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Metadaten
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    Vokabeln: 7
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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag —3. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. November 1957 I 5. Sitzung Bonn, den 28. November 1957 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Hübner und Dr. Friedensburg 101 A Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP betr. Einsetzung von Ausschüssen (Drucksache 18) 101 B Wahl der Schriftführer (Drucksache 21) . . 101 B Vierzehnte Verordnung über Zolltarifänderungen zur Durchführung des Gemeinsamen Marktes der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Drucksache 12) . . . 101 C Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Kohlepreiserhöhung (Drucksache 2) Dr. Bleiß (SPD) 101 D Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister 104 D, 129 A, 152 B Dr. Achenbach (FDP) 112 B Dr. Preusker (DP) 114 A Dr. Deist (SPD) 117 C, 146 D Dr. Hellwig (CDU/CSU) 131 C Margulies (FDP) 140 B Dr. Friedensburg (CDU/CSU) 143 A Dr. Kreyssig (SPD) 144 D Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der deutschen Kohlewirtschaft (Drucksache 19) 154 A Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Selbstverwaltungs- und Krankenversicherungsangleichungsgesetzes Berlin — SKAG Berlin (Drucksache 14) .....154 A Stingl (CDU/CSU) 154 B Büttner (SPD) . . . . . 155 C Frau Kalinke (DP) 156 B Dr. Will (FDP) 157 C Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 159 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2B. November 1957 101 5. Sitzung Bonn, den 28. November 1957 Stenographischer Bericht Beginn: 14 Uhr.
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Frau Albrecht 2. 12. Fürst von Bismarck 20.12. Dr. Brecht 29.11. Freiherr von Feury 28.11. Dr. Frey 28.11. Frau Friese-Korn 1.12. Geiger (München) 28.11. Gerns 28.11. Gibbert 28.11. Dr. Götz 28.11. Dr. Gülich 30.11. Dr. Dr. Heinemann 29.11. Hellenbrock 28.11. Höfler 28.11. Jacobs 28.11. Kirchhoff 29.11. Knobloch 28.11. Kramel 28.11. Lenz (Brüht) 28.11. Mensing 28.11. Dr. Meyers (Aachen) 30.11. Paul 28.11. Scheel 15.12. Dr. Schneider (Saarbrücken) 28.12. Schreiner 28.11. Spies (Brücken) 28.11. Dr. Starke 28. 11. Stierle 29. 11. Wehr 28.11. Frau Welter (Aachen) 28.11. Zoglmann 28.11. Zühlke 28.11. b) Urlaubsanträge Dr. Atzenroth 15.12. Bauer (Wasserburg) 8.12. Bauknecht 15.12. Dr. Becker (Hersfeld) 18.12. Dr. Birrenbach 11.12. Brand 10.12. Drachsler 11.12. Gedat 6.12. Dr. Höck 12.12. Dr. Jordan 13.12. Kühn (Köln) 10.12. Kurlbaum 31.12. Dr. Leverkuehn 14.12. Merten 11.12. Frau Renger 11.12. Dr. Schild 14.12. Dr.-Ing. Seebohm 14.12.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Ernst Achenbach


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf an den Anfang meiner Ausführungen ein Wort stellen, für das ich allerdings nicht die geistige Urheberschaft in Anspruch nehme, nämlich das Wort: „Meine Damen und Herren, die Lage war noch nie so ernst wie heute."

    (Heiterkeit.)

    Dieses Wort, das der Herr Bundeskanzler

    (Zuruf von der SPD: Plagiat!)

    in der Vergangenheit sehr häufig gebraucht hat,

    (Abg. Mellies: In der Gegenwart auch!)

    obwohl es nach unserer Meinung nicht immer gestimmt hat, dieses Wort ist heute richtig. Wenn Sie die Weltpresse verfolgen und die Nachrichten lesen, dann könnte man die Lage durch das Wort charakterisieren: Der Preisspiegel steigt und der Vernunftspiegel fällt.
    Ich hatte den Eindruck, daß der Vernunftspiegel auch bei den für mein Gefühl überflüssigen Polemiken um die Kohlepreiserhöhung ein bißchen gefallen ist. Ich muß aber dem Herrn Bundeswirtschaftsminister sagen, daß er heute im Ton schon recht erheblich zurückgesteckt hat, und ich beglückwünsche ihn dazu.

