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ID0300500200

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag —3. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. November 1957 I 5. Sitzung Bonn, den 28. November 1957 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Hübner und Dr. Friedensburg 101 A Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP betr. Einsetzung von Ausschüssen (Drucksache 18) 101 B Wahl der Schriftführer (Drucksache 21) . . 101 B Vierzehnte Verordnung über Zolltarifänderungen zur Durchführung des Gemeinsamen Marktes der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Drucksache 12) . . . 101 C Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Kohlepreiserhöhung (Drucksache 2) Dr. Bleiß (SPD) 101 D Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister 104 D, 129 A, 152 B Dr. Achenbach (FDP) 112 B Dr. Preusker (DP) 114 A Dr. Deist (SPD) 117 C, 146 D Dr. Hellwig (CDU/CSU) 131 C Margulies (FDP) 140 B Dr. Friedensburg (CDU/CSU) 143 A Dr. Kreyssig (SPD) 144 D Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der deutschen Kohlewirtschaft (Drucksache 19) 154 A Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Selbstverwaltungs- und Krankenversicherungsangleichungsgesetzes Berlin — SKAG Berlin (Drucksache 14) .....154 A Stingl (CDU/CSU) 154 B Büttner (SPD) . . . . . 155 C Frau Kalinke (DP) 156 B Dr. Will (FDP) 157 C Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 159 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2B. November 1957 101 5. Sitzung Bonn, den 28. November 1957 Stenographischer Bericht Beginn: 14 Uhr.
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Frau Albrecht 2. 12. Fürst von Bismarck 20.12. Dr. Brecht 29.11. Freiherr von Feury 28.11. Dr. Frey 28.11. Frau Friese-Korn 1.12. Geiger (München) 28.11. Gerns 28.11. Gibbert 28.11. Dr. Götz 28.11. Dr. Gülich 30.11. Dr. Dr. Heinemann 29.11. Hellenbrock 28.11. Höfler 28.11. Jacobs 28.11. Kirchhoff 29.11. Knobloch 28.11. Kramel 28.11. Lenz (Brüht) 28.11. Mensing 28.11. Dr. Meyers (Aachen) 30.11. Paul 28.11. Scheel 15.12. Dr. Schneider (Saarbrücken) 28.12. Schreiner 28.11. Spies (Brücken) 28.11. Dr. Starke 28. 11. Stierle 29. 11. Wehr 28.11. Frau Welter (Aachen) 28.11. Zoglmann 28.11. Zühlke 28.11. b) Urlaubsanträge Dr. Atzenroth 15.12. Bauer (Wasserburg) 8.12. Bauknecht 15.12. Dr. Becker (Hersfeld) 18.12. Dr. Birrenbach 11.12. Brand 10.12. Drachsler 11.12. Gedat 6.12. Dr. Höck 12.12. Dr. Jordan 13.12. Kühn (Köln) 10.12. Kurlbaum 31.12. Dr. Leverkuehn 14.12. Merten 11.12. Frau Renger 11.12. Dr. Schild 14.12. Dr.-Ing. Seebohm 14.12.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Paul Bleiß


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das 20. Jahrhundert ist durch die rasante Entwicklung der Technik zu einer schnelllebigen Zeit geworden; aber trotz aller Schnellebigkeit haben wir die Reden noch nicht vergessen, die Herr Bundeswirtschaftsminister Professor Erhard vor dem 15. September gehalten hat.
    Im Mittelpunkt seiner Wahlpropaganda stand die These, daß eine leistungsfähige Volkswirtschaft die Stabilität der Preise zur notwendigen Voraussetzung habe und daß er, der Herr Bundeswirtschaftsminister, der Garant einer stabilen Wirtschaft sei. In der Flüsterpropaganda, die durch die Betriebe lief, wurde die These weiter vereinfacht, und das Schlagwort „Keine Experimente!" konnte für die Wähler doch nur den Sinn haben, daß im Falle einer dritten CDU-Regierung in Bonn die Stabilität der Preise gesichert sei und damit die Kaufkraft der D-Mark erhalten bleibe. In der Praxis wurde die These dadurch erhärtet, daß während der



