äußerung zitiert, die ein Beamter der Europäischen Wirtschaftskommission, Herr Dr. Krohn, gemacht haben soll. Herr Dr. Krohn hat als Beamter zurückgegriffen auf die offiziellen Vorschläge der Europäischen Wirtschaftskommission, die ja seit dem vergangenen Frühjahr hier bekannt sind, und er hat nichts anderes vorgetragen, als was darin steht. Nun, die Bundesregierung hat hier heute ganz eindeutig geantwortet, daß weder die Mitgliedsregierungen noch die Kommission eine konkrete Vorstellung über 'das zukünftigePreisniveau haben. Ich glaube, dieser Standpunkt ist richtig. Nach meiner Kenntnis der Zusammenhänge ist diese Auffassung durchaus mit Recht hier zu vertreten.Aber — und damit komme ich zu der Kehrseite der Medaille — es gibt ja nicht nur diesen Vorschlag der Kommission aus dem Juni des vergangenen Jahres; es gibt auch noch eine Stellungnahme des Europäischen Parlaments. In dem Spiel der europäischen Institutionen ist ja der Ministerrat das oberste und entscheidende Organ. Dieses Organ der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft hat dazu noch nicht gesprochen. Der Ministerrat hat einen Vorschlag der Kommission, und er hat einen Vorschlag des Europäischen Parlaments, das auch vom Politischen her an diese Frage herangegangen ist. Ich muß hier darauf zurückkommen, weil Sie, Herr Kollege Margulies, die Frage der Preise noch einmal angeschnitten haben. Sie haben zwar heute in etwas freundschaftlicherer Art den Bemühungen der CDU/ CSU-Kollegen im Europäischen Parlament eine Benotung zu geben versucht. Ich muß Ihnen aber sagen: Auch wir haben uns die Frage in den Gesprächen nicht leicht gemacht. Wir haben die Übernahme des deutschen Preisniveaus vorgeschlagen und mit einer Mehrheit durchgesetzt. Damit liegt ein politisches Votum vor.
— Ich komme noch darauf, Herr Kollege Margulies.— Dieses Votum des Europäischen Parlaments liegt dem Ministerrat genauso vor wie der Vorschlag der Kommission unserer Gemeinschaft, und der Ministerrat kann zwischen diesen beiden Vorschlägen wählen. Er kann sie prüfen, und er wird das sicherlich sehr sorgfältig und gewissenhaft tun.Nun sagen Sie: Sie haben diesem Vorschlag — dessen Sprecher ich damals im Europäischen Parlament war — deswegen nicht zugestimmt, weil da geschrieben steht, daß sich die landwirtschaftlichen Preise an dem deutschen Preisniveau orientieren sollen, und dann sofort ein Satz kommt: „Aber das gilt nicht für Futtergetreide." Herr Kollege Margulies, Sie sind ein hervorragender Meister in der Formulierung Ihrer Gedanken sowohl nach der einen als auch nach der Seite hin. Ich möchte Ihnen aber eines sagen: diejenigen Mitglieder dieses Hauses, die im Europäischen Parlament sitzen, wissen, welche Lesart richtig ist und vielleicht sogar richtig bleibt. Herr Kollege Margulies, in der Frage der Futtergetreidepreise dürfen Sie diese Nr. 20 der Entschließung des Europäischen Parlaments nicht allein lesen. Diese Nr. 20 steht in einem unlösbaren Zusammenhang mit der Nr. 30, in der ausdrücklich festgehalten ist, daß für das Getreidepreisniveau in der gesamten EWG eine einheitliche Relation zwischen Weizenpreis einerseits und Futtergetreidepreis andererseits beschlossen werden muß.
Das ist das Kriterium.
Diese Nr. 20 mit dem zweiten Satz, wo es heißt, das deutsche Preisniveau für Futtergetreide könne nicht übernommen werden, bedeutet im Gesamtzusammenhang der Entschließung lediglich, daß nicht
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9752 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. Juni 1961
Lücker
die gegenwärtig in Deutschland praktizierte Relation von 100 zu 93 als verbindlich für die EWG übernommen werden kann, sondern eine Relation, die unter der gegenwärtigen deutschen liegt. Das bedeutet aber nichts für das Preisniveau in seiner Gesamtheit.Ich will Ihnen hier nicht einen Vorwurf daraus machen. Denn dazu nehmen Sie, weder zeitlich noch arbeitsmäßig, genügend an den einzelnen Beratungen des Landwirtschaftsausschusses teil. Das ist kein Vorwurf; denn Sie haben sehr viele Aufgaben und Funktionen. Aber Sie müssen als Sprecher für die Agrarpolitik Ihrer Fraktion in Europa zumindest diesen Sachzusammenhang zwischen der Nr. 20 und der Nr. 30 der Entschließung des Europäischen Parlaments kennen; dann hätten Sie die Motivierung, die Sie heute hier gegeben haben, nicht geben können.
Der Kampf wird darum gehen, ob nicht nur das deutsche Getreidepreisniveau, sondern mit dem Getreidepreisniveau das gesamte deutsche Preisniveau verbindlich für die EWG sein wird oder nicht. Darüber wird der Ministerrat zu gegebener Zeit eine Entscheidung treffen müssen. Ich bin überzeugt, er wird eine treffen. Ich komme auch im Zusammenhang mit einer anderen Frage darauf zurück.Herr Kollege Margulies, Sie haben am Ende Ihrer Darlegungen zumindest für die Landwirtschaft der Bundesrepublik die Übernahme des englischen Subventionssystems empfohlen. Das steht damit in einem kausalen Zusammenhang. Sie sagen: Wir wollen das prüfen. Nun, das kann man tun. Aber ich fürchte, daß in dem Moment, in dem Sie einen solchen Vorschlag von der Kanzel des Hohen Hauses herab machen, damit bestimmte Assoziationen und bestimmte Vorstellungen in der Öffentlichkeit geweckt werden, vor denen ich nicht eindringlich genug warnen kann.
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Was bedeutet das englische System? Das englische System bedeutet, daß die Preise, die in England auf dem Markt herrschen, de facto keine anderen sind als die Weltmarktpreise. Sie liegen entsprechend unter den deutschen Preisen. Es ist aber interessant, daß die englischen Garantiepreise, mit Ausnahme der für Weizen, etwa den Preisen entsprechen, die auch die deutsche Landwirtschaft bekommt. An Subventionen zahlt dafür die englische Regierung allein in dem System der deficiency payments, also nicht mit dem System, das mit der Abteilung B unseres Grünen Plans identisch ist, 1,8 und etwas mehr Milliarden DM.
Es sind insgesamt 21 % des Gesamtumsatzes der englischen Landwirtschaft. Auf die deutsche Landwirtschaft übertragen, ergibt sich folgender Zustand, Herr Kollege Margulies. Sie werden der deutschen Landwirtschaft auf dem Markte, d. h. in der Erzielung ihrer Verkaufserlöse, eine Einbuße von insgesamt 4,7 Milliarden DM zumuten.
Für diese Einbuße auf dem Markt werden Sie der deutschen Landwirtschaft Subventionen in Höhe von 4,2 Milliarden DM geben, so daß sich an der finanziellen Netto-Situation unserer deutschen Landwirtschaft nichts Wesentliches ändert. Sie haben nur folgenden Erfolg: Sie geben der deutschen Landwirtschaft über den Markt als Produkt ihres Fleißes und ihrer Tüchtigkeit ein Minus und geben ihr dafür ein Mehr an Subventionen.
Herr Abgeordneter Lücker, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Kollege Lücker, ich darf Sie fragen: Beim englischen System ist doch die Aufwands- und Ertragsberechnung die Grundlage?
Nein, eben nicht. Das englische System beruht darauf, daß sich praktisch auf der Basis ,der Weltmarktpreise der Marktverkehr im eigenen Lande vollzieht und der Unterschied auf der Basis von errechneten Garantiepreisen bezahlt wird. Diese Garantiepreise liegen auf der Höhe der deutschen Preise. Sie müssen aber dann auch den deutschen Marktverkehr sich auf der Basis der Weltmarktpreise vollziehen lassen. Das heißt: diejenige Summe, die die Landwirtschaft bei uns als Ergebnis des Marktes an höheren Einnahmen hat, müssen Sie der Landwirtschaft nehmen und durch Subventionen ersetzen.
Das ändert an der Netto-Situation der deutschen Landwirtschaft finanziell gar nichts.
— Nein, das ändert nichts daran!
Man kann ja im einzelnen darüber diskutieren, aber über eines muß man sich dabei im klaren sein. Das englische System ist darauf abgestellt, daß die englische Landwirtschaft nur eine Eigenproduktion von 45 % erbringt gegenüber immerhin einer Eigenproduktion von rund 70 % bei uns. Sie müssen also die Summen entsprechend erhöhen, wenn Sie nicht gleichzeitig der deutschen Landwirtschaft sagen wollen, daß sie mit ihrer Produktionsleistung ebenfalls auf das in England praktizierte Maß zurückgehen soll.Sie machen dabei allerdings folgendes: Sie schaffen für den Handel — das ist natürlich sehr interessant — größere Dispositionsfreiheit und größere Handlungsfreiheit.
Ich sage Ihnen ausdrücklich, das ist durchaus ein edles Motiv. Aber ich weiß nicht, ob dieses edle Motiv auf die Dauer wirklich ausschlaggebend sein kann.
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Lücker
Eine weitere Schlußfolgerung, die damit verbunden ist, ist die, daß Sie ,dem Verbraucher die wahren Kosten seiner Ernährung verschleiern, daß Sie die Landwirtschaft zu einem wirklich überragenden Empfänger ,der Wohltätigkeit des Staates machen. Wohin das à la longue führt, brauche ich hier nicht zu sagen: Zur Zerstörung eines freien und selbstverantwortlichen Berufsstandes.
Das letzte Argument, Herr Kollege Margulies. Sie propagieren ,dieses System. Sie müssen dann aber auch den Mut haben zu sagen — denn .das ist die Konsequenz davon —, daß Sie, weil der Staat um 4 Milliarden DM höhere Subventionen zahlen muß, die Steuern um diesen Betrag erhöhen müssen. ,Sagen Sie uns bitte, wo und in welchem Ausmaß diese Steuererhöhung Platz greifen soll, um die höheren Subventionen zahlen zu können, oder aus welchen Quellen Sie das finanzieren wollen.
— Mit dem englischen System, Herr Kollege, verschieben Sie doch nur das, was die Verbraucher weniger zahlen, auf den Steuerzahler, sonst doch nichts; darüber müssen Sie sich im klaren sein.Ich will hier nicht erschöpfend dazu sprechen. Sie haben das auch nicht getan. Ich will hier nur einige der wesentlichsten Gesichtspunkte aufgreifen. Ich muß sagen, Herr Kollege Margulies, Ihre Fraktion ist bisher — sie hat mindestens so getan, als ob sie gern dafür gehalten sein möchte — als ein Siegfried für die Rettung der deutschen Landwirtschaft mit dem Ehrenkodex der kostendeckenden Preise marschiert.
Nun, kostendeckende Preise und englisches System, das ist ,wie Feuer und Wasser.
Ich halbe den Eindruck, Herr Kollege Margulies, Sie versuchen in der Luft von dem einen Luftballon der kostendeckenden Preise in den zweiten Luftballon des englischen Subventionssystems umzusteigen, ohne daß sie mit den Füßen die Erde berühren wollen.
