Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche Ihnen
einen wunderschönen sonnigen guten Morgen!
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 c auf:
a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Fünften Gesetzes zur Änderung des Elften
Buches Sozialgesetzbuch – Leistungsaus-
weitung für Pflegebedürftige, Pflegevor-
sorgefonds
Drucksachen 18/1798, 18/2379
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Gesundheit
Drucksache 18/2909
Drucksache 18/2910
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Zimmermann, Sabine Zimmermann ,
Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Menschenrecht auf gute Pflege verwirklichen –
Soziale Pflegeversicherung solidarisch weiter-
entwickeln
Drucksachen 18/1953, 18/2909
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Zimmermann, Sabine Zimmermann ,
Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Deckungslücken der Sozialen Pflegeversiche-
rung schließen und die staatlich geförderten
Pflegezusatzversicherungen – sogenannter
Pflege-Bahr – abschaffen
Drucksachen 18/591, 18/2901
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen
drei Änderungsanträge und ein Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke sowie ein Änderungsantrag und ein
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen vor. Über zwei Änderungsanträge und die beiden
Entschließungsanträge werden wir später namentlich ab-
stimmen. Wir werden also vier namentliche Abstimmun-
gen durchführen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Weil ich
keinen Widerspruch höre, gehe ich davon aus, dass Sie
alle damit einverstanden sind und dass das damit be-
schlossen ist.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Herrn
Bundesminister Hermann Gröhe.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Vor fast 20 Jahren, am 1. Januar 1995, trat die Pflegever-sicherung in Kraft. Mit ihr gelang es, die Bewohnerinnenund Bewohner von Pflegeeinrichtungen in erheblichemUmfang unabhängig von der Unterstützung durch So-zialhilfe zu machen. Vor allen Dingen aber gelang eserstmals, insbesondere denjenigen, die zu Hause pflege-bedürftige Angehörige betreuen, Anspruch auf solidari-sche Unterstützung und auf Leistungen der Pflegeversi-cherung zu gewähren und sie in ihrem unermüdlichenEinsatz zu unterstützen. Ich freue mich darüber, dass wirmit dem vorliegenden ersten Pflegestärkungsgesetzgleichsam zum 20. Geburtstag dieser wichtigen Reformunseres Sozialstaats, die sich in besonderer Weise mit
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Bundesminister Hermann Gröhe
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dem Namen Norbert Blüm verbindet, eine wichtige undumfassende Reform der Pflegeversicherung beschließen.Ich weiß mich einig mit den Pflegebedürftigen, mitihren Angehörigen, aber auch mit den Pflegekräften,wenn ich sage, dass es uns darum gehen muss, die Pflegeindividueller zu machen, damit sie den konkreten Be-dürfnissen der einzelnen Pflegebedürftigen besser ge-recht wird und angemessen erfolgt. Das wünschen sichdiese. Das wünschen sich die Angehörigen. Das ist abernicht zuletzt auch der Anspruch der Pflegekräfte selbst anihre wichtige Arbeit. Dazu bedarf es eines verändertenRechtsrahmens. Dazu bedarf es aber auch in besondererWeise eines erheblichen Ausbaus der entsprechendenLeistungen der Pflegeversicherung. Beides beschließenwir heute mit Wirkung vom 1. Januar 2015.Ich weiß, dass das Thema „individuellere Pflege“ fürviele mit der Diskussion um den neuen Pflegebedürftig-keitsbegriff verbunden ist. Ich will ausdrücklich sagen: Ja,diesen werden wir in dieser Legislaturperiode umsetzen.Sie wissen, dass wir die letzten Monate zu Erprobungs-phasen genutzt haben, in denen parallel Begutachtungennach dem alten und dem neuen Begutachtungssystemdurchgeführt und 4 000 Pflegebedürftige entsprechendeingestuft wurden, um daraus zu lernen. Derzeit wirddiese Erprobungsphase in Gutachten ausgewertet. DieErgebnisse werden uns dann im Jahr 2015 bei der Erar-beitung des nächsten Pflegestärkungsgesetzes leiten.Aber es ging uns darum, nicht mit den notwendigenLeistungsverbesserungen zu warten, bis das in den Pfle-geeinrichtungen implementiert wird, sondern dieseschon zum 1. Januar 2015 vorzunehmen.
Diese Verbesserungen werden 2,6 Millionen Pflegebe-dürftigen in diesem Lande, ihren Angehörigen, aberauch dem unermüdlichen Tun der Pflegekräfte zugute-kommen.Weil manche der Debatten in den letzten Wochen,auch im Hinblick auf die Pflegeversicherung, sich einbisschen sehr um die Frage gedreht haben: „Was tun dieJungen für die Alten?“, sei ausdrücklich gesagt: Wie-wohl eine große Zahl der Pflegebedürftigen hochbetagteältere Menschen sind, leben auch jüngere Menschen– Menschen jedes Alters – mit dem Risiko, durch Krank-heit oder Unfall pflegebedürftig zu werden. Für sie alleist es wichtig, dass wir ein leistungsstarkes Pflegesystemin unserem Land haben.Ausgangspunkt ist der Wunsch der Menschen – zweiDrittel aller Pflegebedürftigen sagen dies –, nach Mög-lichkeit zu Hause, in den eigenen vier Wänden, gepflegtzu werden und dort zu leben. 70 Prozent derer, die zuHause pflegen, tun dies ohne tagtägliche Unterstützungdurch professionelle Pflegedienste. Dies ist ein enormesEngagement in unseren Familien, das Unterstützung undvor allen Dingen auch Anerkennung verdient.
Diese Menschen, die sich in dieser Weise für ihre An-gehörigen einsetzen, haben aber auch Anspruch darauf,dass wir ihnen bei dieser Arbeit helfen. Deswegen regeltdieses Pflegestärkungsgesetz den Ausbau der Verhinde-rungs-, der Kurzzeit-, der Tages- und der Nachtpflege.Es geht darum, dass diese Menschen die Gelegenheit zueiner Atempause haben, um wieder zu Kräften zu kom-men. Die Verhinderungspflege ist dann gleichsam so et-was wie eine Urlaubsvertretung. Wir bauen diese Leis-tungen aus, wir machen sie untereinander besserkombinierbar, und – das ist mir ganz wichtig – wir eröff-nen erstmals Angehörigen von Pflegebedürftigen derPflegestufe 0, also demenziell Erkrankten ohne eine Ein-stufung in die Pflegestufe 1, die Möglichkeit, diesewichtigen Unterstützungsleistungen in Anspruch zu neh-men. Denn es kann gerade am Beginn einer demenziel-len Erkrankung, am Beginn der Pflegephase zu Hause sowichtig sein, dass beispielsweise Unterstützung in derNachtpflege zu einer erholsamen Nachtruhe verhilft,dass es die Möglichkeit gibt, einmal Atem zu schöpfen.Ich weise für die Familien ausdrücklich darauf hin,dass wir am Mittwoch im Kabinett das Pflegeunterstüt-zungsgeld beschlossen haben und heute mit dem Pflege-stärkungsgesetz dafür die entsprechende finanzielle Ab-sicherung in der Pflegeversicherung schaffen.
Wir bauen niedrigschwellige Betreuungs- und Entlas-tungsangebote aus. Wir haben damit gute Erfahrungenbei der Begleitung demenziell erkrankter Menschen ge-macht. Sie werden ausgebaut und für alle Pflegebedürfti-gen geöffnet. Ich weiß, das hat im parlamentarischenVerfahren zu Diskussionen geführt. Klar ist: Solche An-gebote dürfen und können nicht die Grundpflege erset-zen – das sollen sie nicht –, und solche Angebote müssenvon den Ländern zugelassen werden. Somit können siein guter Weise das Tun in der Pflege und das Tun derAngehörigen ergänzen. Wir vertrauen den Pflegebedürf-tigen und ihren Angehörigen, die in diesem Zusammen-hang übrigens gezielt beraten werden, dass sie selbst ambesten wissen, wie das Paket der Unterstützung ange-sichts der jeweiligen Familiensituation aussehen sollte –ein wichtiger Schritt zu individuellerer Betreuung undPflege.
Wir stärken den Umbau der eigenen vier Wände mitentsprechenden Zuschüssen. Schließlich tragen wir auchden veränderten Formen des Zusammenlebens Rech-nung: mit vermehrten Zuschüssen und verstärkter Unter-stützung für Wohngruppen, für das Miteinander-Wohnenvon älteren, auch pflegebedürftigen Menschen. – Daswaren die Leistungsverbesserungen im ambulanten Be-reich.In der stationären Arbeit geht es um eine Dynamisie-rung – diese erfolgt auch in der ambulanten Pflege – so-wie um eine Stärkung des Aspekts der Betreuung. Wirwerden die Zahl der Betreuungskräfte, die heute schonin vielen Altenpflegeeinrichtungen segensreich wirken,von 25 000 auf bis zu 45 000 erhöhen. Das trägt im Üb-
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rigen dazu bei, den Alltag, das Leben in den Altenpfle-geeinrichtungen besser, menschengerechter, individuel-ler zu gestalten.
Lassen Sie mich im Hinblick auf die Fachkräfte beto-nen – mein Dank geht hier an Karl-Josef Laumann –,dass wir das Thema Bürokratieabbau in der Pflege,nachdem eine entsprechende Studie zum Abbau unnöti-ger Belastungen in der Dokumentation veröffentlichtwurde, in der Fläche angehen werden. Karl-JosefLaumann wird dafür die Verantwortung übernehmen.Wir wissen von den Pflegekräften, dass sie für die Pfle-gebedürftigen da sein wollen und nicht für das Ausfüllenvon Papieren. Deswegen muss die Dokumentation aufdas für die Qualitätssicherung notwendige Maß be-schränkt und unnötige Bürokratie abgebaut werden.
Lassen Sie mich auch erwähnen, dass sich die Ver-tragspartner 2012 im Rahmen der Ausbildungs- undQualifizierungsoffensive Altenpflege verpflichtet haben,die auf Landesebene getroffene Rahmenvereinbarungüber Personalschlüssel zu überarbeiten mit dem Ziel,den Notwendigkeiten angemessener, individueller Al-tenpflege gerecht zu werden. Das ist seitdem in vierBundesländern geschehen, in einem weiteren ist es der-zeit im Gang. Ich hoffe, dass möglichst viele schnelldiesem Beispiel folgen. Wir brauchen angemessene Per-sonalschlüssel, und dafür ist eine entsprechende Verab-redung der Vertragspartner Voraussetzung, meine Da-men, meine Herren.
Diese umfassenden Leistungsverbesserungen gibt esnicht zum Nulltarif. Deswegen enthält das Pflegestär-kungsgesetz ein klares Bekenntnis zu einer notwendigenparitätisch zu finanzierenden Beitragssteigerung um0,3 Prozentpunkte. 2,4 Milliarden Euro davon gehen indie Leistungsverbesserung, 1,4 Milliarden Euro in dieambulante Pflege, 1 Milliarde Euro in die stationärePflege.Mit 1,2 Milliarden Euro bauen wir einen Pflegevor-sorgefonds auf, der dann, wenn die geburtenstarkenJahrgänge ins Pflegealter kommen, dazu beitragen wird,den Beitragsanstieg abzumildern. Ich bin zuversichtlich,dass die Debatten darüber, wie sicher das Geld dort an-gelegt ist, dazu beitragen, dass dieser Vorsorgefonds füralle Zeiten so tabu ist für Zweckentfremdung wie dasGold der Bundesbank. Jeder, auch derjenige, der sichkritisch dazu äußert, leistet einen Beitrag dazu, dass die-ses Geld sicher ist; ob Sie das nun wollen oder nicht.
Meine Damen und Herren, wir werden in einem wei-teren Schritt, im Zuge der Umsetzung des neuen Pflege-bedürftigkeitsbegriffs, die Beiträge erneut um 0,2 Pro-zentpunkte anheben. Damit wird im Rahmen der Arbeitdieser Koalition das Leistungsvolumen der Pflegeversi-cherung künftig um 5 Milliarden Euro pro Jahr erhöht,also eine Leistungsausweitung von über 20 Prozent. Ichbin davon überzeugt: Unsere starke Gesellschaft kanndies stemmen. Ich bin davon überzeugt: Wir schuldendies den pflegebedürftigen Menschen in unserem Land.Ich danke für die guten Beratungen in den zurücklie-genden Wochen und bitte Sie um Zustimmung zu diesemGesetz.Herzlichen Dank.
Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin
Katja Kipping.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir habensoeben den zuständigen Minister gehört, der die angebli-chen Verbesserungen des vorliegenden Pflegestärkungs-gesetzes gelobt hat. Ich möchte die knappe Redezeitmeiner Fraktion nutzen, um über die entscheidendenLeerstellen und die grundlegenden Fehler des vorliegen-den Gesetzentwurfs zu sprechen.Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierungsieht vor, dass von dem Geld der Beitragszahlenden einkapitalgedeckter Vorsorgefonds angelegt werden soll.Kapitalgedeckter Vorsorgefonds – dieser etwas sperrigeBegriff meint letztlich Folgendes: Geld der Beitragszah-lenden soll abgezweigt werden, um es auf die Finanz-märkte zu werfen. Wir als Linke kritisieren die schwarz-roten Pläne für einen Kapitalstock, und zwar aus dreiGründen.Erstens. Die Beitragszahlenden müssen jetzt dreifachzahlen: für den Aufbau des Fonds, für die bestehendePflegeversicherung und, da hier das Teilkaskoprinzipgilt, auch noch für die hohen Eigenleistungen.Zweitens. Damit werden Gelder der Beitragszahlen-den ins globale Finanzkasino gespeist. Wir aber meinen:Mit dem Geld der Beitragszahlenden darf nicht speku-liert werden. Das ist finanzpolitisches Harakiri. Dasmüssten Sie doch aus der Finanzmarktkrise gelernt ha-ben.
Drittens. Jeder Euro, der in den Kapitalstock fließensoll, fehlt heute für eine menschenwürdige Pflege.Menschenwürdiges Leben bedeutet mehr, als satt undsauber im Bett zu liegen. Menschenwürdige Pflegeheißt, dass auch Pflegebedürftige weiterhin soziale Kon-takte pflegen und am gesellschaftlichen Leben teilhabenkönnen.
Menschenwürdige Pflege heißt für uns auch, dass dieBetroffenen selber bestimmen können, wie sie ihren All-tag regeln. Das gilt sowohl für Menschen mit demenziel-len Erkrankungen wie für Menschen mit Assistenzbe-
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Katja Kipping
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darf. Deshalb setzen wir uns voller Energie für einenneuen Pflegebegriff ein.
Herr Gröhe, Sie haben es angesprochen: In dem vor-liegenden Gesetzentwurf fehlt jegliche Aussage zumneuen Pflegebegriff. Ich finde, dieses Schweigen vonSchwarz-Rot zum neuen Pflegebegriff zeigt das pflege-politische Versagen dieser Bundesregierung.
Meine Damen und Herren, ich habe verschiedenePflegeeinrichtungen besucht. Ich habe, wie sicherlichauch einige von Ihnen, im Rahmen der Aktion „Perspek-tivwechsel“ auch einmal Pflegeeinrichtungen von innenerlebt,
bin also in den Arbeitsalltag eingetaucht, wenn auch nurfür einen kurzen Zeitraum. Ich muss sagen: Ich habehöchsten Respekt vor den Menschen, die dort einerschwierigen und wichtigen Arbeit nachgehen, und daszu viel zu niedrigen Gehältern und unter wirklichschwierigen Arbeitsbedingungen.
Arbeit in der Pflege bedeutet nur zu oft Arbeit im Ak-kord sowie Personalbemessung am Limit. Sobald es ei-nen Krankheitsfall gibt, wird der Schichtplan zur Maku-latur. Insofern ist es kein Wunder, dass Burn-out undstressbedingte Krankheiten inzwischen zum Alltag inPflegeberufen gehören. Wenn Pflegekräfte ständig amLimit arbeiten und im Minutentakt rackern müssen, dannkommt der Mensch unter die Räder, und zwar auf beidenSeiten. Wir aber meinen: Pflege ist keine Fließbandar-beit. Deshalb braucht es deutlich mehr Personal imPflege- und Assistenzbereich.
Menschenwürdige Pflege heißt auch, dass Menschenselbst entscheiden können, wie lange sie in ihrer ge-wohnten Umgebung leben wollen. Wir haben aber leidereine Situation, in der immer noch der Geldbeutel ent-scheidet; denn nur wer sich überhaupt eine Pflegeein-richtung leisten kann, hat wirklich Wahlmöglichkeiten.Noch ein weiterer Aspekt muss angesprochen wer-den, wenn wir über die Entscheidung für das Zuhause-bleiben reden: Ich meine, in einer Gesellschaft, in derBarrierefreiheit weitgehend verwirklicht ist, fällt dieEntscheidung für die Pflege zu Hause leichter. Tragenwir also mit dazu bei, dass bei jedem Neubau und bei je-der Wohnungssanierung die Barrierefreiheit gleich mit-geplant wird; denn Barrierefreiheit bedeutet mehr Frei-heit für alle.
Mir ist bewusst, dass es in diesem Gesetzentwurfnicht um die Frage Ein- oder Zweibettzimmer geht. Aberwir müssen uns – das hat Herr Gröhe ja auch angedeutet –hier über eine grundsätzlich notwendige Ausstattungverständigen. Insofern möchte ich auf diesen Aspekt zusprechen kommen. Ich weiß, es gibt Fälle, in denen dieZweibettlösung eine akzeptable oder sogar angenehmeLösung ist. Ich weiß aber auch, dass es für viele eineHorrorvorstellung ist – das weiß ich auch von meinerGroßmutter –, für unbestimmte Zeit mit einer unbekann-ten Person Tag für Tag, Nacht für Nacht das Zimmer tei-len zu müssen, womöglich mit einer Person, die nachtsvor Schmerzen schreit oder von Albträumen geplagt auf-schreckt. Deswegen glaube ich, dass wir dafür Sorge tra-gen müssen, dass wirklich jeder, der ein Einbettzimmerwill, die Möglichkeit bekommt, auch in einer Pflegeein-richtung einen letzten privaten Rückzugsraum zu haben.Lassen Sie uns also mit dafür Sorge tragen, dass genü-gend Geld ins System kommt, um allen im Pflegefallauch eine gute Unterbringung zu ermöglichen.
Wir wissen, die häusliche Pflegearbeit wird vor allemvon Töchtern, Ehefrauen, Schwiegertöchtern – kurzum:von Frauen – verrichtet, von Frauen, die dafür viel inKauf nehmen: Gehaltseinbußen, Verluste bei den Ren-tenanwartschaften, Verzicht auf Freizeit. Sie haben mehrverdient als tätschelnde Lobesworte in Sonntagsreden.Um pflegende Angehörige wirklich zu entlasten und umgute Gehälter und gute Arbeitsbedingungen in den Pfle-geeinrichtungen zu ermöglichen, brauchen wir eine guteFinanzierung der Pflege.
Auch deswegen setzt sich die Linke für eine solidarischeBürgerversicherung ein, für eine Gesundheits- und Pfle-geversicherung, in die alle einzahlen und von der allegleichermaßen profitieren, die Pflegerin ebenso wie dieMillionärin.
Meine Damen und Herren, Pflege gehört nicht an denRand der Gesellschaft, sondern in die Mitte der Gesell-schaft. Pflege gehört in die gemeinsame Verantwortungfür die öffentliche Daseinsvorsorge.Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Hilde Mattheis,
SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Esist wirklich schön, dass wir heute hier über die ersteStufe einer umfassenden Pflegereform debattieren undsie verabschieden können. Uns als SPD ist es ein funda-mental wichtiges Anliegen, Menschen, die pflegebedürf-tig geworden sind, zu unterstützen und damit auch im-
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mer den Gedanken der sozialen Gerechtigkeit mit zutransportieren. Denn Menschen haben am Lebensendeein Anrecht darauf, dass wir alle in unserer Gesellschaftsolidarisch für sie einstehen. Das ist unser Anliegen.
Alle, die heute nicht für die Leistungsverbesserungenstimmen, müssen in ihre Wahlkreise gehen und sagen:Ich habe nicht dafür gestimmt,
dass Menschen, egal ob sie in einer stationären Einrich-tung wohnen oder ambulant gepflegt werden, diese Leis-tungsverbesserungen für sich in Anspruch nehmen kön-nen. Das müssen sie dann verantworten.
Wir wollen in dieser Legislaturperiode mit dem Pfle-gestärkungsgesetz I den ersten wichtigen Baustein set-zen. Mit dem Pflegestärkungsgesetz II wollen wir – dashaben wir uns vorgenommen – unser zentrales Anliegen,die Definition eines Pflegebedürftigkeitsbegriffs, dersich am Teilhabebegriff orientiert, durchsetzen. Dennwir wollen nicht mehr die Mangelerhebung, sondern denTeilhabeaspekt in unserer Pflegepolitik herausheben.Das ist zentral wichtig und ein zweiter wichtiger Bau-stein.
Aber wir haben noch weitere Bausteine. Denn wirwissen: Pflegereform bedeutet einen ganzen Fächer anMaßnahmen. Pflegereform ist nicht einfach nur ein Kon-zept für die Reform eines Punktes.Ein weiterer wichtiger Punkt ist: Wir wollen in derBund-Länder-Kommission miteinander klären, was einegute Pflegepolitik für die Kommunen bedeutet. Was be-deutet das? Welche Rahmenbedingungen müssen wir alsBund setzen? Was müssen die Länder dazu beitragen,dass die Infrastruktur vor Ort passgenau ist? Das könnenwir hier in Berlin nicht machen. Also brauchen wir eineBund-Länder-Arbeitsgruppe, um die Rolle der Kommu-nen zu definieren. Dabei müssen wir die Kommunen un-terstützen.
Diese Woche konnten wir ja Gott sei Dank aus demFamilienministerium schon sehr genau vernehmen, dasses auch um die Entlastung von Angehörigen geht. DasPflegezeitgesetz spielt hier eine wichtige Rolle.
Denn alle, die mit Pflege konfrontiert sind, brauchen vorallen Dingen eines: Zeit, um sich zu kümmern. Es istnicht einmal schnell mit einem Telefonat erledigt, pfle-gebedürftige Menschen zu unterstützen. Das ist nichtschnell erledigt, wenn die Kinder weit weg wohnen. Siebrauchen Zeit, um sich zu kümmern. Nicht die schnellsteLösung ist als die beste Lösung anzusehen, sondern manmuss dafür sorgen, dass dem Wunsch des Vaters oder derMutter Rechnung getragen wird und, wenn sie in der ei-genen Häuslichkeit bleiben wollen, flankiert von Maß-nahmen, um dies organisieren zu können. Dazu brauchtman Zeit. Deshalb vielen Dank an das Ministerium.
Uns geht es natürlich auch darum, den Beruf der Pfle-gefachkraft in der Altenpflege zu unterstützen. Das brau-che ich hier gar nicht zu wiederholen; denn wir habenhier mehrfach darüber diskutiert, an was es dort krankt.Wir brauchen nicht nur mehr Leute, die sich für diesenBeruf engagieren, sondern sie müssen auch im Berufverbleiben können, sprich: Sie brauchen eine gute Be-zahlung und gute Arbeitsbedingungen, damit sie längerals sieben Jahre Spaß an der Arbeit haben, ihr Engage-ment nicht verlieren und dieser psychischen Belastungstandhalten können.
Deshalb wollen wir eine generalistischere Ausbildungund Umstiegsmöglichkeiten von der Altenpflege in dieKrankenpflege und auch in die Kinderkrankenpflegeschaffen. Denn es ist wichtig, Menschen, die ein hohesEngagement für diesen Beruf mitgebracht haben, zu un-terstützen und ihnen die Belastungen nicht so schwer aufdie Schultern zu packen, dass sie sie eines Tages nichtmehr tragen können.
Eines unserer zentralen Anliegen war deshalb – alleshängt ja mit allem zusammen –, jetzt im Pflegestär-kungsgesetz I für eine tarifliche Entlohnung der Pflege-fachkräfte zu sorgen – ich bin allen dankbar, die dieseForderung der SPD mitgetragen haben – und sicherzu-stellen, dass Einrichtungen und Träger nicht als unwirt-schaftlich gelten, wenn sie nach Tariflohn zahlen.
– Das ist richtig gut; für dieses zentrale Anliegen vonuns könnte hier vor allen Dingen von den Linken aucheinmal ein bisschen Applaus kommen. – Ich glaube, esist wichtig, dass die Kostenträger ein Anrecht haben, ei-nen Nachweis zu bekommen, dass in den stationärenEinrichtungen, dass von den Diensten diese Vereinba-rung gegenüber den Beschäftigten eingehalten wird.
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Es muss nämlich nachweisbar sein, dass die Beschäftig-ten auch nach Tarif bezahlt werden. All das ist in diesemPflegestärkungsgesetz I.Ich will gerne noch einmal auf die Leistungsansprü-che zu sprechen kommen, die wir jetzt hier verankert ha-ben.Es geht um mehr Flexibilität, es geht um Passgenau-igkeit; denn nicht jeder, nicht jede hat den gleichen Be-darf.Es geht darum, die Leistungen auszuweiten, sie zudynamisieren. Der Leistungsanspruch ist seit Bestehender Pflegeversicherung nicht dynamisiert worden, eskam jedoch zu exorbitanten Kostensteigerungen. Dasfangen wir mit plus 4 Prozent für alle Leistungen einStück weit auf.Wir wollen die Kurzzeit- und Verhinderungspflegeflexibilisieren. Es muss möglich sein, den einen Bereichfür den anderen zu nutzen; das ist wichtig.Und wir wollen vor allen Dingen auch Betreuungs-und Entlastungsleistungen stärken; denn Menschen, diean Demenz erkrankt sind, haben nicht unbedingt für dengesamten Sachleistungsanspruch einen rein pflegeri-schen Bedarf. Es geht vielmehr auch um Unterstützungbei der Strukturierung des Tages, es geht um die kleinenBegleitgänge – zum Friedhof, zum Arzt, zum Friseur –,es geht darum, kleine Dinge zu ermöglichen, dass alsoder Angehörige/die Angehörige nicht die ganze Zeitfestgehalten ist, sondern auch einmal weggehen kann,ohne Angst haben zu müssen, was in der Häuslichkeitpassiert, wenn die Tür von außen zugeschlossen wird.
All das ist der erste Baustein, und, ja, das ist ein Stückweit ein Vorgriff auf die Neudefinition des Pflegebedürf-tigkeitsbegriffs. Es ist an uns, zu kommunizieren, dasswir jetzt schon Leistungsverbesserungen anbieten, diedann natürlich auch dem neuen Pflegebedürftigkeitsbe-griff entsprechen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir sinduns doch in einem einig – bei diesem Thema bestand indiesem Haus immer große Einigkeit –: dass es um funda-mentale Ansprüche von Menschen in Lebenssituationengeht, die wir alle für uns selber nicht unbedingt als Zu-kunftsvision haben wollen, und dass wir diese Men-schen, ihre Angehörigen und die Menschen, die sie pro-fessionell unterstützen, im Blick haben. Vor demHintergrund dieses Dreiklangs haben wir unsere Arbeitim Bereich der Pflegepolitik immer verstanden: Leis-tungsausweitung für Pflegebedürftige, Unterstützung fürpflegende Angehörige und natürlich auch Respekt undgute Berufsaussichten für Pflegefachleute. In diesemDreiklang sehe ich einen wichtigen Baustein für die um-fassende Pflegereform, die wir heute verabschieden.Ich würde mich wirklich freuen, wenn wir uns bei al-ler politischen Auseinandersetzung den Blick nicht sel-ber verstellten und das, was wir in anderen Konstellatio-nen längst miteinander vereinbart hatten, gemäß diesemDreiklang auch hier heute verabschieden könnten.Herzlichen Dank fürs Zuhören.
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die KolleginElisabeth Scharfenberg.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter HerrMinister, nachdem Sie und auch Hilde Mattheis sich nunschon kräftig auf die Schultern geklopft haben, werdenSie, denke ich, sicherlich stark genug sein, auch ein paarandere Töne über das Pflegestärkungsgesetz zu hören.
Schließlich sind wir als Opposition nicht dafür da, dieClaqueure der Regierungsfraktionen zu sein.
Sie sagen ja selbst, dass noch viel zu tun ist, und Sievertrösten die Menschen schon heute auf die zweiteStufe der Pflegereform, die dann irgendwann kommensoll.
Diese liegt wie eine ferne Oase weit weg im Nebel. Ent-sprechend sind auch die Reaktionen der Fachwelt und inder Bevölkerung auf dieses Gesetz. Die Menschen re-agieren eher nüchtern oder, sagen wir besser, argwöh-nisch, vielleicht sogar schon resignierend. Das geht nachdem Motto: Inzwischen weiß man ja, dass man auf dieVersprechungen der Pflegepolitik nicht allzu viel gebenkann.Wir haben es heute schon mehrfach gehört: Ja, eswird endlich mehr Geld für die Pflege in die Hand ge-nommen. Ehrlich gesagt: Das war überfällig.
Doch überwiegt der Eindruck: Die Pflegeversicherungwird teurer, aber wirklich besser wird sie kaum.
Ich weiß, gerade Jens Spahn und auch Hilde Mattheisfinden dieses Urteil ungerecht. Aber damit kann ich, ehr-lich gesagt, ganz gut leben. Für mich und meine Fraktionist klar: Diese Reform verkörpert keine Idee. Diese Re-form ist teuer. Diese Reform ist luftleer. Diese Reformist ohne Visionen.
Sie geben den Pflegebedürftigen, den Angehörigen undden professionell Pflegenden vor allem mehr vom Glei-chen. Das ist mit Sicherheit kein Paradigmenwechsel.
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Elisabeth Scharfenberg
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Im Übrigen sprechen wir, Hilde Mattheis, von Menschenjeden Alters. Pflege ist keine Frage des Alters. Pflegebe-dürftig kann man auch schon in sehr jungen Jahren wer-den.Sie schicken die Menschen in eine Warteschleife. Mirkommt diese wie eine Endlosschleife vor; denn auf dasHerzstück der Reform warten wir immer noch. Das Re-formprojekt, das seit Jahren alle einmütig fordern, habenSie wieder verschoben. Sie wissen ganz genau, was ichmeine: die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeits-begriffes.
Um ehrlich zu sein: Man kann diesen Begriff kaum nochhören, so viel haben wir in den letzten Jahren darüberdiskutiert.
Im neuen Pflegebegriff manifestiert sich nicht nur dieErwartung, dass Demenzkranke in der Pflegeversiche-rung endlich gleichberechtigt sind. Nein, es geht um dieHoffnung, dass wir zu einem anderen Verständnis vonPflege kommen, einem Verständnis, mit dem die Bedürf-nisse des Einzelnen in den Mittelpunkt gestellt werden:dass die Pflegeleistungen so gestrickt sind, dass jede undjeder wirklich das Gefühl haben kann, dass diese Leis-tungen ihm helfen, dass man wirklich wählen kann, dassman Zeit für den Pflegebedürftigen hat und dass er amgesellschaftlichen Leben teilhaben kann.
Es mag sein, dass diese Erwartungen mittlerweileüberhöht sind. Ja, es braucht sicherlich noch viel mehrAnstrengungen, um strukturell und finanziell zu einerwirklichen Reform der Pflege zu kommen. Nur: Wennman eine ganz große Reform verspricht und dann nureine vorgaukelt, so wie Sie das mit dem ersten Pflege-stärkungsgesetz tun, dann verlieren die Menschen ir-gendwann vollständig das Vertrauen in die Handlungsfä-higkeit der Pflegepolitik. Das wird dann passieren, wenndie Pflegebedürftigen und ihre Familien in ihrem Alltagbemerken, dass diese Pflegereform ein Scheinriese ist.
Diese Reform wird den professionell Pflegenden weiter-hin nur die für sie unerträgliche Minutenpflege zumuten.Hier wird Vertrauen verspielt, Vertrauen, das Sie mitviel Geld zu kaufen versuchen. Genau das tun Sie: Siestecken viel Geld – übrigens das Geld der Versicherten –in diese Reform und simulieren damit Aktion. Aber nocheinmal: Mehr Geld für mehr vom Gleichen ist nochlange keine Reform. Worauf wir vergeblich warten, isteine nachhaltige und gerechte Finanzierung der Pflege-versicherung.Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, zumindestSie wissen doch, dass kein Weg an der Bürgerversiche-rung vorbeiführt. Aber passiert ist nichts. Stattdessenwenden Sie viel Geld und viel Energie für Dinge auf, dieaußer Herrn Spahn keiner gut findet und die vor allemkeiner braucht. Ich rede vom Pflegevorsorgefonds.
Lieber Jens Spahn, da haben Sie sich ein schönesDenkmal gebaut, und die SPD ist sich nicht zu schade,dieses Denkmal auch noch zu enthüllen. Man könnte jameinen, dass so ein Unsinn nur ein Ausrutscher ist, aberweit gefehlt. Das scheint bei der Union Methode zu ha-ben.
Vor etwa zwei Jahren – damals regierten noch CDU/CSU und die heutige Nichtregierungsorganisation FDP –
mussten wir an dieser Stelle eine der größten sozialpoli-tischen Unsinnigkeiten der letzten Jahrzehnte diskutie-ren, den sogenannten Pflege-Bahr. Wir alle wissensehr gut: Es ist ein äußerst ungerechtes, äußerst über-flüssiges und äußerst erfolgloses Produkt. Gerade einmal500 000 Menschen haben in diesem Land solche Ver-träge abgeschlossen. Da können Sie diese Menge von500 000 Verträgen noch so schönreden, in Wirklichkeitist das ein Witz, und das wissen Sie.
Dennoch halten Sie daran fest, übrigens auch dieSPD, die damals sehr heftig dagegen gewettert hat.Dieser unsinnige Pflege-Bahr bekommt jetzt einenebenso unsinnigen Weggefährten, den Pflegevorsorge-fonds.
Auch zu diesem Vorsorgefonds sagen wir und alle Ex-perten, dass er überflüssig ist und dass er erfolglos seinwird. Das wissen Sie wie damals beim Pflege-Bahrselbst ganz genau, und Sie setzen es trotzdem um.
Sie versenken in diesem Fonds über 1 Milliarde Europro Jahr. Dieses Geld wird uns für die Umsetzung desneuen Pflegebegriffs fehlen. Das behaupten wir nichteinfach so, das zeigen ganz klare Schätzungen von seriö-sen Ökonomen, und das wissen auch Sie ganz genau,aber Sie reagieren nicht, sondern halten stur an diesemUnsinn fest.
Herr Spahn, wenn das die Vorboten der Agenda 2020sind, die Sie von der Bundeskanzlerin fordern, dannschwant mir, ehrlich gesagt, Böses. Das wird eine sehrnutzlose, aber dafür sehr teure Agenda werden.
Wer den neuen Pflegebegriff will, der kann sich die-sen Fonds einfach nicht leisten. Diese Koalition hält aberdaran fest. Das zeigt mir, wie ernst Sie es mit Ihren wirk-
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lichen Pflegereformen meinen. Das ist keine Große Ko-alition, das ist der kleinste gemeinsame Nenner, das istviel heiße Luft, und das ist viel und reine Symbolpolitik.Nichtsdestotrotz weigere ich mich als Optimistin– selbst in Zeiten Ihrer gemeinsamen Koalition –, dieHoffnung aufzugeben.
Sie haben für 2016/2017 die zweite Stufe der Pflegere-form versprochen. Wir glauben das aber erst, wenn wires sehen. Zu oft haben unionsgeführte Regierungen inden letzten Jahren die Erwartungen der Menschen in derPflege enttäuscht.
Vorschusslorbeeren bekommen Sie wahrlich nicht. Dasind Sie im Zugzwang, und da werden Sie hoffentlichliefern. Aber wie gesagt: Wir glauben das erst, wenn wirdas sehen.Die zentrale pflegepolitische Aufgabe der nächstenJahre wird sein, die Kommunen starkzumachen. In denKommunen findet die Pflege statt, dort leben die Men-schen, von denen wir hier reden. Obwohl immer mehrDemente und Pflegebedürftige unter uns leben, leben siedoch nicht in unserer Mitte, nein, sie leben am Rand.Diesen Menschen müssen wir ein Signal geben, dass siezu uns gehören, dass sie an dieser Gesellschaft teilhabenkönnen. Dieses Signal geht von Ihrer Reform nicht aus!
Im Gegenteil: Sie speisen diese Menschen mit großenVersprechen ab.Aber auch hier bin ich Optimistin. Wir setzen großeHoffnung in die Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Rolleder Kommunen, die Sie im September einberufen haben.Aber Sie können schon jetzt Ihr Reförmchen enorm auf-werten: Es steht gleich ein Änderungsantrag der grünenBundestagsfraktion zur Abstimmung. Inhalt ist die Strei-chung des Pflegevorsorgefonds aus Ihrem Gesetzent-wurf. Stimmen Sie diesem Antrag zu, verwenden Sie dasGeld wirklich für die Versicherten, zum Beispiel für dieUmsetzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Zei-gen Sie, dass es Ihnen ernst ist!Vielen Dank.
Der Kollege Dr. Georg Nüßlein spricht jetzt für die
CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Mitdem Pflegestärkungsgesetz legt diese Koalition eineFülle von Verbesserungen und Entlastungen vor, undzwar für Pflegebedürftige, um die es nämlich geht, fürdie pflegenden Angehörigen – sie tragen eine wesentli-che Last – und für die professionellen Pflegekräfte, diewir in Zukunft, so wie es die Kollegin Mattheis beschrie-ben hat, vermehrt brauchen. Zusätzlich werden wir – dashat die Kollegin Scharfenberg gerade massiv kritisiert –einen Pflegevorsorgefonds in Höhe von 1,2 Milliar-den Euro jährlich einführen und damit ein Element derGenerationengerechtigkeit und Zukunftssicherung schaf-fen.Frau Kollegin Scharfenberg, von einer Partei, diesonst immer über Nachhaltigkeit und Generationenge-rechtigkeit spricht,
hätte ich eigentlich erwartet, dass sie genau diese Maß-nahme positiv würdigt.
Stattdessen war von Ihnen, in schöne Worte gekleidet,eine Fülle von Allgemeinheiten zu hören.
Das Einzige, was in dem Zusammenhang durchaus char-mant und ehrlich war, war Ihr einleitender Satz, es seiAufgabe der Opposition, Wasser in den Wein zu gießen.Das ist aber nicht überzeugend gelungen, muss ich sa-gen.
Man kann zwar kritisieren, dass wir für diese Maß-nahmen Geld brauchen und dafür den Beitragssatz erhö-hen. Aber wenn man den Gesetzentwurf genau liest,dann stellt man fest: Wir finanzieren eine ganze Mengevon wirklich wichtigen Verbesserungen,
und wir tragen dafür Sorge, dass das Geld auch wirklichbei den Pflegenden ankommt – auch das muss man ersthinbekommen – und sie tatsächlich etwas davon haben.
Deshalb werden Sie erleben, dass unser Vorhaben entge-gen Ihrer Kritik relativ schnell in der Gesellschaft wieauch in der Wirtschaft akzeptiert wird.Weil es infrage gestellt wurde, möchte ich betonen:Es handelt sich um einen ersten Schritt. Wir gehen dem-nächst einen wohlüberlegten zweiten Schritt, indem wirden Pflegebegriff neu definieren. Auch dafür werden wirentsprechend Geld in die Hand nehmen,
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Dr. Georg Nüßlein
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sodass auch die Kritik, die von der Linken gekommenist, nämlich am Ende würde uns das Geld dafür fehlen,von der Hand zu weisen ist.Wir führen parallel dazu mit einem anderen Gesetz ei-nen Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit ein. Be-schäftigte, die Pflegezeit oder Familienpflegezeit in An-spruch nehmen, werden zugleich einen Anspruch auffinanzielle Förderung zur besseren Bewältigung des Le-bensunterhalts während der Freistellung erhalten.
Die bis zu zehntägige Auszeit für Angehörige, diekurzfristig Zeit für die Organisation einer neuen Pflege-situation benötigen, wird künftig mit einer Lohnersatz-leistung gekoppelt. Das ist eine enorme Verbesserung fürdie pflegenden Angehörigen, meine Damen und Herren.Es ist aber auch eine Belastung für die Wirtschaft, diewir in Kauf nehmen, weil wir wissen, dass es darauf an-kommt, dass Beschäftigte die Chance bekommen, fürpflegebedürftige Angehörige da zu sein. Auch dazu hätteich mir von Ihnen anerkennende Worte zu den Freiräu-men und finanziellen Voraussetzungen gewünscht, diewir für diesen großartigen Einsatz schaffen. Es wärewirklich angebracht gewesen, dazu etwas Positives zusagen, meine Damen und Herren.Mit dem Pflegestärkungsgesetz werden wir alle Leis-tungsbeträge anheben und damit dynamisieren. Das istüberfällig. Wir setzen einen besonderen Schwerpunkt,indem wir die Rahmenbedingungen für die häuslichePflege weiter verbessern. Bei aller Wertschätzung – ichsage das ganz deutlich, um Missverständnisse zu ver-meiden – für die Leistung der Pflegeheime und der dortarbeitenden Pflegekräfte, wie sie die Kollegin Mattheisrichtig beschrieben hat, wissen wir, dass es ein Anliegender Pflegebedürftigen ist, solange es irgendwie geht, inihrem eigenen Heim zu bleiben. Weil das so ist und dasZuhause immer höher geschätzt wird als ein Heim, ha-ben wir in dem Gesetzentwurf einen entsprechendenSchwerpunkt gesetzt. Schon deshalb bitte ich Sie alle,diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Wir eröffnen den Pflegebedürftigen und den sie pfle-genden Angehörigen eine bedarfsgerechtere und flexi-blere Inanspruchnahme mit mehr Wahlmöglichkeiten.Die Leistungsverbesserungen kommen somit direkt beiden Pflegebedürftigen an. So können zukünftig alle zu-hause lebenden Pflegeleistungsempfänger 40 Prozentdes Sachleistungsbetrages für niedrigschwellige Betreu-ungs- und Entlastungsangebote verwenden. Dies sindzum Beispiel kleinere Erledigungen im Haushalt, Boten-gänge oder die Begleitung zu Arztterminen, also lauterTätigkeiten, die wichtig sind und die gesunden Men-schen ganz selbstverständlich erscheinen. Aber in einerPflegesituation wird deutlich, was für eine große Bedeu-tung sie haben.„Niedrigschwellig“ klingt erst einmal ein wenig wie„nachrangig“. Aber die Regelung stärkt die Flexibilitätund erweitert die finanziellen Spielräume der Pflegebe-dürftigen zu Recht, wie ich meine. Für einen gebrech-lichen Senior mit Demenzerkrankung ist die Hilfe imAlltag eine fundamentale Voraussetzung, um zu Hausewohnen zu können. Darum geht es uns.
Der einzelne Pflegebedürftige kann sich erstmals aus-suchen, welche Leistungen er braucht. Er kann sich einPaket schnüren. Gerade für Pflegebedürftige, die Unter-stützung im Haushalt und im Pflegealltag benötigen, fürdie aber die klassischen Sachleistungen nicht passgenausind, bieten sich dadurch Gestaltungsoptionen, um ihreBedarfe zu decken. Das ist ein entscheidender, ein wirk-lich wichtiger Fortschritt. Dies trägt wesentlich zurSelbstbestimmung und zur Verbesserung der Lebensqua-lität vieler Betroffener bei.Im Übrigen haben Studien ergeben – das sage ich andie Adresse der Linken –, dass niedrigschwellige Ange-bote insbesondere bei Personen aus einfachen Milieus,wenn es um den Zugang zu pflegerischen Hilfen geht,sehr bedeutsam sind. Hier werden persönliche Beziehun-gen als eine wichtige Strategie zur Bewältigung vonPflegebedürftigkeit empfunden, die im Rahmen dieserniederschwelligen Angebote in viel größerem Maße ge-währleistet sind. Ich bitte, das nachzuvollziehen.Wir stärken damit auch das Potenzial familiärer undehrenamtlicher Versorgungsstrukturen und leisten einenBeitrag zur Weiterentwicklung einer generationenge-rechten Infrastruktur. Dies ist auch aufgrund des spürba-ren Fachkräftemangels eine wichtige Maßnahme. Wer inder eigenen Wohnung gepflegt werden möchte, aber da-für Umbaumaßnahmen durchführen muss, um zum Bei-spiel die Dusche begehbar zu machen oder Türen zu ver-breitern, kann Zuschüsse in Höhe von bis zu 4 000 Eurobekommen. Auch das ist eine wichtige Maßnahme. Mansollte nicht vergessen, wie viel dadurch letztendlich ein-gespart wird.Viele lamentieren über die Kosten. Aber wir sprechenviel zu wenig darüber, was auf der anderen Seite der Bi-lanz steht. Das ist gut investiertes Geld. Durch einen al-tersgerechten Umbau kann der Umzug von Pflegebe-dürftigen in ein Heim vermieden oder hinausgeschobenwerden. Wenn Sie sich eine Studie der Prognos AG zuGemüte führen, dann lesen Sie, dass das unser Sozialsys-tem um bis zu 3 Milliarden Euro im Jahr entlastet. Wirtätigen also sehr wohl überlegte, gute Investitionen.Eine weitere Voraussetzung ist, dass in den Ländernund Kommunen das soziale Lebensumfeld und die be-stehenden Wohnangebote zum Beispiel durch Quartiers-konzepte alters- und bedarfsgerechter ausgebaut werden.Auch wohnortnahe Beratungs- und Dienstleistungsstruk-turen zum Beispiel durch den Ausbau der ehrenamtli-chen Unterstützung müssen wir verstärkt anbieten. Dazuhaben wir die bereits angesprochene Bund-Länder-Ar-
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Dr. Georg Nüßlein
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beitsgruppe eingerichtet. Wir setzen große Hoffnungendarauf.Lassen Sie mich noch etwas zu dem kritisierten, vielgescholtenen Generationenfonds sagen. Ich möchte ganzklar herausstellen, dass wir das sehr bewusst machenund nicht auf besonderen Wunsch eines Einzelnen. Viel-mehr sind wir der Überzeugung, dass wir Vorsorge tref-fen müssen. Wir machen uns Gedanken über die Frage,ob wir gerüstet sind, wenn die geburtenstarken Jahr-gänge – 1964 ist der stärkste Jahrgang aller Zeiten – indie Pflegesituation kommen. Eigentlich müsste dasGanze positiv begleitet werden. Das würde auch passie-ren, wenn wir in der Politik nicht alles infrage stellenund uns selber misstrauen würden. Was ist das denn fürein Einwand, zu sagen: „Um durch den Fonds nicht inVersuchung geführt zu werden, sollten wir ihn lieberweglassen. Er hat keinen Zweck, weil irgendwann ein-mal eine politische Generation in die Versuchung gera-ten könnte, in den prall gefüllten Topf zu fassen“?Wir betreiben Vorsorge und legen das Geld gut an.Wir schmeißen es nicht in den Rachen der Finanzmärkte,wie Sie es in Ihrem Duktus gesagt haben. Wir stellen imÜbrigen durch solche Debatten sicher, dass sich niemandtrauen wird, dieses Geld anzufassen.
Zu sparen und für schwierige Situationen, die program-miert sind, Vorsorge zu treffen, kann nichts Schlechtessein. Das entspricht aber nicht Ihrer Vorstellung vonSchulden machen, Geld aufs Spiel setzen und nicht fürdie Zukunft zu sorgen. Sie sorgen vielmehr dafür, dassspätere Generationen in Schwierigkeiten kommen.Das werden wir nicht tun. Wir machen das gut, wirmachen das zielorientiert. Dafür ist dieses Gesetz einwichtiger erster Schritt; wir freuen uns auf den zweiten.Vielen herzlichen Dank.
Die Kollegin Pia Zimmermann spricht jetzt als
nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Verehrter Herr Minister Gröhe, wie bewegt man sich,ohne wirklich von der Stelle zu kommen? Eine möglicheAntwort auf diese Frage liefert das sogenannte Pflege-stärkungsgesetz; denn gemessen an den gravierendenProblemen, mit denen wir im Pflegebereich konfrontiertsind, und gemessen an den Zukunftsherausforderungenin diesem Bereich ist dieses Gesetz der berühmte Trop-fen auf den heißen Stein.
