Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie herzlich. Heute Morgen kann ich nicht mit
zusätzlichen Mitteilungen dienen, weder zu Umbeset-
zungen von Gremien noch zu Änderungen der Tages-
ordnung, sodass wir gleich zu unserem Tagesordnungs-
punkt 28 kommen:
Vereinbarte Debatte
50 Jahre deutsche Entwicklungszusammen-
arbeit – 50 Jahre verlässliche Entwicklungs-
partnerschaften
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 90 Minuten vorgesehen. Gibt es dage-
gen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann können
wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Harald Leibrecht für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undnzaZmaamreLedbineKsNntiRedetHerren! Seit mittlerweile 50 Jahren gibt es das Bundes-entwicklungsministerium, und die deutsche Entwick-lungspolitik hat viel erreicht. Ich bewundere WalterScheel, den Gründer des BMZ, der schon in den Kinder-jahren deutscher Entwicklungspolitik die zukünftigenHerausforderungen erkannt hat. So sagte er bereits 1964– ich zitiere –:Deutschlands Zusammenarbeit mit den Entwick-lungsländern geht jeden von uns an. … Wir könnendiese Herausforderung nur dann zu einer geschicht-lichen Chance gestalten, wenn alle Bürger unsererres publica bereit sind, diese Herausforderung an-zunehmen, und ihr im Geist menschlicher Solidari-tät zu begegnen.Walter Scheel ist es wesentlich zu verdankenwicklungspolitik in Deutschland von Anfang
Ich begrüße außerdem, dass das Thema „Effektivitätder Hilfe und effizienter Mitteleinsatz“ in Zeiten knap-per öffentlicher Kassen wieder ganz oben auf derAgenda steht. Hilfe zur Selbsthilfe war, ist und bleibt dieLeitlinie deutscher Entwicklungszusammenarbeit. Dennwir können ein Land letztendlich nicht entwickeln; daskann ein Land nur aus eigener Kraft selber schaffen.
Wir können aber die notwendigen Werkzeuge bereit- Linie sicherlich Geld, aber auch Exper-how, um diese Entwicklung zu ermögli-usforderungen sind gestern wie heutemer leben Millionen Menschen in Ent-, dass Ent- an auf ei-stellen, in ersterten und Know-chen. Die Heragroß. Noch im
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15496 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. September 2011
Harald Leibrecht
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wicklungs- und Schwellenländern in extremer Armut,sterben Mütter und Kinder an vermeidbaren Krankheitenund bleibt Millionen Menschen der Zugang zu Gesund-heitsvorsorge, Nahrung und sauberem Trinkwasser ver-wehrt.Auch nach 50 Jahren werden das BMZ und die deut-sche Entwicklungszusammenarbeit dringend benötigt.Als eine der weltweit wichtigsten Wirtschaftsnationenträgt Deutschland eine besondere Verantwortung, dieSchwächsten der Welt auf ihrem Weg aus der Armut zuunterstützen.
Dabei sollten wir nicht vergessen, dass Deutschlandnach dem Zweiten Weltkrieg selbst Empfängerland in-ternationaler Entwicklungshilfe war. Die Hilfen derUSA in Form des Marshallplans waren eine wichtigeVoraussetzung für die rasante Wirtschaftsentwicklungund die Festigung der parlamentarischen Demokratie imNachkriegsdeutschland. Die Deutschen haben in ihrerGeschichte selber erlebt, was internationale Hilfe undZusammenarbeit bewirken können.Kritikern möchte ich an dieser Stelle sagen, dass Ent-wicklungszusammenarbeit keine Einbahnstraße ist.Auch die Geberländer profitieren von der Entwicklungs-zusammenarbeit. Sie ist ein wichtiges Instrument zurFörderung von Sicherheit und Frieden in der Welt. Wennwir unseren Wohlstand in Deutschland sichern und aus-bauen möchten, müssen wir auch dafür sorgen, dass dieMenschen in den Entwicklungsländern eine bessere Zu-kunft haben. Deutschland hat dank der deutschen Ent-wicklungszusammenarbeit weltweit einen hervorragen-den Ruf als verlässlicher Partner.In diesem Zusammenhang möchte ich auch die Arbeitder Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusam-menarbeit sowie der KfW Entwicklungsbank würdigen.Mit ihrem Know-how leisten sie einen wesentlichen Bei-trag zur Entwicklung der Partnerländer und erfahren da-für weltweit Lob und Anerkennung. Dank gilt auch dendeutschen Entwicklungshelfern, die in vielen Ländernder Erde unter oft schwierigsten Bedingungen eine wun-derbare Arbeit leisten.