Ich habe den Eindruck, daß unsere deutschen Bauern, die ja gewohnt sind, mit den Füßen auf der Erde zu bleiben, diesem erregenden Spektakulum aus der sicheren Distanz, von der Erde zum Himmel gewandt, zuschauen. Aber sie werden Ihnen dabei nicht folgen, wenn die Daten, die dafür, und die Daten, die dagegen sprechen, offen, ehrlich und redlich vor der deutschen Öffentlichkeit und vor der deutschen Landwirtschaft ausgebreitet werden.
Sie dürfen überzeugt sein, wir werden das auch in der Zukunft tun.'Sie sagen: Wir wollen das prüfen. Schön, aber ich sage Ihnen, die These aus Ihren Kreisen ist nicht ganz neu. Als sie zum ersten Male kam, habe ich mich hingesetzt und habe das geprüft. Ich bin dabei zu ganz bestimmten Schlußfolgerungen gekommen. Ich habe den Eindruck, daß man auf Grund dieser Schlußfolgerungen heute schon ganz eindeutig sagen kann: Warnung vor diesem System. Es bekommt unserer Landwirtschaft sehr viel besser, wenn wir bei einer kontinuierlichen, konstruktiven Agrarpolitik bleiben, wie sie durch die Gesetze für die deutschen Agrarpolitik, insbesondere durch das Landwirtschaftsgesetz, festgelegt worden ist. Ich unterstreiche hier nur die Erklärung der Bundesregierung, wenn ich sage, daß das, was mit dem deutschen Landwirtschaftsgesetz an Zielen verfolgt wird, in vollem Umfang — ich sage ganz bewußt: in vollem Umfang — identisch ist mit dem, was wir auch als Ziele der europäischen Agrarpolitik verfolgen, so daß wir durchaus sagen können: Es ergibt sich kein Bruch, sondern eine Kontinuität der deutschen und der europäischen Agrarpolitik; denn diese europäische Agrarpolitik wird nur dann gut sein, wenn sie nicht nur für die anderen, sondern auch für die deutschen Bauern gut ist,
und sie wird schlecht sein, wenn sie für die deutschen Bauern schlecht ist.Damit ist schon das Wesentliche zu dem gesagt, was Sie dann aus Ihren Gesprächen mit Ihren französischen Freunden angeführt haben. Ich kann mich in gleichem Maße der ausgezeichnetsten menschlichen Kontakte mit Ihren französischen Freunden der liberalen Fraktion im Europäischen Parlament sehr rühmen. Sie wissen das sicher. Ich habe bei Ihren französischen liberalen Freunden — damit Sie das Ausmaß dieser menschlichen und freundschaftlichen Verbundenheit richtig abschätzen können — für unsere agrarpolitischen Vorstellungen sehr viel mehr Unterstützung und Rückhalt gefunden als bei meinen deutschen liberalen Freunden, ja fast hundertprozentige Unterstützung.
Aber wir hoffen, daß wir sie in Zukunft auch bei ihnen finden werden.Sie haben völlig recht, wenn Sie sagen: Unsere französischen Freunde erwarten von uns das Spielen der Präferenz. Dazu habe ich mich jederzeit bekannt. Dazu haben sich auch meine Freunde bekannt. Die letzten Gespräche mit unseren sehr geschätzten Kollegen Pleven und Briot habe ich am Dienstag geführt. Wir sind uns über die Notwendigkeit einer Verständigung auch in der europäischen Agrarpolitik zwischen der Bundesrepublik und Frankreich völlig im klaren.
Ich will mich hier keineswegs gegenüber anderen europäischen Partnern irgendwie diskriminierend äußern, und ich bitte auch das, was ich sagen werde, nicht so aufzufassen. Aber es ist nun einmal so:
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9754 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. Juni 1961
Lücker
Die europäische Agrarpolitik wird nur zustande kommen, wenn eine Verständigung zwischen Frankreich und Deutschland erreicht wird.
Sowohl die Regierung als auch wir werden alles in unseren Kräften Stehende tun, um eine vernünftige, gute Verständigung in Fragen der europäischen Agrarpolitik zwischen Frankreich und Deutschland in einem Sinne zu erreichen, daß alle anderen Partner unserer Gemeinschaft dieser Verständigung aus voller Überzeugung und auch in Wahrung ihrer berechtigten Interessen zustimmen können.Herr Kollege Mauk hat gefragt: Was geschieht denn nach dem 17. September? Sie, Herr Kollege Margulies, haben gefragt: Was geschieht am 3., 4. Juli? Nun, ich habe nicht die Aufgabe, den Standpunkt der Regierung zu vertreten. Sie hat das in überzeugender Weise getan. Ich nehme an, Herr Kollege Margulies und Herr Kollege Mauk, Sie werden verstehen, daß man als Parlamentarier in der Äußerung seiner Gedanken durchaus einen Steinwurf weiter gehen kann als die Regierung.Ich muß ehrlich sagen, ich war etwas überrascht, daß ausgerechnet Ihre Fraktion so kurz vor der Ministerratssitzung in Brüssel öffentlich versuchte, unsere Regierung auf ihr Verhandlungskonzept in Brüssel festzulegen. Ich glaube, jedermann versteht, daß man, wenn man in eine so delikate internationale Verhandlung geht, nicht vorher auf den Markt gehen und dort ausplaudern kann, was man am Verhandlungstische sagen will.
Das bedeutet aber doch nicht, Herr Kollege Margulies, daß die Regierung keine Vorstellungen hätte; das wird die Regierung selber sagen. Aber das bedeutet erst recht nicht, daß die CDU/CSU-Fraktion keine Vorstellungen hätte! Wir haben sehr konkrete Vorstellungen über das, was in der nächsten Zeit geschehen muß.Auch hier lassen Sie mich eines deutlich sagen: Ich glaube, wenn Sie unsere Arbeiten wirklich so intensiv verfolgt hätten, wüßten Sie, daß wir praktisch in der europäischen Agrarpolitik vor dem nach meiner Meinung entscheidenden Schritt stehen, die konkrete Agrarpolitik richtig anzuwenden: die Ablehnung oder die Zustimmung zum Abschöpfungssystem. Mit dem Abschöpfungssystem hängt doch unlösbar das, was immer eine der entscheidenden Forderungen auf der deutschen Seite gewesen ist, zusammen: Damit ist und bleibt der Abbau der Wettbewerbsverzerrungen zwischen den einzelnen Partnern verbunden. Aber wir wissen, daß die Ingangsetzung der Beseitigung der Wettbewerbsverzerrungen und die Ingangsetzung des Abschöpfungssystems zur gleichen Stunde am gleichen Tage beginnen und daß die Abschöpfungen erst dann auf den Nullpunkt gebracht werden, wenn auch die letzten 5 °/o Wettbewerbsverzerrungen beseitigt sind.Dieser Fragenkomplex wird in den Abschöpfungsvorschlägen der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft behandelt. Ich muß sagen, ich habe Respekt nicht nur vor der technischen, sondern auch vor der geistig-politischen Leistung, die die Europäischen Wirtschaftskommission in diesen Monaten geleistet hat, um diese Papiere und Dokumente termingerecht so, wie es der Ministerrat angeordnet hat, vorzulegen. Aber Sie, Herr Kollege Margulies, wissen ebenso wie ich, daß die Entscheidung im Ministerrat über dieses Abschöpfungssystem im Augenblick gar nicht getroffen werden kann. Warum?Die Abschöpfungsvorschläge für Getreide und Schweine liegen seit dem 31. Mai vor, die Abschöpfungsvorschläge für Zucker, Geflügel und Eier kommen zum 31. Juli, also drei Wochen nach dem Zeitpunkt, zu dem der Ministerrat in Brüssel tagen wird, nämlich am 3. und 4. Juli. Wie aber soll der Ministerrat am 3. und 4. Juli eine Entscheidung treffen, wenn er die Sachdiskussion und die Sachentscheidung, die ja der politischen Entscheidung vorausgehen muß, bis zu diesem Zeitpunkt zeitlich überhaupt nicht treffen kann! Der Ministerrat kann sie auch wegen der Regeln des Vertrags gar nicht treffen; Sie wissen genauso gut wie ich, daß das Europäische Parlament erst in seiner Sitzung vom 16. bis 21. Oktober dieses Jahres, also auf seiner nächsten Sitzung, zu diesen Vorschlägen Stellung beziehen kann. Solange das Europäische Parlament nicht Stellung bezogen hat, kann der Ministerrat gar nicht entscheiden; er würde sich sonst einer Vertragsverletzung schuldig machen.Das heißt also, ich kann die Frage der zweiten Beschleunigung, die Frage des Übergangs von der ersten zur zweiten Stufe, nur in einem Verhandlungspaket lösen, dessen Kern von der agrarpolitischen Seite die Frage ist, ob wir das Abschöpfungssystem einführen können oder nicht. Die Sachdebatte darüber hat im Comité spécial ja erst mit einer ersten klärenden Generalaussprache begonnen; es ist also gar nicht möglich, in diesem Zeitraum eine definitive Entscheidung zu treffen.Ich glaube, es wird unsere Aufgabe sein, auch nach dem 17. September — sie stellt sich ganz so, wie sie sich auch heute stellt — diese Abschöpfungsvorschläge zu prüfen und darüber eine Entscheidung zu treffen. Davon hängen dann auch die anderen Entscheidungen ab. Ich glaube, das ist ein guter Fahrplan für den Terminkalender und ist auch eine gute Marschrichtung für die Tagesordnungen, die bei den verschiedenen Konferenzen der nächsten Zeit gegeben sein werden.Damit möchte ich am Schluß noch einmal meiner hoffnungsvollen Überzeugung Ausdruck geben, daß die Wandlung vom Saulus zum Paulus eine bleibende sein wird und daß wir in diesen entscheidenden Beratungen der nächsten sechs Monate für die deutsche und für die europäische Agrarpolitik und Landwirtschaft an einem gemeinsamen Strang, auch in Brüssel und Straßburg, ziehen können.
Das Wort hat der Abgeordnete Margulies.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. Juni 1961 9755
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stimme Herrn Lücker in vollem Umfang zu, daß in nächster Zeit in der Frage der europäischen gemeinsamen Agrarpolitik nichts passieren wird. Aber das ist ja gerade das — was ich versucht habe, Ihnen darzulegen —, was langsam unerträglich wird, weil wir doch vor unseren Vertragspartnern unglaubwürdig werden, auch wenn Sie formal im Recht sind.
— Aber natürlich, Herr Lücker, obwohl Sie doch
gerade ausreichend Gelegenheit hatten, zu sprechen.
Herr Kollege Margulies, glauben Sie nicht auch, wenn Sie sagen, daß die Lage in bezug auf die europäische Agrarpolitik unerträglich sei, daß diese Frage doch nur berechtigt ist, wenn Sie damit unterstellen wollen, daß die deutsche Landwirtschaft bis zur Stunde einen Grund hätte, anzunehmen, sie würde von der Regierung oder der Mehrheit dieses Hauses in Europa „verkauft"? Wenn Sie diese Frage in meinem Sinne beantworten, können Sie, glaube ich, diese Frage gar nicht stellen.
Ich weiß nicht, Herr Lücker. So weit wollte ich mit meinen Gedanken gar nicht gehen.
Aber wenn Sie das schon sagen, Herr Lücker, warum sollte ich Ihnen da widersprechen?