    (Abg. Wehner: Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben! —Heiterkeit bei der SPD.)

    Es ist natürlich richtig: die Bundesregierung hat bereits im Juli gewußt, daß infolge der neuen Sozialgesetze, die sie vorgelegt hat und die hier angenommen worden sind, eine Preiserhöhung auf uns zukam. Nun wird der Herr Bundeswirtschaftsminister sicherlich nicht zugestehen wollen, daß sein Ministerium weniger schnell als die Ruhrkohlegesellschaften arbeitet, so daß er also doch wissen mußte, in welchem Umfang eine Kohlepreiserhöhung notwendig werden würde.
    Daß nun diese Erhöhung erst nach den Wahlen kam, wird wohl, meine ich, seine Gründe haben.

    (Lachen bei der SPD.)

    Ich glaube, weder dem Herrn Bundeswirtschaftsminister noch dem Kohlenbergbau ist der Vorwurf zu ersparen, daß sie die notwendige Preisdiskussion aus außerwirtschaftlichen Gründen bis nach den Wahlen hinausgezögert haben. Ich möchte sagen
    — ohne nun besonders bösartig werden zu wollen —, daß diese Verschiebung der notwendigen Preisdiskussionen, wie sie auch auf ,anderen Gebieten des öffentlichen Lebens auf uns zukommen
    — und zwar letzten Endes deshalb, weil der Sozialstaat nun einmal teuer ist —, doch wohl als eine Irreführung der Wähler bezeichnet werden muß.

    (Zuruf von der SPD: Das kann man wohl sagen!)

    Auf der anderen Seite möchte ich aber gerade einen bestimmten Punkt in der Anfrage der Sozialdemokratischen Partei herausgreifen. Ich halte es nun wirklich für abwegig, daß Sie fragen, was die Bundesregierung getan hat, um die angeblich wiedererstandenen Kartellorganisationen an der Ruhr zu kontrollieren. Sie kennen den Montanunionsvertrag genau wie wir. Wir wissen, daß nach diesem Vertrag die Hohe Behörde — und sie tut es auch effektiv — eine Kontrolle über den Ruhrbergbau ausübt. Sie wissen, daß nach Artikel 61 des Vertrags die Hohe Behörde in der Lage ist, Höchstpreise anzuordnen, falls wirklich unangemessene Preisfestsetzungen vorkommen.
    Infolgedessen meine ich, daß die Fragestellung in diesem Punkt einer gewissen Sachlichkeit entbehrt, wie ich ja auch den Eindruck hatte, daß die Begründung, die der Sprecher Ihrer Partei, meine verehrten Kollegen von der Sozialdemokratie, dieser Anfrage gegeben hat, nicht frei von einer gewissen Polemik war.

    (Abg. Wehner: Ein Eiertanz, Herr Achenbach!)

    Sie wissen, wir haben in unserer Wahlpropaganda

    (Abg. Wehner: Auf Sie kommt's an!)




