Rede von
Hasso
von
Manteuffel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht zu dem Ob des vor uns liegenden Entwurfs des Gesetzes betreffend den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag zu sprechen — das hat mein Parteifreund Dehler getan —, sondern ich habe diese beiden Verträge in militärpolitischer und militärtechnischer Sicht zu erläutern. Ich möchte mich kurz fassen, alldieweil Herr Kollege Rasner sehr eingehend, vor allem auch über das Wie gesprochen hat, dem wir im ganzen zustimmen, und die Zeit schon vorgeschritten ist. Aber wir haben in Verbindung mit diesem Vertragswerk noch einige Wünsche, und deshalb darf ich folgendes voranstellen.
Bei der Analyse der Frage, ob ein solcher deutscher militärischer Beitrag notwendig ist oder nicht, kann doch einfach nicht vergessen werden, daß jenseits des Eisernen Vorhangs eine regelrechte Armee zumindest im Entstehen begriffen ist.
Einzelheiten brauche ich nicht zu sagen, weil Sie darüber bestens informiert sind. Meinerseits möchte ich, der ich schon seit Jahren einer besonderen Hetze jenseits des Eisernen Vorhangs ausgesetzt bin, doch sagen: es ist eine faustdicke Heuchelei, wenn sich die Sowjets und ihre Handlanger in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands über die angebliche Wiedergeburt des deutschen Militarismus in der Bundesrepublik entrüsten. Ihre eigene Zone i s t doch schon seit Jahren remilitarisiert, und zwar nicht nur in Gestalt der nunmehr im Entstehen begriffenen regelrechten militärischen Streitkräfte, die mit Panzern, Sturmgeschützen, Sturmbooten, Flugzeugen, mit Artillerie mittleren und schweren Kalibers usw. usw. ausgerüstet sind, sondern auch in Form einer halb- und vormilitärischen Ausbildung der Jugend, und zwar beiderlei Geschlechts und der verschiedensten Altersklassen, und zusätzlich der militärischen Ausbildung und Vervollkommnung der Werktätigen innerhalb der Betriebe, dies allerdings unter dem Deckmantel eines sogenannten Werkschutzes.
Das sind doch Tatsachen, die sich weder ignorieren noch wegdiskutieren oder wegdisputieren lassen,
die andererseits erklären, weshalb der Kreml in jeder Note immer wieder den Abzug der Besatzungstruppen vorschlagen kann und auch vorgeschlagen hat. Auch der letzte sowjetische Plan ist nach der Auffassung meiner politischen Freunde und nach meiner persönlichen Auffassung nicht so sehr eine Antwort auf die Pariser Vereinbarungen als eine ständige Fortentwicklung der sowjetischen Politik, mit der der freie Westen eben rechnen muß, gleichgültig ob die Bundesrepublik wiederbewaffnet wird oder nicht. In diesem Sinne unterstreiche ich alles das, was mein Parteifreund Dehler hierüber gesagt hat.
Wenn im übrigen in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands und in den Ostblockländern ganz allgemein soviel von den angeblichen Aggressionsgelüsten westdeutscher Militaristen gesprochen wird, so muß es einmal erlaubt sein, auch auf die aggressiven Tendenzen hinzuweisen, die in der Propaganda für die „Aktionseinheit", wie es drüben genannt wird, enthalten sind. Wenn also seitens des Kremls immer wieder auf den Abzug der Besatzungstruppen hingewiesen wird mit der Betonung, der Abzug dieser Truppen würde günstige Voraussetzungen für die Annäherung zwischen Ost- und Westdeutschland und damit für die Wiedervereinigung schaffen, so käme es doch wesentlich auf die Methoden an, mit denen sich die von Herrn Ulbricht angestrebte „Aktionseinheit", wie er es nennt, durchzusetzen versucht. Selbst wenn man dem sowjetischen Vorschlag entsprechend das Stärkeverhältnis der Polizeikräfte in West- und Ostdeutschland auch nur annähernd aufeinander abstimmte — die genauen Zahlen von drüben werden wir ja niemals erfahren —, könnten doch immerhin bürgerkriegsähnliche Zustände entstehen. Es läßt sich nicht unschwer voraussehen, daß sich alsdann diejenige Besatzungsmacht, deren Schützlinge am Unterliegen wären, entschließen könnte, erneut in die deutsche Zone einzumarschieren. Erst wenn diese sowjetische Deutschlandpolitik durch ein Abrücken von allen solchen an bürgerkriegsähnliche Zustände anklingenden Parolen der SED deutlich macht, daß es ihr ernstlich und wahrhaft daran gelegen ist, die einzelnen Phasen einer deutschen Wiedervereinigung nicht durch tumultuöse Zwischenfälle stören zu lassen, dann kann sich unsere Beurteilung ändern. Es genügt eben nicht, was auch gestern in der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers zum Ausdruck gekommen ist, wenn von seiten des Kremls nur die Bereitschaft etwa angedeutet wird. Worte genügen nicht; wir wollen endlich Taten sehen.