Natürlich hat die deutsche Landwirtschaft große Sorgen darüber, was in der EWG passiert. Da nützen auch die Formalitäten nichts, daß jetzt mit Hilfe des Abschöpfungssystems, das für uns ja nichts Neues ist, auch diese Sache noch einmal über die Wahlen hinweg vertagt wird. Herr Lücker, das sehen die Leute auch. Vergessen Sie auch nicht, daß darin steht, diese Abschöpfungen innerhalb der Gemeinschaft müßten innerhalb von sechs Jahren abgebaut werden.
Sie haben mir soeben vorgeworfen, ich wolle die Regierung heute, drei Tage vor der Ministerratssitzung, zu einer Erklärung zwingen. Bedenken Sie, daß wir den Vertrag jetzt schon vier Jahre haben, daß aber in den vier Jahren überhaupt noch nichts geschehen ist, daß wir die Beantwortung der Fragen von. Ministeratssitzung zu Ministerratssitzung vertagen, die auf der einen Seite die deutsche Landwirtschaft, wie Sie soeben festgestellt haben, beunruhigen und die uns auf der anderen Seite in den Augen 'unserer Vertragspartner unglaubwürdig machen. Wir unterhalten uns ja hier, in den europäischen Versammlungen und im Ausschuß häufiger. Ich bewundere sehr Ihr gutes Gedächtnis, daß Sie noch zu wissen glauben, was ich dann und dann einmal gesagt habe, Herr Lücker.
Darf ich auf das Protokoll verweisen? Da steht nämlich drin, warum ich Ihren Bericht, dem Lücker-Bericht, widersprochen habe, nämlich deswegen, weil Sie versucht haben, das System der deutschen Marktordnung auf Europa zu übertragen, und da paßt es nun einmal nicht hin.
Da versagt es eben, da kommen Sie nicht drum herum, damit erreichen Sie eben nichts!
In einem Punkt darf ich und muß ich Sie berichtigen, Herr Lücker. Ich habe, auch wenn Sie mir das unterstellen, nirgends und niemals behauptet, daß die Freien Demokraten den EWG-Vertrag aus Sorge für 'die Landwirtschaft abgelehnt haben.
Denn die wenigen Klauseln über die Landwirtschaft im Vertrag ließen damals noch nicht ahnen, was später 'daraus werden würde. Erst als ich gesehen habe, Herr Lücker, wie Sie mit fliegenden Fahnen in die gemeinsame Agrarpolitik hineingingen, bin ich allerdings mißtrauisch geworden, und noch etwas mißtrauischer bin ich geworden, als ich sah, wie begeistert Ihnen meine französischen Freunde zugestimmt haben. Vielleicht überlegen Sie sich einmal, ob Sie da den französischen Interessen nicht etwas mehr entgegengekommen sind als denen der deutschen Landwirtschaft.
Sonst hätte das ja wohl nicht sein können.
— Natürlich.
Herr Kollege Margulies, Sie haben in Ihren ersten Ausführungen zum Ausdruck gebracht, wenn ich mich recht entsinne, daß Ihr Herr Kollege Pleven und Ihr Herr Kollege Brio t in ihren eigenen Wahlbezirken Sorge davor gehabt haben, daß ihnen die europäische Agrarpolitik zum Nachteil gereichen könnte. Jetzt sagen Sie genau das Gegenteil. Wie wollen Sie das rechtfertigen?
Herr Illerhaus, entweder haben Sie vorhin nicht zugehört oder Sie haben es nicht verstanden. Ich habe darzulegen versucht, daß die Franzosen endlich einmal handfeste Schritte auf dem Wege zur europäischen Agrarpolitik sehen wollen, damit sie mit ihren eigenen Schwierigkeiten fertig werden können. Das hat mit dem, was Sie da eben gefragt haben, gar nichts zu tun.Die andere Bemerkung, zu der Sie mir soeben Zwischenrufe gemacht haben, haben Sie auch nicht verstanden. Sicher haben wir den EWG-Vertrag abgelehnt, und die Gründe dafür bestehen heute noch viel mehr als damals. Aber die Sorge um die deutsche Landwirtschaft gehörte, jedenfalls für mich, nicht zu diesen Gründen, und das hatte Herr Lücker geglaubt andeuten zu sollen. Diese Sorge war für mich damals nicht maßgebend, denn wir konnten seinerzeit aus den paar 'spärlichen Klauseln nicht entnehmen, welche Entwicklung sich anbahnte.
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9756 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. Juni 1961
MarguliesDie Gründe, die Sie uns für die Vertragsablehnung unterstellen, Herr Lücker, stimmen natürlich auch nicht. Wir haben hier vielmehr klipp und klar gesagt, daß wir die beiden Verträge gleichzeitig haben wollen, damit es in Europa nicht zu der Spaltung komme, die jetzt eingetreten ist. Wenn Sie da nun mit „Freihandelszone" und „liberal" operieren, Herr Lücker: von „liberal" wissen wir etwas mehr!
Sie haben dann versucht, Herr Lücker, sich mit dem englischen System 'auseinanderzusetzen. Ich muß offen sagen, es tut mir immer leid, wenn sich die Diskussion auf diesem Problem festkrallt. Es mag durchaus andere Möglichkeiten geben. Sie lehnen das englische System ab. Sie sagen, es gebe dem Handel große Vorteile. Ich weiß auch, warum Sie das sagen. Aber ich sehe darin in erster Linie die Möglichkeit, den EWG-Vertrag zu erfüllen. Wie Sie, Herr Lücker, den EWG-Vertrag erfüllen wollen, ohne der Landwirtschaft zu schaden, das haben Sie bisher auch nicht gesagt. Auf diese Frage haben Sie ebensowenig wie die Bundesregierung eine Antwort gegeben.
Sie können nicht sagen: Das können wir jetzt noch nicht, das werden wir im Herbst tun! Denn mittlerweile sind vier Jahre vergangen, und die Leute warten nicht endlos.
Dann haben Sie die Frage der Kostendeckung angeschnitten. Natürlich, hier werden die Kosten nicht mehr über den Preis gedeckt — insofern haben Sie recht —, sondern sie werden gedeckt aus dem Preis und dem Zuschuß, den der Staat gibt. Was soll darin Gefährliches liegen? Im Gegenteil! Ich bin Ihnen dankbar für Ihre Bestätigung, daß sich in praxi für das Nettoeinkommen der Landwirtschaft durch das andere System nichts ändert. Das hatte ich vermutet. Aber Sie sind ,da ja fachlich besser gebildet, und wenn Sie mir das bestätigen, nehme ich Ihnen das gern ab.
In der Summe haben Sie sich geirrt. Oder vielleicht haben Sie andere Zahlen? Ich habe als den Betrag, den die Engländer zahlen, die Summe von 250 Millionen Pfund, also 3 Milliarden DM, genannt bekommen.
— Nein, das ist außerhalb der Struktur. So hat mir jedenfalls die britische Botschaft die Zahlen genannt. Ich kann nicht hinfahren und nachgucken. Aber es würde noch mehr für Ihre These sprechen, wenn der Betrag höher ist. Das schreckt jedoch deshalb nicht, weil nach deutschen Berechnungen bei uns zur Zeit über den Preis 5,5 Milliarden DM gezahlt werden. Diesen Betrag wird man der Landwirtschaft dann eben in einer anderen Form geben.Ich darf Sie auf eins aufmerksam machen. Ob das englische System für uns geeignet ist oder nicht, mag das Ministerium untersuchen. Einen sehr wesentlichen Vorteil scheint es mir aber zu haben. Es gibt in England niemals Auseinandersetzungen über die Agrarpreise. Davon hören Sie überhaupt nichts. Das wird in aller Friedlichkeit in irgendeinem stillen Kämmerlein festgesetzt. Alle Welt ist zufrieden, und die Leistung der britischen Landwirtschaft ist von Jahr zu Jahr gewachsen. Das sind immerhin sichtbare Zeichen, die die Sache attraktiv erscheinen lassen. Ich wollte nur auf diese wenigen Dinge eingehen.Zu den Ziffern 20 und 30, Herr Lücker, muß ich noch sagen: was Sie hier bekanntgeben, ist Ihre Auslegung. Ich glaube Ihnen, daß Sie das glauben, was sie gesagt haben. Aber ,die Menschen aus den anderen fünf Staaten legen das eben anders aus.
— Das weiß ich z. B. von Herrn Vredeling, Herr Illerhaus, der das ganz anders auslegt.
— Entschuldigen Sie, wenn Sie in Satz 1 das Gegenteil von dem sagen, 'was in Satz 2 steht, ist die Sache doch auf alle Fälle auslegungsfähig. Die anderen, Herr Lücker — das kann ich Ihnen mitteilen —, legen diese Sache anders aus. Das ist ein Streit um Bagatellen, den ich nicht fortsetzen will, den Sie vermutlich auch nicht fortsetzen wollen.Die eigentliche Frage ist bis jetzt unbeantwortet, nämlich: Wie wollen Sie den berechtigten Erwartungen unserer Vertragspartner entsprechen? Wie wollen Sie den 'EWG-Vertrag erfüllen, ohne die deutsche Landwirtschaft in ihrer Substanz zu schädigen?
Das Wort hat Frau Abgeordnete Strobel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe soeben Herrn Margulies den Vorrang gelassen, weil ich der Meinung war, es sei für uns alle recht interessant, die Auseinandersetzung zwischen den beiden Herren und den beiden Fraktionen unmittelbar zu hören. Ich glaube auch nicht, daß es sehr sinnvoll ist, daß wir uns heute darüber unterhalten, ob das englische System für die gemeinsame europäische Agrarpolitik möglich ist oder nicht. Ich bin nämlich der Auffassung, die Weichen für die gemeinsame europäische Agrarpolitik sind gestellt, und ich will mich dazu auch gar nicht mehr äußern, Herr Margulies, halben Sie keine Sorge.Wenn Sie sich aber — ich wende mich da gerade an die beiden Herren Kollegen — mit der letzten Entschließung befassen, die zur gemeinsamen Agrarpolitik in Straßburg gefaßt worden ist, dann halte ich es nicht für sinnvoll, daraus einzelne Punkte zu zitieren. Keine Sorge, ich will nicht die ganze Entschließung zitieren, aber ich möchte Herrn Lücker doch darauf aufmerksam machen, daß in dieser Entschließung nicht nur die hier aufgezeigten
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. Juni 1961 9757
Frau StrobelWidersprüche sind, sondern noch ganz andere. Denn es steht in dieser Entschließung ja auch in etwa, daß die Preispolitik zu einem Ausgleich von Angebot und Nachfrage führen soll. Das ist gerade der Punkt, weswegen Herr Mansholt der Meinung war, daß sich das Parlament selber in Widerspruch zu seinen Thesen zur Preispolitik verwickelt habe. Also von einer absoluten Klarheit dieser Entschließung kann man wirklich nicht sprechen.Nun aber zurück zur Großen Anfrage der FDP und dem, was heute zur Debatte steht. Ich war immer der Meinung, daß sich die Große Anfrage der FDP eigentlich in eine Frage zusammenfassen ließe: Hat die Bundesregierung eine klare und realisierbare Gesamtkonzeption für die gemeinsame europäische Agrarpolitik und in diesem Rahmen für die deutsche Landwirtschaft? Ich muß Ihnen ehrlich sagen, auch nach .der heutigen Antwort der Bundesregierung bin ich der Meinung, sie hat sie nicht; sie versucht nur, möglichst ungeschoren über die Wahlrunden zu kommen,
und das leider zum Schaden der deutschen Landwirtschaft. Es ist auch ohne Zweifel richtig, daß die Bundesregierung und die verantwortliche Regierungspartei die deutsche Landwirtschaft völlig unvorbereitet dem größeren Wettbewerb in der EWG ausgesetzt haben.So richtig es ist, daß wir heute nach vorn schauen, so wenig können wir am letzten Tag dieser Legislaturperiode bei dieser Aussprache darauf verzichten, festzustellen: Man kann nicht einfach die Tore für einen größeren Markt öffnen, ohne gleichzeitig dafür zu sorgen, daß unsere Landwirtschaft auf diesem größeren Markt auch die gleichen Wettbewerbschancen wie die anderen Landwirtschaften hat. Und in dieser Beziehung ist bisher sehr viel versäumt worden.Wir Sozialdemokraten haben uns, insbesondere bei der Vorlage der Grünen Pläne und den Maßnahmen dazu, immer wieder darum bemüht, echte Maßnahmen zu erreichen, die die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft steigern. Daß man unseren Vorschlägen nur zögernd, nur sehr spät und nur sehr unvollkommen gefolgt ist, das muß heute die deutsche Landwirtschaft büßen. Aus dieser Verantwortung kann man die Mehrheitspartei dieses Hauses nicht entlassen.