Mit Ihrem Gesetz, sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen der Koalitionsfraktionen, täuschen Sie die Men-schen in diesem Land; denn das, was Sie heute abschlie-ßend zur Abstimmung stellen, hat nichts mit der sodringend notwendigen und von den Betroffenen so sehrerwarteten großen Pflegereform zu tun.Dass die Bundesregierung in dem Pflegeproblem he-rumstochert und es nicht wirklich anpackt, haben wir indieser Woche erneut mit der sogenannten Familienpfle-gezeit demonstriert bekommen. Was vom Titel her gutklingt, geht an der Realität vieler Familien jedoch vor-bei. Es wird nur noch einmal deutlich, dass die Bundes-regierung nicht in der Lage ist, die zahlreichen Problemein der Pflege zu lösen; stattdessen wälzt sie diese Pro-bleme auf die Familien ab.Ich frage mich, warum Sie in Ihrem Gesetzentwurfnicht der dauerhaften Entwertung von Leistungen ausder Pflegeversicherung durch eine jährliche Leistungs-dynamisierung entgegensteuern.
Ich frage mich auch, warum nicht alle Menschen mitPflegebedarf einen Anspruch auf häusliche Betreuungs-leistung haben, sondern nur jene, die keine Sozialleistun-gen bekommen. Ebenso frage ich mich: Warum fassenSie die Leistung zur Kurzzeitpflege, Verhinderungs-pflege und die zusätzlichen Betreuungsleistungen nichtin einer einheitlichen Entlastungspflege in Form einesEntlastungsbetrages zusammen?
Oder: Warum ist in Ihrem Gesetzentwurf nichts zufinden, wie Sie zur Sicherung der Qualität in der Pflegeeinen bundesweit einheitlichen und verbindlichen Stan-dard im Hinblick auf eine qualitätsbezogene Personalbe-messung einführen wollen? Nebenbei bemerkt: DasWort „Fachkräfte“ kommt in Ihrem Entwurf sowieso nurbeiläufig vor. Das ist sehr bedauerlich für alle Pflege-kräfte, die tagtäglich zum Beispiel im Dreischichtsystemunter schwierigsten Bedingungen sehr gute Arbeit leis-ten.
Bringen Sie endlich die bundeseinheitliche Personal-bemessung auf den Weg. Das wäre wirklich einmal et-was, was Sie gut anpacken könnten.
Die Linke hat wiederholt zu diesen Fragen Vorschlägefür eine problemadäquate und soziale Pflegereform indie Debatte eingebracht. Die wichtigsten Punkte will ichhier an dieser Stelle noch einmal anführen. Führen Sieendlich einen umfassenden Pflegebegriff ein; denn Men-schen mit kognitiven und/oder psychischen Beeinträchti-gungen müssen endlich genauso wie Menschen mit kör-perlichen Beeinträchtigungen erfasst werden. Um denWert der Pflegeleistungen auch in Zukunft zu erhalten,braucht es eine Leistungsdynamisierung, die sich an denrealen Lohn- und Preisentwicklungen orientiert.Die Gesetzeslücke bei Hilfe zur Pflege ist zu schlie-ßen. Häusliche Betreuung muss zu den Leistungen nach
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014 5657
Pia Zimmermann
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§ 28 Absatz 1 SGB XI hinzugefügt werden, damit alleeinen Anspruch auf häusliche Pflege erhalten.
Die Fraktion Die Linke fordert weiterhin: StreichenSie die Regelung für eine Wartezeit von sechs Monatenfür die Inanspruchnahme von Verhinderungspflege. Ver-hindern Sie weiteres Lohndumping in der Pflege, und er-höhen Sie den flächendeckenden gesetzlichen Pflege-mindestlohn für die Beschäftigten, die überwiegendpflegerische Tätigkeiten in der Grundpflege erbringen,in Ost und West auf 12,50 Euro pro Stunde, wie es auchdie Gewerkschaft Verdi fordert.
In diesem Zusammenhang will ich auch noch erwäh-nen, dass ich mit großer Sorge – Herr Nüßlein, im Ge-gensatz zu Ihnen – die Umwandlung von 40 Prozent desSachleistungsbetrags in Geldleistungen für niedrig-schwellige Betreuungsleistungen verfolge; denn damitwird das Pflegestärkungsgesetz zum Anheizer einesneuen privaten Pflegemarktes. Können Sie sich nichtvorstellen, was in einer Branche passiert, in der es nurum Geld und Zeit geht? Führen Sie sich einmal vor Au-gen, wie es dann weitergehen wird. Man muss wohlkeine hellseherische Fähigkeit haben, um vorauszusa-gen, dass sich der Trend zur Minutenpflege noch weiterverstärken wird. Außerdem werden weitere Tore fürnoch mehr prekäre Beschäftigung geöffnet werden. Daskann nicht in unserem Sinne sein, meine Damen undHerren.
Es ist ebenso voraussehbar, dass es zur Vermischungvon Grundpflege, Hauswirtschaft und Betreuungsange-boten kommt. Das wäre ein Einfallstor zu einer Absen-kung der Qualitätsstandards, die wir wirklich nicht wol-len. Wenigstens das müsste Sie doch wachrütteln.
Weiterhin sind wir der Auffassung: Lassen Sie dieFinger von dem unsäglichen Vorsorgefonds, über denwir bereits gesprochen haben. Nutzen Sie das Geld lie-ber dort, wo es dringend gebraucht wird. Meine Fraktionwird in dieser Frage auch dem Änderungsantrag derGrünen zustimmen. Führen Sie lieber die solidarischeBürgerinnen- und Bürgerversicherung in der Pflege ein.Schaffen Sie die Beitragsbemessungsgrenze ab, und be-ziehen Sie alle Einkommensarten ein. Damit können Siedie Pflegeleistung deutlich ausweiten und deren Finan-zierung endlich auf eine solide Grundlage stellen.Der Pflege-Bahr gehört abgeschafft – auch das habenwir heute schon gehört –; denn er sorgt dafür, dass dasGeld vor allen Dingen in die Versicherungswirtschaftfließt und nicht in die Leistungen für die Versicherten,die sie dann im Alter benötigen, wenn sie Pflegebedarfhaben.In unserem vorliegenden Antrag, der heute ebenfallszur Abstimmung steht, gehen wir noch einmal auf diewichtigsten Punkte ein. Diese Punkte würden Ihren Ge-setzentwurf im Sinne einer sozialen Pflegepolitik auf-werten – für die Pflegebedürftigen, die Angehörigen unddie in der Pflege Beschäftigten.Hören Sie mit Ihrem Klein-Klein auf, und gehen Siedas Problem endlich wirklich nachhaltig an. Dann habenSie uns, Die Linke, an Ihrer Seite. Mit Ihrer derzeitigenPolitik schieben Sie die Probleme aber nur auf.
– Jetzt sind Sie endlich einmal wach geworden. Dasfreut mich sehr.
Daher können wir dem, was Sie bisher gesagt haben, undIhrem Gesetzentwurf nicht folgen.Danke schön.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Mechthild
Rawert, SPD, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Bürgerinnen,liebe Bürger! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Gesagt.Getan. Gerecht.“ Wir Sozialdemokratinnen und Sozial-demokraten haben im SPD-Regierungsprogramm unddann auch in unserem gemeinsamen Koalitionsvertragversprochen, die Situation der Pflegebedürftigen, ihrerAngehörigen und der Menschen, die in der Pflege arbei-ten, zu verbessern. Und jetzt halten wir unsere Verspre-chen. Ich freue mich, Ihnen über den Erfolg der erstenStufe der Reform der sozialen Pflegeversicherung zu be-richten.
Wir haben mit dem Pflegestärkungsgesetz I vieleMenschen bessergestellt. Dieses Gesetz ist Teil einesgrößeren Pflegereformvorhabens in dieser Legislaturpe-riode. Hierzu gehören das Pflegezeitgesetz – das übri-gens sehr viel besser ist, als Sie es gerade dargestellt ha-ben, Frau Zimmermann –, das Pflegeberufegesetz undvor allen Dingen das Pflegestärkungsgesetz II mit demneuen Begriff der Pflegebedürftigkeit und einem neuenBegutachtungsverfahren. Wer jetzt noch Begrifflichkei-ten wie „Minutentakt“, „zu wenig Zeit“ benutzt und be-klagt, Pflege beschränke sich nur auf das Saubermachen,der muss wissen: Das ist ein vorübergehender Zustand.Wir ändern vieles schon mit diesem Gesetz.
Wir verfolgen einen politischen roten Faden und set-zen langjährige Forderungen der SPD um.
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Mechthild Rawert
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Hier ist zu nennen: Wir schaffen deutliche Verbesserun-gen für Pflegebedürftige. Wir stärken die häuslichePflege. Wir berücksichtigen sehr viel stärker die indivi-duellen Bedarfe. Wir sorgen für eine bessere Vereinbar-keit von Pflege, Familie und Beruf; denn wir wissen,dass ein jedes Unternehmen nur dann wirtschaftlichenErfolg hat, wenn es sich tatsächlich um das große Thema„Vereinbarkeit von Beruf, Familie, Kinderbetreuung undPflege“ kümmert.
Wir sorgen auch für eine materielle Aufwertung derPflegeberufe und für gute Arbeit in der Pflege. Wir sor-gen für mehr Teilhabe pflegebedürftiger Menschen.Zweifeln Sie nicht – Frau Scharfenberg, Sie haben es er-wähnt –: Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokra-ten werden in einer älter werdenden Gesellschaft in einerneuen Legislaturperiode die Finanzierung der Pflegenoch auf andere Füße stellen – mit der Bürgerversiche-rung.
Dies ist ein Gebot der Solidarität. Jetzt erfüllen wir aberunseren Koalitionsvertrag.Wir denken Pflege vom Menschen her. Eine häusli-che, eine ambulante oder eine stationäre pflegerischeVersorgung und Beratung müssen sich immer verfeinern.Wir sind nah dran an den Menschen in ihren vielfältigenLebenswelten und ihren differenzierten Betreuungs- undPflegebedarfen. Ich denke zum Beispiel an die Bedürf-nisse von Migrantinnen und Migranten, von Menschenmit Behinderungen, von Schwulen, Lesben und transi-denten Menschen, von Menschen mit eingeschränktenAlltagsfähigkeiten. Sie alle haben ein Bedürfnis und einRecht auf eine diskriminierungsfreie qualifizierte Pflege.Um die Würde als Mensch zu stärken – wir alle sind da-ran interessiert, dass sie nicht verloren geht –, müssenwir Freiheit und, soweit als möglich, auch selbstbe-stimmte Entscheidungen von Pflegebedürftigen und ih-ren Angehörigen ermöglichen. Dazu bedarf es aber desAbbaus von Zugangsbarrieren. Hierzu leisten wir mitdiesem Pflegestärkungsgesetz I einen wichtigen Beitrag.Wir alle, unsere ganze Gesellschaft, müssen es er-möglichen, dass Pflegebedürftige sich zugehörig undaufgehoben fühlen. Unser Ziel ist ein verstärktes Zuge-hörigkeitsgefühl. Die UN-Behindertenrechtskonventionnennt es ein „enhanced sense of belonging“.
– Ich habe es gerade gesagt, Herr Spahn. Das heißt „ver-stärktes Zugehörigkeitsgefühl“.Außerdem wollen wir mehr Geschlechtergerechtig-keit. Die scheinbare Selbstverständlichkeit, dass Frauenauch in Zukunft die Hauptlast der Pflegearbeit tragen, isttrügerisch – nicht aus Mangel an Liebe der Frauen zu ih-ren Familien, sondern aufgrund von zunehmender Er-werbstätigkeit und höherer Mobilität.Ich bin froh über die vielen Leistungsverbesserungenim Pflegestärkungsgesetz I, über den Ausbau und dieflexiblere Inanspruchnahme von Kurzzeit- und Verhin-derungspflege und der Tages- und Nachtpflege, über dieZunahme der niedrigschwelligen Angebote, über die Er-höhung des Wohngruppenzuschlags und über – daraufbin ich als Sozialdemokratin besonders stolz – die bes-sere Förderung des barrierefreien Umbaus der eigenenWohnung.
Denn Barrierefreiheit ist Voraussetzung dafür, dass Men-schen zu Hause, in ihrer vertrauten Umgebung, bleibenkönnen. Wir werden so den Alltag und die Organisationder häuslichen Pflege verbessern.Ja, Pflegende und Pflegebedürftige haben ein Rechtauf bessere Lebensqualität. Wir als Politik werden dafürsorgen, dass dieses Recht für die ambulante, die teilsta-tionäre und die stationäre Versorgung gilt. Wir habenhier alles umfassend im Blick. Daher dieser erste posi-tive Schritt; der zweite folgt in Kürze.
Wir haben gut verhandelt. Die SPD hat sich für dieAnerkennung der Tariflöhne bei Pflegesatz- und Pflege-güteverhandlungen sehr starkgemacht. Niemand darfmehr eine Bezahlung nach Tarif als unwirtschaftlich ab-lehnen, und niemand darf eine entsprechende Vergütungnach kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen als unwirt-schaftlich ablehnen.
Ich bin dem Bundesministerium für Gesundheit dankbarfür diese Ergänzung, zumal ich selber auch schon bei öf-fentlichen und kirchlichen Trägern gearbeitet habe unddaher weiß, wie bedeutsam es ist, hier das Arbeitsrechteinzuhalten.Wir haben durchgesetzt, dass vereinbarte Tariflöhnetatsächlich bei den Beschäftigten anzukommen habenund nicht zwischendurch kleben bleiben dürfen.
Wir setzen uns also für die konsequente tarifliche Bezah-lung auch in der Pflege ein.Auch Pflegeeinrichtungen profitieren von diesem Ge-setz durch weniger Bürokratie.Vorhin ist gesagt worden, wir würden hier einenMarkt entwickeln, der unreguliert ist. Wir werden zeit-nah eine Evaluation vorlegen; denn niemand ist daran in-teressiert, dass sich ein Markt von personenorientiertenDienstleistungen tatsächlich unreguliert entwickelt.Auch hier wird das Arbeitsrecht in jedem Fall gelten.Dazu ist die Evaluation da.
Zusammenfassend: Niemand soll glauben: Das war’sschon. Jetzt kommt das Pflegestärkungsgesetz I. Dann
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Mechthild Rawert
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kommt das Pflegezeitgesetz. Dann kommt das Pflegebe-rufegesetz.
Liebe Frau Kollegin Rawert, denken Sie an die Rede-
zeit.
Ich bin beim letzten Satz. – Dann kommt vor allen
Dingen noch das Pflegestärkungsgesetz II. Wir sorgen
auch für eine sichere und nachhaltige Finanzierung.
Ich freue mich darauf, dass wir in zwei Wochen gemein-
sam weiter daran schaffen, damit es auch insgesamt zü-
gig vorangeht.
Danke schön.
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die KolleginMaria Klein-Schmeink.
Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Es scheint mir zu gelten: Froh zu sein bedarf eswenig.
Die Frage ist: Ist das eigentlich angemessen für diePflege und für die Situation, die wir in der Pflege vorfin-den? Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Unions-fraktion, ich meine, Sie hätten hier eigentlich etwas mehrDemut und etwas mehr Realismus an den Tag legenmüssen.Sie haben vier Jahre verloren. Das ist verlorene Zeitfür die Pflegebedürftigen und für die Pflegenden gewe-sen. Da haben Sie fast nichts gemacht. Jetzt kommt einePflegereform in Trippelschritten daher. Das ist derGrund, warum die Leute jetzt so enttäuscht sind und sa-gen: Dieses Pflegestärkungsgesetz reicht uns nicht.
Dieser Meinung sind nicht nur die Grünen, dieserMeinung ist nicht nur die Linke, sondern dieser Meinungsind auch viele Sachverständige gewesen. Auch aus derBevölkerung und aus der Pflege selbst ist große Enttäu-schung zu spüren.
Dieser Enttäuschung, liebe SPD, müsst ihr euch stellen.Ich kann gut nachvollziehen, dass es ganz schön schwie-rig ist, zu erreichen, dass die Union in die Pötte kommt.
Trotzdem muss man sagen: Das, was jetzt auf dem Tischliegt, ist zu wenig.
Sie erhöhen den Beitragssatz nur um 0,3 Prozent-punkte. 0,1 Prozent bleiben allein schon für den Pflege-vorsorgefonds auf der Strecke. Die Mittel kommen nichtbei den Pflegenden und nicht bei den Pflegebedürftigenan.
Das ist ein Depot für die Zukunft. 20 Jahre lang werden0,1 Prozent angespart, um das Geld in 20 Jahren auszu-geben. Was hat das mit Nachhaltigkeit zu tun? Nichts!Das ist doch die Wahrheit.
Dann bleiben noch 0,2 Prozentpunkte. Von den darausresultierenden Mitteln sind ungefähr 880 Millionen Euronur dafür da, um die Leistungen, die wir schon jetzt ha-ben, zu erhalten. Noch nicht einmal das gelingt Ihnenwirklich. Der Preisverfall wird nicht voll ausgeglichen;das haben uns die Sachverständigen deutlich gesagt. DieDynamisierung, die Sie jetzt ein Mal vornehmen – dasist noch nicht einmal regelgebunden, also nicht verläss-lich –,
reicht noch nicht einmal, um sozusagen den Verfall derPflegeleistungen, die man von der Pflegeversicherungbekommt, aufzuhalten. Das ist doch die Wahrheit, diewir anschauen müssen.
Dann bleibt tatsächlich noch etwas für Verbesserun-gen in der Pflege übrig, aber nicht für die entscheiden-den Verbesserungen, die wir eigentlich bräuchten,
um zum Beispiel die Minutenpflege wirklich abstellenzu können. Es geht doch auch um die Frage: Wie kriegenwir Pflege teilhabegerechter hin? Da werden wir alleinmit dem, was Sie jetzt an Flexibilisierung vorsehen,nicht auskommen; da brauchen wir viel mehr. Das ist diegroße Herausforderung, vor der wir stehen.Die weitere Pflegereform steht doch noch aus. Wirwissen schon heute – das haben uns die Sachverständi-gen sehr deutlich gesagt –, dass diese weitere Stufe un-terfinanziert sein wird. Man wird mit dem Beitragssatzvon 0,2 Prozent, den Sie bereit sind draufzulegen, diese
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5660 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014
Maria Klein-Schmeink
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weitere Stufe nicht hinbekommen. Sie ist schon jetzt un-terfinanziert, und Sie haben keinen Plan dafür, wie dasgehen soll. Das ist doch die Wahrheit.
Ich hörte, dass Herr Kauder vorhin sagte: Wie, da sollnoch mehr Geld hin? – Genau das bezeichnet nämlichIhre Haltung zur Pflege. Es geht Ihnen nicht darum, zuschauen, was wir wirklich brauchen, um zukunftsfähigzu sein. Ihnen geht es nur um die Frage, wie Sie die Kos-ten bei den Beitragssätzen deckeln können. Das ist auchdeshalb so, weil Sie mit den Beitragssätzen wesentlicheandere Aufgaben finanzieren wollen. Sie lassen anstelleder Steuerzahler die Beitragszahler zahlen.
Das ist Ihre Methode, mit der Sie an die Lösung von Zu-kunftsproblemen herangehen wollen. Das ist verfehlt.
– Nein, sie sind nicht lang, sondern ich zeige genau auf,wo wir mit diesem Pflegestärkungsgesetz landen wer-den. Das ist eine Pflegereform nur in Trippelschritten,und wir müssen leider fürchten, dass die weiteren Stufennicht wirklich kommen. Das ist die Wahrheit, um die eshier eigentlich geht.
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Jens
Spahn.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Frau Kipping, was Sie hier gerade gesagt haben,war schon entlarvend. Sie haben im ersten Teil IhrerRede in Stamokap-Rhetorik
über Finanzfantasien gesprochen. Sie haben es geschafft,hier minutenlang zu reden, ohne einmal diejenigen zu er-wähnen, um die es in der Pflege wirklich geht, nämlichum die Menschen, das heißt um die Pflegebedürftigenund ihre Angehörigen. Sie befinden sich in irgendwel-chen Theoriegebäuden, und wir sind bei den Menschen.Das ist heute hier wieder deutlich geworden.
Worum geht es bei der Pflege? Worum geht es, wennman pflegebedürftig ist? Es geht darum, dass man Unter-stützung im Alltag braucht, dass man Unterstützungbraucht, wenn man morgens nicht mehr allein aufstehenund sich waschen kann. Das ist für diejenigen, die lang-sam erkennen müssen, diese Hilfe zu brauchen, nachdemsie 60, 70 oder 80 Jahre lang im Leben ihren Mann bzw.ihre Frau gestanden haben,
die merken, dass sie es nicht mehr alleine schaffen, eineganz große Herausforderung. Es geht um eine Situation,in der Menschen – die Pflegebedürftigen wie auch ihrepflegenden Angehörigen – Unterstützung brauchen. Da-rüber ein wenig zu reden,
das wäre heute Morgen angemessen gewesen – und nichtdas Geschrei, das Sie hier veranstaltet haben.
Genau diese Unterstützung im Alltag wollen wir auchliefern.Worum geht es den meisten, die man fragt, was siebrauchen und worum es in der Pflege eigentlich geht?Die meisten sagen dann: Wir brauchen mehr Zeit undmehr Pflegekräfte bzw. ein Stück weit mehr Unterstüt-zung dabei, uns kümmern zu können. Das brauchen wir,um als pflegende Angehörige auch einmal eine Insel derErholung zu haben.
Genau da, beim ambulanten Bereich der Pflege, set-zen wir an.
– So wie Sie hier krakeelen, Frau Kipping, scheint das jawehgetan zu haben.Bei der ambulanten Pflege geht es darum, dass mannicht nur die klassischen Pflegeunterstützungen – diesoll es natürlich auch weiterhin geben – im Alltag be-kommt, sondern dass es für pflegende Angehörige mehrMöglichkeiten gibt, sich Inseln des Luftholens zu ver-schaffen. Es geht um Betreuungs- und Entlastungsleis-tungen. Es geht darum, dass man weiß, dass zweimal inder Woche – am Dienstag- oder Donnerstagnachmittag –jemand für drei oder vier Stunden da ist, sodass man sei-nen Hobbys nachgehen und seine Freundschaften pfle-gen kann. Zu Hause pflegender Angehöriger zu sein,heißt, sieben Tag die Woche 24 Stunden lang im Einsatzzu sein. Genau diesen Menschen wollen wir helfen, In-seln der Entlastung im Alltag zu haben. Das machen wirmit den Betreuungs- und Entlastungsleistungen möglich.
Das Gleiche gilt für die stationären Einrichtungen.Pro 20 Pflegebedürftige wird es eine Betreuungskraft ge-ben. Das macht im Ergebnis für Deutschland 50 000 Be-treuungskräfte. Das ist – dies wird von den Pflegekräftenbestätigt, mit denen wir in den Einrichtungen reden –
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014 5661
Jens Spahn
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eine enorme Entlastung. Die Pflegekräfte sagen: Wir ha-ben es gemerkt, dass es neue Kräfte schon in einem ers-ten Schritt gab. Wir werden auch das merken, was ihrjetzt tut: dass es mehr Personal gibt. Es entlastet uns imAlltag. Wir haben insgesamt wieder mehr Zeit. – Des-halb sind beide Maßnahmen – sowohl im ambulanten alsauch im stationären Bereich – ein wichtiges Signal fürmehr Zeit und Unterstützung in der Pflege.
Insofern ist das, liebe Frau Scharfenberg und liebeFrau Klein-Schmeink, was Sie hier gesagt haben, schonein bisschen Hohn. Sie sagen, das sei luftleer bzw. ir-gendwie Kosmetik oder Arithmetik. Auch sprachen Sievon „Trippelschritten“. Wir können ja einmal mit denpflegenden Angehörigen, den Pflegekräften und denPflegebedürftigen sprechen.
Ich war in diesen Tagen bei einer Selbsthilfegruppe pfle-gender Angehöriger. Die sagen: Wir brauchen genaudas: Entlastung bzw. Hilfen im Alltag und Inseln der Er-holung. – Genau das geben wir ihnen. Es ist einfach einSchlag ins Gesicht dieser Menschen, wenn Sie sagen:Das ist nichts. Das ist luftleer. Das sind Trippelschritte. –Für die pflegenden Angehörigen ist es eine enormeHilfe.
Auch da hat die Linke in ihrer Argumentation wiederetwas Besonderes geschafft; das haben wir gerade ge-hört. Sie sind es, die wirklich bei jeder Gelegenheit kriti-sieren, dass es private Anbieter in der Pflege oder im Ge-sundheitswesen gibt. Alles, was privat und nichtstaatlich ist, ist bei Ihnen schlecht. Bei der Argumenta-tion zu den Entlastungsleistungen schaffen Sie es, dieStellungnahme des Bundesverbandes privater Anbietersozialer Dienste bis in die Wortwahl eins zu eins aufzu-greifen und zu zitieren. Sie stellen sich damit gegen denSozialverband Deutschland, gegen den VdK und gegendie BAG Selbsthilfe. Die Sozialverbände sagen: Das,was ihr tut, ist richtig. Die privaten Anbieter sagen: Dasist falsch.
Die Linken sind aufseiten der privaten Anbieter. Es istbemerkenswert, das heute hier festzustellen. Sie sind mitIhrer Argumentation nicht aufseiten der Sozialverbände,Sie sind aufseiten der privaten Anbieter.
– Ja, ja, ich weiß, es tut weh, wenn man sich verrannthat, aber am Ende ist es so.
Worum geht es noch, wenn wir über Zeit reden? DiePflegenden sagen uns: Es geht auch darum, dass ihr Bü-rokratie abbaut. Wir sind viel zu sehr damit beschäftigt,Häkchen zu machen, um zu dokumentieren, was wir denganzen Tag gemacht haben, und kommen viel zu wenigdazu, uns um die Menschen zu kümmern. – Genau das– der Minister hat es gesagt – steht zwar nicht im Gesetz,aber wir regeln es parallel, indem wir bei der Dokumen-tation zu Veränderungen kommen.Hier geht es eigentlich um etwas ganz Banales, etwassehr Vernünftiges. Wir müssen davon wegkommen, alleszu dokumentieren, dass man all das nachweisen muss,was den ganzen Tag abgelaufen ist. Wir wollen hin zudem einfachen Prinzip, nur noch das zu dokumentieren,was ungewöhnlich, was anders als am Vortag war. Jedersieht, dass Dokumentation nötig ist, um die Qualitätnachvollziehbar zu machen. Am Ende muss es aber einvernünftiges Maß und vernünftige Regeln zur Dokumen-tation geben. Hier gehen wir einen wichtigen Schrittnach vorne. Das sagen auch diejenigen, die in der Pflegetätig sind. Das bringt 20 bis 30 Prozent weniger Pflege-bürokratie. Selbst wenn es nur die Hälfte wäre, wäre esein guter Schritt nach vorne, weil dies mehr Zeit für diePflegbedürftigen bedeutet, liebe Kolleginnen und Kolle-gen.
Kommen wir zu dem, was die Menschen wollen. Sievon der Opposition sagen, all das, was wir jetzt tun, gehean den Zielen der Menschen vorbei. Ein wichtigerAspekt dabei ist – er ist bereits angesprochen worden –:Die Menschen wollen möglichst lange zu Hause bleiben,möglichst lange in den eigenen vier Wänden leben. Da-für gibt es die Entlastungs- und Betreuungsleistungen.Dazu gehört aber auch die Möglichkeit, das eigeneZuhause umzubauen, etwa etwas an der Dusche zu ver-ändern, das Bad insgesamt umzubauen oder die Türen zuverbreitern. Wir erhöhen den Zuschuss, den die Pflege-versicherung für solche Umbaumaßnahmen vorsieht, auf4 000 Euro pro Maßnahme. Frau Ministerin Hendrickshat gerade angekündigt, dass die KfW das altersgerechteUmbauen von Wohnungen durch günstige Kredite undentsprechende Zuschüsse weiter fördern wird. Auch hierhelfen wir den Menschen, ihren größten Wunsch, längerin den Wohnungen bleiben zu können, umzusetzen. Des-wegen ist dies ein guter Tag für Pflegende und Pflegebe-dürftige in Deutschland.
Herr Kollege Spahn, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Klein-Schmeink?
Jederzeit.
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5662 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014
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Sie haben jetzt sehr beredt verschiedene Verbesserun-gen aufgezählt. Das waren sehr einfache Dinge, wie zumBeispiel die Wohnraumanpassung. Das ist leicht ver-ständlich. Warum haben Sie es in den letzten vier Jahrennicht geschafft, genau diese Dinge auf den Weg zu brin-gen? Warum hat es diese Leistung zur Entlastung pfle-gender Angehöriger nicht schon längst gegeben? Warumhat es den Bürokratieabbau nicht gegeben? Sie hattendafür extra eine Fachbeauftragte. Warum hat es das allesnicht gegeben? Warum müssen wir jetzt darüber redenund müssen gleichzeitig zur Kenntnis nehmen, dass dieeigentliche Pflegereform schon wieder verschoben wor-den ist?
Liebe Frau Kollegin Klein-Schmeink, auch Sie sind
schon ein bisschen länger dabei. Wenn Sie an die letzten
Jahre denken, wüssten Sie genauso gut wie ich, dass wir
in der christlich-liberalen Koalition in der letzten Legis-
laturperiode mit dem Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz
schon ganz wichtige erste Schritte in Richtung mehr Be-
treuung gegangen sind.
Wir haben zum ersten Mal in größerem Umfang De-
menz, die Einschränkung kognitiver Fähigkeiten, be-
rücksichtigt. Wir haben zum ersten Mal Hilfe gegeben.
Wir gehen diese Schritte jetzt weiter. Das ganze Leben
ist Evolution, Weiterentwicklung.
– Wenn das einzige Argument, das Sie hier noch haben,
um dagegen zu stimmen, ist, dass es zu spät und zu we-
nig ist, dann ist das ein schlechtes Argument, das Sie
hier vorbringen, um am Ende Nein sagen zu müssen und
den Menschen nicht im Alltag zu helfen. Das ist das ein-
zige Argument, das Sie hier vorbringen.
Sie wissen genau, dass die Dinge sich entwickeln
müssen. Sie wissen genau, dass der Pflegebedürftigkeits-
begriff jetzt erst einmal in der Praxis getestet werden
muss. Eines ist nämlich klar: Wir machen kein Experi-
ment mit 1 Million Menschen in Deutschland. Jedes Jahr
werden 1 Million Menschen neu in der Pflegeversiche-
rung eingestuft – „eingestuft“ ist so ein furchtbares Wort –,
oder besser gesagt: Man schaut, welche Hilfe sie brau-
chen. Wir sagen: Nur weil es theoretische Konzepte gibt,
wie das zu verändern wäre und wie man das anders se-
hen könnte, können wir diese nicht mal eben 1 Million
Menschen überstülpen, sondern wir müssen das erst in
Modellprojekten in der Praxis erproben und fragen: Was
ist vorher? Was ist nachher? Wenn wir dann sehen, dass
es gut ist und ohne Fehler funktioniert, machen wir es
für alle. Das ist vernünftig. Dann bricht auch kein Chaos
aus, und es ist vor allen Dingen Planungssicherheit gege-
ben. Deswegen dauert es noch ein paar Monate, und die
werden wir uns noch gedulden müssen, liebe Frau Kolle-
gin.
Ich komme zum Vorsorgefonds, der hier schon mehr-
fach angesprochen wurde. 1964 wurden 1,4 Millionen
Menschen in Deutschland geboren – der Kollege
Nüßlein hat gerade darauf hingewiesen –, der geburten-
stärkste Jahrgang, den es jemals in Deutschland gab.
Diese Menschen wurden oder werden in diesem Jahr alle
50 Jahre alt. In diesem Jahr werden, wenn es gut läuft,
650 000 Kinder geboren – halb so viele. Das heißt, wir
wissen jetzt schon: Wenn die Menschen dieses geburten-
starken Jahrgangs in 25, 30 oder 35 Jahren teilweise
pflegebedürftig werden – bis zu einem Drittel jedes Jahr-
gangs braucht wahrscheinlich Unterstützung im Alter –,
dann wird es wesentlich weniger Beitragszahler, wesent-
lich weniger junge Menschen in Deutschland geben, die
das am Ende mitfinanzieren müssen. Dass wir heute an-
fangen, zum ersten Mal in einem sozialen Sicherungs-
system gezielt eine Rücklage für diese Zeit zu bilden,
ist übrigens nicht nur ein Schutz für künftige Beitrags-
zahler, sondern vor allem auch ein Schutz für künftige
Pflegebedürftige; denn nur dann, wenn finanzielle Spiel-
räume da sind, wird nicht über Leistungskürzungen ge-
redet. Ja, natürlich ist Sparen im Heute immer schwerer,
als Geld auszugeben. Sie haben immer ganz viele Ideen,
was man alles noch finanzieren könnte. Die hätten wir
auch. Sparen ist immer anstrengender, weil es Konsum-
verzicht im Heute bedeutet. Aber eine kluge Gesell-
schaft sorgt für das Morgen vor, wenn sie weiß, was da
passiert. Genau das tun wir an dieser Stelle.
Man hätte sich im Übrigen – es ist schon darauf hin-
gewiesen worden – gerade von den Grünen gewünscht,
die doch sonst immer von Nachhaltigkeit reden und da-
von, dass man an spätere Generationen denken müsse,
dass sie in ihrer Argumentation einmal etwas mehr auf
diese demografische Veränderung in Deutschland einge-
hen. Wir werden weniger, und wir werden älter. Das ist
ja erst einmal etwas Schönes. Aber das Ganze muss am
Ende auch noch gestaltbar und finanzierbar sein. Man
hätte sich gewünscht, dass Sie auch dazu einmal zwei
oder drei Sätze grundsätzlicher Art sagen.
Kollege Spahn, die Kollegin Scharfenberg hätte auchgern eine Zwischenfrage gestellt oder eine Zwischenbe-merkung gemacht.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014 5663
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Sie hat zwar auch schon geredet, aber gerne.
– Offensichtlich.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich hätte noch einmal
eine Frage zu dem Vorsorgefonds. Es gab ja Anhörun-
gen. Da gab es kaum einen Experten, der diesem Pflege-
vorsorgefonds, über den wir heute abstimmen, etwas
Positives abgewinnen konnte. Das hatte unterschiedliche
Facetten; aber es gab eigentlich niemanden, der gesagt
hat: Das ist der große Wurf, und das wird etwas bringen. –
Warum führen Sie ihn trotzdem ein? Warum stellen Sie
sich gegen die Expertenmeinungen? Es ist ja nicht nur
die Opposition, die das hier moniert.
Es ist ja wie immer bei Anhörungen: Man sucht sich
die Meinung heraus, die zur eigenen am besten passt.
– Jetzt lassen Sie mich einmal den Gedanken zu Ende
führen. – Ein Teil der Experten hat gesagt: Eigentlich
müsstet ihr noch mehr zurücklegen.
Dafür hätte ich die Grünen hier gerne kämpfen sehen.
Wenn Sie die angebliche Partei der Nachhaltigkeit und
derjenigen, die an morgen denken, sind – so deklarieren
Sie sich ja immer –, dann müssten eigentlich Sie hier sit-
zen und sagen: Ihr müsst noch mehr zurücklegen, und
nicht weniger. – Das wäre die Argumentation, die ich
mir von Ihnen gewünscht hätte.
Trotzdem ist es am Ende besser, überhaupt einmal an-
zufangen. Ein Teil der Experten hat gesagt: Es ist richtig,
dass ihr anfangt; aber eigentlich müsstet ihr mehr tun. –
Übrigens haben selbst die deutschen Gewerkschaften ge-
sagt, dass es sinnvoll sei, in der Rentenversicherung
Rücklagen zu bilden, wenn wir alle immer älter werden.
Das ist ein ganz wichtiges Prinzip. Ich würde mir zumin-
dest einmal wünschen, dass Sie in Ihren Reden nicht nur
immer an das Heute denken und daran, wie wir mög-
lichst viel heute tun können. Sie haben in keiner Ihrer
Reden auf die Herausforderung hingewiesen, dass die
Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland in den nächs-
ten Jahren steigen wird.
Sie sind immer nur im Jetzt, und das war ich von Ihnen
eigentlich anders gewohnt.
Abschließend muss man mit Blick auf das Finanzvo-
lumen sagen: Wir werden den Leistungsumfang der ge-
setzlichen Pflegeversicherung insgesamt um etwa
10 Prozent erhöhen. Das ist die größte Erhöhung, die es
jemals in einem sozialen Sicherungssystem gegeben hat –
um 2,4 Milliarden Euro. Wir werden dies – es gehört zur
Wahrheit dazu; das muss man ehrlich sagen – über eine
Erhöhung des Beitragssatzes finanzieren. Ja, für Arbeit-
nehmer, Arbeitgeber und Rentner werden höhere Bei-
träge fällig. Aber das Spannende ist: In dieser Debatte in
Deutschland gibt es niemanden, der diese Beitragssatz-
erhöhung kritisiert – Arbeitgeber nicht, Gewerkschaften
nicht, Sozialverbände nicht, Pflegeeinrichtungen nicht.
Alle sagen, jeder erkennt an – wahrscheinlich, weil jeder
schon in der eigenen Familie erlebt hat, was in der
Pflege eigentlich nötig ist, um eine bessere Unterstüt-
zung zu leisten –, dass wir hier einen richtigen Schritt
tun, dass es richtig ist, mehr zu investieren. Ich glaube,
das ist die umstrittenste Beitragssatzerhöhung, die es seit
langer Zeit in der Bundesrepublik gegeben hat.
– Sorry! Eine wichtige Silbe fehlte – sehr richtiger Hin-
weis –: unumstrittenste Beitragssatzerhöhung in der Ge-
schichte der Bundesrepublik. – Dass sie so unumstritten
ist, zeigt eben, dass wir in Deutschland am Ende einen
ganz wichtigen, richtigen, großen Schritt tun für die
Pflegebedürftigen, für ihre Angehörigen und für die
Pflegekräfte.
Insofern könnte man erwarten, dass Sie von Ihrer Bra-
chialrhetorik wegkommen, die weit weg von dem ist,
was die Menschen im Alltag erleben,
und anerkennen, dass wir hier Gutes tun. Die Kollegin
hat so schön gesagt: „Froh zu sein bedarf es wenig.“ –
Ich ergänze: Und wer froh ist, ist ein König. – Seien Sie
mal ein bisschen froh über das Gute, das wir hier tun.
Die Kollegin Heike Baehrens hat als nächste Redne-
rin das Wort für die Sozialdemokraten.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!Pflegekräfte brauchen eine gute Bezahlung. Denn in derZukunft werden wir engagiertes und gut qualifiziertesPersonal nur dann bekommen, wenn in diesem Beruf or-dentlich verdient werden kann.
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5664 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014
Heike Baehrens
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Darum stellen wir heute klar, dass das Zahlen von Tarif-gehältern in der Pflege nicht mehr von Pflegekassen undSozialhilfeträgern als unwirtschaftlich abgelehnt werdendarf.
Es hatte gravierende Auswirkungen, dass tariflicheBezahlung bei der Aushandlung von Pflegesätzen weit-gehend nicht anerkannt wurde. Denn das, was Pflege-kräfte heute an Druck im Arbeitsalltag erleben, hängt ei-nerseits mit der überbordenden Bürokratie zusammen– daran werden wir jetzt etwas verändern –, andererseitsaber ganz wesentlich damit, dass der wirtschaftlicheDruck bei den Pflegeanbietern dazu geführt hat, wenigerPersonal anzustellen und vom Einzelnen immer mehr zufordern.In den Verhandlungen zwischen Leistungserbringernund Kostenträgern, die ich in den letzten 15 Jahren anverantwortlicher Stelle hautnah erlebt habe, kamen wiruns oft vor wie auf einem Teppichbasar. Unter Verweisauf den sogenannten externen Vergleich wurden Pflege-sätze fast völlig ohne Berücksichtigung der nachge-wiesenen tarifbedingten Personalkostensteigerungenfestgesetzt. Langwierige Verhandlungen, aufwendigeSchiedsverfahren und gar jahrelang im Raum schwe-bende Sozialgerichtsverfahren haben alle Verhandlungs-beteiligten zermürbt, haben unendlich viel Arbeitszeitbei den Pflegeanbietern und ihren Verbänden und ebensobei den Pflegekassen und Sozialhilfeträgern gebunden.Nicht einmal Tarife wie die kirchlichen Arbeitsvertrags-richtlinien, die sich nachweislich am Tarif des öffentli-chen Dienstes orientieren, wurden bei Pflegesatzver-handlungen anerkannt. So entstand über die Jahre einwirtschaftlicher Druck, der direkt beim Personal und da-mit auch bei den pflegebedürftigen Menschen angekom-men ist.
In der ambulanten Pflege mussten immer mehr Pfle-gebedürftige von immer weniger Pflegekräften versorgtwerden. In der stationären Pflege, in der es vereinbartePersonalschlüssel gibt und damit kein Absenken desPersonals möglich ist, gliederten immer mehr Pflegeun-ternehmen einzelne Leistungsbereiche in sogenannteServiceunternehmen aus, um beispielsweise Reinigungs-kräfte oder hauswirtschaftliches Personal untertariflichzu bezahlen. Gute Stimmung in der Pflege macht so et-was nicht.
Wettbewerb war in der Pflegeversicherung zwar vonAnfang an gewollt, es war aber nicht gewollt, dass diePflegedienste, die ihrem Personal Tarifgehälter zahlen,dies letztlich damit bezahlen müssen, dass sich die Ar-beitsbedingungen in der Pflege und damit auch die Qua-lität der Pflegeleistungen verschlechtern.So war es ein Befreiungsschlag, aber ein längst über-fälliger, dass sich das Bundessozialgericht im Jahr 2013nach mehreren Musterverfahren endlich dazu durchge-rungen hat, höchstrichterlich zu entscheiden, dass dieEinhaltung der Tarifbindung und die Zahlung ortsübli-cher Gehälter grundsätzlich als wirtschaftlich angemes-sen zu werten sind und den Grundsätzen wirtschaftlicherBetriebsführung entsprechen.
Es ist folgerichtig, dass wir heute diese wichtige Er-kenntnis in das SGB XI aufnehmen und damit den Rah-menvertragspartnern in den Bundesländern eine klareRichtschnur geben.
Das ist mitnichten nur eine handwerkliche Klarstellung.Es ist zuallererst ein fundamentaler Beitrag zur Stärkungder Pflege.
Damit erkennen wir gute Bezahlung an, damit stärkenwir jenen Pflegediensten den Rücken, die mit verlässli-chen Arbeitsbedingungen und ordentlicher Bezahlungihrer Mitarbeiter eine qualitativ gute Pflege leisten; dennsie sind diejenigen, die in unserer Gesellschaft das Anse-hen des Pflegeberufes hochhalten. Wir geben heute einklares Signal an die Verhandlungspartner auf Länder-ebene, solche geordneten Verhältnisse anzuerkennen undbei der Preisgestaltung einzukalkulieren. Wir sendeneine klare Botschaft an die Pflegeanbieter, ihr Personalweiterhin nach Tarif oder kirchlichen Arbeitsvertrags-richtlinien zu bezahlen, sich in der Pflege für Tarifbin-dung in der Fläche einzusetzen und die praktiziertenFluchtbewegungen wieder einzustellen.
Wir rufen jenen Anbietern, die derzeit ihr Personalnoch nicht angemessen bezahlen – dafür gibt es leiderjede Menge schlechter Beispiele aus den Medien –, zu:Zahlen Sie Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern inder Pflege endlich das, was ihnen für ihre wertvolle Ar-beit zusteht, nämlich ein anständiges Gehalt, auf das siesich verlassen können!
Die heutige gesetzliche Klarstellung – noch dazu, wennsie, wie sich im Ausschuss abgezeichnet hat, einstimmigbeschlossen werden sollte – ist ein starkes Signal derPolitik an alle, denen eine würdevolle Pflege bei Krank-heit und im Alter am Herzen liegt.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014 5665
Heike Baehrens
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Der Kollege Erwin Rüddel spricht als Nächster für
die CDU/CSU.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-
ren! Was wir heute zum Wohle der Pflegebedürftigen,
ihrer Familienangehörigen und der Pflegekräfte be-
schließen, ist von meinen Vorrednern aus der Koalition
ausgiebig – und ich sage ausdrücklich: zu Recht – ge-
würdigt worden. Denn dieses erste Pflegestärkungsge-
setz ist ein großer Reformschritt, der vielen Menschen
mehr Rechte, mehr Geld und flexiblere Leistungen brin-
gen wird. Darin hat uns die Expertenanhörung zu diesem
Gesetz bestärkt.
Es ist eine überzeugende Reform. Es ist der erste
Schritt zum großen Wurf, den wir gemeinsam im Koali-
tionsvertrag für diese Legislaturperiode versprochen ha-
ben. Dazu gehört selbstverständlich auch die zweite
Stufe der Reform, mit der wir ab 2017 die Menschen mit
demenziellen Erkrankungen in der Pflegeversicherung
entscheidend besserstellen werden.
Aber ich denke auch an eine ganze Reihe weiterer
Maßnahmen, die die Lage pflegebedürftiger Menschen
substanziell verbessern werden. Dazu gehört zweifellos
die Familienpflegezeit, die das Bundeskabinett am Mitt-
woch auf den Weg gebracht hat.
Mindestens ebenso wichtig ist die Optimierung der
medizinischen Versorgung von Pflegebedürftigen. Eine
gute flächendeckende Versorgung von Pflegebedürftigen
kann nur gelingen, wenn gleichzeitig auch eine gute flä-
chendeckende ambulante und stationäre Versorgung der
Bevölkerung sichergestellt ist.
Dem Bundesgesundheitsminister gebührt deshalb Dank
für den zielführenden Referentenentwurf des kommen-
den Versorgungsstärkungsgesetzes; denn dieser geht ge-
nau in die richtige Richtung:
Wir brauchen mehr Arztpraxen in ländlichen Regio-
nen. Wir werden die dafür entscheidenden Anreize set-
zen. Wir brauchen, vor allem auf dem Land, neue, sek-
torübergreifende Versorgungsformen, die wir mit dem
künftigen Innovationsfonds fördern werden.
Wir werden den Ausbau der Ärztenetze unterstützen.
Wir setzen den Koalitionsvertrag um und machen die
Förderung von Praxisnetzen verbindlich, womit wir
nicht zuletzt auch die Versorgung pflegebedürftiger
Menschen verbessern.
Wir sorgen dafür, dass Zahnärzte künftig häufiger zu
Vorsorgeuntersuchungen in Pflegeheime kommen. Wir
werden das entsprechend honorieren und erhöhen die
Leistungen zur zahnmedizinischen Prävention.
Wir schaffen mit einem Betreuungspaket ein maßge-
schneidertes Entlassmanagement für die Zeit nach Kran-
kenhausaufenthalten.
Und wir werden mit dem Versorgungsstärkungsgesetz
künftig auch die ärztliche Delegation fördern: Nicht jede
Behandlung muss von einem Arzt vorgenommen wer-
den. Bestimmte Tätigkeiten können auch unter Anlei-
tung eines Arztes durch andere Gesundheitsberufe erfol-
gen. Das entlastet die Pflegekräfte und hilft den
Pflegebedürftigen.
Parallel zu diesen Maßnahmen müssen wir uns um
ein optimiertes Medikamentenmanagement kümmern,
und zwar sowohl in der stationären wie auch in der am-
bulanten Versorgung. Die Patientensicherheit erfordert
gerade bei Multimorbidität ab einer bestimmten Anzahl
von Wirkstoffen eine speziell honorierte Lotsenfunktion
im System. Das elektronische Rezept oder eine passge-
naue Verblisterung können in der stationären Versorgung
auch die Pflege entlasten, mehr Zeit für Zuwendung
schaffen, aber auch die Chance für einen längeren
Verbleib in häuslicher Umgebung erhöhen und den Arz-
neimittelverbrauch reduzieren. Wenn dadurch Klinikauf-
enthalte entfallen, entlastet dies zugleich die Kranken-
kassen, besonders aber die Pflegebedürftigen.
