Rede von
Herbert
Schneider
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde meine Ausführungen der Zeitnot, in der sich das Haus befindet, anpassen. Es liegt in der Natur der Dinge, daß, wenn über große, schwerwiegende Probleme verhandelt wird, scheinbare Kleinigkeiten oft nur am Rande behandelt werden, zu kurz kommen, scheinbare Kleinigkeiten, die aber letzten Endes doch einen erheblichen Einfluß auf die Dinge haben. Erst zwei Redner sind im Verlauf der Debatte auf diese Dinge eingegangen.
Sie suchen nach den Gründen des Ressentiments in der Jugend gegen die Wiederbewaffnung. Ich glaube, sie sind darin zu finden, daß der deutsche Soldat, der 1945 in die Heimat zurückkehrte, einen Trümmerhaufen vorfand, seine Familie oft nicht wiederfand, die Hilfe des Staates vermißte, nachdem er jahrelang hinter Stacheldraht gesessen hatte, meist auch noch ein Entnazifizierungsverfahren über sich ergehen lassen mußte, kurzum, geschlagen und diffamiert war. Wenn wir dafür sorgen wollen, daß eine größere Verteidigungsbereitschaft in unserem Volk erweckt wird, dann müssen wir auch mit diesen Dingen ein für allemal Schluß machen. Es wäre vermessen, zu behaupten, daß mit diesen Dingen schon Schluß sei. Ich will nicht mehr näher darauf eingehen. Aber es ist eine feststehende Tatsache, daß die Diffamierung des ehemaligen Soldaten noch nicht ihr Ende gefunden hat.
Ein anderer Grund, der ebenfalls nicht nur in der Jugend, sondern in der gesamten Bevölkerung dazu beiträgt, daß man nicht geneigt ist, dem Rufe erneut zu folgen, ist die Tatsache, daß sich noch zahlreiche Kriegsverurteilte in alliiertem Gewahrsam befinden. Dies ist nicht Angelegenheit einer Fraktion, ich glaube, dies ist Angelegenheit sämtlicher Parteien, ja praktisch der ganzen Nation. Ich sage wohl eine Binsenwahrheit, wenn ich feststelle, daß die Tatsache, daß deutsche Soldaten teilweise, obwohl der Krieg fast zehn Jahre vorüber ist, noch kein Gerichtsverfahren gehabt haben und noch festgehalten werden, eine schwere oder zumindest — ich will mich vorsichtig ausdrücken — eine gewisse Hypothek darstellt, die unser freundschaftliches Verhältnis mit den betreffenden Nationen, welche solche Soldaten noch im Gewahrsam haben, belastet. Ich bin mir durchaus der Verantwortung bewußt, wenn ich im Rahmen
dieser Debatte und zu dieser Stunde einige Worte über die Dinge sage. Auf der anderen Seite kann aber dazu nicht geschwiegen werden, weil es nun einmal ein Thema ist, das die gesamte Öffentlichkeit bewegt. Ich befinde mich, zumindest was die Behandlung dieser Menschen in ihren Verfahren betrifft, in der angenehmen Gesellschaft solcher Nationen, die selbst solche Gerichtsverfahren durchgeführt haben.
Die bedeutende französische Zeitung „Le Monde" schrieb im Oktober 1954 einen eingehenden Bericht über das Plädoyer der französischen Verteidiger Ditte und Kraehling für den vor einem französischen Militärgericht angeklagten Deutschen Knochen. Ich will hier nicht untersuchen und habe auch nicht zu untersuchen, ob Herr Knochen in Wahrheit schuldig ist oder nicht. Ich habe aber festzustellen, daß der französische Verteidiger selbst in seinem Plädoyer noch einmal die französische Verordnung vom 26. August 1944 bekämpfte, die den Befehlsgehorsam als eine Rechtfertigung nicht zuläßt. Ditte sagte wörtlich:
Man verweigert den Deutschen, was man den
Franzosen zubilligt. Maquis, die Kollaborateure
auf Befehl ihrer Führer erschossen haben, sind
nicht verfolgt worden, sondern sie sind freigesprochen worden, wenn sie nachweisen konnten, daß sie aus Patriotismus gehandelt hätten.
Welcher Unterschied besteht zwischen der Vaterlandsliebe eines Deutschen und der eines
Franzosen?