    Dr. Bleiß
    Sommermonate, von einigen Lebensmitteln abgesehen, wesentliche Preissteigerungen nicht eingetreten sind.
    Es dürfte unbestritten sein, daß ein erheblicher Teil der Wählerschaft dieser These Glauben schenkte und sich deshalb für die bisherigen Mehrheitsparteien in Bonn entschied.
    Das war vor dem 15. September. Aber schon wenige Tage später wurde die Öffentlichkeit von einem ersten, gefährlichen Experiment überrascht: von der Ankündigung einer drastischen Erhöhung der Kohlepreise. Die Gefährlichkeit des Experiments liegt nicht nur in dem Ausmaß der Preiserhöhung, sondern vor allem darin, daß es sich, wie der Herr Bundeswirtschaftsminister selbst sagte, bei der Kohle um einen Grundstoff von besonderer Bedeutung handelt.
    Die Schnelligkeit, mit der der Unternehmensverband Ruhrbergbau das Wahlergebnis vom 15. September für sich auswertete, hat selbst den Herrn Bundeswirtschaftsminister überrascht. Er schreibt darüber in einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 12. Oktober — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten darf ich zitieren —:
    Was die Wahl des Zeitpunkts anbelangt, so möchte ich über die Taktik des Unternehmensverbandes den Schleier christlicher Nächstenliebe breiten; denn außer diesem Gremium selbst dürfte es in Deutschland kaum irgendeinen Menschen geben, der da nicht mit mir übereinstimmte.
    In der Tat, Herr Bundeswirtschaftsminister, so weit stimmen auch wir mit Ihnen überein. Es ist zweifellos eine harte Sache, einen Wechsel schon vier Tage nach der Wahl präsentiert zu bekommen.
    Etwas kritischer schon lesen wir aber Ihre nächsten Zeilen:
    Die leitenden Herren des Unternehmensverbandes .hätten es im übrigen leicht gehabt, mit der Bundesregierung zu einer Verständigung zu kommen, wenn sie nur etwas mehr Einsicht in die wirtschaftlich-politischen Zusammenhänge, die nun einmal bei einer Kohlepreiserhöhung beachtet werden müssen, gehabt hätten.
    Soll das bedeuten, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß Sie der Erhöhung zugestimmt hätten, wenn der Unternehmensverband Ruhrbergbau nicht selbsttätig gehandelt, sondern Sie über die beabsichtigten Maßnahmen vorher unterrichtet hätte? Deswegen drängt sich uns die Frage auf, die wir in der Großen Anfrage Drucksache 2 an Sie richten: Halten Sie die Preiserhöhung für gerechtfertigt? Wenn nein, welche Preiserhöhung würden Sie für gerechtfertigt halten?
    Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat sich zu der Preiserhöhung vielfach geäußert. Er hat unter anderem dargetan, daß sie für ihn überraschend gekommen sei. Herr Bundeswirtschaftsminister: Entspricht es wirklich den Tatsachen, daß die Preiserhöhung für Sie so überraschend gekommen ist?
