Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 62. Sitzung des Deutschen Bundestages. Vor Eintritt in die Tagesordnung bitte ich den Herrn Schriftführer, die Namen der kranken und entschuldigten Abgeordneten bekanntzugeben.
Der Präsident hat für zwei Tage Urlaub erteilt den Abgeordneten Klingelhöfer, Dr. Werber, Dr. Schild und Dr. Bucerius. Für einen Tag Urlaub hat er erteilt den Abgeordneten Dr. Höck, Dr. Welskop, Niederalt, Karpf und Hübner.
Ich danke Ihnen.
Wir haben auch heute die Möglichkeit, einem unserer Kollegen Glückwünsche auszusprechen. Es handelt sich um den Kollegen Dr. Will, der heute den 61. Geburtstag feiert.
Das Haus wünscht ihm Glück.
Wir haben, meine Damen und Herren, die außenpolitische Debatte fortzusetzen. Damit verbunden bleiben die Beratung der Großen Anfrage der SPD und die im Zusammenhang damit gestellten Anträge.
Aber zunächst haben wir den Punkt 1 der Ihnen vorliegenden Tagesordnung zu erledigen. Der Grund ist, daß sich der Bundesrat mit diesem Gesetz morgen noch beschäftigen muß. Es handelt sich um die
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, GB/BHE, DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Beiträge des Bundes zu den Steuerverwaltungskosten der Länder ; Mündlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen (19. Ausschuß) (Drucksache 1085).
Den mündlichen Bericht erstattet der Abgeordnete Professor Dr. Gülich. Ich erteile ihm das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über die Materie selbst brauche ich kaum noch zu berichten. Ich habe es vor wenigen Wochen in meinem mündlichen Bericht getan, und auch Herr Kollege Dr. Hellwig hat am Mittwoch vor acht Tagen als Berichterstatter des Vermittlungsausschusses über den gleichen Gegenstand berichtet. Nachdem an jenem Mittwoch der Antrag des Vermittlungsausschusses vom Hause abgelehnt worden ist, bitte ich Sie namens des Ausschusses für Finanz- und
Steuerfragen, der neuen Vorlage, die als Initiativgesetzentwurf eingebracht worden ist, zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir treten ein in die zweite Beratung. Ich rufe auf die§§ 1,— 2,— 3,— 4,— 5,— 6,— Einleitung und Überschrift. — Wer diesen Bestimmungen zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Stimmenthaltung angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten ein in die
dritte Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Gülich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An dem Problem, das wir heute behandeln und das wir vor über einem Jahre zum erstenmal erörtert haben, ist alles dran: Scherz, Satire, Ironie. Ob die tiefere Bedeutung dabei ist, das ist eine offene Frage.
Es gibt gelegentlich noch kühne Regisseure, welche dieses Stück von Dietrich Grabbe einmal aufführen, und man kann dankbar dafür sein. Die Unbekümmertheit, mit der die Regisseure dieses Antrags agiert haben, verdient, daß wir nicht so ganz darüber hinweggehen.
Am 3. Dezember 1953 erörterten wir den Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Beiträge des Bundes zu den Steuerverwaltungskosten der Länder. Danach sollten die Steuerverwaltungskosten zu einem Drittel der den Ländern tatsächlich entstehenden Kosten für die Verwaltung der Besitz- und Verkehrsteuern erstattet werden. Der Finanzausschuß kam am 15. Januar 1954 nach eingehender Beratung auf sozialdemokratischen Antrag hin zu dem Ergebnis, daß „ein Drittel" unrealistisch sei und daß man um der Verbesserung des Verhältnisses Bund/Länder willen die Erstattung der Kosten auf die Hälfte festsetzen. müsse. Als ich dann als Berichterstatter im Bundestag dafür einzutreten hatte, verlangte die CDU — auf Wunsch des Herrn Finanzministers — die Rücküberweisung an den Ausschuß. Der Ausschuß beschloß gegen die Stimmen der SPD die Wiederherstellung der Regierungsvorlage mit einem Drittel. Als die Sache ins Plenum kam, stellte ich namens meiner Fraktion den Antrag — und begründete ihn eingehend —, die Hälfte festzusetzen, weil der Abschluß dieser Sache sonst nicht möglich sei. Der Herr Finanzminister trat auf, und die Regierungsparteien fügten sich auch diesmal wieder seinem Wunsche, lehnten den Antrag ab und beschlossen ein Drittel.
Dann lehnte der Bundesrat ab. Der Vermittlungsausschuß schlug die Hälfte vor, und gestern vor acht Tagen haben Sie nach dem Bericht des Kollegen Dr. Hellwig den Vorschlag des Vermittlungsausschusses abgelehnt — wiederum auf Wunsch des Herrn Bundesfinanzministers. Nun bringen — und das ist die Delikatesse bei der Sache — dieselben Herren, die am vorigen Mittwoch den Gesetzentwurf mit „die Hälfte" abgelehnt haben, den Gesetzentwurf wörtlich in genau der gleichen Fas-
sung wieder ein, mit „die Hälfte", — wiederum auf Wunsch des Bundesfinanzministers, der nunmehr eingesehen hat, daß er nicht durchkommt, was man schon vorher genau wissen konnte und was auch die Herren aus den Reihen der CDU-Fraktion wahrscheinlich ganz genau gewußt haben.
— Die tiefere Bedeutung, lieber Kollege Schoettle, suche ich vergebens, denn im Verhältnis Bund/Länder ist sie nicht begriffen. Es handelt sich hier ganz einfach um einen Mißbrauch der Institution des Vermittlungsausschusses, um einen Mißbrauch der Macht des Bundesfinanzministers und ein völliges Mißverstehen der Aufgaben des Parlaments.
Herr Kollege Wellhausen hat neulich noch den „Männerstolz vor Königsthronen" — er meinte damit „vor Ministersesseln" — proklamiert. Aber was da noch für ein Männerstolz ist, wenn dieselbe Sache wieder Wort für Wort eingebracht wird, die Sie ein paarmal abgelehnt haben, das ist nicht recht zu begreifen. Doch vielleicht liegt darin die tiefere Bedeutung.
Nun, man soll der Gebrechen seines Bruders nicht spotten
— Dresbach, melden Sie sich lieber nicht zu Wort! —
und angesichts der außerordentlich peinlichen Situation, in der die Herren Antragsteller sich befinden, will ich die vollgefüllte Schale meines Spottes über sie nicht ergießen.
Meine Damen und Herren, ich kann nur bedauern, daß so wenig Mitglieder dieses Hauses Gelegenheit nehmen, den Beitrag des „Jungen Deutschland" zu unseren finanzpolitischen Debatten mitzugenießen. Es ist auch schade, daß das Kreuzfeuer des Fernsehfunks heute nicht auf uns gerichtet ist;
man hätte draußen dann vielleicht feststellen können, daß wir gar nicht „so" sind!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dresbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestern, als die sozialdemokratischen Kollegen, der Gefolgschaftstreue entsprechend, bei der Rede ihres Fraktionsführers hier zugegen waren und nicht im Steuerausschuß sein konnten, haben wir ähnlich ironische Worte dort gesprochen. Derr Herr Kollege Wellhausen sprach von einem „Krebsgang". Es ist nicht so ganz unrichtig. Ich wollte nur ganz kurz ausführen: ich verstehe die Ironie des Herrn Kollegen Gülich sehr wohl, und wenn ich an seiner Stelle gewesen wäre, hätte ich sie genau so ausgedrückt.
Aber trotzdem bitte ich meine Freunde und die Koalitionsbrüder, der Vorlage zuzustimmen.
Mir scheint die Rede des Kollegen Dr. Dresbach fast kierkegaardisch zu sein: „Häng dich, du wirst es bereuen; häng dich nicht, du wirst es auch bereuen!"
Aber wir haben keine weiteren Wortmeldungen und können daher zur Abstimmung gelangen.
— Pardon! Kollege Altmaier, wollen Sie das Wort? Es wird Ihnen gern erteilt. Aber Sie scheinen es nicht ernsthaft verlangt zu haben.
Wir kommen zur Abstimmung in der dritten Beratung. Wir brauchen keine Einzelabstimmung mehr, denn wir haben ja keine weiteren Anträge zu bescheiden. Wer dem Gesetz als Ganzem zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. —
— Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ein Kollege hat sich vorhin nicht erhoben, offenbar weil sein Sitzfleisch nicht mochte
und nicht sosehr seines Sitzgeistes wegen.
— Ich stelle fest, daß das Gesetz einstimmig angenommen ist.
Wir können nunmehr in die Fortsetzung der gestrigen Beratung eintreten:
2. Fortsetzung der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend das Protokoll vom 23. Oktober 1954 über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland ;
3. Fortsetzung der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend den Vertrag vom 23. Oktober 1954 über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland ;
4. Fortsetzung der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag ;
5. Fortsetzung der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend das am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichnete Abkommen über das Statut der Saar ;
6. Fortsetzung der Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Londoner Abkommen und Außenpolitik der Bundesrepublik (Drucksachen 958, zu 958, 863).
Herr Kollege Haasler, Sie haben um das Wort gebeten. Ich erteile Ihnen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entscheidung, welche jeder von uns zu den Verträgen zu treffen hat, wird ganz wesentlich von der Beurteilung abhängen, die er den Absichten der Sowjetunion angedeihen läßt. Wer davon ausgeht, daß den Erklärungen des
Ostens zur Wiedervereinigung und Freiheit des deutschen Volkes, die ich als gewollt unbestimmt empfinde, ein Wahrheitsgehalt nicht innewohnt, wer glaubt, daß die sowjetische Expansionspolitik fortdauern wird und daß die deutsche Wiedervereinigung in einem freien Staatswesen drüben gar nicht ernstlich zur Debatte steht, wird sich leichteren Herzens zu der Eingliederung in ein militärisch untermauertes Schutzbündnis des Westens bekennen können. Er wird diese Eingliederung sogar in um so energischerer Form fordern müssen, je mehr er an die Fortdauer des bolschewistischen Expansionsstrebens glaubt. Diejenigen jedoch — ich zeige hier die Extreme —, die den Versicherungen aus dem Osten Glauben schenken wollen, werden sich gegen eine Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der Westeuropäischen Union auszusprechen haben, um die von ihnen angenommene russische Bereitschaft nicht zu gefährden.
Wir würden es für sehr verfehlt halten, einzig aus dem Gefühl heraus die Frage nach der sowjetischen Bereitschaft mit einem Ja oder einem Nein zu beantworten. Für unser Volk steht zuviel auf dem Spiele, als daß wir allein aus unserer weltanschaulichen Verbundenheit mit den freien Völkern des Westens zu dem Schluß kommen dürften, daß die Erklärungen des Ostens von vornherein unglaubwürdig seien. Unsere, ich möchte sagen, einmütige Entschlossenheit, das geeinte Deutschland als demokratisches Staatswesen aufzubauen und die Freiheit der Bundesrepublik um jeden Preis zu erhalten, beinhaltet doch keineswegs, daß wir mit Völkern, die eine andere Staatsform besitzen, in Feindschaft leben müßten oder daß wir den Versicherungen ihrer Regierungen schlechthin mißtrauen sollten. Wir dürfen uns nun aber andererseits auch nicht mit leeren Worten und halben Zusagen begnügen, und es scheint in diesem Zusammenhang gut, sich daran zu erinnern, daß wir seitens der Sowjetunion bisher keine konkreten Zusagen besitzen. Wir wissen von umstrittenen Begriffen und kennen im übrigen eine in unmißverständlicher Form vorgebrachte Drohung, von der ich noch ausführlicher zu sprechen haben werde.
Die Gegner eines Beitritts zur Westeuropäischen Union hoffen, daß Erklärungen, welche verantwortliche Staatsmänner der Sowjetunion gerade wieder in letzter Zeit abgegeben haben, eine Deutung im Sinne einer wirklichen deutschen Freiheit zuließen, wobei sie schon einige Unfreundlichkeiten überhören müssen, wie z. B. die für französische Ohren bestimmte Diffamierung, unser Bedürfnis nach beschränkter Sicherung aus eigener Kraft stelle eine Wiederbelebung des deutschen Militarismus und eine Gefahr für die gesamte zivilisierte Welt dar. Aber, meine Damen und Herren, dürfen wir eine optimistische Interpretation, können wir bloße Hoffnungen zur Grundlage unserer Politik machen? Wir haben gestern mit Bezug auf das Saarstatut gehört, daß einseitige Interpretationen keine geeignete Grundlage einer verantwortungsbewußten Politik seien. Soll das für den Osten nicht gelten, obwohl die sowjetischen Ankündigungen ja noch viel vager sind und über die östliche Interpretation gewisser grundlegender Begriffe noch weit weniger Klarheit herrschen dürfte?
Man hält uns entgegen, daß es einen gefahrlosen Weg nicht geben wird und daß das Schicksal unserer 18 Millionen Brüder und Schwestern in der Zone die Übernahme eines Risikos, selbst wenn
es ein großes Risiko sein sollte, rechtfertige. Man hat gestern weiter von der letzten Chance in dem Sinne gesprochen, daß wir nun die letzte Aussicht auf Wiedervereinigung verschenkten, wenn wir die Verträge ratifizierten. Man hat schließlich auf die Drohung der Sowjetunion verwiesen. Diese Drohung — nämlich: bei Ratifizierung der Verträge würden sich die Möglichkeiten einer Wiedervereinigung zerschlagen, angeblich zerschlagen — mag uns zu einer besonders sorgfältigen Prüfung unserer Entscheidung veranlassen, sie ändert aber in keiner Weise den materiellen Inhalt des sowjetischen Angebots; sie macht dieses Angebot auch nicht wertvoller, sondern im Gegenteil in unseren Augen verdächtiger. Daß diese Drohung überdies nach den Erfahrungen der letzten Jahre nicht das letzte Wort sein muß, ist bereits gestern, ich glaube, von Herrn Kollegen Kiesinger, dargelegt worden.
Es ist zuzugeben, daß rein theoretisch die Aussichten für eine Übereinkunft mit dem Osten größer sein mögen, wenn die Bundesrepublik frei von jeglichen Bindungen bleibt und damit der Sowjetunion weniger Anlaß zu der Befürchtung gibt, Mitteldeutschland könnte in ein westliches System hineingezogen werden. Aber ich meine: erstens ließen sich gegebenenfalls ja darüber Abreden treffen und Garantien gegen eine einseitige Festlegung in dem Vertrage über die Wiedervereinigung schaffen, und zweitens wäre selbst in der Theorie nur dann ein Vorteil gegeben, wenn Sowjetrußland aus der jetzt bestehenden Situation heraus die Wiedervereinigung in Freiheit wirklich zu konzedieren bereit wäre. Es kommt doch alles immer wieder auf die Frage nach dem guten Willen Rußlands heraus. Die anderen Dinge — so diese Drohung, die Abneigung Rußlands gegen eine Festlegung der Bundesrepublik in der westlichen Verteidigungsgemeinschaft und anderes mehr — sind Nebenfragen, vielleicht sehr wichtige Nebenfragen, die aber das Hauptproblem nur verwirren könnten. Dieses Grundproblem ist eben: Will die Sowjetunion unter den heutigen Voraussetzungen überhaupt ein geeintes, freies Deutschland, und ist sie auch bereit, diesem Deutschland einen Status zu konzedieren, der ausreichende Sicherheiten zur Erhaltung der Freiheit bietet.
Lassen Sie mich sagen, daß wir uns die Beantwortung dieser Fragen nicht leicht gemacht haben. Wir sind nach sehr gewissenhaften Prüfungen aber zu einer Verneinung gekommen. Dabei spielte das Argument eine wichtige Rolle, daß die etwaige Bereitschaft, eine Wiedervereinigung in Freiheit zuzugestehen, schon längst in schlüssiger Form hätte hervortreten können, wenn sie vorhanden gewesen wäre. Man wird doch nicht erwarten, daß Erklärungen höchster sowjetischer Politiker, die DDR mit ihrer Regierung in Pankow stelle das einzige demokratische deutsche Staatswesen dar, wie es nach den Potsdamer Beschlüssen für ganz Deutschland zu schaffen wäre, uns ermutigen! Es war Herr Molotow, der dies vor mehreren Wochen bei einem hochoffiziellen Anlaß in Berlin sagte und der hinzugefügt haben soll, nur das System der DDR sei geeignet, das deutsche Volk vor Ausbeutung zu schützen; es müsse richtungweisend für das ganze Deutschland sein.
Und wirkt nicht auch ein Vergleich der Praktiken in Ost und West überzeugend? Wird bei einem solchen Vergleich nicht auch der Unterschied zwischen den Worten und den Taten deutlich? Müssen wir nicht weiter aus den bisherigen Äußerungen ent-
nehmen, daß die Sowjetunion zumindest die Anerkennung des Pankower Regimes fordert, und bleibt darüber hinaus — ich rede hier von dem Fall einer Wiedervereinigung — nicht die große Gefahr offen, daß man mit den in der sowjetisch besetzten Zone praktizierten Mitteln, also mit Mitteln, die nach unserer Auffassung Zwang und Gewalt bedeuten, dem ganzen deutschen Volk eine solche politische Ordnung zu gegebener Zeit — d. h. in einem für diese Bestrebungen günstigen Zeitpunkt — aufzwingen will? Es würden gegebenenfalls noch nicht einmal sowjetische Truppen sein müssen, die diesen Versuch stützten. Die Volkspolizei oder eine andere Organisation wäre vielleicht ausreichend.
Wir haben versucht, uns mit der Idee einer gemeinsamen Garantie der Vier Mächte zwecks Abwehr solcher Eingriffe auseinanderzusetzen. Wir fürchten, daß eine stets wirksame, dauerhafte Garantie aber nicht zu schaffen sein wird. Wir können nicht erwarten, daß andere Völker stets und unter allen Umständen für unsere Neutralität einzutreten vermögen. Was berechtigt uns eigentlich, anzunehmen, daß z. B. die Westmächte unsere Freiheit und Neutralität über Jahre und Jahrzehnte hinaus als eigene Lebensfragen ansehen, für die sie notfalls mit dem letzten Einsatz einzustehen hätten? Unsere Berechtigung, einen solchen Einsatz zu fordern, wird nach meiner Anschauung keineswegs dadurch größer, wenn wir es jetzt ablehnen sollten, für die Verteidigung der freien Welt auch unser Teil beizutragen.
Überdies würde ja durch den kollektiven Garantiepakt ein Zustand geschaffen werden, der gemäß der sowjetischen Einstellung zu einer deutschen Bewaffnung, oder besser, zu dem Fortfall jeder, auch der geringsten deutschen Bewaffnung, für alle Zukunft uns in den Status völliger Machtlosigkeit, offen jedem Zugriff, versetzte.
Ein kollektiver Garantie- und Sicherheitspakt, wie er bei der Debatte des Bundestages über die Londoner Verträge hier am Rande diskutiert wurde, brächte noch eine weitere Gefahr mit sich. Aber lassen Sie mich bitte vorher noch etwas anderes ergänzen.
Die Geschichte der letzten Jahre ist leider reich an Beispielen bewaffneter Durchdringung von Völkern seitens des Kommunismus. Unter der Behauptung, den Völkern die Freiheit zu bringen, ihnen eine demokratische Ordnung zu schaffen und sie gegen den Imperialismus anderer zu schützen, unter dem Motto eines Kampfes für den Frieden hat der Bolschewismus in Europa fast ein Dutzend Völker hinter dem Eisernen Vorhang verschwinden lassen. Auch in Asien gibt es dafür nicht wenige Beispiele. Kann man nach den Erfahrungen der sowjetisch besetzten Zone, nach der Blockade Berlins und nach den vielen Beispielen außerhalb unserer Grenzen es dem deutschen Volk verübeln, wenn es in dem neuerdings aufgetauchten, aber nicht ausgefüllten Begriff der „Koexistenz" keine Garantie dafür zu sehen vermag, daß der Bolschewismus seine Expansionspläne für die Dauer aufgegeben hat? Wie meinen, daß wir nach wie vor die Pflicht haben, durch Schaffung von Sicherheiten unser Volk davor zu bewahren, eines der nächsten Opfer einer möglichen „Friedensoffensive" kommunistischer Prägung zu werden.
Man möge uns nicht mißverstehen. Wir sind nicht gegen Gespräche mit dem Osten. Wir halten Verhandlungen im geeigneten Zeitpunkt sogar für absolut unerläßlich; denn wir erhoffen ja nichts sehnlicher als die Herbeiführung der Wiedervereinigung im Wege einer friedlichen Verständigung. Wir sind mit der Opposition allerdings insoweit nicht einig, als wir uns nach den bisherigen Erfahrungen einen Erfolg nur dann versprechen können, wenn die freie Welt geschlossen hinter unserem Anliegen steht. Sie hat das in bestimmter Form zugesagt. Sie vertritt dabei auch nur jene Prinzipien, die sie unter dem Begriff der Menschenrechte zu den Grundsätzen auch ihrer Politik gemacht hat. Die Sowjetunion sollte sich dadurch nicht bedrängt fühlen, hat doch auch sie in der Atlantik-Charta diese Prinzipien anerkannt.
Die Bundesrepublik geht in der Westeuropäischen Union und in der NATO kein Angriffsbündnis ein. Die Organisation der beiden Gemeinschaften dürfte uns die Gewähr für den defensiven Charakter der Zusammenschlüsse geben. Wir können und werden überdies darüber wachen, daß andere Zwecke als die der reinen Verteidigung ausgeschlossen bleiben.
Wir bestreiten keinem Staat das Recht, sein Volk und Gebiet gegen Aggression zu schützen. Das ist eine Art Naturrecht der Völker. Aber man darf einem demokratischen Deutschland dann das Recht auf Verteidigung ebenfalls nicht absprechen. Wir haben einen feierlichen Verzicht auf jede Gewaltanwendung hinsichtlich der Gestaltung unserer Grenzen abgegeben. Dieser Verzicht hat die Zustimmung unseres Volkes, nicht zuletzt auch der Vertriebenen, gefunden. Das berechtigt uns aber zu einem Hinweis: Der Begriff „Gesamtdeutschland" wird leider manchmal irrtümlich auf das Gebiet der vier Besatzungszonen beschränkt. Ziel der Verhandlungen muß es aber sein, Freiheit und Selbstbestimmungsrecht der Völker, Menschenrecht in allen Gebieten durchzusetzen, die rechtmäßige Bestandteile des Deutschen Reiches sind.
Eine Abkehr von überspitzten nationalstaatlichen Prinzipien, Achtung vor den Rechten aller Völker und echte Toleranz sollten dann Lösungen ermöglichen, die unserem Kontinent mehr Sicherheit geben dürften als wohlgerüstete Heere.
Wir begrüßen es, daß vorerst die westliche Welt im Rahmen der Verhandlungen zu den vorliegenden Verträgen die Anwendung der Grundrechte der UNO-Satzung auf das deutsche Volk anerkannt hat. Möge die Sowjetunion eines baldigen Tages folgen!
Und nun noch ein Hinweis zum kollektiven Garantie- und Sicherheitspakt, wie er hier schon einmal kurz in der Debatte behandelt wurde. Man wird einen solchen kollektiven Garantie- und Sicherheitspakt nicht von dem Problem der OderNeiße-Linie trennen können; denn man vermag nur etwas zu garantieren, was in seinen Grenzen und in seinem Bestand festliegt. Ich weiß nicht, ob es in dieser Zeit opportun ist, das Problem der Oder-Neiße-Linie praktisch anzurühren. Ich glaube, man ist in einigen Teilen der Welt noch nicht so weit, daß man dem Recht unbedingt den Vorzug vor gewissen politischen und machtmäßigen Erwägungen gibt, und wir sollten nicht mit Gedanken spielen, die uns dann unter Umständen recht bald vor eine Entscheidung stellen würden,
eine Entscheidung, die aus der heutigen Lage wohl kaum von einem von uns vor dem deutschen Volk gerechtfertigt werden könnte. Es käme darauf hinaus, Verhandlungen über die Wiedervereinigung mit der sowjetisch besetzten Zone zu führen unter dem mittels eines Garantiepakts erzwungenen Verzicht auf all das, was an deutschem Boden jenseits der Oder und Neiße liegt. Aber vielleicht ist es besser, wir vertiefen dieses Problem in den Ausschüssen.
Meine Damen und Herren, zu den mit dem Saarstatut zusammenhängenden Problemen gedenke ich nicht Stellung zu nehmen. Einer meiner Kollegen wird das für den Gesamtdeutschen Block/BHE tun.
Ich möchte auch nicht die Übung durchbrechen, welche die bisherigen Redner in dieser Debatte eingehalten haben, und will nur auf wenige Einzelfragen aus den übrigen Verträgen eingehen.
Unsere jungen Männer sollen also wieder Waffen tragen. Weder sie noch die verantwortlichen Politiker unseres Volkes haben das herbeigewünscht. Begeisterung über die kommende Dienstpflicht wird nirgends herrschen. Wir glauben jedoch, daß unsere Jugend einsieht, daß, solange sich die Dinge in der Welt nicht grundlegend ändern, zum Begriff der Freiheit die Bereitschaft gehören muß, dieses hohe Recht zu verteidigen.
Ich hege keinen Zweifel daran, daß unsere jungen Jahrgänge es auf die Dauer nicht als würdig empfinden werden, vom englischen und vom amerikanischen Soldaten den Schutz der deutschen Freiheit zu verlangen, welchen sie selbst aufzunehmen nicht bereit wären.
Wir werden aber im Bundestag alle gemeinsam dafür zu sorgen haben, daß die Erfüllung der Wehrpflicht in Formen vor sich geht, welche die Würde des Menschen unbedingt achten. Wir werden weiter dafür zu sorgen haben, daß der junge Soldat in seinem beruflichen Fortkommen nicht benachteiligt wird.
Die Frage des Wehrdienstes wird auch Probleme bei unseren Spätheimkehrern und den in den Ostblockstaaten noch Zurückgehaltenen aufwerfen. Hier wird der Bundestag rechtzeitig eine gesetzliche Regelung zu treffen haben, die Freistellungen von jedem Waffendienst festlegen, damit zusätzliche Gefahren von unseren Spätheimkehrern und den Internierten ferngehalten werden. Der Wert eines Heeres wird nicht nur von den Waffen bestimmt. Die sozialen Verhältnisse der Soldaten und ihrer Familien sind mindestens ebenso entscheidend. Wir möchten vor der Annahme warnen, daß hier schon alles in Ordnung sei. Auch wenn man davon ausgehen könnte, daß die Wehrpflichtigen selbst aus einer ordnungsgemäßen Berufsausbildung oder im Regelfall aus einer angemessen bezahlten Arbeit kommen, so werden in ihren Familien aber noch leider allzuoft Beispiele dafür zu finden sein, daß der wirtschaftliche Aufstieg der letzten Jahre durchaus nicht alle Kreise unseres Volkes erfaßt hat. Die Aufwendungen für Renten, Unterhaltshilfen und Sozialleistungen dürfen wegen der Wehrausgaben keinesfalls vernachlässigt werden. Ihre Anpassung ist vielmehr beschleunigt durchzuführen.
Die westliche Welt hat der Bundesrepublik das Mandat zuerkannt, für das gesamte deutsche Volk
zu handeln. Wir gehen sicherlich nicht fehl in der Erwartung, daß von dieser Vollmacht unsererseits sehr sparsam Gebrauch gemacht werden wird. Mehr als ein Viertel unseres Volkes hat der Bundesrepublik das Mandat nicht bestätigen können. Das allein verpflichtet zu einer besonders zurückhaltenden Wahrnehmung. Nur da, wo es gilt, die Interessen der außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik wohnenden Deutschen zu schützen oder die Rechte des deutschen Volkes in seiner Gesamtheit wahrzunehmen, wird der Gebrauch des Mandats unbedenklich sein. Dagegen dürften wir uns nicht bereit finden, die Vollmacht zur Auferlegung von Pflichten und zur Schaffung von Bindungen wesentlicher Art für ein späteres geeintes Deutschland auszunutzen. Dieses Mandat können uns die Alliierten nicht geben, dieses Mandat können wir nur von unserem gesamten deutschen Volk erhalten.
Lassen Sie mich bitte zum Schluß kommen.. Die Annahme der Verträge fiele meinen Freunden vom Gesamtdeutschen Block/BHE leichter, wenn nicht die Sorge um unsere Brüder in Thüringen, Sachsen, Brandenburg, Berlin und Mecklenburg bliebe. Wenn der Gesamtdeutsche Block/BHE zu einer positiven Einstellung gegenüber den Verträgen gekommen ist, so war dabei mitbestimmend, daß diese Verträge uns die baldige Hilfe der freien Welt für eine friedliche Wiedervereinigung versprechen und wir den Eindruck haben, daß einige Staatsmänner des Westens mit ihren Anstrengungen nicht säumen werden, um ihr Wort gegenüber dem deutschen Volke einzulösen. Man sollte dabei aber überall verstehen, daß sich eine Koexistenz niemals auf dem Status quo gründen dürfte.
Darf ich an Herrn Kollegen Haasler eine Frage stellen. Sie haben eben gesagt, Sie wollten zum Schluß kommen. Sie haben sich aber noch nicht klar zu dem Saarvertrag geäußert. Wir würden es alle schätzen, wenn Sie uns möglichst präzise die Haltung des BHE zum Saarvertrag mitteilten.
Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, Herr Mommer, daß ich im Laufe meiner Rede sagte, dieser Mühe dürfte sich einer meiner Kollegen — es wird wohl Herr Seiboth sein — unterziehen.
Wollen Sie es mir unter diesen Umständen erlassen? Danke schön.
Nun, meine Damen und Herren, wirklich der Schlußsatz: Das deutsche Volk steht zur freien Welt. Darüber sollten wir hüben und drüben keinen Zweifel lassen. Möge aber auch die freie Welt das deutsche Volk diesseits und jenseits des Eisernen Vorhanges nicht enttäuschen!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich zu den allgemeinen Prinzipien der Politik Stellung neh-
men, die in den Vertragswerken von Paris nach dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft ihren Niederschlag gefunden haben, und hiermit zugleich eine Erwiderung auf die Einwendungen der Opposition verbinden. Der scharfe EVG-Gegner und französische Sozialist Herr Daniel Mayer hat im Auslandspresseklub in Paris kürzlich folgenden Satz gesprochen:
Die Pariser Verträge sichern die Verteidigung der Freiheit, die Verhandlungen mit dem Osten sind die Garantie für den Frieden, Frieden und Freiheit sind eine unteilbare Einheit.
Ich kann nicht der Meinung beipflichten, daß Verhandlungen mit dem Osten schon die Garantie für den Frieden seien. Die Garantie für den Frieden ist bestenfalls das Ziel solcher Verhandlungen. Eine Garantie für den Frieden können sie bestimmt dann nicht sein, wenn sie kein anderes Ziel verfolgen, als die Bemühungen des Westens um die Sicherheit zu verzögern und das bereits Erreichte, nämlich die NATO und das Prinzip der europäischen Zusammenarbeit, sowie die Verwirklichung der uns vorliegenden Verträge zur Sicherung unserer Freiheit zu erschüttern und zu zersplittern.
Vom Prinzipiellen aus betrachtet sollen die vorliegenden Verträge — ich meine den zur Westeuropäischen Union erweiterten Brüsseler Pakt und den Beitritt der Bundesrepublik zur NordatlantikpaktOrganisation — eine empfindliche Lücke im atlantischen Paktsystem ausfüllen und so zur Sicherung der Freiheit beitragen. Um ihre Bedeutung richtig einzuschätzen, sie gegenüber der Position des Ostblocks in einen Vergleich zu setzen, damit ihren Wert für die Sicherheit in ganz Europa und somit auch für Verhandlungen mit der Sowjetunion, vor allem für die Wiederherstellung der deutschen Einheit, richtig zu erfassen, müssen wir das Sicherheitsproblem in Europa im und nach dem zweiten Weltkrieg kurz darstellen, damit wir die Positionen des Ostens und des Westens richtig abschätzen.
Während Churchill schon im Jahre 1943, also noch während des zweiten Weltkriegs, die Konzeption eines europäischen Staatenbundes und eines Europarates, also einer regionalen Organisation, gefaßt hatte, vertrat seinerzeit Roosevelt die alte, schon von Wilson ergriffene Idee der kollektiven Sicherheit einer einheitlichen Welt, also einer globalen Sicherheitsorganisation. Demgegenüber hat Stalin bereits in Teheran — und das bis zum Vollzug des Potsdamer Abkommens — konsequent einen Plan der gewaltsamen Neutralisierung Deutschlands vorgeschlagen und verfolgt. Diese Neutralisierung sollte sich nicht nur auf die Beziehungen Deutschlands zu anderen Staaten, sondern auch auf sein Potential in wirtschaftlicher, gesellschaftlicher, militärischer und geistiger Beziehung erstrecken. Dabei sollte der Sowjetunion die Rolle des Weltpolizisten nicht nur gegenüber Deutschland, sondern praktisch gegenüber ganz Europa zufallen, mit anderen Worten die Vorherrschaft, die Hegemonie. Diese Gedanken sind der Ursprung des Morgenthau-Plans gewesen. Man hielt damals die Sowjetunion für ein demokratisch organisiertes und regiertes Staatswesen. Nachdem sich die Machtgewichte infolge des sowjetischen Waffenerfolges und des Vordringens der Sowjetunion bis in das Zentrum Europas so empfindlich zuungunsten des Westens und Westeuropas verschoben hatten, begriffen die Außenminister, spätestens auf der zweiten Moskauer Konferenz von 1947, daß durch die Isolierung der deutschen Frage eine nicht
abreißende Kette von Auseinandersetzungen zwischen Ost und West begonnen hatte, in deren Verlauf Stalin dem Westen einen Erschöpfungskompromiß abzuzwingen bestrebt war. An dieser Taktik des Ostens hat sich bis auf den heutigen Tag wenig geändert. So verlor man damals und spätestens auf der Londoner Konferenz 1947 den Glauben an die Wirksamkeit eines Systems der kollektiven Sicherheit in einer Welt und kehrte zur Konstruktion regionaler Sicherheitssysteme zurück, die vom Westen allerdings sorgfältig mit der Satzung der Vereinten Nationen in Einklang gebracht worden sind. Dazu hatte vor allem auch der Mißbrauch des Vetos der Sowjetunion im Weltsicherheitsrat beigetragen, der die Wirksamkeit dieser von Roosevelt und Hull erdachten obersten Institution der Welt lahmlegte. Vor allem aber wurde die Illusion der einen und ungeteilten Welt durch die Bildung des expansiven und immer enger integrierten Ostblocks eines militanten Kommunismus zerstört. Damit und durch diese Entwicklung wurde die Frage nach der Verteidigung der freien Nationen, d. h. nach der Sicherheit gegenüber dieser Expansion des militanten Kommunismus, unweigerlich aufgeworfen. Sie begann die ebenso gewichtige Frage der Sicherung vor Deutschland und seiner angeblichen Aggressivität zu überschatten.
Vergessen wir aber niemals, daß jedes Sicherheitssystem immer noch Reste des Gedankens der Sicherung vor einer sogenannten deutschen Gefahr auch im Westen und im westlichen Denken in sich birgt. Jede Betrachtung der Sicherheit in Europa muß, wenn sie im Bereich der Tatsachen und Geschehnisse bleiben will, davon ausgehen, daß die Bildung des Ostblocks unter Führung der Sowjetunion, seine auf der Ausschaltung aller antikommunistischen Kräfte beruhende engste Integration und Isolierung von der übrigen Welt — während der Westen ja nach dem zweiten Weltkrieg abgerüstet hatte und seine liberale Grundidee gegen jede Isolierung gerichtet ist — immer eine empfindliche Bedrohung der Sicherheit der freien Welt darstellen, die zu Abwehrmaßnahmen zwingt.
Deutschland kann in dieser Situation nicht als Vakuum in der Mitte Europas liegenbleiben. Dabei dürfte von besonderer Bedeutung sein, daß die Sowjetunion dazu überging, von Anfang an ihre Besetzungszone in Deutschland zu sowjetisieren, d. h. wirtschaftlich, gesellschaftlich und politisch vollkommen in ihren Machtbereich einzubeziehen, und schließlich unter dem zentralen Kommando Moskaus genau so, wie das bei den anderen Satellitenstaaten geschehen ist, aufzurüsten. Dieses Verfahren wurde jeweils so angelegt, daß die expansiven Maßnahmen als angebliche Gegenmaßnahmen zu Abwehrschritten des Westens getan worden sind. Diese Methode ist bis zum heutigen Tage fortgesetzt worden; denn die Moskauer Deklaration ist nicht etwa Ankündigung von Maßnahmen, die nur geplant sind, sondern die drohende Manifestation von Tatsachen, die längst geschaffen worden sind.
Dennoch gelang es der Diplomatie des Kreml, mit dieser Methode der Umkehrung von Ursache und Wirkung verängstigte Gemüter und Rückversicherer zu täuschen und so Verwirrung und Schwächung in ein entschlossenes Handeln des Westens hineinzutragen.
Dazu kommt die sehr geschickte Ausnutzung der verwundbaren Stellen des Westens mit dem Ziel
der Spaltung und des Aufhetzens der bestehenden Rivalitäten. Namentlich in Frankreich versucht man fortgesetzt Verlockungen auszustreuen mit der Andeutung von Plänen einer gemeinsamen Kontrolle über ein gespaltenes Deutschland, mit dem Aufzeigen einer angeblichen deutschen Gefahr, mit dem Grundanliegen der Sicherung vor Deutschland auf ,dem Weg der Neutralisierung unter der Kontrolle der Sowjetunion und Frankreichs. Vergessen wird hierbei die hochmütige Behandlung Frankreichs durch die Sowjetunion nach dem Kriegsende.
Dem deutschen Volk gegenüber wurde der Trennungsschmerz weidlich ausgenutzt, die deutsche Sehnsucht nach Wiedervereinigung, die letztlich ja nur die Sowjetunion erfüllen kann, gröblich mißbraucht. Jedes Mittel der Versuchung und des Unsichermachens war und ist recht. Man schmeichelt dem deutschen Nationalismus, in der Erwartung, daß der wiedererstarkende Nationalismus in einem neutralisierten, d. h. vom Westen aufgegebenen Deutschland schließlich Anlehnung an die Sowjetunion suchen würde. Man spielt mit Tauroggen- und Rapallo-Komplexen. Man fördert den Ohnemich-Standpunkt. Man umwirbt die Sozialdemokratische Partei, um sie gleichzeitig als Todfeind des Bolschewismus zu beschimpfen. Man spielt mit dem religiösen Pazifismus, um gleichzeitig den bindungslosen Intellektualismus zur Spekulation und zum Pläneschmieden anzureizen. Man malt den angeblichen deutschen Militarismus an die Wand, um gleichzeitig die schwer in ihrem Ehrgefühl gekränkten deutschen Soldaten für die Ideale einer östlichen Gneisenau-Aktion zum Eintritt in die Volkspolizei zu werben. Während die Aufrüstung in Westdeutschland als das Wiederentstehen eines aggressiven Militarismus angeprangert wurde, bezeichnet man die Aufrüstung in der Zone, in der sogenannten DDR, als eine friedliebende Tat zur Verteidigung der demokratischen Errungenschaften. Es gibt leider zahlreiche Gutgläubige, die diese Widersprüchlichkeit und Verkehrung von Begriffen und Tatsachen kaum noch zu durchschauen vermögen, nicht nur in Deutschland.
Zusammenfassend muß man als Ergebnis dieser Entwicklung folgendes feststellen:
Die sowjetische Politik hat schon seit 1943 die Neutralisierung Deutschlands angestrebt, überwacht von einer übermächtigen Roten Armee und garantiert von den Westmächten. Darin sah und sieht die Sowjetunion im Kern die einzig ausreichende Garantie der europäischen Sicherheit nach ihrer Auffassung.
Diesen sowjetischen Zielen hat der Westen ein System gegenübergestellt, das auf einem Integrationsgefälle aufgebaut ist. Der westliche Gegenvorschlag zur Sicherheit, die vorerst nur im Atlantikpakt begründet ist und sonst nur in Plänen, papierenen Plänen besteht, hat in einer Entschließung des Europarates vom 17. September 1953, die von Spaak entworfen worden ist, einen sehr wichtigen und, ich möchte sagen, klassischen Ausdruck gefunden, und zwar in Ziffer 7 — angenommen im Herbst 1953 —:
Die Versammlung ist darum besorgt, den Friedenswillen, von dem sie erfüllt ist, offenkundig zu machen, und vertritt deshalb die Ansicht, daß es angebracht wäre, Rußland als Garantie einen Sicherheitspakt auf Gegenseitigkeit im Rahmen der Vereinten Nationen
vorzuschlagen, an dem die Sowjetunion, die Vereinigten Staaten, Großbritannien und jene Länder, die der Europäischen Politischen Gemeinschaft zugestimmt haben, oder, wenn sie errichtet ist, diese Gemeinschaft als solche, und möglicherweise noch andere Staaten teilnehmen würden.
Alle diese Überlegungen bauen auf der aktiven Teilnahme der Vereinigten Staaten von Amerika und dem Weiterbestehen des Atlantikpaktes auf. Beides aber ist abhängig vom Schließen der Lücke im westeuropäischen Verteidigungssystem, wie es in dem vorgelegten Vertragswerk vorgesehen ist. Darin liegt der Ernst der Frage, die wir nun in den Ausschüssen zu prüfen und zu durchdenken haben.
Zweifellos ist die Wiederherstellung der deutschen Einheit von einer Einigung über ein auch von der Sowjetunion angenommenes System der europäischen Sicherheit abhängig. Selbst dann, wenn ein solches System gefunden werden sollte — und einige Ansätze haben sich in den Verhandlungen ja schon gezeigt —, hat die Sowjetunion bisher . noch nicht mit einem Wort erkennen lassen, ob und unter welchen Bedingungen, die die deutsche Freiheit nicht gefährden, sie dann eine Freigabe ihrer Zone zugestehen würde.
Ich glaube, es ist notwendig mit Rücksicht auf die Verantwortlichkeit unserer Entscheidung und nicht nur sozusagen als Gegenstand einer geschichtlichen Betrachtung, sondern als Maßstab der Prüfung unserer eigenen Verantwortlichkeit, wenn wir einen Blick auf die Verhandlungen über die Sicherheitsfrage auf der Berliner Konferenz werfen. Vorschlag und Diskussion des Plans Molotows vom 10. Februar 1954 nach dem Modell des Paktes von Rio de Janeiro, ein Vorschlag, den man mit der Deutschland-Note der Sowjetunion vom 10. März 1952, die also fast zwei Jahre älter war, kombinierend vergleichen muß, ergeben zusammengefaßt etwa folgendes Ergebnis, wenn man analysiert:
1. Neutralisierung Deutschlands als entscheidender Schritt zur Aufweichung des westlichen Verteidigungssystems,
2. endgültige Verhinderung der Einbeziehung Deutschlands in das westliche Staatensystem durch
a) vorläufige Aufschiebung der Wiedervereinigung Deutschlands,
b) Verweigerung der politischen Entscheidungsfreiheit der künftigen gesamtdeutschen Regierung,
c) Schaffung eines von der Sowjetunion beherrschten kontinentaleuropäischen Sicherheitssystems.
Dabei sollen den westlichen Mächten nur die papiernen Garantien des europäischen Sicherheitspaktes und die Garantien der Satzung der Vereinten Nationen verbleiben.
Bidault hat seinerzeit auf der Berliner Konferenz diesem Sicherheitsvorschlag Molotows eine westliche Konzeption gegenübergestellt. Kurz zusammengefaßt ist sie folgende:
1. Aufrechterhaltung der bestehenden Sicherheitsorganisationen, d. h. der Vereinten Nationen und des Nordatlantikpaktes,
2. eventuelle Errichtung eines noch nicht näher umschriebenen gesamteuropäischen Sicherheitssystems, als Voraussetzung dafür die Regelung der territorialen Probleme in Europa — er verstand darunter, wie ganz deutlich aus den Reden und den Darlegungen auf der Konferenz hervorging, Deutschland und Osterreich —,
3. Einbeziehung des wiedervereinigten Deutschlands in die westeuropäische Gemeinschaft, wodurch ein selbständiges militärisches Handeln Deutschlands ausgeschlossen wird, und schließlich Aufrechterhaltung der gegen Deutschland gerichteten zweiseitigen Beistandspakte mit der Sowjetunion,
4. Bemühungen um die Herbeiführung einer allgemeinen und kontrollierten Abrüstung.
Es ist sehr interessant, daß die Sowjetunion jetzt mit der Kündigung des französisch-sowjetischen Beistandspaktes gedroht hat.
Ich glaube, daß es nicht möglich ist, sich ein Urteil über den Wert und die Bedeutung der Verträge zu bilden, ohne sich die weiteren Zusammenhänge, ich möchte sagen: die politische Landschaft, in die sie eingebaut sind, klarzumachen. Die westlichen Außenminister haben in Berlin kompromißlos an der NATO festgehalten. Molotow — und das ist sehr interessant — hat auf diesbezügliche Fragen von Bidault nicht reagiert. Unter anderem hat Bidault einmal ganz direkt gefragt — ich will den Wortlaut zitieren „Hält die sowjetische Delegation den Vertrag über die atlantische Verteidigungsgemeinschaft" — also die NATO — „für vereinbar mit dem Projekt, das sie uns vorlegt" über ein europäisches Sicherheitssystem? — „Ja oder nein?" Molotow hat keine Antwort gegeben. In einer etwas späteren Phase der Konferenz ist Molotow auf diese Frage noch einmal zurückgekommen, und das ist für alle die Leute, die so sehr für Verhandlungen sind, eine wirkliche Belehrung; deshalb sei es zitiert. Molotow hat damals folgendes gesagt:
Die Herren Bidault und Eden hatten völlig recht, als sie sagten, daß wir die NATO verschieden einschätzen. Aber ich muß sagen, daß die NATO und die EVG
— die war damals noch aktuell —
nicht ein und dasselbe sind. Die erste Organisation besteht bereits, die zweite erst auf dem Papier.
Dann fährt er fort:
Es gibt einen weiteren Unterschied. Die NATO ist nicht zur Wiederherstellung des deutschen Militarismus geschaffen worden; die EVG ist geschaffen worden, um den deutschen Militarismus wiederherzustellen.
Er hat also hier EVG gegen NATO ausgespielt. Die Schlußfolgerung ist einfach:
— so sagt Molotow —
Wenn die EVG geschaffen werden wird, so werden unsere Meinungsverschiedenheiten zum Quadrat erhoben. Was die NATO angeht, so schätzen wir sie auf verschiedene Weise ein.
Also keine Antwort, es sei denn die Bewertung von Realitäten und Tatsachen. Aber es geht noch weiter: Auf der Berliner Konferenz ist tatsächlich einmal ein Versuch unternommen worden, um festzustellen, ob ein Verzicht auf die EVG die Sowjetunion zu einer Änderung ihrer Haltung bewegen würde. Das steht nicht in den offiziellen Dokumenten, aber in der „Le Monde", und es ist noch in einer anderen Zeitung veröffentlicht worden, so daß man es ziemlich genau nachprüfen kann. Es handelt sich um eine Äußerung von Bidault im Auswärtigen Ausschuß der Kammer. Das gleiche gilt wohl jetzt auch wieder von den Pariser Vertragswerken. — Die Antwort von Molotow lautete damals, daß eine solche Handlung, nämlich der Verzicht auf diese westeuropäische Verteidigungsorganisation, „als eine Geste der Entspannung zur Kenntnis genommen würde". Auch nicht ein Sterbenswörtchen des Anerbietens, etwas von der sowjetischen Position in Deutschland aufzugeben oder auch nur im geringsten nachzugeben!
Das sind Vorgänge, an denen der Deutsche Bundestag bei der Bewertung der Vertragswerke und bei seiner Entschlußfassung einfach nicht vorbeigehen kann. Die Berliner Konferenz hat eindeutig ergeben, daß es das Hauptziel der Sowjetunion zu sein scheint, die Neutralisierung Gesamtdeutschlands unter sowjetischer Kontrolle zu erreichen, und daß papierene Tatsachen, die dazu noch leicht verhindert oder verzögert werden können, keine Realitäten, also auch kein Preis für die Sowjetunion darstellen, irgend etwas zu unternehmen, was sie von den Grundzielen ihrer auswärtigen Politik abweichen ließe.
Der eigentliche Kernpunkt der Verhandlungen von Berlin war damals das sowjetische Ziel, die Atlantikpaktorganisation auszuhöhlen. Das konnte durch eine Offenhaltung der Lücke im europäischen Verteidigungssystem und damit durch die sowjetische Hegemonie über Europa nach Beherrschung Deutschlands geschehen. Aber auch mit dem dann nach der Berliner Konferenz gekommenen Vorschlag vom 31. März, mit dem der Eintritt der Sowjetunion in die NATO angeboten wird, wodurch der Sowjetunion die Mitkontrolle über diesen Kern der westlichen Verteidigung gewährt werden würde, wurde das gleiche Ziel verfolgt und würde in der Sache nur etwas zum Nachteil der europäischen Sicherheit geschaffen werden. Der Vorschlag vom 31. März beruhte darauf, daß in Berlin die Absicht der Verdrängung der Vereinigten Staaten und der Engländer vom Kontinent allzu durchsichtig gemacht worden war und damals von den Außenministern — wie die Presseberichte lauten — mit einem homerischen Gelächter quittiert worden ist. Die Sowjetunion suchte also mit diesem Zugeständnis des Eintritts in die NATO den damals in Berlin hervorgerufenen schlechten Eindruck zu verwischen. Sie operiert immer wieder mit der These, daß die Pläne des Westens auf die Schaffung von Militärblocks, d. h. Blocks, die gegeneinander gerichtet sind, hinausliefen. Die Sowjetunion selbst aber ist nicht gewillt, den von ihr geschaffenen übermächtigen, etwa 800 Millionen Menschen umfassenden Militärblock des Ostens, der durch RotChina in Asien und mit Einfluß auf die ganze Welt gewaltig verstärkt worden ist, auch nur im geringsten aufzulösen. Ohne daß in Anlehnung und zum Erhalten des Atlantikpakts, d. h. zum Erhalten der Hilfe Amerikas zunächst in Westeuropa Sicherheit nicht nur auf dem Papier, sondern wirkliche Sicherheit geschaffen wird, ist kein Verhandlungsergebnis für ein europäisches Sicherheitssystem zum Ausgleich der Spannungen zwischen Ost und
West zu erreichen, es sei denn, in Form der Kapitulation vor dem sowjetrussischen außenpolitischen Ziel. Das haben die Verhandlungen von Berlin und der anschließende Notenwechsel bis auf unsere Tage — in dem sich ja nichts gegenüber der Position von Berlin dem Grunde nach geändert hat — ganz deutlich ergeben.
Mit der westeuropäischen Sicherheit ist aber nur — das möchte ich auch noch analysieren — die Voraussetzung einer Konstruktion des Sicherheitssystems und damit vielleicht der Wiedervereinigung Deutschlands geschaffen, nicht aber schon die Lösung selbst. So stehen sich zunächst zwei Blöcke, wenn diese Systeme su bleiben, der Ostblock und der sich herausbildende Westblock, starr gegenüber. Das darf uns aber nicht daran hindern, bei der Verfolgung unseres deutschen Friedenszieles ganz fest zu bleiben, auch dann, wenn die Sowjetunion nunmehr droht, wie das in der letzten Note und vor allen Dingen in der Rede Molotows zum zehnten Jahrestag des französischrussischen Abkommens geschehen ist. Da hat die Sowjetunion — um es kurz zu machen — gesagt: Wenn ratifiziert wird, dann ist die Lösung der Frage einer Wiedervereinigung Deutschlands gegenstandslos geworden. — Sie hat nicht gesagt „völlig verbaut". Sie hat gesagt, daß dieses Thema dann gegenstandslos ist. Man muß in sowjetrussischen Noten die Worte, die ja nicht die gleiche Sprachbedeutung haben wie im Westen, sehr genau werten. Man muß es mindestens zehnmal lesen und dann mit der Vorgeschichte vergleichen, um ein Bild von dem zu bekommen, was eigentlich gesagt ist. Was dieser Ausdruck „gegenstandslos" heißt, das möchte ich jetzt hier nicht bis ins letzte darlegen; es heißt sicherlich: im Augenblick sieht sie keine Möglichkeit, ihre Politik in der bisherigen Methode fortzusetzen. Das bedeutet aber nicht, daß die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands bisher ein wirklicher Gegenstand sowjetischer Verhandlungen war oder sein sollte.
Hat die Sowjetunion bisher eine Bedingung der Vereinigung Deutschlands in wirklicher Freiheit — ich sagte es schon — auch nur angedeutet? Das ist einfach nicht der Fall. Ihre Angebote waren Angebote und Aufforderungen zur Kapitulation, ausschließlich sich ihrem Willen zu unterwerfen. Sie hat nur ein unfreies, ständiger Intervention ausgesetztes Gesamtdeutschland angeboten, — denn bekanntlich bleibt ja das Einmarschrecht der Besatzungstruppen in dem Vorschlag der Russen bestehen, und zwar nicht etwa an einen objektiven Tatbestand geknüpft, sondern an die willkürliche Entscheidung der bisherigen Besatzungsmacht. Wenn eine dieser Mächte behauptet, daß die Sicherheit wieder bedroht sei, z. B. es habe Streiks in Berlin gegeben usw.; so kann sie dann schon das Einmarschrecht in Anspruch nehmen. Das ist nach dem Vorschlag der Sowjetunion, der auf den 10. März 1952 zurückgeht, ausdrücklich gesagt. Es wird also ein Gesamtdeutschland der Unfreiheit angeboten, das nicht nur, um im Vokabular der Noten der Sowjetunion zu sprechen, „Aufmarschgebiet" — es heißt immer „Aufmarschgebiet des Westens", das brächten die Verträge mit sich —, sondern das ,,Schlachtfeld" zu werden droht, ein Deutschland, das dann verlassen wäre vom Schutz der freien Völker und erdrückt von der Übermacht des östlichen Koloß. Die Sowjetunion hat eine Lösung in Form einer regionalen Organisation Europas — um an meinen Ausführungen in ,
der letzten außenpolitischen Aussprache anzuknüpfen — als einer dritten Kraft, die aber nicht ihrer Vorherrschaft und Polizei unterworfen wäre, stets abgelehnt — schon Lenin und Stalin! —, denn sie will über ganz Deutschland und damit über den ganzen Kontinent herrschen.
Nun fragt man sich — denn das sind alles negative Feststellungen —: läßt sich vielleicht eine Lösung in Form einer Sicherheitsorganisation finden, die nach dem Konstruktionsprinzip eines Integrationsgefälles von West nach Ost und von Ost nach West aufgebaut wird und in der Deutschland — ich meine ein in Freiheit wiedervereinigtes Deutschland — einen besonderen Status erhalten könnte? Das ist die Frage an die Zukunft, die ,aber erst dann gestellt werden kann, wenn die Sicherheit in Westeuropa geschaffen worden ist, die zur Zeit bei weitem nicht besteht. Ein solches System der Sicherheit in Form stärkerer oder schwächerer Bindungen, also eines Integrationsgefälles nach der Mitte Europas zu — ergänzt durch eine kontrollierte allgemeine Abrüstung und eine wirksame Kontrolle atomarer Grundstoffe durch ein unabhängiges Amt, wie es Eisenhower vorgeschlagen hatte —, hätte zur Voraussetzung, daß auch der Ostblock die Integration seiner im Spannungsfeld liegenden Randgebiete in Osteuropa in dieses Integrationsgefälle mit hineingeben müßte. Osteuropa müßte aus dem Satellitenverhältnis weitgehend freigegeben werden.
Wir sind aber noch fern von der Erwägung einer solchen entspannenden Lösung. Wenn der Ostblock wirklich friedliebend wäre, wie er vorgibt, dann würde die Sowjetunion Deutschland und Österreich freigeben. Nichts dergleichen ist auch nur andeutungsweise geschehen.
Es geht um die Bedingungen der Koexistenz und damit um den Friedensschluß im Kalten Krieg zur Vermeidung eines heißen Krieges. Dem militanten Kommunismus gegenüber gibt es keine Koexistenz des freundschaftlichen Miteinander, sondern bestenfalls die Koexistenz des wachsamen Nebeneinander, das vorsichtig jede Verschärfung der Gegensätze vermeidet. Eine Koexistenz aber — und das möchte ich namens meiner Fraktion deutlich sagen — für den Preis der Spaltung Deutschlands wäre verhängnisvoll. Wir könnten uns niemals damit zufriedengeben. Diese Art der Koexistenz, gegründet auf die Spaltung Deutschlands, brächte die größte Gefahr mit sich, vor allem auch die Gefahr eines wiedererstehenden Nationalismus, den ich als eine Pestilenz des 19. und 20. Jahrhunderts bezeichnen möchte. Wir brauchen uns hier nicht über den Unterschied der Begriffe zu unterhalten. Nationalismus hat mit dem selbstverständlichen Nationalgefühl, d. h. dem Gemeinschaftsgefühl der Zugehörigkeit zu einem geschichtlichen Volk, also einer Nation, nichts zu tun. Nationalismus ist eine besondere Form des Massenwahns, eine Kollektivierung der Machtbedürfnisse der kleinen Einzelmenschen, die dann keine Maßstäbe und kein Maß mehr kennen, kein Gefühl für die wirkliche Welt und für die Wirklichkeiten dieser Welt haben und häufig auch gar kein konkretes politisches Ziel verfolgen, eine zügellose Gewalt, die dann allerdings in Händen von Volksführern und Diktatoren große Macht, vorübergehende Macht zu verleihen vermag, solange so ein Wahn herrscht.
Das etwa ist der Hintergrund unserer düsteren Welt, und auf diesem Hintergrund haben wir nun konkret die Bedeutung der Verträge zu prüfen.
Man kann dem Herrn Bundeskanzler nur zustimmen, wenn er festgestellt hat, daß die Sowjetunion mit dem Scheitern der EVG auf dem europäischen Schauplatz ihren größten Erfolg im Kalten Krieg errungen hat. Sie hat damit erreicht, daß die Lücke im atlantischen Verteidigungssystem nicht geschlossen worden ist. Damit ist nicht nur die europäische Sicherheit bedroht, sondern die Wirksamkeit des Atlantikpakts für Europa ist so lange in Frage gestellt, als diese Lücke nicht geschlossen werden kann.
Betrachtet man die geographische Position der westeuropäischen Länder, dann liegt auf der Hand, daß in der Mitte Westeuropas ein Verteidigungskern, ein wirksamer Kern der europäischen Integration geschaffen werden muß. Unter Integration verstehe ich Vorgänge und Zustände sowie Verfahren und Institutionen, die aus Unzusammenhängendem ein Gemeinsames machen. Nur wenn aus dem Unzusammenhängenden ein Gemeinsames gemacht wird, kann die automatische Beistandsverpflichtung, die ja zum Unterschied zur NATO in dem Paktsystem der Westeuropäischen Union vorgesehen ist, auch militärisch zuverlässig funktionieren Gewiß sind die Pariser Abkommen eine diplomatische Notlösung. Man hat sie so bezeichnet. Sie sind mit Rücksicht auf die Französische Union gegen das Konzept einer supranationalen Gemeinschaft errichtet und organisiert worden. Um eine lose Koalition aber handelt es sich dennoch nicht. Wenn die Westeuropäische Union eben nicht ein wirksamer Kern der europäischen Integration wird, dann wird dieser Pakt in jeder Krise vom Zerfall bedroht sein. Dann würde er nicht Sicherheit, sondern Unsicherheit mit sich bringen.
Wir haben uns nun zu fragen, ob die Westeuropäische Union ein Ausgangspunkt, eine Zwischenlösung oder eine Endlösung ist. Die einmalige geschichtliche Möglichkeit wird die Entscheidung in der Frage sein, ob die Pariser Abkommen über die Westeuropäische Union eine Integration Europas mit sich bringen werden oder die Restauration der Nationalstaaten bedeuten.
In der Konstruktion des Paktsystems sind Gefahrenelemente enthalten. Ich will sie nicht verschweigen. Sie liegen meines Erachtens im Charakter der Nationalarmeen, im Fehlen einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle, vielleicht auch in der Art der Sonderstellung, die Großbritannien in dieser engeren Koalition einnimmt. Wenn Großbritannien seine Verpflichtungen eng auslegt — und einige Bestimmungen des Vertrages wie auch das Verhalten der britischen Abgeordneten im Europarat deuten darauf hin —, dann muß zwischen den sechs ehemaligen Mitgliedern der EVG, d. h. zwischen den sechs Kontinentalstaaten, ein engerer Zusammenschluß als Gegengewicht im Auge behalten werden.
Ich sprach von einer engeren Koalition. Besser sollte man das System der Westeuropäischen Union eine integrierende Kooperation nennen. Im Pakt sind supranationale Ansätze festzustellen, und zwar in der Organisationsgewalt, die dem Ministerrat der Westeuropäischen Union zusteht, und im System der Mehrheitsbeschlüsse. Hierbei ist zu erwähnen, daß Mehrheitsbeschlüsse in einem rein internationalen Rahmen stets Machtentscheidungen sind, während in der Form supranationaler, also übernationaler Entscheidungen die Schärfe natiolaler Konflikte und Gegensätze vermieden wird. In dieser Hinsicht sollte der Pakt in der Praxis fortentwickelt werden.
Mängel des Vertrages sind das Fehlen einer Organisation der politischen und der wirtschaftlichen Angelegenheiten der Union. Mit dem Fehlen einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle ist ein Mangel der Integrationsdynamik in die Vertragswerke hineingekommen.
Bei dieser Lage bietet sich der Ausweg eines Systems abgestufter Rechte und Pflichten an. Dieses System würde es möglich machen, daß auch solche europäischen Staaten dem Verteidigungspakt beitreten können, die nicht mit der Pflicht zum automatischen Beistand aufgenommen oder belastet werden können. Es gibt neuralgische Punkte in Europa, für die automatische Beistandsverpflichtungen zu übernehmen die einzelnen europäischen Staaten zögern werden. Also ist auch hier ein abgestuftes System notwendig und nicht zu umgehen. Der Weg zu dieser Fortentwicklung wäre durch die Möglichkeit und den Abschluß multilateraler Abkommen vorgezeichnet. Ferner scheint mir, wie gesagt, ein Ausbau der parlamentarischen Kontrolle unerläßlich zu sein, und schließlich dürfte auch im Institutionellen der Organisation ein Ausbau in Richtung auf eine stärkere Integration möglich werden.