Meine Damen und Herren, wenn ich hier ausgerechnet die Stimme eines französischen Verteidigers zitiere, dann liegt es mir selbstverständlich fern, irgendein Ressentiment gegen die französische Nation zu schüren. Die Tatsache, daß die Behandlung dieses Themas hier heute im Rahmen dieser Debatte stattfinden muß und nicht auf Grund einer ursprünglich eingebrachten Großen Anfrage, ist wohl auf gewisse außenpolitische Bedenken der Regierung zurückzuführen. Meine Freunde von der Deutschen Partei und ich sind der Auffassung, daß die Behandlung eines solchen Themas, wenn es in würdiger Form geschieht, bei der man trotzdem mit aller Klarheit das sagen kann, was gesagt werden muß, das Klima bei unseren europäischen Freunden nicht unbedingt zu verschlechtern braucht. Ich glaube jedenfalls, daß die positiven Auswirkungen den eventuellen Nachteilen gegenüber größer sind. Die Achtung vor einem Deutschland, das sich vor seine gefangengehaltenen Söhne stellt, wird sicherlich größer sein als die Achtung vor einem Deutschland, das diese Söhne im Stiche läßt.
Daß große Worte heute in der Öffentlichkeit in Deutschland nichts mehr gelten, wissen wir alle. Die Worte Großer aber haben immer noch ein erhebliches Gewicht. Schiller sagte einmal:
Nichtswürdig ist die Nation, die nicht
Ihr Alles freudig setzt an ihre Ehre.
Das ist ein Leitwort, das anderen Völkern auch heute noch als vollgültiger Wertmesser für die Beurteilung anderer Nationen gilt, und die Geschichte zeigt genug Beispiele dafür, daß das Eintreten einer Nation für einen ehrenhaften Gegner stets Achtung ausgelöst hat.
Ich darf, wenn ich daran erinnere, daß sich noch Deutsche in alliierten Haftanstalten auf deutschem Boden, daß sich noch Deutsche im Auslande befinden, auch darauf hinweisen, daß der erste fran-
zösische Botschafter nach dem verlorenen Kriege 1870/71 in Berlin, der Vicomte de Goutant-Biron, bei der Überreichung seines Beglaubigungsschreibens die größte Erregung der französischen Nation darüber zum Ausdruck brachte, daß zehn Monate nach Beendigung der Feindseligkeiten immer noch französische Gefangene in deutschem Gewahrsam zurückgehalten würden. Ich darf nur anfügen, daß die deutsche Regierung damals dem französischen Wunsch entsprach und diese Gefangenen in französische Oberhoheit überstellte.
Ich darf auch an die Bestimmungen des Friedensvertrags von Osnabrück und Münster erinnern, nach dem sich die vertragsschließenden Teile nicht nur gegenseitig ihre Kriegsgefangenen auslieferten, sondern darüber hinaus übereinkamen, gegeneinander Repressalien zu ergreifen, falls von irgendeiner Seite eine erneute Diffamierung dieser Gefangenen oder Verurteilten erfolge.
Ich glaube, daß die Forderung nach Freilassung aller ehemaligen deutschen Soldaten — gleichgültig, ob sie sich in alliiertem Gewahrsam auf deutschem Boden oder ob sie sich im Ausland befinden — eine berechtigte Forderung ist. Ich verschweige auch gar nicht, daß sich unter diesen Kriegsverurteilten dieser oder jener befindet, der sich irgendwelcher Vergehen oder Verbrechen schuldig gemacht hat; aber ich wehre mich gegen eine kollektive Feststellung, daß es sich nicht verlohne, sich um die jetzt noch in Haftanstalten befindliche geringe Zahl deutscher Menschen zu bekümmern, weil es sich sowieso um Verbrecher oder Asoziale handle. Vergessen wir doch nicht, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß die Art und Weise der Verfahren, die diesen Menschen vielfach zuteil geworden ist, nicht immer mit den Grundsätzen von Recht und Gesetz in Einklang zu bringen war, wie wir sie pflegen.
Sie wissen, daß die Rechtsgrundlagen in diesen Prozessen oft sehr fadenscheinig waren. Sie wissen, daß die Prozeßmethoden oft nicht sehr fair waren. Sie wissen, daß die Begründungen der Urteile infolgedessen oft auch nicht sehr schön waren und daß schließlich auch die Vollstreckung dieser Urteile manches zu wünschen übrig gelassen hat. Ich glaube, der beste Beweis dafür, daß diese Verfahren oftmals nach Methoden und Grundsätzen geführt wurden, die nicht gebilligt werden können, sind die Ausführungen des früheren britischen Generalanklägers Sir Maxwell Fife, der in der Veröffentlichung der Londoner Protokolle von 1945 ausführte:
Was wir vermeiden wollen, ist eine Diskussion vor Gericht darüber, ob die Handlungen Verletzungen des Völkerrechts sind oder nicht. Wir bestimmen, was Völkerrecht ist, so daß es keine Diskussion darüber geben kann, ob es Völkerrecht ist oder nicht.