    Lassen Sie mich, Herr Bundeswirtschaftsminister, zur Begründung dieser Fragen auf einige Vorgänge hinweisen, die Ihnen sicherlich noch in Erinnerung sein werden.
    Bereits im Juni 1957 hat ein Briefwechsel zwischen der Bundesregierung und der Hohen Behörde stattgefunden, nach welchem die Bergmannsprämien zwar bestehenbleiben, die Beiträge zur knappschaftlichen Rentenversicherung aber in Höhe von 6,5 % des Lohnaufwandes den Zechengesellschaften auferlegt werden sollten. Die Wiedereinführung der vollen Beiträge zur knappschaftlichen Renten- und Pensionsversicherung ist in Kenntnis und mit Billigung der Bundesregierung erfolgt.
    Etwa drei Wochen später, Mitte Juli, meldet Herr Dr. Curtius von der Bergwerksgesellschaft Rheinpreußen eine Preiserhöhung von 6 DM je Tonne an. Am 27. Juli richtet der Unternehmensverband Ruhrbergbau ein Schreiben an den Herrn Bundeswirtschaftsminister, in dem auf folgende Kostenerhöhungen hingewiesen wird: Mehrbelastungen aus der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle, Erhöhung der Beiträge zur Berufsgenossenschaft und für die knappschaftliche Rentenversicherung, Erhöhung des gesetzlichen Kindergeldes.
    Dieses Schreiben, Herr Bundeswirtschaftsminister, hatte doch nicht etwa nur den Zweck, Sie zu unterrichten, sondern dahinter stand doch für jedermann deutlich erkennbar die Forderung nach der baren Kasse, und nur aus Gründen der „Courtoisie" wurde diese Forderung bis nach dem 15. September verschoben.
    Wenn also Ihnen, Herr Bundeswirtschaftsminister, zum mindesten ab Ende Juli dieses Jahres bekannt sein mußte, daß Preisforderungen nach den Wahlen gestellt werden würden: was haben Sie in der Zwischenzeit getan, um die Preiserhöhungen zu verhindern? Wir stellen diese Frage mit besonderem Nachdruck, weil es kaum einen Wirtschaftszweig gibt, in dem die Bundesregierung dank ihres Beteiligungsverhältnisses einen so tiefen Einblick in die Kostenstruktur nehmen kann wie im Bergbau, zumal der Bundesbesitz einen guten Querschnitt aus dem gesamten Steinkohlenbergbau vermittelt.
    Wir werden uns bei der Beantwortung der Frage nicht mit dem Hinweis zufriedengeben, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß Ihnen die „allgemeinen Kalkulationsbedingungen" bekannt seien. Sie müssen heute in Ihrer Beantwortug schon etwas deutlicher werden.
    Der Bergbau kalkuliert zur Zeit nach einem Schema, das von der Montanunion entworfen worden ist. Die Kostenrechnungen lassen bei einem solchen Vergleich miteinander zwar einen gewissen Trend erkennen, sie enthalten aber einige kalkulatorische Posten, die mit der realen Kostensituation nur wenig oder gar nichts zu tun haben.
    Ist Ihnen, Herr Bundeswirtschaftsminister, z. B. bekannt, daß in die Kostenrechnung die Verzinsung des Eigenkapitals eingerechnet ist, daß dieser Kostenbestandteil sich pro Tonne abgesetz-