In diesem Sinne, glauben wir, können die deutschen Divisionen mithelfen, einen möglichen Angreifer davon zu überzeugen, daß sich ein Angriff auf das Staatsgebiet der Bundesrepublik nicht mehr lohnt, wobei ich hervorheben möchte, daß auch für uns die Pariser Verträge und damit die militärische Aufrüstung der Bundesrepublik keinen Selbstzweck darstellen; denn das letzte Ziel kann und darf nach meiner persönlichen Überzeugung und der meiner politischen Freunde nicht die militärische Stärke sein. Alle westlichen Verteidigungsanstrengungen bilden bekanntlich nur einen Teil eines kontinuierlichen Vorganges und nur ein Mittel zum Zweck. Dieser Vorgang ist das ständige Bemühen, ein Gleichgewicht der Kräfte mit den kommunistischen Mächten herzustellen. Im übrigen ist es eine der bleibenden Lehren der Geschichte, daß jedes Volk verloren ist, das nicht mehr für seine Freiheit kämpft.
Wir begrüßen es daher, daß in der Westeuropäischen Union die automatische Beistandspflicht übernommen worden ist. Es erscheint uns völlig selbstverständlich, daß wir neben diesem Recht auch die Verpflichtung übernehmen müssen, die uns aus der Verbundenheit mit den anderen Vertragspartnern gemäß der Vorschrift des Art. V der vorgesehen en Beistandsverpflichtung erwächst.
Steht also für uns der bewaffnete Friede obenan, so müssen wir aber an idle Vertragspartner eine Frage richten, die nach der Auffassung meiner politischen Freunde und nach meiner Auffassung das zentrale Problem des deutschen militärischen Beitrages und der damit verbundenen ganz außerordentlichen Opfer betrifft, die das deutsche Volk zweifellos zu tragen haben wird. Das ist die Frage, ob und inwieweit durch den deutschen Beitrag der deutsche Raum und damit die darin wohnenden deutschen Menschen ausreichend geschützt sind, wenn es trotz aller Bemühungen um die Erhaltung des Friedens, von denen wir gestern gehört haben, nun doch zu einem heißen Krieg kommt, weil eben Deutschland im Hinblick auf seine Lage zwischen Ost und West zum Operationsgebiet wird. Vielleicht wird manchen der Damen und Herren die Frage schon heute zu stellen zu früh erscheinen. Ich bin aber der Auffassung, daß sich jede weitsichtige und ihrer Verantwortung bewußte politische und militärische Führung vorbeugend auf Maßnahmen einstellen muß, die die Beantwortung dieser Frage beinhaltet und die unsere deutschen Lebensinteressen fundamental berühren; denn wir wollen j a auch im Falle eines möglichen Angriffs überleben. Deshalb genügt nach unserer Auffassung die Begründung, die für die politische Funktion der deutschen Streitkräfte gegeben ist, allein nicht, und die Problematik in ihren Auswirkungen sollte meines Erachtens schon einmal aufgezeigt werden. Sie steht mit der Zustimmung zum deutschen Beitrag durchaus in ursächlichem Zusammen-
hang. Das heißt, unser Beitritt zur Atlantischen Gemeinschaft bedeutet — das muß ohne weiteres zugegeben werden — für uns nun einmal mehr als etwa nur eine strategische Hilfe mit zwölf Divisionen für den Westen oder für die NATO. Sie schließt das Verlangen nach Schutz des deutschen Raumes und der darin wohnenden deutschen Menschen zugleich ein.
Natürlich werden uns die militärischen Befehlshaber nicht sagen können — nicht nur, weil sie es nicht sagen dürfen, sondern aus anderen Gründen —, wie die Verteidigung des deutschen Raumes gedacht ist. Sie können uns ihre strategische Konzeption nicht ansagen; das verlangt doch wohl auch kein Mensch in diesem Hause. Aber auf diese Planung und die Durchführung der Verteidigung haben wir künftig auch Einfluß, wie das eben der Herr Kollege Rasner ausführlich geschildert hat, da wir nunmehr gleichberechtigt in allen Gremien vertreten sind, die über Einsatz und Verwendung deutscher Truppen zu verfügen haben werden, mit Ausnahme allerdings vorläufig noch der Standing Group, also des Ständigen Ausschusses. Es sei daran erinnert, daß im übrigen die Befehlshaber ihre Weisungen von den Politikern erhalten — auch dies erkenne ich restlos und bedingungslos an; nicht nur innerhalb der deutschen Streitkräfte, wie es der Kollege Rasner eben ausgeführt hat —, also in diesem Fall vom Ministerrat der Westeuropäischen Union bzw. vom Rat der Nordatlantikpakt-Organisation, in der wir ja gleichberechtigt vertreten sind. An sie wenden wir uns durch die Bundesregierung, indem wir die Bundesregierung bitten, zu prüfen, ob und inwieweit sich die bisherigen strategischen Pläne nach Einbeziehung der deutschen Streitkräfte umgestalten lassen mit dem Ziel, die politische Garantie zu erhalten, daß wir an unserer östlichen Grenze verteidigt werden.
Die Erfüllung dieser unserer Bitte — eine vielleicht für manche Damen und Herren etwas weitgehende Forderung, und vielleicht sieht es auch der Herr Bundeskanzler so an — ist nicht nur aus psychologischen Gründen — aber das ist für mich das Vordringliche — notwendig, sondern als Folge dieses Krieges und in Anbetracht der Grenzlage als Anrainer mit einem möglichen Angriff auf einen der Vertragspartner oder Teile des ganzen Vertrages. Deshalb müssen wir, wenn wir uns für die Wiederbewaffnung entscheiden, alles daransetzen, die Verteidigung am Eisernen Vorhang wirksam werden zu lassen.
