Rede von
Dr.
Max
Becker
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Gegenüber stehen sich die These der SPD, wonach, wenn diese Verträge angenommen würden, die Frage der Wiedervereinigung nicht mehr gelöst werden könne. — Ich bringe es einmal auf einen kurzen Nenner. — Es könnte sein, daß, wenn nach Ratifikation der Verträge Verhandlungen begonnen werden, Moskau, das ja nun über unsere Diskussion, die wir törichterweise bei offenen Fenstern führen, völlig unterrichtet ist, diese Gründe gern akzeptiert und uns nun entgegenhält: Jawohl, nunmehr verweigere ich die Wiedervereinigung. — Dann könnte die SPD kommen und sagen: Seht ihr, wie recht ich gehabt habe.
Aber jetzt stelle ich einmal die Gegenfrage: Hat Moskau schon irgend einmal zugesagt, daß die Sowjetzone zurückgegeben wird, wenn wir diesé Verträge nicht unterschreiben? Ich habe noch nie etwas darüber gelesen.
Die zweite Frage, die ich zu stellen habe, ist folgende: Sind die Herren, wenn wir das Zusammengehen mit dem Westen durch Ablehnung dieser Verträge verweigern, sicher, daß wir trotzdem den Schutz des Westens noch haben, wenn wir dann allein in der Welt stehen?
Wenn diese beiden Fragen einwandfrei beantwortet werden könnten, ließe sich über diese Theorie der SPD diskutieren. Aber die Fragen lassen sich nicht beantworten. Sie können keinen Beweis für diese beiden Punkte bringen.
Umgekehrt sind die Tatsachen, die dafür sprechen, daß zu unterzeichnen sein würde, eindeutig. Zwei große Mächtegruppen stehen feindselig in der Welt gegenüber. Wer ist der Aggressor? Nach unserer Auffassung droht der Angriff zweifellos von der kommunistischen Seite, und zwar nenne ich Ihnen dafür vier Gründe.
Der erste Grund ist der, daß die kommunistische Welt von der kommunistischen Doktrin beherrscht wird, die ihrerseits totalitär ist, expansiv ist, keinen andern neben sich gelten läßt, weder im eigenen Land noch in den Ländern, die sie zu unterwerfen willens ist.
Der zweite Grund ist der, daß nach 1945 die ganze übrige Welt abgerüstet hat, daß aber Rußland nicht abgerüstet, sondern aufgerüstet hat.
Der dritte Grund ist der, daß von 1944 an Rußland seine Angriffsabsichten gegenüber Rumänien, Bulgarien, Albanien, Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei wahrgemacht und durchgeführt hat und daß es ohne Erfolg angegriffen hat in Nordgriechenland, in Berlin durch die Blockade und in Korea. Ich glaube, das sind Beweise genug.
Und der vierte Grund ist der, daß Rußland in allen Ländern des Westens in Gestalt der kommunistischen Parteien sich diejenigen Fünften Kolonnen hält, die die Kader schon bereitstehen haben für den Fall, daß das einzelne Land einem Angriff vom Osten preisgegeben ist, wenn es losgelöst vom Westen ohne Bündnisse, ohne Unterstützung allein in der Welt dasteht. Sie kennen auch den Ausspruch Lenins — einen Ausspruch, den man sich auch mal in Paris merken sollte —, der da sagt: „Für den Kommunismus geht der Weg von Moskau nach Paris. Aber er geht dahin über Peking und Kalkutta." Der Weg nach Peking ist schon zurückgelegt.
Wenn Sie sich diese Tatsachen mit den zwei unbeantworteten Fragen vergegenwärtigen und beides gegenüberstellen, dann ist für uns, die wir die Verantwortung zu tragen haben, meiner Ansicht nach die Entscheidung klar: wir akzeptieren die Pariser Verträge.
Wir haben dabei den Wunsch, daß die Kostenfrage entsprechend der Zusage des Herrn Bundeskanzlers im Ausschuß geklärt wird; denn irgendwie geklärt muß sie werden, und zwar — wenigstens global — ehe wir hier diesen Verträgen in letzter Lesung zustimmen.
