Protokoll:
3005

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 3

  • date_rangeSitzungsnummer: 5

  • date_rangeDatum: 28. November 1957

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 14:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:23 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag —3. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. November 1957 I 5. Sitzung Bonn, den 28. November 1957 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Hübner und Dr. Friedensburg 101 A Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP betr. Einsetzung von Ausschüssen (Drucksache 18) 101 B Wahl der Schriftführer (Drucksache 21) . . 101 B Vierzehnte Verordnung über Zolltarifänderungen zur Durchführung des Gemeinsamen Marktes der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Drucksache 12) . . . 101 C Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Kohlepreiserhöhung (Drucksache 2) Dr. Bleiß (SPD) 101 D Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister 104 D, 129 A, 152 B Dr. Achenbach (FDP) 112 B Dr. Preusker (DP) 114 A Dr. Deist (SPD) 117 C, 146 D Dr. Hellwig (CDU/CSU) 131 C Margulies (FDP) 140 B Dr. Friedensburg (CDU/CSU) 143 A Dr. Kreyssig (SPD) 144 D Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der deutschen Kohlewirtschaft (Drucksache 19) 154 A Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Selbstverwaltungs- und Krankenversicherungsangleichungsgesetzes Berlin — SKAG Berlin (Drucksache 14) .....154 A Stingl (CDU/CSU) 154 B Büttner (SPD) . . . . . 155 C Frau Kalinke (DP) 156 B Dr. Will (FDP) 157 C Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 159 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2B. November 1957 101 5. Sitzung Bonn, den 28. November 1957 Stenographischer Bericht Beginn: 14 Uhr.
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Frau Albrecht 2. 12. Fürst von Bismarck 20.12. Dr. Brecht 29.11. Freiherr von Feury 28.11. Dr. Frey 28.11. Frau Friese-Korn 1.12. Geiger (München) 28.11. Gerns 28.11. Gibbert 28.11. Dr. Götz 28.11. Dr. Gülich 30.11. Dr. Dr. Heinemann 29.11. Hellenbrock 28.11. Höfler 28.11. Jacobs 28.11. Kirchhoff 29.11. Knobloch 28.11. Kramel 28.11. Lenz (Brüht) 28.11. Mensing 28.11. Dr. Meyers (Aachen) 30.11. Paul 28.11. Scheel 15.12. Dr. Schneider (Saarbrücken) 28.12. Schreiner 28.11. Spies (Brücken) 28.11. Dr. Starke 28. 11. Stierle 29. 11. Wehr 28.11. Frau Welter (Aachen) 28.11. Zoglmann 28.11. Zühlke 28.11. b) Urlaubsanträge Dr. Atzenroth 15.12. Bauer (Wasserburg) 8.12. Bauknecht 15.12. Dr. Becker (Hersfeld) 18.12. Dr. Birrenbach 11.12. Brand 10.12. Drachsler 11.12. Gedat 6.12. Dr. Höck 12.12. Dr. Jordan 13.12. Kühn (Köln) 10.12. Kurlbaum 31.12. Dr. Leverkuehn 14.12. Merten 11.12. Frau Renger 11.12. Dr. Schild 14.12. Dr.-Ing. Seebohm 14.12.
Gesamtes Protokol
Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0300500000
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich habe zunächst einigen Jubilaren, wenn ich so sagen darf, die Glückwünsche des Hauses auszusprechen, und zwar dem Kollegen Abgeordneten Hübner, der am 6. November seinen 60. Geburtstag gefeiert hat,

(Beifall)

und dem Abgeordneten Dr. Friedensburg, der am
17. November seinen 71. Geburtstag gefeiert hat.

(Beifall.)

Ich habe dann bekanntzugeben, daß die erste Fragestunde in der dritten Wahlperiode für eine Plenarsitzung in der letzten Arbeitswoche vor den Weihnachtsfeiertagen vorgesehen ist. Die Sperrfrist für eingehende Fragen ist Freitag, der 6. Dezember, 12 Uhr.
Die amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen.
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 23. November 1957 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Bundeskartellamt beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 20 verteilt.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 4. November 1957 auf Grund des Beschlusses des Bundestages vom 23. Februar 1955 über die Aufstellung von Grenzzeichen an den Übergangsstellen vom Ausland ins Bundesgebiet berichtet. Sein Schreiben ist als Drucksache 15 verteilt.
Der Herr Staatssekretär des Bundeskanzleramtes hat unter dem 7. November 1957 unter Bezugnahme auf das Schreiben des Herrn Bundeskanzlers vom 26. Oktober 1957 über die Ernennung der Bundesminister mitgeteilt, daß Herr Prof. Dr. Siegfried Balke zum Bundesminister für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft ernannt wurde.
Wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP betreffend Einsetzung von Ausschüssen (Drucksache 18).
Wird das Wort zu der interfraktionellen Vereinbarung über die Einsetzung von Ausschüssen —Drucksache 18 — gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann bitte ich die Mitglieder des Hauses, die mit dem Antrag Drucksache 18 einverstanden sind,
die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest. Punkt 1 ist erledigt.
Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung:
Wahl der Schriftführer (Drucksache 21).
Die Namen der von den Fraktionen vorgeschlagenen Damen und Herren sind auf Drucksache 21 verzeichnet. Wer damit einverstanden ist, daß diese Damen und Herren gemäß § 3 der Geschäftsordnung zu Schriftführern bestellt werden, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle auch hier einstimmige Annahme fest.
Punkt 3 der Tagesordnung:
Vierzehnte Verordnung über Zolltarifänderungen zur Durchführung des Gemeinsamen Marktes der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Drucksache 12).
Verzichtet das Haus auf mündliche Begründung seitens der Regierung? — Das ist der Fall. Ich eröffne die Aussprache über die Drucksache 12. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich lasse abstimmen. Ich nehme an, daß die Vorlage an den Außenhandelsausschuß überwiesen werden soll. Wird ein weiterer Antrag gestellt? — Das ist nicht der Fall. Wer mit der Überweisung einverstanden ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe Punkt 4 a auf:
Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Kohlepreiserhöhung (Drucksache 2).
Zur Begründung der Großen Anfrage hat der Abgeordnete Dr. Bleiß das Wort.

Dr. Paul Bleiß (SPD):
Rede ID: ID0300500100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das 20. Jahrhundert ist durch die rasante Entwicklung der Technik zu einer schnelllebigen Zeit geworden; aber trotz aller Schnellebigkeit haben wir die Reden noch nicht vergessen, die Herr Bundeswirtschaftsminister Professor Erhard vor dem 15. September gehalten hat.
Im Mittelpunkt seiner Wahlpropaganda stand die These, daß eine leistungsfähige Volkswirtschaft die Stabilität der Preise zur notwendigen Voraussetzung habe und daß er, der Herr Bundeswirtschaftsminister, der Garant einer stabilen Wirtschaft sei. In der Flüsterpropaganda, die durch die Betriebe lief, wurde die These weiter vereinfacht, und das Schlagwort „Keine Experimente!" konnte für die Wähler doch nur den Sinn haben, daß im Falle einer dritten CDU-Regierung in Bonn die Stabilität der Preise gesichert sei und damit die Kaufkraft der D-Mark erhalten bleibe. In der Praxis wurde die These dadurch erhärtet, daß während der



Dr. Bleiß
Sommermonate, von einigen Lebensmitteln abgesehen, wesentliche Preissteigerungen nicht eingetreten sind.
Es dürfte unbestritten sein, daß ein erheblicher Teil der Wählerschaft dieser These Glauben schenkte und sich deshalb für die bisherigen Mehrheitsparteien in Bonn entschied.
Das war vor dem 15. September. Aber schon wenige Tage später wurde die Öffentlichkeit von einem ersten, gefährlichen Experiment überrascht: von der Ankündigung einer drastischen Erhöhung der Kohlepreise. Die Gefährlichkeit des Experiments liegt nicht nur in dem Ausmaß der Preiserhöhung, sondern vor allem darin, daß es sich, wie der Herr Bundeswirtschaftsminister selbst sagte, bei der Kohle um einen Grundstoff von besonderer Bedeutung handelt.
Die Schnelligkeit, mit der der Unternehmensverband Ruhrbergbau das Wahlergebnis vom 15. September für sich auswertete, hat selbst den Herrn Bundeswirtschaftsminister überrascht. Er schreibt darüber in einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 12. Oktober — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten darf ich zitieren —:
Was die Wahl des Zeitpunkts anbelangt, so möchte ich über die Taktik des Unternehmensverbandes den Schleier christlicher Nächstenliebe breiten; denn außer diesem Gremium selbst dürfte es in Deutschland kaum irgendeinen Menschen geben, der da nicht mit mir übereinstimmte.
In der Tat, Herr Bundeswirtschaftsminister, so weit stimmen auch wir mit Ihnen überein. Es ist zweifellos eine harte Sache, einen Wechsel schon vier Tage nach der Wahl präsentiert zu bekommen.
Etwas kritischer schon lesen wir aber Ihre nächsten Zeilen:
Die leitenden Herren des Unternehmensverbandes .hätten es im übrigen leicht gehabt, mit der Bundesregierung zu einer Verständigung zu kommen, wenn sie nur etwas mehr Einsicht in die wirtschaftlich-politischen Zusammenhänge, die nun einmal bei einer Kohlepreiserhöhung beachtet werden müssen, gehabt hätten.
Soll das bedeuten, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß Sie der Erhöhung zugestimmt hätten, wenn der Unternehmensverband Ruhrbergbau nicht selbsttätig gehandelt, sondern Sie über die beabsichtigten Maßnahmen vorher unterrichtet hätte? Deswegen drängt sich uns die Frage auf, die wir in der Großen Anfrage Drucksache 2 an Sie richten: Halten Sie die Preiserhöhung für gerechtfertigt? Wenn nein, welche Preiserhöhung würden Sie für gerechtfertigt halten?
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat sich zu der Preiserhöhung vielfach geäußert. Er hat unter anderem dargetan, daß sie für ihn überraschend gekommen sei. Herr Bundeswirtschaftsminister: Entspricht es wirklich den Tatsachen, daß die Preiserhöhung für Sie so überraschend gekommen ist?
Lassen Sie mich, Herr Bundeswirtschaftsminister, zur Begründung dieser Fragen auf einige Vorgänge hinweisen, die Ihnen sicherlich noch in Erinnerung sein werden.
Bereits im Juni 1957 hat ein Briefwechsel zwischen der Bundesregierung und der Hohen Behörde stattgefunden, nach welchem die Bergmannsprämien zwar bestehenbleiben, die Beiträge zur knappschaftlichen Rentenversicherung aber in Höhe von 6,5 % des Lohnaufwandes den Zechengesellschaften auferlegt werden sollten. Die Wiedereinführung der vollen Beiträge zur knappschaftlichen Renten- und Pensionsversicherung ist in Kenntnis und mit Billigung der Bundesregierung erfolgt.
Etwa drei Wochen später, Mitte Juli, meldet Herr Dr. Curtius von der Bergwerksgesellschaft Rheinpreußen eine Preiserhöhung von 6 DM je Tonne an. Am 27. Juli richtet der Unternehmensverband Ruhrbergbau ein Schreiben an den Herrn Bundeswirtschaftsminister, in dem auf folgende Kostenerhöhungen hingewiesen wird: Mehrbelastungen aus der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle, Erhöhung der Beiträge zur Berufsgenossenschaft und für die knappschaftliche Rentenversicherung, Erhöhung des gesetzlichen Kindergeldes.
Dieses Schreiben, Herr Bundeswirtschaftsminister, hatte doch nicht etwa nur den Zweck, Sie zu unterrichten, sondern dahinter stand doch für jedermann deutlich erkennbar die Forderung nach der baren Kasse, und nur aus Gründen der „Courtoisie" wurde diese Forderung bis nach dem 15. September verschoben.
Wenn also Ihnen, Herr Bundeswirtschaftsminister, zum mindesten ab Ende Juli dieses Jahres bekannt sein mußte, daß Preisforderungen nach den Wahlen gestellt werden würden: was haben Sie in der Zwischenzeit getan, um die Preiserhöhungen zu verhindern? Wir stellen diese Frage mit besonderem Nachdruck, weil es kaum einen Wirtschaftszweig gibt, in dem die Bundesregierung dank ihres Beteiligungsverhältnisses einen so tiefen Einblick in die Kostenstruktur nehmen kann wie im Bergbau, zumal der Bundesbesitz einen guten Querschnitt aus dem gesamten Steinkohlenbergbau vermittelt.
Wir werden uns bei der Beantwortung der Frage nicht mit dem Hinweis zufriedengeben, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß Ihnen die „allgemeinen Kalkulationsbedingungen" bekannt seien. Sie müssen heute in Ihrer Beantwortug schon etwas deutlicher werden.
Der Bergbau kalkuliert zur Zeit nach einem Schema, das von der Montanunion entworfen worden ist. Die Kostenrechnungen lassen bei einem solchen Vergleich miteinander zwar einen gewissen Trend erkennen, sie enthalten aber einige kalkulatorische Posten, die mit der realen Kostensituation nur wenig oder gar nichts zu tun haben.
Ist Ihnen, Herr Bundeswirtschaftsminister, z. B. bekannt, daß in die Kostenrechnung die Verzinsung des Eigenkapitals eingerechnet ist, daß dieser Kostenbestandteil sich pro Tonne abgesetz-



Dr. Bleiß
ter Kohle auf 5 bis 6 DM beläuft und daß, um bei diesem Beispiel zu bleiben, wenn eine solche Kalkulation mit einem Minus von 1 DM abschließt, in Wirklichkeit ein G e win n von 4 bis 5 DM je Tonne in der Kalkulation enthalten ist? Billigen Sie diese Methodik, Herr Bundeswirtschaftsminister? Sind Sie nicht der Meinung, daß eine solche Methodik zur Irreführung der Öffentlichkeit führen muß?
Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit noch einen anderen Kalkulationsposten kritisch betrachten — die kalkulatorischen Abschreibungen. Die kalkulatorische Abschreibung ist ein völlig imaginärer Begriff geworden. Man geht nicht etwa von den Beschaffungswerten, sondern von Wiederbeschaffungswerten aus. Man schreibt nach der degressiven Methode ab, und die Abschreibungssätze, die auf diese Weise ermittelt und in die Kalkulation eingestellt werden, haben mit dem eigentlichen Wertverzehr nur noch sehr wenig zu tun. Sie sind praktisch zu einem Mittel der Selbstfinanzierung geworden. Ich empfehle Ihrem Ministerium, Herr Bundeswirtschaftsminister, sich mit diesem kalkulatorischen Posten eingehender zu beschäftigen.
Die im Zusammenhang mit der letzten Preiserhöhung vorgelegte Kalkulation der Ruhrzechen hat selbst bei der Hohen Behörde, die in diesen Dingen etwas großzügig ist, keinen Anklang gefunden. Sie wurde von der Hohen Behörde u. a. deswegen abgelehnt, weil in den Kostenrechnungen noch weitere kalkulatorische Posten enthalten sind, die darin nichts zu suchen haben, so z. B. die Abgabe für den Lastenausgleich, verausgabte 7 c-Gelder und soziale Mehrbelastungen in Höhe von 97 Millionen, die in dieser Höhe umstritten sind. Gestützt auf diese Daten hat die Hohe Behörde die Preisforderung als um 1,50 DM überhöht bezeichnet.
Ist Ihnen weiterhin bekannt, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß die Argumentation des Unternehmensverbandes Ruhrbergbau hinsichtlich der sozialen Mehrbelastung durch den Herrn Bundesminister für Arbeit in seinem Schreiben vom 10. Oktober eindeutig widerlegt wurde? Ich frage Sie: Was haben Sie unternommen, Herr Professor Erhard, um diese Sachlage mit dem Ruhrbergbau zu klären? Ist Ihnen bekannt, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß die Sozialistische Gruppe der Gemeinsamen Versammlung der Montangemeinschaft bei der Hohen Behörde wegen der Kalkulation der Ruhrzechen vorstellig geworden ist und verschiedene Positionen beanstandet hat?
Ich frage Sie weiter, Herr Bundeswirtschaftsminister: Ist Ihnen bekannt, daß auch in bundeseigenen Gesellschaften Beispiele dafür vorhanden sind, daß die Berichterstattung erheblich von dem wahren Kostenablauf abweicht, daß erhebliche Manipulationen — Herr Bundeswirtschaftsminister, erhebliche Manipulationen! — mit Zahlen erfolgen, um ein Absinken der Rentabilität zu beweisen? Ich frage Sie: Was haben Ihre Beauftragten in den Gremien dieser Gesellschaften getan und veranlaßt, um sich eine genaue Kenntnis von der wirklichen Kosten- und Ertragslage zu verschaffen?
Ich darf annehmen, daß wir heute von Ihnen dazu eine erschöpfende Stellungnahme bekommen.
Meine Damen und Herren, ohne der Antwort des Herrn Bundeswirtschaftsministers vorgreifen zu wollen, scheint es mir festzustehen, daß das Bundeswirtschaftsministerium mit diesen Preiserhöhungen rechnen mußte, daß es aber nichts getan hat, um durch eine genaue Prüfung der Unterlagen der Preisentwicklung entgegenzuwirken. Vielleicht fühlte sich der Herr Bundeswirtschaftsminister seiner Sache zu sicher, als er sich im Frühjahr 1956 bei der Hohen Behörde so nachhaltig für die Freigabe der Kohlenpreise einsetzte. Vielleicht vertraute er etwas zu sehr auf die Kunst seiner „Seelenmassage". Nun, ich glaube, die Verhandlungen mit dem Unternehmensverband haben ihm gezeigt, wo die Grenzen dieser Kunst liegen.
In einem Gespräch über die Freigabe der Kohlen-preise äußerte sich damals Herr Staatssekretär Westrick sehr optimistisch. Sie meinten seinerzeit, Herr Staatssekretär, daß Preiserhöhungen ja nur nach vorheriger Fühlungnahme mit dem Bundeswirtschaftsministerium erfolgen würden, daß nicht viel passieren könne, weil man den Bergbau „an der Strippe" habe und mit den auf den Bund übernommenen Lasten manipulieren könne. Ich glaube, Herr Staatssekretär, daß nicht das Bundeswirtschaftsministerium den Unternehmensverband, sondern daß der Unternehmensverband den Herrn Bundeswirtschaftsminister an der Strippe hat.

(Beifall bei der SPD.)

Nach der Freigabe der Preise hat sich an der Ruhr wieder eine feste Kartellorganisation gebildet. Ich frage den Herrn Bundeswirtschaftsminister, ob und was er unternommen hat, um über die bundeseigenen Gesellschaften die Kartellpolitik rechtzeitig zu beeinflussen und im Sinne einer Verantwortung gegenüber der gesamten Wirtschaft zu ändern.
Noch eine Bemerkung zur Preispolitik der Bergbauwirtschaft. Es ist mir aufgefallen, daß die Zechenbetriebe immer auf ihre erheblichen finanziellen Verpflichtungen und Belastungen hinweisen, wenn Preiserhöhungen zur Diskussion stehen, daß man sich aber immer finanziell sehr stark fühlt, wenn es darum geht, eine von Jahr zu Jahr erhöhte Dividende zu beschließen.
Die Versuche des Herrn Bundeswirtschaftsministers, nach der Preisankündigung mit dem Unternehmensverband ins Gespräch zu kommen, sind kläglich gescheitert. Sein Abgang auf der Versammlung in Essen war etwas peinlich. Die Aktion des Bundeswirtschaftsministers ist von einer ihm nahestehenden Zeitung als „Theaterdonner" charakterisiert worden. Wenn ich richtig lese, heißt das doch, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister in seiner temperamentvollen Aktion von den Beteiligten nicht mehr ganz ernst genommen wurde.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Nach dem Scheitern der Aktion in Essen hat der Herr Bundeswirtschaftsminister in seiner Verärgerung eine Reihe von Kampfmaßnahmen gegen den



Dr. Blei$
Bergbau angedroht. Am 2. Oktober dieses Jahres kündigte er auf einer Pressekonferenz die Streichung der Umsatzausgleichsteuer bei Importkohle, die Streichung der Umsatzausgleichsteuer bei Heizöl als Sofortmaßnahmen an. Er stellte als weitere Maßnahmen in Aussicht die Gewährung von Frachtvergünstigungen für Importkohle bei der Bundesbahn, die Errichtung einer eigenen Verkaufsgesellschaft der bundeseigenen Zechen einschließlich der Zechen des Saargebietes. Aber schon drei Tage später, am 5. Oktober, berichtete die im allgemeinen gut informierte Frankfurter Allgemeine Zeitung, daß die Frachtvergünstigung für amerikanische Importkohle auf Veranlassung des Herrn Bundeskanzlers fallengelassen und die übrigen Maßnahmen einen Monat zurückgestellt worden seien.
Ich muß Sie nun fragen, Herr Bundeswirtschaftsminister: was soll das? Zunächst werden Kampfmaßnahmen von Ihnen angedroht, angekündigt und dann stillschweigend wieder zurückgestellt.

(Abg. Dr. Menzel: Theaterdonner!)

Inzwischen sind wieder Wochen vergangen. Die Unsicherheit bei den Beteiligten bleibt bestehen. Ich frage Sie: was haben Sie denn eigentlich vor? Sind Ihre Kampfmaßnahmen endgültig in der Versenkung verschwunden? Waren sie nur eine Art Theaterdonner? Wollen Sie nicht endlich der Öffentlichkeit sagen, welche Maßnahmen Sie beabsichtigen und wann diese Maßnahmen eingeleitet werden sollen?
Die Kohlepreiserhöhung ist durch den Beschluß des Unternehmensverbandes Bergbau eine Realität geworden. Sie trifft aber wiederum den Ärmsten, den Letztverbraucher am härtesten. Ich empfinde es als besonders schmerzlich, daß die Bundesregierung es nicht einmal verhindern konnte, daß die Hausbrandkohle stärker verteuert wurde als die Industriekohle. Wir erwarten auch zu diesem Fragenkomplex eine Stellungnahme des Herrn Bundeswirtschaftsministers.
Was uns noch mehr Sorge bereitet, das sind die Auswirkungen, die sich aus der Kohlepreiserhöhung auf das gesamte Preisniveau ergeben. Wir erwarten, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister heute nicht wieder mit dem statistischen Vergleichsmaterial operiert und zu beweisen versucht, daß nach der Statistik der Anteil der Kohlekosten in den einzelnen Gewerbegruppen relativ nur gering ist. Herr Bundeswirtschaftsminister, das wäre eine Milchmädchenrechnung, die wir aus der Vergangenheit kennen und die immer wieder ad absurdum geführt worden ist. Sie sollten bei Ihrer heutigen Stellungnahme unterstellen, daß sich jede Erhöhung des Kohlepreises im Schneeballsystem durch das ganze Wirtschaftssystem — vom Grundstoff bis zum Endprodukt — hindurchwälzt und daß eine Vielzahl von Kettenreaktionen laufend das gesamte Preisniveau erschüttern.
Das erste typische Beispiel ist die Erhöhung der Stahlpreise. Ich will nichts über die Berechtigung dieser Erhöhung sagen. Aber es ist immerhin notwendig, festzustellen, daß die Kohlenpreiserhöhung etwa 1 % des Stahlpreises ausmacht, die Stahlindustrie ihrerseits zu einer Erhöhung der Listenpreise im Durchschnitt von etwa 4 1/2 % gekommen ist.
Nun, meine Damen und Herren, das ist die erste Reaktion, aber nicht die einzige größere Preisanhebung. Im Hintergrund steht die Erhöhung der Bundesbahntarife, die Anhebung der Versorgungstarife. Auf dem Ernährungssektor haben wir mit einer Erhöhung des Brotpreises zu rechnen. Im Hintergrund steht weiterhin eine neue Kohlenpreiserhöhung zum 1. April 1958.
Der Kohlenpreis steht nicht allein im Raum. Er ist zu sehen im Zusammenhang mit der Kohlenwirtschaftspolitik und der gesamten Energiewirtschaft. Er muß auch gesehen werden im Zusammenhang mit der Sicherstellung des Bergmanns, mit der Erhaltung seines Arbeitsplatzes und seiner Arbeitskraft, mit allen den Maßnahmen, die erforderlich sind, um den schweren Beruf des Bergmanns zu erleichtern und den Nachwuchs sicherzustellen.
Die Problematik, die sich in diesem Zusammenhang aufdrängt, macht nach unserer Auffassung eine umfassende strukturelle Untersuchung des Bergbaus notwendig. Deswegen haben wir heute erneut den Antrag eingebracht, eine Enquête für den gesamten Bergbau durchzuführen. Im Rahmen dieser Enquête sollten gleichzeitig die Probleme der Energiewirtschaft untersucht werden.
Meine Damen und Herren! Die aufmerksame Beobachtung der Preisentwicklung nach dem 15. September gibt uns Anlaß zu ernsten Besorgnissen. Vor der Wahl haben Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, die Parole ausgegeben: „Stabile Preise, stabile Wirtschaft!" Ich frage Sie: Halten Sie an dieser Parole heute noch unabdingbar fest, oder ist Ihre Wahlparole unter dem Druck der Interessenten schon in der Aufweichung begriffe?
Am Tage vor der Wahl schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Ludwig Erhard kümmert sich um alles." Am 17. September sagte der Herr Minister: „Keine Preiswelle zu erwarten". Am Tage darauf war plötzlich alles anders. Der Startschuß für die Preiswelle war gefallen durch die Ankündigung des Unternehmensverbandes Bergbau.
Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie sind uns heute Rechenschaft darüber schuldig, was Sie unternommen haben, um eine gefährliche Preisentwicklung, ausgehend von der Kohle, zu verhindern.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0300500200
Das Wort zur Beantwortung der Anfrage hat der Bundesminister Dr. Erhard.

Dr. Ludwig Erhard (CDU):
Rede ID: ID0300500300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle Jahre wieder

(Abg. Dr. Menzel: Kündigen Sie die Preisstabilität an!)




Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. c. Erhard unterhalten wir uns in den Herbstmonaten über die Kohle. Im letzten Jahr haben wir uns unterhalten über die Kohlenmengen, obwohl auch seinerzeit die Preise gestiegen waren. Heute unterhalten wir uns ausschließlich über die Kohlenpreise, ein Beweis dafür, daß Versorgungslücken in diesem Jahr nicht in Erscheinung getreten sind — trotz einer weiteren Ausweitung unserer Volkswirtschaft —, und es scheint mir schon ein erster Beweis dafür zu sein, daß unsere Kohlepolitik nicht so schlecht gewesen sein kann, wie sie hier dargestellt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Zum andern darf ich zu dem, was Herr Dr. Bleiß sagte, bemerken, daß sich meine Reden vor dem 15. September von meinen Reden nach dem 15. September nicht unterscheiden,

(Zurufe von der SPD)

und auch die Zielsetzung meiner Politik wird sich nicht ändern.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

Versprochen habe ich, alles in meinen Kräften
Stehende zu tun, um die Stabilität der Wirtschaft
und der Preise zu erhalten. Ich habe vor diesem Hohen Hause zu wiederholten Malen meiner Sorge Ausdruck gegeben, daß, wenn das deutsche Volk in all seinen Gruppen mehr verbrauchen will, als wir alle gemeinsam erzeugen, diese Politik nicht durchsetzbar ist, und Sie könnten mir einen guten Dienst erweisen, wenn Sie mich in diesem Bemühen, ein Maßhalten aller Beteiligten zu erreichen, unterstützen wollten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Einem Druck der Interessenten habe ich mich in meinem Leben noch nie gebeugt.

(Lachen bei der SPD. — Beifall und Zurufe — von der CDU/CSU.)

Wenn Sie dabei ein so gutes Gewissen haben wie ich, dann ist es mir recht.

(Heiterkeit und wiederholter Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Im übrigen habe ich mich in meinen Wahlreden von anderen dadurch unterschieden, daß ich nicht allen Gruppen wechselweise alles versprochen habe, und aus diesem Grunde bin ich auch nicht in der unangenehmen Lage, mir präsentierte Wechsel einlösen zu müssen.

(Lachen bei der SPD. — Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

Nun zu der Frage des Kohlepreises. Bevor ich auf die einzelnen Punkte der Anfrage eingehe, nur noch etwas zu den Vorbemerkungen von Herrn Dr. Bleiß. Was glaubt eigentlich die SPD? Soll ich mich jetzt um den Kohlepreis bekümmern, oder soll ich mich nicht um den Kohlepreis bekümmern? Denn gerade Ihre Vertreter haben in der Gemeinsamen Versammlung der Montanunion wiederholt ihrer Klage Ausdruck gegeben, daß von seiten der nationalen Regierungen — und gemeint war ich — immer wieder versucht wird, Einfluß auf die nationale Preisbildung zu gewinnen.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Hier aber sprechen Sie mit anderen Zungen und sagen, i c h hätte die Verantwortung für den Kohlepreis.

(Zurufe von der SPD.)

Ich drücke mich nicht darum herum; aber ich möchte nur einmal klargestellt haben, daß Sie offenbar in der Gemeinsamen Versammlung mit einer ganz anderen Diktion kommen als hier vor dem Deutschen Bundestag.

(Beifall bei der CDU/CSU.) — Abg.

Schoettle: Ihre Wahlversammlungsreden
sind auch nicht besser gewesen als das,
was Sie heute produzieren!)

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0300500400
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Ludwig Erhard (CDU):
Rede ID: ID0300500500
Bitte sehr.

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300500600
Herr Bundeswirtschaftsminister, darf ich Sie bitten, mir anzugeben, wann und wo sozialdemokratische Vertreter in der Gemeinsamen Versammlung sich darüber beschwert haben, daß die Hohe Behörde nicht in die Tätigkeit der hiesigen Bundesregierung eingegriffen habe? Trifft es nicht vielmehr zu, daß ich bereits in einer der letzten Debatten richtiggestellt habe, daß die Kritik hinsichtlich des Abwanderns von Zuständigkeiten in. nationale Bereiche darin zu sehen ist, daß in Deutschland private Kartelle die Befugnisse übernehmen, die eigentlich in den Händen der öffentlichen Gewalt sein müßten? Diese Kritik hat sich also nicht gegen die Tätigkeit der Bundesregierung, sondern gegen die Tätigkeit der privaten deutschen Kartelle auf dem Gebiet der Kohle gerichtet.

Dr. Ludwig Erhard (CDU):
Rede ID: ID0300500700
Ich habe den Wortlaut der Erklärungen der Herren Abgeordneten Schöne und Kreyssig hier natürlich nicht parat.

(Aha! bei der SPD.)

Aber Sie werden nicht bezweifeln wollen, daß gerade von seiten dieser beiden Herren — und nicht von ihnen allein, wie ich zugebe — beklagt worden ist, daß sich die nationalen Regierungen im Bereich von Kohle und Stahl in die Preisbildung einschalten und jedenfalls Maßnahmen dieser Art treffen wollten. Das ist unbestreitbar. Ich selber habe in Rom und in Luxemburg darauf hingewiesen, daß mir im Montanvertrag hier ein logischer Bruch zu liegen scheint; denn ein Wirtschaftsminister, der die Verantwortung für die ganze Wirtschaftspolitik, d. h. für den Gesamtbereich der Volkswirtschaft trägt, kann aus der Verantwortung für so wichtige Zweige wie Kohle und Stahl nicht völlig entlassen werden. Hier muß mindestens eine sehr starke Koordinierung Platz greifen, und aus diesem Grunde drücke ich mich auch nicht um die Verantwortung. Ich stehe



Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
für das, was bei der Kohle und beim Stahl sich ereignet hat, selbstverständlich im Rahmen der mir
zur Verfügung stehenden Einflußmöglichkeiten ein.
Eben wird mir gesagt, der Abgeordnete Schöne habe in der Sitzung der Gemeinsamen Versammlung vom 26. Juni 1957 Regierungsinterventionen auf dem Preisgebiet mit folgenden Worten verurteilt:
Herr Präsident! Meine Herren! Ein Bericht über die Beseitigung von Schwierigkeiten und Hemmnissen in der Übergangszeit auf dem Wege zum Gemeinsamen Markt wäre unvollständig, wollte man dabei nicht gleichzeitig ins Auge fassen — und man kann es auf Grund des Berichts der Hohen Behörde —, daß in derselben Zeit neue Schwierigkeiten und neue Hemmnisse entstanden sind. Damit meine ich die vielen Ausführungen in dem Bericht über Regierungsinterventionen auf dem Preisgebiet. Ich verweise insbesondere auf die Ziffern soundso . . .

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Dies scheint also einwandfrei festzustehen.
Im übrigen habe ich — weil ich mit manchen Einwendungen des Herrn Abgeordneten Bleiß sachlich übereinstimme — bei der Hohen Behörde selbst angeregt, sie möge unter allen Umständen das Preisgebaren des Ruhrkohlenbergbaus bzw. der Zechen einer Kontrolle unterziehen, was in der Zwischenzeit auch erfolgt ist. Damit ist ja dann der auch von Ihnen genannte Betrag von 1,50 DM zustande gekommen. Soweit zu den einleitenden Worten von Herrn Bleiß.
Nun zu der Großen Anfrage selbst. In den vergangenen Wochen ist Ihnen allen wohl der Ablauf der Vorgänge im Zusammenhang mit der am 1. Oktober erfolgten Kohlepreiserhöhung mit allen Einzelheiten bekanntgeworden. Ich darf mich daher wohl auch darauf beschränken, als Einleitung meiner Antwort die einzelnen Punkte noch einmal herauszustellen.
1. Ich muß dabei bleiben, daß das Verhalten des Steinkohlenbergbaus in der Kohlepreisfrage angesichts der klar zutage liegenden politischen und wirtschaftspolitischen Umstände einen bedauerlichen Mangel an Verständigungsbereitschaft zeigte.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Nahezu ohne Ausnahme ist von der gesamten Öffentlichkeit dies Verhalten des Ruhrbergbaus kritisiert worden.
2. In der Konferenz in Essen am 1. Oktober suchte ich den Vertretern der Zechengesellschaften vergeblich das Anliegen der Bundesregierung verständlich zu machen, die Entscheidung über eine Kohlepreiserhöhung um einen Monat zu verschieben, damit in der Zwischenzeit geprüft werden könne, welches das wirklich notwendige Ausmaß dieser Preiserhöhung sei. Die Bundesregierung glaubte, zu dieser Forderung um so mehr berechtigt zu sein, als in den vergangenen Jahren Entscheidendes zugunsten des Ruhrkohlenbergbaus getan wurde, ob es sich nun um die Unterstützung berechtigter Wünsche des Steinkohlenbergbaus bei den von der Alliierten Hohen Kommission betriebenen Entflechtungsmaßnahmen handelte oder um die Zuleitung erheblicher Marshallplangelder, um das Investitionshilfegesetz und die damit zusammenhängenden Abschreibungsmöglichkeiten, um die Abgabe für den Bergarbeiterwohnungsbau, um die Einführung der Bergmannsprämie, die in erheblichem Maße zu einer Steigerung der Förderung und damit der Ertragskraft der Unternehmungen beitrug, um eine günstige Regelung gewisser Bewertungsvorschriften für Unter-Tage-Anlagen durch das Land Nordrhein-Westfalen oder um die steuerliche Regelung von Abschreibungen für UnterTage-Anlagen mit dem Ziel, eine bergbaugerechte Besteuerung zu erreichen.
In groben Zahlen ausgedrückt, stellen sich die eben genannten Maßnahmen wie folgt dar. Bis heute sind dem Bergbau an verschiedenen zentral steuerbaren Kapitalmarktmitteln rund 2 Milliarden DM zugeführt. Auf Grund von Sonderabschreibungen konnten Investitionen in Höhe von 2 Milliarden DM vorgenommen werden. In dieser Sonderabschreibung stecken Steuerersparnisse in Höhe von mehr als 1 Milliarde DM. Für die Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaus wurde 1 Milliarde DM aufgebracht. Außerdem ist der Bergbau durch Übernahme eines Teils des Arbeitgeberbeitrags zur Knappschaftsrentenversicherung in Höhe von 400 Millionen DM entlastet worden. Zur Lösung des Arbeitskräfteproblems im Bergbau haben Bund und Länder durch die Bergmannsprämie bisher 400 Millionen DM aufgewandt. Durch die in diesem Jahr eingeführte steuerliche Regelung von Abschreibungen für Unter-Tage-Anlagen werden für den Bergbau in Zukunft Beträge aufgebracht werden, die denen der bisherigen Abschreibungen auf Grund des § 36 des Investitionshilfegesetzes nicht viel nachstehen dürften.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

3. Mit den eben genannten Zahlen sind nicht zu verwechseln die Beträge, die der Bergbau seit dem Jahre 1949 für Investitionen aufgebracht hat. Der Bergbau beklagt sich immer wieder, daß in der Vergangenheit der Kohlepreis stets wie ein politischer Preis behandelt und ihm dadurch die Möglichkeit genommen worden sei, ausreichende Investitionen vorzunehmen. Hierzu möchte ich nur eine Zahl nennen. Die Investitionen im deutschen Steinkohlenbergbau haben in der Zeit von 1949 bis 1956 einen Betrag von fast 5 Milliarden DM erreicht. Wenn man die voraussichtliche Summe für 1957 in Höhe von 700 bis 800 Millionen DM hinzurechnet, dann ergibt sich ein Betrag von mehr als 5 1/2 Milliarden DM, der seit 1949 für Investitionen aufgewandt werden konnte. Nicht diese Investitionen zuletzt haben den Bergbau in die Lage versetzt, seine Förderung im gleichen Zeitraum von 103 Millionen t auf 134 Millionen t zu steigern; im Vergleich dazu ist in den übrigen Ländern der Montangemeinschaft die Steinkohlenförderung im gleichen Zeitraum nur von 106 auf 115 Millionen t gestiegen, d. h. rund 30 % gegen 10 %.



Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
4. Nach dem Montanvertrag ist die Hohe Behörde auf dem Gebiete der Kohle- und Stahlpreise zuständig. Aber die Bundesregierung kann und darf sich hinter diese Verantwortung der Hohen Behörde nicht zurückziehen. Dem Kohlepreis wird nun einmal eine große Bedeutung in der Öffentlichkeit und der Wirtschaft beigemessen. Da die Verantwortung für die gesamte Wirtschaftspolitik bei der Bundesregierung liegt, hat sie daraus auch eine Verantwortung gegenüber der deutschen Öffentlichkeit, auf die Entwicklung der Kohlepreise zu achten. Eine große Anzahl von Briefen, die an mich in diesen Wochen von allen Zweigen der Wirtschaft, Handwerkern, Arbeitern und Rentnern gerichtet wurden, haben mir das noch besonders nahegebracht. Ich habe diese Dinge bei der Tagung des Ministerrats der Montanunion in Luxemburg am 8. Oktober offen ausgesprochen, und ich habe den Eindruck, daß ich damit viel Verständnis gefunden habe.
Ich darf nun zur Beantwortung der einzelnen Punkte der Großen Anfrage der SPD übergehen.
Die erste Frage lautet:
Hält die Bundesregierung die Preiserhöhung für gerechtfertigt?
Die Bundesregierung hält eine Preiserhöhung in dem am 1. Oktober vorgenommenen Ausmaß nicht für gerechtfertigt. Allerdings ist zuzugeben — das ist auch den Vertretern des Steinkohlenbergbaus von Anfang an erklärt worden —, daß gewisse Auswirkungen der auf den Bergbau zugekommenen Kostenmehrbelastungen auf den Kohlepreis anzuerkennen sind. Das gleiche hat im übrigen auch der Vorsitzende der IG Bergbau getan. Weil ich nicht davon überzeugt war, daß die zu verzeichnenden Kostensteigerungen eine so beträchtliche Erhöhung der Kohlepreise erforderlich machten, gerade deshalb habe ich mich so sehr darum bemüht, die Entscheidung über eine Preiserhöhung zunächst bis zum 1. November hinauszuschieben, um nach einer in diesem Zeitraum erfolgten Klärung des notwendigen Ausmaßes der Kohlepreiserhöhung die Durchführung in zwei Etappen, und zwar am 1. November und am 1. April nächsten Jahres, zu erreichen, wobei insbesondere konjunkturpolitische Überlegungen eine Rolle spielten. Ich bedaure, daß ich mit meinen Bemühungen keinen Erfolg gehabt habe.
Ich gebe zu, daß die in diesem Jahre für den Steinkohlenbergbau eingetretenen Kostensteigerungen erheblich waren. Im Juli und August sind die Löhne für die Übertagearbeiter und die Gehälter im Steinkohlenbergbau erhöht worden. Außerdem wurde für alle Bergarbeiter die Zahlung eines Bergmannswohnungsgeldes vereinbart. Vor allem aber haben die im vorigen Bundestag mit großer Mehrheit beschlossenen Sozialgesetze zu einer beträchtlichen Erhöhung der Arbeitskosten geführt. Dabei handelt es sich — außer um den Zuschuß zum Krankengeld auf Grund des Gesetzes über die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle — um die Erhöhung der Beiträge zur Unfallversicherung,
zur knappschaftlichen Rentenversicherung,
zur knappschaftlichen Krankenversicherung — verbunden mit einer Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze —
und zur Durchführung des Kindergeldgesetzes.
Wenn auch diese Sozialgesetze als ein Markstein des sozialen Fortschritts in der Bundesrepublik angesehen werden müssen, so darf das nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie Geld kosten, daß sie aber besonders viel Geld in einem Wirtschaftszweig kosten, der, wie der Steinkohlenbergbau, nun einmal unabänderlich in sehr hohem Maße auf die menschliche Arbeitskraft angewiesen ist. Ich möchte das ganz besonders betonen und bei dieser Gelegenheit mahnen, diese Zusammenhänge für die künftige Entwicklung immer zu berücksichtigen.
Dazu möchte ich noch ergänzend bemerken: Etwa gleichzeitig mit der Einführung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle haben sich im Steinkohleinbergbau die auf Unfall und Krankheit beruhenden Fehlschichten beachtlich erhöht. Sie stiegen im August 1957 auf 11 % im Vergleich zu 8,5 % im August des Vorjahres, und sie erhöhten sich im September 1957 sogar auf 17,3 % im Vergleich zu 8,7 % des Vorjahres. Sicherlich ist das zu einem wesentlichen Teil auf die Hitzeperiode im Juli und die Grippewelle im August/September zurückzuführen. Es ist nicht meine Aufgabe, zu prüfen, ob und wieweit der hohe Krankenstand zum Teil auch als eine ungewollte Auswirkung des Gesetzes über die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle angesehen werden muß. Aber es sollte doch ernsthaft untersucht werden, welche Zusammenhänge hier bestehen.
Im arbeitsintensiven Steinkohlenbergbau hat jedenfalls der Anstieg des Krankenstandes zunächst zu einem erheblichen Förderungsrückgang und daher zu einer fühlbaren Schwächung der Ertragskraft der Unternehmungen geführt. Die direkten Auswirkungen der Sozialgesetze werden vom Bergbau mit 1,75 DM je Tonne Absatz angegeben. Die indirekten Auswirkungen wegen erhöhten Krankenstandes wurden in der Mehrkostenrechnung auf 87 Pf je Tonne beziffert. Die Mehrbelastungen aus der Erhöhung der Löhne für Übertagearbeiter und der Gehälter sowie aus der Zahlung eines Bergmannswohnungsgeldes ergeben weitere 1,75 DM je Tonne Absatz. Der Bergbau hat jedoch auch noch andere Posten in seiner Belastungsrechnung aufgeführt, gegen die ich Einwendungen erhoben habe.
Inzwischen lassen die von der Hohen Behörde vorgenommenen Prüfungen, die aber noch nicht abgeschlossen sind, ebenfalls erkennen, daß die vom Bergbau vorgenommene Kohlepreiserhöhung nicht in vollem Umfang kostenmäßig gerechtfertigt war. Einem gestern eingetroffenen Schreiben der Hohen Behörde entnehme ich. daß nach ihrer Ansicht die Preiserhöhung um 1,50 DM/t hätte niedriger sein können. Hierüber werden noch Verhandlungen zwischen der Hohen Behörde, der Bundesregierung und dem Ruhrbergbau stattfinden.



Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard Die zweite Frage lautet:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung bereits im Juli 1957 von den bevorstehenden Preiserhöhungen unterrichtet wurde?
Im Juli dieses Jahres hat, wie dies von Zeit zu Zeit geschieht, ein Meinungsaustausch zwischen Sachverständigen des Unternehmensverbandes Ruhrbergbau und Referenten meines Ministeriums über die Kostenentwicklung im Steinkohlenbergbau stattgefunden. Die Auswirkungen der neuen Sozialgesetze und der Lohn- und Gehaltsregelungen boten hierzu den Anlaß. Dabei hat der Unternehmensverband Zahlen über die mutmaßlichen Auswirkungen dieser Faktoren auf die Kostenrechnung der Zechen genannt. Gemessen auch an früheren ähnlichen Vorgängen konnte dieser Meinungsaustausch im Juli auf Referentenebene nur als eine Art Vorbesprechung angesehen werden.
Der Unternehmensverband Ruhrbergbau hat die Bundesregierung danach mit Schreiben vom 27. Juli 1957 lediglich auf eine beabsichtigte Kohlepreiserhöhung hingewiesen,

(Zurufe von der SPD: Na also!)

ohne auf frühere Besprechungen zu verweisen und ohne Ausmaß und Zeitpunkt der beabsichtigten Preiserhöhung zu nennen. Ich darf hier hinzufügen, daß auch bei früheren Kohlepreiserhöhungen die Lohnerhöhung und die Kohlepreiserhöhung nicht zusammengefallen sind, sondern daß immer jeweils zwischen der Lohnanhebung und der Preisanhebung Besprechungen und Untersuchungen stattgefunden haben. Dieses von mir zitierte Schreiben enthält nur einen allgemeinen Hinweis, daß die Kostenmehrbelastungen, die vor allem durch die Sozialgesetzgebung entstanden seien, eine Erhöhung der Kohlepreise unumgänglich machten.
Ich darf auch hier noch hinzufügen: Sie können gar nicht überrascht sein, daß der Kohlepreis auch in diesem Jahr eine Anhebung erfahren mußte. Denn wie oft haben wir uns darüber unterhalten, daß angesichts des geringeren Produktivitätsfortschritts im Ruhrkohlenbergbau, verbunden mit der These, der Bergarbeiter unter Tag müsse an der Spitze der Lohnpyramide stehen, zwangsläufig und tendenziell eine Erhöhung der Kohlepreise notwendig ist.

(Abg. Dr. Deist: Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie taten doch so, als wenn Sie überrascht gewesen wären!)

— Ich war überrascht erstens über die Methode und zweitens über das Ausmaß! Das habe ich hier mit aller Deutlichkeit ausgesprochen.
Die zum 1. Oktober wirksam gewordene Preiserhöhung hat aber nicht nur diese Kostenfaktoren berücksichtigt, sondern darüber hinaus auch neue Auswirkungen auf die Kostenrechnung einbezogen, die sich aus den stark gestiegenen Fehlschichten und dem Absinken der Förderung ergaben. Im Juli waren diese neuen Auswirkungen überhaupt noch nicht zu übersehen.
Ferner wurde geltend gemacht, daß die inzwischen eingetretene Änderung der Marktlage es nicht mehr gestatte, die Mehrkosten auf den gesamten Absatz abzuwälzen, sondern nur noch auf den Absatz im Gemeinsamen Markt. Dadurch ergab sich erneut ein zusätzlicher Betrag, der mit der Preiserhöhung abgegolten werden sollte. Diese Angaben zeigen, daß über die Berechtigung und das Ausmaß einer Kohlenpreiserhöhung erst gegen Mitte September gesprochen werden konnte.
Die dritte Frage:
Was hat die Bundesregierung getan, um eine Preiserhöhung zu verhindern?
In meinen bisherigen Ausführungen dürfte schon genügend zum Ausdruck gekommen sein, daß die Bundesregierung unter den gegebenen Umständen und aus ihrer Gesamtverantwortung für die Wirtschaftspolitik alles in ihrer Macht Stehende getan hat, um den Ruhrbergbau in Besprechungen zu einer Begrenzung der Kohlenpreiserhöhung auf das wirklich notwendige Maß zu veranlassen. Diese Besprechungen haben die Kritik der Hohen Behörde ausgelöst, die darin einen Eingriff in ihre Zuständigkeit erblickt hat. Ich kann mir aber auch nicht versagen, darauf hinzuweisen — ich wiederhole das Gesagte —, daß Abgeordnete dieses Hauses in der Gemeinsamen Versammlung der Montanunion sich wiederholt dagegen gewandt haben, daß die Regierungen der Mitgliedstaaten in die Preisbildung für Kohle eingriffen, wobei sie auf die nach dem Vertrag bestehende Zuständigkeit der Hohen Behörde hinwiesen.
Im übrigen möchte ich hier aber auch anführen, daß die Bundesregierung seit dem vergangenen Jahr eine Reihe wichtiger Maßnahmen durchgeführt hat, die die Grenzen für Steigerungen der inländischen Kohlepreise haben deutlich werden lassen. Hier ist die Abschaffung des Heizölzolls zu nennen sowie die Verlängerung der zulässigen Kontraktfristen für die Einfuhr von US-Kohle und Heizöl.
Vierte Frage:
Trifft es zu, daß der Bundeswirtschaftsminister vor der Freigabe der Kohlepreise eine Vereinbarung mit dem Kohlenbergbau getroffen hat, nach der Preiserhöhungen nur nach vorheriger Fühlungnahme mit ihm vorgenommen werden sollten?
Ich weiß nicht, wollen Sie mich hier loben oder tadeln? In meinen Verhandlungen im Frühjahr vorigen Jahres zur Freigabe der Kohlepreise durch die Hohe Behörde wurde mir von den Vertretern des Steinkohlenbergbaues die Bereitschaft zum Ausdruck gebracht, unbeschadet der Zuständigkeit der Hohen Behörde sich vor wirtschaftspolitischen Entscheidungen mit mir abzustimmen.
Fünfte Frage:
Was hat die Bundesregierung unternommen, um eine ausreichende Kontrolle der nach der Freigabe der Preise wiedergebildeten Kartellorganisationen an der. Ruhr sicherzustellen,



Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
damit unangemessene Preisfestsetzungen verhindert werden?
Nach dem Montanunionsvertrag ist die Hohe Behörde ausschließlich zuständig, Vereinbarungen über den gemeinsamen Verkauf von Kohle zu genehmigen. Die Bundesregierung hat sich seinerzeit in Übereinstimmung mit dem Bundestag sowohl bei der Alliierten Hohen Kommission als auch später bei der Hohen Behörde der Montangemeinschaft dafür eingesetzt, daß eine Verkaufsorganisation des Ruhrbergbaus bestehenbleiben sollte. Die Hohe Behörde hat nach eingehender Prüfung und langwierigen Verhandlungen die Einrichtung von drei Ruhrkohleverkaufsgesellschaften bis zum 31. März 1959 genehmigt und ihnen gestattet, bis zu diesem Zeitpunkt durch Mehrheitsbeschluß der Gesellschafter die Preise festzusetzen. Die Hohe Behörde ging dabei davon aus, daß die Voraussetzungen des Vertrags erfüllt seien, d. h. insbesondere, daß ein in dieser Weise organisierter Verkauf zu einer merklichen Verbesserung in der Erzeugung und Verteilung der Ruhrkohle führt.
Auch die Aufsicht über die genehmigten Verkaufsgesellschaften ist ausschließlich Aufgabe der Hohen Behörde. Sie widerruft die Genehmigung oder ändert sie, wenn sie feststellt, daß infolge einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse die Vereinbarung nicht mehr den Voraussetzungen für die Genehmigung entspricht oder daß die tatsächlichen Folgen der Vereinbarung und ihrer Anwendung zu den für ihre Genehmigung erforderlichen Bedingungen in Widerspruch stehen. Die Hohe Behörde hat sich in den Genehmigungsentscheidungen ausdrücklich die Ausübung einer laufenden Kontrolle darüber vorbehalten, ob sich die Verkaufsgesellschaften im Rahmen der erteilten Genehmigungen halten. Ich habe die Hohe Behörde gebeten, die Beschlüsse der Verkaufsgesellschaften über die Preiserhöhungen zum 1. Oktober 1957 daraufhin zu überprüfen, ob sie mit den Bestimmungen des Vertrages in Einklang stehen. Die Hohe Behörde hat eine Prüfung vorgenommen. Über das Ergebnis der Prüfung werden zwischen der Hohen Behörde und der Bundesregierung Besprechungen stattfinden.
Die sechste Frage lautet:
Was hat die Bundesregierung getan, um sich eine ausreichende Kenntnis der tatsächlichen Kosten und der Ertragslage des Kohlenbergbaues zu beschaffen?
Die Bundesregierung hat sich aus ihrer gesamtwirtschaftlichen Verantwortung heraus, ohne in alle Einzelheiten der Ertragsrechnung eindringen zu können, laufend über die allgemeine Kostenentwicklung des Bergbaus informiert. Über die Notwendigkeit der vorgenommenen Preiserhöhungen haben in der zweiten Septemberhälfte und noch am Vormittag des 1. Oktobers eingehende Erörterungen mit Vertretern des Ruhrbergbaus stattgefunden.
Die siebente Frage:
Billigt die Bundesregierung, daß die Hausbrandkohle wesentlich stärker verteuert wird als die Industriekohle?
Es trifft zu, daß die Hausbrandkohle überdurchschnittlich im Preise erhöht wurde. Die Bundesregierung hat diese Differenzierung der Kohlepreiserhöhung zuungunsten der Hausbrandverbraucher nicht gebilligt. Sie hat auch die Hohe Behörde gebeten, sich dieser Frage anzunehmen. Hierzu steht das Ergebnis noch aus.
Bei einem Vergleich der Belastungen, die die Verbraucher von Hausbrandkohle einerseits und die sonstigen Kohleverbraucher andererseits treffen, wird man allerdings auch folgendes beachten müssen. Nach den von der Hohen Behörde nicht beanstandeten Lieferplänen der Ruhrkohleverkaufsgesellschaften sollen im Jahre 1957/53 für den Hausbrand 105 % der Kohlenmenge zur Verfügung gestellt werden, die im vergangenen Kohlewirtschaftsjahr geliefert worden ist. Die übrigen Verbraucher von Ruhrkohle werden dagegen höchstens 90%, wahrscheinlich noch weniger, der Kohlenmenge erhalten können, die sie im vergangenen Kohlewirtschaftsjahr bezogen haben, und darum gezwungen sein, ihren Fehlbedarf zu im Durchschnitt höheren Preisen durch ausländische Kohle zu decken.
Die achte Frage:
Welche Auswirkungen hat nach Ansicht der Bundesregierung die Kohlepreiserhöhung auf das gesamte Preisniveau?
Obwohl dem Kohlepreis zweifellos eine besondere volkswirtschaftliche Bedeutung zukommt, darf jedoch die kostenmäßige Auswirkung einer Kohlepreiserhöhung auch nicht überbewertet werden. Die Mehraufwendungen, die damit auf die privaten Haushaltungen und die kohleverbrauchende Wirtschaft zukommen, sind zwar bedauerlich; aber man sollte sie auch nicht über Gebühr dramatisieren. Wenn ich Ihnen beispielsweise sage, daß die Kohlepreiserhöhung, auf den Durchschnitt der gesamten Industrie bezogen, nur 15,5 Pf je 100 Mark Umsatzwert ausmacht, so vermittelt diese Angabe — bei allem Vorbehalt gegen solche Globalziffern — doch eine ungefähre Vorstellung über die unmittelbaren kostenmäßigen Auswirkungen im Bereich der kohleverbrauchenden Industrie.
Nicht unterschätzt werden dürfen jedoch die mittelbaren Auswirkungen. Zunächst gehen die vergleichsweise geringfügigen Belastungen der kohleverbrauchenden Industrie, falls sie über die verschiedenen Verarbeitungsstufen kumulativ abgewälzt werden, schließlich auch zu Lasten der breiten Masse der Endverbraucher. Hierzu kommen mittelbare Auswirkungen für alle Abnehmergruppen, die sich dadurch ergeben, daß unter Umständen die Preise der aus Kohle gewonnenen Sekundärenergien Gas und Strom in gewissem Umfang ebenfalls angehoben werden. Die Bundesregierung hat sich sehr darum bemüht, diese Sekundärwirkungen so gering wie möglich zu halten. Sie hat deswegen Besprechungen mit bedeutenden Unterneh-



Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
men der Elektrizitäts- und Gaswirtschaft geführt und diese veranlaßt, von den Möglichkeiten der Preiserhöhungen, die durch die Kohlepreisgleitklauseln in Sonderabnehmerverträgen gegeben sind, entweder überhaupt nicht oder nur in sehr beschränktem Maße Gebrauch zu machen. Ferner hat die Bundesregierung die Preisbehörden der Länder dringend gebeten, Anträge auf Erhöhung der Gas- und Stromtarife sehr sorgfältig zu prüfen. Bei Anträgen auf Gastariferhöhung sollte insbesondere berücksichtigt werden, daß die überdurchschnittliche Anhebung der Kokspreise zu einer Verbesserung der Ertragslage der Gaswerke führt, wodurch die höheren Kohleeinsatzkosten weitgehend ausgeglichen werden. Die kostenmäßigen Auswirkungen der Kohlepreiserhöhung dürften also keine ausreichende Begründung für eine allgemeine Anhebung der Preise für die Produkte der weiterverarbeitenden Industrie geben.
Wenn sich die Bundesregierung trotzdem so intensiv des Problems der Kohlepreise angenommen hat, so auch deshalb, weil dem Kohlepreis immer wieder in fast übertriebener Weise der Charakter eines Barometers für die allgemeine Preisentwicklung beigemessen wird. So muß die Bundesregierung befürchten, daß von der Kohlepreiserhöhung Auswirkungen psychologischer Art auf die Wirtschaft ausgehen. Sie appelliert deshalb noch einmal sehr nachdrücklich an die verarbeitende Industrie, sich von dem Gedanken zu lösen, daß die Entwicklung der Kohlepreise ein Indikator der allgemeinen Preisentwicklung ist. Die verarbeitende Industrie soll es aus dem Gefühl der gesamtwirtschaftlichen Verantwortung heraus als ihre vordringlichste Aufgabe ansehen, die Kohlepreiserhöhung innerbetrieblich aufzufangen.
Ich möchte mich indessen nicht allein auf die Beantwortung der hier gestellten Fragen beschränken. Die Frage nach der volkswirtschaftlichen Berechtigung der Kohlepreiserhöhung kann weder durch eine Nachprüfung der Kostensteigerung im Bergbau noch allein aus der konjunkturpolitischen Situation heraus befriedigend beantwortet werden. Es geht darum, die energiepolitische Situation und ihre Entwicklungstendenzen zu erkennen, aus denen sich die kohlepolitischen Probleme des Steinkohlenbergbaus ergeben.
Auf unserer heutigen Stufe der Wirtschaftsentwicklung hängt der wirtschaftliche Fortschritt, die Stabilität der Konjunktur und die Verbesserung der Lebenshaltung unserer Bevölkerung ganz allgemein von der Steigerung der Produktivität ab. Hier zeigt sich aber deutlich, daß für die Erhöhung insbesondere der Arbeitsproduktivität eine ausreichende Versorgung mit möglichst billigerer Energie immer stärkere Bedeutung erlangt. Es wird mir auch niemand bestreiten, daß die Behauptung unserer Stellung am Weltmarkt nicht zuletzt niedrige Energiekosten voraussetzt.
Die Sicherung einer möglichst wirtschaftlichen Energieversorgung gehört darum zu den wichtigsten Anliegen der Bundesregierung. Der Energiekreis des Bundesministeriums für Wirtschaft, in welchem das Bundesministerium für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft mitwirkt und dem maßgebliche Vertreter der einzelneniZweige der Energiewirtschaft und der IG Bergbau angehören, hat sich seit Beginn des Jahres 1956, also seit nunmehr fast zwei Jahren, eingehend der damit zusammenhängenden Fragen angenommen und wird dies auch weiterhin tun.
Die Entwicklung auf dem Energiegebiet unterliegt seit wenigen Jahren einem tiefgreifenden Strukturwandel. In der Zusammensetzung des Energieangebots und der Energienachfrage zeichnen sich langfristige Veränderungen und Verlagerungen in einem Umfang ab, wie wir sie in den vergangenen Jahrzehnten niemals gekannt haben. Die Kohle aus den Vereinigten Staaten und das Öl haben in den letzten Jahren wie überall in Europa so auch in der Bundesrepublik dank ihrer Fähigkeit, sich einem rasch wachsenden Energiebedarf besonders gut und beweglich anzupassen, stark an Boden gewonnen. Auf dem Energiegebiet ist deshalb auch in Zukunft mit der Tendenz eines allmählich ansteigenden Einfuhrüberschusses zu rechnen, was jedoch in den vorausschätzbaren Größenordnungen insgesamt kaum störend auf unsere Zahlungsbilanz wirken kann. Die Ausdehnung der inländischen Energieerzeugung, die aus Gründen der Sicherung der Versorgung von Bedeutung ist, wird dort ihre Grenze finden, wo wirtschaftliche und preisgünstige Einfuhren möglich sind.
Die Entwicklung der Energieeinfuhren macht andererseits deutlich, daß der inländische Steinkohlenbergbau eine ernstzunehmende und bleibende Konkurrenz erhalten hat. Die von uns geförderte Konkurrenz der Energieträger untereinander wird auf die Dauer zu einer besseren und wirtschaftlicheren Energieversorgung führen.
Wenn ich mir die Entwicklung und den Stand unserer heutigen Energieversorgung ansehe, so glaube ich sagen au können, daß die Bundesregierung mit ihren abgewogenen und die zukünftige Entwicklung einbeziehenden Maßnahmen sehr wohl bestehen kann. Viel stärker als in den anderen Wirtschaftsbereichen müssen in der heutigen Energiewirtschaft die langfristigen Dispositionen bei den einzelnen Energieträgern beobachtet werden. Neben den erfreulicherweise umfangreichen Investitionsvorhaben beim inländischen Steinkohlenbergbau existieren weitreichende Programme der Mineralölwirtschaft, die schon in der allernächsten Zeit zu einer erheblichen Erweiterung der Raffineriekapazitäten im Bundesgebiet mit wesentlich vergrößertem Heizölausstoß führen werden. Von den Importeuren sind für die kommenden Jahre langfristige Kontrakte über die Einfuhr erheblicher Mengen amerikanischer Kohle geschlossen worden. Schließlich müssen wir uns heute bereits mit dem Gedanken vertraut machen, daß auch die Atomenergie in absehbarer Zeit eine wirtschaftliche Energiequelle sein wird. Der Steinkohlenbergbau wird es bei dieser unvermeidlich zunehmenden Konkurrenz anderer Energieträger in Zukunft nicht leicht haben. Der Anteil der Arbeits- und Sozialkosten an den Gesamtkosten beträgt im Ruhrbergbau 55 bis 60 % und kann infolge der geologischen



Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard Abbaubedingungen nicht wesentlich verringert werden. Die Arbeit der Bergleute ist schwerer und gefährlicher als in fast allen Wirtschaftszweigen.
Die Produktivität des Bergbaus nimmt nicht so rasch zu wie diejenige anderer Wirtschaftszweige. Wenn aber von diesen anderen von Natur aus mehr begünstigten Zweigen der Wirtschaft Lohnbewegungen ausgehen, dann müssen dem die Lohnbedingungen im Steinkohlenbergbau angepaßt werden, um hier eine ausreichende Belegschaft zu sichern. Das gleiche gilt auch für die Arbeitsbedingungen. Diese Zusammenhänge müssen klar erkannt werden. Andere Energieträger dürften sich in einer besseren Lage befinden.
Damit mag einigermaßen deutlich werden, daß der heimische Steinkohlenbergbau in den kommenden Jahren vor großen und. schwierigen Anpassungsaufgaben steht. Zu ihrer Lösung wird es aller unternehmerischen Initiative und aller Weitsicht auf seiten der Zechengesellschaften sowie der IG Bergbau bedürfen. Die Bundesregierung wird diese Entwicklung mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgen und das Ihrige dazu tun.
Nun muß ich Ihnen sagen, daß die letzten Kohlepreisgespräche mit den Vorständen der Zechengesellschaften des Ruhrbergbaus bei mir den Eindruck hinterließen, daß die Kosten- und Preispolitik im Ruhrbergbau von einer recht starren Grundlage getragen ist.

(Hört! Hört! in der Mitte.)

Ich habe einige Sorge wegen der im Ruhrkohlenbergbau angewendeten Durchschnittskostenrechnung. In dieser Rechnung gehen nämlich die unwirtschaftlichen Zechen mit ihren schlechten Zahlen voll ein, auch dann, wenn sie ihre Förderung ganz oder zum großen Teil an blühende und ertragsstarke Werkselbstverbraucher liefern. Dies führt zu Durchschnittspreisen, die für alle Beteiligten auf längere Sicht aus Marktgründen recht problematisch sein können.
Auch bin ich der Ansicht, daß es in den kommenden Jahren sehr darauf ankommen wird, den Zusammenschluß kleinerer und schwächerer Zechengesellschaften untereinander oder in Verbindung mit größeren Gesellschaften auf privatwirtschaftlicher Ebene zu fördern. Auf diese Weise wird eine fortschreitende Bereinigung des Problems der Grenzzechen auf lange Sicht und damit eine verbesserte Anpassung des Steinkohlenbergbaus im Wettbewerb mit anderTen Energieträgern erreicht werden können.
Die Gestaltung der Investitionen wird immer wieder die zentrale Frage für den Steinkohlenbergbau sein. Die Bundesregierung begrüßt es, wenn eine rege Investitionstätigkeit im Steinkohlenbergbau vorherrscht und wenn möglichst viel inländische Kohle gefördert wird. Bundestag und Bundesregierung haben dazu gute Voraussetzungen geschaffen. Nach unserer Meinung werden wir auch in aller Zukunft die deutsche Kohle brauchen. Unsere langfristigen Überlegungen zur Entwicklung des Energiebedarfs und der Energiebedarfsdeckung sind in der Bundestagsdrucksache 3665, die dem 2. Deutschen Bundestag vorgelegt worden ist, niedergelegt; sie werden in ständiger Arbeit ergänzt und gegenwartsnah gehalten werden.
Einen energiewirtschaftlichen Protektionismus und eine zunehmende Subventionswirtschaft im Steinkohlenbergbau werden wir uns einfach nicht leisten können. Herr Dr. Deist allerdings hat in einer Pressemitteilung der SPD-Fraktion vom 19. August 1957 erklärt, daß öffentliche Mittel und andere öffentliche Stützungsmaßnahmen in großem Umfange für eine erforderliche große Kapizitätsausweitung im Steinkohlenbergbau notwendig seien. Die Befolgung dieses Vorschlags würde jedoch bedeuten, durch in die Milliarden gehende öffentliche Subventionen des Staates, die aber letztlich natürlich vom Steuerzahler aufgebracht werden müssen, Investitionsentscheidungen im Steinkohlenbergbau von der realen wirtschaftlichen Grundlage loszulösen.
Demgegenüber wünscht die Bundesregierung einen wirtschaftlich gesunden Steinkohlenbergbau, der sich auf der Grundlage eines freien und selbstverantwortlichen Unternehmertums im Energiewettbewerb bewährt. Darin liegen auch die echte Sicherung des Steinkohlenbergbaus und die Arbeitsplatzsicherung des Bergmanns. Die Bundesregierung ist bestrebt, zur Erreichung dieses Ziels nach Kräften beizutragen, indem sie den Wettbewerb fördert und Anpassungsvorgänge erleichtert.
Das Bundeswirtschaftsministerium ist bemüht, eine Angleichung der unterschiedlichen Bahnfrachttarife für Ruhrkohle und Kohle aus Ländern außerhalb der Montanunion vorzunehmen. Diese Angleichung der Bahnfrachttarife verdient unter energiepolitischen Gesichtspunkten und wegen ihrer Breitenwirkung als Sofortmaßnahme den Vorzug. Sie wird die Konkurrenzfähigkeit der Kohle aus Ländern außerhalb der Montanunion in weiten Gebieten fördern und damit in wünschenswerter Weise zur weiteren Auflockerung des Energiemarktes beitragen.
In diesem Zusammenhang hat die Bundesregierung die Empfehlung des 2. Deutschen Bundestags, die Umsatzausgleichsteuer für Einfuhrkohle wegfallen zu lassen, geprüft. Die Hohe Behörde hat ihrerseits gegen die Verwirklichung dieses Plans rechtliche Einwendungen erhoben, die vom Deutschen Bundestag seinerzeit noch nicht berücksichtigt werden konnten. Zur Zeit werden noch Besprechungen mit der Hohen Behörde über diese Frage geführt mit dem Ziele, diese Maßnahme bald zu verwirklichen.
Beim Heizöl ist in den allerletzten Wochen eine laufende und schließlich recht scharfe Abwärtsentwicklung der Preise eingetreten. Infolgedessen hat in weiten Teilen des Bundesgebiets das Heizöl augenblicklich die volle Wettbewerbsfähigkeit mit der heimischen Steinkohle erlangt. Da noch nicht zu übersehen ist, wie weit vorübergehende oder dauerhafte Faktoren einen Druck auf die Heizölpreise ausgeübt haben, und nicht vorausgesehen werden kann, wann und in welcher Höhe sich wieder ein



Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard dauerhaftes Preisniveau für Heizöl einspielt, erscheint mir der gegenwärtige Zeitpunkt nicht geeignet für eine Entscheidung, ob die Umsatzausgleichsteuer für Heizöl beseitigt werden soll.
Abschließend möchte ich noch einige Worte zur Atomenergie sagen. Wir müssen damit rechnen, daß diese neue Energiequelle auf längere Sicht eine nachhaltige Beeinflussung des künftigen Energiepreisniveaus mit sich bringen wird. Mit ihr entsteht ein neuer Faktor, der eine elastische, auf das Ziel größter Wirtschaftlichkeit gerichtete Energiepolitik ermöglicht. Dies gilt um so mehr, als die Atomenergie praktisch als heimische Energiequelle angesehen werden kann. Es wird eine wichtige energiepolitische Aufgabe sein, die Entwicklung und den Einsatz der Kernenergie durch ausreichende und rasch wirkende Starthilfen zu fördern. Nur dadurch kann eine breite Entfaltung der Privatinitiative auf dem heute noch mit überdurchschnittlichen Risiken belasteten Atomgebiet ermöglicht werden.
Meine Damen und Herren, es ging mir darum, mit meinen energiepolitischen Ausführungen klarzumachen, daß wir uns auf dem Energiegebiet in seiner Gesamtheit heute einer gewandelten Situation gegenübersehen. Die zu erwartenden Veränderungen und Verlagerungen werden vom Steinkohlenbergbau eine hohe Anpassungsfähigkeit fordern. Die vor uns liegenden Aufgaben des Steinkohlenbergbaus sollten in enger Zusammenarbeit zwischen Hoher Behörde, Bundesregierung, Bergwerksgesellschaften und IG Bergbau gelöst werden. Auf diese Weise wird es möglich sein, gemeinsam Mittel und Wege zur Erhaltung und zum Ausbau eines gesunden Steinkohlenbergbaus auch weiterhin zu finden, zum Besten unserer gesamten Wirtschaft.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0300500800
Die Große Anfrage ist beantwortet. Ich frage an, ob eine Besprechung gewünscht wird. — Das ist der Fall. Der Antrag ist genügend unterstützt.
Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Achenbach.

Dr. Ernst Achenbach (FDP):
Rede ID: ID0300500900
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf an den Anfang meiner Ausführungen ein Wort stellen, für das ich allerdings nicht die geistige Urheberschaft in Anspruch nehme, nämlich das Wort: „Meine Damen und Herren, die Lage war noch nie so ernst wie heute."

(Heiterkeit.)

Dieses Wort, das der Herr Bundeskanzler

(Zuruf von der SPD: Plagiat!)

in der Vergangenheit sehr häufig gebraucht hat,

(Abg. Mellies: In der Gegenwart auch!)

obwohl es nach unserer Meinung nicht immer gestimmt hat, dieses Wort ist heute richtig. Wenn Sie die Weltpresse verfolgen und die Nachrichten lesen, dann könnte man die Lage durch das Wort charakterisieren: Der Preisspiegel steigt und der Vernunftspiegel fällt.
Ich hatte den Eindruck, daß der Vernunftspiegel auch bei den für mein Gefühl überflüssigen Polemiken um die Kohlepreiserhöhung ein bißchen gefallen ist. Ich muß aber dem Herrn Bundeswirtschaftsminister sagen, daß er heute im Ton schon recht erheblich zurückgesteckt hat, und ich beglückwünsche ihn dazu.

(Abg. Wehner: Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben! —Heiterkeit bei der SPD.)

Es ist natürlich richtig: die Bundesregierung hat bereits im Juli gewußt, daß infolge der neuen Sozialgesetze, die sie vorgelegt hat und die hier angenommen worden sind, eine Preiserhöhung auf uns zukam. Nun wird der Herr Bundeswirtschaftsminister sicherlich nicht zugestehen wollen, daß sein Ministerium weniger schnell als die Ruhrkohlegesellschaften arbeitet, so daß er also doch wissen mußte, in welchem Umfang eine Kohlepreiserhöhung notwendig werden würde.
Daß nun diese Erhöhung erst nach den Wahlen kam, wird wohl, meine ich, seine Gründe haben.

(Lachen bei der SPD.)

Ich glaube, weder dem Herrn Bundeswirtschaftsminister noch dem Kohlenbergbau ist der Vorwurf zu ersparen, daß sie die notwendige Preisdiskussion aus außerwirtschaftlichen Gründen bis nach den Wahlen hinausgezögert haben. Ich möchte sagen
— ohne nun besonders bösartig werden zu wollen —, daß diese Verschiebung der notwendigen Preisdiskussionen, wie sie auch auf ,anderen Gebieten des öffentlichen Lebens auf uns zukommen
— und zwar letzten Endes deshalb, weil der Sozialstaat nun einmal teuer ist —, doch wohl als eine Irreführung der Wähler bezeichnet werden muß.

(Zuruf von der SPD: Das kann man wohl sagen!)

Auf der anderen Seite möchte ich aber gerade einen bestimmten Punkt in der Anfrage der Sozialdemokratischen Partei herausgreifen. Ich halte es nun wirklich für abwegig, daß Sie fragen, was die Bundesregierung getan hat, um die angeblich wiedererstandenen Kartellorganisationen an der Ruhr zu kontrollieren. Sie kennen den Montanunionsvertrag genau wie wir. Wir wissen, daß nach diesem Vertrag die Hohe Behörde — und sie tut es auch effektiv — eine Kontrolle über den Ruhrbergbau ausübt. Sie wissen, daß nach Artikel 61 des Vertrags die Hohe Behörde in der Lage ist, Höchstpreise anzuordnen, falls wirklich unangemessene Preisfestsetzungen vorkommen.
Infolgedessen meine ich, daß die Fragestellung in diesem Punkt einer gewissen Sachlichkeit entbehrt, wie ich ja auch den Eindruck hatte, daß die Begründung, die der Sprecher Ihrer Partei, meine verehrten Kollegen von der Sozialdemokratie, dieser Anfrage gegeben hat, nicht frei von einer gewissen Polemik war.

(Abg. Wehner: Ein Eiertanz, Herr Achenbach!)

Sie wissen, wir haben in unserer Wahlpropaganda

(Abg. Wehner: Auf Sie kommt's an!)




Dr. Achenbach
von der Notwendigkeit einer gemeinsamen Außenpolitik gesprochen. Hier ist wirklich die Notwendigkeit einer gemeinsamen Kohlepolitik gegeben, die wir von Polemik frei halten sollten. Verehrter Herr Kollege Deist, Sie kennen ja auch die Meinung der IG Bergbau. Sie wissen, daß die Meinungen an der Ruhr gar nicht sehr verschieden voneinander sind. Sie wissen, daß gewisse Erhöhungen notwendig sind. Wir haben vom Herrn Bundeswirtschaftsminister gehört, daß der Kohlebergbau in der Tat nicht derartige Margen einer Produktivitätssteigerung wie andere Wirtschaftszweige hat. Nun, bei dieser Sachlage sollte es doch möglich sein, Herr Bundeswirtschaftsminister, sich in ruhiger und vernünftiger Form, wie Sie es ja — und ich begrüße das — am Schluß gesagt haben, um einen runden Tisch in Essen erneut zusammenzusetzen. Statt von einem neuen „Kohlenkrieg" zu sprechen, wie Sie es in Ihrem letzten Interview in der „Rheinischen Post" getan haben, empfehle ich Ihnen, sich mit den Vertretern der Hohen Behörde, mit der IG Bergbau und mit den Zechengesellschaften zusammenzusetzen. Ich bin überzeugt, daß bei einem guten Bergmannsschnaps vernünftige Lösungen gefunden werden. Das ist jedenfalls der Eindruck, den ich aus meinen Gesprächen in allen Kreisen des Ruhrgebiets gewonnen habe.
Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie erlauben mir vielleicht diese Bemerkung — Sie stammen ja nicht da her, ich aber wohl —: In Westfalen gilt nun einmal der alte Satz: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es wieder heraus! Es fällt Ihnen und dem Bergbau kein Zacken aus der Krone, wenn Sie mal wieder nett miteinander sind.
Ich möchte für die IG Bergbau ebenso wie für den Unternehmensverband sagen: Sie können beiden nicht einen Mangel an Verantwortung gegenüber dem Gemeinwohl vorwerfen; das haben beide in der Vergangenheit bewiesen. Man sollte auch nicht, weil die Entwicklung nach der Wahl Ihren sicherlich etwas dick aufgetragenen Wahlversprechungen nicht entsprochen hat, den Ruhrbergbau zum Sündenbock machen. Ich würde das für psychologisch falsch halten. Im übrigen schließe ich mich Ihrem Appell an die übrige Industrie an, nun nicht mit der Erhöhung des Kohlepreises überall anschließende Preiserhöhungen zu motivieren.
Ich darf noch einmal an die Vernunft appellieren. Ich bin überzeugt, daß, wenn sich alle Beteiligten zusammensetzen, ein vernünftiges Ergebnis dabei herauskommt.
Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben zum Schluß das Gemeinwohl in den Vordergrund gestellt. Dazu ist aber nötig, daß das unerläßliche Vertrauensverhältnis zwischen Ihnen und dem Ruhrbergbau nicht durch irgendwelche Gereiztheiten oder durch polemische Darstellungen von Tatbeständen getrübt wird.
Sie haben ausgeführt, daß der Kohle von Hause aus demnächst ein Wettbewerb erwachsen wird. Das ist richtig. Nun glaube ich aber, daß es vielleicht gar nicht notwendig sein wird, diesen Wettbewerb extravagant zu fördern. Ich bitte daher um eine ganz sorgfältige Prüfung, damit sichergestellt ist, daß gewisse Maßnahmen nicht auf eine Gereiztheit zurückgehen, sondern auf ganz ruhige und sachliche Überlegungen. Herr Bundeswirtschaftsminister, wir dürfen angesichts des Ernstes der internationalen Lage und angesichts der Tatsache, daß in der Welt Entwicklungen eintreten können, auf die die Bundesrepublik keinen unmittelbaren Einfluß hat, nicht vergessen, was wir an diesem nationalen Reichtum an der Ruhr haben. Hier müssen, glaube ich, gewisse Gesichtspunkte außerwirtschaftlicher Natur berücksichtigt werden. Sie haben ja dadurch, daß sicherlich seitens des Herrn Bundeskanzlers, ich glaube, auch seitens Ihres Herrn Staatssekretärs, der Wunsch zum Ausdruck gebracht wurde, die Kohlepreiserhöhung nach Möglichkeit nicht vor den Wahlen geschehen zu lassen, bewiesen, daß Sie ein gewisses Verständnis dafür haben, daß auch wirtschaftliche Dinge nicht allein im Raum stehen, sondern in den Rahmen der allgemeinen Politik gehören. Bei dieser Situation werden Sie sicher Verständnis dafür haben, daß darauf geachtet werden muß, daß der Ruhrbergbau sich weiter gut entwickelt.
Ich hatte die Absicht, Sie zu fragen, Herr Bundeswirtschaftsminister, ob Sie noch zu den Erklärungen stehen, die Sie in der Drucksache 3665 aus der 2. Wahlperiode des Bundestages unter dem 24. Juni 1957 dem Bundestag zugeleitet haben. Ihren Ausführungen habe ich entnommen, daß Sie noch dazu stehen. Auch die FDP bekennt sich zu den Grundsätzen, die dort niedergelegt sind. Nach unserer Meinung kann ein sorgsamer Hausvater aus allgemeinen politischen Gründen nicht damit rechnen., daß in der Welt alles so ruhig und nett bleibt, wie es in der Vergangenheit war. Daher muß neben einer gesunden Landwirtschaft unter allen Umständen ein gesunder Bergbau erhalten werden.
Deshalb, meine Damen und Herren: Verzichten wir doch bitte allseitig auf Polemik! Über gewisse Dinge sind wir uns ja alle einig. Es ist nun einmal so, daß der Bergmann den höchsten Lohn haben muß; denn wenn er ihn nicht hat, finden sich nicht genug Leute, die ins Bergwerk einfahren. Ich habe mich persönlich von der Schwere der Arbeit des Bergmanns überzeugen können, als ich als Kriegsgefangener in einem Kattowitzer Kohlenpütt arbeiten mußte. Diese Gegebenheiten sind uns allen geläufig; und da sie uns allen geläufig sind, sollten wir nicht den Kohlenbergbau zum Sündenbock machen. Sie haben zwar — ich habe Verständnis dafür, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß Sie von Ihrem Standpunkt nicht gleich herunterklettern können — daran festgehalten, die Kohlenpreiserhöhung sei ungerechtfertigt; aber Sie haben doch so viele Einschränkungen gemacht, daß ich der Meinung bin, Sie werden in absehbarer Zeit wieder ein vernünftiges Verhältnis zum Kohlenbergbau finden.
In diesem Sinne darf ich meine Ausführungen beschließen, meine Damen und Herren, und Ihnen, Herr Bundeswirtschaftsminister, ein herzliches Glückauf von der Ruhr zurufen.

(Beifall bei der FDP.)





Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0300501000
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Preusker.

Dr. Victor-Emanuel Preusker (CDU):
Rede ID: ID0300501100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist von verschiedenen Schreibern und Rednern in den letzten Wochen immer wieder darauf hingewiesen worden, daß unsere Kohlensituation wirklich nicht gerade das Musterbeispiel des deutschen Wirtschaftsaufschwungs sein kann. Denn während wir auf den anderen Gebieten inzwischen eine Produktionssteigerung auf weit über 230 % des Standes von 1936 oder 1938 erreicht haben, liegen wir mit der Kohlenförderung in Westdeutschland noch heute um genau 2 Millionen Tonnen unter der damaligen Leistung. Wir erlebten — darauf hat Professor Erhard schon hingewiesen — von 1950 bis jetzt nur eine Steigerung um rund 24 Millionen Tonnen auf 134 Millionen Tonnen, und in diesem Jahr liegen wir infolge der Arbeitszeitverkürzung sogar unter den Förderziffern des Vorjahrs. Seit Mai dieses Jahres — ich glaube, das muß man wohl als einen Einschnitt in unserer ganzen Entwicklung feststellen — haben wir eine wahrscheinlich für lange Zeit endgültig passive Kohlenbilanz in Deutschland bekommen. In diesem Jahr haben wir bereits bis zum September 11,8 Millionen Tonnen amerikanische Kohle eingeführt, mehr als im ganzen Jahre 1956.
Wenn wir diesen wirklich nicht überaus befriedigenden Hintergrund dieser Kohlenpreisdebatte noch zu all dem hinzunehmen, was hier bereits gesagt worden ist, dann ist es, glaube ich, zweckmäßig, doch einmal zu überlegen, wer denn die ganze Misere, mit der sich das Hohe Haus heute befaßt, eigentlich zu verantworten hat. Ist das der Kohlenbergbau? Ist es die Bundesregierung? Oder wer ist es sonst?
Gestatten Sie mir dazu einige Bemerkungen grundsätzlicher Art. Wir haben in den letzten Jahren viele Gelegenheiten verpaßt, gewisse Schwächen unserer wirtschaftlichen Organisation und unseres Aufbaues zu beseitigen. Der heutige Anlaß könnte einer der Wendepunkte sein, indem nun wirklich aus den verpaßten endlich einmal die erfaßte Gelegenheit wird.
Das, was ich hier sagen will, ist folgendes. Wir haben uns seit Jahrzehnten daran gewöhnt, den Preis für die Kohle, die Nahrungsmittel, die Wohnung und die Verkehrsleistungen nicht mehr als eine in erster Linie wirtschaftliche Gegebenheit, sondern als eine in erster Linie politische Angelegenheit zu betrachten. Meine Damen und Herren, dazu gehört wohl nicht viel, wenn Ich gerade in diesem Hause ausspreche, daß zwischen der wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeit von Produktionsfaktoren, Angebot und Nachfrage und politischen Überlegungen sehr häufig eine ganz erhebliche Lücke klafft. Das ist insbesondere in unserer Grundstoffwirtschaft, bei der Kohle, bei den Nahrungsmitteln, auf dem Sektor des Wohnungsbaus oder beim Verkehr immer wieder der Fall gewesen, mit dem Ergebnis, daß wir im Grunde genommen seit Jahrzehnten auf allen diesen Gebieten viel zu niedrige Erlöse für die betroffenen Wirtschaftszweige zu verzeichnen hatten. Diese viel zu niedrigen Erlöse sind natürlich nicht nur den Verbrauchern, also auch dem letzten Konsumenten, in gewisser Weise zugute gekommen, sondern sie haben genauso den übrigen Bereichen der Wirtschaft günstigere Lohn-, Finanzierungs- und Investitionsbedingungen ermöglicht, als sie sie gehabt hätten, wenn man für die Kohle, die Ernährung, die Wohnung und die Bauleistungen sowie für die gesamten Verkehrsleistungen das hätte aufwenden müssen, was der Kohlebergbau und die anderen Wirtschaftsbereiche eigentlich hätten verlangen müssen.
Ich glaube, das muß einmal mit aller Deutlichkeit ausgesprochen werden, weil es eine der entscheidenden Ursachen für den circulus vitiosus, für diesen verhängnisvollen Kreislauf, diese sogenannte Spirale ohne Ende, die wir dauernd erleben, aufzeigt.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Konnten dann die anderen Wirtschaftsbereiche, weil sie auf Kosten des Bergmanns, des Bauarbeiters, des Landmanns, des Eisenbahners viel günstigere Entwicklungen hatten, höhere Löhne zahlen, dann sind natürlich der Bergmann, die Landwirtschaft, die Bauwirtschaft, der Eisenbahner gekommen und haben gesagt: Jetzt laufen uns hier die Arbeitskräfte weg. Wir werden überlastet. Wir müssen wieder an die Spitze der Lohnskala, wohin wir wegen der Gefährlichkeit und der Schwere unserer Arbeit gehören! In den Preisen sollte das nicht zum Ausdruck kommen. Nächste Forderung: Vater Staat, bitte zahle du in irgendeiner Form die Differenz! So haben wir vorhin vom Wirtschaftsminister gehört, was allein in den Jahren seit 1949 auf diesem Gebiet geschehen ist: 1 Milliarde Steuerleistungen in Form der Abschreibung nach § 36, 400 Millionen für die Übernahme von Knappschaftsversicherungen, Bergarbeiterprämien, ab 1956 wieder die Vergünstigung in der Abschreibung für die Untertageanlagen. Sie können das beliebig erweitern. Nehmen Sie den Wohnungsbau mit inzwischen 3 Milliarden öffentlichen Mitteln, die jährlich zur Verfügung gestellt werden. Nehmen Sie die Landwirtschaft mit dem Grünen Plan und seinen ganzen Aufwendungen. Denken Sie an die Übernahme des Defizits der Bundesbahn. Sie kommen im Nu in Milliardengrößen hinein. Ja, die muß schließlich jemand zahlen. Wer ist denn der Staat? Der Staat sind doch im letzten die Steuerzahler,

(Abg. Frau Kalinke: Sehr wahr!)

und der Steuerzahler bringt das, was man um des Augenpulvers willen zunächst einmal am Preis der Kohle, der Milch oder des Brotes, der Wohnung oder der Wochenkarte einbehält, indirekt über die Umsatzsteuer bei jedem Produkt und über die Lohn- und Einkommensteuer wieder auf.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Und nicht nur das, sondern wenn nun dieser „soziale" Staat Gelder braucht, um diese Subventionen zu zahlen, dann pflegt er sie bei den Steuern dem kleinen Mann nicht sichtbar, in Gestalt der Steuern, aufzuerlegen, sondern er bürdet sie der



Dr. Preusker
Wirtschaft in dieser oder jener Form auf; denn dann - so sagt man sich — merkt es keiner, und dann trifft es nur die, die es bezahlen können. Auch das ist ein Versteckspielen mit der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit sieht auch hier anders aus. Die Wirtschaft gibt die ihr auferlegten höheren staatlichen Lasten in Form höherer Preise an den Markt weiter. Da treffen sie wieder mit Sicherheit nicht diejenigen, die sie eigentlich tragen können oder die es treffen soll, sondern wahrscheinlich in unsozialster Weise ganz andere Bereiche. Die höheren Preise lösen wieder höhere Lohnforderungen aus, die höheren Lohnforderungen führen zu weiteren Lohnsteigerungen, weil sonst die Bergarbeiter weglaufen, usw. Und dann geht das Ganze mit einer neuen Drehung der Schraube wieder von vorn los.
Meine Damen und Herren, mit diesem Kernübel muß man sich endlich einmal befassen. Man hat sich bisher immer eingebildet, man könne alle diese Dinge vernebeln. Damit muß man einmal Schluß machen. Das, was man hier jahrzehntelang getan hat, ist im Grunde genommen kein mutiges Handeln gewesen, sondern ein feiges Heucheln.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Demgegenüber möchten wir nun den klaren Antrag stellen, alles das, was durch die politische Preisbildung in Unordnung geraten ist und was weiterhin in Unordnung gerät, wenn man es auf dem Wege über Subventionen und Hilfen und staatliche Einschaltung hintenherum bewerkstelligen will, einzuordnen und neu zu ordnen im Rahmen eines Programms der sozialen Stabilisierung, ich möchte sagen: einer Art wirtschaftlichen Kriegsfolgen- und Kriegssünden-Schlußgesetzes. Das würde bedeuten, daß wir uns mit der Bundesregierung dazu bereitfinden müssen, eine Finanz- und Steuerreform aus einem Guß zu schaffen, die zunächst in einem Drei-Stufen-Plan, einer Drei-Jahres-Stufe, die offenen und versteckten Subventionen in ihrer Gesamtheit abbaut und schließlich beseitigt, und daß wir zweitens alle bisher über die ordentlichen Haushalte gehenden, d. h. aus den laufenden Steuereinnahmen finanzierten wirtschaftlichen Investitionen, Darlehen und Hilfen in die außerordentlichen Haushalte verlegen, soweit sie keine Subventionen, sondern reguläre Darlehensgewährungen sind. Durch den Abbau der Subventionen und Zuschüsse und durch die genannte Verlagerung in die außerordentlichen Haushalte, d. h. auf den Kapitalmarkt wird sich dann genügend Spielraum für ausreichende Steuervereinfachungen, Sparanreize und für den Aufbau eines echten und von der privaten Sphäre getragenen Kapitalmarktes ergeben.
Parallel dazu muß dann in der gleichen Stufenentwicklung auf dem Sektor des Kohlenbergbaus, der Landwirtschaft, des Wohnungsbaus und des Verkehrs die Überleitung in die volle markt- und wettbewerbswirtschaftliche Verantwortung erfolgen, muß weiter neben der stärkeren Verantwortung der Bundesbank auf dem Gebiet der Diskont- und Kreditpolitik im Sinne der Preisregulierung auch der Sinn für die Verantwortung der Sozialpartner beim Abschluß der Lohn- und Tarifabkommen geweckt werden, damit diese sich jeweils in einem bestimmten Zeitraum auch an die volkswirtschaftliche Produktivitätssteigerung halten. Andernfalls könnte es gefährlich werden.
Meine Damen und Herren, ich habe mich, als ich die folgende Äußerung zum erstenmal las, mit, ich möchte fast sagen, Erschütterung gefragt: wie ist das überhaupt möglich? Da hat der Vorsitzende der IG Metall, Herr Brenner, der Vorsitzende also einer Industriegewerkschaft, die in besonderem Maße die Nutznießerin der verfehlten politischen Preisbildung beim Kohlenbergbau, bei der Landwirtschaft, bei der Wohnungswirtschaft und beim Verkehr gewesen ist, verächtlich davon gesprochen, daß alle diese Wirtschaftszweige die „Fußkranken" der Marktwirtschaft seien.