In fünf Jahrzehnten haben die Bürger unseres Landesmit ihren Steuergeldern und ihrem Engagement einengroßen Beitrag dazu geleistet, dass Hunger und Elend inder Welt bekämpft wurden. Ein Minister oder ein Minis-terium alleine kann niemals all das leisten, was wir alsbürgerschaftliches Engagement bezeichnen.
Es sind nicht nur die großen Hilfsorganisationen, dieseit vielen Jahren ganz hervorragende Arbeit leisten,sondern auch die vielen namenlosen Initiativen einzelnerMenschen, von Schulen, Städten und Kommunen. Diesmacht mich als Parlamentarier, der in diesem Bereich tä-tig ist, sehr stolz auf meine Landsleute. Das BMZ wirbtakShbwmEdriShwWeMmDwddWteusgreddKSwreri„
Nachdem der Kollege Leibrecht schon eine Reihe der
edeutenden Entwicklungspolitiker – aber natürlich bei
eitem nicht alle – namentlich genannt hat, freue ich
ich besonders, dass ich auf der Besuchertribüne
rhard Eppler und Egon Bahr begrüßen darf,
ie dieses Thema und das dafür verantwortliche Ministe-
um über viele Jahre geprägt und begleitet haben. Seien
ie herzlich willkommen im Deutschen Bundestag und
erzlich bedankt für den Beitrag, den Sie zu diesem
ichtigen Thema geleistet haben.
Ich erteile das Wort nun der Kollegin Heidemarie
ieczorek-Zeul für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichrinnere an diesem Tag an den ersten Minister, der diesesinisterium ab 1961 leitete: Walter Scheel. Er hat da-als gesagt – ich zitiere –:Es geht darum, die Kluft zwischen reichen und ar-men Völkern zu beseitigen, … die Spannungen aufder Welt abzubauen, damit wir in Frieden lebenkönnen.as ist heute noch aktuell. Diese Position war umsoichtiger, als im Zeichen der Ost-West-Konfrontationie Spaltung auch durch die sogenannte Dritte Welt undurch Afrika verlief.Unter der Amtsführung von Hans-Jürgenischnewski ab 1966 gelang es schrittweise, das Minis-rium von der Orientierung an der Hallstein-Doktrinnd von der Außenwirtschaftsbindung durch das Wirt-chaftsministerium zu lösen. Erhard Eppler ist schon be-rüßt worden. Ich sage an dieser Stelle: Er hat eine Vor-iterrolle eingenommen. Er hat die Grundbedürfnisseer Menschen in den Mittelpunkt gestellt, die Aspektees Klima- und Umweltschutzes integriert und mehrompetenzen im Entwicklungsministerium gebündelt.eine Arbeit war wegweisend für unsere moderne Ent-icklungspolitik. Ich danke ihm – ich denke, auch in Ih-m Namen – für sein ganz besonderes Engagement.
Egon Bahr hat von 1974 an das Entwicklungsministe-um geleitet und seinen außenpolitischen GrundsatzWandel durch Zusammenarbeit“ auf die Suche nach ei-
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Heidemarie Wieczorek-Zeul
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ner Lösung im sich zuspitzenden Nord-Süd-Konfliktübertragen. Auch ihn grüßen wir und danken ihm fürsein Engagement.
Marie Schlei, die so früh starb, hat 1976 als erste Fraudie Leitung des BMZ übernommen und dabei vor allenDingen den heute noch aktuellen Grundsatz verankert,dass nämlich Entwicklungsprozesse ohne das Engage-ment von Frauen keine Effizienz und keine Wirksamkeithaben. Wir danken ihr dafür sehr.