Ich persönlich glaube nicht an einen dritten Weltkrieg unter der Voraussetzung, daß die angelsächsischen Divisionen, die Divisionen der USA und Englands, auf dem Kontinent stehenbleiben. Die Herren im Kreml sind etwas klüger, als Hitler war. Sie wissen genau, daß ein System wie das kommunistische, das nur auf Unterdrückung auch im eigenen Lande aufgebaut ist, bei einem Weltkrieg seine eigene Existenz aufs Spiel setzt. Aber diese Garantie für uns, daß die Divisionen der Angelsachsen auf dem Kontinent bleiben, ist nur dann gegeben, wenn wir uns an der Verteidigung des Kontinents beteiligen. Der Ausspruch des früheren Präsidenten Truman ist bekannt. Er hat gesagt: „Man kann es amerikanischen Müttern nicht zumuten, daß die deutschen Jungens mit der Zigarette im Mund hier zuschauen, wie die amerikanischen Jungen in Europa für Europas Sicherheit dastehen." Wir kommen mit der Tatsache, daß wir diese Verträge akzeptieren, diesem Wunsch der Amerikaner nach und sichern damit uns den Frieden.
Das ist das Entscheidende: der Friede muß bewahrt werden. In acht Tagen erklingen die Weihnachtsglocken und ertönt allen das Evangelium vom Frieden auf Erden, allen, die guten Willens sind, die Botschaft vom „Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen". Wir wollen heute und in diesen Wochen mit der Zustimmung zu diesen Verträgen einen erheblichen Beitrag dazu leisten, daß diese Botschaft, soweit es überhaupt in Menschenhänden liegt, Wahrheit werden kann. Wir wollen den Frieden sichern. Ich kann meinen Kollegen von der SPD-Fraktion nur versichern, daß die Deduktion, die ich Ihnen eben vorgetragen habe, nämlich daß Deutschland Divisionen stellen muß, damit die angelsächsischen Divisionen zu unserem Schutz hierbleiben, die gleiche Deduktion ist, die Herrn Guy Mollet, den Chef der sozialistischen Partei Frankreichs, veranlaßt hat, seinerseits dem zuzustimmen, daß Deutschland wieder bewaffnet wird.
Europa bleibt trotz aller Fehlschläge das Ziel, dem wir nachstreben müssen, freilich unter Berücksichtigung der realpolitischen Gegebenheiten. Seitdem England, das Vereinigte Königreich, an der Westeuropäischen Verteidigungsunion beteiligt ist, müssen wir auf die Stimmung und Stellung Englands zu den europäischen Einigungsbestrebungen Rücksicht nehmen. Es war mir interessant festzustellen, daß ein englischer Abgeordneter, Herr Fletcher-Cooke, in einem Bericht, den er zwischen London und Paris in diesem Herbst dem Europarat erstattete, ausdrücklich darlegte, daß die Sehnsucht der Europäer, schnell zu supranationalen Institutionen zu kommen, zurückgestellt werden müsse, nachdem England mit von der Partie sei.
Wir bleiben bei unseren europäischen Idealen, aber wir müssen realpolitisch handeln, und ich halte es für gut, in dieser Zeit nicht zu viel von supranationalen Institutionen zu sprechen und lieber der Entwicklung freien Raum zu geben; denn die Dinge sind oft mächtiger als Paragraphen und Absichten.
Wir haben noch einen anderen Vertrag vorliegen; es ist der Vertrag über die Wiederherstellung der deutschen Souveränität. Meine Damen und Herren, dieser Vertrag enthält, namentlich in seinem Oberleitungsabkommen, manches, was wir gern anders gesehen hätten. Vor zwei Jahren, im Mai 1952, war dieser Vertrag noch etwas, was vielleicht eine gewisse Begeisterung in Deutschland hätte erwecken können. Heute rührt's die deutsche Öffentlichkeit herzlich wenig. Es ist eine Sache, die trotz aller gegenteiligen Ausführungen, die heute morgen hier gemacht wurden, eigentlich überfällig ist, nachdem z. B. Japan vor zwei Jahren nicht nur seine Souveränität, sondern auch einen regelrechten Friedensvertrag erhalten hat. Wenn wir aber durch diesen Vertrag am Ende einer Periode sind, die als Besatzungsperiode gekennzeichnet ist, dann ist es vielleicht richtig, doch einmal einen Blick auf die vergangene Zeit zu werfen, und ich halte es für ein großes Verdienst einer großen illustrierten Zeitschrift in Deutschland, daß sie unter dem Titel „Es begann bei Null" einer schnellebigen und leicht vergessenden Gegenwart wieder in Erinnerung gerufen hat, was in allen Teilen und von allen Schichten des deutschen Volkes in den vergangenen Jahren seit 1945 für den Aufbau getan worden ist. Wenn wir in diesem Hause auf alles zurückschauen,
was seit 1949 gemeinsam geschehen ist, so glaube ich, daß wir es — ich will keine Einzelheiten aufzählen — doch mit Befriedigung tun können.