Ein weiteres wichtiges Thema ist der Bürokratieab-
bau. Die Dokumentationspflichten müssen reduziert
werden. Das ist aber alles kein Selbstläufer. Wir brau-
chen eine starke Moderation bei der Überarbeitung der
Qualitätskriterien. Hier habe ich vollstes Vertrauen in
unseren Pflegebeauftragten, Staatssekretär Karl-Josef
Laumann, und die Parlamentarische Staatssekretärin
Ingrid Fischbach.
Politik, Selbstverwaltung und Träger müssen an einem
Strang ziehen. Ziel ist und bleibt, nicht mehr die Struk-
turqualität, sondern die Ergebnisqualität zu prüfen. Die
gewonnene Zeit steigert die Qualität und stärkt die
Pflege. Dabei kommt es darauf an, Qualität, Bürokratie-
abbau und Transparenz in der Pflege nicht gesondert zu
betrachten, sondern als Dreiklang. Nur dann ist wirklich
ein Systemwechsel möglich.
Nötig ist schließlich auch eine Reform der Pflegeaus-
bildung – hier baue ich darauf, dass die Familienministe-
rin eine ebenso umsichtige wie schlüssige Konzeption
vorlegen wird –; denn immer mehr ältere und pflegebe-
dürftige Menschen benötigen viele gut ausgebildete und
vielfach einsetzbare Pflegekräfte.
Wenn uns dies alles in dieser Legislaturperiode ge-
lingt – daran habe ich keinen Zweifel –, haben wir viel
erreicht für pflegebedürftige Menschen, ihre Angehöri-
gen und die Pflegekräfte in unserem Land.
Vielen Dank, Kollege Rüddel. – Für die Sozialdemo-kraten spricht jetzt der Kollege Dr. Karl Lauterbach.
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5666 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen undKollegen! Zunächst einmal versuche ich, unaufgeregtdarzustellen, was die Substanz dieser Reform ist.
Denn das scheint zum Teil in Vergessenheit geraten zusein. Diesen Eindruck kann man haben, wenn man hierzuhört. Was haben wir beschlossen? Ist es wirklich gut?Ist es nicht gut? Ist es übertrieben? Also: Wie ist die Ge-samtlage einzuschätzen?Ich fange mit dem an, was wir insgesamt für diePflege, also für die ambulante und für die stationärePflege, machen. Wir geben insgesamt 2,4 MilliardenEuro mehr aus. Wir verteilen das Geld, indem wir dieLeistungen dynamisieren, indem wir neue Leistungeneinführen, indem wir zum Beispiel Demente, die nochnicht pflegebedürftig im klassischen Sinne sind, besserversorgen. Was spricht dagegen, dass wir bestehendeLeistungen deutlich besser bezahlen und neue Leistun-gen, die sinnvoll sind, die gefordert werden, auf einenSchlag einführen? Was spricht dagegen, dieser Reformin diesen Belangen zuzustimmen?
Wir entsprechen dem Wunsch, die Betreuung in derPflege zu verbessern. Oft kommt man nicht zur Betreu-ung in der Pflege, weil die Zeit fehlt. Die Menschenbrauchen Betreuung. Sie brauchen jemanden, der mit ih-nen spricht. Es kommt nicht allein darauf an, gut zu pfle-gen. Vielmehr braucht derjenige, der gepflegt wird, auchjemanden, der mit ihm spricht, der ein Spiel mit ihmmacht, der einen Spaziergang mit ihm macht, der auf ihnaufpasst. All dies können nur Betreuungskräfte leisten.Wir bezahlen zusätzliche 25 000 Betreuungskräfte. Dasist die größte Aufstockung der Zahl der Betreuungs-kräfte seit Einführung der Pflegeversicherung. Wasspricht dagegen, dieser Ausdehnung, Erweiterung derAnzahl und Besserbezahlung der Betreuungskräfte zuzu-stimmen? Ich halte das für eine Errungenschaft.
In der ambulanten Pflege ist der größte Stressfaktor,wenn man pflegt – den Angehörigen ist dies zu danken;es ist wirklich zu danken, dass wir in Deutschland imVergleich zu anderen Ländern so viele Angehörige ha-ben, die bereit sind, ihre Lieben, ihre Verwandten zupflegen –, dass man kurzfristig bei einem Ausfall nichtklarkommt. Jetzt flexibilisieren und dynamisieren wirdie Tages-, die Nachtpflege, die Verhinderungspflegeund die Kurzzeitpflege. Das macht das Pflegen durchAngehörige schlicht und ergreifend viel erträglicher. Dasnimmt den Druck heraus. Das nimmt den Stress weg. Esverringert diesen Dauerdruck, der dazu führen kann,dass man über die Pflege der Angehörigen selbst krankoder zum Pflegefall wird.
Was spricht dagegen, den Angehörigen diesen Wunschzu erfüllen? Der Wunsch wurde immer wieder an unsherangetragen. Jetzt machen wir es möglich. Darübergeht das halbe Plenum hier einfach hinweg. Das ist eineaus meiner Sicht wesentliche Errungenschaft, auf die dieAngehörigen viel zu lange gewartet haben.
Ich glaube auch, dass die Reform sehr gerecht ist.Den Arbeitgeberverbänden, aber auch allen politischenGruppierungen ist zu danken. Es hat kaum Kritik darangegeben, dass die Finanzierung paritätisch erfolgt. Wennman überlegt, wie hart derzeit um jede zusätzliche Belas-tung der Wirtschaft gerungen werden muss – zu Recht –,wird man einsehen: Das ist eine großartige solidarischeLeistung unserer gesamten Gesellschaft. Niemand hathier protestiert. Wir erhöhen die Ausgaben insgesamt um6 Milliarden Euro. Die Hälfte davon wird von den Ar-beitgebern gezahlt. Daher danke an alle, die dies unter-stützen. Das ist ein Ausbau unseres Solidarsystems – denwir in anderen Bereichen derzeit nicht sehen –, wie wirihn uns gewünscht haben und wie er in unseren Wahl-programmen stand. Das ist eine gemeinsame Leistungdieser Gesellschaft, der Arbeitnehmer, Tarifparteien undArbeitgeber. Das muss gewürdigt werden.
Ich persönlich halte auch die Einführung des Vorsor-gefonds für gerecht. Selbstverständlich ist es richtig:Wenn es keine demografischen Veränderungen gebenwürde, dann wäre der Vorsorgefonds völlig überflüssig;das ist ganz klar. Aber wenn in 30 Jahren halb so vielejunge Leute in den Beruf eintreten, wie alte Leute von daan gepflegt werden müssen, wenn sich dieses Verhältnisso verändert, dann muss man dafür Geld zurücklegen.Natürlich kann man wie Sie von der Linken daraufsetzen, dass die Produktivität dramatisch ansteigt. Ihreneigenen Beitrag dazu lasse ich einmal dahingestellt.Aber wer weiß denn,
ob in den alternden Gesellschaften der Welt und in Eu-ropa diese Produktivitätszuwächse überhaupt erzieltwerden können? Das ist doch reine Spekulation. Manmuss doch sicher sein, dass man die Pflege finanzierenkann. Was die jungen Leute heute finanzieren, das mussihnen in Zukunft auch selbst geboten werden. Daher le-gen wir dieses Geld zurück.
Das ist auch kein Pflege-Bahr. Die Versicherungsin-dustrie ist gegen diesen Vorschlag gewesen. Das Geldwird nur angelegt, es wird damit nicht spekuliert. Nichtjede Anlage, Frau Kipping, ist automatisch Spekulation.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014 5667
Dr. Karl Lauterbach
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Wir hinterlegen das Geld bei der Bundesbank. Es gibtganz strenge Regeln. Wir haben es eben nicht den priva-ten Versicherungen, nicht den privaten Anbietern zurVerfügung gestellt. Wir sind dafür kritisiert worden. DieAnlage ist eine Anlage mit Augenmaß: eine Anlage mitvertretbarer Rendite, aber sehr geringem Risiko. Dashalte ich für richtig.
Herr Kollege Dr. Lauterbach, gestatten Sie eine Zwi-
schenfrage der Kollegin Zimmermann?
Ja, sehr gern.
Vielen Dank, Herr Lauterbach. – Wenn Sie selber
feststellen, dass zur Umsetzung Ihres Pflegebedürftig-
keitsbegriffs 1 Milliarde Euro fehlt – das ist nachzulesen
in der Frankfurter Rundschau und auch in der Berliner
Zeitung –, und Experten sagen: „Es wäre doch schlau,
die Milliarde, die jetzt woanders fehlt, tatsächlich nicht
zurückzulegen, sondern das in die Pflege zu stecken“,
frage ich Sie: Wie wollen Sie denn diese Milliarde, die,
wie Sie selber sagen, jetzt schon fehlt, aufholen?
Zunächst einmal muss ich Abstand nehmen: Ich bin
ganz sicher, dass ich mit dem, was Sie gerade der Frank-
furter Rundschau entnommen haben, nicht zitiert werde.
Oder wollen Sie unterstellen, dass das ein Zitat von mir
ist?
– Sie sagen: „die SPD“. Sie müssen dann schon spezifi-
scher werden. Sie haben gesagt, ich hätte das gesagt. Das
stimmt eben nicht. Ich werde nicht zitiert; daher habe ich
das auch nicht zu vertreten.
Aber ich weise ausdrücklich darauf hin: Diese Reform
bringt die größte Ausdehnung der Mittel, die es über-
haupt gab. Natürlich kann man immer mehr ausgeben;
dann muss man aber auch klar sagen, woher das Geld
kommen soll. Wir nehmen jetzt insgesamt 6 Milliarden
Euro in die Hand und finanzieren das paritätisch. Das ist
keine Kleinigkeit,
das ist die größte Ausdehnung, die wir je gemeinsam be-
schlossen haben. Darauf kann man auch ein Stück weit
stolz sein. Von daher stehen wir zu unserem Wort: Der
Pflegefonds kommt.
Umgekehrt bedanke ich mich dafür – das war uns
sehr wichtig –, dass mit dieser Reform ein Beitrag dazu
geleistet wird, dass die Einrichtungen das Geld auch für
die Pflege ausgeben: dass sie nach Tarif bezahlen, dass
sie die Pflegekräfte einstellen. Das haben wir sicherge-
stellt – auch da höre ich kein Wort des Lobes –, indem
wir in der Wirtschaftlichkeitsprüfung die Tariftreue he-
ranziehen und prüfen, ob das Geld auch tatsächlich in
der Pflege ankommt. Auch dieser Schritt war überfällig.
Somit ist das eine ausgewogene Reform, die auch die
Arbeitnehmer und die Gewerkschaften stärkt. Das ist ein
weiterer Grund, warum die Linke zustimmen sollte. Das
war schließlich – ohne dass ich jetzt eine Zeitung zitie-
ren muss – eine Forderung, die Sie immer gestellt haben.
Dafür haben wir uns eingesetzt, und das haben wir
durchgesetzt.
Ich komme zum Schluss. In der Summe ist die Re-
form aus meiner Sicht ein gelungenes, komplettes Stück.
Sie bringt eine Entbürokratisierung, sie bringt eine Aus-
dehnung. Das ist eine gerechte Reform. Das ist eine zu-
kunftsfeste Reform. Das ist eine Reform, die auch die
Generationengerechtigkeit in den Blick nimmt. Das ist
eine Reform, die den Angehörigen hilft, aber auch denje-
nigen, die in der Pflege arbeiten. Im Großen und Ganzen
ist diese Reform aus meiner Sicht ein gelungenes Ge-
samtwerk. Nichts ist perfekt – es wird immer Bedarf für
weitere Reformen geben; das erkennen wir an –; aber
das ist ein sehr wichtiger Schritt. Aus meiner Sicht ist
das ein großer Tag für die Pflegeversicherung in
Deutschland.
Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungs-
punkt ist der Kollege Erich Irlstorfer, CDU/CSU.
Ich darf vorbeugend noch einmal darauf hinweisen:
Es ist nichts Ungewöhnliches, dass vor einer oder meh-
reren namentlichen Abstimmungen der Geräuschpegel
etwas höher ist. Ich bitte aber dennoch, jetzt gerade auch
dem letzten Redner die gebührende Aufmerksamkeit zu
schenken.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Eshaben nun schon einige Rednerinnen und Redner zumersten Pflegestärkungsgesetz gesprochen. Ich darf nun
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5668 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014
Erich Irlstorfer
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den Abschluss machen. Ich möchte unterstreichen, dasswir damit endlich den ersten Schritt einer komplexenVerbesserung der Pflege in Deutschland beschließen.Nach 20-jährigem Bestehen der gesetzlichen Pflege-versicherung, in deren Verlauf zwar schon eine Reihevon Weiterentwicklungen vorgenommen wurde, ist nundiese große Reform fällig. Dabei betone ich ausdrück-lich: Die Pflegereform ist als Ganzes für diese Legislaturzu begreifen, die in verschiedenen Teilabschnitten und-schritten Verbesserungen bringen wird.Erstens. Das Gesetz, das wir heute verabschieden,bringt ab dem 1. Januar 2015 deutliche Leistungsverbes-serungen für hausärztliche, ambulante und stationärePflege und Betreuung.Zweitens. Auf die Einführung des neuen Pflegebe-dürftigkeitsbegriffs, dessen gesetzliche Grundlage wir in2015 auf Basis der beiden aktuell durchgeführten Stu-dien schaffen, werden sich alle Beteiligten im Jahr 2016vorbereiten können, damit dann die vollständige Umstel-lung 2017 gelingen kann. Das ist seriöse Politik.
Drittens. Unter einer großen Pflegereform sind inmeinen Augen auch das Pflegezeitgesetz und das ge-plante Pflegeberufegesetz zu verstehen.
Der eine oder andere wird sich jetzt fragen, warumeine Pflegereform so weit zu fassen ist. Ich möchte dasnochmals ausführen. Es geht zum einen um die pflege-bedürftigen Menschen, für die wir hier verbesserte undpassgenaue Leistungen anbieten. Es geht zum anderennatürlich auch um die Angehörigen, für die wir hier Ent-lastungen und Unterstützungen verankern. Aber – das istenorm wichtig – es geht auch um die Stärkung der Män-ner und vor allem auch der Frauen, die Pflege zu ihremBeruf gemacht haben. Das ist absolut notwendig.
Für mich ist vollkommen klar, dass diese Pflegere-form hier und jetzt begonnen werden muss. Auch die ge-sellschaftliche Akzeptanz der Erhöhung des Beitragssat-zes – vergessen wir nicht: auch vonseiten der Wirtschaft– ist in meinen Augen Ausdruck des Reformbedarfs, denwir in der Pflege haben und den uns die Menschen jedenTag zu verstehen geben. Doch klar ist auch, dass diesegroße Pflegereform nicht alle bestehenden Probleme so-fort verbessern oder auch sofort lösen kann; so ehrlichmüssen wir sein.Wir werden mit dem ersten und zweiten Pflegestär-kungsgesetz eine Beitragserhöhung vornehmen, die, aufdas System gerechnet, so hoch ist, wie es sie in keineranderen Sozialversicherungsart in den vergangenenJahrzehnten gegeben hat. Gleichzeitig möchte ich daraufaufmerksam machen, dass wir für eine umfassende Pfle-gereform – das wurde vorher schon erwähnt – Zeit brau-chen. Wir brauchen Zeit, um in einer so umfassendenEntwicklung wie dem demografischen Wandel eine an-gemessene Struktur zu finden. Dies geschieht auf unter-schiedlichste Art und Weise, auch auf verschiedenstenEbenen. Aber diese Zeit benötigen wir auch für ein an-deres Selbstverständnis, damit wir begreifen, was es be-deutet, alt, gebrechlich und hilfsbedürftig zu sein. In un-serer Gesellschaft müssen wir auch im öffentlichenLeben noch lernen, wie wir im Alltag damit umgehen,wenn wir zum Beispiel Mitbürgerinnen und Mitbürgernmit Demenz begegnen.Wir bringen heute mit dem ersten Pflegestärkungsge-setz eine Reihe von Entlastungen, gerade auch für Ange-hörige, auf den Weg. Ich befürworte das, weil es einunabdingbares Element in unserer Pflegeverbesserungs-strategie ist. Für uns als Union ist auch die Stärkung dertariflichen Bezahlung in der Pflege sehr wichtig; dennQualität in der Pflege kann es nur dann geben, wenn diein der Pflege arbeitenden Menschen in unser Reformvor-haben einbezogen werden.
Es ist daher ein Anliegen dieser Bundesregierung,eine umfassende Reform der Ausbildung in den Pflege-berufen auf den Weg zu bringen. Diese muss von umfas-senden Maßnahmen zur Stärkung der Pflegeberufe be-gleitet werden. Das tun wir heute.Ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung bestehtdarin, dass wir durch eine Umstrukturierung der Ausbil-dung der Pflegeberufe besser auf die neuen Herausforde-rungen der Pflege vorbereiten wollen. Dieses wird imRahmen einer generalistischen Ausbildung erfolgen.Aber ich warne hier auch: Wir müssen vorsichtig sein,damit die Altenpflege nicht hinten herunterfällt.Zugleich ist es in meinen Augen ein unhaltbarer Zu-stand, dass wir in Deutschland einen Fachkräftemangelin der Pflege beklagen, Auszubildende für diese Berufeaber oftmals in einigen Bundesländern noch persönlichSchulgeld für ihre Ausbildung zahlen müssen. Der Miss-stand muss der Vergangenheit angehören.
Wer gute Pflege haben will, muss Pflegekräfte angemes-sen bezahlen, ihnen berufliche Perspektiven bieten unddafür sorgen, dass sie lange, gerne und verantwortungs-voll ihren Beruf ausüben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es um eineangemessene Versorgung pflegebedürftiger Menschengeht, muss auch die medizinische Versorgung weiterent-wickelt werden. Gerade der Ärztemangel in manchenRegionen stellt uns hier vor Herausforderungen, die wirfür die Pflegebedürftigen angehen müssen.Als zuständiger Berichterstatter für meine Fraktionfür zahnmedizinische Versorgung ist es mir wichtig, dasswir schon im Rahmen dieses Gesetzes die Zahn- und
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014 5669
Erich Irlstorfer
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Mundgesundheit bei Pflegebedürftigen angehen. Prä-vention und Mundhygiene sind uns wichtig.Zum Abschluss möchte ich schon auch noch zu dieserDebatte über Sterbehilfe und dergleichen etwas sagen:Unsere Antwort in dieser Diskussion ist zum einen na-türlich, die Versorgung durch Hospiz- und Palliativmedi-zin zu steigern, vollkommen klar. Aber hier ist auch diePflege ein wesentlicher Ansatzpunkt, damit wir nicht nurdarüber reden, wie Menschen in Würde sterben können,sondern dass wir auch Lösungen dafür anbieten, wieMenschen die letzten Lebensjahre in Würde verbringenkönnen. Das ist uns wichtig.
Deshalb bitte ich Sie, diesem Gesetzentwurf zuzustim-men. Es ist eine wichtige Reform in der Pflege, und esist ein Signal: Wir investieren in Menschen.Danke schön.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache.
Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, bitte ich
kurz um Ihre Aufmerksamkeit. Wir werden zunächst
über zwei Änderungsanträge namentlich abstimmen.
Danach folgen weitere einfache Abstimmungen über
Änderungsanträge. Bis zum Vorliegen der Ergebnisse
der namentlichen Abstimmungen muss ich die Sitzung
kurz unterbrechen. Danach folgen zwei weitere nament-
liche Abstimmungen und weitere einfache Abstimmun-
gen. Wir haben also eine ziemlich große Zahl an Abstim-
mungen vor uns.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Änderung des Elften Buches Sozialgesetzbuch – Leis-
tungsausweitung für Pflegebedürftige, Pflegevorsorge-
fonds. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/2909, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksachen 18/1798 und 18/2379 in der Aus-
schussfassung anzunehmen.
Hierzu liegen vier Änderungsanträge vor, über die wir
zuerst abstimmen. Wir beginnen mit den beiden Ände-
rungsanträgen, zu denen namentliche Abstimmung ver-
langt wurde. Zunächst der Änderungsantrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/2912. Ich bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen
und mir ein Signal zu geben, sobald das geschehen ist. –
Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? – Damit eröffne
ich die Abstimmung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist noch ein Mit-
glied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht ab-
gegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die
Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Wir stimmen nun über den Änderungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/2915
namentlich ab. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? –
Das ist der Fall. Ich eröffne die namentliche Abstim-
mung über den Änderungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2915.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Mitglied des
Hauses anwesend, das seine Stimme für die zweite na-
mentliche Abstimmung noch nicht abgegeben hat? – Das
ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Die Ergebnisse der namentli-
chen Abstimmung werden Ihnen später bekannt gege-
ben.1)
Jetzt möchte ich Sie bitten, sich zu setzen, weil wir
mit den einfachen Abstimmungen fortfahren.
Wir kommen nun zur Abstimmung über zwei weitere
Änderungsanträge der Fraktion Die Linke.
Zunächst lasse ich über den Änderungsantrag der Lin-
ken auf Drucksache 18/2913 abstimmen. Wer stimmt für
diesen Änderungsantrag? – Das sind die Fraktion Die
Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer
stimmt dagegen? – Das ist die Koalition. Damit ist der
Antrag mit den Stimmen der Koalition abgelehnt wor-
den.
Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsan-
trag auf Drucksache 18/2914. Wer stimmt für diesen An-
trag? – Das ist die Linke. Wer stimmt dagegen? – Das
sind die Koalition und Bündnis 90/Die Grünen. Wer ent-
hält sich? – Niemand. Damit ist dieser Änderungsantrag
mit den Stimmen der Koalition und Bündnis 90/Die
Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abge-
lehnt worden.
Ich unterbreche die Sitzung. Ich hoffe, dass wir die
Sitzung in einigen Minuten fortsetzen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrocheneSitzung ist wieder eröffnet. Unsere Kolleginnen undKollegen haben sehr schnell ausgezählt. Deshalb liegendie Ergebnisse bereits vor.Ich gebe Ihnen zunächst das von den Schriftführerin-nen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der nament-lichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Ab-geordneten Pia Zimmermann, Sabine Zimmermann
, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die
Linke bekannt: abgegebene Stimmen 576. Mit Ja habengestimmt 113, mit Nein haben gestimmt 463. Damit istder Änderungsantrag abgelehnt worden.1) Ergebnis zum Antrag von Bündnis 90/Die Grünen Seite 5672 A
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5670 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
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Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 576;davonja: 112nein: 464JaDIE LINKEJan van AkenDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausDr. Diether DehmWolfgang GehrckeNicole GohlkeAnnette GrothDr. Gregor GysiDr. André HahnHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKerstin KassnerKatja KippingJan KorteKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichDr. Gesine LötzschThomas LutzeCornelia MöhringNiema MovassatDr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerMichael SchlechtDr. Petra SitteKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannAzize TankKathrin VoglerDr. Sahra WagenknechtHalina WawzyniakKatrin WernerBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelPia ZimmermannBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeAnnalena BaerbockMarieluise Beck
Volker Beck
Agnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerKatharina DrögeHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr. Anton HofreiterBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Christian Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr. Tobias LindnerPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerCorinna RüfferManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheHans-Christian StröbeleMarkus TresselJürgen TrittinDr. Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr. Valerie WilmsNeinCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerArtur AuernhammerThomas BareißJulia BartzGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr. André BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzJutta EckenbachDr. Bernd FabritiusUwe FeilerDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Hans-Joachim FuchtelIngo GädechensDr. Peter GauweilerDr. Thomas GebhartAlois GerigCemile GiousoufJosef GöppelReinhard GrindelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeDr. Heribert HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M. HuberAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenAndreas JungDr. Franz Josef JungXaver JungDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr. Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberKordula KovacGunther KrichbaumDr. Günter KringsBettina KudlaDr. Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr. Karl A. LamersAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja Leikert
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014 5671
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
(C)
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Dr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzPhilipp Graf LerchenfeldDr. Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr. Michael MeisterJan MetzlerMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtKarsten MöringMarlene MortlerElisabeth MotschmannDr. Gerd MüllerCarsten Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr. Martin PätzoldUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleAndreas ScheuerKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffDr. Ole SchröderDr. Kristina Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnCarola StaucheDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Freiherr von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblKarin StrenzThomas StritzlMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesMarco WanderwitzNina WarkenKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Dr. Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtWaldemar WestermayerKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerOliver WittkeDagmar G. WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr. Katarina BarleyDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelDr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasSabine Bätzing-LichtenthälerDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr. Karl-Heinz BrunnerEdelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertDr. Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr. Daniela De RidderDr. Karamba DiabySabine DittmarElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuElke FernerDr. Ute Finckh-KrämerGabriele FograscherDr. Edgar FrankeUlrich FreeseMichael GerdesMartin GersterIris GleickeKerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßUli GrötschWolfgang GunkelRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannMichael Hartmann
Dirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldWolfgang HellmichDr. Barbara HendricksHeidtrud HennGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Thomas HitschlerDr. Eva HöglMatthias IlgenChristina JantzFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsChristina KampmannRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeBirgit KömpelAnette KrammeDr. Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr. Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerMichelle MünteferingDr. Rolf MützenichDietmar NietanUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Markus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr. Wilhelm Priesmeier
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5672 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
(C)
Florian PronoldDr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichBernd RützelJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerMarianne SchiederUdo SchiefnerDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Ursula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzDr. Carsten SielingRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsFranz ThönnesWolfgang TiefenseeRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalAndrea WickleinDirk WieseWaltraud Wolff
Gülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesIch gebe Ihnen jetzt das von den Schriftführerinnenund Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentli-chen Abstimmung über den Änderungsantrag der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen zur Kenntnis: abgegebeneStimmen 574. Mit Ja haben gestimmt 114, mit Nein ha-ben gestimmt 460. Damit ist dieser Änderungsantragebenfalls abgelehnt.
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 573;davonja: 113nein: 460JaDIE LINKEJan van AkenDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausDr. Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeAnnette GrothDr. Gregor GysiDr. André HahnHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKerstin KassnerKatja KippingJan KorteKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichDr. Gesine LötzschThomas LutzeCornelia MöhringNiema MovassatDr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerMichael SchlechtDr. Petra SitteKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannAzize TankKathrin VoglerDr. Sahra WagenknechtHalina WawzyniakKatrin WernerBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelPia ZimmermannBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeAnnalena BaerbockMarieluise Beck
Volker Beck
Agnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerKatharina DrögeHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr. Anton HofreiterBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Christian Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr. Tobias LindnerPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerCorinna RüfferManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheHans-Christian StröbeleMarkus TresselJürgen TrittinDr. Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr. Valerie WilmsNeinCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerArtur AuernhammerThomas BareißJulia BartzGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr. André BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut Brandt
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Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
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Dr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzJutta EckenbachDr. Bernd FabritiusUwe FeilerDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Hans-Joachim FuchtelIngo GädechensDr. Peter GauweilerDr. Thomas GebhartAlois GerigCemile GiousoufJosef GöppelReinhard GrindelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeDr. Heribert HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M. HuberAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenAndreas JungDr. Franz Josef JungXaver JungDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr. Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberKordula KovacGunther KrichbaumDr. Günter KringsBettina KudlaDr. Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr. Karl A. LamersAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzPhilipp Graf LerchenfeldDr. Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr. Michael MeisterJan MetzlerMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtKarsten MöringMarlene MortlerElisabeth MotschmannDr. Gerd MüllerCarsten Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinWilfried OellersFlorian OßnerHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr. Martin PätzoldUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleAndreas ScheuerKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffDr. Ole SchröderDr. Kristina Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnCarola StaucheDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Freiherr von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblKarin StrenzThomas StritzlMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesMarco WanderwitzNina WarkenKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Dr. Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtWaldemar WestermayerKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerOliver WittkeDagmar G. WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike Baehrens
Metadaten/Kopzeile:
5674 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
(C)
(B)
Ulrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr. Katarina BarleyDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelDr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasSabine Bätzing-LichtenthälerDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr. Karl-Heinz BrunnerEdelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertDr. Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr. Daniela De RidderDr. Karamba DiabySabine DittmarElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuElke FernerDr. Ute Finckh-KrämerGabriele FograscherDr. Edgar FrankeUlrich FreeseMichael GerdesMartin GersterIris GleickeKerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßUli GrötschWolfgang GunkelRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannMichael Hartmann
Dirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldWolfgang HellmichDr. Barbara HendricksHeidtrud HennGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Thomas HitschlerDr. Eva HöglMatthias IlgenChristina JantzFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsChristina KampmannGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeBirgit KömpelAnette KrammeDr. Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr. Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerMichelle MünteferingDr. Rolf MützenichDietmar NietanUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Markus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichBernd RützelJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerMarianne SchiederDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Carsten Schneider
Ursula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzDr. Carsten SielingRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsFranz ThönnesWolfgang TiefenseeRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalAndrea WickleinDirk WieseWaltraud Wolff
Gülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesLiebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte nun diejeni-gen, die dem Gesetzentwurf der Bundesregierung in derAusschussfassung auf den Drucksachen 18/1798, 18/2379und 18/2909 zustimmen wollen, um das Handzeichen. –Die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/DieGrünen und die Linke. Gibt es Enthaltungen? – Das istnicht der Fall. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiterBeratung mit den Stimmen der Koalition gegen dieStimmen der Opposition angenommen worden.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlussabstimmung. Zu dieser Abstimmung liegtzusätzlich eine Reihe von schriftlichen Erklärungenvor.1)1) Anlagen 2 und 3Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-men wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in drit-ter Lesung mit den Stimmen der Koalition gegen dieStimmen der Opposition angenommen worden.Jetzt kommen wir zu den Abstimmungen über dieEntschließungsanträge, über die ebenfalls namentlicheAbstimmungen verlangt wurden, und zwar zunächst zurAbstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-tion Die Linke auf Drucksache 18/2916. Ich bitte wiede-rum die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätzeeinzunehmen. – Sind an allen Urnen die Schriftführerin-nen und Schriftführer anwesend? – Das ist der Fall.Ich eröffne die namentliche Abstimmung über denEntschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Druck-sache 18/2916.
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Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
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Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme für die dritte namentliche Abstimmung nochnicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ichschließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme jetzt zurAbstimmung über den Entschließungsantrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/2917. –Sind die Plätze an den Urnen mit den Schriftführerinnenund Schriftführern besetzt? – Das ist der Fall. Dann er-öffne ich die namentliche Abstimmung über den Ent-schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünenauf Drucksache 18/2917.Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme für die vierte namentliche Abstimmung nochnicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Dannschließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführe-rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-nen. Die Ergebnisse der Abstimmungen, liebe Kollegin-nen und Kollegen, werden Ihnen später bekanntgegeben.1)Jetzt möchte ich Sie wieder bitten, Ihre Plätze einzu-nehmen, damit wir in der Beratung fortfahren können.Das gilt besonders für die Kolleginnen und Kollegen, diesich vor der Regierungsbank versammelt haben. Es wärenett, wenn auch Sie, meine Damen und Herren, sich set-zen würden.Tagesordnungspunkt 21 b: Beschlussempfehlung desAusschusses für Gesundheit zu dem Antrag der FraktionDie Linke mit dem Titel „Menschenrecht auf gute Pflegeverwirklichen – Soziale Pflegeversicherung solidarischweiterentwickeln“. Der Ausschuss empfiehlt unterBuchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 18/2909, den Antrag der Fraktion Die Linke aufDrucksache 18/1953 abzulehnen. Wer stimmt für dieseBeschlussempfehlung? – Das ist die Koalition. Werstimmt dagegen? – Die Fraktion Die Linke. Wer enthältsich? – Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist die Beschluss-empfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen dieStimmen der Linken bei Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen worden.Tagesordnungspunkt 21 c: Beschlussempfehlung desAusschusses für Gesundheit zu dem Antrag der FraktionDie Linke mit dem Titel „Deckungslücken der SozialenPflegeversicherung schließen und die staatlich geförder-ten Pflegezusatzversicherungen – sogenannter Pflege-Bahr – abschaffen“. Der Ausschuss empfiehlt in seinerBeschlussempfehlung auf Drucksache 18/2901, den An-trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/591 ab-zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –Das ist die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Die Linke.Wer enthält sich? – Bündnis 90/Die Grünen. Damit istdie Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koali-tion gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung desBündnisses 90/Die Grünen angenommen worden.1) Ergebnisse Seite 5680 D und 5683 AIch rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten NicoleGohlke, Caren Lay, Diana Golze, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion DIE LINKEWohnungsnot, Mietsteigerungen und Miet-wucher in Hochschulstädten bekämpfenDrucksache 18/2870Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheit
InnenausschussAusschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazukeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin in die-ser Debatte hat die Kollegin Nicole Gohlke das Wort.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! DasWintersemester hat gerade angefangen. In diesen Tagenbeginnt eine halbe Million Erstsemester ein Studium;das ist absoluter Rekord. Für die meisten Studis heißtdas, dass sie in eine neue Stadt ziehen und sich dort eineBleibe suchen müssen: eine kleine Wohnung, ein WG-Zimmer oder einen Wohnheimplatz. Das ist dieser Tagenoch schwieriger, als den gewünschten Studienplatz zubekommen; denn gerade in den Hochschulstädten ist dieLage am Wohnungsmarkt wirklich über die Maßen an-gespannt.Ich komme aus München, und ich kann Ihnen sagen:Für die 18 000 Studienanfängerinnen und Studienanfän-ger dort ist die Situation wirklich prekär. 13,40 Eurokostet der Quadratmeter hier durchschnittlich. Für einWG-Zimmer bezahlt man um die 500 Euro. Jetzt istMünchen bekanntermaßen der Spitzenreiter bei dieserEntwicklung. Wir reden hier von einer Stadt, die sichfast nur noch Berufsgruppen wie Börsenmakler undSteuerberater leisten können. Aber die Situation sieht inanderen Hochschulstädten leider kaum anders aus.Aus der letzten Sozialerhebung des Deutschen Stu-dentenwerks wissen wir, dass Studierende in Städten wieHamburg, Köln oder Frankfurt für Wohnraum im Schnitt350 Euro hinblättern müssen. Der Durchschnitt für alleHochschulstädte liegt immer noch bei stolzen 298 Euro.Diese Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2012. Wir allewissen, wie schnell die Mieten seitdem schon wieder ge-stiegen sind. Dass die Bundesregierung da offenbar garkeinen Handlungsbedarf sieht, ist wirklich ein starkesStück.
In dem vorliegenden Antrag der Linken schlagen wirein ganzes Bündel an Maßnahmen vor, mit denen wir dieSituation für Studierende sowie für Mieterinnen undMieter allgemein verbessern wollen. Man muss doch
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Nicole Gohlke
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beides zusammen angehen. Ein Sache darf nämlich nichtpassieren: Die Studierenden, die relativ oft umziehen –weil sie zum Beispiel für den Wechsel zum Masterstu-dium wieder in eine neue Stadt müssen –, dürfen nichtgewissermaßen zum Brandbeschleuniger für den allge-meinen Mietmarkt werden, weil Vermieter die Situationausnutzen und bei jeder Neuvermietung die Miete nocheinmal erhöhen.
Dazu muss ich jetzt an die Adresse der Regierung sa-gen: Sie platzen fast vor Stolz, weil Sie die Wohnkosten-pauschale im BAföG zum Herbst 2016 – also erst inzwei Jahren – auf gerade einmal 250 Euro anheben wol-len. Das ist für diejenigen, die gerade davon ihre Mietebezahlen sollen, ein schlechter Witz.
Noch einmal zum Mitschreiben: Wenn man 2012– also vor zwei Jahren – beim Studieren in Münchenoder Köln schon 350 Euro Miete zahlen musste, wie sol-len dann 250 Euro – also 100 Euro weniger – im Jahre2016 zum Bezahlen der Miete ausreichen? Kolleginnenund Kollegen von der Großen Koalition, Ihnen wurde inder Debatte zum BAföG schon mehrfach gesagt – ichsage es Ihnen jetzt hier auch noch mal –: Nutzen Sie dieaktuelle BAföG-Reform, und erhöhen Sie die Wohnkos-tenpauschale zum Anfang des nächsten Jahres wenigs-tens auf die durchschnittlichen Mietkosten.
Die nächste große Baustelle sind die Studierenden-wohnheime. Die Zahl der Wohnheimplätze mit ihrendeutlich günstigeren Mieten halten nicht im Ansatz mitder steigenden Zahl der Studierenden Schritt. AnfangOktober haben die Studentenwerke ihre aktuellen Zahlenveröffentlicht. Nicht einmal mehr 10 Prozent der Studie-renden haben einen Wohnheimplatz. Zum Vergleich:Anfang der 90er-Jahre lag diese Quote noch bei 15 Pro-zent. Lassen Sie sich jetzt diese Zahlen einmal auf derZunge zergehen: Im Vergleich zu 1991 gibt es heutebundesweit 12 000 Wohnheimplätze weniger, dafür aber700 000 Studierende mehr. In München stehen gerade6 800 Studierende auf der Warteliste für einen Wohn-heimplatz. Aber auch hier gibt es keine Ideen und wei-testgehende Tatenlosigkeit bei der Regierung!Der Bundesbauminister der letzten Koalition, HerrRamsauer, hatte wenigstens zu einem Runden Tisch ge-laden. Es gab zwar kein Ergebnis, aber immerhin einenRunden Tisch. Von Ministerin Hendricks haben wir zudiesem Thema noch gar nichts gehört. Dabei benötigenwir dringend eine Wohnheimoffensive für Studierende.
Wir als Linke schlagen ein Bund-Länder-Programmvor, mit dem wir innerhalb der nächsten vier Jahre45 000 neue Wohnheimplätze in Trägerschaft der Stu-dentenwerke fertigstellen wollen. Mit ihnen wollen wirperspektivisch zu einer Versorgungsquote von 15 Pro-zent zurückkommen. Bund und Länder sollen die Errich-tungskosten, die für die Wohnheimplätze nötig sind, mit60 Prozent bezuschussen. Der Bund soll dabei zwei Drit-tel der Kosten übernehmen. Solch eine öffentlich geför-derte Maßnahme hätte auch enorme Entspannungs-effekte auf dem allgemeinen Miet- und Wohnungsmarkt.Da wollen wir doch hin. Wir wollen dahin, dass dieStädte für Menschen mit durchschnittlichem Einkom-men, für Geringverdienende und Studierende wieder be-zahlbar und bewohnbar werden und nicht nur noch ausLuxuslofts, überteuerten Läden und Bürogebäuden be-stehen.
Deswegen wollen wir diese Maßnahmen zum studenti-schen Wohnen auch mit einer echten Mietpreisbremseund dem sozialen Wohnungsbau koppeln. Darauf wirdmeine Kollegin Caren Lay gleich noch eingehen.Kolleginnen und Kollegen, das Problem der Woh-nungsnot und der steigenden Mieten gerade in Hoch-schulstädten ist heutzutage eines der größten sozialenProbleme. Mit einer Haltung nach dem Motto „DerMarkt wird es schon regeln“ wird man weder dem Ge-danken einer sozialen Stadt gerecht noch dem Anspruch,den Hochschulausbau mit sozialer Durchlässigkeit zuverbinden. Es wird immer mehr zu einer sozialen Frage,ob man überhaupt noch in Städten wie München, Kölnoder Frankfurt studieren kann. Darauf muss diese Regie-rung eine Antwort geben.Vielen Dank.
Als nächste Rednerin in dieser Debatte hat die Kolle-
gin Sylvia Jörrißen das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenKolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Linken gibtuns heute Anlass, über zwei wesentliche Bereiche zudiskutieren, die unser gesellschaftliches Leben inDeutschland ausmachen: Wohnen und Bildung. Eine an-gemessene Versorgung mit Wohnraum gehört zweifels-ohne zu den Grundbedürfnissen im Hinblick auf einmenschenwürdiges Leben. Der vorliegende Antrag be-fasst sich mit dem studentischen Wohnen und stellt da-mit eine Querverbindung zum Bereich „Bildung“ her.Bildung ist das Grundkapital der Gesellschaft. Bil-dungsinvestitionen sind Investitionen in die Zukunft un-serer Gesellschaft und unseres Landes. Dafür macht sichdie Große Koalition stark.Meine Damen und Herren, der Antrag der Linkengeht auf ein Problem ein, das uns nicht nur bekannt ist,sondern auf das wir bereits reagieren. Lassen Sie michauf einzelne Punkte eingehen.Die großen deutschen Städte erfahren derzeit einen An-sturm junger Menschen. Diese ziehen in die Metropolen,da sich dort gute Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeitensowie Kultur- und Freizeitangebote konzentrieren. BeiStudierenden ist diese Entwicklung besonders deutlich.
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Sylvia Jörrißen
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Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes belief sichdie Zahl der Studierenden für das vergangene Winter-semester auf insgesamt über 2,6 Millionen. Seit 2003 be-deutet das eine Steigerung von über einem Drittel. Diesist zuallererst eine positive Nachricht. Ich bin sehr frohdarüber, dass sich heute so viele junge Menschen dazuentschließen, ein Studium aufzunehmen.
Gerade im Hinblick auf den uns bevorstehendenFachkräftemangel brauchen wir sehr gut ausgebildeteNachwuchskräfte. Zunächst muss festgehalten werden,dass sich der Zuwachs an Studenten keineswegs gleich-mäßig auf die Universitätsstädte verteilt. Eine aktuelleStudie hat die Wohnungssituation von 81 Hochschul-städten in Deutschland verglichen und in einem Rankingdargestellt. Ja, die Studie sieht eine Verschärfung derWohnsituation für Studierende, jedoch konzentriert aufeinige Städte. Angeführt wird das Ranking von Mün-chen, Hamburg und Frankfurt. Daneben werden aberauch Hochschulstädte mit wenig angespanntem Woh-nungsmarkt aufgezeigt. Für mich wird daraus deutlich,dass hier nur maßgeschneiderte und zielgerichtete Lö-sungen wirkungsvoll sind. Darauf setzt die Regierungs-koalition. Eine flächendeckende Mietpreisbremse, wiees die Linke fordert, wäre keineswegs eine adäquateMaßnahme, um den Wohnungsmangel in einigen Metro-polen zu bekämpfen.
Wir haben gemeinsam mit der SPD eine Mietpreis-bremse entwickelt, die gezielt den Druck aus den über-hitzten Märkten nimmt. Sie ist ein wichtiger Beitrag da-für, dass Mieten auch für Normalverdiener bezahlbarbleiben.
Mietsteigerungen von 30 bis 40 Prozent, die in manchenBallungsräumen teilweise zur Praxis gehörten, ist nunein Riegel vorgeschoben. Mieten dürfen in Zukunft dieortsübliche Vergleichsmiete nur noch höchstens um10 Prozent übersteigen. Entscheidend dabei ist, dass dortdie Länder und Kommunen verpflichtet werden, Maß-nahmen zu entwickeln, die die Ursachen des Problemsbekämpfen. Die Mietpreisbremse ist ein Instrument, dasdie Symptome lindert. Langfristig löst sie allerdings un-sere Probleme nicht; denn sie baut keine einzige neueWohnung.
Der Bau neuer Wohnungen ist und bleibt das einzigeMittel, um den Wohnungsmangel in den Griff zu bekom-men.
Die Mietpreisbremse darf also keine Investitionsbremsesein. Deshalb muss der Neubau ausgenommen sein.
Meine Damen und Herren, wir müssen ein Klimaschaffen, in dem Investitionen in den Neubau getätigtwerden, und das zu bezahlbaren Preisen. In diesem Zu-sammenhang sollten wir auch darüber nachdenken, obsich steuerliche Begünstigungen in Gebieten mit ange-spanntem Wohnungsmarkt realisieren lassen.
Auf diese Weise könnten Investitionen genau dort, woAngebot und Nachfrage weit auseinanderfallen, ange-regt werden.Doch auch an anderer Stelle greift der Bund unterstüt-zend ein. Aktuell werden die BAföG-Regelungen über-arbeitet. Der Entwurf des 25. BAföG-Änderungsgeset-zes sieht vor, die Bedarfssätze generell um 7 Prozent zuerhöhen. Der Wohnzuschlag wird überproportional auf250 Euro angehoben. Damit ist ein wichtiger Schritt ge-tan, um den gestiegenen Mietkosten Rechnung zu tra-gen.
Meine Damen und Herren, es ist richtig, dass die Si-tuation auf dem studentischen Wohnungsmarkt derzeit ineinigen Städten sehr angespannt ist. Bund und Länderreagieren bereits. Allerdings ist es auch wichtig, die mit-tel- und langfristige demografische Entwicklung nichtaußer Acht zu lassen. Die gestiegene Zahl der Studien-anfänger ist begründet im Aussetzen der Wehrpflichtund der Einführung der achtjährigen Gymnasialzeit. DieStudentenzahlen werden in wenigen Jahren schon wie-der rückläufig sein. Für langfristige Lösungsansätze be-darf es daher auch Planungen über die möglicheNachnutzung von Gebäuden.Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, Sie for-dern in Ihrem Antrag den Bau von 100 000 zusätzlichenWohnheimplätzen zu Kosten von 60 000 Euro pro Platz.Der Bund soll davon 60 Prozent übernehmen. Offenbleibt jedoch, woher in Zeiten der Haushaltskonsolidie-rung ein Betrag von 3,6 Milliarden Euro kommen soll.Wir leben hier nicht im Lande „Wünsch dir was“. DasAllerwichtigste, was wir für die kommende Generationtun können, ist, einen ausgeglichenen Haushalt ohneNeuverschuldung zu präsentieren.
Nebenbei sei hierzu noch gesagt, dass Sie mit denVorschlägen über wilde Kreuz- und Quersubventionen inIhrem Antrag unser föderales System aushebeln. Seit derFöderalismusreform 2006 tragen die Länder die aus-schließliche Verantwortung für die soziale Wohnraum-förderung und damit auch für den Bau von Wohnraumfür Studierende. Die Länder erhalten bis Ende 2019518 Millionen Euro jährlich aus Kompensationsmitteln.Diese Mittel müssen jedoch auch für den vorgesehenenZweck eingesetzt werden. Hier muss an die Verantwor-tung der Länder appelliert werden.Unbeschadet der Zuständigkeit der Länder sieht dieGroße Koalition es als ihre gesellschaftspolitische Auf-gabe, einen Beitrag zur Lösung des Problems zu leisten,und setzt ihre Aktivitäten zur Schaffung von zusätzli-
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Sylvia Jörrißen
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chem studentischen Wohnraum fort. Dazu hat das Bau-ministerium das Bündnis für bezahlbares Wohnen undBauen ins Leben gerufen. Im Juli 2014 fand unter derLeitung der Ministerin die erste Sitzung statt. Beteiligtsind Vertreter aller föderalen Ebenen und zahlreiche Ver-bände rund um das Thema „Wohnen und Bauen“. Damitsitzen alle beteiligten Akteure an einem Tisch. Das istwichtig, um langfristige und zukunftssichere Lösungenzu entwickeln. Handlungsschwerpunkte sind, bezahlbareMieten und eine soziale Sicherung des Wohnens zu er-reichen. Eine besonders wichtige Rolle messe ich derBaukostensenkungskommission bei;
denn nur wenn das Bauen bezahlbar ist, sind es auch dieMieten.
Ich setze große Hoffnungen auf das Bündnis und er-warte, dass zügig Lösungen präsentiert und umgesetztwerden.
Nur so lässt sich in dem in Schieflage geratenen Verhält-nis zwischen Angebot und Nachfrage wieder ein Gleich-gewicht herstellen, besonders im Interesse der Studieren-den in unserem Land. Meine Damen und Herren, Siesehen: Wir haben das Problem erkannt, arbeiten an ziel-gerichteten und wirkungsvollen Maßnahmen und habenbereits vieles in die Tat umgesetzt.Danke schön.