(Abg. Schmücker: Das ist seine soziale Gesinnung!)

Meine Damen und Herren, das sind nicht die Fußkranken der Marktwirtschaft, sondern das sind die letzten Fußkranken falsch verstandener sozialistischer oder staatswirtschaftlicher Überlegungen. Das ist das einzige, was dazu in der Sache zu sagen ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Aber was volkswirtschaftlich das Bedeutende oder das Erschütternde daran war, ist, daß schließlich keine Volkswirtschaft existieren kann, wenn nicht wenigstens ihre Grundstoffwirtschaft, sprich: der Kohlenbergbau, ihr Wohnungswesen, ihre Ernährung, sprich: die Landwirtschaft, und ihr Verkehrswesen in Ordnung ist. Man kann nur dann hoffen, daß die Kühlschränke und Fernsehapparate, die in Herrn Brenners Zuständigkeit fallen, in genügender Zahl produziert und verbraucht werden, wenn die Fußkranken wieder gesund geworden sind, wenn sie wieder einen gesunden Wirtschaftskörper auf gesunden Füßen zu tragen vermögen und wenn man obendrein dem Wasserkopf Staat so viel von dem Wasser abzieht, daß er wieder normale Gesichtsformen annimmt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Nun gibt es ja immer wieder die berühmten Stimmen - das habe ich gerade in den letzten vier Jahren in meiner Verantwortung als Wohnungsbauminister erfahren —, die dann sagen: Aber wenn man diese Entzerrung jetzt wirklich in einem Guß vornimmt, gibt das untragbare Belastungen für die sozial Schwachen. Nun, ich habe Ihnen vorhin schon gesagt: Die Belastungen, die die Menschen jetzt erfahren, weil sie Milliarden von Subventionen direkt und indirekt — über die Umsatzsteuer usw. oder über die Preise aller Güter — für diese Bereiche aufzubringen haben, sind viel höher als das, was sie treffen würde, wenn die Belastungen nur noch von denen mit echten Preisen getragen würden, ,die sie tatsächlich angehen und die sie tatsächlich zu verkraften haben. Das ist der eine Punkt.
Zum Zweiten: Es war auch bis jetzt in dieser Welt überhaupt nichts umsonst. Die Verbraucher haben auf den genannten indirekten Wegen nicht



Dr. Preusker
nur das alles mitgetragen, sondern sie haben auch die ganze Bürokratie mit zu tragen gehabt, die man erfunden hatte, um diese staatswirtschaftlichen Konstruktionen irgendwie in die Praxis umzusetzen. Ich darf Sie auf meinem Sektor nur an den Bereich der Wohnungsämter erinnern, die bestimmt noch keine einzige Wohnung gebaut haben, die aber laufend, Jahr für Jahr, unendlich viel kosten.

(Beifall rechts.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0300501200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300501300
Herr Kollege Preusker, welche staatssozialistische Bürokratie meinen Sie auf dem Gebiet des deutschen Bergbaus?

Dr. Victor-Emanuel Preusker (CDU):
Rede ID: ID0300501400
Herr Kollege Deist, dazu kann ich Ihnen sehr gern etwas sagen, und das sage ich Ihnen auch mit aller Offenheit. Nach der Freigabe des Kohlenpreises am 1. April 1956 durch die Montanunion, für die ich seit langem eingetreten bin, ist man wieder hergegangen und hat notwendige Ausgleiche für Lohnsteigerungen über neue Maßnahmen der Übernahme von Leistungen auf dem Gebiet der Knappschaftsversicherung usw. auf den Bund und durch neue Abschreibungsvergünstigungen geschaffen. Eine derartige Entscheidung läßt sich nicht ohne staatliche Maßnahmen durchführen. Alles das sind in meinen Augen Dinge, die bereinigt werden müssen.

(Abg. Wehner: Wieso ist das staatssozialistisch? Das wollten Sie doch beantworten!)

— Ja sicher, das ist doch nichts anderes, zum Unterschied von marktwirtschaftlich.

(Abg. Conrad: Weil diese Maßnahmen von Liberalen durchgeführt sind?)

— Von wem sie durchgeführt werden, spielt dabei doch keine Rolle.

(Abg. Conrad: Ich meine nur gerade die Hohe Behörde! Sind sie deshalb staatssozialistisch, weil sie von Leuten durchgeführt werden, die Ihrer Parteirichtung nahestehen?)

— Das ist eine zweite Sache. Jedenfalls geht es jetzt darum, die Subventionen auf allen diesen Gebieten zu beseitigen zugunsten der Verbraucher, im letzten zugunsten der Vereinfachung und einer besseren sozialen Zuordnung der Lasten, die daraus erwachsen sind.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0300501500
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Conrad?

Kurt Conrad (SPD):
Rede ID: ID0300501600
Ich habe folgende Frage. Sie haben vorhin das interessante Beispiel gebracht von den Fußkranken bestimmter Wirtschaftszweige, die eventuell übrigbleiben könnten.

Dr. Victor-Emanuel Preusker (CDU):
Rede ID: ID0300501700
Ja. Aber der Ausdruck stammt nicht von mir, sondern von Herrn Brenner!

Kurt Conrad (SPD):
Rede ID: ID0300501800
Ich weiß schon, Sie haben dieses Beispiel von Herrn Brenner übernommen. — Darf ich Sie fragen, was Sie mit den fußkranken Zechen machen würden, die bei Ihrem Verfahren in unserer Wirtschaft übrigbleiben würden, und wie groß dann die Unterbilanz unserer heutigen Brennstoffwirtschaft sein würde? Wieviel mehr amerikanische und sonstige Kohle müßten wir dann in die Bundesrepublik einführen?

Dr. Victor-Emanuel Preusker (CDU):
Rede ID: ID0300501900
Sehen Sie, Herr Conrad, da zeigt sich wieder einmal, daß wir offensichtlich zwei verschiedene Sprachen sprechen. Denn nach meiner Vorstellung soll sich genau, wie bei Anzügen, bei Strümpfen, bei Schuhen, bei Kühlschränken oder bei sonst irgendeinem Wirtschaftsgut eben auch bei der Kohle der Preis nach der Marktsituation richten. Daß hier immerhin die Bäume nicht in den Himmel wachsen können, das sehen wir ja bereits jetzt an dem Umstand, daß zur Zeit in Hamburg amerikanische Kohle für 75 DM je Tonne zu haben ist, während die Ruhrkohle einschließlich Fracht dort schon 80 DM kosten würde. Bei der Situation in unserem Kohlewirtschaftsbereich, die, wie ich zu Anfang ausgeführt hatte — ich nehme an, Sie waren zu Anfang nicht da —, dadurch gekennzeichnet ist, daß wir einen so großen Mangel, eine so große Lücke in unserer Kohleproduktion und -versorgung haben, daß unsere Kohlenbilanz passiv ist, haben wir in diesem Jahr bereits 11,8 Millionen t amerikanischer Kohle einführen müssen. Wir haben im Augenblick eine ganz exzeptionelle Frachtenbaisse, aber das wird sich auch wieder normalisieren. Bei der Kohlenmenge, die bei uns produziert wird, und bei dem Energiemangel, mit dem wir sogar bei einer weiteren positiven Entwicklung unserer Wirtschaft noch rechnen müssen, wird sicher auch die letzte Zeche, sei sie eine Randzeche, sei sie irgendeine andere, in vollem Umfange benötigt. Dann werden alle Zechen in die Lage versetzt werden, die notwendigen Investitionen und Rationalisierungen durchzuführen, die sie fast 40 Jahre lang dank der Herrschaft der politischen Preise nicht haben vornehmen können. Auch Ihnen ist ja bekannt, daß wir in den Jahren seit 1914 bis heute nur ganze 14 neue Schachtanlagen haben niederbringen können mit einer zusätzlichen Förderung von insgesamt 800 Millionen Tonnen, während wir im gleichen Zeitraum 5 Milliarden Tonnen Kohle verbraucht haben. 800 Millionen Tonnen, das war das einzige, was wir mit staatlicher Hilfe haben neu schaffen können; eine Menge also, die unter einem Siebtel der tatsächlichen Ausbeutung der Gruben liegt. Das ist die Folge von politischen Preisen! Wären die Preise rechtzeitig in ein vernünftiges Maß gekommen, hätten wir alle diese Sorgen nicht gehabt. Dann hätten wir in den letzten Jahren auch nicht die US-Kohle zu diesen ungeheuren Über- und Mischpreisen einführen müssen.

(Abg. Jacobi: Es war auch ein bißchen Unternehmenspolitik dabei!)




Dr. Preusker
Lassen Sie mich nun zum Schluß noch zu dem Gesetzentwurf der SPD-Fraktion über die Enquête in der Kohlenwirtschaft etwas sagen. Ich glaube, daß niemand in diesem Hause etwas dagegen vorbringen würde, eine möglichst gute Durchleuchtung unserer ganzen Volkswirtschaft zu besitzen. Aber eine Ausnahmeregelung gewissermaßen für die Kohle

(Aha! bei der SPD)

in dieser Form, wo es noch dazu die eingehenden Untersuchungen der Hohen Behörde der Montanunion bereits auf diesem Sektor gibt, scheint uns aus den verschiedensten Gründen nicht gerechtfertigt zu sein. Zunächst wird durch eine Enquête auch nicht um ein Jota mehr oder weniger Kohle gefördert als sonst.

(Abg. Jacobi: Das ist auch nicht die Absicht!)

Zum zweiten geht es um das Prinzip der marktwirtschaftlichen Ordnung. Das ist ja in der letzten Zeit auch von Ihrer Seite herausgestellt worden, gerade auch von Ihrer Seite, Herr Dr. Deist!

(Abg. Dr. Deist: Wir stellen uns darunter etwas anderes vor als Sie!)

— Marktwirtschaft ist Marktwirtschaft, die kann man nicht zu 10 % marktwirtschaftlich und zu 90 % staatswirtschaftlich organisieren, dann wird eben immer eine Staatswirtschaft daraus! — Aber wenn man die marktwirtschaftliche Ordnung bejaht, dann sind nicht nur die Kosten und die Löhne interessant, sondern dann ist die gesamte Marktlage und die Wettbewerbslage letzten Endes das Ausschlaggebende für einen Wirtschaftszweig. Und auch daran können Sie mit Ihrer Enquête nichts ändern.
Nun zur praktischen Seite! Es bestreitet auch niemand von Ihrer Seite, daß wir nicht zuviel, sondern daß wir zuwenig Kohle haben. Es bestreitet auch niemand von Ihrer Seite — auch das Wirtschaftswissenschaftliche Institut der Gewerkschaften hat das erst kürzlich wieder bestätigt —, daß es noch einen sehr großen Investitionsnachholbedarf bei der Kohle gibt. Es bestreitet obendrein auch niemand, daß auf dem Gebiet der Kohle die Preise ohnehin nicht in den Himmel wachsen können, weil es eben den Wettbewerb auf der einen Seite der US-Kohle und auf der anderen Seite der anderen Energieträger, namentlich des Heizöls, gibt. Sie wissen ja selbst, in welcher Form uns im Bundestag und bei der Montanunion immer wieder die Sorgen des Kohlenbergbaues wegen des sich verstärkenden Wettbewerbs der Erdöl- und Heizölindustrie vorgetragen worden sind. Schließlich — das darf ich besonders an Ihre Adresse richten — ist gerade der Kohlenbergbau der Wirtschaftszweig, in dem es die paritätische Mitbestimmung in den Aufsichtsräten und den Arbeitsdirektor im Vorstand der Unternehmen gibt. In keinem anderen Bereich als bei den Grundstoffindustrien gibt es eine so intensive Mitwirkung beider Sozialpartner. Ist es dann noch gerechtfertigt, durch eine derartige Forderung gegen einen solchen Wirtschaftszweig in einem besonderen Maße Mißtrauen heraufzubeschwören?
Auch wir wollen gerne einer vernünftigen Entwicklung bei der statistischen Erfassung, die wir alle zur Durchleuchtung unserer volkswirtschaftlichen Entwicklung benötigen, das Wort reden; aber wir lehnen eine Neuauflage gewissermaßen eines Reichskohlenrates in versteckter Form genauso ab, wie wir die Fortsetzung der verschleierten Subventionswirtschaft in den Grundstoffbereichen endgültig beendet wissen wollen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0300502000
Das Wort hat der Abgeordnete Deist.

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300502100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich mich zunächst nur in einigen wenigen Bemerkungen mit den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Preusker befasse. Ich finde, er macht es sich etwas zu einfach mit dem Kohlenbergbau. Es ist schwer verständlich, wenn er meint, man müsse die Förderung von Kohle genauso behandeln wie die Herstellung von Anzügen, die Herstellung von Strümpfen und die Herstellung von Schuhen. Es ist wohl — ohne daß ich dazu sehr viel zur Begründung zu sagen brauche — für jeden, der sich ein klein wenig mit diesen Dingen befaßt hat, klar, daß man derartige Vergleiche nicht ziehen kann, ohne zu Konsequenzen zu kommen, die wirtschaftlich einfach nicht tragbar sind.

(Zustimmung bei der SPD.)

Die Konsequenz, die er dann gezogen hat, ist: freier Wettbewerb, Steuersenkung, gesunder Kapitalmarkt, — und alles löst sich automatisch über den Preis. Eine solche Flucht in die Prophetie scheint mir keine brauchbare wirtschaftspolitische Maxime zu sein.
Dann noch zu behaupten, daß, nachdem die Preisfreiheit hergestellt sei, nicht etwa die schlechteren Zechen bei uns stillgelegt würden, sondern daß sich dann erst herausstellen würde, wie dringend notwendig sie seien, und daß sie gerade unter diesen Gesichtspunkten im freien Wettbewerb weitergeführt würden, — da schaltet es bei mir einfach aus. Mag sein, daß das an mir liegt, Herr Dr. Preusker. Aber mir scheint, daß das Schlußfolgerungen sind, die man vernünftigerweise einfach nicht ziehen kann. Herr Abgeordneter Preusker hat wohl recht, wir sprechen hier offenbar völlig verschiedene Sprachen. Darum hat es auch gar keinen Sinn, daß ich mich in bezug auf Einzelargumente mit ihm auseinandersetze. Ich werde vielmehr im Laufe meiner Darlegungen einiges über unsere grundsätzliche Auffassung von der Kohlepolitik sagen. An Hand dieser Darlegung wird sich ergeben, wie grundverschieden die Auffassungen sind und wie wenig wir infolgedessen die Schlußfolgerung des Herrn Abgeordneten Preusker teilen können.
Damit möchte ich diese Auseinandersetzung mit Herrn Preusker abschließen und komme zu der Beantwortung unserer Großen Anfrage durch den Herrn Bundeswirtschaftsminister.



Dr. Deist
Es tut mir leid, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister die Diskussion mit einer Einleitung belastet hat, die mit den Grundsätzen einer fairen Auseinandersetzung nicht mehr ganz vereinbar ist.

(Widerspruch bei der CDU/CSU.)

— Lassen Sie mich zunächst zur Begründung einiges dazu sagen, und fällen Sie Ihr Urteil bitte erst danach. — Er hat gemeint, darlegen zu sollen, die SPD betreibe eine widerspruchsvolle Politik, indem sie nämlich in der Montanunion den Wirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland hindere, die Maßnahmen zu ergreifen, die sie hier von ihm verlange. Wäre das richtig, so wäre das ein schwerwiegender Vorwurf; das konzediere ich ihm gern. Es fragt sich, ob der Herr Bundeswirtschaftsminister mit dieser Behauptung wirklich recht hat, ob sie den Tatsachen entspricht oder nicht einfach unzutreffend ist. Meine Damen und Herren, in der Montanunion sind sich alle deutschen Abgeordneten, nicht nur die Sozialisten, sondern auch diejenigen der CDU und der übrigen Parteien, einig darin, daß die Hohe Behörde und die anderen Instanzen der Montanunion im Interesse einer gesunden europäischen Entwicklung nicht darauf verzichten können, ihre Funktionen wahrzunehmen. Darüber sind wir uns alle einig. Das ist von uns immer wieder verlangt worden. Und ich glaube, das ist ein vernünftiger und richtiger Grundsatz. Ist er im Einklang mit dem, was Sie uns vorwerfen? Hierzu eine Frage, Herr Bundeswirtschaftsminister: Wann und wo haben Sozialisten in bezug auf die Preispolitik bei der Kohle — mit der haben wir es hier zu tun — in der Montanunion eine Stellung eingenommen, die Ihnen eine vernünftige Preispolitik im Kohlenbergbau unmöglich gemacht oder sogar eine Politik der Preissenkung verhindert hätte? Bitte, nicht ein einziges Mal!
Es kommt etwas anderes hinzu: die Verantwortung der Minister der einzelnen Regierungen gegenüber ihren Parlamenten im Hinblick auf ihre Tätigkeit im Ministerrat. Wir können es der Bundesregierung nicht gestatten, daß sie sich in der Montanunion der Verantwortung entzieht, weil der Ministerrat dem Montanparlament nicht verantwortlich ist, und daß sie sich hier vor ihrem nationalen Parlament der Verantwortung entzieht, mit der Begründung, es handle sich um eine Angelegenheit, die in die Zuständigkeit der Montanunion falle. Wir meinen nicht etwa, Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie hätten nicht genügend Verletzungen des Montanunionsvertrages vorgenommen, um eine vernünftige Preispolitik zu erreichen, sondern wir sind der Auffassung, Sie haben im Ministerrat und über Ihre sonstigen Einwirkungsmöglichkeiten auf die Instanzen der Montanunion nicht die Maßnahmen getroffen und nicht die Schritte unternommen, die zur Entwicklung einer vernünftigen Kohlepolitik auch für Deutschland notwendig sind. Herr Bundeswirtschaftsminister, es handelt sich um die Haltung der deutschen Bundesregierung im Frühjahr 1956 zum Problem der Kartellorganisation an der Ruhr und zum Problem der Freigabe der Preise. Das ist der Ausgangspunkt der heutigen Situation. Sie sprechen heute davon, daß ein einseitiges Kartelldiktat des Kartells an der Ruhr vorliege. Das ist das Kartell an der Ruhr, das Sie durch Ihre Initiative und durch Ihr Verhandeln in der Montanunion mit geschaffen haben.

(Zustimmung bei der SPD.)

Die Folge davon sind die ständigen Preiserhöhungen der letzten Jahre. Von der Schuld, einem privaten Kartell eine derartige Macht gegeben zu haben, kann sich die Bundesregierung nicht befreien.
Nun etwas anderes, Herr Bundeswirtschaftsminister; ich muß sagen, das rührt an die Grundlagen einer guten Zusammenarbeit zwischen Regierung und Opposition. Entsinnen Sie sich, Herr Bundeswirtschaftsminister, wie das vor der letzten Tagung in Rom war? In Rom stand die Wirtschaftspolitik der Montanunion und dabei natürlich auch die Kohlepolitik zur Debatte. Der Wirtschaftsminister der deutschen Bundesregierung ging dorthin und hielt ein sehr umfangreiches und grundsätzliches Referat über die Stellung der deutschen Regierung zu diesen Fragen. Wir beide, Herr Bundeswirtschaftsminister, haben uns vor der Debatte auf Ihren Wunsch — wie Sie wissen — unterhalten. Ich habe Ihnen erklärt: „Wir deutschen Sozialdemokraten werden zu dem Problem der Kohlepreispolitik hier in der Montanunion nicht prononciert gegen Sie Stellung nehmen. Was wir mit der deutschen Regierung über die Fragen der Kohlepreise und der deutschen Kohlepreispolitik zu erledigen haben, das behandeln wir im Deutschen Bundestag.

(Beifall bei der SPD.)

Wir werden das Parlament der Montanunion nicht zu einer Plattform für die Auseinandersetzung über deutsche Streitfragen machen." Herr Bundeswirtschaftsminister, ich glaube, fairer konnte man in diesem Falle nicht sein.
Sie haben den Kollegen Kreyssig erwähnt. Ich möchte dazu folgendes sagen. Kollege Kreyssig hat in dieser Debatte zu institutionellen Fragen gesprochen. Die Auseinandersetzung ist im übrigen von anderen Mitgliedern der Sozialistischen Gruppe natürlich so geführt worden, wie sie zwischen Sozialisten und dem Ministerrat zu führen ist. Jetzt bitte, Herr Bundeswirtschaftsminister, nennen Sie mir eine Zeile aus den Darlegungen des Abgeordneten Kreyssig, die Ihre Vorwürfe, die Sie hier soeben gebracht haben, rechtfertigt.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0300502200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300502300
Gern!

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300502400
Herr Dr. Deist, soll sich also der Satz, den die deutsche Presse über die Ausführungen des Kollegen Dr. Kreyssig in Rom gebracht hat, nicht auf die Preisfrage beziehen? Folgendes wird berichtet:
Der deutsche Sozialdemokrat Kreyssig sagte dazu,



Dr. Hellwig
— nämlich zur Frage der Kompetenz der Bundesregierung und der Hohen Behörde —
das ganze Montanparlament werde hinter der Hohen Behörde stehen, wenn sie auf Zuständigkeiten beharre, die sie nach dem Montanvertrag habe.
Bezog sich das also nicht auf die Preise?

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300502500
Das bezog sich auf sämtliche Zuständigkeiten der Hohen Behörde. Sämtliche Abgeordneten Ihrer und unserer Fraktion haben diese Forderung stetig an die Hohe Behörde gerichtet.
Herr Kollege Hellwig, Sie sehen aus der Formulierung und aus der Tatsache, daß Kollege Kreyssig zu institutionellen Fragen sprach, daß er das generelle Problem anschnitt, ob die Hohe Behörde berechtigt ist, im Interesse einer gesunden europäischen Entwicklung freiwillig auf Zuständigkeiten zu verzichten, die ihr an sich nach dem Vertrag zustehen. Ich glaube, keiner, der es ernst mit seiner Tätigkeit im Montanunionsparlament meint — da weiß ich mich mit allen Montanunionsabgeordneten auch auf Ihrer Seite einig —, kann überhaupt jemals eine andere Auffassung vertreten, als sie Kollege Kreyssig vertreten hat.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0300502600
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300502700
Ja!

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300502800
Ich muß weiter zur gleichen Diskussion fragen: Dann rücken Sie also von den Ausführungen Ihres sozialistischen Kollegen Nederhorst ab, der in der gleichen Debatte erklärte, jede nationale Kohlepreispolitik sei vertrags- und zweckwidrig?

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300502900
Herr Kollege Hellwig, ich rücke von nichts ab. Worüber wir hier sprechen, ist, ob die sozialgemokratischen Abgeordneten im Montanunionsparlament eine andere Auffassung als hier vertreten und damit verhindert haben, daß der Bundeswirtschaftsminister hier eine Politik befolgt, die wir von ihm verlangen; dazu spreche ich. Ich spreche dazu, ob der Bundeswirtschaftsminister ein Recht hat, sozialistischen Abgeordneten hüben und drüben den Vorwurf unfairen Verhaltens zu machen. Ich stelle fest, er hat dazu nicht den mindesten Anlaß.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Erler: Und schließlich ist das ein Vertrag der Bundesregierung!)

- Ganz abgesehen davon.
Meine Damen und Herren, das war nur ein kleiner Beitrag zu dem Kapitel fairer und loyaler Zusammenarbeit, auf die Sie immer so großen Wert legen.
Ich komme zur Kohlepreispolitik. Der Kohlepreis ist ein Element des gesamten Preisgefüges, und was die Bundesregierung in dieser Beziehung tut und als Kohlepreispolitik bezeichnet, ist symptomatisch für ihre gesamte Preispolitik. Ich darf daran erinnern, daß die Regierung in der großen Konjunkturdebatte im Oktober 1955 als ihren Grundsatz stabile Preise verkündigte. Sie war der Auffassung, daß das Preisniveau stabil bleiben müsse und daß es daher auch zu den Aufgaben der Bundesregierung gehöre, für Preissenkungen zu sorgen, wo sich die Möglichkeit dazu bietet.
Ich habe in der zweiten Konjunkturdebatte am 26. Juni 1956 auf Grund einer Analyse der damaligen Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers und der zwischenzeitlichen Konjunkturpolitik die Frage gestellt, ob die Bundesregierung noch zu dieser Zolitik der Preisstabilisierung stehe. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat diese Frage als unberechtigt zurückgewiesen und bemerkt, daß die Preisstabilisierung selbstverständlich weiterhin die Politik der Bundesregierung sei, von der sie nicht abzugehen gedenke.
Nun, meine Damen und Herren, der Effekt dieser Preispolitik liegt offen zutage. Seit drei Jahren steigen die Lebenshaltungskosten pro Jahr durchweg um 2 1/2 bis 3 %. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat in seinem letzten Lagebericht vom Oktober festgestellt, daß gegenüber Oktober 1956 sogar eine Steigerung der Lebenshaltungskosten von 3,5 % vorliegt, dies, obwohl rückläufige Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt sogar preissenkende Tendenzen auslösen.
In seinem Septemberbericht hatte der Herr Bundeswirtschaftsminister festgestellt, daß die Textilpreise im Laufe eines Jahres um 5% gestiegen sind. Die Sunlicht AG, die vor einiger Zeit eine Bilanz veröffentlicht hat, in der sie einen hundertprozentigen Gewinn ausweist, hat im Oktober 1956 Suwa von 98 Pf auf 1,15 DM, also gleich um 17 % erhöht, Lux-Seife von 65 auf 72 Pf, d. h. um 11%.
In diese Entwicklung paßt es haargenau hinein, daß die Kohlepreise erstmals eine so starke Preiserhöhung von im Durchschnitt 8 % erfahren. Ich habe mir einmal die Auswirkungen auf die Verbraucher angesehen. In Düsseldorf kostete zum Beispiel die Hausbrandkohle Fettnuß per Zentner im Oktober 1953 3,85 DM, im Oktober 1956 4,54 DM und im Oktober 1957 5,20 DM. Das bedeutet gegenüber 1953 eine Erhöhung um 35 % und gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung um 15 %. Diese Preisentwicklung ist mit dem Gerede über Preisstabilisierung einfach nicht mehr in Einklang zu bringen.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Lassen Sie mich eine Bemerkung machen, die ich anschließend im einzelnen begründen werde. Die Gründe für diese Entwicklung der Preise wie der ganzen Wirtschaft der letzten drei Jahre scheinen mir klar zu sein. Diese Bundesregierung muß immer dann auf wirksame konjunkturpolitische Maßnahmen verzichten, wenn damit eine soziale Stärkung breitester Schichten der Bevölkerung quer durch das ganze deutsche Volk hindurch verbunden ist. wenn die Gefahr besteht, daß die wirtschaftliche Lage, der gesellschaftliche Rang und der politische



Dr. Deist
Einfluß derer, die in der modernen Gesellschaft die Schwächeren sind, gestärkt und damit zwangsläufig die Interessen derer berührt werden, die heute Wirtschaft, Gesellschaft und Staat beherrschen, die durch gesellschaftliche Umschichtungen nur verlieren können und die die Regierungskoalition und die sie tragenden Parteien vor den Wahlen mit mehr als 100 Millionen DM Wahlgeldern an die goldene Kette gelegt haben.

(Beifall bei der SPD. — Oh-Rufe rechts.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine solche Darlegung bedarf der Begründung, und ich werde dazu einiges sagen.

(Abg. Kunze: Begründen Sie bitte auch die 100 Millionen!)

— Dies sind so allgemein bekannt und unbestritten, daß darüber nicht mehr geredet zu werden braucht, Herr Kunze.

(Abg. Mellies: Nur Herr Kunze hat es noch nicht gehört!)

- Das mag sein.
Meine Damen und Herren, die erste Phase der Konjunkturpolitik begann im Jahre 1955, als die Bank deutscher Länder durch Erhöhung der Diskontrate Alarm schlug. Erinnern wir uns der Situation damals! Wir hatten eine Überhitzung im Bereich der Investitionsgüterindustrie. Diese Überhitzung war zurückzuführen auf den hohen Stand der selbständigen Einkommen, d. h. der Unternehmenseinkommen. Dem stand eine sehr schwache Beschäftigung im Bereich der Konsumgüter gegenüber und damit eine schwache Geschäftslage im Kleingewerbe, im Handwerk und im Handel, — zurückzuführen darauf, daß seit der Korea-Krise der Anteil der Masseneinkommen am Volkseinkommen stetig gesunken war. Es gab nur eine konsequente Konjunkturpolitik — die wir hier in den Debatten damals vertraten —, nämlich, die Masseneinkommen und damit den Privatverbrauch zu steigern und damit zugleich eine wesentliche Umschichtung in der gesamten gesellschaftlichen Struktur herbeizuführen. Die Mittel dieser konjunkturpolitisch ebenso wie sozial gebotenen Umschichtung waren Lohnerhöhungen und Rentenerhöhungen.
Die Rentenerhöhungen, die wir damals beantragt hatten, waren nur gegen erhebliche Widerstände durchzusetzen, und erst die bevorstehende Wahl hat dann Ende 1956 wirklich zu einer ernsthaften Verbesserung der Lage der Rentner geführt.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Die von den Gewerkschaften geforderten Lohnerhöhungen sind nicht nur gegen den massiven Widerstand der Unternehmer, sondern auch gegen das ständige Störfeuer der Bundesregierung durchgesetzt worden.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Diese konjunkturpolitisch gebotenen Umschichtungen in den Einkommensverhältnissen waren nur gegen den Willen der Bundesregierung durchzusetzen. Als sie durchgesetzt waren, war der Erfolg eine gleichmäßige Entwicklung sowohl in den verschiedenen Industriebereichen als auch zwischen Erzeugung und Verbrauch. Da die Bundesregierung aber nicht bereit war, eine solche wirtschaftliche Entwicklung positiv zu fördern, hat sie auch den ihr zukommenden entscheidenden Anteil nicht geleistet, nämlich mit den Mitteln der Wirtschaftspolitik den auftretenden Tendenzen zu Preiserhöhungen entgegenzutreten.
Heute kann man feststellen, daß sich die Lohnentwicklung dieser Zeit entgegen den damaligen Unkenrufen im Rahmen der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung und insbesondere auch im Rahmen der Produktivitätsentwicklung gehalten hat.
Das war die erste Phase der Konjunkturpolitik, an der sich zeigte, wie stark die Verstrickung der Bundesregierung mit den rückständigen Kräften in Deutschland eine gesunde Konjunkturpolitik unmöglich macht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Kohlepolitik!)

— Ich komme auf die Kohlepolitik. Aber Sie werden mir nicht verargen, daß ich hier davon ausgehe, daß die Kohlepreispolitik ein Bestandteil der gesamten Preispolitik der Bundesregierung ist, und daß ich unter diesen Gesichtspunkten hier meine Ansicht vortrage.

(Beifall bei der SPD.)

Die zweite Chance für eine gesunde konjunkturpolitische Entwicklung ergab sich im Jahre 1956. Damals war es etwa 40 Jahre her, daß in Deutschland gesetzlich der Achtstundentag eingeführt war. Es war eine geschichtliche Notwendigkeit und eigentlich die große soziale Aufgabe der Zeit, eine wesentliche Arbeitszeitverkürzung durchzuführen. Hier ergab sich eine einzigartige Chance, einen großen sozialen Fortschritt zu erzielen, ohne übermäßige wirtschaftliche und soziale Spannungen hervorzurufen. Wir wissen selbstverständlich, daß die Kumulierung von Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen mehr wirtschaftspolitische Probleme aufwirft, als wenn man auf sie verzichtet. Aber wir wissen auch: die Arbeitnehmer, die eine Arbeitszeitverkürzung erkämpften, haben sehr häufig deshalb für ein Jahr auf jede reale Einkommenserhöhung verzichten müssen. Die Lohnerhöhung in der Metallindustrie Ende 1956 wurde z. B. zu etwa zwei Dritteln durch den Ausgleich der Arbeitszeitverkürzung aufgewogen, und der Rest betrug noch nicht einmal so viel wie die Steigerung der Lebenshaltungskosten im vergangenen Jahr. Wenn man die Arbeitszeitszeitverkürzung für einen großen gesellschaftlichen und sozialen Fortschritt hält, kommt es darauf an, wirtschaftspolitische Situationen zu ihrer Durchführung zu nutzen, die geradezu darauf angelegt sind, einen solchen Fortschritt zu ermöglichen.
Wie war die einmalige Situation? Wir hatten im Jahre 1956 wie auch heute noch ein überhöhtes Investitionsniveau; überhöht, weil wir in der Vergangenheit infolge des durch den Krieg und seine Folgen verursachten Nachholbedarfs naturgemäß mehr als normal investieren mußten. Es wäre daher nicht nur nicht gefährlich, sondern sogar kon-



Dr. Deist
junkturpolitisch gesund gewesen, wenn durch die Arbeitszeitverkürzung eine geringe Senkung dieses Investitionsniveaus herbeigeführt worden wäre.
Zweitens: In der Einfuhr liegt eine große Angebotsreserve, da unsere Einfuhr im Jahr 1956 um 3 Milliarden DM hinter der Ausfuhr zurückblieb. Es war daher die Aufgabe der Bundesregierung, eine solche soziale Entwicklung zu fördern und die Einfuhrschleusen zu öffnen, um etwaige Auswirkungen auf das Preisniveau zu verhindern und ein größeres Angebot auf dem Markte herbeizuführen.
Schließlich waren infolge der Investitionen der Vergangenheit Produktionsreserven vorhanden. Und wer nicht immer nur skeptisch ist, der mußte voraussehen, daß die Arbeitszeitverkürzung zugleich den stärksten Antrieb für erhebliche Produktivitätssteigerungen abgeben würde. Tatsächlich ist es doch so, Herr Bundeswirtschaftsminister: Nach den Feststellungen der Bank deutscher Länder ist die Normalarbeitszeit insgesamt in der Industrie vom September 1956 bis zum September 1957 um etwa 5 % zurückgegangen. Die Produktivitätssteigerung in der Industrie je Arbeiterstunde betrug jedoch im ersten Halbjahr 1957 8 % und im dritten Quartal 7 %. Das heißt, der etwaige Produktionsverlust durch die Arbeitszeitverkürzung ist durch die Produktivitätssteigerung mehr als wettgemacht.

(Abg. Dr. Hellwig: Auch im Bergbau?)

— Ich spreche von der Industrie, ich komme auf das Problem Bergbau zurück.

(Abg. Dr. Hellwig: Das ist doch das Problem!)

— Ich komme anschließend auf das Problem Bergbau. Gestatten Sie mir, daß ich diesen Gedanken zu Ende führe, Herr Hellwig.
Das Ergebnis dieser Überlegungen ist folgendes: Hier wurden in einem Augenblick, der schicksalsträchtig war, Möglichkeiten einer großen sozialen Neugestaltung verpaßt, die jede Regierung, die es mit einer gesunden sozialen Entwicklung und mit einem gesunden sozialen Klima ernst nimmt, eigentlich hätte wahrnehmen müssen. Hier sind durch die Propaganda gegen die Bestrebungen auf Arbeitszeitverkürzung Klüfte aufgerissen, die schwer wieder zu schließen sind.
Da aber die Bundesregierung die großen Möglichkeiten, die sich für eine soziale Neugestaltung ergaben, nicht sehen wollte, verschloß sie sich auch der Notwendigkeit, etwaige negative Einflüsse des Preisniveaus durch die Preispolitik zu verhindern. Das war, um mit Herrn Preusker zu reden, die zweite verpaßte Gelegenheit dieser Bundesregierung, nämlich die Gelegenheit, den konjunkturellen Aufstieg auszunutzen, um zu einer wesentlichen Verbesserung der sozialen Struktur zu kommen.
Die dritte Chance bot sich nach den Wahlen am 15. September. Es liegt eine besondere Tragik darin, daß ausgerechnet in diesem Augenblick Preiserhöhungen eintraten, in dem von der Seite der Güterwirtschaft überhaupt kein Anlaß zu Preissteigerungen gegeben war. Die Lohnbewegungen hielten sich seit Beginn des Jahres 1957 in einem sehr ruhigen Rahmen. Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß der Anteil der Nettolöhne und -gehälter am ganzen Sozialprodukt, der in den letzten Jahren gleich geblieben war, im ersten Halbjahr 1957 sogar absank und daß die Verbrauchsrate, also die Nachfrage nach Gütern des privaten Bedarfs ebenfalls zurückblieb. Die Expansion schwächte sich sogar in einem Ausmaß ab, daß ängstliche Gemüter schon wieder Notschreie ausstießen. Hinzu kamen dämpfende Einflüsse vom Weltmarkt. Die Sparneigung ist in einem unerwarteten Ausmaß gestiegen, nämlich auf 8 % der Einkommen der privaten Verbraucher. Infolgedessen war es der Bundesregierung möglich, vor den Wahlen bis zum 15. Steptember weitergehende Preissteigerungen zu verhindern. Das ist eine wichtige Feststellung. Sie zeigt, daß es der Bundesregierung ganz offenbar möglich ist, Preissteigerungen zu verhindern, wenn sie nur will und entsprechende Maßnahmen einsetzt.
Und ein Zweites. Diese Situation bot eine einzigartige Gelegenheit, nunmehr den seit etwa drei Jahren bestehenden Trend zur Preissteigerung abzudrosseln. Dazu mußte man sich aber von der Politik der kleinen Mittel loslösen und nunmehr eine großzügige Konjunkturpolitik entwickeln. Das durfte man allerdings nicht damit beginnen, Herr Bundeswirtschaftsminister und Herr Preusker, daß Sie beide bereits vor den Wahlen, sagen wir einmal, Zeitbomben legten. Es ist nicht unbekannt geblieben, daß einige Monate vor der Bundestagswahl im Bundeswirtschaftsministerium eine Besprechung über die Lage der Bauwirtschaft stattfand. In dieser Besprechung hat Herr Bundeswirtschaftsminister Erhard dargelegt, man solle in diesem Preisgespräch keine Drohung sehen, sondern es sei die Sorge um den Ausgang der Wahlen, die mit der Preisentwicklung gewonnen oder verloren würden.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Herr Preusker hat in dieser Besprechung gesagt, es müsse das Bestreben aller in der Bauwirtschaft tätigen Industriellen sein, in diesem Jahr vor der Wahl jegliche Preiserhöhungen zu unterbinden.

(Erneute Hört! Hört!-Rufe von der SPD.)

Beide erklärten dann, die Industrie müsse vor der Wahl Opfer bringen, und ein bewußter Verzicht auf große Gewinne in diesem Jahre würde als Pluspunkt in den zukünftigen Jahren zu werten sein.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0300503000
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300503100
Bitte sehr!

Dr. Victor-Emanuel Preusker (CDU):
Rede ID: ID0300503200
Herr Abgeordneter Deist, Sie würden mir eine große Freude bereiten, wenn Sie uns Ihren Informanten mitteilten. Ich kann Ihnen nur feierlich versichern, daß ich nie eine so unsinnige Äußerung getan habe.




Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300503300
Herr Kollege Preusker, diese Erklärung kommt etwas spät. Die Information stammt aus dem Brief des Deutschen Gewerkschaftsbundes an den Herrn Bundeskanzler vom 20. August 1957. Diese Tatsachen, die in dem genannten Schreiben mitgeteilt wurden, sind niemals — weder von dem Herrn Bundeskanzler noch von dem Herrn Bundeswirtschaftsminister noch von dem damaligen Herrn Bundeswohnungsbauminister Preusker — dementiert worden.

(Hört! Hört! und Beifall bei der SPD.)


Dr. Victor-Emanuel Preusker (CDU):
Rede ID: ID0300503400
Ich habe bereits damals, als dieser Brief kam, an den Deutschen Gewerkschaftsbund die Frage gerichtet: „Woher haben Sie diese Wissenschaft? Sie ist falsch!" Ich frage Sie hiermit wieder, da Sie sich darauf berufen: Wer hat das gesagt?