Wir glauben, daß das in einer Linie mit den Ausführungen von Professor Trainin liegt, jenem Professor Trainin, der, wie mein Kollege Dr. Mende vorhin schon ausführte, sich russischerseits über die sogenannten Kriegsverbrecherprozesse ausgelassen hat.
Ich darf vielleicht auch mit allem Respekt an eine Äußerung des früheren Hochkommissars McCloy erinnern, der im Jahre 1953 noch äußerte: Wenn er heute zurückdenke, wünschte er manchmal, daß die damaligen alliierten Gerichtshöfe nicht nur mit Richtern aus den Siegermächten besetzt gewesen seien.
Meine Damen und Herren, ich stehe gar nicht an, festzustellen, daß in der Vergangenheit, vornehmlich im Verlauf der letzten beiden verflossenen Jahre, eine erhebliche Anzahl deutscher Soldaten inzwischen in Freiheit gesetzt worden ist, wie ich auf der anderen Seite aber auch mit allem Nachdruck darauf hinweisen muß, daß es heute noch, fast zehn Jahre nach Beendigung des Krieges, deutsche Soldaten gibt, die, ohne bisher überhaupt ein Gerichtsurteil erlangt zu haben, im Kerker festgehalten werden.
Sie wissen, daß die sogenannten Gemischten Beratenden Ausschüsse, die sich aus deutschen und alliierten Vertretern zusammensetzen, in den vergangenen Monaten eine wirklich segensvolle Arbeit geleistet haben. Auf der anderen Seite kann aber nicht verschwiegen werden, daß das Endergebnis nicht befriedigend ist, insbesondere nicht, wenn wir beachten, daß wir uns ja jetzt anschicken, uns über die Frage einer Wiederbewaffnung einig zu werden. Da ist es eben ein unabdingbares psychologisches Erfordernis, daß nicht noch ehemalige deutsche Soldaten in Haftanstalten sitzen dürfen, während man auf der anderen Seite neuen deutschen Soldaten die Uniformen anziehen will.
Erlauben Sie mir noch ein kurzes Wort zu der Arbeit der Gemischten Kommissionen. Nach Teil I Art. 6 des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen sollte ein gemischter Ausschuß aus drei alliierten und drei deutschen Mitgliedern errichtet werden, der die Aufgabe hatte, Gnadenentscheidungen für Entlassungen von Kriegsverurteilten in Deutschland zu empfehlen. Einstimmige Entscheidungen sollten für die Gewahrsamsmächte bindend sein. Infolge der Verzögerung des Inkrafttretens dieser Bestimmungen wurden vor einem Jahr außervertragliche Gemischte Ausschüsse eingesetzt, die sich von den in dem ursprünglichen Vertrag vorgesehenen dadurch unterschieden, daß sie wie folgt zusammengesetzt waren. Sie waren zusammengesetzt aus deutschen Vertretern und Vertretern der jeweiligen Gewahrsamsmächte; also deutsch-amerikanische, deutschbritische, deutsch-französische Zusammensetzung. Ferner hatten die alliierten Vertreter, was vielfach in der Öffentlichkeit nicht bekannt ist, gegenüber den deutschen Vertretern die Stimmenmehrheit — drei zu zwei — und schließlich war auch bei einstimmiger Entschließung eines solchen Ausschusses die betreffende Gewahrsamsmacht nicht an diese Entschließung gebunden. Wie ich schon sagte, ist auf Grund der Tätigkeit dieser beratenden Gemischten Ausschüsse die Zahl der Gefangenen in Landsberg immerhin auf rund 100, in Wittlich und Werl auf je rund 40 zurückgegangen. Unter diesen Gefangenen befinden sich aber auch heute noch zahlreiche Soldaten oder Männer in einem militärähnlichen Verhältnis, die bei der Polizei, bei der Organisation Todt usw. waren, deren Verurteilung auf der Befolgung von Befehlen beruht. Der Prozentsatz dieser Fälle dürfte beispielsweise in Landsberg etwa noch 70 % betragen. Der Zweck dieser Interimsausschüsse lag, wie gesagt, darin, bis zu dem Zeitpunkt, zu dem deutsche Einheiten aufgestellt werden sollten, alle derartigen Fälle zu erledigen, d. h. die Gefangenen zu entlassen. Diese Aufgabe haben die Gemischten Ausschüsse offenbar nicht erfüllt.