Bei der Überlegung und Beantwortung dieser Frage sollten wir auch dazu kommen, unser Wehrsystem zu überdenken mit dem Bestreben, bei geringstem personellem und materiellem Aufwand den größten militärischen Nutzeffekt in Richtung auf dieses Ziel zu erreichen. Dies wiederum läßt uns die Frage prüfen, ob wir eventuell von dem Recht des Art. 1 Abs. 3 im Protokoll Nr. II Gebrauch machen wollen, der da heißt:
Die Festlegung dieser Höchststärken verpflichtet keinen der Hohen Vertragschließenden Teile, Streitkräfte dieser Stärke aufzustellen ... , beläßt ihnen aber das Recht, dies zu tun, wenn es erforderlich ist.
Innerhalb der Bundesrepublik sind die Anstrengungen der Bundesregierung, die Bundesrepublik
in das System auch der militärischen Verteidigung einzugliedern, in der Vergangenheit bekämpft worden, weil die Bundesrepublik nicht in den Gremien vertreten war, die über Einsatz und Verwendung der Truppe — das ist für uns das Entscheidende — zu verfügen hatten. Wir begrüßen es daher, daß dieser ausgesprochene Mißstand nunmehr behoben worden ist. Es ist den Bemühungen des Herrn Bundeskanzlers gelungen, Verständnis und Einsicht bei allen Vertragspartnern dafür zu erhalten, daß sie alle über die vertrauensvolle Partnerschaft in Gleichberechtigung in die Mitverantwortung für die Verteidigung der freien Welt hineinwachsen, die zu tragen wir uns ja ausdrücklich bereit erklärt haben.
In diesem Sinne auch haben meine Freunde und ich die freiwilligen Selbstbeschränkungen militärischer Art gutgeheißen, ,die durchaus den geographischen, den wirtschaftlichen und strategischen Besonderheiten unserer Lage Rechnung tragen. Auch in bezug auf die ABC-Waffen sehen wir keine Diffamierung der Bundesrepublik, wenn die noch zu erwartenden Begriffsbestimmungen gleichfalls im Geist des Abkommens die zivile Forschung und Produktion nicht behindern. Die Aufgabenverteilung, die sich hieraus zwangsläufig ergibt, ist nicht nur aus Gründen der Kostspieligkeit des gesamten Militärapparats — ich darf es mal so bezeichnen — zweckmäßig, sondern ist zugleich eine europäische Arbeits- und Aufgabenteilung und damit zugleich auch ein Beitrag zur weiteren wirtschaftlichen Integration Europas. Ich glaube sogar, auch so weit darf man folgen, wenn ich sage: der Verzicht auf eine maximale Rüstungsanstrengung, d. h. auf eine höhere Rüstungsstärke, als sie unserer strategischen Lage gemäß wäre, und die Einwilligung in sehr einschneidende Rüstungsbeschränkungen bilden jedenfalls nach Auffassung meiner politischen Freunde und auch nach meiner Auffassung durchaus geeignete Ansatzpunkte für Sicherheitsabsprachen zwischen West und Ost zu gegebener Zeit.
Wir wünschen bezüglich der weiteren Verhandlungen, die am 17. Januar in Paris beginnen sollen, daß die Rüstungsgemeinschaft international bleibt und nicht supranational; denn damit ist sie abhängig von den Entscheidungen der Regierungen, und wir haben darauf dann einen Einfluß. Das ist gut so und sollte so bleiben, weil auch wir meinen — damit befinden wir uns mit jeder Dame und mit jedem Herrn in diesem Hause in Übereinstimmung —, daß die Wiederaufrüstung ohne wirtschaftliche Störungen, ohne Einschränkung der für die soziale Marktwirtschaft gültigen Verfahrensregeln sowie ohne Abstriche von dem insgesamt erreichten Lebensstandard, d. h. im Einklang mit der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungskraft der Bundesrepublik oder, darf ich so sagen, schrittweise und sehr behutsam erfolgen sollte.
Wir erwarten, daß das Protokoll Nr. IV und die Entschließung über Rüstungsproduktion und -standardisierung gehandhabt wird. wie es in Art. 11 des Protokolls Nr. IV heißt — der Ausdruck kommt dort wörtlich in der deutschen Übersetzung vor —, im Geiste harmonischer Zusammenarbeit". Hierzu sind bekanntlich noch Festsetzungen innerhalb der Westeuropäischen Union zu erwarten, weil die Experten der vertragschließenden Parteien am 17. Januar in Paris zusammentreten. Wir haben die Bitte an die Bundesregierung, den deutschen Unterhändlern Weisungen zu erteilen, daß in die quasi
Durchführungsbestimmungen nicht diffamierende Vorschriften aufgenommen werden; denn unsere endgültige Zustimmung werden wir hiervon abhängig machen müssen.
Diese meine Bemerkung bezieht sich auf die Rüstungsagentur und zum anderen auf die Ausstattung des deutschen Kontingents mit Waffen, Ausrüstung usw. Der Art. 1 Abs. 2 des Protokolls Nr. II sagt:
Die Anzahl der genannten Verbände kann, um den Bedürfnissen von NATO zu entsprechen, soweit dies erforderlich ist, auf den neuesten Stand gebracht werden.
Wir verstehen darunter, daß man den Umfang und die Aufgabe voll in Rechnung stellt, denen wir uns hier als Deutsche in unserer besonders gefährdeten Lage gegenübersehen. Wir sind der Auffassung, daß eine eingehende fachliche Prüfung vor der Anschaffung von Waffen, Gerät und Ausrüstung im Ausland dringend erforderlich ist und daß eine Entscheidung darüber, welche Waffen usw. beschafft werden, nicht allein im Amt Blank gefällt werden kann. Der Bundestag sollte und muß nach meiner Auffassung Wert darauf legen, vor irgendwelchen Abmachungen unterrichtet zu werden; denn letzten Endes ist die Frage, was mit unserem Geld an Waffen, Ausrüstung usw. gekauft wird, eine wirtschaftliche Frage.