Aber eins muß ich dazu noch bemerken. Der Vertrag sieht vor, daß eine Notstandsklausel in unserer Verfassung eingeführt wird. Es ist die Ablösung dessen, was sich die Besatzungsmächte vor zwei Jahren in dem Vertrag von damals selbst vorbehalten hatten. Ich persönlich bin der Auffassung, daß man einem Staat, einer Regierung für Notfälle ein solches Recht nicht verweigern kann oder sollte. Doch legen wir nach den Erfahrungen der Vergangenheit Wert darauf, daß diese Rechte genau umschrieben, daß sie auch inhaltlich und zeitlich irgendwie begrenzt werden. Aber auch dann wird dem Staat damit eine solche Fülle von Macht in die Hand gelegt, daß wir uns fragen müssen, ob nun nicht andererseits irgendwelche Vorsichtsmaßregeln in unsere Verfassung mit eingebaut, und zwar gleichzeitig eingebaut werden müssen.
Wir haben die Stabilität der Regierung als Konsequenz des konstruktiven Mißtrauensvotums. Wir sind damit einverstanden, wir haben es befürwortet. Wir haben aber nun andererseits die Tatsache, daß im Parlamentarischen Rat entgegen unserem Wunsch, der auf einen Senat abzielte, ein Bundesrat geschaffen worden ist und daß in diesem Bundesrat jeweils nur ein Teil der Bevölkerung, nicht die gesamte Bevölkerung des betreffenden Landes vertreten ist. Kommt dann noch eine Entwicklung hinzu, die dahin führt, daß etwa die Regierungsbildung in den einzelnen Ländern und damit die Zusammensetzung des Bundesrates, sei es nach der einen oder anderen Seite, gleichförmig vor sich geht, d. h. also, daß jeweils immer nur ein ganz bestimmter Teil der Bevölkerung der betreffenden Länder im Bundesrat vertreten ist, dann wird die Sache außerordentlich gefährlich, wenn nun auch im Bundestag — ich spreche nicht von der heutigen Situation, sondern von jeder möglichen Situation, auch der Zukunft — durch irgendein Wahlrecht eine Konstellation herbeigeführt werden kann, bei der dann 'die ganze Machtfülle, die via Bundesrat und via Notstandsparagraph vorhanden ist, sich plötzlich in der Hand einer einzigen Partei befindet. Wir sehen eine Möglichkeit, dem vorzubeugen, nur darin, daß im Grundgesetz jetzt gleichzeitig die Bestimmung geschaffen wird, daß in einem Wahlgesetz für den Bundestag der Grundsatz bleiben muß, daß die Zahl der Mandate dem Umfang der jeweils abgegebenen Stimmen entsprechen muß. Nur dann ist gewährleistet, daß die Herrschaft einer Partei, gleichviel welcher, und damit die Machtfülle, die ich geschildert habe, in der Hand einer Partei vermieden wird.