Die Entwicklungsminister, die folgten, JürgenWarnke von 1982 an und Hans Klein von 1987 bis 1989,hatten mit den Folgen der Weltwirtschaftskrise und demAnwachsen des Marktradikalismus von Weltbank undInternationalem Währungsfonds auch in der Entwick-lungspolitik zu kämpfen, und sie haben sich dem oftauch entgegengestellt.Von 1991 bis 1998 vertrat Carl-Dieter Spranger
die deutsche Entwicklungszusammenarbeit. Er hat dieEntwicklungszusammenarbeit den Ost-West-Beziehun-gen und den Veränderungen nach dem Wegfall derBlockkonfrontation angepasst. Obwohl wir aus unter-schiedlichen Parteien stammen – er aus der CSU, ich binSozialdemokratin –, haben wir auch nach seinem Aus-scheiden aus dem BMZ eine sehr gute Zusammenarbeitpraktiziert. Ich danke ihm ausdrücklich dafür.
Ich bin dankbar, dass ich selbst von 1998 bis 2009,also für elf Jahre, dieses Ministerium leiten durfte. Ichhabe immer auch parteiübergreifende Kooperationen er-lebt. Übrigens kam in der Zeit der rot-grünen Koalitioneine Staatssekretärin im Entwicklungsministerium vomBündnis 90/Die Grünen.Dieses Ministerium ist durch all diese Minister undMinisterinnen gestaltet worden. Die Entwicklungszu-sammenarbeit hat sich als ein lernendes System erwie-sen. Wenn Fehler gemacht worden sind, dann sind sie er-kannt und auch überwunden worden. Jeder und jededieser Minister und Ministerinnen hat eigene Akzentegesetzt. Ich danke Ihnen allen und vor allen Dingen denMitarbeiterinnen und Mitarbeitern des deutschen Ent-wicklungsministeriums sowie all denen – Gewerkschaf-ten, Kirchen –, die sich in diesem Bereich engagieren.Ein herzliches Dankeschön. Sie haben sich für die Ge-rechtigkeit in der Welt engagiert.
Dieses Ministerium ist ein kostbares Gut, das es imSinne des Erhalts von Soft Power entschlossen zu vertei-dgdredvtedwmDueeswsJahnlereElumFDMsAsdGpMsdnunrüdKim
eder, der genauer hinsieht, stellt fest: Sie, der Sie michls Linke Heidemarie Wieczorek-Zeul bezeichnet haben,aben viel mehr meiner Prägung des Entwicklungsmi-isteriums beibehalten, als Sie es offen eingestehen wol-n. Das zeigt sich gerade in den letzten Strategiepapie-n zu den Menschenrechten und zur ländlichenntwicklung.Ich will aber auch sagen: Es gibt falsche Weichenstel-ngen, die an diesem Tag auch angesprochen werdenüssen.Die erste dieser falschen Weichenstellungen ist eineorm der Renationalisierung von Entwicklungspolitik.ie strikte Bindung von zwei Dritteln der deutschenittel für bilaterale Projekte stellt deutsche Außenwirt-chaftsinteressen in den Vordergrund. Das aber ist eineufgabe anderer Ressorts, unter anderem des Wirt-chaftsministeriums. Wer das tut, entleert die Bedeutunges Entwicklungsministeriums.
Der zweite Punkt. In manchen Bereichen drohen dierenzen zwischen Militär- und ziviler Entwicklungs-olitik verwischt zu werden.Dritter Punkt. Als Rainer Offergeld – bis 1982 – nochinister war, betrug der Anteil der Mittel für die deut-che Entwicklungspolitik 0,48 Prozent. Wir waren alsoem 0,7-Prozent-Ziel schon relativ nahe. Herr Ruck, derach mir spricht, und Sie alle wissen: Ich habe immernd immer wieder dafür gekämpft und bin jedem Fi-anzminister – um es höflich auszudrücken – nahege-ckt, dass die Mittel in diesem Bereich aufgestockt wer-en sollten. Und wir haben bis zum Ende der Großenoalition im Jahr 2009 eine Steigerung von 0,26 Prozent Jahr 1998 auf 0,35 Prozent geschafft.