Als nächster Redner hat der Kollege Kai Gehring das
Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin und Bildungsministerina. D.! Meine sehr geehrten Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Die Lust auf ein Studium istungebrochen. Rund eine halbe Million neue Studierendewird 2014 an den Hochschulen erwartet. Die meistenvon ihnen starten in diesen Tagen ins Wintersemester.Wir wünschen allen Erstsemestern ein gutes und erfolg-reiches Studium!
Damit aus Anfängern auch Absolventen werden,müssen die Studienbedingungen flächendeckend verbes-sert werden. Studierende brauchen nicht nur einen Stu-dienplatz, sondern sie brauchen auch einen Platz im Hör-saal und im Seminarraum. Sie brauchen Bibliothekenund Mensen, eine Studienberatung, und sie brauchen einDach über dem Kopf. Ein erfolgreiches Studieren erfor-dert eine verlässliche soziale Infrastruktur auf dem Cam-pus.
Mithilfe des Hochschulpaktes zwischen Bund undLändern konnten seit 2010 sehr viele zusätzliche Stu-dienplätze zur Verfügung gestellt werden. Ende Oktoberist hoffentlich eine Einigung über die dritte Paktphasefür die Jahre 2016 bis 2020 erzielt. Das ist auch unerläss-lich, damit Studienberechtigte, Hochschulen und letzt-lich auch Hochschulstädte klare Perspektiven haben.Statt Studienplatzmangel braucht es Chancen für alle.
Mit dem Hochschulpakt allein ist der erfreuliche Stu-dierendenboom, der übrigens auch im nächsten Jahr-zehnt anhalten wird, nicht zu bewältigen, liebe Koali-tion. Es fehlt auch eine zügige BAföG-Erhöhung. Anvier Jahre ohne Anpassung will diese Koalition zweiweitere Jahre mit Nullrunden dranhängen. Diese Warte-schleife für Studierende müssen Sie stoppen. Zwölf Se-mester ohne BAföG-Erhöhung – das geht doch nicht.
Auch deshalb steht eine echte soziale Öffnung derUniversitäten und Fachhochschulen noch aus. Genaudeswegen haben wir zusätzliche Hürden wie Studienge-bühren in den Ländern mittlerweile flächendeckend ab-geschafft, – und das war auch gut so. Wir wollen mehrBildungsgerechtigkeit
Wir brauchen endlich mehr soziale Vielfalt im Hörsaal.Wir brauchen breitere Zugänge zum Campus für unterre-präsentierte Gruppen. Wir brauchen mehr junge Men-schen, die als Erste aus ihren Familien studieren.Dabei, meine Damen und Herren, hilft auch der Aus-bau sozialer Infrastrukturen in den Hochschul- und Uni-städten. Dazu zählt eben auch das studentische Wohnen.Hier kann und muss auch der Bund endlich einen Beitragleisten.
Nahezu alle Hochschulstädte berichten von Wohnungs-knappheit und sehr langen Wartelisten bei Studierenden-wohnheimen. Auf dem freien Wohnungsmarkt haben esStudierende und einkommensarme Gruppen insgesamtschwer, eine bezahlbare Bleibe zu finden. Die Bundes-regierung muss deshalb endlich mit konkreten Initiativenkommen und nicht, wie meine Kollegin vorher, nur dieHoffnung beschwören. Hier darf man nicht die Hände inden Schoß legen, sondern muss konkret werden.Für weniger als 10 Prozent aller Studierenden bun-desweit stehen Wohnheimplätze zur Verfügung. DieLänder haben das Problem mittlerweile erkannt, und die
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Kai Gehring
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meisten investieren sehr fleißig in den Bau neuer Wohn-heime.
Beispiel Nordrhein-Westfalen: Die CDU-FDP-Vorgän-gerregierung unter Ministerpräsident a. D. Rüttgers hatteden Wohnheimbau schlicht komplett vernachlässigt. Un-ter Rot-Grün geht‘s aufwärts:
Zwei Wohnheimbauprogramme mit einem Gesamtvolu-men von 80 Millionen Euro hat die LandesregierungNordrhein-Westfalen auf den Weg gebracht.
Über 3 000 Wohnheimplätze sind damit im Bau. Rot-Grün bringt damit NRW in die Spitzengruppe bei derVersorgung mit Wohnheimplätzen zurück. Nach derschwarz-gelben Rüttgers-Delle ist das auch dringendnotwendig. Das ist eine gute Nachricht für die Studieren-den im Land.
Zweites gutes Beispiel: Baden-Württemberg. Schon2 200 Wohnheimplätze mehr als 2011 gibt es im Ländle.Über 1 700 Wohnheimplätze sind im Bau bzw. in Pla-nung. Mit einer Versorgungsquote von knapp 13 Prozentist Baden-Württemberg Spitzenreiter der westdeutschenBundesländer. Das, meine Damen und Herren, ist vor-bildliches Länderhandeln.
Den vielfältigen Aktivitäten der Länder steht Tatenlo-sigkeit der Bundesregierung gegenüber. Ein Paradebei-spiel dafür sind die runden Tische bei Ex-BauministerRamsauer; 2012 und 2013 haben mehrere davon stattge-funden. Außer Vorwürfen an die Länder gab es einzigund allein einen Prüfauftrag: Es sollte geprüft werden,Studierende in alten, leerstehenden Kasernen unterzu-bringen. Gehört hat man davon aber eigentlich nichtsmehr. Kreative Kommunen haben das sowieso längst ge-tan. Wir sagen: Studierende brauchen ein Dach über demKopf – keine Inszenierung von Aktionismus, keineneuen runden Tische, sondern endlich Lösungen.
Nichtstun ist also keine Option, liebe Koalition. Da-her sind wir sehr gespannt auf neue, frische Initiativenvon Bundesbauministerin Hendricks. Insofern greift derAntrag der Linksfraktion natürlich ein wichtiges Themaauf und weist in die richtige Richtung, auch wenn wir ineinzelnen Punkten nicht mitgehen können.Studentenbuden in Leipzig, Görlitz, Hamburg oderMünchen sind sehr unterschiedlich teuer. Deswegen ha-ben wir als Grüne in der vergangenen Sitzungswoche be-antragt, die regional unterschiedlichen Mietstufen desWohngeldgesetzes im BAföG zu verankern. Das wäredeutlich zielgenauer und gerechter als die derzeitigebundeseinheitliche und viel zu niedrige Pauschalierung.Also zurück zur regionalen Staffelung! Das wäre gerech-ter.
Wir haben in der letzten Wahlperiode ergänzend zumHochschulpakt einen Aktionsplan zum studentischenWohnen vorgeschlagen, damit Studierende nicht nur ei-nen Studienplatz, sondern auch Wohnraum vorfinden.Dazu gehört natürlich auch, Zwischennutzungen vonBundesliegenschaften endlich zu erleichtern. Anstatt un-genutzte und leerstehende Gebäude des Bundes an pri-vate Investoren zu verkaufen, die dort zum Beispielteure Eigentumswohnungen hochziehen, sollten dieseGebäude für günstiges studentisches Wohnen geöffnetwerden. Der Bund muss also endlich von seiner Zu-schauertribüne herunterkommen. Studentische Woh-nungsnot müssen Bund und Länder gemeinsam überwin-den.Es gibt viele Ideen. Wir warten auf Ihre Initiativen.Jetzt braucht es einen gemeinsamen Vorstoß der Bundes-bauministerin und der Bundeswissenschaftsministerin.Darauf warten wir, und wir machen weiterhin Druck;denn studentisches Wohnen muss bezahlbar bleiben.
Als nächster Redner hat der Kollege Michael Groß
das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DasThema Wohnungsnot ist über die Zeit der Einschreibunghinaus ein wichtiges Thema. Ich schließe mich gerneden Wünschen an, dass die jetzt beginnenden Studentin-nen und Studenten ihr Studium gut durchziehen und er-folgreich abschließen mögen.Ich selber bin ein betroffener Vater. Meine Tochter hatgerade eine Wohnung in Essen gefunden. Ich stelle fest:In Essen sieht die Welt völlig anders aus als in Münchenoder Köln; das müssen wir berücksichtigen. In Essenfindet man noch Wohnraum für 6 Euro pro Quadrat-meter. Wir haben gehört, dass der Preis in Münchenebenso wie in Köln bei 14 Euro pro Quadratmeter liegt.Es ist wichtig, dass wir hier punktgenaue Lösungen fin-den.Aufstieg durch Bildung, sozialer Aufstieg durch Bil-dung, ein selbstbestimmtes Leben durch Bildung – dasist das Ziel, das wir Sozialdemokraten seit mehr als150 Jahren verfolgen, und der Lebensalltag gibt unsrecht: Das ist eines der wichtigsten Ziele.
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Michael Groß
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Wohnen – das wurde schon beschrieben – ist einewichtige Grundlage für ein erfolgreiches Leben. Wohnendarf aus unserer Sicht nicht zu einem Luxusgut werden,sondern Wohnen muss sozial eingebettet sein. Wir wol-len ein bezahlbares Wohnen in der sozialen Stadt. Des-wegen beobachten wir mit großer Sorge die Entwicklungin den Großstädten und den Hochschulstädten. Studen-tinnen und Studenten befinden sich mit anderen Woh-nungsuchenden in Konkurrenz um den knappen Wohn-raum. Natürlich muss auch die Frage gestellt werden:Können sie den Wohnraum noch bezahlen?Laut Statistik werden zurzeit 11 000 Studentenwohn-heime geplant bzw. gebaut. Aber bei einer Versorgungs-quote von 10 Prozent reicht das bei weitem nicht aus.Wir alle wissen, dass wir Partner und Akteure brauchen.Deswegen sind wir Frau Ministerin Hendricks sehrdankbar, dass sie sehr schnell das Bündnis für bezahlba-res Wohnen und Bauen in Angriff genommen hat. Unsergemeinsames Ziel ist es, mit dem Ministerium einen run-den Tisch einzuberufen – obwohl er gerade kritisiertwurde –, und zwar mit allen Akteuren, vom Mieterbundbis zur Wohnungswirtschaft, um passgenaue Lösungenfür die Städte zu finden. Ich bin mir ganz sicher, dass wirdas Ziel gemeinsam mit Frau Hendricks und dem Minis-terium schnell erreichen werden.
Das ist umso wichtiger, weil die Studentenzahlenenorm gestiegen sind, was wir natürlich sehr begrüßen.Waren es zur Jahrtausendwende noch circa 1,8 Millio-nen Studierende, so sind es heute mehr als 2,4 MillionenStudierende. Man muss aber bedenken: Etwa ein Drittelder Studentinnen und Studenten wohnt in den eigenenvier Wänden, etwa ein Viertel wohnt bei den Eltern, einViertel lebt in Wohngemeinschaften und der Rest suchtsich in Studentenwohnheimen ein Zuhause.Der Bund arbeitet aktuell an einer umfangreichen No-velle zum BAföG. Die Bundesregierung bzw. das Parla-ment haben in den letzten Wochen sehr viele wohnungs-baupolitische, städtebaupolitische und mietrechtlicheVerbesserungen beschlossen, um die Wohnsituation zuverbessern.Wir werden den Anstieg der Mietpreise in den vonden Ländern auszuweisenden Regionen bremsen. Davonwerden nach unseren Schätzungen circa 5 MillionenWohnungen betroffen sein. 500 000 Mieter, darunterauch viele Studentinnen und Studenten, werden davonprofitieren, dass die Mietpreise nicht mehr exorbitantwachsen können.Es gefällt mir sehr gut, dass eben Nordrhein-Westfa-len gelobt wurde. Man muss natürlich auch den Blicknach Baden-Württemberg richten. Der NRW-Bauminis-ter, mit dem ich heute sprechen konnte, und Nils Schmidhaben gesagt, sie werden die Mietpreisbremse in denentsprechenden Regionen anwenden.
Wir haben uns in der Koalition darüber hinaus daraufverständigt, die Städtebauförderung mit 700 MillionenEuro zu unterstützen. Wir wollen uns insbesondere umdie Bereiche Energieeinsparung und Energieeffizienzkümmern und die entsprechenden Vorhaben zeitnah indie Beratung einbringen; denn wir wissen, dass die„zweite Miete“ bei den Wohnkosten eine große Rollespielt.Ebenso wollen wir die Genossenschaften fördern. Wirbrauchen aber auch starke Städte mit starken Wohnungs-baugesellschaften, die als Korrektiv vor Ort auftretenkönnen. Schließlich brauchen wir auch die Privatvermie-ter und die Wohnungswirtschaft. Der Staat – das wurdegerade schon angesprochen – kann das alles nicht alleinelösen. Ich will aber sehr deutlich betonen, dass die Woh-nungswirtschaft nicht als Spielfeld genutzt werden darf,weil die Renditen auf dem Finanzmarkt ausfallen. Dasmüssen wir verhindern.
Wichtige Akteure bleiben die Länder und die Städte.Wir brauchen starke Städte; das habe ich schon gesagt.Die Länder sind verantwortlich für die Schaffung vonWohnraum und für die Förderung von sozialem Wohn-raum. In diesem Zusammenhang will ich noch auf einenPunkt eingehen: Der Bund muss Vorbild sein; er mussmit seinen Liegenschaften vorbildhaft umgehen. Wir ha-ben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir Liegen-schaften verbilligt an Städte und Gemeinden abgebenwollen, um Wohnraum zu schaffen. Wir müssen auchvorbildhaft mit unseren Wohnungen umgehen. Dabeigeht es um die Qualität der Wohnungen und um die ener-getische Sanierung.Wir brauchen also alle Akteure. Wir brauchen Lösun-gen, die passen. Wir wollen mit Menschen für Menschenbauen – in einer sozialen Stadt.Herzlichen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in derDebatte fortfahren, möchte ich Ihnen kurz die von denSchriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Er-gebnisse der namentlichen Abstimmungen zur Kennt-nis bringen.Zunächst zur Abstimmung über den Entschließungs-antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2916:An der Abstimmung über diesen Entschließungsantragder Linken haben sich 577 beteiligt. Mit Ja haben ge-stimmt 55, mit Nein haben gestimmt 465 und enthaltenhaben sich 57 Kollegen. Damit ist der Entschließungsan-trag abgelehnt.
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Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
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Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 576;davonja: 55nein: 464enthalten: 57JaDIE LINKEJan van AkenDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausDr. Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeAnnette GrothDr. Gregor GysiDr. André HahnHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKerstin KassnerKatja KippingJan KorteKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichDr. Gesine LötzschThomas LutzeCornelia MöhringNiema MovassatDr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerMichael SchlechtDr. Petra SitteKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannAzize TankKathrin VoglerDr. Sahra WagenknechtHalina WawzyniakKatrin WernerBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelPia ZimmermannNeinCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerArtur AuernhammerThomas BareißJulia BartzGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr. André BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzJutta EckenbachDr. Bernd FabritiusUwe FeilerDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Hans-Joachim FuchtelIngo GädechensDr. Peter GauweilerDr. Thomas GebhartAlois GerigCemile GiousoufJosef GöppelReinhard GrindelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeDr. Heribert HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M. HuberAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenAndreas JungDr. Franz Josef JungXaver JungDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr. Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberKordula KovacGunther KrichbaumDr. Günter KringsBettina KudlaDr. Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr. Karl A. LamersAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzPhilipp Graf LerchenfeldDr. Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr. Michael MeisterJan MetzlerMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtKarsten MöringMarlene MortlerElisabeth MotschmannDr. Gerd MüllerCarsten Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr. Martin PätzoldUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef Rief
Metadaten/Kopzeile:
5682 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
(C)
(B)
Dr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleAndreas ScheuerKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffDr. Ole SchröderDr. Kristina Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnCarola StaucheDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Freiherr von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblKarin StrenzThomas StritzlMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesMarco WanderwitzNina WarkenKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Dr. Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtWaldemar WestermayerKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerOliver WittkeDagmar G. WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr. Katarina BarleyDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelDr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasSabine Bätzing-LichtenthälerDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr. Karl-Heinz BrunnerEdelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertDr. Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr. Daniela De RidderDr. Karamba DiabySabine DittmarElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuElke FernerDr. Ute Finckh-KrämerGabriele FograscherDr. Edgar FrankeUlrich FreeseMichael GerdesMartin GersterIris GleickeKerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßUli GrötschWolfgang GunkelRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannMichael Hartmann
Dirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldWolfgang HellmichDr. Barbara HendricksHeidtrud HennGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Thomas HitschlerDr. Eva HöglMatthias IlgenChristina JantzFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsChristina KampmannRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeBirgit KömpelAnette KrammeDr. Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr. Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerMichelle MünteferingDr. Rolf MützenichDietmar NietanUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Markus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichBernd RützelJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerMarianne SchiederUdo SchiefnerDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Ursula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzDr. Carsten SielingRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsFranz ThönnesWolfgang TiefenseeRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalAndrea WickleinDirk WieseWaltraud Wolff
Gülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte Zypries
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014 5683
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
(C)
EnthaltenBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeAnnalena BaerbockMarieluise Beck
Volker Beck
Agnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerKatharina DrögeHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr. Anton HofreiterBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Christian Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr. Tobias LindnerPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerCorinna RüfferManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheHans-Christian StröbeleMarkus TresselJürgen TrittinDr. Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr. Valerie WilmsBei der vierten namentlichen Abstimmung ging es umden Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen auf Drucksache 18/2917: Es sind insgesamt576 Stimmen abgegeben worden. Mit Ja haben gestimmt112 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben ge-stimmt 464 Kolleginnen und Kollegen. Damit ist auchdieser Entschließungsantrag abgelehnt.
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 576;davonja: 112nein: 464JaDIE LINKEJan van AkenDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausDr. Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeAnnette GrothDr. Gregor GysiDr. André HahnHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKerstin KassnerKatja KippingJan KorteKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichDr. Gesine LötzschThomas LutzeCornelia MöhringNiema MovassatDr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerMichael SchlechtDr. Petra SitteKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannAzize TankKathrin VoglerDr. Sahra WagenknechtHalina WawzyniakKatrin WernerBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelPia ZimmermannBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeAnnalena BaerbockMarieluise Beck
Volker Beck
Agnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerKatharina DrögeHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr. Anton HofreiterBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Christian Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr. Tobias LindnerPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerCorinna RüfferManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheHans-Christian StröbeleMarkus TresselJürgen TrittinDr. Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr. Valerie WilmsNeinCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerArtur AuernhammerThomas BareißJulia BartzGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr. André BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigAlexander Dobrindt
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5684 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
(C)
(B)
Michael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzJutta EckenbachDr. Bernd FabritiusUwe FeilerDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Hans-Joachim FuchtelIngo GädechensDr. Peter GauweilerDr. Thomas GebhartAlois GerigCemile GiousoufJosef GöppelReinhard GrindelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeDr. Heribert HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M. HuberAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenAndreas JungDr. Franz Josef JungXaver JungDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr. Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberKordula KovacGunther KrichbaumDr. Günter KringsBettina KudlaDr. Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr. Karl A. LamersAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzPhilipp Graf LerchenfeldDr. Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr. Michael MeisterJan MetzlerMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtKarsten MöringMarlene MortlerElisabeth MotschmannDr. Gerd MüllerCarsten Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr. Martin PätzoldUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleAndreas ScheuerKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffDr. Ole SchröderDr. Kristina Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnCarola StaucheDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Freiherr von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblKarin StrenzThomas StritzlMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesMarco WanderwitzNina WarkenKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Dr. Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtWaldemar WestermayerKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerOliver WittkeDagmar G. WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr. Katarina BarleyDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelDr. Matthias Bartke
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014 5685
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
(C)
(B)
Sören BartolBärbel BasSabine Bätzing-LichtenthälerDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr. Karl-Heinz BrunnerEdelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertDr. Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr. Daniela De RidderDr. Karamba DiabySabine DittmarElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuElke FernerDr. Ute Finckh-KrämerGabriele FograscherDr. Edgar FrankeUlrich FreeseMichael GerdesMartin GersterIris GleickeKerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßUli GrötschWolfgang GunkelRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannMichael Hartmann
Dirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldWolfgang HellmichDr. Barbara HendricksHeidtrud HennGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Thomas HitschlerDr. Eva HöglMatthias IlgenChristina JantzFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsChristina KampmannRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeBirgit KömpelAnette KrammeDr. Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr. Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerMichelle MünteferingDr. Rolf MützenichDietmar NietanUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Markus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichBernd RützelJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerMarianne SchiederUdo SchiefnerDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Ursula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzDr. Carsten SielingRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsFranz ThönnesWolfgang TiefenseeRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalAndrea WickleinDirk WieseWaltraud Wolff
Gülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesWir fahren in der Debatte fort. Der Kollege Dr. Jan-Marco Luczak erhält das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren und – das kann man bei dieser Debatte sagen –liebe Studenten in unserem Land! Ich möchte eines vor-wegschicken: Die Union will, dass sich auch weiterhinviele junge Menschen dafür entscheiden, ein Studiumaufzunehmen.
Die Union will, dass sich Menschen qualifizieren unddadurch gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Soerarbeiten sie sich Perspektiven für ihre Zukunft und fürein gutes Leben. Natürlich müssen wir als Politiker dafürsorgen, dass die Rahmenbedingungen richtig gesetztsind. Ein Studium darf keine unzumutbaren finanziellenBelastungen mit sich bringen. Niemand soll aus Geld-mangel von einem Studium abgehalten werden.Deswegen unternimmt die Bundesregierung sehr viel,um Studenten zu helfen. Das könnte die Linke ruhig ein-mal zur Kenntnis nehmen. Ich kann überhaupt nichtnachvollziehen, dass die Kollegin Gohlke am Anfang ih-rer Rede sagte, dass die Bundesregierung auf diesem Ge-biet keinen Handlungsbedarf sehen würde. Wir tun inder Tat sehr viel; darauf ist gerade schon hingewiesenworden. Wir haben kürzlich intensiv über das BAföGdiskutiert und beschlossen, die Bedarfssätze um immer-hin 7 Prozent anzuheben
und den Wohnzuschlag auf immerhin 250 Euro anzuhe-ben. Damit stehen den Studenten, die BAföG beziehen,monatlich bis zu 735 Euro zur Verfügung.
Metadaten/Kopzeile:
5686 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014
Dr. Jan-Marco Luczak
(C)
(B)
Wir machen noch viel mehr: Die Freibeträge vomEinkommen der Eltern heben wir deutlich an, sodass biszu 110 000 Studenten mehr in den Genuss von BAföGkommen.
Auch die Hinzuverdienstgrenzen haben wir erhöht. DenKinderbetreuungszuschlag haben wir erhöht. Die Ver-mögensfreibeträge werden erhöht. – Das ist eine ganzeMenge. Wir können also wirklich sagen: Der Bundnimmt seine Verantwortung sehr ernst, und er nimmt sieauch wahr. Dafür werden wir immerhin über 3 Milliar-den Euro zur Verfügung stellen. Ab 2016 wird es nocheinmal mehr sein. Ich finde, das kann man ruhig einmalzur Kenntnis nehmen. Das, was der Bund an dieserStelle macht, ist keine Kleinigkeit.
Es hätte mich aber auch gewundert, wenn die Linketrotz dieser Anstrengungen, die der Bund bereits unter-nimmt, nicht wieder gerufen hätte: Wir wollen mehr!Wir wollen mehr! Wir wollen mehr! – Das Rufen nachmehr Staat, das Rufen nach mehr Geld ist ein wiederkeh-render Reflex bei den Linken. Das scheint in der DNAIhrer Partei verankert zu sein. Das wird es mit uns aberin dieser Form nicht geben.Ich will ein Beispiel der Forderungen der Linken nen-nen. Sie haben in Ihrem Antrag geschrieben, dass dieKompensationsmittel des Bundes für die Gemeinschafts-aufgabe Hochschulbau – immerhin sind es derzeit fast700 Millionen Euro – um weitere 270 Millionen Euro er-höht werden sollen. Das ist eine Steigerung von immer-hin fast 40 Prozent. Ich darf Sie erinnern: Dieses Geld,das Sie hier verteilen wollen, muss erst einmal erwirt-schaftet werden, bevor es ausgegeben werden kann.
Man muss sagen: Wir haben natürlich gegenüber denStudierenden Verantwortung, aber wir haben auch Ver-antwortung gegenüber allen Menschen in unserem Land,gegenüber den heranwachsenden nächsten Generatio-nen. Dieser Verantwortung werden Sie mit Ihrem Rufnach mehr Staat, nach mehr Geld und damit nach immermehr Schulden nicht gerecht. Das blenden Sie völlig aus.
Das wird es in einer unionsgeführten Bundesregierungnicht geben. Wir legen hier das erste Mal seit Jahrzehn-ten einen ausgeglichenen Haushalt vor.
Diese schwarze Null steht. Damit werden wir unsererVerantwortung für die Menschen in unserem Land ge-recht. Deswegen wird an dieser schwarzen Null auchnicht gerüttelt.
Richtig ist: Die Wohnkosten stellen natürlich einenerheblichen Teil der Belastungen für Studierende dar.Gerade in Hochschulstädten, in Ballungszentren, dort,wo wir attraktive Universitäten haben, ist das in der Tatein Problem. Das ist uns aber sehr wohl bewusst. Wirbrauchen die Linken nicht, um uns darauf hinzuweisen.
Wir tun über das BAföG hinaus schon viel. Ich weißnicht, ob es Ihnen entgangen ist, aber es ist schon in derDiskussion erwähnt worden. Wir haben gerade eineMietpreisbremse durch das Kabinett gebracht, mit dergenau auf diese Zuspitzung in den angespannten Woh-nungsmärkten und damit auch in den Universitätsstädtenreagiert werden soll.
– Vielen Dank den Kollegen von der SPD.Auch für uns als Union ist völlig klar, dass Wohnenfür Studenten, aber auch für alle anderen Menschen inunserem Land bezahlbar bleiben muss. Wir wollen nicht,dass Menschen aus ihren angestammten Kiezen ver-drängt werden. Uns unterscheidet von Ihnen aber Fol-gendes: Wir haben ganz andere Auffassungen davon,wie wir dieses Ziel erreichen wollen. Man muss schonsagen: Wenn ich mir die Wohnungsbaupolitik und dieVorschläge der Linken anschaue, denke ich, dass wir bis1989 gesehen haben, welches Ergebnis dabei heraus-kommt, nämlich zerfallene Wohnbestände.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, ich will jedenfallsnicht zu einer solchen Situation zurück.
Insofern muss man sagen: Diese Polemik, die manzum Teil auch in Ihrem Antrag findet – auf der einenSeite der raffgierige Vermieter und auf der anderen Seiteder schutzlos dem Wohnungsmarkt ausgelieferte Mieter –,trifft einfach nicht die Realität.
Es kann doch nicht darum gehen, Vermieter und Mietergegeneinander auszuspielen. Unser Ziel muss es dochsein, ein vernünftiges Miteinander zu erreichen. Das ha-ben wir in unserem Land mit wirklich ausgewogenenmietrechtlichen Regelungen geschafft und sichergestellt.Mit diesem guten Mieterschutz, den wir in unseremLand haben, brauchen wir uns vor keinem anderen Landzu verstecken. Das ist so, und das wird auch in Zukunftso bleiben.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014 5687
Dr. Jan-Marco Luczak
(C)
(B)
Ich will noch zwei Dinge zur Mietpreisbremse sagen.Wir haben sie jetzt gerade durch das Kabinett gebracht.Wir haben einen guten Kompromiss gefunden. Ich per-sönlich finde an dieser Stelle ganz wichtig – das habenwir immer gesagt –: Wenn man nach den Ursachen vonsteigenden Mieten fragt, kommt man ganz schnell zu derErkenntnis, dass das einzige Mittel, das den Mieternwirklich nachhaltig hilft, mehr Wohnungsneubau ist.Deswegen ist es, glaube ich, sehr, sehr gut, dass wir aufunser Drängen hin erreicht haben, dass Neubauten imKabinettsentwurf jetzt ausgenommen werden. Damitsenden wir ein Signal an diejenigen, die Geld in dieHand nehmen wollen, die Wohnungen neu bauen wollenund die damit dafür sorgen, dass das Angebot auf denWohnungsmärkten verbreitert wird und somit die Mietennicht mehr so stark steigen müssen. Sie haben nun wei-terhin Planungssicherheit. Deswegen ist es gut, dassNeubauten aus diesem Entwurf herausgenommen wor-den sind.Wir sind jetzt im parlamentarischen Verfahren. Dawird es naturgemäß immer noch Änderungen geben. Esgibt ein paar Punkte, die mir persönlich noch wichtigsind. Dabei geht es zum Beispiel darum, welche Krite-rien man zugrunde legt, um herauszufinden, was eigent-lich ein angespannter Wohnungsmarkt ist. Wir müssenuns, glaube ich, noch einmal darüber unterhalten, welcheBezugsgrößen genannt werden und ob es richtig ist, aufden Bundesdurchschnitt abzustellen. Wir müssen,glaube ich, auch schauen, dass das ein Instrument wird,das Rechtssicherheit schafft. Ich denke zum Beispiel andie Frage: Inwieweit können wir qualifizierte Mietspie-gel bei der Bestimmung der ortsüblichen Vergleichs-miete heranziehen? Ich glaube, wir müssen uns auchnoch einmal Gedanken machen, ob, wenn VermieterGeld in die Hand nehmen und ihre Wohnungen moderni-sieren, sich das nicht in irgendeiner Form über den Be-griff der umfassenden Modernisierung hinaus widerspie-geln muss.Ich will nur sagen: Wir sind da trotzdem auf einemguten Weg – der jedenfalls viel besser ist als all das, wasdie Linke uns hier vorstellt. Wenn die Linke fordert,Mietsteigerungen nur noch in Höhe der Inflation zuzu-lassen, sollten wir uns einmal fragen: Was passiert denn,wenn wir diesen Vorschlag umsetzen? Jeder Vermieterwürde doch hingehen und eine indexbasierte Miete ver-einbaren, das heißt: Steigt die Inflation, steigt die Mieteganz automatisch. Das würde passieren, wenn wir diesenVorschlag umsetzten.Man muss auch sehen: Wie haben sich denn in derVergangenheit die Kaltmieten im Verhältnis zur Inflationentwickelt? In den letzten 20 Jahren ist die Inflation vielhöher gewesen als der Anstieg der Kaltmieten, das heißt,was die Linke uns hier vorschlägt, wäre im Endeffekt so-gar kontraproduktiv für die Mieter – da werden sich dieMieter in unserem Land wahrscheinlich bedanken. DerVorschlag ist also in der Sache völliger Unsinn; deswe-gen werden wir das auch nicht mitmachen, meine Da-men und Herren.
Ich will am Schluss einen einzigen Punkt aus demAntrag der Linken aufgreifen, der in der Tat überlegens-wert ist.
Sie schlagen vor, dass der Bund sich überlegt, wie er mitseinen Liegenschaften umgeht. Das ist die Diskussionim Zusammenhang mit der BImA: Wie können wir– möglicherweise über die gesetzlichen Regelungen, diewir im BImA-Gesetz und in der Bundeshaushaltsord-nung haben, hinaus – dafür sorgen, dass bezahlbarerWohnraum in angespannten Wohnungsmärkten auch zurVerfügung gestellt wird?
Ich bin sehr dafür, dass wir uns dem Ziel verschreiben– und das tut die Bundesregierung ja auch –, bezahlbarenWohnraum zu schaffen. Dafür brauchen wir aber eineGesamtstrategie; das heißt, wir dürfen nicht nur über dieMietpreisbremse diskutieren – durch die wir letztlichden privaten Eigentümern Verantwortung aufbürden –,sondern müssen auch schauen, was wir als Bund tunkönnen.
Deswegen bin ich persönlich sehr dafür – auch aus mei-ner Perspektive hier aus Berlin –, dass wir uns an-schauen, ob wir nicht das BImA-Gesetz und die Bundes-haushaltsordnung anreichern müssen um Kriterien, beidenen es um wohnungspolitische Gesichtspunkte undum Stadtentwicklungsgesichtspunkte geht.
Es ist, glaube ich, vernünftig und richtig, wenn wir hier-für eine Gesamtstrategie entwickeln. Darüber werdenwir uns in der Koalition noch verständigen.Unter dem Strich, meine Damen und Herren: Was dieLinke uns hier vorschlägt, ist kontraproduktiv für dieMieter und beseitigt die Probleme, die wir haben, in kei-ner Weise. Deswegen werden wir diesem Antrag auchnicht zustimmen.Danke schön.
Als nächster Redner in dieser Debatte hat die Kolle-
gin Caren Lay das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erst ein-mal stelle ich fest: Das Problem ist nicht zu leugnen.Wer jetzt zu Semesterbeginn in die Zeitungen schautoder die Meldungen der ASten zur Grundlage nimmt,
Metadaten/Kopzeile:
5688 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014
Caren Lay
(C)
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der liest: Tausende stehen auf den Wartelisten der Wohn-heime in Berlin. In anderen Städten – wie in Mainz, inGreifswald, in Heidelberg – gibt es das sogenannteCouchsurfing als wirklich tollen Start in das Studium. Inmanchen Städten berichten die ASten sogar davon, dassStudierende in Turnhallen übernachten müssen. In Düs-seldorf gibt es inzwischen die sogenannten Kellerkinder:Sie übernachten im Souterrain von Wohnheimen. In Göt-tingen hat eine Initiative sogar Zeltlager als Notunter-künfte für Erstsemester aufgestellt. – All diese Studie-renden, meine Damen und Herren, können sich von derschwarzen Null der Koalition wirklich überhaupt nichtsleisten.
Wir führen heute keine haushaltspolitische Debatte– das ist klar –; aber weil hier immer wieder behauptetwird, dass die Linke das Geld zum Fenster herauswerfenwolle und gar kein Geld da sei, will ich nur sagen: Ichkann es nicht mehr hören, wie hier seit Jahren und Jahr-zehnten Studierenden und Rentnern gesagt wird, sie sol-len den Gürtel enger schnallen. Nein, meine Damen undHerren, das Geld ist da, es befindet sich nur in den fal-schen Händen – bei den Vermögenden und bei den Rei-chen –, und da wollen wir als Linke auch ran.
Es ist völlig klar, dass wir hier ein ganzes Bündel vonMaßnahmen brauchen. Ich kann allerdings nicht erken-nen, was die Koalition in dieser Legislaturperiode Groß-artiges getan hätte, dass sie sich damit brüsten könnte.Nehmen wir die Mietpreisbremse, die ja im Übrigennoch gar nicht in diesem Parlament eingebracht wurde.Die Idee ist schön, wir unterstützen sie. Nur, so wie esdie Koalition jetzt plant, wird das einfach nichts werden.Das beginnt damit, dass die Umsetzung der Mietpreis-bremse von den Bundesländern abhängen wird. Dasheißt, die CDU- und CSU-geführten Länder können sichdann einfach verweigern, und im Ergebnis wird dieMietpreisbremse in Städten wie München, Bamberg,Dresden und Leipzig nicht gelten. Das, meine Damenund Herren, kann doch wirklich nicht Ihr Ernst sein. Wirbrauchen eine Mietpreisbremse, die für alle Bundeslän-der gilt.
Auch die Deckelung bei 10 Prozent oberhalb der orts-üblichen Vergleichsmiete, die Sie vorschlagen, halte ichnicht für zielführend; denn in der Praxis kann das bedeu-ten – gerade in Städten, in denen die Mieten rasant ange-stiegen sind, wie in Hamburg, Frankfurt, Berlin –, dassdann der Nachmieter locker das Doppelte wie der Vor-mieter zahlen muss, weil die Vergleichsmiete so starkangezogen hat. Das ist wirklich kein sinnvoller Deckel.
Als würde es nicht ausreichen, dass es hier genügendAusnahmen und Schlupflöcher gibt, hat die Koalitionauf Druck der CDU/CSU auf den letzten Metern Neu-bauten komplett aus der Regelung zur Mietpreisbremseherausgenommen, selbst bei der Wiedervermietung vonneugebauten Wohnungen.
Das können wir aus folgendem Grund nicht akzeptie-ren: Nicht nur die Wohnung in dem neugebauten Wohn-haus ist dann teuer. Die Dynamik des Mietspiegels wirddazu führen, dass nach und nach auch die Miete der Omain der alten Wohnung nebenan ansteigen wird. Das ak-zeptieren wir als Linke nicht.
Wir brauchen eine Mietpreisbremse; aber das, was dieKoalition vorlegen wird, verdient diesen Namen nicht.Ich bin bei Ihnen, wenn Sie sagen: Es muss mehr gebautwerden; selbstverständlich. Die Frage ist nur: Was sollneu gebaut werden? Ich finde, es sind wirklich sehr vieleLuxuslofts und Townhouses gebaut worden; das sehenSie in jeder deutschen Großstadt. Wir wollen vor allenDingen, dass für die Mittelschichten mehr gebaut wird,für Menschen mit geringen Einkommen. Auch brauchenwir endlich einen Neustart im sozialen Wohnungsbau;dahin muss die Reise gehen.
Es ist völlig unstrittig, dass wir einen Neustart im so-zialen Wohnungsbau brauchen. Die Situation ist so, dassder Bedarf bei weitem nicht gedeckt werden kann. Nur30 Prozent des Bedarfs im sozialen Wohnungsbau kön-nen gedeckt werden; die Tendenz ist fallend. Die Regie-rung musste auf meine schriftlichen Anfragen zugeben,dass der Anteil der Sozialwohnungen in den letzten zehnJahren über ein Drittel gesunken ist. Daran hat leiderauch die Regierungsbeteiligung der SPD bisher nichtsgeändert.Ich bin, ehrlich gesagt, ein bisschen verwirrt darüber,was die Koalition hier will. Von Frau Hendricks lese ichimmer, dass auch sie will, dass mehr Sozialwohnungengebaut werden. Die CDU/CSU sagt: Was haben wir da-mit zu tun? Das ist Sache der Länder. – Ich bin gespannt,was wir von der Koalition zu erwarten haben. Bisher istdafür kein einziger Cent mehr in den Bundeshaushalteingestellt. Ich kann Sie nur warnen: Verstecken Sie sichhier nicht hinter der Verantwortung der Länder! Es istdie Aufgabe des Bundes, dafür zu sorgen, dass endlichwieder mehr Sozialwohnungen gebaut werden.
Zu guter Letzt möchte ich auf das Thema BImA undöffentliche Wohnungen eingehen; vielen Dank, dass Siedieses Thema schon angesprochen haben. Es ist so: ImBundesbesitz befinden sich immer noch 45 000 Woh-nungen und weitere Liegenschaften. Man könnte jetztschauen: Wie können wir diese Wohnungen nutzen, umtatsächlich bezahlbaren Wohnraum zu schaffen? Statt-dessen verkauft die BImA, also die Bundesanstalt fürImmobilienaufgaben, diese Wohnungen selbst auf ange-spannten Märkten zu Höchstpreisen. In Berlin in derGroßgörschenstraße zum Beispiel wollte die landesei-
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gene GEWOBAG die Häuser zu einem fairen Preis kau-fen. Sie hat den Zuschlag nicht bekommen. Eine Genos-senschaft der Mieterinnen und Mieter, also derBewohnerinnen und Bewohner, wollte ihr Haus kaufen.Auch sie haben den Zuschlag nicht bekommen, denn eswird immer nur zu Höchstpreisen verkauft. Das ist ein-fach inakzeptabel.
Deswegen finde ich es falsch, dass Sie noch letzteWoche im Ausschuss den Antrag der Linken abgelehnthaben, in dem wir ein Moratorium verlangt haben. DieseAblehnung hilft den Bewohnerinnen und Bewohnernüberhaupt nicht weiter. Wir haben einen neuen Antrageingebracht, in dem wir sagen: Wir wollen, dass das Kri-terium der Gemeinwohlorientierung endlich gesetzlichverankert wird. Ich bin sehr gespannt, welches Schicksaldiesem Antrag beschieden sein wird. Ich hoffe, Sie wer-den ihm zustimmen.
Meine Damen und Herren, Innenstädte, die nur nochaus Bürogebäuden, Townhouses und Luxuslofts beste-hen, sind nicht nur ungerecht, sondern auch langweilig.Wir als Linke wollen lebendige Innenstädte, in denenStudierende, Rentnerinnen und Rentner, junge Familien,Menschen aus allen Einkommensgruppen, vor allen Din-gen Menschen mit geringem Einkommen und aus denMittelschichten, leben können. Dafür stehen wir ein.Deswegen bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag.Vielen Dank.
Als nächster Redner hat der Kollege Dirk Wiese das
Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Es gibt auch
unnötige Anträge, die zur Politikverdrossenheit beitra-
gen.
Das ist in Teilbereichen bei Ihrem Antrag so. Ein Antrag,
so wie Sie ihn hier heute vorgelegt haben – das sage ich
als Mitglied des Rechtsausschusses –, ist gerade beim
Thema Mietpreisbremse reine Schaufensterpolitik und
hat mit vernünftiger Politik nichts zu tun.
Allein an dem, was Sie zur Bundeshaushaltsordnung hi-
neingeschrieben haben, kann ich schon sehen, dass die-
ser ganze Antrag nicht ernst gemeint ist. Darüber kann
ich, ehrlich gesagt, nur mit dem Kopf schütteln.
Wir in der Großen Koalition machen eine Mietpreis-
bremse für alle Bürgerinnen und Bürger. Lassen Sie
mich dazu einen Satz sagen: Ich freue mich wirklich
ganz besonders, dass wir in den Beratungen, die wir in
den letzten Wochen und Monaten gehabt haben, Sie,
Herr Kollege Luczak, ein bisschen auf den Pfad der Tu-
gend zurückbringen konnten,
dass wir Sie sozusagen vom Dr. No zum Anhänger der
Mietpreisbremse machen konnten.
Das ist ein richtig guter Tag. Dass wir Sie dahin bringen
konnten, das freut uns an dieser Stelle richtig.
Zu Ihrer Anmerkung, die Sie gerade gemacht haben,
kann ich sagen: Manchmal ist es gut, wenn wir das
Struck’sche Gesetz außer Kraft lassen und das Ganze an
dieser Stelle schnell auf den Weg bringen.
Ich glaube, die Mietpreisbremse ist richtig. Die Miet-
preisbremse wird dazu führen, dass in gewissen Hot-
spots, die es nun einmal gibt – das ist nicht nur Mün-
chen, das an dieser Stelle immer erwähnt wird, das ist
genauso Marburg, das ist Münster; das sind kleine Uni-
versitätsstädte, in denen wir Probleme haben, zu begren-
zen –, der Mietpreisanstieg bei Wiedervermietung be-
grenzt wird. Es ist gut, dass wir das an dieser Stelle
machen.
Ich will aber noch eine Sache ansprechen, weil mir et-
was, ehrlich gesagt, nicht passt: Der Großteil der Ver-
mieter in Deutschland vermietet ordentlich. Die vermie-
ten ordentlich an ihre Mieter, die schauen nicht auf die
höchstmögliche Rendite, die machen eine gute Arbeit,
die haben ein gutes Verhältnis zu ihren Mietern. Wir
wollen an die herangehen, die auf Wucher setzen, die die
Situation schamlos ausnutzen. Darum ist die Mietpreis-
bremse an dieser Stelle der absolut richtige Weg.
Herr Wiese, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kolle-
gin Lay zu?
Ja, na klar, Frau Lay.
Verehrter Herr Kollege, vielen Dank, dass Sie meineZwischenfrage zulassen. – Sie haben gesagt, wir brau-chen eine Mietpreisbremse für alle Bürgerinnen und
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Bürger. Sie haben auch nicht abgestritten, dass in einerStadt wie München und vielen anderen Großstädten undBallungszentren im ganzen Bundesgebiet
eine angespannte Situation auf dem Wohnungsmarktherrscht. Wie können Sie es denn dann gut finden, dassder Entwurf, der jetzt das Kabinett passiert hat, bei-spielsweise dem Freistaat Bayern ermöglicht, die Miet-preisbremse überhaupt nicht umzusetzen? Finden Siedas richtig, oder hätten Sie sich hier eine andere Rege-lung gewünscht?
Frau Kollegin Lay, ich muss Ihnen leider an der Stelle
widersprechen und Ihnen sagen: Da müssen Sie sich den
Gesetzentwurf einmal ganz genau ansehen. Wir geben
den Ländern die Möglichkeit, in der angespannten Lage
in Ballungszentren die Mietpreisbremse umzusetzen,
weil die Länder am besten beurteilen können, wie die Si-
tuation vor Ort ist. Darum ist das an dieser Stelle völlig
richtig.
Bayern ist schon bei den Änderungen in Bezug auf
die Kappungsgrenze vorangegangen. Darum kann ich
Ihnen nur empfehlen: Schauen Sie sich den Referenten-
entwurf genau an, und lesen Sie das noch einmal nach.
Der zweite Punkt, den ich heute erwähnen will – das
darf man nicht verschweigen –, ist, dass in vielen Städ-
ten das Problem besteht, dass die Maklerkosten immer
auf den Mieter abgewälzt werden. Darum ist heute ein
guter Tag; denn wenn wir die Mietpreisbremse Anfang
nächsten Jahres in Gesetzesform gießen, zieht im Jahr
2015 endlich auch für die Makler die soziale Marktwirt-
schaft ein. Das ist viel zu lange nicht passiert. Darum
sind die Änderungen im Maklerrecht absolut richtig.
Auf den dritten Punkt, den ich ansprechen möchte, ist
mein Kollege Michael Groß schon eingegangen: Es ist
natürlich so, dass die Mietpreisbremse keinen zusätzli-
chen Wohnraum schafft. Das ist völlig richtig. Das ist
mit der Mietpreisbremse aber auch nicht beabsichtigt.
Darum müssen wir gleichzeitig den Wohnungsbau stär-
ken.
Darum ist es richtig, die Ausnahme der Mietpreisbremse
für den Neubau zuzulassen. Da bin ich voll auf Ihrer
Seite. Das müssen wir machen, weil wir zusätzlichen
Wohnungsbau brauchen.
Herr Gehring, ich habe mich gefreut, dass Sie Nord-
rhein-Westfalen erwähnt haben, weil Nordrhein-Westfa-
len ein Beispiel dafür ist,
dass man Geld vom Bund für den sozialen Wohnungs-
bau in die Hand nimmt. NRW-Bauminister Michael
Groschek nimmt bis 2017 800 Millionen Euro jährlich
für den sozialen Wohnungsbau in die Hand. Das ist Poli-
tik für die Städte in NRW und für den ländlichen Raum.
Wir als SPD machen in Nordrhein-Westfalen und im
Bund Politik für die Städte und für den ländlichen Raum
– Stadt und Land Hand in Hand. Darum ist es gut, dass
die SPD an dieser Stelle regiert.
Ich möchte am Ende noch ganz kurz einen Punkt an-
sprechen. Neben den Kosten, die die Bürgerinnen und
Bürger für die Miete haben, müssen wir uns auch die
Nebenkosten ansehen. Die Nebenkosten sind die zweite
Miete. Das ist ein Problem. Darum müssen wir auch
schauen, dass wir es bei den Nebenkosten hinbekom-
men, über eine sogenannte Betriebskostenbremse und
darüber nachzudenken, was man in dem Bereich machen
kann. Ich finde das gar nicht verkehrt, weil diese Kosten
für die Bürgerinnen und Bürger ebenfalls enorm sind. Da
muss man etwas machen.
Wir machen eine echte Mietpreisbremse. Ich kann Ih-
nen nur sagen: Stimmen Sie dem zu, wenn Sie etwas Gu-
tes für die Bürgerinnen und Bürger im Land tun wollen!
Ich glaube, das ist richtig. Allen Studierenden kann ich
nur einen guten Start ins Semester wünschen. Ich hoffe,
alle haben die O-Woche ganz gut überstanden.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Als nächster Redner hat der Kollege Christian Kühndas Wort.Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! LiebeStudenten im Land! Der Staat hat in einer Wissensgesell-schaft die Aufgabe, nicht nur ein auskömmliches BAföGzur Verfügung zu stellen – Ihr BAföG, das 2016 refor-miert werden soll, wird weniger wert sein als das BAföG2010, und es dauert auch noch zwei Jahre, bis es so weitist –, sondern auch exzellente Universitäten, attraktiveStudierendenplätze und ausreichend Wohnheimplätze.Denn ich finde, Studenten haben ein Recht darauf, einDach über dem Kopf zu haben.