Die Frage ist deshalb von großer Bedeutung — ich brauche nur einen Satz darauf zu verschwenden —, weil dabei folgendes zu berücksichtigen ist: Stellt sich nämlich heraus, daß die Erstausstattung der Truppe veraltet ist — und man hat manchmal den Eindruck, daß man uns da vielleicht aus einer alten Mottenkiste ein paar alte Roller andrehen will —,
dann müssen wir bald wieder neue Anschaffungen machen, die erneut Milliarden erfordern. Das will die Bundesregierung vermeiden, und das müssen auch wir vermeiden.
— Nein, die haben die anderen auch nicht; die laufen alle vorwärts, aber diese Roller sind vielleicht noch nicht dem neuesten Stand angepaßt. Aber natürlich müssen sie alle einen Rückwärtsgang haben. — Der Deutsche Bundestag hat ein Anrecht darauf, zu erfahren, was gekauft wird, und hat ein Anrecht darauf, diese Ausstattung kennenzulernen.
Wir bitten die Bundesregierung ferner bezüglich des Protokolls III über die Rüstungskontrolle, sich jedem Versuch zu widersetzen, hier etwa politische Wünsche einzubauen, die weder dem Wortlaut der Bestimmungen des Vertrages, ich wiederhole: dem Geist harmonischer Zusammenarbeit, noch aber auch dem Geist des ganzen Vertragswerks entsprechen würden, die aber — und das scheint mir das Schlimmste zu sein — in der Auswirkung die Wirksamkeit der NATO beeinträchtigen würden. Hierbei sollte man in Rechnung stellen, daß wir uns mit dem Verzicht auf eine höhere Rüstungsstärke und der Einwilligung in einschneidende Rüstungsbeschränkungen aus freien Stücken einverstanden erklärt haben.
Aber man hört gerade in den letzten Tagen von jenseits unserer Grenze wieder von weitergehenden Kontrollen, und dies beinhaltet, wie gesagt, ein sehr zentrales Problem, und zwar das der Rüstungsagentur, das über den Standort der künftigen europäischen Rüstungsgebiete in strategisch exponierten Gebieten entscheiden soll. Es kann, jedenfalls nach unserer Auffassung, nicht in Frage kommen, daß die vorgeschlagene Rüstungsagentur das Problem der Rüstungskontrolle jetzt etwa auf eine andere Ebene verschiebt und daß hierzu auf bestimmte Mittel und Verfahren des alten EVG-Vertrags zurückgegriffen wird. Neue Rüstungsstätten und Kapazitätserweiterungen sollen nämlich an die Genehmigung der Rüstungsagentur gebunden sein. Derartige Bestimmungen würden sich dann in allererster Linie und nahezu ausschließlich gegen den deutschen Rüstungsaufbau richten, da die anderen Länder bekanntlich über ihre planmäßig in zehn Jahren aufgebauten großen Rüstungskapazitäten verfügen, sie also von der Genehmigungspflicht entbunden wären. Diese Rüstungsagentur soll sogar die Auslandshilfe und die Off-shore-Aufträge in ihre Kontrolle mit einbeziehen und in die Verteilung eingreifen. Es wäre bei der Schwere der Aufgabe, die wir zu leisten haben, kaum zu verantworten, wenn wir uns etwa zum Nachteil der künftigen Streitkräfte vor Abschluß jeder Vereinbarung freiwillig in diese einseitige Abhängigkeit begäben. Auch in dieser Richtung sollte man den Bundestag unterrichten, und wenn das vor dem Plenum nicht möglich ist, haben wir die Bitte, den betreffenden Ausschuß darüber zu unterrichten.
Wir bitten die Bundesregierung ferner, dafür Sorge tragen zu wollen, daß unsere wissenschaftliche Forschung und Entwicklung in Gang gesetzt wird und Deutschland in dieser Beziehung nicht durch politische Forderungen beim Rüstungsamt oder bei der Rüstungsagentur eingeengt wird.
Denn Deutschland muß auf alle Fälle darauf bestehen, daß ihm in dieser Hinsicht über die gemachten durchaus freiwilligen Zugeständnisse hinaus keine neuen Beschränkungen auferlegt werden. Wenn nämlich Deutschland seine Wehrkraft zur Verteidigung des Westens beisteuern soll, ist zu bedenken, daß heute die technische Rüstung und Kampfmittel aller Art mehr denn je ein integrierender Bestandteil der Wehrkraft sind. Ich sage eigentlich immer, daß diese Wehrkraft dadurch überhaupt erst atmet: Diese technische Rüstung bestimmt wesentlich die Wirksamkeit und den Kampfwert der Streitkräfte. Seit dem ersten Weltkrieg und im besonderen nach dem zweiten Weltkrieg besteht im Frieden und im Krieg ein stiller Wettlauf aller souveränen Staaten um waffentechnische Fortschritte, und wer sich da ausschließt, wird hoffnungslos überrundet. Während der Einsatz an Kampfmitteln und Produktionskräften im Kriegspotential der Staaten eine natürliche Grenze findet, liegen in der Entwicklung und Weiterentwicklung der Waffen immerhin gewisse Steigerungsmöglichkeiten auch innerhalb der Höchststärke und der von uns angenommenen freiwilligen Beschränkungen. Die Kraftquelle hierfür bilden die geistige Kapazität und die ingeniöse Fähigkeit der Forscher, Ingenieure und Techniker. Deutschland verfügt über bedeutende Kapazitäten dieser Art. Soweit sie in Deutschland leben, haben sie seit zehn Jahren brachgelegen. Andere sind mit sehr verschiedenem Nutzeffekt im Aus-
land verstreut tätig, und nur weniges von ihrer Leistung wird Deutschland unmittelbar zugute kommen. Allein die Verantwortung gegenüber den kämpfenden Streitkräften, behaupte ich, und die Pflicht, ihnen die besten, die wirksamsten Waffen zu geben, die zur Zeit bei Ausschöpfung aller Möglichkeiten innerhalb der Begrenzung, der wir uns unterworfen haben, beigebracht werden können, zwingen dazu, auch in Deutschland die Möglichkeiten auszunutzen. Denn die östlichen Staaten sind dem Westen zu Lande — das ist unbestritten — und auch in der Luft teilweise zahlenmäßig überlegen. In der Qualität der Bewaffnung sind sie nach meiner Auffassung hoch einzuschätzende Gegner, und es wird größter Anstrengung bedürfen, ihnen Gleichartiges oder sogar Besseres auf dem Waffensektor entgegenzusetzen.