Nun noch etwas über die Saar. Meine Damen und Herren, ich glaube, das, was eigentlich bei der Beratung aller Vorlagen vorhanden sein müßte, nämlich die Achtung der gegenseitigen Meinung, die Achtung davor, daß jeder hierbei seiner Gewissensentscheidung folgen muß und folgen wird, darf hierbei noch einmal in besonderem Maße hervorgehoben werden. Ich möchte jedenfalls namens meiner Freunde betonen, daß wir unsere Entscheidung, die ich Ihnen mitteilen werde, lediglich auf Grund unserer freien, gewissenhaften Prüfung abgeben. Wir konzedieren jedem anderen Teil dieses Hohen Hauses die 'gleiche Gewissenhaftigkeit. Ich habe namens meiner Fraktion ,auszusprechen, daß wir diesem Saarstatut nicht zustimmen werden. In der
Presse könnte die Frage auftauchen: Na, und die Koalition? Darauf eine kurze Antwort. Mit unserer Stellungnahme bleiben wir bei dem, was am 3. Juli 1953, acht Wochen vor den Septemberwahlen von 1953, nach dem ausgezeichneten Referat des Kollegen Dr. Kopf vom Bundestag einstimmig beschlossen worden ist. Wir weichen also nicht ab. Und wir haben im Herbst 1953 bei der Begründung dieser Koalition für den 2. Bundestag ausdrücklich schriftlich vereinbart, daß wir uns unsere Auffassung zur Saar, fußend auf den Beschlüssen des Bundestages von 1953, vorbehalten. Wir weichen also unsererseits von Koalitionsvereinbarungen nicht nur nicht ab, sondern wir halten sie.
Soviel zur Frage der Koalition.
Nun die Gründe für unser Nein zum Saarstatut. Worin besteht idas sogenannte Saarproblem? Wir haben uns um die Beantwortung dieser Frage redlich bemüht. Wir haben versucht, in Unterhandlungen auch mit französischen Abgeordneten zu erfahren, was eigentlich Frankreich an der Saar will und wünscht. Dabei sind wir zu folgendem Ergebnis gekommen. Die Saar mit ihrer Kohle, Lóthringen mit seinem Erz und das Elsaß mit seinen landwirtschaftlichen Produkten, die ihren Absatz an der Saar finden, waren von 1871 bis 1918 im gleichen Währungsgebiet, nämlich im Währungsgebiet der deutschen Mark. Von 1918 bis 1935 waren sie wiederum im gleichen Währungsgebiet, im Gebiet des französischen Franken. Daraus hat sich, wie von französischer Seite behauptet wird, eine Einspielung der Verhältnisse — lothringisches Erz, Kohle der Saar, Absatz der landwirtschaftlichen Produkte des Elsaß im Saargebiet — ergeben. Frankreich hat darüber hinaus — so ist uns erklärt worden — den Wunsch, die Saarkohle, die es für die lothringische Industrie braucht, in französischen Franken zu kaufen und nicht in Deutscher Mark zu bezahlen, um die eigene, negative Devisenbilanz nicht noch mehr zu belasten. Wir haben nähere Ausführungen darüber in dem Bericht, den der französische Abgeordnete Vendroux im Oktober 1953 als Berichterstatter der Saarkommission des französischen Parlaments erstattet hat und der in der Debatte des französischen Parlaments vom Oktober dieses Jahres von ihm bestätigt worden ist. Ich darf hinzufügen, daß der gleiche Herr Vendroux jetzt wiederum von der Saarkommission des französischen Parlaments zum Berichterstatter ernannt worden ist. Herr Vendroux hat im Bericht vom Oktober 1953 vier Punkte wirtschaftlicher Art angeführt, aus denen heraus die Saar, sagen wir einmal, den französischen Interessen dienstbar gemacht werden soll.
Erster Grund: Frankreich brauche die Saar, um das Gleichgewicht der industriellen Kräfte im Schoß der Montan-Union aufrechtzuerhalten. Mit dem Potential der Saar habe Frankreich 32 % und Deutschland nur 45 %, im anderen Fall Frankreich nur 24 % und Deutschland 53 % Beteiligung.
Zweiter Grund: Frankreich beziehe ein Drittel seiner Kohleneinfuhr und ein Sechstel seiner Kokseinfuhr aus dem Saargebiet.
Dritter Grund: Frankreich erhalte aus dem Saargebiet infolge der Währungs- und Wirtschaftsunion jetzt an Devisen jährlich mehr als 10 Milliarden fr., also rund 110 bis 120 Millionen DM.
Vierter Grund: Das Saargebiet bilde einen wichtigen Markt für die landwirtschaftlichen Produkte
Frankreichs, ebenso auch für andere, gewerbliche Produkte.
Punkt 1, in dem vorgetragen wird, daß das Potential der Saar idem französischen hinzugerechnet werden müsse, ist an Bedeutung sehr zurückgetreten, seitdem wir die Montan-Union haben.