Das Integrationsziel ist von den vertragschließenden Mächten stets anerkannt worden. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die geographische, politische und wirtschaftliche Lage der kontinentaleuropäischen Länder, nämlich in der Mitte Westeuropas, eine andere ist als die Großbritanniens und der übrigen NATO-Mitglieder. Die Notwendigkeit und Möglichkeit multilateraler Abkommen zur Ergänzung und zum Ausbau der Westeuropäischen Union zu einer wirklichen europäischen Gemeinschaft und als Kristallisationskern für Gesamteuropa beruhen auf der Intensität des europäischen Bewußtseins, dem ein politischer Rahmen gegeben werden muß und das nach einem politischen Rahmen verlangt. Nur durch eine solche Gemeinschaft kann eine Entspannungspolitik in weltweitem Maßstab betrieben werden. Ich möchte das ausdrücklich unterstreichen: Kein europäischer Staat, auch keine europäische Großmacht, auch nicht Großbritannien auf sich allein gestellt, kann heute noch eine wirkliche Entspannungspolitik in der Welt betreiben. Wenn man die Politik des Friedens und der Entspannung sucht, dann ist es unumgänglich — nicht hier aus einer gefühlsmäßigen Emotion heraus gesprochen, sondern aus ganz nüchternen und klaren Gründen —, daß wir zu einer europäischen Gemeinschaft kommen müssen. Und wir kommen nur dann dazu, wenn der in seinen Interessen wirklich zu integrierende kontinentale Kern — und das waren die sechs Staaten —, wenn dieser Kristallisationskern für das Ganze geschaffen wird, wenn also diese Politik der europäischen Einigung fortgesetzt wird. Sie ist nicht eine Politik des KleinEuropas, nicht eine Politik des Separierens, nicht eine Politik des Partikularismus, sondern sie ist eine Politik des Schaffens des magnetischen Kerns der Anziehung für die Verschiedenheit und Abgestuftheit der europäischen Struktur.
Die Lücken der Westeuropäischen Union können auf folgenden Gebieten ausgefüllt werden: Institutionelle Ausgestaltung, Vereinbarung auf dem
Gebiet der Rüstungsproduktion — ich halte es da für möglich, noch sehr viele integrierende Funktionen zu finden —, fortschreitende wirtschaftliche Integration in möglichster Anlehnung an die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl — die wir nicht zu einem technokratischen Apparat herabsinken lassen dürfen, sondern die ihren politischen Kern und Wert behalten muß — und schließlich eine Fortsetzung der Bemühungen, eine echte demokratische parlamentarische Kontrolle zu schaffen, um die Dynamik der Integration damit in Gang zu halten.
Meine Damen und Herren, es ist — ich komme zum nächsten Gegenstand der Vertragspakete, die uns vorgelegt worden sind — etwas viel verlangt, das deutsch-französische Abkommen über die Saar befriedigend zu finden. Ich glaube, es ist niemand hier in diesem Saal — wo er auch sitzt —, der dieses Abkommen befriedigend nennen kann.
Meine Fraktion behält ihren zurückhaltenden Standpunkt hinsichtlich der Entscheidung über die Ratifikation zum Zustimmungsgesetz zum Abkommen bei, bis die vom Herrn Bundeskanzler erwähnten notwendigen Klärungen für die Durchführung der Anwendung des Abkommens nach Treu und Glauben und auf der Grundlage einer gesicherten Autorität gefunden werden können. Andererseits kann ich den Dissensus, also das Auseinandergehen der Auslegung zwischen der Auffassung der französischen Regierung und der Auffassung der deutschen Regierung hinsichtlich der Interpretation der Bedeutung des Abkommens, nicht so gewichtig nehmen, wie das gestern aus den Darlegungen der Opposition hervorgegangen ist. Es handelt sich um einen Dissensus, um ein Auseinandergehen der Meinung, mehr um die Frage der vertraglichen Voraussetzung als um den Vertrag selbst, mehr um eine Frage der Qualifikation des Zustandes an der Saar als um den Zustand an der Saar selbst.
Ich möchte ein etwas komisches Beispiel dazu bilden: Hier ist eine Gemse. Die einen sagen: „Eine Gemse? Nein, die Gemse da ist eine bessere Gazelle". Die anderen sagen: „Nein, das ist eine Ziege". — Ja, meine Herren: es i s t eine Gemse!
Wir haben bei der Bewertung des Abkommens davon auszugehen, daß eine autonome Zusammenfassung von Volk und Gebiet an der Saar unter französischer Oberhoheit vor dem Abkommen geschaffen worden ist. Alle Schlüsselfunktionen in diesem Gebiet werden von Frankreich direkt oder indirekt kontrolliert. Ein eigener freier demokratischer Wille, der diesen von Frankreich geschaffenen Zustand etwa nicht anerkennen würde, darf und kann sich nicht entfalten. Wirtschaftlich ist Volk und Gebiet an der Saar vollkommen in der Hand Frankreichs, Diesen Zustand können wir weder politisch noch rechtlich noch moralisch anerkennen. Aber von diesem Zustand, der de facto besteht, muß ausgegangen werden, um die Bedeutung des Abkommens richtig einzuschätzen. Es geht nicht — lassen Sie mich das hier einmal sagen — um Zugeständnisse Deutschlands, denn Deutschland hat de facto nichts in der Hand. Es geht um Zugeständnisse Frankreichs. Dabei sind nun zahlreiche Auslegungsfragen aufgetreten, die die Gefahr in sich bergen, daß aus dem Abkommen nicht Frieden und Versöhnung, sondern Streit und Unfrieden hervorgehen.
Herr Kollege von Merkatz, darf ich Sie etwas fragen. Sie meinen, daß es an der Saar um Zugeständnisse Frankreichs an die Bundesrepublik geht. Die Franzosen haben ihre Positionen, wir möchten Freiheit haben usw. Warum hat denn die französische Regierung bei diesen Verhandlungen und früher das Junktim hergestellt und warum hat sie die Bundesregierung gezwungen, ein solches Abkommen zu unterzeichnen? Welches Interesse konnte dann die französische Regierung daran haben, ein Saarabkommen zu bekommen, wenn sie darin nicht mehr bekommt, als sie schon hatte?
Das Interesse, ein Abkommen über Volk und Gebiet an der Saar zu bekommen, das Frankreich zeigt, dürfte nicht zuletzt auch in der öffentlichen Meinung der Welt begründet sein.
Denn was Unrecht ist und als Unrecht angesehen werden muß — ich möchte das hier nicht so sehr vertiefen und unterstreichen; das sind Tatsachen, die wir kennen —, das ist etwas, was im Völkerrecht und in der internationalen Meinung eine Wirkungskraft hat, der sich niemand, auch nicht in der stärksten Siegerposition, entziehen kann. Darum das Interesse.
Eine weitere Frage!
Herr Kollege von Merkatz, eine Zusatzfrage. Haben Sie in der Beratenden Versammlung des Europarates, der auch Sie angehören, viel von dieser Wirkung des Rechtes auf den Sieger gemerkt?
Allein aus der Tatsache, daß diese Fragen erörtert werden und nicht — ich möchte sagen — vergessen werden können, weil sie wie ein Alptraum bedrücken, ziehe ich den Schluß, daß meine Meinung richtig ist. Daß im Europarat die Dinge etwas unauffälliger vor sich gehen und eine mehr rationale Färbung haben, ist ein Vorteil und die Möglichkeit überhaupt der internationalen Verständigung. Ich fürchte, wenn wir aus unserer inneren Emotionalität heraus diese Frage vertiefen, können wir die Dinge nur schlechter machen.
Herr Kollege Mommer, ich bitte, der Opposition auch noch folgendes sagen zu dürfen. Man kann in der Politik nie mathematisch beweisen, ob man recht hat, sondern es ist immer eine Entscheidung und eine Willenskundgebung.
— Nein, das sage ich uns, mir selbst und uns allen. Infolgedessen bedürfen gerade diese Fragen einer sehr ruhigen und abgewogenen Behandlung einer genau so skeptischen Behandlung wie die Skepsis in Ihrem Gesicht, das Sie mir hier zeigen.
Meine Fraktion begrüßt es lebhaft, daß der Herr Bundeskanzler sich die wichtigsten Forderungen auch meiner politischen Freunde für die Weiterbehandlung dieser Frage zu eigen gemacht hat, nämlich daß für die Anwendung des Abkommens noch in den verschiedensten Richtungen eine Ausfüllung und Ergänzung der Bestimmungen notwen-
dig ist. Die Forderungen meiner Fraktion bleiben, daß durch eine neutrale Kommission oder eine ähnliche Einrichtung Regeln für die Durchführung der vorgesehenen Plebiszite aufgestellt und kontrolliert werden, daß die Stellung des europäischen Kommissars hinsichtlich seiner Rechte und Pflichten näher umschrieben wird, daß bestimmt wird, wie bei auftretenden Streitigkeiten zu verfahren ist. Wir befürworten vor allen Dingen die Einrichtung eines Schiedsgerichts und den Erlaß eines Verfahrens, daß vor diesem Schiedsgericht auch Einzelpersonen, Körperschaften, Parteien und Verbände an der Saar ihr Recht suchen können.
Schließlich sind auch die Wirtschaftsfragen der Saar in einem wirklichen Dreiecksverhältnis nach dem Prinzip der Gleichberechtigung und mit dem Ziel des Gemeinsamen Markts durch die im Abkommen vorgesehenen Verträge und Maßnahmen in dem Sinne zu ergänzen, daß vor allen Dingen der Wirtschaft an der Saar im Sinne der Offenen Tür nach allen Seiten hin gedient wird, wie überhaupt das Interesse des Volkes an der Saar der Hauptmaßstab für die Beurteilung aller Fragen sein muß.
Wir haben die große Hoffnung, daß diese Fragen in direkten Verhandlungen mit der französischen Regierung einer Übereinstimmung zugeführt werden können. Wir begrüßen es, wenn notfalls das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten von Amerika ihre guten Dienste im Sinne einer Mediation zur Verfügung stellen werden, wie es der Herr Bundeskanzler als möglich angedeutet hat.
- Ich habe sie gelesen, Herr Kollege Mommer. Bei diesen doch etwas größeren Linien der Politik halte ich es nicht für gut, daß man seine Meinung von jeder Notiz, die einem zufliegt, abhängig macht und schwankend wird. Gewiß, vieles ist ein Experiment, vieles bleibt eine Hoffnung und ist kein Gelingen, aber schließlich haben gerade wir als besiegte Nation eine sehr stabile, sehr konsequente Diplomatie mit großer Zähigkeit zu betreiben, die sich nicht so schnell entmutigen läßt. Auf einem anderen Wege werden wir unsere Ziele nicht erreichen. Ich weiß: Vieles, was mit dieser Frage, und überhaupt mit unserem Verhältnis zu den Westmächten zusammenhängt, die immerhin noch vor zehn Jahren siegende Feindmächte waren, trägt Schwierigkeiten in sich. Wenn man den Erfolg sucht, muß man schon den bitteren Reis dabei in Rechnung stellen. Vieles ist nicht schön, vieles macht Geduld, Zurückhaltung und Selbstdisziplin notwendig.
Wir — ich meine damit meine politischen Freunde — werden die Entwicklung dieser Frage im Geiste ehrlicher Verständigungsbereitschaft verfolgen. Dabei sind wir uns keinen Augenblick darüber im unklaren, daß wir, um die Verständigung mit Frankreich zu erreichen, gewiß auch eine Politik des Opfers betreiben müssen.
Keine Regelung ist möglich, die sich gegen den wirklichen Willen der Saarbevölkerung richtet. In diesem Zusammenhang ist es von entscheidender Bedeutung, daß an der Saar Einzelpersonen, Parteien und Vereinigungen auch dafür werben dürfen, daß bei einer endgültigen friedensvertraglichen Regelung Volk und Gebiet an der Saar bei Deutschland verbleiben, zu dem sie rechtlich heute
noch gehören. Es muß die Alternative bleiben, daß sich die Bevölkerung an der Saar für Deutschland entscheiden kann. Eine Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten gegen diese Möglichkeit könnte von meinen politischen Freunden nicht hingenommen werden. Dabei versteht es sich von selbst, daß an der Saar ein Zustand der Beruhigung eintreten muß, der es ermöglicht, eine Entwicklung einzuleiten, die zu einer wirklichen Entspannung zwischen Deutschland und Frankreich auf diesem Gebiet beiträgt.
Ich betone nochmals und eindringlich, daß meinen politischen Freunden entscheidend viel an einer dauernden Versöhnung und Verständigung mit Frankreich gelegen ist, die dem Vorteil beider Länder und der Sicherheit Europas dient. Meine politischen Freunde behalten sich, wie gesagt, ihre letzte Entscheidung in dieser Frage für die dritte Lesung vor.
Ich komme damit zum Schluß. Wenn wir den Blick wieder auf das Ganze richten, bedeutet die Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der NATO-Organisation einen entscheidenden Fortschritt im Sinne der Souveränität unseres Landes. Sie bedeutet aber auch, das sei hier nicht verschwiegen, die Übernahme einer großen Verantwortung. Wir hoffen, der Geist wirklicher Gemeinschaft der freien Welt führt nicht dazu, daß die tatsächliche Schwäche der Bundesrepublik, die ja nur ein Torso Deutschlands darstellt und gerade aus einem Besatzungsregime entlassen werden soll, allzusehr zu ihrem Nachteil wirksam wird. Wir wünschen ein Bündnis und kein Satellitenverhältnis. Wir wollen in den bescheidenen Grenzen unserer Möglichkeit Subjekt sein und nicht Objekt bleiben. Die Staaten, die heute noch den Rang von Großmächten, ja, von Weltmächten haben, tragen auf diesem Gebiet gegenüber den kleineren und schwächeren ein besonderes Maß an Verantwortung. Wir sind in diesem Gefüge der atlantischen Gemeinschaft wichtig, verantwortlich, aber nicht gewichtig. Nicht Machtentscheidungen dürfen die Gemeinschaft der freien Welt bestimmen, sondern es müssen wirklich Vertrauensgrundlagen sein, wobei vor allen Dingen auch der Gedanke der Gleichberechtigung der Interessen der Mitglieder und des gerechten Lastenausgleichs das Gemeinschaftsgefüge bestimmen müssen.
Von größter Bedeutung ist die Tatsache, daß die Bundesrepublik durch die Vertragswerke von Paris wieder zur Wahrnehmung der deutschen Souveränitätsrechte im völkerrechtlichen Sinne gelangt. Unter Souveränität verstehe ich vor allem das Recht, in allen Angelegenheiten, die uns berühren, mitsprechen zu dürfen und mitsprechen zu können. Auch wir teilen die vom Herrn Bundeskanzler nicht verschwiegenen Bedenken hinsichtlich der Übernahme von Restbeständen aus der Besatzungsherrschaft. Wir müssen uns hier den Realitäten beugen, die nicht zuletzt durch eigene Fehler herbeigeführt worden sind. Wir teilen auch die Auslegung, die der Herr Bundeskanzler den deutschen Souveränitätsrechten gegeben hat. Ich darf seine Ausführungen noch vom Standpunkt meiner politischen Freunde aus dahingehend ergänzen, daß es nach unserer Auffassung nur eine einzige, unteilbare deutsche Souveränität gibt, nämlich die Souveränität des ganzen deutschen Staates, des Deutschen Reiches, eine Souveränität, die nach außen von der Bundesrepublik zu vollem Recht und damit ausschließlich wahrgenommen wird, die sich nach innen, d. h. staatsrechtlich, nach deutschem
Reichsstaatsrecht, als eine Treuhandschaft des freien Teils Deutschlands darstellt. Die Grenzen der Befugnisse dieses Treuhänders werden hierbei von uns selbst bestimmt. Ich möchte das ausdrücklich sagen, damit aus dieser treuhänderischen Wahrnehmung der gesamtdeutschen Souveränität kein fremder Staat Einwendungen ableitet, weil wir bei der Ausübung dieser Souveränität uns im Innern gewissermaßen selbst beschränken. Ich halte es für entscheidend, daß wir die Souveränität des Handelns wieder zurückgewinnen werden. Nun müssen wir sie nützen.
Ich komme damit zum Schluß. Bündnisverträge, die auf dem Prinzip der integrierenden Kooperation beruhen, erhalten dadurch Dauerhaftigkeit und innere Kraft, daß sie auf gemeinsamen Prinzipien des Lebens, auf echten Vertrauensgrundlagen aufgebaut sind. Hierbei darf keine Diskriminierung bleiben, weder rechtliche Diskriminierung noch moralische Diskriminierung noch eine Diskriminierung aus dem Unterschied des Machtgewichts.
Lassen Sie mich mahnend, erinnernd und aus der Pflicht des Gewissens noch ein Thema erwähnen, das nicht vergessen werden darf. Ich meine das Los der noch heute in fremdem Gewahrsam befindlichen deutschen Kriegsgefangenen im In- und Ausland, die als Kriegsverurteilte festgehalten werden oder noch auf ihr Verfahren warten. Diese Frage sollte im Sinne einer höheren Sittlichkeit bereinigt werden, daß, um eine neue Welt zu bauen, unter vergangenes Unrecht ein Schlußstrich zu ziehen ist. Wir sind uns bewußt, daß in allen Ländern viele gute Kräfte ehrenhafter Menschen an der Bereinigung dieser Frage gearbeitet haben. Ich glaube an die Großmut des Gewissens, hier baldigst zu einer Lösung zu kommen, die deutsche Menschen, die zur Verteidigung ihres Landes herangezogen werden, nicht belastet; denn man muß sich darüber klar sein, auch wenn nicht darüber gesprochen wird — aber wir müssen es heute einmal tun —, daß eine große Gewissenslast für jeden gegeben ist, der im Rahmen eines Verteidigungssystems zum Dienst herangezogen wird, wenn auch nur ein Unschuldiger festgehalten wird.
Wir sind uns als Deutsche in dieser Stunde aber auch in besonderem Maße bewußt, daß wir uns selbst einer unerbittlichen Gewissensprüfung in allen diesen Fragen zu unterziehen haben und daß die Verantwortung für eine bessere Zukunft wesentlich auf unsere Schultern gelegt ist, daß wir durch unser Verhalten die Vertrauensgrundlage für diese bessere Zukunft wahrhaft befestigen. Man kann es uns aber nicht verwehren, daß wir tiefste Anteilnahme für die Menschen empfinden, die nach so vielen Jahren noch für eine Schuld büßen, die oft nicht nach sauberen Rechtsbegriffen festgestellt werden konnte. Unser Mitgefühl und unsere Hilfe gilt diesen deutschen Menschen und ihren Angehörigen.
Wir wünschen den Frieden. Wenn wir nun durch die Vertragswerke zur Souveränität des Handelns, d. h. zur Souveränität der Verantwortung, zurückgeführt werden, dann bleibt unser selbstverständliches Anliegen, vor allen anderen Fragen die Wiederherstellung der Einheit unseres Landes in Anwendung dieser Souveränität zu fördern. Hierbei gibt es nur einen praktischen Weg. Aus eigener Kraft allein — obwohl die eigene Initiative sehr notwendig ist — können wir die Einheit unseres Landes nicht herbeiführen. Sie aber als Kompromiß mit dem Osten zu Lasten der deutschen Freiheit herbeizuführen, können wir nicht auf unser Gewissen nehmen. Der einzige praktische Weg ist die Herbeiführung der Einheit unseres Landes durch das Bündnis und die wirkliche Unterstützung durch unsere mächtigen Bündnispartner im Rahmen einer Entspannung zwischen Ost und West. Die Wiedervereinigung Deutschlands ist von 'der wiederhergestellten Sicherheit Europas und von der Entspannung zwischen Ost und West abhängig. Die Sicherheit in Europa aber und die Entspannung zwischen Ost und West sind andererseits abhängig auch von der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands und dem Staatsvertrag mit Osterreich in der Mitte Europas.
Daniel Mayer hat recht, wenn er davon spricht, daß Frieden und Freiheit eine unteilbare Einheit sind. Um diesen Weg aber zu gehen, diese Einheit herzustellen, kann nun zu einem Zeitpunkt, in dem die Ratifikation der Verträge zur Verhandlung ansteht, nicht mehr mit dem Gedanken einer Verzögerung gespielt werden. Die neue Tatsache, auf Grund derer im echten Sinne verhandelt werden kann, ist die Herstellung der Sicherheit in Westeuropa und ihre eindeutige Gewährleistung. Von diesem klaren Gesichtspunkt dürfen wir uns nicht abbringen lassen, es sei denn, die Sowjetunion wäre bereit, auch ihrerseits neue, wirklich neue Tatsachen im Sinne der Sicherheit und der Freiheit zu schaffen, indem sie das, was sie vom Westen verlangt, auch auf sich selbst und auf den Ostblock anzuwenden willens ist.
Unter diesen Richtlinien werden meine politischen Freunde das Vertragswerk prüfen. Meine Fraktion erklärt sich damit einverstanden, die Ratifikationsgesetze den zuständigen Ausschüssen zu überweisen.
Das Wort hat der Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich als einen jungen und kühlen Norddeutschen zunächst einmal ganz kurz den Versuch machen, nochmals mit wenigen Sätzen die außenpolitische Situation zu umreißen, aus der sich als Konsequenz mein eigentliches Thema ergibt: der Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik.
Die Außenpolitik der Bundesregierung ist ganz offensichtlich von drei Grundsätzen bestimmt; erstens: Freunde gewinnen und Freunde behalten, zweitens: glaubwürdig bleiben, und drittens: Schritt für Schritt und Stein auf Stein statt des unseligen Alles-oder-Nichts; Grundsätze, die vor dem ersten wie insbesondere vor dem zweiten Weltkrieg oft nicht und schon gar nicht konsequent beachtet worden sind. Worauf kam es bisher und worauf kommt es weiterhin bei der Außenpolitik an? Doch allein darauf, unsere festgefahrene Situation zu ändern hinsichtlich der uns vorenthaltenen Wiedervereinigung, zu ändern hinsichtlich unseres Anschlusses an die Familie der freien Völker, zu ändern hinsichtlich der Gleichberechtigung und zu ändern hinsichtlich unserer Handlungsfreiheit. Die nächste Frage lautet dann selbstverständlich: Wie? Über die Methoden zur Änderung der Situation bei der Wiedereingliederung in den Kreis der freien Völker, bei der Wiederherstellung der Gleichberechtigung und bei der Wiederherstellung der Handlungsfreiheit hat Kollege Kiesinger
gestern in glänzender Weise gesagt, was zu sagen ist. Ich will mit meinen Worten nur wiederholen, was in diesem Zusammenhang zur Wiedervereinigung zu bemerken ist, und ich will einmal einem überzeugenden Gedankengang meines Freundes Ernst Lemmer folgen. Es kommt doch darauf an, die Sowjets zu überzeugen, daß die bisherigen drei Grundvoraussetzungen ihrer Europapolitik falsch sind, weil sie erst dann, und zwar nur dann Veranlassung haben, ihre bisherige starre, unnachgiebige Haltung zu überprüfen. Die erste der drei Voraussetzungen der Europapolitik der Sowjets, die zur Illusion werden müssen, ist die Hoffnung auf Unterwanderung der einzelnen Nationen Europas von innen durch die kommunistischen Parteien nach einem ganz klaren Vierphasenplan, den wir doch alle kennen; Phase 1: Beteiligung an der Regierung, Salonfähigwerden für die Kommunisten, Phase 2: Machtübernahme, Phase 3: Umwandlung des Staates in eine sogenannte Volksrepublik, und Phase 4: Eingliederung dieser Volksrepublik in die UdSSR. Die zweite Hoffnung, ,die gegenstandslos und zur Illusion werden muß, ist die Hoffnung der Sowjets auf ein Gegeneinander der einzelnen Nationen Europas. Die dritte Hoffnung der Sowjets, die zur Illusion werden muß, ist die Hoffnung, die USA von diesem Europa zu trennen.
Diese drei Hoffnungen, diese drei Grundvoraussetzungen sowjetischer Außenpolitik werden nun durch das Pariser Vertragswerk definitiv illusorisch. In dieser Tatsache liegt die überragende, die schicksalträchtige Bedeutung dieser Verträge — schicksalträchtig für die gesamte freie Welt, weil Moskau angesichts der neuen Situation seine bisherige starre Haltung endlich einmal gründlich überprüfen muß und weil jetzt zum mindesten die Ch an c e besteht, die bisher nicht bestanden hat, zu besseren Lösungen zu kommen, an denen wir dann zudem auch noch a conto der neugewonnenen Souveränität aktiv mitzuwirken vermögen.
Entschlüsse von derartiger Bedeutung wie die von Paris haben selbstverständlich die weitestreichenden Konsequenzen. Über die politischen Konsequenzen hat Kiesinger gestern gesprochen. Mir obliegt es, auf die militärischen Konsequenzen des Vertragswerks einzugehen, und zwar auf die militärpolitischen ebenso wie auf die innenpolitischen.
Eine Verdeutlichung des militärpolitischen Inhalts der Verträge ist undenkbar ohne einen kurzen Rückblick auf die EVG. Ich will hier keinen Nekrolog halten. Politik ist nicht nur die Kunst des Zweckmäßigen, sondern ja stets auch die Kunst des Möglichen. Aber zwei Feststellungen zumindest sind hier absolut unumgänglich.
Erstens. Es war schon ein großer, ein epochaler Gedanke, die Streitkräfte von sechs europäischen Nationen zu integrieren, sie zu einer supranationalen Institution zusammenzufassen. Es war ein sehr origineller Gedanke — originell in des Wortes bester Bedeutung —, das Pferd einmal am Schwanz aufzuzäumen und die militärische Integration als Motor für die politische Integration verwenden zu wollen. Es hat sich jedoch gezeigt, daß der Gedanke der EVG der Zeit doch wohl zu sehr voraus war. Aber war es deshalb falsch, ihn jahrelang vertreten zu haben, jahrelang auf seine Verwirklichung hin die besten Kräfte angesetzt zu haben? Die Frage ist rundheraus zu verneinen.
Auch wenn die EVG nicht Tatsache geworden ist, kann nicht bestritten werden, daß schon allein die
Arbeit dieser Jahre, das jahrelange Miteinander und Gegeneinander z. B. im Interimsausschuß, zu Gemeinsamkeiten geführt hat, die nicht mehr wegzudenken sind. Die EVG ist keine Realität geworden; das ist richtig. Aber die jetzigen Realitäten von London und Paris wären undenkbar ohne die vorangegangene Arbeit an der EVG.
Uns Deutschen in ,der Bundesrepublik liegt nichts an der Existenz spezifisch deutscher nationalstaatlicher Streitkräfte. Uns Deutschen lag in den vergangenen Jahren der Vorarbeit für die EVG, liegt heute und für die Zukunft an der Existenz von gemeinsamen Streitkräften der freien Welt, die in der Lage sind, zu verhindern, daß der Totalitarismus zuzugreifen vermag und freie Völker in die Unfreiheit führen kann. Wir wünschen, daß diese Streitkräfte einschließlich der deutschen Kontingente nur eine einzige Aufgabe haben: dazusein, wenn unsere Gemeinschaft oder wenn auch nur ein Teil dieser Gemeinschaft von außen durch das System der Unfreiheit angegriffen und in der gemeinsamen Freiheit bedroht wird. Nur für diesen Zweck! Sollte es einmal zu Meinungsverschiedenheiten innerhalb des freiheitlichen Lagers selbst — Meinungsverschiedenheiten etwa zwischen Frankreich und der Bundesrepublik — in der Zukunft kommen, dann soll für beide die Existenz von Streitkräften absolut bedeutungslos sein; dann wird ausschließlich mit politischen Argumenten, aber nicht mit Soldaten gerungen.
Dieser so wünschenswerte Zustand, die Möglichkeit innereuropäischer Waffengänge zu beseitigen, ist heute schon in den Pariser Verträgen unmißverständlich verankert und gesichert. Aber das schließt in unseren Augen nicht aus, daß wir für die Zukunft, wenn die Zeit dafür reif ist, nach wie vor bereit sein werden, unsere Streitkräfte aus der nationalen Bindung zu entlassen und supranationalen Institutionen vorbehaltlos in demselben Maße zuzuführen, wie das unsere Vertragspartner tun wollen.
Und noch ein Zweites zu den jahrelangen Arbeiten an der EVG, ein zweiter Beweis für die Nützlichkeit dieser zähen Bemühungen. Auch die Westeuropäische Union fußt gerade in ihrem militärischen Teil ausdrücklich auf den Vorarbeiten für die EVG, und wesentliche Teile des früheren EVG-Vertrages sind nunmehr Bestandteil des Brüsseler Vertrages geworden. Es war nicht umsonst, dieses Ringen, und wir Deutschen in der Bundesrepublik — das ist meine Überzeugung — dürfen ruhig ein wenig stolz darauf sein, bei diesen Arbeiten an einem großen Werk eine wesentliche Rolle gespielt zu haben und in unserer konsequenten Haltung dabei von niemandem übertroffen worden zu sein.
Die Tatsache, daß sich die deutsche Wählerschaft am 6. September 1953 so klar für die EVG ausgesprochen hat, hat mehr zur Entgiftung der Atmosphäre in Europa, mehr zum Vertrauen der freien Welt uns Deutschen gegenüber beigetragen als manches andere. Es war bekannt, daß der Herr Bundeskanzler persönlich in besonderem Maße glaubwürdig gilt im Bereich der freien Welt. Die
Entscheidung unseres Volkes vom 6. September 1953 für den Verzicht auf nationale Streitkräfte und gleichzeitig doch für das Opfer eines deutschen Beitrages zur Verteidigung der freien Welt hat dieses Volk in der Gemeinschaft der freien Nationen glaubwürdig gemacht. Ich bin der Meinung, daß es wichtig ist, hier einmal festzustellen, in welchem Umfange der einzelne Wähler Außenpolitik gestaltet dadurch, ,daß er mit seiner Stimmabgabe das außenpolitische Klima beeinflussen kann.
Jetzt aber endgültig zum militärpolitischen Inhalt des gegenwärtigen Vertragswerkes.
Am 30. August dieses Jahres war auch eine militärpolitische Krise heraufbeschworen, die so schnell wie möglich überwunden werden mußte. Was war von deutscher Sicht nunmehr wünschenswert? Einerseits Sicherung durch einen politischen Vertrag mit vollkommener militärischer Automatik für den Fall eines bewaffneten Angriffs auf auch nur einen einzigen Vertragspartner und zugleich in einem Vertrag, der die weitere Integration Europas ermöglicht, andererseits keine Ausschaltung der Bundesrepublik aus der primär militärpolitisch eingestellten NATO.
Beides ist erreicht worden. Über das Wie will ich gleich im einzelnen sprechen. Vorab ist aber noch eine andere Bemerkung notwendig.
Als wir seinerzeit bei der EVG nicht unmittelbar Mitglied der NATO werden sollten, erklärten die Kritiker: „Das ist zuwenig! Das ist der schwächste Punkt!" Heute, wo wir Vollmitglied in der NATO werden sollen, sagt mancher: „Das ist zuviel!"
Das gleiche erleben wir ja beim Kapitel der Souveränität der Bundesrepublik. Damals im unrevidierten Deutschland-Vertrag erhielten wir lediglich „full authority", volle Autorität über unsere äußeren und inneren Angelegenheiten. Die Kritiker sagten damals: „Das ist zuwenig!"
Heute erhalten wir die volle Macht eines souveränen Staates, und jetzt erklären die Kritiker - oft wieder die gleichen Kritiker —: ,,Das ist zuviel!" Man kann daraus sehen, wohin man mit einem ständigen Kontra gelangen kann.
Wie ist nun das Einerseits-Andererseits gelöst worden? Der politische Vertrag mit militärischer Automatik und Entwicklungsmöglichkeiten zu weiterer Integration ist der Brüsseler Vertrag. Die beiden hier entscheidenden Bestimmungen bringen zwei Verpflichtungen mit sich: Erstens die Verpflichtung, untereinander Streitigkeiten nur durch friedliche Mittel zu lösen. Zweitens verpflichten sich die Vertragspartner für den Fall eines bewaffneten Angriffs in Europa zu jeder in ihrer Macht liegenden militärischen und sonstigen Hilfe und Unterstützung. Genau das mußte der Zweck des Brüsseler Paktes sein, und genau das ist erreicht worden.
Gleichzeitig kam es aber darauf an, daß die Westeuropäische Union kein militärisches Eigenleben entfaltete und mithin nicht für die Bundesrepublik zu einer Ersatz-NATO wurde, die uns von
dieser NATO selbst absperrte und uns auf einem Umweg lediglich zu einer Art Juniorpartner der NATO werden ließ. Auch in dieser Hinsicht waren die Verhandlungen erfolgreich. Die Bundesrepublik wird nicht Juniorpartner, sondern gleichberechtigtes Vollmitglied, und die Westeuropäische Union entwickelt — mit zwei Ausnahmen — kein militärisches Eigenleben. Ausnahme Nr. 1: Festlegung der Maximalstärken für alle; Ausnahme Nr. 2: Rüstungskontrolle für alle.
Was Ausnahme Nr. 1 anlangt, so hat man hier hinsichtlich Kampfkraft und Gesamtstärke für die sechs früheren EVG-Partner auf die Bestimmungen des Sonderabkommens zum EVG-Vertrag voll zurückgegriffen, d. h. die Stärke der Kontingente dieser sechs wird genau die Stärke der EVG-Kontingente sein. Hinzu kommen jetzt jedoch die vier britischen Divisionen und die II. britische taktische Luftflotte. Sie wissen, daß das Vereinigte Königreich mit diesem Entschluß die Wende in der Krisensituation nach dem 30. August herbeigeführt hat. Die Gliederung der Streitkräfte ist jedoch nicht mehr an starre Vorschriften gebunden, sonder kann modernen Erkenntnissen und Erfahrungen angepaßt werden, was militärisch gesehen zweifellos einen großen Vorteil darstellt.
Es ist nicht Aufgabe der heutigen ersten Lesung des Vertragswerks, auf Einzelheiten, beispielsweise der Protokolle Nrn. II, III und IV zum Brüsseler Vertrag einzugehen; dazu wird in der zweiten Lesung Gelegenheit sein. Aber ich will am Beispiel der künftigen Marinestreitkräfte einmal demonstrieren, wie eindeutig aus der Sicht aller Vertragspartner und insbesondere aus der Sicht der Bundesrepublik diese Streitkräfte nicht Selbstzweck sind — damit man sie einfach h a t —, sondern Verteidigungsbeitrag für eine Gemeinschaft.
Die Tonnagehöchstgrenze der künftigen deutschen Marinestreitkräfte beträgt 3000 t. Warum haben wir darin eingewilligt? Weil wir — ich folge hier einmal meinem Freund und Kollegen Admiral Heye — nicht eine Flotte wollen, bloß um eine Flotte zu haben, sondern weil wir einen derartigen Flottenbeitrag leisten wollen, wie er wirklich benötigt wird, und nicht mehr. Dickschiffe, Kreuzer gibt es genug, im atlantischen Raum sogar übergenug, sagte mir Kollege Heye, und es ist natürlich sinnlos, zu diesem Überschuß nun auch noch deutsche Schlachtschiffe zu gesellen, die Milliarden kosten und auf denen dann ein deutscher Admiral spazierenfährt. Benötigt werden dagegen für den Zweck, dem wir dienlich sein können, Minenräumflottillen und eine Fülle von anderen Einheiten für den Nordsee- und Ostseeraum, und diesem Zweck wird man in dem jetzigen Rahmen gerecht. Eine deutsche Marine in der heutigen Situation ist nicht dann eine Marine, wenn sie Schlachtschiffe hat, sondern eine Marine ist heute dann sinnvoll, wenn sie ihren strategischen und taktischen Zweck in einer großen Gemeinschaft zu erfüllen vermag. Die Zeit, wo der Kreuzerbau eine nationale Prestigefrage mit gelegentlich gefährlichen spielerischen Akzenten war, ist endgültig vorbei.
So wie diese Marine nicht deutscher, nicht nationaler Selbstzweck ist, so sind es selbstverständlich auch die anderen künftigen deutschen Kontingente
nicht. Vor diesem Hintergrund wollen Sie bitte auch den freiwilligen Verzicht der Bundesrepublik auf ,die Produktion von ABC-Waffen, von strategischen Langstreckenbombern, von bestimmten Raketen sehen, einen Verzicht, dem sich bekanntlich die Beneluxländer — gerne, wie ich glauben möchte, denn er hat ja auch Vorteile, z. B. wirtschaftlicher Art — sofort angeschlossen haben.
Was das militärische Reservat Nr. 2 der Westeuropäischen Union anlangt — die Rüstungskontrolle für alle —, so sei hier und heute nur festgehalten, daß es sich allein auf die Ausstoßzahl bestimmter Endprodukte erstreckt, nicht auf die Fertigung.
Damit ist das Kapitel „militärisches Eigenleben der Westeuropäischen Union" auch schon abgeschlossen. Es gibt keinen Oberbefehlshaber der Westeuropäischen Union, es gibt keinen militärischen Generalinspekteur der Westeuropäischen Union, es gibt auch keine militärische Kommandobehörde der Westeuropäischen Union. Das, was mit Ausnahme dieser beiden Reservate militärisch zu regeln ist, fällt entweder in die nationale Zuständigkeit oder in die Zuständigkeit der NATO, in der wir — ich wiederhole es — gleichberechtigtes Mitglied sein werden und deren Praxis auf Einstimmigkeit der Beschlüsse hinausläuft. In der NATO werden wir bei der Entscheidung über Krieg und Frieden, bei der Verteilung der Streitkräfte und der Waffen, bei der Ausarbeitung der Pläne für die Verteidigung wie bei der Festsetzung des finanziellen Verteidigungsbeitrages haargenau so mitwirken wie Frankreich oder Kanada, Italien, Luxemburg oder auch die USA: voll gleichberechtigt.
Unsere Befriedigung über diesen Zustand wird dabei entscheidend vergrößert durch die Tatsache, daß diese NATO-Länder alle der gemeinsamen Erklärung der USA, Englands und Frankreichs in der schon zitierten Ziffer V der Londoner Schlußakte beigetreten sind, in der u. a. erklärt wurde, daß die Schaffung eines völlig freien und wiedervereinigten Deutschlands durch friedliche Mittel ein grundsätzliches Ziel ihrer Politik bleibt.
Meine Damen und Herren, gleichberechtigt und politisch wie militärisch verbündet — Freunde gewinnen und Freunde behalten — und einig mit diesen unseren Verbündeten in unserem besonderen außenpolitischen Ziel der Wiedervereinigung, das ist wahrlich ein politisches Arbeitsergebnis, dem mit Befriedigung zuzustimmen eigentlich dem g a n z en Hause nicht schwerfallen sollte.
Wir haben uns aber als das einzige frei gewählte Parlament unseres deutschen Volkes bei dieser ersten Lesung des Vertrages nicht nur mit den außenpolitischen und militärischen Konsequenzen der Verträge zu beschäftigen, sondern auch mit ihren denkbaren innenpolitischen Folgen. Die Frage, die ich hier stellen will, lautet — wir können sie nicht einfach genug stellen —: Wie können wir eine künftige deutsche Nationalarmee innenpolitisch verkraften? Wir wollen dabei den Begriff innenpolitisch möglichst weit fassen.
Wieder eine kurze Vorbemerkung! Mit dem Begriff „Nationalarmee" wird heutzutage viel Unfug getrieben. Im klassischen Sinne ist eine Nationalarmee die militärische Streitmacht einer Nation,
die von sich aus, unabhängig von anderen, einen Krieg allein beginnen und durchführen kann. Nationalarmeen im klassischen Sinne haben heute also allenfalls noch die Sowjetunion und die USA. In Europa gibt es, so gesehen, überhaupt keine Nationalarmeen mehr, und ganz gewiß sind die künftigen deutschen Truppenstreitkräfte in diesem Sinne keine Nationalarmee. Ich gebe meiner tiefen Befriedigung darüber Ausdruck. Man kann natürlich den Begriff „Nationalarmee" auch anders, sehr viel enger definieren, indem man sagt: Eine Nationalarmee sind Truppenkontingente einer Nation, in denen all das national geregelt ist, was mit ihrer inneren Struktur zusammenhängt, unbeschadet der Tatsache, daß über Verwendung im Kriegsfalle, Stärke, Bewaffnung und Dislozierung eine Verteidigungsgemeinschaft gemeinschaftlich entscheidet. Dann allerdings erhalten wir jetzt eine Nationalarmee. Ich habe vorhin schon gesagt, daß dies, unter großen außenpolitischen Gesichtspunkten gesehen, bedauerlich bleibt. Aber ich will nicht verhehlen, daß diese Lösung militärisch und innenpolitisch ihre Vorzüge hat.
Aber jetzt nochmals die entscheidungsschwere Frage: wie können wir die militärische Konsequenz der außenpolitischen Entwicklung innenpolitisch bewältigen? Darauf gibt es nur eine Pauschalantwort: Indem wir die große innenpolitische Integrationsaufgabe meistern, diese künftigen deutschen Streitkräfte organisch in unseren demokratischen Staat einzugliedern, auf daß nicht wieder ein Militärstaat in unserem Staate erstehe.
Ich möchte der Auffassung Ausdruck geben, daß gerade dieser zweite Bundestag von der Geschichte in seinem Wert nicht zuletzt daran gemessen werden wird, ob er diese Aufgabe zu meistern versteht.
Damit sind wir bei der Frage, wie wir diesem Auftrag gerecht werden können. Auch da lassen Sie mich eines vorweg sagen — ich sage es insbesondere auch mit Blickrichtung auf die Opposition —: Das müssen wir in diesem Hause gemein -s a m schaffen. Das schaffen wir schwerlich, wenn es in dieser Frage erneut zu unüberwindbaren Gegensätzen zwischen Regierung und Opposition kommt.
Die künftigen Streitkräfte sind nicht Regierungstruppen
und nicht Truppen der Opposition, sie sollen nicht einmal in allererster Linie Truppen des Staates sein, sondern sie müssen die Truppen des Volkes, des ganzen Volkes sein, nicht wie früher gelegentlich ein trennendes Element, an dem sich die innenpolitischen Gegensätze entzünden, sondern ein einigendes Element.
Der Herr Kollege Schoettle hat in seiner Haushaltsrede in der vergangenen Woche sehr bedeutsame Ausführungen gemacht, als er von einem gemeinsamen government unter Beteiligung der Opposition in unserem Staate sprach. Meine politischen Freunde sind dem Kollegen Schoettle für diese Anregungen dankbar. Es ist hier nicht der Ort und jetzt nicht die Stunde, diese zukunftsträchtigen Ansätze und Möglichkeiten einer gemein-
samen Arbeit im einzelnen zu konkretisieren, sich — um mal etwas aus der Luft zu greifen — etwa darüber zu unterhalten, ob man vielleicht eine Tradition dahin entwickeln soll, daß abweichend von der üblichen Praxis in allen anderen Bundesministerien der Staatssekretär im künftigen Verteidigungsministerium auch stets das besondere Vertrauen der Opposition besitzen soll. Aber lassen Sie mich versichern, daß wir über diesen entscheidungsschweren Gesamtkomplex stets zu offener Aussprache und konkreten Vereinbarungen bereit sein werden.
Es liegt mir dabei daran, in diesem Augenblick festzustellen, daß sich gerade — Herr Kollege Eschmann — im Ausschuß für Fragen der europäischen Sicherheit abseits aller sonstigen Gegensätze in diesem Hause in dieser Kardinalfrage, dem Einbau der Streitkräfte in unseren demokratischen Staat, außerordentlich viel Gemeinsames zu erkennen gegeben hat.
Aber noch aus einer anderen Sicht heraus möchte ich die zwingende Notwendigkeit, die Streitkräfte in unseren Staat zu integrieren, ihnen jede Sonderstellung als Staat im Staate zu nehmen, hier vertiefen. Es wird heute immer noch ein Unterschied gemacht zwischen den allgemeinen staatsbürgerlichen Pflichten und der speziellen Wehrpflicht, die etwas ganz anderes sei. Nichts ist falscher als das. Würde uns heute ein totalitärer Staat mit Krieg überziehen, dann wäre dieser Krieg doch auch nicht mehr allein Sache der Wehrpflichtigen — das ist nun wirklich seit einigen 50 Jahren vorbei —, sondern er wäre eine Angelegenheit, die alle Staatsbürger trifft. Wer da glaubt, daß die Verteidigung der Freiheit unseres Volkes Sache lediglich der 12 deutschen Divisionen oder auch nur Sache lediglich der Streitkräfte, der gesamten Streitkräfte der NATO sei, der irrt sich gründlich.
Verteidigung ist Sache des ganzen Volkes; das wissen wir doch. Wenn dem aber so ist — und ich möchte den sehen, der das bestreiten will —, dann versündigt sich an der gemeinsamen Verteidigungsaufgabe jeder, der Streitkräfte und Volk zu trennen versucht, der nicht alles daransetzt, daß Volk, Staat und Streitkräfte eins, ein geschlossenes, zusammenpassendes, zusammenfühlendes Ganzes sind, erfüllt von einem gemeinsamen Lebenswillen, dann versündigt sich, wer nicht mit allen Kräften auszuschließen und zu verhindern sucht, daß diese Streitkräfte Selbstzweck mit womöglich unkontrolliertem Eigenleben in der Hand unkontrollierbarer einzelner werden.
Daraus folgt ein weiteres Grundsätzliches: auch die Verteidigung ist Sache der politischen Führung, Sache des Parlaments, der Regierung. Mannschaften, Unteroffiziere, Offiziere, Generale und auch Oberbefehlshaber, die ganze militärische Streitmacht sind ausführendes, sind dienendes Organ der Politik, und die Art und Weise, wie diese Politik gestaltet wird, hat kein Vertreter der Streitkräfte zu beeinflussen. In diesen Streitkräften sollen militärische Fachleute sitzen. Je höher sie qualifiziert sind, desto besser. Die Politik wird diese Fachleute fragen, wenn sie eine fachmännisch-militärische Antwort benötigt. Aber die politische Führung allein wird dann entscheiden, was zu tun ist, und den Streitkräften den jeweiligen Auftrag dazu geben. Diesen Auftrag dann auszuführen, das ist
Sache der Streitkräfte. In die Gestaltung der Politik einzugreifen muß den künftigen deutschen Streitkräften ein für allemal verwehrt sein.
Diese Feststellung beinhaltet keine Diskreditierung der Streitkräfte, schränkt wahrlich nicht ihre Bedeutung für Volk und Staat ein, sondern zeigt nur die zwingend notwendigen Grenzen. Wer diese Grenzen nicht anerkennt — das sei hier gleich gesagt —, für den ist in den künftigen deutschen Streitkräften kein Platz.
Ich füge allerdings hinzu, daß diese Grenzziehung zugleich auch den besten Traditionen der besten Vertreter deutschen Soldatentums in vollem Umfang entspricht, von Clausewitz über Schlieffen bis zu manchem Vertreter besten deutschen Soldatentums, der heute noch unter den Lebenden weilt.
Wenn wir uns einig sind über Größe, Bedeutung, Grundsatz und Zielsetzung dieser Aufgabe, die dem Hohen Haus innenpolitisch aus der militärischen Konsequenz der außenpolitischen Entwicklung erwächst, dann sollte es nunmehr auch nicht mehr unüberwindliche Schwierigkeiten machen, sich über die Wege zu einigen. Ich will mich jetzt nicht in tausend Einzelfagen verlieren. Aber meine politischen Freunde sind der Auffassung, daß die erste Lesung des Vertragswerks unter keinen Umständen vorübergehen durfte, ohne diese innenpolitischen Konsequenzen gründlich genug anzusprechen. Unsere Demokratie ist jung, ihre Strapazierfähigkeit ist noch nicht so erprobt, daß man sagen könnte: das hier ist eine spätere Sorge, damit werden wir spielend fertig. Wir glauben, daß gerade unsere Jugend, illusionslos und skeptisch, wie sie nun einmal ist, vor der Ratifizierung auch etwas über die Auswirkung der Verträge auf eben diese junge Generation wissen will. Auch ein einsichtiger Zwanzigjähriger — wir waren das ja früher auch nicht alle — ist nicht gerade begeistert, wenn er in Konsequenz der Verträge zum Militärdienst eingezogen wird. Aber er will nicht nur einsehen, warum dieser Wehrdienst notwendig ist — diese Einsicht, Herr Professor Baade, ist auch in der Jugend sehr weit verbreitet —, sondern er will auch wissen, was ihn in diesen Streitkräften erwartet und was innenpolitisch aus der Existenz dieser Streitkräfte für den Staat erwächst. Mit anderen Worten: die deutsche Jugend weiß, daß die Frage, ob es deutsche Streitkräfte geben muß — das ist ja gestern hier angesprochen worden —, eine politische Entscheidung ist, die dieses Hohe Haus hier, und zwar in alleiniger, ausschließlicher Verantwortung, zu treffen hat. Aber bei dem Wie wünscht sie höchstpersönlich mitzureden, und wir alle im Hause sollten sie da gründlich hören.
Da hier gerade von der Jugend die Rede ist, ein paar Sätze zum Kapitel „Ohne mich". Wir sollten sorgfältig unterscheiden zwischen denen, die den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen verweigern, und denen, die „Ohne mich!" aus Selbstsucht oder aus politischen statt Gewissensgründen rufen oder auch einfach gar nichts anderes tun, als mehr oder minder nachzuplappern, was eine gefährliche kommunistische Propaganda ihnen geschickt souffliert.
Wir sollten bedenken, meine Herren von der Opposition, daß jede Förderung der Parole „Ohne mich" beim Wehrdienst zu einem Umschlagen dieser Parole in die Parole „Ohne mich" gegenüber unserem demokratischen Staate führen kann.
Dies kann zu einer nihilistischen Haltung führen, die den Nährboden für einen neuen Totalitarismus abgibt. Allgemeine Wehrpflicht und Demokratie gehören nämlich zusammen.
„Ohne mich" und Demokratie sind zwei einander ausschließende Standpunkte.
Und noch eines. Unter dem bolschewistischen System kostet das Aussprechen des Wortes „Ohne mich" den Kopf.
Haben sich das auch die einmal überlegt, die mit der Parole „Ohne mich" in unserem Lande leichtfertig hausieren gehen?
Einige Bemerkungen nur noch zu den Wegen. Natürlich läßt sich schon sehr vieles bewirken durch eine unserer Zielsetzung entsprechende Wehrverfassung, durch parlamentarische Kontrollinstanzen — man kann ja einmal sehr gründlich nachdenken über den parlamentarischen Kontroller, den es in Schweden bei der schwedischen Wehrmacht gibt —, durch eine zweckdienliche Wehrorganisation, durch sorgfältig durchdachte Gesetze, durch kluge Militärvorschriften, Vorschriften übrigens, an deren Ausarbeitung — das sei den künftigen Vorschriftenbearbeitern der Streitkräfte jetzt schon gesagt — dies Parlament sich entscheidend beteiligen wird. Aber letzten Endes kommt doch alles darauf an, daß die richtigen Menschen mit dem richtigen Geist an den richtigen Platz gebracht werden.
Gerade im Anfangsstadium, während des ersten Aufbaus, — Herr Kollege Eschmann, das wissen wir doch — ist es das Wesentlichste, daß die Schlüsselpositionen während des Aufbaus mit geeigneten Persönlichkeiten besetzt werden, daß die Lehrer für die Lehrer, die Ausbilder für die Ausbilder mit dem richtigen Ole gesalbt sind.
Unser Kollege Blank pflegt gerne zu betonen, daß er drei Worte nicht mehr hören kann: Posten, Aufträge und Erfindungen. Es ist gut und zwingend notwendig, daß immer wieder betont wird: Niemand, auch niemand in der Dienststelle Blank, hat heute schon eine auch nur irgendwie verbindliche Zusage, daß er in den künftigen Streitkräften verwandt wird,
und niemand, keine Firma und keine Einzelperson, hat eine irgendwie verbindliche Zusage, daß er irgendeinen Rüstungsauftrag erhalten wird.
Im Zusammenhang mit der bedeutungsvollen Frage der Personalauswahl wünschen meine politischen Freunde gerade bei dieser ersten Lesung des Vertragswerks deutlich zum Ausdruck zu bringien, daß sich die Bundesregierung der Frage des
Personalausschusses für die Auswahl der Bewerber um künftige Schlüsselpositionen möglichst umgehend zuwendet. Was soll der Personalausschuß? Sagen wir zunächst einmal, was er nicht soll. Er soll erstens nicht eine Neuauflage der Entnazifizierungsausschüsse unseligen Angedenkens sein. Er soll zweitens nicht etwa entscheiden: Der Oberst Alois Huber wird Kommandeur des 2. Bayerischen Infanterieregiments und Kapitän Jürgen Jürgensen Kommodore der 1. Schleswig-Holsteinischen Schnellbootflottille. Das Vorschlagsrecht für die Besetzung derartig spezifischer Stellen hat selbstverständlich der künftige Verteidigungsminister, und die Berufung erfolgt selbstverständlich nach den gleichen Bestimmungen, wie sie für die Berufung von Beamten gelten.
Der Personalausschuß soll vielmehr zwei Aufgaben haben: erstens die Prüfung des Persönlichkeitswertes der Bewerber nach deren menschlicher und politischer Eignung für den Aufbau von Streitkräften in unserer Demokratie, und zweitens die Festlegung der Auswahlprinzipien für solche Bewerber um Verwendung in künftigen Kontingenten, deren Prüfung nicht dem Personalausschuß selbst vorbehalten ist.
Die Mitglieder des Personalausschusses sollen nach den Vorstellungen meiner Freunde in ihrer Mehrheit aus dem zivilen Bereich, zu einem Teil auch aus dem militärischen Bereich stammen. Sie sollen nicht Beauftragte, aber Vertrauensleute der politischen Parteien, der Kirchen, der Gewerkschaften, der berufsständischen Organisationen, der Jugendverbände, der Wirtschaftsgruppen usw. sein. Sie sollen selbstverständlich nicht weisungsgebunden sein. Sie sollen auch nicht Bundestagsabgeordnete sein, und auch das scheint uns selbstverständlich: Wer in dem Personalausschuß tätig ist, darf weder in den künftigen Kontingenten noch bei der bodenständigen Verteidigung noch im künftigen Verteidigungsministerium irgendwelche Verwendung finden. Ich weiß, daß die Berufung eines solchen Personalausschusses — ich wiederhole: ich weiß! — und dessen Vorschaltung vor jede Besetzung von Schlüsselpositionen auch von der Opposition gewünscht wird und dieser die Mitarbeit an der Lösung der gemeinsamen Aufgabe — so hoffe ich —, Streitkräfte sinnvoll in unseren Staat einzugliedern, erleichtern würde.
Einige weitere Detailfragen! Im Zusammenhang mit der Tatsache, daß das Vertragswerk zur Aufstellung deutscher Kontingente führt, wird immer wieder davon gesprochen, daß unsere künftigen Soldaten Staatsbürger in Uniform sein sollen. Gleichzeitig wird dabei immer wieder das „Innere Gefüge" der künftigen Wehrmacht diskutiert. Was meinen wir nun damit, wenn wir heute „Staatsbürger in Uniform" sagen? Zunächst einmal meinen wir damit Soldaten, ganz schlicht Soldaten; denn wenn das Ergebnis unserer Bemühungen um den Neuaufbau der Streitkräfte nicht darin besteht, daß am Ende der Ausbildungszeit wirklich Soldaten vorhanden sind, die effektiven Schutz gegen die Militärmaschine des Totalitarismus zu gewährleisten vermögen, dann können wir uns Opfer an Zeit, Geld und Wirtschaftsbelastung für diesen Zweck sparen. Staatsbürger in Uniform und Soldaten sind für uns also das gleiche. Staatsbürger in Uniform und Militaristen sind zwei sich ausschließende Begriffe. Staatsbürger in Uniform, das be-
sagt, daß wir für unsere künftigen Soldaten die Grundrechte der Verfassung in nahezu vollem Umfang unangetastet lassen wollen, angefangen vom aktiven und passiven Wahlrecht bis zur Koalitionsfreiheit. Staatsbürger in Uniform, das besagt, daß die Würde des Menschen auch dann in vollem Umfang geachtet bleiben soll, wenn dieser Mensch eine Rekrutenuniform trägt. Staatsbürger in Uniform, das besagt, daß der Soldat weder weniger noch mehr ist als jeder andere Staatsbürger, als Rekrut nicht weniger, als General nicht mehr als jeder Zivilist.
Man hört bei den äußerst begrüßenswerten und lebhaften Diskussionen um das „Innere Gefüge" heute gelegentlich mancherlei, was auch einmal etwas übersteigert anmutet. Aber ich möchte betonen: Tausend Übertreibungen nach dieser Seite sind uns lieber und sind auch tausendmal nützlicher, als wenn auch nur ein einziger es wagt, dem Kadavergehorsam und dem Kommiß à la Himmelstoß das Wort zu reden.
Diese Feststellung schließt das Bekenntnis zu einer guten soldatischen Tradition in Deutschland nicht aus. Wir haben uns wahrlich der Überlieferung besten preußischen, bayerischen, württembergischen oder schlesischen Soldatentums nicht zu schämen. Pflichterfüllung bis zum letzten, Opferwilligkeit und Tapferkeit sind Tugenden, die auch dadurch nicht entwertet werden, daß zwei Weltkriege verlorengegangen sind. Es gibt manches, an das wir beim Aufbau künftiger Streitkräfte nicht wieder anknüpfen möchten. Aber es gibt auch vieles in unserer soldatischen Vergangenheit, was wertvoll und zukunftsträchtig ist und was herübergenommen werden muß.
Wir stehen an einem völligen Neubeginn. Ein Teil unserer Vertragspartner hat es da schwerer. Frankreichs Armee z. B. hat eine glänzende Tradition, die sie bewußt pflegt, und ist insoweit beneidenswert. Aber alles hat zwei Seiten. Diese Tradition erschwert natürlich die Verwirklichung mancher modernen Vorstellungen, die mit dem „Staatsbürger in Uniform" zusammenhängen. Man vergleiche nur einmal die Disziplinarbefugnisse in der französischen Armee, die unter Umständen bis zum Unteroffizier gehen, mit den modernen Vorstellungen, die wir hinsichtlich der künftigen Disziplinarbefugnisse in unseren Streitkräften entwikkelt haben.
Noch eines kommt hinzu. Vor dem Hintergrund der geschichtlichen Ereignisse weiß heute jeder in Deutschland, der wieder Soldat wird, um die innere Problematik dieses Berufs. Die Zeit, in der ein Leutnantsdasein keine inneren Probleme aufwarf, ist in Deutschland endgültig vorbei. Jeder weiß heute, ,daß nicht nur der Offizier, sondern auch jeder Soldat sich mit dem Problem der Pflichtenkollision auseinanderzusetzen hat, mit dem ethischen Prinzip auf der einen Seite und mit dem absolut unverzichtbaren Gehorsamkeitsprinzip auf der anderen Seite. Den großartig schaurigen Hintergrund dazu liefert der 20. Juli 1944.
Auch mit der Frage des 20. Juli 1944 müssen wir in diesem Zusammenhang fertig werden, wenn wir die innenpolitischen Folgen aus den hier zur Debatte stehenden außenpolitischen und militärischen Verträgen meistern wollen. Da ist es gut, zu wissen, daß ein Soldat, der aus bester deutscher soldatischer
Vergangenheit in unsere lebendige Gegenwart hineingewachsen ist, das ist der Vorsitzende des Verbandes deutscher Soldaten, Admiral Hansen, diese Brücke zwischen dem ethischen und dem Gehorsamkeitsprinzip gefunden und geschlagen hat, als er sinngemäß formulierte: „Es ist nicht entscheidend, ob jemand am 20. Juli beteiligt war oder an der Front bis zum bitteren Ende seine Pflicht tat. Entscheidend ist allein, daß das Motiv seines Handelns ehrenwert war." Dort in diesem „ehrenwert" liegt die Klammer. Ich muß in diesem Zusammenhang auch auf die richtungweisenden Ausführungen unseres verehrten Herrn Bundespräsidenten anläßlich der Gedenkstunde für die Opfer des 20. Juli in Berlin hinweisen.
Meine Damen und Herren! Das Thema läßt sich heute natürlich nicht ausschöpfen.. Zu dem Kapitel Verteidigungsbeitrag, Finanzpolitik und Wirtschaftspolitik sind erste Ansätze zur Diskussion schon in der vergangenen Woche gemacht worden. Ich will das hier nicht vertiefen, sondern im Grunde nur zweierlei sagen. Erstens: Ein Staat, der völlig in Trümmern lag und dennoch in relativ wenig Jahren fertig wurde mit der Aufgabe, die Bedürfnisse von 45 Millionen Menschen auf dem freien Markt zu befriedigen, wird meines Erachtens auch damit fertig, die Bedürfnisse von Streitkräften in der Höhe von 500 000 Mann zu befriedigen.
— Herr Kollege Ritzel hat während der Haushaltsdebatte am 9. Dezember die Frage gestellt, was die Aufstellung der deutschen militärischen Verteidigungsstreitkräfte insgesamt kostet. Diese Frage ist natürlich auch für diese Debatte wesentlich. Leider kann diese Antwort keine Zahlen enthalten, Herr Ritzel. Ihnen ginge es nicht anders, wenn Sie diese Frage hier selber beantworten müßten. Wir erstellen unsere Verteidigungskräfte doch schließlich aus dem Nichts. Wir haben weder einen Markt für militärische Artikel, insbesondere für Waffen, noch präzise Programme über die Beschaffung der nötigen Einrichtungen im In- und Ausland. Es gibt auch kaum Preislisten über diese Artikel. Was die im Ausland aufgestellten Divisionen gekostet haben und kosten sollen, läßt sich auch nicht als Vergleichsgrundlage für den deutschen Fall verwenden.
Ich glaube auch nicht, daß die Kenntnis dieser Zahl für die zu treffende Entscheidung unbedingt erforderlich ist.
Der deutsche Verteidigungsaufwand wird haushaltsmäßig von diesem Hohen Hause bewilligt und von der NATO überprüft. Ohne Zustimmung dieses Hauses hier können keine höheren Summen als die von unserem Parlament bewilligten verausgabt werden.
Eine Frage an den Herrn Redner. Sie haben vorhin so ausgezeichnete Informationen auf maritimem Gebiet von sich gegeben. Ich frage: Sind Sie in der Lage, Herr Kollege, ebenso positive Angaben in bezug auf den wirklichen Kostenbetrag zu machen, der heute in der Öffentlichkeit und vor allem bei den Steuerzahlern diskutiert wird? Sind Sie in der Lage, die Behauptung zu ent-
kräften, daß die Erstausstattung der 500 000-MannArmee der Bundesrepublik mindestens ca. 60 Milliarden DM kosten wird? Ja oder nein?
— Ich frage den Herrn Redner und präzisiere meine Frage noch einmal: mindestens 60 000 Millionen DM.
Ich möchte Ihnen wie folgt antworten, Herr Kollege Ritzel. So geht es nicht. Reichen die Summen, das möchte ich sagen, die 9 Milliarden DM jährlich, die wir bewilligen, zur Durchführung unseres Aufstellungsprogramms nicht aus — das ist ja immerhin möglich —, dann muß die Beschaffung der Ausstattung etwas langsamer vor sich gehen. Wir haben jedenfalls nicht die Absicht, über diese Summe hinauszugehen und dabei die wirtschaftliche und finanzielle Ordnung aufs Spiel zu setzen.