Lassen Sie mich, vielleicht als einen, der davon auch etwas versteht, folgendes sagen. Den integrierten Nachschub, von dem gestern auch der Herr Bundeskanzler gesprochen hat, halten wir im großen Rahmen für sehr, sehr zweckmäßig, da die Verbände der NATO und damit auch die deutschen Streitkräfte eben durch diese „Infra-Struktur" atmen. Die Abhängigkeit von diesem Nachschub ergibt sich aus dem gemeinsamen Wollen auch auf militärischem Gebiet. Darin ist in keiner Weise eine Diffamierung Deutschlands zu sehen. Es ist begründet in der militärisch außerordentlich schweren Lage, in der sich die Bundesrepublik im Falle eines Angriffs befindet, daß wir dankbar die Regelung des Art. 5 des Protokolls Nr. II über die Streitkräfte der Westeuropäischen Union begrüßen, der da besagt, daß Stärke und Bewaffnung der Streitkräfte für die bodenständige Verteidigung und der Polizeikräfte unter Berücksichtigung der 1 eigentlichen Aufgaben innerhalb der Organisation der Westeuropäischen Union festgelegt werden. Keiner der Vertragspartner, der sich einen Begriff von der außerordentlichen Schwere der Aufgabe machen kann und machen will, wird sich, so hoffe ich, unseren berechtigten Wünschen in dieser Richtung verschließen.
Die Frage heute hier anzuschneiden, erscheint mir nur deshalb von einiger Bedeutung, weil, wenn es nach Prüfung aller Umstände vom Bundestag, d. h. von Ihnen, anerkannt werden sollte, die Möglichkeit gegeben ist, vielleicht einen höheren Prozentsatz der Wehrausgaben für die Vorbereitungen, sage ich ausdrücklich, der bodenständigen Verteidigung einzusetzen. Denn es erscheint mir als ein Unding, daß der Herr Bundesinnenminister sich heute noch mit sehr bescheidenen Mitteln begnügen muß — von Auskommen ist gar keine Rede —, um auch nur über die kleinsten und ersten Anfänge in dieser Richtung hinauszukommen.
Erlauben Sie mir eine persönliche Bemerkung. Es ist eine ganz böse Unterstellung, weil es unwahrhaftig und eine ganz gemeine Lüge ist, wenn man mir nachsagt, ich wollte mit der Aufstellung von bodenständigen Heimatkräften bei den oder neben den Streitkräften etwa eine zweite Armee aufstellen und ,diese dann etwa in Form einer Miliz als Verteidigungskräfte ausheben. Wer mich kennt, wird mir das glauben. Bei den anderen Damen und Herren bitte ich um dieses Vertrauen. Ich bin aber auch in diesem Falle der Auffassung, daß eine weitsichtige und sich ihrer Verantwortung bewußte politische Führung — und wir dürfen uns freuen, eine solche zu haben — sich vorbeugend hierauf einstellen und sich hierüber ihre Gedanken machen
muß. In England und Amerika ist unter großen personellen und materiellen Opfern die Aufstellung solcher bodenständiger Verteidigungskräfte vorbereitet bzw. durchgeführt worden, obwohl diese Länder, wie bekannt, doch nicht annähernd so gefährdet sind wie das Gebiet der Bundesrepublik. Ich meine, die Realitäten zwingen einfach die Bundesrepublik — unabhängig davon, ob eine solche Frage auch in der Vorbereitung für die Öffentlichkeit populär oder unpopulär ist —, sich damit zu befassen und sie vorbeugend in dieser oder in jener Form in Angriff zu nehmen.
Für diesen Zweck können nämlich im Hinblick auf die Knappheit regulärer Streitkräfte diese gar nicht oder nur in sehr begrenztem Umfang eingesetzt werden.