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300503500
Zunächst einmal möchte ich feststellen, daß ich diese Richtigstellung des Herrn Preusker nicht kenne; sonst hätte ich eine Einschränkung bezüglich Ihrer Person gemacht. Herr Preusker, Sie fragen: Wer ist der Informant? Ich sagte Ihnen: Es ist ein in der Presse veröffentlichter offener Brief des Deutschen Gewerkschaftsbundes an den Herrn Bundeskanzler. Und es wäre daher schon die Aufgabe auch des Herrn Bundeskanzlers gewesen, der sich während des ganzen Wahlkampfes mit diesem Brief laufend befaßt hat, zu sagen, daß diese Informationen falsch seien. Das hat er nach meiner Kenntnis — ich pflege die Presse verhältnismäßig genau zu verfolgen — nicht getan.
Im übrigen gibt diese Darlegung haargenau die Tendenz wieder, die durch die ganze Preispolitik der Bundesregierung hindurchgeht. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat diese Taktik noch am 17. September, zwei Tage nach der Wahl, verfolgt, als er in der „Welt" davon sprach, es würde keine stärkere Bewegung der Preise geben, und sogar noch am 19. September auf der Automobilausstellung in Frankfurt, wo er davon sprach, das Preisniveau werde stabil bleiben, obwohl sein Ministerium bereits einen Brief des Unternehmensverbandes Bergbau vom 16. September über die Preiserhöhung im Besitz hatte.
Wenn man eine solche Politik verfolgt, ist es natürlich außerordentlich schwierig, nach den Wahlen eine gesunde Preisentwicklung zu sichern. Und das ist die Tragik der Erhöhung der Kohlepreise. Alle objektiven Voraussetzungen waren gegeben, nach den Wahlen im Hinblick auf die ganze wirtschaftliche Lage eine Stabilisierung des Preisniveaus herbeizuführen.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

In diesen großen Zusammenhang gehört die Kohlepreiserhöhung. Sie kann und darf nicht als Einzelvorgang gesehen werden, sondern sie ist ein wichtiger Bestandteil der Preispolitik der Bundesregierung. Nachdem das allgemeine Preisklima zur Zeit der Wahlen verhältnismäßig ruhig war, war
es die Aufgabe der Bundesregierung, dafür zu sorgen, daß nicht Einzelpreise, die eine große psychologische Bedeutung haben, davonlaufen, und nicht durch die eigene Politik dazu beizutragen, daß mehrere solcher psychologisch wichtiger Preise ins Wanken gerieten.
Sehen Sie, meine Damen und Herren, darum handelt es sich hier. Mir ist durchaus verständlich, daß der Bergbau über die Reaktion der Bundesregierung überrascht war, weil er genau wußte, wie sich die Vertreter der Bundesregierung vorher zu Preisverhandlungen hinter verschlossenen Türen verhalten hatten.
Aber — auch wenn Herr Preusker oder Herr Bundeswirtschaftsminister Erhard das verneinen — das sind die Wechsel, die Ihnen hier präsentiert werden, die Sie vor den Wahlen so freigebig ausgestellt haben, um in den Besitz der großen Wahlunterstützungen zu kommen, die Sie bezogen haben.

(Beifall bei der SPD.)

Herr Bundeswirtschaftsminister! Die Bundesregierung mußte wissen, daß mit dieser Kohlepreiserhöhung eine neue Serie von Preiserhöhungen ausgelöst wurde. Wissen Sie, diese Milchmädchenrechnungen, wieviel Null Komma soundsoviel Prozent vom gesamten Sozialprodukt die Kohlebelastung ausmacht, die kennen wir. Wir haben jetzt wieder eine Milchmädchenrechnung gelesen, wieviel die Brotpreiserhöhung im Jahr in Mark und Pfennigen für die Hausfrau ausmacht. Das können Sie uns bei jedem Artikel vorrechnen; es besagt nur nicht sehr viel. In Wirklichkeit verhält sich die Wirtschaft nicht entsprechend Ihren Milchmädchenrechnungen, sondern nach ganz anderen Gesetzen. Der Effekt der Kohlepreiserhöhung ist, daß zunächst einmal eine nicht unwesentliche Eisenpreiserhöhung durchgeführt wurde, daß erhebliche Bundesbahntariferhöhungen, eine Steigerung der übrigen Verkehrstarife und der Posttarife auf uns zukommen und daß Strom und Gas folgen müssen.
Sehen Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister: Das ist die besondere Tragik ihrer Politik, daß die Bundesregierung auch in diesem Augenblick nicht begriffen hat, daß in dieser Lage alles darauf ankam, der ständig steigenden Preisentwicklung Einhalt zu tun mit den Mitteln, die jeder Regierung hier zur Verfügung stehen.
Es ist zudem ja nicht so, als wenn sich diese Preiserhöhungen im Rahmen der Investionsgüterindustrie hielten. Sie wirken sich vielmehr naturgemäß — wenn auch erst nach Monaten, und das ist das Schlimme an einer solchen Preisentwicklung, daß sie sich langfristig auswirkt — in Form von Investitionskosten, von Materialkosten, von Energiekosten, von Instandsetzungskosten bis in die Konsumgüterindustrie hinein aus. Zu gleicher Zeit erleben wir das Theater um den „Abbau des Schweineberges"; alle Hausfrauen warten immer noch darauf, daß die Preise für Schweinefleisch nun endlich — wie versprochen — sinken. Und dann lesen wir ausgerechnet heute morgen in der



Dr. Deist
Zeitung oder hörten gestern abend im Rundfunk, daß Sie — wahrscheinlich zur Untermalung Ihrer Preispolitik — dafür sorgen, daß nun auch die Brotpreise in die Höhe steigen.
Herr Bundeswirtschaftsminister, es ist nur ein schlechter Witz, wenn die Mineralölkonzerne gestern mitteilten, sie hätten die Benzinpreise um einen Pfennig je Liter herabgesetzt. Eine Maßnahme, die seit Monaten überfällig ist!
In diesem Zusammenhang habe ich eine Frage, Herr Bundeswirtschaftsminister. Sie betrifft den Stil unserer Politik, und ich nehme dabei auf einen anderen Vorgang Bezug, den ich hier nicht nennen möchte. Herr Bundeswirtschaftsminister, ich weiß nicht, ob meine Informationen richtig sind, wonach die Mineralölkonzerne einem erheblichen Druck der Bundesregierung ausgesetzt waren, damit in dieser Debatte eine Preissenkung vorgelegt werden könnte.

(Lebhafte Zurufe von der SPD: Aha!)

Aber, Herr Bundeswirtschaftsminister, in der Presse habe ich gelesen, daß die maßgeblichen Vorstandsmitglieder — vier sind es, glaube ich — der großen Ölkonzerne, die von den internationalen Gesellschaften abhängig sind, ausgerechnet in den letzten vierzehn Tagen das Große Verdienstkreuz verliehen bekommen haben.

(Hört! Hört! und Heiterkeit bei der SPD.)

Wenn zwischen diesen Vorgängen keine Beziehungen bestehen sollten, dann sollte die Bundesregierung Wert darauf legen, daß in einem solchen Moment derartige Verleihungen unter allen Umständen vermieden werden. Das möchte ich klarstellen.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Hellwig: Herr Deist, haben Sie solche Mätzchen nötig?)

— Herr Kollege Hellwig fragt, ob ich „solche Mätzchen" nötig hätte. Mätzchen habe ich nicht nötig, Herr Kollege Hellwig. Meine Damen und Herren, wissen Sie nicht, daß die Großen Verdienstkreuze heute sehr häufig an Menschen im Alter von 50 bis 55 Jahren, die wirtschaftspolitisch tätig sind, verliehen werden und daß das eigentlich mit dem Sinn einer Vergabe von Großen Verdienstkreuzen nicht mehr zu vereinbaren ist?

(Lebhafter Beifall bei der SPD. Zurufe von der CDU/CSU.)

— Nein, nein, meine Damen und Herren — das ist das letzte Wort, das ich darüber verliere. Hier handelt es sich um Zuständigkeiten des Herrn Bundespräsidenten, an dem ich keine Kritik üben möchte. Was uns angeht, ist doch, zu überlegen, ob eine solche Praxis, wenn sie sich einbürgern sollte, wirklich einer gesunden demokratischen Entwicklung zuträglich ist oder nicht.

(Abg. Schröter [Berlin]: Für die Großverdiener! — Zurufe von der CDU/CSU.)

— Meine Damen und Herren, Sie sollten ruhig einmal im stillen Kämmerlein überlegen, ob in diesen meinen Bemerkungen nicht ein sehr ernster Kern steckt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Preisentwicklung in den letzten Wochen gibt Anlaß zu zwei entscheidenden Feststellungen. Allen diesen Preiserhöhungen sind in keinem einzigen Fall irgendwelche ernsthaften Lohnerhöhungen vorausgegangen. Es ist unaufrichtig und muß zersetzend wirken, wenn ständig die Parole von der LohnPreis-Spirale draußen vertreten wird, obwohl sie mit den Tatsachen einfach nicht zu vereinbaren ist.
Und ein Zweites, meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute scheint mir die preispolitische Entscheidung der Bundesregierung klar zu sein. Ich möchte wiederholen, was ich im Juni 1956 hier gesagt habe:
Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit ergibt sich mit einem Wort die Frage, ob sich die Bundesregierung wirklich mit der durch die langsame Preissteigerung verursachten Aushöhlung der D-Mark abgefunden hat. Wenn das der Fall wäre, wäre das eine höchst bedenkliche Note unserer Konjunkturpolitik.
Damals hat der Herr Bundeswirtschaftsminister es noch abgestritten. Heute, nach der Entwicklung in den letzten Wochen, kann kein Zweifel mehr darüber bestehen, daß die Bundesregierung in der Sache ungeachtet aller ihrer Reden die Politik der Preisstabilisierung aufgegeben und sich mit diesen stetigen Preissteigerungen abgefunden hat; d. h., sie hat letzten Endes die Entscheidung für eine schleichende Inflation getroffen. Es scheint mir notwendig zu sein, diesen Tatbestand ganz klar herauszustellen, um draußen die Gewissen gegenüber der konjunkturpolitischen Entwicklung und insbesondere der Preisentwicklung in Deutschland wachzuhalten; denn mit dieser für mein Empfinden unzweifelhaft getroffenen Entscheidung wurde eine gefährliche Entwicklung eingeleitet.
Lassen Sie mich nun einige Worte zur Kohlepreis-. politik sagen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat zutreffend darauf hingewiesen, daß in der Kohlewirtschaft ganz besondere Verhältnisse herrschen. Wir sind aus volkswirtschaftlichen Gründen gezwungen, Kohle auch aus den sogenannten Randzechen abzubauen, die wir unter privatwirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht abbauen würden. Die Arbeitskosten betragen 50 bis 60%. Herr Professor Erhard hat ferner darauf aufmerksam gemacht, daß die Produktivität im Kohlenbergbau sich nicht entsprechend der Produktivität in der übrigen Wirtschaft entwickelt. Im Februar 1956 hat der Herr Kollege Friedensburg daraus auch die Schlußfolgerung gezogen: Der Bergbau kann nicht wie jeder andere Wirtschaftszweig auf die beiden sonst gegebenen Möglichkeiten ausweichen, nämlich die Steigerung der Produktivität und die Steigerung des Preises.
Wenn die Situation so liegt — sie ist komplex und sehr problematisch —, kann man das Problem doch nicht damit lösen, daß man immer wieder auf Lohnerhöhungen, Erhöhungen der Sozialbelastung, auf das Wohnungsgeld hinweist und davon spricht, daß das natürlich Geld koste und daß man mahnen müsse, die Zusammenhänge zu berücksichtigen. Sich auf solche primitiven Feststellungen zu beschrän-



Dr. Deist
ken, kann doch nicht der Inhalt der Wirtschaftspolitik sein! Sie selbst, Herr Bundeswirtschaftsminister, haben am 4. Oktober davon gesprochen, daß die Folge der Vorgänge bei der Kohlepreisfestsetzung eine Neuorientierung der Energiepolitik sein müsse. Und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" hat, offenbar auf Informationen von Ihnen, mitgeteilt, Sie würden im Bundestag heute die neue Wettbewerbspolitik darlegen. Ich muß bedauern, daß wir von dieser neuen Energiepolitik und der neuen Wettbewerbspolitik außer der Feststellung, daß ein Energieausschuß im Ministerium gebildet worden ist, nicht viel gehört haben.
Über eines muß sich die Bundesregierung klar sein: eine konjunkturbewußte Preispolitik kann unter den Verhältnissen, die in der Kohle herrschen, keine Bundesregierung vom Bergbau verlangen, die nicht bereit ist, mit ihm über die Konsequenzen einer solchen Preispolitik im Hinblick auf das Investitionsproblem, im Hinblick auf das Problem der Bergarbeiterschaft und die übrigen ungelösten Probleme des Kohlenbergbaus zu sprechen. Dazu ist es notwendig, daß man die realen Tatsachen im Bergbau sieht und anerkennt. Da genügt kein theoretisches Bekenntnis zum Wettbewerb, da genügt keine theatralische Erklärung, über die Bedeutung der Marktwirtschaft; da muß man sagen, was ist, und darf nicht einen Nebel über die Dinge verbreiten, die im Kohlenbergbau nun einmal vorhanden sind.
Lassen Sie mich dazu einige — für mein Empfinden wesentliche — Feststellungen treffen. Die erste Feststellung: In Wirklichkeit gibt es ungeachtet aller Deklamationen in der Kohlewirtschaft keinen freien Wettbewerb. Diese Tatsache muß man sehen. In der Kohle bestehen geschlossene Reviere mit Revierpreisen. Darum gibt es seit 1891 an der Ruhr ein Kohlekartell, und darum wird auch heute die ganze Struktur der Kohle kartellartig bestimmt, schon aus der Natur der Sache dieses Kohlebergbaus heraus. Die einzige Frage, die zur Diskussion steht, ist, ob man diese Kartellfunktionen einem privaten Unternehmensverband überlassen will oder ob man sie öffentlicher Kontrolle unterwerfen soll.
Es gibt auch keinen freien Wettbewerb mit der Einfuhrkohle. Die amerikanische Kohle kostet in Amerika etwa 40 DM, die Ruhrkohle 60 DM. Abhängig ist der Preis für Amerika-Kohle in Deutschland allein von den Frachten über den Ozean. Heute betragen die niedrigsten Frachten 15 DM; nach der Suezkrise betrugen sie 70 DM. Angesichts solcher Schwankungen in den Frachten zwischen 15 und 70 DM bei einem Produkt, das nur 60 DM kostet, erzähle mir einer, daß es mit dieser Einfuhrkohle einen freien Wettbewerb gebe!. Alle Länder Europas haben aus dieser Tatsache die Konsequenzen gezogen. Sie haben nie einen freien Wettbewerb mit der Einfuhrkohle zugelassen. In Großbritannien und in Frankreich wurden die Preise für Einfuhrkohle mit öffentlichen Mitteln auf den Inlandspreis herabgeschleust, und wir haben uns das Kunststück geleistet, einen gespaltenen
Kohlepreis, nämlich für Inlandskohle niedrig, für Einfuhrkohle hoch, zuzulassen, was sicherlich mit den Grundsätzen einer Wettbewerbs- und Marktwirtschaft nicht ganz in Einklang zu bringen ist.
Ein Drittes, meine Damen und Herren! Es gibt auch keinen echten Wettbewerb mit dem Heizöl. Der ganze Mineralölmarkt wird in Deutschland von fünf großen Mineralölgesellschaften beherrscht, die allein 90% der gesamten Versorgung bestreiten. Drei unserer deutschen Erdölmonopolgesellschaften sind Tochtergesellschaften von drei großen internationalen Ölkonzernen, nämlich die Esso von Standard Oil, Shell von der Royal-Dutch-ShellGruppe und BP von der British Petrol Company, d. h. abhängig von starken internationalen Ölkonzernen, die durch ihre gemeinsamen Interessen in Vorderasien, in Afrika und in Deutschland noch vielfältig untereinander verflochten sind. Daneben gibt es die BV-Aral als die Kartellorganisation der deutschen Mineralölerzeuger auf Kohlebasis und die Gasolin-Nitag, die in der Hand von Wintershall ist und etwa 50% der deutschen Erdölförderung umfaßt.

(Abg. Dr. Hellwig: Die müssen Sie entflechten!)

Auch bei diesen Gesellschaften bestehen über die Beteiligung an den deutschen Erdölgesellschaften wiederum Verbindungen zu den internationalen Konzernen. Das ist die Beherrschung des Erdölmarktes durch fünf große, marktbeherrschende Konzerne, die untereinander vielfältig verflochen sind. Da gibt es keinen freien Wettbewerb. Da gibt es nur ganz bewußt privat gesteuerte Marktstrategie und Marktpolitik und zusätzlich als Gegenwirkung die staatliche Handels-, Zoll- und Steuerpolitik. Kein freier Markt, sondern nur ein manipulierter Markt! Da spreche man uns nicht von dem Wettbewerb über die Preise oder, wie die Regierungsparteien am 29. November 1956 hier verkündet haben, von einem weiteren Einbau des Kohlebergbaues in die soziale Marktwirtschaft. Hier handelt es sich um manipulierte Preise, mit allen Konsequenzen, die sich daraus für eine Kartellorganisation ergeben. Daraus wurde die Konsequenz gezogen, daß dieses Kohlekartell an der Ruhr von 1919 bis 1956 einer öffentlichen Kontrolle unterworfen wurde. Es blieb dem Jahre 1956 im Zeichen der Marktwirtschaft vorbehalten, diese Preispolitik, diese Kartellpolitik wieder privaten Unternehmensgruppen an der Ruhr zu überantworten, die keiner öffentlichen Kontrolle mehr unterliegen.
Eine zweite Tatsache. Die Kohle hat inzwischen ihre Preisobergrenze erreicht oder ist dicht an sie herangekommen. Größere Preiserhöhungen für Kohle sind praktisch nicht mehr möglich. Lassen Sie mich da zunächst einmal ein Märchen zerstören. Es wird immer gesagt, deutsche Kohle sei doch letzten Endes viel billiger als die Kohle in den übrigen Ländern Europas. Nichts falscher als das! Bis vor kurzem haben die Währungsverzerrungen das Bild zwischen der französischen Kohle und der deutschen Kohle vernebelt. Heute liegt der Preis der Fettkohle



Dr. Deist
in Lothringen unter dem Preis der Kohle an der Ruhr. Der Preis der Ruhrfettkohle liegt im Schnitt bei etwa 61 DM, der der lothringischen Kohle bei etwa 57 DM.

(Abg. Dr. Friedensburg: Das ist nicht die gleiche Qualität!)

— Es ist im wesentlichen die gleiche Qualität!

(Erneuter Widerspruch in der Mitte.)

— Darüber besteht bei der Ruhrkohlenorganisation, bei der Hohen Behörde und in Lothringen kein Zweifel mehr, daß keine Rede davon sein kann — und darauf kam es mir an —, daß deutsche Kohle wesentlich billiger sei als die der übrigen Länder.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0300503600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Dr. Hellwig?

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300503700
Einen Satz noch: Billiger als die englische Kohle ist sie überhaupt nie gewesen.
Bitte schön!

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300503800
Herr Dr. Deist, würden Sie es nicht, um diese Feststellung über den Kohlepreis in Lothringen auch richtig verständlich zu machen, für richtig halten, zu sagen, wieviel dort in den letzten Jahren im Verhältnis zur Ausgangslage nach dem Kriege investiert worden ist, daß es sich hier um die Entwicklung eines jungen Bergbezirks handelt und daß dadurch ein Vorsprung eingetreten ist, um den wir an der Ruhr seit 30 Jahren ringen und den wir nicht mehr halten konnten?

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300503900
Herr Kollege Hellwig, ich bin Ihnen sehr dankbar für diesen Hinweis, auf den ich später eingehen werde. Er zeigt nämlich die Unterschiede zwischen der Kohlepolitik und ihren Auswirkungen in Frankreich und der Kohlepolitik in Deutschland sehr deutlich auf. Aber was das mit den Preisvergleichen zu tun haben soll, ist mir unerfindlich.

(Zustimmung bei der SPD. — Widerspruch bei den Regierungsparteien.)

Außerdem, Herr Kollege Hellwig, sind die Abschreibungen in modernen Anlagen normalerweise wesentlich höher als in uralten Anlagen.
Überdies, Herr Kollege Hellwig, habe ich folgendes getan. Ehe ich diese Behauptung aufgestellt habe, habe ich mich durch Rückfrage bei der Hohen Behörde in Luxemburg erkundigt, ob dieser Tatbestand stimmt, und er ist mir bestätigt worden. Im übrigen besteht in Lothringen — in der französischen Presse wird das sehr breit dargelegt, vor allem in Lothringen — darüber kein Zweifel mehr.

(Abg. Dr. Hellwig: Und die Schichtleistungen?)

— Auf die Schichtleistungen komme ich auch noch, Herr Hellwig!
Diese Preisentwicklung hat nun dazu geführt, daß heute normale Absatzgebiete der Ruhrkohle bedroht sind.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0300504000
Herr Abgeordneter Dr. Deist, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ruland?

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300504100
Gern.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0300504200
Herr Abgeordneter Ruland.

Franz Ruland (CSUS):
Rede ID: ID0300504300
Ich will noch einmal ganz kurz zurückkommen auf die Kohlenunterschiede

(Zurufe von der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0300504400
Herr Ruland, Sie dürfen nur eine Frage stellen!

Franz Ruland (CSUS):
Rede ID: ID0300504500
Ich w er de eine Frage stellen. Ich wollte nur zunächst erklären, daß ich auf die Unterschiede zwischen der lothringischen Kohle und der Ruhrkohle zurückkomme.
Eine Frage an Sie, Herr Dr. Deist: Ist Ihnen bekannt, daß der französische Staat der Charbonnage de France eine Kapitaldotation von 265 Milliarden Francs gemacht und dadurch den Kohlepreis in Frankreich wesentlich verbilligt hat?

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300504600
Herr Ruland, selbstverständlich ist mir das bekannt. Auf die Kohlepolitik in Frankreich, England und Deutschland kann ich nachher ruhig noch einmal eingehen. Daran zeigt sich nämlich der Erfolg der Kohlepolitik dieser Länder. Was ich hier darlegen wollte — und von dieser meiner Beweisführung werden Sie mich nicht abbringen —, ist, daß die Preisentwicklung inzwischen so verlaufen ist, daß deutsche Kohle einer ernsthaften Konkurrenz der übrigen europäischen Kohle begegnet. Darum hat die deutsche Kohle eine erhebliche Sorge davor, daß die Gleichstellung der Frachtbelastung von den Häfen an der Nordsee und von der Ruhr ihre Absatzmärkte weiterhin beeinträchtigt. Preiserhöhungen finden also hier ihre Grenzen. Nur das wollte ich im Augenblick darlegen, weil das nämlich entscheidend ist für all die Theorien, die der Herr Bundeswirtschaftsminister und Herr Preusker hier vertreten haben.
Noch kritischer ist das Verhältnis zum Heizöl. Es kann kein Zweifel mehr bestehen, daß es praktisch in Deutschland keinen Ort mehr gibt, an dem das Heizöl, über die Wärmeeinheit gerechnet, nicht billiger ist als Koks. Damit sind auch von dieser Seite aus Grenzen für weitere Kohlepreiserhöhungen gezogen.
Warum sage ich das? Ich sage das, um darzulegen, daß die Probleme der Kohle über weitere Preiserhöhungen einfach nicht gelöst werden können und daß die Theorie des Herrn Preusker, man solle beides freigeben, dann würde sich die Sache schon entwickeln, an dieser Tatsache einfach vorbeigeht. Es ist hier bereits ausgeführt worden, welcher Investitionsbedarf für die Kohle in Deutschland notwendig ist. Die Investitionen liegen in



Dr. Deist
Deutschland wesentlich niedriger als in den übrigen Ländern, auch als in Frankreich. Der neue Bericht der Hohen Behörde hat das wiederum bestätigt. Das heißt doch, meine Damen und Herren, daß, wenn Sie die Probleme der Kohle lösen wollen, Sie das nicht mehr über den Preis tun können, sondern daß Sie das entscheidende Investitionsproblem auf andere Weise lösen müssen.
Ein zweites Problem ist das des Bergarbeiternachwuchses. Der Kohlenbergbau bemüht sich zur Zeit darum, in vielen teuren Annoncen darzulegen, die Preiserhöhungen seien notwendig, um den sozialen Stand des Bergarbeiters an der Ruhr zu sichern. Nun, wenn es irgend jemanden gibt, der ein Interesse daran hat, diesen sozialen Stand zu sichern, dann sind das gewiß wir. Aber der Herr Bundeswirtschaftsminister hat zutreffend darauf hingewiesen, daß der Bergmann unter Tage im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen, unter denen er arbeitet, ein besonderes soziales Entgelt erhalten müsse und daß dies aus dem Produktivitätszuwachs nicht zu decken ist. Darum haben wir hier die Bergarbeiterprämie beschlossen — über den Preis ging es nicht —, und darum hat die Bundesregierung 6,5 % der Knappschaftsbeiträge übernommen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat das hier in bewegenden Worten dargelegt. Dann ist doch ganz klar, daß alle diese Probleme des sozialen Standes des Bergarbeiters über den Preis einfach nicht mehr zu lösen sind. Die sozialen Abgaben, die Berufsgenossenschaftsbeiträge betragen in der Steinkohle allein 13 %, in der übrigen Industrie 2 bis 2 1/2%. Das können Sie doch nicht über den Preis hereinholen. Da hilft auch die Politik der Aushilfen, die wir bisher durchgeführt haben, nicht mehr, sondern da kommt es darauf an, daß man sich unabhängig von der Preispolitik überlegt, ob nicht eine Neuordnung der Kohle durchgeführt werden muß, mit der diese Probleme besser gelöst werden können.
Das Ergebnis dieser Tatsachen hat der Herr Bundeswirtschaftsminister sehr deutlich in Zahlen dargelegt. Er hat dargelegt, daß wegen dieser Verhältnisse in der Kohle der Kohlenbergbau seit Jahr und Tag — ich sage es ganz deutlich und roh — subventioniert wird. Wenn der Bergbau steuerliche Vergünstigungen erhält, sind das Subventionen aus öffentlichen Mitteln. Wenn dem Bergbau soziale Lasten abgenommen werden, sind das Subventionen aus öffentlichen Mitteln. Wenn aus Steuergeldern Bergarbeiterprämie gezahlt wird, sind das Subventionen aus öffentlichen Mitteln. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat die Größenordnung mit 5 Milliarden DM nur angedeutet. Es ist gar nicht mehr zu entscheiden, ob Kohle subventioniert wird oder nicht, sondern es ist nur die Frage, ob man sich ehrlich eingesteht, daß volkswirtschaftliche Gründe zu solch einer öffentlichen Unterstützung der Kohle zwingen, oder ob man sich und andere über diesen Tatbestand aus undurchsichtigen Gründen einfach hinwegbetrügt.

(Beifall bei der SPD.)

Wir Sozialdemokraten sagen ja zu dieser Subventionierung, denn wir wissen, daß die Kohle für
Deutschland ein wichtiger Rohstoff ist, der aus übergeordneten volkswirtschaftlichen Gründen nutzbar gemacht werden muß. Wenn wir den Bergbau nicht nur aufrechterhalten, sondern seine Produktion noch steigern wollen, wenn wir eine zufriedene und gesunde Bergarbeiterschaft haben wollen, müssen wir auf diesem Gebiete noch wesentlich mehr tun. Aber wir wünschen, daß diese Mittel nicht nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen verwirtschaftet werden, sondern sichergestellt wird, daß diese aus öffentlichen Steuergeldern stammenden Mittel im öffentlichen Interesse vernünftig verwendet werden.

(Beifall bei der SPD.)

Lassen Sie mich dann zu dem Problem der Ertragsstreuung übergehen. Wir wissen, daß es bei einem Kohlepreis von 60 bis 65 DM ab Zeche Unternehmungen mit Gewinnen von 15 bis 20 DM pro Tonne gibt, während sich andere Unternehmungen an der Verlustgrenze bewegen. Ein großer Teil dieser Gesellschaften, die sich heute bei der hohen Beschäftigung an der Verlustgrenze bewegen und nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen eigentlich gar nicht mehr geführt würden und nicht mehr geführt werden dürften, gehört Großkonzernen an. Aber unsere heutige Preispolitik führt im Hinblick auf diese Ertragstreuung zu den merkwürdigsten Ergebnissen. Diese Preispolitik und die Subventionen, die wir dem Kohlebergbau zuführen, kommen natürlich auch den guten Unternehmungen zugute, die heute bereits einen Gewinn von 15 bis 20 DM haben, — mit dem Effekt, daß sie bis zu 16 % Dividende verteilen können und daß sie im übrigen, wie es bei der Zeche Erin ist, mit Hilfe dieser Preispolitik und mit Hilfe öffentlicher Subventionen in der Lage sind, die Eisen- und Stahlindustrie zu finanzieren. Denn zwischen der Zeche Erin und der August-Thyssen-Hütte besteht ein Vertrag, der fünf Jahre hindurch die guten Erträge dieser Zeche der Eisen- und Stahlindustrie — über die August-Thyssen-Hütte — zugute kommen läßt. Dazu dient die Preispolitik mit und dazu dienen die Subventionen, die wir dem Kohlenbergbau zuführen. Für die kleineren Gesellschaften, die unter ungünstigeren Verhältnissen arbeiten, ist der Effekt der, daß die Preiserhöhungen in keiner Weise ausreichen, ihnen die erforderlichen Investitionsmittel zuzuführen, so daß bei einer solchen Preisbildung ihr Rentabilitätsstand von Jahr zu Jahr schlechter wird.
Schließlich führt diese Zersplitterung des Kohlenbergbaus in zahlreiche Gesellschaften mit der unterschiedlichen Ertragslage dazu, daß sich der Kohlenbergbau allmählich von der übrigen technischen Entwicklung in großem Umfang ausschließt. Es sind nur wenige Unternehmungen, die sich etwa auf den Gebieten der Kohle-Veredelung, der KohleChemie, der Kernspaltung und Kernfusion einschalten könnten, weil die Möglichkeiten dazu bei dieser Zersplitterung und Unterschiedlichkeit der Ertragslage sehr beschränkt sind. Wer will, daß der Kohlenbergbau sich in diesen Zug einer modernen wirtschaftlichen Entwicklung einschaltet, der muß diese Zersplitterung des Bergbaus beseitigen. Herr Bundeswirtschaftsminister, ich glaube, Sie geben



Dr. Deist
sich trügerischen Illusionen hin, wenn Sie meinen, es wäre möglich, diese Einschaltung auf der Basis privatwirtschaftlicher Verständigung herbeizuführen.
Die heutige Preispolitik und die Unterstüzung aus öffentlichen Mitteln führt aber dazu, daß der Bergbau eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Machtstellung erhält, die er in einer Weise ausnutzen kann, wie das in den letzten Wochen zur Genüge deutlich geworden ist. Der Herr Bundeswirtschaftsminister ist es gewesen, der festgestellt hat, daß diese Preisfestsetzung einen Mißbrauch der wirtschaftlichen Macht des Kohlenbergbaus darstellt; die Preiserhöhung an sich und noch schlimmer die unsoziale Gestaltung in bezug auf den Hausbrand. In dem Lagebericht des Bundeswirtschaftsministers vom September heißt es daher ganz lapidar: „Tatsächlich hat sich der Kohlenbergbau an der Ruhr über die gesamtwirtschaftlichen Erfordernisse hinweggesetzt", dieser Kohlenbergbau, der seine Stellung und seinen Rang in der Gesellschaft nur dadurch hat, daß er ständig aus öffentlichen Mitteln unterstützt wird und unterstützt werden muß.
Was sich am 1. Oktober in Essen an der Ruhr in dem Gespräch des Bundeswirtschaftsministers mit dem Kohlenbergbau abgespielt hat, ist ein deutliches Zeichen dafür, wie die Macht in Deutschland zwischen dem Ruhrbergbau und dem Herrn Bundeswirtschaftsminister und der Bundesregierung verteilt ist. Es war schon etwas komödiantisch, daß der Bundeswirtschaftsminister wie ein Volkstribun in die Höhle des Löwen nach Essen zog und vor einer Großversammlung von einem halben Tausend hartgesottener Bergassessoren sich Mühe gab, Preispolitik dadurch zu treiben, daß er versuchte, den Preis herunterzureden. So kann man Preispolitik nicht treiben. Ich weiß auch nicht, ob es wirklich eine sehr würdige Rolle war, die der Herr Bundeswirtschaftsminister dort gespielt hat, wenn er immer wieder darauf hinweisen mußte, es komme gar nicht so sehr auf die Preiserhöhung an, sondern entscheidend sei das Politikum 16. September: der 16. September mit einer Preiserhöhung einen Tag nach der Wahl sei das Entscheidende; daß dort Erörterungen angestellt wurden, ob es richtig sei, einer Regierung, die sich vor und nach der Wahl dafür stark gemacht habe, daß keine Preiserhöhungen vorgenommen würden, ausgerechnet am 16. September eine Preiserhöhung hinzuknallen; und daß es doch wohl unmöglich sei, wenn die Kohleindustrie gerade dieser Regierung eine solche Maßnahme aufzwinge. Das ist es, was die Rolle des Bundeswirtschaftsministers gegenüber einem solchen Industriezweig unwürdig erscheinen läßt. Dadurch wird die öffentliche Autorität auf das bedenklichste gefährdet. Wenn die Mitteilungen, die ich bekommen habe, richtig sind — ich zweifle nicht daran —, haben Sie vor diesen Bergassessoren doch geradezu gebettelt, daß ein Aufschub wenigstens bis zum 1. November vorgenommen werde. Haben Sie dort nicht ausgerufen, ob denn kein Mensch da sei, der für die Bundesregierung Verständnis aufbringe? Wurde dann nicht gefeilscht, ob 93 Pf oder 65 Pf aus der Preiskalkulation herausgenommen oder wieder hineinmanipuliert werden? Das, Herr Bundeswirtschaftsminister, ist es, was wir an Ihrer Wirtschaftspolitik und Ihrer Preispolitik auszusetzen haben: daß Sie in Wirklichkeit gegenüber diesen mächtigen Gruppen in der Wirtschaft nicht die Autorität der Regierung durchzusetzen wissen.
Das Verhalten des Bergbaus war eine Demonstration der Macht des Kohlebergbaus gegenüber der Bundesregierung.

(Beifall bei der SPD.)

Es kam dem Kohlebergbau nur darauf an, diese Macht zu beweisen und sein Prestige zu wahren. Da sind Worte von seiten des Kohlebergbaus gefallen wie die, daß man hier für eine gerechte Sache gekämpft habe. In dieser Versammlung ist Beschwerde darüber geführt worden, daß Gesellschaften, die im Bundeseigentum sind, die also von der Bundesregierung abhängig sind, sich erdreisten, in diesem Klub privater Kohlegesellschaften auch ein Wort zu dem Kohlepreis zu sagen.

(Abg. Dr. Hellwig: Hat Herr Dr. Bleiß das nicht vorhin bestritten?)

— Ich habe Ihnen gesagt, was in dieser Versammlung vor sich gegangen ist, und habe von Herrn Dr. Bleiß nicht gesprochen.
Ich hätte gewünscht, daß der deutschen Bevölkerung nicht nur Bundestagssitzungen über das Fernsehen gezeigt werden, sondern ich hätte gewünscht, daß das deutsche Volk durch das Fernsehen hier einen Einblick bekommen hätte, wie Minister sich vor den Thronen der Bergbaugewaltigen verhalten.

(Beifall bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Die haben ja die Wahlgelder bezahlt!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0300504700
Herr Abgeordneter Dr. Deist, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Friedensburg?

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300504800
Ja!

Dr. Ferdinand Friedensburg (CDU):
Rede ID: ID0300504900
Herr Kollege Deist, sehnen Sie sich nach den Zeiten von Adolf Hitler zurück?

(Oh-Rufe von der SPD. — Zuruf von der Mitte: Mit seiner Zwangswirtschaft! —Abg. Mellies: Das war eine Verlegenheitsfrage! — Weitere Zurufe von der SPD.)


Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300505000
Herr Kollege Friedensburg, mir ist nicht ganz verständlich, was Sie mit dieser ja wohl nur rhetorisch gedachten Frage bezwecken.

(Zuruf von der SPD: Ihm selber auch nicht!)

Daß ich Zeiten wie die Adolf Hitlers nicht zurückwünsche, das könnten Sie wohl wissen, und das wissen Sie auch. Was das Verhalten des Herrn Bundeswirtschaftsministers mit einer solchen politischen Bemerkung zu tun hat, ist mir völlig unerfindlich.

(Sehr wahr! bei der SPD.)




Dr. Deist
Oder sind Sie der Auffassung, daß es zu den Eigentümlichkeiten der Demokratie gehört, daß die Wirtschaftsminister sich vor den Großen der Industrie so verhalten, wie das hier ein Repräsentant der Bundesregierung getan hat?

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0300505100
Herr Abgeordneter Dr. Deist, gestatten Sie eine weitere Frage des Abgeordneten Dr. Friedensburg?

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300505200
Bitte!

Dr. Ferdinand Friedensburg (CDU):
Rede ID: ID0300505300
Herr Kollege Deist, ist Ihnen bekannt, daß es zu den Grundsätzen der Demokratie gehört, daß ein Minister mit den Beteiligten verhandelt und ihnen nicht diktiert?

(Sehr richtig! in der Mitte. — Lachen bei der SPD.)


Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300505400
Herr Kollege Friedensburg, das ist mir nicht nur bekannt, sondern ich weiß, daß das zu den wesentlichen Elementen der Demokratie gehört. Aber zur Demokratie gehört nicht, daß große wirtschaftliche Interessengruppen dem Minister diktieren, was er zu tun hat.

(Beifall bei der SPD.)

Ich meine, Herr Kollege Friedensburg, dieses rhetorische Fragespiel sollten wir jetzt abbrechen, denn es führt nicht zur Klärung der Probleme, die ich hier behandeln möchte. Ich halte diese Probleme für sehr ernst, sonst hätte ich diese Beispiele nicht gebracht.
Ich bin sicher, wenn ein großer Teil der deutschen Bevölkerung wüßte, wie in Wirklichkeit in Deutschland die Machtverhältnisse liegen, dann wäre ihm klar, wie wichtig es wäre, den Kohlenbergbau unter eine effektive öffentliche Kontrolle zu stellen, wie das von 1919 bis 1956 der Fall war, damit nicht Parlament, Bundesregierung und die Masse der Verbraucher rücksichtslos überspielt werden.

(Beifall bei der SPD.)

Aus diesen Überlegungen ergibt sich die eindeutige Konsequenz, daß die Probleme ides Kohlenbergbaus mit den Methoden, die heute in Deutschland im Kohlenbergbau üblich sind, nicht mehr gelöst werden können, sondern daß im Gegenteil im Kohlenbergbau eine Neuordnung durchgeführt werden muß, die sicherstellt, daß entscheidende öffentliche Interessen nicht vernachlässigt werden. Zu diesen entscheidenden öffentlichen Interessen gehört, daß die Energielücke, die auf uns zukommt, geschlossen wird; dazu gehört, daß eine ausreichende Versorgung aus den verschiedensten Energiequellen gewährleistet wird; dazu gehört, daß die erforderlichen Investitionsmittel bereitgestellt werden; dazu gehört, daß Maßnahmen getroffen werden, um den sozialen Stand des Bergarbeiters unter allen Umständen zu sichern; dazu gehört schließlich, daß ein Machtmißbrauch, wie er hier vorgelegen hat, auf jeden Fall verhindert wird. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir pflegen eine solche Ordnung des Bergbaus als eine gemeinwirtschaftliche Ordnung zu bezeichnen.
Lassen Sie mich jetzt noch eine Frage stellen. Ist Ihnen allen eigentlich gegenwärtig, daß es kein demokratisches Land im freien Europa gibt, das sich noch eine solche primitive Form der Führung der Kohlenwirtschaft gestattet wie wir in Deutschland? In Großbritannien ist der Kohlenbergbau zusammengefaßt und nationalisiert. In Frankreich gibt es einen einheitlichen, großen Kohlenbergbau, der ebenfalls nationalisiert ist. In Italien befindet sich der Kohlenbergbau in staatlicher Hand, ebenso ganz überwiegend in Holland. Nur noch in Belgien leistet man sich eine solche privatwirtschaftliche Führung des Kohlenbergbaus mit Kartellen und sogenannter freier Preisbildung mit dem Effekt, daß dieser Kohlenbergbau aus Mitteln der Montanunion, zu denen Deutschland den wesentlichen Beitrag liefern muß, gestützt werden muß und daß dieser Kohlenbergbau in Belgien einem viel stärkeren Dirigismus unterliegt als der übrige Bergbau in Europa, der nicht mehr in rein privatwirtschaftlicher Form geführt wird.
Wir wissen, daß das ein schwieriges und umstrittenes Problem ist. Wir wünschen, daß für die Fragen einer grundlegenden Neuordnung der Kohlewirtschaft auf Grund einer eingehenden Untersuchung eine breite Meinungsbildung in Deutschland erreicht wird. Darum wiederholen wir unseren Antrag, die Verhältnisse im Kohlenbergbau und in der deutschen Kohlenwirtschaft gründlichst zu untersuchen. In England hat sich z. B. die Untersuchung durch die Royal Commissions als eine sehr gute Methode bewährt, schwierige Probleme zu lösen.
Herr Kollege Friedensburg, Sie meinten in der letzten Sitzung, im Kohlenbergbau und in der Energiewirtschaft liege eigentlich alles offen zutage. Nach dem, was ich dargelegt habe, kann das nicht der Fall sein.
Ist wirklich restlos klar, inwieweit der Kohlenbergbau durch öffentliche Stützung und Subventionierung erhalten wird? Ist wirklich völlig klar, welchen Einfluß die Ertragsstreuung auf die Investitions- und Preispolitik hat? Ist wirklich völlig klar, mit welchen Mitteln wir die Investitionsbedürfnisse im Kohlenbergbau befriedigen können? Ist tatsächlich klar, wie man einen ausreichenden sozialen Stand des Bergarbeiters unter den nun einmal im Kohlenbergbau herrschenden Verhältnissen sichern kann? Ist weiter klar, warum z. B. die Förderentwicklung in Deutschland seit dem Jahre 1938 wesentlich hinter derjenigen in Großbritannien und Frankreich zurückgeblieben ist? Ist klar, warum auch die Leistung unter Tage in Deutschland gegenüber 1938 um 20 % zurückgefallen ist, während sie in Frankreich um 35 und in Großbritannien um 6 % gestiegen ist? Ist ferner klar, warum der Mechanisierungsgrad in der deutschen Kohlenwirtschaft so viel geringer ist als z. B. in Frankreich, England und Holland, obwohl das nicht etwa an der Lagerung der Kohle oder sonstigen geologischen Verhält-



Dr. Deist
nissen liegt? Und ist wirklich klar, meine Damen und Herren, warum der Kohlenbergbau in der Öffentlichkeit rote Zahlen ausweisen muß, wenn er Gewinne von 4 bis 5 DM per Tonne macht? Ich meine, hier ist vieles unklar. Ein Industriezweig, der mit Recht so große Opfer von der Öffentlichkeit und damit von jedem Steuerzahler verlangt, sollte bereit sein, seine Karten auf den Tisch zu legen, damit wir in der Lage sind, in gemeinsamer Arbeit auf der Grundlage eingehender Untersuchungen eine möglichst gesunde Ordnung im deutschen Kohlenbergbau herbeizuführen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0300505500
Meine Damen und Herren, der Herr Bundestagspräsident läßt bekanntgeben, daß er im Hinblick auf seine Verpflichtungen auf der deutsch-französischen Parlamentariertagung morgen die Konstituierung des Ausschusses für gesamtdeutsche und Berliner Fragen nicht morgen, sondern bereits heute um 18 Uhr im Zimmer 214 vornehmen muß.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.

Dr. Ludwig Erhard (CDU):
Rede ID: ID0300505600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, zu dem zu sprechen, was die Kohle im besonderen betrifft, mit Ausnahme der Einleitung von Herrn Kollegen Deist, in der er feststellen zu können glaubte, daß ich die Ereignisse in Rom falsch dargestellt habe.
Ich darf nach dem Zitat von Herrn Abgeordneten Schöne noch einmal das Zitat des Abgeordneten der Gemeinsamen Versammlung Nederhorst verlesen.

(Zuruf von der SPD: Ist das ein deutscher Sozialdemokrat?)