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Heidemarie Wieczorek-Zeul
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Herr Niebel, ich verstehe überhaupt nicht, dass Siedie Vorlage von über 300 Mitgliedern dieses Hauses ausallen Fraktionen – diese haben sehr, sehr deutlich gesagt:Stocken Sie die Mittel im Haushalt deutlich auf – in kei-ner Weise aufgenommen haben. Stattdessen stagnierendie Mittel des Entwicklungshaushalts. Das ist unakzep-tabel, wir dürfen das auch nicht zulassen.
Die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft – ichfreue mich, dass auch die Vertreter der Kirchen hier sind –,mit den Nichtregierungsorganisationen und mit Gewerk-schaften hat für mich immer einen ganz besonderen Stel-lenwert gehabt. Mit ihnen sowie mit fortschrittlichen Re-gierungen zusammen haben wir wichtige Erfolge imHinblick auf die Millenniumsentwicklungsziele erreicht.Dass in Afrika heute über 34 Millionen Kinder mehr indie Schule gehen können, ist ein Erfolg der multilatera-len Entschuldung im Umfang von 125 MilliardenUS-Dollar. Sie wurden zur Bekämpfung von Armut undAids eingesetzt. Des Weiteren wurden sie mit eingesetztzur Bekämpfung von Hunger in dieser Welt. Das sindwichtige Investitionen. Dass 7 Millionen Menschen vordem Aids-Tod gerettet werden konnten, zeigt: Entwick-lung, die auf Partnerschaft setzt, wirkt. Sie muss fortge-setzt werden.
In diesem Zusammenhang sind übrigens die wirklichverheerenden Strukturanpassungsprogramme des IWFüberwunden worden. Wir haben die Weltbank umorien-tiert: weg vom Marktradikalismus der 80er- und 90er-Jahre.Die Millenniumsentwicklungsziele – dass Armut be-kämpft werden muss und dass Frauen gestärkt werdenmüssen – beinhalten acht Regeln für eine im sozialen,wirtschaftlichen und ökologischen Sinn gerechte Gestal-tung der Globalisierung. Aufgaben sind die Bekämpfungvon HIV/Aids durch die Unterstützung des entsprechen-den globalen Fonds, die Verankerung der Kernarbeits-normen der Internationalen Arbeitsorganisation, keineKinderarbeit, keine Zwangsarbeit, die Förderung freierGewerkschaften und die Stärkung der Frauen. Das sinddie Aufgaben der Zukunft, an denen wir festhalten müs-sen.
Ich freue mich im Übrigen, dass es gelungen ist,„weltwärts“ als entwicklungspolitischen Freiwilligen-dienst in Gang zu setzen. Über 10 000 Jugendliche sind„weltwärts“ gegangen und haben einen Beitrag zum Ler-nen, zum Helfen und auch für interkulturelle Zusam-menarbeit geleistet. Ich danke den Jugendlichen, diediese Aufgabe immer wieder übernehmen, ganz beson-ders.bwJewRhuruligdwtiedmmsAsRwaliwzdMsm
Ich möchte im letzten Teil meiner Ausführungen sie-en Herausforderungen nennen, vor denen deutsche Ent-icklungszusammenarbeit in den nächsten Jahren undahrzehnten stehen wird.
Ihnen ist bewusst, Frau Kollegin, dass dafür nur noch
ine sehr begrenzte Zeit zur Verfügung steht?
Ich weiß, aber mein Kollege Sascha Raabe hat ein ge-
isses Maß an Verständnis gezeigt, mir einen Teil seiner
edezeit zu überlassen, wenn es recht ist.
Grandios.
Entschuldigung. Er blickt ganz verständnisvoll. Ichabe also eine Minute mehr Redezeit. Liebe Kolleginnennd Kollegen, ich komme zu den sieben Herausforde-ngen der Entwicklungszusammenarbeit – das ist wirk-ch sehr ernst zu nehmen –:Erstens. Die Schwellenländer, zum Beispiel China,ewinnen ökonomisch und natürlich auch vom Anteiler Bevölkerung her an Bedeutung. Deshalb ist es soichtig, dass es in der Entwicklungspolitik zu keinen na-onalen Alleingängen kommt, sondern dass man sichuropäisch organisiert und einen Beitrag dazu leistet,ass es in der Welt – das ist wichtig – ein Gegengewichtit sozialen und ökologischen Regeln gibt. Deshalbüssen wir die Europäische Union einbeziehen.