Zwei weitere Fragen an den Herrn Redner! Erste Frage: Ist Ihnen bekannt, daß der Herr Bundesfinanzminister erklärt hat, mehr als 9 Milliarden, die in dem Haushalt eingestellt sind, würden unter keinen Umständen zur Verfügung stehen? Zweite Frage: Soll Ihre Erklärung von eben bedeuten, daß dann ein aufgestelltes Heer praktisch ohne Waffen bleiben soll, weil die erforderlichen Mittel nicht zur Verfügung stehen?
Ich will kurz antworten. Die erste Antwort heißt Ja, die zweite Antwort heißt Nein.
Ritzel (SPD): Letzte Frage!
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter Ritzel. Ich würde empfehlen, daß wir etwas ruhiger sprechen. Wenn Sie ein klein wenig von dem Mikrophon zurückträten, hallte es nicht so schrecklich; ich kann es kaum verstehen.
Eine letzte Frage. Womit wollen Sie den offensichtlichen Widerspruch zwischen Ihrem Ja und Ihrem Nein erklären?
Ich sehe wirklich keine Veranlassung, Kollege Ritzel, zu den beiden klarsten Antworten, die es auf eine Frage gibt, nämlich Ja und Nein, hier und an dieser Stelle nun noch eine ausführliche Erklärung zu geben. Präziser konnte ich nicht antworten.
In der gleichen Debatte, wenn ich fortfahren darf, anläßlich der ersten Lesung, wurde gefragt, ob die Bundesrepublik die von amerikanischer Seite — ich komme Ihnen ja noch etwas entgegen, Herr Ritzel — zugesagten schweren Waffen zum Aufbau deutscher militärischer Einheiten auch sicher erhalten werde. In die Erfüllung dieser der Bundesrepublik gegebenen Zusage kann nicht der geringste Zweifel gesetzt werden; denn das schon früher in Washington gegebene Versprechen wurde, wie ich mich informiert habe, auch in London förmlich wiederholt.
Noch etwas anderes ist notwendig. Lassen Sie mich noch ein Wort an die deutsche Gewerkschaftsbewegung richten.
Über die Notwendigkeit, die innenpolitischen Konsequenzen des Pariser Vertragswerks gemeinsam zu bewältigen, habe ich aus anderer Sicht schon mehrfach gesprochen. In diese Gemeinsamkeit — das erkläre ich betont — beziehen meine politischen Freunde die deutsche Gewerkschaftsbewegung eindeutig mit ein.
Es ist doch selbstverständlich, daß die Tatsache, daß einige Hunderttausend Arbeitnehmer für eineinhalb Jahre zum Wehrdienst eingezogen werden sollen, die deutsche Gewerkschaftsbewegung zutiefst interessieren muß. Aber es gibt auch hier fruchtversprechende Ansätze, die — das lassen Sie mich ehrlich sagen - für uns auch nicht durch Resolutionen zunichte gemacht werden, Resolutionen, die zudem oft nur flüchtig gelesen werden und oft auch falsch interpretiert sind. Ich denke in diesem Augenblick an den verstorbenen Vorsitzenden ,des DGB, Böckler, der 1949 in München sinngemäß erklärt hat, daß auch für den deutschen Arbeiter und auch für die deutsche Gewerkschaftsbewegung die Freiheit verteidigungswürdig ist und daß auch der DGB seinen Beitrag zur Verteidigung dieser Freiheit leisten muß. Ich glaube einfach nicht daran, daß sich diese Auffassung im DGB irgendwie geändert hat.
Ich möchte darum hier sagen: wenn die deutschen Gewerkschaften die Freiheit weiterhin für verteidigungswürdig halten und gleichzeitig der Überzeugung sind, daß das Ziel, die Streitkräfte organisch in unseren Staat einzufügen, in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften erreichbar sei, wenn sie glauben, daß dieses Ziel ohne Zusammenarbeit mit der deutschen Gewerkschaftsbewegung gefährdet sei, dann nimmt das ganze Hohe Haus eine solche Feststellung ernst, sehr ernst, und wartet aufnahmebereit auf konkrete Vorschläge aus den Reihen der deutschen Gewerkschaften.
Nach allem, was ich über diese notwendige Gemeinsamkeit bei der Bewältigung der vor uns liegenden Aufgabe gesagt habe, ist es nicht mehr notwendig, das sinngemäß für andere Institutionen, für Jugendorganisationen, Heimkehrer- und Kriegsopferverbände, zu wiederholen, was ich sehr bewußt an die Adresse der deutschen Gewerkschaftsbewegung gesagt habe.
Jetzt ein abschließendes Wort. Ich habe sehr bewußt und im klaren Auftrag der Fraktion bei der ersten Lesung des Pariser Vertragswerks die innenpolitischen Konsequenzen der Ratifizierung zum Kern meiner Ausführungen gemacht. Warum? Aus zwei wesentlichen Gründen. Erstens weil ich weiß, daß die gleichberechtigte Einbeziehung der Bundesrepublik in den Kreis der freien Völker, in die Verteidigungsanstrengungen der freien Welt eine Art Vertrauensvorschuß der freien Welt an das deutsche Volk darstellt. Sicher — das räume ich ein — hat man das nicht nur um unserer schönen blauen Augen willen getan. Sicher spielen für die USA, England und Frankreich sowie die anderen Vertragspartner Nützlichkeits-, Zweckmäßigkeits-
und Sicherheitserwägungen dabei eine entscheidende Rolle. Aber gleichzeitig handelt es sich bei der Zulassung eines deutschen Verteidigungsbeitrages nach den Erfahrungen von 1933 bis 1945 — das wird niemand bestreiten können — um einen Vertrauensvorschuß der freien Welt an unser Volk. Auch unsere Vertragspartner fragen sich natürlich, ob die Bundesrepublik mit der innenpolitischen Hypothek der Aufstellung von Verteidigungsstreitkräften fertig werden wird. Schon aus diesem Grunde lag meiner Fraktion daran, gleich anläßlich der ersten Lesung wenigstens in großen Zügen einiges von den Vorstellungen deutlich zu machen, mit denen wir diese Frage meistern wollen. Wir hoffen, verdeutlicht zu haben, welchen Platz die künftigen Streitkräfte in unserem Staat einnehmen, Streitkräfte, die im übrigen — da will ich gerne einen Gedanken unseres Kollegen Professor Carlo Schmid aufgreifen — nicht eine starre, stählerne graue Drohung, eine furchtbare Maschine, roboterhaft und ein ständiger Alp sein sollen, sondern Streitkräfte, die als Streitkräfte des ganzen Volkes nichts anderes sind als die Garantie dafür, daß es nicht zum Kriege kommt, weil sie im Verein mit anderen Streitkräften der verbündeten freien Welt jene Verlockung beseitigen, die die Waffenlosigkeit nun einmal für jede totalitäre und zudem militante Diktatur darstellt.
Wir reden dabei aber auch gleichzeitig nicht der Verniedlichung dieser Streitkräfte das Wort, der „schimmernden Wehr", der spielerischen Protzerei, sondern wir wollen hier durchaus neue Wege finden, die in jedem Staatsbürger das Gefühl aufkommen lassen: Das sind die notwendigen Streitkräfte zu meinem Schutz, zum Schutz meiner Familie, das ist das notwendige Instrument zur Sicherung meiner Heimat, so sauber, daß ich ihm auch meine Söhne anzuvertrauen vermag.
Und das ist das zweite, daß dem Vertrauensvorschuß unserer ausländischen Partner ein Vertrauensvorschuß unseres Volkes und auch dieses Parlaments in die gemeinsame Fähigkeit, diese Dinge innenpolitisch zu meistern, entsprechen muß.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter!
Gestatten Sie mir eine Zwischenfrage. Sie haben eben wie verschiedene Redner Ihrer Fraktion davon gesprochen, daß diese jungen Menschen ihre Heimat, ihre Mütter, ihre Familien verteidigen sollten. Ist Ihnen bekannt, daß der Oberbefehlshaber, dem diese Deutschen unterstellt sein würden, General Gruenther, mit voller Deutlichkeit gesagt hat, wozu er diese deutschen Soldaten haben möchte? Ist Ihnen bekannt, daß er gesagt hat, daß er die deutschen Soldaten als Schirm für die in Europa und in Deutschland stehenden englischen, amerikanischen und französischen Soldaten haben will?
— Jawohl, das hat er gesagt, das hat er wörtlich
gesagt. Infolgedessen handelt es sich nicht darum,
ob die deutschen Jungen von den amerikanischen,
englischen, französischen und belgischen Jungen verlangen sollen, daß sie an ihrer Stelle die deutschen Mütter und die deutsche Heimat verteidigen. Nach dieser Strategie ist nicht beabsichtigt, die deutsche Heimat zu verteidigen, sondern in Wahrheit ist beabsichtigt, 'deutsche Soldaten zu haben, um den erfolgreichen Rückzug der auf deutschem Boden stehenden ausländischen Truppen zu verteidigen.
Herr Kollege Professor Baade, ich zweifle keinen Augenblick daran, daß General Gruenther diese Äußerung in dieser Form nicht getan hat. Aber ich bin Ihnen dankbar dafür, daß Sie mir ein sehr wesentliches Argument geliefert haben. Sie räumen damit ein, daß wirklich nichts sinnvoller ist als die Tatsache, daß wir jetzt volles Mitglied in der NATO werden, deren Beschlüsse einstimmig gefaßt werden müssen und bei der wir nun auch maßgeblich unsere Ansichten über diese Dinge zum Ausdruck bringen können.
Der Herr Abgeordnete Gontrum zu einer Zwischenfrage!
Ich habe eine Frage an den Herrn Kollegen Baade. Von seiten der Opposition ist gestern gesagt worden, es sei notwendig, daß die alliierten Truppen hier auf unserem deutschen Boden seien; doch sicher deswegen, weil sie uns beschirmen. Wie erklären Sie sich deshalb, daß hier doch ein Junktim vorliegt: einer für den anderen!?
Herr Präsident, wollen Sie mir erlauben, darauf zu antworten, da die Frage an mich gerichtet ist? — Ich glaube, daß hier gar kein Widerspruch vorliegt. Solange in Ostdeutschland und Mitteldeutschland russische Truppen stehen, ist es selbstverständlich eine zusätzliche Sicherheit, daß in Westdeutschland amerikanische und englische Truppen stehen,
sei es auch nur in dem Sinne, daß damit klargemacht ist, daß ein Angriff der Roten Armee auf Westdeutschland einen Weltkrieg entfesseln würde. Diese hier stehenden Truppen haben daher in erster Linie einen symbolhaften Charakter,
ebenso wie ihn die Truppen in Berlin haben, die ja auch Berlin im Ernstfalle nicht verteidigen könnten. — Meine Herren, lachen Sie nicht darüber. Kein ernster Militär und Militärschriftsteller in der westlichen Welt zweifelt daran, daß das so ist.
— Ja, sicher, Herr Bausch, ich habe ja gesagt: solange in Mitteldeutschland russische Truppen stehen, bedeutet die Anwesenheit amerikanischer und englischer Truppen in Westdeutschland und insbesondere auch in Berlin eine zusätzliche Garantie in dem Sinne, daß ein Angriff Rußlands auf Berlin oder Westdeutschland zu einem Weltkrieg führen würde. Aber, Herr Bausch, das hat nichts mit der Tatsache zu tun, daß diese Truppen materiell nicht imstande wären, zu verhindern, daß Deutschland zweimal das Schicksal der verbrannten Erde durch-
2. Deutscher Bundestag — 62, Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 16. Dezember 1954 3197
machen müßte. Deutsche Truppen könnten nur das eine ändern, daß, während ohne deutsche Truppen ein geordneter Rückzug dieser Truppen auf die Atlantikküste aussichtslos wäre, ein erfolgreicher Rückzug erst durch die Bereitstellung deutscher Truppen ermöglicht würde.
Meine Damen und Herren, wenn wir die Debatte auflockern wollen —was ich dem Hause sehr empfehlen würde—, setzt das voraus, daß wir uns möglichst präzise fassen und daß wir uns dabei mit möglichster Ruhe der Diskussion zuwenden. Hier oben ist kaum etwas zu verstehen. Vielleicht liegt das an der Technik. Wir werden diese Technik noch zu verbessern versuchen. Aber es ist von Wichtigkeit, daß wir auch von hier oben aus noch einigermaßen dem Gang der Ereignisse zu folgen vermögen.
Ich setze das Einverständnis des Redners voraus, daß weitere Zwischenbemerkungen gemacht werden, und darf Herrn Abgeordneten Vogel bitten.
Ich möchte an den Herrn Abgeordneten Dr. Baade folgende Frage richten: Hielt er es für absolut selbstverständlich, daß amerikanische Mütter bzw. die Amerikaner ihre Söhne zur Verteidigung von Südkorea einsetzten, als die Bolschewisten über Südkorea herfielen? Und hat er es auch für selbstverständlich gehalten, daß Amerikaner diesen Schutz für Deutschland übernehmen, ohne daß sich Deutsche an der Verteidigung Deutschlands beteiligen?
Herr Abgeordneter Dr. Baade.
Herr Kollege Vogel, Sie haben mich gefragt, was ich über die berechtigten Gefühle der Eltern von amerikanischen Soldaten halte. Die Antwort auf diese Frage darf ich mit einer persönlichen Feststellung beginnen, die manchen von Ihnen vielleicht neu ist. Ich bin vielleicht der einzige Abgeordnete dieses Hauses, der einen Sohn in der amerikanischen Armee hatte. Mein Sohn hat — als Deutscher — seinen Militärdienst in den USA geleistet, und er hat während der ganzen Zeit des koreanischen Krieges jeden Tag vor der Möglichkeit gestanden, nach Korea geschickt zu werden. Gerade als Vater eines amerikanischen Soldaten habe ich die menschliche Seite dieser Verteidigungsfrage immer sehr gründlich miterlebt. Und aus diesem Erleben heraus wiederhole ich, was ich vorhin gesagt habe: Solange russische Truppen in Mitteldeutschland stehen, ist die Anwesenheit amerikanischer Truppen in Westdeutschland eine zusätzliche Garantie für unsere Sicherheit, aber keine materielle Garantie dagegen, daß Westdeutschland überrannt werden könnte.
Zurück an den Redner!
Lassen Sie mich vor meinen allerletzten Sätzen für gestern wie für heute der Opposition den Dank dafür sagen, daß sie durch
ihre zahlreichen Zwischenbemerkungen so lebhaft dazu beigetragen hat, unsere Argumentation zu untermauern.
Lassen Sie mich abschließend etwas tun, was in diesem Hohen Hause sehr ungewöhnlich ist. Lassen Sie mich statt der üblichen schwäbischen Dichter einmal einen solchen aus dem nördlichsten Norddeutschland zitieren. Das gibt es nämlich trotz des Satzes „Frisia non cantat" auch, meine Herren Schwaben! Lassen Sie mich des Husumers Theodor Storm schönes Wort zitieren: „Kein Mensch gedeihet ohne Vaterland", und damit dieser Debatte anläßlich der ersten Lesung des Pariser Vertragswerks auch jenen vaterländischen Akzent geben, der ihr wohl ansteht. Unser Vizepräsident Professor Carlo Schmid hat unserem toten Präsidenten Hermann Ehlers in seiner klassischen Gedenkrede bescheinigt, daß er sich um das Vaterland verdient gemacht habe. Wir haben alle gespürt, daß Professor Schmid damit nicht jenen Vaterlandsbegriff gemeint hat, der in der Zeit engsten nationalstaatlichen Denkens so oft mißbraucht worden ist, sondern daß sein Vaterlandsbegriff sowohl unser engeres deutsches Vaterland als aber auch ein sehr zeitgemäßes größeres Vaterland umschloß, ein Vaterland, das, so wie diese Welt sich heute aufteilt, für uns überall dort ist, wo Freiheit und Recht zu Hause sind.
Zur Verteidigung von Freiheit und Recht haben sich die am Pariser Vertragswerk beteiligten Völker zusammengefunden. Unter diesen Aspekt, der in letzter Konsequenz auch gleichzeitig der Verteidigung des Friedens dient, wünschen wir die heutige erste Lesung und speziell auch den deutschen Verteidigungsbeitrag gestellt zu sehen, und unter diesem Aspekt wünschen wir anschließend in den Einzelberatungen der Ausschüsse die heutige Auseinandersetzung um das Vertragswerk gründlich zu vertiefen.
Das Wort hat der Abgeordnete von Manteuffel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht zu dem Ob des vor uns liegenden Entwurfs des Gesetzes betreffend den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag zu sprechen — das hat mein Parteifreund Dehler getan —, sondern ich habe diese beiden Verträge in militärpolitischer und militärtechnischer Sicht zu erläutern. Ich möchte mich kurz fassen, alldieweil Herr Kollege Rasner sehr eingehend, vor allem auch über das Wie gesprochen hat, dem wir im ganzen zustimmen, und die Zeit schon vorgeschritten ist. Aber wir haben in Verbindung mit diesem Vertragswerk noch einige Wünsche, und deshalb darf ich folgendes voranstellen.
Bei der Analyse der Frage, ob ein solcher deutscher militärischer Beitrag notwendig ist oder nicht, kann doch einfach nicht vergessen werden, daß jenseits des Eisernen Vorhangs eine regelrechte Armee zumindest im Entstehen begriffen ist.
Einzelheiten brauche ich nicht zu sagen, weil Sie darüber bestens informiert sind. Meinerseits möchte ich, der ich schon seit Jahren einer besonderen Hetze jenseits des Eisernen Vorhangs ausgesetzt bin, doch sagen: es ist eine faustdicke Heuchelei, wenn sich die Sowjets und ihre Handlanger in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands über die angebliche Wiedergeburt des deutschen Militarismus in der Bundesrepublik entrüsten. Ihre eigene Zone i s t doch schon seit Jahren remilitarisiert, und zwar nicht nur in Gestalt der nunmehr im Entstehen begriffenen regelrechten militärischen Streitkräfte, die mit Panzern, Sturmgeschützen, Sturmbooten, Flugzeugen, mit Artillerie mittleren und schweren Kalibers usw. usw. ausgerüstet sind, sondern auch in Form einer halb- und vormilitärischen Ausbildung der Jugend, und zwar beiderlei Geschlechts und der verschiedensten Altersklassen, und zusätzlich der militärischen Ausbildung und Vervollkommnung der Werktätigen innerhalb der Betriebe, dies allerdings unter dem Deckmantel eines sogenannten Werkschutzes.
Das sind doch Tatsachen, die sich weder ignorieren noch wegdiskutieren oder wegdisputieren lassen,
die andererseits erklären, weshalb der Kreml in jeder Note immer wieder den Abzug der Besatzungstruppen vorschlagen kann und auch vorgeschlagen hat. Auch der letzte sowjetische Plan ist nach der Auffassung meiner politischen Freunde und nach meiner persönlichen Auffassung nicht so sehr eine Antwort auf die Pariser Vereinbarungen als eine ständige Fortentwicklung der sowjetischen Politik, mit der der freie Westen eben rechnen muß, gleichgültig ob die Bundesrepublik wiederbewaffnet wird oder nicht. In diesem Sinne unterstreiche ich alles das, was mein Parteifreund Dehler hierüber gesagt hat.
Wenn im übrigen in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands und in den Ostblockländern ganz allgemein soviel von den angeblichen Aggressionsgelüsten westdeutscher Militaristen gesprochen wird, so muß es einmal erlaubt sein, auch auf die aggressiven Tendenzen hinzuweisen, die in der Propaganda für die „Aktionseinheit", wie es drüben genannt wird, enthalten sind. Wenn also seitens des Kremls immer wieder auf den Abzug der Besatzungstruppen hingewiesen wird mit der Betonung, der Abzug dieser Truppen würde günstige Voraussetzungen für die Annäherung zwischen Ost- und Westdeutschland und damit für die Wiedervereinigung schaffen, so käme es doch wesentlich auf die Methoden an, mit denen sich die von Herrn Ulbricht angestrebte „Aktionseinheit", wie er es nennt, durchzusetzen versucht. Selbst wenn man dem sowjetischen Vorschlag entsprechend das Stärkeverhältnis der Polizeikräfte in West- und Ostdeutschland auch nur annähernd aufeinander abstimmte — die genauen Zahlen von drüben werden wir ja niemals erfahren —, könnten doch immerhin bürgerkriegsähnliche Zustände entstehen. Es läßt sich nicht unschwer voraussehen, daß sich alsdann diejenige Besatzungsmacht, deren Schützlinge am Unterliegen wären, entschließen könnte, erneut in die deutsche Zone einzumarschieren. Erst wenn diese sowjetische Deutschlandpolitik durch ein Abrücken von allen solchen an bürgerkriegsähnliche Zustände anklingenden Parolen der SED deutlich macht, daß es ihr ernstlich und wahrhaft daran gelegen ist, die einzelnen Phasen einer deutschen Wiedervereinigung nicht durch tumultuöse Zwischenfälle stören zu lassen, dann kann sich unsere Beurteilung ändern. Es genügt eben nicht, was auch gestern in der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers zum Ausdruck gekommen ist, wenn von seiten des Kremls nur die Bereitschaft etwa angedeutet wird. Worte genügen nicht; wir wollen endlich Taten sehen.
In diesem Sinne, glauben wir, können die deutschen Divisionen mithelfen, einen möglichen Angreifer davon zu überzeugen, daß sich ein Angriff auf das Staatsgebiet der Bundesrepublik nicht mehr lohnt, wobei ich hervorheben möchte, daß auch für uns die Pariser Verträge und damit die militärische Aufrüstung der Bundesrepublik keinen Selbstzweck darstellen; denn das letzte Ziel kann und darf nach meiner persönlichen Überzeugung und der meiner politischen Freunde nicht die militärische Stärke sein. Alle westlichen Verteidigungsanstrengungen bilden bekanntlich nur einen Teil eines kontinuierlichen Vorganges und nur ein Mittel zum Zweck. Dieser Vorgang ist das ständige Bemühen, ein Gleichgewicht der Kräfte mit den kommunistischen Mächten herzustellen. Im übrigen ist es eine der bleibenden Lehren der Geschichte, daß jedes Volk verloren ist, das nicht mehr für seine Freiheit kämpft.
Wir begrüßen es daher, daß in der Westeuropäischen Union die automatische Beistandspflicht übernommen worden ist. Es erscheint uns völlig selbstverständlich, daß wir neben diesem Recht auch die Verpflichtung übernehmen müssen, die uns aus der Verbundenheit mit den anderen Vertragspartnern gemäß der Vorschrift des Art. V der vorgesehen en Beistandsverpflichtung erwächst.
Steht also für uns der bewaffnete Friede obenan, so müssen wir aber an idle Vertragspartner eine Frage richten, die nach der Auffassung meiner politischen Freunde und nach meiner Auffassung das zentrale Problem des deutschen militärischen Beitrages und der damit verbundenen ganz außerordentlichen Opfer betrifft, die das deutsche Volk zweifellos zu tragen haben wird. Das ist die Frage, ob und inwieweit durch den deutschen Beitrag der deutsche Raum und damit die darin wohnenden deutschen Menschen ausreichend geschützt sind, wenn es trotz aller Bemühungen um die Erhaltung des Friedens, von denen wir gestern gehört haben, nun doch zu einem heißen Krieg kommt, weil eben Deutschland im Hinblick auf seine Lage zwischen Ost und West zum Operationsgebiet wird. Vielleicht wird manchen der Damen und Herren die Frage schon heute zu stellen zu früh erscheinen. Ich bin aber der Auffassung, daß sich jede weitsichtige und ihrer Verantwortung bewußte politische und militärische Führung vorbeugend auf Maßnahmen einstellen muß, die die Beantwortung dieser Frage beinhaltet und die unsere deutschen Lebensinteressen fundamental berühren; denn wir wollen j a auch im Falle eines möglichen Angriffs überleben. Deshalb genügt nach unserer Auffassung die Begründung, die für die politische Funktion der deutschen Streitkräfte gegeben ist, allein nicht, und die Problematik in ihren Auswirkungen sollte meines Erachtens schon einmal aufgezeigt werden. Sie steht mit der Zustimmung zum deutschen Beitrag durchaus in ursächlichem Zusammen-
hang. Das heißt, unser Beitritt zur Atlantischen Gemeinschaft bedeutet — das muß ohne weiteres zugegeben werden — für uns nun einmal mehr als etwa nur eine strategische Hilfe mit zwölf Divisionen für den Westen oder für die NATO. Sie schließt das Verlangen nach Schutz des deutschen Raumes und der darin wohnenden deutschen Menschen zugleich ein.
Natürlich werden uns die militärischen Befehlshaber nicht sagen können — nicht nur, weil sie es nicht sagen dürfen, sondern aus anderen Gründen —, wie die Verteidigung des deutschen Raumes gedacht ist. Sie können uns ihre strategische Konzeption nicht ansagen; das verlangt doch wohl auch kein Mensch in diesem Hause. Aber auf diese Planung und die Durchführung der Verteidigung haben wir künftig auch Einfluß, wie das eben der Herr Kollege Rasner ausführlich geschildert hat, da wir nunmehr gleichberechtigt in allen Gremien vertreten sind, die über Einsatz und Verwendung deutscher Truppen zu verfügen haben werden, mit Ausnahme allerdings vorläufig noch der Standing Group, also des Ständigen Ausschusses. Es sei daran erinnert, daß im übrigen die Befehlshaber ihre Weisungen von den Politikern erhalten — auch dies erkenne ich restlos und bedingungslos an; nicht nur innerhalb der deutschen Streitkräfte, wie es der Kollege Rasner eben ausgeführt hat —, also in diesem Fall vom Ministerrat der Westeuropäischen Union bzw. vom Rat der Nordatlantikpakt-Organisation, in der wir ja gleichberechtigt vertreten sind. An sie wenden wir uns durch die Bundesregierung, indem wir die Bundesregierung bitten, zu prüfen, ob und inwieweit sich die bisherigen strategischen Pläne nach Einbeziehung der deutschen Streitkräfte umgestalten lassen mit dem Ziel, die politische Garantie zu erhalten, daß wir an unserer östlichen Grenze verteidigt werden.
Die Erfüllung dieser unserer Bitte — eine vielleicht für manche Damen und Herren etwas weitgehende Forderung, und vielleicht sieht es auch der Herr Bundeskanzler so an — ist nicht nur aus psychologischen Gründen — aber das ist für mich das Vordringliche — notwendig, sondern als Folge dieses Krieges und in Anbetracht der Grenzlage als Anrainer mit einem möglichen Angriff auf einen der Vertragspartner oder Teile des ganzen Vertrages. Deshalb müssen wir, wenn wir uns für die Wiederbewaffnung entscheiden, alles daransetzen, die Verteidigung am Eisernen Vorhang wirksam werden zu lassen.
Bei der Überlegung und Beantwortung dieser Frage sollten wir auch dazu kommen, unser Wehrsystem zu überdenken mit dem Bestreben, bei geringstem personellem und materiellem Aufwand den größten militärischen Nutzeffekt in Richtung auf dieses Ziel zu erreichen. Dies wiederum läßt uns die Frage prüfen, ob wir eventuell von dem Recht des Art. 1 Abs. 3 im Protokoll Nr. II Gebrauch machen wollen, der da heißt:
Die Festlegung dieser Höchststärken verpflichtet keinen der Hohen Vertragschließenden Teile, Streitkräfte dieser Stärke aufzustellen ... , beläßt ihnen aber das Recht, dies zu tun, wenn es erforderlich ist.
Innerhalb der Bundesrepublik sind die Anstrengungen der Bundesregierung, die Bundesrepublik
in das System auch der militärischen Verteidigung einzugliedern, in der Vergangenheit bekämpft worden, weil die Bundesrepublik nicht in den Gremien vertreten war, die über Einsatz und Verwendung der Truppe — das ist für uns das Entscheidende — zu verfügen hatten. Wir begrüßen es daher, daß dieser ausgesprochene Mißstand nunmehr behoben worden ist. Es ist den Bemühungen des Herrn Bundeskanzlers gelungen, Verständnis und Einsicht bei allen Vertragspartnern dafür zu erhalten, daß sie alle über die vertrauensvolle Partnerschaft in Gleichberechtigung in die Mitverantwortung für die Verteidigung der freien Welt hineinwachsen, die zu tragen wir uns ja ausdrücklich bereit erklärt haben.
In diesem Sinne auch haben meine Freunde und ich die freiwilligen Selbstbeschränkungen militärischer Art gutgeheißen, ,die durchaus den geographischen, den wirtschaftlichen und strategischen Besonderheiten unserer Lage Rechnung tragen. Auch in bezug auf die ABC-Waffen sehen wir keine Diffamierung der Bundesrepublik, wenn die noch zu erwartenden Begriffsbestimmungen gleichfalls im Geist des Abkommens die zivile Forschung und Produktion nicht behindern. Die Aufgabenverteilung, die sich hieraus zwangsläufig ergibt, ist nicht nur aus Gründen der Kostspieligkeit des gesamten Militärapparats — ich darf es mal so bezeichnen — zweckmäßig, sondern ist zugleich eine europäische Arbeits- und Aufgabenteilung und damit zugleich auch ein Beitrag zur weiteren wirtschaftlichen Integration Europas. Ich glaube sogar, auch so weit darf man folgen, wenn ich sage: der Verzicht auf eine maximale Rüstungsanstrengung, d. h. auf eine höhere Rüstungsstärke, als sie unserer strategischen Lage gemäß wäre, und die Einwilligung in sehr einschneidende Rüstungsbeschränkungen bilden jedenfalls nach Auffassung meiner politischen Freunde und auch nach meiner Auffassung durchaus geeignete Ansatzpunkte für Sicherheitsabsprachen zwischen West und Ost zu gegebener Zeit.
Wir wünschen bezüglich der weiteren Verhandlungen, die am 17. Januar in Paris beginnen sollen, daß die Rüstungsgemeinschaft international bleibt und nicht supranational; denn damit ist sie abhängig von den Entscheidungen der Regierungen, und wir haben darauf dann einen Einfluß. Das ist gut so und sollte so bleiben, weil auch wir meinen — damit befinden wir uns mit jeder Dame und mit jedem Herrn in diesem Hause in Übereinstimmung —, daß die Wiederaufrüstung ohne wirtschaftliche Störungen, ohne Einschränkung der für die soziale Marktwirtschaft gültigen Verfahrensregeln sowie ohne Abstriche von dem insgesamt erreichten Lebensstandard, d. h. im Einklang mit der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungskraft der Bundesrepublik oder, darf ich so sagen, schrittweise und sehr behutsam erfolgen sollte.
Wir erwarten, daß das Protokoll Nr. IV und die Entschließung über Rüstungsproduktion und -standardisierung gehandhabt wird. wie es in Art. 11 des Protokolls Nr. IV heißt — der Ausdruck kommt dort wörtlich in der deutschen Übersetzung vor —, im Geiste harmonischer Zusammenarbeit". Hierzu sind bekanntlich noch Festsetzungen innerhalb der Westeuropäischen Union zu erwarten, weil die Experten der vertragschließenden Parteien am 17. Januar in Paris zusammentreten. Wir haben die Bitte an die Bundesregierung, den deutschen Unterhändlern Weisungen zu erteilen, daß in die quasi
Durchführungsbestimmungen nicht diffamierende Vorschriften aufgenommen werden; denn unsere endgültige Zustimmung werden wir hiervon abhängig machen müssen.
Diese meine Bemerkung bezieht sich auf die Rüstungsagentur und zum anderen auf die Ausstattung des deutschen Kontingents mit Waffen, Ausrüstung usw. Der Art. 1 Abs. 2 des Protokolls Nr. II sagt:
Die Anzahl der genannten Verbände kann, um den Bedürfnissen von NATO zu entsprechen, soweit dies erforderlich ist, auf den neuesten Stand gebracht werden.
Wir verstehen darunter, daß man den Umfang und die Aufgabe voll in Rechnung stellt, denen wir uns hier als Deutsche in unserer besonders gefährdeten Lage gegenübersehen. Wir sind der Auffassung, daß eine eingehende fachliche Prüfung vor der Anschaffung von Waffen, Gerät und Ausrüstung im Ausland dringend erforderlich ist und daß eine Entscheidung darüber, welche Waffen usw. beschafft werden, nicht allein im Amt Blank gefällt werden kann. Der Bundestag sollte und muß nach meiner Auffassung Wert darauf legen, vor irgendwelchen Abmachungen unterrichtet zu werden; denn letzten Endes ist die Frage, was mit unserem Geld an Waffen, Ausrüstung usw. gekauft wird, eine wirtschaftliche Frage.
Die Frage ist deshalb von großer Bedeutung — ich brauche nur einen Satz darauf zu verschwenden —, weil dabei folgendes zu berücksichtigen ist: Stellt sich nämlich heraus, daß die Erstausstattung der Truppe veraltet ist — und man hat manchmal den Eindruck, daß man uns da vielleicht aus einer alten Mottenkiste ein paar alte Roller andrehen will —,
dann müssen wir bald wieder neue Anschaffungen machen, die erneut Milliarden erfordern. Das will die Bundesregierung vermeiden, und das müssen auch wir vermeiden.
— Nein, die haben die anderen auch nicht; die laufen alle vorwärts, aber diese Roller sind vielleicht noch nicht dem neuesten Stand angepaßt. Aber natürlich müssen sie alle einen Rückwärtsgang haben. — Der Deutsche Bundestag hat ein Anrecht darauf, zu erfahren, was gekauft wird, und hat ein Anrecht darauf, diese Ausstattung kennenzulernen.
Wir bitten die Bundesregierung ferner bezüglich des Protokolls III über die Rüstungskontrolle, sich jedem Versuch zu widersetzen, hier etwa politische Wünsche einzubauen, die weder dem Wortlaut der Bestimmungen des Vertrages, ich wiederhole: dem Geist harmonischer Zusammenarbeit, noch aber auch dem Geist des ganzen Vertragswerks entsprechen würden, die aber — und das scheint mir das Schlimmste zu sein — in der Auswirkung die Wirksamkeit der NATO beeinträchtigen würden. Hierbei sollte man in Rechnung stellen, daß wir uns mit dem Verzicht auf eine höhere Rüstungsstärke und der Einwilligung in einschneidende Rüstungsbeschränkungen aus freien Stücken einverstanden erklärt haben.
Aber man hört gerade in den letzten Tagen von jenseits unserer Grenze wieder von weitergehenden Kontrollen, und dies beinhaltet, wie gesagt, ein sehr zentrales Problem, und zwar das der Rüstungsagentur, das über den Standort der künftigen europäischen Rüstungsgebiete in strategisch exponierten Gebieten entscheiden soll. Es kann, jedenfalls nach unserer Auffassung, nicht in Frage kommen, daß die vorgeschlagene Rüstungsagentur das Problem der Rüstungskontrolle jetzt etwa auf eine andere Ebene verschiebt und daß hierzu auf bestimmte Mittel und Verfahren des alten EVG-Vertrags zurückgegriffen wird. Neue Rüstungsstätten und Kapazitätserweiterungen sollen nämlich an die Genehmigung der Rüstungsagentur gebunden sein. Derartige Bestimmungen würden sich dann in allererster Linie und nahezu ausschließlich gegen den deutschen Rüstungsaufbau richten, da die anderen Länder bekanntlich über ihre planmäßig in zehn Jahren aufgebauten großen Rüstungskapazitäten verfügen, sie also von der Genehmigungspflicht entbunden wären. Diese Rüstungsagentur soll sogar die Auslandshilfe und die Off-shore-Aufträge in ihre Kontrolle mit einbeziehen und in die Verteilung eingreifen. Es wäre bei der Schwere der Aufgabe, die wir zu leisten haben, kaum zu verantworten, wenn wir uns etwa zum Nachteil der künftigen Streitkräfte vor Abschluß jeder Vereinbarung freiwillig in diese einseitige Abhängigkeit begäben. Auch in dieser Richtung sollte man den Bundestag unterrichten, und wenn das vor dem Plenum nicht möglich ist, haben wir die Bitte, den betreffenden Ausschuß darüber zu unterrichten.
Wir bitten die Bundesregierung ferner, dafür Sorge tragen zu wollen, daß unsere wissenschaftliche Forschung und Entwicklung in Gang gesetzt wird und Deutschland in dieser Beziehung nicht durch politische Forderungen beim Rüstungsamt oder bei der Rüstungsagentur eingeengt wird.
Denn Deutschland muß auf alle Fälle darauf bestehen, daß ihm in dieser Hinsicht über die gemachten durchaus freiwilligen Zugeständnisse hinaus keine neuen Beschränkungen auferlegt werden. Wenn nämlich Deutschland seine Wehrkraft zur Verteidigung des Westens beisteuern soll, ist zu bedenken, daß heute die technische Rüstung und Kampfmittel aller Art mehr denn je ein integrierender Bestandteil der Wehrkraft sind. Ich sage eigentlich immer, daß diese Wehrkraft dadurch überhaupt erst atmet: Diese technische Rüstung bestimmt wesentlich die Wirksamkeit und den Kampfwert der Streitkräfte. Seit dem ersten Weltkrieg und im besonderen nach dem zweiten Weltkrieg besteht im Frieden und im Krieg ein stiller Wettlauf aller souveränen Staaten um waffentechnische Fortschritte, und wer sich da ausschließt, wird hoffnungslos überrundet. Während der Einsatz an Kampfmitteln und Produktionskräften im Kriegspotential der Staaten eine natürliche Grenze findet, liegen in der Entwicklung und Weiterentwicklung der Waffen immerhin gewisse Steigerungsmöglichkeiten auch innerhalb der Höchststärke und der von uns angenommenen freiwilligen Beschränkungen. Die Kraftquelle hierfür bilden die geistige Kapazität und die ingeniöse Fähigkeit der Forscher, Ingenieure und Techniker. Deutschland verfügt über bedeutende Kapazitäten dieser Art. Soweit sie in Deutschland leben, haben sie seit zehn Jahren brachgelegen. Andere sind mit sehr verschiedenem Nutzeffekt im Aus-
land verstreut tätig, und nur weniges von ihrer Leistung wird Deutschland unmittelbar zugute kommen. Allein die Verantwortung gegenüber den kämpfenden Streitkräften, behaupte ich, und die Pflicht, ihnen die besten, die wirksamsten Waffen zu geben, die zur Zeit bei Ausschöpfung aller Möglichkeiten innerhalb der Begrenzung, der wir uns unterworfen haben, beigebracht werden können, zwingen dazu, auch in Deutschland die Möglichkeiten auszunutzen. Denn die östlichen Staaten sind dem Westen zu Lande — das ist unbestritten — und auch in der Luft teilweise zahlenmäßig überlegen. In der Qualität der Bewaffnung sind sie nach meiner Auffassung hoch einzuschätzende Gegner, und es wird größter Anstrengung bedürfen, ihnen Gleichartiges oder sogar Besseres auf dem Waffensektor entgegenzusetzen.
Lassen Sie mich, vielleicht als einen, der davon auch etwas versteht, folgendes sagen. Den integrierten Nachschub, von dem gestern auch der Herr Bundeskanzler gesprochen hat, halten wir im großen Rahmen für sehr, sehr zweckmäßig, da die Verbände der NATO und damit auch die deutschen Streitkräfte eben durch diese „Infra-Struktur" atmen. Die Abhängigkeit von diesem Nachschub ergibt sich aus dem gemeinsamen Wollen auch auf militärischem Gebiet. Darin ist in keiner Weise eine Diffamierung Deutschlands zu sehen. Es ist begründet in der militärisch außerordentlich schweren Lage, in der sich die Bundesrepublik im Falle eines Angriffs befindet, daß wir dankbar die Regelung des Art. 5 des Protokolls Nr. II über die Streitkräfte der Westeuropäischen Union begrüßen, der da besagt, daß Stärke und Bewaffnung der Streitkräfte für die bodenständige Verteidigung und der Polizeikräfte unter Berücksichtigung der 1 eigentlichen Aufgaben innerhalb der Organisation der Westeuropäischen Union festgelegt werden. Keiner der Vertragspartner, der sich einen Begriff von der außerordentlichen Schwere der Aufgabe machen kann und machen will, wird sich, so hoffe ich, unseren berechtigten Wünschen in dieser Richtung verschließen.
Die Frage heute hier anzuschneiden, erscheint mir nur deshalb von einiger Bedeutung, weil, wenn es nach Prüfung aller Umstände vom Bundestag, d. h. von Ihnen, anerkannt werden sollte, die Möglichkeit gegeben ist, vielleicht einen höheren Prozentsatz der Wehrausgaben für die Vorbereitungen, sage ich ausdrücklich, der bodenständigen Verteidigung einzusetzen. Denn es erscheint mir als ein Unding, daß der Herr Bundesinnenminister sich heute noch mit sehr bescheidenen Mitteln begnügen muß — von Auskommen ist gar keine Rede —, um auch nur über die kleinsten und ersten Anfänge in dieser Richtung hinauszukommen.
Erlauben Sie mir eine persönliche Bemerkung. Es ist eine ganz böse Unterstellung, weil es unwahrhaftig und eine ganz gemeine Lüge ist, wenn man mir nachsagt, ich wollte mit der Aufstellung von bodenständigen Heimatkräften bei den oder neben den Streitkräften etwa eine zweite Armee aufstellen und ,diese dann etwa in Form einer Miliz als Verteidigungskräfte ausheben. Wer mich kennt, wird mir das glauben. Bei den anderen Damen und Herren bitte ich um dieses Vertrauen. Ich bin aber auch in diesem Falle der Auffassung, daß eine weitsichtige und sich ihrer Verantwortung bewußte politische Führung — und wir dürfen uns freuen, eine solche zu haben — sich vorbeugend hierauf einstellen und sich hierüber ihre Gedanken machen
muß. In England und Amerika ist unter großen personellen und materiellen Opfern die Aufstellung solcher bodenständiger Verteidigungskräfte vorbereitet bzw. durchgeführt worden, obwohl diese Länder, wie bekannt, doch nicht annähernd so gefährdet sind wie das Gebiet der Bundesrepublik. Ich meine, die Realitäten zwingen einfach die Bundesrepublik — unabhängig davon, ob eine solche Frage auch in der Vorbereitung für die Öffentlichkeit populär oder unpopulär ist —, sich damit zu befassen und sie vorbeugend in dieser oder in jener Form in Angriff zu nehmen.
Für diesen Zweck können nämlich im Hinblick auf die Knappheit regulärer Streitkräfte diese gar nicht oder nur in sehr begrenztem Umfang eingesetzt werden.
Wenn man diesem Gedankengang folgen will, sind bei 'den Vorbereitungen in dieser Hinsicht nicht nur die Geldmittel von Bedeutung, die man dann entsprechend einteilen müßte und die ja bisher ausschließlich für die Streitkräfte vorgesehen sind. Diesen Eindruck habe ich nach dem, was ich im Sicherheitsausschuß höre, und noch viel mehr aus dem, was ich in der Presse lese, was da vorgesehen ist. Hier spielt ja auch unser Wehrsystem eine wesentliche Rolle. Deshalb muß die Frage heute von dieser verantwortlichen Stelle angeschnitten werden; denn es kann nicht damit abgetan werden, daß das nicht in Frage kommt. Wir sind dem deutschen Volke auch dafür verantwortlich, daß der deutsche Verteidigungsbeitrag, der unter so großen Opfern vom gesamten deutschen Volk erbracht wird, auch in der militärisch wirksamsten Form erfolgt
und durch eine Wehrverfassung die Gewähr gegeben wird, daß Fehlentwicklungen ausgeschaltet werden. Wir — die Freie Demokratische Partei — sind bereit, wie bisher hieran tatkräftig mitzuarbeiten.
Erlauben Sie mir noch ein Wort, ehe ich zum Schluß komme. Ich möchte gerne noch unsere Freunde im Inland und im Ausland versuchen zu überzeugen und, wo immer sich heute noch Mißtrauen gegenüber dem deutschen Militarismus aufbäumt, insofern vielleicht zu beruhigen: Nach den vorliegenden Verträgen wird es keine deutsche Nationalarmee — wie mein Kollege Herr Rasner sagte — klassischer Prägung oder früherer Zeit geben. Das Kennzeichen jeder Nationalarmee war doch u. a., daß die strategischen Pläne ebenso geheim waren wie alle Vorbereitungen organisatorischer Art, Bewaffnung, Ausrüstung, die Entwicklung neuer Kampfmittel usw. Ja, sie blieben oft sogar den Verbündeten jenseits der Grenzen gegenüber geheim.
Derartige Nationalarmeen in der Auffassung des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben nach meiner Auffassung ihre Gültigkeit völlig verloren. Sie sind im europäischen Denken überfällig geworden — glücklicherweise — und außerdem militärisch völlig wirkungslos; denn ein nationales Kontingent dieser Art ist allein nicht mehr lebensfähig.
Nach dem uns vorliegenden Vertragswerk werden doch nun die strategischen Vorhaben und Pläne wie alle militärisch-politischen Planungen
entsprechend der gemeinsam beschlossenen Außenpolitik in Durchführung dieser Außenpolitik der vertragschließenden Parteien von dem gemeinsamen Oberkommando bearbeitet, und die Pläne usw. sind selbstredend allen Vertragspartnern zugänglich. Das trifft ebenso — wenn wir den Wortlaut richtig verstehen — auf die Rüstung und Entwicklung dieser Koalitionsarmee zu, die nicht nur gemeinsam erfolgen, sondern sogar koordiniert werden, weil sich dies einfach aus der Gemeinsamkeit des militärischen Wollens ergibt. Es findet seine starke Stütze in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit der europäischen Völkergemeinschaft, die ja doch schon glücklicherweise über ihre ersten Ansätze hinausgekommen ist.
Das Gespenst also, das gesehen wird, und die Befürchtung, daß die militärische Führung eine eigenständige Politik treiben könnte — wie das nach dem ersten Weltkrieg allerdings der Fall war; wir alle haben es noch in frischer Erinnerung —, sind unwahr. Der Bundestag hat es ja in der Hand, dem entgegenzutreten.
Ich schneide diese Frage heute deshalb an — nur kurz, meine Damen und Herren —, weil es mir dringend erforderlich erscheint, daß wir die Bundesregierung bitten, uns nicht mehr mit den vielerlei Erörterungen über das Wie der Streitkräfte zu füttern, sondern dem Bundestag nunmehr bald zu sagen, wie der oft genannte Personalausschuß für die Auswahl der militärischen Führer wirksam werden soll.
Diese Frage hängt ursächlich damit zusammen — und mein Kollege Rasner hat es auch schon deutlich gemacht; ich darf es noch unterstreichen —, wie die parlamentarische Kontrolle über diese Streitkräfte erfolgen soll,
um eben zu erreichen, daß diese Militärmacht nicht wieder ein Staat im Staate, sondern ein Ordnungselement im Staate wird,
und um ebenso zu erreichen, daß die Gesetze, die dann der Deutsche Bundestag — nämlich Sie hier — für diese Streitkräfte geschaffen hat, auch tatsächlich durchgeführt werden. Ich meine, die allerletzten Ereignisse sollten doch auch die letzten im Inland und im Ausland bekehrt haben, die immer noch glauben, eine flotte Marschmusik könnte die Jugend veranlassen, in die Kaserne zu eilen.
Nun erlauben Sie mir nur noch ein Wort. Verehrter Herr Kollege Ollenhauer, ich habe gestern, als Sie von den „idiotischen Methoden" sprachen, einen kleinen Schüttelfrost bekommen; aber ich konnte mich beruhigen, weil ich glaube, daß Sie vielleicht vergessen haben, eine kleine Einschränkung in dieser Beziehung zu machen. Zweifellos ist die Anwendung solcher idiotischer Methoden vorgekommen. Aber da Kollege Ollenhauer keine Einschränkung machte, darf ich dazu doch folgendes mal sagen, um mich als ehemaliger Berufssoldat jedenfalls nur etwas zu wehren. In keiner der Armeen des letzten Krieges, behaupte ich, war der Abstand von Offizier und Mann so gering wie in der deutschen Armee.
Die Exklusivität der Offiziere der Roten Armee war — und ist erst recht heute — um ein Vielfaches ausgeprägter als in der vielgelästerten deutschen Armee. Die Verbundenheit von Offizier und Mann war überhaupt eine der Ursachen für die Kraft zum Durchhalten selbst zu einem Zeitpunkt, zu dem eingroßer Teil der Offiziere, Unteroffiziere und Männer innerlich die Sache schon für verloren ansahen, soweit sie glaubten, die Lage übersehen zu können. Ich meine, wir sollten doch geistig so weit gekommen sein, um uns gegenseitig nicht mehr vorzuflunkern, die Widerstandskraft der deutschen Soldaten im letzten Kriege sei nur dadurch zu erklären, daß hinter jedem Gefreiten ein Gestapo-Beamter als Aufpasser gestanden hätte.
Gerade diese — ich glaube, den Ausdruck habe ich richtig verstanden — „idiotischen Methoden" auszuschalten ist unser aller Bemühen, und auch ich und meine politischen Freunde werden uns dieser Aufgabe unter gar keinen Umständen versagen.
Wir sind allerdings der Auffassung, daß die Lösung der Frage des Personalausschusses und der parlamentarischen Kontrolle nicht aus dem Geist der arithmetischen Berechnung oder etwa nach einem Rechenexempel nach dem Muster des seligen Herrn d'Hondt erfolgen sollte. Selbstredend wird hierüber erst zu beschließen sein, wenn und sobald die politischen Voraussetzungen geschaffen sein werden.
Die Arbeitsweise des Bundestagsausschusses für Sicherheit läßt aber einige Zweifel aufkommen, ob diese Fragen ohne Übereilung und ohne Überstürzung vorausschauend bearbeitet werden, wobei es nach meiner Auffassung jedoch darauf ankommt, daß sich in offener Aussprache und freimütiger Diskussion das Beste und Zweckmäßigste herausschält. Ich persönlich — ich spreche jetzt hier im Augenblick nicht für meine Fraktion, sondern als Mitglied des Ausschusses — habe keinen Zweifel an dem guten Willen derjenigen, die im Auftrage der Bundesregierung mit dem Ausschuß hierüber diskutieren wollen und es tun. Doch kann ich mich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, daß Kräfte am Werke sind, die den Ausschuß vor Beschlüsse in dieser Richtung stellen wollen, die noch nicht herangereift sind. Wir haben dies anläßlich der Interpretation des Grundgesetzes über die Wehrhoheit Ende Februar erlebt. So steht noch heute beispielsweise die Frage des Oberbefehls auf der Tagesordnung des Ausschusses — schon seit dem 1. März! —, und es ist überhaupt nicht einzusehen, weshalb man hierüber nicht diskutiert.
Man muß es jetzt aber tun. Denn die zuletzt angeschnittene Frage berührt auch die Frage des Notstandsrechtes, das nach dem vorliegenden Vertragswerk in das Grundgesetz eingebaut werden und einen Verzicht der Besatzungsmächte auf ihre jetzigen Notstandsbefugnisse ermöglichen soll. Dies ist eine Frage von allerhöchster politischer Bedeutung — das ist bei allen Rednern vor mir auch angeklungen —, die nach Auffassung meiner politischen Freunde eine Neuregelung des Notstandsrechtes durch eine Änderung des Grundgesetzes erforderlich macht. Wir sind auch in diesem Falle nicht der Auffassung, daß man diese Frage den Eventualitäten einer Notwehrsituation überlassen sollte. Einzelheiten führen heute zu weit. Aber ich darf darauf hinweisen, daß innerhalb dieses gesamten Fragenkomplexes die Frage des Bundesver-
teidigungsrates ebenso zur Diskussion ansteht wie die Frage, die mein Kollege Rasner angeschnitten hat, nämlich die Frage der Spitzengliederung des Amtes Blank, wenn und sobald es mal Verteidigungsministerium wird.
Die letzten Ereignisse in der Bundesrepublik, die ich in ihrem Tatbestand nicht überschätze, sollten uns aber doch Lehre sein, die Lösung dieser Fragen nicht zu unterschätzen, die ein Anliegen des gesamten deutschen Volkes in seiner ganzen Breite sind. Sie sind deshalb außerhalb jeder Parteipolitik zu lösen und haben nur nach staatspolitischen Gesichtspunkten die eigenen Verteidigungsanstrengungen wirksam zu gestalten. Diese Probleme müssen — und ich glaube, davon sind alle überzeugt — von Regierung und Opposition gemeinsam gelöst werden. Wir werden das in jedem Fall unterstützen. Ich bitte aber zu bedenken, daß sich die Erörterungen nicht auf Teilausschnitte beschränken sollten, womit man bisher den Bundestagsausschuß beschäftigen zu können glaubte, vielmehr ist der gesamte Fragenkomplex zu überdenken, der ja doch voller Problematik steckt, aber für jeden Deutschen echte Grundsatzentscheidungen beinhaltet. Denn die Reform des Wehrwesens und die gesamte Wehrverfassung sind nach unserer Auffassung eine Frage unserer demokratischen Mitverantwortung, ebenso eine Frage unserer staatsbürgerlichen Disziplin und nicht zuletzt eine Frage der Wahrhaftigkeit unseres Freiheitswillens, des Willens zu einer Freiheit, wie wir sie westlich verstanden wissen wollen und wie wir sie westlich entwickelt haben und deren wir uns in der Rechtsstaatlichkeit hier erfreuen dürfen.
— Das „Rühren" paßt hier nicht; da müßte man
dann schon statt „Rühren" sagen: „Weitermachen".
Einzelheiten erübrigen sich auch heute; aber der Hinweis ist am Ende notwendig, daß uns die Vergangenheit Lehre und Warnung zugleich sein sollte, die gesamten angeschnittenen Fragen, innenpolitischen Fragen, wie Herr Rasner sagte und wie es ja auch ist, etwa schleppend zu behandeln. Denn wir müssen uns als Politiker ja fragen: Was kommt danach? Wir müssen die Fragen, ohne daß ich das heute wirklich vertiefen will, diskutieren. Ich sage nur: diskutieren, weil ja heute und morgen noch keine Beschlüsse gefaßt werden sollen. Aber diese Diskussion ist notwendig, weil sonst, glauben wir, die Gefahr akuter innerpolitischer Konflikte gegeben ist, die meines Erachtens bei gutem Willen auf allen Seiten überwunden werden kann. Die loyale Zusammenarbeit im Bundestagsausschuß zwischen den Koalitionsparteien und der Opposition wird jedenfalls die Gewähr hierfür geben. Die Vorbehalte, die gegen eine Diskussion der verschiedensten Probleme gemacht, also dagegen erhoben werden, daß diese Probleme jetzt schon erörtert werden müßten, erscheinen mir zwar verständlich, aber ich bin der Meinung, daß wir uns bald klarwerden müssen, wie wir uns zu entscheiden haben, wenn die Verträge einmal ratifiziert sind. Derartige Diskussionen, zunächst einmal in dem betreffenden Bundestagsausschuß, der Ihnen doch der verpflichtende Berichterstatter sein wird, wenn man es so nennen darf, werden nach meiner Auffassung auch keinen Fahrplan stören, der ein Nebeneinander der Vorbereitungen auf eine Viermächtekonferenz beispielsweise und der gesamten
parlamentarischen Behandlung der Gesetzentwürfe beinhaltet, die die innerdeutsche Grundlage für dieses Gesetzgebungswerk bilden sollen.
Ich glaube zum Schluß sagen zu dürfen, meine Damen und Herren, daß nach meiner Ansicht und der meiner politischen Freunde die kommende europäische Koalitionsarmee zu einem Instrument eines starken Friedens werden kann. Das scheint mir die richtige und auf die heutige Zeit und Wirklichkeit übertragene Deutung ihres Auftrages zu sein. Wir halten es jedenfalls bei der Mentalität des Kremls, der immer danach fragt: Wieviel Divisionen hat der Verhandlungspartner eigentlich, mit dem man spricht?, für ausgesprochen schlecht für Deutschland, wenn es als waffenloser Pazifist am Konferenztisch erscheint.
Was die Jugend betrifft, die nun fragt, ob es wert ist, dies zu verteidigen, erinnere ich an ein Wort, das der so früh verstorbene Hans Böckler gesagt hat: „Nur ein lebenswertes Leben ist wert, verteidigt zu werden." Kein Zweifel, daß vielleicht noch einiges in dieser Richtung zu tun ist, um unser Leben lebenswerter zu machen!
Jedenfalls uns, meinen politischen Freunden, ist dieses Leben sehr lebenswert, und wert verteidigt zu werden.
Es hat keinen Wert, die Augen von der Wirklichkeit zu verschließen. Der Verzicht auf eine Mithilfe und Mitarbeit an der Wehrverfassung bedeutet in der Praxis doch nichts anderes als Beihilfe an einer Entwicklung und in einer Richtung, die wir alle in diesem Hause nicht wünschen, die keiner von uns haben will.
Ein Wort zu Herrn Professor Ba ad e. Das politische Rowdytum in Gestalt von Gruppen, die aus Chemnitz und Gera kamen und eine Versammlung von mir sprengten, kenne ich. Aber ich habe bereits in vielen Versammlungen mit der Jugend diskutiert. Gestern wurde von Herrn Baade ein — soll man sagen: ernsthafter — Vorschlag gemacht, Regierung und Opposition sollten sich bereit finden, die Jugend darüber abstimmen zu lassen, ob sie zum Wehrdienst gehen will. Meine Damen und Herren, ich kann das nicht recht verstehen. Demokratie heißt doch nicht, daß jede Gruppe, die sich irgendwie, z. B. in diesem Fall durch den Jahrgang, definieren läßt, selbst bestimmt, was sie zu tun hat. Denn was jeder einzelne und was jede Gruppe zu tun haben wird, regelt das Gesetz, und die Demokratie ihrerseits regelt, wie das Gesetz gültig zustande kommt. In keinem Land der Welt — ich sage nicht: der freien Welt, weil ich gar keinen Zweifel habe, daß in dem unfreien Osten überhaupt nicht gefragt wird, daß man mit ihnen wahrscheinlich noch nicht einmal diskutiert —
befragt man die Zwanzigjährigen, ob und wann, vielleicht allerdings, wo sie ihren Wehrdienst zu leisten zu haben wünschen, sondern überall, wo nicht derartige Unterbrechungen eingetreten sind, wie wir sie in Deutschland nach dem ersten und zweiten Weltkrieg hatten, genügt ein Jahrgang nach dem anderen regelmäßig seiner Wehrpflicht. Vielleicht kann man . es der Jugend deutlich machen, wie es mir mal jemand in Bayern sagte: Es ist doch nicht möglich, an einem Ort die Feuerwehr deshalb abzuschaffen oder nicht zu erstellen,
weil es im Ort seit zehn Jahren nicht gebrannt hat und man sich damit begnügen will, die Feuerwehr aus dem Nachbarort zu leihen. Meine Damen und Herren, ich habe nicht den Eindruck, daß uns die Sowjets diese Feuerwehr borgen werden, wenn es bei uns brennt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem die Wiege kühler Norddeutscher auch am Rheinesstrand stehen kann, kann ja wohl ein gebürtiger Berliner zur Abwechslung mal als temperamentvoller Schwabe auftreten.
Mein Freund Ollenhauer hat gestern zu den allgemeinen Prinzipien, die uns bei der Beurteilung der Vertragswerke leiten, Stellung genommen. Ich möchte mich heute darauf beschränken, auf einige Punkte einzugehen, die in der Diskussion angeschnitten worden sind. Da möchte ich gleich, weil das eine ganz gute Einleitung in das Thema hinein abgibt, den Satz zitieren, mit dem Kollege Rasner schloß. Er berief sich auf Theodor Storm und sagte: „Kein Mensch gedeihet ohne Vaterland." Gestatten Sie, daß ich ihm mit Ernst Moritz Arndt so eindringlich wie möglich zurufe: Das ganze Deutschland muß es sein!
— Es ist erfreulich, daß wir auch einmal einig sind; das kommt au c h vor.
Meine Damen und Herren, wir gehen bei der Beurteilung dieser Dinge, wenn wir sie hier und im Lande draußen mitunter etwas zu populär darstellen, leider gelegentlich von ein paar falschen Gleichungen aus. Vor diesen falschen Gleichungen möchte ich warnen.
Schon früher, bei der Diskussion um den EVG-Vertrag — aber auch jetzt klingt das alles wieder durch —, hat es z. B. geheißen, es handele sich um die Integration Deutschlands in Europa und damit in die freie Welt. Da haben Sie in einem einzigen Satz drei falsche Gleichungen. Die Bundesrepublik ist nicht Deutschland, sondern nur ein Stück davon.
Die Gemeinschaft der sechs Staaten der MontanUnion und der EVG ist bzw. war nicht Europa, sondern nur ein Stück davon.
Und — entschuldigen Sie — selbst die Nordatlantikpakt-Organisation, so graß ihre Verdienste sein mögen, ist nicht mit der freien Welt identisch.
Wir sollten in allen Ausführungen außenpolitischer Art, die wir als die Sprecher eines Volkes, das im Zustande der Spaltung lebt, hier machen, ein wenig an die Gefühle all der Völker der freien
Welt denken, die in anderen Beziehungen zur freien Welt leben als in denen eines militärischen Bündnisses über den Atlantikpakt.
Es gibt eben auch — das ist ein Punkt, den wir gelegentlich wahrscheinlich doch werden ausdiskutieren müssen, wenn wir je Deutschland in Freiheit und Frieden zusammenbringen wollen —, es gibt eben auch andere Beziehungen eines freien Volkes zu den gleichgesinnten Völkern dieser Erde als die der reinen, nackten Militärallianz.
— Ja, dann hätte aber Kollege Kiesinger die Frage, die ich ihm gestern gestellt habe, nicht so ausweichend beantworten dürfen.
Herr Kollege Rasner hat beklagt, die Opposition habe im Verhältnis zur Nordatlantik-Organisation seinerzeit in der Kritik am EVG-Vertrag gesagt, es sei zuwenig NATO darin, und jetzt beklage sie auf einmal, es sei zuviel Atlantikpakt darin. Meine Damen und Herren, leider muß ich sagen, der Herr Kollege Rasner hat unserer Kritik an den einstigen und den jetzigen Abmachungen nicht aufmerksam genug zugehört.
Ich selbst habe diese Kritik zum großen Teil hier in diesem Hause vertreten. Wir haben uns seinerzeit gegen den EVG-Vertrag neben einer ganzen Reihe anderer Gründe auch aus einem Grund gewandt: weil der Mechanismus dieses Vertrages durch das bewußte Ausschließen der Deutschen von den Schalthebeln der Atlantik-Organisation auf eine Diskriminierung hinauslaufe.
Dieses Argument ist jetzt behoben; das ist völlig richtig. Sie müßten der Opposition auf den Knien dankbar sein dafür, daß wir nicht bei der EVG festgehalten worden sind.
Aber das andere, was wir auch immer gesagt haben, der viel wesentlichere Einwand gegen die Systematik des alten und des neuen Vertragswerkes ist nicht behoben: daß man nämlich die Bundesrepublik Deutschland auf eine Weise in dieses System der Militärallianz einschmilzt, als gäbe es das andere Stück Deutschland nicht. Das ist der wesentliche Einwand!