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Christian Kühn
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Der Problemdruck in den Universitätsstädten istenorm. Vergleicht man die Zahlen, was die Kluft zwi-schen Bestandsmieten und Neuvertragsmieten angeht,stellt man fest, dass drei Städte, die allesamt Universi-tätsstädte sind, an der Spitze stehen: Regensburg, Frei-burg und Heidelberg. Dort liegen die Neuvertragsmietenzum Teil über 9 Euro pro Quadratmeter, und die Ab-stände zwischen den Mieten betragen über 30 Prozent.Das zeigt ganz klar: Es gibt einen riesigen Pro-blemdruck. Auf diesen Wohnungsmärkten, die ohnehinschon unter Stress stehen, konkurrieren nun Studentenmit anderen einkommensschwachen Haushalten. Des-wegen brauchen wir deutlich mehr Wohnheimplätze inDeutschland. Die Belegungsquote liegt derzeit unter10 Prozent. Ich finde, das ist ein Riesenskandal. Eigent-lich müssten bei den Ländern, aber auch beim Bund alleAlarmglocken läuten.
Alle Jahre wieder haben wir das gleiche Problem. ImHerbst, wenn das Semester beginnt, kommt diesesThema hoch. Wir sind uns dann auch immer ganzschnell einig in der Analyse, dass wir ein Problem habenund etwas tun müssen. 2012 hat Herr Ramsauer dann ei-nen Runden Tisch einberufen, bei dem nichts herausge-kommen ist.
Vonseiten der Großen Koalition führen Sie nun dasBündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen an. Daswird bei allen wohnungs- und baupolitischen Themenals Standardargument benutzt.
Mir reicht ein Verweis auf eine Plauderrunde nicht aus.Ich will Maßnahmen, und ich will von Ihnen konkretwissen, welche Instrumente Sie ergreifen, um die Woh-nungsmärkte in Deutschland zu beruhigen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ichfinde, der Antrag beschreibt das Problem gut. Aber Sielassen mich mit diesem Antrag trotz der gemeinsamenOpposition ein bisschen ratlos zurück. Denn Sie habenaus meiner Sicht diesen Antrag wohnungs- und baupoli-tisch nicht durchdacht. Ich finde, für eine kluge Opposi-tionspolitik machen Sie es der Regierung mit Ihrem An-trag leider viel zu leicht, ausweichen zu können.
Mir fehlt Ihre Bauexpertin Heidrun Bluhm heute in derDebatte. Sie hätte in wohnungspolitischer Hinsicht die-ser Debatte gutgetan.
Wir brauchen eine kluge Subjekt- und Objektförde-rung und mietrechtliche Änderungen. Das sehe ich leiderweder bei der Großen Koalition noch bei der Linken.Die Mietpreisbremse wurde monatelang angekündigt,dann verzögert, und am Ende wird die Ausnahme zurRegel. Dass Sie den Neubau von der Mietpreisbremseausgenommen haben, ist falsch. Ihr Argument, dass derNeubau das einzige Instrument ist, mit dem man sozia-len Wohnraum sichern kann, ist falsch. Man kann zumBeispiel auch Belegungsrechte kaufen.Es kommt aber nicht nur darauf an, dass gebaut wird,sondern auch darauf, dass jemand baut, der am Endeauch bezahlbaren Wohnraum bereitstellt. Darüber ma-chen Sie sich viel zu wenig Gedanken. Ich finde, hiermuss man mehr in genossenschaftlichen Strukturen den-ken und kommunale Akteure, die bezahlbaren Wohn-raum bereitstellen, sowie Studentenwerke, die für dieWohnheime zuständig sind, mit einbeziehen.
Beim Wohngeld gilt das Gleiche. Davon profitierenauch Studierende, die kein BAföG beziehen. BeimWohngeld kürzen Sie erst. Dann erhöhen Sie es wiederund wollen sich dafür feiern lassen. Aber die strukturel-len Probleme beim Wohngeld gehen Sie nicht an. Ichfinde, Sie halten Sonntagsreden über Ihre Instrumente.Das sind reine Lippenbekenntnisse. Sie müssen in derGroßen Koalition deutlich mehr liefern.
Ich weiß, dass der eine oder andere in diesem Hausewieder mit einem Konjunkturprogramm liebäugelt. FallsSie in dieser Großen Koalition wie in der letzten auf dieIdee kommen sollten, Konjunkturprogramme durchzu-führen, kann ich Sie nur auffordern: Stecken Sie dasGeld in den sozialen Wohnungsbau, und bauen Sie Stu-dentenwohnheime, statt Autos abzuwracken!
Die Situation ist dramatisch. In vielen Universitäts-städten beginnen Studierende, selbst Verantwortung fürden Wohnraum zu übernehmen. In meiner HeimatstadtTübingen gibt es eine ganze Reihe von Projekten genos-senschaftlichen Wohnens, die sehr erfolgreich sind. Ichfinde es schade, dass es einen linken Antrag zum studen-tischen Wohnen gibt, in dem nicht einmal das Wort „Ge-nossenschaften“ vorkommt. Dabei leisten Genossen-schaften einen großen Beitrag. Hier muss Politik mehrtun und bessere Rahmenbedingungen für Genossinnenund Genossen vor Ort organisieren, damit StudierendeWohnraum in Selbstverwaltung übernehmen können.
Da wir die Fragen des sozialen Wohnungsbaus unddie Beziehungen zu den Ländern unter verfassungsrecht-lichen Aspekten in den Blick nehmen, will ich anmer-ken, dass wir gemeinsam hier in diesem Haus nach 2019ein Problem bekommen werden. Wenn die Entflech-tungsmittel auslaufen, dann weiß ich nicht, wie die Län-der ihrer Verpflichtung nachkommen wollen, gleichzei-tig die Vorgaben der Schuldenbremse und die Aufgabendes sozialen Wohnungsbaus sowie des Wohnungsbausfür Studierende zu stemmen. Wir müssen gemeinsam da-rüber nachdenken, ob es nicht sinnvoll ist, gemeinsammit den Ländern eine Vereinbarung zu treffen, die es
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Christian Kühn
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dem Bund ermöglicht, bei den Wohnheimen, aber auchim sozialen Wohnungsbau unterstützend tätig zu sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Semester hatbegonnen. In Göttingen sind Zeltlager aufgestellt. InHeidelberg gibt es Notunterkünfte. Woanders schlafenStudierende auf Couchen oder in Wohnwägen. Werheute ein Studium aufnimmt, hat das Recht auf ange-messenen Wohnraum; denn wenn man ein Studium star-tet, dann ist das eine schwierige Phase der Neuorientie-rung. Es ist ein Start in einen neuen Lebensabschnitt.Hier hat jeder Studierende ein Recht auf einen Wohn-heimplatz. Ich finde, wenn der Bund Eliteuniversitätenfördert, kann er auch für bezahlbaren Wohnraum sorgen.Danke schön.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Yvonne
Magwas das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirk-lichkeit. Dazu gehört, meine Damen und Herren von denLinken, dass man sich die Wohnpräferenzen und dieWohnwünsche der Studierenden anschaut. Ein genauerBlick in die 20. Sozialerhebung des Deutschen Studen-tenwerks ist da durchaus erhellend. Demnach möchtenämlich die Mehrzahl der Studenten nicht in Studenten-wohnheimen wohnen.
Stattdessen werden Wohngemeinschaften oder allein be-wohnte Wohnungen bevorzugt. Wenn also etwas für dasstudentische Wohnen getan werden soll, dann sollten da-für die gewünschten Wohnformen stärker berücksichtigtwerden. Die Forderung der Linken nach 100 000 neuenWohnheimplätzen geht deshalb an der Realität vorbei.
Hier hilft allein der klassische Wohnungsneubau.Ich bin zwar erst ein Jahr Abgeordnete im DeutschenBundestag. Aber der eine oder andere mag heute einDéjà-vu-Erlebnis haben; denn diese Debatte wurde be-reits en détail und im gleichen Duktus am 18. April 2013geführt.
Es handelt sich also um einen alten Teebeutelantrag, derleider durch den zweiten Aufguss nicht besser wird.
Denn der Grundsatz ist und bleibt, dass in unserem föde-ralen System die Bundesländer für den sozialen Woh-nungsbau zuständig sind und das auch sein wollen.
Unser Ziel ist, 2015 einen ausgeglichenen Haushaltzu haben. Uns geht es um die schwarze Null. So habenwir das auch in der Koalition vereinbart. Für mich ist daseine Frage der Generationengerechtigkeit.
Die Linke hat aber leider ein anderes Verhältnis zumGeld. Für Sie hat der Bund scheinbar unbegrenzte Geld-quellen.
Für Sie ist der Bund Zahlmeister der Nation. Spätere Ge-nerationen scheinen Ihnen gleichgültig zu sein. Stattdes-sen geben Sie den Etat des Bundes jede Legislaturpe-riode gedanklich gerne viermal aus. So kann man keineverantwortungsvolle Politik für unser Land machen.
Dennoch hilft der Bund den Ländern und Kommunen,ihre Aufgaben zu bewältigen. Allein in diesem Jahr be-läuft sich die direkte und indirekte Unterstützung desBundes für die Kommunen auf 22 Milliarden Euro. Ichwürde mich freuen, wenn die Kollegen und Kolleginnender Linken dies auch einmal positiv zur Kenntnis neh-men würden.Um aber beim Thema zu bleiben, lassen Sie michkurz erläutern, was der Bund zur Verbesserung derWohnraumsituation tut. Es wurde schon angedeutet: ImRahmen von Kompensationsleistungen zahlen wir an dieBundesländer bis 2019 jährlich 518 Millionen Euro fürdie Aufgaben des sozialen Wohnungsbaus. Leider, somuss man konstatieren, gehen die Länder recht unter-schiedlich mit diesen Mitteln um.
Primus unter den Bundesländern ist der Freistaat Bay-ern. Er gibt seine Mittel zweckgerichtet aus. Das LandBerlin hat hingegen gerade unter der rot-roten Regierungkeinen einzigen Cent dieser Mittel für den sozialen Woh-nungsneubau ausgegeben.
So viel zur verantwortungsvollen Wohnungspolitik derLinken, wenn sie denn mitregiert.
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Yvonne Magwas
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Ein zweiter Punkt, den ich ansprechen möchte, ist dieMietpreisbremse. Diese haben wir im Koalitionsvertragvereinbart, und den vorliegenden Gesetzentwurf hat dasKabinett am 1. Oktober auch so beschlossen. KollegeLuczak ist schon ausführlich auf die Inhalte eingegan-gen. Ich möchte lediglich eine Forderung aus dem An-trag der Linken herausgreifen. Das ist nämlich eine For-derung, die für mich keinen Sinn macht.Erklären Sie mir doch einmal, warum die Mietpreisein Studentenwohnheimen durch ein Moratorium gede-ckelt werden müssen. Mit einer Warmmiete von 223 Euroim Monat – die Zahl ist vom Studentenwerk – ist daseine der kostengünstigsten Wohnformen für Studenten.Hier besteht definitiv keine Gefahr einer Mietpreisexplo-sion. Im Übrigen entsteht durch die Deckelung des Prei-ses kein einziges Studentenzimmer zusätzlich. Auch hiergilt der Grundsatz: bauen, bauen, bauen.
Wir werden auch die Einnahmenseite der Studentenverbessern. Das wurde schon angedeutet. Wir werdendas BAföG anpassen, indem wir den Satz von 670 Euroauf 735 Euro erhöhen. Durch die Reform wird auch derKreis der Förderberechtigten ausgeweitet und die Hinzu-verdienstgrenze auf 450 Euro angepasst. Wer also mehrals das BAföG benötigt, kann so einen adäquaten Betraghinzuverdienen. Ehrlich, meine Damen und Herren: Fürmich sind Nebenjobs während des Studiums auch imRahmen des Zumutbaren.
Was wird der Bund nun in Zukunft noch angehen?Wir bringen derzeit eine Wohngeldnovelle auf den Weg.Unser Ziel ist es, denjenigen zu helfen, die arbeiten ge-hen und dennoch nur ein geringes Einkommen haben.Diesen wollen wir ein gutes Wohnen ermöglichen. Sowerden wir die Leistungen des Wohngeldes weiter ver-bessern. Leistungshöhe und Miethöchstbeträge wollenwir an die Bestandsmietenentwicklung und die Einkom-mensentwicklung der letzten Jahre anpassen. Im aktuel-len Haushaltsentwurf haben wir dafür 630 MillionenEuro eingestellt. Der Bund schafft damit die finanziellenSpielräume. Mit Spannung erwarten wir nun die kon-krete Ausgestaltung des Gesetzentwurfs unserer Baumi-nisterin Barbara Hendricks.
Klar ist, dass bei steigenden Studentenzahlen der Be-darf für studentischen Wohnraum wächst. Deswegenmöchte ich an dieser Stelle auch einmal die Studenten-werke loben. Sie leisten nämlich flächendeckend guteArbeit. Ihnen ein herzliches Dankeschön.
Den Bundesländern möchte ich noch etwas auf denWeg geben. Sie schaffen an den Hochschulen mehr Stu-dienplätze. Das ist gut und richtig so. Aber dann – das istfür mich die logische Konsequenz – müssen die Wissen-schafts- und Bauminister der Länder auch darauf achten,dass an den Hochschulstandorten ausreichend Wohn-raum zur Verfügung steht. Empfehlenswert wäre zumBeispiel, vor Ort mit allen Beteiligten lokale Bündnissefür bezahlbares Wohnen und Bauen anzugehen.
Der Bund hält an seinem Engagement für den sozia-len Wohnungsbau und die Unterstützung von sozial be-dürftigen Mietern fest, und nicht nur das: Wir bauendieses Engagement auch noch aus. Mietpreisbremse,Wohngeldnovelle und BAföG-Erhöhung – das sind diezentralen Schlagworte.Nun sind die anderen Beteiligten aufgerufen, demgleichzutun. Länder und Kommunen sind ebenso gefor-dert. Sie müssen das Ihre tun, damit sich der Wohnungs-markt insgesamt entspannt. Ich wiederhole es gern: Ge-gen Wohnungsnot hilft nur eins: bauen, bauen, bauen.
Liebe Freunde der Linken, mit einem pauschalen Rufnach dem Bund ist es nun nicht mehr getan. Da hilftauch der Zweitaufguss Ihres Teebeutelantrags nicht.Vielen Dank.
Als nächster Redner hat der Kollege Oliver
Kaczmarek das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DasSchöne an diesem Antrag war, dass man wieder Gele-genheit hatte, sich mit der Realität des studentischenWohnens und dem Bedarf zu beschäftigen. Das Problemist in der Tat unbestritten. Ich glaube nur, dass der An-trag der Realität nicht gerecht wird. Dazu würde ichgerne drei Feststellungen machen.Die erste Feststellung: Der Bedarf ist regional unter-schiedlich. Das ist hier schon angesprochen worden.
Ihren Antrag beginnen Sie mit dem Satz:Insbesondere in klassischen Studierendenstädten istdie Lage auf dem Wohnungsmarkt angespannt.Als jemand, der in Bochum studiert hat, frage ich Sie zu-erst: Was ist eigentlich eine klassische Studierenden-stadt? Denn das hat sich mittlerweile ziemlich ausdiffe-renziert. Im Umkreis von 50 oder 60 Kilometern ummeinen Wohnort Kamen herum liegen der Hochschul-standort Münster – ja, das ist eine klassische Universi-tätsstadt –, aber auch Dortmund, Bochum, Essen undWuppertal als traditionelle Pendlerstandorte – 30 Pro-zent und mehr der Studierenden wohnen zu Hause – so-wie Städte wie Hamm, Iserlohn, Nordkirchen und Me-
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Oliver Kaczmarek
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schede. Die Realität des studentischen Wohnens ist alsovielfältiger, als wir das in diesem Antrag lesen können.Deshalb brauchen wir einerseits lokal passende Ideenfür Wohnheimbauten.
Ja, das ist richtig. Auch Bestandssanierungen gehörendazu. Da nehmen die Studentenwerke auch viel Geld indie Hand. Daneben brauchen wir eine Strategie für dieUmwidmung leerstehenden Wohnraums. Allein in Duis-burg – übrigens auch eine Universitätsstadt – stehen12 000 Wohnungen leer. Dort muss man doch versuchen,den Bedarf und das zur Verfügung Stehende übereinan-derzubringen. Gleichzeitig brauchen wir flexibel nutz-bare Wohneinheiten.Alles das findet im Antrag der Linken nicht statt. Des-wegen wird er der regionalen Vielfalt des studentischenWohnens nicht gerecht.
Die zweite Feststellung: Der Bedarf verändert sichnatürlich auch mit veränderten Lebensformen der Stu-dierenden. Die Konstellationen haben sich gewandelt.Studieren mit Kind bzw. mit Familie nimmt zu; Wohnenmit Partner nimmt zu. Nach der Sozialerhebung desDSW wohnen allein 20 Prozent der Studierenden mit ih-ren Partnerinnen und Partnern zusammen.Das heißt: Wir benötigen nicht nur die eine Angebots-form. Der Ausbau und die Modernisierung von Wohn-heimplätzen sind sinnvoll. Das wird niemand infragestellen. Sie decken aber eben nicht den Bedarf aller Stu-dierenden ab. Dazu brauchen wir auch privaten Wohn-raum und die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften.Nur durch das Zutun aller Akteure wird man dieser Viel-falt gerecht.
Die dritte Feststellung: Ja, es ist wahr, dass Studie-rende von der Mietsituation in den Metropolen beson-ders betroffen sind – aber eben nicht allein. Deswegenist es wichtig, das in eine Strategie einzubetten, die unteranderem auch einkommensschwache Familien in denMittelpunkt rückt, wenn es um bezahlbaren Wohnraumgeht.Die Ministerin knüpft hier mit ihrem Bündnis übri-gens auch an Erfahrungen aus den Hochschulstandortenan, indem sie sich für Runde Tische einsetzt, die in denHochschulstädten gegründet worden sind. So sollen dieAkteure an einen Tisch gebracht werden, um damit denersten Schritt zu machen.Auch die Länder können einen wichtigen Beitrag leis-ten. Das Bundesland Berlin hat sich vorgenommen, bis2016 30 000 zusätzliche Wohnungen zu schaffen. 15 000sind schon realisiert worden. Daran zeigt sich, dass dieLänder auch klar ihrer verfassungsgemäßen Verantwor-tung nachkommen und in so wichtigen Städten wie Ber-lin durchaus Wohnraum schaffen.
Was getan werden muss, ist die Umsetzung einerStrategie der Vielfalt, bei der man den realen Bedarf desStudierendenwohnens aufnimmt und nicht nach demGießkannenprinzip vorgeht.Die Länder können etwas tun. Nordrhein-Westfalenist hier schon als Beispiel genannt worden. Dort stellt dieLandesregierung 50 Millionen Euro jährlich zur Verfü-gung. Damit können 750 Wohnheimplätze pro Jahr ge-baut werden. Man verbindet das mit der Aussage, dassdann auch Impulse für die Stadtentwicklung gesetzt wer-den müssen; denn 2025 sind die Studierendenzahlen inNordrhein-Westfalen wieder auf dem Stand von 2009.Deshalb muss man sich auch überlegen: Was passiert ei-gentlich danach mit diesem Wohnraum?Der Bund leistet mit der BAföG-Novelle einen sub-stanziellen Beitrag. Das ist hier gerade schon angespro-chen worden. Ich will das noch einmal betonen. Laut derletzten statistischen Veröffentlichung des DSW beträgtdie Monatsmiete in Wohnanlagen der Studentenwerkederzeit im Durchschnitt 223 Euro. Wir werden die Wohn-pauschale für auswärts wohnende Studierende – auchwenn das nicht allen gerecht wird – auf 250 Euro anhe-ben. Allein für diesen Posten werden wir im Bundes-haushalt jedes Jahr 160 Millionen Euro mobilisieren.
Das ist ein substanzieller Beitrag zur Verbesserung derLage.Ich komme zum Schluss. Lassen Sie uns an dieserStelle nicht nur Überschriften produzieren, sondern las-sen Sie uns auch schauen, wie wir substanzielle Verbes-serungen herbeiführen können.Herzlichen Dank.
Als nächster Redner spricht der Kollege Dr. Volker
Ullrich.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Erfolgreiches Lernen braucht gutes Leben.100 000 Studenten schicken sich in diesen Tagen an, ihrStudium aufzunehmen. Sie arbeiten für ihren eigenenLebenserfolg und mehren damit auch den Wohlstandund die Innovationskraft unserer gesamten Gesellschaft.Viele machen sich auf, um nicht nur eine neue Lebens-wirklichkeit und Lebensumgebung kennenzulernen, son-dern auch, um sich auf ihr Studium zu konzentrieren. Ineinigen wenigen Städten ist dies im Augenblick nicht indem Umfang möglich, wie wir es uns alle wünschenwürden. Es gibt vereinzelt Quadratmeterpreise im zwei-stelligen Bereich, Wohnheimzimmer mit einem Preisvon 400 bis 500 Euro und Wartelisten für Studenten-wohnheime. Die damit verbundenen Sorgen teilen wir.Diese Sorgen haben dazu geführt, dass diese Koalition
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014 5695
Dr. Volker Ullrich
(B)
gehandelt hat und auch weiterhin erfolgreich handelnwird.
Lassen Sie uns zunächst vielleicht auf die Ursachender Probleme zu sprechen kommen. Eine Ursache istdoch der Erfolg unserer eigenen Bildungspolitik. DieAnzahl der Studenten in Deutschland hat sich in denletzten 20 Jahren beinahe verdoppelt. In den letzten10 Jahren ist die Anzahl der Studenten in einem sechs-stelligen Bereich gestiegen. Wir bekommen glücklicher-weise immer mehr Anfragen von Studenten aus allerWelt, die diesen Standort auch dank unserer Politik at-traktiv finden und in Deutschland ein Studium aufneh-men wollen.Dieser Erfolg der eigenen Politik hat in einigen Städ-ten zweifelsohne zu einer Verknappung des Wohnraumsgeführt. Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Dieentscheidende Frage ist aber: Wie gehen wir mit dieserGemengelage um? Da drängen sich einige Antwortenauf. Ich kann Ihnen ehrlich sagen: Wenn wir hier in die-sem Hohen Hause auch nur eine Maßnahme beschließenwürden, die die Linken gefordert haben, dann würdenwir das Problem nicht lösen, sondern sogar noch verstär-ken.
Dies ist nicht die erste Debatte, bei der ganz reellenProblemen durch Scheinlösungen entgegenzutreten ver-sucht wird. Das, glaube ich, tut den Studenten in diesemLand nicht gut.
Wir müssen uns zunächst einmal auf die wirklichenLösungsansätze konzentrieren. Ein solcher Ansatz istzunächst einmal die angesprochene Mietpreisbremse.Die Mietpreisbremse schafft keinen zusätzlichen Wohn-raum. Sie wird dafür sorgen, dass der Mietpreisanstieg inmanchen Gebieten begrenzt wird.
Das ist eine flankierende Maßnahme; aber sie ist sicher-lich keine Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass Studentenjetzt und in den nächsten Jahren mehr Wohnraum zurVerfügung haben. Ganz im Gegenteil: Eine flächende-ckende, einheitliche Mietpreisbremse für ganz Deutsch-land ist ein Programm zur Verhinderung von Investitio-nen.
Ein weiterer Punkt ist die Frage: Wie gehen die Län-der mit den Mitteln um, die durch die von diesem Hausbeschlossene BAföG-Reform frei werden? 1,17 Milliar-den Euro ist die Höhe des Entlastungsbetrages für dieLänder in den nächsten Jahren. Wir werden sehr genauhinsehen, ob die Länder, in denen auch die Linke und dieGrünen in Verantwortung sind, jeden Cent für die Bil-dung und möglicherweise auch für die Schaffung vonstudentischem Wohnen ausgeben oder nicht. Die Si-gnale, wenn ich einmal so formulieren darf, sind nichtpositiv.
Die Formulierung muss sein: Die Länder sind in derPflicht,
diese Mittel für Studenten auszugeben; sie dürfen sienicht für andere Aufgaben verwenden.
Dann kommen wir zur Erhöhung des BAföG. Ichmeine, in einer Zeit, in der der Schwerpunkt auf haus-haltstechnischer Konsolidierung liegt und wir uns unse-rer finanzpolitischen Verantwortung bewusst sind, ist diedeutliche Erhöhung des BAföG 2016/17 ein großartigerSchritt und ein tolles Signal; das sollte man nicht klein-reden.
Zum Thema Wohnraum. Der beste Wohnraum ist der-jenige, der neu gebaut wird.
Deswegen sind unsere Anstrengungen darauf gerichtet,neuen Wohnraum zu schaffen. Wir werden die entspre-chenden Instrumente auch liefern.Meine Damen und Herren, wir müssen uns darüberunterhalten, unter welchen steuerlichen Bedingungenwir zukünftig Wohnraum schaffen werden. Ein Instru-ment wäre mit am wirksamsten – das haben Sie gar nichtangesprochen, aber darüber werden wir nachdenken –,und das ist die Wiedereinführung der degressiven AfA.Derjenige, der investiert, soll die Möglichkeit haben,schnell von der Steuer dafür belohnt zu werden, dass erprivates Kapital lockermacht, um auf dem Wohnungs-markt Akzente zu setzen.
Abschließend sei daran erinnert, dass wir bei all derFreude über die Entwicklung in Hochschulstädten auchdarüber nachdenken müssen, ob wir insgesamt immerdie rechte Balance finden. Wir müssen betonen, dass dieberufliche Bildung, die Ausbildung zum Meister in ei-nem Handwerksberuf, gerade auch im ländlichen Raum,gleichwertig ist und dass es nicht immer ein Allheilmit-tel ist, ein Studium anzustreben, sondern ganz im Gegen-teil. Wir haben die Gleichwertigkeit von akademischerund beruflicher Bildung zu einem unserer zentralenHandlungsfelder gemacht. Wenn wir diese Gleichwertig-keit bedenken, wenn wir Politik machen, dann könnenwir vielleicht auch die Überhitzungsreaktionen in eini-
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5696 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014
Dr. Volker Ullrich
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gen Großstädten zurückfahren. Das, glaube ich, ist einganz wichtiger Aspekt.
Meine Damen und Herren, eines steht für uns fest:Die Länder und die Kommunen sind in der Pflicht, durchBauleitplanungen, durch Aktionsprogramme, durch fi-nanzielle Unterstützung mehr Wohnraum für Studentenzu schaffen oder Anreize dafür zu setzen, dass Privatedas machen. Unserer Auffassung nach muss das auch imHerzen der Städte geschehen. Das Miteinander der Ge-nerationen, der Menschen in den Städten, die Begeg-nung, die Inspiration, Kunst und Kultur, das ist für unseine Leitschnur für städtebauliches Handeln.Meine Damen und Herren, verlassen Sie sich auf dieGroße Koalition!
Wir werden dafür sorgen, dass es mehr Wohnraum gibtund dass die Sorgen der Studenten in diesem Land beho-ben werden. In diesem Sinne alles Gute zum Studienan-fang!Herzlichen Dank.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Ulli Nissen das
Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir diskutieren heute über den Antrag derLinken „Wohnungsnot, Mietsteigerungen und Mietwu-cher in Hochschulstädten bekämpfen“. Es ist wie so oftbei Ihren Anträgen, liebe Kolleginnen und Kollegen:Der Titel klingt klasse – so wie „Reichtum für alle“.Aber es gibt ja nicht nur den Titel, sondern auch denText.Ihr Antrag ist ein einziger Wunschzettel – wir habenbald Weihnachten –, egal wie es in unserem politischenSystem geregelt ist. Sie wissen doch: Seit der Föderalis-musreform 2006 ist die soziale Wohnraumförderung– dazu gehört das studentische Wohnen – Ländersache.Deshalb ist es gut, dass die Länder 518 Millionen Eurojährlich als Kompensationszahlung erhalten, um Wohn-raum zu fördern.Ich komme aus der Banken- und HochschulstadtFrankfurt und weiß, wie schwer es in Ballungsräumenist, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Für Studierendeist es dort besonders schwierig: Die Mieten sind hoch,und Studierende haben in der Regel wenig Geld. EinWG-Zimmer in Frankfurt kostet durchschnittlich418 Euro. Nur München ist mit 521 Euro teurer. Zu Se-mesterbeginn zeigt sich dieses Problem immer wiederdeutlich.In Frankfurt gibt es derzeit 65 000 Studierende. Dassind fast 10 Prozent der Bevölkerung. Bei uns suchenviele Studenten einen Wohnheimplatz. Rund 2 000 Stu-dentinnen und Studenten stehen auf der Warteliste für ei-nen Wohnheimplatz. So ist es nicht nur in Frankfurt,sondern auch in Hessen und im gesamten Bundesgebiet.Die rot-schwarze Regierungskoalition kennt das Pro-blem. Deshalb handeln wir auch. Wir kümmern uns aberum alle Mieterinnen und Mieter – um die Studierenden,aber auch um die Rentnerinnen und Rentner sowie umdie Gering- und Normalverdiener. Alle sollen die Mög-lichkeit haben, bezahlbaren Wohnraum zu finden.
Wir machen als Große Koalition unsere Hausaufga-ben dort, wo wir können und wo wir es laut Grundgesetzauch dürfen. Wir haben eine Mietpreisbremse auf denWeg gebracht. Selbst Herr Luczak hat da zum Schlussmitgemacht. Sie schafft zwar keine neuen Wohnungen,trägt aber dazu bei, dass die Mieten nicht mehr so starksteigen.Ich bin unserer Bundesministerin Barbara Hendricksdafür dankbar, dass sie auf Bundesebene ein Bündnis fürbezahlbares Wohnen und Bauen initiiert hat. Auch dortwerden diese Probleme angegangen, damit Bund, Län-der und Kommunen gemeinsam etwas Gutes erarbeitenkönnen. Das geht, Herr Kühn, nicht von einem Tag aufden anderen. Wir wollen es nämlich gut machen.
Wir wollen nicht nur mehr, sondern mehr bezahlbarenWohnraum. Was tun wir? Wir erhöhen das Wohngeld,und ich persönlich setze mich intensiv auch für die Wie-dereinführung der Energiekostenkomponente ein. Au-ßerdem haben wir die Mittel für die Städtebauförderungdeutlich erhöht. Das bringt auch den Ländern und Kom-munen Entlastung.Natürlich lassen wir die Bundesanstalt für Immo-bilienaufgaben nicht aus der Pflicht. Zum einen gibt esdie Möglichkeit, Liegenschaften und Konversionsflä-chen zu verbilligten Konditionen an Kommunen abzuge-ben, wenn es der Wohnraumförderung dient. Das kannnatürlich auch studentisches Wohnen bedeuten. Weiter-hin prüfen wir natürlich auch, wie wir die Aufgaben derBImA mit unseren wohnungs- und sozialpolitischen Zie-len in Einklang bringen können. Ich gehe davon aus,liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,dass wir hier gemeinsam auf einen guten Weg kommen.
All das wird in Gesamtheit dazu führen, dass sich dieWohnungsnot für alle entspannen wird. Die guten Nach-richten bezüglich des BAföG sind schon von Kollegenerwähnt worden. Ab nächstem Jahr – das ist wirklichwichtig – werden die Länder um 1,2 Milliarden Euro proJahr entlastet.
Natürlich wäre es – das ist überhaupt kein Thema –toll, wenn die erhöhten BAföG-Sätze, die ab August2016 kommen, eher eingeführt werden würden.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014 5697
Ulli Nissen
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Die Erhöhung auf 250 Euro beim Wohnzuschlag ist aberauch ganz wichtig.Sie von den Linken haben eine tolle Forderung. Siefordern, dass in Hochschulstädten die Mehrkosten fürMiete übernommen werden sollen. Super! Die Vermieterwerden sich freuen und „Klasse!“ sagen. Sie werden dasnutzen, um die Mieten zu erhöhen. Damit lösen Sie dieProbleme nicht, sondern schaffen neue.Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist wenig hilf-reich, in einem Antrag Dinge vom Bund zu fordern, dienicht in seiner Kompetenz liegen. Sie tun so, als tätendie Länder, Städte und Hochschulen gar nichts.
– Die Linken interessieren sich nicht dafür; aber ichfände es schön, wenn Sie zuhören würden!
Bei der Grundsteinlegung eines neuen Studenten-wohnheimes merkte der Frankfurter OberbürgermeisterPeter Feldmann richtigerweise an, dass Stadt, Land,Hochschulen und Studentenwerke zusammenarbeitenmüssen.
Auf dem Frankfurter Riedberg wird das Gebäude auf ei-nem erbpachtfreien Grundstück mit zinsfreien Kreditender Stadt Frankfurt finanziert. Das ist vielleicht ein Vor-bild für andere Städte. Das Motto des Frankfurter Ober-bürgermeisters lautet immer „Bauen, bauen, bauen!“ –Da kann ich ihm nur voll zustimmen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, dank Ihres Antrageskonnten wir einiges klarstellen. – Natürlich wollen auchwir Wohnungsnot, Mietsteigerungen und Mietwucher inHochschulstädten bekämpfen; aber wir wollen das nichtnur in Hochschulstädten, sondern auch auf anderen an-gespannten Wohnungsmärkten. Wir wollen nicht nur et-was machen, sondern wir tun bereits eine Menge, umWohnen bezahlbar zu machen; aber wir wissen auch,dass gemeinsame Anstrengungen aller nötig sind. Bund,Länder und Kommunen zusammen können es schaffen.Danke für Ihre Aufmerksamkeit. – Von dieser Stelleaus möchte ich einen kurzen Gruß an meinen Sohn Mo-ritz schicken, der heute 27 wird.
Dem schließen wir uns alle an. – Als nächster Redner
hat der Kollege Karsten Möring das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Auch ich schließe mich dem Glückwunsch an.
Ich hoffe, er hat sein Studium schon hinter sich. – Es gibtein Spiel, bei dem man zu bestimmten Worten ganzschnell assoziativ Ergänzungen bringen muss. Wenn ichdieses Spiel mit den Kollegen von der Linken mache unddas Wort „Wohnung“ nenne, dann kommt das Wort„Not“ als nächstes Wort. Wenn ich „Miete“ sage, dannkommt „Hai“, „Steigerung“, „Wucher“. Zwei dieser Va-rianten haben Sie in der Überschrift Ihres Antragesschon gewählt.
– Passen Sie einmal auf: Wenn Sie einem Investor nichtzugestehen, dass er für sein Geld eine Verzinsung erhält,die ein bisschen über dem liegt, was er von der Bank be-kommen würde, dann sind wir an dem Punkt, den Siewollen: Dann darf nur der Staat bauen. Wohin das führt,haben wir in den letzten Jahren in einem Teil Deutsch-lands mehr als genug erlebt.
Ihr Instrumentenkasten besteht aus staatssozialistischenLadenhütern. Damit kommen wir überhaupt nicht weiter.
– Ja, es ist schön. Sozialer Wohnungsbau braucht auchprivate Investoren. Wenn Sie die nicht haben, dann kön-nen Sie sich das an den Hut stecken, dann wird nicht ge-baut – ganz einfach. Gewisse Regeln werden hier immereingehalten. Die gelten unabhängig davon, ob Sie siegutheißen oder nicht, weil es das normale Verhalten allerBeteiligten ist.Als darauf hingewiesen worden ist, dass Sie den vor-liegenden Antrag schon einmal in wenig veränderterForm gestellt haben – er kehrt immer wieder –,
haben Sie dazwischengerufen: Es ist ja nichts passiert! –Ich erinnere mich dunkel, dass die Linke in Berlin zehnJahre mitregiert hat, dass sie viele Jahre den Senator fürStadtentwicklung gestellt hat.
Ich frage einmal: Was ist in dieser Zeit in Berlin für stu-dentisches Wohnen passiert? Extrem wenig, bis nichts.An den Regierungen, an denen Sie sonst beteiligt sind,sehe ich auch nicht, dass in diesem Bereich Klimmzügeoder Meisterleistungen erbracht werden. Dabei ist dasProblem klar. Sie schreiben in Ihrem Antrag immer: fürdie Studenten, für die Studenten. Wir sind nicht der Auf-
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5698 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014
Karsten Möring
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fassung, dass man unsere Bevölkerungsgruppen schönauseinanderdividieren kann.
Wir machen unsere Wohnungspolitik und unsere Woh-nungsbaupolitik für die gesamte Bevölkerung, die es nö-tig hat. Dazu gehören die Studenten. Dazu gehörenGruppen mit geringem Einkommen, und dafür haben wirverschiedene Instrumente.Es ist richtigerweise darauf hingewiesen worden, dassdie Zuständigkeit bei den Ländern liegt. Ich sage einmalganz einfach: Die BAföG-Erhöhung, die wir haben, fülltnicht nur den Geldbeutel der Studenten und versetzt siein die Lage, mehr Geld auszugeben als bisher, sondernder Bund – dadurch, dass er den gesamten Bereich über-nimmt – entlastet auch die Länder und erleichtert damitdie Wohnbauförderung. Die Förderung studentischenWohnraums ist primär und fast ausschließlich Sache derLänder. Das soll auch so bleiben.
518 Millionen Euro ist die jährliche Zuweisung desBundes an die Länder. Frau Kollegin Magwas hat daraufhingewiesen, dass leider nicht alle Länder dieses Geldzweckentsprechend verwenden. Bayern tut es – ichkomme gleich darauf zurück –, auch Nordrhein-Westfa-len tut es. Eben hat ein Kollege die Situation in Nord-rhein-Westfalen lobend erwähnt. Dort will man bis 2018,2020 – ich habe die Zahl nicht mehr genau im Kopf –800 Millionen Euro für den sozialen Wohnungsbau undfür studentisches Wohnen einsetzen. Ich stimme in dasLob sofort ein, wenn das Land es gleichzeitig schafft,seine Schulden und seinen Haushalt besser in den Griffzu bekommen; denn das sind die beiden Seiten einer Me-daille.
Ansonsten – alle Achtung, wenn es so geschieht –stimme ich dem zu, und es ist lobenswert.
Herr Kollege Möring, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Wiese?
Innerhalb der Koalition sowieso sehr gerne, Herr Kol-
lege.
Herr Kollege Möring, vielen Dank, dass Sie die Zwi-
schenfrage zulassen. – Würden Sie mir zustimmen, dass
die mittelfristige Finanzplanung der schwarz-gelben Ko-
alition unter Jürgen Rüttgers für Nordrhein-Westfalen
eine Nettoneuverschuldung für das Jahr 2014 von über
6 Milliarden Euro vorsah? Würden Sie mir zustimmen,
dass in diesem Jahr der Haushalt in NRW nicht gut ist,
aber eine Nettoneuverschuldung von ungefähr 3 Milliar-
den Euro vorsieht? Würden Sie mir zustimmen, dass das
eine enorme Differenz im Gegensatz zum Haushalt, den
Schwarz-Gelb in NRW geplant hatte, ist?
Ja. – Ja. – Nein; aber erst am Ende der Periode, dieSie angesprochen haben, würde ich mir ein abschließen-des Urteil erlauben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn eineDebatte über solch einen Antrag 96 Minuten dauert,dann besteht das Problem,
dass man entweder alles wiederholen muss, was schongesagt worden ist, oder seine Redezeit nicht ausnutzenkann. Nun weiß ich aus meinem früheren Leben, dassWiederholungen eigentlich positiv sind, weil sie zur Fes-tigung des Gesagten beitragen.
Aber meine Vermutung ist, dass das in diesem Fall inBezug auf die Kolleginnen und Kollegen der Linkenauch nichts hilft.
Insofern will ich mir die inhaltlichen Wiederholungensparen.
Ich möchte Sie stattdessen einladen, einen Blick aufKöln zu werfen.Zunächst noch eine kleine Vorbemerkung: Ich habe inAnbetracht der vielen Aussagen, wie teuer das Wohnenist – in München, in Frankfurt, in Hamburg –, festge-stellt, dass wir offensichtlich alle von unterschiedlichenZahlen ausgehen. Die Zahlen für Köln, die ich vom Stu-dentenwerk und anderen interessierten Gruppen habe,belegen eindeutig, dass in Köln am teuersten gewohntwird. Eben habe ich aber gehört, dass München am teu-ersten ist, und dann habe ich gehört, dass Frankfurt amteuersten ist. Ich habe den Eindruck, dass es hier einenWettlauf darum gibt, wo es am schlimmsten ist.
In Wirklichkeit haben wir aber – das ist auch schon an-gedeutet worden – eine sehr differenzierte Situation,
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014 5699
Karsten Möring
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weil wir zwar in einigen Bereichen wirklich ein Problemmit der Unterbringung haben, in vielen Bereichen abernicht.
Einmal abgesehen davon, dass Studenten ihren Stu-dienort nicht in allen Fällen frei wählen können, sind sie– auch darauf möchte ich hinweisen – sehr wohl in derLage, Einfluss darauf zu nehmen, wo sie studieren,
und dass sie damit auch eine Entscheidung darüber tref-fen, wie hoch ihre Lebenshaltungskosten sind.
Das zu entscheiden, liegt in der Freiheit des Einzelnen.Da kann man dann nur sagen: Nutzt diese Freiheit undentscheidet, was ihr euch leisten wollt und was ihr euchnicht leisten wollt.
Ich will gar nicht so weit gehen, zu hinterfragen, wieviel Geld für’s Wohnen, wie viel Geld für’s Auto oderwie viel Geld für den Urlaub ausgegeben wird. Das mussjeder für sich entscheiden: jeder normale Arbeitnehmer,jede Familie und letztlich auch alle Studenten.
– Ja, ist völlig klar. Ich weiß, Studieren kostet Geld. Ichhabe es ja auch selbst einmal erlebt.Kommen wir jetzt auf Köln zu sprechen. Wir brau-chen außer Geld sicher auch kreative Lösungen. Deshalblade ich Sie ein, einmal einen Blick nach Köln zu wer-fen.Erster Punkt. Dort hat das Studentenwerk eine altePolizeistation, deren Eigentümer das städtische Woh-nungsunternehmen ist, angemietet, die Räume umgebaut– nicht die Zellen; die werden versiegelt – und bietetdort studentisches Wohnen an. Das ist ein Weg, wie esgeht.Zweiter Punkt. Die Stadt – einvernehmlich, über alleFraktionen hinweg – betreibt eine Liegenschaftspolitik,bei der sie bestimmte Liegenschaften, die sie ja auchzum Verkehrswert verkaufen muss, als Objekte bzw. Ge-biete für studentisches Wohnen definiert. Da kommendann Investoren zum Zuge, die studentischen Wohnraumbauen und anbieten wollen. Wenn man das exklusiv füreinen solchen Zweck ausweist, dann hat man auch keineKonkurrenz zwischen Bewerbern, die ganz andere Vor-stellungen haben und höhere Preise zahlen würden.
Es liegt in der Hand der Kommunen, mit solchen In-strumenten studentisches Wohnen zu fördern.Ein letzter Punkt – da ist wieder ein bisschen Kritikan Studenten enthalten –: Die kommunalen Wohnungs-unternehmen in Köln haben vor ungefähr zwei Jahrenaus ihrem Bestand 700 bis 800 Wohnungen – kleineWohnungen, für Wohngemeinschaften brauchbare Woh-nungen – für studentisches Wohnen angeboten. Bevordas Projekt wirklich spruchreif war, hat der AStA eineStellungnahme abgegeben und gesagt: Die Wohnungenkommen nicht infrage; die sind nicht geeignet; die sindin einem zu schlechten Zustand – obwohl dort bis dahinandere Mieter wohnten –, und die liegen zu weit verteiltüber die Stadt und zu weit entfernt von der Uni.Liebe Kolleginnen und Kollegen, was ist denn zumut-bar bei der Bezahlbarkeit, aber auch beim Weg? Wennich fünf Minuten von der Uni entfernt wohnen will,wenn ich fünf Minuten von der Altstadtszenerie entferntwohnen will – in Köln heißt das Kwartier Latäng – zahleich natürlich mehr. Jeder normale Arbeitnehmer, dermorgens zur Arbeit fährt und abends zurück, nimmt We-gezeiten in Kauf, die viele Studenten für sich ablehnen.So, meine ich, geht das nicht.
Ein letzter Satz; denn ich habe gemerkt, dass meineRedezeit tatsächlich schon vorüber ist – so schnell kanndas gehen. Herr Gehring, Sie haben auf den RundenTisch des Kollegen Ramsauer hingewiesen und ein biss-chen darüber gespottet.
Kollege Ramsauer hat da etwas über die Zuständigkeitdes Bundes hinaus gemacht: Er hat diejenigen, die damitzu tun haben, an einen Tisch gebracht. – Sie haben nungesagt: Dabei ist aber nichts herausgekommen.
Doch! Dabei ist ein Informationsaustausch zwischen denBeteiligten herausgekommen, und wir setzen ihn imBündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen fort.
Damit wird nicht gebaut, aber damit werden die Interes-sen und die Möglichkeiten abgeglichen, Ideen gesam-melt und geklärt, was man braucht.Wirklich letzter Satz: Wenn wir zu dem Ergebniskommen, dass wir in der Baunutzungsverordnung dieeine oder andere Anpassung vornehmen müssen, um dieUmwidmung von Büroraum, der nicht mehr modern ge-nug ist, zu Wohnmöglichkeiten für Studenten oder Ähn-lichem zu eröffnen, dann ist auch das eine positive Folgesolcher Gespräche.
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5700 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014
Karsten Möring
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Wir werden hier Schritt für Schritt weitergehen unduns nicht durch solche Anträge aufhalten lassen – aller-höchstens 96 Minuten lang.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dennis Rohde für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Uns liegt heute ein Antrag der Linken zur Situation aufdem Wohnungsmarkt speziell in Hochschulstädten vor.Ich gebe ihnen in dem einen Punkt recht: Hochschul-städte haben oftmals ein Wohnraumproblem, und sie ha-ben somit auch ein Problem mit steigenden Mietpreisen.Wir wissen aber auch, dass wir nicht nur über eine iso-lierte Lösung für Studierende nachdenken sollten;
denn natürlich sind auch in Hochschulstädten andere ge-sellschaftliche Gruppen ebenfalls betroffen. Wir müssenauch über Lösungen für Menschen mit niedrigem Ein-kommen, für Sozialleistungsempfänger, für ältere Mit-bürgerinnen und Mitbürger mit kleinen Renten und – dasist leider oftmals auch nötig – für Alleinerziehende nach-denken. All das müssen wir mitbedenken. Wir brauchenLösungen, die allen gerecht werden und die insbeson-dere nicht die eine Gruppe gegen die andere ausspielen.
Wir werden dieses Problem in der Großen Koalitionentschlossen angehen, und zwar im Rahmen des Verfas-sungsrechts; das ist etwas, was Sie in Ihrem Antrag ins-besondere im Hinblick auf die Mietpreisbremse nicht be-achten; ich komme gleich kritisch darauf zu sprechen.Wir werden das Problem angehen, indem wir insbeson-dere die Städtebauförderung aufstocken und das Bestel-lerprinzip bei den Immobilienmaklern einführen, alsodafür Sorge tragen, dass Menschen nicht mehr dadurchvom Abschluss eines Mietvertrages abgehalten werden,dass sie sich die hohe Einmalzahlung nicht leisten kön-nen. Und ja, wir werden eine Mietpreisbremse einfüh-ren, die wirkt.
Wenn man sich anschaut, welche Forderungen sich dainnerhalb der Koalition gegenüberstanden – wir habensie leider nicht nur immer intern diskutiert, sondern siewurden manchmal auch öffentlich kommuniziert –, dannmuss man sagen: Es wird eine Mietpreisbremse mit kla-rer sozialdemokratischer Handschrift. Wir haben unsnicht vom Weg abbringen lassen. Wir haben uns durch-gesetzt, und darauf sind wir auch stolz.