Denn seitdem die Montan-Union besteht, ist die Frage, welches von den sechs Ländern mehr oder weniger Prozent Potential innerhalb seiner Grenzen hat, völlig gleichgültig,
nur in einem Punkt nicht, nämlich in dem Punkt Devisen, in dem die Montan-Union noch keine Gleichgewichtigkeit gebracht hat. Aber die Frage der Devisen, die die Saar Frankreich bringt, ist ja schon der dritte von den vier Punkten, die ich vorgelesen habe, so daß Punkt 1 und Punkt 4 hiernach praktisch identisch sind.
Nun frage ich mich: Wenn das die wirtschaftlichen Interessen Frankreichs sind, sollte es da nicht möglich sein, auf der Grundlage eines rein wirtschaftlichen Abkommens diesen Interessen, soweit sie 'begründet sind, Rechnung zu tragen, ohne daß das Land an der Saar und ohne daß die Leute an der Saar ihre Staatsangehörigkeit, ihre Zugehörigkeit zu Deutschland zu wechseln haben? Das ist doch die Frage!
In diesen Tagen wurde manchmal ein Rückblick auf die vergangenen Jahre gehalten. Ich habe dabei vermißt, daß der Name Stresemann genannt worden ist. Stresemannsche Politik wäre es gewesen, diesem Pfand, das sich Frankreich an der Saar ohne unseren Willen geschaffen hat, nun in irgendeiner Form, unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen Frankreichs und unter Berücksichtigung der Tatsache, daß wir auch in Zukunft gemeinsam arbeiten wollen, Rechnung zu tragen.
— Aber er hat die Ruhr freigekriegt.
— Jetzt von der Saar, wie damals von der Ruhr!
— Sehr gut, Herr Kollege Friedensburg, daß Sie davon sprechen. Es führt mich noch zu einem andern Gedankengang, der diesmal aber an die Adresse Frankreichs zu richten ist. Damals war vorgeschlagen, die Saar zurückzukaufen.
— Jawohl, dann sind wir einig. Es ist die alte Geschichte von den Sibyllinischen Büchern, die man sich in Paris merken sollte.
Wenn das aber das Problem ist, dann ist die Frage, wie dieses Problem nun in dem Saarstatut gelöst ist. Zunächst zu dem Vertrag einiges Äußere. Abschlußbercehtigt für diesen Vertrag ist, wenn mich mein Gedächtnis und meine Er-
innerung an das Grundgesetz nicht völlig täuscht, der Herr Bundespräsident. Wenn ich ebenfalls richtig unterrichtet bin, war zugesagt, daß zu einem so weitgehenden Abkommen ,die Zustimmung des Kabinetts vorher eingeholt werden sollte, genau so wie Herr Mendès-France während der Verhandlungen in Paris mit seinem Kabinett über diese Dinge beraten hat. Wie gesagt, das sind zunächst nur mehr formelle Fragen.
— Deshalb nenne ich sie ja.
Ferner ist die Frage aufzuwerfen: Ist die Bundesrepublik legitimiert, einen solchen Vertrag zu unterschreiben, oder nicht? Oder kann das nur von einem Gesamtdeutschland geschehen? Ich will die Frage nur andeuten, ich will mich nicht in das Gestrüpp staatsrechtlicher und völkerrechtlicher Theorien verlieren. Die Frage mag im Ausschuß geklärt werden, wo ja auch noch über manches andere zu sprechen sein wird.
Nun zum Inhalt des Vertrages. Die Entwicklung ging so vor sich — wir entnehmen das dem Bericht, den Herr van der Goes van Naters vorige Woche in Straßburg unterbreitet hat —, daß am 8. März dieses Jahres ein Kommuniqué veröffentlicht wurde, wonach beide Regierungen, die der Bundesrepublik und die Frankreichs, den van-derGoes-van-Naters-Plan als Grundlage der Verhandlungen angenommen hätten.