    Dr. Achenbach
    von der Notwendigkeit einer gemeinsamen Außenpolitik gesprochen. Hier ist wirklich die Notwendigkeit einer gemeinsamen Kohlepolitik gegeben, die wir von Polemik frei halten sollten. Verehrter Herr Kollege Deist, Sie kennen ja auch die Meinung der IG Bergbau. Sie wissen, daß die Meinungen an der Ruhr gar nicht sehr verschieden voneinander sind. Sie wissen, daß gewisse Erhöhungen notwendig sind. Wir haben vom Herrn Bundeswirtschaftsminister gehört, daß der Kohlebergbau in der Tat nicht derartige Margen einer Produktivitätssteigerung wie andere Wirtschaftszweige hat. Nun, bei dieser Sachlage sollte es doch möglich sein, Herr Bundeswirtschaftsminister, sich in ruhiger und vernünftiger Form, wie Sie es ja — und ich begrüße das — am Schluß gesagt haben, um einen runden Tisch in Essen erneut zusammenzusetzen. Statt von einem neuen „Kohlenkrieg" zu sprechen, wie Sie es in Ihrem letzten Interview in der „Rheinischen Post" getan haben, empfehle ich Ihnen, sich mit den Vertretern der Hohen Behörde, mit der IG Bergbau und mit den Zechengesellschaften zusammenzusetzen. Ich bin überzeugt, daß bei einem guten Bergmannsschnaps vernünftige Lösungen gefunden werden. Das ist jedenfalls der Eindruck, den ich aus meinen Gesprächen in allen Kreisen des Ruhrgebiets gewonnen habe.
    Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie erlauben mir vielleicht diese Bemerkung — Sie stammen ja nicht da her, ich aber wohl —: In Westfalen gilt nun einmal der alte Satz: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es wieder heraus! Es fällt Ihnen und dem Bergbau kein Zacken aus der Krone, wenn Sie mal wieder nett miteinander sind.
    Ich möchte für die IG Bergbau ebenso wie für den Unternehmensverband sagen: Sie können beiden nicht einen Mangel an Verantwortung gegenüber dem Gemeinwohl vorwerfen; das haben beide in der Vergangenheit bewiesen. Man sollte auch nicht, weil die Entwicklung nach der Wahl Ihren sicherlich etwas dick aufgetragenen Wahlversprechungen nicht entsprochen hat, den Ruhrbergbau zum Sündenbock machen. Ich würde das für psychologisch falsch halten. Im übrigen schließe ich mich Ihrem Appell an die übrige Industrie an, nun nicht mit der Erhöhung des Kohlepreises überall anschließende Preiserhöhungen zu motivieren.
    Ich darf noch einmal an die Vernunft appellieren. Ich bin überzeugt, daß, wenn sich alle Beteiligten zusammensetzen, ein vernünftiges Ergebnis dabei herauskommt.
    Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben zum Schluß das Gemeinwohl in den Vordergrund gestellt. Dazu ist aber nötig, daß das unerläßliche Vertrauensverhältnis zwischen Ihnen und dem Ruhrbergbau nicht durch irgendwelche Gereiztheiten oder durch polemische Darstellungen von Tatbeständen getrübt wird.