Wenn man diesem Gedankengang folgen will, sind bei 'den Vorbereitungen in dieser Hinsicht nicht nur die Geldmittel von Bedeutung, die man dann entsprechend einteilen müßte und die ja bisher ausschließlich für die Streitkräfte vorgesehen sind. Diesen Eindruck habe ich nach dem, was ich im Sicherheitsausschuß höre, und noch viel mehr aus dem, was ich in der Presse lese, was da vorgesehen ist. Hier spielt ja auch unser Wehrsystem eine wesentliche Rolle. Deshalb muß die Frage heute von dieser verantwortlichen Stelle angeschnitten werden; denn es kann nicht damit abgetan werden, daß das nicht in Frage kommt. Wir sind dem deutschen Volke auch dafür verantwortlich, daß der deutsche Verteidigungsbeitrag, der unter so großen Opfern vom gesamten deutschen Volk erbracht wird, auch in der militärisch wirksamsten Form erfolgt
und durch eine Wehrverfassung die Gewähr gegeben wird, daß Fehlentwicklungen ausgeschaltet werden. Wir — die Freie Demokratische Partei — sind bereit, wie bisher hieran tatkräftig mitzuarbeiten.
Erlauben Sie mir noch ein Wort, ehe ich zum Schluß komme. Ich möchte gerne noch unsere Freunde im Inland und im Ausland versuchen zu überzeugen und, wo immer sich heute noch Mißtrauen gegenüber dem deutschen Militarismus aufbäumt, insofern vielleicht zu beruhigen: Nach den vorliegenden Verträgen wird es keine deutsche Nationalarmee — wie mein Kollege Herr Rasner sagte — klassischer Prägung oder früherer Zeit geben. Das Kennzeichen jeder Nationalarmee war doch u. a., daß die strategischen Pläne ebenso geheim waren wie alle Vorbereitungen organisatorischer Art, Bewaffnung, Ausrüstung, die Entwicklung neuer Kampfmittel usw. Ja, sie blieben oft sogar den Verbündeten jenseits der Grenzen gegenüber geheim.
Derartige Nationalarmeen in der Auffassung des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben nach meiner Auffassung ihre Gültigkeit völlig verloren. Sie sind im europäischen Denken überfällig geworden — glücklicherweise — und außerdem militärisch völlig wirkungslos; denn ein nationales Kontingent dieser Art ist allein nicht mehr lebensfähig.
Nach dem uns vorliegenden Vertragswerk werden doch nun die strategischen Vorhaben und Pläne wie alle militärisch-politischen Planungen
entsprechend der gemeinsam beschlossenen Außenpolitik in Durchführung dieser Außenpolitik der vertragschließenden Parteien von dem gemeinsamen Oberkommando bearbeitet, und die Pläne usw. sind selbstredend allen Vertragspartnern zugänglich. Das trifft ebenso — wenn wir den Wortlaut richtig verstehen — auf die Rüstung und Entwicklung dieser Koalitionsarmee zu, die nicht nur gemeinsam erfolgen, sondern sogar koordiniert werden, weil sich dies einfach aus der Gemeinsamkeit des militärischen Wollens ergibt. Es findet seine starke Stütze in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit der europäischen Völkergemeinschaft, die ja doch schon glücklicherweise über ihre ersten Ansätze hinausgekommen ist.
Das Gespenst also, das gesehen wird, und die Befürchtung, daß die militärische Führung eine eigenständige Politik treiben könnte — wie das nach dem ersten Weltkrieg allerdings der Fall war; wir alle haben es noch in frischer Erinnerung —, sind unwahr. Der Bundestag hat es ja in der Hand, dem entgegenzutreten.
Ich schneide diese Frage heute deshalb an — nur kurz, meine Damen und Herren —, weil es mir dringend erforderlich erscheint, daß wir die Bundesregierung bitten, uns nicht mehr mit den vielerlei Erörterungen über das Wie der Streitkräfte zu füttern, sondern dem Bundestag nunmehr bald zu sagen, wie der oft genannte Personalausschuß für die Auswahl der militärischen Führer wirksam werden soll.
Diese Frage hängt ursächlich damit zusammen — und mein Kollege Rasner hat es auch schon deutlich gemacht; ich darf es noch unterstreichen —, wie die parlamentarische Kontrolle über diese Streitkräfte erfolgen soll,
um eben zu erreichen, daß diese Militärmacht nicht wieder ein Staat im Staate, sondern ein Ordnungselement im Staate wird,
und um ebenso zu erreichen, daß die Gesetze, die dann der Deutsche Bundestag — nämlich Sie hier — für diese Streitkräfte geschaffen hat, auch tatsächlich durchgeführt werden. Ich meine, die allerletzten Ereignisse sollten doch auch die letzten im Inland und im Ausland bekehrt haben, die immer noch glauben, eine flotte Marschmusik könnte die Jugend veranlassen, in die Kaserne zu eilen.
Nun erlauben Sie mir nur noch ein Wort. Verehrter Herr Kollege Ollenhauer, ich habe gestern, als Sie von den „idiotischen Methoden" sprachen, einen kleinen Schüttelfrost bekommen; aber ich konnte mich beruhigen, weil ich glaube, daß Sie vielleicht vergessen haben, eine kleine Einschränkung in dieser Beziehung zu machen. Zweifellos ist die Anwendung solcher idiotischer Methoden vorgekommen. Aber da Kollege Ollenhauer keine Einschränkung machte, darf ich dazu doch folgendes mal sagen, um mich als ehemaliger Berufssoldat jedenfalls nur etwas zu wehren. In keiner der Armeen des letzten Krieges, behaupte ich, war der Abstand von Offizier und Mann so gering wie in der deutschen Armee.