Jetzt zur Mietpreisbremse der Linken. Ich finde IhreForderung einfach nicht seriös, und ich glaube, ein Ge-setz auf Basis Ihrer Vorschläge würde im Endeffekt kei-ner Mieterin und keinem Mieter helfen. Ich bin der fes-ten Überzeugung, dass ein solches Gesetz bei dererstbesten Möglichkeit vom Bundesverfassungsgerichtwieder kassiert werden würde. Denn das, was Sie vor-schlagen, ist ja keine Mietpreisbremse; das ist eine Woh-nungsmarktvollbremsung im dichten Stadtverkehr. Daist der Auffahrunfall leider vorprogrammiert.
Denn was fordern Sie? Sie fordern erstens, eine „Miet-erhöhung allein wegen der Wiedervermietung“ auszu-schließen. Zu Deutsch: Sie fordern die Abschaffung desmarktwirtschaftlichen Prinzips von Angebot und Nach-frage. Sie wollen nicht einmal einen Rahmen für Mietab-schlüsse bieten. Sie wollen Mietabschlüsse diktieren.Das ist eine Reduktion der Vertragsfreiheit fast auf null.Das ist weder richtig noch verfassungskonform. SolcheSachen wird es mit uns Sozialdemokraten nicht geben.
Sie fordern zweitens, dafür zu sorgen, dass Mieterhö-hungen im Bestand nur noch zum Ausgleich der Infla-tion zulässig sind. Ich bitte Sie alle, sich einmal vorzu-stellen, was los wäre, wenn wir morgen eine solcheRegelung einführen würden. Damit würden wir nämlichgenau diejenigen bestrafen, die in den letzten Jahren, imletzten Jahrzehnt auf Mieterhöhungen verzichtet haben.Es gibt ja nicht nur den bösen Vermieter und den gutenMieter. Ich kenne auch viele Vermieter, die sagen: MeinMieter hat ein kleines Einkommen; ich habe deswegenseit Jahren auf Mieterhöhungen verzichtet, damit diePerson in meiner Wohnung bleiben kann. – Wenn wirdiesen Vermietern jetzt sagen: „Wenn der Mieter einmalausgezogen ist, dann darfst du die Miete nicht bzw. nurin Höhe der Inflationsrate erhöhen“, dann wird nur eineMiete erzielt werden können, die dauerhaft unter derortsüblichen Vergleichsmiete bleibt, und der eigentlichSoziale ist am Ende der Bestrafte. Das kann nicht richtigsein.
Dann wird immer wieder gefordert, dass die Miet-preisbremse auch für Neubauten gelten solle. Für dieSPD sage ich: Neubauten ähnlich wie jetzt schon von ei-ner solchen Regelung auszunehmen, ist richtig; denneine Mietpreisbremse schafft keinen zusätzlichen Wohn-raum; sie lindert das Symptom. Aber wir müssen die Ur-sache bekämpfen, und die Ursache bekämpfen wir nur,indem wir Angebot und Nachfrage wieder ins richtigeVerhältnis setzen, indem wir Anreize für Neubau setzenund ihn nicht noch zusätzlich blockieren.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014 5701
Dennis Rohde
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Ich sage Ihnen auch: Eine Gefährdung der Mietpreis-bremse besteht nicht. Es gibt 42 Millionen Bestands-wohnungen, und jedes Jahr kommen circa 250 000 Neu-bauwohnungen – das sind rund 0,6 Prozent – dazu. Werda von einer Gefährdung der Mietpreisbremse spricht,der macht sich selbst etwas vor.Wir tun für den Mietmarkt, was wir tun können. Wirversprechen nicht das Blaue vom Himmel, eben weil wirwissen, dass es keine kurzfristigen Lösungen gibt. FürEntspannung auf dem Mietmarkt zu sorgen, ist ein lang-fristiger Prozess. Die Botschaft der Großen Koalitiondes heutigen Tages ist aber auch: Wir sind bereit, diesenProzess anzugehen.Vielen Dank.
Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Dr. Ernst Dieter Rossmann für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Kollege Rohde hat sich eben trefflich mit dem Antragder Linken auseinandergesetzt. Ich möchte für mich fest-halten: Ich finde es gut – auch wenn es 96 Minutensind –, dass wir uns mit der Wohnungsversorgung inUniversitäts- bzw. Hochschulstädten einerseits und derSituation von Studierenden hier andererseits auseinan-dersetzen.
Man lernt auch dazu, etwa durch die Berichte der Kolle-gin Gohlke über München oder durch die vom KollegenMöring aus Köln eingebrachten Anregungen.Ich selber komme nicht aus einer Universitätsstadt.Ich komme aus dem Kreis Pinneberg, der in der Metro-polregion Hamburg liegt. Selbstverständlich wird inHamburg im Ausbauprogramm für Wohnraum studenti-scher Wohnraum berücksichtigt. Trotzdem war es wichtig,dass auch in einer Randstadt wie Pinneberg ein gemeinnüt-ziger Wohnungsbauträger mit einem freien Finanzier ge-meinsam überlegt hat, ob man dort – auch wenn die Ent-fernung zur Universität 20 Kilometer beträgt – in eingroßes Neubauvorhaben nicht auch studentischen Wohn-raum integrieren kann.Ich werbe ausdrücklich dafür, dass wir Abgeordnetendas zu unserem Anliegen machen und es nicht delegie-ren. Hier sind nicht nur die Metropolen gefragt, sondernes geht um infrastrukturelle Gesamtnetze. So ist zu fra-gen: Müssen Studenten immer im Zentrum wohnen– was sicherlich am schönsten ist; der Kollege hat eseben angesprochen –, oder kann man das Problem nichtauch dadurch lösen, dass man gut angebundene Woh-nungen baut, die zwar in Randlage liegen, aber durch öf-fentlichen Nahverkehr gut zu erreichen sind? UnsereAufgabe ist es, dafür zu werben; und dabei müssen wirauch die besonderen Bedürfnisse von studentischemWohnen ansprechen und um Verständnis werben.Frau Magwas, ich bin nicht ganz Ihrer Meinung. Na-türlich ist es so, dass sich Studierende wünschen, in derNähe einer lebendigen Hochschulkultur, die wir auch er-halten müssen, und am liebsten sogar noch neben demInstitut, zu wohnen statt als Masse in Studentenwohnhei-men. Zugleich freuen wir uns darüber, dass viele Studen-ten aus anderen Ländern zu uns kommen. Für diese istdas Studentenwohnheim eine Art Eintrittskarte, um leichtAnschluss zu finden, um sich angenommen zu fühlen.Deshalb ist es so wichtig, den Bau studentischer Wohn-heime weiter zu fördern.
Es ist ja nicht so – ich möchte an dieser Stelle kon-struktiv auf die Position der Linken eingehen –, dass inden Ländern nichts passieren würde. Wir erinnern uns anfrühere Mitteilungen des Deutschen Studentenwerkes,aus denen noch vor wenigen Jahren hervorging, dasssich nur zwei, drei Länder beim Wohnheimbau engagie-ren. An der Spitze stand Bayern, das mittlerweile vonNRW abgelöst wurde; auch Baden-Württemberg wurdegenannt. Inzwischen engagieren sich aber bis zu neunLänder beim Bau von Studentenwohnheimen. Es wäregut, wenn es irgendwann einmal 16 Länder werden wür-den. Zugleich wissen wir, dass es eine differenzierte Be-darfslage gibt.Ich will gerne über das Argument der Grünen reflek-tieren und fragen, ob es wirklich gut ist, wenn wir beider Wohnpauschale nach Wohngeldklassen differenzie-ren – das ist ein Gedanke, den wir auch schon hatten –,oder kommt so nicht eher das zum Tragen, was KollegeMöring angesprochen hatte, nämlich dass es unter Um-ständen einen Zustrom an Studienorte gibt, wo Wohnennicht so teuer ist. Das ist eine Abwägungsfrage, der wiruns stellen müssen. Wenn andere Sozialleistungen nichtnach Regionen differenziert werden, sollte ein einheitli-cher BAföG-Satz vielleicht auch die Wohnpauschaleeinschließen. Man kann das auch anders sehen. Ichwerbe aber dafür, dass wir Anreize setzen, die Kapazitä-ten, die es insgesamt an den Hochschulen in allen Bun-desländern gibt, auszulasten.Eine letzte Bemerkung: Nachdem wir heute schonAnregungen mitnehmen konnten, so könnten weitereAnregungen auch aus dem Parlament kommen, zumBeispiel in Sachen BlmA, in Bezug auf die Allianz, diedie Bundeswohnungsbauministerin initiieren will, undein Werben, auch die gemeinnützigen Wohnungsbauge-sellschaften in den Dialog einzubeziehen.Im Übrigen, um einen Gedanken der Grünen aufzu-greifen, lassen wir uns ja auch ein kleines Hintertürchenin Bezug auf ein Bundesengagement offen: Gemäß Arti-kel 91 b Grundgesetz – Stichwort Bildung – war bishermit der Begründung, dass das grundsätzlich ein Anlie-gen der Länder ist, die Förderung von sozialen Belangen
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5702 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014
Dr. Ernst Dieter Rossmann
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ausgeschlossen. Wir sollten aber bei einer Änderung desArtikels Ihre Anregung zumindest im Hinterkopf behal-ten, damit wir dann, wenn es konjunkturbedingt Investi-tionsbedarfe gibt, auch das städtische Wohnen berück-sichtigen können. Dies ließe sich im Zuge derGrundgesetzänderung, die wir zum Ende des Jahres vor-nehmen, sehr wohl umsetzen.Was bleibt, ist die Feststellung – ich finde, OliverKaczmarek hat das am besten auf den Punkt gebracht –,dass wir eine Strategie der Vielfalt brauchen. Jeder mussin seinem Zuständigkeitsbereich das Maximale tun, umstudentisches Wohnen zu fördern.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/2870 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federfüh-
rung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit liegen soll. Sind Sie damit einverstan-
den? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung
zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD
zu der vereinbarten Debatte
Deutschlands Beitrag zur Eindämmung der
Ebolaepidemie
Drucksachen 18/2607, 18/2841
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Wenn die erforderlichen Umgruppierungen in den
Fraktionen abgeschlossen sind, kann ich die Aussprache
eröffnen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Staats-
ministerin Dr. Maria Böhmer.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ebola bedroht den Frieden und die Sicherheit. Das hatder Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Mitte Septem-ber festgestellt – zum ersten Mal überhaupt bezüglich ei-ner Krankheit. Die Welt hat die Epidemie zunächst un-terschätzt; ich sage: auch wir. Inzwischen hat sich dasgeändert. Es wird mit aller Kraft und vor allen Dingengemeinsam gehandelt. Das ist notwendig, denn Ebolarafft Tausende Menschen dahin. Ebola ist nicht sichtbar,nicht fassbar und kaum behandelbar, leider auch nochnicht wirklich bekämpfbar.Die Folgen der Katastrophe werden bleiben, auchwenn die eigentliche Verbreitung der Seuche endlicheingedämmt sein wird:Ebola zerstört durch die Angst vor Ansteckung kultu-relle und gesellschaftliche Traditionen, Traditionen derNähe und der Fürsorge.Ebola verstärkt Hunger und Armut. Märkte werdengeschlossen, Bäuerinnen und Bauern können nichtsmehr verkaufen und anbauen.Ebola trifft einige der zerbrechlichsten Volkswirt-schaften ins Mark. Liberia, Sierra Leone und Guinea hat-ten in den letzten Jahren ein beeindruckendes Wachstumgezeigt. Gerade Liberia war dabei, die Folgen des langenBürgerkriegs endlich zu überwinden. Jetzt wird es erneutzurückgeworfen.Leider sind von Ebola, wie so oft in solchen Fällen,die Frauen überproportional häufig betroffen, denn denFrauen obliegt in den Familien traditionell die Pflege.Sie sind daher mit einem besonderen Ansteckungsrisikokonfrontiert. Etwa zwei Drittel der Ebolainfizierten sol-len Frauen sein.Ich habe vor einer Woche die afrikanischen Botschaf-terinnen zu einem Gespräch getroffen. Das sind beein-druckende, starke Frauen. Wir alle, die wir an demGespräch teilnahmen, waren erschüttert, als die Bot-schafterin aus Liberia berichtete: In Liberia ist das Ge-sundheitswesen faktisch zusammengebrochen. Behand-lungsstationen sind vollkommen überfüllt. Überallfehlen Medikamente, Schutzausrüstung, medizinischesGerät und vor allem Ärzte und Pflegekräfte. Die zu we-nigen, die da sind, sind erschöpft und überfordert, man-ches Mal werden sie sogar isoliert und diskriminiert.Was mich auch umtreibt, ist die Situation der Kinder,die ihre Eltern an die Krankheit verloren haben. Sie kön-nen nicht, wie sonst gerade in Afrika üblich, in derGroßfamilie aufgefangen werden. Sie müssen ausSchutz isoliert werden. Ich war tief bewegt, als währenddes Gesprächs mit den Afrikanerinnen die BotschafterinBotswanas ihrer Kollegin aus Liberia konkrete Hilfe an-bot. Sie sagte: Wir haben in Botswana durch HIV/Aidsviel Erfahrung im Umgang mit Familien ohne Eltern.Man könne doch sicher für die Ebolawaisen etwas vonden Aids-Waisen lernen.Oft wird vergessen, dass auch die Patienten leiden,die sich nicht mit Ebola infiziert haben. Denn vieleKrankenhäuser sind nicht mehr in der Lage, schwere,aber eigentlich heilbare Krankheiten zu behandeln. DieZahl der durch Malaria oder Durchfallerkrankungen be-dingten Todesfälle ist deutlich gestiegen.Um die Ebolaepidemie erfolgreich bekämpfen zukönnen, müssen nach Auffassung der Vereinten Natio-nen fünf strategische Ziele erreicht werden:Erstens. Unterbrechung der Ansteckungskette.Zweitens. Die Behandlung der Infizierten. Hier sageich: Auch unterstützende Maßnahmen können die Sterb-lichkeit verringern.
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Staatsministerin Dr. Maria Böhmer
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Drittens. Die Sicherstellung einer Basisgesundheits-versorgung und der Versorgung mit Nahrungsmitteln.Viertens. Die Aufrechterhaltung von staatlicher, ge-sellschaftlicher und wirtschaftlicher Stabilität.Fünftens. Die Verhinderung des Übergreifens derEbolaepidemie auf bislang nicht betroffene Länder.Ich möchte hier in aller Deutlichkeit hinzufügen: Umeine erneute Epidemie für die Zukunft zu verhindern,muss auch die Entwicklung eines Impfstoffs vorange-trieben werden.
Wir alle wissen, mit welchen Problemen das bei einerKrankheit, die vor allem die Ärmsten der Armen betrifft,verbunden sein kann. Aber wir sollten aus dieser Epide-mie gelernt haben, dass wir hier nicht nachlassen dürfen.
Die Ebolaepidemie kann die internationale Gemein-schaft nur gemeinsam bewältigen. Deutschland leistethierbei einen beachtlichen Beitrag. Die Bundesregierungwill insgesamt weitere 85 Millionen Euro überplanmä-ßig bereitstellen, davon 50 Millionen Euro noch im lau-fenden Haushaltsjahr. Der Haushaltsausschuss hat dazuam Mittwoch ein entsprechendes Votum abgegeben. Ichmöchte allen Kolleginnen und Kollegen einen sehr herz-lichen Dank dafür aussprechen.
Zuvor waren bereits 17 Millionen Euro aus dem lau-fenden Haushalt zur Ebolabekämpfung eingesetzt wor-den. Sie wissen, mit 10 Millionen Euro wurde der Kri-senplan der Weltgesundheitsorganisation unterstützt undmit knapp 7 Millionen Euro die Hilfsmaßnahmen vonNichtregierungsorganisationen, darunter Ärzte ohneGrenzen und die Welthungerhilfe. Rechnet man nochden deutschen Anteil an den Hilfsmaßnahmen der Euro-päischen Union hinzu, so beläuft sich der Betrag nur indiesem Jahr auf rund 100 Millionen Euro.Ich sage hier aber auch: Die finanzielle Unterstützungist das eine, die große Hilfsbereitschaft in unserem Landdas andere. Ich denke, wir alle sind über die Resonanzbeeindruckt, die der Aufruf an Freiwillige gefunden hat.Das gilt für das medizinische Fachpersonal, das gilt fürdie vielen, vielen engagierten Bürgerinnen und Bürger inunserem Land, und das gilt ganz besonders auch für un-sere Soldatinnen und Soldaten.
Die gezielte Ausbildung der Freiwilligen hat bereitsbegonnen. Dabei unterstützen uns renommierte For-schungsinstitute wie das Bernhard-Nocht-Institut unddas Robert-Koch-Institut. Der erste Hilfsflug der Bun-deswehr ging am 3. Oktober von Dakar nach Monrovia.Zentral für unsere Hilfe sind Behandlungsstationen undmobile Krankenhäuser. Dabei sind THW und DRK be-sonders gefragt. Eine Vorausdelegation des DeutschenRoten Kreuzes kommt heute aus Westafrika zurück.Nach dem Applaus eben möchte ich auch noch einmalim Namen der Bundesregierung allen Helferinnen undHelfern sehr herzlich danken, und ich glaube, diesesHaus teilt diesen Dank.
Wichtig für die Freiwilligen ist auch, dass sie sich da-rauf verlassen können, dass sie im Ansteckungsfall eva-kuiert werden. Die Bundesregierung wird ein Flugzeugmit einer Isolierstation, die den höchsten medizinischenStandards genügt, anmieten und ausrüsten. Denn es darfkein Zweifel bestehen: Wir sind bereit und in der Lage,an Ebola erkrankte Helferinnen und Helfer hier inDeutschland zu behandeln. Das gilt auch für diejenigen,die nicht deutscher Herkunft sind und aus dem Auslandkommen.
Der Kampf gegen Ebola wird nur gelingen, wenn erentsprechend koordiniert wird. Sie wissen, dass die Bun-desregierung Botschafter Lindner zum Koordinator fürdie Ebolabekämpfung ernannt hat. Er ist ein afrikaerfah-rener Krisenmanager. Er ist jetzt vor Ort. Ich denke, daswird hilfreich sein für alles, was es weiter einzuleitengilt. Doch wir wissen nicht genau, ob das alles ausrei-chen wird.
Ich möchte deshalb der Koalition einen herzlichen Danksagen für diesen Antrag, in dem weitere wichtigeSchritte aufgezeigt werden, Schritte, die wir mit insAuge fassen müssen. Denn wir wollen gemeinsam, Bun-desregierung und Parlament, auch künftig alles daranset-zen, dass im Rahmen unserer Möglichkeiten alle erfor-derlichen Mittel und Kapazitäten bereitgestellt werden.Wir wollen und wir müssen die Ebolaepidemie stoppenund bekämpfen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Niema Movassat für die
Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ichfinde es gut, dass der Bundestag gestern weitere 85 Mil-lionen Euro zur Bekämpfung der Ebolaepidemie inWestafrika bereitgestellt hat. Aber es geht eben nicht nurum Geld; noch wichtiger ist die Entsendung medizini-schen Fachpersonals.
Daran fehlt es vor Ort massiv: In Liberia kommt auf100 000 Menschen ein Arzt. Erst spät hat die Bundesre-
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Niema Movassat
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gierung nach Freiwilligen gesucht, die helfen wollen. Ichhätte mir gewünscht, Herr Gröhe, dass Ihr Aufruf nichterst vor drei Wochen, sondern deutlich früher gekommenwäre.
Leider ist es auch so, dass die Erfolgsmeldungen et-was voreilig sind. So haben sich zwar beim Roten Kreuz1 600 Menschen beworben; davon wurden aber geradeeinmal 117 als geeignet eingestuft, darunter 43 Ärzte.All diese Menschen genießen meinen größten Respekt.
Zum Vergleich: Das kleine Kuba schickt 165 medizini-sche Hilfskräfte. Der Präsident der Bundesärztekammer,Montgomery, hat geschätzt, dass Deutschland, um denAnforderungen der Weltgesundheitsorganisation ge-recht zu werden, 1 200 Helfer schicken müsste.
Das ist nicht unmöglich; dafür brauchen wir aber zumBeispiel Freistellungsregeln für Krankenhäuser, damitÄrzte, Krankenschwestern und Pfleger, die helfen wol-len, dies auch machen können.
Kollege Movassat, gestatten Sie eine Frage oder Be-
merkung des Kollegen Huber?
Nein, das mache ich nicht.
Er kann ja gerne, mit Ihrer Erlaubnis, nach meiner Redeeine Intervention machen.Im Entwicklungsausschuss sagte der Präsident vonÄrzte ohne Grenzen am 24. September: Es muss bei derohnehin zu späten Reaktion jetzt um Stunden und Tagegehen, nicht um Wochen und Monate. – Jetzt, Wochenspäter, sagte mir ein Arzt, der bis vor kurzem in SierraLeone war, dass vor Ort immer noch kaum zusätzlicheHilfe ankommt. Das ist ein Armutszeugnis für Deutsch-land und die gesamte Welt, und es macht deutlich: DieBundesregierung muss die Hilfsmaßnahmen so schnellwie möglich vor Ort umsetzen.
Vorgestern hatte die Linke zu einem Ebolafachge-spräch hier im Haus verschiedene Experten eingeladen.Was die Botschafterin Liberias da berichtete, war er-schütternd. Sie sagte: Das öffentliche Leben ist zusam-mengebrochen. Ganze Familien gehen zugrunde. Kinderwerden zu Waisen. Die Menschen können ihren engstenVerwandten nicht einmal die Hand halten, wenn sie ster-ben.Düstere Worte kamen auch von Vertretern des UN-Welternährungsprogramms: Wegen der Ebolakrise droht1,3 Millionen Menschen eine Hungersnot. Die Felderliegen brach, die Menschen sind arbeitslos, die Nah-rungspreise steigen. Der Hunger könnte am Ende mehrMenschen töten als die Ebolaepidemie selbst. DerKampf gegen den Hunger läuft zudem unter erschwertenBedingungen: Nahrungsmittelpakete können nicht anSammelstellen ausgegeben werden, weil sonst eineEbolaübertragung droht. Sie müssen von Haus zu Hausgebracht werden.180 Millionen Dollar braucht das Welternährungspro-gramm für Logistik und Nahrungsmittel. Das ist doch imVergleich zu dem, was man für jeden Militäreinsatz aus-gibt, eine Kleinigkeit.
Wir müssen in Westafrika nicht nur den Kampf gegenEbola führen, sondern auch den gegen den Hunger.Deutschland ist die viertgrößte Wirtschaftsnation derWelt. Ich stimme Bundespräsident Gauck in dem Punktausdrücklich zu, dass wir natürlich eine große internatio-nale Verantwortung tragen. Doch diese ist eben nicht mi-litärischer Natur, sondern das ist eine humanitäre Verant-wortung.
Der weltweite Bedarf an humanitärer Hilfe hat sichseit 2006 fast vervierfacht, aber die Gelder dafür sindnicht ansatzweise so stark gestiegen. Der Afghanistan-Krieg hat Deutschland bis 2012 8 Milliarden Euro ge-kostet. Mit einem Bruchteil dieser Summe kann man mithumanitärer Hilfe Hunderttausende Menschenleben ret-ten.
Wir brauchen in Deutschland endlich personelle undlogistische zivile Ressourcen, um internationale Hilfs-einsätze effektiv durchführen zu können. Ich sprechevon einer eigenständigen, gut ausgestatteten zivilen Or-ganisation. Ich nenne sie einmal Willy-Brandt-Korps,also eine Organisation des Friedens und der Hilfe, die ei-gene Flugzeuge, Isolierstationen, Ärzte und Technikerhat. Natürlich kostet das Geld. Aber Armeen und Kriegekosten mehr Geld. Es gibt den Bedarf an internationaleinsetzbaren zivilen Helfern. Man muss nur die Prioritä-ten richtig setzen.
Abschließend möchte ich allen noch eine Sache zurKenntnis geben, die ich wirklich unfassbar finde. DieBild-Zeitung hat gestern unter der Überschrift „Todes-seuche Ebola: Wie viel Angst muss ich in Deutschlandhaben?“ die Frage gestellt – ich zitiere –:Was mache ich, wenn ich glaube, der Mensch ne-ben mir in Bus, Bar oder Kino hat Ebola?Die Antwort:Den Notruf unter 112 wählen! Dann werden Sie ge-fragt, ob die typischen Symptome zu beobachtensind.
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Niema Movassat
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Die Bild-Zeitung schürt hier diffuse Ängste. Zudemist es mehr als fahrlässig, mit so einem Schwachsinn dieNotfallnummern der Feuerwehren zu überlasten. Ich ap-pelliere wirklich an alle Journalisten, keine Panikmachezu betreiben.
Ebola ist eine Erkrankung, die da ausbricht, wo esschwache Gesundheitssysteme gibt. Länder wie Nigeria,die im Vergleich zu Liberia ein gutes Gesundheitssystemhaben, haben die Epidemie in den Griff bekommen. Da-mit ist auch das Risiko in Deutschland fast gleich null.Was wir tun müssen, ist, den betroffenen Ländern beimAufbau funktionierender Gesundheitssysteme zu helfen,damit dies die letzte Ebolaepidemie in der Geschichteist.Danke schön.
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Huber das
Wort.
Frau Präsidentin, vielen Dank. – Herr Movassat, ich
versuche, eine gewisse Logik in Ihre Rede zu bringen,
die sich mir so nicht erschlossen hat. Sie haben gesagt,
Herr Gröhe hätte viel früher Ärzte nach Afrika schicken
müssen. Ich habe jüngst einen Bericht von einem Verant-
wortlichen von der WHO gelesen, in dem dieser sagt:
Schickt uns nicht zuerst Ärzte und große Geldsummen,
sondern schickt uns Anthropologen, um erst einmal den
Impact einer Strategie zur Bekämpfung von Ebola sowie
die Akzeptanz und die Sicht der Bevölkerung auf diese
Strategie zu evaluieren.
Das war kurz nach dem Zeitpunkt – das ist Ihnen si-
cher geläufig –, als es Attacken auf Helfer, auf Ärzte
gab. – Da Sie jetzt so ein fragendes Gesicht machen, in-
formiere ich Sie darüber, dass das in Guinea passiert ist.
Ich komme zu einem anderen Punkt. Sie haben vom
Ausbau der Gesundheitssysteme gesprochen. Da möchte
ich Sie einmal auf die Dimension des afrikanischen Kon-
tinents hinweisen. Es ist so, dass es in den Ländern
Westafrikas – das ist mit Sicherheit die Ursache dafür,
dass man Ebola nicht von Anfang an wirkungsvoll be-
kämpfen konnte; da gebe ich Ihnen recht – keine Ge-
sundheitssysteme gibt.
Meine Frage ist: Wenn diese Gesundheitssysteme von
den Verantwortlichen dieser Staaten vorher nicht aufge-
baut worden sind, wie soll dann bei allem guten Willen
der Bundesregierung auf die Schnelle ein Gesundheits-
system aufgebaut werden?
Vielen Dank.
Sie haben das Wort zur Erwiderung.
Danke, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Kollege
Huber, alle Experten, mit denen wir im Gespräch stan-
den und stehen – das war auch vorgestern beim Fachge-
spräch so –, haben deutlich gemacht, dass es vor Ort an
Ärzten und Pflegern fehlt. Die Organisation Ärzte ohne
Grenzen ist mit ungefähr 3 000 Helfern vor Ort. Diese
sind überlastet: Sie müssen Menschen an den Türen der
Krankenhäuser und Stationen abweisen. Die kranken
Menschen sterben vor den Toren des Krankenhauses.
Es ist offensichtlich, dass vor Ort ein massiver Perso-
nalmangel besteht und dass die anwesenden Helferinnen
und Helfer an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gekom-
men sind. Die Schutzmaßnahmen bei Ebola, die die Hel-
ferinnen und Helfer einhalten müssen, sind nicht gering.
Das heißt, der Bedarf an Personal, um diese Maßnahmen
umzusetzen, ist sehr hoch.
Natürlich haben Sie recht, wenn Sie sagen: Wir brau-
chen vor Ort Aufklärung; das ist keine Frage. Aber man
kann das eine tun, ohne das andere zu lassen. Deshalb
müssen wir einen größeren Beitrag leisten, um freiwil-
lige Helferinnen und Helfer zu gewinnen, die geschult
werden und dann vor Ort helfen können.
Noch eine Bemerkung zum Thema Gesundheitssys-
teme, das Sie angesprochen haben. Es ist klar, dass man
jetzt nicht Gesundheitssysteme aus dem Boden stampfen
kann. Aber natürlich müssen wir darüber diskutieren,
wie wir mittel- und langfristig verhindern können, dass
wieder so eine Epidemie ausbricht. Es ist ganz klar, dass
die Bundesrepublik Deutschland auch einen Beitrag für
den Aufbau von Gesundheitssystemen leisten muss.
Keiner sagt, wir sollen da jetzt alleine solche Gesund-
heitssysteme aufbauen. Aber es geht darum, Unterstüt-
zung für diesen Aufbau zu leisten. Das ist nachhaltig,
und das verhindert in Zukunft auch solche Epidemien.
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Heinz-
Joachim Barchmann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mittlerweilesind weit über 4 000 Menschen durch die anhaltendeEbolaepidemie gestorben. In der Nacht zum Dienstagdieser Woche erlag ein UN-Mitarbeiter in Deutschland,der in Leipzig behandelt wurde, der furchtbaren Krank-
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Heinz-Joachim Barchmann
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heit. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat erschre-ckende Hochrechnungen veröffentlicht: Sie rechnet imDezember mit 5 000 bis 10 000 neuen Infektionsfällenpro Woche in den am stärksten betroffenen Ländern Gui-nea, Liberia und Sierra Leone.Die Ausmaße dieser Krise sind erschreckend. UnsereHilfe in den betroffenen westafrikanischen Ländern, diezu den ärmsten Ländern zählen, ist dringend notwendig.Sie ist meiner Meinung nach überfällig. Angesichts derKrise muss man sagen: Die Gefahr wurde zu lange nichterkannt.Wir sind allen Helferinnen und Helfern zu Dank ver-pflichtet, wie zum Beispiel denen von Ärzte ohne Gren-zen. Sie haben lange vor der WHO auf die Tragödie inWestafrika aufmerksam gemacht.
Die Ärzte sind unermüdlich im Einsatz, um Menschenle-ben zu retten. Allen Helferinnen und Helfern, die bis zurErschöpfung ihr Möglichstes tun, um die infiziertenMenschen zu retten, gebührt unser großer Dank für ihrHandeln und für ihren Mut.
Was sich meiner Meinung nach gerade in dieser Si-tuation in Guinea, Sierra Leone und Liberia schmerzvollzeigt, sind die frappierenden Defizite in den Gesund-heitssystemen dieser Länder. Es sind in der Tat auchEntwicklungsdefizite. Der erste Ausbruch von Ebolaliegt fast 40 Jahre zurück, das war im Jahr 1976. Über400 Menschen sind damals gestorben. Eine Verbesse-rung der Gesundheitssysteme hat es seither kaum gege-ben. Eine tragfähige öffentliche Gesundheitsversorgungin zahlreichen afrikanischen Staaten gibt es nach wie vornicht. In Liberia wird die Lage besonders deutlich: Auf100 000 Menschen kommt ein einziger Arzt. Dass eshier zu einer Überforderung der Gesundheitssystemewährend einer Krise kommen muss, ist uns allen klar.Die Überforderung ist auch schon ohne diese furchtbareEpidemie massiv vorhanden.
Kollege Barchmann, gestatten Sie eine Bemerkung
oder Frage der Kollegin Vogler?
Ja, gern.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Herr
Kollege, dass Sie meine Frage zulassen. – Sie haben ge-
rade selbst die desaströse Situation in den betroffenen
Ländern beschrieben. Können Sie mir vielleicht sagen,
wie Sie menschlich und politisch dazu stehen, dass in
Deutschland Gerichte immer noch Abschiebungen zum
Beispiel nach Guinea anordnen und Behörden gehalten
sind, diese auch zu vollziehen, und dass die Bundesre-
gierung in Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner
Fraktion kürzlich gesagt hat, dass sie das nach wie vor
für in Ordnung hält? Würden Sie sich persönlich dafür
einsetzen wollen, dass solche Abschiebungen nach Gui-
nea, Liberia und Sierra Leone bis auf Weiteres unterbun-
den werden?
Liebe Kollegin Vogler, die Problematik der Abschie-bung ist eine andere Problematik, als wir hier im Augen-blick diskutieren.
Ich denke, das Problem Ebola ist so evident und offen-kundig, dass wir die Problematiken durchaus voneinandertrennen sollten. Insofern ist das für mich im Augenblickin diesem Zusammenhang kein Thema. Allerdings istAbschiebung ein Punkt, den wir ebenfalls behandelnmüssen. Ich nehme das auch gern auf.
Meine Damen und Herren, am Beispiel von Senegalund Nigeria kann man aber auch gut sehen, wie entschei-dend ein vergleichsweise gut funktionierendes Gesund-heitssystem ist. In beide Länder ist jeweils eine infiziertePerson eingereist. Dank schneller Isolierung der betrof-fenen Personen und ihrer direkten Kontakte konnte sichdie Krankheit nicht weiter ausbreiten. In Nigeria kam eszu 20 Fällen der Infektion. Im Senegal blieb es bei einerInfektion. Das ist, glaube ich, hervorragend, und es sollteauch erwähnt werden, dass man durchaus etwas machenkann.Die Bundesregierung hat gute Maßnahmen auf denWeg gebracht, um bei der Eindämmung der Epidemie zuhelfen. Die finanziellen Mittel für die Krisenregionenwurden vom Entwicklungsminister auf 10 MillionenEuro angehoben. Auch das Auswärtige Amt hat die Hil-fen für die betroffenen Länder um weitere 5 MillionenEuro aufgestockt. Die Bundeswehr unterstützt mit einerLuftbrücke den Transport von Hilfsgütern aus Deutsch-land und der Europäischen Union. Sie wird eine Kran-kenstation zur Verfügung stellen und dementsprechendeinrichten. Die von Frau Dr. Böhmer angesprochenen85 Millionen Euro, die diese Woche im Haushaltsaus-schuss bewilligt worden sind, sind, glaube ich, auch einesehr wichtige Hilfe, die zur Linderung beiträgt.Ich begrüße auch sehr, dass die Europäische Union150 Millionen Euro bereitstellt, um die Epidemie zu be-wältigen, und dass Deutschland auch einen Anteil dazubeiträgt.Doch um eine Wiederholung dieser Krise zu verhin-dern, müssen die betroffenen Länder mit Unterstützungder internationalen Gemeinschaft entschlossen die struk-turellen Probleme angehen. Die betroffenen Staatenmüssen wenigstens eine Grundsicherung im Gesund-
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Heinz-Joachim Barchmann
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heitssystem anbieten können. Das gelingt nur durch einsozial gerechtes und nachhaltiges Wirtschaftswachstum.Nur wenn die Grundlagen stimmen, können Katastro-phen wie diese eingedämmt werden. Dabei haben dieWeltgemeinschaft und auch wir eine entwicklungspoliti-sche Verantwortung. Diese Verantwortung muss sichauch in unserem Haushalt widerspiegeln.
Darum erlauben Sie mir einen kurzen Einwurf dazu:Eine aktuelle Emnid-Umfrage besagt, dass 79 Prozentder Deutschen sich dafür aussprechen, dass wir mehrGeld in die Entwicklungszusammenarbeit investierenund unsere Zusage einhalten, einen Anteil von 0,7 Pro-zent des Bruttonationaleinkommens in die Entwicklungs-zusammenarbeit fließen zu lassen. Hier müssen wir,liebe Kolleginnen und Kollegen, mehr tun. Denn davonsind wir noch weit entfernt.
Wir müssen dringend über weitere Finanzierungsmög-lichkeiten nachdenken, auf nationaler und internationa-ler Ebene.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ebolaepidemielöst auch eine Nahrungsmittelkrise aus. Eine Hungerka-tastrophe droht. Schon jetzt ist Liberia von drastischenPreissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln betroffen.Wir müssen davon ausgehen, dass alle betroffenen Län-der Nahrungsmittelhilfe benötigen werden. Denn dieLandwirtschaft leidet enorm unter der Krise. Felder wur-den nicht bestellt; Ernten werden ausbleiben.Die zurzeit völlig überforderten Gesundheitssystemehaben zur Folge, dass anderweitig Erkrankte oft keineBehandlung mehr erhalten. Aus Angst vor Ansteckungtrauen sie sich nicht mehr zum Arzt. Menschen sterbenjetzt noch häufiger an Krankheiten, die ansonsten relativeinfach zu behandeln wären.Wer aufgrund einer Erkrankung nicht arbeitet, ver-dient kein Geld und kann sich und seine Familie nichternähren. Es fehlt an sozialer Sicherung. Kinder könnennicht mehr zur Schule gehen. Wirtschaft und Landwirt-schaft kommen zum Erliegen. Der Handel stagniert. Daswirtschaftliche und soziale Leben liegt brach. Die Men-schen in Sierra Leone, Guinea und Liberia fürchten sichinzwischen vor Berührungen. Sie gehen nicht mehr ausdem Haus und vermeiden Kontakte. Man schüttelt sichaus Angst vor dem unsichtbaren Virus nicht mehr dieHand.Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird nicht aus-reichen, die Ebolaepidemie einzudämmen. Neben dennotwendigen und möglichst schnell umzusetzenden Kri-senmaßnahmen zur Bekämpfung der Krankheit wird dieweitere Entwicklung der betroffenen Staaten entschei-dend sein. Die öffentliche Gesundheitsvorsorge ist dabeiein wichtiger Teil.Zur Stabilisierung der Staaten müssen wir jetzt huma-nitäre Hilfe leisten. Wir müssen in der Krise helfen, unddas tun wir. Langfristig muss allerdings eine nachhaltigeund mit unseren europäischen und internationalen Part-nern koordinierte Entwicklungszusammenarbeit die Ant-wort sein. Dafür sollten wir uns alle einsetzen.Vielen Dank.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol-
lege Uwe Kekeritz das Wort.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Ich habe mir bei Ihrem Beitrag, Herr Huber, überlegt, obdas die Position Ihrer gesamten Fraktion ist oder ob essich mehr um die Meinung eines Freigeistes handelt.Wenn es die Meinung Ihrer Fraktion ist, dann sollten wirdarüber noch einmal intensiver diskutieren.Am 23. März 2014 hat die WHO die ersten Ebolafällein Guinea gemeldet. Kurz darauf bestätigte sie weitereInfektionen in Liberia. Im Mai wurde Ebola in Sierra Le-one registriert. Noch vor der Sommerpause habe ich dieerste Anfrage an die Bundesregierung gestellt und in ei-ner Pressemitteilung die Bundesregierung aufgefordert,schnell und entschieden im Kampf gegen die Ebolaepi-demie zu handeln.Herr Barchmann, Sie sind schon sehr lange infor-miert. Das Problem ist also nicht unterschätzt worden.Selbst auf WHO-Ebene ist das klar gesagt worden. Am8. August hat die WHO den Gesundheitsnotstand ausge-rufen. Spätestens dann hätte die Regierung handeln müs-sen. Dass sie nicht auf meine Anfrage handelt, ist klar.
Aber vier Wochen später hätte sie aufgrund der WHO-Verlautbarung handeln müssen.
Nun diskutieren wir drei Monate später über einenEntschließungsantrag von Union und SPD, der überwie-gend Prüfaufträge für die Bundesregierung vorsieht. DieZeit der Prüfaufträge ist aber meines Erachtens vorbei.
Sie bestätigen mit diesem Antrag, dass die Bundesregie-rung nicht willens oder vielleicht auch nicht fähig ist,entschlossen und schnell zu handeln. In dieser dramati-schen Situation geht es um Soforthilfe und humanitäreHilfe. Schauanträge, die zum großen Teil auf völlig ver-alteten Fakten basieren, helfen niemandem. Wir stim-men doch heute nicht ernsthaft darüber ab, dass die Bun-desregierung die Verfügbarkeit von technischemMaterial und Flugkapazitäten prüfen soll. Wir sind nichtin der heute-show. Solche Anträge können Sie sich spa-ren.
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5708 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014
Uwe Kekeritz
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Es ist eindeutig: Dieser Antrag bringt keinen Mehr-wert. Er bestätigt letztlich nur das Versagen der Bundes-regierung, und das nach einem dramatischen Aufruf vonJohnson Sirleaf an die Kanzlerin und nachdem der UN-Sicherheitsrat die Ebolaepidemie als eine Gefahr fürFrieden und Sicherheit in der Welt eingestuft hat. Einesolche Einstufung erfolgt nicht aus Jux und Tollerei.
Kollege Kekeritz, gestatten Sie eine Frage oder Be-
merkung des Kollegen Huber?
Aber selbstverständlich. Wenn es von Herrn Huber
kommt, immer.
Kollege Kekeritz, die Sache wäre ganz einfach, wenn
wir nicht über eine ansteckende Krankheit reden wür-
den. Ich frage mich, wo die Expertise ist, wenn Sie
sagen: Schickt die Leute los; denn wir sind mit einem
Epidemieszenario konfrontiert.
Das, was ich vorhin zitiert habe, entstammt nicht den
Gehirnwindungen eines Freigeistes – das haben Sie mir
unterstellt –, sondern ist ein Zitat eines Experten der
WHO. Er wollte deutlich machen, dass zuallererst die
Einschätzung der WHO gefragt ist. Das letzte Mal, als
wir mit solchen epidemischen Szenarien zu tun hatten,
war während der Zeit der Pest. Damals war Herr Gröhe
noch nicht im Amt, sehr geehrter Herr Kekeritz. Eine
Expertise fehlt uns also.
Sie behaupten, die Bereitschaft, dieses Szenario
wahrzunehmen, sei nicht vorhanden. Dem ist nicht so.
Ich glaube, ich war der Erste, der gesagt hat: Ich werde
mir die Situation vor Ort gerne anschauen. – Der Grund
war: Ich weiß, wie der Impact auf die Bevölkerung ist,
wenn man vor Ort auftritt, insbesondere in Gebieten auf
dem Land, wo die Menschen zum Teil noch dem Natur-
glauben verhaftet sind. Glauben Sie nicht, dass die Men-
schen vor Ort, wenn Sie dort erscheinen, sofort erken-
nen, dass Sie ihnen helfen wollen!
Vielen Dank.
Herr Huber, herzlichen Dank für Ihre Frage. – Ichweiß, dass Sie – Sie haben darauf schon oft verwiesen –Ärzte ohne Grenzen Ihre Hilfe angeboten und diese Or-ganisation aufgefordert haben, Sie zu begleiten, weil Siedie Welt dort unten erklären können. Ärzte ohne Gren-zen hat meines Erachtens zu Recht Ihr Angebot abge-lehnt; denn die müssen sich mit den Kranken und Betrof-fenen beschäftigen und haben keine Zeit für deutscheBundestagsabgeordnete,
die da unten den Reiseführer spielen wollen.
Sie fragten auch, wo die Expertise steckt. Herr Huber,wir diskutieren die Sache jetzt wirklich lange genug inden Ausschüssen und auch hier in diesem Saal. DieExpertise fing 1976 im Kongo an, als Ebola zum erstenMal aufgetreten ist. Wir haben seitdem an die 50 Aus-brüche gehabt. Die Weltgemeinschaft hat sich mit derThematik auseinandergesetzt. Auch wir hier habenschon klar gemacht, dass die Ausbrüche, zum Beispiel inUganda, in Ruanda und – auch das wurde vorhin gesagt –in Guinea, eingedämmt worden sind, und zwar sehrschnell. Da sind die Gesundheitssysteme einfach weiterund besser entwickelt. Das ist also keine Frage der Pestoder ob Herr Gröhe damals schon Minister war. DiesenZusammenhang sehe ich überhaupt nicht.Also, die Expertise ist da. Es ist die Frage, inwieweitdie Mittel für diese Expertise zur Verfügung gestellt wer-den und inwieweit die internationale Gemeinschaft da-rauf reagiert. Ich kann nochmals feststellen: Die Bundes-regierung reagiert nur, wenn der öffentliche Druck großwird oder wenn sie es aufgrund des internationalenDrucks nicht mehr schafft, nach unten wegzutauchen. –Danke schön.
Jetzt hat die Bundesregierung finanziell aufgestockt.Wir hören wieder, wir könnten stolz sein. Vor diesenVerhandlungen und Haushaltsdebatten war das nochnicht der Fall. Jetzt wird aufgestockt. Das ist mir eigent-lich zu spät.
Wissen Sie eigentlich, wie viele Menschen wir geret-tet hätten, wenn wir damals, nachdem der WHO-Aufruferfolgt ist, Mittel zur Verfügung gestellt hätten? Es gehtnicht nur um die infizierten Menschen, sondern es gehtum das ganze Land. Es ist vorhin von Frau Böhmer rich-tig skizziert worden. Liberia und Sierra Leone sind in-zwischen in ihrer Gesamtheit schwer traumatisiert. Tau-sende weißer Plastiksäcke sind Symbole des Untergangsdes Landes, der Kultur und vor allem auch der Zukunft.So empfinden es die Menschen dort.Ich zitiere eine Mutter, die erläutert, was der Unter-schied zwischen dem grausamen Bürgerkrieg, den beideLänder über ein Jahrzehnt erlebt hatten, und Ebola ist:Wir konnten – so die Mutter – die Soldaten und die Mör-derbanden hören, wenn sie kamen, und konnten in denWald fliehen. Ebola ist plötzlich da. Du hörst Ebolanicht, du riechst Ebola nicht, und du siehst es nicht.Ebola macht uns zu einem Volk der Unberührbaren. Wirumarmen uns nicht mehr, wir küssen unsere Kinder nichtmehr, wir beerdigen unsere Väter und Mütter nicht mehr.Kinder, die ohne Eltern sind, sind plötzlich alleine. Nie-mand nimmt sie mehr auf. Im Krieg war das anders. Wirhaben auch fremde Kinder aufgenommen und versorgt.Heute haben wir Angst vor kleinen Kindern.Wie sich allein gelassene Kinder in einer apokalypti-schen Umwelt fühlen, kann niemand von uns tatsächlichbeschreiben. Die WHO spricht – auch das ist schon ge-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014 5709
Uwe Kekeritz
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sagt worden – von bis zu 10 000 Neuinfektionen proWoche. Bis gestern sind circa 4 500 Menschen gestor-ben. Wenn wir uns in 14 Tagen zur nächsten Sitzungs-woche wiedersehen, werden es weit über 5 000 sein. DieDunkelziffer ist darin noch nicht eingerechnet.Westafrika braucht dringend 3 000 Klinikbetten, Per-sonal und Material. Die Expertise, wie das sinnvoll ein-gesetzt wird, Herr Huber, ist vorhanden. Ich appellierean dieser Stelle an die Kanzlerin – Ebola ist ja seit ges-tern Chefsache –, dass sie für das Jahr 2015 die richtigenWeichen stellt. Es ist eine Blamage, dass wir heute fest-stellen müssen, dass am Mittwoch in der Frühe, um9 Uhr, für das Haushaltsjahr 2015 1 Million Euro imHaushaltsentwurf standen und nicht mehr. Sie habenjetzt nachgebessert, aber das war das, Herr Huber, wasvor zwei Tagen noch geplant war. Das ist eigentlich eineSchande.
Ich muss Ihnen sagen: Damit wird deutlich, dass die-ser Haushalt der verlogenste Haushalt seit der Gründungder Republik ist.Danke schön.
Ich habe jetzt die Möglichkeit gegeben, den Zwi-
schenruf vollständig zu dokumentieren. Nun hat aber die
Kollegin Sabine Weiss für die Unionsfraktion das Wort.
Schönen Dank. – Frau Präsidentin! Werte Kollegin-nen und Kollegen! Meine Damen und Herren! HerrKekeritz, es gibt ja immer die Unermüdlichen, die erstdann zufrieden sind, wenn sie für irgendein Problem, dasauf dieser Welt besteht, endlich den Schuldigen gefun-den haben und ihn anprangern können. Außerdem gibtes die ewigen Helden, die dann sagen: Ich habe das allesschon vorher gewusst.All das bringt uns nicht weiter. Wir sollten doch – dasist mein Appell zu Beginn meiner Rede – jetzt endlicheinmal gemeinsam anfangen, die Sache konstruktiv an-zugehen, wie die Bundesregierung und die Koalition dasbereits vorgemacht haben.