Ähnlich ist es mit dem Hinweis auf die Souveränität. Es wird gesagt, wir hätten seinerzeit beklagt, es habe zuwenig Souveränität gegeben. Das ist richtig. Wir haben an einer Fülle von Einzelheiten der Verträge nachgewiesen, daß es ein zu großes Wort gewesen sei, dem EVG-Vertrag und dem Generalvertrag die Bedeutung zuzumessen, die Bundesrepublik würde souverän. Ich bin froh darüber, daß es dem Herrn Bundeskanzler, offenbar unter tatkräftiger Auswertung sozialdemokratischer Argumente, gelungen ist, einiges auf diesem Gebiet aus dem Wege zu räumen.
Der Einwand, den wir heute gegen die jetzigen Abreden erheben, kommt auch nicht aus der Ecke, daß wir etwa beklagten, dieser Bundesrepublik würde ein zu großes Maß an Handlungsfreiheit und Selbständigkeit gegeben. Unser Einwand richtet sich vielmehr gegen die Vorstellung, daß man diesem provisorischen Teilstaat der Deutschen einen Charakter geben will, als handle es sich damit in Wirklichkeit schon um das vollendete deutsche Staatsgebilde, das es doch erst noch in freier Selbstbestimmung ,des ganzen deutschen Volkes zu schaffen gilt.
Im übrigen freuen wir uns mit Ihnen über jede Befugnis, die den Besatzungshänden entwunden wird, und über jede Regelung, durch die unsere inneren und äußeren Angelegenheiten in deutsche Hände übertragen werden. Aber das ist ein völlig anderes Thema.
Erlauben Sie einen Augenblick! Zu einer Zwischenfrage wünscht Herr Abgeordneter Merkatz das Wort.
Ja, gern!
Herr Kollege Erler, die Opposition hat bei mehreren Darlegungen die Bundesrepublik und Deutschland gegenübergestellt. Darf ich mir die Frage erlauben: Hat die Opposition damit die von ihr rechtlich vertretene Auffassung aufgegeben, daß die Bundesrepublik Deutschland als identisch mit den Rechten und Pflichten des Völkerrechtssubjektes Deutschland zu bezeichnen sei?
Herr von Merkatz, ich antworte mit dem Grundgesetz: Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland tritt außer Kraft. wenn sie ersetzt wird durch eine von einer in allen vier Zonen frei gewählten Nationalversammlung beschlossene gesamtdeutsche Verfassung.
Das ist der wirklich endgültige Zustand. Bis dahin sind wir ein Durchgangsstadium von der alten zur neuen Staatlichkeit Gesamtdeutschlands.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von Merkatz.
Herr Kollege Erler, ich möchte mein Fragerecht nicht dahin ausnutzen, daß ich mit Ihnen diskutiere; dazu ist dieses Fragerecht nicht da. Aber ich möchte Sie doch bitten, meine Frage zu beantworten.
Denn Sie haben mir keine Antwort gegeben.
Herr von Merkatz, wenn die Antwort, die im Grundgesetz steht, — —
— Bitte, das ist völlig klar: die Bundesrepublik ist ein Durchgangsstadium zum gesamtdeutschen Staat der Zukunft.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Erler. Wie berechnen Sie das Maß der Verantwortlichkeit des freien Teils Deutschlands hinsichtlich der Wahrnehmung der Rechte und Pflichten für das ganze Deutschland, für das Völkerrechtssubjekt Deutschland?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese Frage kann ich Ihnen eindeutig beantworten. Die Bundesrepublik als Sprecher des ganzen deutschen Volkes
ist befugt und berechtigt, alle Ansprüche für dieses Deutschland geltend zu machen. Sie ist nicht berechtigt, Gesamtdeutschland zu verpflichten. Das ist meine Antwort.
Doch nun, meine Damen und Herren, nach dieser Betrachtung einiger Aspekte der Beziehungen zwischen den Vertragswerken und der Zugehörigkeit der Bundesrepublik zur Nordatlantikpaktorganisation noch eine kleine Bemerkung zu einer interessanten Ausführung des Herrn Kollegen Rasner in bezug auf die kommunistische Politik. Er sprach von den drei Irrtümern der sowjetischen Politik und erwähnte in diesem Zusammenhang, daß wir alles tun müßten — offenbar also im Zusammenhang mit diesen Verträgen —, der kommunistischen Unterwanderung entgegenzutreten. Kollege Rasner, wir sind uns völlig einig, daß es unsere gemeinsame Aufgabe ist, die demokratischen Freiheiten gegen jede totalitäre Bedrohung, von welcher Seite sie auch kommen mag, zu schützen. Aber, Kollege Rasner, der kommunistischen Infiltration und Unterwanderung, wie sie sich doch in einigen anderen europäischen Ländern in weiß Gott bedrohlicherer Weise zeigt als in der Bundesrepublik Deutschland, — diesen innerpolitischen Problemen anderer Länder werden Sie mit dem deutschen Verteidigungsbeitrag nicht gerecht.
— Sie wollen eine Furcht beseitigen, die zu einem Teil zwar auch in den Tatsachen begründet ist, aber darüber hinaus in den Völkern durch die Propaganda für den Verteidigungsbeitrag größer gemacht wird, als sie zu sein brauchte.
Nun möchte ich meinem Kollegen Herrn von Manteuffel einiges sagen. Aus seinen Wünschen an die Bundesregierung sprach unüberhörbar eine tiefe Sorge. Die eine Sorge war die, ob denn die Aufstellung jener deutschen Streitkräfte in Zusammenarbeit mit den verbündeten Mächten auch wirklich sichere, daß für den Fall eines Konflikts die Bevölkerung der Bundesrepublik sich darauf verlassen könne, daß ihre Freiheit und ihre Existenz tatsächlich am Eisernen Vorhang verteidigt werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist ein sehr ernstes Problem. Die Anlage der bisherigen alliierten Manöver
hat im deutschen Volk keineswegs die Gewißheit
verbreitet, daß etwa der Verteidigungsbeitrag in
der gesamtstrategischen Konzeption des Westens
tatsächlich diese Aufgabe und Möglichkeit des Schutzes der Deutschen für den Fall der Aggression verbürgt.
Mehr möchte ich zu diesem Thema gar nicht sagen. Aber ich bitte Sie, doch zu verstehen, daß es hier eine bange Sorge für viele Deutsche gibt. Denn Opferbereitschaft muß ihre Entsprechung finden in der Tatsache, daß das Opfer dann auch seinen Sinn hat.
Hier - daran können Sie und ich nichts ändern —, in diesem Lande unmittelbar am Eisernen Vorhang werden wir es mit dem Oberbefehlshaber der amerikanischen Kontinentalverteidigung halten müssen: Die wirkliche Sicherheit wird wohl nur in der Bewahrung des Friedens liegen.
— Sicher, unbestritten! Aber wenn wir schon strategisch sprechen, dann bitte ich Sie, doch einmal eine ganz nüchterne Überlegung anzustellen, ob nicht unsere Sicherheit und die des Westens größer wäre, wenn die sowjetischen Ausgangs- und Aufmarschpositionen nicht im Thüringer Wald und gleich hinter Lübeck, sondern ein paar hundert Kilometer weiter östlich lägen.
Es scheint mir doch so zu sein, daß auch für die freie Welt ein Grund des Nachdenkens darüber vorhanden sein sollte, ob 'die Wiedervereinigung Deutschlands selbst bei einem anderen militärischen Status als dem der Zugehörigkeit zum Nordatlantikpakt auch vom Standpunkt der militärischen Sicherheit für uns alle miteinander der gegenwärtigen Lösung vorzuziehen wäre.
— Darauf komme ich noch; im übrigen haben wir darüber schon sehr oft gesprochen. Vielleicht waren Sie bei dem Kreuzverhör nicht da, wo wir das in aller Ausführlichkeit dem Herrn Bundeskanzler dargelegt haben.
— Sehr klar dargelegt haben! Ein Blick in die deutsche Presse — abseits derer, die immer nicht zuhört, sondern immer nur die alte Platte spielt, die Opposition habe nichts anderes im Kopf als nein zu sagen — hat klargemacht, daß die Vorstellungen der Opposition von der Wiedervereinigung Deutschlands, von der Sicherheit für Deutschland, von der Mitwirkung an einem System der kollektiven Sicherheit sehr klar präzisiert worden sind.
Aber das mindeste, was man dann gegenseitig aufbringen muß, ist doch der Versuch, Herr Kollege, zuzuhören bei dem, was der andere sagt.
— Ja, aber dann auch der Versuch, es zu verstehen, — wenn wir das noch weiterführen müssen!
Die Kollegen Rasner und Manteuffel haben sich mit einem sehr ernsten Problem befaßt, einem innenpolitischen Problem. Sie sprachen von den Absichten, die man beim Aufbau künftiger deutscher Streitkräfte habe. Meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck, daß diese Debatte eigentlich nicht ganz in den Rahmen der jetzigen Auseinandersetzung hineingehört.
Wir unterhalten uns doch bei der Würdigung dieses Vertragswerkes über die Frage, ob es im gegenwärtigen Zeitpunkt überhaupt richtig ist, diesen Schritt zu tun,
und man sollte hier nicht den zweiten Schritt vor dem ersten Schritt zu unternehmen versuchen.
Sehen Sie, wer es so eilig hat, dem können dabei die unmöglichsten Pannen passieren. Der kann z. B. einen Vertrag in seine Verfassung hineinschreiben, der nachher gar nicht zustande kommt, unid dann hat er große Mühe, das wieder herauszubringen.
Aber eines möchte ich mit allem Nachdruck allen denen, die diese Sorge zuinnerst bewegt, sagen: Sie werden die Sozialdemokraten überall dort finden, wo um jeden Zentimeter demokratischer Freiheit, um jeden Zentimeter parlamentarischer Kontrolle und um jeden Zentimeter Menschenwürde gerungen wird, auch in dieser Frage!
Kollege Rasner hat einen Appell an uns gerichtet, zur gemeinsamen Bewältigung der Konsequenzen der Pariser Verträge beizutragen. Dieser Appell findet sich auch in zahlreichen Stimmen im Auslande, die diesen Wunsch nachdrücklich geltend machen. Es sieht tatsächlich so aus, als ob die Menschen draußen in der Welt erwarten, daß die Regierungskoalition in Deutschland ihnen die Soldaten liefere und die Opposition dann die Demokraten stellen müsse, die auf die Soldaten aufzupassen hätten.
Ich möchte dazu nur sagen, Kollege Rasner, daß wir wahrscheinlich mit der Schaffung dieser notwendigen Voraussetzungen ein ganzes Stück weiter wären, wenn man bei der Ausarbeitung der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland auch von der Regierung her ein größeres Maß an Wert auf die Diskussion außenpolitischer Entscheidungen — bevor sie gefällt worden sind und nicht hinterher — gelegt hätte.
Aber ein Problem der innenpolitischen Konsequenzen ist heute nur in einem kurzen Dialog nach Zwischenfragen behandelt worden. Ich finde, es ist ernst genug; wir müssen das noch etwas vertiefen. Als in einer sehr ernsten, dramatischen, bedrohlichen Lage der englische Premierminister Winston
Churchill vor sein Volk trat, da hat er ihm schonungslos die Wahrheit gesagt und erklärt, daß es Opfer bringen müsse, und das würde Blut, Schweiß und Tränen kosten. Und als hier, wenn diese Lage schon so bedrohlich ist, daß Sie sich jetzt zu solchen Schritten genötigt sehen, die Sprecher der Opposition nicht mal von Blut und von Tränen, sondern zunächst nur vom Schweiß, nämlich vom Schweiß des Steuerzahlers, und vom Gelde sprachen, da hat die Regierungsbank gelacht.
Das ist der Unterschied!
Meine Damen und Herren! Es sollte in den amtlichen Erklärungen der Bundesrepublik eigentlich nicht zwei Zungen geben, eine für den Hausgebrauch und eine für die übrige Welt.
Vorhin ist uns hier gesagt worden, die Zahlen über den deutschen Verteidigungsbeitrag, die man hier nenne, seien ja reine Phantasiezahlen. Sie kennen die berühmte dpa-Meldung — von der man behauptet, sie gehe auf alliierte Quellen zurück — über etwa 81 Milliarden, wir seien der billige Jakob, bei uns würde das alles viel billiger, und die Haushaltsansätze würden vollkommen ausreichen.
Ich bekomme soeben das wöchentliche Bulletin der Bundesregierung in englischer Sprache.
Darin heißt es unter der Überschrift „Keine Miliz für die Bundesrepublik" — das ist gewissermaßen als tröstender Artikel für den Kollegen von Manteuffel gedacht —
wörtlich:
Für das kommende Haushaltsjahr ist der jährliche Aufwand für Verteidigungszwecke auf 9 Milliarden DM festgesetzt. Da die Gesamtkosten der deutschen Wiederaufrüstung, wenn sie sich über eine Periode von etwa drei Jahren erstreckt, in einigen Kreisen auf etwa 50 bis 60 Milliarden DM geschätzt werden,
mag die Summe, die man in dem deutschen Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt hat, nicht ausreichen, um diese Rechnung zu bezahlen.
Der Verteidigungsbeauftragte Blank ließ wissen, daß Versprechungen der Vereinigten Staaten über ihre Hilfe in der Lieferung von schweren Waffen hinreichend konkret seien; aber selbst wenn die Zahlen, die in diesem Zusammenhang in der deutschen Presse erwähnt wurden, nämlich von 12 bis 15 Milliarden DM, korrekt wären, bleibt doch noch ein großes Loch zu füllen.
Das ist um so mehr richtig, als der besagte
Totalbetrag von 50 Milliarden DM keinerlei
Aufwendungen für den Luftschutz einschließt.
Die Kosten für diesen Zweck dürften sich in der Nachbarschaft von 10 Milliarden DM bewegen.
Meine Damen und Herren, das ist kein Hetzartikel der sozialdemokratischen Opposition,
sondern das ist das amtliche Bulletin, das unter der Verantwortung des Bundeskanzleramtes erscheint
und vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung in die Welt hinausgeschickt wird.
Ich fühle mich unter diesen Umständen nun doch verpflichtet, das Hohe Haus und insbesondere die Bundesregierung zu bitten, hier klaren Wein einzuschenken.
Man kann doch nicht dem Hohen Hause zumuten, die Katze im Sack zu kaufen. Es kann uns niemand erzählen, daß die Aufstellung einer Armee von einer halben Million Mann so nebenher finanziert werden könne. Ich will mich gar nicht auf den Hausstreit zwischen dem Herrn Bundesfinanzminister und dem Herrn Bundeswirtschaftsminister einlassen. Daß es da noch kein Duell gegeben hat, ist eigentlich erstaunlich, nachdem der Herr Bundeswirtschaftsminister draußen in der Welt so als eine Art, sagen wir einmal: wirtschaftspolitischer Knatterprotz die Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik verkündet
und er dann darob sehr gelobt wird. Englische Zeitungen haben geschrieben: Das ist doch mal ein Minister, der mehr anbietet, als bisher von seinem Finanzminister ausgespuckt werden sollte.
Aber wohlgemerkt: das ist also ein Ressortstreit, über den ja die beiden Herren sich gelegentlich im stillen Kämmerlein noch einig werden. Der Herr Bundeskanzler wird's schon schlichten, davon bin ich überzeugt.
Doch nun zurück zu dieser ernsten Frage. Wir haben also im Haushaltsplan 9 Milliarden drin, und es wird uns versichert: Das soll nicht mehr werden. Der Bundesfinanzminister aber erklärt: Das ist das Nonplusultra, und: Keinen Pfennig mehr! Ja, meine Damen und Herren, dann muß man — damit greife ich ,die Frage des Kollegen Ritzel wieder auf — doch wirklich fragen, welche konkreten Vorberechnungen denn vorliegen und ob man mit diesem Betrag eine solche Armee überhaupt kampfkräftig ausrüsten kann; denn mit Besenstielen wird sie nicht kämpfen können.
Ich meine, man sollte das Hohe Haus doch nicht wie eine Schulklasse behandeln, der erst nach der Versetzung im nächsten Jahr die weiteren Geheimnisse verkündet werden, sondern man sollte dem Hohen Hause jetzt und hier, mindestens in den Ausschüssen
vor der Beratung in der zweiten Lesung
— ich habe gar nicht soviel Illusion, daß die das
heute schon wissen; die wissen das auch nicht —,
man sollte mindestens bis zur zweiten Lesung dem Parlament und der deutschen Öffentlichkeit sagen, was dieses Geschäft im ganzen kostet.
Mein Parteifreund Ollenhauer hat mit allem Nachdruck darauf hingewiesen, daß er sich nicht ein Argument zu eigen mache etwa in der Richtung, was viel kostet, dürfe man nicht tun, sondern wir meinen: wenn man eine solche schwerwiegende Entscheidung fällt, dann muß man dem eigenen Volke auch sagen, wenn es diese Entscheidung billigt, was es damit an Opfern auf sich zu nehmen bereit sein muß.
Da sitzen in der Dienststelle unseres Kollegen Blank eine ganze Reihe erwachsener Männer und machen das, was man Stärkenachweise nennt, d. h. die schreiben auf, was alles so zu einem Regiment gehört, von der Einrichtung der Spinde bis zum Bestand an Waffen, Munition, Geräten, Uniformen .und was so alles zum Betrieb einer Streitmacht erforderlich ist. Diese Arbeit ist, wenn man an die Aufstellung von Streitkräften geht, nötig. Aber sie bedarf einer Ergänzung. Ich halte es für gar nicht so schwierig, daß man diesen Leuten noch ein paar daneben setzt, die immer dazuschreiben, was dieser ausgerechnete Bedarf kostet. Das muß doch möglich sein!
Man sollte darüber hinaus — selbst wenn diese Zahlen gegriffen und geschätzt sein mögen — doch auch einmal feststellen, was von diesem Bedarf konkret als Hilfe aus den Vereinigten Staaten zu erwarten ist, und zwar: was wird geschenkt, und was werden wir bezahlen müssen?
Das sind doch die wesentlichsten Dinge, die man einem Parlament, wenn es eine solche Frage zu entscheiden hat, vorlegen sollte. Das Schweizer Parlament beschließt bis in alle Einzelheiten hinein, und das englische Parlament hat es sich nicht nehmen lassen, eine stundenlange Debatte nur um die Frage zu führen, ob man statt des bisherigen Gewehrs das belgische übernehmen sollte. Sie wollen daraus ersehen, mit welchem Ernst in anderen Parlamenten mit gewachsener parlamentarischer Tradition
derartige Fragen behandelt werden.
Nun ein letztes Wort noch zu dem Aufklingen des Wortes „Ohne mich" in diesem Saal. Es ist hier gesprochen worden von der Seite der Regierungsparteien und etwas zu unseren Bänken hin, als seien wir also gewissermaßen diejenigen, die diese Parole im Lande bewußt ausstreuten und förderten. Dazu haben wir ja nun schon oft und oft Stellung genommen. Aber ich bitte Sie, doch einmal eines zu bedenken. Es gibt heute in unserem Volk — auch außerhalb der Reihen der unmittelbar betroffenen Jugend, über deren Einstellung Ihnen Herr Ollenhauer sehr zutreffend berichtet hat — eine große Zahl von Menschen, Hunderttausende, wahrscheinlich Millionen von Menschen, die sich in einem ernsten Gewissenskonflikt befinden
angesichts der Tatsache, daß die Wehrpflicht in der Bundesrepublik die Wehrpflicht in der Sowjetzone auslöst
und daß wir nun auch einen Beitrag dazu leisten, daß sich jetzt zwei bis an die Zähne bewaffnete deutsche Armeen einander gegenüberstehen mit der fürchterlichen Perspektive eines möglichen Bruderkrieges.
Es gibt eine menschliche Klammer in unserem Volke, die bisher noch in erfreulichem Ausmaß völlig ohne Rücksicht auf die Hinderungsversuche durch das totalitäre Regime in der Zone drüben den Versuch unternommen hat, die Deutschen in Freiheit miteinander sprechen und sie das Erlebnis der Zugehörigkeit zum gleichen Volk haben zu lassen; diese Klammer ist z. B. die evangelische Kirche. Jeder, der weiß, wie es in der sowjetischen Besatzungszone aussieht, wird mir recht geben, wenn ich sage, daß in der Wirksamkeit dieser Kraft ein gut Stück an Hoffnung auch für uns liegt, daß sich die Menschen nicht einfach in das Schicksal der totalitären Beherrschung ergeben.
Und nun kommt aus dem Bereiche eben dieser evangelischen Kirche eine Botschaft an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages — Sie haben sie alle gelesen —, die unterzeichnet ist von einer Reihe der hervorragendsten Männer dieser Kirche — es sind allein fünf Kirchenpräsidenten darunter, außer einigen hervorragenden Theologen unserer Fakultäten — und in der es heißt:
Wir sehen aber nicht, daß die politischen, rechtlichen und sittlichen Voraussetzungen zu einem solchen Schritt angesichts der gegenwärtigen Lage soweit geklärt sind, daß der Staat von Gott her das Recht in Anspruch nehmen dürfte, solche Gesetze zu beschließen. Die vielfachen Äußerungen der Unruhe in der Bevölkerung zeigen, in welche Gewissensnot erhebliche Teile unseres Volkes durch die beabsichtigten gesetzgeberischen Maßnahmen geraten sind.
Meine Damen und Herren, ich erwarte gar nicht, daß Sie auch auf den Bänken der ChristlichDemokratischen Union — sich ohne weiteres diese Meinung der Vertreter großer Teile der evangelischen Kirche, denen Sie doch wohl nicht bestreiten werden, daß es sich um überzeugte evangelische Christen handelt, zu eigen machen. Ich bitte Sie nur um eins: tun Sie doch diesen inneren Gewissenskonflikt nicht einfach mit der Floskel ab, es handle sich um „Ohne mich" ! Das ist ist doch nicht wahr.
Eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter!
Herr Kollege Erler, zu der von Ihnen zitierten Erklärung möchte ich mir erlauben, Ihnen eine Stellungnahme des bayerischen Landesbischofs D. Meiser bekanntzugeben, der mitteilt:
Auf Anfrage erkläre ich, daß die Erklärung der Rheinischen Pfarrerbruderschaft zur Wiederaufrüstung nicht als eine Stellungnahme der evangelischen Kirche in Deutschland im ganzen angesehen werden darf. Sie steht ausschließlich in der Verantwortung ihrer Unterzeichner.
Meine Damen und Herren, dazu nur ein ganz einfaches Wort.
Einen Augenblick, Herr Kollege Erler!
Meine Damen und Herren, ich würde es für besser halten, wenn wir uns bei den Zwischendiskussionen auf Fragen beschränkten, mindestens aber die Frageform wählten. Ich verstehe, daß diese Zwischenbemerkungen als wesentlicher Beitrag zu der im Augenblick laufenden Diskussion betrachtet werden. Aber ich würde doch bitten, daß wir uns im allgemeinen auf die präzise Frageform beschränken.
— Herr Abgeordneter Friedensburg!
Eine Frage bitte: Ist dem Abgeordneten Erler vielleicht bekannt, ob dieselben Kirchenpräsidenten der evangelischen Kirche sich gegen die weitgehenden Aufrüstungsmaßnahmen im sowjetischen Besatzungsgebiet gewandt haben?
Erler (SPD: Ja.
Die letzte Frage — —
Jetzt muß ich doch bitten, daß ich erst einmal die andere Frage beantworten kann.
Das ist selbstverständlich. Das Wort muß jetzt erst einmal der Redner zur Beantwortung haben.
Herr Kollege Erler, sprechen Sie bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich will zunächst die letzte Frage beantworten. Ich kenne nicht alle Herren, die hier unterzeichnet haben. Aber von denen, die ich kenne, weiß ich, daß sie sich nicht nur gegen die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik, sondern genau so entschieden gegen die schon stattgefundene — jawohl! — Aufrüstung in der Sowjetzone gewendet haben. Das ist das eine.
Zur zweiten Frage: Ich habe nicht behauptet, es handle sich um eine Erklärung der evangelischen Kirche.
Ich bin sehr froh, daß die evangelische Kirche als Kirche sich nicht in die politischen Auseinandersetzungen hineinmischt.
Ich habe Sie nur um Verständnis dafür gebieten, daß diese Stimmen aus der evangelischen Kirche doch gebührende Beachtung finden mögen.
— Nein, nein!
Herr Abgeordneter Kunze zu einer Frage!
Herr Kollege Erler, ist Ihnen bekannt, daß die Zahl der Pfarrer, die diese Aufrufe unterschrieben haben, höchstens 500 beträgt gegenüber mehr als 15 000 evangelischen Geistlichen insgesamt?
Zweite Frage: Ist Ihnen bekannt, daß Herr Landesbischof D. Dr. Lilje im Zusammenhang mit diesen ganzen Ereignissen mitgeteilt hat — er ist der stellvertretende Vorsitzende des Rats der Evangelischen Kirche und zugleich Präsident des Lutherischen Weltbunds —, in der Bundesrepublik gebe es keinen Militarismus mehr, dafür in beiden Teilen Deutschlands ein religiöses Erwachen der Jugend? Lilje, der zu Besprechungen mit Vertretern des Lutherischen Weltbundes in Genf war, betont, die Frage der Wiederbewaffnung beschäftige die Jugend in Deutschland sehr stark. Nach seiner persönlichen Ansicht sei die Bildung einer neuen deutschen Armee vom politischen Standpunkt aus unvermeidlich. Das Tragen einer Waffe sei unter bestimmten Voraussetzungen auch Christenpflicht.
Herr Abgeordneter Kunze, diese Stellungnahme des Bischofs Lilje ist mir bekannt. Sie beweist doch nur, daß es offenbar unter gläubigen Christen, gläubigen . evangelischen Christen, für die Beurteilung der hier anstehenden Verträge sehr verschiedene Meinungen geben kann und daß jeder falsch beraten ist, der glaubt das Christentum für sich monopolisieren zu können.
Herr Abgeordneter Friedensburg zu einer Frage.
Ich muß zu der anderen Frage, die Kollege Erler beantwortet hat, zusätzlich fragen: Wo und wann haben diese Kirchenpräsidenten, von denen Sie gesprochen haben, sich etwa an die Volskammer oder an die Regierung in Pankow mit ähnlichen Eingaben wie an uns und mit der Verwahrung gegen die dortige Aufrüstung gewandt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Friedensburg, ich bin sehr erstaunt darüber, daß Sie eine öffentlich ausgesprochene Bekundung plötzlich für weniger wert halten als einen Brief an eine Institution, über deren demokratische Legitimation Sie die gleiche Meinung haben wie ich.
Frau Abgeordnete Rehling zu einer Zwischenfrage.
Herr Kollege Erler, ich möchte Sie fragen, ob Sie der Überzeugung sind, daß diese Pfarrerbruderschaften und die Kirchenpräsidenten, die uns diese Erklärungen zugesandt haben, über die nötigen Sachkenntnisse verfügen,
oder ob es sich hier um völlig risikolose Stellungnahmen handelt, durch die wir in unserer politischen Entscheidung beeinflußt werden sollen.
Meine Damen und Herren, ich finde es einen ungewöhnlichen Vorgang, daß man in einem Hause, dem gelegentlich eine Fülle von Stellungnahmen zu höchst eigennützigen Motiven zugehen,
plötzlich Männer wie Professor Gollwitzer in Bonn, wie Präses Held in Düsseldorf, wie Präses Wilm in Bielefeld und wie den Kirchenpräsidenten Stempel in Speyer als eine Art unmündigen Bestandteil unseres Volkes behandelt.
Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe!
Das Wort zu einer Zwischenfrage hat Herr Abgeordneter Gontrum.
Herr Kollege Erler, ich bin völlig mit Ihnen einer Meinung, wenn Sie sagen, daß die Kirche keine Politik machen soll. Ist Ihnen nicht aufgefallen, daß gerade dieses Wort, ausgegeben als ein Wort der Kirche, eben ein politisches Wort ist? Im Namen des Evangeliums, um des Gewissens willen, im Dienste am Evangelium ist hier gesprochen. Ein Wort der Kirche erhebt den Anspruch, ein politisch gültiges Wort zu sein. Und das ist unerhört im Raume der evangelischen Kirche.
Meine Damen und Herren, zunächst einmal fängt der Aufruf an: „Als Christen, die in verantwortlicher Stellung innerhalb der evangelischen Kirche stehen". Damit ist völlig klar: Nicht die Kirche, sondern Christen in der Kirche haben gesprochen.
Zum zweiten: Ich teile Ihre Abneigung dagegen, daß sich die Kirche am Kampf der Parteien im politischen Gebiet beteiligt. Ich wünschte nur, daß auf allen Bänken dieses Hauses das allen Kirchen mit der genügenden Deutlichkeit gesagt würde.
Das Wort zu einer Zwischenfrage hat der Abgeordnete Bausch.
Herr Kollege Erler, ist es Ihnen bekannt, daß eine Reihe — wohl die Mehrzahl — derjenigen Männer, die Sie vorhin genannt haben — darunter auch Kirchenpräsidenten —, Parteigänger des Herrn Heinemann sind?
Ist es Ihnen bekannt, daß dem Herrn Heinemann vom deutschen Volke bei der Bundestagswahl vom 6. September 1953 eine wahrhaft vernichtende Absage erteilt worden ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, ich habe nicht den Eindruck, daß es sich lohnen würde, über diese Art der Stellungnahme einem immerhin verdienten früheren Bundesminister des Innern gegenüber zu diskutieren.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter Bausch! — Meine Damen und Herren, ich muß dringend an Sie appellieren, daß Sie dieses Frage- und Antwortspiel dadurch ermöglichen, daß Sie die Fragen und die Antworten mit möglichster Zurückhaltung aufnehmen. Es ist sonst einfach lautlich nicht durchzukommen. Wir können bei der Subtilität des hier zur Verhandlung stehenden Themas nicht anders durchkommen als so, daß sich die Mitglieder des Hauses gegenseitig den Gefallen tun, aufmerksam und ruhig noch so kontroverse Ansichten zu hören.
Das Wort hat der Abgeordnete Bausch.
Herr Kollege Erler! Ist Ihnen bekannt, daß wir im Deutschen Bundestag in einem demokratischen Raum leben und daß man in diesem demokratischen Raum ides Bundestages gut daran tut, auf das am 6. September 1953 gefällte Votum des Volkes zu hören? Die Frage möchte ich an Sie stellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Bausch, ich hatte eigentlich nicht die Absicht, auf den schon vom Kollegen Rasner — —
Meine Damen und Herren, Sie müssen jetzt dem Redner den Gefallen tun, daß er zunächst einmal antworten kann, und dann kommt Frau Abgeordnete Wolff. Erst antwortet der Redner.
Ist Herrn Bausch bekannt, daß der Herr Gollwitzer ein Buch geschrieben hat, das vom Innenministerium den Mitgliedern des Jugendkoordinationsausschusses jetzt als Geschenk übergeben worden ist?
Ich sehe, der Herr Abgeordnete Bausch will darauf antworten.
Ich kann auf die Frage, die an mich gestellt worden ist, nur die Antwort geben, daß mir dieses Buch des Herrn Gollwitzer gut bekannt ist. Aber ich habe von den parteipolitischen Mei-
nungen des Herrn Heinemann und seiner Parteigänger gesprochen und davon, daß das deutsche Volk zu diesen Meinungen des Herrn Heinemann und seiner Anhänger ein eindeutiges und vernichtendes Nein gesagt hat.
Meine Damen und Herren, das Wort geht zurück an den Redner.
Meine Damen und Herren, als Fazit dieses Frage- und Antwortspiels kann ich nur mein tiefstes Bedauern darüber ausdrücken, daß es offenbar in diesem Hause bei den Angehörigen oder, sagen wir, bei vielen Angehörigen einer Partei, die das Wort „christlich" in ihrem Namen hat, nicht möglich ist, ernste Gewissensgründe einer Reihe wesentlicher Männer des kirchlichen Raumes vorzutragen.
Einen Augenblick! — Herr Abgeordneter Walter zu einer Zwischenfrage.
Herr Kollege Erler, ist die Eingabe der Pastoren drüben, die Sie uns vorgetragen haben, Ihrer Meinung nach anders zu bewerten als die Tausende von Zuschriften, die wir aus der anderen Zone angeblich von Arbeitern aus den Betrieben bekommen haben? Besteht bei Ihnen die Ansicht, daß die Zuschrift der Pastoren anders zu werten sei als die Zuschriften, die aus den Betrieben von drüben kommen und die — das wissen wir alle — von einer bestimmten Regierung diktiert werden?
Meine Damen und Herren! Ehe der Herr Redner fortfährt und abschließt, möchte ich folgendes sagen. Ich appelliere an das Haus, nunmehr die Zwischenfragen sein zu lassen, damit der Redner zum Ende kommen kann und wir in die Mittagspause eintreten können. Wir haben noch eine große Rednerliste. Ich will der Diskussion nicht im mindesten Gewalt antun. Aber dieses Thema muß nunmehr zu einem Abschluß kommen.
Ich bitte, daß der Redner jetzt fortfährt.
Meine Damen und Herren! Ich bin für die Zwischenbemerkung des Herrn Präsidenten dankbar, obwohl ich mich sonst sehr gerne ausfragen lasse. Ich bin sogar ein bißchen stolz darauf, daß ich ein so gutes Objekt für die Fragestellung geworden bin.
Aber ich möchte doch die Frage des Kollegen Walter noch ganz eindeutig beantworten. Ich finde, daß er vielleicht einmal an frühere Jahrzehnte seines Lebens zurückdenken müßte,
um den Unterschied zu begreifen zwischen der Stellungnahme freier Männer und Briefen, die unter dem Druck einer Gewaltherrschaft geschrieben sind. Das ist doch ein Unterschied.
Nun meine letzten Bemerkungen. Sie beziehen sich auf einen Satz, den der Herr Bundeskanzler geprägt hat und den ich sehr gern aufgreifen möchte. Der Herr Bundeskanzler hat davon gesprochen, daß nach seiner Meinung Verhandlungen, und zwar insbesondere über die Wiedervereinigung Deutschlands, zum — wenn ich richtig gehört habe —frühest möglichen Zeitpunkt, allerdings nach seiner Meinung erst nach Ratifizierung der Verträge aufgenommen werden sollten. Wir haben unsere Skepsis gegenüber der Nichtbeachtung gewisser warnender Stimmen, die in den Noten der Sowjetunion liegen, zum Ausdruck gebracht. Aber das möchte ich jetzt danhingestellt sein lassen. Wenn man Verhandlungen will, dann muß man auch wissen, worüber verhandelt wird. Mich hat es mit banger Sorge erfüllt, als im Europarat in Straßburg ein Ergänzungsantrag eines belgischen sozialistischen Delegierten, des Professors Rolin, abgelehnt wurde, in dem dieser Belgier nicht mehr und nicht weniger gewünscht hatte als dies: wenn man über die Wiederherstellung der deutschen Einheit verhandele, solle man bereit sein, falls anders die Einheit nicht zu erreichen sei, über den militärischen Status des wiedervereinten Deutschland neu zu entscheiden und nicht auf der Forderung nach der festen Zugehörigkeit des wiedervereinigten Deutschlands zum atlantischen Verteidigungssystem zu bestehen. Dieser Antrag wurde abgelehnt.
Herr Bundeskanzler, was uns mit brennender Sorge erfüllt, das ist, daß eine solche Haltung, wenn sie Richtschnur der westlichen Politik und der Politik der Bundesregierung bleibt, jede Hoffnung auf die Wiedervereinigung Deutschlands zerstört. In diesem Punkte muß man einmal wissen — ich habe es an dieser Stelle schon einmal ausgesprochen —: die deutsche Einheit gibt es nicht als sowjetischen Satellitenstaat, sie gibt es auch nicht als amerikanischen Truppenübungsplatz. Wer das eine oder das andere will, verhindert die Einheit.
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr 30.
Die Sitzung wird um 15 Uhr 31 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Gerstenmaier wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren! Wir fahren in der unterbrochenen Sitzung fort.
Das Wort hat der Kollege Dr. Jaeger. Ich gehe von der Voraussetzung aus, meine Damen und Herren, daß ein Einverständnis im Hause darüber besteht, daß zunächst die allgemeinen politischen und Verteidigungsfragen weiter diskutiert werden und daß Teilprobleme wie z. B. die Saarfrage anschließend im Zusammenhang diskutiert werden.
— Weil wir im Ältestenrat übereingekommen sind
— wenn ich mich recht erinnere —, daß wir die Diskussion nach Möglichkeit in Sachkomplexen durchführen wollen. Ich würde meinen, daß es deshalb richtiger ist, daß wir die allgemeinen poli-
tischen und die Verteidigungsfragen jetzt weiter erörtern und daß wir nachher die Fragen, die etwa die Saar und andere Teilprobleme betreffen, zusammen diskutieren. Es sind eine Reihe von Wortmeldungen da. Ich ziehe zunächst einmal die Wortmeldungen vor, die zu allgemeinen politischen und Verteidigungsfragen erfolgt sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jaeger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jahrelang haben wir in diesem Hause die Politik erläutert und vertreten, die mit den drei manchmal schon sehr mysteriös leuchtenden Buchstaben EVG zusammenhing. Wir vertreten heute vor ihnen eine Politik, die mit einem neuen Vertragswerk zusammenhängt. Wir vertreten aber keine neue Politik, sondern nur die alte Politik in einer neuen Form. Die Ziele der deutschen Außenpolitik, Freiheit, Friede und Einheit, sollten nach unserer Überzeugung am besten dadurch gefördert werden, daß jenes Werk in Angriff genommen wurde, die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, die unmittelbar drei Zwecken diente: der Sicherheit für Westeuropa und damit für Westdeutschland, der Freiheit und Gleichberechtigung für die Bundesrepublik und der Einigung Westeuropas als Voraussetzung der Erreichung unseres höchsten nationalen Zieles, der Wiedervereinigung.
Wir leben am Rande des Eisernen Vorhanges, und wir leben darum hier in der Bundesrepublik am Rande des Abgrunds. Deshalb muß es das erste und das vordringlichste Ziel für jeden verantwortlichen deutschen Politiker sein, dafür zu sorgen, daß unser Volk in der Bundesrepublik vom Bolschewismus frei bleibt und daß die Schrecken, die über den östlichen Teil Deutschlands und über die Völker des Ostens dahingegangen sind, wenigstens diesem westlichen Deutschland erspart bleiben.
Dieses erste Ziel der Sicherheit ist auch die Voraussetzung dafür, daß wir das höchste unserer nationalen Ziele, die Wiedervereinigung, erreichen. Denn wenn die Bundesrepublik in die Hände der Sowjets fallen sollte, wäre jede Hoffnung verloren, Deutschland in Frieden und Freiheit zu vereinigen.
Der Herr Kollege Ollenhauer hat schon in der letzten außenpolitischen Debatte, er und andere seiner Parteifreunde haben auch heute wieder erklärt, der Verteidigungsbeitrag erscheine ihnen im Augenblick nicht mehr so dringlich. Die internationale Lage sei entspannt. Meine Damen und Herren, ob die Lage im Augenblick als entspannt anzusehen ist, kann ich ruhig dahingestellt sein lassen. Ich halte es doch für eine eigentlich nicht zu verantwortende Harmlosigkeit, davon auszugehen, daß jetzt etwa ein Verteidigungsbeitrag deswegen weniger dringlich sei, weil man vielleicht im Augenblick im Kreml nicht in die Trompete stößt, sondern die Schalmei bläst. Wir kennen doch das System der Sowjets, aufgebaut auf der alten Idee des Panslavismus, den europäisch-asiatischen Kontinent unter der Herrschaft des Kreml zu einigen. Aufgebaut auf dem Gebot der Weltrevolution, ist dieses System einer jeden Tarnung und Täuschung fähig. Ich kann es dabei in diesem Zusammenhang völlig dahingestellt sein lassen, ob es sich hier wirklich um Tarnung und Täuschung handelt oder ob diejenigen recht haben, die glauben, es könnten auch andere Motive sein, die einen echten Gesinnungswandel hervorrufen. Denn, meine Damen und Herren, beweisen können Sie diesen echten Gesinnungswandel unter keinen Umständen, und die Möglichkeit einer Täuschung können Sie nach allem, was wir erlebt haben, nicht ausschließen. Folglich müssen wir uns so einrichten, daß wir für die Möglichkeit einer solchen Täuschung gewappnet sind.
Sie wissen so gut wie ich, daß der Aufbau von Streitkräften eine Sache ist, die nicht in Wochen, sondern in Jahren geschieht. Im letzten Jahr, meint Herr Kollege Ollenhauer, habe sich die Situation in Europa entspannt. Nun, es braucht weniger als ein Jahr, und sie könnte sich vielleicht wieder sehr stark anspannen. Dann sind wir nicht in der Lage, durch einen Beschluß im Bundestag sofort eine deutsche Armee auf die Beine zu stellen. Sie wissen wie ich, daß hierzu Jahre erforderlich sind und daß wir leider bereits 21/2 Jahre in Europa verhandelt und zerredet haben, 21/2 Jahre, die uns bitter fehlen.
Deshalb müssen wir die Dinge jetzt mit Entschiedenheit in Angriff nehmen. Wir können, wenn der Wille der Russen zur Verständigung echt sein sollte, auch noch nach der Ratifizierung dieser Verträge verhandeln. Aber dann verhandeln wir auf einer wesentlich sichereren Grundlage, weil wir dem Osten den größten Gefallen nicht tun, waffenlos zu bleiben und damit seine Übermacht zu stärken.
Meine Damen und Herren, das Argument, wir sollten uns mit der Ratifizierung der Verträge, wir sollten uns mit dem System der Sicherheit der freien Welt Zeit lassen, ist einfach deshalb falsch, weil wir keine Zeit haben, am wenigsten unter militärischen und militärpolitischen Gesichtspunkten.
Um das System der Sicherheit zu schaffen, gibt es als Ausdruck des deutschen Verteidigungsbeitrages zwei Möglichkeiten. Wir haben zuerst die Möglichkeit einer sogenannten integrierten, einer einheitlichen europäischen Armee gewählt. Nachdem dieser Weg leider nicht zum Erfolg geführt hat, bleibt noch der andere Weg, der Weg über Nationalarmeen und eine Koalition dieser Nationalarmeen. Mit Recht haben verschiedene meiner Vorredner betont, daß man heute in militärischer Hinsicht nicht mehr von einer Nationalarmee im alten Stil sprechen kann. Aber juristisch können und müssen Sie es auch heute noch, weil es eine Frage der Kommandogewalt, eine Frage der Organisation ist. Wir von der CDU/CSU und von den übrigen Parteien der Regierungskoalition haben diese Nationalarmee nicht gewollt. Sie ist von anderen gewollt, uns geradezu nahegelegt, wenn nicht aufgezwungen worden. Ich selbst habe von dieser Stelle aus vor 21/2 Jahren gegen den Gedanken einer Nationalarmee und für den Gedanken einer vereinten europäischen Armee gesprochen. Daß dieser Gedanke nicht realisiert wurde, lag nicht an uns; es lag an anderen. Wenn wir das Bessere nicht haben können, müssen wir uns mit dem Guten begnügen.
Es ist heute — der Herr Kollege Erler hat damit ganz recht gehabt — nicht an der Zeit, über das innere Gefüge, die innere Ordnung einer neuen, demokratischen Wehrmacht zu sprechen. Denn heute sprechen wir nicht über das „Wie" eines
Verteidigungsbeitrages, sondern über das „Ob". Aber ich möchte doch ganz kurz auf eines hinweisen. Wenn wir Bedenken dagegen hätten, daß es möglich wäre, neue Streikräfte harmonisch einzubauen in das demokratische Staatsgefüge von heute, dann wäre das ein Mißtrauen, das wir alle dem Gedanken der deutschen Demokratie entgegenbringen würden. Die Zusammenarbeit aller demokratischen Parteien wird es uns ermöglichen, auch mit diesem Problem fertigzuwerden; dies um so mehr, als die Arbeit im Ausschuß für die europäische Sicherheit die beste Voraussetzung dafür bietet, daß wir auch einmal im Plenum die Frage der Ausgestaltung der Streitkräfte im Einverständnis von Regierung und Opposition werden lösen können. Wir fordern jedenfalls heute schon mit aller Entschiedenheit den Primat des Politischen und den Primat des Zivilen vor dem Militärischen.
Das zweite Ziel, das wir mit den alten und mit den neuen Verträgen erreichen wollen, ist ebenso wie das Ziel der Sicherheit zwangsläufig. Es geht darum, Freiheit und Gleichberechtigung für die Bundesrepublik zu erhalten, das Militärregime zu beseitigen, das Besatzungsregime durch eine deutsche Verfassung zu ersetzen. Es geht darum, daß wir wieder Herren in unserm eigenen Hause werden.
In den früheren Debatten hat die Sozialdemokratische Partei sehr starken Wert auf die Frage gelegt, daß in der sogenannten Notstandsklausel die Möglichkeit vorhanden war, praktisch die deutsche Souveränität, die wir zurückerhalten, wieder aufzuheben, weil sie einen Grund, ja möglicherweise sogar einen Vorwand dafür bietet. Herr Kollege Ollenhauer hat in der 242. Sitzung vom 15. Dezember 1952 — wenn ich es mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten verlesen darf und wenn Sie so liebenswürdig sind zuzuhören — die Worte gesprochen:
Wichtige souveräne Rechte behalten sich die
drei Westmächte weiterhin vor. Das gilt vor
allem für die Notstandsklausel... Sie ist, wie
immer man sie ansieht, der Art. 48 der Weimarer Verfassung mit dem verschärfenden Unterschied, daß er jetzt von den drei anderen Vertragspartnern gegenüber der Republik in Funktion gesetzt werden kann.
Meine Damen und Herren, diese Gefahr, die Herr Kollege Ollenhauer mit einem gewissen Recht dargelegt hat, ist heute geschwunden. Wenn wir unser Grundgesetz entsprechend ergänzt haben, dann ist keine Möglichkeit mehr gegeben, die Deutschland verliehene Souveränität wieder zurückzunehmen. Wenn aus den Kreisen der Opposition Bedenken gegen einen neuen Art. 48 geltend gemacht werden, so teilen wir diese Bedenken. Aber wir können ja gemeinsam dafür sorgen, daß ein neuer Notstandsartikel eben wirklich auf den Fall eines polizeilichen und militärischen Notstandes zugeschnitten ist und nicht auf irgendwelche wirtschaftliche oder andere Störungen unserer Ordnung. Jedenfalls ist eine deutsche Notstandsklausel, die in den Händen der deutschen Bundesregierung liegt, besser als eine solche in den Händen der Alliierten.
Dann, meine Damen und Herren, darf ich noch auf etwas ganz Entscheidendes hinweisen: auf die Tatsache, daß Deutschland Mitglied des Atlantikpakts wird, ein gleichberechtigtes, ein willkommenes, ein eingeladenes Mitglied. Überlegen Sie nur einmal, was es bedeutet, daß wir damit Mitglied der größten Allianz werden, die die Weltgeschichte kennt, und daß dies nicht einmal ganz zehn Jahre nach der größten Katastrophe unserer Geschichte geschieht, daß wir die Bundesgenossen derer werden, die die Sieger von gestern waren und die wahrhaftig mit Ressentiments gegen uns geladen gewesen sind.
Daß wir nach der EVG nicht Mitglied des Atlantikpaktes wurden, hat die sozialdemokratische Opposition zum Anlaß ihrer Kritik genommen. Mein verehrter Kollege Herr Professor Schmid hat zur ersten Lesung am 9. Juli 1952 hier im Deutschen Bundestag erklärt:
Warum gestattet man nicht den Deutschen den Eintritt in das atlantische Paktsystem, wo die eigentlichen Entscheidungen fallen? Dieses deutsche Kontingent steht doch zur Verfügung von NATO, und wer nicht in NATO vertreten ist, der bleibt das Objekt, das er heute schon ist.
Meine Damen und Herren, durch die neuen Verträge bleiben wir dieses Objekt nicht, wir werden ein gleichberechtigtes Subjekt, und ich glaube, Herr Kollege Professor Schmid könnte dem Herrn Bundeskanzler dafür seine Anerkennung aussprechen.
Herr Kollege Erler hat in diesem Zusammenhang heute an dieser Stelle erklärt, es gebe noch andere Beziehungen freier Völker als die einer Militärallianz, und diese anderen Beziehungen seien mindestens ebenso wichtig. Ich gebe ihm darin völlig recht. Aber, meine Damen und Herren, wenn ich so sagen darf: Es gibt auch andere Instrumente als eine Pistole, eine Geige z. B. ist ein viel schöneres Instrument. Aber wenn ich von einem Straßenräuber überfallen werde, dann hilft es mir nicht, eine Geige zur Hand zu nehmen, dann muß ich eben eine Pistole zur Hand nehmen.
Und vor der Sowjetunion helfen mir nicht andere Beziehungen freier Völker; da hilft mir eben nur ein Militärpakt, der mich garantiert, der alle garantiert und der mich damit schützt.
Herr Kollege Ollenhauer hat am gestrigen Tage gesagt, die Souveränität, die Deutschland jetzt zurückerhalte, sei nicht die übliche Souveränität, sie sei überhaupt keine eigentliche Souveränität. Meine Damen und Herren, ich will mich auf die Frage, ob es rechtlich eine Souveränität ist — was meiner Überzeugung entspricht — oder nicht, hier nicht einlassen. Ich glaube, das ist eine wichtige Frage, die in den Ausschußberatungen und damit in der zweiten Lesung eine Rolle spielen wird. Aber zwei Bemerkungen möchte ich dazu sagen.
Einmal: Die übliche Souveränität, von der Herr Kollege Ollenhauer sprach, gibt es seit dem Jahre 1945 in Europa überhaupt nicht mehr, sie wird es nicht mehr geben, und sie soll es gar nicht mehr geben. Andererseits aber muß ich noch hinzufügen: Wenn man dem Herrn Kollegen Ollenhauer und mir im Jahre 1945 prophezeit hätte, daß wir im Jahre 1955 nur einigermaßen diese Rechte bekommen würden, die uns die neuen Verträge geben, — meine Damen und Herren, wir hätten es beide nicht geglaubt, wir hätten uns beide „von" ge-
schrieben, wie man so sagt, und wir hätten gesagt: „Wenn wir das nur bekommen würden!"
Überlegen Sie doch einen Augenblick, was dies nun bedeutet. Als im Jahre 1946 in meiner Heimat in München die Bayerische Verfassunggebende Landesversammlung als das erste frei gewählte Parlament der amerikanischen Zone zusammentrat, da mußten sich die frei gewählten Männer und Frauen von den Plätzen erheben, als der amerikanische Militärgouverneur den Saal betrat. Als mein Parteifreund Dr. Semmler im Jahre 1947 die bekannte Rede gegen das Hühnerfutter hielt, konnte er noch des Amtes enthoben werden. Als im Jahre 1948 das wichtigste aller deutschen Gesetze seit der Kapitulation — mit Ausnahme des Grundgesetzes — erlassen wurde, das Gesetz über die Währungsreform, wurde es ohne unsere Mitwirkung, ohne daß unsere Vorschläge auch nur beachtet wurden, von oben diktiert. Und noch im Jahre 1949 mußte dieses Hohe Haus dem Petersberg seine Gesetze zur Genehmigung vorlegen.
Wenn Sie diesen Weg deutscher Erfolge sehen, dann können Sie nicht mehr daran zweifeln, daß wir hiermit wirklich jene Freiheit errungen haben oder vielmehr jetzt erringen werden, die wir uns längst ersehnt haben.
Und wenn Sie von einem weiteren Erfolg unserer Außenpolitik sprechen wollen, dann liegt er doch in jener Tatsache, daß der Brüsseler Vertrag, der zum Schutz gegen Deutschland geschaffen worden ist, nunmehr als Schutz aller europäischen Länder einschließlich Deutschlands umgestaltet wird.
Wenn Sie uns nun, meine Damen und Herren, die Frage stellen: „Sind die neuen Verträge besser als die alten?", so antworte ich Ihnen darauf: Unter nationalen Gesichtspunkten sind die neuen Verträge in einigen nicht unerheblichen Punkten besser als die alten. Trotzdem aber kann ich dem Herrn Kollegen Erler nicht darin zustimmen, daß wir den Sozialdemokraten für ihren Beitrag zum Scheitern der EVG dankbar sein sollten.
Ich sage Ihnen persönlich und im Namen meiner politischen Freunde: Auf den größeren nationalen Erfolg hätten wir gern verzichtet, wenn wir mit der EVG die Einigung Europas erreicht hätten.
Wir sind der Überzeugung, daß in der Mitte des 20. Jahrhunderts die Einigung unseres Kontinents ungleich bedeutungsvoller ist als die Erreichung noch so erstrebenswerter nationaler Einzelrechte.
Sie sehen daraus, daß ich gar nicht die Absicht habe, das Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zu verniedlichen. Die Bedeutung dieser Verteidigungsgemeinschaft hat doch politisch darin gelegen, daß man die Souveränität am entscheidenden, am kritischen Punkte überwinden wollte durch die Schaffung einer gemeinsamen Armee.
Meine Damen und Herren, so die Grundlagen für die Einigung dieses Kontinents zu legen, das war und bleibt ein kühner Gedanke, dessen sich niemand zu schämen braucht, der ihm je angehangen hat.
Schließlich und endlich geht es doch darum, daß
wir den Frieden in Europa sichern und daß wir die
Einheit in Europa sichern, indem wir Institutionen schaffen, die supranational, ,die europäisch sind. Am Mangel dieser Institutionen ist ja der Versuch zu Zeiten Briands und Stresemanns, Europa zu einigen, gescheitert. Und so bedauern auch wir es als Europäer und empfinden es bitter, daß dieser Weg vorerst nicht gangbar ist und daß wir nun einen Umweg zu dem alten Ziele gehen müssen. Aber was wir über die EVG zu einem guten Teil sofort erreicht hätten, die europäische Einigung, das bleibt als das Ziel des deutschen Volkes und der deutschen Bundesrepublik auch für die Zukunft aufrechterhalten, auch wenn wir zu diesem Ziele nunmehr nicht den kürzesten Weg, sondern einen längeren Umweg gehen müssen.
Wahrscheinlich ist die Europäische Verteidigungsgemeinschaft der Entwurf einer europäischen Teilverfassung, die ebenso nicht in Wirksamkeit trat wie der großartige Entwurf einer deutschen Reichsverfassung im Jahre 1849. Aber so wie die Einigungsbemühungen von 1849 schließlich nicht umsonst gewesen sind, hoffen wir auch, daß dieser Anlauf nicht umsonst gewesen ist,
hoffen wir, daß er zu einem späteren Zeitpunkt noch seine Früchte trägt. Jedenfalls ist das Scheitern der EVG kein Mißerfolg für Deutschland, wenn wir es unter nationalen Gesichtspunkten betrachten, sondern ein Mißerfolg für uns alle als Europäer in allen europäischen Ländern.
Wir haben nicht die Absicht, hier zur Außenpolitik anderer Länder Stellung zu nehmen; aber eine Bitte, glaube ich, können wir auch an andere Völker richten: Man soll jetzt einmal aufhören, von dem zu sprechen, was manches Nachbarvolk immer wieder von uns Deutschen sagt, vom deutschen Mysterium und von dem ungewissen Deutschland, wie es ein bekannter Schriftsteller schon nach dem ersten Weltkrieg genannt hat. Meine Damen und Herren, die deutsche Außenpolitik ist nicht ungewiß, und sie ist nicht mysteriös. Wenn ich die deutsche Außenpolitik mit der Außenpolitik manchen anderen europäischen Volkes vergleiche, komme ich sogar zu der Auffassung, daß sie von einer geradezu kartesianischen Klarheit und Eindeutigkeit ist.
Nun, meine Damen und Herren, ich sprach von dem alten Ziel, das wir auf einem neuen Wege erreichen wollen, einem Wege, auf dem wir nicht irre werden wollen. Wir wollen den Rückschlag auch nicht vergrößern. Wenn ein bekannter Politiker aus den Reihen der Koalition nach dem Scheitern der EVG Zweifel am Bestand der Montan-Union ausgesprochen hat, dann hoffe ich, daß er selbst sich inzwischen eines Besseren besonnen hat. Meine Damen und Herren, wenn wir etwas Zukünftiges erreichen wollen, dann müssen wir am Erreichten zuallererst einmal festhalten.
Es gibt kein Zurück von Europa, und es gibt auch keine europäische Zickzackpolitik.
Wir wollen sogar positiv festhalten, daß in einem Punkt die Westeuropäische Union einen großen Fortschritt bedeutet und sicherlich zur Realisierung der europäischen Idee beitragen wird, weil sich nämlich England nunmehr an dieser Union beteiligt,
und das begrüßen wir Deutschen nicht weniger, als es andere europäische Völker begrüßen mögen, begrüßen es um so mehr, als damit ein halbes Jahrtausend der Trennung der englischen Politik vom Kontinent ihr Ende gefunden hat. Vor allem aber glaube ich, daß in fernerer Zukunft die jetzige Entwicklung noch einen Vorteil haben wird. Bisher haben ,die anderen zu uns gesagt: „Ihr Deutschen tut euch leicht, gute Europäer zu sein; denn ihr gebt ja keine Hoheitsrechte auf; ihr übertragt ja nur die Rechte des Petersberges auf europäische Instanzen, und das ist für euch nur ein Vorteil, während wir anderen ja Hoheitsrechte aufgeben müssen". Meine Damen und Herren, in Zukunft werden wir Deutschen die gleichen Hoheitsrechte besitzen, und dann, wenn wir den gleichen Start haben wie die anderen, wollen wir beweisen, daß unser Europäertum echt ist, daß es uns mit dem Willen zum Verzicht auf Souveränitätsrechte ernst ist und daß wir jederzeit bereit sind, auf solche Rechte zu verzichten, als Vorbild für alle anderen.
Herr Kollege Jaeger, darf ich Sie fragen, ob ich die Äußerungen von Ihnen kürzlich in der Presse richtig verstanden habe in dem Sinne, daß Sie das Franco-Regime in Spanien für einen Träger des von Ihnen zitierten Europäertums halten.
Für einen Träger —?
— des eben hier zitierten europäischen Gedankens und Europäertums!
Wie ich dem maßgebenden Herrn Ihrer Fraktion schriftlich mitgeteilt habe, ist die von einer Agentur verbreitete Meldung, ich hätte Spanien und Deutschland als die beiden Träger der westeuropäischen Verteidigung bezeichnet, völlig falsch. Was ich gesagt habe und was ich auch in einer von Ihnen sicherlich gelesenen.. Zeitung, dem „Rheinischen Merkur", geschrieben habe, ist, daß Deutschland wie Spanien beide gegen die Gefahr des Bolschewismus immun sind. Ich glaube, diese Frage gehört an dieser Stelle nicht in die Diskussion.
Ich bin jedoch durchaus bereit, mit Ihnen hier oder anderswo darüber zu diskutieren, wenn Sie es wünschen.
— Das von den Säulen der Verteidigung nicht. Das übrige darf ich Sie bitten, im „Rheinischen Merkur" nachzulesen; ich habe es schriftlich gegeben.
— Damit Sie es genau wissen: ich bin auch bereit, in einer sozialdemokratischen Zeitung zu schreiben, wenn man meine Artikel dort unverändert abdruckt.
Die Berichtigung, die ich dem „Neuen Vorwärts" geschickt habe, hat er leider nicht abgedruckt. Ich kann nichts dafür.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen vorhin schon einleitend ausgeführt, daß die Erhaltung der westdeutschen Sicherheit die Voraussetzung
für die Erreichung unseres höchsten Zieles, der deutschen Wiedervereinigung ist. Auch die Erlangung der westdeutschen Souveränität ist ein Schritt auf diesem Wege, weil wir in dem Maße, in dem wir diese Souveränität erlangen, selbst nicht nur Herren im eigenen westdeutschen Hause sind, sondern auch Partner an einem jeden Verhandlungstisch. Vor allem aber haben wir durch die Verträge die Zusagen der anderen großen Mächte und das Bündnis der 14 NATO-Staaten für die friedliche Erreichung des Zieles: Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit.
Herr Kollege Erler hat am heutigen Vormittag gesagt, er sei gegen die Verträge und er sei gegen eine deutsche Wiederaufrüstung, weil sie dafür sorgen würden, daß man einem provisorischen Teilstaat einen vollendeten Charakter gäbe. Meine Damen und Herren, wir haben nicht die Absicht, das Provisorium der Bundesrepublik als eine Endlösung hinzustellen, die sie nach unserem Willen gar nicht ist und gar nicht sein kann, aber wir haben eine Absicht: Wir wollen, daß die Freiheit, unter der wir in der Bundesrepublik leben, nicht provisorisch ist, sondern endgültig,
und zu diesem Zweck müssen wir aufrüsten.
Der Herr Kollege Erler hat auch gesagt, es sei traurig und es müsse verhindert werden, daß zwei deutsche Staaten in West und Ost aufgerüstet gegeneinander stehen.
Er hat bis zu einem gewissen Grade recht. Traurig ist es bestimmt; verhindert werden kann es nicht. Herr Kollege Erler hat nämlich einige Augenblicke später, als die Frage, die zum Schluß der Debatte besprochen wurde, zur Diskussion stand, geäußert, daß für einen Teil, nämlich den Osten, die Aufrüstung bereits stattgefunden hat. Das hat er hier erklärt. Sie haben es alle gehört. Nun, meine Damen und Herren, wenn die östliche Armee bereits steht, dann haben wir doch nur die Wahl, entweder im Westen auch eine Armee aufzustellen oder einst die östliche deutsche Armee als Zwingherrn hier im Lande zu haben.
Herr Kollege Ollenhauer hat gestern gesagt, wenn man die junge Generation gewinnen wolle, müsse man zuerst eine überzeugende Anstrengung für den Frieden und die Einigung machen. Ich glaube, was wir dafür tun können, haben wir getan. Die Berliner Konferenz hat es doch an einem ganz einfachen Beispiel bewiesen. Ich meine gar nicht uns Deutsche, ich meine Österreich. Österreich ist doch das Land, in dem die Viermächtebesetzung noch klappt. Österreich ist sozusagen neutralisiert. Österreich hat alle Friedensbedingungen der Russen angenommen, und trotzdem hat man sich über den Staatsvertrag nicht geeinigt, weil eben der gute Wille im Osten fehlt.
Solange das kleine, strategisch und wirtschaftlich im Vergleich zu Deutschland immerhin nicht so bedeutungsvolle Österreich seine Freiheit, obwohl es neutralisiert ist, nicht erreicht, lohnt es sich gar
nicht, von einem echten Versuch der Aussprache über Deutschland überhaupt nur zu reden.
Wenn man in kleinen Dingen schon nicht Recht tut, wie soll man uns das Recht geben?
Nun, meine Damen und Herren, damit bin ich dann bei dem Punkt angelangt, der auch den Herrn Kollegen Dr. Arndt wie uns alle in besonderer Weise interessiert, nämlich bei dem Ressentiment, das gegen das Soldatwerden zweifellos besteht. Ich gebe dem Herrn Kollegen Ollenhauer recht. Die Sache ist zweifellos nicht nur vom Osten geschürt. Es ist zum Teil auch ein natürliches Ressentiment, es geht aber zum Teil auch auf die Schuld der deutschen Sozialdemokratie.