— Moment, Sie kommen auch noch dran! — Er sagte:
Die Hohe Behörde übersieht geflissentlich noch immer, daß die nationalen Regierungen ihre Rechte wieder an sich reißen. In Ziffer 100 des Berichts finden wir eine eingehende Zusammenfassung, aus der hervorgeht, daß die nationalen Regierungen sich auf dem Gebiet der Preise und auf dem Gebiet des Handels bestimmte Befugnisse anmaßen, die ihnen nach dem Vertrag nicht zustehen.
Es steht eindeutig fest, daß nach dem Vertrag für die Preise nur die Hohe Behörde zuständig ist.
Herr Kollege Kreyssig hat auf der letzten Tagung in Rom wortwörtlich ausgeführt — man beachte die besonderen Formen der Höflichkeit in diesen Ausführungen! —:
Weil ich aber die Frage der funktionellen Zusammenarbeit angeschnitten habe, muß ich auf den gleichen Punkt zu sprechen kommen, den soeben mein Kollege Wigny erwähnt hat, auf den etwas erstaunlichen Passus, den wir heute früh von dem sehr verehrten Herrn Vertreter
der deutschen Bundesregierung gehört haben. Er hat von den Schwierigkeiten gesprochen, die sich hinsichtlich der Kohlepreise und mancher anderer Fragen ergeben haben, und hat dann wörtlich gesagt: „Angesichts dieser Schwierigkeiten, die sich aus den formellen Vorschriften des Vertrages ergeben,
— wobei ich noch auf die unterschiedliche Konjunktur- und Währungssituation hingewiesen habe —
dürfte der praktisch mögliche und richtige Weg darin bestehen, daß weder die Hohe Behörde noch die Regierungen auf Zuständigkeiten pochen", sondern sich gewissermaßen untereinander verständigen.
Was die Zuständigkeiten und nicht zuletzt den berühmten Artikel 3 betrifft, so glaube ich, dem Herrn Vertreter der deutschen Bundesregierung beziehungsweise des Rates sagen zu müssen, daß das gesamte Parlament geschlossen hinter der Hohen Behörde stehen wird, wenn sie auf den Zuständigkeiten beharrt, die ihr im Vertrag gegeben worden sind.

(Abg. Dr. Deist: Na und?)

Und jetzt frage ich noch einmal: Wer ist nun für die Preisbildung verantwortlich? Nach dem Vertrag eindeutig die Hohe Behörde! Weil ich aus meiner gesamtwirtschaftlichen Verantwortung heraus die Schwierigkeiten empfinde, die sich hieraus wegen der auf Kohle und Stahl beschränkten Preiszuständigkeit der Hohen Behörde in der Praxis ergeben, sowie vor allen Dingen auch angesichts der Vorwürfe, die Sie gegen die deutsche Kohlepreispolitik erheben, lege ich dieses Problem hier offen.
Nun, meine Damen und Herren, nur noch kurz ein paar Worte zu dem Problem der Kartelle an der Ruhr. Ich darf feststellen, daß bei der Bildung dieser sogenannten Kartelle, sprich Verkaufsgesellschaften, in vollem Einvernehmen mit der IG Bergbau gehandelt wurde

(Sehr richtig! in der Mitte)

und daß ich es gewesen bin, der jetzt in Luxemburg darauf hingewiesen hat, daß nach meiner Kartellauffassung die Stelle, die ein Kartell genehmigen kann, auch in der Lage sein muß, etwaige Mißbräuche dieses Kartells zu ahnden. Ich glaube, ich habe damit alles nur Mögliche getan, was überhaupt im Rahmen meiner Zuständigkeit und im Rahmen der mir gegebenen Verantwortung getan werden konnte.
Ich bin mit Ihnen völlig einig, daß der Kohlepreis nur ein Symptom ist.
Ich möchte nicht auf die Einzelpreise eingehen, die Sie hier genannt haben. Das ist mir zu billig und ist auch kein echtes Argument, mindestens kein dem Ernst dieser Situation angepaßtes. Ich bin der Meinung — und ich spreche das in diesem Hause, wenn auch nicht vor diesem Bundestag, jetzt seit zwei Jahren immer wieder aus —, daß wir in eine gefährliche Situation hineinlaufen und



Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
daß es einen Mißbrauch wirtschaftlicher Macht eben nicht nur auf der einen Seite gibt, sondern praktisch auf allen Seiten, die beteiligt sind. Das leugnen zu wollen, ist nicht mehr realistisch, und es ist auch innerlich nicht wahrhaftig.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Im übrigen: Sie glauben, die Konjunktur und das wirtschaftlich günstige Schicksal erfordere eine Steigerung des privaten Verbauchs. Der private Verbauch ist in Deutschland kräftig angestiegen, und zwar in der Zeit von 1950 bis 1957 real um 60 %. Diese Ziffern werden Sie bald auch in einer Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes lesen können.

(Abg. Dr. Deist: Wie stark ist das Sozialprodukt gestiegen?)

Aber wenn Sie die Preisentwicklung dieses Jahres 1957 ansehen, Herr Dr. Deist, dann werden Sie feststellen, daß bis zu diesem Herbst bis auf den Kohle- und Stahlpreis die Erzeugerpreise, vor allen Dingen die industriellen Erzeugerpreise, sehr stabil geblieben sind. Sie sagten ja vorhin selbst, bis zum 15. September habe ein ruhiges Klima geherrscht.
Am spürbarsten waren aber die Preissteigerungstendenzen im Verbrauchsgütersektor, und das nicht umsonst. Das war deshalb der Fall, weil die Zunahme des nominellen Einkommens eben das Angebot an Gütern überstiegen hatte. Deshalb stiegen im Verbrauchsgütersektor die Preise stärker als im Investitions- und im Produktionsmittelsektor an.
Ich kann Ihnen aber auch mit Zahlen dienen. Vom Februar 1956 bis zum Februar 1957 sind die Bruttostundenverdienste des deutschen Arbeiters um 8 % gestiegen. Der private Verbrauch ist real gesehen um 7,8 % gestiegen, während z. B. beim gesamten Sozialprodukt im Jahre 1956 nur eine reale Zunahme von 5,8 %, im Jahre 1957 wahrscheinlich nur noch um 5% zu verzeichnen ist. Der gesamtwirtschaftliche Produktivitätszuwachs beziffert sich im Jahre 1956 auf 2,1 %.

(Abg. Dr. Deist: 1957?)

— 1957 wird er etwas höher sein. (Abg. Dr. Deist: 8 %!)

— In der Industrie jedenfalls! Aber die Industrie kann ja schließlich nicht alles allein auffressen, was sie produziert, sondern sie ist ja nur ein Teil der Volkswirtschaft.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)

Sie müssen für die ganze Volkswirtschaft rechnen, und in diesen Ziffern — Bruttostundenverdienst Zunahme von 8 %, Zunahme des privaten Verbrauchs von 7,8 %, Zunahme des realen Sozialprodukts von 5 % bzw. auf den Erwerbstätigen bezogen von 2 bis 3% — haben Sie die ganze Problematik, die ganzen Sorgen unserer Zeit. Das wird in der ganzen Welt deutlich erkannt; bloß hier in
diesem Hohen Hause kann man nicht einigermaßen sachlich über dieses Problem sprechen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

Ich habe ja neulich meinem gepreßten Herzen auch in einem Artikel „Gebet dem Staate, was des Staates ist" Luft gemacht. Wer hat denn überhaupt noch Verständnis dafür? Jede Gruppe denkt an sich. Wir laufen in eine Entwicklung hinein, in der jeder weniger arbeiten, mehr verdienen und mehr verbrauchen will. Die Preise sollen womöglich heruntergehen, und der Staat soll noch höhere Leistungen erbringen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Sie sagten z. B. in bezug auf die Arbeitszeitverkürzung, daß sie plötzlich auf der Tagesordnung stand und durchgeführt werden mußte. Ist das etwa vom Himmel gefallen? Ich bin der Meinung, wir treten nach einem falschen Gesetz an, wenn wir in Deutschland, wo wir noch so viel zu leisten haben, in der Arbeitszeitverkürzung alle Rekorde schlagen wollen.

(Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Gut, ich habe nichts dagegen, daß wir es tun. Aber dann müssen wir uns alle darüber klar sein, daß das auch Bescheidung von jedem einzelnen verlangt.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Ich bleibe also nach wie vor bei meiner Aussage, daß es das Ziel der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung sein wird, das Preisniveau unter allen Umständen stabil zu halten. Nicht zuletzt aus diesem Grunde müssen wir angesichts der vielfältigen Anforderungen an den Bundeshaushalt systematisch von den Subventionen wegkommen. Ich habe keine Lust, Herr Dr. Deist, mit meinem Steuergeld z. B. Ihren Brot- und Kuchenkonsum zu subventionieren, und ich verlange das auch von Ihnen nicht.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das schließt nicht aus, daß man bei der Endregelung etwas tun kann, um den wirklich Armen und den Kinderreichen eine notwendige Entlastung zuteil werden zu lassen.

(Erneuter Beifall in der Mitte und rechts.)

Wenn wir aber die Preise stabil halten wollen, müssen wir uns daran gewöhnen, nicht immer mit der Stange im Nebel herumzufahren, sondern mit ganz wenigen Zahlen an die Problematik heranzugehen. Ich bin wahrscheinlich schon bald in der Lage, eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, die Sie immer verlangt haben, vorzulegen. Dann bin ich nur gespannt, ob auch die Sozialpartner geneigt sein werden, sich den Erkenntissen und den Konsequenzen dieser volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zu fügen.

(Abg. Dr. Deist: Erst einmal vorlegen!)

Ich finde, es ist allmählich eine Geschmacklosigkeit geworden, wenn Sie immer wieder sagen, ich



Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
hätte am 16. September einen Wechsel präsentiert erhalten. Wenn ich ein schlechtes Gewissen hätte, hätte ich wahrscheinlich anders reagiert. Sie wissen ganz genau, Herr Dr. Deist, daß das mit dem Wechsel nicht stimmt. Was würden Sie dazu sagen, wenn ich Ihnen den Vorwurf machte, Ihre Freisprechung der Gewerkschaften von allen Sünden und von aller Schuld betreffe ebenfalls die Einlösung eines Wechsels!

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0300505700
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Deist?

Dr. Ludwig Erhard (CDU):
Rede ID: ID0300505800
Ja!

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300505900
Herr Bundeswirtschaftsminister, ist Ihnen nicht ungeachtet aller Schärfe, die eine solche Debatte nach der Natur der Sache wohl haben muß, nicht aufgefallen, daß es sich nicht um private Angriffe gegen den einen oder andern, sondern um die politische Struktur in Deutschland handelt und daß es hier um die Politik der Regierung und der Koalition und nicht um den Herrn Professor Erhard geht?

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Ludwig Erhard (CDU):
Rede ID: ID0300506000
Was ich hier für mich sage, sage ich auch im Namen und für die Bundesregierung; das gilt für die Bundesregierung in ihrer Gesamtheit genauso wie für mich persönlich. Aber Sie haben mich persönlich angesprochen, daß ich einen Wechsel präsentiert erhalten hätte.
Dann — auch das gehört zur Frage „politischer Stil" — zu den Mineralölpreisen. Auf dem sogenannten „Suez-Pfennig" reite ich, bildlich gesprochen, schon seit vier Monaten herum. Aber gerade in letzter Zeit, das kann ich Ihnen versichern, habe ich hier nichts mehr unternommen, weil ich sah, daß die Sache sowieso ihren Gang nimmt.
Wenn Sie es ganz genau wissen wollen: von den Verdienstkreuzen, die verliehen worden sind, ist keines auf Antrag des Bundeswirtschaftsministeriums verliehen worden. Im übrigen werden diese Orden vom Herrn Bundespräsidenten verliehen.
Wenn Sie glauben, daß durch die Verhandlungen in Essen meine Autorität Schaden gelitten hätte: über meine Autorität wache ich selbst; sorgen Sie für die Ihre, Herr Dr. Deist!

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Und noch ein letztes Wort. Ich finde es auch wieder merkwürdig, daß man diese Wirtschaftspolitik anklagt, die sich jedenfalls im europäischen Vergleich als recht erfolgreich erwiesen hat. In diesem Augenblick, während wir hier diskutieren, haben wir in Deutschland den höchsten Stand der Produktion, den höchsten Stand der Beschäftigung und den höchsten Stand des Verbrauchs erreicht. Ich glaube, das sind die eigentlichen Fakten und die Maßstäbe, an denen der Erfolg einer Wirtschaftspolitik gemessen werden kann.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0300506100
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hellwig.

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300506200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man spricht in den Tagen seit der Wahl soviel von einem neuen Geist und dem Ringen um einen neuen Geist in der Sozialdemokratischen Partei. Ich muß ehrlich gestehen, daß ich von dem neuen Geist eigentlich nicht sehr viel verspürt habe. Vielmehr hat die Debatte, wie sie hier vor allem von Herrn Kollegen Dr. Deist im zweiten Teil seiner Ausführungen geführt wurde, eine solche Fülle von Ressentiments und Vorurteilen, aber auch von programmatischen Dingen erkennen lassen, daß man fast das Gefühl hat: Er ist bei dem Studium der Kohlenpreisgeschichte bis zum Jahre 1891 zurückgegangen, nämlich bis zur Gründung des damaligen Ruhrkohlensyndikats. Es liegt da in der Nähe ja gleich das Erfurter Programm der SPD von 1890. Irgendwie ist mit der alten Sozialisierungsforderung am Ende der Kern dessen berührt, was' auch heute angestrebt wird.
Ich glaube aber, daß seine Ausführungen der gesamten deutschen Kohlewirtschaft, insbesondere im Hinblick auf die Diskussionen, die bei der Hohen Behörde über unsere Kohlepolitik stattfinden, keinen guten Dienst geleistet haben, indem er eine Fülle von völlig legitimen Förderungsmaßnahmen hier laufend als „Subventionen" bezeichnet hat und damit den anderen das Stichwort gegeben hat, die nur darauf warten, die deutsche Bundesregierung und die deutsche Kohlewirtschaft dort vor den Kadi zu ziehen und unerlaubte Subventionspolitik dort zur Sprache zu bringen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU. — Abg. Schröter [Berlin] : Wie wäre es mit der Anklage wegen Landesverrats?)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0300506300
Herr Abgeordneter Dr. Hellwig, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Deist?

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300506400
Bitte!

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300506500
Herr Hellwig, meinen Sie wirklich, daß man Diskussionen in diesem Parlament in der Form führen kann, daß man Äußerungen der Kritik an der Regierung sofort als nationalen Landesverrat verdächtigt? Denn das liegt in Ihrer Bemerkung.

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300506600
Verzeihen Sie, Herr Dr. Deist: ich habe nicht Ihre Kritik an der Kohlepolitik behandelt, sondern habe die Ausdrücke, die Sie gewählt haben, gebrandmarkt.

(Zurufe und Lachen bei der SPD.)




Dr. Hellwig
Sie haben von „Subventionen" gesprochen, obgleich Sie wissen, daß Subventionen bei bestimmten steuerlichen und anderen Maßnahmen absolut nicht vorliegen, jedenfalls nicht Subventionen im Sinne dessen, was der Montanvertrag nicht gestattet. Das habe ich gerügt.

(Zuruf von der SPD: „Gerügt" ! Wir sind nicht in der Schule!)

Nun zu der Frage, welche Sprache hier und im Montanparlament geführt wird. Ich muß gestehen, Herr Dr. Deist, daß ich auch nach Ihren aufklärenden Bemerkungen noch keine Übereinstimmung zwischen dem, was die Presse über die Erklärungen Ihrer Kollegen im Montaparlament berichtet hat, und dem, was hier gesagt wurde, feststellen kann. Vielleicht übermitteln Sie dann der Presse eine Richtigstellung.
Eine weitere Frage. Ein Widerspruch scheint mir vor allem auch in den Auffassungen und Ausführungen der SPD zur Frage des Kohleverkaufs vorzuliegen. Es wird hier ganz massiv gerügt, daß Kohleverkaufsgesellschaften in Kartellform arbeiteten; aber es wird verschwiegen, daß die Aufrechterhaltung des organisierten, gemeinschaftlichen Kohleverkaufs in diesen Gesellschaften auch eine Forderung der SPD und der Gewerkschaften war.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Das müßte doch auch gesagt werden. Dann schrumpft nämlich das Problem sofort auf das zusammen, was der Bundeswirtschaftsminister gesagt hat: ein Problem der Kontrolle dieser Organisation durch die dafür zunächst zuständige Hohe Behörde. In diesem Sinne hat der Bundeswirtschaftsminister ganz klar die Verantwortung der Hohen Behörde angesprochen.
Worum geht es denn bei dieser Kohlepreisdebatte? Ich habe manchmal den Eindruck gehabt, daß es zunächst nur ein Nachtusch zum Wahlkampf sei. Aber zum Schluß der Ausführungen des Kollegen Dr. Deist wurde deutlich, daß man eine neue Absprungbasis für ein Sozialisierungsprogramm sucht,

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

nachdem die eigentumspolitische Diskussion im Wahlkampf nicht mehr angekommen ist.

(Erneute Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Nun, meine Damen und Herren, das ist im Interesse der deutschen Kohlewirtschaft sehr zu bedauern. Wir leiden bei der deutschen Kohleproblematik unter der Tatsache, daß sie immer wieder zum Gegenstand von Tagespolemik und von politischen Tendenzen gemacht wird und daß damit der Blick für die eigentliche Zukunftsaufgabe getrübt wird. Wir streiten hier im Augenblick um bestimmte Formen, in denen ein Vorgang in den letzten Wochen über die Bühne gegangen ist, und vergiften damit — so möchte ich ganz offen bedauernd sagen — im Grunde genommen die Atmosphäre, in der allein eine langfristige gesunde Kohlepolitik betrieben werden kann.
Nun einige Worte zu der Erklärung des Herrn Bundeswirtschaftsministers. Die CDU/CSU-Fraktion unterstreicht diese Erklärung, insbesondere auch in den Punkten, in denen Kritik geübt wird an der Art des Vorgehens des Ruhrbergbaus, an dem Ausmaß der Preiserhöhung und vor allem an der globalen Rechnung, die hier aufgemacht worden ist. Es darf vielleicht in diesem Zusammenhang daran erinnert werden, daß wir bei anderen Wirtschaftsbereichen — ich nenne die Landwirtschaft -- solche globalen Vergleichsrechnungen auch früher als ungerechtfertigt bezeichnet haben und daß wir es nicht für richtig halten, daß mit einer solchen globalen Rechnung aus dem gewerblichen Bereich nunmehr das Stichwort für ähnliche Rechnungen anderer Wirtschaftszweige geliefert wird.
Von den psychologischen und politischen Fehlern, die hier gemacht worden sind, brauche ich im einzelnen nicht mehr zu sprechen. Ich glaube, es ist auch für den Bergbau selbst unzuträglich, wenn bei solchen Maßnahmen nicht ein Minimum von politischem, taktischem und psychologischem Einfühlungsvermögen in das Gesamtproblem der Preise vorhanden ist. Der Bergbau wehrt sich gegen den sogenannten politischen Preis, und er weist darauf hin, daß von 1924 bis 1948 der Kohlepreis als politischer Preis tabu gewesen, stabil geblieben ist. Aber dann darf man nicht gleichzeitig selbst Veranlassung dazu geben, daß der Kohlepreis wieder in den Mittelpunkt einer leidenschaftlichen politischen Diskussion gerät. Man kann nicht sagen, man wolle keinen politischen Preis, und dann trotzdem das Stichwort zur politischen Diskussion des Kohlepreises geben, wie es hier geschehen ist.
Meine Damen und Herren! Wir unterstreichen in der Erklärung des Herrn Bundeswirtschaftsministers vor allem die Ausführungen über die Leistungen, die dem Bergbau zugeführt worden sind. Dabei möchten wir ganz klar feststellen, daß es keine Leistung ist, die etwa nur der Wirtschaft des Bergbaus zugute gekommen ist; sie ist vielmehr allen Beteiligten zugute gekommen, nicht zuletzt dem Kohleverbraucher durch die Verbesserung der Kohleversorgung. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat einleitend ja darauf hingewiesen, daß wir die sonst übliche jährliche Debatte über Versorgungsprobleme in diesem Jahre nicht haben. Weiter sind diese Fördermaßnahmen der Gesamtheit der Bergarbeiter zugute gekommen; denn die Erhaltung der Lohnspitze, der Bergarbeiterwohnungsbau, die Arbeitszeitverkürzung und viele andere Dinge mehr sind doch nur mit den zusätzlichen Leistungen durch die Bundesregierung ermöglicht worden. Dem Bergbau selbst schließlich sind diese Maßnahmen insofern zugute gekommen, als der praktisch eingetretene Stillstand in seiner wirtschaftlichen Entwicklung, in seinen Investitionen, in seiner Vorsorge für die Zukunft, der fast Jahrzehnte hindurch angehalten hat, endlich überwunden und ein Ausgleich für gestiegene Lohn- und Sozialbelastungen geschaffen worden ist.
In diesem Zusammenhang unterstreichen wir das, was der Herr Bundeswirtschaftsminister zweimal über eine bestimmte Art von Kompetenz der Bun-



Dr. Hellwig
desregierung ausgeführt hat. Der Kohle- und Eisenpreis unterliegt zunächst nach dem Montanvertrag der Jurisdiktion durch die Organe der Montanunion. Wir können aber das Kohle- und Eisenpreisproblem als Ganzes nicht aus der nationalen Wirtschaftspolitik ausklammern lassen. Der Artikel 3 des Montanvertrages ist unklar. Ein Verzicht der Bundesregierung würde eine Gefahrenquelle für die Stabilität des Preisniveaus in der ganzen Wirtschaft außerhalb des Kohle- und Stahlsektors heraufbeschwören. Daher unsere dringende Bitte, daß eine engere und rechtzeitige Konsultation mit der zuständigen Hohen Behörde entwickelt wird.
Es ist nach unserer Meinung aber auch unmöglich, daß in Luxemburg in relativ kurzer Zeit widersprüchliche Erklärungen zum Kohlepreis abgegeben werden. Zunächst hat die Hohe Behörde gegen die eingereichten Kohlepreislisten keine Einwendungen erhoben, so daß sie in Kraft getreten sind. Nach Pressemeldungen hat der Präsident der Hohen Behörde am 10. Oktober auch die deutsche Preisanhebung im Vergleich mit anderen Revieren als maßvoll bezeichnet. Neuerdings — der Herr Bundeswirtschaftsminister hat es erwähnt — ist ein Brief beim Bundeswirtschaftsministerium eingegangen, wobei im Hinblick auf die Kohlepreiserhöhung ein Zuviel an 1,50 DM genannt wird. Hier stellt sich also die Frage, ob nicht eine sorgfältigere Prüfung der eingereichten Preislisten und hierfür eine Neuregelung der Fristen zwischen der Einreichung und dem Inkrafttreten solcher Preislisten notwendig wird.
Wir unterstreichen weiterhin die Erklärung des Bundeswirtschaftsministers, daß das Problem der Kohlewirtschaft umfassender und komplexer ist, als es in der Großen Anfrage der SPD zugegeben wurde; denn neben der Kritik an zurückliegenden Vorgängen brauchen wir eine klare Analyse der jetzigen und künftigen Lage, aber eine Analyse, die nicht nur Kosten und Preise sieht, sondern vor allem auch die volkswirtschaftliche Gesamtsituation, das Lohn- und Preisproblem, die Abhängigkeit der Bergarbeiterlöhne und Sozialbedingungen von der gesamten Lohnentwicklung und den internationalen Vergleich herausstellt.
Es ist doch auffällig, daß in der Großen Anfrage der SPD eigentlich nur von Preiserhöhung, Verteuerung und ähnlichem gesprochen wird, während dort kein einziges Mal nach der Kostenerhöhung gefragt wird. Auch vom Bergabeiterlohn und seiner Entwicklung wird nicht gesprochen. Man interessiert sich offenbar nur für die Preisbewegung, aber nicht für die Ursachen, die doch zunächst bei der Kostenentwicklung gesehen werden müssen.
Ich muß doch, um diesen großen Zusammenhang noch einmal in die Erinnerung zurückzurufen, einige Tatsachen erneut anführen, ohne die eine Verständigung über das Kohleproblem und eine ausreichende Unterrichtung der Öffentlichkeit einfach nicht möglich ist. Die Politisierung und der Aufbau von Kontrollen aller Art haben das Problem nicht gelöst. Das Problem ist auch in England und Frankreich nicht durch die Sozialisierung gelöst worden; denn die Kohlepreise sind in England und Frank-
reich in den letzten Jahren stärker gestiegen als bei uns. Die Preiserhöhung der letzten Tage beträgt im privatwirtschaftlich geführten deutschen Kohlenbergbau 8%, im sozialisierten Bergbau Frankreichs 12 %. Daran wird doch schon deutlich, daß 'die Lösung dieses Problems auch nicht etwa mit einer bestimmten Sozialisierungskonstruktion erreicht wird.
Folgende Tatsachen seien in Ihre Erinnerung zurückgerufen. Erstens: die Industrieerzeugung in der Bundesrepublik hat sich mehr als verdoppelt, während die Steinkohlenförderung im Bundesgebiet die Vorkriegshöhe noch nicht einmal wieder erreicht hat. Daß damit das Problem des Kohlenmangels heraufbeschworen worden ist, ist klar.
Das zweite ist sofort die Folge dieser ersten Tatsache: die wachsende Lücke bei der Deckung des Kohle- und Energiebedarfs. Wir sind in den letzten Monaten ein Kohlendefizitland geworden. Die Einfuhr hat die Ausfuhr erstmals überstiegen.
Drittens: die Investitionen der letzten 40 Jahre waren nicht ausreichend. Aus den Antworten der Bundesregierung und den Beiträgen einiger Redner ist schon hervorgegangen, daß wir in beinahe 40 Jahren nur 14 Schächte neu niedergebracht haben und daß das einfach nicht ausreicht, die Förderhöhe überhaupt auf der gleichen Höhe zu halten. Aber was ist noch darin enthalten? Die Förderung muß in immer größere Tiefen gehen. Die durchschnittliche Abbauteufe im deutschen Steinkohlenbergbau nimmt von Jahr zu Jahr um etliche Meter zu. Damit ist ein automatischer Zuwachs von Arbeits- und Kostenaufwand bedingt.
Die vierte Feststellung, die immer wieder gesehen werden muß: nahezu 60 % der Gestehungskosten des deutschen Steinkohlenbergbaues sind Löhne und Sozialabgaben bzw. lohnbezogene soziale Leistungen. Daher ist jede Lohnbewegung der Volkswirtschaft, die auf den Bergbau übergreift, sofort ein Kosten- und Preisproblem für die Kohle.
Die fünfte Feststellung: die Produktivitätssteigerung im deutschen Steinkohlenbergbau wie in jedem Tiefbergbau ist geringer als in der übrigen Industrie. Während wir in manchen Industriezweigen — ich erwähne hier die eisenverarbeitende Industrie, die Automobilindustrie, die elektrotechnische Industrie usw. — Produktivitätssteigerungen von mitunter 5, 6, 7 % in einzelnen Jahren haben, hat der Bergbau im Durchschnitt — die Zahl ist in den Mitteilungen des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Gewerkschaften nach den Untersuchungen der Hohen Behörde zitiert worden — optimal nur mit einer langfristigen Steigerung von 1,5 % pro Jahr zu rechnen. Bei einer, selbst wenn wir auf 2 % pro Jahr gehen, geringen Produktivitätssteigerung treten also für den Steinkohlenbergbau bei einer heftigen Lohnbewegung die gleichen Fragen auf wie für andere Zweige der Grundstoffwirtschaft, z. B. für die Landwirtschaft, wo hinsichtlich des Lohnkostenanteils und der Möglichkeit, die Produktivität zu steigern, beinahe vergleichbare Verhältnisse vorliegen. So kommt nicht nur vom Bergbau, sondern ebenso von der Landwirtschaft das



Dr. Hellwig
Problem der Anpassung dieser Wirtschaftszweige an die Lohnbewegung auf.
Wir müssen schließlich im deutschen Bergbau mit der Tatsache rechnen, daß sich die Zusammensetzung der Belegschaft gegenüber der Vorkriegszeit entscheidend geändert hat. Wir haben nicht nur die Überalterung, sondern auch die Abwanderung und die unerhörte Fluktuation von neu angelegten Bergarbeitern. Ich glaube, 90 % aller Neuanlegungen im Steinkohlenbergbau gehen wieder verloren, verlassen den Bergbau wieder. Daß das einen zusätzlichen Aufwand bedeutet, ohne die entsprechende Leistungssteigerung zu bringen, versteht sich wohl von selbst.
Trotz dieser erschwerenden Tatsachen für den deutschen Kohlenbergbau ist der Kohlepreis bei uns im großen und ganzen niedriger als in den anderen vergleichbaren westeuropäischen Ländern. Auch das Ausmaß der Kohlepreiserhöhung in den letzten Wochen ist bei uns bescheidener als in den anderen Ländern geblieben.

(Zuruf des Abg. Dr. Deist)

— Verzeihen Sie, Herr Dr. Deist, auf das besondere Problem der lothringischen Kohle komme ich nachher noch zu sprechen.
Wie die Schere zwischen Preis, Förderung und Lohnbewegung im Bergbau sich geöffnet hat, zeigt ein kurzer Vergleich des Lohnaufwands und der Förderung. Vom Halbjahresdurchschnitt 1950 bis zum ersten Halbjahr 1957 sind die Lohnsumme im Ruhrbergbau um 81 % und die Förderung nur um 20 % gestiegen. Das bedeutet, daß der Lohnanteil je Tonne Förderung Ruhrkohle in der gleichen Zeit von 12,90 DM auf 21,57 DM gestiegen ist. Hier wird deutlich, daß ein Ausweichen in den Preis eigentlich zwangsläufig ist; denn, Herr Dr. Deist — um das schon jetzt zu bringen, was ja später noch einmal aufkommt —, glauben Sie wirklich, daß angesichts dieser Lohnsummenbewegung im Bergbau auf eine Anpassung des Preises verzichtet werden könne und daß eine derartige Lohnentwicklung mit anderen Mitteln, d. h. doch im Grunde genommen über die steuerliche Subvention an einen sozialisierten Kohlenbergbau, aufgefangen werden könne? Sie sprachen doch vorhin davon, daß dieses Problem der Lohnspitze im Bergbau nicht mehr über den Preis gelöst werden könne. Wie wollen Sie es dann Ibsen? Doch offenbar nur über die Subvention durch Steuern.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0300506700
Herr Abgeordneter Dr. Hellwig, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300506800
Bitte schön!

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0300506900
Herr Abgeordneter Dr. Deist!

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300507000
Herr Kollege Hellwig, Sie haben eben zutreffend meine Frage wiedergegeben, und sie lautet: Da eine Preiserhöhung praktisch an dem
Konkurrenzverhältnis zur Einfuhrkohle und zum Heizöl scheitert, wie wollen Sie das Problem lösen, ohne nicht durch eine grundlegende Neuordnung des Bergbaus eine ausreichende Investitionspolitik und insbesondere eine Neuregelung der sozialen Sicherheit herbeizuführen? Das war doch meine Frage. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir sagten, wie Sie beabsichtigen, dieses Problem zu lösen, da es über den Preis nicht geht.

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300507100
Herr Dr. Deist, ich muß an den Widerspruch erinnern, in dem Sie sich selbst befunden haben. Sie haben zunächst bestritten, daß Heizöl und andere Energiequellen in der näheren Zukunft eine ernsthafte Wettbewerbsgefahr für den deutschen Kohlenbergbau werden könnten.

(Abg. Dr. Deist: Nein, nein!)

Dann aber sagten Sie, eine Korrektur im Preis sei nicht mehr möglich.

(Abg. Dr. Deist: Dann müssen Sie besser zuhören!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0300507200
Herr Abgeordneter Dr. Hellwig, gestatten Sie eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Deist?

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300507300
Bitte schön!

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300507400
Herr Kollege Hellwig, besteht nicht ein Unterschied zwischen meiner Behauptung, es gebe keinen freien Wettbewerb zwischen der Kohle und der Einfuhrkohle und dem eingeführten Erdöl, und Ihrer Meinung, dann gebe es auch keinen Wettbewerbsdruck? Auch auf dem manipulierten Markt gibt es natürlich Wettbewerbsdruck, aber manipulierten Druck, und darin besteht kein Widerspruch. Aber Sie müssen mit dem Problem fertig werden, wie Sie in einem manipulierten Markt, auf dem es keinen freien Wettbewerb gibt, in dem es aber Grenzen für die Preisbildung gibt, die Probleme des Kohlenbergbaus lösen wollen.

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300507500
Herr Dr. Deist, obgleich Sie über die Frage hinaus längere Ausführungen gemacht haben, ist mir der Widerspruch, den ich festgestellt habe, nicht aufgelöst. Sie können nicht auf der einen Seite bestreiten, daß ein Wettbewerbsdruck vom Heizöl ausgeht, und auf der anderen Seite sagen: Der Wettbewerbsdruck von dieser Seite ist so stark, daß der Kohlepreis unbeweglich werden wird.
Aber nun darf ich eine weitere Feststellung treffen, die ich nicht kräftig genug unterstreichen kann. Meine Damen und Herren, der Ruhrbergbau hat die Arbeitszeitverkürzung, um die es in der gesamten Wirtschaft geht, in der letzten Zeit nicht mehr verdauen können. Das Förderergebnis von 1957 ist etwas geringer als das von 1956. Das ist ein Alarmsignal. Wir müssen mit der Tatsache rechnen, daß, wenn die Arbeitszeitverkürzung nach ihrer Einführung in anderen Wirtschaftszweigen unausweichlich auch auf den Steinkohlenbergbau zukommen sollte, es dann ein Ende hat mit der bisherigen



Dr. Hellwig
Phase der nachhaltigen Steigerung der Steinkohlenförderung.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Eine Sache wird immer vergessen, daß der Kohlepreis im Inland zugleich auch für alle Länder der Montanunion gelten soll. Vor einigen Monaten noch hat man uns vorgeworfen, daß wir bei dem zu niedrigen deutschen Kohlepreis allzuviel deutsche Kohle billig in den anderen Ländern der Montanunion zum Verkauf brächten und diesen Ländern damit sozusagen ein Geschenk machten. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß die sogenannten dritten Länder, außerhalb der Montanunion, erheblich höhere Preise für die deutsche Kohle zahlen, daß dort die Preise gegenüber dem deutschen Inlands- und dem Montanunionspreis zum Teil um 20, 30 und 40 % höher liegen und daß wir wegen dieser Preisdifferenzierung immer angegriffen werden, weil man es in den sogenannten dritten Ländern als eine Diskriminierung empfindet, daß wir dem Inland und den Ländern der Montanunion die Steinkohle zu niedrigeren Preisen zur Verfügung stellten als den dritten Ländern. Ich habe daher Zweifel, ob es richtig ist, sogar zu bedauern — wie das kürzlich in einem Bericht geschehen ist —, daß die Preiserhöhung nicht auch in dritten Ländern Platz gegriffen habe. Ich bin der Meinung, daß diese diskriminierende Behandlung allmählich abgebaut werden muß, wenn wir wirklich zu einer vernünftigen wirtschaftlichen Situation in den europäischen Ländern auch außerhalb der Montanunion kommen wollen. Die Angriffe der dritten Länder gegen die Montanunion rühren ja gerade daher, daß diese preisliche Gleichstellung immer noch nicht herbeigeführt ist.
Neben diesen Angaben zur Kennzeichnung der deutschen Kohlesituation darf ich nun einige internationale Feststellungen bringen, die den großen Zusammenhang des deutschen Kohleproblems mit der Gesamtheit der Lohn-, Preis- und Produktivitätsbewegung in der Volkswirtschaft klarmachen. Ich darf zunächst einen holländischen Sozialisten zitieren, Herrn Nederhorst, der diese Ausführungen auch in Rom gemacht hat. Ich hätte diese Gedanken eigentlich auch gern etwas deutlicher in den Ausführungen der sozialdemokratischen Kollegen gehört. Hier heißt es wörtlich:
Die Kohleförderung steht unter dem Druck dauernder Kostensteigerung.
Daraus ergebe sich eine laufende Kohlepreiserhöhung ohne Rücksicht auf die Konjunkturpolitik. Das aber stehe im Widerspruch zu dem im Montanvertrag verankerten Grundsatz niedrigster Preise. Ich habe vorhin schon zitiert, daß Herr Nederhorst jede nationale Kohlepreispolitik vertrags- und zweckwidrig nannte. Da ein auf die Kohle ausgeübter Konkurrenzdruck zur Schließung von Zechen oder sogar zur Ausschaltung ganzer Reviere führen würde, sei ein freier Kohlepreis unmöglich. Nun, das ist eine Begründung für die internationale Kontrolle von Verkaufsorganisationen. Insoweit die Hohe Behörde angesprochen wird, befindet sich die Bundesregierung ja nicht weit von der Auffassung, die Herr Nederhorst hier ausgesprochen hat.
Aber wir wollen weitersehen. Woher kommt denn der Druck der dauernden Kostensteigerung? Ich darf hier einmal die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, die BIZ, zitieren, die in ihrem letzten Jahresbericht wörtlich ausführt — ich möchte es zitieren, wenn das der Herr Präsident gestattet, weil von diesem internationalen Gremium bisher am deutlichsten die deutsche Situation auch im Hinblick auf die Kohle gekennzeichnet worden ist —:
Eine Inflationsquelle — und zwar eine von wachsender Bedeutung — war auch die Steigerung der Lohnsätze. In den meisten Ländern stiegen die Stundenverdienste (einschließlich der Bezahlung von Überstunden und Freizeit, aber ohne Sozialleistungen) 1956 viel schneller als in dem Jahr oder in den zwei Jahren zuvor, ja, in einigen Ländern (nämlich in der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten) sogar schneller als die ohnehin überdurchschnittlich wachsende Produktivität der verarbeitenden Industrie.
Damit wird die Spannung zwischen der metallverarbeitenden Industrie — um eine Industrie mit stark steigender Produktivität zu nennen — und der Grundstoffwirtschaft deutlich gemacht. Weiter heißt es dann:
Diese Tendenz zur lohnbedingten Inflation wird unter Umständen durch gewisse Formen der immer beliebter werdenden Praxis, Lohnforderungen mit Produktivitätssteigerungen zu verknüpfen, eher gefördert als gehemmt. Kaum jemals wäre Inflation die Folge, wenn sich die Forderungen im Rahmen der Produktivitätssteigerung hielten, die die gesamte Wirtschaft im Durchschnitt erzielt. Statt dessen greift jedoch in vielen Ländern die Praxis um sich, Lohnforderungen nach der erzielten oder gar erst für die Zukunft erwarteten Produktivitätssteigerung speziell in dem von den Forderungen getroffenen Wirtschaftszweig zu bemessen, und dies ist die Gefahr.
Wenn ich dies hier zitiere, so liegt es mir völlig fern, es nur an eine Seite zu adressieren. Was hier gesagt wird, betrifft die Verantwortung der Unternehmer ebenso wie die der Gewerkschaften in denjenigen Wirtschaftszweigen, in denen man dank glücklicher Produktivitätsentwicklung darüber entscheiden kann, welcher Anteil der Produktivitätssteigerung der gesamten Wirtschaft dem Verbraucher über Preissenkungen zugeführt wird, welcher Anteil über Lohnerhöhungen den Arbeitnehmern und welcher Anteil über den Gewinn für die Investition und für die Eigentümer gegeben wird. Aber bei uns ist in den letzten zwei Jahren in einem Bedenken erweckenden Ausmaß das Verständnis dafür verlorengegangen, daß Produktivitätssteigerungen dort, wo sie in großem Umfang erzielt werden, nicht in voller Höhe nur für Unternehmen und für Löhne eskomptiert werden sollten, sondern über Preissenkungen auch der Gesamtheit der Verbraucher zugute kommen sollten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)




Dr. Hellwig
Das ist das Problem: werden wir es schaffen, dort, wo die Produktivitätsentwicklung derartige Überlegungen ermöglicht — das ist leider im Bergbau nicht in diesem Ausmaß der Fall, es ist in der Landwirtschaft, in zahlreichen mittelständischen Bereichen, im Handwerk und Handel nicht der Fall —, eine Lösung zu finden — die Sozialpartner sind zunächst hierzu aufgerufen —, die die volkswirtschaftliche Folge von Preissenkungen zugunsten der Verbraucher realisiert?
Nun muß ich mich nochmals mit einigen kritischen Bemerkungen auch an den Kohlenbergbau wenden. Denn eines ist in der bisherigen Debatte nicht sehr deutlich geworden, daß nämlich das Problem der Absatzpolitik für die deutsche Steinkohle nicht etwa nur für die jetzigen Wochen Bedeutung hat, daß es auch nicht in fernster Zukunft liegt, sondern sich unter Umständen in diesem oder im nächsten Jahr stellen kann, falls die Nachfrage nach deutscher Kohle im Ausland rückläufig sein sollte. Die Tatsache, daß andere Verbraucher deutscher Kohle in Westeuropa langfristige Frachtverträge auch für Amerikakohle abgeschlossen haben, kann zu der Folge führen, daß man bei einem Konjunkturrückschlag in diesen Ländern die Amerikakohle hereinholt, weil man auf langfristigen Verträgen sitzt, während man die deutsche Ruhrkohle zurückstellt. Das aber könnte die bedenkliche Situation heraufbeschwören, daß bei uns die Rolle des Konjunkturpuffers für die Kohleverbraucher außerhalb des Bundesgebiets übernommen werden muß. Man sollte sehr kritisch prüfen, inwieweit durch längerfristige Lieferverträge des deutschen Kohlenbergbaus im Ausland und im Inland eine stärkere Absatzsicherung und damit eine Stabilisierung der Versorgungslage gerade auch bei gewissen inländischen Abnehmern — siehe Energiewirtschaft — herbeigeführt werden kann.
Ich glaube auch, daß die Probleme, die sich aus dem Selbstverbrauchsrecht hinsichtlich der Spannung gegenüber den anderen Kohleverbrauchern immer wieder ergeben, erneut durchdacht werden müssen. Man darf hier nicht davor zurückschrecken, auch einmal offen zu sagen, daß der Kaufpreis für das Selbstverbrauchsrecht nicht in einer wachsenden Beunruhigung der anderen Kohleverbraucher liegen darf; sonst entwickeln sich Spannungen, die den Fortbestand des Selbstverbrauchsrechts im jetzigen Umfang gefährden. Andererseits sollte anerkannt werden, daß gerade diejenigen, die große Selbstverbrauchsrechte besitzen, sich durch die Hereinnahme größerer Mengen amerikanischer Kohle mit entsprechenden Mehrbelastungen in den letzten Jahren ihrer wirtschaftlichen Gesamtverantwortung durchaus bewußt gezeigt haben. Aber es nützt nichts, vor der wachsenden Verstimmung über das Selbstverbrauchsrecht gerade in den Verbraucherkreisen, die davon nicht betroffen sind, einfach die Augen zu verschließen.
Nun darf ich einige Bemerkungen zu den Ausführungen von Herrn Dr. Bleiß machen. Herr Dr. Bleiß hat kritisiert, daß sich die Dividenden im Bergbau günstiger entwickelt hätten. Ich kann diese Kritik eigentlich nicht verstehen, Herr Dr. Bleiß.
Wenn der Investitionsbedarf des Bergbaus so groß ist — und das wird ja auch von Ihrer Seite anerkannt — und die Bergbauunternehmungen an den Kapitalmarkt herantreten, Aktien und Anleihen emittieren müssen, müssen sie auch eine bestimmte Mindestrentabilität in der Dividende zum Ausdruck bringen. Das hat wohl niemand anders deutlicher gesagt als das Wirtschaftswissenschaftliche Institut des Deutschen Gewerkschaftsbundes, das in seinen Mitteilungen folgendes über das Finanzierungsproblem im Bergbau gesagt hat — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten darf ich zitieren —:
Wie es bei anderen Wirtschaftszweigen der Fall war, hätte bei freien Kohlepreisen auch der Ruhrkohlenbergbau seine Rentabilität und seinen Investitionsmittelbedarf weitgehend über den Preis sichern können. Tatsächlich standen im Ruhrbergbau infolge des Höchstpreissystems nur unzureichende eigene Investitionsmittel zur Verfügung, so daß weder der laufende Investitionsbedarf befriedigt, noch der zur Kapazitätserweiterung notwendige Neubau von Schachtanlagen ausgeführt werden konnte. . . Auch der Kapitalmarkt blieb dem Ruhrbergbau weitgehend verschlossen, da die Kapitalgeber das langfristige bergbauliche Kapitalrisiko scheuten und sich ihnen zudem genügend Industrieobjekte mit besserer Rentabilität zur Auswahl stellten.
Hier ist doch einmal ganz deutlich und in einer anerkennenswert offenen Sprache das Investitionsproblem des Bergbaus auch als ein Rentabilitätsproblem gekennzeichnet. Daher verstehe ich Ihre Kritik an der günstigeren Entwicklung — nicht Spitzenentwicklung —, die die Dividenden im Bergbau genommen haben, nicht.
Es lockt mich förmlich, hier ein Wort zu zitieren, welches ich in jüngsten Kritiken an der Investitionszurückhaltung einzelner Wirtschaftskreise gefunden habe. Es handelt sich um eine Kritik, die an der verarbeitenden Industrie im Saargebiet geübt wird. Da wird von gewerkschaftlicher Seite im DGB-Blatt der Saar förmlich von einem Investitionsstreik der Wirtschaft gesprochen. Ich freue mich darüber, daß man das Erfordernis, zu investieren und mit den Investitionen auch Risiken zu übernehmen, hier einmal deutlich als eine unternehmerische Aufgabe und ein Gebot der unternehmerischen Verantwortung unterschreibt. Dann soll man das auch beim Bergbau richtig sehen.
Nun aber zu den öffentlichen Unternehmungen. Herr Dr. Bleiß hat Kritik geübt, daß die Bundesunternehmungen im Bergbau nicht in ausreichendem Maße eingesetzt gewesen seien, und Herr Dr. Deist hat dann die Forderung nach einer gemeinwirtschaftlichen Neuordnung erhoben. Ich darf angesichts der Kritik des Herrn Dr. Bleiß an den Vertretern der Bundesregierung in den Organen der Bergbauunternehmungen die Gegenfrage stellen: Herr Dr. Bleiß, was haben denn Sie und Ihre Kollegen, die doch in einer ganz erheblichen Zahl in den Aufsichtsräten und Vorständen dieser Unternehmungen sitzen, getan, um Einfluß auf die



Dr. Hellwig
Kalkulationsmethoden und insbesondere Einfluß auf die Preisentwicklung zu nehmen?