Frau Johnson Sirleaf, die Präsidentin von Liberia, hatdiese Woche im Spiegel-Interview zu einer Prognose, bisJanuar 2015 könne es 1,4 Millionen Ebolainfizierte inWestafrika gegeben, gesagt – hören Sie jetzt bitte auchganz genau hin –:Wir brauchen keine Untergangsszenarien, bei denenwir uns nur noch zum Sterben niederlegen können.Die Menschen brauchen Hoffnung, sie sollen wis-sen, dass wir die Seuche erfolgreich bekämpfen.Das hat sie Anfang dieser Woche gesagt. Dieser Fraukönnen wir alle nur zustimmen.
Wir haben es bereits von den Vorrednern gehört: DieLage ist sehr ernst. Die Zahl der Infizierten und Totensteigt. Diese Woche ist der Ebolatod auch bei uns inDeutschland angekommen.Wie brisant die Lage in Westafrika ist, sieht man zumBeispiel am Streik des Pflegepersonals in Liberia dieseWoche und an den Übergriffen auf lokale und internatio-nale Helfer, die in Guinea acht Helfern das Leben gekos-tet haben. Gerade auf diese Helfer kommt es aber an. Einwichtiges Element der Hilfe muss darin bestehen, dasörtliche Pflegepersonal angemessen zu bezahlen und ins-besondere seinen Schutz in jeder Hinsicht zu gewährleis-ten.Die New York Times berichtete am 1. Oktober 2014unter der Überschrift „Ein Krankenhaus aus der Hölle“über ein praktisch nicht mehr funktionsfähiges Kranken-haus in Sierra Leone. Dort lagen Leichen, auch von Kin-dern, auf dem Fußboden; das Pflegepersonal arbeiteteohne Handschuhe in Straßenkleidung. Es gibt also nochsehr viel zu tun. Darüber sind wir uns wohl alle einig; dagebe ich meinen Vorrednern recht. Dennoch – das mussman auch sagen, besonders mit Blick auf die Medien –:Die Krankheit ist beherrschbar, und die Ausbreitungkann gestoppt werden. Dies haben wir nach früherenAusbrüchen in Uganda und Ruanda sehen können.Das Wichtigste aber ist – auch da stimme ich der Prä-sidentin von Liberia zu –: Wir müssen Panik vermeiden,Panik, die jetzt über die Medien auch nach Europa undin die USA schwappt. In den USA haben sich bereitsReinigungskräfte am Flughafen geweigert, aus Westaf-rika angekommene Flugzeuge zu reinigen.Die internationale Gemeinschaft wird durch wirk-same und quantitativ notwendige Beiträge helfen, dieEpidemie einzudämmen und zu besiegen und den Men-schen in Liberia, Sierra Leone und Guinea Hoffnung aufein Leben nach der Epidemie zu geben. Deutschlandleistet dabei einen hohen Anteil. Frau StaatsministerinBöhmer hat das sehr eindrücklich dargestellt.Ja, es ist richtig und nicht zu leugnen, dass dieDimension von fast allen Gebern und auch den Institu-tionen zu spät erkannt worden ist. Die Hilfe ist dannauch tatsächlich zu langsam angelaufen. Dabei solltenwir aber berücksichtigen, Herr Kekeritz, dass diese Ka-tastrophe aufgrund der Ansteckungsgefahren auch fürdie Hilfskräfte eine besondere Herausforderung darstellt.Die normalen Abläufe von Materialtransporten mit Be-gleithilfspersonal wie bei Erdbeben und Wirbelstürmenkommen hier nicht infrage.
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Sabine Weiss
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Umso größer sind deshalb meine Hochachtung undmein Respekt für die vielen Helfer vor Ort, seien es dieAngestellten von Gesundheitseinrichtungen oder diefreiwilligen Mitarbeiter von Hilfsorganisationen wieÄrzte ohne Grenzen.
In gleicher Weise finde ich es bewundernswert, dasssich mittlerweile mehr als 3 000 Freiwillige der Bundes-wehr und über 1 000 Freiwillige – Freiwillige, HerrMovassat; wir können keine Ärzte abordnen –
beim Deutschen Roten Kreuz für einen möglichen Ein-satz gemeldet haben. Diese Hilfskräfte müssen in beson-derer Weise – das sind wir ihnen schuldig – einen Schutzvor Ansteckung erhalten: durch angemessene Ausbil-dung, durch Vorbereitung auf den Einsatz in einem frem-den Land, in einem schwierigen Umfeld und natürlichdurch die Garantie des Rücktransports, falls sie sichdoch anstecken sollten. Nach Umfragen in den Mediensagt die deutsche Bevölkerung zu 51 Prozent, Ebolainfi-zierte sollen gar nicht erst hierherkommen und behandeltwerden. Angesichts dessen finde ich, wir alle sollten da-gegenhalten, insbesondere die Medien. Ich bin der festenÜberzeugung, dass die deutsche Bevölkerung es durch-aus akzeptiert, wenn wir Menschen aus diesen Ländernund besonders den Helfern hier Hilfe anbieten und siehier behandeln.
In unserem Entschließungsantrag behandeln wir diegesamte Bandbreite der notwendigen Hilfe. Herr Kekeritz,natürlich sind ganz viele Dinge – der Antrag wurde voreinigen Wochen formuliert – noch in der Umsetzung; ei-niges ist bereits getan. Auch die Frau Staatsministerinhat darauf hingewiesen, dass im Antrag einige Anregun-gen stehen, um die wir uns noch zu kümmern haben.Sehr wohl hat der Antrag auch heute noch einen deutli-chen Mehrwert, weil durch ihn eine Menge angestoßenwird. Allein durch die heutige Debatte bewirkt dieserAntrag das, was er bewirken sollte.Es ist bereits gesagt worden: Wir müssen in den Län-dern auch nach der Epidemie Hilfe leisten. Ich selbsthabe vor etwa drei Jahren Liberia besucht. Damals wardie Situation so, dass auch zehn Jahre nach Ende desBürgerkriegs dies das trostloseste Lebensumfeld war,das ich persönlich je gesehen habe. Selbst in den Augender Kinder, die man sonst in verschiedenen Ländernauch in den schlimmsten Lebenslagen lachen hörenkann, habe ich nur Traurigkeit gesehen. Auch wenn es inden letzten Jahren in diesem Land einen Trend zum Po-sitiven gegeben haben mag, wird es sicherlich nochlange dauern, bis sich das Land vom Ebolaschock erneuterholt haben wird. Der Internationale Währungsfondsrechnet allein für 2015 mit einem Wachstumseinbruchvon 12 Prozent. Dies wird auch im menschlichen Be-reich ganz tiefe Spuren hinterlassen.Ja, auch ich bin der Meinung, dass wir uns darüberunterhalten müssen, wie wir entwicklungspolitisch ver-stärkt am Aufbau und an der Unterstützung der Gesund-heitssysteme in den betroffenen Ländern arbeiten kön-nen, damit sie zukünftig selbst besser in der Lage sind,einer solchen Epidemie zu begegnen.
Die Bundeskanzlerin hat gestern hier erklärt, dassEbola ein zentrales Thema des Euro-Gipfels und desASEM-Gipfels sein wird. Sie hat sehr deutlich gemacht– da kann man ihr nur zustimmen –: Wir können diesesProblem nur alle gemeinsam, also international, wirksambekämpfen.Gestern trafen sich die Gesundheitsminister auf EU-Ebene in Brüssel und haben die Maßnahmen abge-stimmt. Das heißt, die internationale Gemeinschaft gehtdieses Problem gemeinsam an. Die abgestimmten undjetzt in Gang kommenden Maßnahmen werden vor Ortzügig sichtbar sein. Dann können wir vielleicht sagen:Wir folgen dem Aufruf der Präsidentin von Liberia, FrauJohnson Sirleaf: Die Menschen brauchen Hoffnung. Siesollen wissen, dass wir die Seuche erfolgreich bekämp-fen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Karl Lauterbach für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Zunächst einmal möchte ich etwas zu der Debatte sagen,die ich hier verfolgt habe. In der Summe ist es so: Wirhaben es hier mit einer Epidemie zu tun, die in dieserForm niemand jemals voraussehen konnte, die uns alleüberrascht hat, die auch die WHO vor Ort und viele Ex-perten vor Ort überrascht hat. Ich selbst habe in BurkinaFaso und in dessen Umgebung Bekannte, die dort seitvielen Jahren als Ärzte und Forscher arbeiten und relativnahe an den dortigen Geschehnissen sind. Niemand hatabsehen können, wie es dann gekommen ist. Das hat unsalle betroffen gemacht und bestürzt.Man muss sagen, dass Ärzte ohne Grenzen die ein-zige Hilfsorganisation gewesen ist, die von Anfang an,und zwar schon über den Juli hinweg, eine andere Ein-schätzung hatte.
Ich sage hier ganz klar: Ärzte ohne Grenzen hatte recht.Wir haben uns getäuscht. Wir alle haben spät reagiert.Das hat aber, Herr Kollege Kekeritz, niemand sehenkönnen. Das hat niemand absichtlich getan.
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Dr. Karl Lauterbach
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Daher hat es mich, offen gesagt, ein bisschen bestürzt,dass Sie gesagt haben, dass die Regierung hier nur auföffentlichen Druck und auf internationale Veröffentli-chungen reagieren würde. Wir sind über die Entwick-lung genauso bestürzt gewesen wie Sie. Jeder von unshandelt, weil er das so für richtig hält, und er handeltnach seinem Gewissen. Über die Maßnahmen kann manstreiten; aber zu unterstellen, dass hier einige ein Gewis-sen haben, aber andere nur auf Druck reagieren, das gehtbei dieser Epidemie nicht.
Kollege Lauterbach, gestatten Sie eine Frage oder Be-
merkung des Kollegen Kekeritz?
Ja, natürlich.
Nur ganz kurz. – Wollen Sie damit sagen, dass die
Wissenschaft nicht weiß, wie sich solche Infektionszy-
klen, ob das Ebola, Grippe oder anderes ist, entwickeln?
Sie wissen doch auch, dass nach dem Auftreten der ers-
ten Infektionen das Personal noch reduziert worden ist,
weil man einfach nicht wahrnehmen wollte, dass da ein
Problem ist, weil man die Mittel nicht hatte. Wissen-
schaftlich besteht doch überhaupt kein Zweifel darüber,
wie diese Ansteckungszyklen verlaufen. Oder vertreten
Sie da eine andere Auffassung?
Zunächst einmal: Ich bin von der Ausbildung her Arztund Epidemiologe
und habe einen entsprechenden Lehrstuhl an der UniKöln. Von daher kenne ich mich aus.
Es ist tatsächlich so, dass jede Epidemie anders ver-läuft.
Die Ebolaepidemie, die diesmal zu beobachten ist, hateinen ganz anderen Verlaufstypus: Die Sterblichkeit istetwas niedriger, und die Phase, in der jemand jemandeninfizieren kann, ist etwas länger. Daher ist der Verlaufein ganz anderer als bei den Epidemien, die wir vorhergehabt haben – bei dem gleichen Erreger übrigens.Es ist tatsächlich tragischerweise so, dass man dasnicht weiß. Das ist so. Man weiß es nicht.
Richtig ist aber, dass vor Ort eine Einschätzung gege-ben werden kann. Da hatte Ärzte ohne Grenzen die rich-tige Einschätzung. Die lokale WHO-Organisation hattedie falsche Einschätzung. Die Verantwortlichen sind er-setzt worden; das ist zu Recht passiert.Wir haben hier nicht erst auf Druck gehandelt, son-dern wir haben uns wie bei den vergangenen Epidemienauf die lokale Berichterstattung der WHO und einigeranderer Organisationen verlassen. Das will ich jetztnicht im Detail ausführen, weil das die Zeit sprengenwürde. Aber es ist tatsächlich so gewesen: Ärzte ohneGrenzen war die einzige Organisation mit der richtigenEinschätzung. Noch am 4. August – Sie haben eben den8. August genannt – hat die lokale WHO-Organisationgesagt, die Seuche verlaufe so wie bei den früheren Epi-demien. Am 8. August hat man das korrigiert. Vorherwar das also eine Fehleinschätzung.Dann haben wir aber unmittelbar reagiert. Ich könntejetzt im Detail beschreiben, was passiert ist. Zum Bei-spiel haben wir zwei lokale Labore vor Ort unterhalten,um den Verlauf der Infektion vor Ort kontrollieren zukönnen. Es gab eine Vorabexpedition. Wir haben sehrfrüh einen Krisenstab eingerichtet. Es gibt eine Reihevon Dingen, die wir gemacht haben. Es kann sein, dassnicht alles gemacht wurde, was hätte gemacht werdensollen – das will ich gar nicht bestreiten –, aber wir soll-ten in dieser Diskussion ehrlich miteinander umgehen.
Es gab eine Fehleinschätzung, aber niemand hat hier ge-gen sein Gewissen gehandelt.
Wir haben jetzt konkret Folgendes vor: Wir bringenzwei Kliniken vor Ort in Betrieb – in Zusammenarbeitvon THW, Bundeswehr und DRK. Freiwillige werdenderzeit in Würzburg ausgebildet, übrigens gemeinsammit Ärzte ohne Grenzen, aber auch mit dem DRK. DieseAusbildung verläuft sehr gut. Nach dem, was wir bisherverfolgen können, wird diese Ausbildung zeitgerechtvorbereitet. Wir bilden eine Luftbrücke. Wir rüsten der-zeit ein Flugzeug um, mit dem Helfer, die sich infizieren,zurückgebracht werden können. Wir haben 50 Klinik-betten an sieben Standorten. Nicht alle dieser 50 Klinik-betten können gleichzeitig betrieben werden. Man gehtdavon aus, dass zum jetzigen Zeitpunkt vielleicht zweiDrittel betrieben werden können; der Rest kann aber inrelativ kurzer Zeit hochgerüstet werden.Man kann zwar sagen: Die Kapazität ist zu gering. –Das ist aber auf jeden Fall die höchste Kapazität, die eineuropäisches Land derzeit vorhält. Das ist auch derGrund, weshalb wir derzeit Patienten aufnehmen, undzwar nicht nur Deutsche, sondern auch Ausländer. Dasmachen wir zu Recht; denn wir haben eine gute Kapazi-tät. Wir bringen sie voll ein.
Wir versuchen, unsere Bemühungen zu koordinieren.Wir arbeiten mit der speziellen Stelle zusammen, die da-für von der UN in New York eingerichtet worden ist.
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Dr. Karl Lauterbach
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Ebenfalls sehr eng arbeiten wir mit einer entsprechendeneuropäischen Stelle, ECHO, zusammen. Diese beidenEinrichtungen arbeiten zusammen. Wir koordinieren un-sere Pläne auch mit den Nichtregierungsorganisationen,insbesondere mit Ärzte ohne Grenzen, die sogar in unserAusbildungsprogramm eingebunden sind.Es ist richtig, dass wir nicht sofort das Geld zur Verfü-gung gestellt haben, was wir hätten zur Verfügung stel-len sollen. Wir stellen aber jetzt mehr zur Verfügung alsjedes andere europäische Land. In der Summe sind esimmerhin fast 150 Millionen Euro. Selbstverständlichsind wir bereit, mehr zur Verfügung zu stellen, wenn dasnotwendig sein sollte.
Ich will zum Abschluss noch etwas zu dem vorliegen-den Entschließungsantrag sagen. Es ist klar, dass er zumTeil veraltet ist.
Das gilt – auch das ist ganz klar – für jeden Antrag.Wenn ein Antrag eingebracht wird, dauert es halt eineZeit, bis er diskutiert wird. Insofern habe ich noch nie ei-nen Antrag gesehen, der nicht ein Stück weit veraltet ge-wesen wäre.Der Antrag hatte das Ziel, diese wichtige Diskussionim Bundestag einmal offen und konstruktiv nach vornegerichtet zu führen.
Deshalb möchte ich darum bitten, dass wir in Zukunft– das ist jetzt keine Abrechnung mit den bisher erfolgtenRedebeiträgen – zu einer konstruktiven, über die Frak-tionsgrenzen hinweggehenden Zusammenarbeit kom-men, damit wir für diejenigen ein Vorbild sind, bei denenich mich abschließend im Namen der gesamten SPD-Fraktion bedanken möchte: Das sind die Menschen, dievor Ort, aus der ganzen Welt kommend, bei der Bekämp-fung dieser Seuche zusammenarbeiten und dafür ihr Le-ben riskieren.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen
der CDU/CSU und der SPD zu der vereinbarten Debatte
„Deutschlands Beitrag zur Eindämmung der Ebola-Epi-
demie“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/2841, den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
auf Drucksache 18/2607 anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung des Berichts des Ausschusses für Bil-
dung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung gemäß § 56 a der Ge-
schäftsordnung
Technikfolgenabschätzung
Fernerkundung: Anwendungspotenziale in
Afrika
Drucksache 18/581
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Tobias Zech für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DieThemen „Technikfolgenabschätzung“ bzw. „Satelliten-fernerkundung in Afrika“ sind sicherlich nicht so emoti-onal besetzt und so aktuell wie das Thema „Ebola“; aberich denke schon, dass wir jetzt über Techniken sprechen,die uns in Zukunft auch bei der Entwicklungszusam-menarbeit helfen können. Die Weltraumtechnik ist le-bensnotwendig geworden. Das gilt nicht nur für das Te-lefonieren bzw. für das morgendliche Abrufen vonNachrichten oder des Wetters; denn längst bringt derBlick von fern – das heißt über Satelliten – ein präzisesBild von einer Vielfalt ökologischer und sozialer He-rausforderungen weltweit.Die Satellitentechnik erlaubt es mittlerweile, Gegen-stände von unter einem Meter Größe aus mehreren Hun-dert Kilometern Entfernung zu beobachten. Die Ferner-kundungstechnologie ist die Zukunftstechnologie. Mitihr können wir unseren Planeten auf das Genaueste er-kunden, vermessen und verstehen. Die Frage, die auchim Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung analysiert wurde, lautet füruns heute: Wie kann diese Technologie genutzt und wei-terentwickelt werden, um einen möglichst großen Bei-trag zu einer nachhaltigen Entwicklung zu leisten? Wel-che Möglichkeiten bietet diese Technologie für Afrika?Nach Abschätzung des Weltklimarates ist Afrika derdurch den Klimawandel am meisten bedrohte Kontinent.Wasser beispielsweise ist zu einer immer kostbareren
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014 5713
Tobias Zech
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Ressource in Teilen Afrikas geworden. Es gibt weltweitbereits mehrere Fernerkundungsinitiativen, um dieseFolgen anzugehen. Die TIGER-Initiative der Europäi-schen Weltraumorganisation, ESA, beispielsweise bün-delt verschiedene Einzelprojekte: von der Suche nachGrundwasser bis zur Hochwasserprävention in fluss-nahen Regionen.1999 wurde von der ESA und der französischenRaumfahrtagentur CNES mit der Charta „Space andMajor Disasters“ ein Verbund internationaler Raum-fahrtagenturen gegründet. Dank der Charta können inKatastrophenfällen innerhalb kürzester Zeit Daten zurVerfügung gestellt werden, die für das schlichte Überle-ben der Menschen in Notsituationen wie im Südsudanentscheidend sein können.Als 2004 aufgrund der Konflikte in Darfur MillionenMenschen auf der Flucht waren, konnten mithilfe vonsatellitengestützten Daten ohne größeren ZeitverlustPlätze zur Brunnenbohrung gefunden werden. Erst imJuli dieses Jahres stellte der Verbund internationalerRaumfahrtagenturen genauestes Kartenmaterial zur Ver-fügung, welches das Ausmaß der starken Überflutungenin der Regenzeit skizziert. Dies war eine entscheidendeGrundlage für die Arbeit der Hilfsorganisationen bei derVersorgung Zehntausender Obdachloser.Auch das DLR unter Führung von Professor Wörnerist seit 2010 Vollmitglied. Seitdem helfen Daten aus dembayerischen Oberpfaffenhofen beim Krisenmanagement.Dieses System der schnellen, unbürokratischen Nothilfeder Charta zeigt besonders deutlich, dass die Erd-beobachtung dringend notwendige Geoinformationenwie kein anderes Instrumentarium liefert.Um diese Technologie weiter auszubauen und zu-künftig stärker für die deutsche Entwicklungszusam-menarbeit zu nutzen, muss aus meiner Sicht erst einmalein großes Missverständnis aus dem Weg geräumt wer-den, nämlich das Missverständnis, dass sich diese Tech-nologie einmal selber tragen wird. Es ist eben nicht so,dass wir hier durch den Verkauf von Daten die Technikund die Innovationen absichern können. Satellitendatensind die notwendige Infrastruktur. Es ist auch nicht so,dass BMW erst Straßen bauen muss, bevor es Autos ver-kaufen kann. Die Wertschöpfungskette in der Fern-beobachtung beginnt erst mit der Auswertung und nichtmit dem Bau von Satelliten. Daher ist es klar, dass wirein staatliches Mandat dafür brauchen, das den freienZugang zu diesen Daten absichert.Das Flaggschiffprogramm der Europäischen Union,die gemeinsame Mission COPERNICUS, setzt auf die-sen Ansatz. Die Daten der europäischen Satellitenflotte,sogenannter Sentinels, sollen frei verfügbar sein. DieKerndienste von COPERNICUS könnten auch fürAfrika eine hilfreiche Fernerkundungsinfrastruktur bie-ten. Geoinformationen der Klimainformationsdienstebeispielsweise können helfen, Strategien und politischeMaßnahmen zur Anpassung an die Folgen des Klima-wandels zu entwickeln.Daneben setzen wir aber auch Standards. In ihrerRaumfahrtstrategie von 2011 formulierte die Bundes-regierung das Ziel, unsere Fähigkeiten im Bereich derX-Band-Radarsysteme auszubauen. Mit Missionen wieTerraSAR-X und TanDEM-X sind wir weltweit führend.Mit den zwei Satelliten soll zukünftig ein genaues, drei-dimensionales Abbild unserer Erde ermöglicht werden.Insbesondere beim Katastrophenmanagement im Rah-men der Charta „Space and Major Disasters“ ist ein sol-ches Lagebild notwendig. Wesentlich verantwortlich fürdie Mission, das heißt für die Analyse der Daten, aberauch für die Planung und Durchführung der Mission, istdas Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Daherwundert es mich schon ein bisschen, dass – dies erkenntman, wenn man sich den TAB-Bericht durchliest – dieseForschungseinrichtung viel zu wenig Beachtung findetund mit den Spezialisten vor Ort nicht in notwendigerWeise diskutiert wurde.Ja, auch ich musste meine erste Euphorie etwas zü-geln. Bei Erdfernbeobachtung sprechen wir von hoch-komplexen Systemen. Nur wenige Länder in Afrika sindderzeit in der Lage, den notwendigen Technologieaufbauzu leisten. Lediglich Südafrika hat mit dem Bau und Be-trieb von Satelliten in Eigenregie begonnen.Langfristig müssen wir an einem nachhaltigen Kapa-zitätenaufbau in Afrika arbeiten. Die afrikanischen Staa-ten sollten imstande sein, Geoinformationsdaten eigen-ständig zu verwerten. Das BMBF fördert bereits mitverschiedenen Projekten die Etablierung einer For-schungsinfrastruktur mit regionalen Kompetenzzentren.Seit 2001 stärkt die EU gemeinsam mit EUMETSAT ineinem Technologietransferprogramm den Aufbau vonGovernance-Strukturen.Aber uns muss klar sein, dass dies ein langsamer undzäher Prozess ist. Darüber hinaus fehlen in vielen Län-dern die notwendigen Nutzergruppen, sprich: die öffent-lichen Institutionen. Kurzfristig sollte daher das DLR imVerbund mit internationalen Raumfahrtagenturen nichtnur die Satelliteninfrastruktur bereitstellen, sondern auchdie Datenverarbeitung garantieren. Dennoch sehe ich beikeinem anderen Kontinent so viele Ansatzpunkte für dieVerwendung von satellitengestützten Geoinformations-systemen. Afrika kann diese Chancentechnologie brau-chen. Afrika ist für uns ein Zukunfts- und Chancenkonti-nent, und wir haben die richtige Technologie dafür.Herzlichen Dank.
Für die Fraktion Die Linke spricht der Kollege Niema
Movassat.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir de-battieren heute über die Anwendungspotenziale derFernerkundung in Afrika. Das klingt etwas sperrig. Wo-rum geht es? Kurz gesagt geht es um den entwicklungspo-litischen Beitrag, den satellitengestützte Systeme aktuellin Afrika leisten, und um die Frage, was diese Systeme
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Niema Movassat
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potenziell leisten könnten. Hierzu liegt uns eine umfang-reiche Studie vor.In unserer heutigen hochtechnologisierten Zeit sindder Zugang zur Fernaufklärung und die Kontrolle übersolche Systeme von großer Bedeutung, auch und geradefür einen durch koloniale und neokoloniale Ausbeutunggebeutelten Kontinent wie Afrika. Dabei spielen meh-rere Faktoren eine Rolle, allen voran die unmittelbar ent-wicklungsrelevanten Aspekte, auf die der Zugang zu ge-sammelten Daten aus Fernaufklärungssystemen Einflusshat. Insbesondere in schwer zugänglichen Gegenden lie-gen die Vorteile auf der Hand: In den Bereichen der Er-nährungssicherheit und -souveränität, der Bekämpfungvon Wüstenbildung, des Erosionsschutzes, des Klima-schutzes sowie der Stadtentwicklung kann eine richtigeingesetzte Fernaufklärung von unschätzbarem Wertsein.Ich möchte ein Beispiel nennen, das dies ein wenigveranschaulicht: Die mobile Telekommunikation istebenfalls satellitengestützt. Sie hat in Afrika weitgehenddas Festnetz überflüssig gemacht bzw. dafür gesorgt,dass es einen Sprung direkt zur mobilen Kommunikationgegeben hat. Der flächendeckende Aufbau der kostenin-tensiven Festnetztechnologie wurde damit unnötig.Plötzlich sind die abgelegensten Gebiete in das Systemder weltweiten Kommunikation eingebunden. Das nutztauch der lokalen Wirtschaft in allen Sektoren.Hinzu kommt, dass die mitunter ausgefeiltesten Inno-vationen in diesem Bereich mittlerweile aus den LändernAfrikas kommen. Am bekanntesten ist hier sicherlichdas Bezahlsystem M-Pesa, das in Kenia entwickeltwurde. Es ermöglicht die bargeldlose Zahlung. DasHandy wird damit zum Bankkonto, das Guthaben daraufzum Zahlungsmittel. Die Sicherheit der Menschen wirderhöht, weil sie eben nicht mehr kilometerweite Reise-wege zur nächsten Bank auf sich nehmen müssen. DieseTechnologie hat sich von Kenia nach Afghanistan, In-dien und Südafrika verbreitet und ermöglicht überallwirtschaftliche Entwicklung. Selbst in Europa wird teil-weise über die Einführung diskutiert.Wir wissen jedoch spätestens seit der Entdeckung derKernspaltung und der Entwicklung der Atombombe: Esgibt keine unschuldige Wissenschaft. Technologie isteben nicht neutral. Alle Technologiebegeisterung mussihre Grenzen finden, wenn es um grundlegende morali-sche, politische und wirtschaftliche Kernfragen geht. Sowirft auch die Fernaufklärung Fragen auf, Fragen, diedie Entwicklungspolitik benennen und diskutieren muss;denn wir reden bei der Fernaufklärung von einer Tech-nologie, deren Anwendungspraxis zeigt, dass das Rechtdes Stärkeren gilt.Das beginnt damit, dass der 1986 international verab-schiedete Prinzipienkatalog für die Fernaufklärung mas-siv staatliche Hoheitsrechte verletzt. Auch ohne vorhe-rige Zustimmung und das Wissen der betroffenenStaaten können Erkundungsaktivitäten ihrer Staatsge-biete aus dem Weltraum vorgenommen werden. Das Ur-heberrecht bezüglich der gewonnenen Daten liegt aus-schließlich beim Satellitenbetreiber. Das gilt zwar füralle gleichermaßen, aber in der Praxis sind davon natür-lich vor allem die Länder des Südens betroffen, die nichtüber Fernaufklärungssysteme verfügen, um selber dieentsprechenden Daten erheben zu können.
Zynisch wird es, wenn umgekehrt die Industrieländerselbst hoheitsrechtliche Ansprüche auf hochauflösendeDaten über ihre Territorien aus Sicherheitsgründen gel-tend machen.Meine Damen und Herren, die vorliegende Studiezeigt, dass die Fernaufklärung unschätzbare Entwick-lungspotenziale bietet. Derzeit zementiert sie jedocheher das ohnehin krasse weltweite Gefälle zwischenNord und Süd. Sie ist natürlich auch militärisch nutzbar.Ohne Fernaufklärung wäre der Einsatz von Drohnennicht möglich, von Drohnen, die Menschen töten wie inSomalia und damit die Sicherheit gefährden; denn ausdem US-Drohnenkrieg in Pakistan wissen wir, dass auchZivilisten zu Opfern werden können.Wir als Linke begrüßen den Großteil der entwick-lungspolitischen Handlungsoptionen, die die Studie auf-zeigt. Zwei möchte ich herausgreifen, die ich für sehrwichtig halte: Erstens müssen die technologischen Ent-wicklungen unter politischer Kontrolle durch öffentlicheForschungs- und Technikeinrichtungen erfolgen unddürfen nicht privatisiert werden, und zweitens fordernwir die Bundesregierung und die EU auf, einen freienZugang zu Fernerkundungsdaten zu gewährleisten. Diesist in den USA schon lange der Fall. Auch China undBrasilien gehen da den richtigen Weg: Sie stellen denAnwendern in Afrika die Daten ihrer Fernerkundungkostenlos zur Verfügung.In diesem Zusammenhang brauchen wir natürlichauch einen Technologietransfer in die Länder Afrikas,also Schulungen, Kompetenzweitergabe und Unterstüt-zung bei der Auswertung dieser Daten.Wenn wir das gewährleisten, dann kann die Fernauf-klärung für die Länder Afrikas, gerade für die abgelege-nen Gebiete, eine echte Entwicklungschance bieten.Danke.
Das Wort hat die Kollegin Gabriela Heinrich für die
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! In vielen Län-dern Afrikas mangelt es an ausreichenden Daten überWasservorkommen, Wald, Landnutzung, Wüstenbildungund vieles mehr. Für die Planung von Entwicklung isteine solide Datengrundlage aber unerlässlich. Nur wennman weiß, wie sich der Waldbestand verändert, wennman weiß, wo Entwaldung stattfindet, kann der Wald an-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014 5715
Gabriela Heinrich
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gemessen geschützt werden. Wenn Länder solche Datennicht haben, fehlt ihnen eine wichtige Grundlage fürEntwicklung.Bei der Fernerkundung zur zivilen Nutzung könnenmithilfe von Satelliten wichtige Geoinformationen ge-wonnen werden. Dabei geht es um ein breites Spektrum,das gerade auch für Afrika interessant ist. Klar ist je-doch: Die wenigsten Länder in Afrika verfügen über diefinanziellen Ressourcen, eigene Satelliten zu finanzierenund auf diese Weise eigene Geoinformationen zu gewin-nen. Wenn wir über Fernerkundung in Afrika und dieRolle der deutschen Entwicklungspolitik reden, muss esdaher auch um das Thema Kooperation gehen.Ohne Einbeziehung der afrikanischen Länder bestehtletztlich immer eine Abhängigkeit vom Wohlwollen derLänder, die sich in diesem Bereich engagieren. Deutsch-land kann hier Vorbild sein und sich auf europäischerEbene und international für echte Kooperation mitAfrika einsetzen. Es kann dafür werben, dass relevanteInformationen aus der Fernerkundung auch den Ländernzur Verfügung gestellt werden, die sich die Technik nichtleisten können. Und ich denke, genau für dieses Vorge-hen ist der vorliegende Bericht eine gute Grundlage.Der vorliegende Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag liefert nichtnur einen umfassenden Überblick über die derzeitigentechnischen Möglichkeiten der Erdfernerkundung, son-dern stellt auch die Möglichkeiten für zukünftige Koope-rationen mit Afrika in diesem Bereich vor. Wenn bereitsverfügbare Fernerkundungsdaten der technologieführen-den Länder verfügbar gemacht würden, wäre dies einemögliche Alternative zum Bau eigener teurer Satelliten.Für politisch instabile Regionen sollte es die einzige Al-ternative sein. Denn bei der Fernerkundung besteht dasRisiko, dass Satellitenbauteile oder Bodenstationen mili-tärisch genutzt werden. In politisch instabile Regionendarf es daher keinen Technologietransfer geben.
Klar ist, dass die Fernerkundung derzeit keinenSchwerpunkt der deutschen Entwicklungszusammenar-beit darstellt und auch in Zukunft keiner sein wird. Esgibt aber durchaus Potenziale, vor allem in der Landpoli-tik, bei der Landnutzung und im Klimamonitoring. Ge-rade im Hinblick auf den Waldsektor geht der Berichtdavon aus, dass die Anwendung von Fernerkundungsda-ten durch die deutsche Entwicklungszusammenarbeitwahrscheinlich weiter an Bedeutung gewinnen wird.Die Veränderung der Umwelt erfolgt einerseits durchden Eingriff des Menschen, zum Beispiel durch die Nut-zung von Holz, durch Viehhaltung und Entwaldung;hinzu kommt der Klimawandel. Jedoch verfügen ausge-rechnet die Länder, die mit am stärksten unter den Ver-änderungen ihrer Umwelt leiden, oft nur über unzurei-chende Datenbestände. Hier können Satellitendaten einewichtige Informationsgrundlage sein, um den Zustandund die Veränderung der Umwelt ausreichend zu erfas-sen.Eine bessere Datengrundlage könnte auch politischeDiskussionen in einem Land voranbringen. Wir sehendas ja auch an Beispielen: Handlungsdruck entstehtmeist durch Information. Der Schutz des Regenwaldesist auch deswegen weltweit ein Thema, weil wir wissen,dass eine Entwaldung stattfindet, und wir wissen, in wel-chem Ausmaß sie stattfindet. Dieses Wissen steigertnicht nur den Handlungsdruck auf die Politik – sowohlin den betroffenen Ländern, als auch international –,sondern sensibilisiert auch die Bevölkerung. Vorausset-zung dafür ist, dass die Daten veröffentlicht werden undeinschlägige Nichtregierungsorganisationen auch Zu-griff auf sie haben.Der Bericht verweist auf verschiedene Projekte imBereich der Fernerkundung, an denen auch deutsche In-stitutionen beteiligt sind, zum Beispiel das Waldmonito-ring in Somaliland oder die Maßnahmen zum Erhalt desgrößten grenzüberschreitenden Waldgebietes Westafri-kas in der Elfenbeinküste. Der in Planung befindlichenationale Fernerkundungssatellit EnMAP soll unter an-derem auch für Monitoringmaßnahmen zur Verhinde-rung von Entwaldung und Waldschädigungen konzipiertwerden. Generell gilt, dass man insbesondere Luftbilderbenötigt, um Waldschutz effektiv zu überwachen undVeränderungen nachzuverfolgen. Darauf basierend kanndann weitergehend analysiert werden, welche Typen vonVegetation im Wald in welchem Ausmaß wachsen.Ein weiteres Beispiel für die Verwendungsmöglich-keit der Fernerkundung – der Kollege Movassat hat esschon gesagt – ist die Urbanisierung in Afrika. Wir ha-ben hier im Bundestag in Kürze eine Anhörung zu die-sem Thema; denn die schnell wachsenden Städte stellendie Entwicklungspolitik einerseits vor große Herausfor-derungen, sie bieten andererseits aber auch viele Chan-cen. Im Bereich der Stadtentwicklung gab es bisher nochnicht viele Projekte der Fernerkundung mit deutscherBeteiligung. Der Bericht sieht aber auch hier durchausPotenziale, zum Beispiel für die Kartierung von Sied-lungsgebieten. Eine erfolgreiche Stadtplanung braucht– neben solchen Dingen wie Rechtssicherheit in Bezugauf Land- und Eigentumsrechte – auch eine gute Daten-grundlage und Geoinformationen, auch deswegen, weilUrbanisierung und Katastrophenschutz zusammengehö-ren.Der Weltrisikobericht 2014 hat darauf hingewiesen,dass schnell wachsende Städte besonders verwundbarsind, zumal gerade Slums oft in solchen Gebieten entste-hen, die gegenüber Naturgefahren besonders exponiertsind, zum Beispiel an Flussufern und Hanglagen.
Für die deutsche Entwicklungspolitik geht es also auchdarum, die Resilienz, also die Widerstandsfähigkeit derschnell wachsenden Städte zu stärken. Damit können wirdazu beitragen, dass nicht jede Naturkatastrophe so vieleMenschenleben kostet.Der Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschät-zung liefert Beispiele dafür, wie die Fernerkundung imKatastrophenschutz einsetzbar ist. So wurde 1999 unteranderem auf Initiative der Europäischen Weltraumorga-nisation ESA die Internationale Charta für Weltraum und
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5716 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014
Gabriela Heinrich
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Naturkatastrophen entwickelt. Im Falle einer Katastro-phe können in diesem Rahmen Fernerkundungsdaten er-hoben, ausgewertet und zur Verfügung gestellt werden,um Hilfsmaßnahmen zu unterstützen. Das DeutscheZentrum für Luft- und Raumfahrt ist ein Mitglied derCharta. In der Vergangenheit konnten zum Beispiel nacheinem Zyklon oder einer Flut in Madagaskar entspre-chende Daten an Katastrophenschutzorganisationen vorOrt weitergegeben werden.Das Beispiel der Charta zeigt jedoch auch ein Pro-blem auf: Bisher sind lediglich Algerien und Nigeria alsKooperationspartner der Internationalen Charta fürWeltraum und Naturkatastrophen beteiligt. Es ist geradeaus entwicklungspolitischer Sicht wichtig und sinnvoll,weitere Länder in Afrika einzubeziehen, und zwar ganzim Sinne der afrikapolitischen Leitlinien der Bundesre-gierung: als Partner. Der Bericht regt auch hier Leucht-turmpartnerschaften mit ausgewählten afrikanischenLändern an.Der Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschät-zung weist auch darauf hin, dass die Grundlage für einedeutsche ressortübergreifende Strategie eine vorherigeInventur der bestehenden Aktivitäten in der Anwendungder Fernerkundung in Afrika ist. Ich zitiere:Mit einer solchen Inventur könnte ein Geoinforma-tionssystem aufgebaut werden, das Daten zu Afri-kaaktivitäten bündelt und dadurch die Planung zu-künftiger Projekte wie auch die Transparenz derEntwicklungszusammenarbeit verbessern kann.Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bericht weistauch darauf hin, dass es bei der Fernerkundung nicht inerster Linie darum geht, in Großprojekte der Weltraum-technologie zu investieren. Es geht vor allem um die not-wendige Stärkung der Auswerte- und Anwendungstech-niken, zum Beispiel zugunsten des Umweltmonitorings.Deswegen ist es wichtig, dass dieser Bericht auch in derRaumfahrtpolitik der Bundesregierung Berücksichti-gung findet, und nicht nur hier. So mahnt der Berichtauch eine bessere Koordination der deutschen Techno-logie-, Wirtschafts-, Wissenschafts- und Entwicklungs-politik an. Das kann ich nur unterstützen. Bei einerWeiterentwicklung der Raumfahrtstrategie müssen ent-wicklungspolitische Fragen stärker berücksichtigt wer-den.
Der uns vorliegende Bericht ist das beste Argument da-für.Vielen Dank.
Der Kollege Uwe Kekeritz hat für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Fernerkundung ist keine neue Technik. Es gibt sie schonseit relativ langer Zeit. Wir können heute feststellen,dass sie immer besser und immer effizienter wird, und esgibt in letzter Zeit auch immer mehr Einsatzgebiete.Herr Movassat und Frau Heinrich haben die Bereichegenannt: Klimaforschung, Erfassung von Bewegungsda-ten, Dokumentation der Wüstenausbreitungen; auch inBezug auf Tsunamis können die Daten eine große Hilfe-stellung sein.Erkenntnisse sind mit der Fernerkundung einfach zugewinnen, wenn das System einmal etabliert ist. DiesesSystem ist, denke ich, als sehr effizient zu bezeichnen.Wir wissen allerdings, dass jede Technologie die Gefahrbirgt, missbraucht zu werden. Es ist nicht unsere Auf-gabe, Regeln und Methoden zu finden, wie man diesenMissbrauch eingrenzen kann. Da müssen die Expertenran. Sie müssen Maßnahmen und Regeln entwickeln, dieeinen Missbrauch verhindern.
Diese Gefahr sollten wir auf keinen Fall auf die leichteSchulter nehmen. Es wären zum Beispiel folgende Fra-gen zu klären: Wer hat Zugriff auf die Daten? Wie wer-den die Daten politisch oder wirtschaftlich in Handlungs-felder umgesetzt? Natürlich ist auch zu fragen, welcheKosten den Ländern entstehen.Wenn wir jetzt sagen: „Für Afrika ist das eine guteSache; wir wollen mit sämtlichen Ländern Partnerschaf-ten eingehen“, dann müssen wir auch sagen: Wenn dieLänder sich das leisten können, wenn sich diese Grenz-kosten auszahlen, dann haben wir nichts dagegen. – Aberich sehe das bei den meisten afrikanischen Ländernnicht.Wir sollten uns in den Beratungen in den Ausschüs-sen einem Punkt zuwenden, der im Bericht festgehaltenist: In der Bundesregierung sind die Zuständigkeiten fürdie Fernerkundung auf viele Ressorts verteilt. Eine sys-tematische Zusammenstellung fehlt ganz offensichtlich.Damit ist die Frage nach der Kohärenz gestellt. Wir ver-schenken hier offensichtlich Potenzial. Vermutlich erhö-hen wir auch das Missbrauchsrisiko. Es wäre besser, dieAktivitäten Deutschlands in der Bundesregierung zubündeln und mit denen der EU-Partner zusammenzufüh-ren. Das wäre ein Gewinn für uns und unsere afrikani-schen Partner.Es ist schon sehr viel Richtiges gesagt worden. Ichmöchte vor einem Argument warnen: Man sagt, dassdieses Fernerkundungssystem uns die Möglichkeit bie-tet, Hungerkatastrophen zu verhindern. In diesem Zu-sammenhang weist man in den Medien oft auf die Situa-tion in Somalia im Jahr 2011 hin und sagt ganz lapidar:Hätte man dieses Fernerkundungssystem damals effektiveingesetzt, dann hätte man gewusst, dass die Erntennicht eingebracht werden können, weil es zu trocken ist;dann hätte die Weltgemeinschaft rechtzeitig reagierenkönnen, und somit wären die vielen Zehntausend Men-schen nicht verhungert.Werte Kolleginnen und Kollegen, es gibt schon langeHungerfrühwarnsysteme. In Somalia 2011 haben dieseHungerfrühwarnsysteme rechtzeitig Alarm geschlagen.Ich erinnere mich noch sehr genau daran, dass der Kol-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014 5717
Uwe Kekeritz
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lege Thilo Hoppe im Bundestag vor dieser Hungerkatas-trophe gewarnt und die Regierung aufgefordert hat, aktivzu werden. Das ist schlicht unterblieben. Jetzt kann mannatürlich sagen: Der Kekeritz weiß hinterher immer allesbesser. – Nein, es ist tatsächlich so: Das war bekannt,und wenn die Weltgemeinschaft damals rechtzeitig re-agiert hätte, dann hätte man diese Hungerkatastrophe zu-mindest nicht in diesem Ausmaß erlebt.Deswegen glaube ich, dass man auf dem Teppichbleiben und der Fernerkundung keine zu große Bedeu-tung beimessen sollte. Wir wissen auch ohne diese Sys-teme, wie die Entwicklung in den Wäldern aussieht, wiesich die Wüsten ausdehnen, wie sich die Urbanisierungvollzieht. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir unsere Mit-tel auf solche Problembereiche konzentrieren. Wie ichschon sagte: Wenn die Länder sich das leisten können,ist dagegen überhaupt nichts einzuwenden. Aber uns al-len muss klar sein, dass man in der Politik Prioritätensetzen muss. Und eine Technisierung der Verhältnissehat bisher nur ganz wenig zur Lösung der Probleme bei-getragen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Charles M. Huber für die
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Rechtwurde gesagt: Wenn wir über Afrika reden, sprechen wirnicht in erster Linie über Hochtechnologie, sondern wirsprechen über Krisenszenarien jeglicher Provenienz, imMoment gerade auch über Ebola. Nichtsdestotrotz ist esdem einen oder anderen bewusst, dass es in Afrikadurchaus und besonders unter der Jugend eine Affinitätzur Technik gibt. Das spiegelt sich unter anderem in derHäufigkeit der Nutzung von Internet und Mobiltelefonenwider. In einigen afrikanischen Ländern liegt die Zahlabgeschlossener Handyverträge pro 100 Einwohnerdeutlich über dem deutschen Wert.Wir haben gerade über die M-Pesa-Initiative gespro-chen. Dieses System erlaubt es einem, kleinere oder grö-ßere Geldbeträge per Mobiltelefon zu überweisen. Ichhabe jüngst, als ich in Tansania war, über einen Bekann-ten meine Fähre nach Sansibar auf diese Weise bezahlt.Es gibt die Bill-Gates-Cashew-Initiative – sie ist sehrsinnvoll –, mit deren Hilfe Bauern die Erzeugerpreiseauf dem Weltmarkt per Handy abrufen können.Ich möchte mit Ihnen hier über die Technikfolgenab-schätzung hinsichtlich der Fernerkundung sprechen. Si-cherlich wissen die wenigsten, dass dies bereits in den80er- und 90er-Jahren in den afrikanischen Ländern an-gekommen ist. Hier war nämlich ein erster Trend zurAnwendung dieser Technik im Rahmen der Entwick-lungszusammenarbeit zu verzeichnen.Ich möchte kurz auf die Wirkungsweise dieser Tech-nik eingehen und darauf, was es mit den daraus gewon-nenen Erkenntnissen auf sich hat. Stellen Sie sich vor,Sie haben die Sonne oder einen anderen künstlichenSender als Quelle, von der aus elektromagnetische Strah-lung, EMS genannt, gesendet wird. Diese trifft dann aufein Objekt und wird von diesem, je nach Beschaffenheit,absorbiert, transmittiert oder reflektiert. Daraus erhaltenSie dann Daten, die Sie anschließend unter verschiede-nen Gesichtspunkten auswerten können und die Ihnenschließlich hilfreiche Informationen liefern.Das heißt, die Technologie unterteilt sich in den As-pekt der Infrastruktur und den Zugang zu Satellitendatenetc. einerseits und die weitere Datenaufbereitung, alsoNutzbarmachung der gewonnenen Informationen, ande-rerseits. Gerade Letztere muss vor dem Hintergrund ei-nes nachhaltigen Technologietransfers an afrikanischeLänder erfolgen. In der Vergangenheit ist, wie bereits an-gesprochen wurde, dieser Punkt jedoch eher zu kurz ge-kommen.Fatal wird dies meines Erachtens, wenn man sich diekünftige Entwicklung Afrikas vor Augen führt: DerKontinent steht unter einem enormen demografischenDruck und unter dem Druck enormer klimatischer Ver-änderungen, deren Auswirkungen akuten Handlungsbe-darf implizieren. Ich nenne als Beispiele die Entwick-lung und Planung urbaner Räume, die Erkundung vonWasser- und auch Rohstoffvorkommen und deren Ma-nagement, aber auch Erntevorhersagen in der Landwirt-schaft und das Katastrophenmanagement. Es sei hier an-gemerkt: Die Daten müssen auch genutzt werden.Die mittels Fernerkundung erfassten und aufbereite-ten Daten könnten und müssten schon jetzt genutzt wer-den, damit man sich perspektivisch auf die Herausforde-rungen einstellen kann. Staaten müssen, wie gesagt,darauf reagieren. Herr Kekeritz, Sie haben vorhin Hun-gersnöte angesprochen. Es ist nicht immer so, dass wirhier von Europa aus primär auf die Hungersnöte reagie-ren müssen, sondern die Staaten müssen auch selbst re-agieren. Ich nenne Ihnen als Beispiel die Hungersnot inÄthiopien unter Kaiser Haile Selassie. Da hat die Regie-rung eine aufkommende Hungersnot in der Öffentlich-keit negiert.Es geht also letztendlich darum, die Chancen der Fern-erkundung konsequent zu nutzen. Am meisten beein-druckt an dieser Technik hat mich – ich versuche, diepositiven Möglichkeiten herauszustellen, und nicht, wiemanch anderer Kollege, die negativen –, dass man heutedurch die Erfassung des Klimas, des Zusammenwirkensverschiedener klimatischer Parameter die Bedingungenfeststellen kann, unter denen sich Malariamücken ambesten vermehren. Wenn Sie sich vor Augen halten, wieviele Menschen pro Jahr an Malaria sterben – etwa1 Million –, erkennen Sie, wie wichtig das Verständnisdieser Zusammenhänge ist. Allein daher ist diese Initia-tive des Bundesministeriums für Bildung und For-schung, die hier auch auf Anregung des BMZ auf denWeg gebracht wurde, mehr als unterstützenswert.