Heute ist hier verschiedentlich davon gesprochen worden, unter welchen Voraussetzungen die französische Landwirtschaft in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gegangen ist. Ich möchte meine Kollegen aus dem Landwirtschaftsausschuß bitten, noch einmal ganz kurz an unsere Frankreichreise vor einigen Jahren zu denken und sich daran zu erinnern, wie eindrucksvoll es auch für sie war, feststellen zu müssen — das haben wir damals in Gesprächen geklärt —, daß die franzöische Regierung Maßnahmen für die französische Landwirtschaft ergriffen hatte, die eine eindeutige Vorbereitung auf die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und auf die Eroberung des Marktes in derEuropäischen Wirtschaftsgemeinschaft waren. Ich hatte nicht den Eindruck, daß unsere Kollegen aus der CDU/CSU sehr befriedigt darüber waren, daß sie nicht sagen konnten: Unsere Regierung und wir haben das zu Hause auch getan. Sie mußten ja wohl selber feststellen, daß da bei uns einiges unterblieben ist.Ich meine, man mußte von vornherin wissen, daß die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, daß der größere Markt bedeuten würde, daß sich der Wettbewerb für die Landwirtschaft verschärfen, daß die Agrarerzeugnisse aus ,den Überschußländern der EWG auf den deutschen Markt drängen würden und daß sie dort unmittelbar mit den deutschen Erzeugnissen würden konkurrieren müssen. Daraus ergibt sich doch ganz klar und deutlich: Man muß eben heute Agrarpolitik vorausschauend machen. Und das ist in der Bundesrepublik versäumt worden.Das zeigt sich, glaube ich, ganz besonders deutlich an der Produktionsorientierung und beim Wettbewerb um den Marktanteil. Wir haben heute früh einen kleinen Ausschnitt daraus erlebt. In der EWG wird immer wieder gesagt: Die Landwirtschaft muß für ,den Markt und darf nicht am Markt vorbei produzieren. Nun, es war immer bekannt — auch in der Bundesrepublik —, daß es in der Ernährung Gruppen gibt, bei denen eine Ausweitung des Konsums möglich ist, und Gruppen, bei denen der Konsum mit steigendem Lebensstandard nicht in dem gleichen Maße auszuweiten ist. Eine Ausweitung des Konsums ist immer möglich, und der ganze Trend geht dahin, insbesondere bei den Veredelungsprodukten.Wir wußten auch immer, daß das ganz besonders beim Schlachtgeflügel der Fall ist. Ich will dieses Beispiel, um nur ganz kurz aufzuzeigen, daß es der Regierungspolitik auf diesem Gebiet an den Konsequenzen gefehlt hat, noch ein bißchen deutlicher machen. Die Einfuhr von Schlachtgeflügel ist liberalisiert worden. Herr Bundesminister Schwarz hat dargelegt, warum das notwendig war. Die deutschen Bauern waren — nicht durch ihre Schuld — mit den Einfuhrländern nicht konkurrenzfähig. Sie sind sicherlich nicht weniger tüchtig. Das haben wir oft betont. Vielmehr sind sie deswegen nicht konkurrenzfähig, weil die Einfuhrländer wesentlich niedrigere Futtermittelpreise und damit wesentlich bessere Wettbewerbschancen haben.Wir haben heute früh ein Gesetz verabschiedet, das diesen Unterschied in den Futtermittelpreisen zugunsten der deutschen Schlachtgeflügelproduktion beseitigen bzw. vermindern soll. Aber, verehrte Damen und Herren, ich glaube, wir sollten uns doch noch einmal ins Gedächtnis rufen — nur daran sieht man nämlich, wie ungeheuer groß ,die Wettbewerbsverzerrung bei uns zu Hause und nicht nur in anderen Ländern ist —, daß z. B. in Holland heute noch der Maximumpreis für ein ,so wichtiges Futtermittel wie Mais bei 260 Gulden oder 286 DM liegt. In der Bundesrepublik lag der Marktpreis für Mais am gleichen Tag bei 430 bis 460 DM. Das ist beinahe zweimal so viel. Das kann man auch nicht durch die Rückvergütung, die heute beschlossen ist, vollkommen ausgleichen.
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9758 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. Juni 1961
Frau StrobelAber mir kommt es vor allen Dingen darauf an, an diesem Beispiel zu zeigen, daß die Agrarpolitik in der Bundesrepublik immer viel zu spät reagiert. Heute haben die Einfuhrländer schon einen großen Teil des Marktes für Schlachtgeflügel erobert, und es ist sehr viel schwieriger, sie von diesem Markt wieder zu verdrängen, als wenn wir von vornherein den deutschen Bauern die Chance gegeben hätten, diesen ständigen Konsumzuwachs sozusagen zu ihrer Einkommensverbesserung zu benützen.Ich meine, es ist auch durch die Antwort, die Herr Pflaumbaum heute früh auf die Frage von Herrn Müller gegeben hat, sehr deutlich geworden, daß eine solche Politik in ,die Sackgasse führen muß. Das wollte ich nur noch unterstreichen.Ich wollte auch noch einmal unterstreichen, daß wir alle wissen, daß die deutsche Agrarpolitik nicht mehr isoliert betrieben werden kann. Wir haben immer gewußt, daß es spätestens mit dem Abschluß der Römischen Verträge damit zu Ende ist. Jede Verzögerung in der Einstellung darauf bedeutet für die deutsche Landwirtschaft auch ein Stück Marktanteilverzicht.Wenn man aber nun die Frage stellt, wer denn verzögert hat, dann muß man leider darauf antworten: bis jetzt ,die deutsche Bundesregierung; denn so, wie die Regierung zunächst den Bauern gegenüber getan hat, als könnte man sich um die Konsequenzen des Gemeinsamen Marktes drücken, ihnen ausweichen, so ist es eben nicht. Sie hat auch immer wieder den Eindruck erweckt, als könne man von den deutschen Bauern die Konsequenzen der Beschleunigung fernhalten. Mir kommt es sehr darauf an, daß wir heute alle deutlich sehen und das auch ehrlich sagen: Es gibt keine gespaltene Beschleunigung, es gibt nur eine Beschleunigung für alle Produkte — Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft —, oder es gibt keine Beschleunigung. So zu tun, als ob es eine gespaltene gäbe, ist nicht ehrlich und auch gefährlich.Herr Lücker hat darauf aufmerksam gemacht — und das scheint mir richtig zu sein —, daß einer der Angelpunkte für die Ingangbringung der gemeinsamen Agrarpolitik ,die Abschöpfung ist. Aber, Herr Lücker, ist nicht gerade das Mißtrauen der französischen Landwirtschaft und auch das Mißtrauen unserer Kollegen im Europäischen Parlament, das damals sehr stark zum Ausdruck kam, durch den Nachsatz, den sie bei dem Bericht des Kollegen Schmidt über die Wettbewerbsverzerrungen angebracht haben, in erster Linie darauf zurückgegangen, daß der Vorschlag der Kommission über die Ingangsetzung der Abschöpfung von der Bundesregierung sehr, sehr zögernd, zunächst sogar ein bißchen ablehnend behandelt worden ist? Mindestens sind in dieser Frage durch die Haltung der Bundesregierung und durch die Äußerungen verschiedener Minister Zweifel entstanden. Ich bin gar nicht erstaunt darüber, daß bei den französischen Kollegen Zweifel entstanden sind; denn ich muß sagen, heute war in der Äußerung des Herrn Landwirtschaftsministers Schwarz auch wieder ein Passus, der Zweifel aufkommen lassen muß. Herr Minister Schwarz hat nämlich davon gesprochen, daß die Bundesregierung der Koordinierung der Marktordnung zustimmen würde. Jeder Eingeweihte weiß, daß der Voschlag der Kommission und auch der Vorschlag des Parlaments lautet: eine gemeinsame Marktordnung und nicht eine Koordinierung der einzelstaatlichen Marktordnungen.Herr Minister Schwarz hat heute darauf doch eine Antwort gegeben, die Zweifel aufkommen lassen muß, ob die Bundesregierung nicht nur im Comité special, sondern vor allen Dingen im Ministerrat der gemeinsamen Marktordnung zustimmen wird. Wenn sie das nicht tun würde — und es gibt ja solche Äußerungen von Herrn Sonnemann —, dann würde das ja wieder einen neuen Riegel bedeuten. Wir Sozialdemokraten . waren immer der Meinung —wir betonten, daß wir das Ziel der EWG-Agrarpolitik, wie isie in den Verträgen niedergelegt ist, hundertprozentig bejahen—, daß die landwirtschaftliche Bevölkerung durch Steigerung des Pro-Kopf-Einkommens eine angemessene Lebenshaltung bekommen soll.Erstaunt war ich heute, als Herr Minister Erhard auf die Frage 6 — politisch ohne Zweifel sehr klug und sehr vorsichtig — geantwortet hat, die Bundesregierung werde keine Einkommensminderung der deutschen Landwirtschaft hinnehmen. Ich war noch erstaunter, daß Sie alle dazu geklatscht haben; denn bisher ging es ja immer um eine Erhöhung des Einkommens der deutschen Landwirtschaft,
und die Einkommensminderung stand überhaupt nicht zur Debatte. Wir wissen doch schließlich alle, daß in der Bundesrepublik das Einkommen vieler Bauernfamilien und das Einkommen der Landarbeiter hinter dem anderer vergleichbarer Berufsgruppen zurückgeblieben ist. Ich muß auch hier wieder sagen: nicht zuletzt ist daran die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung schuld;
denn die ständige Steigerung der Produktionsmittelkosten ist auch offensichtlich.Es sind heute schon statistische Zahlen genannt worden. Ich darf hier einige der neuesten Zahlen nennen. Der Index der landwirtschaftlichen Betriebsmittel war im Oktober 1959 130 und im März 1961 135. Der Index der Betriebsmittel ist also von 1959 bis 1961 um 5 Punkte gestiegen. Der Index der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise war im Oktober 1959 138 und im März 1961 123;
er ist also in derselben Zeit, in der der Index für Betriebsmittel um 5 Punkte gestiegen ist, um 15 Punkte gefallen.
Meine Damen und Herren von der CDU, das ist das Ergebnis Ihrer Agrarpolitik und Ihrer Wirtschaftspolitik.
Dazu kommt, daß die Verbraucher von diesem Fallen des Erzeugerpreisindexes gar nichts profi-Frau Strobeltiert haben; sie müssen mindestens die gleichen Preise wie vorher zahlen.