    Sie haben ausgeführt, daß der Kohle von Hause aus demnächst ein Wettbewerb erwachsen wird. Das ist richtig. Nun glaube ich aber, daß es vielleicht gar nicht notwendig sein wird, diesen Wettbewerb extravagant zu fördern. Ich bitte daher um eine ganz sorgfältige Prüfung, damit sichergestellt ist, daß gewisse Maßnahmen nicht auf eine Gereiztheit zurückgehen, sondern auf ganz ruhige und sachliche Überlegungen. Herr Bundeswirtschaftsminister, wir dürfen angesichts des Ernstes der internationalen Lage und angesichts der Tatsache, daß in der Welt Entwicklungen eintreten können, auf die die Bundesrepublik keinen unmittelbaren Einfluß hat, nicht vergessen, was wir an diesem nationalen Reichtum an der Ruhr haben. Hier müssen, glaube ich, gewisse Gesichtspunkte außerwirtschaftlicher Natur berücksichtigt werden. Sie haben ja dadurch, daß sicherlich seitens des Herrn Bundeskanzlers, ich glaube, auch seitens Ihres Herrn Staatssekretärs, der Wunsch zum Ausdruck gebracht wurde, die Kohlepreiserhöhung nach Möglichkeit nicht vor den Wahlen geschehen zu lassen, bewiesen, daß Sie ein gewisses Verständnis dafür haben, daß auch wirtschaftliche Dinge nicht allein im Raum stehen, sondern in den Rahmen der allgemeinen Politik gehören. Bei dieser Situation werden Sie sicher Verständnis dafür haben, daß darauf geachtet werden muß, daß der Ruhrbergbau sich weiter gut entwickelt.
    Ich hatte die Absicht, Sie zu fragen, Herr Bundeswirtschaftsminister, ob Sie noch zu den Erklärungen stehen, die Sie in der Drucksache 3665 aus der 2. Wahlperiode des Bundestages unter dem 24. Juni 1957 dem Bundestag zugeleitet haben. Ihren Ausführungen habe ich entnommen, daß Sie noch dazu stehen. Auch die FDP bekennt sich zu den Grundsätzen, die dort niedergelegt sind. Nach unserer Meinung kann ein sorgsamer Hausvater aus allgemeinen politischen Gründen nicht damit rechnen., daß in der Welt alles so ruhig und nett bleibt, wie es in der Vergangenheit war. Daher muß neben einer gesunden Landwirtschaft unter allen Umständen ein gesunder Bergbau erhalten werden.
    Deshalb, meine Damen und Herren: Verzichten wir doch bitte allseitig auf Polemik! Über gewisse Dinge sind wir uns ja alle einig. Es ist nun einmal so, daß der Bergmann den höchsten Lohn haben muß; denn wenn er ihn nicht hat, finden sich nicht genug Leute, die ins Bergwerk einfahren. Ich habe mich persönlich von der Schwere der Arbeit des Bergmanns überzeugen können, als ich als Kriegsgefangener in einem Kattowitzer Kohlenpütt arbeiten mußte. Diese Gegebenheiten sind uns allen geläufig; und da sie uns allen geläufig sind, sollten wir nicht den Kohlenbergbau zum Sündenbock machen. Sie haben zwar — ich habe Verständnis dafür, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß Sie von Ihrem Standpunkt nicht gleich herunterklettern können — daran festgehalten, die Kohlenpreiserhöhung sei ungerechtfertigt; aber Sie haben doch so viele Einschränkungen gemacht, daß ich der Meinung bin, Sie werden in absehbarer Zeit wieder ein vernünftiges Verhältnis zum Kohlenbergbau finden.
    In diesem Sinne darf ich meine Ausführungen beschließen, meine Damen und Herren, und Ihnen, Herr Bundeswirtschaftsminister, ein herzliches Glückauf von der Ruhr zurufen.