Herr Kollege Erler hat heute früh gesagt, die Bundesregierung habe zwei Zungen, eine für den Hausgebrauch und eine für die freie Welt.
Das ist zweifellos eine herbe Kritik, die ich nicht zurückzuweisen brauche. Das wird sicherlich eine berufenere Stelle tun. Aber wenn wir schon von zwei Zungen reden, dann, glaube ich, ist in dieser Frage bei der sozialdemokratischen Politik festzustellen, daß sie für die Welt anders spricht als für den Hausgebrauch.
Hier im Deutschen Bundestag haben von dem verstorbenen Kollegen Dr. Schumacher bis zu den jetzigen Führern der Sozialdemokratie die namhaften Männer sich gegen den Ohne-Mich-Standpunkt mit überzeugenden Argumenten ausgesprochen.
Was tut man draußen? Im ganzen Lande Bayern, vermutlich auch in den anderen Ländern, hat man Schwarz auf Gelb die Plakate angeschlagen: Ergebnis der Pariser Konferenz: 500 000 Deutsche in die Kasernen. Unterschrift: SPD.
Ich frage Sie: Ist das kein Spekulieren auf den Ohne-Mich-Komplex?
Das heißt doch auf deutsch: Wähle die Partei, deren Namen darunter steht, und du mußt nicht in die Kaserne gehen! — So viel Logik müssen Sie dem deutschen Wähler zutrauen!
Dann noch etwas sehr Ernstes. Sie verweisen bei Gelegenheit auf den Widerstand, der erst in der Gewerkschaftsjugend und jetzt leider im Deutschen Gewerkschaftsbund gegen den Wehrbeitrag zutage getreten ist, und Sie operieren damit, Sie müßten diesem stets vorhandenen Widerspruch in Ihrer Politik Ausdruck geben. Meine Damen und Herren, die Organisationen, die den Abgeordneten der Christlich-Demokratischen und der Christlich-Sozialen Union nahe stehen, insonderheit die Organisationen, aus denen die jüngeren Abgeordneten
unserer Fraktion kommen, sind vor drei Jahren zu mehr als zwei Dritteln geschlossen Gegner eines Wehrbeitrags gewesen.
Wir sind aber der Meinung, daß der Abgeordnete nicht auf irgendeine Stimmung zu hören hat, sondern auf sein Gewissen. Und weil wir uns nach reiflicher Überlegung für einen deutschen Verteidigungsbeitrag entschieden haben, haben wir uns vor ,die Organisationen, aus denen wir kommen, hingestellt, und es ist uns in harter Arbeit und in echt demokratischer Diskussion gelungen, die große Mehrheit der dort organisierten Menschen für den Verteidigungsbeitrag zu gewinnen.
Wir machen eben eine Politik aus dem Gewissen und nicht eine Politik nach der Stimmung oder der Bequemlichkeit. Und wenn Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, seit drei Jahren mit derselben Entschiedenheit in den Organisationen, die Ihnen nahestehen, für einen deutschen Verteidigungsbeitrag eingetreten wären, dann gäbe es keine Ohne-mich-Stimmung mehr im deutschen Volk!
— Das bestreite ich Ihnen doch gar nicht, weder Ihnen persönlich noch anderen!
— Das verlange ich von Ihnen keineswegs.
Nun darf ich zur Frage des Wehrbeitrags noch etwas sagen, was gerade die junge Generation auch versteht. Wir haben unter uns einen von mir persönlich besonders geschätzten Kollegen, der ein ausgesprochener Anhänger des Pazifismus ist. Dieser Mann ist kürzlich in der Eisenbahn überfallen worden.
Die Presse hat sich darüber aufgehalten, daß er von anderen nicht verteidigt wurde. Sehen Sie, meine Damen und Herren, wie es einem im Privatleben geht, geht es einem auch im öffentlichen Leben: wenn man nicht gerüstet ist, ist man nicht geschützt.
Das Wort zu einer Zwischenfrage hat der Abgeordnete Erler.
Darf ich den Kollegen Jaeger so verstehen, daß er wünscht, daß künftig jeder deutsche Eisenbahnreisende eine Pistole in der Tasche hat?
Diese Folgerung ist so primitiv, daß Sie sie sicher nicht im Ernst gezogen haben, Herr Kollege Erler!
— Herr Kollege Menzel, ich habe gar nichts gegen eine Zwischenfrage; aber gehen Sie dann bitte ans Mikrophon! Ich kann Sie nicht verstehen.
Es ist unglaublich, daß Sie mit dem Unglück eines anderen ein politisches Geschäft machen wollen.
Wir machen kein politisches Geschäft, sondern wir nehmen einen alltäglichen Fall, weil das Leben eben sehr alltäglich ist.
— Das hat mit Moral nichts zu tun, ich bin ja schließlich nicht der Eisenbahnräuber!
— Meine Damen und Herren, ich bin bereit, auf Zwischenfragen am Mikrophon zu antworten, aber nicht auf Zwischenrufe, die ich nicht verstehen kann.
— Sie haben es offenbar nicht gehört: diese Schlußfolgerung war so primitiv, daß ich nicht glaube, daß Sie die Frage im Ernst gestellt haben!
— Herr Kollege Erler, ich werde nur die Schlußfolgerung daraus ziehen, daß die Sicherheitsmaßnahmen der Polizei verstärkt werden müssen.
— Deswegen wollen wir ja die europäischen Institutionen, Herr Kollege Erler!
Herr Kollege Baade hat uns heute vormittag erzählt — es war von uns nicht herausgefordert; wir haben es alle nicht gewußt —, daß sein Sohn im Dienst der amerikanischen Armee steht. Meine Damen und Herren, das ist ein Umstand, der uns in keiner Weise irgendwie berührt. Aber ich möchte doch sagen — und diese Bemerkung werden Sie mir erlauben —: ich freue mich, daß wenigstens der Sohn eines Sozialdemokraten bereit ist, für die Verteidigung der freien Welt seinen Beitrag zu leisten. Wie schön, wenn Sie es alle eines Tages auch tun werden, nur in einer anderen Form.
Ich bin allerdings der Meinung, daß es in naher Zukunft vollkommen gleich sein wird, ob man die freie Welt in einer amerikanischen, in einer englischen oder in einer deutschen Division verteidigt. Trotzdem würde ich persönlich den Wunsch haben, daß mein Sohn einmal von deutschen Offizieren geführt wird und in der eigenen oder in einer europäischen Armee dienen wird.
Sie haben vorhin in einem Zwischenruf — ich weiß nicht, welcher Kollege es war — gefragt, ob ich mich zur Diskussion gestellt habe. Ich kann antworten: ich persönlich — wenn Sie es auf mich
persönlich münzen — habe es in ungezählten Diskussionen vor zweitausend Münchener Studenten vor zweieinhalb Jahren, vor Jugendverbänden, katholischen, evangelischen, überkonfessionellen, oft genug getan. Ich scheue mich dessen nicht. Ich würde auch mit der sozialdemokratischen Jugend diskutieren, wenn Sie mir dazu in fairer Form eine Gelegenheit gäben. Wir vertrauen auf den Appell an die Vernunft, meine Damen und Herren!
Aber ich möchte Ihnen doch noch eins zu bedenken geben. Es ist erschreckend, welche Parallelen
— die durchaus nicht auf eine gemeinsame Gesinnung schließen lassen, das möchte ich ausdrücklich betonen — zwischen den Äußerungen sozialdemokratischer Führer und den offiziellen Äußerungen des Ostens in verschiedener Hinsicht festzustellen sind. Die Tatsache, daß die Lage entspannt ist, wird im Osten wie in den sozialdemokratischen Erklärungen betont. Sie hören es auch
Kollege Erler!
Herr Kollege Dr. Jaeger, wenn Sie glauben, daß diese Parallelen irgend etwas zur Diskussion, zur Klärung der Frage beitragen können, dann frage ich Sie, ob vielleicht dann auch folgende Parallele zur Klärung der Frage beitragen könnte, wie sie sich findet in der Darstellung des panslavischen asiatischen Bolschewismus in den Klängen, die man heute in Deutschland hört, und denen, die wir von 1933 bis 1945 in Deutschland gehört haben.
Die Frage, was ich von den Parallelen halte, Herr Kollege Erler, hätte ich in den nächsten Sätzen beantwortet. Sind Sie so lieb, mir diese nächsten Sätze noch zu gestatten!
Es wird von beiden Seiten betont
— ich werde schon sagen, worauf es hinauskommt —, daß die Westeuropäische Union die Wiedervereinigung Deutschlands gefährde und die Spaltung Deutschlands verewige. Meine Damen und Herren, die Schweizer Zeitung „La Suisse" — deren Meinung ich mir durchaus nicht zu eigen machen will — bringt dazu in ihrer gestrigen Nummer eine Notiz. Sie schreibt, wenn die Ratifizierung der Verträge in Deutschland oder Frankreich scheitere, scheitere damit die Verteidigung des ganzen Westens.
Man kann noch nicht abschätzen, — schreibt die Zeitung wörtlich —
wie sich die Sowjetpropaganda gegen die Verträge auf die französische öffentliche Meinung auswirken wird. Auf die Meinung der SPD hat sie sich hundertprozentig ausgewirkt.
— Ich will Ihnen ausdrücklich sagen, daß ich mir das nicht zu eigen mache, daß ich glaube, eine andere Lesart ist richtig.
Diese andere Lesart ist die: Drüben besteht die Absicht, Deutschland zu vernichten, und deswegen
macht man eine bestimmte Politik, die dazu führt. Sie haben die Absicht, Deutschland die Freiheit zu erhalten. Ist es nicht bedenklich, daß Sie die gleiche Politik propagieren? Sollte Sie das nicht zum Nachdenken veranlassen, daß Sie vielleicht auf einem falschen Weg sind?
Wenn ich sehe, daß bei der unbestreitbar guten und gegenteiligen Meinung der Sozialdemokratie diese praktisch die gleiche Politik vorschlägt wie der Osten, dann frage ich mich: ist nicht vielleicht ihre Politik falsch? Drüben ist sie aus böser Absicht diktiert, hier doch offenbar aus politischer Kurzsichtigkeit. Den guten ,Glauben bestreite ich Ihnen nicht, aber, meine Damen und Herren, er ist leider das einzige, was man an der sozialdemokratischen Außenpolitik anerkennen kann.
Ich muß mit aller Deutlichkeit sagen: die Politik, die Deutschlandwaffenlos und bündnislos läßt, ist eine Politik des Selbstmords aus Angst vor dem Tode.
Wir halten diese Politik für gefährlich.
— Ich werde gerne auf eine Zwischenfrage antworten, Herr Kollege Erler.
Herr Abgeordneter Erler!
Herr Kollege Jaeger, ist Ihnen nicht inzwischen bekanntgeworden, daß der Status für das wiedervereinigte Deutschland, wie ihn die Sozialdemokratische Partei vertritt — der also lediglich die Freiheit von Militärbündnissen vorsieht —, noch lange nicht bedeutet, daß dieses wiedervereinigte Deutschland waffenlos und schutzlos ist?
Das ist mir bekannt. Dagegen habe ich ja auch nichts einzuwenden. Ich wende mich dagegen, daß Sie diese Bundesrepublik waffen- und schutzlos sein lassen wollen. Denn diese Bundesrepublik ist die Realität, in der wir leben, und wir wollen die Freiheit, die wir haben, nicht zum Opfer bringen. Sie ist für uns das höchste Gut. Und, meine Damen und Herren, wenn wir mit diesen Verträgen einen neuen Weg gehen, ist es der neue Weg zu den alten Zielen, die wir hier oft genug vertreten haben, zu den Zielen der Freiheit, des Friedens und der Einheit für Deutschland und unseren Kontinent.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mende..
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein sehr verehrter Herr Vorredner hat mit seinem Temperament hier eine Unruhe hervorgerufen, von der ich hoffe, daß ich sie zumindest im ersten Teil meiner Ausführungen glätten kann. Für den zweiten Teil allerdings kann auch ich nicht garantieren.
Bei diesem Temperament, Herr Kollege Jaeger, frage ich mich: Ist es ein preußisches gewesen —nach Ihrem Geburtsort Berlin — oder ein bayerisches — nach Ihrer Heimat Bayern?
Aber vielleicht lösen Sie einmal dieses interessante biologisch-psychologische Problem.
Der Herr Bundeskanzler hat gestern in seiner großen Rede erklärt, die Bundesregierung verschweige nicht, daß ihr Bemühen um eine Neugestaltung und Verbesserung des Vertragswerkes von 1952 nicht auf allen Gebieten erfolgreich war. „Besonders auf dem Gebiete des Überleitungsvertrages bleiben berechtigte Wünsche und Anliegen unerfüllt".
Ich habe die Ehre, im Namen der Fraktion der Freien Demokraten zu einem solchen unerfüllten Anliegen zunächst Stellung zu nehmen, nämlich zum Problem der Kriegsverurteilten, und im zweiten Teil werde ich allgemein auf Wehrfragen einzugehen haben, insbesondere auch auf das, was der Herr Bundeskanzler zu dem Problem Wehrmacht im demokratischen Staat gesagt und was Herr Kollege Ollenhauer zu der Frage des .,idiotischen Barras" hier an Kritik vorgebracht hat.
Wir haben seinerzeit in den Artikeln 6 bis 8 des Ersten Teiles des Überleitungsvertrages die Einsetzung Gemischter Ausschüsse vorgesehen gehabt, die auch jetzt in den neuen Überleitungsvertrag übernommen wurden. Aufgabe dieser Ausschüsse sollte es sein, ohne die Gültigkeit der Urteile in Frage zu stellen, Empfehlungen für die Beendigung oder Herabsetzung der Strafe oder für die Entlassung auf Ehrenwort auszusprechen in bezug auf Personen, die durch die alliierten Gerichte wegen Verstoßes gegen das Kriegsrecht und den Kriegsbrauch oder gegen die allgemeinen Gesetze der Menschlichkeit verurteilt worden waren. Dieser Gemischte Ausschuß ist nicht in Tätigkeit getreten, weil ja die Vertragswerke am 30. August 1953 in Paris in der Assemblée Nationale gescheitert sind. Lediglich eine Art interimistischer Ausschüsse konnte erreicht werden, denen es immerhin zu verdanken ist, daß ein großer Teil der damals Inhaftierten entlassen werden konnte. Die Hoffnung, die wir bei den neuen Verhandlungen hatten, nämlich daß im Rahmen eines besseren Klimas im Jahre 1954 jene Fragen hätten abschließend bereinigt werden können, die noch im Jahre 1952 nicht bereinigt werden konnten, haben sich leider nicht erfüllt. Wir haben aber wenigstens Fortschritte zu verzeichnen.
Ich nehme an, daß es Sie interessiert, zu hören, wieviel Menschen heute noch in alliierter Haft sitzen. Ich hoffe, daß das Problem auf allen Seiten des Hauses, da es ja um Menschen und um das Recht seht, ebenso interessiert wie die Fragen des Kindergeldgesetzes oder die Fragen von Kohle und Stahl. In den Ländern Norwegen, Dänemark, Holland, Belgien, Luxemburg, Frankreich, Italien, Jugoslawien, in Landsberg. Wittlich und in Werl wurden im Jahre 1950 noch 3650 verurteilte Deutsche festgehalten. im Jahre 1951 waren es 2785, im Jahre 1952 1127, im Jahre 1953 813. im Jahre 1954 466. und am 10. Dezember dieses Jahres waren es 353 Kriegsgefangene und Kriegsverurteilte.
Im einzelnen verteilen sie sich wie folgt: auf Frankreich entfallen noch 111 Deutsche, in Holland sind es 53, in Belgien 9, dabei einige aus Eupen-
Malmedy, bei denen seitens der belgischen Stellen die Frage der deutschen Staatsangehörigkeit bestritten ist, in Luxemburg 4 Deutsche, in Italien einer, in Werl 37 Deutsche, in Wittlich 43 und in Landsberg 95.
Nach den Feststellungen eines erfahrenen Juristen sind bei den 43 Deutschen in Wittlich 12 der Kriegsverurteilten kriminell vorbestrafte zweifelhafte Elemente, in Landsberg unter den 95 22 kriminell vorbestrafte zweifelhafte Elemente. Wir hoffen, daß im Rahmen der neuen Ausschüsse, die nach Art. 0 bis 8 zusammentreten werden, noch mehr erreicht werden kann, als durch die interimistischen Ausschüsse schon erreicht werden konnte.
Die Frage ist — und sie läßt sich mit Recht aufwerfen —: Messen wir nicht dem Problem der Kriegsverurteilten zuviel Bedeutung bei? Nun, meine Damen und Herren, für uns, auch in diesem Hause, ist es in erster Linie eine Frage des Rechts; denn ich darf in Ihre Erinnerung zurückrufen, daß die Grundlage jener Verurteilungen juristisch anfechtbar ist. Der geistige Vater jener Kriegsverbrecherprozesse ist der sowjetische Professor Traïnin, der im Jahre 1943 eine Schrift „La responsabilité criminelle des Hitleriens" im Verlag Zanuk in Paris veröffentlicht hat.
In Verfolg der hier zum Ausdruck gebrachten Gedankengänge ist dann am 30. Oktober 1943 die Moskauer Deklaration erfolgt, und am 8. August 1945 folgte die Londoner Viermächteakte, denen sich dann Ausnahmegesetze in England, Frankreich, Belgien, den Niederlanden und anderen Staaten anschlossen. Ich betone: Ausnahmegesetze; denn sie verstießen zum Teil gegen fundamentale internationale Rechtsgrundsätze, beispielsweise den Satz: Nulla poena sine lege! Die französische Verordnung von 1944 und das luxemburgische Gesetz enthalten zwingende Auslegungsvorschriften, z. B. daß Tötungen, die als Repressalien erfolgt sind, als Mord bestraft werden müssen. Das niederländische Gesetz läßt eine Analogie im Strafrecht zu, die es ja bekannterweise dort sonst nicht gibt. Das französische Gesetz vom 15. September 1948 schafft eine strafrechtliche Kollektivhaftung unter Umkehrung der Beweislast. Das heißt: wenn der Täter einer Straftat nicht gefunden werden konnte, so haftete kollektiv der gesamte Verband, und jeder einzelne war gezwungen, den Beweis seiner Unschuld zu erbringen.
Daß die Zugehörigkeit der beteiligten Richter zur Widerstandsbewegung gefordert wurde, rechtfertigt die Behauptung, daß nicht immer nach den Grundsätzen des gerechten Rechts, sondern leider auch nach den bitteren Erfahrungen und nach dem Ressentiment des zweiten Weltkriegs geurteilt wurde.
Wir haben also wegen dieser sehr zweifelhaften Rechtsgrundlagen allen Anlaß, das Problem der Kriegsverurteilten abzuschließen. Aber nicht nur das Rechtsproblem, auch das psychologische Problem zwingt zu einem baldigen Abschluß.
Da über die Frage „Kriegsverurteilte, Kriegsverbrecher" gelegentlich falsche Interpretationen, vor allem in der Auslandspresse, lesbar sind, darf ich Ihnen noch einmal wiederholen, was ich an derselben Stelle im Juli 1952 bei der Beratung der damaligen Verträge zu dem Kriegsverbrecherproblem erklärt habe. Wenn wir von Kriegsverurteilten und von Kriegsverbrechern sprechen,
meinen wir alle jene, die durch die besonderen Umstände des Krieges in Schuld verstrickt wurden, die vielleicht sogar unschuldig in das Mahlwerk einer noch stark vom Morgenthaugeist bestimmten Siegerjustiz geraten sind, deren nach allgemeinem Recht fragwürdige Verfahrensvorschriften ich eben kritisiert habe. Wir meinen jedoch nicht jene, die auch nach dem allgemeingültigen Recht objektiv und subjektiv schuldig geworden sind, weil sie ohne die Not des Krieges und ohne den Zwang besonderer Kriegsverhältnisse weit hinter der Front Menschen gequält, Menschen wegen ihrer Rasse, Religion oder Parteizugehörigkeit gepeinigt und den deutschen Namen mit Schande bedeckt haben. Die letzteren scheiden aus dieser Diskussion aus; sie wollen wir nicht haben. Wir sprechen von jenen, die, wie gesagt, durch den Krieg und die besonderen Kriegsverhältnisse in Verstrickungen gekommen sind, in denen sie nun schuldig oder teilschuldig oder gar unschuldig Opfer jener Nachkriegsjustiz geworden sind.
Das Ganze ist aber nicht nur eine Frage des Rechts; es ist für die Aufstellung neuer deutscher Verbände auch eine psychologische Frage; denn es geht hier um das große Problem des Handelns auf Befehl. Ein großer Teil der Verurteilten hat auf Befehl gehandelt. Natürlich wollen gerade bei der Diskussion um die innere Struktur, um die Frage der Verantwortlichkeiten, des Befehlens und Gehorchens, die jungen Deutschen wissen: Welche Sicherungen haben wir, damit nicht auch wir eines Tages für Befehlsausführungen verantwortlich gemacht werden, wie es unseren Vätern geschehen ist? Die Frage des Handelns auf Befehl im Zusammenhang mit der Kriegsverurteiltenfrage ist für die deutsche Wehrpsychologie eine Angelegenheit ersten Ranges.
Wie regeln nun die Verhandlungen um den Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft diese Frage? Es heißt im Militärprotokoll in Art. 18:
Der Untergebene soll seinem Vorgesetzten im Rahmen der dienstlichen Erfordernisse und der gesetzlichen Bestimmungen, der Kriegsbräuche und der militärischen Vorschriften gehorchen.
Also auch hier die Forderung nach Gehorsam der Untergebenen gegenüber den Vorgesetzten.
Noch interessanter ist das Protokoll über allgemeine Strafrechtsgrundsätze. Hier bitte ich Sie, genau zuzuhören, denn hier liegt der Schlüssel zu einer abschließenden Regelung des Problems der Verurteilung ehemaliger Soldaten. Es heißt hier im Protokoll über allgemeine Strafrechtsgrundsätze:
Niemand kann für eine Straftat bestraft werden, die das Gesetz nicht ausdrücklich als solche bestimmt: noch kann er mit Strafen belegt werden, die vom Gesetz nicht ausdrücklich festgesetzt sind.
Hier erfolgt also die Wiederherstellung des alten Grundsatzes: Nulla poena sine lege.
Unter Ziffer 2 wird das Verbot rückwirkender Kraft ausgesprochen werden:
Das Strafgesetz kann weder hinsichtlich der Begriffsbestimmung der Straftat noch der Festsetzung der Strafe rückwirkende Kraft besitzen. Wird die Gesetzgebung nach dem Zeitpunkte der Begehung der Straftat geän-
dert, so sind grundsätzlich die Bestimmungen anzuwenden, die sich für den Beschuldigten am günstigsten auswirken.
Unter Ziffer 3 heißt es:
Bei der Festsetzung der Strafen und bei der Art ihrer Anwendung wird die Schwere der Straftat, ferner der Umstand, ob der Täter sie als solche erkannte, und schließlich, ob er den Willen hatte, sie zu begehen, berücksichtigt.
In Ziffer 5 heißt es:
Das Gesetz soll die Fälle festlegen, in denen der materielle Urheber einer Straftat nicht strafbar ist; dies ist insbesondere der Fall:
— hier bitte ich die Vertreter, die an den kommenden Gesprächen in Brüssel oder in Paris teilnehmen, genau zuzuhören, weil ich fürchte, daß diese Absätze bei den Verhandlungen in Brüssel nicht genügend besprochen wurden —
a) wenn der Täter im Augenblick der Begehung der Tat vollkommen seines Bewußtseins oder seines Willens beraubt war . . .,
b) wenn der Täter sich infolge eines unwiderstehlichen physischen oder moralischen Zwanges genötigt sah, eine Handlung zu begehen oder sie zu unterlassen,
c) wenn der Täter von einer hierzu befugten Stelle einen rechtmäßigen Befehl erhalten hat.
Schließlich:
wenn der Täter in Notwehr gehandelt hat. Und als letztes:
Bei der Festsetzung der Strafbarkeit und den Erwägungen hinsichtlich der Gewährung von Strafmilderungen und ihres Ausmaßes soll das Gesetz dem Alter des Täters Rechnung tragen.
Meine Damen und Herren, übertragen wir diese Rechtsgrundsätze des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft auf die Revision der Urteile bezüglich der noch inhaftierten Soldaten, und wir bekommen den größten Teil von ihnen morgen frei! Denn wer hat in einem autoritären System nicht unter einem physischen oder psychischen Zwang gestanden, wenn er bei Nichtausführung eines Befehls nicht nur selber mit dem Tode bedroht war, sondern wenn im Rahmen der Sippenhaft sogar Frau und Kind und Eltern bedroht waren?!
Bei den jüngeren Inhaftierten sollte man Ziffer 6 berücksichtigen und dem Alter des Täters Rechnung tragen. Ich denke da an die 18- und 19jährigen SS-Leute aus dem Malmedy-Fall, die zum Teil immer noch in Landsberg inhaftiert sind, obgleich sie nicht nur bei der Begehung der Tat minderjährig waren, sondern sich auch im Rahmen des Einziehungssystems zwangsweise und nicht im Rahmen einer Freiwilligkeit bei der Waffen-SS befanden.
Wir Freien Demokraten schlagen daher vor, daß man bei den Gnadenkommissionen, die nach dem Überleitungsvertrag ja nur für die in Deutschland, in Werl, Wittlich und Landsberg, Inhaftierten zuständig sind, die Zuständigkeit erweitert und auf die in Frankreich Inhaftierten ausdehnt, daß man eine deutsch-belgische gemischte Kommission und eine deutsch-niederländische Gnadenkommission —
ebenfalls im Rahmen der Verhandlungen der Westeuropäischen Union — erreicht. Noch besser wäre es allerdings, wenn es vor allem wieder jetzt im Hinblick auf das bevorstehende Weihnachtsfest gelänge, durch Gnadenakte der dafür zuständigen Staatsoberhäupter oder Hohen Kommissare das langwierige Verfahren der Gnadenkommissionen überhaupt auszuschalten.
Lassen Sie mich ein Letztes noch zu dem Problem Spandau sagen. Hier haben die Westalliierten jahrelang versucht, gerade für die Ältesten der Inhaftierten, Neurath und Raeder, Hafterleichterungen oder gar Entlassungen zu erreichen. Das ist immer wieder an dem Widerstand der Sowjets gescheitert. Nunmehr haben die Sowjets den Fall Neurath aufgegriffen und die Entlassung vorgeschlagen. Meine Damen und Herren, nun steht in der Welt die Sowjetunion als Vertreterin humanitärer Gedanken gegenüber dem alten Herrn Neurath ida. Wollen wir so lange warten, bis diese Sowjets auch noch im zweiten Fall, im Falle Raeder, die Initiative ergreifen? Ich glaube, die Westalliierten sollten es sich angelegen sein lassen, nun ihrerseits einen Gegenzug zu tun und nunmehr die Entlassung des 78jährigen Herrn Raeder vorschlagen.
Damit möchte ich dieses Problem — die Frage des Rechtes und die Frage der Psychologie des Handelns auf Befehl — abschließen mit der Hoffnung, daß gerade in dieser Frage allmählich auch in der Politik das Vaterunser Geltung erhält: „und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern". Im zweiten Weltkrieg sind leider auf allen Seiten Licht und Schatten zu bemerken, auf allen Seiten Völkerrechtsbrüche vorgekommen. Wo kommen wir hin, wenn wir nach dem System „tu quoque" aufrechnen? Ich glaube, es dient dem Gemeinschaftsgeist und dem Beginn einer neuen Zusammenarbeit besser, wenn man nicht wie Lots Weib in der Bibel zurückschaut und dafür zu einer Salzsäule erstarrt, sondern vorwärtsschaut nach Europa und die leidige Frage der kriegsverurteilten Soldaten endlich, zehn Jahre nach dem letzten Schuß, zum Abschluß bringt.
Nun zu der zweiten Frage, die der Herr Bundeskanzler in seiner Rede anrührte, als er erklärte:
In Deutschland — darüber sind wir uns alle in diesem Hohen Hause einig — wird die Armee unter dem Gesetz stehen, das vom Bundestag erlassen werden wird. Über seine Ausführung werden alle, die in Deutschland politische Verantwortung tragen, gemeinsam wachen.
Die Armee habe, so erklärte der Bundeskanzler, in der Gegenwart nicht mehr die zentrale Stellung, die sie in der alten Gesellschafts- und Staatsform besessen habe. Nicht zuletzt unter dem Einfluß der Technik werde das Soldat-Sein zu einem Beruf, der gleichgeachtet neben anderen Berufen stehe. „Er erfüllt seine wichtigen Funktionen in 'der demokratisch geordneten Gesellschaft, aber er beherrscht sie nicht." Wort für Wort, Herr Bundeskanzler, wird diese Einstellung zu der Frage Demokratie und Wehrmacht von uns unterstrichen. Sie erklärten auch, daß der Militarismus tot sei. Auch da will ich Ihnen zustimmen.
Ich halte es aber für zweckmäßig, angesichts der Verwirrungen, die über den Begriff Militaris-
mus immer noch in der Welt herrschen, den Versuch einer Interpretation zu machen, wie ich ihn auch damals, im Jahre 1952, bei der gleichen Debatte unternommen habe, aber anscheinend nicht mit großem Erfolg; denn man redet heute schon wieder von Militarismus, wenn man nur den Bundesgrenzschutz meint. Das scheint uns wirklich sehr übertrieben zu sein. Was ist denn eigentlich Militarismus? Man kann Militarismus als die Lehre und die Anwendung jenes Grundsatzes definieren, daß Gewalt vor Recht gehe, daß Krieg also die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sei. Wenn sich jemand zu diesen Grundsätzen bekennt und wenn er sein ganzes Leben und seine Lebensäußerungen darauf ausrichtet: „Gewaltlösungen stehen vor Rechtslösungen", dann pflegen doch selten jene Militaristen zu sein, die am ersten Kriegstag die Gewaltanwendung auch von der anderen Seite zu spüren bekommen; denn normalerweise pflegt bei Kriegsbeginn auf beiden Seiten geschossen zu werden. Nein, Militaristen tragen vielmehr Zivil. Sie sitzen nach meiner Auffassung viel häufiger in der Politik, in der Diplomatie und in der Rüstungsindustrie und viel seltener im Soldatenstand.
Es sind doch die Politiker, die die Gesetze machen, nach denen dann die Soldaten gehorchen müssen. Oder haben am ersten Kriegstag — ich frage die Älteren unter Ihnen — 1914 oder am ersten Kriegstag 1939 — ich frage die Jüngeren — Urabstimmungen in den Kasernen der kriegführenden Mächte stattgefunden, etwa nach dem Motto: Liste 1 „Wir wollen Krieg", Liste 2 „Wir bleiben zu Hause"? Nirgendwo in der Geschichte ist diese Frage jeweils den Soldaten zur Entscheidung vorgelegt worden, sondern hier herrscht der Primat der Politik. Die Politiker tragen die Verantwortung, und der Soldat hat nur die zwei Möglichkeiten, entweder den Gesetzen, die die Politiker gemacht haben, zu gehorchen oder ihnen nicht zu gehorchen und am ersten Tag bereits zu riskieren, daß er wegen Befehlsverweigerung erschossen wird.
Seitdem in den modernen Demokratien eine Entfernung von den mittelalterlichen Landsknechts- und Legionsmethoden erfolgt ist, hat das Soldatentum eine ethische Grundlage. Wo immer der brave Mann an sich selbst zuletzt denkt, bei der Bergwacht, beim Seenotdienst, in der Grube, wo der Bergmann unter Tage für uns alle die Kohle gräbt und sich in ständiger Lebensgefahr befindet, bei der Polizei, bei der Feuerwehr, wo immer der brave Mann unter besonders schwierigen Bedingungen für die Gemeinschaft seinen Dienst tut, verdient er die Hochachtung der Gemeinschaft, für die er das tut. Um wieviel mehr gilt das auch für den Soldaten in allen Völkern der Welt, für den Soldaten, der bereits im Frieden sich einer harten Ausbildung unterwerfen muß und der im Kriege sogar bereit sein muß, sein Leben hinzugeben! Ich bin der Meinung, daß der deutsche Soldat im ersten Weltkrieg nicht für den Kaiser und im zweiten Weltkrieg nicht für Hitler gekämpft hat, sondern genau so für sein deutsches Vaterland — und es tun mußte auf Grund der Gesetze — wie der Franzose für Frankreich, der Engländer für England, ja sogar der Rotarmist für die Sowjetunion, die nun einmal sein Vaterland ist. Das ethische Opfer des deutschen
Soldaten im ersten wie im zweiten Weltkrieg ist über jede Diskussion erhaben.
Ethische Leistungen werden nicht gemindert durch das politische System, unter dem sie erbracht werden, selbst dann nicht, wenn das ethische Pflichtbewußtsein so schrecklich mißbraucht wurde, wie es geschehen ist. Aber das gefährlichste, was man machen kann, ist, Militarismus und Soldatentum zu vermengen und zu übersehen, daß zwischen Militarismus und echtem Soldatentum eine Welt klafft.
Herr Kollege Ollenhauer hat gestern unter dem Beifall eines Teils des Hauses den „idiotischen Barras" kritisiert. Lassen Sie mich auch hier einige Interpretationen für den Barras geben,
— für den idiotischen Barras, auch dafür. Ich bin der Meinung, daß das Soldatentum des ersten wie des zweiten Weltkrieges nicht so sehr mit idiotischen Barrasleuten angereichert sein konnte. Denn nach dem zweiten Weltkrieg beispielsweise sind niemandem die Schulterstücke abgerissen worden, obgleich manche politischen Kräfte sogar dazu ermuntert haben. Das Verhältnis zwischen Offizier, Unteroffizier und Mann muß also besser gewesen sein, als es manchmal hier und da kollektiv dargestellt und verurteilt wird. Ich bin der Auff as-sung, Herr Kollege Ollenhauer, daß der Unteroffizier Himmelstoß bei Remarque, daß der Schleifer-Platzek bei Kirst und auch sein Hauptmann Witterer, der in Wirklichkeit ein erbärmlicher Nebenmann war, Ausnahmeerscheinungen des deutschen Militärlebens waren und nicht die Regel.
Wenn Sie nur diese Ausnahmeerscheinungen gemeint haben, dann sind wir mit Ihnen einig. Aber wenn Sie etwa grundsätzlich jeden Berufsunteroffizier und Berufsoffizier der Vergangenheit unter dieses Motto haben stellen wollen,
dann müssen wir Ihnen entschieden widersprechen, und Ihre eigenen Kollegen sind oft die besten Zeugen dafür, daß es nicht so war.
Nun, daß wir gewisse Risiken auf uns nehmen, das ist klar. Es ist nichts ohne Risiko. Es kommt allerdings entscheidend darauf an, daß man beim Zusammenschluß aller politischen Kräfte sich zur Abwehr des Risikos zusammenfindet und nicht Prinzipien, die außer Streit stehen sollten, zum Gegenstand parteipolitischer Kämpfe macht.
Wir glauben, daß es sehr viele Möglichkeiten gibt, einen Überhang des Militärischen gegenüber dem Zivilen zu vermeiden. Ich denke da beispielsweise an die Einrichtung eines Bundesverteidigungsrats, wie ihn die Vereinigten Staaten kennen, wie ihn, in anderer Form, auch Frankreich kennt. An der Spitze steht der Präsident als Vorsitzender eines National Security Council, eines Bundesverteidi-
gungsrats, dem bei uns beispielsweise angehören sollten der Regierungschef, sein Vertreter, der Innenminister, der Außenminister, der Wirtschafts-, der Finanz- und natürlich auch der Verteidigungsminister. Das wäre das oberste Gremium, vielleicht noch ergänzt durch parlamentarische Vertreter aller Gruppen, selbstverständlich auch der Opposition. Wir werden Gelegenheit haben, in dien Ausschußberatungen — ich hoffe, auch mit der Hilfe der Opposition — jene Formen zu finden, die uns vor den Auswüchsen der Vergangenheit bewahren, die aber auf der anderen Seite das Gute übernehmen.
Was ist nun das Gute? Ich will nicht in den Streit zwischen Picht und Baudissin eingreifen, auch nicht in die Diskussion über die innere Struktur. Man wird kaum von einem Extrem ins andere fallen dürfen, sondern wird hier eine gesunde Mittellinie wählen müssen. Welche denn? Im frontnahen Raum, bei der Infanterie, im Panzer, im Flugzeug, im U-Boot herrschte doch ohnehin nicht der Geist einer Disziplinarvorschrift, sondern der Geist einer Kameradschaft auf Gedeih und Verderb. In diesem frontnahen Raum imponierte doch nicht der Dienstgrad — wie schnell konnte er ausgelöscht sein —, es imponierte auch nicht einmal das Kriegsgericht, denn kaum kamen Kriegsrichter bis zur vorderen Linie. Nein, entscheidend war das persönliche Beispiel.
Das ist das Prinzip, das in den neuen Verbänden herrschen muß: Kein Offizier darf von seinen Untergebenen mehr fordern, als er selbst jederzeit zu geben bereit ist.
Und das zweite: Alles Überflüssige an äußeren Formen muß verschwinden. Wir wollen weder das unlängst in einer Illustrierten dargestellte Revierreinigen noch das Vorbeigehen in gerader Haltung mit zwei Kaffeekannen, das auch ich noch üben mußte, noch sonstige Beschäftigungstheorie. Nein, wir wollen die Ausbildung abstellen auf die eine Frage: Vermittlung des richtigen Verhaltens im Gefecht mit dem Ziel, soviel wie möglich an Menschen heimzubringen, wenn es leider zu einem Gefecht kommen sollte. Denn nicht der ist der beste Vorgesetzte, der mit den höchsten Verlustzahlen brilliert, sondern der, der die meisten seiner Männer wieder heimbringt. .
„Frontal greift nur der Bulle an; der Bulle ist ein Rindvieh", habe ich mal gelernt. Darin steckt mehr Weisheit als vielleicht in manchem Spitzenreferat über neue Formen. Man sollte mit dem Versuch, neue Formen zu finden, nicht gleich alle alten überkommenen Formen mißachten wollen.
Wie ist nun die Frage der psychologischen Bereitschaft der Jugend zu beantworten? Bisher ist von allen Rednern nur festgestellt worden, daß wir bei der Jugend einen Enthusiasmus nicht feststellen können. Gottlob! Auch ich bin der Meinung, daß wir ihn nicht finden können, und es ist eine Freude, wie die Jugend nach den Erfahrungen der Vergangenheit skeptischer und mißtrauischer geworden ist. Aber noch niemand hat hier die Gründe darzulegen versucht für das Phänomen, daß die deutsche Jugend entgegen aller Voraussage aus Paris, London und Washington nicht mit fliegenden Fahnen zu den Einheiten Blanks gekommen ist.
Meine Damen und Herren, es gibt drei Gründe:
Der erste Grund ist der hemmungslose Mißbrauch der Opferbereitschaft und des Idealismus der deutschen Jugend durch Hitler.
Aber daneben gibt es noch einen zweiten Grund: Ebenso ist dafür verantwortlich eine Fehlbehandlung der heimkehrenden Soldaten nach 1945 durch die Alliierten wie zum Teil durch uns selbst.
Ich will hier nicht gewisse Gedichte vollständig zitieren, aber es hat nun mal im Jahre 1947 in einer großen politischen Zeitung in Deutschland über die Soldaten gestanden:
Sie standen in Frankreich und Polen, Sie standen an Wolga und Don,
Sie haben geraubt und gestohlen, Und wissen jetzt gar nichts davon!
Das ist der Ruhm der Soldaten,
— so hieß es in der letzten Strophe —
Helden in Saus und Braus!
Und alles, was sie verbrochen haben, löffeln wir jetzt aus.
Wir können doch nicht daran vorbeigehen, daß das nicht ein Einzelgedicht war, sondern daß auch solche Reden gehalten wurden nach dem Motto: Du, Soldat, bist Kriegsverlängerer, Du, Kriegsopfer, bist schuld! Daher Streichung der Kriegsopferversorgung!
Erwarten Sie denn nach einer solchen Behandlung der Väter, daß die Söhne heute mit Begeisterung wieder Soldat werden?
Nein, meine Damen und Herren, hier liegen auch eigene Fehler vor, eigene Fehler, die zu erkennen und abzustellen auch zu einem demokratischen Grundanliegen gehören müßte.
Ich könnte die Beweise für die Fehlbehandlung nach 1945 noch wesentlich erweitern. Aber es liegt mir daran, nicht neue Gräben aufzureißen, sondern alte zuzuschütten.
Der dritte Grund ist jene gewaltige Hypothek, von der man in Paris, in London, in Washington zu wenig weiß. Man weiß doch kaum in Deutschland die Ziffern der Hypothek des zweiten Weltkriegs und des Verbrechens Hitlers am deutschen Volk.
7 Millionen Tote! 8 Millionen Vertriebene, 2 Millionen Sowjetzonenflüchtlinge, macht 10 Millionen
Menschen mehr im westdeutschen Raum, das heißt,
mehr als die Bevölkerung Australiens, die 8 Millionen beträgt, mehr als die Bevölkerung Dänemarks
und der Schweiz zusammengezählt, die 9 Millionen beträgt. 41/2 Millionen rentenberechtigte
Kriegsopfer, Körperbehinderte, Witwen und Waisen! Und, meine Damen und Herren, ist es Ihnen
nicht selbst aufgefallen, daß die Kriegsopferverbände um jede Rentenerhöhung kämpfen müssen
und daß jetzt sogar in irgendeinem Finanz- oder sonstigen Ministerium der Versuch gemacht wurde, einen Teil der Renten in einem Zwangssparverhältnis einfrieren zu lassen?
Wundern Sie sich angesichts solcher psychologischer Dummheiten, — gottlob sind sie rechtzeitig durch parlamentarisches Eingreifen verhindert worden—, daß die jungen Leute nicht mit wehender Fahne zu den neuen Divisionen kommen wollen, wenn man bisher nicht einmal in vollem Umfange bereit ist, den Opfern des zweiten Krieges ihr Existenzminimum zu geben?
— Mit dem Heimkehrergesetz ist es dasselbe Problem. Sie, Kollege Eschmann, wissen am besten, wie lange es gedauert hat, bis es endlich in Kraft treten konnte.
— An dem Herrn Bundesfinanzminister, der nach den Wahlen das Gegenteil von dem tat, was er vor den Wahlen versprochen hatte.
Aber da er nicht da ist — und mit Kranken soll man sich nicht raufen —, will ich darauf nicht eingehen, Herr Schoettle! Gerade wir von der Koalition, das wird Ihnen Kollege Eschmann bestätigen, haben es dann verstanden, diese Gefahr zu beseitigen.
— Ich kann mich nicht immer nach den Richtungen orientieren, Herr Kollege Schoettle.
Ich halte es da mit dem alten Grundsatz, ,daß Politik nicht mit dem verlängerten Rückgrat gemacht werden sollte, auf dem man sitzt, sondern mit dem Kopf. Ich schaue daher weniger nach den Sitzen, als nach den Köpfen aller Richtungen.
— Es ist doch nicht zu bestreiten, Herr Kollege Schoettle, daß die politischen Bezeichnungen „rechts", „Mitte" und „links" aus der Sitzordnung des alten Reichstags stammen. Da man aber Politik nicht von der Sitzordnung, sondern vom Kopf her machen müßte, sind diese alten Begriffe für mich längst überfällig geworden.
Nun zu der Frage der Fehler, die wir selbst machen.
Die mangelnde Bereitschaft der Jugend ist auch auf eine Art Schocktherapie zurückzuführen, die wir selbst versuchen. Glauben Sie, es hilft, wenn man jeden Tag in den Zeitungen neue Zahlen liest: „500 000 Mann", oder „Neues über die Uniform", über die Besoldung, über „Wehrpflicht oder Miliz"? Ich glaube, es sind in der Pressepolitik so viel Fehler gemacht worden, daß wir auch einmal über die richtigen Formen der Therapie sprechen müßten. Wir sollten nicht immer mit den Mitteln des Holzhammers, mit einer Schocktherapie versuchen, was nur mit kluger Bedachtsamkeit geheilt werden kann.
Niemand darf nämlich glauben, daß man heute mit einigen schönen Reden oder mit irgendwelchen inneren Strukturveränderungen die Divisionen wieder aufstellen kann, die man 1945 wie Viehherden in den Pferch der Gefangenschaft gejagt hat. Eine Armee ist keine Addition von Offizieren, Unteroffizieren, Soldaten und Material; eine Armee ist ein Organismus, und idas Entscheidende am Organismus ist der Geis t. Nach alledem aber, was von den anderen und von uns gesündigt wurde und heute noch gesündigt wird, kann der Geist nicht so sein, wie wir es uns wünschen.
Ich habe zunächst eine Frage an den Herrn Präsidenten des Hauses: Darf in diesem Hause ein Toter eine Frage stellen?
Ich habe noch nie erlebt, daß Tote Fragen stellen können.
Ich komme aus dem Wahlkreis Lippstadt, der im Anschluß an die letzten Manöver in seiner Gesamtheit als tot erklärt wurde, und ich bitte den Herrn Kollegen Mende, auch einmal darauf einzugehen, ob unsere Jugend die Möglichkeit hat, angesichts solcher Rückwärtsgangmanöver an die Echtheit der alliierten Verteidigungsabsichten für die Bundesrepublik zu glauben.
Ich danke Ihnen für die Frage. Ich werde ohnehin auf die Fragen: NATO-Strategie, Linien und Garantien, Risiko in Beantwortung dessen, was Ihr Kollege Erler uns heute vormittag hier gesagt hat, zu sprechen kommen.
Meine Damen und Herren, die Aufstellung der deutschen Verbände ist — und das ist die Schlußfolgerung, die wir ziehen müssen — für uns ein großes Opfer, ein biologisches, ein materielles, ja sogar ein psychologisches Opfer. Um so größer müßte das Verständnis sein, das man uns in Paris und anderswo in dieser Frage entgegenbringt. Die Frage der Einigkeit der demokratischen Kräfte verstehe ich in diesem Zusammenhang so: Man sollte sich doch über gewisse Prinzipien des Wehrrechts auch in diesem Hause einig werden können. Wir sitzen doch im Ausschuß für europäische Sicherheit mit sehr bekannten Kollegen aus der Opposition zusammen: mit dem zweiten Vorsitzenden Mellies, mit Carlo Schmid, mit Gleisner, mit Herrn Eschmann. Warum gelingt es im Ausschuß für europäische Sicherheit, allgemeine Prinzipien des Wehrsystems in ausgezeichneter Sachlichkeit zu diskutieren, und warum gelingt es nicht, in der Öffentlichkeit einmal Einigkeit über die Frage des Notwehrrechts herbeizuführen? Es wird Zeit, daß der Herr Bundespräsident oder der Herr Bundeskanzler uns alle — Koalition, Opposition, Gewerkschaften, Kriegsopferverbände — an einen Tisch bringt, um zu klären, inwieweit wir in den prinzipiellen Fragen des Schutzes der Demokratie einig sind, und ich glaube, es wird sich zeigen, daß genau so wie im Sicherheitsausschuß in vielen prinzipiellen Fragen Gemeinsamkeit besteht; lediglich in gewissen Modifikationen der Ausführung ist man verschiedener Auffassung. Wir haben leider keine Alternative: „Strohhut oder Stahlhelm?" Wenn heute morgen hier behauptet wurde, das sei keine Alternative der Wahlkämpfe gewesen, so erinnere ich Sie an die hessische Wahl von 1950. Dieser Wahlkampf hat unter der Alternative „Strohhut oder Stahlhelm" gestanden. Ich bin der Meinung, daß man nur noch die Wahl hat zwischen Stahlhelm mit
Sowjetstern und Stahlhelm ohne Sowjetstern und
keineswegs mehr zwischen Strohhut und Stahlhelm.
Zu dem Plebiszit der Jugendlichen, das Herr Professor Baade gefordert hat, berufe ich mich auf keinen Geringeren als Herrn Professor Carlo Schmid. Als wir damals über die Todesstrafe diskutierten und die Frage laut wurde, ob man diese Frage nicht einer Volksentscheidung vorlegen solle, erklärte Carlo Schmid hier von dieser Stelle aus, er vertraue in dieser Frage wesentlich mehr dem aufgeklärten Absolutismus des Parlaments als dem Demos. Sehen Sie, ähnlich ist es hier. In der Wehrfrage hat der aufgeklärte Absolutismus der dafür berufenen Volksvertreter eher ein Wort zu sprechen als die Betroffenen selbst. Wenn ich im Jahre 1936 gefragt worden wäre, ob ich für die Verlängerung der Dienstzeit um ein Jahr sei, hätte ich auch nein gesagt. Wir alle waren niedergeschlagen, als wir plötzlich im Rundfunk hörten, die Dienstzeit werde um ein weiteres Jahr verlängert. Es geht hier nicht um die Vox populi, die oft keineswegs die Vox Dei ist, sondern das Gegenteil; es geht hier um die Einsicht verantwortlicher Politiker, die vor ihrem Gewissen zu handeln haben unter Auswertung ihrer größeren Einsicht in die großen politischen Zusammenhänge.
Ein Wort an Kollegen Ollenhauer zum Bundesgrenzschutz. Sie wissen, daß ich zu den besonderen Förderern des Bundesgrenzschutzes gehöre und daß wir hier gemeinsam, selbst mit den Stimmen der CSU, die Verstärkung des Bundesgrenzschutzes auf 20 000 Mann durchgesetzt haben, ohne daß es bei den letzten Übungen zu Zusammenstößen zwischen dem bayerischen und dem Bundesgrenzschutz gekommen ist.
Bevor ich zu der Frage des Bundesgrenzschutzes und den sogenannten Manövern und insbesondere zu der Frage: Ist Bundesgrenzschutz Remilitarisierung durch die Hintertür — wie es auch hier vor zwei Jahren behauptet wurde —, Stellung nehme, lassen Sie mich nach einer alten Regel Ihnen erst einmal die Lage der anderen Seite kurz vor Augen halten. Ich bin nicht der Meinung meines Kollegen von Manteuffel, daß man darüber hinweggehen sollte, weil das jeder wisse. Leider wissen viel zu wenige, was in der Sowjetzone schon geschehen ist und auf wie tönernen Füßen unsere innere Sicherheit steht. In der Sowjetzone steht insgesamt eine kasernierte Volkspolizei von 160 000 Mann, weitere 40 000 Mann als sogenannte allgemeine Volkspolizei, gegliedert in 6 Divisionen und 1 Elite-Division, also 7 Divisionen. Von den 7 Divisionen sind 3 mechanisierte Divisionen und 4 motorisierte Schützendivisionen. Panzerdivisionen, Artillerie- und Flakdivisionen sind noch nicht festgestellt, aber schwere Artillerie- und Panzerverbände, und zwar bei der Armeegruppe Pasewalk und bei der Armeegruppe Leipzig insgesamt 859 Panzer vom Typ T 34 und vom Typ Joseph Stalin II, an Sturmgeschützen 271, an Haubitzen, Kanonen, Flak, Granatwerfern und Salvengeschützen insgesamt 2000, an Panzerspähwagen 450. An der Spitze dieser Volkspolizeidivisionen, die längst eine Art Nationalarmee bilden, stehen die ehemaligen Wehrmachtgenerale Vinzenz Müller, von Lenski, Lattmann, etwas weiter in der rückwärtigen Front der General Dr. Korfes. Nun, ich brauche gerade Ihnen von
der Sozialdemokratischen Partei das nicht zu sagen. Ihre Archive sind gut. Sie überraschen uns meistens hier mit sehr gutem Archivmaterial. Sie haben daher auch sicher über Ihren Kollegen Wehner und den Kollegen Menzel die genaue Stärke der Volkspolizei längst in Ihren Büros liegen.
Die Luftwaffe besteht drüben aus 100 Jagd- und Kampfflugzeugen unter der Führung des ehemaligen Luftwaffenobersten Lewess-Litzmann, gegliedert in drei Fliegerdivisionen.
Verstehen Sie nun, warum auch wir das Recht beanspruchen, gegenüber dieser Konzentration wenigstens den primitivsten Bundesgrenzschutz zu unterhalten? Ich bin allerdings der Meinung, es kann dahingestellt sein, ob das der General Matzky sagen durfte, daß wir den Bundesgrenzschutz wesentlich verstärken müssen, wenn er den an ihn gestellten Anforderungen Rechnung tragen soll.
Wir haben entlang der Sowjetzonengrenze und der Grenze zur Tschechoslowakischen Republik auf 10 km einen Unteroffizier und acht Mann stehen.
Ich wehre mich dagegen, daß Sie die neuen Aufgaben Polizeiaufgaben nennen. Der Bundesgrenzschutz ist mehr als eine Polizei. Er ist Bundesgrenzschutz. Aber selbst wenn ich die Begriffsbestimmung „Polizei" des Herrn Schoettle aus der Haushaltsdebatte und des Herrn Kollegen Ollenhauer aufnehme, muß ich Ihnen entgegnen: die Polizeiaufgaben sind im modernen Massenstaat andere als um 1910, da ein pickelhaubenbewehrter, bärtiger, dickbauchiger Polizist auf dem Marktplatz noch für Ruhe und Ordnung einer Kreisstadt sorgen konnte. Ihr -ehemaliges Mitglied, der preußische Innenminister Severing, hat uns doch das Musterbeispiel einer guten schlagkräftigen preußischen Landespolizei gegeben. Halten Sie sich doch nur an dieses Rezept. Daß es danach leider von anderen mißbraucht wurde, lag wahrlich nicht an uns, die wir heute den Bundesgrenzschutz verteidigen. Wir glauben, daß die Polizeiaufgaben im modernen Massenstaat Kompanie-, Bataillons-, Regiments-, ja sogar Divisionsaufgaben sind, mit Funk- und Sprechfunkausstattung, schnelle bewegliche Truppen, sogar mit leichten Kurierflugzeugen und mit Helikoptern wie die italienische Celere, wie die französische Garde mobile oder wie die entsprechenden amerikanischen Einheiten.
Glauben wir doch nicht, daß wir uns lediglich mit pazifistischen Beteuerungen der Infiltration von Agenten und Material erwehren können. Seien wir doch froh, daß trotz aller Diffamierungen 20 000 junge Deutsche wieder bereit waren, eine Uniform anzuziehen und sich für Sie und uns alle wieder einzusetzen.
Ich kenne die Unterlagen des Manövers oder besser der Grenzschutzübung genau. Ich finde es gar nicht so absurd, wenn man gegen einen infiltrierten Gegner das Gegenmanöver der Stoppung und der Einkesselung durchführt. Wie wollen Sie das anders tun als durch die Dirigierung beweglicher Verbände in den gefährdeten Raum? Mit den Streikleuten hat man am wenigsten Sie etwa gemeint. Wir wissen aber doch, wie stark die Kommunisten versuchen, im Rahmen von Streikbewegungen wiederum das Heft in die Hand zu bekommen, das Herr Böckler und Sie ihnen im Ruhrgebiet gottlob entreißen konnten. Das ist Ihr historisches
Verdienst. Aber ruhen Sie bitte auf diesen Lorbeeren nicht aus! Von allen kommunistischen und getarnten Seiten versucht man, in die Gewerkschaftsbewegung hineinzukommen. Es zeigt sich doch — beispielsweise in der IG Bergbau —, daß manche Beschwörung gilt, daß man manchen Geist, den man rief, nicht so einfach los wird und daß dort Ansätze sichtbar sind, die wir alle sehr wachsam überprüfen müssen. Ich denke also durchaus daran, eines Tages kann es bei einer Zuspitzung der allgemeinen Situation dazu kommen, daß der Bundesgrenzschutz nicht nur die infiltrierten kommunistischen Kräfte entsprechend bekämpft, sondern sogar im eigenen Gebiet die Fünften Kolonnen und Saboteure des Kommunismus zu zernieren und festzunehmen hat.
Sie haben auch über die Frage der Bewaffnung und Ausrüstung Diskussionen geführt. Dabei ist Ihnen leider eine peinliche Panne unterlaufen. Ihr Politisch-Parlamentarischer Pressedienst berichtet, daß bei 'den sogenannten Straßenpanzerwagen auch Geschütze sichtbar waren, deren Kaliber mindestens 5 cm betrug. Ich habe mich orientieren lassen, daß Sie einer Täuschung zum Opfer gefallen sind. Es handelt sich hier um Kanonenrohre, die aus zusammengeschweißten Konservenbüchsen hergestellt wurden.
Aber ich kann mir denken, wenn man in Paris übermorgen bei der Kammerdebatte oder anderswo den Politisch-Parlamentarischen Pressedienst zitiert, können große Mißverständnisse aus den leider nicht erkannten Konservenbüchsen des Bundesgrenzschutzes entstehen.
Nun komme ich zu der Frage der Strategie und zu der Frage, die der Herr Kollege bezüglich der Manövertoten aufgeworfen hat. Wir alle sind schon mal für tot erklärt worden und werden es auch heute noch — mal politisch, mal militärisch in den Übungen. Doch hat dieser Tod das Tröstliche, daß man ihn zeitlich befristen kann, was bei dem biologischen trotz der modernen Frischzellentherapie bisher leider noch nicht erfunden ist. Wir glauben, daß das Denken in starren Linien ebenso überholt ist wie der Versuch, Garantieerklärungen in der großen Strategie zu bekommen. Die Strategie ist eine Summe politischer, wirtschaftlicher, sozialer, propagandistischer und militärischer Maßnahmen. Niemals kann im Rahmen der globalen Strategie dem einen oder dem andern eine Garantieerklärung gegeben werden. So ist es leider; denn zu viel Imponderabilien liegen in dem großen Komplex der Strategie. Darum werden wir auch nicht eine Garantie in dem Sinne bekommen, die oder die Linie wird unter allen Umständen gehalten. Haben wir nicht erlebt, Herr Kollege Eschmann, wie viele Linien gehalten werden mußten! Und keine von ihnen ist gehalten worden zwischen Moskau, Stalingrad und Ostpreußen und Berlin.
Entscheidend ist vielmehr, was der Gegner zur praktischen Eliminierung der Garantieerklärung aufbringen kann, und nicht das, was man auf dem Papier erreicht hat. Das System der starren Linien — ob Elbe, ob Werra oder Maas oder Seine oder ein Gebirgszug — ist durch die militärisch-technische Entwicklung längst überholt. Es hat sich im zweiten Weltkrieg gezeigt, daß jedweder Angreifer dann eine Linie durchbrechen konnte, wenn er dort einen Schwerpunkt zu bilden in der Lage war. So wird es auch in Zukunft sein. Es ist daher falsch,
von Garantieerklärungen für die Verteidigung irgendwelcher strategischer Linien zu sprechen. Leider steht der moderne Krieg unter dem Gesetz einer Bewegungsstrategie und keiner Reißbrettstrategie mit festen Linien. Ob daher die Iserlohner überrollt werden oder nicht, darauf kann weder ich Ihnen eine Erklärung geben noch der Herr Kollege Blank noch der General Gruenther. Wir wollen hoffen, daß es niemals zur Beantwortung Ihrer Frage in der Tat kommen wird.
Damit komme ich zum Schluß zu der großen Konzeption der Verträge. Was ist denn die geistige Grundlage unserer Verträge? Die geistige Grundlage ist der Versuch, den Weltfrieden zu erhalten. Wie geschieht das? Ein Rezept hat leider noch niemand gefunden; weder die antiken Philosophien noch die Philosophien der Moderne, weder die Religionen noch die Konfessionen, weder das Völkerrecht des Hugo Grotius noch der Völkerbund noch die Schrift Immanuel Kants vom ewigen Frieden noch der Weltsicherheitsrat haben einen allgemeingültigen Satz geprägt, wie man den Frieden erhalten und garantieren könne. Es gilt lediglich eine Feststellung, daß der Frieden dann am ehesten gesichert ist, wenn einem gewaltigen politischen und militärischen Machtblock ein ebenso geschlossener politischer und militärischer Block der freien Welt gegenübersteht, so daß keiner von beiden in die Versuchung kommen könnte, einen risikolosen Angriff zu wagen. Oder ein Beispiel aus der Bauwirtschaft: Sie müssen beim Bauen Druck und Gegendruck, Stützung und Schwere so berechnen, daß die Statik gewährleistet ist. Ist sie nicht gewährleistet, bricht der Bau zusammen. Nach unserer Auffassung ist der Weltfrieden am ehesten gewährleistet, wenn wir dem einen großen Block, Moskau, die Konzentration der Kräfte der freien Welt unter Washington gegenüberstellen.
Über die Frage des Gewissens und der Gewissensnot: Nach dem, was ich Ihnen über die psychologischen Voraussetzungen eines Wehrbeitrages gesagt habe, darf doch niemand mehr daran zweifeln, daß es für uns alle eine Gewissensnot gibt. Aber das Argument „das zweigeteilte Deutschland bewaffnet sich" zieht nicht. Die andere Seite ist bereits bewaffnet in einem viel höheren Maß, als Sie es hier wissen. Wir tun also nur einen Gegenzug, um überhaupt am Leben zu bleiben, und insofern ist die Ablehnung der Bewaffnung des zweigeteilten Deutschlands fehl am Platze.
Die zweite Frage: Gewissensnot — evangelische Kirche. Ich glaube, Herr Kollege Erler, in der Runde dieser Fragen sind Sie unweigerlich Sieger nach Punkten geblieben. Aber das hat nicht an Ihnen gelegen, sondern an den Fragen der anderen Seite, wenn ich sachlich bleiben darf. Das einzige, was für mich sichtbar geworden ist, ist, daß der Leitspruch, den Thomas Dehler so oft geprägt hat, auch hier wieder bestätigt wurde: Die Kirchen sollten sich tunlichst auf ihren kirchlichen Raum beschränken, und sie sollten vermeiden, in tagespolitische Ereignisse einzugreifen; das sollten sie den Parteien überlassen.
Das große Problem dieser Verträge ist die Frage Krieg oder Frieden. Unsere Bemühungen müssen zum Ziel haben, weder die erste Schlacht zwischen Weichsel und Memel schlagen zu wollen, also weit ostwärts, wie es einige in ihrer Konzeption entworfen haben, noch die letzte Schlacht zwischen dem Osten und dem Westen südlich der Pyrenäen in Spanien durch die Amerikaner gewinnen zu
wollen. Nein, das Ziel all unserer politischen und militärischen Maßnahmen muß sein, zu erreichen, daß die erste Schlacht nicht stattfindet, denn sie würde Deutschland und Europa unweigerlich zum Atombombenversuchsfeld beider Parteien machen. Die Einstellung der Freien Demokraten zu diesen Verträgen ist daher eine dreifache: Deutschland in Einheit, in Recht und in Freiheit; Europa als Brücke zwischen beiden Machtblöcken, Moskau und Washington, indem sich ein starkes Europa entwickelt, das eine solche Brückenfunktion erfüllen kann, und drittens: den Frieden über alles, über alles in der Welt.