Zweitens. Der Kontinent, dem wir in enger Partner-chaft weiterhin eng verbunden bleiben müssen, istfrika. Die Bedeutung des großen Potenzials der Men-chen, aber auch des ökonomischen Potenzials muss imahmen der Zusammenarbeit stärker hervorgehobenerden.Drittens. Der Demokratisierungsprozess in Nord-frika zeigt allen angeblichen Realpolitikern überdeut-ch: Auf Dauer ist eine Gesellschaft nur dann stabil,enn die Menschen die Chancen haben, ihr Leben selbstu bestimmen. Diesen positiven Ansteckungseffekt mussie Entwicklungspolitik unterstützen und voranbringen.
Viertens. Trotz der Zusagen der Industrieländer, mehrittel für die Entwicklungszusammenarbeit bereitzu-tellen, sind hier Haushaltskürzungen geplant. Die Mittelüssen aber aufgestockt werden.
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Heidemarie Wieczorek-Zeul
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Es gibt jetzt einen ersten Einstieg in die Finanztrans-aktionsteuer. Ich werbe dafür, dass die Einnahmen ausdieser Steuer für den Kampf gegen Arbeitslosigkeit, Kli-mawandel und Armut in der Welt eingesetzt werden. Dasist wichtig, damit in diesem Bereich Fortschritte erreichtwerden.
Fünftens. Es gilt, die wachsenden Ungleichheiten inallen Gesellschaften zu bekämpfen, denn sie drohen dasBand der Solidarität zu zerreißen. Die Millenniumsent-wicklungsziele und die Klimaschutzziele müssen überdas Jahr 2015 hinaus aktiv vorangebracht werden.Global Governance wird immer notwendiger, um dieFinanzmärkte zu regulieren und die Globalisierung nichtdem Selbstlauf der Ungerechtigkeit zu überlassen.11,4 Billionen US-Dollar hat die Welt zur Stabilisierungin der Finanzkrise 2008 und 2009 mobilisiert. Wir müs-sen uns gemeinsam dafür engagieren, dass die interna-tionale Gemeinschaft Mittel mobilisiert – das kann auchweniger sein –, um extreme Armut, Hunger, Klimawan-del und Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Das ist dringendnotwendig.
Siebtens.
– Danke für den Hinweis: Sechstens war der Punkt Glo-bal Governance.Siebtens. Gerade deshalb ist die Forderung nach ei-nem „UN-Sicherheitsrat für soziale, wirtschaftliche undökologische Fragen“ besonders aktuell. Wir dürfen denLauf der Welt nicht der ungebremsten Ökonomie undder Gewalt der Finanzmärkte überlassen.Ich zitiere: Die Aufgabe besteht darin, die Menschheitvon Abhängigkeit und Unterdrückung sowie von Hungerund Not zu befreien. Neue Bande müssen geknüpft wer-den, welche die Aussichten auf Frieden, Gerechtigkeitund Solidarität für alle entscheidend verbessern. – Dashat Willy Brandt in seinem Nord-Süd-Bericht 1980 for-muliert. Das ist auch für uns für die Zukunft Auftrag.Vielen Dank.
Ich bin ganz beruhigt, dass sich das zugesagte Einver-
ständnis des Kollegen Raabe mit dem sprichwörtlichen
Wohlwollen des amtierenden Präsidenten aufs Schönste
zusammenfügen lässt. – Ich erteile nun dem Kollegen
Christian Ruck für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
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Ich möchte auch den Millionen von Deutschen dan-en, die mit ihren Spenden die Entwicklungszusammen-rbeit über all die Jahrzehnte unterstützt haben wie keinnderes Volk der Welt. Ich möchte auch den Kollegenus der Politik, den engagierten Ministern und Staats-ekretären, danken. Ich freue mich, dass sie bereits alleamentlich breit gewürdigt wurden, auch diejenigen auseiner Partei, der CSU.