    (Beifall bei der FDP.)






Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Preusker.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Victor-Emanuel Preusker


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist von verschiedenen Schreibern und Rednern in den letzten Wochen immer wieder darauf hingewiesen worden, daß unsere Kohlensituation wirklich nicht gerade das Musterbeispiel des deutschen Wirtschaftsaufschwungs sein kann. Denn während wir auf den anderen Gebieten inzwischen eine Produktionssteigerung auf weit über 230 % des Standes von 1936 oder 1938 erreicht haben, liegen wir mit der Kohlenförderung in Westdeutschland noch heute um genau 2 Millionen Tonnen unter der damaligen Leistung. Wir erlebten — darauf hat Professor Erhard schon hingewiesen — von 1950 bis jetzt nur eine Steigerung um rund 24 Millionen Tonnen auf 134 Millionen Tonnen, und in diesem Jahr liegen wir infolge der Arbeitszeitverkürzung sogar unter den Förderziffern des Vorjahrs. Seit Mai dieses Jahres — ich glaube, das muß man wohl als einen Einschnitt in unserer ganzen Entwicklung feststellen — haben wir eine wahrscheinlich für lange Zeit endgültig passive Kohlenbilanz in Deutschland bekommen. In diesem Jahr haben wir bereits bis zum September 11,8 Millionen Tonnen amerikanische Kohle eingeführt, mehr als im ganzen Jahre 1956.
    Wenn wir diesen wirklich nicht überaus befriedigenden Hintergrund dieser Kohlenpreisdebatte noch zu all dem hinzunehmen, was hier bereits gesagt worden ist, dann ist es, glaube ich, zweckmäßig, doch einmal zu überlegen, wer denn die ganze Misere, mit der sich das Hohe Haus heute befaßt, eigentlich zu verantworten hat. Ist das der Kohlenbergbau? Ist es die Bundesregierung? Oder wer ist es sonst?
    Gestatten Sie mir dazu einige Bemerkungen grundsätzlicher Art. Wir haben in den letzten Jahren viele Gelegenheiten verpaßt, gewisse Schwächen unserer wirtschaftlichen Organisation und unseres Aufbaues zu beseitigen. Der heutige Anlaß könnte einer der Wendepunkte sein, indem nun wirklich aus den verpaßten endlich einmal die erfaßte Gelegenheit wird.
    Das, was ich hier sagen will, ist folgendes. Wir haben uns seit Jahrzehnten daran gewöhnt, den Preis für die Kohle, die Nahrungsmittel, die Wohnung und die Verkehrsleistungen nicht mehr als eine in erster Linie wirtschaftliche Gegebenheit, sondern als eine in erster Linie politische Angelegenheit zu betrachten. Meine Damen und Herren, dazu gehört wohl nicht viel, wenn Ich gerade in diesem Hause ausspreche, daß zwischen der wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeit von Produktionsfaktoren, Angebot und Nachfrage und politischen Überlegungen sehr häufig eine ganz erhebliche Lücke klafft. Das ist insbesondere in unserer Grundstoffwirtschaft, bei der Kohle, bei den Nahrungsmitteln, auf dem Sektor des Wohnungsbaus oder beim Verkehr immer wieder der Fall gewesen, mit dem Ergebnis, daß wir im Grunde genommen seit Jahrzehnten auf allen diesen Gebieten viel zu niedrige Erlöse für die betroffenen Wirtschaftszweige zu verzeichnen hatten. Diese viel zu niedrigen Erlöse sind natürlich nicht nur den Verbrauchern, also auch dem letzten Konsumenten, in gewisser Weise zugute gekommen, sondern sie haben genauso den übrigen Bereichen der Wirtschaft günstigere Lohn-, Finanzierungs- und Investitionsbedingungen ermöglicht, als sie sie gehabt hätten, wenn man für die Kohle, die Ernährung, die Wohnung und die Bauleistungen sowie für die gesamten Verkehrsleistungen das hätte aufwenden müssen, was der Kohlebergbau und die anderen Wirtschaftsbereiche eigentlich hätten verlangen müssen.
    Ich glaube, das muß einmal mit aller Deutlichkeit ausgesprochen werden, weil es eine der entscheidenden Ursachen für den circulus vitiosus, für diesen verhängnisvollen Kreislauf, diese sogenannte Spirale ohne Ende, die wir dauernd erleben, aufzeigt.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Konnten dann die anderen Wirtschaftsbereiche, weil sie auf Kosten des Bergmanns, des Bauarbeiters, des Landmanns, des Eisenbahners viel günstigere Entwicklungen hatten, höhere Löhne zahlen, dann sind natürlich der Bergmann, die Landwirtschaft, die Bauwirtschaft, der Eisenbahner gekommen und haben gesagt: Jetzt laufen uns hier die Arbeitskräfte weg. Wir werden überlastet. Wir müssen wieder an die Spitze der Lohnskala, wohin wir wegen der Gefährlichkeit und der Schwere unserer Arbeit gehören! In den Preisen sollte das nicht zum Ausdruck kommen. Nächste Forderung: Vater Staat, bitte zahle du in irgendeiner Form die Differenz! So haben wir vorhin vom Wirtschaftsminister gehört, was allein in den Jahren seit 1949 auf diesem Gebiet geschehen ist: 1 Milliarde Steuerleistungen in Form der Abschreibung nach § 36, 400 Millionen für die Übernahme von Knappschaftsversicherungen, Bergarbeiterprämien, ab 1956 wieder die Vergünstigung in der Abschreibung für die Untertageanlagen. Sie können das beliebig erweitern. Nehmen Sie den Wohnungsbau mit inzwischen 3 Milliarden öffentlichen Mitteln, die jährlich zur Verfügung gestellt werden. Nehmen Sie die Landwirtschaft mit dem Grünen Plan und seinen ganzen Aufwendungen. Denken Sie an die Übernahme des Defizits der Bundesbahn. Sie kommen im Nu in Milliardengrößen hinein. Ja, die muß schließlich jemand zahlen. Wer ist denn der Staat? Der Staat sind doch im letzten die Steuerzahler,