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0300507600
Herr Abgeordneter Dr. Hellwig, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Bleiß?

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300507700
Gern!

Dr. Paul Bleiß (SPD):
Rede ID: ID0300507800
Herr Dr. Hellwig, können Sie sich vorstellen, daß uns diese Probleme ständig beschäftigen, daß sie in den Aufsichtsräten dieser Unternehmen immer wieder angeschnitten werden und daß es eine Aufgabe der maßgebenden Herren Ihrer Seite wäre, uns darin zu unterstützen?

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300507900
Herr Dr. Bleiß, wollen Sie sagen, daß in den Aufsichtsräten und Vorständen, in denen Kollegen von Ihnen sitzen, nicht über die Kalkulation und den Kohlepreis gesprochen wird?

(Abg. Dr. Deist: Normalerweise nicht, Herr Hellwig! — Abg. Dr. Bleiß: Der Schleier ist gewöhnlich vorgezogen, Herr Dr. Hellwig; das wissen Sie sehr genau!)

Eine weitere Bemerkung zu der Frage der öffentlichen Unternehmungen und dazu, welche Rolle sie in der Preispolitik spielen sollen. Ich habe immer große Zweifel, insbesondere nach den Erfahrungen in England und Frankreich mit dem sozialisierten Kohlebergbau, aber auch nach den Erfahrungen mit dem Staatsbergbau an der Saar, ob wirklich von öffentlichen Unternehmen, insbesondere wenn sie eine Monopolstellung erlangt haben, die Preispolitik betrieben wird, die Sie erwarten. Ich denke dabei an die Bundesbahn. Auch die Frage der Bahntarife ist vorhin angeschnitten worden als ein Symptom einer angeblich allgemeinen Preisbewegung. Sie wollen doch nicht bestreiten, daß bei der Bundesbahn das Problem der Rentabilität dieses größten deutschen öffentlichen Unternehmens bei gestiegenen Lohn- und Gehaltskosten auch gestellt ist; von dort kommt nämlich das Problem, zum weiteren aber auch von der Arbeitszeitentwicklung. Soll die Bundesbahn hier ausweichen können und soll sie, weil sie öffentliches Unternehmen ist, diesen Druck in anderer Weise ablenken, etwa dadurch, daß sie ständiger Kostgänger des Steuerzahlers, ständiger Kostgänger der öffentlichen Haushalte wird? Das kann doch nicht gewollt werden.
Ich denke auch an die Rolle, die die „öffentlichen Hände" bei der Bewegung der Holzpreise gespielt haben. Ich habe vergeblich den wirksamen Einfluß der fiskalischen Forstverwaltungen gesucht, auf die ja zusammengenommen der größte Anteil am deutschen Forst- und Holzmarkt entfällt, als es damals zu der Hausse der Holzpreise kam. Es war die Einfuhrpolitik des Bundeswirtschaftsministers, die hier Halt gebot, aber nicht etwa die Holzpreispolitik der deutschen Länder, auch nicht der sozialistisch regierten, der Länder, die bekanntlich zu den größten deutschen Holzbesitzern gehören.

(Beifall in der Mitte.)

Nun komme ich zu den Ausführungen des Kollegen Dr. Deist. Er wird verstehen, daß ich auf die Fülle der Dinge, die er vorgebracht hat, nicht eingehen kann, wenn ich nicht die Redezeit ungebührlich strapazieren will. Aber zu einigen allgemeinen Ausführungen muß ich zunächst etwas sagen; ich werde dann noch auf die besonderen kohlewirtschaftlichen Fragen zurückkommen.
Herr Dr. Deist hat gesagt, die allgemeine Preispolitik der Bundesregierung habe auf die Maßnahmen verzichtet, die notwendig gewesen wären, um der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Schwächeren gerecht zu werden, weil man eine Umschichtung der Gesellschaft befürchte; man kapituliere vor den jetzt herrschenden Kräften, man fürchte die Wandlungen, die in der Renten- und Lohnpolitik durch die Stärkung der Schwächeren entstehen könnten, man wolle insbesondere nicht die Lohnpolitik, die zur Umschichtung der Einkommen, die zu einer grundsätzlichen Neuverteilung des Volkseinkommens führe. Er hat also das Ganze als gesellschaftspolitische Zielsetzung herausgestellt.
Dazu zunächst einmal folgendes: Die allgemeine Entwicklung der Einkommen und der Renten in der Bundesrepublik hat bestätigt, daß man eine Erhöhung nur vornehmen kann, wenn man zunächst das kräftig vermehrt, was zur Verteilung kommen soll. Diese Wirtschaftspolitik betreiben wir: nicht zunächst verteilen, sondern erst mehr erzeugen, um dann mehr zum Verteilen zu haben.

(Beifall in der Mitte.)

Dem stellt der Kollege Dr. Deist immer wieder die Behauptung entgegen, daß der Anteil der Lohn- und Gehaltsempfänger am Volkseinkommen ruckläufig sei. Herr Dr. Deist, wir haben uns wiederholt über die Methode solcher Zahlenvergleiche unterhalten. Ich muß es ablehnen, hier über kurzfristige Bewegungen von Halbjahr zu Halbjahr zu diskutieren. Sie wissen genau, welche nur statistischen Schwankungen in einem halben Jahr eintreten können. Wir müssen die Dinge von einem längeren Zeitraum aus sehen. Wenn wir etwa 1955 mit 1957, soweit wir da für das erste Halbjahr schon Zahlen vorliegen haben, vergleichen, erkennen wir ganz deutlich, daß der Anteil von Lohn und Gehalt am Nettoproduktionswert in der metallverarbeitenden Industrie, einem Bereich, den ich hier als kennzeichnend herausnehme, von 40,7 % auf 42,9 %, also doch immerhin merklich gestiegen ist. Das ist eine Bewegung in zwei, drei Jahren, an der man nicht mehr bagatellisierend vorbeigehen kann.
Hier muß noch folgendes gesagt werden: die Kenner der Materie im internationalen Vergleich, etwa ein Nationalökonom von internationalem Rang wie Professor Goetz Briefs, der in seiner Deutschlandzeit den Gewerkschaften durchaus nahestand, haben festgestellt, daß eine bemerkenswerte Beständigkeit der Lohn- und Gehaltsquote am nationalen Einkommen über lange Zeiträume hinweg und



Dr. Hellwig
in zahlreichen Ländern vorhanden ist, in den Vereinigten Staaten ebenso wie in England, Australien und Italien. Zu der gleichen Erkenntnis, daß eine bemerkenswerte Konstanz der Lohn- und Gehaltsquote am nationalen Gesamteinkommen besteht, ist ja 1947 auch schon das Internationale Arbeitsamt gekommen. Zahlreich sind auch die Warnungen aus der Wissenschaft und aus dem internationalen Bereich vor den Versuchen, das vorhandene Sozialprodukt gewaltsam neu zu verteilen, statt sich darum zu kümmern, wie das aufzuteilende ständig zu vergrößern ist. Gewaltsame Veränderungen der Verteilung etwa durch eine Lohnpolitik, die bestreitet, sich nach wissenschaftlichen Grundsätzen ausrichten zu müssen, und die ,die Lohnbewegungen in erster Linie als. eine Machtfrage ansieht, sind besonders gefährlich, wenn sie in einer Phase der Vollbeschäftigung und der Hochkonjunktur erfolgen.
Sie wissen, worauf ich anspiele, Herr Dr. Deist. Es ist vorhin schon einmal der Name von Herrn Otto Brenner genannt warden, der es für den Bereich der metallverarbeitenden Industrie ausdrücklich abgelehnt hat, Rücksicht auf die schwächere Produktivitätsentwicklung in anderen Wirtschaftszweigen zu nehmen, und der, wenn ich es richtig im Gedächtnis habe, neuerdings sogar bestritten hat, daß der Bergarbeiter nach wie vor an der Spitze der Lohnpyramide stehen muß. Meine Damen und Herren, wenn das wirklich eine gewerkschaftliche Einstellung sein sollte — ich kann es noch nicht glauben —, dann ware allerdings das Ende aller Bemühungen um eine versachlichte wissenschaftliche Lohnpolitik gekommen, um die wir doch bisher eigentlich von allen Seiten gerungen haben. Ich kann nur nochmals diese Feststellung aus dem internationalen Material bringen: eine gewaltsame Änderung in der Verteilung beschwört inflationistische Gefahren herauf, vor denen wir die Augen einfach nicht verschließen können.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0300508000
Herr Abgeordneter Hellwig, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Deist?

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300508100
Gern!

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300508200
Herr Kollege Hellwig, würden Sie uns gelegentlich erläutern, was Sie unter einer wissenschaftlichen Lohnpolitik verstehen? Sowas gibt es nach meiner Kenntnis nicht. Ich wüßte auch gern, ob Sie etwa meinen, daß die Lohnpolitik der deutschen Arbeitgeberverbände eine wissenschaftliche Lohnpolitik sei.

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300508300
Herr Dr. Deist, ich bin Ihnen für die Feststellung sehr dankbar, daß es nach Ihrer Meinung keine wissenschaftliche Lohnpolitik gibt. Das ist gerade das Anliegen, um das es im Grunde genommen in dieser Debatte heute geht.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Werden wir gemeinsam die Wege finden, die Lohnbewegungen, ich möchte sagen, in einem wissenschaftlich vertretbaren Rahmen mit den allgemeinen volkswirtschaftlichen Möglichkeiten in Übereinstimmung zu bringen? Werden wir das können oder werden wir es nicht können? Wollen Sie bestreiten, daß wir es können?

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0300508400
Gestatten Sie eine Zusatzfrage?

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300508500
Bitte!

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300508600
Herr Kollege, ich kann hier ja keine Richtigstellung Ihrer merkwürdigen Thesen vornehmen, ich darf hier nur Fragen stellen. Herr Kollege Hellwig, würden Sie als Korrelat zu Ihrer — mir allerdings unverständlichen — wissenschaftlichen Lohnpolitik — ich wüßte auch nicht, wer so etwas ernst nimmt — vielleicht auch eine wissenschaftliche Preispolitik für möglich halten?

(Beifall bei der SPD.)


Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300508700
Herr Dr. Deist, Sie haben immer eine amtliche Preispolitik verlangt. Würden Sie die nicht auf wissenschaftliche Grundlagen stellen?

(Lachen bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, Herr Dr. Deist hat genau verstanden, was ich meinte, nämlich das Bemühen der Sozialpartner und der verantwortlichen Bundesregierung, die wissenschaftlichen Voraussetzungen für das volkswirtschaftliche Maß der Lohnbewegungen

(Abg. Schmitt [Vockenhausen]: Vielleicht auch für das volkswirtschaftliche Maß der Gewinne!)

so zu klären, daß von dort keine inflationistischen Gefahren mehr kommen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.) Das ist doch das Problem.


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0300508800
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300508900
Gern.

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300509000
Ich bitte, mir zur Klarlegung doch noch eine Frage zu gestatten. Das ist doch wohl, Herr Dr. Hellwig, ganz etwas anderes! Alle Grundlagen für die gesamte Lohnpolitik wissenschaftlich zu erarbeiten, um daraufhin lohnpolitische Entscheidungen zu treffen, ist doch wohl ganz etwas anderes als das, was Sie eben gesagt haben. Meinen Sie nicht, Herr Hellwig, daß eine auf wissenschaftlicher Basis beruhende volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, wie wir sie wünschen, haargenau die wissenschaftliche Grundlage abgeben würde, die Sie brauchten?

(Beifall bei der SPD.)


Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300509100
Ich bin Ihnen auch für diese Frage dankbar, Herr Dr. Deist. Die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung haben Sie schon letzt-



Dr. Hellwig
hin in einer hiesigen Diskussion zu dem FDP-Antrag in Erinnerung gebracht, der für die Lohnpolitik in Konfliktfällen eine Versachlichung der Diskussion auf wissenschaftlicher Grundlage anstrebte. Damals haben Sie an Ihren eigenen Antrag erinnert. Aber Gegenfrage: Würden Sie die Autonomie der Tarifpartner einer nationalbudgetmäßigen Vorschau über die Entwicklung von Löhnen, Einkommen und Preisen zum Opfer bringen wollen?

(Abg. Dr. Deist: Würden Sie das tun wollen? — Beifall bei der SPD. — Lachen bei der CDU/CSU.)

- Sie haben die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung verlangt. Herr Dr. Deist, es kommt doch darauf an, die Grenzen deutlich zu machen — und zwar sie mit wissenschaftlichen Mitteln deutlich zu machen —, innerhalb deren sich die Tarifhoheit der Sozialpartner ohne Gefahren für das allgemeine Preisniveau und damit für die Kaufkraft des Geldes betätigen kann. Das ist doch die Aufgabe.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Nun darf ich von diesem allgemeinen Problem der Lohn-Preispolitik noch zu einigen speziellen Erscheinungen übergehen, die auch in den Ausführungen des Kollegen Dr. Deist eine Rolle spielen. Er hat auf verschiedene Preistendenzen aufmerksam gemacht und hat Kritik daran geübt, daß man etwa durch den Abbau bisher gezahlter Subventionen einen Preisauftrieb in einzelnen Bereichen herbeiführt. Er nannte den Brotpreis. Im Grunde genommen liegt ja beim Kohlepreis etwas Ähnliches vor.
Herr Dr. Deist, ich glaube, Sie stimmen wohl darin mit mir überein, daß man Preisauftriebsgefahren, die aus unausweichlichen Kostenbewegungen resultieren — siehe Lohnkosten, Arbeitszeitverkürzung usw. —, nur für eine begrenzte Zeit durch Subventionen oder andere Mittel, die die Preiswahrheit kaschieren, auffangen kann. Das ist auch – übrigens gegen den Widerspruch verschiedener volkswirtschaftlicher Auffassungen — besonders dann empfohlen worden, wenn es sich um Gefahren allgemeiner Preisüberhitzung in der Hochkonjunktur handelt. Aus diesem Grunde sind damals verschiedene Preisauftriebstendenzen durch den Einsatz öffentlicher Mittel aufgefangen worden.
Wenn sich aber solche Subventionen nicht ins Uferlose aufeinandertürmen sollen, muß man zu gewissen Zeitpunkten den Mut und das Verantwortungsgefühl haben, diese Dinge zu korrigieren. Der Zeitpunkt für die Vornahme solcher Korrekturen wird durch das allgemeine Preisklima bestimmt, und da, wie der Bericht des Bundeswirtschaftsministers für den letzten Monat deutlich macht — auch Sie selbst haben darauf hingewiesen —, im Augenblick ein verstärkter Preisdruck aus dem konjunkturellen Bild im Ausland und im Inland zu beobachten ist, ist doch jetzt der Zeitpunkt gekommen, solche Korrekturen vorzunehmen, ohne die Gefahren einer konjunkturell überhitzten allgemeinen Preiswelle auf uns nehmen zu müssen. Wer den Mut zu solchen unpopulären Maßnahmen dann nicht hat und die Verantwortung nicht tragen
will, der steuert den Weg, den Frankreich — um ein Beispiel zu nennen — gegangen ist: Eine Subvention wird auf die andere getürmt, bis das Kartenhaus der Subventionen, das Kartenhaus der Preisunwahrheiten zusammenbricht und die aufgestaute sich in eine sichtbare Inflation umsetzt, und dies in ganz erheblichem Ausmaß.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Das zu vermeiden, ist die Aufgabe einer verantwortungsbewußten Wirtschaftspolitik einschließlich der Preispolitik. Nicht die Preisunwahrheit darf als ständiges Mittel der Preispolitik angewandt werden, sondern die Preiswahrheit muß vor der Öffentlichkeit wiederhergestellt werden.
Wenn wir etwa eine allgemeine Fortsetzung der bisherigen Einkommensbewegung über das erträgliche Maß der Produktivitätssteigerung hinaus bejahen sollten, etwa eine Arbeitszeitverkürzung im gleichen Ausmaß wie bisher im Bergbau fortsetzen wollten, müssen wir auch den Mut haben, die Konsequenzen aus den steigenden Kohlepreisen, Verkehrstarifen usw. der Öffentlichkeit zu sagen. Das wäre, glaube ich, verantwortungsbewußte Wirtschaftspolitik, nicht aber immer wieder der Versuch, die Kostenverteuerungen in diesen Sektoren durch bestimmte Subventionstechniken zu verschleiern.
Nun zu den Ausführungen von Herrn Dr. Deist über das Verhältnis insbesondere zu dem sozialisierten Bergbau anderer Länder. Er hat den Preisvorsprung genannt, der angeblich — ich habe die letzten Zahlen noch nicht nachprüfen können — neuerdings in Lothringen eingetreten sei. Ich habe ihn gefragt, warum er nicht gleichzeitig sagt, daß die Schichtleistung dort wesentlich höher ist und daß insbesondere die Investitionen in den letzten Jahren dort ungeheuer groß waren. Im französischen Steinkohlenbergbau ist von 1952 bis 1954 jährlich der Betrag von etwa 14 bis 16 DM auf die Tonne Steinkohle neu investiert worden; bei uns waren es in diesen Jahren nur 5 bis 7 DM. Ich glaube, daran wird doch ganz deutlich, worin der Preisvorsprung, wenn er dort jüngst effektiv eingetreten sein sollte, seine Wurzel hat. Die besondere Gefahrenquelle des deutschen Kohlenbergbaus liegt eben darin, daß bei uns das Ausmaß der Investitionen nicht dem tatsächlichen Bedürfnis entsprochen hat.

(Präsident D. Dr. Gerstenmaier übernimmt den Vorsitz.)

Hierzu ist die Frage zu stellen, ob wir im Vergleich zu Frankreich und England, was den sozialisierten Bergbau angeht, wirklich so schlecht stehen. Der sozialisierte Kohlenbergbau hat weder in Frankreich noch in England zur Preisstabilisierung beigetragen. Im Gegenteil, er hat zur Preis- und Kostenverschleierung geführt und hat damit die Politik der aufgestauten Inflation, vor deren Ende diese Länder in den letzten Monaten standen, mitgetragen. Man überlegt heute, ob nicht das große Ausmaß der Investitionen, worin auch weit mehr als bei uns beträchtliche Marshallplan-Gelder



Dr. Hellwig
zum Einsatz kamen, gerade im französischen Steinkohlenbergbau zur inflationistischen Bewegung in Frankreich beigetragen hat. Das sollte man deutlich sehen, wenn man uns etwa gemeinwirtschaftliche Lösungen in dieser Richtung empfehlen will.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend folgendes sagen. Wir sind uns, so hoffe ich, darin einig, daß die zukünftige Entwicklung des deutschen Steinkohlenbergbaus ein nationales Anliegen von erster Größe ist, und zwar nicht etwa vom Gesichtspunkt der nationalen Autarkie her gesehen, sondern gerade unter dem Aspekt unserer weltwirtschaftlichen und unserer europäischen Verflechtung. Wir sollten aber den Mut haben, dieses Problem auf den Boden sachlicher Erörterung zu stellen; diesen erhalten wir nur, wenn wir Nebenziele von politischem oder ähnlichem außerwirtschaftlichem Charakter ausklammern. Der Bergbau gedeiht nicht in dem Klima von Tagespolemik und von parteipolitischen Zielsetzungen. Darunter leidet nicht allein der Bergbau, sondern im Grunde genommen die gesamte Volkswirtschaft. Die Quittung für das politische Spiel, das um den deutschen Bergbau seit nunmehr nahezu 40 Jahren getrieben worden ist, hat, wie sich immer wieder zeigt, die Gesamtheit der deutschen Kohleverbraucher und der deutschen Wirtschaft zu zahlen. Vergessen wir nicht, daß die deutsche Steinkohle das einzige große Rohstoffvorkommen ist, über das die deutsche Wirtschaft im internationalen Wettbewerb verfügt, und daß dessen Entwicklung eine der Grundlagen des wirtschaftlichen Wohlergehens nicht nur heute und im nächsten Jahr, sondern der nächsten Generation sein wird.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300509200
Das Wort hat der Abgeordnete Margulies.

Robert Margulies (FDP):
Rede ID: ID0300509300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat zu Beginn seiner Ausführungen davon gesprochen, daß heute nicht mehr von der Menge, sondern nur noch vom Preis die Rede sei. Das ist ein Irrtum — wenn auch ein verzeihlicher --; denn erst heute ist mir ein Bericht über die Ausführungen eines Repräsentanten einer mittelständischen Industrie auf den Tisch geflattert, in dem es heißt — ich darf vorlesen —:
Ein paar Worte zur Brennstoffversorgung. Sie ist für unser Gewerbe dadurch gekennzeichnet, daß sie sowohl bei Braunkohlenbriketts wie auch bei der Steinkohle völlig unzureichend ist, da die Zuteilungen auf zeitlich zurückliegenden Referenzperioden beruhen und somit dem durch den Ausstoßanstieg vergrößerten Bedarf keine Rechnung tragen. Sämtliche Bemühungen, die bis an die höchsten Kohlenstellen herangetragen wurden, mußten leider — —und so weiter und so weiter. Das ganze Vokabular der Planwirtschaft, der Lenkungswirtschaft kommt da wieder hoch und damit natürlich auch die Erinnerung daran, daß seinerzeit im Jahre 1948 der damals doch noch als Spitzenfunktionär der SPD nahestehende Herr Agartz verhindert hat, daß mit der übrigen Marktwirtschaft auch die Kohle die Preisfreiheit bekam. Wir wissen auch, warum das damals so war. Man wollte doch die freigegebene Wirtschaft über die Kohle wieder in die Planwirtschaft einbeziehen. Wir glauben Ihnen, daß sich in diesen acht Jahren in Ihrer Gedankenwelt vielerlei geändert haben mag. Aber ich muß doch sagen, daß die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Deist eigentlich keine besondere Änderung enthalten haben. Wenn er davon gesprochen hat, daß der Preis als der Ordnungsfaktor der Wettbewerbswirtschaft ausgeschaltet werden solle, wenn er die Dividende kritisiert hat — also den Ertrag des Kapitals — und wenn er davon sprach, daß der Bergbau unter öffentliche Kontrolle gestellt werden solle — oder werden müsse, ich weiß es nicht mehr —, dann, meine Damen und Herren, sind wir nicht mehr weit weg von der alten Forderung, die Zechen in Gemeineigentum überzuführen.
Unser Kollege Herr Dr. Deist müßte uns auch einmal erklären, woher er, wenn er schon den Preis durch Subventionen niedrighalten will, dann eigentlich das Kapital für die notwendigen Investitionen hernehmen will, die Investitionen, die erforderlich sind, um die Kohlenförderung entsprechend den Vorstellungen, die wir alle über die Energieversorgung haben, in den kommenden Jahren zu steigern. Das geht dann doch auch nur aus Staatsmitteln. — Ich glaube also, diesen tiefen Griff in die Mottenkiste sozialistischer Vorstellungen, Herr Dr. Deist, könnten wir vom Standpunkt der FDP aus nur begrüßen.
Aber wir haben uns hier auch damit auseinanderzusetzen, daß der Kohlenbergbau eben acht Jahre lang keine Gelegenheit hatte, wie die übrige Industrie sich über den Preis zu finanzieren, daß er hintennachhinkt.
Ich habe auch nicht recht verstanden, warum der Herr Bundeswirtschaftsminister so heftig auf die Kohlenpreiserhöhung reagiert hat. Daß sie ihm vor dem Wahltag bekannt war, hat er uns hier in gewohnter Offenheit zugestanden. Und das Ausmaß muß ihm schließlich auch bekanntgewesen sein.

(Abg. Dr. Bucerius: Wieso „muß"?)

Denn wie käme ich dazu, mehr zu wissen, als der Herr Wirtschaftsminister?

(Abg. Dr. Bucerius: Wußten Sie es denn?)

— Ja, ich wußte es. Es stand — wenn ich Ihnen das
Geheimnis verraten darf — sogar in der Zeitung.

(Heiterkeit.)

Und dann soll es ausgerechnet der Herr Wirtschaftsminister nicht gewußt haben? Gerade Herr Professor Erhard, der doch den Plan kennt, daß die Kohleförderung bis 1965 um 20 Millionen t gesteigert werden soll, und genau weiß, welche Unsummen an Kapital erforderlich sind,. um das zustande zu bringen, muß sich ängstlich davor hüten, das nötige Kapital abzuschrecken.

(Abg. Dr. Bucerius: Doch nicht immer über den Preis!)




Margulies
— Im Augenblick habe ich nicht vom Preis, sondern von den Drohungen gegenüber dem Kohlebergbau gesprochen. Ich bin nicht dazu da, den Unternehmensverband Kohlebergbau zu verteidigen, sondern hier dreht es sich um wirtschaftliche Tatsachen, die uns allen geläufig sind. Ich meine, wenn ein Nachholbedarf in der Preiserhöhung vorhanden ist — da muß ich mich allerdings Herrn Dr. Hellwig anschließen —, müssen wir das eben offen sagen. Wir müssen uns aber fanatisch dagegen wehren, daß aus der Kohlepreiserhöhung eine Kettenreaktion entsteht, daß sich das über das Eisen in die metallverarbeitende Industrie und letztlich bis zum Landarbeiter fortsetzt; denn irgendwie muß das ja mal gestoppt werden.

(Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Alles über den Preis!)

— Jawohl. Der Ordnungsfaktor der Wettbewerbswirtschaft ist der Preis. Wir sehen doch auf allen Gebieten und in allen Bereichen, Herr Professor Schmid, daß das funktioniert. Warum soll es dann bei der Kohle nicht funktionieren? Ich möchte sogar behaupten, daß die acht Jahre Preisunwahrheit bei der Kohle uns in die Situation geführt haben, in der wir jetzt stehen. Deshalb müssen wir uns nun Gedanken darüber machen, wie das weitergehen soll.
Die erste Tatsache, die wohl von niemandem bestritten wird, ist, daß wir zum Ausbau der Kohleförderung Kapital anziehen müssen, daß wir dem Bergbau ermöglichen müssen, für Kapitalien attraktiv zu sein, und das notfalls auch über den Preis. Aber wir sind nicht der Meinung, daß sich die Preiserhöhung nun fortsetzen soll oder fortsetzen darf.
Die zweite Wahrheit, über die hier wohl auch nicht gestritten wird, obwohl Herr Dr. Hellwig vorhin gemeint hat, daß eine Gewerkschaft da inzwischen anderer Meinung geworden sei, ist doch, daß der Bergarbeiter den absoluten Spitzenlohn haben muß, weil er eine gefährliche und schmutzige Arbeit ausübt und weil, wenn er nicht den höchsten Lohn bekommt, kaum noch jemand zu finden sein wird, der diese Arbeit verrichtet. Das scheint mir der Ausgangspunkt für alle Überlegungen zu sein.
Ich werde aber nicht müde werden, Sie daran zu erinnern, daß hier im Bundestag einmal Übereinstimmung darüber bestanden hat, daß immer nur der Produktivitätsgewinn verteilt werden kann und daß man ihn nur einmal verteilen kann. Das ist ja wohl selbstverständlich. Ich wäre nun dankbar, wenn diese Übereinstimmung dahin ausgeweitet würde, daß das nicht etwa branchenweise zu verstehen ist, sondern nur für die Gesamtheit der Volkswirtschaft Gültigkeit hat. Denn wir wissen, daß die Produktivitätssteigerung im Bergbau aus den naturgegebenen Bedingungen heraus eben leider nicht so und nicht im gleichen Maße vorangetrieben werden kann, wie es z. B. in der metallverarbeitenden Industrie möglich ist, daß also, wenn wir in der metallverarbeitenden Industrie auf Grund des dort vorhandenen höheren Produktivitätsgewinns sehr viel höhere Löhne bewilligen, diese selbstverständlich den Spitzenlohn des Bergarbeiters treiben. Es hat jedoch keinen Sinn, wenn wir hier darüber jammern, daß dort ein Keil den anderen treibt. Da müssen wir uns daran erinnern, daß wir eine Regierung haben, die eine Mehrheit in diesem Hause hinter sich hat. Dann soll sie eben die Gesetze vorlegen, mit denen es möglich ist, diese tödliche Spirale zu durchbrechen. Denn ein Keil treibt den anderen, das dehnt sich über die gesamte Wirtschaft bis zum Landarbeiterlohn aus, obwohl doch jeder weiß, daß hier in punkto Produktivitätssteigerung selbst bei Mechanisierung nicht allzu viel zu erreichen ist, jedenfalls nicht schnell ein Forschritt zu erzielen ist.
Ich möchte noch einmal auf das Prinzip zurückkommen, daß eben nicht mehr verteilt werden kann als der Produktivitätsgewinn. Ich hoffe, man wird sich auch darüber verständigen können, daß von dem Produktivitätsgewinn auch der Investitionsbedarf zu decken ist, wenigstens solange wir nicht über einen ergiebigen Kapitalmarkt verfügen. Wir würden uns sonst sehr bald in der Situation sehen, daß nichts mehr zu verteilen ist, daß kein Produktivitätsgewinn mehr entsteht.
Ähnliche Überlegungen gelten für den Unternehmerlohn. Es muß eine Kapitalverzinsung möglich sein, sonst wird man die Kapitalaufstockung nicht vornehmen können, die notwendig ist, um den vergrößerten Umsatz zu bewegen.
Herr Dr. Hellwig machte vorhin die zarte Andeutung, daß man auch einmal daran denken könnte, den Produktivitätsgewinn für Preissenkungen zu benutzen. Das ist nun allerdings gar nicht mehr Mode. Wir befinden uns vielmehr in den letzten Jahren in einer fortschreitenden Geldentwertung, jedes Jahr etwa 23/4 %. Wenn man das zusammenrechnet, kommt schon eine ganz hübsche Kaufkraftentwertung heraus. Ich weiß nicht, wie man das eigentlich vor der Bevölkerung vertreten will, die man doch gleichzeitig zum Sparen und zur Kapitalbildung aufgefordert hat.
Weiter ist naturgemäß bei der Verteilung des Produktivitätsgewinns zu berücksichtigen — an sich eine Binsenweisheit —, daß man den Anteil, der dem Faktor Arbeit bei der Verteilung zukommen soll, auch nur einmal verteilen kann, daß man ihn entweder in Lohnerhöhungen oder in Verkürzung der Arbeitszeit ummünzen kann. Was das letzte Problem angeht, möchte ich Sie auf eine Konsequenz aufmerksam machen, der man dann ins Auge sehen muß. Ich habe sicher nichts dagegen, daß zwei Tage in der Woche nicht gearbeitet wird — von mir aus sogar noch weniger —, aber wir müssen berücksichtigen, daß dadurch der Transportraum um etwa 20 % vermehrt werden muß, weil während dieser zwei Tage nicht entladen wird, der Transportraum stilliegt. Das bedeutet bei der Bundesbahn etwa 60 000 Waggons mehr, das bedeutet eine entsprechende Anzahl Lastzüge mehr und ebenso Binnenschiffe. Da erhebt sich für uns die Frage, ob die vorhandenen Verkehrswege das überhaupt noch ertragen können, ob wir da nicht in Stockungen hineingeraten. Von der Frage, was mit der so gewonnenen Freizeit geschehen soll, will ich jetzt gar nicht sprechen. Es ist meiner An-



Margulies
Sicht nach Sache der Kirchen, der Organisationen und der Gewerkschaften, den Menschen eine Freizeitgestaltung anzubieten und sie dazu zu veranlassen, davon Gebrauch zu machen. Das ist, glaube ich, nicht das wesentliche Problem.
Wir haben anläßlich der Diskussion über die Regierungserklärung davon gesprochen, es bestehe gelegentlich auch die Gefahr, daß sich in einigen besonders günstig gelagerten Industriezweigen die Sozialpartner auf Kosten der Allgemeinheit einigen. Ich glaube, diese bisher nicht so drohende Gefahr, eine Gefahr, die uns eigentlich jetzt erst vor Augen tritt, würde doch zwangsläufig die Bundesregierung wieder auf den Plan rufen müssen, die verpflichtet ist, die Allgemeinheit im Wege der Gesetzgebung zu schützen. Sie wissen, wir haben einen Gesetzentwurf eingebracht — Herr Dr. Hellwig hat davon gesprochen —, mit dem wir versuchen wollen, die Schlichtung wenigstens so weit zu bringen, daß ein vernünftiger Ausgleich erzielt werden kann, daß eine Basis dafür vorhanden ist. Aber ich glaube nicht, daß das der Weisheit letzter Schluß sein kann. Wenn es dahin kommen sollte, daß diese Gefahr akut wird, dann wird sich sicherlich aus ihrer Verantwortung heraus auch die SPD dem Anliegen nicht versagen, daß die Allgemeinheit vor solchen Dingen geschützt werden muß. Die Regierung hat ja an sich eine Mehrheit; sie kann diese Gesetze machen.
Vorhin war davon die Rede, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister möglicherweise in Essen an Autorität eingebüßt habe. Dieses Wort hören wir nicht gern. Unser diesbezüglicher Verdacht richtet sich auch nicht ausgerechnet gegen Herrn Professor Erhard. Die Gesetzgebung ist dazu da, Mißständen zu steuern. Man muß sich eben, wenn man regiert, etwas einfallen lassen, wie man aus diesem Kreislauf herauskommen kann. Denn daß es so weitergeht, wie es jetzt die ganze Zeit gelaufen ist, das halte ich allerdings für ausgeschlossen.
Bedenken Sie bitte auch, daß wir nicht nur eine Lohn-Preis-Spirale haben, die sich im Augenblick einmal wieder in ganz schöner Fortbewegung befindet und die niemals zurücklaufen kann. Es ist ein Zahnrad mit Sperrklinke; darüber ist wohl kein Zweifel. Darüber hinaus hat die zweite Regierung Adenauer in diese Spirale einen neuen Motor eingebaut, sie hat ihr neuen Antrieb verliehen über die Schritte zum Wohlfahrtsstaat, die hier im Hause beschlossen worden sind. Wir wissen heute, was die Rentenreform gekostet hat. Damals, als wir sie beschlossen, konnte es uns kein Mensch sagen. Wir wissen, daß sie eine Erhöhung der Renten um 70 % mit sich gebracht hat und daß die Beträge, die dafür aufzubringen sind, in die Milliarden gehen. Diese Milliarden müssen von der. Wirtschaft aufgebracht werden. Auch sie treiben wieder die Preise in die Höhe.
Ganz ähnlich ist es mit dem Gesetz über die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Sie kennen die Lage der Krankenkassen trotz der vorgenommenen Beitragserhöhungen. Auch diese Beitragserhöhungen müssen von der Wirtschaft aufgebracht werden. Sie müssen dort, wo sie nicht in Produktivitätssteigerungen aufgefangen werden können, in den Preis eingehen. Unsere Länder haben dies von sich aus noch übersteigert; denn sie haben z. B. für die Landwirtschaft und den Fremdenverkehr — beides Gewerbe, in denen es üblich ist, daß die Arbeitnehmer im Hause wohnen —, die Pauschalsätze für Kost und Logis so stark erhöht, daß daraus eine Verdoppelung der Sozialbeiträge herrührt. Ohne daß der Arbeitnehmer augenblicklich den geringsten Vorteil davon hätte, muß der Betrieb das Doppelte an Sozialbeiträgen aufbringen. Was wird er da tun? Er wird eben — und er muß es ja — seine Preise erhöhen.
Meine Damen und Herren, von diesem Hause und von der Bundesregierung her ist der Antrieb der Preisspirale gekommen, über den wir uns heute unterhalten. Herr Dr. Hellwig sagt dazu, das Ausweichen in den Preis sei dann zwangsläufig. Natürlich, später ist es dann zwangsläufig. Das muß man sich überlegen, ehe man solche Gesetze macht, ehe man solche Summen ausgibt,

(Beifall bei der FDP)

und man darf nicht nachher so eine Art bedingungsloser Kapitulation vor der Lohn-Preis-Spirale aussprechen. Das hat keinen Sinn. Wir aber fragen uns: Ist das nun eigentlich die Wirtschaftspolitik aus einem Guß, die die CDU ihren Wählern versprochen hat? Die Regierung muß uns jetzt einmal sagen, wie die fortschreitende Geldentwertung verhindert werden soll. Denn wie soll man sonst zur Kapitalbildung und zum Sparen auffordern?
Was ist überhaupt seit dem 15. September alles auf die Wähler niedergegangen, auf die Wähler, die so brav der Parole gefolgt sind: Sicherheit für alle und Wohlstand für alle! Die „konstruktive Ostpolitik" begann mit dem Abbruch der Beziehungen zu Jugoslawien. Der Beweis, daß die russische Technik wenigstens in Einzelleistungen die Technik der Amerikaner überrundet hat, trägt nicht gerade zur Steigerung des deutschen Sicherheitsgefühls bei. Und der Bruch in der NATO, der jetzt offenkundig geworden ist dadurch, daß Frankreich für sich das Recht in Anspruch nimmt, Handlungen und Verhalten allein zu entscheiden, Handlungen, deren Folgen die westliche Welt nachher gemeinsam tragen muß! Ja, meine Damen und Herren, das ist die „Sicherheit für alle", die unmittelbar nach dem Wahltag dem Bundesbürger geboten worden ist.
Wenn wir uns nun heute über den Kohlepreis unterhalten, der ausgerechnet vor Winterbeginn in die Höhe gegangen ist, wenn wir darüber sprechen müssen, daß die Eisenpreise heraufgesetzt werden, wenn wir hören, daß am 1. Januar der Brotpreis erhöht wird, und wenn wir wissen, daß die Tarife der Transportunternehmen zwangsläufig, schon aus den hier gegebenen Kostensteigerungen, in die Höhe gesetzt werden müssen, dann fragen wir uns natürlich: Wo soll denn diese Reise hingehen? Wo ist denn da der „Wohlstand für alle"? Das ist doch der Weg in die Inflation! Ich muß schon sagen: jede andere Regierung, die solche



Margulies
Dinge auf die deutschen Bürger losgelassen hätte, wie sie jetzt passiert sind, könnte sich heute schon als gescheitert betrachten.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300509400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Friedensburg.
Meine Damen und Herren, ich habe noch eine Reihe von Wortmeldungen. In Anbetracht dessen muß ich die für heute abend vorgesehene interfraktionelle Besprechung absagen. Ich appelliere an die Sprecher, die sich jetzt noch zum Wort gemeldet haben, sich möglichst kurz zu fassen.

Dr. Ferdinand Friedensburg (CDU):
Rede ID: ID0300509500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde mich bemühen, dieser Aufforderung Folge zu leisten, und will versuchen, mich auf einige kurze Bemerkungen zu beschränken.
Zunächst muß unsere Fraktion sich noch einmal zu der Frage der Enquete äußern. Die sozialdemokratische Fraktion hat eine Gesetzesvorlage eingebracht, wonach eine in breitem Rahmen angelegte Enquete über die Probleme der Kohlewirtschaft stattfinden soll. Wir werden der Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik selbstverständlich nicht widersprechen. Wir sind damit einverstanden, daß dieses Problem angesichts seiner großen, beinahe nationalen Bedeutung in Ausführlichkeit und Offenheit im Ausschuß besprochen wird. Aber ich muß gleichzeitig in aller Aufrichtigkeit sagen, daß wir uns mit dem Gedanken einer Enquete zur Lösung dieses Problems nicht recht befreunden können. Wir halten es in der Tat für eine gewisse Diskriminierung der Kohlewirtschaft, wenn sie unter das Kreuzfeuer einer öffentlichen Enquete gestellt wird. Dazu scheint mir der Anlaß nicht auszureichen. Die vom Kollegen Deist zitierte Bemerkung aus einer früheren Rede von mir an dieser Stelle, daß die Dinge genügend klar seien, um zu wirtschaftspolitischen Folgerungen kommen zu können, halte ich aufrecht. Ein ausreichender Anlaß dafür, mit außerordentlichen Kosten und einem außerordentlichen Zeitaufwand womöglich Hunderte von guten Leuten aus Parlament, Wirtschaft usw. ein bis eineinhalb Jahre lang mit einer solchen Enquete zu beschäftigen, scheint mir nicht gegeben. Es bleibt den sozialdemokratischen Kollegen jedoch überlassen, im Wirtschaftspolitischen Ausschuß ihre Gründe hierfür näher darzulegen.
Ich habe noch hinzuzufügen, daß wir jedenfalls bei dieser Erörterung wünschen, daß der bereits von meinem Kollegen und Freund Hellwig angedeutete Zusammenhang mit den Löhnen etwas stärker zum Ausdruck kommt. Meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, Sie würden sich sehr wundern, wenn wir bei irgendeiner Lohnforderung, die von Ihrer oder von Ihnen nahestehender Seite erhoben wird, eine solche parlamentarische Debatte entfachten, obwohl das die Öffentlichkeit genauso angeht, obwohl das die öffentlichen Interessen genauso berührt wie eine Preiserhöhung an irgendeiner Stelle.
Ich habe mir gerade den Zusammenhang zwischen Lohnbewegung und Preisbewegung im Ruhrkohlenbergbau etwas näher angeschaut; ich werde Ihnen bei dieser Gelegenheit doch einige Zahlen nennen, weil darüber gewisse Unklarheiten bestehen. Nach meiner Wahrnehmung sind die Preisbewegungen im Ruhrbergbau — wie übrigens fast in der gesamten Wirtschaft in ganz ähnlicher Weise — beinahe regelmäßig den Lohnbewegungen gefolgt. Wenn ich hier eine Kurve aufzeichnen könnte, würden Sie eine erstaunliche Parallelität feststellen können, und wir würden, wenn wir die Zeiten eintrügen, sehen, daß die Lohnbewegungen vorangehen und die Preisbewegungen hinterdrein folgen. Ich sage nichts gegen die Lohnbewegungen, die ich, weil ich auch einmal vor Ort Kohle gehackt habe, durchaus nicht etwa mißbillige; ich habe durchaus Verständnis dafür, daß unsere Bergleute an der Spitze der Lohnskala stehen und daß sie auch in ihrem sozialen Status möglichst vorankommen. Aber wir müssen uns klarsein, daß das irgendwie bezahlt werden muß. Unser Volk muß sich einmal darüber klarwerden, daß man nicht ständig Forderungen nach einem besseren Leben und nach kürzerer Arbeitszeit stellen kann, ohne daß dann die Preise steigen. So wirtschaftswunderhaft ist unsere Wirtschaftsentwicklung doch nicht, daß sie gegen die Naturgesetze verlaufen kann; da handelt es sich um Gesetze, die niemand ungestraft verletzen kann. Es ist vielleicht gar nicht schlecht, wenn diese Zusammenhänge in einer solchen Untersuchung einmal klargestellt werden, wenn sie auch nicht von einer Enquete-Kommission durchgeführt zu werden braucht.
In dem Zeitraum von 1950 bis 1956 — dieser Zeitraum ist aus vielen einleuchtenden Gründen gewählt — sind die Löhne im Ruhrbergbau bei dem Durchschnitt der Untertagearbeiter um 60 % gestiegen, bei den Vollhauern um 73 %, und bei den Preisen ist eine Steigerung um 45 % festzustellen; Herr Kollege Deist, Sie können es kontrollieren. Ich freue mich, wenn Sie mich kontrollieren wollen.