    Dr. Bleiß
    ter Kohle auf 5 bis 6 DM beläuft und daß, um bei diesem Beispiel zu bleiben, wenn eine solche Kalkulation mit einem Minus von 1 DM abschließt, in Wirklichkeit ein G e win n von 4 bis 5 DM je Tonne in der Kalkulation enthalten ist? Billigen Sie diese Methodik, Herr Bundeswirtschaftsminister? Sind Sie nicht der Meinung, daß eine solche Methodik zur Irreführung der Öffentlichkeit führen muß?
    Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit noch einen anderen Kalkulationsposten kritisch betrachten — die kalkulatorischen Abschreibungen. Die kalkulatorische Abschreibung ist ein völlig imaginärer Begriff geworden. Man geht nicht etwa von den Beschaffungswerten, sondern von Wiederbeschaffungswerten aus. Man schreibt nach der degressiven Methode ab, und die Abschreibungssätze, die auf diese Weise ermittelt und in die Kalkulation eingestellt werden, haben mit dem eigentlichen Wertverzehr nur noch sehr wenig zu tun. Sie sind praktisch zu einem Mittel der Selbstfinanzierung geworden. Ich empfehle Ihrem Ministerium, Herr Bundeswirtschaftsminister, sich mit diesem kalkulatorischen Posten eingehender zu beschäftigen.
    Die im Zusammenhang mit der letzten Preiserhöhung vorgelegte Kalkulation der Ruhrzechen hat selbst bei der Hohen Behörde, die in diesen Dingen etwas großzügig ist, keinen Anklang gefunden. Sie wurde von der Hohen Behörde u. a. deswegen abgelehnt, weil in den Kostenrechnungen noch weitere kalkulatorische Posten enthalten sind, die darin nichts zu suchen haben, so z. B. die Abgabe für den Lastenausgleich, verausgabte 7 c-Gelder und soziale Mehrbelastungen in Höhe von 97 Millionen, die in dieser Höhe umstritten sind. Gestützt auf diese Daten hat die Hohe Behörde die Preisforderung als um 1,50 DM überhöht bezeichnet.
    Ist Ihnen weiterhin bekannt, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß die Argumentation des Unternehmensverbandes Ruhrbergbau hinsichtlich der sozialen Mehrbelastung durch den Herrn Bundesminister für Arbeit in seinem Schreiben vom 10. Oktober eindeutig widerlegt wurde? Ich frage Sie: Was haben Sie unternommen, Herr Professor Erhard, um diese Sachlage mit dem Ruhrbergbau zu klären? Ist Ihnen bekannt, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß die Sozialistische Gruppe der Gemeinsamen Versammlung der Montangemeinschaft bei der Hohen Behörde wegen der Kalkulation der Ruhrzechen vorstellig geworden ist und verschiedene Positionen beanstandet hat?
    Ich frage Sie weiter, Herr Bundeswirtschaftsminister: Ist Ihnen bekannt, daß auch in bundeseigenen Gesellschaften Beispiele dafür vorhanden sind, daß die Berichterstattung erheblich von dem wahren Kostenablauf abweicht, daß erhebliche Manipulationen — Herr Bundeswirtschaftsminister, erhebliche Manipulationen! — mit Zahlen erfolgen, um ein Absinken der Rentabilität zu beweisen? Ich frage Sie: Was haben Ihre Beauftragten in den Gremien dieser Gesellschaften getan und veranlaßt, um sich eine genaue Kenntnis von der wirklichen Kosten- und Ertragslage zu verschaffen?
    Ich darf annehmen, daß wir heute von Ihnen dazu eine erschöpfende Stellungnahme bekommen.
    Meine Damen und Herren, ohne der Antwort des Herrn Bundeswirtschaftsministers vorgreifen zu wollen, scheint es mir festzustehen, daß das Bundeswirtschaftsministerium mit diesen Preiserhöhungen rechnen mußte, daß es aber nichts getan hat, um durch eine genaue Prüfung der Unterlagen der Preisentwicklung entgegenzuwirken. Vielleicht fühlte sich der Herr Bundeswirtschaftsminister seiner Sache zu sicher, als er sich im Frühjahr 1956 bei der Hohen Behörde so nachhaltig für die Freigabe der Kohlenpreise einsetzte. Vielleicht vertraute er etwas zu sehr auf die Kunst seiner „Seelenmassage". Nun, ich glaube, die Verhandlungen mit dem Unternehmensverband haben ihm gezeigt, wo die Grenzen dieser Kunst liegen.
    In einem Gespräch über die Freigabe der Kohlen-preise äußerte sich damals Herr Staatssekretär Westrick sehr optimistisch. Sie meinten seinerzeit, Herr Staatssekretär, daß Preiserhöhungen ja nur nach vorheriger Fühlungnahme mit dem Bundeswirtschaftsministerium erfolgen würden, daß nicht viel passieren könne, weil man den Bergbau „an der Strippe" habe und mit den auf den Bund übernommenen Lasten manipulieren könne. Ich glaube, Herr Staatssekretär, daß nicht das Bundeswirtschaftsministerium den Unternehmensverband, sondern daß der Unternehmensverband den Herrn Bundeswirtschaftsminister an der Strippe hat.