Hier darf ich einschalten, daß, als im Jahre 1952 der EVG-Vertrag abgeschlossen wurde, soweit ich unterrichtet bin, von dem Abschluß eines Saarvertrages keinerlei Rede war und der Abschluß des EVG-Vertrages wie auch des DeutschlandVertrages nicht ,daran gebunden war, daß gleichzeitig auch ein Saarabkommen geschlossen werden sollte. Erst im Laufe der Verhandlungen, als die EVG in Frankreich nicht vorwärtskam, tauchten ,die von dem Herrn Bundeskanzler vorhin mit Recht geschilderten Forderungen der einzelnen Ministerpräsidenten Frankreichs auf, diese Angelegenheit irgendwie gleichzeitig mit der EVG zu erledigen. Dann fanden im Mai dieses Jahres Verhandlungen in Straßburg statt, deren Niederschrift die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses dieses Parlaments meines Wissens nicht erhalten haben, die wir aber als Dokument des Europarates in Gestalt des Abdrucks eines Artikels der „Monde" erhalten haben. Es war mir interessant, aus diesem Abdruck festzustellen, daß ein Satz aus diesem Artikel der „Monde" sich wörtlich in Art. XII des Saarstatuts, dem Artikel über die wirtschaftlichen Fragen, wiederfindet und dort eine Verschlechterung gegenüber dem darstellt, was im Februar dieses Jahres durch die Generalkommission des Europarates hinsichtlich der deutsch-saarländischen Beziehungen schon besser geschaffen worden war. Denn dort war gesagt worden, daß relations correspondantes, d. h. genau entsprechende Beziehungen wie zwischen Frankreich und der Saar, auch zwischen der Saar und Deutschland geschaffen werden sollen. In dem Artikel der „Monde" ist aber nur relations semblables, d. h. ähnlichen Beziehungen, die Rede. Diese weniger präzise Formulierung ist in den Art. XII des Saarvertrages aufgenommen worden.
Das Saarstatut hat in seinem Inhalt sehr, sehr viele Stücke des Naters-Plans übernommen. Was es nicht übernommen hat, ist eine Garantie dahin, daß auch im Friedensvertrag diese Regelung so
bleiben solle. Daß diese Bestimmung gefallen ist, das ist das Plus gegenüber dem Naters-Plan.
Ferner wird gesagt, ein weiteres Plus dieses Saarstatuts sei, daß nunmehr die staatsbürgerliche Freiheit an der Saar geschaffen sei. Dazu möchte ich auf folgendes hinweisen. Alle umliegenden Länder Westeuropas haben demokratische Freiheiten, staatsbürgerliche Rechte, wie sie im Buch stehen. Glaubt man wirklich, daß für alle Zeit dieses Ländchen da, dieses Saargebiet als ein Fleck auf der Landkarte hätte bleiben können, in dem die staatsbürgerlichen Freiheiten nicht zu gewähren wären? Ich habe zufällig einen Artikel aus dem „Figaro" vom Jahre 1952 bekommen, d. h. aus der Zeit etwa zehn Tage vor den damaligen Wahlen im Saargebiet. Der Artikelschreiber schließt mit den Sätzen:
Frankreich ist das Land, welches zuerst feierlich die Deklaration der Menschenrechte und der Bürgerrechte von sich gegeben hat. Wenn Frankreich dieses vergißt, leugnet es sich selber. Man kann nicht von diesem Prestige, was diese Charta der Menschenrechte und Bürgerrechte gegeben hat, noch weiter Nutzen ziehen, wenn man diese Charta verletzt, um irgendwo kleine Profite zu suchen.
So der „Figaro". Ich bin überzeugt, daß wir, nur um diese Freiheiten zu schaffen — Freiheiten, die sich schon aus der Mitgliedschaft der Saar im Europarat an sich ergeben hätten —, nicht eine Unterschrift hätten geben sollen und meiner Ansicht nach auch nicht hätten geben dürfen, die das, was an der Saar geschehen ist, nun legalisiert.
Denn sehen Sie: diese Legalisierung ist das, worauf es der anderen Seite ankommt.
Der Franzose liebt Klarheit, liebt klare Verträge und liebt Unterschriften unter diese Verträge und legt sie dann auch klar aus — so aus, wie es dem Wortlaut entspricht.