Wir haben darauf wiederholt hingewiesen; aber Sie haben es anscheinend immer nicht so wichtig genommen, daß die Kostensenkung in der Landwirtschaft unbedingt notwendig ist und daß die Wirtschaftspolitik dafür sorgen muß, daß die Rationalisierungsgewinne in Gestalt niedrigerer Preise auch an die Landwirtschaft weitergegeben werden.
Nehmen wir ein anderes Beispiel! Ich meine die Spannen. Ich nehme an, daß Sie als Abgeordete alle eifrige Zeitungsleser sind. Einem eifrigen Zeitungsleser konnte gestern nicht entgehen, daß auf der ersten Seite der „Welt" ein Beispiel für eine unmögliche Situation in der Bundesrepublik angeführt war. Da stand, daß ein Bauer aus Hochheim Erdbeeren in den Rhein geschüttet hat, weil er verbittert darüber war, daß er am Großmarkt für 1 Pfund Erdbeeren 19 Pf bekommen hat, während am selben. Tage wenige Stunden nachher die gleichen Erdbeeren dem Verbraucher für 1 DM verkauft worden sind.
Wenn ich so etwas lese, dann frage ich mich, warum eigentlich die CDU-Fraktion mit ihrer absoluten Mehrheit in diesem Hause noch nicht an das Problem der Vermarktung, der Verteilung, der Spannen und all diese Dinge herangegangen ist, die diesen unerfreulichen Zustand sowohl zugunsten der Verbraucher als auch zugunsten der Landwirte ändern könnten.
— Entschuldigen Sie, in der „Welt" stand weder, wer diese Erdbeeren für eine Mark gekauft hat, noch wer sie für 19 Pfennig abgekauft hat usw. Ich weiß auch nicht, ob es in Hochheim überhaupt einen Konsumladen gibt. Ich kann Ihnen diese Frage also nicht beantworten.
— Ich glaube, es hat keinen Sinn, sich auf diese Weise mit dieser Frage auseinanderzusetzen.Mir kommt es darauf an, Sie darauf aufmerksam zu machen, wie wichtig es wäre, durch eine entsprechende Förderung des Genossenschaftswesens und der Initiative auf diesem Gebiet die Landwirtschaft in die Lage zu versetzen, einen größeren Anteil am Endverbraucherpreis zu bekommen.
Sie wissen auch, daß es darauf ankommt.Darf ich ein drittes Beispiel nennen: Wo bleibt eigentlich das Investitionshilfegesetz für die Landwirtschaft? Das hätten Sie doch ebenfalls längst beschließen können, ein Investitionshilfegesetz, das mit individueller betriebswirtschaftlicher Beratung verbunden sein muß und das dazu hätte führen können, alle Voraussetzungen betriebswirtschaftlicher Natur zu schaffen, um die Landwirtschaft wettbewerbsfähig zu machen.Die deutsche Landwirtschaft hat in einer ungeheuren Anstrengung ihre Betriebe technisiert — auch Herr Minister Schwarz hat das angesprochen —, oft in einem Mißverhältnis zur Betriebsgröße und zur Betriebsstruktur. Sie ist durch die Abwanderung dazu gezwungen worden. Das hätte doch alles vermieden werden können, wäre man unseren Anträgen rechtzeitig gefolgt, z. B. denen, die überbetriebliche Maschinennutzung besser zu fördern und besser auszustatten.
— Es gibt viele Zusammenhänge. Einer davon ist dieser: wenn man rechtzeitig die überbetriebliche Maschinennutzung mit den Mitteln des Grünen Plans gefördert hätte, so wie es Herr Kollege Bading immer vorgeschlagen hat, hätte man viele Fehlinvestitionen in kleineren Betrieben vermeiden können.
— Das geschieht jetzt, Herr Pflaumbaum, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist.
In der deutschen Landwirtschaft wie in der Landwirtschaft auf der ganzen Welt vollzieht sich ein ungeheurer Wandlungsprozeß. Wir sind uns immer einig gewesen, daß er sehr behutsam gesteuert werden muß, daß man soziale Hilfen geben muß usw. Aber man kann nicht die Augen davor verschließen und den Bauern weismachen: Es bleibt alles beim alten; denn das geht zum Schluß in ihr Auge.Wir haben uns bemüht, durch einen Antrag, den der Kollege Junghans gestellt hat, rechtzeitig darauf aufmerksam zu machen, welch große Bedeutung in diesem Rahmen der regionalen Wirtschaftsförderung zukommt. Wir haben erreicht, daß für die regionale Wirtschaftsförderung ganze 10 Millionen bereitgestellt worden sind. Heute zeigt sich noch viel deutlicher als damals schon, daß die wirtschaftlichen Ballungsräume die Menschen anziehen und sie aus den landwirtschaftlich strukturierten Gebieten abziehen. Von diesen Ballungsräumen geht ein ungeheurer Sog aus, der zu einer Entvölkerung des Landes führt. Es besteht die Gefahr, daß von dort mehr Menschen abgezogen werden, als die Landwirtschaft tatsächlich freisetzen kann. Es ist ohne Zweifel richtig, daß es die jüngsten und die beweglichsten Arbeitskräfte sind, die auf diese Weise vom Land weggenommen werden.Weil es unbedingt dazugehört, möchte ich noch einmal sehr deutlich machen, daß in diesem Rahmen eine vernünftige, weitschauende Raumordnung als Gesamtkonzeption und eine echte Strukturanalyse unbedingt notwendig ist. Man kann den Problemen nicht gerecht werden, wenn man sich nicht
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9760 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. Juni 1961
Frau Strobelernsthafter, als es bisher geschehen ist, mit ihnen befaßt.Es ist mir heute aufgefallen, daß einige Gedanken in die Debatte getragen worden sind, die recht erstaunlich waren. So hat z. B. Herr Kollege Lücker etwa gesagt: Wir wollen mit Rücksicht darauf, daß es den Menschen in der sowjetisch besetzten Zone noch schlechter geht als den deutschen Bauern — wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Lücker — —
— Ich habe Sie so verstanden, daß man mit Rücksicht darauf, daß es den Bauern in der Zone so viel schlechter geht als den Bauern in der Bundesrepublik, zufrieden sein solle,
und daß Sie an uns alle appellieren, sich zu bescheiden. Ich meine — —
— Entschuldigung; das war also mindestens sehr mißverständlich von Herrn Lücker ausgedrückt.
Wenn er es nicht auf die deutschen Bauern bezogen hat, dann will ich mich auch nicht dazu äußern.Ich meine allerdings, es ist unbedingt notwendig, zu sagen, daß die Demokratie in der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus sich ständig als bessere Heimstätte für den Menschen, auch als bessere Heimstätte für den Bauern, bewähren muß und daß wir nicht darauf verzichten dürfen, um Notwendigkeiten und Möglichkeiten zu ringen, die zu dieser besseren Heimstätte führen. Aus diesem Grunde bitte ich Sie also nochmals, ernsthaft zu prüfen, ob es nicht unbedingt notwendig ist, das ganze Gebiet der Strukturpolitik — nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch in der Industrie, also das Gesamtgebiet der Raumordnung — sehr viel ernsthafter anzupacken, als das bisher geschehen ist.Ich muß aber auch sagen, daß in der Anfrage der FDP und in der Art, wie sie behandelt worden ist, doch ein bißchen zum Ausdruck kam, die ganze Misere sei nur durch die EWG entstanden und es wäre so einfach, sie durch höhere Preise zu lösen. So einfach ist es eben leider nicht. Auf die Dauer kann die Landwirtschaftspolitik nur dann erfolgreich sein, wenn sie ein harmonischer Bestandteil der gesamtwirtschaftspolitischen Konzeption ist. Ich habe manchmal den Eindruck, daß da auch in der FDP eine gewisse Lücke klafft zwischen dem, was sie bezüglich der Landwirtschaft vertritt, und dem, was sie wirtschaftspolitisch vertritt.Meine Damen und Herren, wir alle wissen, wie notwendig die Weiterentwicklung der wirtschaftspolitischen Einigung Europas ist. Wir Sozialdemokraten wollen nicht — das möchte ich zum Abschluß sehr deutlich sagen —, daß in der größeren europäischen Gemeinschaft wie in der -Bundesrepublik die Nutznießer des wirtschaftlichen Aufschwungs die industrielle und kommerzielle Großwirtschaft sind, während die Bauern und die Verbraucher von den Vorteilen des größeren Marktes ausgeschlossen werden. Deshalb ist eine Gesamtkonzeption so wichtig, in die alle Maßnahmen eingeordnet sind und bei der es insbesondere darauf ankommt, daß alle an dem steigenden Wohlstand teilnehmen können.Deshalb habe ich sehr bedauert, daß die Antwort der Bundesregierung so unbefriedigend war und eine solche Konzeption völlig vermissen ließ.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Starke.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist vielleicht gut, wenn man jetzt noch einmal herausstellt, warum wir diese Große Anfrage gestellt haben. Es ist ja von den verschiedensten Rednern heute gefragt worden, ob wir es aus diesem oder jenem Grunde getan hätten.Wir sind uns doch über eines alle gemeinsam klar: Es kam bei dieser Großen Anfrage hier und heute nicht darauf an, die gesamten agrarpolitischen Fragen zu lösen, sondern es kam bei dieser Großen Anfrage selbstverständlich — selbstverständlich! — darauf an, die Entscheidungen gegebenenfalls zu beeinflussen, die in Kürze — ob das nun in den nächsten Tagen ist oder ob es nun wieder verschoben ist — in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft anstehen und von deren Bedeutung viele in diesem Hohen Hause, nun, sagen wir einmal, nicht ganz überzeugt sind oder von denen sie nicht wissen, von welcher Bedeutung sie sind.Ich kann es eigentlich nicht ganz verstehen — und das soll der erste Punkt sein, den ich hier kritisch beleuchten möchte —, daß uns ein Vorwurf daraus gemacht wird, daß wir die Große Anfrage vor diesen Entscheidungen gestellt haben. Sollen wir denn die Entscheidungen abwarten? Um sie gegebenenfalls zu beeinflussen, haben wir doch die Große Anfrage gestellt.In den anderen Ländern der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, meine Damen und Herren, ist man keineswegs so bescheiden bei der Behandlung solcher Fragen in den nationalen Parlamenten. Dort werden vielmehr vor schwerwiegenden Entscheidungen in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft immer Debatten in den nationalen Parlamenten abgehalten. Wenn Sie einmal an das denken, was sich jetzt in Frankreich abgespielt hat — das haben Sie auch in den Zeitungen gelesen —, und an die Erklärungen, die dort nicht nur der Landwirtschaftsminister, sondern auch der Ministerpräsident Debré abgegeben hat, dann werden Sie sehen, daß es gut ist, wenn auch im deutschen Parlament eine Debatte über solche Fragen zur rechten Zeit stattfindet.Nun möchte ich auf das, was Sie, Herr Kollege Lücker, gesagt haben, ein wenig eingehen. Angriff ist die beste Verteidigung. Sie sind es doch gewesen, der im Februar plötzlich diesen Angriff gegen die Freie Demokratische Partei geführt hat! Sie hahen ihn ohne jede Provokation geführt; Sie haben ihn an eine Kritik der Sozialdemokratischen
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Dr. StarkePartei angehängt: „ ... und das gilt in demselben Maße oder sogar noch mehr für die Freie Demokratische Partei." Beschweren Sie sich doch nicht hinterher, wenn darauf eine Antwort erfolgt!