    (Beifall bei der SPD.)

    Nach der Freigabe der Preise hat sich an der Ruhr wieder eine feste Kartellorganisation gebildet. Ich frage den Herrn Bundeswirtschaftsminister, ob und was er unternommen hat, um über die bundeseigenen Gesellschaften die Kartellpolitik rechtzeitig zu beeinflussen und im Sinne einer Verantwortung gegenüber der gesamten Wirtschaft zu ändern.
    Noch eine Bemerkung zur Preispolitik der Bergbauwirtschaft. Es ist mir aufgefallen, daß die Zechenbetriebe immer auf ihre erheblichen finanziellen Verpflichtungen und Belastungen hinweisen, wenn Preiserhöhungen zur Diskussion stehen, daß man sich aber immer finanziell sehr stark fühlt, wenn es darum geht, eine von Jahr zu Jahr erhöhte Dividende zu beschließen.
    Die Versuche des Herrn Bundeswirtschaftsministers, nach der Preisankündigung mit dem Unternehmensverband ins Gespräch zu kommen, sind kläglich gescheitert. Sein Abgang auf der Versammlung in Essen war etwas peinlich. Die Aktion des Bundeswirtschaftsministers ist von einer ihm nahestehenden Zeitung als „Theaterdonner" charakterisiert worden. Wenn ich richtig lese, heißt das doch, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister in seiner temperamentvollen Aktion von den Beteiligten nicht mehr ganz ernst genommen wurde.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Nach dem Scheitern der Aktion in Essen hat der Herr Bundeswirtschaftsminister in seiner Verärgerung eine Reihe von Kampfmaßnahmen gegen den



    Dr. Blei$
    Bergbau angedroht. Am 2. Oktober dieses Jahres kündigte er auf einer Pressekonferenz die Streichung der Umsatzausgleichsteuer bei Importkohle, die Streichung der Umsatzausgleichsteuer bei Heizöl als Sofortmaßnahmen an. Er stellte als weitere Maßnahmen in Aussicht die Gewährung von Frachtvergünstigungen für Importkohle bei der Bundesbahn, die Errichtung einer eigenen Verkaufsgesellschaft der bundeseigenen Zechen einschließlich der Zechen des Saargebietes. Aber schon drei Tage später, am 5. Oktober, berichtete die im allgemeinen gut informierte Frankfurter Allgemeine Zeitung, daß die Frachtvergünstigung für amerikanische Importkohle auf Veranlassung des Herrn Bundeskanzlers fallengelassen und die übrigen Maßnahmen einen Monat zurückgestellt worden seien.
    Ich muß Sie nun fragen, Herr Bundeswirtschaftsminister: was soll das? Zunächst werden Kampfmaßnahmen von Ihnen angedroht, angekündigt und dann stillschweigend wieder zurückgestellt.

    (Abg. Dr. Menzel: Theaterdonner!)

