Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jahrelang haben wir in diesem Hause die Politik erläutert und vertreten, die mit den drei manchmal schon sehr mysteriös leuchtenden Buchstaben EVG zusammenhing. Wir vertreten heute vor ihnen eine Politik, die mit einem neuen Vertragswerk zusammenhängt. Wir vertreten aber keine neue Politik, sondern nur die alte Politik in einer neuen Form. Die Ziele der deutschen Außenpolitik, Freiheit, Friede und Einheit, sollten nach unserer Überzeugung am besten dadurch gefördert werden, daß jenes Werk in Angriff genommen wurde, die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, die unmittelbar drei Zwecken diente: der Sicherheit für Westeuropa und damit für Westdeutschland, der Freiheit und Gleichberechtigung für die Bundesrepublik und der Einigung Westeuropas als Voraussetzung der Erreichung unseres höchsten nationalen Zieles, der Wiedervereinigung.
Wir leben am Rande des Eisernen Vorhanges, und wir leben darum hier in der Bundesrepublik am Rande des Abgrunds. Deshalb muß es das erste und das vordringlichste Ziel für jeden verantwortlichen deutschen Politiker sein, dafür zu sorgen, daß unser Volk in der Bundesrepublik vom Bolschewismus frei bleibt und daß die Schrecken, die über den östlichen Teil Deutschlands und über die Völker des Ostens dahingegangen sind, wenigstens diesem westlichen Deutschland erspart bleiben.
Dieses erste Ziel der Sicherheit ist auch die Voraussetzung dafür, daß wir das höchste unserer nationalen Ziele, die Wiedervereinigung, erreichen. Denn wenn die Bundesrepublik in die Hände der Sowjets fallen sollte, wäre jede Hoffnung verloren, Deutschland in Frieden und Freiheit zu vereinigen.
Der Herr Kollege Ollenhauer hat schon in der letzten außenpolitischen Debatte, er und andere seiner Parteifreunde haben auch heute wieder erklärt, der Verteidigungsbeitrag erscheine ihnen im Augenblick nicht mehr so dringlich. Die internationale Lage sei entspannt. Meine Damen und Herren, ob die Lage im Augenblick als entspannt anzusehen ist, kann ich ruhig dahingestellt sein lassen. Ich halte es doch für eine eigentlich nicht zu verantwortende Harmlosigkeit, davon auszugehen, daß jetzt etwa ein Verteidigungsbeitrag deswegen weniger dringlich sei, weil man vielleicht im Augenblick im Kreml nicht in die Trompete stößt, sondern die Schalmei bläst. Wir kennen doch das System der Sowjets, aufgebaut auf der alten Idee des Panslavismus, den europäisch-asiatischen Kontinent unter der Herrschaft des Kreml zu einigen. Aufgebaut auf dem Gebot der Weltrevolution, ist dieses System einer jeden Tarnung und Täuschung fähig. Ich kann es dabei in diesem Zusammenhang völlig dahingestellt sein lassen, ob es sich hier wirklich um Tarnung und Täuschung handelt oder ob diejenigen recht haben, die glauben, es könnten auch andere Motive sein, die einen echten Gesinnungswandel hervorrufen. Denn, meine Damen und Herren, beweisen können Sie diesen echten Gesinnungswandel unter keinen Umständen, und die Möglichkeit einer Täuschung können Sie nach allem, was wir erlebt haben, nicht ausschließen. Folglich müssen wir uns so einrichten, daß wir für die Möglichkeit einer solchen Täuschung gewappnet sind.
Sie wissen so gut wie ich, daß der Aufbau von Streitkräften eine Sache ist, die nicht in Wochen, sondern in Jahren geschieht. Im letzten Jahr, meint Herr Kollege Ollenhauer, habe sich die Situation in Europa entspannt. Nun, es braucht weniger als ein Jahr, und sie könnte sich vielleicht wieder sehr stark anspannen. Dann sind wir nicht in der Lage, durch einen Beschluß im Bundestag sofort eine deutsche Armee auf die Beine zu stellen. Sie wissen wie ich, daß hierzu Jahre erforderlich sind und daß wir leider bereits 21/2 Jahre in Europa verhandelt und zerredet haben, 21/2 Jahre, die uns bitter fehlen.