(Abg. Dr. Deist: Es kommt auf die Ausgangsbasis an!)

Ebenso ist es, wenn wir das monatliche Hauereinkommen usw. vergleichen. Es wird sich immer herausstellen, daß die Lohnbewegung schneller vor sich gegangen ist als die Preisbewegung und daß die Lohnbewegung der Preisbewegung vorangegangen ist. Nichts gegen Lohnerhöhungen, gerade im Bergbau, aber man muß den naturgesetzlichen oder, ich will einmal sagen, wirtschaftsgesetzlichen Zusammenhang erkennen und man muß sich rechtzeitig klarsein, daß alles, was man tut, nicht ohne Folgen bleibt, daß die Reaktion auf die Aktion irgendwo eintreten muß.
Ferner würde ich es sehr gern sehen, wenn wir in einer solchen Untersuchung das Problem der Kohlenlücke, der Energielücke etwas näher durchleuchteten. Wir tun hier immer so, als ob es sich um Bagatellen handelte. Ich erinnere mich an die Zeit, als ich anfing mich mit diesen Dingen zu beschäftigen — es ist schon über 40 Jahre her —; da



Dr. Friedensburg
pflegten wir als Faustregel zu sagen: Der deutsche Kohlenbergbau bringt einen Ausfuhrüberschuß von 1 Milliarde Mark, und diese Milliarde reicht aus, alle übrigen Rohstoffeinfuhren an Erzen, 01 usw., zu bezahlen. Heute ist beim Kohlenbergbau der Überschuß schon sehr zusammengeschmolzen, und wenn wir einmal die wertmäßige Rohstoffbilanz machen, stellen wir fest, daß einem Ausfuhrwert von 2 Milliarden eine Einfuhraufwendung von 31/2 Milliarden gegenübersteht. Wir können uns das vielleicht im Augenblick leisten, es sollte uns aber nicht blind machen dagegen, daß es sich nicht um ewige und zuverlässig feststehende Werte han-dolt und daß es in der Zukunft recht erheblich anders sein kann.
Meine Damen und Herren, stellen Sie sich einmal vor, wir erleben im amerikanischen Kohlenbergbau, von dem schon heute wesentliche Teile unserer deutschen Wirtschaft, insbesondere der Schwerindustrie, abhängen, einen Streik, wie ihn der berühmte Gewerkschaftsführer Lewis — ich darf ihn zitieren, denn er ist kein Sozialdemokrat — mit Vorliebe zu entfesseln pflegt, wenn die Kohle besonders gebraucht wurde; ein solcher Streik hat in der Regel drei bis sechs Monate gedauert. Stellen Sie sich vor, daß es gleichzeitig in Vorderasien — und es gibt Leute, die dafür sorgen, daß die Unruhe in Vorderasien nicht aufhört — mit der Ölversorgung nicht gut geht. Dann werden wir froh sein, wenn wir Kohlen, um welchen Preis auch immer, bekommen, und dann werden wir auf einmal einsehen, wie gefährlich es ist, diesen großen Schatz, den der liebe Gott in unseren Boden gelegt hat, nicht so gut wie nur möglich auszunutzen.
Deshalb, Herr Kollege Deist, würde ich mich auch an Ihrer Stelle geradezu freuen, wenn es den Bergbauunternehmern gelingt, gewisse Erträge herauszuwirtschaften. Wenn das noch nicht gelingt, müssen wir ihnen dazu helfen, dürfen ihnen jedenfalls nicht in den Arm fallen. Denn um die Kohlenlücke schließen zu können, müssen neue Kapazitäten geschaffen werden, und wenn wir neue Kapazitäten schaffen, müssen wir sehr viel Geld auf lange Frist investieren. Da wir nicht verlangen können, daß Menschen, die in der Lage sind, Geld herzugeben, das aus Wohltätigkeit tun, müssen wir ihnen einen gewissen Ertrag zusichern. Auch hier handelt es sich um naturgesetzliche, um wirtschaftsgesetzliche Zusammenhänge, an denen zu rütteln geradezu narrenhaft wäre.
Endlich gestatten Sie mir, Kollege Deist, daß ich Ihre Bemerkungen über den Bundeswirtschaftsminister bedauere. Ich muß sagen, ich hätte gerade Ihnen kaum eine solch kränkende Kennzeichnung zugetraut. Das Wort „komödiantenhaft" für die Reise des Herrn Bundeswirtschaftsministers nach Essen zu gebrauchen, halte ich nicht nur für sachlich völlig falsch, sondern auch — entschuldigen Sie — für reichlich unritterlich. Ich kann sehr wohl verstehen, daß das Verhalten des Herrn Bundeswirtschaftsministers gerade im Zusammenhang mit der einen oder anderen Bemerkung nicht jedermann gefallen hat. Aber ich muß sagen, es hat mir gefallen, daß er den Mut und das Verantwortungsgefühl gehabt hat, in die Höhle des Löwen zu fahren und zu verhandeln.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das in dieser nichtachtenden Weise zu behandeln, halte ich doch für reichlich verfehlt.
Wenn Sie, Kollege Deist, den Herrn Bundeswirtschaftsminister fragen, was er denn eigentlich in den seiner Leitung oder Beeinflussung unterliegengen staatlichen Gesellschaften getan hat, um die Kohlepreisbewegung zu beeinflussen, so muß ich mit einer Gegenfrage antworten. Herr Kollege Deist, soviel ich weiß, sind Sie stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender in einer großen Holdinggesellschaft mit sehr starken Kohleinteressen. Es würde mich interessieren, was S i e dagegen getan haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

Wir können doch unmöglich die Mitbestimmung einführen — wir sind stolz darauf, daß wir damit vorangegangen sind —, wenn Sie dann so, tun, als hätten Sie überhaupt nichts zu sagen. Wie haben Sie gestimmt? Ich habe nicht gehört, daß es dort zu großen Auseinandersetzungen in den Vorständen und Aufsichtsräten gekommen ist.
Man darf doch nicht die Augen verschließen und sich sagen: wir denken darüber nicht nach.

(Zuruf von der SPD.)

— Ich glaube, Herr Kollege, ich habe etwas mehr Ahnung von diesen Dingen, mit denen ich mich seit fünfzig Jahren beschäftige.

(Weitere Zurufe von der SPD.)

Ich meine jedenfalls, daß, wir so nicht taktieren sollten. Ich verstehe sehr wohl die Beunruhigung, ich verstehe sehr wohl Ihr Begehren, über diese Dinge sachlich zu verhandeln. Aber das mit Vorwürfen zu verbinden, sei es gegen den Herrn Bundeswirtschaftsminister, sei es gegen den Kohlebergbau — womöglich gegen beide —, ist ungerecht. Dagegen wehren wir uns, und auf diesem Wege werden Sie es niemals zu einer Besserung und zu einer Aufklärung bringen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300509600
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Kreyssig.

Dr. Gerhard Kreyssig (SPD):
Rede ID: ID0300509700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich zum Wort gemeldet, weil es mir notwendig erscheint, sowohl gegenüber dem Herrn Wirtschaftsminister als vor allem auch gegenüber Herrn Hellwig einige Dinge klarzustellen. Wir sind gewohnt, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister Debatten bedauerlicherweise sehr gern mit einer Art Diffamierung oder Herabsetzung seiner Gegner beginnt. Das ist ihm heute etwas schlecht, ja vorbeigelungen.
Ich möchte vor allem zu dem Stellung nehmen, was er dem früheren Bundestagsabgeordneten Schöne hier glaubte vorwerfen zu können, um da-



Dr. Kreyssig
mit auch der Sozialdemokratischen Partei oder Fraktion etwas anzuhängen. Er hat sich von seinem Hintermann einen Text geben lassen und hat vorgelesen, was der frühere Bundestagsabgeordnete Schöne im Montanparlament vorgetragen hat. Er ist entweder nicht informiert worden oder hat vergessen zu sagen, daß das, was hier von ihm verlesen wurde, von dem Kollegen Schöne im Montanparlament im vergangenen Juni in einer zusammenhängenden Rede über den fünften Gesamtbericht über die Tätigkeit der Gemeinschaft, der von der Hohen Behörde vorgelegt worden ist, gesagt wurde. Bei der Kritik dieses Berichtes sind auch die Ziffern 100 und 128 des Berichts erwähnt worden, in denen die Hohe Behörde dem Montanparlament und damit der ganzen Öffentlichkeit — auch diesem Bundestag — mitgeteilt hat, wie oft, wie häufig und auf welchen Gebieten die Regierungen bei der Preisbildung in einer Form einzugreifen versucht haben, die dem Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl widerspricht.
Ich möchte Herrn Hellwig und all die Herren, die hier zur Rechten sitzen — einschließlich der ganzen Ministerbank —, daran erinnern, daß Sie sich vor fünf Jahren mit sehr viel Feuer und Eifer hier im Bundestag für diesen Vertrag eingesetzt und ihn ratifiziert haben, während wir Sozialdemokraten mit sehr viel guten Gründen darauf hingewiesen haben, welche Gefahren in diesem Vertrag beschlossen liegen. Sie haben der Hohen Behörde die Vollmacht gegeben, für Preise und andere Dinge zuständig zu sein. Das in der Kritik des Gesamtberichtes zu erwähnen, ist nicht nur das gute Recht, sondern wahrscheinlich sogar die Pflicht jedes, der sich mit diesem Bericht beschäftigt. Da kann man nicht, wie Herr Professor Erhard es getan hat, sagen: Es gibt Sozialdemokraten, die im Montanparlament — das hat er von mir behauptet — meinen Absichten in den Rücken fallen. Ich mache das Haus darauf aufmerksam, daß der Beweis, was mich anlangt, von Herrn Professor Erhard noch nicht erbracht ist. Ich werde auf das, was in Rom passiert ist, noch zurückkommen.
Hätte Herr Professor Erhard eine richtige Information bekommen und hätte er sich einmal die Mühe gemacht, diesen Bericht der Hohen Behörde zu lesen, hätte er unter anderem festgestellt, daß die Hohe Behörde sehr viel Klage über das führt, was im Stahlhandel vor sich geht, und weiter festgestellt, daß sehr kritisch das Verhalten der französischen Regierung beurteilt worden ist, die immer wieder versucht, auch auf dem Kohlesektor in die Preisbildung einzugreifen. Die Hohe Behörde stellt fest: Wenn in einem Lande Preisstoppverordnungen kommen, sind Rückwirkungen auf den Gemeinsamen Markt möglich und kann das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes gestört werden. Das alles hätte Herr Professor Erhard lesen können, wenn er den Bericht gehabt hätte. Zumindest hätte er sich von seinen Herren aus dem Ministerium entsprechend informieren lassen müssen.
Die Hohe Behörde hat dann in der Ziffer 128, die auch erwähnt worden ist, sehr eingehend über die
Eingriffe der Regierungen in die Preisbildung für Kohle berichtet. Sie weist darauf hin, daß sie für die Anwendung des Vertrages verantwortlich ist und daß es ihre Aufgabe ist, den Vertrag zu erfüllen. Die Hohe Behörde hat mehrmals und vor allem in den hier zitierten Stellen, die die Sozialistische Gruppe im Montanparlament immer behandelt hat, ausdrücklich darauf hingewiesen, daß, wenn die Regierungen ihre inneren Preisprobleme in den richtigen Zusammenhang mit dem Gemeinsamen Markt bringen wollen, dafür der Ministerrat zuständig ist. Wenn ich recht unterrichtet bin, ist Herr Professor Erhard im Laufe der fünf Jahre drei- oder viermal im Besonderen Ministerrat des Montanparlaments gewesen. Vor dem Parlament ist Herr Professor Erhard als der sehr ehrenwerte Vertreter der deutschen Regierung im Besonderen Ministerrat ein einziges Mal — in Rom — erschienen. Er kam mit einer fertigen Rede dorthin, die er vortrug. Ich muß nachträglich feststellen, daß zu dem eigentlichen Anliegen der politischen Gruppen, die darüber mit dem Ministerrat in freier Aussprache diskutieren wollten, Professor Erhard wenig, fast nichts gesagt hat. Es war das Anliegen der Sozialistischen Gruppe seit vielen Jahren, daß eine Koordinierung, ein Zusammengehen, ein Abstimmen der Wirtschaftspolitik der sechs nationalen Staaten mit den Notwendigkeiten des Gemeinsamen Marktes und der Politik der Hohen Behörde herbeigeführt wird. Der Ministerrat hat fünf Jahre lang versagt. Das war eines der Hauptthemen, die in Rom zur Diskussion standen.
Nun komme ich zu den Ausführungen von Herrn Dr. Hellwig. Ich hatte immer den Eindruck, daß er ein hervorragendes Archiv hat. Mit Vorliebe zitiert er, was die Gewerkschaften gesagt haben oder was einmal einer von uns ausgesprochen hat. Heute hat sich Herr Hellwig einfach einer unverzeihlichen Fahrlässigkeit schuldig gemacht, als er einen Satz aus einer Zeitung zitiert hat. Ich mache Sie darauf aufmerksam, Herr Hellwig, daß Ihre Fraktion zehn Abgeordnete im Montanparlament hat und den Präsidenten der Gemeinsamen Versammlung stellt. Die Dinge liegen einige Wochen zurück, und hier, Herr Hellwig, hätten Sie mit ein bißchen mehr Gründlichkeit vorgehen müssen. Die Protokolle liegen im Archiv; aber wir hätten sie Ihnen auch auf den Tisch gelegt; Sie hätten nur anzurufen brauchen. Dann hätten Sie feststellen können, was wirklich gesagt worden ist, was ich gesagt habe, was die Sprecher der Sozialistischen Gruppe an Kritik vorgebracht haben. Sie hätten dann gemerkt: unsere Kritik lief darauf hinaus, daß der Ministerrat versagt habe. Wenn nämlich der Ministerrat die nationale Wirtschaftspolitik mit der Politik der Hohen Behörde koordiniert, wenn er mit ihr zusammengearbeitet hätte, wären die aufgetretenen Spannungen vermieden worden.
Die Hohe Behörde hat sich dagegen gewehrt, daß die Regierungen den Vertrag zu verletzen beginnen. In diesem Zusammenhang habe ich meine Bemerkungen gemacht. Herr Professor Erhard hat erklärt, der Art. 3 sei nicht recht praktikabel. Dieser Artikel ist aber sozusagen das Kernstück des gan-



Dr. Kreyssig
zen Vertrages, den die Regierung unterzeichnet hat und den sie hat ratifizieren lassen. In diesem Zusammenhang habe ich gesagt, wenn man glaube, den Vertrag verletzen zu können, dann werde bei einem solchen Unterfangen Herr Professor Erhard wie jeder andere Vertreter des Ministerrats auf die einmütige Ablehnung des Parlaments stoßen. Die Meinung, die ich dort vertreten habe, ist nicht nur die Ansicht der Sozialistischen Gruppe, sondern das gesamte Montanparlament wacht sehr genau und streng über die Durchführung des Vertrages.
Ich will es bei diesen Bemerkungen bewenden lassen. Ich habe Herrn Professor Erhard in Rom in der Form geantwortet, wie sie im Montanparlament seit fünf Jahren üblich ist. Ich möchte fast wünschen, Ihre Fraktion würde Professor Erhard einmal für zwei Jahre in dieses Parlament entsenden. Dort herrscht ein hervorragender europäischer, demokratischer Stil und Ton; man könnte etwas dazulernen.
Um jedem Mißverständnis vorzubeugen, möchte ich abschließend darauf hinweisen, daß das, was unser Kollege Schöne gesagt hat und was ihm als eine Behinderung der Politik der Regierung ausgelegt wurde — Schöne kann sich ja nicht mehr selbst verteidigen —, ein Teil der Kritik am Gesamtbericht der Hohen Behörde war. Die zitierten Nummern stehen in dem Bericht der Hohen Behörde, der an zweiter Stelle von dem damals noch im Amt befindlichen Vizepräsidenten der Hohen Behörde, Franz Etzel, unterschrieben ist, der gegenwärtig Finanzminister der Bundesrepublik ist.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300509800
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Deist.

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300509900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst einige Fragen beantworten, die im Laufe der Debatte zu dem, was ich gesagt habe, gestellt worden sind.
Herr Kollege Preusker, ich möchte Ihnen den Gewährsmann für die Darlegungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes gegenüber dem Herrn Bundeskanzler nennen. Es ist der Verband der Deutschen Ziegelindustrie, der in einem Rundschreiben seine Landesverbände über Besprechungen im Bundeswirtschaftsministerium Anfang April unterrichtet hat.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Ein Zweites. Herr Kollege Friedensburg, ich meine, bei Auseinandersetzungen, wie wir sie haben, sollte man nicht so empfindlich sein. Eine persönliche Verunglimpfung des Bundeswirtschaftsministers liegt mir selbstverständlich fern. Aber wenn ich einen Ritt nach Essen, wie ihn der Herr Bundeswirtschaftsminister hier durchgeführt hat und der so gar nicht mit dem, was wir normalerweise unter wirtschaftspolitischer Betätigung einer Bundesregierung zu verstehen pflegen, übereinstimmt, glossiere, so trägt das doch wohl zur Belebung der Debatte etwas bei. Wo in aller Welt ist es üblich,
daß man sich zu ernstgemeinten Verhandlungen über die Preisfestsetzung für Kohle in eine Versammlung von einem halben Tausend Bergassessoren begibt und an diese Volksversammlung eine große Rede hält? Das ist doch nicht der normale Weg, auf dem man Preispolitik betreibt! Ich glaube, wenn ich das entsprechend glossiere, sollten Sie nicht so empfindlich sein.

(Abg. Pelster: Völlig daneben!)

— Darf ich fragen, was daneben ist? Ich bin gern bereit, auf Fragen zu antworten. Sie können die Tatsachen, die ich dargelegt habe, nicht bestreiten. Die Beurteilung müssen Sie mir schon überlassen. Es ist schließlich das Recht eines Abgeordneten in einem freien Parlament, seine Meinung zu sagen und seine Beurteilung der Situation vorzutragen.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat sich persönlich getroffen gefühlt, weil ich gesagt habe, es gebe wirtschaftliche Interessengruppen, die der Regierung ihre Wechsel vorlegten. Nun, wenn sich zwei Freunde streiten, dann lacht gewöhnlich der Dritte. Ich habe hier die „Deutsche Bauernzeitung". Die Landwirtschaft und die Industrie haben ja in ihrem Einfluß auf die Entscheidungen der Bundesregierung gewetteifert. In der „Deutschen Bauernzeitung" vom 31. Oktober 1957 steht so nett folgendes:
Hinter dem Widerstand gegen eine Wiederernennung des Bundesfinanzministers Schäffer stand ein starker Druck industrieller Kreise. Diese Einflußnahme vollzog sich stiller als das offene Gespräch der Bauernführer mit dem Kanzler. Sie war darum keineswegs schwächer, zumal die Industrie sich auf ihre beträchtliche finanzielle Wahlhilfe und wohl auch auf vorherige Absprachen berufen konnte.

(Abg. Dr. Hellwig: Herr Dr. Deist, das wissen Sie doch: Haltet den Dieb!)

Ich wollte damit nur verdeutlichen, was ich vorhin gemeint habe, als ich davon sprach, daß die Bundesregierung an goldene Ketten gelegt ist und sehr häufig nicht die Entscheidungen treffen kann, die sie vielleicht treffen möchte.

(Zuruf von der Mitte: Schöne Begründung!)

Auf die Frage Montanparlament brauche ich nicht mehr einzugehen. Aber, Herr Bundeswirtschaftsminister, ich glaube, es ist keine ganz korrekte Darstellung, wenn Sie sagen, die Errichtung der Kartellorganisation an der Ruhr entspreche in vollem Umfang den Bestrebungen der IG Bergbau und der Sozialisten. Im Gegenteil, sowohl IG Bergbau als auch Sozialdemokraten haben ständig verlangt: Wenn — und das haben wir befürwortet — eine einheitliche Organisation im gesamten Kohlenbergbau geschaffen und eine Aufsplitterung abgelehnt wird, dann muß diese Organisation unter eine wirksame öffentliche Kontrolle gebracht werden. Das war sowohl die Forderung der IG Bergbau wie die Forderung der Sozialisten im Montanparlament.

(Abg. Höfler: Das stimmt nicht, Herr Kollege Deist! Ich bin selbst dabeigeweDr. Deist sen. Ich habe die Verhandlungen miterlebt! — Abg. Dr. Hellwig: Lesen Sie das mal bei Dr. Grosse nach!)




— Herr Kollege, ich glaube, Sie begehen hier ein sacrificium intellectus. Denn Sie müssen aus den Verhandlungen in Luxemburg, bei denen ich zum Teil dabei war, wissen, daß die Bestrebungen, Kontrollelemente einzubauen, von der Seite der IG Bergbau außerordentlich stark waren. Und was die Sozialisten angeht, so brauchen Sie nur die Protokolle der Gemeinsamen Versammlung zu lesen, um zu wissen, was auch wir deutschen Sozialisten dazu gesagt haben.
Nun zu den Ausführungen des Herrn Hellwig über den Preisvorsprung in Frankreich. Herr Hellwig, Sie haben zutreffend darauf hingewiesen, daß die hohe Rentabilität und der hohe Wirkungsgrad des Kohlenbergbaues in Frankreich darauf zurückzuführen ist, daß er wesentlich höhere Investitionen vornehmen konnte als der deutsche Bergbau. Darüber sind wir völlig einig. Es trifft auch zu, daß diese Investitionen im wesentlichen aus öffentlichen Mitteln gekommen sind. Aber, Herr Hellwig, die Frage ist: Würden durch eine Freigabe der Preise, die Sie hier propagieren, dem Bergbau diese erforderlichen Investitionsmittel zufließen? Bei den heutigen Verhältnissen im Bergbau erscheint das einfach unmöglich. Darum wird eben der Bergbau in anderen Ländern offen und aller Welt sichtbar und kontrollierbar, bei uns — siehe die Darlegung des Herrn Bundeswirtschaftsministers — über Steuersubventionierungen und alle möglichen anderen Mittel ebenfalls aus öffentlichen Mitteln, aber unsichtbar unterstützt. Und nur darum geht es, Herr Kollege Hellwig. Haben Sie ein anderes Mittel, um den Bergbau in Ordnung zu bringen, ohne daß Sie ihm diese öffentlichen Mittel zur Verfügung stellen?
Der Effekt der unterschiedlichen Finanzierung ist ganz eindeutig. In Frankreich ist seit dem Jahre 1938 die Leistung unter Tage um 34,5 % gestiegen.

(Abg. Dr. Hellwig: Mit ausländischen Arbeitern!)

— Nein, nicht nur mit ausländischen Arbeitern. Auch an der Saar ist sie enorm gestiegen, Herr Hellwig. Wissen Sie, warum? Weil a) erhebliche Investitionsmittel zur Verfügung standen und weil b) in unserem Bergbau ein bergassessorales Denken herrscht, das mit dem modernen ingenieursmäßigen Denken in Frankreich und an der Saar einfach nicht mehr mitkann.

(Beifall bei der SPD.)

Darauf — ich gebe Ihnen gleich das Wort für eine Frage frei, ich bin gar nicht so — ist es z. B. auch zurückzuführen, daß der Grad der Mechanisierung in. Frankreich und an der Saar wesentlich höher als bei uns ist, obwohl die geologischen Verhältnisse — das wird Herr Professor Friedensburg bestätigen können — sich nicht wesentlich unterscheiden. Es ist ein schweres und großes Problem, das bei uns in Deutschland im Kohlenbergbau gelöst werden muß. — Bitte schön!

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300510000
Herr Dr. Deist, ist Ihnen wirklich nicht erinnerlich, daß die Hauptmasse der Investitionen an der Saar, deren Nutznießer dort die Nachkriegsleistung geworden ist, unter der Leitung deutscher Bergassessoren mit deutschen Mitteln von 1935 bis 1944 investiert wurde?

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300510100
O nein, die wesentlichen Investitionen und der Fortschritt des Saarbergbaus beruhen auf der Zeit nach 1945. Im Kohlenbergbau an der Ruhr wie auch an der Saar sind während des Krieges bis 1945 leider sehr, sehr wenige wirklich produktive Investitionen vorgenommen worden, weil alle finanziellen Mittel für Kriegszwecke zur Verfügung stehen sollten.
Damit komme ich zu der Investitionspolitik und der Preispolitik in der Kohle. Herr Kollege Hellwig, Sie sprachen von der Preisunwahrheit, die beseitigt werden müsse, und meinten, es müsse Offenheit herrschen. — Nun, zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, daß immerhin über die Sonderabschreibung enorme Investitionen im Kohlenbergbau vorgenommen worden sind. Das sind schließlich verdiente Mittel, und ich weiß nicht, wie hoch Sie die Gewinne im Kohlenbergbau schrauben wollen, um eine noch höhere Selbstfinanzierung als 85 bis 90 % der Investitionen herbeizuführen. Der Kohlenbergbau zahlt heute in fast allen Gesellschaften zwischen 5 und 16 % Dividende. Dann ist es doch wohl nicht so, daß der Mangel an Investitionen seine Ursache in der Ertragslage haben kann. Im Gegenteil, in den letzten drei Jahren — von 1954 und 1956 liegen die Zahlen vor — hat sich die Ertragslage des Kohlenbergbaus nicht unwesentlich gebessert, und trotzdem sind die Investitionen je Tonne zurückgegangen.
Also mit der heute angewandten Methode, den Kohlenbergbau zu betreiben, und mit dem Gerede, man solle den Preis freigeben, dann werde sich schon alles geben, wird dem Bergbau in keiner Weise geholfen.
Herr Kollege Friedensburg sagte, er „gönne" natürlich den Arbeitnehmern die höheren Löhne, aber man müsse die Beziehung zwischen Lohn- und Preisbewegung sehen. Der Lohn müsse doch gezahlt werden, und man könne nicht ständig besser leben und ständig weniger arbeiten, ohne daß die Preise dabei steigen.

(Abg. Dr. Friedensburg: Sehr richtig!)

— Herr Kollege, Sie sagen dazu „Sehr richtig". Meinen Sie wirklich — ich suche einen Ausdruck, um Ihnen nicht zu nahe zu treten, Herr Professor —, daß mit solchen primitiven Darlegungen — und das ist heutzutage ja wohl ein Lob — dieses Problem gelöst werden kann? Sie müssen schon sagen: Wünschen Sie, daß der Bergarbeiter den sozialen Stand, den er heute besitzt, behält, oder wünschen Sie es nicht? Aber sagen Sie nicht: Ich „gönne" ihn ihm, aber — —. Wenn Sie meinen, er müsse diesen Stand haben, dann müssen Sie die notwendigen Konsequenzen ziehen.

(Abg. Dr. Friedensburg: Sie auch!)




Dr. Deist
Ich auch, ich komme gleich darauf! Die Frage ist: kann das über den Preis geschehen? Wenn es aber nicht über den Preis geht, dann müssen andere Methoden gefunden werden. Wer sich mit diesem Problem ernsthaft auseinandersetzt, kann an dieser Frage nicht vorbeigehen. Herr Kollege Friedensburg, aus diesem Tatbestand ziehe ich die Konsequenzen, zieht meine Fraktion die Konsequenzen. So wie die Dinge in der Kohlewirtschaft und in der Energiewirtschaft liegen, ist es einfach eine Illusion, zu meinen, man könne die Preissteigerung so weit fortführen, bis genügend Erträge für ausreichende Investitionen in der Kohle vorhanden sind. Hier etwa von Preisfreiheit und Marktfreiheit zu reden, ist eitel Schaumschlägerei und stimmt mit den Tatsachen einfach nicht mehr überein.

(Beifall bei der SPD.)

Herr Kollege Friedensburg, wenn das so ist und wenn man weiß, daß es eine Grenze für den Preis gibt, muß man Konsequenzen ziehen. Dann ist nämlich klar, daß die ungeheuer großen Investitionen, die der Kohlenbergbau braucht, weder über den Kapitalmarkt noch aus der Selbstfinanzierung kommen können. Die Konsequenz kann nur sein: wenn die Investitionen weder über den Kapitalmarkt noch durch Selbstfinanzierung aufgebracht werden können, ist die öffentliche Hand verpflichtet, sie zur Verfügung zu stellen; denn es liegt im volkswirtschaftlichen Interesse, daß die wichtige Kohlesubstanz abgebaut wird. Darüber helfen uns alle die Vorträge von Herrn Hellwig bzw. Herrn Preusker nicht hinweg; zu dieser Frage muß hier ja oder nein gesagt werden.
Genauso ist es mit dem sozialen Stand des Bergarbeiters. Ich habe Ihnen vorhin einige Zahlen genannt. Es ist doch ganz klar, daß, wenn man an einer Preisobergrenze angekommen ist, dann eben mit der sozialen Besserstellung des Bergarbeiters Schluß sein müßte, wenn man nicht andere Methoden als Preiserhöhungen findet. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat hier sehr gut dargelegt — und wir beide sind uns darüber einig, Herr Kollege Friedensburg —, daß die Steigerung der Produktivität im Kohlenbergbau, ich würde nicht sagen: aus Naturgesetzen — die gibt es in der Wirtschaft nicht —, aber aus den natürlichen Bedingungen des Kohlenbergbaus nicht mit der allgemeinen volkswirtschaftlichen Entwicklung Schritt halten kann. Wenn also der Kohlenbergbau den Lohn, der dem Bergarbeiter im Hinblick auf die Schwere seiner Arbeit und im Hinblick auf die Entwicklung des Lebensstandards bei den übrigen Menschen in Deutschland nicht versagt werden kann, aus der zuwachsenden Produktivität nicht decken kann, müssen wir eine Lösung finden, die soziale Besserstellung des Bergmanns auf andere Weise zu erreichen. Auch das sollte man sich einmal überlegen. Über den Preis geht es jedenfalls nicht. Das habe ich hier vorhin festgestellt, und ich bedaure sehr, daß weder der Bundeswirtschaftsminister noch sonst einer der Debatteredner zu der Frage Stellung genommen hat, wie man den vielberedeten sozialen Stand des Bergarbeiters sichern kann, wenn es nicht über den Preis geht, und ob man dafür andere Methoden hat.
Wir sind der Auffassung, daß man die Frage der sozialen Sicherheit im Kohlenbergbau auf andere Weise lösen muß, als das bisher der Fall gewesen ist. Erst nehmen Sie dem Kohlenbergbau die 6,5 % Knappschaftsbeiträge ab, weil er sie nicht tragen kann, und nach einem Jahr kriegt er sie wieder aufgeknallt. Mit solchen Aushilfslösungen können Sie doch keine echte Kohlenpolitik treiben. Wenn Sie sich schon einmal dafür entscheiden — ich halte die Entscheidung für richtig —, dem Bergarbeiter eine öffentliche Anerkennung in Form einer Bergarbeiterprämie zu geben, dann müssen Sie sich auch überlegen, ob man nicht das ganze System der sozialen Sicherung innerhalb der Kohle auf breitester Basis untersuchen sollte, um eine Lösung zu finden, durch die einerseits ein möglichst hoher Produktivitätsgrad des Kohlenbergbaus und andererseits eine ausreichende soziale Sicherstellung des Bergmanns herbeigeführt wird.
Darum sagen wir: setzen wir uns einmal zusammen, untersuchen wir das Problem und reden wir doch nicht immer darum herum, der Bergarbeiter müsse seinen sozialen Stand wahren, sondern: wie wollen wir gemeinsam dieses Problem lösen? Ich bedaure sehr, meine Damen und Herren, daß von Ihrer Seite dazu nicht ein einziger Beitrag geleistet worden ist. Das tut mir leid. Denn das ist für mein Empfinden ein ganz entscheidendes Moment der Kohlepolitik, über das man sich in dieser Kohlenpreisdebatte hätte unterhalten müssen. Ob die Kostenlage heute oder in vier Jahren soweit ist, daß bei dieser Bewirtschaftung der Kohle Preiserhöhungen erforderlich sind, das ist nicht so furchtbar interessant. Wichtig ist: Gibt es nicht eine konstruktive Lösung der Kohlenfrage, die uns nicht jeden Augenblick vor diese Probleme stellt, eine Lösung, nicht immer nur mit gelegentlichen Aushilfsmitteln und Aushilfsmethoden zu arbeiten?
Damit komme ich zu den Ausführungen, die von Herrn Kollegen Hellwig — oder vom Kollegen Friedensburg; ich bitte um Entschuldigung, wenn ich es nicht genau notiert habe — über die Preisentwicklung gemacht worden sind. Da wurde gesagt, es komme nicht darauf an, zunächst mehr zu verteilen, sondern erst mehr zu erzeugen. Ich weiß nicht, an .wen Sie das gerichtet haben. Für uns Sozialdemokraten ist es eine Erfahrung längerer Jahrzehnte, daß das A und O der Wirtschaft und die Voraussetzung einer gerechteren Eigentumsverteilung ist, mehr und besser zu produzieren. Das brauchen Sie uns dazu nicht zu sagen.

(Abg. Dr. Hellwig: Das war bei Ihnen vorhin nicht mehr deutlich!)

— Das ist bei mir selbstverständlich, auch wenn ich es nicht jedesmal als Einleitung zu meiner Entschuldigung Ihnen gegenüber sagen muß.

(Abg. Schoettle: Das Unverständnis liegt bei Herrn Dr. Hellwigl)

Herr Dr. Hellwig, wenn Sie z. B. so ein klein wenig
die sozialistische Literatur, die nach 1891, nach dem
Erfurter Programm, das Sie vorhin zitiert haben,



Dr. Deist
erschienen ist, studierten, dann wären Sie um manches klüger.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Hellwig: Herr Dr. Deist, Sie werden erstaunt sein, wie viel ich davon sammle! Nächstens kommen Sie zu mir, um meine Sammlung mit zu benutzen!)

— Nun, Herr Dr. Hellwig, Sie haben heute nicht sehr viel Gebrauch von diesem Studium gemacht!

(Heiterkeit bei der SPD. — Abg. Dr. Hellwig: Nur stehe ich mit beiden Beinen in der Wirklichkeit!)

Dann haben Sie, Herr Kollege Hellwig, dargelegt
— ich glaube, Sie wollten da auch so eine Art Naturgesetz konstruieren —, daß der Anteil des Lohn- und Gehaltseinkommens am Volkseinkommen immer stetig geblieben sei und sich eigentlich in den verschiedenen europäischen Ländern gar nicht verändert habe.

(Abg. Dr. Hellwig: Einschließlich der sozialistischen!)

— Einschließlich der sozialistischen — gelegentlich sozialistisch regierten Länder; jawohl.

(Zuruf von der CDU/CSU: Gelegentlich?)

Das ist tatsächlich eine Feststellung, die nicht zu bestreiten ist, die ich übrigens schon einmal auch hier im Hause gemacht habe; ich nehme an, Sie haben nicht von mir plagiiert, ich nicht umgekehrt, sondern wir haben dieselben Quellen verwandt. — Herr Professor Krelle hat dazu auf der letzten sozialpolitischen Tagung einige bemerkenswerte Ausführungen gemacht. Er hat gesagt: Es ist ein Ergebnis der machtpolitischen Situation in den modernen Industriestaaten, daß der Anteil der Arbeitnehmer, auch wenn die Gewerkschaften noch so sehr wirken, praktisch nicht über diesen bestimmten Satz hinwegkommen kann. Und jetzt, Herr Kollege Hellwig, eine Frage. Der Herr Bundeswirtschaftsminister ist ein Anhänger der Vorstellung „Eigentum für alle". Er ist der Auffassung — und ich pflichte ihm da restlos bei —, daß die große Vermögensansammlung in den Unternehmungen — ich brauche Ihnen nicht immer wieder aus dem Gutachten über den Kapitalmarkt zu zitieren —, daß diese große Ansammlung von wirtschaftlichem Vermögen in verhältnismäßig wenigen Unternehmen nicht über die Selbstfinanzierung allein diesen Unternehmungen und ihren Aktionären, sondern einer breiten Schicht der Bevölkerung zugute kommen müßte. Wenn das ernst gemeint ist — und ich unterstelle das, für den Zweck der Diskussion, möchte ich sagen —, Herr Kollege Hellwig, dann ist doch wohl die Konsequenz, daß eben die Unternehmereinkommen und die Unternehmenseinkommen, aus denen bisher die Selbstfinanzierung gespeist wurde, in ihrem Anteil am Gesamteinkommen sinken und dafür der Anteil der Arbeitnehmer gesteigert werden muß, wenn sie mit zu denen gehören sollen, die über das Sparen sich an diesem Vermögenszuwachs beteiligen.

(Abg. Dr. Hellwig: Geschieht doch laufend bei uns!)

— Aber, Herr Hellwig, gerade haben Sie festgestellt, daß, von ganz geringen Korrektürchen abgesehen, der Anteil der Lohn- und Gehaltseinkommen ständig konstant bleibt.

(Abg. Dr. Hellwig: In anderen Ländern, bei uns in den letzten Jahren eben nicht!)

— Aber nun lassen Sie mich zu Ende reden; ich gebe Ihnen sofort eine Frage frei, wenn Sie das wünschen. — Gerade haben Sie mir dargelegt, daß man das nicht so kurzfristig von einem Jahr zum anderen tun kann — Sie haben dann langfristig über zwei Jahre disponiert; das scheint mir auch nicht sehr langfristig zu sein —, sondern daß man die Dinge über einen längeren Zeitraum verfolgen muß. Und über längere Zeiträume sind die Anteile der verschiedenen Gruppen von Einkommensempfängern am gesamten Volkseinkommen bis heute gleich geblieben. Aber wenn Sie jetzt sagen wollen — ich möchte Sie gern darauf festlegen, Herr Dr. Hellwig —, daß Sie jetzt dabei seien, das zu ändern, dann bedeutet das in der Konsequenz, daß Lohn- und Gehaltsbewegungen über den Durchschnitt des Produktivitätszuwachses hinausgehen müssen, um den Anteil dieser breiten der Bevölkerung am Volkseinkommen zu verbessern. Dann bitte aber nicht mehr diese Argumentationen, die landauf und landab vertreten werden, wenn die Lohnbewegung gelegentlich über den Produktivitätszuwachs hinweggehe, sei dies ein Verbrechen an der Bevölkerung und an einer gesunden sozialen Entwicklung in Deutschland.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300510200
Gestatten Sie eine Frage?

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300510300
Bitte sehr!

Prof. Dr. Fritz Hellwig (CDU):
Rede ID: ID0300510400
Gestatten Sie nicht nur nur eine Frage, sondern zwei Fragen? Ich weiß nicht, ob die Geschäftsordnung es gestattet, gleich zwei Fragen zu stellen. Die erste Frage: Ist Ihnen in der Tat nicht gewärtig — ich kann es nicht glauben —, daß der Anteil der Nettoeinkommen der Selbständigen und der Unternehmungen in den letzten Jahren laufend zurückgegangen ist, während der Anteil der Nettoeinkommen der öffentlichen Hand kräftig gestiegen ist? Und die zweite Frage: Sollte die Verbesserung der realen Einkommen der Arbeitnehmer nicht auch durch Preissenkungen auf Grund des Produktivitätszuwachses eintreten können, und das wirkungsvoller als auf Grund der Konsumierung des Produktivitätszuwachses ausschließlich für Lohnerhöhungen? Das wäre doch die Alternative gegen Ihre Behauptung!

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300510500
Herr Kollege Hellwig, selbstverständlich ist das Nettoeinkommen der Arbeitnehmer, der Unternehmer und der öffentlichen Hand gestiegen; denn es wäre ja unnatürlich, wenn an der aufstrebenden Wirtschaft und dem steigenden Volkseinkommen nicht alle beteiligt wären. Solche Untersuchungen besagen nichts. Aber vielleicht ist Ihnen folgendes bekannt. In „Wirtschaft



Dr. Deist
und Statistik", Heft 7/1957, wurde festgestellt, daß das Nettoeinkommen aus unselbständiger Arbeit je durchschnittlichen beschäftigten Arbeitnehmer von 1950 bis 1956 um 55 % gestiegen ist, daß dagegen das gesamte Volkseinkommen je Einwohner der Bundesrepublik um 85 % gestiegen ist.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Bitte, wo ist der übrige Einkommenszuwachs geblieben? Bei den Arbeitnehmern? Wollen Sie behaupten, er sei beim Staat geblieben? Oder ist er nicht in der Hand der Selbständigen und der Unternehmungen geblieben?

(Abg. Dr. Hellwig: Wollen Sie bestreiten, daß der Staat einen wachsenden Anteil daran erhalten hat?)

— Herr Kollege Hellwig, Sie sollten mit solchen Zahlen bei mir vorsichtig sein; denn ich habe in aller Regel Zahlenmaterial zur Hand. Der Anteil des Nettoeinkommens der öffentlichen Hand am gesamten Nettosozialprodukt hat 1952 23,2 % und 1953 23,6 %, im ersten Halbjahr 1956 23,4 % und 1957 22,3 % betragen.

(Abg. Dr. Hellwig: Warum gehen Sie nicht bis 1950 zurück?)

— Weil im Jahre 1950 zunächst einmal der Aufbau der ganzen staatlichen Ordnung vor sich ging.

(Abg. Mellies: Sehr richtig!)

Ich glaube, man sollte bei der Wahl der Ausgangsjahre loyal sein. Und wenn Sie z. B. bei Preisvergleichen nicht auf 1950 zurückgehen, dann pflege ich Ihnen gewöhnlich zu sagen, daß andere Jahre für einen Vergleich nicht geeignet sind, weil 1950 das erste Nachkriegsjahr mit normaler Preisgestaltung war.

(Abg. Dr. Hellwig: Dann sollten Sie es auch hier nehmen!)

— Aber Sie werden mir zugeben, daß meine Begründung dafür, daß ich von 1953 ausgegangen bin, etwas für sich hat.
Alle Feststellungen gehen dahin, daß das öffentliche Einkommen im Laufe der Jahre in seinem Anteil am gesamten Nettosozialprodukt nicht zugenommen, sondern sogar im letzten Halbjahr etwas abgenommen hat.

(Abg. Dr. Hellwig: Es fehlen eben die Einkommensteuernachzahlungen für 1956!)

— Lassen Sie mich das einmal zu Ende führen! Herr Kollege Hellwig, ich lege gar keinen entscheidenden Wert auf diese Feststellung, daß der Anteil der öffentlichen Hand am Volkseinkommen gleichgeblieben oder geringer geworden sei. Ich bin der Auffassung, daß sich in der öffentlichen Hand — siehe Juliusturm und ähnliche Dinge — eine ganze Menge öffentlichen Einkommens ansammelt, das besser draußen in der Wirtschaft bliebe. Da stimme ich vollkommen mit Ihnen überein. Sie dürfen nur nicht behaupten, das Einkommen der Unselbständigen und das Einkommen des Staates seien wer weiß wie weit gestiegen, damit der unbedarfte Zuhörer vielleicht den Schluß zieht, nur das Einkommen der
Selbständigen und der Unternehmer sei zurückgeblieben. Das ist eben nicht der Fall.

(Abg. Dr. Hellwig: Habe ich auch nicht behauptet!)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300510600
Herr Abgeordneter, eine Zwischenfrage?

(Abg. Dr. Hellwig: Nein!)

— Es gibt auch noch andere Zwischenfrager. — Herr Abgeordneter Dr. Preusker, bitte sehr!

(Heiterkeit.)


Dr. Victor-Emanuel Preusker (CDU):
Rede ID: ID0300510700
Herr Kollege Deist, würden Sie uns freundlicherweise auch noch die Prozentzahlen für die abgeleiteten Einkommen der Rentenempfänger und aller dazugehörigen Personenkreise angeben?

(Abg. Dr. Kreyssig: Das ist doch keine Frage! Herr Preusker, wann lernen Sie denn endlich, was ein Parlament ist?)

— Was ist denn das anderes als eine Frage?

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300510800
Es wäre sicher richtiger, meine Damen und Herren, daß auch solche Feststellungen in die Frageform gekleidet werden; dann kommt der Präsident nicht in Verlegenheit.

(Heiterkeit.)


Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300510900
Herr Kollege Preusker, da ich mich auch schuldig bekennen muß, gelegentlich Feststellungen in Frageform zu treffen — ich meine, soweit das nicht auswuchert, sollten wir daran keinen Anstand nehmen; das belebt die Sache —, will ich Ihre Frage auch gern beantworten, obwohl ich eigentlich hier nicht als Auskunftsbüro über statistische Ziffern dienen möchte.
Herr Kollege Preusker, die Zahlen variieren. Das sage ich vorweg. Im Jahre 1950 z. B. betrug das abgeleitete Einkommen 14,1 % des gesamten Nettosozialprodukts, im Jahre 1956 noch 12,4 %. Sie werden also nicht sagen können, daß das für Sie irgendwie besonders interessant sei.

(Hört! Hört! und Beifall bei der SPD.)

Herr Kollege Preusker, ich will Ihnen nun sogar entgegenkommen. Natürlich, für das erste Halbjahr 1957 mit den großen Rentennachzahlungen liegt der Prozentsatz ein wenig höher, nämlich bei 14,5 % gegenüber 14,1 % in 1950.

(Lachen bei der SPD.)

Aber es ist das eine so einmalige Situation, daß man — um mit Herrn Hellwig zu sprechen — so kurzfristige Vergleiche lieber nicht ziehen soll.

(Beifall bei der SPD.)

Noch ein paar Worte zu der Bemerkung des Herrn Bundeswirtschaftsministers, daß wit eine gefährliche Situation hätten. Er sagte, er sehe den Machtmißbrauch auf beiden Seiten, die Verbrauchsentwicklung sei stark gestiegen und das nominelle



Dr. Deist
Einkommen habe zugenommen, das sei die Problematik. Nun, meine Damen und Herren, da unterscheiden wir uns. Sie machen es sich ein klein wenig zu einfach, wenn Sie meinen, diese Steigerung der Einkommen sei die Ursache der Preiserhöhungen. Sie finden seit drei Jahren beständig immer wieder Schuldige, mal sind es die Hausfrauen, mal die Landwirte, dann sind es andere Verbrauchergruppen, und dann sind es die Tarifpartner, die nicht maßzuhalten verstehen. Daß im modernen Staat die Regierung mit ihren Mitteln staatlicher Wirtschaftspolitik die Verpflichtung hat, dafür zu sorgen, daß in einer freien Bewegung der Wirtschaft die notwendigen Grenzen eingehalten werden, das, meine ich, unterschlagen Sie regelmäßig. Ich bin so weit freiheitlicher Sozialist, daß ich nicht meine, Sie sollten nun gleich mit dirigistischen Mitteln kommen und sagen: Die in allen demokratischen Staaten verfassungsmäßig festgelegte Tarifautonomie muß beseitigt werden, hier diktiert der Staat. So weit gehe ich natürlich nicht; denn ich möchte eine freiheitliche Wirtschaftsordnung, und ich freue mich, daß Sie mit mir darin übereinstimmen.
Herr Bundeswirtschaftsminister, wir führen ja nun unsere Diskussion schon seit drei Jahren. Wir meinen, daß es eine Unmenge anderer wirtschaftspolitischer Mittel gibt, um das Preisniveau in Ordnung zu halten. Wir haben Sie immer wieder darauf hingewiesen, welche Bedeutung dieser ständige güterwirtschaftliche Verlust durch die drei bis vier Milliarden Einfuhrdefizit im Jahre hat. Diese drei bis vier Milliarden fehlen als Angebot bei uns in Deutschland, und das hat auf die Relation von Angebot und Nachfrage einen viel größeren Einfluß als die nominellen Steigerungen der Löhne, von denen Sie dauernd sprechen.
Ein weiteres, Herr Bundeswirtschaftsminister. Wenn Sie gelegentlich die neuesten Berichte der Bank deutscher Länder lesen, dann wissen Sie, daß jedenfalls zur Zeit die Defizitwirtschaft der Bundesregierung, d. h. die Tatsache, daß die Kassenausgaben der öffentlichen Hand wesentlich größer sind als ihre Kasseneinnahmen, eine große währungspolitische Gefahr, insbesondere eine Gefahr für das Preisgebäude ist; denn dieser Ausgabenüberschuß, diese Defizitwirtschaft beruht nicht mehr nur auf Zahlungen an das Ausland, sondern heute gibt der Staat im Inland mehr aus, als er einnimmt. Diese Defizitwirtschaft wirkt sich daher auch auf die inländische Wirtschaft und damit auf das Preisgebäude aus.
Schließlich ein letztes — Herr Bundeswirtschaftsminister, ich hoffe, daß wir uns da wenigstens theoretisch treffen —: Es gibt eine ganze Menge Unternehmungen in Deutschland, die in der Lage sind, ohne Rücksicht auf Wettbewerb einseitig ihre Preise festzusetzen. Dazu gehören fast alle großen Markenartikelunternehmen. Dazu gehören auch die von mir vorhin erwähnten Ölkonzerne. Hier fehlt eben seit drei Jahren eine entsprechende Kartell- und Preispolitik, die dafür Sorge trägt, daß diese Unternehmungen die Preissenkungen vornehmen, die bei dem Produktivitätszuwachs in diesen Industriezweigen möglich sind. Herr Bundeswirtschaftsminister, das ist es, was wir unter aktiver Konjunkturpolitik und wirklich wirksamer Preispolitik verstehen. Ich bedauere außerordentlich, daß auch über diese Dinge hier kein positives Wort gefallen ist, sondern daß Sie immer wieder nur auf die angeblich gestörten Zusammenhänge zwischen Löhnen und Nachfrage hinweisen, eigentlich ohne zu wissen, scheint mir, was in Ihrem letzten Bericht über die wirtschaftliche Lage vom Oktober 1957 steht.
In diesem Lagebericht wird am Anfang wieder auf die alte These hingewiesen, die Arbeitszeitverkürzung beschränke die Produktion und die Expansion, und die Spartätigkeit reiche nicht aus, den Preisauftrieb zum Stillstand zu bringen. Das ist die Version, die wir schon des längeren kennen. Die Fakten stehen damit nicht mehr im Einklang. Wir haben nämlich in Wirklichkeit keine volle Beschäftigung in der Wirtschaft wie im vergangenen Jahr. Wir haben gewisse Zweige — und nicht nur die Bauwirtschaft und die von ihr abhängigen Industrien —, in denen nicht mehr die volle Beschäftigung des Vorjahres herrscht. Da sind gewisse Produktionsreserven, die mobilisiert werden könnten. Nun wird in diesem Lagebericht — ich bin weit davon entfernt, Sie für jede Formulierung darin verantwortlich zu machen — behauptet, da sei folgende Schwierigkeit. Wir hätten nur eine ganz geringe Arbeitslosigkeit, und infolgedessen sei die geringe Beschäftigung der Industrie auf ungenügenden Zufluß von Arbeitskräften zurückzuführen. Das wird in diesem Bericht sogar von der Bauwirtschaft behauptet, für die es zweifellos nicht stimmt. Daß die Bauwirtschaft geringer beschäftigt ist, ist vielmehr darauf zurückzuführen, daß außerhalb des Wohnungsbaues eine verhältnismäßig geringe Nachfrage vorhanden ist. Aber, Herr Bundeswirtschaftsminister, wir haben immer noch eine Arbeitslosigkeit von etwa 2 %. In der ganzen Welt gelten 2 % nicht als eine so geringe Arbeitslosenquote, daß der Wirtschaft damit die Elastizität für einen gesunden Aufstieg genommen wäre. Im Gegenteil, wir wissen, wie viele Arbeitskräfte gerade im letzten Jahr bei dieser Arbeitslosenquote von nur 2 % aus dem großen Reservoir z. B. der Frauen mobilisiert und in den Betrieben eingesetzt worden sind. Das heißt, daß unser Arbeitsmarkt auch heute noch eine beträchtliche Elastizität aufweist. Es ist einfach nicht wahr, daß unsere Industrie sich nicht mehr stärker ausweiten könne, weil nicht genügend Arbeitskräfte zur Verfügung stünden.
Auf der anderen Seite ist es nicht so, daß die Spartätigkeit viel zu gering sei, als daß sie einen Einfluß auf die Nachfrage haben könnte. Im Gegenteil, die Verbrauchsrate ist nach allen statistischen Unterlagen im Hinblick auf die hohe Sparquote der letzten 9 Monate erheblich zurückgegangen. Dann aber enthält der Lagebericht einen Satz, der die ganze Argumentation des Bundeswirtschaftsministers über den Haufen wirft. Da heißt es nämlich, das Umsatzergebnis des Einzelhandels sei enttäuschend und entscheidend dafür sei die rege Spartätigkeit. Meine Damen und Herren, was heißt das? Es ist Angebot da, es ist Produktion da. Nur die Leute kaufen das



Dr. Deist
nicht in den Einzelhandelsgeschäften. Darum ein enttäuschender Rückgang in den Einzelhandelsumsätzen. Das zeigt doch sehr deutlich, daß eine solche große Diskrepanz zwischen geringem Angebot und zu großer Nachfrage gar nicht vorhanden ist, daß sie die Ursache für Preissteigerungen sein könnte. Das ganze Bild, das uns die Wirtschaft zeigt — dieser gedämpfte Konjunkturaufschwung —, bestätigt doch alles das, was ich sage, und steht in krassem Widerspruch zu der Behauptung, daß noch eine solche Diskrepanz vorhanden sei, die zu Preiserhöhungen führen müsse.
Daß heute eine Preiserhöhungswelle wieder ausgelöst wird, ist völlig unnötig. Die Kohlepreiserhöhung kam, weil die Bundesregierung sich gar keine Mühe gibt, das Kohleproblem von der konstruktiven Seite her zu lösen, sondern meint, man könne alles mit Preiserhöhungen machen. Die Folge ist, daß durch diese Preiserhöhung alle etwa vorhanden gewesenen Bemühungen, eine Preisstabilisierung herbeizuführen, wiederum zunichte gemacht werden. Hier gilt der Satz: Das Erste steht uns frei, im Zweiten sind wir Knechte. Für das, was nun in der Preisentwicklung folgt, trägt die Bundesregierung mit ihren Maßnahmen die volle Verantwortung.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300511000
Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.

Dr. Ludwig Erhard (CDU):
Rede ID: ID0300511100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung trägt selbstverständlich die volle Verantwortung. Das bedarf hier an dieser Stelle keiner Betonung. In der Sache selbst möchte ich die Diskussion nicht noch einmal vertiefen, um so weniger, als ich angekündigt habe, daß schon bald eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung vorgelegt wird und wir dann hoffentlich in gemeinsamer Prüfung diese Grundlagen erarbeiten und uns dann danach verhalten. Ich möchte aber zu einigen Bemerkungen Stellung nehmen, weil sie sachlich unrichtig sind.
Herr Dr. Kreyssig meint, er habe mit seinen Äußerungen meine Erklärungen widerlegt. Das ist in gar keiner Weise der Fall. Ich habe von dem. was ich gesagt habe, nichts zurückzunehmen und behaupte noch einmal, daß nach dem Vertrag die Hohe Behörde die alleinige Verantwortung für die Preisbildung hat — ich bestreite sie auch gar nicht
— und daß es sowohl von der Hohen Behörde wie von Abgeordneten in der Gemeinsamen Versammlung gerügt worden ist, daß ich mich um die Preispolitik gekümmert habe. Andere Minister haben das auch getan.
Im übrigen — und das ist vielleicht interessant
— meint Herr Dr. Kreyssig, der Ministerrat habe seine Pflicht versäumt, weil er sich nicht genügend um die Koordinierung der Wirtschaftspolitik in den einzelnen Ländern gekümmert habe. Ich habe immer wieder darauf hingewiesen, daß es mindestens eine äußerst problematische Angelegenheit wäre,
wenn die Minister im Ministerrat die Verantwortung für die Wirtschaftspolitik in Teilbereichen der Volkswirtschaft und für sich isoliert übernähmen. Ich möchte auch dieses Gespräch nicht vertiefen; aber eines möchte ich doch sagen: Warum ist denn die Preispolitik auch der Hohen Behörde so außerordentlich schwierig gewesen? Ich hatte die Hohe Behörde sozusagen in Schutz genommen und gesagt, sie wäre überfordert, wenn man ihr etwa zumutete, sie hätte doch auf die nationalen Regierungen Einfluß ausüben können, um vom Standpunkt der Hohen Behörde aus für den gesamten Bereich der Montanunion eine wirklich einheitliche Preispolitik für Kohle und Stahl zu treiben. Ich darf Sie einmal fragen, Herr Dr. Kreyssig: Glauben Sie, daß etwa mein französischer Kollege großen Erfolg erzielt hätte, wenn er vom Ministerrat in Luxemburg nach Paris zurückgekommen wäre und dort seinem Ministerpräsidenten erzählt hätte, der Ministerrat in Luxemburg sei der Meinung, daß es gut sei, wenn in Frankreich wieder ein ausgeglichener Haushalt hergestellt würde oder Frankreich überhaupt eine andere Währungs- und Kreditpolitik treibe? Das liegt doch einfach nicht darin! Es ist wirklich Schaumschlägerei, so zu tun, als ob der Ministerrat in Luxemburg bei der Entwicklung, die sich in den letzten Jahren in den nationalen Volkswirtschaften vollzogen hat, die Macht gehabt hätte, auf die nationalen Regierungen und ihre Politik so einzuwirken, daß wirklich eine echte Koordinierung der Wirtschaftspolitik hätte Platz greifen können. Ich hoffe sehr, daß das jetzt in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, in der ja alle volkswirtschaftlichen Funktionen zu einer Einheit werden, gelingt, auch aus der fortschreitenden Entwicklung, wie sie der Vertrag vorsieht. In Luxemburg jedenfalls war das in dem Detailbereich Kohle und Stahl unter den besonderen strukturellen und entwicklungswirtschaftlichen Verhältnissen der einzelnen Volkswirtschaften nicht der Fall. Das ist eben auch die Frage, die ich in Rom ausgesprochen habe, weil man sowohl die Hohe Behörde vor unlösbare Aufgaben stellt wie den Ministerrat zu Unrecht kritisiert, wenn man ihm vorwirft, daß ihm die Koordinierung der Wirtschaftspolitik nicht gelungen sei.
Zu dem, was Herr Kollege Deist ausgeführt hat, darf ich folgendes sagen. Selbstverständlich wollten nicht nur die Gewerkschaften, sondern auch wir primär einen einheitlichen Kohleverkauf haben. Das stand aber mit den Bestimmungen des Montanvertrages nicht in Einklang. Wir haben uns dann gemeinsam, und zwar auch die Gewerkschaften wieder mit dabei, darum bemüht, wenigstens eine Lösung zu finden, die in etwa noch die Funktion eines zentralen Kohleverkaufs vorsieht. So ist es in völligem Einvernehmen zur Bildung der drei Verkaufsgesellschaften gekommen, und man hat das sogar als einen Gewinn angesehen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300511200
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Minister?

Dr. Ludwig Erhard (CDU):
Rede ID: ID0300511300
Ja, bitte!




Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0300511400
Herr Minister, irre ich mich, wenn ich sage, daß damals die Gewerkschaften sehr ungehalten und unzufrieden waren, weil Sie die weitergehenden Kontrollwünsche bezüglich dieser Kartellorganisation an der Ruhr nicht unterstützt haben?

Dr. Ludwig Erhard (CDU):
Rede ID: ID0300511500
Bei den Verhandlungen, bei denen ich dabei war, ist mir von den Kontrollwünschen der Gewerkschaften nichts bekanntgeworden; ich bin jedenfalls nicht gegen solche Wünsche aufgetreten. Da müssen Sie mir schon nähere Unterlagen bringen ; die Behauptung steht leer im Raum.
Was nun die Leistung der Saar anlangt — als ein Beispiel etwa, wieviel ein gemeinwirtschaftlich geleiteter Bergbau mehr zu leisten in der Lage sei --, so hat sich auch dieser Gedanke in der Zwischenzeit als eine Illusion erwiesen. An der Saar werden rund 1800 kg pro Mann und Schicht gefördert und an der Ruhr rund 1600 kg. Nur ist dabei zu berücksichtigen, daß bei der Leistung an der Saar die Einbeziehung eines überhöhten Asche- und Wassergehalts die Leistung um 6% verbessert, und daß außerdem bei der Schichtleistung an der Saar die meisten Arbeitskräfte unter 18 Jahren nicht mit eingerechnet sind. Das macht noch einmal 4 % aus. Das sind zusammen nach Adam Riese 10 %, und 10 % von 1800 abgerechnet, bleiben etwa 1600 übrig. Da liegen also die Verhältnisse bei verschiedenen Systemen durchaus paritätisch. Das ist allerdings noch kein absoluter Beweis, weil man die geologischen Verhältnisse nicht völlig aufeinander abstimmen kann. Es schien mir aber doch notwendig zu sein, darauf hinzuweisen.
Falls Sie im übrigen meinen, es gebe nur diese eine Lösung einer gemeinwirtschaftlichen Regelung oder Sozialisierung des Bergbaues, darf ich noch folgendes ausführen. Ich habe ja in meinem Referat ausdrücklich darauf hingewiesen, daß ich es für notwendig oder wenigstens für außerordentlich wünschenswert halten würde, wenn sich die einzelnen kleineren Zechen mit den großen Zechen, die schlechteren mit den besseren, vereinigten und dann auch im ganzen eine andere Preispolitik zu betreiben in der Lage wären. Ich bin nicht der Meinung, daß wir uns im Zeichen eines abnehmenden Arbeitskräftereservoirs auf die Dauer und unter allen Umständen den Luxus leisten können, wertvollste Menschen noch in unrentablen Zechen arbeiten zu lassen. Ich glaube, das Problem ist wirklich des Schweißes wert; es ist eine Aufgabe, die auch gemeinsam einer Lösung zugeführt werden kann.
Dann sagten Sie, die Regierung habe in der Preispolitik ihre Pflicht verletzt. Sie bringen wieder den alten Vorwurf, daß uns bei der Einfuhr 3 bis 4 Milliarden fehlten. Jawohl, Herr Dr. Deist, das ist so gewesen; aber was um Gottes willen soll ich denn noch alles und noch mehr veranstalten, um eine zunehmende Importmöglichkeit zu eröffnen? Wenn Sie jetzt einmal von dem Sondergebiet Landwirtschaft absehen, dessen besondere Bedingungen ja auch von Ihnen, mindestens in Ihrer Fraktion, anerkannt werden, dann bleibt die gewerbliche
Wirtschaft übrig, und da ist nichts mehr zu liberalisieren. Wir haben jetzt mit Abstand das niedrigste Zollniveau von ganz Europa. Und wenn nicht mehr hereinkommt? — Ich kann nur immer wieder wiederholen — sooft Sie die Frage stellen, habe ich auch das Recht, darauf zu antworten --, daß eben das ausländische Preisniveau angesichts der bestehenden und sicherlich nicht immer realistischen Wechselkurse zu hoch ist, um überhaupt noch für deutsche Einfuhren attraktiv zu sein. Da können Sie herumreden, soviel Sie wollen, das ist der eigentliche Anlaß. Wir sind jetzt in der Liberalisierung noch weiter fortgeschritten. Wir haben jetzt ungefähr alles gegeben, was man überhaupt an Freiheit eröffnen kann.
Falls Sie glauben — was z. B. jetzt die Bank deutscher Länder kritisiert hat —, daß die Defizitpositionen auch eine inflationäre Entwicklung auslösten, so sage ich Ihnen: Sicher, der Juliusturm schmilzt etwas ab; zum Teil hat ja nicht gerade dieses Hohe Haus, aber das Hohe Haus des 2. Bundestages einiges dazu getan, daß dieser Prozeß in Gang gekommen ist. Ich will mich nicht weiter dazu äußern. Aber wenn jetzt Leistungen aus dem Juliusturm getätigt werden, Herr Dr. Deist, dann handelt es sich dabei in der Tat um Bezahlung von Gütern, die aus dem Ausland zu uns hereinkommen. Insofern ist eine inflationäre Entwicklung mit der Auflösung des Juliusturms nicht verbunden.

(Abg. Dr. Deist: Ich habe ja von den Zahlungen gesprochen, die auf den Inlandmarkt gehen!)

— Ich habe die Zahlen jetzt nicht bereit. Ich will nur auf diese Tatsache hinweisen.
Im übrigen stimmt auch die Bemerkung bezüglich des Arbeitsmarktes nicht. Zum Beispiel hat das Ifo-Institut gerade in der Bauwirtschaft bei der Umfrage, die jetzt im Oktober durchgeführt worden ist, festgestellt, daß 25 bis 30 % der befragten Bauunternehmer aus Mangel an Arbeitskräften zu höheren Leistungen nicht in der .Lage waren. Auch alle anderen Zahlen sprechen ,dagegen. Die offenen Stellen haben in der Zwischenzeit gegenüber dem vergangenen Jahr um 11 % zugenommen, und die Arbeitslosigkeit hat gegenüber dem vergangenen Jahr noch einmal um 13 % abgenommen. Also der Prozeß ist ganz eindeutig, das Arbeitskräftereservoir erschöpft sich. Um so pfleglicher sollten wir mit der einzelnen Arbeitskraft umgehen, nicht nur vom sozialen, sondern auch vom wirtschaftlichen Standpunkt aus.
Von meiner Seite aus darf ich die Debatte mit der erfreulichen Meldung schließen, daß gestern im 'Steinkohlenbergbau die höchste Förderung seit Bestehen der Bundesrepublik erzielt wurde mit einer Tagesleistung von 492 895 t.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300511600
Meine Damen und Herren, es sieht so aus, als ob mit dieser erfreulichen Mitteilung die Debatte geschlossen wer-



Präsident D. Dr. Gerstenmaier
den könnte. Drei Wortmeldungen sind zurückgezogen, weitere liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen. — Entschuldigen Sie, ich bin falsch unterrichtet worden. Herr Dr. Preusker hatte seine Wortmeldung nicht zurückgezogen. Er hat aber eben darauf verzichtet. Ich bedanke mich bei ihm.
Damit ist Punkt 4 a der Tagesordnung erledigt. Punkt 4 b:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der deutschen Kohlewirtschaft (Drucksache 19).
Es ist die Überweisung der Vorlage an den Wirtschaftsausschuß — federführend — und an den Haushaltsausschuß vorgesehen. Wird dieser Überweisung zugestimmt? — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 5 der Tagesordnung:

(Selbstverwaltungs und Krankenversicherungsangleichungsgesetz Berlin — SKAG Berlin)

Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Stingl.

(Unruhe. — Abg. Mellies: Herr Präsident, sehen Sie sich mal die Regierungsbank an! Sorgen Sie dort bitte für Ruhe!)

— Herr Kollege, es ist auch sonst im Hause Unruhe, sobald ein neuer Redner anfängt.

(Anhaltende Unruhe.)

— Meine Herren (zur Regierungsbank), ich bitte Sie, Ihre Unterhaltung draußen fortzusetzen.
Bitte, Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.

Josef Stingl (CDU):
Rede ID: ID0300511700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der Selbstverwaltung auf dem Gebiet der Sozialversicherung und Angleichung des Rechts der Krankenversicherung im Land Berlin im Namen der CDU/CSU-Fraktion zu begründen.
Das Gesetz ist den Mitgliedern des 2. Deutschen Bundestages nicht unbekannt; die Mitglieder des 3. Deutschen Bundestages werden sicherlich auch schon die Drucksache gesehen haben. Das Gesetz wird Ihnen neu vorgelegt, weil meine Fraktion am 29. August versprochen hat, daß sie so bald wie irgend möglich den Belangen, denen dieses Gesetz Rechnung tragen soll, entsprechen will. Darum legen wir Ihnen in Drucksache 14 das Gesetz in der Form vor, wie wir es am 29. August zu verabschieden gewillt waren.
Die Begründung für das Gesetz ergibt sich daraus, e daß, wie Sie alle wissen, in Berlin bis auf die Krankenversicherung das Recht des Bundesgebiets in der Sozialversicherung Platz gegriffen hat. In der Krankenversicherung haben wir in Berlin bis jetzt jedoch eine Einheitsversicherung. Wir haben dort noch nicht das gesamte Selbstverwaltungsrecht einführen können.
Die Verabschiedung dieses Gesetzes ist dringlich, denn die Wahlen zu den Selbstverwaltungsorganen stehen nahe bevor. Es ist schlechterdings kaum möglich, den Berliner Versicherten begreiflich zu machen, daß sie zum zweiten Male von einem demokratischen Recht, das ein wesentlicher Bestandteil der Sozialversicherung ist, nicht Gebrauch machen können.
Es ist weiterhin auch nicht mehr möglich, den Berlinern klarzumachen, daß sie im Gegensatz zu allen Krankenversicherungspflichtigen der Bundesrepublik ihre Krankenkasse nicht nach ihren Bedürfnissen auswählen können. Sie sind in ihrer Wahlfreiheit eingeschränkt, und wir möchten, daß auch ihnen diese Wahlfreiheit zugute kommt.
Die Eingliederung der Berliner Versicherungspflichtigen in das Unfallversicherungssystem des Bundes hat sich, wie jeder zugeben muß, zu ihrem Vorteil ausgewirkt. Die Eingliederung in die Rentenversicherung hat für die Berliner Versicherten ebenfalls wesentliche Vorteile gebracht. Ich darf mich auf das beziehen, was vor einem halben Jahr der Kollege Schellenberg von den Leistungen des Bundes in der Rentenversicherung in Berlin gesagt hat. Lediglich in der Krankenversicherung bestehen diese Möglichkeiten noch nicht. Der Gesetzentwurf auf Drucksache 14 will dem abhelfen.
Der erste Abschnitt des Gesetzentwurfs beschäftigt sich damit, in Berlin das Gesetz über die Selbstverwaltungsorgane einzuführen. Wir sind uns darüber im klaren, daß die Beratungen im Ausschuß möglicherweise ergeben, daß die Fristen nicht ganz eingehalten werden können. Das zu klären, soll einer intensiveren Beratung vorbehalten bleiben. Das Ziel unserer Arbeit muß jedenfalls sein, daß die Berliner bei den Selbstverwaltungswahlen nicht mehr ausgeschlossen sind.
Der zweite Abschnitt des Ihnen vorliegenden Gesetzentwurfs bringt die Rechtsangleichung auf dem Gebiete der Krankenversicherung, soweit das organisatorisch notwendig ist. Soweit es nicht die Organisation, sondern das Leistungsrecht betrifft, bleibt es bei dem in Berlin jetzt geltenden Recht. Weder haben wir die Absicht, die Krankenversicherungsordnung der Bundesrepublik an das Berliner Recht anzugleichen — wie man beinahe meinen könnte, wenn man die Gedanken hört, die manchmal dazu vorgetragen werden —, noch haben wir die Absicht, jetzt, wo wir wissen, daß uns in absehbarer Zeit der Gesamtkomplex des Zweiten Buches der Reichsversicherungsordnung im Hohen Hause beschäftigen wird, vorweg an irgendeiner Stelle noch Änderungen vorzunehmen, die eine gleichmäßige Weiterführung bis zu der Gesamtneuordnung unmöglich machen würden. Darum sind im



Stings
§ 4 für den Umfang und den Gegenstand der Versicherung die bisher in Berlin geltenden Vorschriften übernommen; sie werden partielles Bundesrecht. Wir behalten uns natürlich vor, die einzelnen Bestimmungen im Ausschuß noch einmal gründlichst durchzusehen. Ich darf dabei schon nach einer Seite des Hauses hin sagen, daß es uns darauf ankommt, auch hier nicht irgendwelche unliebsamen Nachwirkungen in Berlin heraufzubeschwören.
Die Übergangsvorschriften, die Sie, meine Damen und Herren, im dritten Abschnitt finden, betreffen die Abwicklung der organisatorischen Angleichung an das Recht im Bundesgebiet. Danach wird die jetzige Krankenversicherungsanstalt Berlin Allgemeine Ortskrankenkasse im Sinne der Reichsversicherungsordnung. Die Bestimmungen beschäftigen sich damit, in welchem Verfahren die seinerzeit stillgelegten Betriebs- und Innungskrankenkassen wieder aufleben und in welchem Verfahren neue gebildet werden. Die Vorschriften sagen natürlich nichts Besonderes über die Tätigkeit der Ersatzkassen; hier ist ja keine Neugründung nötig, sondern es findet nur eine Ausdehnung ihres Bereiches vom Bundesgebiet auf Berlin statt. Der Abschnitt enthält ferner Bestimmungen über die Verwertung des Vermögens der stillgelegten Versicherungsträger und der Krankenversicherungsanstalt Berlin sowie über die Abwicklung der Verbindlichkeiten aus der letzten Zeit. Es wird ferner gesagt, wie das bei der Ortskrankenkasse Berlin nicht mehr benötigte Personal von den anderen Krankenversicherungsträgern zu übernehmen ist.
Allerdings hat uns immer wieder der Einwand Sorge gemacht, daß der Abgang sogenannter guter Risiken von der jetzigen Krankenversicherungsanstalt Berlin zu den neu zu gründenden oder wiederauflebenden Sonderkassen bei der dann verbleibenden Allgemeinen Ortskrankenkasse die Gefahr heraufbeschwöre, daß die Leistungen nicht mit dem bisher geltenden Beitragssatz gesichert werden könnten. Hier schlagen wir Ihnen mit § 16 vor, eine Garantie dafür zu schaffen, daß mit dem gleichen Beitragssatz, den die Versicherten der KVA bisher gezahlt haben, die gleichen Leistungen der Krankenversicherungsanstalt, die sich dann Allgemeine Ortskrankenkasse nennen wird, gewährt werden.
Wir müssen aber mit allem Nachdruck auf folgendes hinweisen. Wir können dabei nicht davon ausgehen, daß die Leistungen, die auf gesetzlicher Basis oder in sonstiger Form neu oder in erweitertem Umfange hinzukommen und die im Bundesgebiet von jeder Allgemeinen Ortskrankenkasse und von jeder sonstigen Kasse durch Erhöhung der Beiträge aufgefangen werden müssen - in Berlin müssen sie nach dem Dritten Überleitungsgesetz letzten Endes aus Landesmitteln aufgefangen werden —, durch Bundesmittel getragen werden können. Wir können hier nicht davon ausgehen, daß die Berliner Versicherten und Arbeitgeber ein besonderes Recht erhalten. Es soll ihnen nur garantiert werden, daß nicht durch den Abgang von Versicherten die Leistungen gefährdet werden, aber nicht mehr; mit dem Beitragssatz sollen nicht neue
Leistungen gewährt werden. Ob eine Modifizierung der Formulierung in Frage kommt, ob wir eine andere Form finden können, darüber werden wir im Ausschuß noch eingehend miteinander beraten können.
Ich darf noch einmal betonen, daß wir es für dringend notwendig halten, dieses Gesetz so schnell wie möglich zu verabschieden. Wir glauben, es ist nicht zu verantworten, daß die Berliner bei den nächsten Selbstverwaltungswahlen ausgeschlossen bleiben. Ich bitte Sie daher, diesen Gesetzentwurf dem Ausschuß für Sozialpolitik zur weiteren Beratung zu überweisen.

(Beifall in der Mitte.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300511800
Die Einbringung ist erfolgt. Die Debatte ist offenbar unvermeidlich. Erster Debatteredner ist der Herr Abgeordnete Büttner.

Fritz Büttner (SPD):
Rede ID: ID0300511900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem von der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der Selbstverwaltung auf dem Gebiet der Sozialversicherung und Angleichung des Rechts der Krankenversicherung im Land Berlin habe ich namens meiner Freunde folgendes zu sagen.
In der vergangenen Legislaturperiode ist, wie ich den Protokollen entnommen habe, von den Antragstellern auf die Notwendigkeit hingewiesen worden, eine Angleichung an die im Bund bestehenden Gesetze vorzunehmen. Dieser Meinung ist auch unsere Fraktion; aber wir halten es, um eine einheitliche Gesetzgebung zu erreichen, nicht für sinnvoll, für Berlin ein Sondergesetz zu schaffen, sondern uns erscheint es wichtiger, daß die von der Bundesregierung seit langem angekündigte Reform der Krankenversicherung im Bundesgebiet durchgeführt wird. Es kommt uns dabei im wesentlichen darauf an, daß zunächst einmal ein einheitliches Versicherungsrecht geschaffen wird. Auf dieses Leistungsrecht gestützt, können dann die Durchführungs- und Organisationsmaßnahmen besprochen werden. Wir finden, daß das folgerichtig ist und den Verhältnissen Rechnung trägt.
Wir sind uns völlig darüber im klaren, daß bei der Angleichung an das neu zu schaffende Bundesrecht Tatbestände auftreten werden, die einer besonderen Regelung bedürfen. Das kann aber kein Hindernis dafür bilden, zunächst einmal durch ein einheitliches Reformgesetz einen Rahmen zu schaffen. Wesentlich geht es um die Verbesserung der Leistungen und um eine verstärkte Gesundheitsfürsorge in einer Zeit, die das Letzte vom schaffenden Menschen verlangt. Es geht um die Beseitigung von Fristen bei der Aussteuerung von Leistungen und um eine ausreichende Versorgung der anspruchsberechtigten Familienangehörigen. Nicht zuletzt geht es aber auch darum, einen Weg zu suchen und zu finden, der die Finanzierung der sich aus dem Leistungsrecht ergebenden Ansprüche sicherstellt. Ich glaube, daß gerade die hoffentlich hinter uns liegende Grippewelle ein Anlaß für uns sein



Büttner
sollte, in dieser Beziehung genaue Überlegungen anzustellen, um vorerst einmal die Krise in der Krankenversicherung zu überwinden.
Wir wissen, daß die Berliner nach dem Zusammenbruch auch auf sozialversicherungsrechtlichem Gebiet Vorbildliches geleistet haben. Manches von diesem Vorbildlichen könnte auch für das Bundesgebiet übernommen werden. Ich denke da z. B. an die zeitlich unbegrenzte Gewährung von Krankenhauspflege.
Im übrigen mache ich darauf aufmerksam, daß die CDU-Fraktion heute einen Gesetzentwurf vorlegt, der in bezug auf Berlin in zwei Punkten eine Verschlechterung bringt. Das bezieht sich erstens auf die Übernahme des Personals, die zeitlich begrenzt wird und insbesondere für die älteren Angestellten zu einer erheblichen Belastung führen könnte, und zweitens auf die finanzielle Sicherung der Leistungsfähigkeit ohne Beitragserhöhung. Ausdrücklich stelle ich fest, daß Herr Kollege Horn in der letzten Sitzung der zweiten Legislaturperiode namens seiner Fraktion erklärt hat, daß die CDU die Gesetzesvorlage in der Fassung der Ausschußbeschlüsse erneut einbringen werde. Daß das geschehen ist, wage ich nach dem hier vorliegenden Gesetzentwurf zu bezweifeln. Heute wird also, wie schon bemerkt, eine Gesetzesvorlage eingebracht, die gegenüber den Ausschußbeschlüssen im 2. Bundestag in wesentlichen Punkten eine Verschlechterung darstellt.
Ich meine, eine Reform der sozialen Krankenversicherung ist ein zentrales Anliegen für das gesamte Bundesgebiet einschließlich Berlin,

(Abg. Stingl: Jawohl! Sehr richtig!)

eine Reform, die die Frage der Versorgung im Krankheitsfall, die Fragen der ärztlichen Behandlung, der Lieferung von Arzneien, Heil- und Hilfsmitteln der Krankenhauspflege und der echten Gesundheitsfürsorge für Versicherte und deren Angehörige lösen muß. Das ist ein Problem, das eine Gesamt- und nicht eine Teillösung für Berlin allein erfordert. An dieser Lösung mitzuarbeiten, sind wir alle aufgerufen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300512000
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Kalinke.

Margot Kalinke (CDU):
Rede ID: ID0300512100
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Meine Fraktion begrüßt es, daß unser Koalitionspartner das gemeinsam abgegebene Versprechen, den Entwurf über die Anpassung des Berliner Rechts sofort im 3. Bundestag einzubringen, heute verwirklicht hat. Ich begrüße es auch, daß der Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion in dieser ruhigen Atmosphäre versucht hat, die Probleme darzustellen, die mit der Anpassung des Krankenversicherungsrechts in Berlin an das der Bundesrepublik zur Diskussion stehen. Wenn dieser Antrag auch nicht gemeinsam als Koalitionsantrag eingebracht wird, so sind wir doch mit unseren Freunden aus der CDU/CSU darin einig, daß unverzüglich die Voraussetzungen für die gemeinsamen Selbstverwaltungswahlen in Berlin und in der Bundesrepublik geschaffen werden müssen. Nicht einig sind wir mit der Begründung, die der Kollege Stingl hier abgegeben hat, daß die Angleichung nur organisatorisch und nicht im Leistungsrecht erfolgen solle.
Zu dieser Frage der Angleichung im Leistungsrecht meine ich — ich möchte mich hier sehr kurz fassen —, daß es endlich an der Zeit ist, auch in Berlin die völlige Angleichung des Leistungsrechts vorzunehmen. Nachdem wir im Bundesgebiet die Versicherungspflichtgrenze auf 660 Mark heraufgesetzt haben, sollten auch für Berlin die gleichen Gründe und die gleiche Versicherungspflichtgrenze gelten. Es gibt keine guten Gründe, die dafür sprechen, in Berlin weiterhin ein uneinheitliches Recht zu behalten, zumal gerade die Angestellten der Bundesbehörden, die in Berlin beschäftigt sind, nun wiederum nach zweierlei Recht behandelt werden. Die einen, bei denen die Versicherungspflichtgrenze von 660 Mark gilt, werden den Arbeitgeberanteil auf Grund dieser Grenze erhalten, und die anderen, bei denen die Grenze von 750 Mark gilt, werden ihn auf Grund dieser anderen Grenze erhalten. Ich meine, daß es nicht gut ist, ein Anpassungsgesetz zu schaffen — ganz gleich, zu welcher Regelung man kommt —, in dem man zweierlei oder gar dreierlei Sonderrechte für Angestellte in einem Teil des freien Deutschland hat.
Es gibt auch keine guten und sachlichen Gründe dafür, der Allgemeinen Ortskrankenkasse in Berlin andere Startmöglichkeiten zu geben, als sie alle anderen Ortskrankenkassen im Bundesgebiet haben. Auch die AOK Berlin muß bestrebt sein, Beiträge und Leistungen in eine gesunde Relation zu bringen. Ich freue mich, daß dieser Grundsatz — ich weiß, daß Herr Schellenberg ihn anerkennt — auch von dem sozialdemokratischen Sprecher anerkannt worden ist. Die Mehrausgaben, die durch die Erhöhung der Krankenhauspflegesätze, durch die Grippewelle und, wenn Sie wollen, durch die Lohnfortzahlungswelle, auch durch die Honorarforderungen der Ärzte anfallen, erwachsen der AOK Berlin genauso wie allen anderen Krankenversicherungsträgern.
Das Wirtschaften mit Garantien verführt genauso wie das Wirtschaften aus dem großen Topf zu Gefahren, die wir gerne von vornherein vermieden sehen möchten. Deshalb möchte ich mich, ohne die Debatte, die ja heute schon bei der Beratung des vorhergehenden Tagesordnungspunktes über Subventionen geführt worden ist, zu vertiefen, gegen die Formulierung des § 16 schon jetzt aussprechen in der Überzeugung und in der Hoffnung, daß wir uns im Ausschuß über eine bessere Regelung verständigen werden.
Meine Freunde in der Deutschen Partei möchten weder eine unbegrenzte noch eine unbegründete Subventionierung, die wir als Zumutung an die Steuerzahler, und zwar sowohl an die Berliner Steuerzahler wie an die des Bundesgebiets empfinden. Wir waren sehr verwundert darüber, zu er-



Frau Kalinke
fahren, daß die beabsichtigte Rechtsverordnung des Senats Berlin, die bevorsteht und mit der die Krankenhauspflegesätze von 11,60 auf 14 Mark erhöht werden sollen, nun nicht dazu geführt hat, das Notwendige, das auch in Berlin beabsichtigt war, zu beschließen.
Angesichts der bekannten Situation in Berlin sind wir noch mehr darüber erstaunt gewesen, daß in diesen Tagen — zu ersehen aus der Tagespresse und einem Bericht des „Tagesspiegels" — ein Sprecher des Berliner Senats erklärt hat, der Senat werde einer Erhöhung der Beiträge erst zustimmen, wenn das sogenannte Anpassungsgesetz des Bundesgebietes in Berlin in Kraft getreten sei. — Ich hoffe, daß die Kollegen aus der sozialdemokratischen Fraktion im Ausschuß gemeinsam mit der Koalition einen Weg finden werden, auf dem wir zu sachlichen Lösungen kommen, die den Verdacht beseitigen, daß hier politische Argumente eine Rolle spielen könnten, und daß es nach der Verabschiedung dieses Gesetzes zu einer Beitragserhöhung kommen wird, die politisch sehr schlecht begründet wäre. Denn nicht dieses Anpassungsgesetz ist die Begründung für Beitragserhöhungen auch in Berlin, sondern die für alle Krankenkassen gleiche Lage, die sich aus den genannten Problemen ergibt.
Schließlich möchte ich noch in aller Kürze zu den Ausführungen des Kollegen von der SPD, des Herrn Abgeordneten Büttner, sagen: Ich sehe in den Bestimmungen über die Übernahme des Personals keine Probleme und keine Schwierigkeiten. Wir haben — Sie mögen sich dessen erinnern —, als wir die Einheitskasse in der französischen Zone beseitigten, keinerlei Sonderrechte, keinerlei Subventionen und keine Schwierigkeiten mit dem Personal gehabt. Dasselbe haben wir bei der Beseitigung der Einheitskasse Bremerhaven erlebt. Diese Beispiele einer vernünftigen Anpassung sollten uns bei der Beratung im Ausschuß leiten und uns veranlassen, nun das Notwendige, das längst überfällig ist, auch in Berlin zu tun: einheitliches Recht für alle Bürger in der Bundesrepublik und in Berlin, keine Sonderrechte, weder für einzelne Gruppen von Angestellten noch für einzelne Kassenarten, weder im Start noch in der Führung der Geschäfte und im Leistungsrecht.
Wenn wir uns darüber in der nächsten Woche im Ausschuß verständigen — ich glaube daran, daß wir uns darüber verständigen werden —, werden wir nicht nur zur organisatorischen, sondern, wie ich hoffe, auch zur endgültigen Angleichung des Leistungsrechts in Gesamtdeutschland kommen.

(Beifall bei der DP.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300512200
Herr Abgeordneter Dr. Will!

Dr. Rudolf Will (FDP):
Rede ID: ID0300512300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Vorzug, mich sehr kurz fassen zu können, was Ihnen in dieser vorgerückten Stunde angenehm sein wird. Nachdem auch Frau Kalinke gesagt hat, sie sei der Meinung, daß wir uns in der Sitzung des Sozialpolitischen Ausschusses in der nächsten Woche einigen würden, sehe ich keinen Grund, das hier etwa anzuzweifeln. Die Freie Demokratische Partei, für die ich hier spreche, wird infolgedessen der Ausschußüberweisung zustimmen. Sie ist der Auffassung, daß das Selbstverwaltungsgesetz, über das wir schon lange gesprochen haben und das im Bundesgebiet schon seit 1952 gilt, auch in Berlin übernommen werden sollte. Sie ist von jeher der Auffassung gewesen, daß es auch in Berlin, wie wir es lange anstreben, wieder selbständige Innungs- und Betriebskrankenkassen geben soll. Das ist im wesentlichen der Sinn der Gesetzesvorlage, die das Haus schon seit dem Januar dieses Jahres wiederholt beschäftigt hat. Man könnte höchstens bedauern, daß der Termin — der 3. Juli — so spät gelegt war, daß es eben damals nicht mehr möglich war, das Gesetz zu verabschieden; sonst wäre es wahrscheinlich inzwischen schon in Kraft getreten.
Über Einzelheiten im Augenblick noch zu sprechen, dürfte sich erübrigen, da das zum Teil schon von meinen Vorrednern gesagt worden ist und da es sich hier um ein Thema handelt, von dem ich wirklich annehme, daß wir Suns in verhältnismäßig kurzer Zeit in diesen Dingen zusammenfinden werden.
Ich kann also wiederholen, daß die Freie Demokratische Partei damit einverstanden ist, den Gesetzentwurf Drucksache 14 dem Ausschuß zu überweisen, der in der nächsten Woche abschließend darüber beraten soll.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0300512400
Keine weiteren Wortmeldungen. Die Aussprache ist geschlossen. Beantragt ist die Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik. Alles einverstanden; die Überweisung ist beschlossen.
Damit sind wir am Ende der Tagesordnung. Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen noch nicht verraten, wann wir die nächste Plenarsitzung haben werden. Ich werde es dem Hause rechtzeitig mitteilen.
Die Sitzung ist geschlossen.