Der Abgeordnete Seiboth hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Fraktionskollege und Parteifreund Haasler hat heute vormittag die grundsätzliche Einstellung unserer Partei und Fraktion zu den Pariser Verträgen dargelegt. Diese Einstellung zu den Verträgen ist positiv. Sie ist es deshalb, weil wir zum Unterschied von der Sozialdemokratie nicht der Meinung sind, daß durch die Ratifizierung und auch die Praktizierung der Pariser Verträge die letzte Möglichkeit zur deutschen Wiedervereinigung, an der uns allen liegt, verbaut würde. Wir sind vielmehr der Meinung, daß eine echte Chance für die deutsche Wiedervereinigung darin gesucht werden muß, daß wir uns von den Westmächten und insbesondere von den Vereinigten Staaten von Amerika eine Zusicherung geben lassen, daß sie mit den Sowjets über Fragen, die für die Sowjets von lebenswichtiger Bedeutung sind, nicht eher verhandeln und abschließen, bis die Sowjets dafür den Preis der deutschen Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit angeboten haben.
Bei der Berliner Konferenz zu Beginn dieses Jahres mußte, obwohl von Wiedervereinigung Deutschlands programmgemäß gesprochen wurde, doch von den Sowjets klar empfunden werden: Hier will der Westen von uns, dem Osten, etwas, ohne uns eine Gegenleistung dafür zu bieten. Die Sowjets hatten klar erkannt, daß nach der Wiedervereinigung Deutschlands dann bald der Tag kommen würde, da ganz Deutschland sich für den freien Westen und vielleicht auch für das Verteidigungssystems des freien Westens, wie es damals noch vor uns stand, entscheiden würde. Vielleicht haben wir von deutscher Seite auch etwas überflüssigerweise und voreiligerweise gesagt, daß sich Gesamtdeutschland in dieser Richtung entscheiden würde, und damit die Russen geradezu darauf hingewiesen.
Wir meinen aber, es gibt in der Weltpolitik nicht nur Situationen, in denen der Westen ohne Gegenleistung etwas vom Osten haben will. Wir wissen, daß die Sowjets vor wenigen Wochen auf der UNO-Versammlung ihren Vorschlag zu einer weltweiten Abrüstung gemacht haben. Wir wissen, aus welchen Gründen die Sowjets an einem solchen Abrüstungssystem weltweiter Art interessiert sind, wenn wir die innere Entwicklung Rußlands z. B. auf dem industriellen Sektor beobachten. Wir wissen auch, aus welchen politischen Gründen die Russen daran interessiert sein müssen, eines Tages die Anerkennng Rotchinas zu erlangen, wenn wir daran denken, wie sehr selbstbewußt Tschu En Lai beispielsweise in Moskau
auftrat, nachdem er in Genf Erfolge errungen hatte, die den Sowjets bei ihrem Bemühen, als Vormund des großen chinesischen Staates für diesen die Anerkennung bei den UN zu erreichen, bisher versagt geblieben sind. Wir sind also der Auffassung, daß es eine Reihe von Problemen gibt, an deren Lösung die Sowjets unbedingt interessiert sind und die in für sie positivem Sinne nur gelöst werden können, wenn die Westmächte eines Tages ihre Zustimmung dazu geben. Wir sind aber der Meinung, daß die Westmächte erst dann bereit sein werden, diese und ähnliche weitere Fragen zu verhandeln und abzuchließen, wenn hier vor dem Eisernen Vorhang, hier im gefährdeten europäischen Raum, die Verteidigungsgemeinschaft in der Art einer Koalition steht, die sie erst in die Lage versetzt, mit den Sowjets, wenn ich so sagen darf, vom Standpunkt „Ich Herr, Du Herr" zu verhandeln.
Aus diesem Grunde sind wir der Meinung, wir sollten diesen Weg der Pariser Verträge gehen. Wir sehen darin eine Voraussetzung dafür, daß eines Tages die Frage der deutschen Wiedervereinigung in einem weltweiteren Rahmen und nicht in der Separation, in der sie jetzt oft gesehen wird, mit Aussicht auf Erfolg verhandelt und behandelt werden kann. An dieser Wiedervereinigung liegt uns allen, wie ich sagte, sehr viel.
Ich darf, weil heute vormittag der Herr Kollege Dr. Mommer an meinen Parteifreund und Fraktionskollegen Haasler die Frage richtete, wie unsere Partei und unsere Fraktion denn zur Saarfrage steht, hier erklären, daß wir auch die Saarfrage in erster Linie als ein Teilproblem der deutschen Wiedervereinigung sehen.
Der Herr Kollege Haasler hat gesagt, daß ich zur Saarfrage für den Gesamtdeutschen Block/BHE hier sprechen würde. Ich kann das tun, weil sowohl unsere Fraktion wie auch die maßgeblichen Gremien unserer Partei an Hand des uns vorgelegten Abkommens über das Statut der Saar zu dieser Frage sehr eindeutig Stellung genommen haben. Wir haben einen qualifizierten Mehrheitsbeschluß, der die Partei und die Fraktion — nicht den einzelnen, aber die Partei als solche und die Fraktion als solche — bindet, gefaßt. Dieser Beschluß lautet, daß der Gesamtdeutsche Block/BHE zu dem Abkommen über das Statut der Saar in der jetzt vorliegenden Fassung nein sagt.
Ich möchte dieses Nein begründen, obwohl es vielleicht heute gar nicht so etwas Besonderes ist, wenn zu diesem Statut in der vorliegenden Fassung nein gesagt wird.
Denn nach dem, was wir gestern auch vom Herrn Bundeskanzler über die Mängel dieses Statuts gehört haben, und seitdem uns bekannt ist, wie die französische Seite dieses Abkommen auslegt, wird sich nach meiner Meinung kaum jemand in der Bundesrepublik finden, der bei diesem vorliegenden Text zu dem Abkommen noch bewußt ja sagen könnte.
Gerade wir haben uns um diese Frage sehr lange die Köpfe zerbrochen, das können Sie mir glauben. Es sind auch Versuche genug unternommen worden, uns, ich möchte sagen, beruhigende Erklärungen darüber zu geben, wie dieses Abkommen im Falle seines Zustandekommens im prodeutschen,
im uns günstigen Sinne ausgelegt werden würde. Wir haben alle diese Interpretationen des Statuts, wie sie auch später von offizieller deutscher Seite gegeben worden sind, schon vor vier Wochen gehört. Aber wir ahnten damals schon, welcher Art die Interpretationen von französischer Seite sein würden, und das war gar nicht so schwer zu erraten. Wir waren deshalb gestern auch gar nicht erstaunt, als wir genau das von französischer Seite hörten, was wir uns schon vor vier Wochen unter der französischen Interpretation vorgestellt hatten.
Ich darf daran erinnern, daß gestern der Herr Kollege Dr. Dehler etwa gesagt hat: Wir müssen doch heute erkennen, daß, wenn ich das umschrieben so ausdrücken darf, der europäische Gedanke zumindest seit jenem Tage im August, da die französische Kammer den EVG-Vertrag ablehnte, an der politischen Börse Europas niedriger notiert wird, als es früher der Fall war, und daß wir es heute eigentlich wiederum rings um uns herum mit nationalstaatlichem Denken zu tun haben. Wir gehen ja auch heute mit diesen Verträgen nicht einer Integration des freien Westeuropas, sondern einer Koalition — politisch gesehen — von Nationalstaaten entgegen. Darüber hat uns die französische Kammer Ende August belehrt, und vielleicht ist manchem — auch mir persönlich — die Brille, die wir vorher sozusagen im Arsenal der Europäer gefaßt hatten, nun wiederum gegen eine deutsche Brille vertauscht worden. Ich meine, wir sollten nunmehr erkennen, daß wir im geistigen Bereich durchaus den Gedanken eines echten europäischen Zusammenschlusses weiter verfechten können, wie wir ihn immer vertreten haben und auch heute noch und für die Zukunft vertreten werden. In der praktischen Politik müssen wir uns aber jener Methoden bedienen, die auch unsere politischen Partner, in diesem Falle vornehmlich Frankreich, anwenden. Das heißt, wir müssen heute auch auf die Wahrung unserer nationalstaatlichen deutschen Interessen bedacht sein.
Zu Beginn dieses Jahres hat uns ein Wort des amerikanischen Außenministers Dulles, gesprochen während der Berliner Konferenz, sehr viel Hoffnung gegeben. Der amerikanische Außenminister hat damals in Berlin bei der Viermächtekonferenz erklärt, daß die Westmächte es nicht mehr für vertretbar halten würden, dem künftigen Gesamtdeutschland einen Frieden mit diskriminierenden Bedingungen aufzuerlegen. Wir haben diese Ausführungen so verstehen wollen und meinten sie so verstehen zu dürfen, daß man zumindest von westlicher Seite bei einem Friedensschluß mit Gesamtdeutschland darauf verzichten würde, uns deutsche Menschen, deutsche Bürger und deutsches Land zu nehmen. Wir haben das auch in Übereinklang bringen wollen mit jenem neuen Geist einer europäischen Gemeinschaft, der nicht mehr die alten Werkzeuge nationalstaatlicher Politik, mit der bisher Kriege liquidiert wurden, gebrauchen will.
Wir haben eine zweite Erklärung, die, ich glaube, von Außenminister Eden als Antwort auf eine Frage Molotows abgegeben worden ist, dankbar entgegengenommen, nämlich, daß die künftige gesamtdeutsche Regierung freier Verhandlungspartner beim Friedensvertrag sein würde und daß sie das Recht der Handlungsfreiheit im Rahmen der Grundsätze und Ziele der UN-Satzung genießen sollte. Wir haben uns das folgendermaßen ausgelegt. Wenn es das Ziel der deutschen Außenpolitik ist, dafür zu sorgen, daß künftig wieder alle
jene Gebiete zusammengeschlossen werden, die rechtlich einwandfrei zum Deutschen Reich gehörten, das den Krieg verloren hat und mit dem ein Frieden zu schließen ist, dann muß die künftige gesamtdeutsche Regierung bei Friedensverhandlungen für alle jene Gebiete, die uns vielleicht vom Osten bestritten werden oder die strittig sind, unter Hinweis auf die Satzung der UN das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Bevölkerung fordern können. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker wird in der UN-Satzung nur erwähnt; interpretiert wird es in der Atlantik-Charta. Aber die UN-Satzung fußt bekanntlich auf der AtlantikCharta. Man kann diese Interpretation, die auch mit der bisherigen Anwendung, mit der Praxis des Selbstbestimmungsrechts in den letzten Jahrzehnten übereinstimmt, ruhig zur Kenntnis nehmen. Es heißt dort:
Die Nationen wünschen nicht, daß territoriale Veränderungen zustande kommen, die nicht mit den frei geäußerten Wünschen der betroffenen Bevölkerung übereinstimmen.
Wir haben damals allerdings nicht geahnt, daß wir eines Tages werden damit rechnen müssen, dieses Selbstbestimmungsrecht auch gegenüber Ansprüchen, die von westlichen Staaten an Gesamtdeutschland gestellt werden, für uns reklamieren zu müssen. Denn es ist für uns nicht leicht, überhaupt zugeben zu müssen, daß ein Teil der deutschen Bevölkerung, der mit seinem Land einwandfrei zu Deutschland in den Grenzen von 1937 gehört, nachdem er sich erst vor nicht einmal zwei Jahrzehnten unter internationaler Kontrolle eindeutig für Deutschland ausgesprochen hat, nun neuerdings darüber entscheiden soll, ob er bei Deutschland verbleiben, einem anderen Staate angehören oder im Wege der Selbständigwerdung einfach aus Gesamtdeutschland ausscheren will.
Trotzdem waren wir besonders im Hinblick auf die Gefahren, die uns im Zeitpunkt von Friedensverhandlungen aus dem Osten drohen können, und im Hinblick auf die sehr starke Verzahnung der Volkstumsgrenzen im mittel- und osteuropäischen Raum der Meinung: wir können es hinnehmen, der deutschen Bevölkerung in Gebieten, die zum Deutschen Reich gehörten, das Selbstbestimmungsrecht in dem Falle einzuräumen, daß uns diese Gebiete oder Teile dieser Gebiete streitig gemacht werden.
Aber nun wird mit diesem Abkommen über das Statut der Saar der Versuch sichtbar, das, was man uns in Berlin nur unverbindlich zugesichert hatte, wasaber jetzt in der Londoner Akte in der Dreimächteerklärung schriftlich niedergelegt ist, das Selbstbestimmungsrecht, in ein bloßes Billigungsrecht umzufälschen, wenn ich es so sagen darf.
Was wir in Art. IX des Abkommens über das Statut der Saar vorliegen haben, hat mit dem Selbstbestimmungsrecht, wie es in der Atlantik-Charta definiert ist, wie es die UNO-Satzung meint und wie es seinerzeit selbst in Oberschlesien und Ostpreußen praktiziert wurde, aber auch nicht das Geringste gemein.
Es heißt hier, daß die Bestimmungen über die Saar
im Friedensvertrag, die also die Friedenskonferenz
festlegt, im Wege einer Volksabstimmung der Billigung durch die Saarbevölkerung unterliegen. Das
heißt, hier soll die betroffene Bevölkerung gar nicht mehr frei äußern können, was sie will, sondern hier sollen mehrere Mächte, die die Friedenskonferenz bilden, sagen und festlegen, was sie wollen, und die Bevölkerung an der Saar soll nur die Möglichkeit haben, dazu ja oder nein zu sagen.
— Es wird mir hier von Herrn Rinke, wenn ich ihn an der Stimme richtig erkannt habe, zugerufen: Das ist ja nicht der Fall.
— Herr Rinke, ich spreche von Art. IX, und da handelt es sich um das zweite Referendum; genau das meine ich ja. Meine Damen und Herren, hier wird gesagt: Es ist nicht der Fall. Ich kann, nachdem gestern auch vom Herrn Bundeskanzler hier ausdrücklich zugegeben wurde, daß die Auslegung all dieser Artikel in Bonn und in Paris verschiedenartig erfolgt, wenn ich heute zum Saar-Abkommen Stellung nehmen soll, nur von dem ausgehen, was in diesem Abkommen schwarz auf weiß gedruckt steht; und hier ist von „Billigung", nicht aber von Selbstbestimmung die Rede. Wir haben ja die Zeitungen gestern und heute gelesen. Wenn von französischer Seite nun gesagt wird, Frankreich werde bei der Friedenskonferenz das Statut, wie es jetzt nur vorläufig sein soll, auch als endgültige Lösung der Saarfrage vorschlagen, und wir dem entgegenhalten, daß wir uns bei dieser Friedenskonferenz dafür einsetzen werden, daß der Saarbevölkerung die Frage „Verbleiben bei Deutschland" vorgelegt wird, wo soll das hinführen? Ich weiß nicht, wer es wagen könnte, zu glauben, daß wir mit unserer Meinung im Rahmen der Friedenskonferenz unbedingt Sieger bleiben.
Wir könnten es hinnehmen, daß verschiedene Möglichkeiten der Saarbevölkerung zur Begutachtung vorgelegt würden. Sie müßte sich zwischen all den Möglichkeiten, die sie selber wünscht, frei entscheiden können, und eine davon müßte natürlich immer heißen: „Verbleiben bei Deutschland".
— Lieber Herr Kollege Rinke, wenn Sie behaupten, das sei so selbstverständlich, dann möchte ich Ihnen folgendes sagen. Wenn es so selbstverständlich wäre, daß auch die Frage „Verbleiben bei Deutschland" von der Friedenskonferenz gestellt wird, wozu — frage ich mich — sollten dann die Franzosen überhaupt an einem Abkommen über die Saar interessiert sein?
Allein die Tatsache, daß man von französischer Seite auch in den anderen Artikeln praktisch die Vorbedingungen dafür schafft, daß die Bevölkerung im Zeitpunkt der zweiten Abstimmung bestenfalls — selbst in unserem Sinne bestenfalls — über dieses in der Zwischenzeit praktizierte Statut befinden kann, zeigt doch, daß man hier unbedingt versuchen will, idas Saargebiet aus Gesamtdeutschland herauszuholen.
Wir sehen schon in Art. I eine Gefahr. In ihm ist von einem Europäischen Statut die Rede. Bei der letzten Saardebatte im Deutschen Bundestag am 29. April dieses Jahres ist von allen Parteien und, mit Nachdruck, vom Herrn Bundeskanzler erklärt worden — damals ging es noch um den Naters-Plan —, daß eine Europäisierung der Saar erst dann in Frage komme, wenn auch die Europäische Politische Gemeinschaft — man hoffte, in Verfolg der EVG — zustande gekommen sei.
Wir stehen aber heute vor der Tatsache, daß weder die EVG zustande gekommen ist noch die EPG, die Europäische Politische Gemeinschaft, uns nähergekommen wäre. Sie ist heute ferner denn je.
Wenn es sich aber, wie es im Sinne unserer gesamtdeutschen Bestrebungen richtig ist, nur um eine vorübergehende Lösung, um ein Provisorium bis zum Friedensvertrag handeln soll, dann wäre es doch sinnvoller, auch in Übereinstimmung mit der Meinung aller Parteien des Bundestages, wie sie Ende April hier geäußert wurde, man schriebe nicht „Europäisches Statut", sondern „Vorläufiges Statut über die Saar" hin. Damit wäre der Charakter dieses Statuts im deutschen Sinne einwandfrei klargestellt.
In Art. VI ist davon die Rede, oder man vermeint daraus herauslesen zu können, daß nunmehr an der Saar die politischen Freiheiten, die Grundfreiheiten gewährleistet sein sollen. Weil ich aus einem Lande komme, in dem man uns auch einmal Minderheitenschutzverträge und alle möglichen Freiheiten zugesichert hatte, die es dann in der Praxis nicht gab, darf ich vielleicht folgendes dazu sagen. Wenn man politische Parteien, Vereine, Zeitungen und öffentliche Versammlungen künftig nicht mehr genehmigen lassen muß, so heißt das noch lange nicht, daß die Redakteure in den Zeitungen schreiben dürfen, was sie wollen, und daß die Redner in den Versammlungen reden dürfen, was sie wollen.
Wo ist ein Schutz dagegen, daß der künftige saarländische Landtag, der ja mit der saarländischen Regierung für alle Dinge, die nicht dem Europäischen Kommissar vorbehalten sind, zuständig ist, nicht ein Gesetz zum Schutze des Statuts verabschiedet, mit dem die Meinung an der Saar weiter manipuliert werden kann?
Meine Damen und Herren, Sie werden sagen: Auch für die Saar gilt die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten. Diese Konvention zum Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten ist von dem Innenminister Hector schon vor einigen Jahren, ich glaube, in Rom, unterzeichnet worden. Aber Sie werden nicht behaupten können, daß diese Grundfreiheiten und Menschenrechte an der Saar bis heute praktiziert worden wären.
Wir haben keine Garantie, daß das in Zukunft anders werden könnte.
Mit dem ersten Referendum liegt nun eine ganz bestimmte Absicht vor. Daß beim ersten Referendum die Saarbevölkerung unter Ansehung der heutigen Zustände — die schlechter sind als diejenigen, die nachher unter dem Statut bestünden, das gebe ich schon zu — ja sagen würde, das ist wohl sicher. Aber wenn nun bis zum Abschluß eines Friedensvertrages dieses Statut nicht in Frage gestellt werden darf und wenn die Bevölkerung nun das Gefühl hat, sie selbst habe sich schon einmal für dieses Statut entschieden, dann wird dieses Statut in den Augen der Bevölkerung so ein wenig sakrosankt. Weil die Möglichkeit, sie auf etwas anderes vorzubereiten, wahrscheinlich gar nicht gegeben ist — ich folge hier der französischen Interpretation —, hat sie bei dem zweiten Referendum gar keine andere Wahl, als sich wiederum für dieses Statut zu entscheiden.
Wir können zu einem Abkommen, das solche Unklarheiten — wenn wir bei diesem sanften Wort bleiben wollen — enthält, auf keinen Fall ja sagen.
Wir haben seinerzeit in Ansehung dieser Unklarheiten eine Reihe von Fragen zu diesem Abkommen an den Herrn Bundeskanzler gestellt. Die Fragen sind uns beantwortet worden. Ich muß allerdings zu meinem Bedauern sagen, daß diese Antwort durch die gestern oder vorgestern erfolgte französische Interpretation erheblich an Wert für uns verloren hat. Der Herr Bundeskanzler hat gestern selbst angekündigt, daß in absehbarer Zeit neue Verhandlungen über die Saarfrage geführt werden müssen.
Dem können wir nur beipflichten. Wir wünschen nur, daß bei diesen Verhandlungen aber auch alle Unklarheiten so geklärt werden, daß man vom deutschen, ich möchte sagen, vom gesamtdeutschen Standpunkt
mit gutem Gewissen zu einem solchen Abkommen ja sagen kann. Heute, zu diesem vorliegenden Abkommen können wir es zu unserem Bedauern nicht tun.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Mellies.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vorschlag des Herrn Präsidenten von heute nachmittag, nach den Sachgebieten zu debattieren, wird sich wohl nicht ganz durchführen lassen. Nachdem mein Vorredner, Herr Seiboth, sich eingehend mit der Saarfrage beschäftigt hat, bin ich leider gezwungen, mit ein paar kurzen Bemerkungen auf die Ausführungen von Herrn Dr. Jaeger zurückzukommen. Herr Dr. Jaeger hat unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Kollegen Baade heute nachmittag gesagt, er freue sich, daß wenigstens der Sohn eines sozialdemokratischen Abgeordneten bereit sei, für die Freiheit zu kämpfen. Zu diesem Satz erlaube ich mir folgende Feststellungen.
Erstens. Der Kampf für Freiheit, Demokratie und Menschenwürde ist die große Aufgabe der Sozialdemokratie seit ihrer Gründung gewesen.
Unter ,dem Sozialistengesetz im vorigen Jahrhundert mußten Hunderte in die Gefängnisse und Zuchthäuser wandern oder Haus und Heimat verlassen. Auch nach der Aufhebung des Gesetzes hörten die Verfolgungen im kaiserlichen Deutschland nicht auf. Der Alterspräsident des 1. Deutschen Bundestages — um nur einen zu nennen — mußte im kaiserlichen Deutschland seine freie Meinungsäußerung mit Gefängnis bezahlen.
Zweitens. In der Weimarer Zeit waren es die Sozialdemokraten, die in erster Linie den Kampf gegen die faschistischen Kräfte führten. Unzählige verloren dabei ihre Gesundheit, ja auch das Leben.
Drittens. Am 23. März 1933 waren es die Mitglieder der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion allein, die trotz aller Drohungen gegen das Ermächtigungsgesetz stimmten
und so bis zum letzten Augenblick für die Freiheit eintraten.
Viertens. Sie wissen alle, wie groß die Zahl der Sozialdemokraten gewesen ist, die Opfer der Nationalsozialisten wurden. Die größte Scham sollten Bundestag und Bundesregierung darüber empfinden, daß es bis heute nicht gelungen ist, die Entschädigung für die Opfer dieser nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu regeln und durchzuführen.
Fünftens. Der Hauptfeind in der Sowjetzone ist heute der „Sozialdemokratismus", wie man es dort drüben nennt. In den Gefängnissen, Zuchthäusern un Konzentrationslagern sitzen in erster Linie Sozialdemokraten, und viele haben seit 1945 ihre Treue zur Freiheit mit dem Tode büßen müssen.
Und sechstens. Meine Damen und Herren, wenn ale politischen Parteien im Laufe der Jahrzehnte den Kampf für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte so hart geführt und soviel Opfer dafür gebracht hätten wie die Sozialdemokratie, wäre das Schicksal Deutschlands heute nicht so beklagenswert.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Herr Abgeordneter Baade hat heute vormittag, ich glaube, als ein anderer Redner sprach, diesen Redner gefragt, ob ihm nicht bekannt sei, daß General Gruenther erklärt habe, die Deutschen würden als Schild für die anderen gebraucht. Ich habe das Stenogramm nicht hier, aber ich glaube, ich habe die Frage des Herrn Professor Baade damit richtig wiedergegeben.
Ich habe hier eine telephonische Mitteilung des Generals Gruenther über das, was er gesagt hat. Herr General Gruenther hat etwas völlig anderes gesagt,
und ich bedauere außerordentlich, daß hier in diesem Hause eine derartige Behauptung gerade gegen Herrn Gruenther aufgestellt worden ist.
In einem am 7. Juni dieses Jahres in der amerikanischen Zeitschrift „News Week" veröffentlichten Interview mit General Gruenther wurde folgende Frage gestellt:
Welche Mängel auf seiten der NATO geben den Sowjets die Möglichkeit, am Anfang Erfolge zu erzielen?
Darauf hat Gruenther wie folgt geantwortet:
Unsere Luftverteidigung benötigt dringend der Verstärkung. Unsere Landstreitkräfte sind noch nicht stark genug, um einen sicheren Schild zu schaffen, hinter dem wir unsere Reserven mobilisieren können. Dieses ist einer der Gründe, weshalb ein deutscher Beitrag notwendig wird.
Dieselben Äußerungen hat General Gruenther in einem Rundfunkvortrag am 9. Juni dieses Jahres gemacht. Er hat sie wiederholt am 22. September, und er hat sie wiederholt am 19. Oktober.
Ich stelle also folgendes fest. General Gruenther hat niemals gesagt, daß die deutschen Truppen als Schild für die anderen benötigt würden, sondern General Gruenther hat gesagt: Unsere Truppen sind noch nicht stark genug, um einen Schild aufzustellen, hinter dem wir unsere Reserven mobilisieren können; deshalb brauchen wir zur Verstärkung dieses Schildes die deutschen Truppen.
— Wie man da sagen kann „na also", das verstehe ich nicht, meine Herren.
Meine Damen und Herren, ich möchte dann, ehe ich zu den Ausführungen des Herrn Kollegen 011enhauer komme, einige Worte zu Ausführungen des Herrn Kollegen Erler sagen. Herr Erler hat in einer sehr eindrucksvollen Weise von Gewissensnot gesprochen. Ich möchte demgegenüber sagen, Herr Erler, und ich bitte Sie, das genau so gut zu glauben, wie ich Ihre Ausführungen glaube, daß die gleiche Gewissensnot auf mir lastet,
wenn ich Ihnen eine solche Vorlage mache.
Glauben Sie denn, meine Damen und Herren, daß ich, der ich doch bei Gott nicht in dem Verdacht stehe, ein Militarist oder irgendein Anhänger einer großen militärischen Aufwendung zu sein, nicht tief darunter gelitten habe, Ihnen ,diese Vorlage machen zu müssen?
Und ich muß Ihnen diese Vorlage machen, weil ich allerdings der Auffassung bin, daß, wenn wir das nicht tun, wir unsere gesamten 50 Millionen Deutscher und die 18 Millionen in der Sowjetzone der
Sklaverei hingeben und daß, wenn ein Krieg zwischen den zwei einander gegenüberstehenden Mächten kommen sollte, dann dieser Krieg sich in unserem Lande abspielen wird und daß unser e Männer, unser e Frauen, unsere Kinder, unsere Städte, unsere Dörfer, unsere Felder verwüstet werden, wie Korea verwüstet worden ist.
Ich bitte also, mir zu glauben, meine verehrten Damen und Herren, daß ich genau dieselbe Gewissensprüfung angestellt habe wie andere und genau so unter Gewissensnot gelitten habe wie andere, ehe ich mich zu diesem Schritt entschlossen habe.
Und nun, meine Damen und Herren, möchte ich Herrn Erler auf seine finanziellen Fragen eine Antwort geben. Sie wird ihn wahrscheinlich nicht befriedigen; aber sie wird vielleicht manchen anderen befriedigen.
Meine Damen und Herren, ich bin wirklich nicht in der Lage, Ihnen hier vor der gesamten Öffentlichkeit den zukünftigen Aufbau und die zukünftige Bewaffnung der deutschen Wehrmacht klarzulegen,
und zwar aus dem sehr einfachen Grunde: weil man das eben nicht tut.
Das sind außerordentlich vertrauliche Angelegenheiten, die nur in einem Ausschuß erörtert werden können.
Deshalb werden Sie auch in diesem Ausschuß die Antworten auf die finanziellen Fragen bekommen, die Herr Erler gestellt hat.
Darf ich eine Frage an den Herrn Bundeskanzler richten?
Ist es dem Herrn Bundeskanzler bekannt, daß in allen anderen parlamentarisch-demokratischen Staaten vor dem Eingehen derartiger weitgehender internationaler Verpflichtungen auch über Jahre hinweg dem Parlament, wenn auch nicht in den Einzelheiten, dann aber wenigstens insgesamt, die voraussichtlichen Kosten mitgeteilt werden, wie z. B. die Auslandshilfsprogramme der Vereinigten Staaten diese Zahlen für einen längeren Zeitraum ausgewiesen haben?
Selbstverständlich ist mir das bekannt. Genau so, meine Damen und Herren, wird auch hier verfahren werden. Ich möchte nochmals betonen, daß das letzte Wort in der Frage der Bewilligung der Mittel der Bundestag hat,
und zwar das Plenum des Bundestages.
Aber die nötigen Aufklärungen werden im Detail im Ausschuß gegeben werden. Die Ausgaben hängen natürlich sehr davon ab, welche finanzielle oder sachliche Hilfe wir von außen bekommen, und Sie können nicht verlangen, daß da bestimmte Zusagen erfolgen, ehe überhaupt feststeht, daß die Pariser Verträge ratifiziert werden; aber die
sichere Inaussichtstellung ist da. Darüber wird in einer Weise, die Sie, meine Damen und Herren, vollkommen zufriedenstellen wird, Auskunft gegeben werden. Ich betone jedoch noch einmal: Sie entscheiden ja jetzt in dieser Angelegenheit gar nicht über die Höhe der Ausgaben; über die Höhe der Ausgaben werden Sie gesondert zu entscheiden haben.
Nun, meine Damen und Herren, möchte ich zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Ollenhauer Stellung nehmen. Es ist zwar eine Reihe von Ausführungen gemacht worden, auf die ich gern eingehen möchte; aber die Rednerliste ist derart umfangreich — ich habe mich eben davon überzeugt —, daß ich mich auf das Wesentliche beschränken möchte, und .das Wesentliche sind doch wohl die Ausführungen des Vorsitzenden der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion. Herr Ollenhauer hat mir einige Vorwürfe wesentlicher Natur gemacht. Er hat mir zum Vorwurf gemacht, daß meine Politik auf der Annahme basiere, erfolgreiche Verhandlungen mit der Sowjetunion seien vor der Ratifizierung nicht möglich. Ich nehme an, es ist Herrn Kollegen Ollenhauer bekannt, daß die drei Westmächte unter dem 29. November eine ausführliche Note zum Zwecke der Vorbereitung einer Viererkonferenz an die Sowjetunion gerichtet haben und daß sie in dieser Note der Sowjetunion auch vorgeschlagen haben, man solle diese Viererkonferenz, die sich namentlich auf fünf von ihnen aufgezählte Punkte, eventuell noch auf andere Punkte erstrecken sollte, durch diplomatische Verhandlungen vorbereiten. Meine Damen und Herren, kann man mehr tun, als da geschehen ist? Auf diese Note vom 29. November hat die Sowjetunion bis heute überhaupt nicht geantwortet. Was sollen denn die drei Westalliierten tun? Was sollen wir tun, meine sehr verehrten Damen und Herren, nachdem die drei Westalliierten, was sie mit unserer Zustimmung getan haben, zu einer Viererkonferenz aufgefordert haben? Sie haben ein Programm entwickelt, sie haben den Sowjets das übergeben und sie haben gesagt: Wir wollen nun diese Viererkonferenz diplomatisch vorbereiten. Jetzt muß man doch abwarten, was die Sowjetunion darauf antworten wird! Ich glaube, dagegen kann kein Mensch etwas einwenden.
Dann hat Herr Ollenhauer mir zum Vorwurf gemacht, daß sich zwar die drei Westmächte und die sämtlichen NATO-Mächte verpflichtet hätten, eine gemeinsame Politik mit uns zu treiben mit dem Ziele einer Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit, daß aber, wie er gesagt hat, eine Vereinbarung über die gemeinsame Politik fehle. Es ist doch in der Außenpolitik so: man muß sich zunächst über das Ziel einigen, und 'die Einigung über das Ziel ist erfolgt. Der Weg, wie man dann zu dem Ziele kommt, richtet sich doch absolut nach der ständig wechselnden Situation in der Welt!
Man kann doch unmöglich jetzt etwa mit 14 NATO-Ländern genau vereinbaren, welchen Weg zu dem Ziele man gehen wird. In acht Tagen würden wir darüber vielleicht ganz anders denken als heute.
Bei diesen diplomatischen Verhandlungen, Herr Kollege Ollenhauer, ist zweierlei nötig: einmal das
Ziel — darin muß man übereinstimmen —, und zweitens muß man zueinander das Vertrauen haben, daß man die Politik, den Weg einschlagen wird, der in dem jeweiligen Augenblick am meisten Erfolg verspricht; sonst kann man keine Politik machen. Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß trotz mancher Ausführungen in diesem Hohen Hause, wobei ich nicht an Herrn Ollenhauer denke, doch die 14 NATO-Staaten und insbesondere die drei Westmächte das Vertrauen zur Bundesrepublik haben, daß sie der Überzeugung sind: Mit den Leuten können wir zusammen den richtigen Weg finden, um zum Ziele der Wiedervereinigung zu kommen.
Herr Ollenhauer hat einen Satz gesagt, den ich ihm doch etwas übelgenommen habe.
— Nein, meine Damen und Herren, ich bin sehr geduldig.
— Nein, ich bin auch gar nicht so übelnehmerisch, das wissen Sie ganz genau. Ich kann mich so in Ihre unangenehme Situation hineinversetzen.
Sehen Sie, meine Damen und Herren, jetzt haben Sie mich etwas provoziert, aber ich will sehr sanft darauf antworten.
Wenn Sie in Berlin Ihre Redner alles das hätten sagen lassen, was Sie im Lande gesagt haben, auch was Sie hier gesagt haben, — —
— Nun, meine Damen und Herren, ich habe die Berliner für ziemlich helle gehalten, und deswegen hat die CDU auch den großen Zuwachs an Stimmen bekommen.
Aber allein der Herr Kollege Ollenhauer ist es gewesen, der in Berlin den Mut gehabt hat, über außenpolitische Dinge zu sprechen.
— Ja, ja ich auch, wie beide! Aber die anderen sozialdemokratischen Redner haben sich in Berlin in außenpolitischen Fragen so brav und nett benommen, daß man seine helle Freude daran haben konnte.
Aber nun zurück zu Herrn Kollegen Ollenhauer.
— Ach, man soll mit dem Wort Wahrheit nicht so um sich werfen!
Wer soviel mit dem Wort Wahrheit urn sich wirft, der hat das nötig.
Aber Herr Kollege Ollenhauer hat etwas gesagt,
und das ist der Satz, Herr Ollenhauer, der eigent-
lieh nicht richtig ist, auch von Ihrem Standpunkt nicht richtig ist. Sie haben gesagt: Der Preis, den Deutschland für den Eintritt in die NATO zu zahlen hat, ist die Aufstellung dieser Wehrmacht. Das ist doch ganz falsch! Sehen Sie mal nach der EVG!
— Bitte, sehen Sie nach! Ich habe diesen Satz genau mitgeschrieben.
Meine Damen und Herren, wir hatten ja doch auch schon in der EVG, durch die wir nun nicht in die NATO kamen, die gleiche Zusage gemacht. Gegen etwas möchte ich doch sehr nachdrücklich Stellung nehmen. Herr Kollege Ollenhauer hat, ich glaube, wiederholt gesagt, daß die NATO-Mächte, die Westmächte, also auch die Partner in der Westeuropäischen Union und die im Atlantikpakt die Pariser Verträge auf die Teilung Deutschlands stützten.
Meine Damen und Herren, Herr Erler hat in seinen Ausführungen gesagt, es sei sein hauptsächlichster Einwand, daß man die Bundesrepublik Deutschland auf eine Weise in dieses System der Militärallianz einschmelze, als gebe es das andere Stück Deutschland nicht. Sehen Sie, meine Herren, das ist einfach nicht richtig. Denn in dem gleichen Vertrag steht doch, daß die anderen sich verpflichten, mit uns zusammen die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit herbeizuführen.
Sie können doch unmöglich, meine verehrten Her) ren, den Leuten, die für die anderen Staaten eine so feierliche Erklärung abgeben und unterschreiben, unterstellen, daß sie das nicht wollen. Das geschieht aber damit, und dagegen muß ich Einspruch einlegen. Ich habe die Überzeugung, den Vertretern der anderen Länder, die dieses Abkommen unterschrieben haben, ist es Ernst, und zwar bitterer Ernst mit der Zusage, daß sie mit uns zusammen eine Politik treiben wollen zum Zwecke der Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit.
Meine Damen und Herren! In der Zwischenzeit war einer der Herren so freundlich, mir das Stenogramm der Rede des Herrn Kollegen Ollenhauer hierhin zu legen. Er hat also gesagt:
Es ist einfach der Preis, den die Bundesrepublik für die französische Zustimmung zu der deutschen Mitgliedschaft in NATO zu zahlen hat.
— Ja, meine Damen und Herren, ich vermag da keinen sehr großen Unterschied zu erkennen.
— Ich vermag den wirklich nicht zu erkennen, meine Damen und Herren! — Also, Sie werden mir ja wahrscheinlich Gelegenheit geben, mir das klar zu machen; dann liegt es eben an mir.
Ich kann nur das eine sagen, daß die Aufstellung der deutschen Wehrmacht im Vertrag über die
Europäische Verteidigungsgemeinschaft zugesagt war und daß wir bei dem Wort geblieben sind.
Herr Bundeskanzler, darf ich Ihnen eine kleine Aufklärung geben! Sie haben offenbar übersehen, daß das Wörtchen „Es" in dem Satz, den Sie verlesen haben, sich auf das Saarstatut bezieht. Das ist einfach alles. Das Saarstatut ist der Preis usw., und so hat es Herr Ollenhauer gesagt.
Ich gebe zu, daß das richtig ist, meine Damen und Herren. Das hat Herr Ollenhauer gesagt.
Ich möchte dann jetzt entgegen meiner ursprünglichen Absicht noch einige Ausführungen über das Saarstatut machen. Sie haben vollkommen recht, Herr Ollenhauer, wenn Sie hier ausgeführt haben: Direkt steht die Regelung der Saarfrage nicht in Zusammenhang mit NATO, steht auch nicht in Zusammenhang mit der Westeuropäischen Union. Rechtlich steht sie nicht damit in Zusammenhang; aber es ist doch in der Politik oft so, daß im Laufe der Entwicklung Dinge miteinander verknüpft werden, die an sich rechtlich nicht zusammengehören und sich dann kaum mehr trennen lassen.
So ist gerade die Frage der Saar vom Französischen Senat im Jahre 1952, von Schuman, von Bidault, von dem Ministerpräsidenten Pinay, von dem Ministerpräsidenten Laniel, von René Mayer, von einer ganzen Reihe von führenden französischen Politikern mit diesen ganzen Fragen verbunden worden.
Nun habe ich Ihnen wohl schon gesagt, daß der französische Ministerpräsident Mendès-France in London die Saarfrage mit diesen Regelungen nicht verknüpft hat. Er wußte genau, daß ich in London nicht bereit war, darüber zu sprechen, um eben diese Frage nicht zu einem Handelsobjekt wegen der anderen Sachen werden zu lassen. Erst nach London, nachdem wir unterschrieben hatten, ist Herr Mendès-France zu mir gekommen und hat gesagt: „Herr Bundeskanzler, Sie kennen die ganzen Dinge, wir werden über die Saarangelegenheit noch sprechen müssen." Ich habe ihm darauf erwidert: „Ich werde mit Ihnen sprechen" und habe ihm dann vorgeschlagen, das vor der Pariser Konferenz in Paris zu tun.
Dann ist die Saarfrage nur ein Punkt gewesen — ein erheblicher Punkt, wie ich ohne weiteres erkläre — unter einer ganzen Reihe von Punkten, die besprochen und gelöst werden sollten, um zwischen Frankreich und Deutschland wirklich eine gute Nachbarschaft herzustellen.
Absichtlich — Sie werden das vielleicht verstehen — möchte ich über Einzelheiten des Saarabkommens jetzt nicht mehr sprechen. Aber ich möchte doch dem Herrn Seiboth sagen, seine Auslegungen sind nicht richtig, und ich würde es nicht für gut halten, wenn deutsche Bundestagsabgeordnete sich Auslegungen zu eigen machen, die hier und da von Franzosen vertreten werden.
Herr Bundeskanzler, darf ich eine Frage an Sie richten. War es am 22. Oktober in Paris so, daß die Saarfrage als ein Punkt un-
ter anderen diskutiert wurde, oder war es so, daß Mendès-France sagte: „Wenn Sie nicht ein Saarabkommen unterzeichnen, dann unterzeichne ich nicht die anderen Abkommen"?
Nein, so ist es nicht gewesen, Herr Mommer.
— Nein, Herr Mommer, bitte, lassen Sie mich Ihnen das darlegen. Als ich die Besprechungen mit Herrn Mendès-France begann, wird es etwa gegen drei Uhr gewesen sein, und die Saarfrage ist an die Reihe gekommen etwa gegen sieben Uhr, nachdem eine ganze Reihe von anderen Fragen besprochen worden waren. Herr Mendès-France hat eine solche Drohung nicht ausgesprochen. Er hat etwas anderes gesagt. Er hat gesagt, daß es sonst zweifelhaft sei, ob er die nötige Mehrheit bekommen wird.
— Das hat er gesagt. Das ist etwas vollkommen anderes.
Herr Mommer hat mich gefragt, ob Herr Mendès-France nicht erklärt habe, er werde nicht unterschreiben, wenn nicht 'dieses Abkommen vorher geschlossen werde. Das hat er gefragt.
Ich bitte, eine Frage an den Herrn Bundeskanzler richten zu dürfen. Herr Bundeskanzler, ist es nicht so gewesen, daß Freitag um die Mittagszeit Herr Mendès-France einen Ministerrat einberufen hat, daß dieser Ministerrat einen Beschluß gefaßt hat dahin, daß der Ministerpräsident die Verträge nicht unterschreiben dürfe, wenn Sie nicht das Saarabkommen unterschreiben?
Als dieser Ministerrat abgehalten wurde, war das Saarabkommen zwischen Herrn Mendès-France und mir noch in keiner Weise fertig.
Infolgedessen kann der Ministerrat einen solchen Beschluß gar nicht gefaßt haben.
Aber Herr Bundeskanzler, wir haben uns über diese Dinge unterhalten.
Herr Bundeskanzler, wir hatten uns doch seinerzeit in Paris über diese Dinge unterhalten. Wir waren alle sehr ungehalten über diese Methode, in diesem Augenblick einen Ministerrat einzuberufen. Vielleicht erinnern Sie sich noch.
Ich kann nur wiederholen, was ich Ihnen eben gesagt habe: Gewiß, er hat einen Ministerrat einberufen.
Der hat einen Beschluß gefaßt, und dieser Beschluß ist mitgeteilt worden in einer Pressekonferenz, die uns alle sehr erstaunt und erregt hat.
Meine Damen und Herren, es sind in Paris mehrere Ministerratssitzungen unter Mendès-France gewesen.
Um die Mittagszeit?
An dem letzten Tage?
Am Freitag, nicht am Samstag. Am 23. haben Sie unterzeichnet, am Freitag, dem 22., hat dieser Ministerrat stattgefunden, ehe Sie zu der weiteren Besprechung gingen.
Ja, ich verstehe noch immer nicht, was Sie eigentlich damit beabsichtigen.
Ich beabsichtige gar nichts, als — verzeihen Sie, daß ich wieder von Wahrheit spreche — die Wahrheit festzustellen.
Ja, meine Damen und Herren, ich kann nur nochmals wiederholen —
Ich glaube, die Wahrheit dient immer dem deutschen Interesse, Herr Köhler!
Ich kann nur nochmals wiederholen, meine Damen und Herren: Als Herr Mendès-France einen Ministerrat einberufen hatte, war das Saarabkommen zwischen ihm und uns nicht nur noch nicht fertig, sondern es war absolut gefährdet, weil ich gewisse Bedingungen nicht erfüllen wollte; und diese Bedingungen habe ich auch nicht erfüllt.
Und dann hat man sich doch offensichtlich geeinigt — jedenfalls nicht gegen den Beschluß dieses Ministerrats!
Im übrigen möchte ich dann mit Erlaubnis ides Herrn Präsidenten aus einem Artikel des Herrn Bundestagsabgeordneten Dr. Mommer, den er Mitte Oktober 1954 veröffentlicht hat, vorlesen:
Die Führung eines Machtkampfes um die Saar mit politischen Mitteln liegt ganz sicher nicht im Interesse der beiden Länder und Europas. Man muß vielmehr versuchen, in einem vertretbaren Kompromiß zu einer keine Seite ganz befriedigenden, aber für keine Seite unannehmbaren Lösung zu kommen.
Wir sollten deshalb bei den Saarverhandlungen über einen Modus vivendi gar keine eigenen Wünsche anmelden
und die Fortdauer der Zoll- und Währungsunion so weit hinnehmen, wie sie nicht wegen der Entwicklung der Saarwirtschaft selbst modifiziert werden muß.
Ein Abkommen kann vorläufig nur, nachdem die Rückgliederung pure et simple nicht im Bereich des Möglichen liegt, einen Modus vivendi zum Inhalt haben, der im Friedensvertrag mit einer gesamtdeutschen Regierung
durch Abmachungen über das Gebiet selbst ersetzt wird. Wenn im Friedensvertrag von Frankreich die Anerkennung der Abtrennung von uns verlangt würde, dann könnte und sollte nach unserer Überzeugung die gesamtdeutsche Regierung sich auf das Selbstbestimmungsrecht berufen und die Entscheidung einer neuen Volksabstimmung überlassen.
Sehen Sie, meine Damen und Herren, das, was
Herr Mommer damals empfohlen hat, steht ungefähr alles in dem Saarabkommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Becker.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe die Absicht, über die Saar zum Schluß zu sprechen. Ich habe aber die Absicht, zunächst einmal, und zwar in aller Ruhe, frei von irgendwelchen parteipolitischen Zänkereien — um es einmal beim Namen zu nennen —, auf den Hauptpunkt einzugehen, und das sind die Fragen, die heute in einer deutschen Zeitung gegenübergestellt sind, die Frage nämlich, die der Herr Bundeskanzler gestellt hat: „Soll akzeptiert werden?", und die Frage, die Herr Ollenhauer gestellt hat: „Wir haben eine wichtige Entscheidung zu fällen und können vielleicht den Tag einmal verfluchen, an dem wir so gehandelt haben".
Was steht sich denn nun an Tatsachen und an Doktrinen gegenüber?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bitte das Haus, sich doch etwas ruhiger zu verhalten, damit der Redner verstanden wird.
Gegenüber stehen sich die These der SPD, wonach, wenn diese Verträge angenommen würden, die Frage der Wiedervereinigung nicht mehr gelöst werden könne. — Ich bringe es einmal auf einen kurzen Nenner. — Es könnte sein, daß, wenn nach Ratifikation der Verträge Verhandlungen begonnen werden, Moskau, das ja nun über unsere Diskussion, die wir törichterweise bei offenen Fenstern führen, völlig unterrichtet ist, diese Gründe gern akzeptiert und uns nun entgegenhält: Jawohl, nunmehr verweigere ich die Wiedervereinigung. — Dann könnte die SPD kommen und sagen: Seht ihr, wie recht ich gehabt habe.
Aber jetzt stelle ich einmal die Gegenfrage: Hat Moskau schon irgend einmal zugesagt, daß die Sowjetzone zurückgegeben wird, wenn wir diesé Verträge nicht unterschreiben? Ich habe noch nie etwas darüber gelesen.
Die zweite Frage, die ich zu stellen habe, ist folgende: Sind die Herren, wenn wir das Zusammengehen mit dem Westen durch Ablehnung dieser Verträge verweigern, sicher, daß wir trotzdem den Schutz des Westens noch haben, wenn wir dann allein in der Welt stehen?
Wenn diese beiden Fragen einwandfrei beantwortet werden könnten, ließe sich über diese Theorie der SPD diskutieren. Aber die Fragen lassen sich nicht beantworten. Sie können keinen Beweis für diese beiden Punkte bringen.
Umgekehrt sind die Tatsachen, die dafür sprechen, daß zu unterzeichnen sein würde, eindeutig. Zwei große Mächtegruppen stehen feindselig in der Welt gegenüber. Wer ist der Aggressor? Nach unserer Auffassung droht der Angriff zweifellos von der kommunistischen Seite, und zwar nenne ich Ihnen dafür vier Gründe.
Der erste Grund ist der, daß die kommunistische Welt von der kommunistischen Doktrin beherrscht wird, die ihrerseits totalitär ist, expansiv ist, keinen andern neben sich gelten läßt, weder im eigenen Land noch in den Ländern, die sie zu unterwerfen willens ist.
Der zweite Grund ist der, daß nach 1945 die ganze übrige Welt abgerüstet hat, daß aber Rußland nicht abgerüstet, sondern aufgerüstet hat.
Der dritte Grund ist der, daß von 1944 an Rußland seine Angriffsabsichten gegenüber Rumänien, Bulgarien, Albanien, Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei wahrgemacht und durchgeführt hat und daß es ohne Erfolg angegriffen hat in Nordgriechenland, in Berlin durch die Blockade und in Korea. Ich glaube, das sind Beweise genug.
Und der vierte Grund ist der, daß Rußland in allen Ländern des Westens in Gestalt der kommunistischen Parteien sich diejenigen Fünften Kolonnen hält, die die Kader schon bereitstehen haben für den Fall, daß das einzelne Land einem Angriff vom Osten preisgegeben ist, wenn es losgelöst vom Westen ohne Bündnisse, ohne Unterstützung allein in der Welt dasteht. Sie kennen auch den Ausspruch Lenins — einen Ausspruch, den man sich auch mal in Paris merken sollte —, der da sagt: „Für den Kommunismus geht der Weg von Moskau nach Paris. Aber er geht dahin über Peking und Kalkutta." Der Weg nach Peking ist schon zurückgelegt.
Wenn Sie sich diese Tatsachen mit den zwei unbeantworteten Fragen vergegenwärtigen und beides gegenüberstellen, dann ist für uns, die wir die Verantwortung zu tragen haben, meiner Ansicht nach die Entscheidung klar: wir akzeptieren die Pariser Verträge.
Wir haben dabei den Wunsch, daß die Kostenfrage entsprechend der Zusage des Herrn Bundeskanzlers im Ausschuß geklärt wird; denn irgendwie geklärt muß sie werden, und zwar — wenigstens global — ehe wir hier diesen Verträgen in letzter Lesung zustimmen.
Ich persönlich glaube nicht an einen dritten Weltkrieg unter der Voraussetzung, daß die angelsächsischen Divisionen, die Divisionen der USA und Englands, auf dem Kontinent stehenbleiben. Die Herren im Kreml sind etwas klüger, als Hitler war. Sie wissen genau, daß ein System wie das kommunistische, das nur auf Unterdrückung auch im eigenen Lande aufgebaut ist, bei einem Weltkrieg seine eigene Existenz aufs Spiel setzt. Aber diese Garantie für uns, daß die Divisionen der Angelsachsen auf dem Kontinent bleiben, ist nur dann gegeben, wenn wir uns an der Verteidigung des Kontinents beteiligen. Der Ausspruch des früheren Präsidenten Truman ist bekannt. Er hat gesagt: „Man kann es amerikanischen Müttern nicht zumuten, daß die deutschen Jungens mit der Zigarette im Mund hier zuschauen, wie die amerikanischen Jungen in Europa für Europas Sicherheit dastehen." Wir kommen mit der Tatsache, daß wir diese Verträge akzeptieren, diesem Wunsch der Amerikaner nach und sichern damit uns den Frieden.
Das ist das Entscheidende: der Friede muß bewahrt werden. In acht Tagen erklingen die Weihnachtsglocken und ertönt allen das Evangelium vom Frieden auf Erden, allen, die guten Willens sind, die Botschaft vom „Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen". Wir wollen heute und in diesen Wochen mit der Zustimmung zu diesen Verträgen einen erheblichen Beitrag dazu leisten, daß diese Botschaft, soweit es überhaupt in Menschenhänden liegt, Wahrheit werden kann. Wir wollen den Frieden sichern. Ich kann meinen Kollegen von der SPD-Fraktion nur versichern, daß die Deduktion, die ich Ihnen eben vorgetragen habe, nämlich daß Deutschland Divisionen stellen muß, damit die angelsächsischen Divisionen zu unserem Schutz hierbleiben, die gleiche Deduktion ist, die Herrn Guy Mollet, den Chef der sozialistischen Partei Frankreichs, veranlaßt hat, seinerseits dem zuzustimmen, daß Deutschland wieder bewaffnet wird.
Europa bleibt trotz aller Fehlschläge das Ziel, dem wir nachstreben müssen, freilich unter Berücksichtigung der realpolitischen Gegebenheiten. Seitdem England, das Vereinigte Königreich, an der Westeuropäischen Verteidigungsunion beteiligt ist, müssen wir auf die Stimmung und Stellung Englands zu den europäischen Einigungsbestrebungen Rücksicht nehmen. Es war mir interessant festzustellen, daß ein englischer Abgeordneter, Herr Fletcher-Cooke, in einem Bericht, den er zwischen London und Paris in diesem Herbst dem Europarat erstattete, ausdrücklich darlegte, daß die Sehnsucht der Europäer, schnell zu supranationalen Institutionen zu kommen, zurückgestellt werden müsse, nachdem England mit von der Partie sei.
Wir bleiben bei unseren europäischen Idealen, aber wir müssen realpolitisch handeln, und ich halte es für gut, in dieser Zeit nicht zu viel von supranationalen Institutionen zu sprechen und lieber der Entwicklung freien Raum zu geben; denn die Dinge sind oft mächtiger als Paragraphen und Absichten.
Wir haben noch einen anderen Vertrag vorliegen; es ist der Vertrag über die Wiederherstellung der deutschen Souveränität. Meine Damen und Herren, dieser Vertrag enthält, namentlich in seinem Oberleitungsabkommen, manches, was wir gern anders gesehen hätten. Vor zwei Jahren, im Mai 1952, war dieser Vertrag noch etwas, was vielleicht eine gewisse Begeisterung in Deutschland hätte erwecken können. Heute rührt's die deutsche Öffentlichkeit herzlich wenig. Es ist eine Sache, die trotz aller gegenteiligen Ausführungen, die heute morgen hier gemacht wurden, eigentlich überfällig ist, nachdem z. B. Japan vor zwei Jahren nicht nur seine Souveränität, sondern auch einen regelrechten Friedensvertrag erhalten hat. Wenn wir aber durch diesen Vertrag am Ende einer Periode sind, die als Besatzungsperiode gekennzeichnet ist, dann ist es vielleicht richtig, doch einmal einen Blick auf die vergangene Zeit zu werfen, und ich halte es für ein großes Verdienst einer großen illustrierten Zeitschrift in Deutschland, daß sie unter dem Titel „Es begann bei Null" einer schnellebigen und leicht vergessenden Gegenwart wieder in Erinnerung gerufen hat, was in allen Teilen und von allen Schichten des deutschen Volkes in den vergangenen Jahren seit 1945 für den Aufbau getan worden ist. Wenn wir in diesem Hause auf alles zurückschauen,
was seit 1949 gemeinsam geschehen ist, so glaube ich, daß wir es — ich will keine Einzelheiten aufzählen — doch mit Befriedigung tun können.
Aber eins muß ich dazu noch bemerken. Der Vertrag sieht vor, daß eine Notstandsklausel in unserer Verfassung eingeführt wird. Es ist die Ablösung dessen, was sich die Besatzungsmächte vor zwei Jahren in dem Vertrag von damals selbst vorbehalten hatten. Ich persönlich bin der Auffassung, daß man einem Staat, einer Regierung für Notfälle ein solches Recht nicht verweigern kann oder sollte. Doch legen wir nach den Erfahrungen der Vergangenheit Wert darauf, daß diese Rechte genau umschrieben, daß sie auch inhaltlich und zeitlich irgendwie begrenzt werden. Aber auch dann wird dem Staat damit eine solche Fülle von Macht in die Hand gelegt, daß wir uns fragen müssen, ob nun nicht andererseits irgendwelche Vorsichtsmaßregeln in unsere Verfassung mit eingebaut, und zwar gleichzeitig eingebaut werden müssen.
Wir haben die Stabilität der Regierung als Konsequenz des konstruktiven Mißtrauensvotums. Wir sind damit einverstanden, wir haben es befürwortet. Wir haben aber nun andererseits die Tatsache, daß im Parlamentarischen Rat entgegen unserem Wunsch, der auf einen Senat abzielte, ein Bundesrat geschaffen worden ist und daß in diesem Bundesrat jeweils nur ein Teil der Bevölkerung, nicht die gesamte Bevölkerung des betreffenden Landes vertreten ist. Kommt dann noch eine Entwicklung hinzu, die dahin führt, daß etwa die Regierungsbildung in den einzelnen Ländern und damit die Zusammensetzung des Bundesrates, sei es nach der einen oder anderen Seite, gleichförmig vor sich geht, d. h. also, daß jeweils immer nur ein ganz bestimmter Teil der Bevölkerung der betreffenden Länder im Bundesrat vertreten ist, dann wird die Sache außerordentlich gefährlich, wenn nun auch im Bundestag — ich spreche nicht von der heutigen Situation, sondern von jeder möglichen Situation, auch der Zukunft — durch irgendein Wahlrecht eine Konstellation herbeigeführt werden kann, bei der dann 'die ganze Machtfülle, die via Bundesrat und via Notstandsparagraph vorhanden ist, sich plötzlich in der Hand einer einzigen Partei befindet. Wir sehen eine Möglichkeit, dem vorzubeugen, nur darin, daß im Grundgesetz jetzt gleichzeitig die Bestimmung geschaffen wird, daß in einem Wahlgesetz für den Bundestag der Grundsatz bleiben muß, daß die Zahl der Mandate dem Umfang der jeweils abgegebenen Stimmen entsprechen muß. Nur dann ist gewährleistet, daß die Herrschaft einer Partei, gleichviel welcher, und damit die Machtfülle, die ich geschildert habe, in der Hand einer Partei vermieden wird.
Nun noch etwas über die Saar. Meine Damen und Herren, ich glaube, das, was eigentlich bei der Beratung aller Vorlagen vorhanden sein müßte, nämlich die Achtung der gegenseitigen Meinung, die Achtung davor, daß jeder hierbei seiner Gewissensentscheidung folgen muß und folgen wird, darf hierbei noch einmal in besonderem Maße hervorgehoben werden. Ich möchte jedenfalls namens meiner Freunde betonen, daß wir unsere Entscheidung, die ich Ihnen mitteilen werde, lediglich auf Grund unserer freien, gewissenhaften Prüfung abgeben. Wir konzedieren jedem anderen Teil dieses Hohen Hauses die 'gleiche Gewissenhaftigkeit. Ich habe namens meiner Fraktion ,auszusprechen, daß wir diesem Saarstatut nicht zustimmen werden. In der
Presse könnte die Frage auftauchen: Na, und die Koalition? Darauf eine kurze Antwort. Mit unserer Stellungnahme bleiben wir bei dem, was am 3. Juli 1953, acht Wochen vor den Septemberwahlen von 1953, nach dem ausgezeichneten Referat des Kollegen Dr. Kopf vom Bundestag einstimmig beschlossen worden ist. Wir weichen also nicht ab. Und wir haben im Herbst 1953 bei der Begründung dieser Koalition für den 2. Bundestag ausdrücklich schriftlich vereinbart, daß wir uns unsere Auffassung zur Saar, fußend auf den Beschlüssen des Bundestages von 1953, vorbehalten. Wir weichen also unsererseits von Koalitionsvereinbarungen nicht nur nicht ab, sondern wir halten sie.
Soviel zur Frage der Koalition.
Nun die Gründe für unser Nein zum Saarstatut. Worin besteht idas sogenannte Saarproblem? Wir haben uns um die Beantwortung dieser Frage redlich bemüht. Wir haben versucht, in Unterhandlungen auch mit französischen Abgeordneten zu erfahren, was eigentlich Frankreich an der Saar will und wünscht. Dabei sind wir zu folgendem Ergebnis gekommen. Die Saar mit ihrer Kohle, Lóthringen mit seinem Erz und das Elsaß mit seinen landwirtschaftlichen Produkten, die ihren Absatz an der Saar finden, waren von 1871 bis 1918 im gleichen Währungsgebiet, nämlich im Währungsgebiet der deutschen Mark. Von 1918 bis 1935 waren sie wiederum im gleichen Währungsgebiet, im Gebiet des französischen Franken. Daraus hat sich, wie von französischer Seite behauptet wird, eine Einspielung der Verhältnisse — lothringisches Erz, Kohle der Saar, Absatz der landwirtschaftlichen Produkte des Elsaß im Saargebiet — ergeben. Frankreich hat darüber hinaus — so ist uns erklärt worden — den Wunsch, die Saarkohle, die es für die lothringische Industrie braucht, in französischen Franken zu kaufen und nicht in Deutscher Mark zu bezahlen, um die eigene, negative Devisenbilanz nicht noch mehr zu belasten. Wir haben nähere Ausführungen darüber in dem Bericht, den der französische Abgeordnete Vendroux im Oktober 1953 als Berichterstatter der Saarkommission des französischen Parlaments erstattet hat und der in der Debatte des französischen Parlaments vom Oktober dieses Jahres von ihm bestätigt worden ist. Ich darf hinzufügen, daß der gleiche Herr Vendroux jetzt wiederum von der Saarkommission des französischen Parlaments zum Berichterstatter ernannt worden ist. Herr Vendroux hat im Bericht vom Oktober 1953 vier Punkte wirtschaftlicher Art angeführt, aus denen heraus die Saar, sagen wir einmal, den französischen Interessen dienstbar gemacht werden soll.
Erster Grund: Frankreich brauche die Saar, um das Gleichgewicht der industriellen Kräfte im Schoß der Montan-Union aufrechtzuerhalten. Mit dem Potential der Saar habe Frankreich 32 % und Deutschland nur 45 %, im anderen Fall Frankreich nur 24 % und Deutschland 53 % Beteiligung.
Zweiter Grund: Frankreich beziehe ein Drittel seiner Kohleneinfuhr und ein Sechstel seiner Kokseinfuhr aus dem Saargebiet.
Dritter Grund: Frankreich erhalte aus dem Saargebiet infolge der Währungs- und Wirtschaftsunion jetzt an Devisen jährlich mehr als 10 Milliarden fr., also rund 110 bis 120 Millionen DM.
Vierter Grund: Das Saargebiet bilde einen wichtigen Markt für die landwirtschaftlichen Produkte
Frankreichs, ebenso auch für andere, gewerbliche Produkte.
Punkt 1, in dem vorgetragen wird, daß das Potential der Saar idem französischen hinzugerechnet werden müsse, ist an Bedeutung sehr zurückgetreten, seitdem wir die Montan-Union haben.