Deshalb müssen wir die Dinge jetzt mit Entschiedenheit in Angriff nehmen. Wir können, wenn der Wille der Russen zur Verständigung echt sein sollte, auch noch nach der Ratifizierung dieser Verträge verhandeln. Aber dann verhandeln wir auf einer wesentlich sichereren Grundlage, weil wir dem Osten den größten Gefallen nicht tun, waffenlos zu bleiben und damit seine Übermacht zu stärken.
Meine Damen und Herren, das Argument, wir sollten uns mit der Ratifizierung der Verträge, wir sollten uns mit dem System der Sicherheit der freien Welt Zeit lassen, ist einfach deshalb falsch, weil wir keine Zeit haben, am wenigsten unter militärischen und militärpolitischen Gesichtspunkten.
Um das System der Sicherheit zu schaffen, gibt es als Ausdruck des deutschen Verteidigungsbeitrages zwei Möglichkeiten. Wir haben zuerst die Möglichkeit einer sogenannten integrierten, einer einheitlichen europäischen Armee gewählt. Nachdem dieser Weg leider nicht zum Erfolg geführt hat, bleibt noch der andere Weg, der Weg über Nationalarmeen und eine Koalition dieser Nationalarmeen. Mit Recht haben verschiedene meiner Vorredner betont, daß man heute in militärischer Hinsicht nicht mehr von einer Nationalarmee im alten Stil sprechen kann. Aber juristisch können und müssen Sie es auch heute noch, weil es eine Frage der Kommandogewalt, eine Frage der Organisation ist. Wir von der CDU/CSU und von den übrigen Parteien der Regierungskoalition haben diese Nationalarmee nicht gewollt. Sie ist von anderen gewollt, uns geradezu nahegelegt, wenn nicht aufgezwungen worden. Ich selbst habe von dieser Stelle aus vor 21/2 Jahren gegen den Gedanken einer Nationalarmee und für den Gedanken einer vereinten europäischen Armee gesprochen. Daß dieser Gedanke nicht realisiert wurde, lag nicht an uns; es lag an anderen. Wenn wir das Bessere nicht haben können, müssen wir uns mit dem Guten begnügen.
Es ist heute — der Herr Kollege Erler hat damit ganz recht gehabt — nicht an der Zeit, über das innere Gefüge, die innere Ordnung einer neuen, demokratischen Wehrmacht zu sprechen. Denn heute sprechen wir nicht über das „Wie" eines
Verteidigungsbeitrages, sondern über das „Ob". Aber ich möchte doch ganz kurz auf eines hinweisen. Wenn wir Bedenken dagegen hätten, daß es möglich wäre, neue Streikräfte harmonisch einzubauen in das demokratische Staatsgefüge von heute, dann wäre das ein Mißtrauen, das wir alle dem Gedanken der deutschen Demokratie entgegenbringen würden. Die Zusammenarbeit aller demokratischen Parteien wird es uns ermöglichen, auch mit diesem Problem fertigzuwerden; dies um so mehr, als die Arbeit im Ausschuß für die europäische Sicherheit die beste Voraussetzung dafür bietet, daß wir auch einmal im Plenum die Frage der Ausgestaltung der Streitkräfte im Einverständnis von Regierung und Opposition werden lösen können. Wir fordern jedenfalls heute schon mit aller Entschiedenheit den Primat des Politischen und den Primat des Zivilen vor dem Militärischen.
Das zweite Ziel, das wir mit den alten und mit den neuen Verträgen erreichen wollen, ist ebenso wie das Ziel der Sicherheit zwangsläufig. Es geht darum, Freiheit und Gleichberechtigung für die Bundesrepublik zu erhalten, das Militärregime zu beseitigen, das Besatzungsregime durch eine deutsche Verfassung zu ersetzen. Es geht darum, daß wir wieder Herren in unserm eigenen Hause werden.
In den früheren Debatten hat die Sozialdemokratische Partei sehr starken Wert auf die Frage gelegt, daß in der sogenannten Notstandsklausel die Möglichkeit vorhanden war, praktisch die deutsche Souveränität, die wir zurückerhalten, wieder aufzuheben, weil sie einen Grund, ja möglicherweise sogar einen Vorwand dafür bietet. Herr Kollege Ollenhauer hat in der 242. Sitzung vom 15. Dezember 1952 — wenn ich es mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten verlesen darf und wenn Sie so liebenswürdig sind zuzuhören — die Worte gesprochen:
Wichtige souveräne Rechte behalten sich die
drei Westmächte weiterhin vor. Das gilt vor
allem für die Notstandsklausel... Sie ist, wie
immer man sie ansieht, der Art. 48 der Weimarer Verfassung mit dem verschärfenden Unterschied, daß er jetzt von den drei anderen Vertragspartnern gegenüber der Republik in Funktion gesetzt werden kann.