    (Abg. Frau Kalinke: Sehr wahr!)

    und der Steuerzahler bringt das, was man um des Augenpulvers willen zunächst einmal am Preis der Kohle, der Milch oder des Brotes, der Wohnung oder der Wochenkarte einbehält, indirekt über die Umsatzsteuer bei jedem Produkt und über die Lohn- und Einkommensteuer wieder auf.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Und nicht nur das, sondern wenn nun dieser „soziale" Staat Gelder braucht, um diese Subventionen zu zahlen, dann pflegt er sie bei den Steuern dem kleinen Mann nicht sichtbar, in Gestalt der Steuern, aufzuerlegen, sondern er bürdet sie der



    Dr. Preusker
    Wirtschaft in dieser oder jener Form auf; denn dann - so sagt man sich — merkt es keiner, und dann trifft es nur die, die es bezahlen können. Auch das ist ein Versteckspielen mit der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit sieht auch hier anders aus. Die Wirtschaft gibt die ihr auferlegten höheren staatlichen Lasten in Form höherer Preise an den Markt weiter. Da treffen sie wieder mit Sicherheit nicht diejenigen, die sie eigentlich tragen können oder die es treffen soll, sondern wahrscheinlich in unsozialster Weise ganz andere Bereiche. Die höheren Preise lösen wieder höhere Lohnforderungen aus, die höheren Lohnforderungen führen zu weiteren Lohnsteigerungen, weil sonst die Bergarbeiter weglaufen, usw. Und dann geht das Ganze mit einer neuen Drehung der Schraube wieder von vorn los.
    Meine Damen und Herren, mit diesem Kernübel muß man sich endlich einmal befassen. Man hat sich bisher immer eingebildet, man könne alle diese Dinge vernebeln. Damit muß man einmal Schluß machen. Das, was man hier jahrzehntelang getan hat, ist im Grunde genommen kein mutiges Handeln gewesen, sondern ein feiges Heucheln.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Demgegenüber möchten wir nun den klaren Antrag stellen, alles das, was durch die politische Preisbildung in Unordnung geraten ist und was weiterhin in Unordnung gerät, wenn man es auf dem Wege über Subventionen und Hilfen und staatliche Einschaltung hintenherum bewerkstelligen will, einzuordnen und neu zu ordnen im Rahmen eines Programms der sozialen Stabilisierung, ich möchte sagen: einer Art wirtschaftlichen Kriegsfolgen- und Kriegssünden-Schlußgesetzes. Das würde bedeuten, daß wir uns mit der Bundesregierung dazu bereitfinden müssen, eine Finanz- und Steuerreform aus einem Guß zu schaffen, die zunächst in einem Drei-Stufen-Plan, einer Drei-Jahres-Stufe, die offenen und versteckten Subventionen in ihrer Gesamtheit abbaut und schließlich beseitigt, und daß wir zweitens alle bisher über die ordentlichen Haushalte gehenden, d. h. aus den laufenden Steuereinnahmen finanzierten wirtschaftlichen Investitionen, Darlehen und Hilfen in die außerordentlichen Haushalte verlegen, soweit sie keine Subventionen, sondern reguläre Darlehensgewährungen sind. Durch den Abbau der Subventionen und Zuschüsse und durch die genannte Verlagerung in die außerordentlichen Haushalte, d. h. auf den Kapitalmarkt wird sich dann genügend Spielraum für ausreichende Steuervereinfachungen, Sparanreize und für den Aufbau eines echten und von der privaten Sphäre getragenen Kapitalmarktes ergeben.
    Parallel dazu muß dann in der gleichen Stufenentwicklung auf dem Sektor des Kohlenbergbaus, der Landwirtschaft, des Wohnungsbaus und des Verkehrs die Überleitung in die volle markt- und wettbewerbswirtschaftliche Verantwortung erfolgen, muß weiter neben der stärkeren Verantwortung der Bundesbank auf dem Gebiet der Diskont- und Kreditpolitik im Sinne der Preisregulierung auch der Sinn für die Verantwortung der Sozialpartner beim Abschluß der Lohn- und Tarifabkommen geweckt werden, damit diese sich jeweils in einem bestimmten Zeitraum auch an die volkswirtschaftliche Produktivitätssteigerung halten. Andernfalls könnte es gefährlich werden.
    Meine Damen und Herren, ich habe mich, als ich die folgende Äußerung zum erstenmal las, mit, ich möchte fast sagen, Erschütterung gefragt: wie ist das überhaupt möglich? Da hat der Vorsitzende der IG Metall, Herr Brenner, der Vorsitzende also einer Industriegewerkschaft, die in besonderem Maße die Nutznießerin der verfehlten politischen Preisbildung beim Kohlenbergbau, bei der Landwirtschaft, bei der Wohnungswirtschaft und beim Verkehr gewesen ist, verächtlich davon gesprochen, daß alle diese Wirtschaftszweige die „Fußkranken" der Marktwirtschaft seien.

