Rede von
Dr.
Walter
Rinke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Meine Damen und Herren! Dieser Status quo wird nun beseitigt
und durch eine Zwischenlösung ersetzt, deren Vorläufigkeit im Abkommen selbst wiederholt hervorgehoben wird. Ich erinnere nur an den viermaligen Hinweis auf den kommenden Friedensvertrag, der erst das Definitivum bringen soll, sowie auf das der Saarbevölkerung zugestandene Referendum im Anschluß an den Friedensvertrag. Aber auch in der generellen Pariser Erklärung der USA, Großbritanniens und Frankreichs sowie in dem durch das Pariser Abkommen aufrechterhaltenen Art. 7 Abs. 1 des Bonner Vertrages wird klar und unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß die endgültige Festsetzung der deutschen Grenzen nur durch den Friedensvertrag erfolgen könne. Diese allgemeine Bestimmung gilt selbstverständlich auch für die Saar. Infolge der jetzt in Paris vereinbarten Übergangsregelung, die das fait accompli an der Saar beendet, kann nun von östlicher Seite, Herr Dr. Kather, wie es wiederholt geschehen ist, nicht mehr eingewendet werden, daß ja die „Weltfriedensgrenze" der Sowjets dadurch untermauert wird, daß im Westen etwas Ähnliches geschehen ist. Natürlich wäre auch uns Ostvertriebenen — das gebe ich Ihnen gern zu — eine optimale Lösung des Saarproblems, eine Lösung, die der deutschen Rechtsauffassung sofort Rechnung getragen hätte, weit sympathischer gewesen als dieser Zwischenzustand. Aber Recht und Politik sind bekanntlich immer zwei Paar Schuhe. Ein besiegtes Volk sollte sich hüten, kraftmeierisch nach dem Rezept „Alles oder nichts" zu verfahren,
sondern lieber Schritt für Schritt vorgehen und auch den Weg des Kompromisses nicht scheuen. Das ist nun einmal in unserer Lage die einzig mögliche Methode, um vorwärtszukommen und keine Rückschläge zu erleiden. Das Saarabkommen wird von uns trotz seiner Unvollkommenheiten im Zusammenhang mit den übrigen Verträgen als ein Schritt vorwärts betrachtet, ich gebe zu: nur ein Schritt, aber immerhin ein Schritt.
Man stelle sich vor, daß die Sowjetunion sich eines Tages damit einverstanden erklären würde, die jetzige polnische Verwaltung Ostdeutschlands als ein Provisorium zu betrachten, wie es die Westmächte tun, und daß dann alle diejenigen, die bis 1945 in Ostdeutschland beheimatet waren, zu einer unbeeinflußten Volksabstimmung über das Schicksal ihrer Heimat aufgerufen würden. Wer würde wohl so töricht sein, einen derartigen Vorschlag abzulehnen, weil nicht sofort alle Blütenträume reifen? Eine derartige ablehnende Haltung wäre, so wie die Dinge nun einmal liegen, unverständlich. Politik ist halt immer noch — das ist heute schon mehrfach gesagt worden — die Kunst des Möglichen und nicht die Kunst der großen Worte und Parolen.
Manche wollen in der zweiten Volksabstimmung — die erste ist auch meines Erachtens von sekundärer Bedeutung — ein sehr gefährliches Risiko erblicken. Meine Freunde und ich teilen diese Auffassung in keiner Weise. Erinnern Sie sich nur einmal an die Volksabstimmung in Oberschlesien, die nach dem ersten Weltkrieg stattfand. Dort wurde unter allerschwierigsten Bedingungen ein großer deutscher Abstimmungssieg errungen, trotz der wirtschaftlichen Notlage Deutschlands und trotz der zum Teil zweisprachigen Bevölkerung. Im Saargebiet liegen die Verhältnisse ganz anders. Vor allem gibt es dort eine rein deutschsprachige Bevölkerung, Herr Dr. Kather, die schon wiederholt bewiesen hat, daß sie deutsch denkt, deutsch fühlt und deutsch ist. Wir sollten daher alle etwas mehr Zutrauen haben zu uns, zu der kommenden souveränen Bundesrepublik und zu der Saarbevölkerung und das Risiko der Volksabstimmung, die vereinbarungsgemäß ohne irgendwelche Beschränkungen stattfinden muß, nicht pessimistisch beurteilen. Hier ist wirklich kein Grund vorhanden, verzagt zu sein.
Ich darf in diesem Zusammenhang einen Passus zitieren, der in der „Stuttgarter Zeitung" vom 6. November zu lesen war — ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten —:
Wir wären froh, wenn wir über die Zukunft der Zone ein Abkommen hätten wie das SaarStatut. Ganz zu schweigen von den polnisch verwalteten Ostgebieten! Streng genommen müßte man ja diese Ostgebiete, und nicht die Zone, mit dem Saargebiet vergleichen. Aber dieser Vergleich wäre fast kein Vergleich mehr, so sehr fiele er zugunsten des Saar-Statuts aus.
— Nun, ich gebe zu, Herr Dr. Kather, die „Stuttgarter Zeitung" hat hier etwas sehr stark auf die Tube gedrückt, aber etwas Wahres liegt schon in diesen Worten.
Man wird nicht bestreiten können — und die Mehrzahl der Vertriebenen bestreitet es nicht —, daß durch das Saarabkommen nicht nur kein Präjudiz hinsichtlich der künftigen deutschen Ostgrenze geschaffen wird, sondern daß im Gegenteil der präjudizierende Status quo an der Saar beseitigt wird. Ich möchte meinen, daß gerade diese Einstellung der Vertriebenen für alle objektiv Denkenden geeignet ist, die Bedenken hinsichtlich einer präjudizierenden Wirkung zu zerstreuen. Denn die Ostdeutschen, deren oberstes und vornehmstes Ziel die Wiedergewinnung der von den Polen und Sowjets annektierten Heimat ist, würden sich um keinen Preis der Welt, weder durch Zuckerbrot noch durch die Peitsche, mit einem Saarabkommen abfinden, das die Rückgliederung der deutschen Ostgebiete in die deutsche Verwaltung behindern oder gefährden würde. Selbst wenn der Herr Bundeskanzler mit den Augen rollte oder den Bannfluch über uns spräche, könnte uns das nicht veranlassen, etwas zu tun, was wir vor unserem Gewissen, von unseren Landsleuten und vor unserer Heimat nicht verantworten könnten.
Ich bitte Sie, dies bei Ihren Überlegungen zu würdigen und vor allem nicht zu übersehen, daß die Ostdeutschen an der Rückgewinnung des deutschen Ostens, unserer Heimat, an der wir unbeirrbar festhalten und die für uns ein sakraler Begriff ist, naturgemäß von allen Deutschen am stärksten interessiert sind. Wir würden uns daher auch am heftigsten und uneingeschränktesten gegen eine Präjudizierung der künftigen deutschen Ostgrenze zur Wehr setzen, ganz gleich, wer uns diese Vorschläge unterbreitet. Das Saarabkommen von Paris bietet jedoch für einen derartigen Protest keine Veranlassung.