Genau. Sie haben das über viele Jahre gemacht und dientwicklungszusammenarbeit geprägt.Aber ich möchte Sie, Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, einem Punkt korrigieren: Es wäre nicht nötig gewe-en, den Kollegen Niebel ob der einen oder anderen Äu-erung zu kritisieren.
enn ich finde, dass er den Koalitionsvertrag hervorra-end umsetzt,
er sich übrigens nicht fundamental von dem unterschei-et, was wir damals verhandelt haben. Ich hatte die Ehre,eide Koalitionsverträge mitverhandeln zu dürfen undann mich daran erinnern, dass wir damals in Ausfüh-ng des Koalitionsvertrages wesentlich mehr gestrittenaben, als es bei der christlich-liberalen Koalition derall war. So viel zur Wahrheit.Ich möchte mich auch ganz herzlich für die Arbeit dereamten, vor allem des BMZ, bedanken. Auch Ihnenanke ich für eine hervorragende und engagierte Arbeit.Ich möchte mich nicht zuletzt bei meinen Bundes-gskollegen, sowohl den aktuellen als auch den ehema-gen, bedanken. Ich bin seit 20 Jahren Mitglied des Aus-chusses und habe viele Kollegen erlebt. Manchmalurde der Verdacht geäußert, dass manchen Kollegenie Entwicklungspolitik wichtiger war als ihre Parteikar-ere. Viele sind in dieser Aufgabe aufgegangen, und
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Dr. Christian Ruck
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)manche sind auch leider, wenn ich an meinen FreundWerner Schuster denke, untergegangen. Auch allen Kol-legen ein herzliches Dankeschön für ihr engagiertes Auf-treten und ihren engagierten Kampf für die gemeinsameSache!
Die Entwicklungszusammenarbeit hat damals ein hu-manitär deklariertes politisches Mauerblümchendaseingeführt. Die Länderauswahl war vom Ost-West-Konfliktgeprägt. Die Probleme der Entwicklungsländer warenweit weg.Das hat sich in den letzten Jahrzehnten fundamentalgeändert. Die Entwicklungen und Fehlentwicklungen inAsien, Lateinamerika und Afrika berühren uns in Europaund Deutschland inzwischen unmittelbar, sowohl positivals auch negativ: unsere Wirtschaft, unsere Sicherheitund unsere gemeinsamen natürlichen Lebensgrundlagen.Deswegen ist Entwicklungszusammenarbeit inzwischennicht mehr nur eine humanitäre Angelegenheit, sondernauch die notwendige politische Einflussnahme zur Ab-wendung von Gefahren und zum Nutzen von Chancenfür unser Land.Ich kann mich noch gut an die dramatischen Stundenund Tage nach dem 11. September 2001 erinnern, als dieEntwicklungszusammenarbeit plötzlich in einen ganzanderen Fokus geriet, nach dem Motto: Ihr müsst es jetztrichten; ihr müsst das ganz anders angehen, um die Ursa-chen von Terrorismus und Gewalt zu beseitigen. Damitmüssen wir umgehen. Es lastet ein viel größerer Erfolgs-druck auf der Entwicklungspolitik. Wir müssen uns dergewachsenen Verantwortung stellen.Ich möchte ein paar Punkte nennen, die ich für diegroßen Herausforderungen unserer Entwicklungszusam-menarbeit in den nächsten Jahren halte.Erstens. Wir müssen uns – das hat der KollegeLeibrecht schon genannt – zu einer realistischen Selbst-einschätzung durchringen. Wir können Prozesse unterstüt-zen. Aber wir können nicht für schlüsselfertige Länder undKontinente sorgen. Das dürfen wir auch niemandem vor-gaukeln.