Sie haben diesen Angriff vorgetragen. Warum? Weil Sie gemerkt haben, daß Unruhe in der bäuerlichen Bevölkerung besteht.
Deshalb ist die Debatte damals in Gang gekommen. Wir haben daraus ersehen, wie notwendig es ist, eine solche Große Anfrage zu stellen.Heute haben Sie, Herr Lücker, gesagt, es sei jemand aus einem Saulus zum Paulus geworden. Ich möchte Ihnen darauf nur das eine erwidern: Im Mai 1960 haben wir auch über ,die europäischen Agrarfragen gesprochen, und im Mai 1960 haben Sie nicht zugegeben, daß es Schwierigkeiten gibt. Im Mai 1960 haben Sie mit einem ungeheueren Elan, ich möchte beinahe sagen, mit einem noch größeren Stimmaufwand als heute gesagt: Wir werden Lösungen finden. Damals ging es um die erste Beschleunigung, und heute fragen wir wegen der zweiten Beschleunigung an.Ich möchte noch auf ein zweites eingehen, nämlich die Frage, ob es denn notwendig ist, daß man bei der Erörterung einer solchen Anfrage in einem Beitrag — und das war Ihr Beitrag, Herr Lücker -die deutsch-französische Verständigung sozusagen für Teile dieses Hauses in Frage stellt. Die Notwendigkeit einer Verständigung mit Frankreich — und selbstverständlich auch auf agrarpolitischem Gebiet —wird doch von uns genauso bejaht wie von Ihnen. Die Debatte hier findet ganz jenseits dieser Frage statt.Sie haben dann zu dem Stellung genommen, was sich in diesem Hohen Hause bei der Verabschiedung des Vertrages über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft abgespielt hat. Bei dieser Verabschiedung war es so — ich glaube, daran kann kein Zweifel bestehen—, daß das ganze Haus einstimmig eine Resolution faßte, die sich darüber ausließ, daß dieses Europa der Sechs ein erster Schritt zu einer größeren europäischen Zusammenarbeit sein soll. Das wurde in der Resolution gesagt, und sie wurde einstimmig angenommen! Es kann keine Rede davon sein, daß wir — wie Sie, zu uns gewandt, gesagt haben — das gewollt hätten, sondern das war eine einstimmige Resolution.
Ich komme nun zu den einzelnen Begründungen, die Herr Lücker zu geben versucht hat; ich darf vielleicht zunächst einmal bei Ihnen bleiben, Herr Lücker. Nach allgemeinen Sätzen darüber, daß Sie wüßten, wie sich alles zum Guten entwickeln werde, sind Sie zu den Dingen übergegangen, auf die ich auch bei der Antwort der Bundesregierung noch einmal kurz eingehen werde. Sie haben dann über dieFreiheit gesprochen, als ob wir uns mit ,dieser Anfrage sozusagen außerhalb der westlichen Welt und außerhalb freiheitlicher Vorstellungen stellten.Was das englische System betrifft, auf das ich hier nicht mehr eingehen will, so möchte ich nur folgendes sagen. Herr Lücker, dieses englische System als Grundbegriff ist doch von uns heute nicht angeführt worden, weil wir damit eine endgültige Lösung geben wollten. Es kam auch gar nicht darauf an, ,daß Sie hier diese oder jene Berner-kung gegen dieses System vorbrachten. Worauf es einzig und allein ankommt, war, daß auch Sie uns keine Antwort auf unsere Große Anfrage gegeben haben. Die Ablehnung einer Anregung, die wir gaben, ist keine Antwort auf unsere Anfrage.Ich kann Ihnen in dem nicht zustimmen, was Sie zu der Frage 'der agrarischen Wettbewerbsverzerrungen und ihrer Beseitigung in Europa gesagt haben. Bisher haben wir keine Gewißheit und Gewähr dafür, daß eine solche Entwicklung auch nur parallel mit dem späteren Wegfall der Abschöpfungen verlaufen wird.Ich darf noch einmal ganz allgemein sagen, was uns veranlaßt hat, diese Große Anfrage zu stellen; das heißt, gestellt hatten wir sie schon vor längerer Zeit. Es war die Sorge, die gerade ich für meine Fraktion hier schon wiederholt zum Ausdruck gebracht habe: daß sich in den Mittelschichten unserer Bevölkerung — dazu gehören nun einmal die Bauern — nachteilige Veränderungen vollziehen, denen wir keine genügende Aufmerksamkeit zuwenden. Das war der Hauptgrund. Wir halten diese Mittelschichten für einen staatspolitisch so notwendigen und wertvollen Bestandteil unserer Bevölkerung, daß man den Gefahren rechtzeitig wehren muß.Wir sind uns alle gemeinsam darüber klar, daß die Bundesregierung in den europäischen Agrarfragen vor außerordentlich großen Schwierigkeiten steht, die sich aus der Erfüllung ,des Vertrages über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ergeben. Wir haben uns heute noch einmal ausdrücklich dazu bekannt, daß dieser Vertrag erfüllt werden muß, gleichgültig ob das ganze Haus oder nur ein Teil dieses Hauses ihm zugestimmt hat. Gerade weil wir auf ,dem Standpunkt stehen, daß dieser Vertrag geschlossen ist, daß er existiert und erfüllt werden muß, gerade ,deshalb haben wir diese Große Anfrage eingebracht.Der zweite Grund, weshalb wir es getan haben, ist der, daß wir bisher keine Antwort darauf bekommen haben, welche Konzeption die Bundesregierung hat, welche Agrarpolitik sie im Sinne und Interesse ,der ,deutschen Landwirtschaft in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft führen will.Ich möchte mich nun mit wenigen Sätzen dem zuwenden, was die Bundesregierung geantwortet hat, und zwar sowohl der Antwort ides Herrn Bundeswirtschaftsministers als auch der des Herrn Bundesernährungsministers. Ich muß betonen, meine sehr geehrten Damen und Herren: Konkretes ist nicht gesagt worden. Ich glaube, es ist nicht angängig und möglich, daß man die konkreten Einzel-
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Dr. Starkeheften, zu denen sich dann auch Herr Lücker nicht geäußert hat, einfach unter den Tisch fallen läßt, weil wir vor Entscheidungen in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft stehen.Eines dagegen — hier möchte ich mich Ihnen, Herr Bundesernährungsminister, zuwenden —haben wir als sehr bedauerlich empfunden, daß Sie nämlich diese Große Anfrage zum Anlaß genommen haben, eingangs Ihrer Ausführungen zu erklären, daß ,die Opposition leicht ohne Verantwortung handeln könne. Inwieweit eine Verantwortungslosigkeit gegeben ist, wenn man eine solche Große Anfrage stellt, auch als Opposition, ich glaube, das zu beantworten, bleibt Ihnen, Herr Bundesminister, vorbehalten.
Wir sind selbstverständlich mit der Bundesregierung und mit Ihnen, Herr Bundesminister, der Auffassung, daß dieser Vertrag im Interesse der westlichen Freiheit und im Interesse einer Freiheit, die auch wir bejahen und anerkennen, abgeschlossen worden ist. Aber das ist doch keine Antwort auf unsere Große Anfrage. Auch das, was sich in dieser freiheitlichen westlichen Welt abspielt, ist doch Gegenstand von Einzelheiten, über die man sich rechtzeitig eine Gewißheit verschaffen muß.Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte nur noch zu einem Punkt — ich bin sofort fertig — etwas sagen. Die Frage der Wettbewerbsverzerrungen, von denen wir sprachen — lassen Sie mich das hier noch einmal zum Ausdruck bringen —, können wir nicht einfach unter den Tisch fallen lassen. Wir haben Zweige in der deutschen Wirtschaft, insbesondere die Ernährungswirtschaft, die zwischen den sich senkenden Zöllen und dem vollen Wettbewerb auf der einen Seite und den hohen Preisen für die Vorerzeugnisse auf der anderen Seite stehen. Wir müssen an diese Wirtschaftszweige denken. Wir dürfen sie nicht ohne Grund schwächen, bevor es zu dem eigentlichen großen Wettbewerb in Europa kommt.Ich möchte nun zum Schluß kommen und möchte Ihnen noch einmal sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Wir wollten mit dieser Anfrage zum Ausdruck 'bringen, daß wir, nachdem die Verträge geschlossen sind, eine gesunde europäische Entwicklung wollen. Zu dieser gesunden europäischen Entwicklung gehört eine gesunde Landwirtschaft. Wenn die Landwirtschaft gesund sein soll, muß sie das nicht nur in einem Teil der Länder, sondern auch bei uns in Deutschland sein.Diese Überlegung, die sehr wohl eine europäische Überlegung ist, hat uns veranlaßt, die Große Anfrage zu stellen, und ich muß noch einmal sagen: Weder die Bundesregierung noch Sie, Herr Lücker, haben unsere Fragen beantwortet.
Meine Damen und Herren, einer interfraktionellen Vereinbarung zufolge sind die Tagesordnungspunkte 16, 73 und 74 abgesetzt.Mit der Erledigung der Tagesordnung von heute ist die Arbeit des 3. Deutschen Bundestages abgeschlossen. Es mag sein, daß der Gesetzgebungsgang, daß Entscheidungen des Bundesrats bzw. des Vermittlungsausschusses es notwendig machen, daß das Haus während der Parlamentsferien noch einmal, wenigstens kurz, zusammentritt. Es mag auch sein, daß andere Ereignisse dazu führen.Die Legislaturperiode dieses 3. Bundestages läuft am 15. Oktober 1961, 24 Uhr, ab. Nach der Verfassung ist es die Aufgabe des seitherigen Präsidenten, den neuen Bundestag einzuberufen. Ich sehe dafür vor: Dienstag, den 17. Oktober 1961, 15 Uhr.Meine Damen und Herren, es ist üblich, daß wenigstens ein kurzer Rückblick gehalten wird. Ich möchte mich hier auf das Allernötigste beschränken. Wir haben im Laufe dieser vier Jahre 166 Plenarsitzungen abgehalten. Die Organe des Bundestages, seine Ausschüsse, der Ältestenrat, Vorstand, Unterausschüsse, Sonderausschüsse usw. haben insgesamt 2588 Sitzungen abgehalten. Die Fraktionen sind in Vorstandssitzungen und Fraktionssitzungen insgesamt 661 Mal zusammengetreten. Im Laufe der vier Jahre ist also in diesem Hause 3415 Mal getagt worden.Der 3. Bundestag hat sich mit 605 Gesetzentwürfen befaßt. Davon sind 424 Gesetz geworden. Es sind 43 Zollverordnungen der Bundesregierung, 399 kleine und 49 große Anfragen sowie 466 andere Anträge und Vorlagen, insgesamt also 1562 Gesetzentwürfe, Anträge und sonstige Vorlagen, behandelt worden. Dazu kommen noch 1526 mündlich gestellte Fragen, die in 74 Fragestunden beantwortet worden sind.Ihr Mandat niedergelegt haben 20 ehemalige Mitglieder des Hauses. Ihre Fraktionszugehörigkeit haben geändert 20 Mitglieder des Hauses.Wir haben den Tod von 22 unserer Kolleginnen und Kollegen zu beklagen. Ich verlese noch einmal die Namen.