Beim Inkrafttreten der Pariser Verträge tritt auch der vorhin erwähnte Art. 6 des Überleitungs-
vertrages in Kraft. Es wird also der dort vorgesehene Gemischte deutsch-alliierte Ausschuß gebildet. Die Gefangenen bleiben — und das ist in der Öffentlichkeit auch nicht bekannt — auch nach Inkrafttreten der Pariser Verträge, d. h. nach Wiederherstellung der deutschen Souveränität in alliierten Gefängnissen auf deutschem Boden. Das ergibt sich eindeutig aus Art. 6 Abs. 4, in dem sich die drei Westmächte hinsichtlich des Gewahrsams und der Vollstreckung der Strafen die Rechte vorbehalten, die sie bisher ausgeübt haben. Neben dem Vorbehalt für Gesamtdeutschland und dem Vorbehalt für Berlin gibt es daher einen der Öffentlichkeit sorgfältig verheimlichten dritten Vorbehalt, nämlich alliierte Gefängnisse mit deutschen Insassen auf deutschem Boden fortzuführen. Das ist meines Erachtens unerträglich. Dieser Zustand wird so lange fortbestehen, bis entweder alle Gefangenen entlassen sind oder die Bundesrepublik in der Lage ist, den Gewahrsam dieser Personen zu übernehmen, was sich ebenfalls aus Art. 6 Abs. 4 ergibt. Dazu wäre allerdings ein verfassungsänderndes Gesetz notwendig, da nach dem Grundgesetz deutsche Staatsangehörige nur auf Grund eines Urteils eines deutschen Gerichtes ihrer Freiheit beraubt werden können.
Gerade im Hinblick auf die hier auch schon besprochene Wehrfeindlichkeit der Jugend wäre an sich die einzige richtige Lösung die, daß bei Inkrafttreten der Pariser Verträge ein Gnadenerweis für sämtliche noch in Haft befindlichen Kriegsverurteilten ausgesprochen würde. Der Einwand, der von dieser und jener Seite sicherlich kommen wird, daß ein Teil der Gefangenen bzw. Verurteilten eines solchen Erweises nicht würdig sei, ist meines Erachtens wenig überzeugend. Denn kaum einer von ihnen — ich drücke mich vorsichtig aus — hat ein wirklich faires Gerichtsverfahren gehabt, auf Grund dessen es sich eindeutig feststellen ließe, ob er überhaupt schuldig ist und welche Strafe er verdient. Außerdem dürfen wir nicht vergessen, daß inzwischen immerhin zehn Jahre ins Land gegangen sind und die Betreffenden doch schon eine erhebliche Strafe haben verbüßen müssen. Meine Freunde von der DP und ich meinen daher, falls sich die Alliierten zu der politisch vernünftigen generellen Lösung nicht entschließen können, sollte von ihnen eine Zusicherung verlangt werden, daß bis zum Inkrafttreten der Pariser Verträge alle Soldaten und militärähnlichen Personen entlassen werden. Ich sagte schon: es ist schlechthin unzumutbar, von den Deutschen die Aufstellung neuer Truppen zu verlangen, wenn gleichzeitig die Soldaten des vergangenen Krieges auf Grund von Tatbeständen, die von der deutschen öffentlichen Meinung keineswegs in allen Fällen als strafwürdig akzeptiert werden, noch in Haft gehalten werden.
Die deutsch-alliierten beratenden Gemischten Ausschüsse wurden in der Vergangenheit vielfach Gnadenkommissionen genannt. Diese Bezeichnung traf nur insoweit zu, als sie tatsächlich in vielen Fällen haben Gnade walten lassen. Nach Auffassung meiner Freunde und nach meiner eigenen kommt es aber nicht darauf an, Gnade walten zu lassen, sondern es muß unter allen Umständen Recht walten; und dieses Recht ist nun einmal unteilbar. Für die deutsche Öffentlichkeit ist es einfach nicht zumutbar, _auf Grund dieser Tatbestände weiterhin anzuerkennen, daß hier zweierlei Recht gilt, nämlich das für Sieger und das für Besiegte. Es unterliegt doch keinem Zweifel, meine
sehr geehrten Damen und Herren, daß die Deutschen nach dem Kriege einem Sonderrecht unterworfen wurden. Ich darf Sie nur an den OradourProzeß erinnern, wo die elsässischen Verurteilten durch nachdrückliche elsässische Vorstellungen eine völlig andere Behandlung als die deutschen erfuhren, obwohl sie in gleicher Weise verurteilt worden waren. Aus diesem Tatbestand erhellt meines Erachtens außerdem, daß man über diese Dinge ruhig sprechen kann, wenn man glaubt, eine gute Sache zu vertreten.