Das wäre kontraproduktiv, weil das jede Eigeninitiativeder betreffenden Länder – Eigeninitiative ist der eigentli-che Kern von Entwicklung – töten würde. Wir könnenChancenfenster vorbereiten und nutzen. Aber es handeltsich immer um langfristige Prozesse, die unseres gedul-digen Engagements bedürfen.Zweitens. Angesichts des Elends, der wachsendenUngleichgewichte und der Umweltzerstörung ist es un-strittig, dass wir weitere Ressourcen mobilisieren müs-sen. Wir haben – auch unstrittig – einen großen finan-ziellen Bedarf. Aber ich bin verwundert, wie man ausdenselben statistisch abgesicherten Zeitreihen unter-schiedliche Erbsenzählereien veranstalten kann. IchmAEDDdRadfiARARbwwAtilutepwsApnDtewsdtikwdicridztemKudBn
Drittens. Es ist richtig, dass wir effizienter mit denessourcen umgehen müssen; auch das ist klar. Meinernsicht nach gibt es hier wichtige Schritte in die richtigeichtung. Wir werden die Evaluierungsinstrumente ver-essern. Wir sind einen großen Schritt vorangekommen,enn es darum geht, die Kräfte in unserem Land – Stich-ort TZ – zu bündeln. Aber eine Verbesserung derrbeitsteilung auf nationaler und mehr noch auf interna-onaler Ebene ist eine Daueraufgabe, damit die Entwick-ngszusammenarbeit insgesamt schlagkräftiger wird.Ich glaube, dass wir in den letzten Jahren bei der stra-gischen Auswahl der Länderliste und der Schwer-unkte unter dem Aspekt, was wirklich zu mehr Ent-icklung führt, einen guten Schritt weitergekommenind. Auch hier geht es um das Bündeln, eine bessererbeitsteilung und die Fokussierung auf die Schwer-unkte. Wir haben die Schwerpunkte definiert, die mei-er Ansicht nach entscheidend für Entwicklung sind.as ist nichts Neues. Daran haben wir jahrelang gearbei-t. Dabei geht es um die Bildung, die ländliche Ent-icklung, den Schutz der Umwelt, Gesundheit und wirt-chaftliches Wachstum, aber vor allem auch um – das ister Schlüsselsektor – Good Governance. Ohne den poli-schen Willen zu guter Regierungsführung gibt es ineinem Land eine erfolgreiche Entwicklung.Viertens. Entwicklungspolitik muss daher politischererden. Das ist nicht nur eine Aufgabe des BMZ, son-ern auch eine Aufgabe von Kohärenz in Europa. Wennh sehe, dass Europa zum Teil noch immer auf kleinka-erte Weise mit dem arabischen Frühling umgeht undass vor allem unsere südlichen Nachbarn in Europaum Beispiel beim Export von landwirtschaftlichen Gü-rn nach Europa auf ihren Vorteil bedacht sind, dannuss ich sagen, dass wir in Europa unbedingt auf mehrohärenz drängen müssen,
m schneller und flexibler auf positive Entwicklungen iner Welt – nicht nur in arabischen Ländern, sondern zumeispiel auch an der Elfenbeinküste – einwirken zu kön-en.
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Herr Kollege, schauen Sie bitte auf die Uhr.
Ja, ich versuche den Sinkflug einzuleiten.
Ich beschränke mich auf wenige Schlagworte. Ich
halte zum Beispiel das Konzept der vernetzten Sicher-
heit für ein wichtiges Konzept, innerhalb dessen die
Ausbildung der Armee und der Polizei äußerst wichtig
für die Entwicklungsstrategie ist. Sicherheit ist für mich
ein Schlüssel zur Entwicklung. Das sieht man vor allem
in Afghanistan.
Auch ich bin der Meinung, dass man die Schwellen-
länder stärker einbinden muss. Schließlich müssen wir
den Mut haben, neue Konzeptionen für offene Probleme
zu erarbeiten. Ich denke an Entwicklungen in Afrika, be-
sonders in Nigeria und Angola, die wir nicht tolerieren
können. Reichste Länder schaffen es nicht, trotz ihres
Reichtums eine Entwicklung des Landes herbeizufüh-
ren. Da müssen wir konzeptionell weiterdenken.
Alles in allem können wir sagen: In diesen 50 Jahren
ist in der Entwicklungszusammenarbeit unendlich viel
geleistet worden. Aber die Probleme sind gewachsen,
und sie wachsen weiter. Deswegen sind Entwicklungs-
politik und Entwicklungszusammenarbeit nötiger denn
je.
Heike Hänsel ist die nächste Rednerin für die Frak-
tion Die Linke.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!Man merkt: Viele drängt es, viel zu sagen. Daher findeich es schade, dass ausgerechnet der Herr Minister heutenichts zu 50 Jahren Entwicklungsministerium zu sagenhat und hier nicht spricht.