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5718 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014
Charles M. Huber
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Aus meiner Sicht stellt die Fernerkundung einen derbesten strategischen Ansätze der deutschen Entwick-lungspolitik überhaupt dar. Sozialer Frieden, wirtschaft-liche Entwicklung und die Stabilisierung von Strukturenerfordern eine dezidierte und detaillierte Bestandsauf-nahme relevanter Informationen, die mit diesen Themenin Verbindung stehen; denn man halte sich vor Augen:Künftig werden Kriege nicht nur um Öl und sonstigeBodenschätze geführt werden, sondern vermehrt auchum Ressourcen wie Wasser und nutzbare Lebensräume.„Capacity Building vor Ort“ ist daher das zentrale Stich-wort. Es braucht die Ausbildung von Fachkräften aus dereinheimischen Bevölkerung, die über die Spezifika – daskönnte sich auch noch einmal auf das Thema Ebola be-ziehen – der jeweiligen Region Bescheid wissen, damiteine sinnvolle Anpassung der Technologie an die Gege-benheiten vor Ort gewährleistet ist.Meine Damen und Herren, ich bin schon am Endemeiner Rede. Ich freue mich, dass EUMETSAT und dasESOC der ESA ihren Sitz in meinem Wahlkreis, Darm-stadt, haben. Ich wünsche Ihnen noch einen schönenTag.Vielen Dank.
Der Kollege Dr. Philipp Lengsfeld spricht nun eben-
falls für die CDU/CSU-Fraktion; er ist der letzte Redner
in dieser Debatte.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Als Berichterstatter derUnionsfraktion für das Büro für Technikfolgen-Abschät-zung beim Deutschen Bundestag möchte ich zum Ab-schluss der Debatte einige grundsätzliche Anmerkungenzur Arbeit des TAB machen, über den vorliegenden Be-richt hinaus.Die Kernaufgabe des TAB ist die wissenschaftlichePolitikberatung für den Deutschen Bundestag. Um einenTAB-Bericht wie den vorliegenden richtig einordnen zukönnen, muss man klar benennen, was solche Beratungleisten kann und was nicht. Ich möchte deshalb kurz dreiPunkte näher beleuchten: die Themenauswahl, die Me-thodik der Berichterstellung und die politische Bewer-tung, die wir für den vorliegenden Bericht gerade durch-geführt haben.Die Themensetzung des TAB erfolgt durch uns, denDeutschen Bundestag, unter Federführung des Aus-schusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-schätzung. Wir haben den Prozess für die Projekte 2015gerade durchexerziert. Alle Arbeitsbereiche und damitletztlich alle 631 Kolleginnen und Kollegen können The-menvorschläge einspeisen. Dabei hat sich das Verfahrenbewährt, zunächst über die Arbeitsgruppen und die Be-richterstatter der Bundestagsfraktionen die Vorschläge zusammeln. Anschließend werden die Themen bewertet,verdichtet und in Diskussion mit dem TAB durch die Be-richterstatter in ein handhabbares Arbeitsprogramm ge-gossen. Dabei folgen wir dem Konsensprinzip; durchdieses Verfahren soll gewährleistet werden, dass dieThemenauswahl nicht durch die jeweilige Mehrheit desHauses majorisiert wird. – Das gelingt nach meinemEindruck sehr gut. In diesem Zusammenhang auch einausdrücklicher Dank an die Ausschussvorsitzende unddie Berichterstatter aus den anderen drei Fraktionen fürdie bis dato sehr konstruktive Zusammenarbeit.Kurz zur Methodik der TAB-Berichterstellung: Hierist vor allem herauszustellen – das sollte man immer imHinterkopf haben –, dass das TAB in erster Linie eine in-telligente Bewertung der existierenden Datenlage imLichte der Aufgabenstellung vornimmt. Es ist nicht so,dass die Gutachter umfängliche und damit auch sehrteure eigenständige Forschungsprojekte durchführen,wenngleich sie kleinere Studien durchaus in Auftrag ge-ben können. Bei der wissenschaftlichen Politikberatunggeht es also primär um die Bewertung von Daten undTrends. Es wird dabei in der Regel nie die eine Wahrheitgeben, meine Damen und Herren. Die Berichterstatternehmen die Berichte ab und schreiben ein Vorwort.Auch hier gilt das Konsensprinzip; es ist also nicht mög-lich, per Mehrheitsvotum das Gutachten zu manipulie-ren. Es geht um Sachargumente – ein in der Wissen-schaft eigentlich selbstverständliches Prinzip, aber einPrinzip, welches in der heutigen medialpolitischen Weltnicht einfach durchzuhalten ist. Ich jedenfalls versuche,genau darauf zu achten, dass weder in Vorworten noch inden Berichten zu einfache, plakative Botschaften enthal-ten sind.Natürlich wollen Medien oder auch Verbände, Lobby-isten oder Aktivisten aber genau das: einfache, simpleArgumente, knackige Zahlen, mit denen Kampagnen ge-fahren werden können. Das Prinzip der wissenschaftli-chen Politikberatung wird aber missbraucht, wenn dieGrenzen zwischen neutraler Erhebung mit abgewogenerpolitischer Diskussion und einseitiger politmedialer Ein-färbung bewusst oder unbewusst verwischt werden.
Richtig ist eine klare Trennung von Daten, Interpretatio-nen und Kampagnen. Ich werde übrigens in der folgen-den Debatte zum Antiziganismus darauf noch einmalkurz zurückkommen.Damit komme ich zum dritten und für das Parlamenteigentlich wichtigsten Punkt: der politischen Bewertungder TAB-Berichte. Hier endet das Konsensprinzip; hiermuss das Konsensprinzip enden. Sie haben es eben inder Debatte gemerkt, wobei hier die Kontroverse nichtso stark war. Wie dargestellt, gibt es in der Regel keineeinfache Wahrheit. Deshalb zeigt das TAB Handlungs-optionen auf und gibt nicht etwa einfache Handlungs-rezepte vor, die der Bundestag nur nachkochen muss.Wichtig ist hier die Rolle der Fachpolitiker. Dafür istes wichtig, dass sich die Fachpolitiker mit den Gutachtentatsächlich intensiv beschäftigen; das ist nicht immer derFall. Hier und heute haben wir ein sehr schönes Beispielgesehen. Dafür möchte ich mich noch einmal ausdrück-lich bedanken.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014 5719
Dr. Philipp Lengsfeld
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In diesem Sinne wünsche ich der weiteren Utilisie-rung dieses Berichts gutes Gelingen und bedanke michfür Ihre Aufmerksamkeit.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/581 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Beck , Tom Koenigs, Claudia Roth (Augs-
burg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Antiziganismus erkennen und entschlossen
bekämpfen
Drucksache 18/1967
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. Sind Sie damit
einverstanden? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist
so beschlossen.
Als erstem Redner erteile ich dem Abgeordneten
Volker Beck, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das
Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Antiziga-
nismus und Antisemitismus sind tief in unserer Gesell-
schaft, in unserer Geschichte verankert. Wir als Grüne
meinen: Wir müssen das Problem des Antiziganismus
genauso ernst nehmen wie den Antisemitismus und for-
dern deshalb, dass wir uns in einer Expertenkommission
mit diesem Thema beschäftigen.
500 000 Sinti, Roma und Kalé wurden von den Natio-
nalsozialisten im Dritten Reich ermordet. Nach dem
Ende des Schreckens des Zweiten Weltkrieges und des
Dritten Reiches war die Verfolgung der Sinti und Roma
in Deutschland aber nicht zu Ende. Sie wurden bei der
Entschädigung nicht als rassisch Verfolgte anerkannt.
Erst 1956 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass
Verfolgungsmaßnahmen nach 1943, als Sinti und Roma
nach Auschwitz-Birkenau verschleppt wurden, als rassi-
sche Verfolgung anerkannt werden, aber die Deportatio-
nen der Sinti und Roma davor galten in der Bundesrepu-
blik Deutschland als begründet in „ihrem angeblich
kriminellen und asozialen Charakter“.
Das zeigt, wie lange der Geist des Dritten Reiches gegen-
über den Sinti und Roma in unserem Land fortbestand.
Trotz aller Aufarbeitung und geschichtlicher Korrektur die-
ser Irrtümer der frühen Bundesrepublik Deutschland ist
auch heute Antiziganismus tief in unserer Gesellschaft
verankert, tief und nicht nur am Rande, bei den Rechts-
extremen, die in den letzten Wahlkämpfen Kampagnen
gegen Sinti und Roma geführt haben.
Die Studie der Universität Leipzig zur „stabilisierten
Mitte“ kommt zu dem Ergebnis, dass im Jahre 2014
55,4 Prozent der Bevölkerung sagen: Ich hätte Probleme
damit, wenn sich Sinti und Roma in meiner Gegend auf-
halten. – Diese Zahl hat im Vergleich zu 2011 um 15 Pro-
zent zugenommen. Bei der Frage, ob Sinti und Roma aus
den Innenstädten zu verbannen seien, hat sich die Zahl
der Befürworter faktisch verdoppelt. Ich meine, das ist
genügend Anlass, sich mit diesem Thema gesellschaft-
lich, wissenschaftlich und mit politischen Maßnahmen
gegen die Diskriminierung von Sinti und Roma ausein-
anderzusetzen.
Herr Lengsfeld hat es gerade angedeutet: Es gibt eine
Auseinandersetzung um eine Studie der Antidiskriminie-
rungsstelle des Bundes. Ich finde, wir sollten hier im
Bundestag nicht um Zahlen und um Statistiken aus die-
sen Untersuchungen streiten. Mir ist es egal, ob eine
Aussage von 20 Prozent oder 30 Prozent unserer Bevöl-
kerung geteilt wird. Ein so hohes Maß an Minderheiten-
feindlichkeit gegen eine Gruppe in dieser Gesellschaft
darf uns als Demokraten nicht ruhig schlafen lassen; da
ist Handlung gefragt.
Deshalb bitte ich Sie: Nehmen Sie die Frage des Anti-
ziganismus genauso ernst, wie wir in diesem Hohen
Hause das Thema Antisemitismus ernst nehmen. Wir sa-
ßen gestern – Frau Pau war dabei – mit den Bericht-
erstattern für den nächsten Antisemitismusbericht zu-
sammen. Ich wünsche mir, dass wir uns im Rahmen der
Beratung im Ausschuss unter Berichterstattern zusam-
mensetzen, um zu sagen: Ja, wir machen einen Antiziga-
nismusbericht; wir wollen wissen, wie die Vorurteils-
strukturen funktionieren, und wir wollen dann
Maßnahmen des Bundes ergreifen, um diese Haltung in
der Gesellschaft demokratisch niederzuringen.
Als nächstem Redner erteile ich Herrn AbgeordnetenDr. Bernd Fabritius, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
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5720 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Rassismus und Fremdenfeindlichkeit dürfen
in unserer Gesellschaft keinen Platz haben. Das lehrt uns
nicht nur die deutsche Geschichte, sondern auch der ge-
sunde Menschenverstand. Ich denke, in diesem Punkt
sind wir uns alle einig. Selbstverständlich sind damit
Rassismus und Feindlichkeit gegenüber allen spezifi-
schen Gruppen gemeint. Es betrifft beispielsweise Ju-
den, es betrifft Flüchtlinge aus allen Krisengebieten, und
es betrifft leider auch Sinti und Roma. Ich denke, auch
darüber sind wir uns einig.
Für die Unverbesserlichen in unserer Gesellschaft
sind die Ziele ihres Hasses und ihrer Diskriminierung
und häufig auch die Begründungen dafür einfach aus-
tauschbar – seien es unsägliche Attacken auf Menschen
mit dunkler Hautfarbe, Anschläge auf Flüchtlinge oder
eben die unbestreitbar manchmal anzutreffende abwer-
tende Haltung gegenüber Sinti und Roma. Meist sind es
dieselben Leute, die den einen wie auch den anderen
Gruppen ablehnend gegenüberstehen. Einen solchen
Schluss auf Austauschbarkeit lässt zweifellos auch die
„Mitte“-Studie der Universität Leipzig zu, auf die Sie
von den Grünen sich in der Begründung Ihres Antrags
berufen. Es handelt sich daher offensichtlich um ein
grundsätzlicheres Problem und weniger um spezifische
Diskriminierung mit abgrenzbaren Gründen gerade ge-
genüber Sinti und Roma.
Wir müssen uns weiterhin insgesamt der Bekämpfung
von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit widmen, an-
statt eine Gruppe herauszupicken, wenn es uns gerade
passt. Um dieser Aufgabe keinen Bärendienst zu erwei-
sen, ist es wichtig, bei der Bewertung der Lage ehrlich
und möglichst nah an den Realitäten zu bleiben. Sie be-
haupten in der Begründung Ihres Antrags bereits im ers-
ten Satz – ich zitiere –:
Antiziganistische Vorurteile sind in allen Bereichen
von Politik und Gesellschaft verbreitet – in Behör-
den, in der Wissenschaft, in Medien, in Kirchen und
Religionsgemeinschaften …
Das ist schlicht falsch und stellt nicht nur uns Politiker,
sondern gleich die gesamte Gesellschaft und sogar die
Religionsgemeinschaften allgemein und undifferenziert
unter einen Generalverdacht des Rassismus und der
Fremdenfeindlichkeit.
Das polarisiert, schadet der Sache und ist zurückzuwei-
sen.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat kürz-
lich selbst eine Studie zu diesem Thema in Auftrag gege-
ben, deren Ergebnisse den Auftraggebern dann offen-
sichtlich nicht schockierend genug gewesen sind. Sogar
der Spiegel weist darauf hin, dass Ergebnisse dieser Stu-
die überzogen interpretiert und negative Einstellungen
gegenüber Sinti und Roma überzeichnet wurden.
Die Ergebnisse der Forscher zeigten nämlich etwas an-
deres.
Nun könnte man fragen, ob wir über Prozentzahlen
debattieren müssen, um einen Unrechtsgehalt zu identi-
fizieren. Sie, lieber Kollege Beck, haben diese Frage zu
Recht angesprochen. Ich antworte darauf: bestimmt
nicht. Antiziganismus ist leider unbestreitbar Realität in
unserer Gesellschaft, und Quantifizierung macht diese
weder besser noch schlechter. Das gilt im Übrigen auch
für deutsche Heimatvertriebene.
Die Manipulation ist es, die ich kritisiere. Eine solche
benötigen wir nicht, und sie schadet den Betroffenen
mehr, als sie ihnen nützt.
Die Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes
brachte teils sogar erfreuliche Ergebnisse zutage, wie
zum Beispiel das Wissen um die Leiden der Sinti und
Roma unter den Nationalsozialisten oder auch die Befür-
wortung eines freien Zugangs der allochthonen Sinti und
Roma zum Arbeitsmarkt durch eine Mehrheit in unserer
Gesellschaft.
Leider bleiben genau diese Befunde jedoch von den
Auftraggebern der Studie unerwähnt. Sie behaupten in
der Begründung Ihres Antrags sinngemäß das Gegenteil.
Warum? Ein solches Vorgehen ist in der Sache nicht hilf-
reich. Es schadet vielmehr in letzter Konsequenz den
Anliegen der Sinti und Roma.
Meine Damen und Herren, Resultat solch unsauberer
Darstellungen sind dann meist überzogene Forderungen.
Herr Kollege, der Kollege Beck fragt, ob er eine Zwi-
schenfrage genehmigt bekommt.
Aber gerne.
Bitte.
Es passt sehr gut, dass Sie zu den überzogenen Forde-
rungen unseres Antrags kommen, der zum Inhalt hat,
dass wir das Gleiche machen wollen wie beim Thema
Antisemitismus. Ist Ihnen bekannt, dass auch der Zen-
tralrat Deutscher Sinti und Roma und die Antidiskrimi-
nierungsstelle des Bundes diese wohl nicht überzogenen
Forderungen erheben, und was ist Ihre Antwort darauf?
Was wollen Sie in diesem Themenbereich konkret tun?
Herr Kollege Beck, ich habe zu den Forderungen unddem Maß der Überziehung noch nichts gesagt. Dazukomme ich noch. Mir ist nicht bekannt, was der Zentral-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014 5721
Dr. Bernd Fabritius
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rat der Sinti und Roma dazu sagt. Ich bin davon ausge-gangen, dass der Antrag von Ihnen, den Grünen, stammt.Wenn Sie sagen, dass Sie einen fremden Antrag über-nommen haben, dann würde ich mich dem gerne nähern.
Aber ich gehe auf die Frage im Weiteren noch ein. Da-mit ist Ihre Frage beantwortet, und ich fahre mit meinerRede fort.Resultat solch unsauberer Darstellungen sind, wie ge-sagt, meist überzogene Forderungen. Ich komme nochdarauf zurück und nenne, was ich für überzogen halte.Auch hier müssen wir aufpassen, dass wir realitätsnahbleiben und nicht über das Ziel hinausschießen.Selbstverständlich dürfen auch Sinti und Roma wederbei Bildungsangeboten noch bei der Wohnungssuche,der Arbeitssuche oder sonst in irgendeiner Weise be-nachteiligt oder diskriminiert werden. Wenn jedoch zumBeispiel – ich nenne das nur, weil es oft Gegenstand derDebatte ist – Begriffe aus der Alltagssprache verbanntwerden sollen, die gar keinen negativen Bezug haben,dann halte ich das für überzogen.
Müssen etwa Köche ihre Rezeptbücher umschreiben undaus dem beliebten „Zigeunerschnitzel“ ein „Schnitzelnach Art der mobilen ethnischen Minderheit“ zu ma-chen, um nicht des Antiziganismus bezichtigt zu wer-den?
Darüber schütteln sogar Sinti und Roma den Kopf. Ichkenne gerade in Rumänien, wo ich 18 Jahre lang gelebthabe, viele, die sich selbst und stolz als Zigeuner be-zeichnen.Sie wollen nun – damit komme ich zu Ihren Forderun-gen – ein eigenes Hochschulinstitut für Antiziganismus.Sie fordern eine Bestandsaufnahme zu Entstehungsge-schichte und Folgen, gerade so, als ob Antiziganismusetwas anderes – etwas Spezifischeres und Abgrenzbare-res – wäre als schlichter Rassismus und Fremdenfeind-lichkeit.
Ich halte derartige Forderungen für Aktionismus und binder Auffassung, dass sie keinem helfen. Viel wichtiger istes, dass wir uns weiterhin gegen rassistische Vorurteileund diskriminierende Einstellungen in einigen Köpfen inunserer Gesellschaft einsetzen. Wir brauchen einenganzheitlichen Ansatz zur Bekämpfung von Rassismusund Fremdenfeindlichkeit.
Letztlich handelt es sich um eine gesamtgesellschaftli-che Aufgabe, der wir uns stellen müssen.An einer einzigen Stelle in Ihrem Antrag haben Sierecht: Sie stellen fest, es gelte, „eine Zersplitterung derForschung bzw. der Beobachtung und Analyse von Dis-kriminierung in Deutschland zu verhindern“. Sie habenvöllig recht. Genau so ist es. Deswegen ist Ihr Antragabzulehnen.Danke.
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-
ordneten Petra Pau, Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt, sich dem Antizi-ganismus zuzuwenden, also der vielfältigen Diskrimi-nierung von Sinti und Roma. Das teilt die Linke aus-drücklich.
Professor Wolfgang Benz hat vor wenigen Tagen seinBuch Sinti und Roma: Die unerwünschte Minderheitvorgestellt.
Ich war bei der Präsentation dabei und empfehle uns al-len sein Buch. Darin erinnert er, dass diese Menschen alsZigeuner von jeher ausgegrenzt wurden. In der Nazizeitgipfelte das im Völkermord an den Sinti und Roma, denauch lange nach 1945 niemand wahrnehmen wollte.Auch heute werden Sinti und Roma oft wie Aussätzigebehandelt, nicht nur in Osteuropa, sondern auch in derBundesrepublik. Das ist nicht hinnehmbar.
Denn es geht hier nicht um irgendwelche Minderheiten-rechte, sondern um allgemeine Menschenrechte, auchfür Sinti und Roma.Aktiver Antiziganismus knüpft häufig an Ängste undVorurteile an und facht sie fernab der Wahrheit an. Ichmöchte Ihnen ein aktuelles Beispiel der Hetze gegenSinti und Roma darlegen. In Halle an der Saale imWohngebiet „Silberhöhe“ gibt es seit neuestem eine Bür-gerinitiative via Facebook. Das Bündnis „Halle gegenRechts – Bündnis für Zivilcourage“ hat einige Hetzparo-len und falsche Behauptungen aufgegriffen. Die ersteBehauptung, die dort verbreitet wird: Romakinder gehengenerell nicht zur Schule. – Tatsache ist: Natürlich unter-liegen sie wie alle Kinder der Schulpflicht und gehenselbstverständlich in die Schule.
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Petra Pau
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Zweite Behauptung: Die dort ansässigen Romafami-lien vermüllen das Wohnhaus und die öffentlichen Flä-chen – Tatsache: Dem widersprechen vehement die Ver-mieterin und die Stadtverwaltung.Dritte Behauptung: Roma stehlen, was nicht niet- undnagelfest ist. – Tatsache: Weder die Polizei noch der Su-permarkt vor Ort bestätigen das.Vierte Behauptung: Wegen krimineller Roma wurdedie Polizeipräsenz im Wohngebiet erhöht. – Tatsache:Der Polizeisprecher der Stadt Halle sagt: „Ja, wir muss-ten die Polizeipräsenz nach dem Auftauchen dieser Bür-gerinitiative erhöhen, zum Schutz der Sinti und Roma“.Ich füge an: Solche Vorurteile werden nicht nur vomrechten Rand der Gesellschaft bedient, sondern auch ausihrer Mitte. Vorwürfe oder Unterstellungen, Sinti undRoma seien Sozialschmarotzer, kommen leider auch ausdem politischen Raum. Ich halte das für unverantwort-lich.
Gleichwohl, Herr Kollege Beck, sollten wir in Ruhe da-rüber beraten, ob die vorgeschlagene unabhängige Ex-pertenkommission „Antiziganismus“ darauf die richtigeAntwort ist. Ich befinde mich dazu auch in der Debattemit dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. Ichmöchte uns alle an die Expertenkommission zum Antise-mitismus erinnern. Die erste Expertise liegt seit überzwei Jahren vor, allerdings – wir sprachen gestern da-rüber – bisher weitgehend folgenlos. Eine Expertise, diefolgenlos bleibt, nützt weder den Jüdinnen und Judenhier im Land noch, wenn wir denn eine solche Berichter-stattung hier beschließen, den Sinti und Roma und übri-gens auch nicht der Gesellschaft.Damit will ich abschließend uns alle daran erinnern:Seit drei Jahren kennen wir die Ergebnisse der Langzeit-studie über deutsche Zustände von Professor Heitmeyerund seinem Team an der Uni Bielefeld. Sein Befund: Diegruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nimmt zu, ge-gen Sinti und Roma, gegen Migrantinnen und Migran-ten, gegen Menschen mit Behinderungen, gegen Ob-dachlose und Arbeitslose usf. Auch darauf haben wirbisher im Bundestag, aber auch insgesamt noch nicht ad-äquat reagiert.Übrigens wird als Ursache für diese Entwicklung inder Studie ein Megatrend benannt, nämlich dass das So-ziale ökonomisiert und die Demokratie entleert wird. Esreicht also nicht, dass wir die Probleme in den Innenaus-schuss überweisen oder sie Experten anheimstellen. Ichglaube und bin fest davon überzeugt: Wir müssen hiergemeinsam einen Politikwechsel bewerkstelligen.
Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten
Gabriela Heinrich, SPD-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! In zwei Wochenwerden wir Mitglieder des Ausschusses für Menschen-rechte und Humanitäre Hilfe Duisburg und Mannheimbesuchen. Grund der Reise: Wir möchten uns in beidenStädten ein Bild verschaffen, wie Sinti und Roma inDeutschland leben. Wir werden mit ihnen reden, und wirwerden uns über Projekte und Initiativen informieren,die es in den Stadtvierteln gibt, in die viele Roma ausBulgarien und Rumänien zugezogen sind.Am 10. November wird der Menschenrechtsausschussdas Arnold-Fortuin-Haus in Berlin-Neukölln besuchen.Am 12. November wird es eine Expertenanhörung imAusschuss geben, Thema: „Lage der Sinti und Roma inDeutschland und in der EU – Ausgrenzung und Teil-habe“.Warum plaudere ich hier über unseren Terminkalen-der? Alles das findet anlässlich des thematischen Schwer-punkts „Sinti und Roma“ im Menschenrechtsausschussstatt. Wir werden uns also in der unmittelbaren Zukunftwie geplant über Sinti und Roma und über Rassismusgegen Sinti und Roma informieren. Daraus leiten wirHandlungen ab, korrigieren vielleicht den eigenen Blick-winkel und lernen bestenfalls aus Fehlern. Um ehrlich zusein, hat es mich deshalb schon gewundert, dass der An-trag „Antiziganismus erkennen und entschlossen be-kämpfen“ vor diesen Aktivitäten des Menschenrechts-ausschusses auf der Tagesordnung im DeutschenBundestag steht.
Dagegen kann man argumentieren, dass es niemals zufrüh sein kann, sich mit dieser speziellen Form von Ras-sismus auseinanderzusetzen. Das ist sicher richtig. Aller-dings hat mich der Antrag der Grünen nicht überzeugt.Natürlich kann ich Ihnen nur zustimmen, wenn Sie sa-gen, dass antiziganistische Vorurteile für die Ausgren-zung vieler Sinti und Roma aus dem wirtschaftlichen,sozialen und kulturellen Leben mit ursächlich sind. DieBetonung muss hier allerdings auf dem Wörtchen „mit“liegen.Rassismus gegen Sinti und Roma gibt es. Das kannniemand anzweifeln. Auch existent sind schlechtereChancen für Sinti und Roma, große Probleme bei derWohnungssuche und wenig Wissen bei der deutschenMehrheitsbevölkerung. Tom Koenigs hat in einem Vor-wort zu einem Gutachten, das sich mit diesem Themen-komplex auseinandersetzt, geschrieben, die Bekämpfungvon Rassismus gegen Sinti und Roma müsse auf dreiWegen erfolgen – ich zitiere –:durch die Veränderung oder Schaffung neuer gesetz-licher und normativer Regelungen, durch gesell-schaftliche Aufklärung und durch die umgehendeVerbesserung der sozialen Situation benachteiligterRoma.Wenn wir uns einig sind, dass die Bekämpfung des la-tenten und manifesten Rassismus diese drei Wege be-schreiten muss, dann finde ich es deutlich zu kurz gegrif-fen, jetzt nur einen Expertenkreis und ein universitäres
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Gabriela Heinrich
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Zentrum einzurichten. Die Betonung liegt auf „nur“. DieRoma-Forschung sollte an den Universitäten besser in-stalliert werden. Ich halte das für unstrittig. Mit einemDenkmal zur Erinnerung an die Ermordeten im DrittenReich ist es nicht getan. Die geschichtliche Forschungüber Sinti und Roma und den Holocaust muss ins Blick-feld von Historikern rücken, ebenso wie die Vorurteils-forschung – allerdings nicht unter der Prämisse, nur da-mit den Rassismus gegen Sinti und Roma zu beseitigen.Meine Damen und Herren, Rassismus darf in diesemLand niemals toleriert werden. Ich betone es noch ein-mal: Rassismus gegen Sinti und Roma, den gibt es. Aberer ist nicht allein verantwortlich für die oft problemati-sche soziale Situation vieler Roma und auch nicht dieaus ihm entstehende Diskriminierung. Sind wir nicht ei-gentlich weiter?In der politischen Debatte auf Bundesebene, aberauch in Gesprächen mit den Menschen in meinem Wahl-kreis höre ich immer wieder, dass wir vor allem bei densozialen Verhältnissen, bei Integration und bei Bildungansetzen müssen. Es mag sein, dass mehr Bildung in denLändern Südosteuropas nicht zum gewünschten Erfolgführt. Die Arbeitslosigkeit ist viel zu hoch; Bildung undChancen sind dort entkoppelt. Aber niemand wird ernst-haft bestreiten, dass das in Deutschland anders ist. Nurmit vernünftiger Bildung und Ausbildung eröffnen sichhier Chancen auf Integration und Teilhabe.
Erinnern wir uns an den Beginn des Jahres. Wie auchschon erwähnt wurde, wurden Vorurteile und Ängste imZusammenhang mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit fürBulgarien und Rumänien geschürt. Gemeint warenRoma. Es wurden Vorurteile und Ängste vor den soge-nannten Armutsflüchtlingen geschürt. Und die Empö-rung war groß, weil Studien den Deutschen Rassismusbescheinigten.Aber wie helfen wir denn Menschen, die aus unvor-stellbarer Armut zum Beispiel aus Bulgarien zu unskommen? Helfen wir ihnen – ich habe immer gesagt: nur –mit einem jährlichen Antiziganismusbericht? Oder hel-fen wir ihnen, indem wir ihre soziale Situation verbes-sern? Ich meine nicht nur die soziale Situation inDeutschland, sondern auch die in den Herkunftsländern.Denken wir an die Kommunen. Helfen wir ihnen mitRassismusforschung? Oder helfen wir ihnen, indem wirsie in die Lage versetzen, die Situation in bestimmtenStadtteilen zu verbessern? Ich werde in Mannheim undin Duisburg genau hinhören, was der Bund für dieNeckarstadt-West oder für Rheinhausen tut.Dabei will ich die Mehrheitsgesellschaft nicht verges-sen. Wie schaffen wir es denn, die Angst vor dem ver-meintlich Fremden zu mindern? Schaffen wir das mit ei-nem Lehrstuhl? Oder schaffen wir das mit Aufklärung,Menschenrechtsbildung und Begegnung? Müssen wirdas Rad hier neu erfinden?In meiner Heimatstadt Nürnberg bestätigen mir alle,die in der Menschenrechtsbildung tätig sind, dass alleFormen des Rassismus Teil der Menschenrechtsbildungsind – auch Rassismus gegen Sinti und Roma.Wenn Sie Jugendliche fragen, welche Gruppen vonDiskriminierung betroffen sind, werden auch immerSinti und Roma genannt. Aber wir werden uns schwer-tun, Vorurteile abzubauen, wenn die Menschen immerwieder das Klischee sehen, das ihrem Vorurteil ver-meintlich entspricht. Dass alle sozialen Probleme derSinti und Roma – ich habe es eingangs ausgeführt – nurim Rassismus fußen, wie einige behaupten, ist zu kurzgegriffen. Nicht die Diskriminierung allein ist für die so-ziale Situation der Roma ursächlich. Vielmehr bedingensich Diskriminierung, soziale Situation und Unwissen-heit seitens der Mehrheitsbevölkerung gegenseitig. Wirmüssen die Klischees aufbrechen, die in jeder Form vonRassismus vorkommen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die EuropäischeKommission, das Europäische Parlament und der Euro-parat haben uns Maßnahmen aufgezeigt, die wir umset-zen müssen. Aus deren Vielzahl möchte ich hier nur eineinziges Thema herausgreifen: die Verbesserung derSituation der Romafrauen. Was wir auch in Deutschlandschaffen müssen, ist unter anderem, folgende Forderun-gen umzusetzen: Die Grundrechte von Romafrauen und-kindern sicherstellen; sexuelle Ausbeutung und Men-schenhandel unter besonderer Berücksichtigung vonRomafrauen bekämpfen; Romafrauen in die Lage verset-zen, die Kontrolle über ihr eigenes Leben zu überneh-men.Diese Aufzählung kann man beliebig lange und nochsehr viel konkreter fortsetzen. Es ist nicht falsch, sich da-bei wissenschaftlich und praktisch beraten zu lassen.Aber Politik für die Sinti und Roma muss über die theo-retische Ebene hinaus auf europäischer Ebene, auf natio-naler Ebene und auf kommunaler Ebene umgesetzt wer-den. Wiederum über alle Projekte hinaus müssen wir dieDenkmuster in den Köpfen der Mehrheitsgesellschaftändern und Wissen über die Minderheit fördern. Dassdieses Wissen noch Verbesserungspotenzial hat, streitetniemand ab. Das hat auch jüngst die Studie gezeigt– heute schon vielfach erwähnt –, die aufgrund der Inter-pretation der erhobenen Daten durchaus Unmut hervor-gerufen hat.Ich werde hier nicht diskutieren, ob man nun den Ska-lenwert 5 zu 6 und 7 zählen darf. Ich habe mir diese Stu-die genau angeschaut. Für unser Thema ist wichtig, dassviele der Befragten den Sinti und Roma unwissend undgleichgültig gegenüberstehen. Dass sie Opfer des Holo-caust waren, wussten noch viele, besonders Ältere; aber34 Prozent der Befragten nannten „fahrendes Volk“ aufdie Frage, was ihnen zu Sinti und Roma einfällt. Wir se-hen, das geht an der Realität völlig vorbei.Unwissen, Gleichgültigkeit und Indifferenz der Mehr-heitsgesellschaft hinsichtlich der Minderheit müssen wirangehen. Darüber hinaus muss die deutsche Politik – dassagen uns auch die Forderungen aus Brüssel und Straß-burg – mehr für die Integration der Roma tun. Auch dieForderung nach Kampagnen, die den Rassismus gegenSinti und Roma anprangern, sind völlig berechtigt.
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Gabriela Heinrich
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Aber es wird auch schon einiges getan. Stellvertre-tend für viele wichtige Projekte möchte ich hier nur ei-nes nennen: Das Familienministerium unterstützt dasInformations- und Dokumentationszentrum für Antiras-sismusarbeit e. V. seit 2009. Aus diesen Mitteln wurdeletztes Jahr unter anderem ein Themenflyer zu Antiziga-nismus aufgelegt.Zum Schluss möchte ich noch werben: für das Bun-desprogramm „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechts-extremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“.
Einer der Schwerpunkte ist Rassismus gegen Sinti undRoma. Das Projekt startet am 1. Januar 2015. Derzeitkönnen Ideengeber und Initiativen ihr Interesse für Mo-dellprojekte beim Familienministerium einreichen. Eswerden noch Projekte gesucht.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Philipp Lengsfeld für
die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als stellver-tretendes Mitglied im Menschenrechtsausschuss ist esmir eine große Freude und Ehre, heute kurzfristig für un-sere menschenrechtspolitische Sprecherin Erika Steinbachdiese Rede zu übernehmen.
– Ich möchte einfach nur darstellen, in welcher Positionich hier stehe, Kollege Koenigs.Kurz ein paar Fakten: In Deutschland leben Schätzun-gen zufolge circa 60 000 Sinti und 10 000 Roma. Diessind deshalb Schätzwerte, weil in Deutschland keine be-völkerungsstatistischen oder sozioökonomischen Datenauf ethnischer Basis erhoben werden, keine außeramtli-chen Quellen existieren und eine repräsentative Erhe-bung im Rahmen der amtlichen Stichprobenerhebungennicht möglich ist. Deutsche Sinti und Roma habenselbstverständlich alle Rechte und Pflichten deutscherStaatsbürger. Neben Dänen, Friesen und Sorben sind sieals nationale Minderheit anerkannt.Wir wissen um die großen Probleme dieser Minder-heit vor allem in den südosteuropäischen Ländern – wirkönnen die europäische Situation hier ja nicht völlig aus-blenden; das sollten wir schon mitdiskutieren –; dort lebtdie Mehrheit der Roma. In den Ländern des Westbalkansstellt sich die Lebenssituation der Minderheit in vielenLebensbereichen als sehr schwierig dar. Für die Integra-tion der Roma bedarf es gerade dort besonderer Anstren-gungen. Die europaweite Problematik von Diskriminie-rung und Ausgrenzung der Roma ist offenkundig, wobeies aber auch eine gewisse Selbstausgrenzung gibt. ImApril 2011 legte die Europäische Kommission einenRahmen für nationale Strategien zur Eingliederung derRoma vor. Die Mitgliedstaaten haben der EU-Kommis-sion jährlich über ihre Integrationsbemühungen zu be-richten.Die Bundesregierung hat am 23. Januar 2014 einenzweiten Fortschrittsbericht über die Umsetzung des Be-richts der Bundesrepublik Deutschland „EU-Rahmen fürnationale Strategien zur Integration der Roma bis 2020 –Integrierte Maßnahmenpakete zur Integration und Teil-habe der Sinti und Roma in Deutschland“ an die Euro-päische Kommission übersandt. Auf über 60 Seiteninformiert der Bericht über die seit 2011 erzielten Fort-schritte auf Bundes- und Landesebene sowie über Plänebis zum Jahr 2020 in den vier Bereichen Bildung, Be-schäftigung, Gesundheitsversorgung, Unterkunft undgibt auch zur Antidiskriminierung detailliert Auskunft.Ich finde, wir haben bereits beachtliche Erfolge er-zielt:So wurde im Oktober 2012 hier in Berlin-Mitte – esist schon kurz erwähnt worden; aber man sollte es sichnoch einmal klarmachen; es ist ja eine große Sache – dasmit Mitteln des Bundes finanzierte zentrale Mahnmal fürdie in der Zeit des Nationalsozialismus ermordeten Sintiund Roma durch die Bundeskanzlerin Dr. AngelaMerkel eingeweiht.Die Bundesregierung steht in vielfältigem Kontaktmit Vertretern der nationalen Minderheit. Seit 2012 führtsie auch mit dem Zentralrat Deutscher Sinti und RomaGespräche über die Bekämpfung extremistischer Ge-waltaufrufe und Hass im Internet.Mehrfach im Jahr findet ein Gesprächskreis der natio-nalen Minderheiten in Deutschland unter Federführungdes Vorsitzenden des Innenausschusses des DeutschenBundestages statt, an dem Vertreter der nationalen Min-derheiten, die Bundesregierung und Abgeordnete teil-nehmen. Dessen Themen waren auch – natürlich – „Dis-kriminierung von Sinti und Roma“ sowie die „Erstellungeines Antiziganismusberichts“.Die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zu-kunft“ fördert die Forschung zum Thema Antiziganis-mus.Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und das Do-kumentations- und Kulturzentrum in Heidelberg werdenmit Bundesmitteln institutionell gefördert.Sie sehen, dass in Deutschland in diesem Bereich be-reits zahlreiche Maßnahmen ergriffen werden. Speziellhervorheben möchte ich aus dem Fortschrittsbericht dieseit 2011 durchgeführten Maßnahmen im Bereich Bil-dung; Bildung ist ja auch einer meiner Hauptbereiche.Bildung ist die Schlüsselkompetenz für gelingende Inte-gration in die deutsche Mehrheitsgesellschaft. Der Be-richt zeigt die durchgeführten Maßnahmen und Projekte,die von vorschulischer Sprachförderung über Ferienfrei-zeitangebote, Familienbildung und -beratung bis hin zubildungspolitischen Maßnahmen und Antirassismuskon-zepten für Schulen reichen. Alle Maßnahmen werden
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 61. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2014 5725
Dr. Philipp Lengsfeld
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mit Leben erfüllt und finden in Deutschland schon jetztstatt.Die Bemühungen im Bildungsbereich leisten einenwesentlichen Beitrag, vorhandene Vorurteile der Mehr-heitsgesellschaft abzubauen und die Angehörigen derMinderheit, die sich bisher zum Teil bildungsfern ver-hielten, zu erreichen. Das Recht auf Bildung muss abermit der Akzeptanz der Schulpflicht in Deutschland ein-hergehen – das ist hier auch schon gesagt worden –; dabesteht eine Verknüpfung. Integration funktioniert ebennicht als Einbahnstraße.Kommen wir zur aktuellen Lage. Auch dieser Punktist schon mehrfach angesprochen worden; ich möchtedarauf etwas detaillierter eingehen, weil das hier so weg-gewischt wurde. Bereits im September veröffentlichtedie Antidiskriminierungsstelle des Bundes eine wissen-schaftliche Studie zur Bevölkerungseinstellung gegen-über den Sinti und Roma. Ich vermute stark, dass dasauch der Anlass für Ihren Antrag ist.
– Vielleicht nicht, aber es gibt eine gewisse zeitlicheKoinzidenz.Hier muss man genau auf die Daten schauen. Ichfinde, da darf man nicht der Versuchung erliegen, dieDaten medial anzuschärfen. Das Beispiel müssen wirjetzt einmal, so quälend es für den einen oder anderensein mag, durchexerzieren.Eine konkrete Frage in der Studie, die auch medialdurchaus intensiv diskutiert wurde, lautete:Wie angenehm oder unangenehm wären Ihnen Sintioder Roma als Nachbarn in der Nachbarschaft?Die von den Wissenschaftlern übrigens aus gutem Grundgewählte Skala zur Beantwortung reichte von 1 bis 7;das ist hier auch schon erwähnt worden. Man hätte aucheine andere Skala nehmen können, aber man hat aus gu-tem Grund eine Skala von 1 bis 7 gewählt. „4“ ist dieneutrale Antwort. „5“ ist eine Schattierung, die leicht insUnangenehme geht, also die erste negative Antwort inder Skala von 1 bis 7.Die Ergebnisse lauteten wie folgt: Positiv bis neutral– das sind die Werte 1 bis 4 – äußerten sich 48,7 Prozentder Befragten in dieser Studie. Den Wert 5 – eher negativ –wählten 10,9 Prozent, den Wert 6 – „unangenehm“,schon ziemlich negativ – 8,5 Prozent und den negativs-ten Wert, den Wert 7 – „sehr unangenehm“ –, 11,9 Pro-zent. PR-Experten in der Antidiskriminierungsstelle desBundes haben daraus eine Presseerklärung gemacht, inderen Überschrift – das ist das Wichtige – als Erstessteht: „Jeder dritte Deutsche lehnt Sinti und Roma alsNachbarn ab“. Das ist das Ergebnis eines PR-Cookingsdieser Zahlen. Wie gewollt, beherrscht genau dieseSchlagzeile die Berichterstattung für eine ganze Weile.Das geht aus meiner Sicht so nicht.
Dieser Spin ist nicht durch die Studienergebnisse ge-deckt.Wenn man nur die negativen Zahlen betonen wollte– ich sage gleich, dass das auch kein guter Blick auf einesolche Studie ist –, dann könnte oder müsste man gemäßder Studie sagen, dass 20,4 Prozent der Befragten – auchKollege Beck hat es schon erwähnt – Sinti und Roma inihrer Nachbarschaft als unangenehm oder sehr unange-nehm empfinden.
Kollege Lengsfeld, gestatten Sie eine Frage oder Be-
merkung des Kollegen Beck?
Ich würde das gern zu Ende führen. Dann können wir
gern in eine zweite Runde gehen, wenn das dann noch
nötig ist.
Schauen wir mal, wie wir das dann machen.
Es gab in dieser Studie aber auch eine Vielzahl positi-
ver Daten. Ich empfehle ganz klar, dass man diese Art
von Studien nicht einseitig interpretiert, nicht diese Art
von medialem Spin setzt, sondern die positiven und ne-
gativen Signale genau analysiert, um daraus die richti-
gen Schlussfolgerungen zu ziehen.
Meine Sicht auf die Studie lautet: Antiziganismus ist
in Deutschland momentan kein weitverbreitetes Phäno-
men. Deshalb sehe ich den vorliegenden Antrag von
Bündnis 90/Die Grünen auch kritisch, ohne dabei weite-
ren Handlungsbedarf aufgrund der Ergebnisse der Studie
oder anderer Erkenntnisse zu negieren.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Tom Koenigs für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsi-dentin! Die Debatte hat gezeigt, dass wir Forschung undErkenntnisse über Antiziganismus brauchen, und zwarmehr als bisher.
In dem Antrag geht es – Frau Heinrich hat das an-scheinend gar nicht gesehen – nicht um Sinti und Romaund deren Wohlbefinden oder Nichtwohlbefinden, son-dern es geht um uns, die Mehrheitsgesellschaft.
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Tom Koenigs
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Der Antiziganismus ist in der Mehrheitsgesellschaft ver-wachsen, nicht bei den Sinti und Roma. Dieser Antragbefasst sich nur damit.
Davor haben wir uns lange mit Antisemitismus befasst,und auch da gab es immer welche, die gesagt haben: Dasist ja nicht so schlimm, ist ja nicht so viel; das gibt es garnicht in dem Maße; es sind nur 24 Prozent.Aber dass es in der Mitte der Gesellschaft und nichtnur am rechten Rand Antiziganismus gibt, das ist derKern des Problems. Diesen Antiziganismus gibt es seitGenerationen. Es gibt ihn in allen Kulturen. Zum Bei-spiel gibt es ihn auch in der Literatur. Klaus-MichaelBogdal hat das in einem sehr interessanten Buch mitdem treffenden Titel „Europa erfindet die Zigeuner: EineGeschichte von Faszination und Verachtung“ beschrie-ben. Diese Verachtung sehen wir.Faszination und Verachtung finden wir von Cervantesüber Heine bis hin zu García Lorca und zur Volkslieder-kunst, „Zigeunerjunge“ oder was auch immer. Damitmüssen wir uns befassen; auch Wissenschaftler müssendas machen. Das will der Antrag. Der Antiziganismushat Geschichte, auch eine ganz spezielle deutsche Ge-schichte. Es handelt sich nicht nur, wie Herr Fabritiusgesagt hat, um irgendeine gruppenbezogene Menschen-feindlichkeit. Es ist auch Rassismus, aber ein ganz spe-zifischer, auf eine ganz spezifische Gruppe konzentriert.Die Mitglieder dieser Gruppe, so unterschiedlich sieauch sind – Sinti, Roma, Zigeuner, Aschkali, Egyptians,Gypsies, Gitanos –, haben eines gemeinsam: Sie sindOpfer dieses Antiziganismus. Fragen Sie sie doch ein-mal! Sie alle haben das erlebt; jeder Einzelne hat es er-lebt.In der Mehrheitsgesellschaft heißt es dann: Ich habeja nichts gegen Zigeuner, aber bei uns im FrankfurterStadtzentrum wollen wir sie doch nicht haben. – Die Ur-sache für die Diskriminierung der Sinti und Roma liegtbei uns, nicht bei den Sinti und Roma.
Damit müssen wir uns befassen. Dieser Antrag for-dert, dass eine unabhängige Kommission dies erforschensoll. – By the way: Eine solche gibt es für Antisemitis-mus. Sie könnte aber sicher noch besser sein, als sie ge-genwärtig ist. – Wir müssen darüber berichten – ganz of-fensichtlich, wenn es so viel besser geworden ist, wie Siesagen.
Dass es kein einziges eigenständiges wissenschaftlichesForschungsinstitut für Antiziganismus gibt, ist doch einJammer. Das ist offensichtlich ein Fehler.
In diese Richtung geht der Antrag. Ich bitte Sie immernoch, diesen zu unterstützen.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich
schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/1967 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 5. November 2014, 13 Uhr,
ein. Ich wünsche Ihnen alles Gute für die Zeit bis dahin.
Die Sitzung ist geschlossen.