    Inzwischen sind wieder Wochen vergangen. Die Unsicherheit bei den Beteiligten bleibt bestehen. Ich frage Sie: was haben Sie denn eigentlich vor? Sind Ihre Kampfmaßnahmen endgültig in der Versenkung verschwunden? Waren sie nur eine Art Theaterdonner? Wollen Sie nicht endlich der Öffentlichkeit sagen, welche Maßnahmen Sie beabsichtigen und wann diese Maßnahmen eingeleitet werden sollen?
    Die Kohlepreiserhöhung ist durch den Beschluß des Unternehmensverbandes Bergbau eine Realität geworden. Sie trifft aber wiederum den Ärmsten, den Letztverbraucher am härtesten. Ich empfinde es als besonders schmerzlich, daß die Bundesregierung es nicht einmal verhindern konnte, daß die Hausbrandkohle stärker verteuert wurde als die Industriekohle. Wir erwarten auch zu diesem Fragenkomplex eine Stellungnahme des Herrn Bundeswirtschaftsministers.
    Was uns noch mehr Sorge bereitet, das sind die Auswirkungen, die sich aus der Kohlepreiserhöhung auf das gesamte Preisniveau ergeben. Wir erwarten, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister heute nicht wieder mit dem statistischen Vergleichsmaterial operiert und zu beweisen versucht, daß nach der Statistik der Anteil der Kohlekosten in den einzelnen Gewerbegruppen relativ nur gering ist. Herr Bundeswirtschaftsminister, das wäre eine Milchmädchenrechnung, die wir aus der Vergangenheit kennen und die immer wieder ad absurdum geführt worden ist. Sie sollten bei Ihrer heutigen Stellungnahme unterstellen, daß sich jede Erhöhung des Kohlepreises im Schneeballsystem durch das ganze Wirtschaftssystem — vom Grundstoff bis zum Endprodukt — hindurchwälzt und daß eine Vielzahl von Kettenreaktionen laufend das gesamte Preisniveau erschüttern.
    Das erste typische Beispiel ist die Erhöhung der Stahlpreise. Ich will nichts über die Berechtigung dieser Erhöhung sagen. Aber es ist immerhin notwendig, festzustellen, daß die Kohlenpreiserhöhung etwa 1 % des Stahlpreises ausmacht, die Stahlindustrie ihrerseits zu einer Erhöhung der Listenpreise im Durchschnitt von etwa 4 1/2 % gekommen ist.
    Nun, meine Damen und Herren, das ist die erste Reaktion, aber nicht die einzige größere Preisanhebung. Im Hintergrund steht die Erhöhung der Bundesbahntarife, die Anhebung der Versorgungstarife. Auf dem Ernährungssektor haben wir mit einer Erhöhung des Brotpreises zu rechnen. Im Hintergrund steht weiterhin eine neue Kohlenpreiserhöhung zum 1. April 1958.
    Der Kohlenpreis steht nicht allein im Raum. Er ist zu sehen im Zusammenhang mit der Kohlenwirtschaftspolitik und der gesamten Energiewirtschaft. Er muß auch gesehen werden im Zusammenhang mit der Sicherstellung des Bergmanns, mit der Erhaltung seines Arbeitsplatzes und seiner Arbeitskraft, mit allen den Maßnahmen, die erforderlich sind, um den schweren Beruf des Bergmanns zu erleichtern und den Nachwuchs sicherzustellen.
    Die Problematik, die sich in diesem Zusammenhang aufdrängt, macht nach unserer Auffassung eine umfassende strukturelle Untersuchung des Bergbaus notwendig. Deswegen haben wir heute erneut den Antrag eingebracht, eine Enquête für den gesamten Bergbau durchzuführen. Im Rahmen dieser Enquête sollten gleichzeitig die Probleme der Energiewirtschaft untersucht werden.
    Meine Damen und Herren! Die aufmerksame Beobachtung der Preisentwicklung nach dem 15. September gibt uns Anlaß zu ernsten Besorgnissen. Vor der Wahl haben Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, die Parole ausgegeben: „Stabile Preise, stabile Wirtschaft!" Ich frage Sie: Halten Sie an dieser Parole heute noch unabdingbar fest, oder ist Ihre Wahlparole unter dem Druck der Interessenten schon in der Aufweichung begriffe?
    Am Tage vor der Wahl schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Ludwig Erhard kümmert sich um alles." Am 17. September sagte der Herr Minister: „Keine Preiswelle zu erwarten". Am Tage darauf war plötzlich alles anders. Der Startschuß für die Preiswelle war gefallen durch die Ankündigung des Unternehmensverbandes Bergbau.
    Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie sind uns heute Rechenschaft darüber schuldig, was Sie unternommen haben, um eine gefährliche Preisentwicklung, ausgehend von der Kohle, zu verhindern.