Denn seitdem die Montan-Union besteht, ist die Frage, welches von den sechs Ländern mehr oder weniger Prozent Potential innerhalb seiner Grenzen hat, völlig gleichgültig,
nur in einem Punkt nicht, nämlich in dem Punkt Devisen, in dem die Montan-Union noch keine Gleichgewichtigkeit gebracht hat. Aber die Frage der Devisen, die die Saar Frankreich bringt, ist ja schon der dritte von den vier Punkten, die ich vorgelesen habe, so daß Punkt 1 und Punkt 4 hiernach praktisch identisch sind.
Nun frage ich mich: Wenn das die wirtschaftlichen Interessen Frankreichs sind, sollte es da nicht möglich sein, auf der Grundlage eines rein wirtschaftlichen Abkommens diesen Interessen, soweit sie 'begründet sind, Rechnung zu tragen, ohne daß das Land an der Saar und ohne daß die Leute an der Saar ihre Staatsangehörigkeit, ihre Zugehörigkeit zu Deutschland zu wechseln haben? Das ist doch die Frage!
In diesen Tagen wurde manchmal ein Rückblick auf die vergangenen Jahre gehalten. Ich habe dabei vermißt, daß der Name Stresemann genannt worden ist. Stresemannsche Politik wäre es gewesen, diesem Pfand, das sich Frankreich an der Saar ohne unseren Willen geschaffen hat, nun in irgendeiner Form, unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen Frankreichs und unter Berücksichtigung der Tatsache, daß wir auch in Zukunft gemeinsam arbeiten wollen, Rechnung zu tragen.
— Aber er hat die Ruhr freigekriegt.
— Jetzt von der Saar, wie damals von der Ruhr!
— Sehr gut, Herr Kollege Friedensburg, daß Sie davon sprechen. Es führt mich noch zu einem andern Gedankengang, der diesmal aber an die Adresse Frankreichs zu richten ist. Damals war vorgeschlagen, die Saar zurückzukaufen.
— Jawohl, dann sind wir einig. Es ist die alte Geschichte von den Sibyllinischen Büchern, die man sich in Paris merken sollte.
Wenn das aber das Problem ist, dann ist die Frage, wie dieses Problem nun in dem Saarstatut gelöst ist. Zunächst zu dem Vertrag einiges Äußere. Abschlußbercehtigt für diesen Vertrag ist, wenn mich mein Gedächtnis und meine Er-
innerung an das Grundgesetz nicht völlig täuscht, der Herr Bundespräsident. Wenn ich ebenfalls richtig unterrichtet bin, war zugesagt, daß zu einem so weitgehenden Abkommen ,die Zustimmung des Kabinetts vorher eingeholt werden sollte, genau so wie Herr Mendès-France während der Verhandlungen in Paris mit seinem Kabinett über diese Dinge beraten hat. Wie gesagt, das sind zunächst nur mehr formelle Fragen.
— Deshalb nenne ich sie ja.
Ferner ist die Frage aufzuwerfen: Ist die Bundesrepublik legitimiert, einen solchen Vertrag zu unterschreiben, oder nicht? Oder kann das nur von einem Gesamtdeutschland geschehen? Ich will die Frage nur andeuten, ich will mich nicht in das Gestrüpp staatsrechtlicher und völkerrechtlicher Theorien verlieren. Die Frage mag im Ausschuß geklärt werden, wo ja auch noch über manches andere zu sprechen sein wird.
Nun zum Inhalt des Vertrages. Die Entwicklung ging so vor sich — wir entnehmen das dem Bericht, den Herr van der Goes van Naters vorige Woche in Straßburg unterbreitet hat —, daß am 8. März dieses Jahres ein Kommuniqué veröffentlicht wurde, wonach beide Regierungen, die der Bundesrepublik und die Frankreichs, den van-derGoes-van-Naters-Plan als Grundlage der Verhandlungen angenommen hätten.
Hier darf ich einschalten, daß, als im Jahre 1952 der EVG-Vertrag abgeschlossen wurde, soweit ich unterrichtet bin, von dem Abschluß eines Saarvertrages keinerlei Rede war und der Abschluß des EVG-Vertrages wie auch des DeutschlandVertrages nicht ,daran gebunden war, daß gleichzeitig auch ein Saarabkommen geschlossen werden sollte. Erst im Laufe der Verhandlungen, als die EVG in Frankreich nicht vorwärtskam, tauchten ,die von dem Herrn Bundeskanzler vorhin mit Recht geschilderten Forderungen der einzelnen Ministerpräsidenten Frankreichs auf, diese Angelegenheit irgendwie gleichzeitig mit der EVG zu erledigen. Dann fanden im Mai dieses Jahres Verhandlungen in Straßburg statt, deren Niederschrift die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses dieses Parlaments meines Wissens nicht erhalten haben, die wir aber als Dokument des Europarates in Gestalt des Abdrucks eines Artikels der „Monde" erhalten haben. Es war mir interessant, aus diesem Abdruck festzustellen, daß ein Satz aus diesem Artikel der „Monde" sich wörtlich in Art. XII des Saarstatuts, dem Artikel über die wirtschaftlichen Fragen, wiederfindet und dort eine Verschlechterung gegenüber dem darstellt, was im Februar dieses Jahres durch die Generalkommission des Europarates hinsichtlich der deutsch-saarländischen Beziehungen schon besser geschaffen worden war. Denn dort war gesagt worden, daß relations correspondantes, d. h. genau entsprechende Beziehungen wie zwischen Frankreich und der Saar, auch zwischen der Saar und Deutschland geschaffen werden sollen. In dem Artikel der „Monde" ist aber nur relations semblables, d. h. ähnlichen Beziehungen, die Rede. Diese weniger präzise Formulierung ist in den Art. XII des Saarvertrages aufgenommen worden.
Das Saarstatut hat in seinem Inhalt sehr, sehr viele Stücke des Naters-Plans übernommen. Was es nicht übernommen hat, ist eine Garantie dahin, daß auch im Friedensvertrag diese Regelung so
bleiben solle. Daß diese Bestimmung gefallen ist, das ist das Plus gegenüber dem Naters-Plan.
Ferner wird gesagt, ein weiteres Plus dieses Saarstatuts sei, daß nunmehr die staatsbürgerliche Freiheit an der Saar geschaffen sei. Dazu möchte ich auf folgendes hinweisen. Alle umliegenden Länder Westeuropas haben demokratische Freiheiten, staatsbürgerliche Rechte, wie sie im Buch stehen. Glaubt man wirklich, daß für alle Zeit dieses Ländchen da, dieses Saargebiet als ein Fleck auf der Landkarte hätte bleiben können, in dem die staatsbürgerlichen Freiheiten nicht zu gewähren wären? Ich habe zufällig einen Artikel aus dem „Figaro" vom Jahre 1952 bekommen, d. h. aus der Zeit etwa zehn Tage vor den damaligen Wahlen im Saargebiet. Der Artikelschreiber schließt mit den Sätzen:
Frankreich ist das Land, welches zuerst feierlich die Deklaration der Menschenrechte und der Bürgerrechte von sich gegeben hat. Wenn Frankreich dieses vergißt, leugnet es sich selber. Man kann nicht von diesem Prestige, was diese Charta der Menschenrechte und Bürgerrechte gegeben hat, noch weiter Nutzen ziehen, wenn man diese Charta verletzt, um irgendwo kleine Profite zu suchen.
So der „Figaro". Ich bin überzeugt, daß wir, nur um diese Freiheiten zu schaffen — Freiheiten, die sich schon aus der Mitgliedschaft der Saar im Europarat an sich ergeben hätten —, nicht eine Unterschrift hätten geben sollen und meiner Ansicht nach auch nicht hätten geben dürfen, die das, was an der Saar geschehen ist, nun legalisiert.
Denn sehen Sie: diese Legalisierung ist das, worauf es der anderen Seite ankommt.
Der Franzose liebt Klarheit, liebt klare Verträge und liebt Unterschriften unter diese Verträge und legt sie dann auch klar aus — so aus, wie es dem Wortlaut entspricht.
Ich habe hier von dieser Stelle schon einmal eine historische Erinnerung zum besten gegeben an einen Vertrag, den auch einmal deutsche Fürsten, die nicht legitimiert waren, für das Deutsche Reich zu sprechen, nämlich die Evangelischen Stände von Hessen, Sachsen und Württemberg, mit dem französischen König in einem Jagdschloß Hessens abgeschlossen haben, das zufällig in meinem Heimatkreis liegt. Damals, im Jahre 1552, wurden auch „unter Vorbehalt Dero Kaiserlicher Majestät zustehender Rechte", und wie die Floskeln alle heißen, Metz, Toul und Verdun abgetreten — abgetreten von denen, die nicht berechtigt waren, darüber zu verfügen. Ich will hier keine Parallelen zum heutigen Saarstatut ziehen als nur die eine, daß die Unterschrift das ist, was wiegt. Solange die Unterschrift nicht gegeben ist, besteht eine Revisionsmöglichkeit. Ist unterschrieben, dann taucht die große Frage auf, die dankenswerterweise vom Herrn Bundeskanzler zur Grundlage neuer Verhandlungen und Erörterungen gemacht ist, nämlich die Frage: wer hat recht — provisorisch oder definitiv?
Die Freiheiten, von denen die Rede war, sind meiner Ansicht nach sehr dürftig. Innerhalb dreier Monate soll eine Abstimmung stattfinden. Worüber? Darüber, ob die Bevölkerung an der Saar
mit dem Vertrag einverstanden ist oder nicht. Die deutsche Öffentlichkeit meint, die Saarbevölkerung habe das Recht, zu bestimmen, ob sie zu Deutschland zurück wolle oder was sie sonst wolle. Die deutsche Öffentlichkeit ist im Irrtum,
und das muß mal laut und deutlich gesagt werden.
Die deutsche Öffentlichkeit muß wissen, daß die Saarbevölkerung — die deutsche Bevölkerung — zu dem Statut, wie es hier abgeschlossen ist, praktisch nur ja oder nein sagen kann.
— Ich will keine Vergleiche ziehen; denn ich habe gesagt, daß ich nicht polemisch werden will.
Ich bin der Meinung, daß es sich hier nicht um eine Abstimmung, sondern um einen Abstimmungstrick handelt,
einen Abstimmungstrick, der folgende Konsequenzen hat. Wie Sie wissen, ist die Bevölkerung infolge der Zollunion, der Währungsunion und der Wirtschaftsunion in weitem Maße von den zur Zeit dort herrschenden Gewalten, auch den wirtschaftlichen Gewalten, wirtschaftlich abhängig. Die Parteien, die jetzt Freiheit bekommen, bekommen für drei Monate Freiheit und haben dann die Möglichkeit, innerhalb dieser drei Monate ihre Auffassung zum Durchbruch zu bringen. Welche Auffassung? Nein zu sagen? Ja zu sagen? Bei der wirtschaftlichen Abhängigkeit, die dort besteht? Nein zu sagen, wenn hier etwa schon die deutsche Regierung und der Bundestag ja gesagt haben sollten?
Kann man da von der Saarbevölkerung verlangen, daß sie sich zu einem Nein aufrafft, zu dem andere sich nicht aufgerafft haben?
Können die Parteien dort überhaupt mit so vielen materiellen Hilfsmitteln rechnen, daß sie diese Arbeit in drei Monaten aufnehmen können? Ich sage nein; denn in dem Vertrag steht ausdrücklich, daß von außen her — das heißt: vom französischen Mutterland, vom deutschen Mutterland — keine Hilfe gebracht werden darf. Aber die Hilfe, die die frankophilen Parteien brauchen, bekommen sie ja von denen, die schon an der Saar selbst sitzen.
Denn ich weiß nicht, ob der deutschen Öffentlichkeit auch bekannt ist, daß alle deutschen Banken und alle deutschen Versicherungen von der Saar haben weichen müssen und daß es dort nur französische Banken und französische Versicherungen gibt, daß mit anderen Worten also auch der ganze gewerbliche Mittelstand und die Industrie praktisch von der Kreditpolitik dieser Banken abhängig sind.
— Sehr gut der Zwischenruf! Sie sagen: Das wird
kommen. Hoffen wir, daß es kommt! Der Briefwechsel darüber lautet: Die französische Regierung sichert zu, daß die französischen Instanzen prüfen werden, ob deutsche Banken im Saargebiet künftig zugelassen werden oder nicht.
Ich setze noch hinzu: in einem zweiten Brief, in dem von den Versicherungsunternehmen die Rede ist, heißt es, man werde auf die saarländischen Behörden einwirken in dem Sinne, daß diese prüfen sollen, ob deutsche Versicherungen wieder zugelassen werden.
Man unterscheidet also saarländische Institutionen für die Versicherungen, französische Institutionen für den Kreditverkehr. Ich frage: ist es der Sinn dieses Statuts, daß bei der Aufrechterhaltung der Währungs- und Wirtschaftsunion französische Institutionen als Aufsichtsorgane oder Zulassungsorgane für den Bankenverkehr dort auch in der Zukunft bestehen werden? Ich danke Ihnen für den Zwischenruf!
Wir könnten noch manches sagen. Ich möchte auch manches, was hier vorhin in der Diskussion angeklungen ist, gerade aus nationalen Gründen in den Ausschuß verschoben wissen.
Noch einige Gedanken zum Schluß. Dieser Vertrag wird von französischer Seite in irgendeiner Form mit den Pariser Verträgen gekoppelt, mit denen dem Bedürfnis Europas nach Sicherheit Rechnung getragen werden soll. Ich sagte schon, daß wir diese Verträge bejahen. Aber ich bejahe nicht das Junktim zwischen den beiden.
Für die Beantwortung der Frage, ob die Sicherheit Europas gefährdet ist oder nicht, ist es völlig gleichgültig, ob die deutsch-französische Grenze im Osten oder im Westen der Saar verläuft.
Man kann nicht sagen, daß die Sicherheit Europas dann gefährdet ist, wenn die Grenze an der alten Stelle verläuft. Infolgedessen ist eine sachliche Verbindung beider Verträge in keiner Weise gerechtfertigt.
— Jawohl, und dagegen muß man sich zur Wehr setzen. Aber über diesen Punkt — das sagte ich vorhin schon, verehrter Herr Kollege Pünder — wollen wir lieber im Ausschuß sprechen. Ich würde meinerseits eine öffentliche Diskussion nicht scheuen; aber ich halte es für richtiger, sie im Ausschuß zu führen.
Nun zu dem Vorwurf: Nationalismus! Seit wann ist es nationalistisch, wenn ein Volk sich dagegen wehrt, daß ein Stück seines Landes, ein Teil seines Volkes abgetrennt wird?
Und dann „europäisch"! Ich bin weiß Gott ein Anhänger der europäischen Idee und ich habe viel dafür gearbeitet. Aber gerade deshalb wehre ich mich dagegen, daß der Begriff der Europäisierung hier als Aushängeschild benutzt wird für etwas, was mit Europa gar nichts zu tun hat.
Da liegen sie nun auf diesem blutgetränkten Schlachtfeld zusammen, Freund und Feind, friedlich, aber tot. Mir schwebt vor eine Zusammenarbeit der beiden Völker ungetrennt durch einen derartigen Zankapfel, wie ihn die Saar darstellt, in einer Form, die sofort oder baldigst diese Frage löst, sie aber nicht auf Jahre hinaus verschiebt und auf Jahre hinaus eine neue Quelle von Streitigkeiten bildet. Mir schwebt vor eine Lösung, die dann ein Zusammenarbeiten der jungen Menschen französischen Volkes und deutschen Volkes für alle Zukunft sicherstellt, im Genuß der Kulturen beider Länder, eine Zusammenarbeit, die durch nichts, auch nicht durch Erörterungen, wie sie leider über dieses Statut nötig geworden sind, gestört werden könnte.
Das schwebt mir als Endergebnis vor, und das möchte ich meinerseits als Appell an das französische Volk richten: Wir sind bereit, die Saarfrage in jeder Form anständig, unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen, zu lösen. Wenn die angelsächsischen Staaten, wenn das Vereinigte Königreich, wenn die Vereinigten Staaten 1947 in Moskau Frankreich die Zusicherung gegeben haben, daß sie die Interessen Frankreichs an der Saar mit wahrnehmen werden, dann kann ich mir nur vorstellen, daß sie die wirtschaftlichen Interessen Frankreichs so verstehen, wie sie der Berichterstatter der französischen Kammer, Herr Vendroux, in dem Bericht, dessen Inhalt ich Ihnen wiedergegeben habe, auch gesehen hat. Dann würde der Weg frei sein zu einer endgültigen Lösung, und dann kommt auch die Zeit, wo die jungen Menschen lebend vereint miteinander arbeiten können und wo keine Scheinwerfer mehr nachts
suchend ihre Strahlen über europäische Schlachtfelder zu senden brauchen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ehe ich das Wort weiter gebe, möchte ich darauf aufmerksam machen, daß wir heute um 21 Uhr Schluß machen wollten. Ich habe noch sieben Redner auf der Liste stehen. Es ist natürlich nicht meine Absicht und kann es nicht sein, die, die jetzt noch kommen, zu benachteiligen. Aber ich wollte dem Haus nur die Tatsache bekanntgeben. Ich fürchte, wenn wir uns nicht beschränken, werden wir mit der außenpolitischen Debatte auch heute noch nicht fertig, und wir werden morgen, wenn wir die Tagesordnung erledigen wollen, gar nicht daran denken können, die Sitzung etwa um 14 Uhr zu schließen.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Schneider .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde meine Ausführungen der Zeitnot, in der sich das Haus befindet, anpassen. Es liegt in der Natur der Dinge, daß, wenn über große, schwerwiegende Probleme verhandelt wird, scheinbare Kleinigkeiten oft nur am Rande behandelt werden, zu kurz kommen, scheinbare Kleinigkeiten, die aber letzten Endes doch einen erheblichen Einfluß auf die Dinge haben. Erst zwei Redner sind im Verlauf der Debatte auf diese Dinge eingegangen.
Sie suchen nach den Gründen des Ressentiments in der Jugend gegen die Wiederbewaffnung. Ich glaube, sie sind darin zu finden, daß der deutsche Soldat, der 1945 in die Heimat zurückkehrte, einen Trümmerhaufen vorfand, seine Familie oft nicht wiederfand, die Hilfe des Staates vermißte, nachdem er jahrelang hinter Stacheldraht gesessen hatte, meist auch noch ein Entnazifizierungsverfahren über sich ergehen lassen mußte, kurzum, geschlagen und diffamiert war. Wenn wir dafür sorgen wollen, daß eine größere Verteidigungsbereitschaft in unserem Volk erweckt wird, dann müssen wir auch mit diesen Dingen ein für allemal Schluß machen. Es wäre vermessen, zu behaupten, daß mit diesen Dingen schon Schluß sei. Ich will nicht mehr näher darauf eingehen. Aber es ist eine feststehende Tatsache, daß die Diffamierung des ehemaligen Soldaten noch nicht ihr Ende gefunden hat.
Ein anderer Grund, der ebenfalls nicht nur in der Jugend, sondern in der gesamten Bevölkerung dazu beiträgt, daß man nicht geneigt ist, dem Rufe erneut zu folgen, ist die Tatsache, daß sich noch zahlreiche Kriegsverurteilte in alliiertem Gewahrsam befinden. Dies ist nicht Angelegenheit einer Fraktion, ich glaube, dies ist Angelegenheit sämtlicher Parteien, ja praktisch der ganzen Nation. Ich sage wohl eine Binsenwahrheit, wenn ich feststelle, daß die Tatsache, daß deutsche Soldaten teilweise, obwohl der Krieg fast zehn Jahre vorüber ist, noch kein Gerichtsverfahren gehabt haben und noch festgehalten werden, eine schwere oder zumindest — ich will mich vorsichtig ausdrücken — eine gewisse Hypothek darstellt, die unser freundschaftliches Verhältnis mit den betreffenden Nationen, welche solche Soldaten noch im Gewahrsam haben, belastet. Ich bin mir durchaus der Verantwortung bewußt, wenn ich im Rahmen
dieser Debatte und zu dieser Stunde einige Worte über die Dinge sage. Auf der anderen Seite kann aber dazu nicht geschwiegen werden, weil es nun einmal ein Thema ist, das die gesamte Öffentlichkeit bewegt. Ich befinde mich, zumindest was die Behandlung dieser Menschen in ihren Verfahren betrifft, in der angenehmen Gesellschaft solcher Nationen, die selbst solche Gerichtsverfahren durchgeführt haben.
Die bedeutende französische Zeitung „Le Monde" schrieb im Oktober 1954 einen eingehenden Bericht über das Plädoyer der französischen Verteidiger Ditte und Kraehling für den vor einem französischen Militärgericht angeklagten Deutschen Knochen. Ich will hier nicht untersuchen und habe auch nicht zu untersuchen, ob Herr Knochen in Wahrheit schuldig ist oder nicht. Ich habe aber festzustellen, daß der französische Verteidiger selbst in seinem Plädoyer noch einmal die französische Verordnung vom 26. August 1944 bekämpfte, die den Befehlsgehorsam als eine Rechtfertigung nicht zuläßt. Ditte sagte wörtlich:
Man verweigert den Deutschen, was man den
Franzosen zubilligt. Maquis, die Kollaborateure
auf Befehl ihrer Führer erschossen haben, sind
nicht verfolgt worden, sondern sie sind freigesprochen worden, wenn sie nachweisen konnten, daß sie aus Patriotismus gehandelt hätten.
Welcher Unterschied besteht zwischen der Vaterlandsliebe eines Deutschen und der eines
Franzosen?
Meine Damen und Herren, wenn ich hier ausgerechnet die Stimme eines französischen Verteidigers zitiere, dann liegt es mir selbstverständlich fern, irgendein Ressentiment gegen die französische Nation zu schüren. Die Tatsache, daß die Behandlung dieses Themas hier heute im Rahmen dieser Debatte stattfinden muß und nicht auf Grund einer ursprünglich eingebrachten Großen Anfrage, ist wohl auf gewisse außenpolitische Bedenken der Regierung zurückzuführen. Meine Freunde von der Deutschen Partei und ich sind der Auffassung, daß die Behandlung eines solchen Themas, wenn es in würdiger Form geschieht, bei der man trotzdem mit aller Klarheit das sagen kann, was gesagt werden muß, das Klima bei unseren europäischen Freunden nicht unbedingt zu verschlechtern braucht. Ich glaube jedenfalls, daß die positiven Auswirkungen den eventuellen Nachteilen gegenüber größer sind. Die Achtung vor einem Deutschland, das sich vor seine gefangengehaltenen Söhne stellt, wird sicherlich größer sein als die Achtung vor einem Deutschland, das diese Söhne im Stiche läßt.
Daß große Worte heute in der Öffentlichkeit in Deutschland nichts mehr gelten, wissen wir alle. Die Worte Großer aber haben immer noch ein erhebliches Gewicht. Schiller sagte einmal:
Nichtswürdig ist die Nation, die nicht
Ihr Alles freudig setzt an ihre Ehre.
Das ist ein Leitwort, das anderen Völkern auch heute noch als vollgültiger Wertmesser für die Beurteilung anderer Nationen gilt, und die Geschichte zeigt genug Beispiele dafür, daß das Eintreten einer Nation für einen ehrenhaften Gegner stets Achtung ausgelöst hat.
Ich darf, wenn ich daran erinnere, daß sich noch Deutsche in alliierten Haftanstalten auf deutschem Boden, daß sich noch Deutsche im Auslande befinden, auch darauf hinweisen, daß der erste fran-
zösische Botschafter nach dem verlorenen Kriege 1870/71 in Berlin, der Vicomte de Goutant-Biron, bei der Überreichung seines Beglaubigungsschreibens die größte Erregung der französischen Nation darüber zum Ausdruck brachte, daß zehn Monate nach Beendigung der Feindseligkeiten immer noch französische Gefangene in deutschem Gewahrsam zurückgehalten würden. Ich darf nur anfügen, daß die deutsche Regierung damals dem französischen Wunsch entsprach und diese Gefangenen in französische Oberhoheit überstellte.
Ich darf auch an die Bestimmungen des Friedensvertrags von Osnabrück und Münster erinnern, nach dem sich die vertragsschließenden Teile nicht nur gegenseitig ihre Kriegsgefangenen auslieferten, sondern darüber hinaus übereinkamen, gegeneinander Repressalien zu ergreifen, falls von irgendeiner Seite eine erneute Diffamierung dieser Gefangenen oder Verurteilten erfolge.
Ich glaube, daß die Forderung nach Freilassung aller ehemaligen deutschen Soldaten — gleichgültig, ob sie sich in alliiertem Gewahrsam auf deutschem Boden oder ob sie sich im Ausland befinden — eine berechtigte Forderung ist. Ich verschweige auch gar nicht, daß sich unter diesen Kriegsverurteilten dieser oder jener befindet, der sich irgendwelcher Vergehen oder Verbrechen schuldig gemacht hat; aber ich wehre mich gegen eine kollektive Feststellung, daß es sich nicht verlohne, sich um die jetzt noch in Haftanstalten befindliche geringe Zahl deutscher Menschen zu bekümmern, weil es sich sowieso um Verbrecher oder Asoziale handle. Vergessen wir doch nicht, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß die Art und Weise der Verfahren, die diesen Menschen vielfach zuteil geworden ist, nicht immer mit den Grundsätzen von Recht und Gesetz in Einklang zu bringen war, wie wir sie pflegen.
Sie wissen, daß die Rechtsgrundlagen in diesen Prozessen oft sehr fadenscheinig waren. Sie wissen, daß die Prozeßmethoden oft nicht sehr fair waren. Sie wissen, daß die Begründungen der Urteile infolgedessen oft auch nicht sehr schön waren und daß schließlich auch die Vollstreckung dieser Urteile manches zu wünschen übrig gelassen hat. Ich glaube, der beste Beweis dafür, daß diese Verfahren oftmals nach Methoden und Grundsätzen geführt wurden, die nicht gebilligt werden können, sind die Ausführungen des früheren britischen Generalanklägers Sir Maxwell Fife, der in der Veröffentlichung der Londoner Protokolle von 1945 ausführte:
Was wir vermeiden wollen, ist eine Diskussion vor Gericht darüber, ob die Handlungen Verletzungen des Völkerrechts sind oder nicht. Wir bestimmen, was Völkerrecht ist, so daß es keine Diskussion darüber geben kann, ob es Völkerrecht ist oder nicht.
Wir glauben, daß das in einer Linie mit den Ausführungen von Professor Trainin liegt, jenem Professor Trainin, der, wie mein Kollege Dr. Mende vorhin schon ausführte, sich russischerseits über die sogenannten Kriegsverbrecherprozesse ausgelassen hat.
Ich darf vielleicht auch mit allem Respekt an eine Äußerung des früheren Hochkommissars McCloy erinnern, der im Jahre 1953 noch äußerte: Wenn er heute zurückdenke, wünschte er manchmal, daß die damaligen alliierten Gerichtshöfe nicht nur mit Richtern aus den Siegermächten besetzt gewesen seien.
Meine Damen und Herren, ich stehe gar nicht an, festzustellen, daß in der Vergangenheit, vornehmlich im Verlauf der letzten beiden verflossenen Jahre, eine erhebliche Anzahl deutscher Soldaten inzwischen in Freiheit gesetzt worden ist, wie ich auf der anderen Seite aber auch mit allem Nachdruck darauf hinweisen muß, daß es heute noch, fast zehn Jahre nach Beendigung des Krieges, deutsche Soldaten gibt, die, ohne bisher überhaupt ein Gerichtsurteil erlangt zu haben, im Kerker festgehalten werden.
Sie wissen, daß die sogenannten Gemischten Beratenden Ausschüsse, die sich aus deutschen und alliierten Vertretern zusammensetzen, in den vergangenen Monaten eine wirklich segensvolle Arbeit geleistet haben. Auf der anderen Seite kann aber nicht verschwiegen werden, daß das Endergebnis nicht befriedigend ist, insbesondere nicht, wenn wir beachten, daß wir uns ja jetzt anschicken, uns über die Frage einer Wiederbewaffnung einig zu werden. Da ist es eben ein unabdingbares psychologisches Erfordernis, daß nicht noch ehemalige deutsche Soldaten in Haftanstalten sitzen dürfen, während man auf der anderen Seite neuen deutschen Soldaten die Uniformen anziehen will.
Erlauben Sie mir noch ein kurzes Wort zu der Arbeit der Gemischten Kommissionen. Nach Teil I Art. 6 des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen sollte ein gemischter Ausschuß aus drei alliierten und drei deutschen Mitgliedern errichtet werden, der die Aufgabe hatte, Gnadenentscheidungen für Entlassungen von Kriegsverurteilten in Deutschland zu empfehlen. Einstimmige Entscheidungen sollten für die Gewahrsamsmächte bindend sein. Infolge der Verzögerung des Inkrafttretens dieser Bestimmungen wurden vor einem Jahr außervertragliche Gemischte Ausschüsse eingesetzt, die sich von den in dem ursprünglichen Vertrag vorgesehenen dadurch unterschieden, daß sie wie folgt zusammengesetzt waren. Sie waren zusammengesetzt aus deutschen Vertretern und Vertretern der jeweiligen Gewahrsamsmächte; also deutsch-amerikanische, deutschbritische, deutsch-französische Zusammensetzung. Ferner hatten die alliierten Vertreter, was vielfach in der Öffentlichkeit nicht bekannt ist, gegenüber den deutschen Vertretern die Stimmenmehrheit — drei zu zwei — und schließlich war auch bei einstimmiger Entschließung eines solchen Ausschusses die betreffende Gewahrsamsmacht nicht an diese Entschließung gebunden. Wie ich schon sagte, ist auf Grund der Tätigkeit dieser beratenden Gemischten Ausschüsse die Zahl der Gefangenen in Landsberg immerhin auf rund 100, in Wittlich und Werl auf je rund 40 zurückgegangen. Unter diesen Gefangenen befinden sich aber auch heute noch zahlreiche Soldaten oder Männer in einem militärähnlichen Verhältnis, die bei der Polizei, bei der Organisation Todt usw. waren, deren Verurteilung auf der Befolgung von Befehlen beruht. Der Prozentsatz dieser Fälle dürfte beispielsweise in Landsberg etwa noch 70 % betragen. Der Zweck dieser Interimsausschüsse lag, wie gesagt, darin, bis zu dem Zeitpunkt, zu dem deutsche Einheiten aufgestellt werden sollten, alle derartigen Fälle zu erledigen, d. h. die Gefangenen zu entlassen. Diese Aufgabe haben die Gemischten Ausschüsse offenbar nicht erfüllt.
Beim Inkrafttreten der Pariser Verträge tritt auch der vorhin erwähnte Art. 6 des Überleitungs-
vertrages in Kraft. Es wird also der dort vorgesehene Gemischte deutsch-alliierte Ausschuß gebildet. Die Gefangenen bleiben — und das ist in der Öffentlichkeit auch nicht bekannt — auch nach Inkrafttreten der Pariser Verträge, d. h. nach Wiederherstellung der deutschen Souveränität in alliierten Gefängnissen auf deutschem Boden. Das ergibt sich eindeutig aus Art. 6 Abs. 4, in dem sich die drei Westmächte hinsichtlich des Gewahrsams und der Vollstreckung der Strafen die Rechte vorbehalten, die sie bisher ausgeübt haben. Neben dem Vorbehalt für Gesamtdeutschland und dem Vorbehalt für Berlin gibt es daher einen der Öffentlichkeit sorgfältig verheimlichten dritten Vorbehalt, nämlich alliierte Gefängnisse mit deutschen Insassen auf deutschem Boden fortzuführen. Das ist meines Erachtens unerträglich. Dieser Zustand wird so lange fortbestehen, bis entweder alle Gefangenen entlassen sind oder die Bundesrepublik in der Lage ist, den Gewahrsam dieser Personen zu übernehmen, was sich ebenfalls aus Art. 6 Abs. 4 ergibt. Dazu wäre allerdings ein verfassungsänderndes Gesetz notwendig, da nach dem Grundgesetz deutsche Staatsangehörige nur auf Grund eines Urteils eines deutschen Gerichtes ihrer Freiheit beraubt werden können.
Gerade im Hinblick auf die hier auch schon besprochene Wehrfeindlichkeit der Jugend wäre an sich die einzige richtige Lösung die, daß bei Inkrafttreten der Pariser Verträge ein Gnadenerweis für sämtliche noch in Haft befindlichen Kriegsverurteilten ausgesprochen würde. Der Einwand, der von dieser und jener Seite sicherlich kommen wird, daß ein Teil der Gefangenen bzw. Verurteilten eines solchen Erweises nicht würdig sei, ist meines Erachtens wenig überzeugend. Denn kaum einer von ihnen — ich drücke mich vorsichtig aus — hat ein wirklich faires Gerichtsverfahren gehabt, auf Grund dessen es sich eindeutig feststellen ließe, ob er überhaupt schuldig ist und welche Strafe er verdient. Außerdem dürfen wir nicht vergessen, daß inzwischen immerhin zehn Jahre ins Land gegangen sind und die Betreffenden doch schon eine erhebliche Strafe haben verbüßen müssen. Meine Freunde von der DP und ich meinen daher, falls sich die Alliierten zu der politisch vernünftigen generellen Lösung nicht entschließen können, sollte von ihnen eine Zusicherung verlangt werden, daß bis zum Inkrafttreten der Pariser Verträge alle Soldaten und militärähnlichen Personen entlassen werden. Ich sagte schon: es ist schlechthin unzumutbar, von den Deutschen die Aufstellung neuer Truppen zu verlangen, wenn gleichzeitig die Soldaten des vergangenen Krieges auf Grund von Tatbeständen, die von der deutschen öffentlichen Meinung keineswegs in allen Fällen als strafwürdig akzeptiert werden, noch in Haft gehalten werden.
Die deutsch-alliierten beratenden Gemischten Ausschüsse wurden in der Vergangenheit vielfach Gnadenkommissionen genannt. Diese Bezeichnung traf nur insoweit zu, als sie tatsächlich in vielen Fällen haben Gnade walten lassen. Nach Auffassung meiner Freunde und nach meiner eigenen kommt es aber nicht darauf an, Gnade walten zu lassen, sondern es muß unter allen Umständen Recht walten; und dieses Recht ist nun einmal unteilbar. Für die deutsche Öffentlichkeit ist es einfach nicht zumutbar, _auf Grund dieser Tatbestände weiterhin anzuerkennen, daß hier zweierlei Recht gilt, nämlich das für Sieger und das für Besiegte. Es unterliegt doch keinem Zweifel, meine
sehr geehrten Damen und Herren, daß die Deutschen nach dem Kriege einem Sonderrecht unterworfen wurden. Ich darf Sie nur an den OradourProzeß erinnern, wo die elsässischen Verurteilten durch nachdrückliche elsässische Vorstellungen eine völlig andere Behandlung als die deutschen erfuhren, obwohl sie in gleicher Weise verurteilt worden waren. Aus diesem Tatbestand erhellt meines Erachtens außerdem, daß man über diese Dinge ruhig sprechen kann, wenn man glaubt, eine gute Sache zu vertreten.
Meine Damen und Herren, ich verkenne nicht die psychologischen Schwierigkeiten, in denen sich die Regierungen der betreffenden Gewahrsamsländer befinden. Aber ungeachtet dessen müssen wir nachdrücklich die Forderung erheben, daß die Deutschen aller Dienstgrade in die deutsche Verantwortlichkeit überstellt werden. Ich beziehe dabei bewußt alle diejenigen ein, die heute überhaupt noch in Haft gehalten werden, d. h. diejenigen, die sich auf ausländischem Boden, beispielsweise in Italien, wo auch noch zwei Gefangene sind, in Frankreich, Norwegen usw. befinden; außerdem beziehe ich selbstverständlich diejenigen Kriegsverurteilten ein, die sich auf deutschem Boden in alliierten Haftanstalten befinden. Und in gewissem Umfange möchte ich auch auf die von dem Kollegen Dr. Mende bereits angesprochenen Spandauer Verhältnisse aufmerksam machen. Ich glaube nicht, daß es ein Zeichen humanitärer Gesinnung der Sowjets war, als sie den früheren Außenminister Freiherr von Neurath entließen. Ich meine vielmehr, daß es ein taktischer Schachzug war, der gewisse Ressentiments jenseits der Westgrenze unseres Vaterlandes wecken sollte, um andere Dinge zu verhindern. Aber sei dem, wie dem sei! Wir sollten uns der hier schon ausgesprochenen Ansicht anschließen, daß es nun Sache der westlichen Alliierten ist, ihrerseits neue Vorschläge zu machen, um nicht den Sowjets den Vorrang bzw. den Anschein zu lassen, als seien sie die wahren Vertreter der Humanität.
Meine Damen und Herren, ich habe bereits gesagt und bekenne das noch einmal ausdrücklich: wir sind uns der Tatsache bewußt, daß sich unter den Verurteilten sicherlich dieser oder jener befindet, der sich gewisser Vergehen schuldig gemacht hat. Das hindert uns nicht, da nun einmal Schluß mit all diesen Dingen sein muß, die Förderung nach einer generellen Amnestie zu stellen. Eine solche Generalamnestie würde außerdem beinhalten, daß alle diejenigen, die sich nach 1945 an Deutschen vergriffen haben, für alle Zukunft ebenalls straffrei würden. Ich glaube, daß unter einem solchen Aspekt und bei dieser Gelegenheit, wo wir uns nun anschicken, zu einer wirklichen, politischen, militärischen, kulturellen und vor allen Dingen auch gesinnungsmäßigen Gemeinschaft in Europa zu kommen, der richtige Augenblick da ist, ein für allemal einen Schlußstrich zu ziehen.
Es ist für meine Freunde und mich und sicher auch für einen großen Teil der Öffentlichkeit unerträglich, daß sich noch deutsche Soldaten in alliierten Gefängnissen befinden. Es geht dabei nicht um die Einzelschicksale, meine Damen und Herren, sondern letzten Endes um das Anliegen unseres ganzen Volkes. Es geht dabei allerletzten Endes um die Dinge, die wir hier heute besprechen. Wir sind es unserer Selbstachtung schuldig, ohne daß ich damit einen vielleicht etwas abgegriffenen Ausdruck verwenden wollte — es gibt ja eigent-
lich überhaupt keinen Ausdruck mehr, der nicht abgegriffen ist, weil die vergangene Ara praktisch jeden Ausdruck mißbraucht hat —, daß wir für diese deutschen Menschen eintreten, daß wir, wenn wir gleichzeitig eine Generalamnestie fordern, auch dafür eintreten, daß sie in deutsche Verantwortlichkeit überstellt werden. Ich möchte dem beipflichten, was der Herr Kollege M e r t en von der SPD-Fraktion im Jahre 1952 in dieser Diskussion gesagt hat: Wir können es nicht dulden, daß diese Menschen auf dem Altar der Politik geopfert werden! — Vergessen wir also bitte nicht bei aller Größe der vor uns liegenden Probleme und bei aller Schwere der vor uns liegenden Gewissensentscheidungen, daß irgendwo am Rande auch noch Menschen sind, die nicht in diesem großen Strudel fortgerissen werden dürfen, sondern um deren Einzelschicksale — denn wenn wir den Menschen nicht mehr beachten, dann hat das Leben überhaupt keinen Sinn mehr — wir uns zu bekümmern verpflichtet sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Euler.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es sollte uns nicht behaglich sein bei der Feststellung, daß der Begriff der Koexistenz in der freien Welt inzwischen ein Schlagwort geworden ist, das bedenklich grassiert. Diskussionen über Ost-West-Probleme können anscheinend ohne dieses Schlagwort nicht mehr geführt werden. Dabei wird übersehen: was in der freien Welt ein leichthin aufgenommenes Wort ist, ist in der sowjetischen Ideologie ein fest umrissener Begriff von einer sehr bestimmten Bedeutung. Koexistenz, dem Wortsinne nach ein rein faktischer Zustand des tatsächlichen Nebeneinanderbestehens verschiedener Mächte oder Machtsysteme ohne rechtliche Bindung und Verpflichtungen, bezeichnet in der sowjetischen Ideologie ein ganz bestimmtes taktisches Verhalten. Die leninistisch-stalinistische Lehre betrachtet heute, für die Sowjetunion noch verbindlich, als das strategische Ziel des Strebens 'die Weltherrschaft des Kommunismus und seiner führenden Macht, ,der Sowjetunion. In der taktischen Verfolgung dieses Zieles ist die Sowjetunion außerordentlich schmiegsam. Die äußerste Anpassung in den Mitteln des taktischen Verhaltens bei unbeirrbarem Festhalten an dem strategischen Ziel entspricht dem, was Lenin und Stalin durch die Jahrzehnte hindurch gelehrt haben. So entspricht es dieser taktischen Schmiegsamkeit, daß Perioden des Bemühens um eine aggressive Machtausdehnung andere Perioden folgen, bei denen es den Sowjets darauf ankommt, eine beruhigende und beschwichtigende Wirkung auszuüben und den Anschein einer endgültigen Selbstbeschränkung zu erwecken. In Zeiten, in denen die Sowjets aus inneren oder äußeren Gründen den Anschein der Friedensliebe benötigen, lassen sie die Lehre von der Koexistenz in der Welt auftauchen. Dabei kommt es ihnen dann darauf an, die eigenen Kräfte zu sammeln oder die ihnen entgegengesetzten Kräfte zu zersetzen.
In diese Taktik werden auch die kommunistischen Parteien in Ländern außerhalb des sowjetischen Machtbereichs einbezogen. Wir konnten schon in den 30er Jahren feststellen, daß in Perioden der
taktischen Selbstbeschränkung der Sowjetunion der Befehl an die kommunistischen Parteien in den kapitalistischen Ländern erging, Volksfrontregierungen zu bilden, sich sehr zahm und bürgerlich aufzuführen und nach Möglichkeit Koalitionspartner zu gewinnen. Nach 1946 ist diese Taktik vor allem angewandt worden, um in den Ländern, in die die Sowjetunion ihre Besatzungsdivisionen entsandt hatte, volksdemokratische Blockpolitik zu betreiben. Diese volksdemokratische Blockpolitik führte dann in verhältnismäßig kurzer Zeit in den verschiedenen Satellitenstaaten zur tatsächlichen Beseitigung aller politischen Kräfte außerhalb des Kommunismus, wobei man die ausgeleerten Hülsen der anderen Parteien vielfach bestehen ließ, um wenigstens den Anschein einer demokratischen Regierung zu erwecken.
Aus dieser Erkenntnis über die Verwendung des Begriffs der Koexistenz in der sowjetischen Ideologie und Staatspraxis ist für die westliche Welt eine erste Lehre fällig, und diese Lehre sollte beherzigt werden: man sollte sich den Begriff der Koexistenz nicht von der sowjetischen Welt aufdrängen lassen, sondern man sollte dem östlichen Gerede von der Koexistenz unbeirrt als Ziel des Westens die Verwirklichung einer dauerhaften, gerechten Friedensordnung entgegenhalten. Wir Deutsche sollten in der westlichen Welt besonders nachdrücklich für das Festhalten an dem Ziel der dauerhaften Friedensordnung eintreten und dem Abirren von diesem Ziel, auch nur für kurze Zeit, entgegenwirken. Warum? Koexistenz ist auch auf der Grundlage der fortdauernden Spaltung Deutschlands denkbar und praktisch möglich. Hingegen ist eine dauerhafte, in sich fundierte Friedensordnung auf der Grundlage einer fortdauernden Spaltung Deutschlands nicht möglich. Nur ein gerechter Friede kann ein dauerhafter Friede sein. Er aber setzt in Europa die deutsche Einheit auf der Grundlage der freien Selbstbestimmung unseres Volkes nach innen und nach außen voraus. Wir sollten keine Begriffsverwirrungen zulassen, aus denen sich früher oder später eine westliche Politik des Selbstbetrugs entwickeln könnte.
Herr Kollege Ollenhauer hat mit Recht die fatale Initiative des französischen Ministerpräsidenten und den nicht minder fatalen Artikel der „Times" angesprochen. Sowohl die Initiative des französischen Ministerpräsidenten Mendès-France gegenüber der Sowjetunion als auch der „Times"-Artikel gründen sich in der gedanklichen Entwicklung auf den Begriff der Koexistenz. Wenn man aber fragt, wie wir dem am wirksamsten entgegenarbeiten können, daß mit dem Begriff der Koexistenz gerade in der westlichen Welt ein verwirrender Gebrauch getrieben wird, wie wir überhaupt in der Westlichen Welt dahin kommen können, daß die Dringlichkeit der Wiederherstellung der deutschen Einheit auf der Basis der Freiheit nicht unterschätzt wird, dann müssen wir zu einer anderen Antwort kommen, als sie die sozialdemokratische Opposition gibt. Unsere Einwirkungsmöglichkeiten innerhalb der westlichen Welt dahin, daß die Bedeutung der deutschen Einheit als dringender Notwendigkeit nicht unterschätzt wird, werden um so größer sein, je mehr wir in der Front der freien Völker stehen und je mehr wir uns auch auf der Basis der Gleichberechtigung an den Maßnahmen beteiligen, die dem wohlverstandenen Lebensinteresse aller westlichen Völker entsprechen, und das sind die Maßnahmen eines
hinreichenden Selbstschutzes. Nicht in der Selbstisolierung können wir fehlerhafte Entwicklungen in der westlichen Welt ausschließen, sondern nur, wenn wir an den Bemühungen teilnehmen, die darauf gerichtet sind, die Welt der Freiheit gegen alle Aggressionsmöglichkieten aus dem sowjetischen Machtbereich heraus zu sichern.
Aus der richtigen Erfassung des Begriffs der Koexistenz ist dann eine zweite Lehre zu ziehen. Solange die Sowjets an dem strategischen Ziel der Weltherrschaft festhalten, ist es äußerst unklug und fahrlässig, ihr Bekenntnis zur Koexistenz für mehr zu nehmen als für eine taktische Phase, die bestimmt ist, einen neuen zukünftigen Aggressionsschub vorzubereiten. Es ist doch die typische Gefahr des Westens, die wir durch die Jahre hindurch immer wieder feststellen können: es braucht nur einmal ein Jahr ohne sowjetische Aggression zu vergehen, und schon gibt es in den verschiedensten Ländern des Westens recht viele, im übrigen kluge und gescheite Leute, die bereit sind, das sowjetische Machtsystem ganz anders zu beurteilen, als es nach den harten Tatsachen, die der heute lebenden Menschheit unverlierbar eingebrannt sein sollten, beurteilt werden muß. Müssen wir wirklich daran erinnern, welche Erfahrungen seit 1946 in den verschiedensten Ländern gemacht worden sind?
Wir brauchen uns nicht aus dem deutschen Bereich zu entfernen, um die schmerzlichsten Erfahrungen mit sowjetischen Aggressionsversuchen zu finden. Wir stellen bei uns im eigenen Lande fest und haben noch viel mehr Gelegenheit, in den anderen westlichen Ländern festzustellen, daß die Menschen Legion sind, und gerade in den oberen Intelligenzschichten, die alles vergessen und nichts hinzugelernt haben. In der westlichen Welt ist die Bereitschaft vorhanden, sich einlullen und übertölpeln zu lassen.
Deshalb ist es nötig, immer wieder vor der westlichen Leichtgläubigkeit zu warnen. Dabei sollte man nicht leugnen, daß für die Sowjets heute Tatsachen bestehen, die es wahrscheinlich machen, daß bestimmte Mittel der Machtauseinandersetzung im Streben nach der Weltherrschaft für sie bereits endgültig tabu geworden sind. Dazu gehört ein Weltkrieg nach Art der ersten beiden Weltkriege, insbesondere eine weltweite kriegerische Auseinandersetzung mit den stärksten Mächten des Westens, den Vereinigten Staaten von Amerika und dem englischen Commonwealth. Daß die Sowjets jetzt und in Zukunft nicht bereit sind, einen dritten Weltkrieg zu wollen, darf nicht erst angenommen werden, seitdem der Atomkrieg als schrecklichste Drohung über allen Mächten schwebt, sondern dies war schon vorher gewiß auf Grund der Machtentfaltung der Vereinigten Staaten im zweiten Weltkrieg. Andererseits ist es so, daß die Sowjets einen Weltkrieg auch gar nicht brauchen, weil sie noch genügend Aussichten haben, in anfälligen Ländern über Bürgerkriege mit Interventionen benachbarter kommunistischer Länder ihren Machtbereich weiter auszudehnen.
Die Sicherheit der Bundesrepublik und Europas während der letzten Jahre beruht mithin auf der Anwesenheit amerikanischer und englischer Truppen im Bereich der Bundesrepublik. Solange hier amerikanische und englische Truppen stehen, kann die Bundesrepublik nur dann angegriffen werden, wenn die Sowjets bereit sind, die hier stationierten amerikanischen und britischen Truppen anzugreifen. Dazu werden sie in der Zukunft ebensowenig bereit sein, als sie es in der Vergangenheit gewesen sind. Wir dürfen deswegen sicher sein, daß ein Angriff auf die Bundesrepublik nicht stattfindet — weil er den Beginn des dritten Weltkrieges bedeuten würde —, solange hier amerikanische und englische Truppen stehen. Allererstes Ziel unserer Politik muß es sein, daß kein Heißer Krieg im deutschen Bereich entsteht, daß hier kein sowjetischer Angriff losbrechen kann, daß Deutschland keine weiche Stelle am Rande des sowjetischen Machtbereiches wird. Die hohe Sicherheit, die wir jetzt haben, muß mit Gewißheit erhalten bleiben; und darin liegt der erste Zweck der EVG sowohl wie der neuen Verträge, die an die Stelle der EVG getreten sind, darin liegt der erste Sinn und die erste Rechtfertigung des deutschen Verteidigungsbeitrages.
Nun hat Herr Kollege Ollenhauer eingewandt, daß der militärische Wert der deutschen Divisionen für sich genommen nach Größe und Zeit als recht fragwürdig einzuschätzen sei. Dieser Einwand geht indes deshalb fehl, weil der deutsche Verteidigungsbeitrag vor allem einen politischen Wert hat. Er bildet nämlich die Garantie für die Fortsetzung der amerikanischen Politik in Europa und in Deutschland, die durch all die Jahre hindurch unser erster Sicherheitsfaktor gewesen ist und weiterhin bleiben wird. Die Erhaltung unserer Sicherheit durch Fortbestehen des höchsten Risikos für einen sowjetischen Angriff im deutschen Bereich ist für uns das erste Ziel, das wir bei allen politischen Überlegungen im Auge zu behalten haben.
Es liegt heute gerade umgekehrt, als die Sozialdemokratie mit ihrem skrupellosen Ohne-michFeldzug bei den Landtagswahlen jetzt wie 1950 nicht ohne Erfolg zu suggerieren suchte.
— Ja, Sie scheinen das zu bestreiten, Sie scheinen Ihre Plakate in Hessen nicht gesehen zu haben, wie sie nebeneinander klebten, das Plakat, das sagte: „500 000 Deutsche in Kasernen als Folge des Pariser Vertrages", und unmittelbar daneben das Plakat, das einen Beinamputierten vor Ruinen zeigte mit der Unterschrift: „Nie wieder!". Was sollte dem Wähler damit beigebracht werden? Und so hat er es auch verstanden:
Daß das, was „Nie wieder!" sein soll, gerade dadurch herbeigeführt werde, daß jetzt 500 000 Deutsche in Kasernen gesteckt werden.
Im übrigen war es in sämtlichen Versammlungen Ihr Bemühen, darzutun, daß Sie vor Hitler gewarnt haben,
daß Hitler den Krieg bedeutet habe und daß
Sie jetzt vor den Divisionen ebenso warnen wie damals, weil sie auch in Zukunft den Krieg
bedeuten würden. Gerade das Gegenteil ist aber in der heutigen Situation wahr. Die deutschen Divisionen bedeuten nicht Krieg, sondern sie bedeuten gerade die Erhaltung der Sicherheit, daß in Deutschland kein sowjetischer Angriff stattfindet und mithin der Frieden gewahrt bleibt.
Eine Gelegenheit für einen sowjetischen Angriff in Deutschland würde sich nur dann eröffnen, wenn durch eine Änderung der amerikanischen Politik Deutschland von amerikanischen und englischen Truppen entblößt würde, noch ehe aus den Verteidigungsbemühungen der europäischen Völker ein hinsichtlich des Verteidigungswertes hinreichender Ersatz geschaffen wäre. Dann würde nämlich dadurch, genau wie es seinerzeit mit dem Abzug der Amerikaner in Korea geschehen ist, jene Lücke geöffnet werden, die den Sowjets überhaupt erst die Möglichkeit eines Angriffs ohne erhebliches Risiko böte.
Nun ist es Ihr Einwand, der immer wieder geltend gemacht wird, daß die Sicherheit durch Anwesenheit amerikanischer Truppen erhalten bleibe, auch ohne daß deutsche Divisionen aufgestellt würden. Dabei wird höchst leichtfertigerweise von Ihnen, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, die außerordentlich große Gefahr verkannt, daß in der öffentlichen Meinung der Vereinigten Staaten ein Umschwung erfolgen könnte, der die amerikanische Regierung eines Tages nötigen würde, die weitere Verfolgung ihrer bisherigen Europapolitik aufzugeben; denn das amerikanische Volk erträgt es auf die Dauer ebensowenig wie irgendein anderes, daß seine Söhne uns schützen, während wir glauben, uns der Teilnahme an den erforderlichen Verteidigungsmaßnahmen entziehen zu können. Es ist zwar richtig, daß ein Abgehen der USA von ihrer heutigen Deutschland- und Europapolitik ein Verstoß gegen die wohlverstandenen Interessen der Vereinigten Staaten von Amerika selbst wäre, ein Verstoß gegen ihre eigenen Lebensinteressen. Aber wir haben das ja in den letzten 30 Jahren schon häufig genug erlebt, daß gerade in demokratischen Staaten von einem emotionalen Umschwung der öffentlichen Meinung Veränderungen der äußeren Politik veranlaßt wurden, die durchaus nicht im Interesse der Völker dieser Staaten lagen.
Wenn wir uns an das letzte große Beispiel einer verhängnisvollen Fehlorientierung der amerikanischen Politik erinnern, dann finden wir gerade darin einen Beleg, welches Unheil durch eine emotionale Fehllenkung der öffentlichen Meinung und deren negativen Einfluß auf die Regierung angerichtet werden kann. Wir wissen, daß Roosevelt in Teheran und Jalta sehr stark unter dem Eindruck eines ganz außerordentlich gesteigerten ausschließlichen Hasses des amerikanischen Volkes gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland stand und daß man darüber die Gefahren übersah, die sich aus dem sowjetischen Totalitarismus heraus gerade dann entwickeln könnten, wenn das nationalsozialistische Deutschland am Boden liegen würde. Dieser emotionale Einfluß einer ganz einseitig entwickelten öffentlichen Meinung hat wesentlich dazu beigetragen, daß Roosevelt in Teheran und Jalta schließlich entscheidend von der Erwägung getragen war, man solle Stalin so weit wie irgend möglich entgegenkommen, um ihn von jeglichem Mißtrauen gegenüber der kapitalistischen Welt für die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg zu heilen. Wir wissen, daß aus diesen sehr entscheidenden Irrtümern alle diejenigen Fehlregelungen hervorgegangen sind, die heute die Welt, nicht zuletzt Europa, nicht zuletzt Deutschland, mit außerordentlich schwierigen, kaum lösbaren Problemen beladen.
Nach solchem Anschauungsunterricht in der Vergangenheit sollte man es nicht für unmöglich halten, daß durch verhängnisvolle Fehllenkungen oder Fehlentwicklungen der öffentlichen Meinung in den Vereinigten Staaten von Amerika eines Tages ein Umschwung auch in der heutigen Europa- und Deutschlandpolitik der USA erfolgen könnte, wenn nicht von uns aus und von den europäischen Völkern her diejenige Mitwirkung erfolgt, die erforderlich ist, damit eben solche Fehlentwicklungen ausgeschlossen werden. Die Sicherheit der Bundesrepublik als eines zwar nur vorläufigen Gebildes, aber doch des Gebildes, das bei all seiner Vorläufigkeit die Ausgangsbastion der gesamtdeutschen Freiheit darstellt, ist von ganz entscheidender Bedeutung, wenn wir unsere Aufgabe lösen wollen, die Freiheit der 20 Millionen Deutschen in Mitteldeutschland wiederherzustellen, statt die Freiheit der 50 Millionen Deutschen in der Bundesrepublik aufs Spiel zu setzen.
Es ist in einer verantwortungsbewußten Politik immer so, daß die erste Aufgabe der Politik sein muß, der größten Gefahr mit höchstmöglicher Sicherheit zu begegnen, die höchste Gefahr mit höchstmöglicher Sicherheit auszuschließen. Diese Einstellung wird uns Deutschen um so näher gebracht, als die Sowjets ganz offenbar eine deutsche Einheit wollen, die derart beschaffen ist, daß eines Tages ganz Deutschland, nicht nur Mitteldeutschland, eine sowjetische Provinz sein wird. Was zuwenig beachtet wird, ist, daß heute zwei Formen der deutschen Einheit miteinander konkurrieren. Wir wollen die Freiheit für die 20 Millionen Deutschen in Mitteldeutschland auf friedliche Weise erringen. Die Sowjets hingegen wollen die Errungenschaften der sozialistischen Welt den 50 Millionen Deutschen in Westdeutschland, in der Bundesrepublik aufdrängen. Dies ergibt sich nicht nur aus der Art der sowjetischen Propaganda, wie sie durch all die Jahre hindurch völlig unverändert weitergelaufen ist, insbesondere in Mitteldeutschland, aber nicht nur in Mitteldeutschland, sondern auch aus Reden von sowjetischen Staatsmännern, in denen sie sich zu den deutschen Problemen äußern. Es ergibt sich auch aus der völligen Umkrempelung Mitteldeutschlands, die dahin geführt hat, daß die Spaltung Deutschlands ständig vertieft worden ist. Ich brauche hier nicht an die in allen diesen Jahren konsequent fortgesetzte Kollektivierung des deutschen Wirtschafts- und Soziallebens im sowjetischen Besatzungsbereich zu erinnern. Ich brauche nicht daran zu erinnern, daß dort die Aufrüstung mit — wie uns heute Herr Mende sagte — 160 000 Mann in der kasernierten Volkspolizei schon längst durchgeführt ist, während hier noch immer seit fünf Jahren darüber diskutiert wird.
Entscheidend ist jetzt ein Weiteres. In dem Bemühen um die völlige Sowjetisierung Mitteldeutschlands, des Bereichs der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik, hat man jetzt ein Familienrecht geschaffen, das darauf gerichtet ist, die Familie als letzte Zuflucht des einzelnen in der Geborgenheit vor dem Staate zu zerschlagen. Nach dem Familienrecht der „roten Hilde" wird die Ehe und Familie völlig den opportunistischen Er-
wägungen und Zugriffen des Staates unterstellt bzw. ausgeliefert. Planmäßige Zersetzung der Ehrfurcht und ,des Vertrauens zwischen den Ehegatten und zwischen den Kindern und den Eltern, Bespitzelung der Familienangehörigen durch Familienangehörige ist das, was auch über die institutionelle Regelung dieses neuen Familienrechts sichergestellt werden soll.
Nun, meine sehr geehrten Damen und Herren, der sowjetische Widerstand gegen die Westverträge, gegen die Teilnahme der Bundesrepublik an der Verteidigung der freien Welt wird erst völlig verständlich, wenn diese Grundzüge der gegenwärtigen sowjetischen Europa- und Deutschlandpolitik mit der fortschreitenden Sowjetisierung Mitteldeutschlands zusammen gesehen werden.
Hier liegen die Fakten, die durch keine noch so geschickte, auf Verbergung der Absichten gerichteten Worte der sowjetischen Machthaber verhüllt werden können. Wer diese Zusammenhänge sieht, dem ist es nicht zweifelhaft, daß das ständige Anrennen der Sowjets gegen die Westverträge, ihr hartnäckiges Bemühen, sie immer wieder zu verzögern und zu vereiteln, allein der Absicht entspringt die Reste Europas außerhalb ihres Machtbereichs im Zustand der gegenwärtigen Balkanisierung und der zerrissenen Kleinstaaterei zu erhalten. Denn nur dieser Zustand eines nationalstaatlich zersplitterten Europas, das zu einer einheitlichen Aktion sich nicht findet, nicht fähig ist, beläßt ihnen die Aussicht auf bürgerkriegsähnliche Wirren mit den daran hängenden Interventionsmöglichkeiten, weil sie nur bei Erhaltung dieses Zustandes hoffen dürfen, die USA könnten ihrer Rolle, die Schutz- und Sicherheitsspender des freien Europas zu sein, überdrüssig werden.
Würde diese Hoffnung irgendwann in Erfüllung gehen, ohne daß bis dahin die europäischen Völker einen hinreichend starken Defensivschutz entwikkelt hätten, dann begänne die Zeit für die sowjetische Form der deutschen Einheit und damit der drohenden Unterwerfung ganz Westeuropas. Deshalb ist es wesentlich, die Bemühungen um die Integration Europas — wenigstens im Rahmen der neuen Verträge — zum Zwecke der einheitlichen außenpolitischen Abwehr- und Verteidigungsaktion zu beschleunigen. Solange aber die Sowjets den gegenwärtigen Zustand Europas mit solchen Spekulationen verbinden dürfen, dürfen Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, überzeugt sein, daß sie in der Frage der deutschen Einheit völlig unnachgiebig sein werden. Es ist doch im machtpolitischen Bereich nachgerade selbstverständlich, daß die Sowjets, solange sie hoffen, solange sie glauben dürfen, ihre europäische Partie stünde infolge der Unfähigkeit der europäischen Völker, zu einer wirksamen Verteidigungspolitik zusammenzufinden, auf Gewinn, zu keinen ernsthaften Zugeständnissen in der Frage der deutschen Einheit auf der Basis der Freiheit bereit sind.
Die Parole, die der Kollege Erler heute hier ausgab: „Wer die Bundesrepublik zum amerikanischen Truppenübungsplatz macht, verhindert die deutsche Einheit", ist völlig verfehlt, ebenso die Warnung vor der Gegenüberstellung der deutschen Kräfte an der Elbe. Wir wünschten uns sehr, meine sehr geehrten Damen und Herren, das könnte vermieden werden; aber die Sowjets haben in der
Konsequenz ihres unbeirrbaren Willens durch die Jahre hindurch die Aufrüstung entscheidend in Gang gesetzt. Sie haben immer wieder ihren Willen, vollendete Fakten zu schaffen, zu erkennen gegeben, und uns bleibt keine andere Möglichkeit — wenn wir nicht Selbstverrat üben wollen —, als die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen und wenigstens jenes Maß von Mitbeteiligung Deutschlands an den Verteidigungsbemühungen der westlichen Welt herzustellen, das erforderlich ist, damit wir nicht eines Tages in die übelste Situation des Verlassenseins gegenüber den Gefahren aus dem Osten kommen.