Meine Damen und Herren, diese Gefahr, die Herr Kollege Ollenhauer mit einem gewissen Recht dargelegt hat, ist heute geschwunden. Wenn wir unser Grundgesetz entsprechend ergänzt haben, dann ist keine Möglichkeit mehr gegeben, die Deutschland verliehene Souveränität wieder zurückzunehmen. Wenn aus den Kreisen der Opposition Bedenken gegen einen neuen Art. 48 geltend gemacht werden, so teilen wir diese Bedenken. Aber wir können ja gemeinsam dafür sorgen, daß ein neuer Notstandsartikel eben wirklich auf den Fall eines polizeilichen und militärischen Notstandes zugeschnitten ist und nicht auf irgendwelche wirtschaftliche oder andere Störungen unserer Ordnung. Jedenfalls ist eine deutsche Notstandsklausel, die in den Händen der deutschen Bundesregierung liegt, besser als eine solche in den Händen der Alliierten.
Dann, meine Damen und Herren, darf ich noch auf etwas ganz Entscheidendes hinweisen: auf die Tatsache, daß Deutschland Mitglied des Atlantikpakts wird, ein gleichberechtigtes, ein willkommenes, ein eingeladenes Mitglied. Überlegen Sie nur einmal, was es bedeutet, daß wir damit Mitglied der größten Allianz werden, die die Weltgeschichte kennt, und daß dies nicht einmal ganz zehn Jahre nach der größten Katastrophe unserer Geschichte geschieht, daß wir die Bundesgenossen derer werden, die die Sieger von gestern waren und die wahrhaftig mit Ressentiments gegen uns geladen gewesen sind.
Daß wir nach der EVG nicht Mitglied des Atlantikpaktes wurden, hat die sozialdemokratische Opposition zum Anlaß ihrer Kritik genommen. Mein verehrter Kollege Herr Professor Schmid hat zur ersten Lesung am 9. Juli 1952 hier im Deutschen Bundestag erklärt:
Warum gestattet man nicht den Deutschen den Eintritt in das atlantische Paktsystem, wo die eigentlichen Entscheidungen fallen? Dieses deutsche Kontingent steht doch zur Verfügung von NATO, und wer nicht in NATO vertreten ist, der bleibt das Objekt, das er heute schon ist.
Meine Damen und Herren, durch die neuen Verträge bleiben wir dieses Objekt nicht, wir werden ein gleichberechtigtes Subjekt, und ich glaube, Herr Kollege Professor Schmid könnte dem Herrn Bundeskanzler dafür seine Anerkennung aussprechen.
Herr Kollege Erler hat in diesem Zusammenhang heute an dieser Stelle erklärt, es gebe noch andere Beziehungen freier Völker als die einer Militärallianz, und diese anderen Beziehungen seien mindestens ebenso wichtig. Ich gebe ihm darin völlig recht. Aber, meine Damen und Herren, wenn ich so sagen darf: Es gibt auch andere Instrumente als eine Pistole, eine Geige z. B. ist ein viel schöneres Instrument. Aber wenn ich von einem Straßenräuber überfallen werde, dann hilft es mir nicht, eine Geige zur Hand zu nehmen, dann muß ich eben eine Pistole zur Hand nehmen.
Und vor der Sowjetunion helfen mir nicht andere Beziehungen freier Völker; da hilft mir eben nur ein Militärpakt, der mich garantiert, der alle garantiert und der mich damit schützt.
Herr Kollege Ollenhauer hat am gestrigen Tage gesagt, die Souveränität, die Deutschland jetzt zurückerhalte, sei nicht die übliche Souveränität, sie sei überhaupt keine eigentliche Souveränität. Meine Damen und Herren, ich will mich auf die Frage, ob es rechtlich eine Souveränität ist — was meiner Überzeugung entspricht — oder nicht, hier nicht einlassen. Ich glaube, das ist eine wichtige Frage, die in den Ausschußberatungen und damit in der zweiten Lesung eine Rolle spielen wird. Aber zwei Bemerkungen möchte ich dazu sagen.