Verstorben sind in der 3. Legislaturperiode die Mitglieder des Bundestages Herr Dr. Brönner, Herr Klausner, Frau Albrecht, Herr Mellies, Herr Dr.-Ing. E. h. Arnold, Herr Dr. Wolff, Herr Gockeln, Herr Heinrich, Herr Diel, Herr Pernoll, Herr Kunze, Herr Dr. Oesterle, Herr Wehr, Herr Dr. Lindrath, Herr Dr. Leverkuehn, Herr Dr. Gülich, Herr Cillien, Herr Köhler, Herr Dr. Becker, Herr Jahn , Herr Rasch und Herr Maier (Freiburg). Ich danke Ihnen, daß Sie sich noch einmal zu Ehren unserer toten Kollegen erhoben haben.Meine Damen und Herren, ich spreche allen Mitgliedern des Hauses den Dank aus, die durch Fleiß und gewissenhafte Mitarbeit nicht nur im Plenum, sondern vor allem in den Organen des Deutschen Bundestags daran mitgewirkt haben, daß unsere Arbeit für den uns teuren freiheitlichen Rechtsstaat durchgeführt werden konnte. Ich spreche den besonderen Dank des Hauses vor allem den Kollegen aus, die nach teilweise 12jähriger Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag in der nächsten Le-
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. Juni 1961 9763
Präsident D. Dr. Gerstenmaiergislaturperiode nicht wiederkehren werden, und ich spreche meine herzlichen Wünsche allen anderen für ein gesundes und freundliches Wiedersehen aus. Ich spreche schließlich den Dank aus an die Mitarbeiter unseres Hauses, an ,die Beamten und anderen 'Mitarbeiter in den Bundesbehörden, die in diesem Hause mitgeholfen und mitgedient haben.
Meine Damen und Herren! In diesen Tagen sind es zwanzig Jahre, daß der zweite Weltkrieg mit dem 'deutschen Angriff auf Sowjetrußland in seine entscheidende Phase trat. Ich habe Verständnis dafür, daß das russische Volk mit Bitterkeit dieses Ereignisses gedenkt, das ihm schwere Opfer und Verluste aller Art abverlangt hat. In 'diesem Hause wird sich keiner finden, der rückschauend nicht mit Gram und Schmerz auf 'das Unglück sieht, das der zweite Weltkrieg, der Krieg Hitlers auch über die Völker des Ostens gebracht hat. Ich bin ganz gewiß, daß ich für alle Einsichtigen im ganzen deutschen Volke spreche, wenn ich sage, daß wir bereit sind, nach dem Maße unserer Kraft und nach dem, was die Gerechtigkeit gebietet, dafür einzustehen, daß die Folgen dieses Krieges überwunden werden und ein neues Verhältnis auch zwischen Deutschland und seinen Nachbarn im Osten zustande kommt.Wir danken Gott, daß wir nach soviel Blut und Tränen nicht nur in einem friedlichen, sondern in einem versöhnt-freundschaftlichen Verhältnis mit Frankreich und anderen Staaten der freien Welt leben. Die Aufnahme, 'die dem Herrn Bundespräsidenten soeben in Paris zuteil wurde, bestärkt und verpflichtet uns, taktvoll und entschieden auf diesem Weg weiterzugehen. Wir möchten gern ein ähnliches Verhältnis auch zu unseren Nachbarn im Osten und Südosten; denn wir glauben, daß der Friede in der Welt ein so kostbares Gut ist, daß er eben nicht nur auf Paktsysteme und die Abschrekkung der Waffen begründet sein sollte, sondern auf eine Gesinnung des Friedens und des guten Willens.
Wir Deutsche haben deshalb auch nichts gegen friedliche Koexistenz. Solange wir freilich befürchten müssen, 'daß damit nur die Tarnung weltrevolutionärer aggressiver Tendenzen gemeint ist, kann damit jedoch nichts gewonnen werden.Wir verstehen, wenn die Völker, die eine fluchwürdige deutsche Führung mit Krieg überzog, ernstlich darauf bedacht sind, daß sie für immer vor Ähnlichem sicher sind. Wir halten das ohne Umschweife für ein berechtigtes Verlangen, auch für ein berechtigtes Verlangen 'der waffenstarrenden Sowjetunion, wie Polens und der Tschechoslowakei. Wir sind willens, 'dafür zu tun, was immer gerechterweise dafür von unserer Seite geschehen kann. Aber wir halten es nach allem, was seit der Kapitulation des Deutschen Reiches im Mai 1945 geschehen ist, nicht nur für gerechtfertigt, sondern für unerläßlich notwendig, daß auch 'dem deutschen Volk, und zwar dem ganzen 'deutschen Volk, die Sicherheit seiner Existenz und Freiheit verbürgt wird.
Ein schlechthin katastrophaler Irrtum ist die Annahme, daß die Sicherheit Europas, mindestens aber die Sicherheit unserer Nachbarn im Osten, am besten auf die Teilung Deutschlands gegründet werde. Ich weiß, daß dieser Irrtum nicht nur in Moskau, in Warschau und Prag verhängnisvolle Früchte zeitigt, sondern daß er, wenn auch verstohlen, gelegentlich diesseits des Eisernen Vorhangs herumgeistert. Die Geschichte der letzten fünfzehn Jahre hat völlig eindeutig gezeigt, daß die Teilung Deutschlands eben nicht nur ein Unglück, ein großes Unglück für 'das deutsche Volk ist, sondern daß sie zu einer fortgesetzten Beunruhigung der Weltpolitik geworden ist. Inzwischen hat sie sich zu einer unerhörten Gefahr für den Frieden der Welt ausgewachsen.Gewiß: die Teilung Deutschlands ist letztlich eine Folge von Hitlers Angriff auf Rußland. Aber ebenso gewiß ist, daß das deutsche Volk keine Schuld daran hat, daß diese Folge nicht inzwischen überwunden wurde. Wir waren und wir sind bereit, jede vertretbare Garantie dafür zu geben, daß das vereinte und durch eine gerechte Regelung seiner Lebensbedürfnisse befriedete deutsche Volk ein verläßlicher Partner aller seiner Nachbarn in West und Ost, in Nord und Süd sein wird. Wir waren und wir sind bereit, mit allem, was wir sind und haben, in einer Friedensgemeinschaft der europäischen Völker dem Frieden der Welt und der Zukunft unserer Kinder zu dienen. Ich gründe die Gewißheit einer solchen Bereitschaft nicht nur auf immer wieder ergangene einmütige Erklärungen dieses Hauses, sondern auf die von keinem objektiven Beobachter in Abrede zu stellende Gesinnung des deutschen Volkes in seiner überwältigenden Mehrheit.Wenn uns Männer wie der sowjetrussische Ministerpräsident des Revanchismus und Hitlerismus verdächtigen, so ist es erlaubt, einmal darauf hinzuweisen, daß die Träger hoher und höchster Ämter in der Bundesrepublik Deutschland und in Westberlin, zusammen mit vielen anderen Deutschen, die Verfolgten und Gefangenen Hitlers waren, noch ehe dieser einen einzigen russischen Kriegsgefangenen gemacht hatte.
Der gegenwärtige Bundespräsident, der Bundeskanzler und der Bundestagspräsident bringen zum Beispiel in ihrer eigenen Person und an ihrem eigenen Schicksal nachdrücklich und unübersehbar die grundlegende Wandlung zum Ausdruck, die sich im deutschen Volk in den vergangenen zwei Jahrzehnten vollzogen hat. Dieses Volk will den Frieden. Es will ihn von ganzem Herzen für Deutschland und 'für 'die Welt. Aber es wird des Friedens nie ganz teilhaftig, solange ihm seine Einheit verweigert wird.
Und 'davon hat auch die Welt nichts.Zögernd nur und gegen ernste Bedenken hat sich dieses Haus im Laufe ,der letzten Jahre zu der Übereinstimmung durchgerungen, daß ein deutscher Verteidigungsbeitrag sein müsse, weil es die Sache der Freiheit in der Welt erfordert und weil wir auf
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9764 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. Juni 1961
Präsident D. Dr. Gerstenmaierdie Schutzgemeinschaft der freien Welt bitter angewiesen sind. Aber auch bei den Entscheidungen, die uns diese Einsicht abverlangte, gab es hier nur eine Meinung, daß wir nämlich alle jederzeit bereit und willens sind, uns vorbehaltlos den Bedingungen einer allgemeinen kontrollierten Abrüstung zu unterwerfen. Für uns ist es ,deshalb eine bittere Enttäuschung, daß die Abrüstungsverhandlungen und alle anderen Bemühungen um den Abbau der konventionellen wie der atomaren Bewaffnung in Ost und West bis jetzt keine positiven Ergebnisse gezeitigt haben. Angesichts der einstweilen gescheiterten Abrüstungsversuche wird das Deutschlandproblem, und ,das heißt eben .der Konflikt, der aus der Teilung Deutschlands stammt, noch düsterer als zuvor.Mit dem sowjetrussischen Ministerpräsidenten empfinden wir die Lage der deutschen Hauptstadt Berlin in hohem Maße als anomal. Es bedarf gar nicht erst der immer wiederholten Bekundung Moskaus, daß die Lage Berlins anomal sei. Wir sind seit fünfzehn Jahren von diesem Gefühl und dieser Einsicht durchdrungen. Aber es ist eine wirklichkeitsfeindliche Bagatellisierung, wenn man nur die Lage Berlins für so anomal hält, daß sie einer beschleunigten Revision bedürfe. Denn das geteilte Berlin ist kein lokales Problem, sondern die Folge der grenzenlos abnormen, gewaltsam aufrechterhaltenen Teilung Deutschlands.
Die Spaltung Deutschlands allein ist die Ursache des sogenannten Berlin-Problems.
Deshalb sind wir auch weit davon entfernt, uns einreden zu lassen, daß es mit einer Veränderung des jetzigen Status von Berlin getan, daß Deutschland dann kuriert und der Friede der Welt gesichert sei.Wir sind in diesem Haus vielmehr ganz einmütig davon überzeugt, daß weder der Status Berlins noch die internationale Lage im mindesten verbessert, geschweige gar normalisiert würde, wenn West-Berlin zu dem gemacht würde, was der Ministerpräsident der Sowjetunion eine freie Stadt nennt. Als am 1. Mai 1960 700 000 Berliner vor dem Reichtagsgdbäude zu Berlin erschienen, fiel das Wort: „Wir wollen nicht vogelfrei sein!" Mir scheint, daß die Berliner damit exakt erfaßt haben, welche Gefahr hinter ,der schillernden Parole von der freien Stadt auf sie lauert. Sie wissen es, ganz Deutschland empfindet es, und die ganze Welt kann es wissen, seitdem .der Präsident der Vereinigten Staaten in ernster Offenheit darauf hinwies, daß damit Berlin als ein Vorort der Freiheit der Liquidation überantwortet werden soll. Wir sehen es ja seit Jahr und Tag, welche Hände nach West-Berlin greifen und wie dieser tapferen Stadt dasselbe Schicksal bereitet werden soll, unter dem die sowjetisch besetzte Zone leidet. So bitter leidet, daß sei dem zwölfjährigen Bestehen des Deutschen Bundestages bis zum 28. Juni 1961, also bis vorgestern, 2 633 103 Flüchtlinge Haus und Heimat, Verwandte und Freunde in der sowjetisch besetzten ZoneDeutschlands verlassen mußten, um hier bei uns des Gefühls der Sicherheit und der Freiheit wieder teilhaftig zu werden. Und der Strom geht unaufhaltsam weiter. Eine Abstimmung mit den Füßen, voll stummer Aussagekraft auch für die, die nicht mehr aus der Zone weggehen können.Es bedarf keines besonderen Tiefsinns, um die weiteren Konsequenzen zu erkennen, die sich aus dem sowjetrussischen Stoß gegen Berlin und seinen derzeitigen Status ergeben würden, wenn er gelänge. Er zielt nicht nur auf die Liquidierung der Freiheit Berlins, sondern ebensosehr auf die Erzwingung der endlichen Anerkennung der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik. Wir sind weit davon entfernt, uns in diesem Hause kritisch auseinanderzusetzen mit Verwaltungsakten, die die sowjetrussische Regierung auf ihrem eigenen Staatsgebiet verfügt. Aber wir weigern uns mit Entschiedenheit, anzuerkennen, daß die sowjetisch besetzte Zone Deutschlands etwa sowjetrussisches Staatsgebiet sei oder dauernd wie ein solches behandelt werden dürfe.