    (Abg. Schmücker: Das ist seine soziale Gesinnung!)

    Meine Damen und Herren, das sind nicht die Fußkranken der Marktwirtschaft, sondern das sind die letzten Fußkranken falsch verstandener sozialistischer oder staatswirtschaftlicher Überlegungen. Das ist das einzige, was dazu in der Sache zu sagen ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Aber was volkswirtschaftlich das Bedeutende oder das Erschütternde daran war, ist, daß schließlich keine Volkswirtschaft existieren kann, wenn nicht wenigstens ihre Grundstoffwirtschaft, sprich: der Kohlenbergbau, ihr Wohnungswesen, ihre Ernährung, sprich: die Landwirtschaft, und ihr Verkehrswesen in Ordnung ist. Man kann nur dann hoffen, daß die Kühlschränke und Fernsehapparate, die in Herrn Brenners Zuständigkeit fallen, in genügender Zahl produziert und verbraucht werden, wenn die Fußkranken wieder gesund geworden sind, wenn sie wieder einen gesunden Wirtschaftskörper auf gesunden Füßen zu tragen vermögen und wenn man obendrein dem Wasserkopf Staat so viel von dem Wasser abzieht, daß er wieder normale Gesichtsformen annimmt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Nun gibt es ja immer wieder die berühmten Stimmen - das habe ich gerade in den letzten vier Jahren in meiner Verantwortung als Wohnungsbauminister erfahren —, die dann sagen: Aber wenn man diese Entzerrung jetzt wirklich in einem Guß vornimmt, gibt das untragbare Belastungen für die sozial Schwachen. Nun, ich habe Ihnen vorhin schon gesagt: Die Belastungen, die die Menschen jetzt erfahren, weil sie Milliarden von Subventionen direkt und indirekt — über die Umsatzsteuer usw. oder über die Preise aller Güter — für diese Bereiche aufzubringen haben, sind viel höher als das, was sie treffen würde, wenn die Belastungen nur noch von denen mit echten Preisen getragen würden, ,die sie tatsächlich angehen und die sie tatsächlich zu verkraften haben. Das ist der eine Punkt.
    Zum Zweiten: Es war auch bis jetzt in dieser Welt überhaupt nichts umsonst. Die Verbraucher haben auf den genannten indirekten Wegen nicht



    Dr. Preusker
    nur das alles mitgetragen, sondern sie haben auch die ganze Bürokratie mit zu tragen gehabt, die man erfunden hatte, um diese staatswirtschaftlichen Konstruktionen irgendwie in die Praxis umzusetzen. Ich darf Sie auf meinem Sektor nur an den Bereich der Wohnungsämter erinnern, die bestimmt noch keine einzige Wohnung gebaut haben, die aber laufend, Jahr für Jahr, unendlich viel kosten.

    (Beifall rechts.)