Einmal: Die übliche Souveränität, von der Herr Kollege Ollenhauer sprach, gibt es seit dem Jahre 1945 in Europa überhaupt nicht mehr, sie wird es nicht mehr geben, und sie soll es gar nicht mehr geben. Andererseits aber muß ich noch hinzufügen: Wenn man dem Herrn Kollegen Ollenhauer und mir im Jahre 1945 prophezeit hätte, daß wir im Jahre 1955 nur einigermaßen diese Rechte bekommen würden, die uns die neuen Verträge geben, — meine Damen und Herren, wir hätten es beide nicht geglaubt, wir hätten uns beide „von" ge-
schrieben, wie man so sagt, und wir hätten gesagt: „Wenn wir das nur bekommen würden!"
Überlegen Sie doch einen Augenblick, was dies nun bedeutet. Als im Jahre 1946 in meiner Heimat in München die Bayerische Verfassunggebende Landesversammlung als das erste frei gewählte Parlament der amerikanischen Zone zusammentrat, da mußten sich die frei gewählten Männer und Frauen von den Plätzen erheben, als der amerikanische Militärgouverneur den Saal betrat. Als mein Parteifreund Dr. Semmler im Jahre 1947 die bekannte Rede gegen das Hühnerfutter hielt, konnte er noch des Amtes enthoben werden. Als im Jahre 1948 das wichtigste aller deutschen Gesetze seit der Kapitulation — mit Ausnahme des Grundgesetzes — erlassen wurde, das Gesetz über die Währungsreform, wurde es ohne unsere Mitwirkung, ohne daß unsere Vorschläge auch nur beachtet wurden, von oben diktiert. Und noch im Jahre 1949 mußte dieses Hohe Haus dem Petersberg seine Gesetze zur Genehmigung vorlegen.
Wenn Sie diesen Weg deutscher Erfolge sehen, dann können Sie nicht mehr daran zweifeln, daß wir hiermit wirklich jene Freiheit errungen haben oder vielmehr jetzt erringen werden, die wir uns längst ersehnt haben.
Und wenn Sie von einem weiteren Erfolg unserer Außenpolitik sprechen wollen, dann liegt er doch in jener Tatsache, daß der Brüsseler Vertrag, der zum Schutz gegen Deutschland geschaffen worden ist, nunmehr als Schutz aller europäischen Länder einschließlich Deutschlands umgestaltet wird.
Wenn Sie uns nun, meine Damen und Herren, die Frage stellen: „Sind die neuen Verträge besser als die alten?", so antworte ich Ihnen darauf: Unter nationalen Gesichtspunkten sind die neuen Verträge in einigen nicht unerheblichen Punkten besser als die alten. Trotzdem aber kann ich dem Herrn Kollegen Erler nicht darin zustimmen, daß wir den Sozialdemokraten für ihren Beitrag zum Scheitern der EVG dankbar sein sollten.
Ich sage Ihnen persönlich und im Namen meiner politischen Freunde: Auf den größeren nationalen Erfolg hätten wir gern verzichtet, wenn wir mit der EVG die Einigung Europas erreicht hätten.
Wir sind der Überzeugung, daß in der Mitte des 20. Jahrhunderts die Einigung unseres Kontinents ungleich bedeutungsvoller ist als die Erreichung noch so erstrebenswerter nationaler Einzelrechte.
Sie sehen daraus, daß ich gar nicht die Absicht habe, das Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zu verniedlichen. Die Bedeutung dieser Verteidigungsgemeinschaft hat doch politisch darin gelegen, daß man die Souveränität am entscheidenden, am kritischen Punkte überwinden wollte durch die Schaffung einer gemeinsamen Armee.
Meine Damen und Herren, so die Grundlagen für die Einigung dieses Kontinents zu legen, das war und bleibt ein kühner Gedanke, dessen sich niemand zu schämen braucht, der ihm je angehangen hat.