Ich habe hier von dieser Stelle schon einmal eine historische Erinnerung zum besten gegeben an einen Vertrag, den auch einmal deutsche Fürsten, die nicht legitimiert waren, für das Deutsche Reich zu sprechen, nämlich die Evangelischen Stände von Hessen, Sachsen und Württemberg, mit dem französischen König in einem Jagdschloß Hessens abgeschlossen haben, das zufällig in meinem Heimatkreis liegt. Damals, im Jahre 1552, wurden auch „unter Vorbehalt Dero Kaiserlicher Majestät zustehender Rechte", und wie die Floskeln alle heißen, Metz, Toul und Verdun abgetreten — abgetreten von denen, die nicht berechtigt waren, darüber zu verfügen. Ich will hier keine Parallelen zum heutigen Saarstatut ziehen als nur die eine, daß die Unterschrift das ist, was wiegt. Solange die Unterschrift nicht gegeben ist, besteht eine Revisionsmöglichkeit. Ist unterschrieben, dann taucht die große Frage auf, die dankenswerterweise vom Herrn Bundeskanzler zur Grundlage neuer Verhandlungen und Erörterungen gemacht ist, nämlich die Frage: wer hat recht — provisorisch oder definitiv?
Die Freiheiten, von denen die Rede war, sind meiner Ansicht nach sehr dürftig. Innerhalb dreier Monate soll eine Abstimmung stattfinden. Worüber? Darüber, ob die Bevölkerung an der Saar
mit dem Vertrag einverstanden ist oder nicht. Die deutsche Öffentlichkeit meint, die Saarbevölkerung habe das Recht, zu bestimmen, ob sie zu Deutschland zurück wolle oder was sie sonst wolle. Die deutsche Öffentlichkeit ist im Irrtum,
und das muß mal laut und deutlich gesagt werden.
Die deutsche Öffentlichkeit muß wissen, daß die Saarbevölkerung — die deutsche Bevölkerung — zu dem Statut, wie es hier abgeschlossen ist, praktisch nur ja oder nein sagen kann.
— Ich will keine Vergleiche ziehen; denn ich habe gesagt, daß ich nicht polemisch werden will.
Ich bin der Meinung, daß es sich hier nicht um eine Abstimmung, sondern um einen Abstimmungstrick handelt,
einen Abstimmungstrick, der folgende Konsequenzen hat. Wie Sie wissen, ist die Bevölkerung infolge der Zollunion, der Währungsunion und der Wirtschaftsunion in weitem Maße von den zur Zeit dort herrschenden Gewalten, auch den wirtschaftlichen Gewalten, wirtschaftlich abhängig. Die Parteien, die jetzt Freiheit bekommen, bekommen für drei Monate Freiheit und haben dann die Möglichkeit, innerhalb dieser drei Monate ihre Auffassung zum Durchbruch zu bringen. Welche Auffassung? Nein zu sagen? Ja zu sagen? Bei der wirtschaftlichen Abhängigkeit, die dort besteht? Nein zu sagen, wenn hier etwa schon die deutsche Regierung und der Bundestag ja gesagt haben sollten?
Kann man da von der Saarbevölkerung verlangen, daß sie sich zu einem Nein aufrafft, zu dem andere sich nicht aufgerafft haben?
Können die Parteien dort überhaupt mit so vielen materiellen Hilfsmitteln rechnen, daß sie diese Arbeit in drei Monaten aufnehmen können? Ich sage nein; denn in dem Vertrag steht ausdrücklich, daß von außen her — das heißt: vom französischen Mutterland, vom deutschen Mutterland — keine Hilfe gebracht werden darf. Aber die Hilfe, die die frankophilen Parteien brauchen, bekommen sie ja von denen, die schon an der Saar selbst sitzen.
Denn ich weiß nicht, ob der deutschen Öffentlichkeit auch bekannt ist, daß alle deutschen Banken und alle deutschen Versicherungen von der Saar haben weichen müssen und daß es dort nur französische Banken und französische Versicherungen gibt, daß mit anderen Worten also auch der ganze gewerbliche Mittelstand und die Industrie praktisch von der Kreditpolitik dieser Banken abhängig sind.
— Sehr gut der Zwischenruf! Sie sagen: Das wird
kommen. Hoffen wir, daß es kommt! Der Briefwechsel darüber lautet: Die französische Regierung sichert zu, daß die französischen Instanzen prüfen werden, ob deutsche Banken im Saargebiet künftig zugelassen werden oder nicht.
Ich setze noch hinzu: in einem zweiten Brief, in dem von den Versicherungsunternehmen die Rede ist, heißt es, man werde auf die saarländischen Behörden einwirken in dem Sinne, daß diese prüfen sollen, ob deutsche Versicherungen wieder zugelassen werden.