    (Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort zur Beantwortung der Anfrage hat der Bundesminister Dr. Erhard.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Ludwig Erhard


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle Jahre wieder

    (Abg. Dr. Menzel: Kündigen Sie die Preisstabilität an!)




    Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. c. Erhard unterhalten wir uns in den Herbstmonaten über die Kohle. Im letzten Jahr haben wir uns unterhalten über die Kohlenmengen, obwohl auch seinerzeit die Preise gestiegen waren. Heute unterhalten wir uns ausschließlich über die Kohlenpreise, ein Beweis dafür, daß Versorgungslücken in diesem Jahr nicht in Erscheinung getreten sind — trotz einer weiteren Ausweitung unserer Volkswirtschaft —, und es scheint mir schon ein erster Beweis dafür zu sein, daß unsere Kohlepolitik nicht so schlecht gewesen sein kann, wie sie hier dargestellt wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Zum andern darf ich zu dem, was Herr Dr. Bleiß sagte, bemerken, daß sich meine Reden vor dem 15. September von meinen Reden nach dem 15. September nicht unterscheiden,

    (Zurufe von der SPD)

    und auch die Zielsetzung meiner Politik wird sich nicht ändern.

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Versprochen habe ich, alles in meinen Kräften
    Stehende zu tun, um die Stabilität der Wirtschaft
    und der Preise zu erhalten. Ich habe vor diesem Hohen Hause zu wiederholten Malen meiner Sorge Ausdruck gegeben, daß, wenn das deutsche Volk in all seinen Gruppen mehr verbrauchen will, als wir alle gemeinsam erzeugen, diese Politik nicht durchsetzbar ist, und Sie könnten mir einen guten Dienst erweisen, wenn Sie mich in diesem Bemühen, ein Maßhalten aller Beteiligten zu erreichen, unterstützen wollten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Einem Druck der Interessenten habe ich mich in meinem Leben noch nie gebeugt.

    (Lachen bei der SPD. — Beifall und Zurufe — von der CDU/CSU.)

    Wenn Sie dabei ein so gutes Gewissen haben wie ich, dann ist es mir recht.

    (Heiterkeit und wiederholter Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

    Im übrigen habe ich mich in meinen Wahlreden von anderen dadurch unterschieden, daß ich nicht allen Gruppen wechselweise alles versprochen habe, und aus diesem Grunde bin ich auch nicht in der unangenehmen Lage, mir präsentierte Wechsel einlösen zu müssen.

    (Lachen bei der SPD. — Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Nun zu der Frage des Kohlepreises. Bevor ich auf die einzelnen Punkte der Anfrage eingehe, nur noch etwas zu den Vorbemerkungen von Herrn Dr. Bleiß. Was glaubt eigentlich die SPD? Soll ich mich jetzt um den Kohlepreis bekümmern, oder soll ich mich nicht um den Kohlepreis bekümmern? Denn gerade Ihre Vertreter haben in der Gemeinsamen Versammlung der Montanunion wiederholt ihrer Klage Ausdruck gegeben, daß von seiten der nationalen Regierungen — und gemeint war ich — immer wieder versucht wird, Einfluß auf die nationale Preisbildung zu gewinnen.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Hier aber sprechen Sie mit anderen Zungen und sagen, i c h hätte die Verantwortung für den Kohlepreis.

    (Zurufe von der SPD.)

    Ich drücke mich nicht darum herum; aber ich möchte nur einmal klargestellt haben, daß Sie offenbar in der Gemeinsamen Versammlung mit einer ganz anderen Diktion kommen als hier vor dem Deutschen Bundestag.

    (Beifall bei der CDU/CSU.) — Abg.

    Schoettle: Ihre Wahlversammlungsreden
    sind auch nicht besser gewesen als das,
    was Sie heute produzieren!)