Meine Damen und Herren, ich verkenne nicht die psychologischen Schwierigkeiten, in denen sich die Regierungen der betreffenden Gewahrsamsländer befinden. Aber ungeachtet dessen müssen wir nachdrücklich die Forderung erheben, daß die Deutschen aller Dienstgrade in die deutsche Verantwortlichkeit überstellt werden. Ich beziehe dabei bewußt alle diejenigen ein, die heute überhaupt noch in Haft gehalten werden, d. h. diejenigen, die sich auf ausländischem Boden, beispielsweise in Italien, wo auch noch zwei Gefangene sind, in Frankreich, Norwegen usw. befinden; außerdem beziehe ich selbstverständlich diejenigen Kriegsverurteilten ein, die sich auf deutschem Boden in alliierten Haftanstalten befinden. Und in gewissem Umfange möchte ich auch auf die von dem Kollegen Dr. Mende bereits angesprochenen Spandauer Verhältnisse aufmerksam machen. Ich glaube nicht, daß es ein Zeichen humanitärer Gesinnung der Sowjets war, als sie den früheren Außenminister Freiherr von Neurath entließen. Ich meine vielmehr, daß es ein taktischer Schachzug war, der gewisse Ressentiments jenseits der Westgrenze unseres Vaterlandes wecken sollte, um andere Dinge zu verhindern. Aber sei dem, wie dem sei! Wir sollten uns der hier schon ausgesprochenen Ansicht anschließen, daß es nun Sache der westlichen Alliierten ist, ihrerseits neue Vorschläge zu machen, um nicht den Sowjets den Vorrang bzw. den Anschein zu lassen, als seien sie die wahren Vertreter der Humanität.
Meine Damen und Herren, ich habe bereits gesagt und bekenne das noch einmal ausdrücklich: wir sind uns der Tatsache bewußt, daß sich unter den Verurteilten sicherlich dieser oder jener befindet, der sich gewisser Vergehen schuldig gemacht hat. Das hindert uns nicht, da nun einmal Schluß mit all diesen Dingen sein muß, die Förderung nach einer generellen Amnestie zu stellen. Eine solche Generalamnestie würde außerdem beinhalten, daß alle diejenigen, die sich nach 1945 an Deutschen vergriffen haben, für alle Zukunft ebenalls straffrei würden. Ich glaube, daß unter einem solchen Aspekt und bei dieser Gelegenheit, wo wir uns nun anschicken, zu einer wirklichen, politischen, militärischen, kulturellen und vor allen Dingen auch gesinnungsmäßigen Gemeinschaft in Europa zu kommen, der richtige Augenblick da ist, ein für allemal einen Schlußstrich zu ziehen.
Es ist für meine Freunde und mich und sicher auch für einen großen Teil der Öffentlichkeit unerträglich, daß sich noch deutsche Soldaten in alliierten Gefängnissen befinden. Es geht dabei nicht um die Einzelschicksale, meine Damen und Herren, sondern letzten Endes um das Anliegen unseres ganzen Volkes. Es geht dabei allerletzten Endes um die Dinge, die wir hier heute besprechen. Wir sind es unserer Selbstachtung schuldig, ohne daß ich damit einen vielleicht etwas abgegriffenen Ausdruck verwenden wollte — es gibt ja eigent-
lich überhaupt keinen Ausdruck mehr, der nicht abgegriffen ist, weil die vergangene Ara praktisch jeden Ausdruck mißbraucht hat —, daß wir für diese deutschen Menschen eintreten, daß wir, wenn wir gleichzeitig eine Generalamnestie fordern, auch dafür eintreten, daß sie in deutsche Verantwortlichkeit überstellt werden. Ich möchte dem beipflichten, was der Herr Kollege M e r t en von der SPD-Fraktion im Jahre 1952 in dieser Diskussion gesagt hat: Wir können es nicht dulden, daß diese Menschen auf dem Altar der Politik geopfert werden! — Vergessen wir also bitte nicht bei aller Größe der vor uns liegenden Probleme und bei aller Schwere der vor uns liegenden Gewissensentscheidungen, daß irgendwo am Rande auch noch Menschen sind, die nicht in diesem großen Strudel fortgerissen werden dürfen, sondern um deren Einzelschicksale — denn wenn wir den Menschen nicht mehr beachten, dann hat das Leben überhaupt keinen Sinn mehr — wir uns zu bekümmern verpflichtet sind.