Die Exklusivität der Offiziere der Roten Armee war — und ist erst recht heute — um ein Vielfaches ausgeprägter als in der vielgelästerten deutschen Armee. Die Verbundenheit von Offizier und Mann war überhaupt eine der Ursachen für die Kraft zum Durchhalten selbst zu einem Zeitpunkt, zu dem eingroßer Teil der Offiziere, Unteroffiziere und Männer innerlich die Sache schon für verloren ansahen, soweit sie glaubten, die Lage übersehen zu können. Ich meine, wir sollten doch geistig so weit gekommen sein, um uns gegenseitig nicht mehr vorzuflunkern, die Widerstandskraft der deutschen Soldaten im letzten Kriege sei nur dadurch zu erklären, daß hinter jedem Gefreiten ein Gestapo-Beamter als Aufpasser gestanden hätte.
Gerade diese — ich glaube, den Ausdruck habe ich richtig verstanden — „idiotischen Methoden" auszuschalten ist unser aller Bemühen, und auch ich und meine politischen Freunde werden uns dieser Aufgabe unter gar keinen Umständen versagen.
Wir sind allerdings der Auffassung, daß die Lösung der Frage des Personalausschusses und der parlamentarischen Kontrolle nicht aus dem Geist der arithmetischen Berechnung oder etwa nach einem Rechenexempel nach dem Muster des seligen Herrn d'Hondt erfolgen sollte. Selbstredend wird hierüber erst zu beschließen sein, wenn und sobald die politischen Voraussetzungen geschaffen sein werden.
Die Arbeitsweise des Bundestagsausschusses für Sicherheit läßt aber einige Zweifel aufkommen, ob diese Fragen ohne Übereilung und ohne Überstürzung vorausschauend bearbeitet werden, wobei es nach meiner Auffassung jedoch darauf ankommt, daß sich in offener Aussprache und freimütiger Diskussion das Beste und Zweckmäßigste herausschält. Ich persönlich — ich spreche jetzt hier im Augenblick nicht für meine Fraktion, sondern als Mitglied des Ausschusses — habe keinen Zweifel an dem guten Willen derjenigen, die im Auftrage der Bundesregierung mit dem Ausschuß hierüber diskutieren wollen und es tun. Doch kann ich mich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, daß Kräfte am Werke sind, die den Ausschuß vor Beschlüsse in dieser Richtung stellen wollen, die noch nicht herangereift sind. Wir haben dies anläßlich der Interpretation des Grundgesetzes über die Wehrhoheit Ende Februar erlebt. So steht noch heute beispielsweise die Frage des Oberbefehls auf der Tagesordnung des Ausschusses — schon seit dem 1. März! —, und es ist überhaupt nicht einzusehen, weshalb man hierüber nicht diskutiert.
Man muß es jetzt aber tun. Denn die zuletzt angeschnittene Frage berührt auch die Frage des Notstandsrechtes, das nach dem vorliegenden Vertragswerk in das Grundgesetz eingebaut werden und einen Verzicht der Besatzungsmächte auf ihre jetzigen Notstandsbefugnisse ermöglichen soll. Dies ist eine Frage von allerhöchster politischer Bedeutung — das ist bei allen Rednern vor mir auch angeklungen —, die nach Auffassung meiner politischen Freunde eine Neuregelung des Notstandsrechtes durch eine Änderung des Grundgesetzes erforderlich macht. Wir sind auch in diesem Falle nicht der Auffassung, daß man diese Frage den Eventualitäten einer Notwehrsituation überlassen sollte. Einzelheiten führen heute zu weit. Aber ich darf darauf hinweisen, daß innerhalb dieses gesamten Fragenkomplexes die Frage des Bundesver-
teidigungsrates ebenso zur Diskussion ansteht wie die Frage, die mein Kollege Rasner angeschnitten hat, nämlich die Frage der Spitzengliederung des Amtes Blank, wenn und sobald es mal Verteidigungsministerium wird.
Die letzten Ereignisse in der Bundesrepublik, die ich in ihrem Tatbestand nicht überschätze, sollten uns aber doch Lehre sein, die Lösung dieser Fragen nicht zu unterschätzen, die ein Anliegen des gesamten deutschen Volkes in seiner ganzen Breite sind. Sie sind deshalb außerhalb jeder Parteipolitik zu lösen und haben nur nach staatspolitischen Gesichtspunkten die eigenen Verteidigungsanstrengungen wirksam zu gestalten. Diese Probleme müssen — und ich glaube, davon sind alle überzeugt — von Regierung und Opposition gemeinsam gelöst werden. Wir werden das in jedem Fall unterstützen. Ich bitte aber zu bedenken, daß sich die Erörterungen nicht auf Teilausschnitte beschränken sollten, womit man bisher den Bundestagsausschuß beschäftigen zu können glaubte, vielmehr ist der gesamte Fragenkomplex zu überdenken, der ja doch voller Problematik steckt, aber für jeden Deutschen echte Grundsatzentscheidungen beinhaltet. Denn die Reform des Wehrwesens und die gesamte Wehrverfassung sind nach unserer Auffassung eine Frage unserer demokratischen Mitverantwortung, ebenso eine Frage unserer staatsbürgerlichen Disziplin und nicht zuletzt eine Frage der Wahrhaftigkeit unseres Freiheitswillens, des Willens zu einer Freiheit, wie wir sie westlich verstanden wissen wollen und wie wir sie westlich entwickelt haben und deren wir uns in der Rechtsstaatlichkeit hier erfreuen dürfen.
— Das „Rühren" paßt hier nicht; da müßte man
dann schon statt „Rühren" sagen: „Weitermachen".