Die von Sowjetrußland selbst mit seinen ehemaligen Alliierten eingegangenen Verträge geben ihm dazu gar kein Recht. Die Regierung der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik können wir bestenfalls ,als ein Hilfsorgan der sowjetrussischen Besatzungsmacht betrachten; aber es kann gar keine ,Rede davon sein, daß wir dieses Organ einschließlich .der sogenannten Volkskammer anerkennen als eine nach den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen rechtmäßig zustande gekommene, legitime Vertretung von siebzehn Millionen Deutschen.
Nur Leute, die nichts mit den Grundrechten des Menschen und nichts mit dem geborenen Recht eines Volkes im Sinne haben, können über dieses Fehlen aller wahren Legitimität und den Zwangscharakter des Regimes von Pankow hinwegsehen.Es ist welder Sturheit noch Unversöhnlichkeit, wenn wir die uns auch soeben wieder angetragenen Verhandlungen mit Herrn Ulbricht ablehnen. Es ist vielmehr die gewissenhafte Verantwortung für die Einheit unseres Volkes und der Respekt vor den von diesem Hause ratifizierten Verträgen, in denen sich die drei großen Westmächte verpflichtet haben, die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands zu ihrer eigenen Sache zu machen. Es ist kein Zweifel, daß der Auflösung dieser vertraglichen Selbstverpflichtung des Westens in der Deutschlandfrage ,die gezielte, unablässige Bemühung Moskaus gilt. Würde es ,der Sowjetunion gelingen, das auch nur für Berlin zu erreichen, so hätte sie, wie ich meine, eine weltpolitische Machtprobe ersten Ranges gewonnen. Der neue Stoß Sowjetrußlands gegen Berlin ist letztlich darauf angelegt, der ersten Weltmacht, nämlich den Vereinigten Staaten von Amerika, und damit der ganzen freien Welt eine möglicherweise weltgeschichtlich entscheidende politische und moralische Niederlage zu bereiten. Es ist hohe Zeit,
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. Juni 1961 9765
Präsident D. Dr. Gerstenmaierdaß die Harmlosen und die Schlafmützen im deutschen Volk und in der Welt aufwachen und erkennen, daß es hier um etwas völlig anderes geht als um eine lokale oder gar nur um eine billige Prestigefrage.
Hier wird vielmehr eine todernste Probe darauf angesetzt, was das feierlich gegebene und vertraglich verbriefte Wort der Vereinigten Staaten von Amerika und seiner Verbündeten heute in der Welt bedeutet und was an Kraft und Macht seiner Behauptung in ihm steckt.Wir haben Gott sei Dank gar keinen Anlaß zu der Sorge, daß der Führung der freien Welt das nicht bewußt wäre oder daß es ihr an Kraft und Entschlossenheit fehlte. Aber wir haben mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika die ernste Sorge, daß der Regierung Sowjetrußlands der unerhörte Ernst der Konsequenzen nicht hinreichend im Bewußtsein ist, der sich aus ihren angedrohten einseitigen Maßnahmen wahrscheinlich ergeben muß.Präsident Kennedy hat keinen Zweifel daran gelassen, daß das Vertrags- und Verteidigungssystem der freien Welt auch im äußersten Ernstfall funktionieren würde. Die stillschweigende Annahme, daß die freie Welt letztlich alles hinnehmen würde — nun, meine Damen und Herren, wir wissen es —, gerade eine solche Annahme ist doch zu Hitlers Zeiten das Unglück Deutschlands geworden. Muß es zum Unglück Rußlands und der Welt werden, weil man sich in Moskau von einer fürchterlichen Illusion möglicherweise nicht rechtzeitig befreien kann?Aber, meine Damen und Herren, bleibt uns nun wirklich nichts, uns Deutschen hüben und drüben des Eisernen Vorhangs, als bang zu warten, was da kommt? Nun, dieses Haus und das deutsche Volk im ganzen hat sich Gott sei Dank diesem Pessimismus nicht ergeben! Wir glauben vielmehr, daß der gedanklichen Kraft und der politischen Entschlossenheit der freien Welt noch immer Aufgaben gestellt und Möglichkeiten gegeben sind, die es der Menschheit nicht nur erlauben, recht und schlecht zu überleben, sondern in Freiheit zu leben.Es spricht für die Nüchternheit des politischen Denkens in Deutschland, wenn diese Möglichkeiten heute nur noch vor dem Hintergrund und unter der Deckung der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft gesehen werden. In diesem Haus besteht, soweit ich sehe, deshalb heute auch die unangefochtene Bereitschaft, unsere Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft der freien Welt im allgemeinen und der NATO im besonderen auf das pünklichste zu erfüllen.Dieses Haus ist sich aber auch darüber einig, daß es mit unserem Verteidigungsbeitrag allein nicht getan ist, sondere daß die Welt auch einen Anspruch auf unser konstruktives politisches Mitwirken hat.
Dem Vorschlag des Ministerpräsidenten Chruschtschow, daß erneut verhandelt werden müsse, widersetzen wir uns ganz gewiß nicht. Im Gegenteil. Wir waren niemals Gegner von Verhandlungen, auch wenn wir dabei so viele Enttäuschungen erlebt haben, daß wir mit dem Ruf an den Verhandlungstisch alles andere als stürmische Illusionen verbinden.
Seit dem 17. Juli 1945, dem Beginn der Potsdamer Konferenz, ist auf nicht weniger als siebenundzwanzig Konferenzen der Staatschefs, der Ministerpräsidenten und Außenminister Sowjetrußlands und der Westmächte in insgesamt 315 Verhandlungstagen über die Deutschlandfrage verhandelt worden. Dazu kommen noch weitere 218 Verhandlungstage, während deren die Westmächte und die Ostblockstaaten je für sich mit der Deutschlandfrage beschäftigt waren. Das Ergebnis ist bis jetzt nicht eine Lockerung der Gegensätze, sondern eine Verhärtung und Verschärfung, die den Weltfrieden hoch gefährdet. Dennoch rät dieses Haus seiner eigenen Regierung, alles zu tun und zu fördern, was einer erneuten, klaren und freimütigen Behandlung der Deutschlandfrage dienen könnte.
Ich befinde mich in Übereinstimmung mit diesem Haus, wenn ich heute erneut vorschlage, daß nicht nur diese oder jene Einzelheit, daß auch nicht allein die Frage Berlins, seines zukünftigen Status und der Sicherung seiner Verbindungswege dabei zur Diskussion gestellt werden sollen, sondern die Deutschlandfrage als Ganzes. Wir haben niemals dem sowjetischen Ministerpräsidenten widersprochen, wenn er von der Notwendigkeit eines baldigen Friedensvertrages mit Deutschland gesprochen hat. Ich habe am 4. Februar 1958 zwar nicht als Präsident dieses Hauses, sondern als eines seiner Mitglieder den Vorschlag gemacht, daß die Westmächte sich mit der Sowjetunion über den Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland verständigen möchten. Dieser Vorschlag ist bis zum heutigen Tage nicht daran gescheitert, daß ihm in Deutschland oder vom Westen her widersprochen worden wäre. Nein, er ist ganz allein deshalb nicht verwirklicht worden, weil die Regierung der Sowjetunion zwar unablässig vom „Friedensvertrag" spricht, aber offensichtlich erst dann an den Verhandlungstisch zu bringen ist, wenn sie die Gewißheit hat, daß die Teilung Deutschlands auf die eine oder andere Weise verewigt und die Anerkennung Pankows gesichert wird.
Solange die Sowjetunion nach Leninschem Rezept auf einer solchen Vorentscheidung besteht, sind der gute Wille und der beste sachliche Vorschlag zur Aussichtslosigkeit verdammt. Denn auf eine solche Vorentscheidung eintreten, hieße für uns und den Westen, eine Vorausleistung erbringen, die Deutschland und die Welt in einem Entscheidenden um den Sinn von Friedensverhandlungen überhaupt bringen würde. Wenn die Sowjetunion zu einem Friedensvertrag kommen will, dann darf sie eine solche Entscheidung allenfalls am Verhandlungstisch suchen, sie aber nicht als Vorentscheidung allen anderen aufzwingen wollen. Es ist nicht mehr als billig, daß in einem Vertrag mit dem einen Deutschland
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9766 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 166. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. Juni 1961
Präsident D. Dr. GerstenmaierFrieden geschlossen wird, mit dem auch Krieg geführt wurde. Jetzt, meine Damen und Herren, ist nicht der Augenblick, um die Modalitäten zu erörtern, die dazu führen können. Dazu sind auch aus diesem Hause heraus brauchbare Vorschläge gemacht worden. Ich glaube aber, daß es ,das Gebot der Stunde ist, daß über das Verfahren zu einem Friedensvertrag mit Deutschland eine Einigung zwischen den Westmächten und Sowjetrußland herbeigeführt wird. Die Friedensverhandlungen selbst müssen Klarheit schaffenerstens über den militärischen und politischen Status des zukünftigen Gesamtdeutschlands.Zweitens ist es selbstverständlich, daß ein Friedensvertrag die definitive Bereinigung der materiellen und rechtlichen Fragen bringen muß, die sich aus dem zweiten Weltkrieg ergeben. Dazu gehört auch die Frage der Reichsgrenzen.Drittens ist es unerläßlich, daß dem ganzen deutschen Volke die Möglichkeit verbürgt wird — ich sage: verbürgt wird —, Gebrauch zu machen von „dem Grundsatz der gleichen Rechte und der Selbstbestimmung der Völker", wie er verankert ist in dem Artikel 1 der Charta der Vereinten Nationen.
Die Regierung der Sowjetunion hat am 26. Juni 1945 diese Charta ebenso unterzeichnet wie die anderen Mächte, die gegen Deutschland Krieg geführt haben. Namens des ganzen deutschen Volkes und keineswegs nur für die 52 Millionen in der Bundesrepublik Deutschland klagt der Deutsche Bundestag heute vor der Welt und vor der Geschichte dieses sein Recht ein.
Das deutsche Volk wird unter keinen Umständen aufhören, für das Grundrecht seiner Selbstbestimmung einzutreten. Es wird aber auch dieses Selbstbestimmungsrecht in. keinem anderen Sinn, unter keiner anderen Bedingung und zu keinem anderen Zweck in Anspruch nehmen als so, daß es damit vor dem Wort und Geist der Charta der Vereinten Nationen bestehen kann.
Am 1. Oktober 1958 hat dieser Bundestag in Berlin in einer einmütigen Entschließung erklärt, daß er jede Verhandlung zu unterstützen willens sei, die einen Weg dazu eröffnet. Der Deutsche Bundestag bekräftigt in dieser Stunde diesen Entschluß von neuem. Er erbittet dafür das Gehör und die Unterstützung der Völker, der Parlamente und der Regierungen der Welt.
Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen. Die Sitzung ist geschlossen.