Schließlich und endlich geht es doch darum, daß
wir den Frieden in Europa sichern und daß wir die
Einheit in Europa sichern, indem wir Institutionen schaffen, die supranational, ,die europäisch sind. Am Mangel dieser Institutionen ist ja der Versuch zu Zeiten Briands und Stresemanns, Europa zu einigen, gescheitert. Und so bedauern auch wir es als Europäer und empfinden es bitter, daß dieser Weg vorerst nicht gangbar ist und daß wir nun einen Umweg zu dem alten Ziele gehen müssen. Aber was wir über die EVG zu einem guten Teil sofort erreicht hätten, die europäische Einigung, das bleibt als das Ziel des deutschen Volkes und der deutschen Bundesrepublik auch für die Zukunft aufrechterhalten, auch wenn wir zu diesem Ziele nunmehr nicht den kürzesten Weg, sondern einen längeren Umweg gehen müssen.
Wahrscheinlich ist die Europäische Verteidigungsgemeinschaft der Entwurf einer europäischen Teilverfassung, die ebenso nicht in Wirksamkeit trat wie der großartige Entwurf einer deutschen Reichsverfassung im Jahre 1849. Aber so wie die Einigungsbemühungen von 1849 schließlich nicht umsonst gewesen sind, hoffen wir auch, daß dieser Anlauf nicht umsonst gewesen ist,
hoffen wir, daß er zu einem späteren Zeitpunkt noch seine Früchte trägt. Jedenfalls ist das Scheitern der EVG kein Mißerfolg für Deutschland, wenn wir es unter nationalen Gesichtspunkten betrachten, sondern ein Mißerfolg für uns alle als Europäer in allen europäischen Ländern.
Wir haben nicht die Absicht, hier zur Außenpolitik anderer Länder Stellung zu nehmen; aber eine Bitte, glaube ich, können wir auch an andere Völker richten: Man soll jetzt einmal aufhören, von dem zu sprechen, was manches Nachbarvolk immer wieder von uns Deutschen sagt, vom deutschen Mysterium und von dem ungewissen Deutschland, wie es ein bekannter Schriftsteller schon nach dem ersten Weltkrieg genannt hat. Meine Damen und Herren, die deutsche Außenpolitik ist nicht ungewiß, und sie ist nicht mysteriös. Wenn ich die deutsche Außenpolitik mit der Außenpolitik manchen anderen europäischen Volkes vergleiche, komme ich sogar zu der Auffassung, daß sie von einer geradezu kartesianischen Klarheit und Eindeutigkeit ist.
Nun, meine Damen und Herren, ich sprach von dem alten Ziel, das wir auf einem neuen Wege erreichen wollen, einem Wege, auf dem wir nicht irre werden wollen. Wir wollen den Rückschlag auch nicht vergrößern. Wenn ein bekannter Politiker aus den Reihen der Koalition nach dem Scheitern der EVG Zweifel am Bestand der Montan-Union ausgesprochen hat, dann hoffe ich, daß er selbst sich inzwischen eines Besseren besonnen hat. Meine Damen und Herren, wenn wir etwas Zukünftiges erreichen wollen, dann müssen wir am Erreichten zuallererst einmal festhalten.
Es gibt kein Zurück von Europa, und es gibt auch keine europäische Zickzackpolitik.
Wir wollen sogar positiv festhalten, daß in einem Punkt die Westeuropäische Union einen großen Fortschritt bedeutet und sicherlich zur Realisierung der europäischen Idee beitragen wird, weil sich nämlich England nunmehr an dieser Union beteiligt,
und das begrüßen wir Deutschen nicht weniger, als es andere europäische Völker begrüßen mögen, begrüßen es um so mehr, als damit ein halbes Jahrtausend der Trennung der englischen Politik vom Kontinent ihr Ende gefunden hat. Vor allem aber glaube ich, daß in fernerer Zukunft die jetzige Entwicklung noch einen Vorteil haben wird. Bisher haben ,die anderen zu uns gesagt: „Ihr Deutschen tut euch leicht, gute Europäer zu sein; denn ihr gebt ja keine Hoheitsrechte auf; ihr übertragt ja nur die Rechte des Petersberges auf europäische Instanzen, und das ist für euch nur ein Vorteil, während wir anderen ja Hoheitsrechte aufgeben müssen". Meine Damen und Herren, in Zukunft werden wir Deutschen die gleichen Hoheitsrechte besitzen, und dann, wenn wir den gleichen Start haben wie die anderen, wollen wir beweisen, daß unser Europäertum echt ist, daß es uns mit dem Willen zum Verzicht auf Souveränitätsrechte ernst ist und daß wir jederzeit bereit sind, auf solche Rechte zu verzichten, als Vorbild für alle anderen.