Man unterscheidet also saarländische Institutionen für die Versicherungen, französische Institutionen für den Kreditverkehr. Ich frage: ist es der Sinn dieses Statuts, daß bei der Aufrechterhaltung der Währungs- und Wirtschaftsunion französische Institutionen als Aufsichtsorgane oder Zulassungsorgane für den Bankenverkehr dort auch in der Zukunft bestehen werden? Ich danke Ihnen für den Zwischenruf!
Wir könnten noch manches sagen. Ich möchte auch manches, was hier vorhin in der Diskussion angeklungen ist, gerade aus nationalen Gründen in den Ausschuß verschoben wissen.
Noch einige Gedanken zum Schluß. Dieser Vertrag wird von französischer Seite in irgendeiner Form mit den Pariser Verträgen gekoppelt, mit denen dem Bedürfnis Europas nach Sicherheit Rechnung getragen werden soll. Ich sagte schon, daß wir diese Verträge bejahen. Aber ich bejahe nicht das Junktim zwischen den beiden.
Für die Beantwortung der Frage, ob die Sicherheit Europas gefährdet ist oder nicht, ist es völlig gleichgültig, ob die deutsch-französische Grenze im Osten oder im Westen der Saar verläuft.
Man kann nicht sagen, daß die Sicherheit Europas dann gefährdet ist, wenn die Grenze an der alten Stelle verläuft. Infolgedessen ist eine sachliche Verbindung beider Verträge in keiner Weise gerechtfertigt.
— Jawohl, und dagegen muß man sich zur Wehr setzen. Aber über diesen Punkt — das sagte ich vorhin schon, verehrter Herr Kollege Pünder — wollen wir lieber im Ausschuß sprechen. Ich würde meinerseits eine öffentliche Diskussion nicht scheuen; aber ich halte es für richtiger, sie im Ausschuß zu führen.
Nun zu dem Vorwurf: Nationalismus! Seit wann ist es nationalistisch, wenn ein Volk sich dagegen wehrt, daß ein Stück seines Landes, ein Teil seines Volkes abgetrennt wird?
Und dann „europäisch"! Ich bin weiß Gott ein Anhänger der europäischen Idee und ich habe viel dafür gearbeitet. Aber gerade deshalb wehre ich mich dagegen, daß der Begriff der Europäisierung hier als Aushängeschild benutzt wird für etwas, was mit Europa gar nichts zu tun hat.
Da liegen sie nun auf diesem blutgetränkten Schlachtfeld zusammen, Freund und Feind, friedlich, aber tot. Mir schwebt vor eine Zusammenarbeit der beiden Völker ungetrennt durch einen derartigen Zankapfel, wie ihn die Saar darstellt, in einer Form, die sofort oder baldigst diese Frage löst, sie aber nicht auf Jahre hinaus verschiebt und auf Jahre hinaus eine neue Quelle von Streitigkeiten bildet. Mir schwebt vor eine Lösung, die dann ein Zusammenarbeiten der jungen Menschen französischen Volkes und deutschen Volkes für alle Zukunft sicherstellt, im Genuß der Kulturen beider Länder, eine Zusammenarbeit, die durch nichts, auch nicht durch Erörterungen, wie sie leider über dieses Statut nötig geworden sind, gestört werden könnte.
Das schwebt mir als Endergebnis vor, und das möchte ich meinerseits als Appell an das französische Volk richten: Wir sind bereit, die Saarfrage in jeder Form anständig, unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen, zu lösen. Wenn die angelsächsischen Staaten, wenn das Vereinigte Königreich, wenn die Vereinigten Staaten 1947 in Moskau Frankreich die Zusicherung gegeben haben, daß sie die Interessen Frankreichs an der Saar mit wahrnehmen werden, dann kann ich mir nur vorstellen, daß sie die wirtschaftlichen Interessen Frankreichs so verstehen, wie sie der Berichterstatter der französischen Kammer, Herr Vendroux, in dem Bericht, dessen Inhalt ich Ihnen wiedergegeben habe, auch gesehen hat. Dann würde der Weg frei sein zu einer endgültigen Lösung, und dann kommt auch die Zeit, wo die jungen Menschen lebend vereint miteinander arbeiten können und wo keine Scheinwerfer mehr nachts
suchend ihre Strahlen über europäische Schlachtfelder zu senden brauchen.