Es gibt zwei sehr durchgreifende Beweise für die Richtigkeit dieser Auffassung. Sie liegen in dem Verhalten der Sowjets auf der Berliner Konferenz, und sie liegen weiter in der Begründung der Sowjets für die angebliche Unaufschiebbarkeit einer erneuten Konferenz, zu der sie für Anfang Dezember dieses Jahres eingeladen hatten. Auf der Berliner Konferenz haben sie eine Entwicklung der deutschen Einheit, die auf gesicherten freien Wahlen beruht und aus ihnen alle Konsequenzen zuläßt, ganz konsequent abgelehnt. Sie waren nicht daran gehindert, wenn sie überhaupt das Zugeständnis der freien Wahlen als Ausgangspunkt einer entsprechenden Entwicklung in Betracht ziehen wollten, die Bedingungen zu nennen, unter denen sie bereit wären, das Zugeständnis zu machen. Sie haben davon Abstand genommen, obwohl ja Sie, Herr Kollege Ollenhauer, damals von Berlin aus immer wieder die mannigfachsten Anregungen über die Öffentlichkeit mit der Adresse an die Konferenz gerichtet haben. Um so mehr war den Sowjets daran gelegen, auf der Berliner Konferenz völlig klarzustellen, worin für sie der entscheidende Unterschied zwischen der NATO und der EVG bestand. Sie haben das in einer geradezu zynischen Offenheit erklärt, dahin, daß die NATO bestehe, daß also ihre Existenz nicht in Zweifel zu ziehen sei, während eben die EVG noch nicht bestände und infolgedessen der Gefahr nicht nur der Verzögerung, sondern über die Verzögerung der endgültigen Verhinderung ausgesetzt bliebe. Auf diesen Effekt der Verzögerung mit dem Ziele der endgültigen Verhinderung kam es den Sowjets an.
Nicht minder eindeutig ist in dieser Hinsicht die Einladung zur Konferenz für den 2. Dezember mit der Begründung, die Konferenz müsse noch vor dem Beginn der Ratifikationsverhandlungen in den westeuropäischen Parlamenten stattfinden, — auch hier im letzten Augenblick ein sehr entschiedener Versuch der Sowjets, eine Konferenz zustande zu bringen, eben um sie wieder lediglich zum Mittel einer Verzögerung, einer Verhinderung der westlichen Verteidigungsbemühungen zu machen, ohne daß sie aber in irgendeiner Weise bereit waren, befriedigende Zugeständnisse überhaupt nur in den Bereich der erwägenswerten Möglichkeiten einzubeziehen.
Wenn jetzt die Sozialdemokratie dasselbe erklärt wie vor einem Jahr: noch eine Konferenz vor Ratifizierung, um die letzten Verhandlungsmöglichkeiten auszuschöpfen!, so ist das nach den Erfahrungen des letzten Jahres schlechthin unverständlich. Es würde sich lediglich um eine Erneuerung der Berliner Konferenz handeln auf derselben Grundlage, die die Sowjets von vornherein nur in die Versuchung bringen würde, auch diese neue Konferenz zu einem Mittel der Verzögerung zu machen, nicht aber zu einem Mittel sachlicher
Verhandlungen über das deutsche Problem. Wenn die Sozialdemokratie auch jetzt wieder, trotz der Erfahrungen des letzten Jahres, bei dem stehen bleibt, was sie im November/Dezember des Vorjahres vor der Berliner Konferenz erklärt hat, so macht sie sich damit einmal mehr — ob sie das will und weiß oder nicht, es kommt in der Politik auf den objektiven Erfolg an,
auf die objektive Gestaltung — zum Fürsprecher der Verzögerungseffekte, an denen den Sowjets entscheidend gelegen ist.
Die Verzögerung, die Verhinderung liegt den Sowjets nicht etwa am Herzen, weil sie die deutsche Einheit auf der Basis der Freiheit wollten, sondern weil sie sie eben nicht wollen. Es wird das Ziel unserer Politik sein müssen, das wir unbeirrbar im Auge haben müssen, gemeinsam mit den westlichen Völkern bei den Sowjets jene Bereitschaft zu erzeugen, die heute noch fehlt.
Im wesentlichen aus diesen Gründen halten wir jene Verträge für erforderlich,
die allein geeignet sind, das Schicksal der Völker in Europa außerhalb des sowjetischen Machtbereichs zum Guten zu wenden, nachdem die Europäische Verteidigungsgemeinschaft gescheitert ist.
Ehe ich das Wort weiter gebe, möchte ich das Hohe Haus davon unterrichten, daß noch sieben Redner gemeldet sind. — Das Wort hat der Abgeordnete Ollenhauer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich in den wenigen Bemerkungen, die ich zu machen gedenke, auf eine Stellungnahme zu den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers beschränken.
Der Herr Bundeskanzler hat seine heutige Rede damit begonnen, daß er hier erklärt hat, auch für ihn sei die Entscheidung, diese Verträge dem Parlament vorzulegen, eine Entscheidung des Gewissens gewesen. Nun, wir haben die Motive des Herrn Bundeskanzlers weder in dieser Debatte noch sonst irgendwann in Zweifel gestellt. Wir nehmen an, ,daß jeder von uns nach bestem Wissen und Gewissen handelt. Aber ich hätte gewünscht, daß man im Laufe dieser Debatte dann auch in den einzelnen Reden immer in diesem Geiste gesprochen hätte
und daß man, wenn man sich der Schwere der Situation, über die gestern der Herr Bundeskanzler und ich einleitend gesprochen haben, bewußt ist, auch immer dann daran gedacht hätte, wenn man in die Versuchung kam, hier mit etwas zu billigen Argumenten über die Stellungnahme und die Haltung der sozialdemokratischen Opposition hinwegzugehen.
Ich habe heute in dieser Beziehung an dem Herrn Bundeskanzler nicht sehr viel Kritik zu üben, obwohl das sonst bei seinen Diskussionsreden immer für ihn und für uns eine gewagte Sache ist.
Aber heute hat er sich darauf beschränkt zu sagen, er wolle sanft mit uns umgehen, weil er die unangenehme Situation der Sozialdemokratischen Partei durchaus verstehe.
Herr Bundeskanzler, ich glaube, das ist im Hinblick auf den Verlauf der Debatte und im Hinblick auf die Tatsachen, die sich in dieser Debatte und im Zusammenhang mit den Verträgen heute hier und an anderen Orten ergeben haben, wohl eine kleine Verkennung der Lage.
Ich glaube, wenn hier heute und gestern jemand in einer unangenehmen Lage war, dann waren es Sie, Herr Bundeskanzler,
die Regierung und die Koalition.
— Meine Damen und Herren, vielleicht warten Sie noch einige Tage ab und überlegen sich dann einmal, ob die Taktik und Strategie, die Sie in diesen Tagen für die erste Lesung der Verträge angewendet haben, vom Standpunkt Ihrer Politik nicht ein sehr zweifelhaftes Beginnen gewesen ist.
Aber wir haben ja nicht die Aufgabe, auch noch in dieser Beziehung der Koalition und der Regierung gute Ratschläge zu geben.
— Nun, seien Sie nicht so abweisend! Es könnte vielleicht auch einmal anders sein.
Der Herr Bundeskanzler hat dann davon gesprochen, er wolle sich im wesentlichen mit den Argumenten auseinandersetzen, die ich gestern morgen hier im Auftrag meiner Fraktion vorgetragen habe. Ich habe diese Ankündigung begrüßt. Aber ich muß sagen: über das Resultat dieser kritischen Untersuchung bin ich im Interesse der Sache außerordentlich betrübt.
Sie werden mir zugeben, daß wir gestern in der ersten zusammenfassenden Darstellung unserer Auffassung eine ganze Reihe von sehr wichtigen Argumenten und Fragen an die Regierung gerichtet haben, und ich glaube, Sie alle müssen mir zugeben, daß die Antwort, die wir heute durch den Chef der Regierung auf diese Fragen bekommen haben, mehr als dürftig ist.
Ich will mich bemühen, festzustellen, was im Kern in den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers als Antwort enthalten war, und dazu einige Sätze sagen.
Der Herr Bundeskanzler hat einige Bemerkungen über die Frage der finanziellen Auswirkungen der Durchführung dieser Verträge gemacht. Er hat erklärt, es sei unmöglich, vor dem Parlament über den Aufbau der Wehrmacht und über all die damit zusammenhängenden organisatorischen und finanziellen Fragen zu sprechen.
Herr Bundeskanzler, niemand hat das von Ihnen verlangt, niemand!
— Fassen Sie sich, Herr Kunze, ich will es gleich für Sie leichter machen.
— Mein Freund Erler und ich haben hier erklärt: Wir sind uns selbstverständlich darüber klar, daß es in keinem Fall die Aufgabe einer Plenarsitzung des Bundestags sein kann, ein so komplexes Problem im einzelnen zu behandeln. Zweitens: Es wird von der Sozialdemokratie nicht bestritten, daß gerade in dieser Frage interne Ausschußberatungen über Details unausweichlich sind. Das versteht man aber auch draußen im Lande.
Was wir gefragt haben, war eine Bitte an die Regierung um Auskunft darüber: Was , wird die Gesamtsumme der finanziellen Verpflichtungen bei der Durchführung der Verträge sein?
Ich habe zwei Zahlen genannt. Ich habe gesagt: wir haben hier gehört — und wir haben es bei der ersten Lesung des Haushalts ja debattiert —, daß im Etat für das Jahr 1955 9 Milliarden vorgesehen sind, daß wir dagegen aus Veröffentlichungen, insbesondere auch aus ernsthaften Angaben über die Vorstellungen der beteiligten Mächte der NATO, wissen, daß man dort mit einem Betrag von 15,9 Milliarden im Jahre 1955 als dem Beitrag der Bundesrepublik rechnet. Meine Damen und Herren, das muß doch aufzuklären sein! Man muß doch sagen können: wir können uns nicht über die Aufteilung der Summe im einzelnen unterhalten; aber wenn Sie den Vertrag annehmen, wird es bedeuten, daß wir aus diesem Vertrag finanzielle Verpflichtungen in diesem und jenem Ausmaß übernehmen!
Wenn Sie sagen: Das wissen wir heute noch nicht,
— um so schlimmer. Um so schlimmer!
Sind Sie es denn nicht gewesen, meine Damen und Herren, die in diesem Bundestag seit Jahr und Tag einen leidenschaftlichen Kampf dafür geführt haben, daß man keine Gesetzentwürfe mit finanziellen Verpflichtungen einbringt, ohne die Deckung dieser finanziellen Ausgaben vorzulegen?
Jetzt bringen Sie eine Vorlage ein, die fast die Gesamthöhe des Sozialetats der Bundesrepublik ausmacht, und Sie wissen nicht, was das kostet? Sie wissen nicht, wie wir das im einzelnen — wie so schön gesagt wurde — „verkraften" wollen? Was ist denn das für eine Art von Gesetzgebung in einer so lebenswichtigen Frage, wie Sie alle sagen, wenn wir nicht wenigstens in groben Zahlen — wir wollen ja gar nicht mit Ihnen um 50 Millionen handeln — wissen: das ist die finanzielle Verpflichtung, die das Volk der Bundesrepublik beim Inkrafttreten der Verträge zu übernehmen hat? Und ich stelle fest: Der Herr Bundeskanzler hat heute darauf eine Antwort nicht zu geben vermocht.
Der zweite Punkt bezieht sich auf ein anderes Kapitel, und zwar unmittelbar auf meine Rede. Der Herr Bundeskanzler hat gesagt: die drei Westmächte in London und später die 14 Mächte der NATO haben in den Vereinbarungen eine feierliche Erklärung abgegeben, daß sie die Wiederherstellung der deutschen Einheit in Freiheit als ein vornehmes Ziel ihrer Politik betrachten und sich damit in Übereinstimmung befinden mit der Politik der deutschen Bundesregierung. Der Herr Bundeskanzler hat hinzugefügt, er sehe es als seine Aufgabe an, doch dagegen Verwahrung einzulegen, daß man unterstellt, daß hier nicht der ehrliche Wille zu einer solchen Erklärung bestehe.
Meine Damen und Herren, das ist wiederum nicht die Frage. In meiner Rede — wenn Sie freundlichst sie noch einmal nachlesen wollen — habe ich sogar diese Grundsatzerklärung der drei Westmächte und der NATO-Länder zum Ausgangspunkt meiner Betrachtung genommen.
Denn wir haben überhaupt keinen Grund, anzunehmen, daß in der Ehrlichkeit des Willens zu einer solchen grundsätzlichen Erklärung bei irgend jemandem der Unterzeichner eine Unsicherheit besteht. Wir nehmen sie hin, so wie sie dasteht, und erst sehr bittere Erfahrungen könnten uns überzeugen, daß sie nicht im vollen Sinne so gemeint war. Aber die Frage, die ich gestellt habe, und die Frage, die in unserem Antrag sozusagen das Kernstück ist, ist eine ganz andere. Die Frage ist nämlich: warum hat die Bundesregierung seit der Londoner Konferenz, als doch damals die ersten Verhandlungen über die neuen Verträge stattfanden, nicht den ersten Schritt getan, den wir damals schon verlangt haben, nämlich von den drei Westmächten zumindest zu verlangen, daß man sich nicht nur über das Prinzip und über eine Proklamation verständigt, sondern über die praktischen Methoden, über die Wege und Ziele einer gemeinsamen Politik zur Wiederherstellung der deutschen Einheit. Das ist die Frage.
Auch auf meine Feststellung, daß unter den Unterschriften der Pariser Verträge, die der Herr Bundeskanzler geleistet hat, diese Unterschrift fehlt und daß wir diese Lücke am allertiefsten bedauern, hat der Herr Bundeskanzler keine Antwort gegeben,
obwohl sie in der Lage, in der wir uns befinden, von der entscheidenden Bedeutung ist. Wenn für Sie schon eine solche Ausarbeitung einer gemeinsamen Politik für die deutsche Einheit nicht so vordringlich erscheint und wenn Sie den Versuch machen wollten, die Sozialdemokratie zu einer positiven Einstellung zu gewinnen, dann mußten Sie mindestens wissen, daß hier eine Aufgabe lag, bei der eine Chance für eine wirkliche Zusammenarbeit in einer nationalpolitischen Frage ersten Ranges gegeben war.
Hier ist die Antwort des Herrn Bundeskanzlers trotz meiner ausführlichen Darlegung über unsere Sorgen und unsere Bedenken eine völlige Fehlanzeige.
Das dritte, meine Damen und Herren, ist folgendes. Der Herr Bundeskanzler hat gesagt: „Im übrigen, Herr Ollenhauer und die Sozialdemokraten, was wollen Sie eigentlich? Haben nicht die Westmächte am 29. November eine Note an die Sowjetunion geschickt? Diese Note ist" — wie der Herr Bundeskanzler hier bestätigt hat — „der deutschen Bundesregierung vorgelegt worden, und in dieser Note ist die Bereitschaft zu einer Viermächtekonferenz ausgedrückt worden."
Entschuldigen Sie, Herr Bundeskanzler, diese Auffassung ist gerade in dieser Note nicht ausgedrückt worden.
In dieser Note heißt es — vielleicht darf ich es Ihnen mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten vorlesen —:
Nach ihrer Meinung
— nämlich nach der Meinung der drei Westmächte —
sind zur Zeit
— zur Zeit! —
die entscheidenden Voraussetzungen für den Erfolg einer Konferenz über Deutschland, Österreich und die anderen Fragen des europäischen Sicherheitsproblems nicht gegeben.
Und dann kommt: Um all diese Voraussetzungen zu schaffen, unterbreitet die französische Regierung die folgenden Vorschläge: erstens ein Übereinkommen über die Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages, zweitens Aufklärung durch die sowjetische Regierung über ihre Haltung in der Frage der freien Wahlen in Deutschland als ersten notwendigen Schritt
— entschuldigen Sie! —, drittens einen Gedankenaustausch auf diplomatischem Wege über die anderen gemeinsam interessierenden europäischen Fragen, die anschließend bei einem Vierertreffen erörtert werden könnten, und viertens eine Konferenz der vier Außenminister, sobald sich gute Erfolgsaussichten für Lösung usw. ergeben.
— Entschuldigen Sie, darin steht kein konkreter Vorschlag,
in dieser Lage vor der Ratifizierung der Verträge eine Viererkonferenz abzuhalten.
— Gut, Herr von Brentano, ich bin Ihnen außerordentlich dankbar für die Bestätigung, die Sie mir geben, indem Sie sauen: Gott sei Dank.
Meine Damen und Herren, auch das war in dieser
Diskussion unter anderem ja klarzustellen. Ich
glaube, damit sind die Positionen in dieser wichtigen Frage in diesem Hause so klar bezogen, wie sie selten waren.
Meine Damen und Herren, ich nehme hier die sachliche Diskussion über das Für und Wider nicht erneut auf, weil man das ja nicht endlos in einer solchen Debatte fortsetzen kann. Ich will mich absolut auf die wenigen Punkte beschränken. Aber, meine Damen und Herren, diese Feststellung wird in einer späteren Zeit des Rückblicks auf die Konsequenzen und Folgen einer Politik, die eine solche Chance vor der Ratifizierung überhaupt ausschlägt, einmal sichtbar werden.
Nun möchte ich Ihnen eines sagen. Wir können nicht immer wieder in jedem Augenblick alles, was uns in dieser Sache bewegt, vorbringen. Aber es lag mir daran, Sie noch einmal an dieses zentrale Anliegen, um das es geht, zu erinnern. Wir werden in der zweiten Lesung noch Gelegenheit haben, über viele Einzelheiten zu sprechen, wenn diese Verträge überhaupt ein anderes Schicksal als die EVG-Verträge erleiden, was noch völlig offen ist. Wir sind aber bereit, in aller Sachlichkeit und Ruhe über diese Dinge zu sprechen. Jetzt möchte ich noch folgendes sagen. Die Verantwortung, die wir am Schluß dieser ersten Lesung haben und vor die wir durch die Abstimmung über die sozialdemokratischen Anträge gestellt sind, besteht darin, daß wir heute in diesem Hause noch frei sind in der Entscheidung, ehe wir auf dem Wege der Ratifizierung weitergehen, noch eine ernsthafte Anstrengung zu machen, die Chancen zu untersuchen,
die vielleicht darin bestehen, — —
— Selbstverständlich! Aber dieses „Vielleicht", meine Damen und Herren, ist mir wichtig genug, wichtiger als eine Lage, in der es nachher heißt: Nun nicht mehr! Das ist die Frage.
Das ist der Appell, den wir an Sie richten, indem wir Sie bitten, wenn wir am Schluß dieser Debatte stehen, unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Herr Kollege Ollenhauer hat in sehr starken Ausdrücken getadelt, daß die Bundesregierung, daß der Bundeskanzler nicht wisse, welche Kosten entstehen würden, und daß trotzdem ein Gesetz vorgelegt werde, das uns zu Ausgaben verpflichte. Er hat darauf hingewiesen, daß gerade wir sonst immer darauf bestünden, daß, wenn Anträge gestellt würden, gleichzeitig eine Deckungsvorlage gemacht werde. Lassen Sie mich zunächst zu diesem Punkt sprechen. Ich will versuchen, auch der Opposition die Sache klarzulegen. Ich stelle zunächst an die Spitze: Die Verabschiedung dieser Verträge verpflichtet uns nicht zu irgendwelchen Ausgaben.
— Warten Sie doch ab! Wenn wir diese Verträge ratifizieren und wenn die anderen die Verträge ratifizieren, dann wird das, was wir auszugeben haben, in der NATO verhandelt und durch einen NATO-Beschluß festgesetzt. Zu diesem NATO-Beschluß gehört Einstimmigkeit, gehört also auch unsere Zustimmung, und diese Zustimmung kann nur mit Zustimmung des Deutschen Bundestages erteilt werden. Das ist also der Zeitpunkt, an dem die Kostenfrage, die natürlich von sehr großer Bedeutung ist, erörtert und entschieden werden muß.
Ich möchte zu dieser Frage noch folgendes sagen. Es ist ganz selbstverständlich, daß, ebenso wie bei anderen Ländern, die für ihre Truppen schon von den Vereinigten Staaten Waffen und sonstige Unterstützungen bekommen haben, diese Frage auch für uns eine entscheidende Rolle spielen wird. Wir können Ihnen also mit dem besten Willen in diesem Augenblick nicht sagen, was das Ganze, wenn alles ratifiziert sein wird, kosten wird. Die Vereinigten Staaten haben zwar Zusicherungen gegeben, aber diese Angelegenheit noch nicht dem Kongreß vorgelegt. Sie können sie jetzt nicht dem Kongreß vorlegen, weil noch nicht ratifiziert ist. Ich glaube, das ist schließlich zu verstehen.
Der Herr Kollege Ollenhauer hat weiter erklärt, wir hätten die Chance der Zusammenarbeit verpaßt oder nicht genügend erwogen. Meine Damen und Herren, zu meinem großen Bedauern habe ich in dieser zweitägigen Debatte keinen Satz und auch kein Wort von seiten der Opposition gehört, das eine Möglichkeit gegeben hätte, zusammenzuarbeiten.
Die sozialdemokratische Opposition hat sich darauf beschränkt, zu allem, was heute und gestern von der Bundesregierung oder von einer der Fraktionen der Regierungskoalition erklärt worden ist, nein zu sagen.
Ich möchte ausdrücklich feststellen, meine Damen
und Herren, daß auch Herr Kollege Ollenhauer,
— Ja, nun lassen Sie doch auch einem anderen mal die Ehre, wenn ich dem Herrn Ollenhauer die Ehre lasse!
Sehen Sie, meine Herren, auch der Kollege Ollenhauer hat mit keinem einzigen Satz und mit keinem einzigen Wort erklärt, was er denn will,
es sei denn, man sähe in dem Satz, man solle vor der Ratifizierung noch eine Viererkonferenz abhalten, den Weg, den er vorschlägt.
Wenn das sein Vorschlag ist, meine Damen und Herren, — —
— Ach, meine Damen und Herren, die Sache ist zu ernst für billige Bemerkungen!
Wenn das sein Vorschlag ist, meine Damen und Herren, dann kann ich ihm nur folgendes darauf erwidern:
Erstens. Von den drei Westalliierten ist mit unserer Zustimmung im November der Vorschlag zu einer Viererkonferenz gemacht worden; allerdings ist dann nachher erklärt worden: nach der Ratifizierung.
Es würde sich also das Wesentliche des Vorschlages der sozialdemokratischen Opposition darin zeigen, daß sie sagt: Nein, die Viererkonferenz soll vor der Ratifizierung sein. Das wäre das Wesentliche.
Meine Damen und Herren, nun ist auch dem Herrn Kollegen Ollenhauer bekannt, — —
Herr Abgeordneter Wehner will eine Frage stellen. Ich erteile ihm dazu das Wort.
Entschuldigen Sie bitte, Herr Bundeskanzler, — —
Ich habe Ihnen das Wort erteilt, Herr Abgeordneter Wehner.
Ich danke Ihnen. — Der Herr Bundeskanzler hat gesagt, daß der einzige Unterschied in der Forderung nach einer Viermächtekonferenz im Termin bestünde. Ist dem Herrn Bundeskanzler nicht klar, daß die sozialdemokratische Forderung vor allem enthält, daß man zu einer solchen Konferenz mit gemeinsamen Richtlinien gehen sollte, die uns die Möglichkeit ließen, mit den drei Westmächten von einer gemeinsamen Wiedervereinigungspolitik zu sprechen, und daß die Sorge der Sozialdemokraten darin besteht, daß solche Anstrengungen nicht gemacht worden sind?
Wenn der Herr Bundeskanzler uns — das ist eine weitere Frage — davon überzeugen wollte, daß es auf jener Seite keinerlei Einschränkungen gebe, dann möchte ich ihn bitten,
die Frage zu beantworten, ob er bereit wäre, das Schreiben der Alliierten vom 11. November 1953 diesem Bundestag zugänglich zu machen, weil aus diesem Schreiben zu ersehen wäre — wenn die Abgeordneten des Bundestages es bekämen —,
ob es Richtlinien mit Einschränkungen oder Richtlinien für eine wirkliche Wiedervereinigungspolitik gibt.
— Der Herr Bundeskanzler wird ja sagen, ob er bereit oder nicht bereit ist, diese Note der Alliierten Hohen Kommission vom 11. November 1953 dem Hause zugänglich zu machen.
Meine Damen und Herren, ich muß es dem Hohen Hause und dem Herrn Präsidenten überlassen, zu entscheiden, ob derartige Ausführungen im Sinne der Geschäftsordnungsbestimmungen liegen,
wonach kurze Fragen gestellt werden können.
Das Wort zu einer Frage hat der Abgeordnete Erler.
Ich erlaube mir die Frage, ob der Herr Bundeskanzler Zeuge gewesen ist, wie seine Parteifreunde meine Ausführungen eine halbe Stunde durch Fragen aufgehalten haben.
Meine Damen und Herren! Diese Frage will ich beantworten.
— Nein!
Meine Damen und Herren, ich bin Zeuge gewesen, und ich habe das Empfinden gehabt, daß diese Bestimmung der Geschäftsordnung unbedingt geändert werden muß.
Ich fahre fort in der Erwiderung auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Ollenhauer.
Ich muß dabei bleiben, Herr Ollenhauer — und ich bitte Sie, das Stenogramm Ihrer Rede durchzulesen —, daß Sie Zweifel darin gesetzt haben, ob es den anderen vierzehn oder noch genauer gesprochen: ob es England und Frankreich ernst sei mit dieser Erklärung; denn Sie haben in Ihrer Rede sehr ausführlich den Ihnen bekannten „Times"-Artikel angeführt. Sie haben zwar dann gesagt: „Zwar ist Herr Eden davon abgerückt". Aber, meine Damen und Herren, darin, daß Sie den „Times"-Artikel so ausführlich erwähnen und wiedergeben und sagen: „Zwar ist Herr Eden davon abgerückt", liegt doch ganz augenscheinlich, daß Sie glauben, man müsse damit rechnen, daß Großbritannien nicht zu seinem Wort stehe. Sie haben sich dann über Herrn Mendès-France in ähnlicher Weise ausgesprochen.
Nun lassen Sie mich, meine Damen und Herren, eine ganz allgemeine Bemerkung machen. Ich meine, ein Deutscher — es gilt für uns alle —, jeder, meine Damen und Herren, jeder deutsche Politiker sollte doch niemals sagen: Ich glaube den anderen nicht so recht, was sie sagen.
Nun, meine Damen und Herren, fahre ich fort und erwähne zunächst — Herr Ollenhauer hat auch davon gesprochen — das Saarstatut. Meine Damen und Herren, ich kann nur erklären, daß ich nach allen Kritiken, die ich gehört habe, bei dem bleibe, was ich unterschrieben habe. Und zwar bleibe ich dabei, weil eben beide Länder in einem solchen Falle Nachgiebigkeit gegeneinander zeigen müssen, einmal um der Menschen an der Saar willen und zweitens um des höheren Zweckes willen.
Und nun, verehrter Herr Kollege Ollenhauer, bin ich nicht der Auffassung, daß heute abend klare Positionen bezogen worden sind und auch nicht gestern, es sei denn, Sie rückten von dem, was namentliche Herren von Ihnen früher gesagt haben, heute ab. Sie haben einmal hier im Hause und auch außerhalb des Hauses einen Weg genannt, der nach Ihrer Meinung von der Bundesrepublik beschritten werden müsse, das ist der Weg der Bündnislosigkeit, und das ist der Aufbau eines kollektiven Sicherheitssystems ohne die Vereinigten Staaten, aber unter Einschluß der Sowjetunion.
Ich erteile das Wort zu einer Frage dem Abgeordneten Erler.
Herr Bundeskanzler, ist Ihnen aus unserer Begegnung, die wir vor einigen Wochen an der gleichen Stelle hier hatten, nicht noch in der Erinnerung, daß wir ganz klar gesagt haben:
Die Bündnislosigkeit erstreben wir für das wiedervereinigte Deutschland, und Teilhaber des Sicherheitssystems hier in Europa, dem auch das wiedervereinigte Deutschland angehört, müssen sowohl die Vereinigten Staaten von Amerika als auch die Sowjetunion sein?
Meine Damen und Herren! Ich werde Ihnen den Nachweis liefern, nicht heute abend, aber in der zweiten Lesung,
daß einer Ihrer führenden Leute nicht gesagt hat: „die Vereinigten Staaten dabei".
— Herr Ollenhauer, Sie haben es wohl gesagt. Andere haben es nicht gesagt. Ich werde Ihnen den Nachweis liefern.
Ich bitte um Ruhe.
Im übrigen darf ich mir vielleicht folgendes Wort erlauben. Ich glaube, Herr Mellies hat mir eben zugerufen: „Das ist eine Lüge!"
— Sie haben gesagt: „Das ist eine Lüge".
Ich finde diesen Ausdruck unparlamentarisch.
Herr Abgeordneter Mellies, haben Sie diesen Ausdruck gebraucht?
Als der Bundeskanzler ausgeführt hat, daß ein namhafter sozialdemokratischer Abgeordneter — —
— Sie haben ja heute vormittag genug Porzellan zerschlagen.
Ich habe an den Abgeordneten Mellies eine Frage gestellt. Ich bitte, ihm die Gelegenheit zu lassen, auf diese Frage zu antworten.
Als der Herr Bundeskanzler ausgeführt hat, ein namhafter Sozialdemokrat habe gefordert den Beitritt Deutschlands zu einem kollektiven Sicherheitssystem mit Einschluß von Sowjetrußland, aber ohne die Vereinigten Staaten, habe ich gerufen: „Das ist gelogen!" Und das ist gelogen, Herr Bundeskanzler.
Herr Abgeordneter Mellies, ich erteile Ihnen dafür einen Ordnungsruf.
Meine Damen und Herren! Es wird in Wahrheit die Zukunft ihr Urteil darüber fällen,
was in diesem Bundestag beschlossen wird. Wir leben in einer Zeit, die, das wissen Sie alle, das ganze deutsche Volk unter Umständen ins Verderben bringen kann;
und daher, glaube ich, meine Damen und Herren, sollte man eine solche Debatte mit dem ganzen Ernst führen, der ihr gebührt.
Ich kann nur die Hoffnung aussprechen, daß, nachdem diese Verträge und Abkommen in den Ausschüssen in Ruhe diskutiert worden sind, nachdem dort auch Aufklärungen gegeben worden sind, die noch verlangt werden, dann in den folgenden zwei Lesungen dieses unser ganzes Schicksal entscheidende Werk in einer Weise behandelt wird, daß wir später, mögen wir nun dieser oder jener Auffassung sein, über das Ganze doch die Überzeugung haben: Wir haben mit allem Ernst versucht, das Rechte zu finden.
Meine Damen und Herren, es stehen noch sechs Redner auf der Liste. Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Rinke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte Ihnen zunächst mitteilen, daß ich nicht die Absicht habe, Sie länger als acht Minuten zu strapazieren.
— Ich hoffe, Sie zollen meinen weiteren Ausführungen genau denselben Beifall.
Am heutigen und am gestrigen Tage sind sämtliche Parteien und nahezu sämtliche deutschen Stämme zu Worte gekommen. Ich glaube, es ist notwendig, daß nun auch jemand zu Worte kommt,
der aus den Gebieten ostwärts der Oder und Neiße
stammt, die ja auch noch zu Deutschland gehören,
wenn es auch zu später Stunde ist.
Das vorliegende Saarabkommen, zu dem ich speziell sprechen möchte, weil uns das aus verschiedenen Gründen besonders interessiert, hat gewiß Schwächen, die von niemand in diesem Hause bestritten werden können und auch nicht bestritten werden, nicht einmal vom Herrn Bundeskanzler. Aber wir sollten alle zusammen diese Schwächen auf ihre Schwere und Bedeutung hin ernsthaft und unvoreingenommen prüfen, jedoch immer nur im Zusammenhang mit den übrigen Pariser Vereinbarungen und keinesfalls isoliert.
Meine Damen und Herren, der Redner ist kaum zu verstehen. Ich bitte Sie um Ruhe.
Denn das Pariser Vertragswerk als Ganzes ist ohne Zweifel eine wichtige und bedeutungsvolle Etappe zu dem großen Ziel, das wir uns alle hier in diesem Hause gesteckt haben: die Einheit und Freiheit Deutschlands und Europas. Wenn ich von „Einheit" spreche, so meine ich nicht nur den Teil Deutschlands, der bis zur Oder und Neiße reicht, sondern ich denke selbstverständlich und vor allem auch an die fünfte Zone, an die Gebiete ostwärts der Oder und Neiße, die nach wie vor deutsches Staatsgebiet sind. Erst eine souveräne Bundesrepublik wird in der Lage sein, eine aktive Ostpolitik, die wir alle anstreben, zu betreiben, eine Ostpolitik, die, wie Herr Erler sagte, ,das ganze Deutschland ins Auge fassen muß.
Nun ist in der Öffentlichkeit geäußert worden, daß das Saarabkommen möglicherweise ein Präjudiz hinsichtlich der künftigen deutschen Ostgrenze bedeuten könne. Dieser Auffassung vermag ich nicht beizutreten. Man kann das Saarabkommen und seine Schwächen, die zugegeben sind, bewerten, wie man will; aber von einem Präjudiz wird man nach objektiver Prüfung nicht reden können; im Gegenteil, der bisherige Zustand war präjudizierend, indem er praktisch einer Abtrennung vom Mutterland gleichkam. Dieser Zustand wird nun beseitigt und durch eine Zwischenlösung ersetzt, deren Vorläufigkeit im Abkommen selbst wiederholt hervorgehoben ist.
Herr Abgeordneter, das Wort zu einer Frage hat der Abgeordnete Dr. Kather.
Herr Dr. Rinke, ist Ihnen nicht bekannt, daß eine einseitig durch eine Besatzungsmacht geschaffene Lage unsere Rechte nicht präjudizieren kann?
Sie wissen genau wie ich, Herr Dr. Kather, daß der Osten diese Situation als präjudizierend bezeichnet hat und immer wieder darauf hingewiesen hat: Was die Franzosen machen können, können wir auch machen.
Ich habe Sie nach Ihrer Ansicht gefragt, ob Sie zugeben, — —
Herr Dr. Kather, ich bitte, hier nicht in eine Debatte einzutreten.
Sie haben eine Frage gestellt, und diese Frage hat der Redner so, wie er glaubte sie beantworten zu sollen, beantwortet.
Meine Damen und Herren! Dieser Status quo wird nun beseitigt
und durch eine Zwischenlösung ersetzt, deren Vorläufigkeit im Abkommen selbst wiederholt hervorgehoben wird. Ich erinnere nur an den viermaligen Hinweis auf den kommenden Friedensvertrag, der erst das Definitivum bringen soll, sowie auf das der Saarbevölkerung zugestandene Referendum im Anschluß an den Friedensvertrag. Aber auch in der generellen Pariser Erklärung der USA, Großbritanniens und Frankreichs sowie in dem durch das Pariser Abkommen aufrechterhaltenen Art. 7 Abs. 1 des Bonner Vertrages wird klar und unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß die endgültige Festsetzung der deutschen Grenzen nur durch den Friedensvertrag erfolgen könne. Diese allgemeine Bestimmung gilt selbstverständlich auch für die Saar. Infolge der jetzt in Paris vereinbarten Übergangsregelung, die das fait accompli an der Saar beendet, kann nun von östlicher Seite, Herr Dr. Kather, wie es wiederholt geschehen ist, nicht mehr eingewendet werden, daß ja die „Weltfriedensgrenze" der Sowjets dadurch untermauert wird, daß im Westen etwas Ähnliches geschehen ist. Natürlich wäre auch uns Ostvertriebenen — das gebe ich Ihnen gern zu — eine optimale Lösung des Saarproblems, eine Lösung, die der deutschen Rechtsauffassung sofort Rechnung getragen hätte, weit sympathischer gewesen als dieser Zwischenzustand. Aber Recht und Politik sind bekanntlich immer zwei Paar Schuhe. Ein besiegtes Volk sollte sich hüten, kraftmeierisch nach dem Rezept „Alles oder nichts" zu verfahren,
sondern lieber Schritt für Schritt vorgehen und auch den Weg des Kompromisses nicht scheuen. Das ist nun einmal in unserer Lage die einzig mögliche Methode, um vorwärtszukommen und keine Rückschläge zu erleiden. Das Saarabkommen wird von uns trotz seiner Unvollkommenheiten im Zusammenhang mit den übrigen Verträgen als ein Schritt vorwärts betrachtet, ich gebe zu: nur ein Schritt, aber immerhin ein Schritt.
Man stelle sich vor, daß die Sowjetunion sich eines Tages damit einverstanden erklären würde, die jetzige polnische Verwaltung Ostdeutschlands als ein Provisorium zu betrachten, wie es die Westmächte tun, und daß dann alle diejenigen, die bis 1945 in Ostdeutschland beheimatet waren, zu einer unbeeinflußten Volksabstimmung über das Schicksal ihrer Heimat aufgerufen würden. Wer würde wohl so töricht sein, einen derartigen Vorschlag abzulehnen, weil nicht sofort alle Blütenträume reifen? Eine derartige ablehnende Haltung wäre, so wie die Dinge nun einmal liegen, unverständlich. Politik ist halt immer noch — das ist heute schon mehrfach gesagt worden — die Kunst des Möglichen und nicht die Kunst der großen Worte und Parolen.
Manche wollen in der zweiten Volksabstimmung — die erste ist auch meines Erachtens von sekundärer Bedeutung — ein sehr gefährliches Risiko erblicken. Meine Freunde und ich teilen diese Auffassung in keiner Weise. Erinnern Sie sich nur einmal an die Volksabstimmung in Oberschlesien, die nach dem ersten Weltkrieg stattfand. Dort wurde unter allerschwierigsten Bedingungen ein großer deutscher Abstimmungssieg errungen, trotz der wirtschaftlichen Notlage Deutschlands und trotz der zum Teil zweisprachigen Bevölkerung. Im Saargebiet liegen die Verhältnisse ganz anders. Vor allem gibt es dort eine rein deutschsprachige Bevölkerung, Herr Dr. Kather, die schon wiederholt bewiesen hat, daß sie deutsch denkt, deutsch fühlt und deutsch ist. Wir sollten daher alle etwas mehr Zutrauen haben zu uns, zu der kommenden souveränen Bundesrepublik und zu der Saarbevölkerung und das Risiko der Volksabstimmung, die vereinbarungsgemäß ohne irgendwelche Beschränkungen stattfinden muß, nicht pessimistisch beurteilen. Hier ist wirklich kein Grund vorhanden, verzagt zu sein.
Ich darf in diesem Zusammenhang einen Passus zitieren, der in der „Stuttgarter Zeitung" vom 6. November zu lesen war — ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten —:
Wir wären froh, wenn wir über die Zukunft der Zone ein Abkommen hätten wie das SaarStatut. Ganz zu schweigen von den polnisch verwalteten Ostgebieten! Streng genommen müßte man ja diese Ostgebiete, und nicht die Zone, mit dem Saargebiet vergleichen. Aber dieser Vergleich wäre fast kein Vergleich mehr, so sehr fiele er zugunsten des Saar-Statuts aus.
— Nun, ich gebe zu, Herr Dr. Kather, die „Stuttgarter Zeitung" hat hier etwas sehr stark auf die Tube gedrückt, aber etwas Wahres liegt schon in diesen Worten.
Man wird nicht bestreiten können — und die Mehrzahl der Vertriebenen bestreitet es nicht —, daß durch das Saarabkommen nicht nur kein Präjudiz hinsichtlich der künftigen deutschen Ostgrenze geschaffen wird, sondern daß im Gegenteil der präjudizierende Status quo an der Saar beseitigt wird. Ich möchte meinen, daß gerade diese Einstellung der Vertriebenen für alle objektiv Denkenden geeignet ist, die Bedenken hinsichtlich einer präjudizierenden Wirkung zu zerstreuen. Denn die Ostdeutschen, deren oberstes und vornehmstes Ziel die Wiedergewinnung der von den Polen und Sowjets annektierten Heimat ist, würden sich um keinen Preis der Welt, weder durch Zuckerbrot noch durch die Peitsche, mit einem Saarabkommen abfinden, das die Rückgliederung der deutschen Ostgebiete in die deutsche Verwaltung behindern oder gefährden würde. Selbst wenn der Herr Bundeskanzler mit den Augen rollte oder den Bannfluch über uns spräche, könnte uns das nicht veranlassen, etwas zu tun, was wir vor unserem Gewissen, von unseren Landsleuten und vor unserer Heimat nicht verantworten könnten.
Ich bitte Sie, dies bei Ihren Überlegungen zu würdigen und vor allem nicht zu übersehen, daß die Ostdeutschen an der Rückgewinnung des deutschen Ostens, unserer Heimat, an der wir unbeirrbar festhalten und die für uns ein sakraler Begriff ist, naturgemäß von allen Deutschen am stärksten interessiert sind. Wir würden uns daher auch am heftigsten und uneingeschränktesten gegen eine Präjudizierung der künftigen deutschen Ostgrenze zur Wehr setzen, ganz gleich, wer uns diese Vorschläge unterbreitet. Das Saarabkommen von Paris bietet jedoch für einen derartigen Protest keine Veranlassung.
Das Wort hat der Abgeordnete Prinz zu Löwenstein.
Ich darf dem Hause mitteilen, daß sich in der Zwischenzeit Vertreter der Fraktionen darüber beraten werden, ob nicht die bisher noch gemeldeten Redner vielleicht auf das Wort verzichten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich erfülle wohl einen interfraktionellen Wunsch, wenn ich mich in Anbetracht der vorgerückten Stunde möglichst kurz fasse.
— Ich freue mich, daß ich dem Wunsche des Hohen Hauses gleich Ausdruck geben konnte.
Es sind einige wenige Punkte, die ich nachtragen möchte. In seiner Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler auf die unendlich schwere Lage der Weimarer Republik hingewiesen. Er hat die Verhältnisse in der Bundesrepublik damit verglichen, und der Vergleich ist günstig für die Verhältnisse in der Bundesrepublik ausgegangen. Es ist von allen Seiten zugegeben und von allen Parteien und Ständen anerkannt worden, daß unendlich vieles geleistet und erreicht wurde, und dies durch die gemeinsamen Anstrengungen aller Parteien, aller Stände, aller Heimatvertriebenen und Einheimischen. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß es sich hierbei nur um einen Teil Deutschlands handelt. Die Freiheit, die wir lieben, herrscht nicht an der Saar, die nicht minder zu Deutschland gehört als etwa Nordrhein-Westfalen oder Bayern, und Freiheit und verhältnismäßiger Wohlstand herrschen nicht in der sowjetisch besetzten Zone. Es ist zweifellos richtig, daß es nach dem 1. Weltkrieg Aufstände aller Art gegeben hat, kommunistische Aufstände in vielen Teilen des Reiches. Aber heute herrscht in einem ganz großen Teil Deutschlands der Kommunismus selber. Wir dürfen also über dem, was in der Bundesrepublik erreicht wurde, nicht das Entscheidende vergessen, nämlich die Wiederherstellung von Freiheit für alle Deutschen.
In diesem Zusammenhang hätte ich gern einen Namen gehört, auf den auch unser Kollege Dr. Becker hingewiesen hat, im Zusammenhang mit dem vom Herrn Bundeskanzler gegebenen Überblick über die Nachkriegsverhältnisse: den Namen Stresemanns. Stresemann war es schließlich, der die Einheit des Reiches gerettet hat. Wenn ich auf ihn hinweise, geschieht das nicht aus der Freude des Historikers an geschichtlichen Reminiszenzen, sondern weil sein Werk für das Heute von ganz unmittelbarer Bedeutung ist und ganz unmittelbare Lehren daraus gezogen werden können. Es war sein großes Anliegen, zwischen Deutschland und Frankreich wirklichen Frieden, wirkliche Freundschaft herzustellen; ich erwähne die großen Namen jener Zeit: Locarno, Völkerbundspolitik,
Thoiry. Ich durfte schon einmal in einer früheren Debatte darauf hinweisen, daß Stresemann, der Vater, wie man sagen kann, des modernen Europagedankens, das Saarproblem nicht als zu gering ansah, um es immer wieder im Zusammenhang mit den europäischen Einigungsbestrebungen zu behandeln.
Wir haben durch unseren Freund Thomas Dehler erfahren, daß der Vorschlag der Freien Demokratischen Partei, in Wirtschaftsverhandlungen mit Frankreich einzutreten, sozusagen die Reparationshypothek abzulösen, mit der Begründung abgelehnt wurde, daß das besiegte Deutschland doch nicht dem noch immer viel reicheren Frankreich wirtschaftliche Angebote machen könne. Es gibt einen außerordentlich interessanten historischen Präzedenzfall. Im Gespräch von Thoiry am 16. September 1926 hat Stresemann dem französischen Außenminister Aristide Briand 300 Goldmillionen angeboten als Loskaufsumme für die Saar, und Briand ist auf dieses Angebot im Gespräch von Thoiry positiv eingegangen. Es ist zutiefst zu bedauern, daß dieses Problem nicht damals gelöst wurde, lange bevor Hitler zur Macht kam. Dann wäre niemals ein Zweifel aufgekommen, dann wäre es immer klar gewesen, daß diese Volksabstimmung von 1935 nichts mit Hitler zu tun hatte, daß sie — ich habe sie selbst miterlebt — eine Abstimmung war trotz Hitler und nicht für Hitler. Es ist auch damals, zur Zeit Stresemanns, von den Gegnern seiner Politik in Frankreich das Wort vom Nationalismus verwandt worden. Ich meine, es gibt eine sehr gute Formel, die er gefunden hat und die ich mir diesem Hohen Hause vorzutragen erlauben möchte, das Wort, das Stresemann bei der Verleihung des Nobelpreises in Oslo am 29. Juni 1927 verwandt hat: „International kann nur wirken, wer zunächst national fühlt." Das ist in einem Satz der Dienst an Europa.
Heute wird die Frage an uns herangetragen, ob wir, wie es heißt, „einer höheren Einheit wegen" Verzicht leisten sollen. Man kann doch nur Verzicht leisten auf etwas, worauf man rechtlich verzichten kann! Wir sind der Meinung, die Bundesrepublik kann nicht auf ein deutsches Gebiet verzichten, das ihrer Jurisdiktionsgewalt nicht untersteht.
Aber ich möchte in diesem Zusammenhang noch auf etwas viel Wesentlicheres hinweisen. Es wurde von der Verpflichtung der Westmächte gesprochen, die Wiedervereinigung zu unterstützen. Herr Bundeskanzler, Sie haben auch heute darauf Bezug genommen, und wir sind alle Ihrer Meinung, daß es vom deutschen Standpunkt aus verhängnisvoll wäre, wenn man Zweifel in die Worte ausländischer Staatsmänner setzte. Gerade das bedrückt mich. Denn was an der Saar geschieht, könnte geeignet sein, einen solchen Zweifel hervorzurufen. Es könnte gesagt werden: Welches Vertrauen können wir denn in das Versprechen Frankreichs haben, für deutsche Wiedervereinigung im Osten einzutreten, wenn im eigenen Vorfeld des Westens, im Herzen von Europa, dieser Wiedervereinigung Schranken entgegengesetzt werden? Ich würde meinen, daß doch hier der Punkt ist, wo dieser gute Wille unter Beweis gestellt werden kann. Hic Rhodus, hic salta! Hier ist das Territorium, wo bewiesen werden kann, daß es den Demokratien ernst ist, zutiefst ernst mit dem Willen zur deutschen Wiedervereinigung.
Herr Kollege Rinke hat über den Osten gesprochen. Lassen Sie mich einige Worte hinzufügen.
Sie kennen vielleicht den Aufsatz, der in der Zeitung der Exil-Polen in London erschienen ist, in „Dziennik Polski" vom 8. November 1954, in dem das Blatt sich zum Saarabkommen äußert. Es sagt dazu:
Es handelt sich hier um ein für Polen günstiges Ergebnis, weil die westdeutsche Regierung
— wie das Blatt sagt —
zum erstenmal der Losreißung eines bestimmten Gebietes zugestimmt hat.
Und der erste Schritt sei doch immer der schwerste. — Ich fürchte — und auch hierfür gibt es historische Präzedenzfälle —, wenn Frankreich dieses Abkommen wirklich zugesichert erhält, wenn es ratifiziert wird, entsteht die Gefahr, daß Frankreich gerade dadurch in den Bannkreis der Sowjetunion hineingeführt wird, daß es, um das Saargebiet festzuhalten, um dieses Territorium in der Hand zu behalten, eine Politik wiederaufnimmt, wie wir sie schon oft in der neuen Geschichte Europas gesehen haben.
Ein historischer Präzedenzfall, sagte ich: Während des Krieges wurde von den Vertretern der prosowjetischen Richtung in Amerika oft gesagt, man müsse die polnische Exilregierung in London, die widerstrebend war, zwingen, deutsches Gebiet anzunehmen, weil man nur dadurch eine Verständigung zwischen Deutschland und Polen nach dem Kriege verhindern könne und weil man nur dadurch Polen für dauernd in den Bannkreis der Sowjetunion hineinführen könne. Ich sehe eine ähnliche Gefahr im Westen, wo also durch die Saar verhindert werden würde, was wir in der westeuropäischen Verteidigung anstreben.
Der Kollege Ollenhauer hat die Frage gestellt, ob die Spaltung Deutschlands im Osten und im Westen Amerika berührt. Ich glaube, daß man mit einem ganz entschiedenen Ja antworten muß. Dieses Ja ist von entscheidender Bedeutung für die Stärkung der deutschen Außenpolitik. Es gibt das bekannte Wort des amerikanischen Präsidenten Lincoln, der gesagt hat: „Eine Nation kann nicht halb Sklave und halb frei sein." Diese Teilung zwischen frei und unfrei geht ja jetzt durch die ganze Welt, also auch durch die westliche. Ich meine daher, daß Amerika zutiefst davon berührt wird und daß doch die Möglichkeit gefunden werden müßte, diesen Appell an die angelsächsische Welt zu richten, an Großbritannien und an Amerika, uns zu helfen, die Gefahr der Kompromittierung von der deutschen Demokratie abzuwehren.
Dazu müßte noch folgendes gesagt werden: daß die Zementierung des Status quo, d. h. die Zementierung der Teilung Deutschlands unweigerlich zu einer neuen Katastrophe führen muß, daß dieser Status quo sich nur kurz halten würde und in einen neuen Weltkrieg auslaufen würde, einen Krieg, der die angelsächsische Welt zutiefst berühren würde.
Wenn heute Stimmen laut werden — wir haben sie gerade in den letzten Tagen in der Presse gelesen, auch in Amerika —, daß man sich vielleicht mit dem Status quo abfinden müsse, dann ist es unsere Aufgabe, von dieser Stelle ,aus auf die ungeheure Gefahr hinzuweisen, die alle Länder bedroht, die Gefahr, die sich aus der fortgesetzten Teilung Deutschlands ergeben würde.
Was soll also geschehen? Die . Frage wird aufgeworfen, meine Damen und Herren: Soll an der Saar das Verteidigungssystem scheitern? Ich darf vielleicht mit einem Worte des Herrn Bundeskanzlers antworten, der gestern in seiner Rede gesagt hat: „Wir wissen sehr wohl, daß nicht Armeen allein den Frieden erhalten können." Ein großes und richtiges Wort! Nach seinen eigenen Ausführungen gehört zur Erhaltung des Friedens der Wille eines ganzen Volkes, seine Freiheit zu erhalten.
Ich möchte einen Schritt weitergehen. Zur Erhaltung des Friedens gehört der Wille aller freien Völker — Deutschlands und Frankreichs in erster Linie —, diesen Frieden in Freiheit zu erhalten. Herr Bundeskanzler, Sie haben, wenn ich Sie richtig interpretiere, etwas sehr Wichtiges ausgedrückt, daß es also nicht allein auf die Armeen ankommt, nicht allein auf das alte Wort: „Si vis pacem, para bellum", sondern daß dieses Wort ergänzt werden muß durch ein Wort, das über dem Friedenspalast im Haag steht: „Si vis pacem, cole justitiam" — „Wenn du den Frieden willst, pflege die Gerechtigkeit!"
Von diesem Gesichtspunkt aus sehe ich im jetzt vorliegenden Saarabkommen eine so ungeheure Gefahr für die gesamte westliche Welt, weil diese justitia gebrochen wird und weil Europa nicht Bestand haben kann, wenn es nur, wie der Herr Bundeskanzler es ausgedrückt hat, durch Armeen verteidigt werden soll. Europa steht und fällt mit dem Gedanken des Rechts, und wenn dieses Recht verletzt wird, dann öffnen wir eine Bresche für alle Armeen, nicht nur die militärischen, des aggressiven Sowjetismus.
Ich meine daher, daß es gerade auf diesen Gesichtspunkt ankommt, nämlich den des Rechts. Es geht hier nicht um eine Forderung eines sogenannten Nationalismus, sondern um eine Forderung der Demokratie, die niemals dulden kann, daß ihr eigenes Gebiet aufgeteilt wird, um eine Forderung, sagte ich, nicht des Nationalismus, sondern desdemokratischsten aller Begriffe, nämlich des Vaterlandes, das wir ganz und ungeteilt in eine europäische Rechtsgemeinschaft einbringen wollen.
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen mitteilen, daß die Fraktionen, denen die noch gemeldeten Redner angehören, auf weitere Redezeit verzichtet haben.
Wir kommen zur Abstimmung. Zunächst einmal stelle ich fest, daß die Große Anfrage Drucksache 1017 durch die Antwort erledigt ist. Zu dieser Anfrage liegt ein Antrag der Fraktion der SPD vor. Sie finden diesen Antrag auf Umdruck 280*). Wir haben über diesen Antrag abzustimmen.
Zur Abstimmung hat das Wort der Abgeordnete Mellies.
Meine Damen und Herren! Namens der sozialdemokratischen Fraktion beantrage ich namentliche Abstimmung über diesen Antrag.
Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Dieser Antrag ist durch eine genügende Anzahl von Mitgliedern des Hauses
*) Vgl. Stenographischen Bericht der 61. Sitzung Seite 3117 C.
unterstützt. Ich bitte die Damen und die Herren der Schriftführung, die Karten einzusammeln.
— Herr Abgeordneter Kopf, wollen Sie einen Antrag stellen?
Das Wort zur Abstimmung hat der Abgeordnete Dr. Kopf.
Meine Damen und Herren! Die Anträge berühren sich in ihrem Inhalt eng mit den anderen Vorlagen, die den Gegenstand der gestrigen und heutigen Aussprache gebildet haben. Wir halten es für zweckmäßig, daß diese Anträge im Zusammenhang mit den anderen Problemen der heutigen und gestrigen Aussprache in Ruhe durch die zuständigen Ausschüsse geprüft werden. Ich beantrage daher, die Anträge der sozialdemokratischen Fraktion an die zuständigen Ausschüsse zu verweisen.
Wollen Sie dazu sprechen? — Herr Abgeordneter Erler hat das Wort.
Herr Präsident! Ich bitte Sie, zu prüfen, ob es möglich ist, einen solchen Antrag noch zu stellen, nachdem sich das Haus schon in der Abstimmung befindet.
Meine Damen und Herren, Sie werden es im Protokoll nachlesen können: ich hatte bereits die Damen und Herren der Schriftführung gebeten, mit den Urnen durch das Haus zu gehen. Wir waren in der Abstimmung. Ich kann diesem Antrag nicht zulassen. Wir hätten selbstverständlich über diesen Antrag vor allem anderen abgestimmt, wenn er rechtzeitig gestellt worden wäre. Ich bitte, die Abstimmung durchzuführen.
Meine Damen und Herren, will noch ein Mitglied dieses Hauses seine Stimme abgeben? — Alle Mitglieder scheinen abgestimmt zu haben.
— Meine Damen und Herren, das Zeichen ist von dem Herrn Schriftführer zu meiner Rechten unmittelbar bei Beginn der Abstimmung gegeben worden und wird weiter gegeben.
— Ich kann von hier aus nicht hören, ob die Signalanlage im Hochhaus funktioniert. Ich muß annehmen, daß es der Fall ist, solange mir nicht das Gegenteil gesagt wird.
Haben alle Damen und Herren abgestimmt? — Dann schließe ich die Abstimmung und bitte um Auszählung.
Wenn ich mir eine Bemerkung erlauben darf, meine Damen und Herren: ich möchte darum bitten, daß, wenn die Technik nicht funktionieren sollte, man mir das nicht an der hinteren Ecke des
Saales zuruft, von wo ich es kaum verstehen kann, sondern sich die Mühe macht, hierher vorzukommen und es mir hier zu sagen. Ein Fehler wird dann sehr viel rascher abgestellt werden können.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Platz zu nehmen.
Ich gebe das vorläufige Ergebnis*) der namentlichen Abstimmung bekannt. An der Abstimmung haben sich beteiligt 392 Mitglieder des Hauses, die stimmberechtigt sind, und 14 Berliner Abgeordnete. Mit Ja haben gestimmt 153 stimmberechtigte Abgeordnete und 10 Berliner Abgeordnete, mit Nein 236 stimmberechtigte Abgeordnete und 4 Berliner Abgeordnete. 3 Mitglieder des Hauses haben sich der Stimme enthalten. Der Antrag ist damit abgelehnt worden.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Kopf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Hohe Haus hat noch über zwei weitere Anträge abzustimmen, über den Antrag Drucksache 997 betreffend Viermächteverhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands und über den Antrag Umdruck 281**) betreffend die Saar. Beide Anträge berühren den Kern der deutschen Außenpolitik. Die Entscheidung über beide Anträge ist aufs engste mit der Stellungnahme zu den Vorlagen verbunden, die dem Bundestag vorliegen und die gestern und heute eingehend erörtert worden sind. Wir halten es daher für notwendig, daß die intensive Erörterung beider Anträge mit der Erörterung der entsprechenden Gesetzesvorlagen verbunden wird. Wir beantragen daher, beide Anträge in die zuständigen Ausschüsse zu verweisen. In erster Linie beantrage ich Verweisung an den Auswärtigen Ausschuß.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mommer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, den Antrag Umdruck 281 nicht den Ausschüssen zu überweisen, sondern hier über ihn abzustimmen, und zwar aus folgenden Gründen. In der Ziffer 1 dieses Antrags wird gebeten, die Bundesregierung möge in Verhandlungen mit der französischen Regierung klarstellen, daß auch die französische Regierung die Bestimmungen der Ziffer VI des Saarabkommens über die politischen Freiheiten im Saargebiet so versteht, wie wir sie verstehen, nämlich daß die politischen Parteien, die Vereine und die Presse weder vor noch nach dem Plebiszit, das in Ziffer I des Abkommens vorgesehen ist, verboten oder suspendiert werden können.
Dieser Text hat der Beratenden Versammlung des Europarats vorgelegen in einem Änderungsantrag, dem alle deutschen Mitglieder zugestimmt haben, auch die Mitglieder der CDU/CSU, auch Herr Dr. Kopf, der eben hier sprach. Es ist also kein Anlaß, die Abstimmung über diesen Punkt, in dem wir uns einig sind, zu vertagen. Hierüber können wir sofort beschließen.
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 3263.
**) Vgl. Stenographischen Bericht der 61. Sitzung Seite 3119 C.
In Ziffer 2 unseres Antrags wird gesagt, die Bundesregierung möge der französischen Regierung mitteilen,
der Deutsche Bundestag sei der Auffassung, daß jede andere Auslegung der Ziffer VI dem Statut des Europarates und der Konvention zur Wahrung der Menschenrechte widerspräche und daß der Saarvertrag dann schon aus diesem Grunde vom Deutschen Bundestag verworfen werden müßte.
Meine Damen und Herren, wenn alle die Erklärungen, die Mer abgegeben worden sind von allen Rednern, die zu dem Saarvertrag gesprochen haben, einen Sinn haben sollen und wenn die offizielle Erläuterung des Vertrages in der Begründung, die die Bundesregierung dem Vertrag gibt, einen Sinn haben soll, dann müssen wir in der Lage sein, dies hier zu beschließen. Denn wenn Sie anders beschlössen, der Entscheidung auswichen, würden Sie einen Zweifel daran bestehen lassen, ob ein Vertrag für Sie annehmbar wäre, in dem es demokratische Freiheit nur auf drei Monate gäbe. Das aber, meine Damen und Herren, will bestimmt niemand von Ihnen. Also können Sie mit uns hier eine Schranke aufrichten. Es kann Saarlösungen geben mit großen Kompromissen; es kann nie eine Saarlösung geben mit Kompromissen in der Frage der Freiheit. Freiheit gibt es nur unbedingt, unbeschränkt und zeitlich unbegrenzt. Das ist der Inhalt der Ziffer 2 unseres Antrags. Bitte, entscheiden Sie sich hier!
Es hat ein Redner für den Antrag gesprochen, ein Redner gegen den Antrag. Ich erteile das Wort zur Abstimmung in dieser Frage nicht mehr.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Antrag auf Überweisung. Ich lasse zuerst abstimmen über den Antrag Drucksache 997. Es ist beantragt, den Antrag an die zuständigen Ausschüsse zu überweisen. Ich meine, zuständige Ausschüsse sind hier doch wohl der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten und der Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen, federführend der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten.
Wer dafür ist, daß der Antrag an diese beiden Ausschüsse verwiesen wird, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; die Überweisung ist beschlossen. Der Antrag Drucksache 997 ist verwiesen an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen als mitberatenden Ausschuß.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Antrag Umdruck 281. Auch hier ist Antrag auf Überweisung gestellt, wohl an dieselben Ausschüsse, von denen vorhin die Rede war. Wer für Überweisung ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! —
Darf ich bitten, die Abstimmung durch Erheben von den Sitzen zu wiederholen. Wer für Überweisung ist, den bitte ich, sich von seinem Platz zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist überwiesen,
Nun kommen wir zu den Zustimmungsgesetzen. Der Ältestenrat macht Ihnen folgenden Vorschlag, was die Ausschüsse anbetrifft, an die die Zustimmungsgesetze überwiesen werden sollen. Federführend für alle Zustimmungsgesetze soll der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten sein. Damit ist das Haus wohl einverstanden.
Weiter sollen die Zustimmungsgesetze zur Mitberatung an folgende Ausschüsse überwiesen werden: an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik, an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen, an den Haushaltsausschuß, an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht, an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht, an den Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen, an den Ausschuß für Fragen der europäischen Sicherheit, an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren! Wir haben noch den Punkt 6 zu erledigen:
Fortsetzung der Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Londoner Abkommen und Außenpolitik der Bundesrepublik (Drucksachen 958, zu 958, 863).
Die Berichterstattung durch den Herrn Kollegen Dr. Furler ist erfolgt*). Wird das Wort zu dieser Angelegenheit gewünscht?
— Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung. In dem Mündlichen Bericht des Ausschusses heißt es:
Der Bundestag wolle beschließen, den Antrag als gegenstandslos zu bezeichnen.
Wer diesem Antrag zustimmen will, der gebe ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Damit, meine Damen und Herren, könnten wir, wenn wir noch wollten, eine ganze Reihe von Punkten, die noch auf der Tagesordnung sind, erledigen. Ich nehme an, daß niemand das will.
Ich schlage Ihnen vor, daß wir jetzt aufhören
und die heutige Sitzung schließen. — Das Haus ist einverstanden.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf morgen, Freitag, den 17. Dezember, vormittags 9 Uhr, und schließe die 62. Sitzung des Deutschen Bundestages.