Rede von
Fritz
Erler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem die Wiege kühler Norddeutscher auch am Rheinesstrand stehen kann, kann ja wohl ein gebürtiger Berliner zur Abwechslung mal als temperamentvoller Schwabe auftreten.
Mein Freund Ollenhauer hat gestern zu den allgemeinen Prinzipien, die uns bei der Beurteilung der Vertragswerke leiten, Stellung genommen. Ich möchte mich heute darauf beschränken, auf einige Punkte einzugehen, die in der Diskussion angeschnitten worden sind. Da möchte ich gleich, weil das eine ganz gute Einleitung in das Thema hinein abgibt, den Satz zitieren, mit dem Kollege Rasner schloß. Er berief sich auf Theodor Storm und sagte: „Kein Mensch gedeihet ohne Vaterland." Gestatten Sie, daß ich ihm mit Ernst Moritz Arndt so eindringlich wie möglich zurufe: Das ganze Deutschland muß es sein!
— Es ist erfreulich, daß wir auch einmal einig sind; das kommt au c h vor.
Meine Damen und Herren, wir gehen bei der Beurteilung dieser Dinge, wenn wir sie hier und im Lande draußen mitunter etwas zu populär darstellen, leider gelegentlich von ein paar falschen Gleichungen aus. Vor diesen falschen Gleichungen möchte ich warnen.
Schon früher, bei der Diskussion um den EVG-Vertrag — aber auch jetzt klingt das alles wieder durch —, hat es z. B. geheißen, es handele sich um die Integration Deutschlands in Europa und damit in die freie Welt. Da haben Sie in einem einzigen Satz drei falsche Gleichungen. Die Bundesrepublik ist nicht Deutschland, sondern nur ein Stück davon.
Die Gemeinschaft der sechs Staaten der MontanUnion und der EVG ist bzw. war nicht Europa, sondern nur ein Stück davon.
Und — entschuldigen Sie — selbst die Nordatlantikpakt-Organisation, so graß ihre Verdienste sein mögen, ist nicht mit der freien Welt identisch.
Wir sollten in allen Ausführungen außenpolitischer Art, die wir als die Sprecher eines Volkes, das im Zustande der Spaltung lebt, hier machen, ein wenig an die Gefühle all der Völker der freien
Welt denken, die in anderen Beziehungen zur freien Welt leben als in denen eines militärischen Bündnisses über den Atlantikpakt.
Es gibt eben auch — das ist ein Punkt, den wir gelegentlich wahrscheinlich doch werden ausdiskutieren müssen, wenn wir je Deutschland in Freiheit und Frieden zusammenbringen wollen —, es gibt eben auch andere Beziehungen eines freien Volkes zu den gleichgesinnten Völkern dieser Erde als die der reinen, nackten Militärallianz.
— Ja, dann hätte aber Kollege Kiesinger die Frage, die ich ihm gestern gestellt habe, nicht so ausweichend beantworten dürfen.
Herr Kollege Rasner hat beklagt, die Opposition habe im Verhältnis zur Nordatlantik-Organisation seinerzeit in der Kritik am EVG-Vertrag gesagt, es sei zuwenig NATO darin, und jetzt beklage sie auf einmal, es sei zuviel Atlantikpakt darin. Meine Damen und Herren, leider muß ich sagen, der Herr Kollege Rasner hat unserer Kritik an den einstigen und den jetzigen Abmachungen nicht aufmerksam genug zugehört.
Ich selbst habe diese Kritik zum großen Teil hier in diesem Hause vertreten. Wir haben uns seinerzeit gegen den EVG-Vertrag neben einer ganzen Reihe anderer Gründe auch aus einem Grund gewandt: weil der Mechanismus dieses Vertrages durch das bewußte Ausschließen der Deutschen von den Schalthebeln der Atlantik-Organisation auf eine Diskriminierung hinauslaufe.
Dieses Argument ist jetzt behoben; das ist völlig richtig. Sie müßten der Opposition auf den Knien dankbar sein dafür, daß wir nicht bei der EVG festgehalten worden sind.
Aber das andere, was wir auch immer gesagt haben, der viel wesentlichere Einwand gegen die Systematik des alten und des neuen Vertragswerkes ist nicht behoben: daß man nämlich die Bundesrepublik Deutschland auf eine Weise in dieses System der Militärallianz einschmilzt, als gäbe es das andere Stück Deutschland nicht. Das ist der wesentliche Einwand!
Ähnlich ist es mit dem Hinweis auf die Souveränität. Es wird gesagt, wir hätten seinerzeit beklagt, es habe zuwenig Souveränität gegeben. Das ist richtig. Wir haben an einer Fülle von Einzelheiten der Verträge nachgewiesen, daß es ein zu großes Wort gewesen sei, dem EVG-Vertrag und dem Generalvertrag die Bedeutung zuzumessen, die Bundesrepublik würde souverän. Ich bin froh darüber, daß es dem Herrn Bundeskanzler, offenbar unter tatkräftiger Auswertung sozialdemokratischer Argumente, gelungen ist, einiges auf diesem Gebiet aus dem Wege zu räumen.
Der Einwand, den wir heute gegen die jetzigen Abreden erheben, kommt auch nicht aus der Ecke, daß wir etwa beklagten, dieser Bundesrepublik würde ein zu großes Maß an Handlungsfreiheit und Selbständigkeit gegeben. Unser Einwand richtet sich vielmehr gegen die Vorstellung, daß man diesem provisorischen Teilstaat der Deutschen einen Charakter geben will, als handle es sich damit in Wirklichkeit schon um das vollendete deutsche Staatsgebilde, das es doch erst noch in freier Selbstbestimmung ,des ganzen deutschen Volkes zu schaffen gilt.
Im übrigen freuen wir uns mit Ihnen über jede Befugnis, die den Besatzungshänden entwunden wird, und über jede Regelung, durch die unsere inneren und äußeren Angelegenheiten in deutsche Hände übertragen werden. Aber das ist ein völlig anderes Thema.