Einzelheiten erübrigen sich auch heute; aber der Hinweis ist am Ende notwendig, daß uns die Vergangenheit Lehre und Warnung zugleich sein sollte, die gesamten angeschnittenen Fragen, innenpolitischen Fragen, wie Herr Rasner sagte und wie es ja auch ist, etwa schleppend zu behandeln. Denn wir müssen uns als Politiker ja fragen: Was kommt danach? Wir müssen die Fragen, ohne daß ich das heute wirklich vertiefen will, diskutieren. Ich sage nur: diskutieren, weil ja heute und morgen noch keine Beschlüsse gefaßt werden sollen. Aber diese Diskussion ist notwendig, weil sonst, glauben wir, die Gefahr akuter innerpolitischer Konflikte gegeben ist, die meines Erachtens bei gutem Willen auf allen Seiten überwunden werden kann. Die loyale Zusammenarbeit im Bundestagsausschuß zwischen den Koalitionsparteien und der Opposition wird jedenfalls die Gewähr hierfür geben. Die Vorbehalte, die gegen eine Diskussion der verschiedensten Probleme gemacht, also dagegen erhoben werden, daß diese Probleme jetzt schon erörtert werden müßten, erscheinen mir zwar verständlich, aber ich bin der Meinung, daß wir uns bald klarwerden müssen, wie wir uns zu entscheiden haben, wenn die Verträge einmal ratifiziert sind. Derartige Diskussionen, zunächst einmal in dem betreffenden Bundestagsausschuß, der Ihnen doch der verpflichtende Berichterstatter sein wird, wenn man es so nennen darf, werden nach meiner Auffassung auch keinen Fahrplan stören, der ein Nebeneinander der Vorbereitungen auf eine Viermächtekonferenz beispielsweise und der gesamten
parlamentarischen Behandlung der Gesetzentwürfe beinhaltet, die die innerdeutsche Grundlage für dieses Gesetzgebungswerk bilden sollen.
Ich glaube zum Schluß sagen zu dürfen, meine Damen und Herren, daß nach meiner Ansicht und der meiner politischen Freunde die kommende europäische Koalitionsarmee zu einem Instrument eines starken Friedens werden kann. Das scheint mir die richtige und auf die heutige Zeit und Wirklichkeit übertragene Deutung ihres Auftrages zu sein. Wir halten es jedenfalls bei der Mentalität des Kremls, der immer danach fragt: Wieviel Divisionen hat der Verhandlungspartner eigentlich, mit dem man spricht?, für ausgesprochen schlecht für Deutschland, wenn es als waffenloser Pazifist am Konferenztisch erscheint.
Was die Jugend betrifft, die nun fragt, ob es wert ist, dies zu verteidigen, erinnere ich an ein Wort, das der so früh verstorbene Hans Böckler gesagt hat: „Nur ein lebenswertes Leben ist wert, verteidigt zu werden." Kein Zweifel, daß vielleicht noch einiges in dieser Richtung zu tun ist, um unser Leben lebenswerter zu machen!
Jedenfalls uns, meinen politischen Freunden, ist dieses Leben sehr lebenswert, und wert verteidigt zu werden.
Es hat keinen Wert, die Augen von der Wirklichkeit zu verschließen. Der Verzicht auf eine Mithilfe und Mitarbeit an der Wehrverfassung bedeutet in der Praxis doch nichts anderes als Beihilfe an einer Entwicklung und in einer Richtung, die wir alle in diesem Hause nicht wünschen, die keiner von uns haben will.
Ein Wort zu Herrn Professor Ba ad e. Das politische Rowdytum in Gestalt von Gruppen, die aus Chemnitz und Gera kamen und eine Versammlung von mir sprengten, kenne ich. Aber ich habe bereits in vielen Versammlungen mit der Jugend diskutiert. Gestern wurde von Herrn Baade ein — soll man sagen: ernsthafter — Vorschlag gemacht, Regierung und Opposition sollten sich bereit finden, die Jugend darüber abstimmen zu lassen, ob sie zum Wehrdienst gehen will. Meine Damen und Herren, ich kann das nicht recht verstehen. Demokratie heißt doch nicht, daß jede Gruppe, die sich irgendwie, z. B. in diesem Fall durch den Jahrgang, definieren läßt, selbst bestimmt, was sie zu tun hat. Denn was jeder einzelne und was jede Gruppe zu tun haben wird, regelt das Gesetz, und die Demokratie ihrerseits regelt, wie das Gesetz gültig zustande kommt. In keinem Land der Welt — ich sage nicht: der freien Welt, weil ich gar keinen Zweifel habe, daß in dem unfreien Osten überhaupt nicht gefragt wird, daß man mit ihnen wahrscheinlich noch nicht einmal diskutiert —
befragt man die Zwanzigjährigen, ob und wann, vielleicht allerdings, wo sie ihren Wehrdienst zu leisten zu haben wünschen, sondern überall, wo nicht derartige Unterbrechungen eingetreten sind, wie wir sie in Deutschland nach dem ersten und zweiten Weltkrieg hatten, genügt ein Jahrgang nach dem anderen regelmäßig seiner Wehrpflicht. Vielleicht kann man . es der Jugend deutlich machen, wie es mir mal jemand in Bayern sagte: Es ist doch nicht möglich, an einem Ort die Feuerwehr deshalb abzuschaffen oder nicht zu erstellen,
weil es im Ort seit zehn Jahren nicht gebrannt hat und man sich damit begnügen will, die Feuerwehr aus dem Nachbarort zu leihen. Meine Damen und Herren, ich habe nicht den Eindruck, daß uns die Sowjets diese Feuerwehr borgen werden, wenn es bei uns brennt.