Ein Tag wie heute ist ein Auftrag, nicht nur zu feiern,sondern auch eine kritische Bilanz zu ziehen, insbeson-dere wenn wir sehen, dass 1 Milliarde Menschen hungertund von Armut betroffen ist.Die Entwicklungspolitik in den 60er-Jahren war vonder beginnenden Entkolonialisierung und der Ost-West-Konfrontation in Zeiten des Kalten Krieges geprägt. Da-durch war auch die deutsche Entwicklungspolitik – bes-ser gesagt: die wirtschaftliche Zusammenarbeit – aufwestdeutsche Interessenpolitik in den Ländern der Drit-ten Welt festgelegt. Man erkaufte sich die ideologischeBzfouhdwasWkrudPtaMsWlimw8nrehdraKlemg–pgndrilulubimz
Die Vision Willy Brandts, dass Entwicklungspolitikie beste Friedenspolitik ist, ist bis heute eine große He-usforderung. Mit der Beteiligung am Afghanistan-rieg – das kann ich der SPD nicht ersparen – hat sichider auch die SPD von dieser Vision weit entfernt.
Es gibt interessante Zitate des ersten Entwicklungs-inisters Walter Scheel – auf ihn berufen auch Sie sicherne, Herr Niebel –, der unter anderem mit dem Spruch ich zitiere – „Entwicklungspolitik ist eine Art Sozial-olitik im weltweiten Ausmaß“ doch andere Vorstellun-en als Sie verdeutlicht hat, Herr Niebel, und der in mei-en Augen weiter war als Sie, weil Sie einmal rechtespektierlich gesagt haben, das Entwicklungsministe-um sei nicht das Weltsozialamt.
Auch in den 90er-Jahren gab es interessante Entwick-ngen mit dem Rio-Prozess und dem Versuch, Entwick-ngs- und Umweltfragen auf die Kommunen herunterzu-rechen sowie eine breite Beteiligung der Bevölkerung Rahmen von Entwicklungspolitik zu organisieren, undwar in den sogenannten Lokale-Agenda-Prozessen. Dies
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Heike Hänsel
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war der Versuch, zu zeigen, dass die Lebensbedingungender Menschen in den Ländern des Südens direkt mit denLebensbedingungen der Menschen in den Ländern desNordens zusammenhängen und dass wir deshalb eineVerantwortung haben, Strukturen sowie den Energie- undRessourcenverbrauch massiv zu verändern, wenn wirwirklich Entwicklung wollen.
Heute, im Jahr 2011, in Zeiten des sogenannten Krie-ges gegen den Terror, der bereits seit zehn Jahren geführtwird und an dem sich auch Deutschland durch Auslands-einsätze der Bundeswehr beteiligt,
wird Entwicklungspolitik im Rahmen der sogenanntenvernetzten Sicherheit Teil der Sicherheitspolitik und da-durch eben missbraucht. Mit der Vision Willy Brandts„Entwicklungspolitik ist Friedenspolitik“, die eigentlichdazu beitragen sollte, Konfliktursachen zu bekämpfen,hat das nichts mehr zu tun. Im Gegenteil: Entwicklungs-politik wird Teil einer Kriegsstrategie, wie wir es in Af-ghanistan erleben. Genau deshalb sind wir gegen dieseForm der zivil-militärischen Zusammenarbeit.
Die neoliberale Globalisierung und die Entfesselungder Finanzmärkte sind mittlerweile auch für die entwi-ckelten Staaten zu einer existenziellen Bedrohung ge-worden und haben die Spielräume von Entwicklungspo-litik erst recht massiv eingeschränkt. Das erleben wirzurzeit. So trägt zum Beispiel die Spekulation mit Nah-rungsmitteln zu Hungerkatastrophen bei und zerstört vielvon dem, was wir durch Entwicklungszusammenarbeiterreicht haben. Die Regierungen schauen nur hilflos zu.Deshalb ist die Forderung nach einer strengen Regulie-rung der Finanzmärkte ganz zentral. Wir fordern das seitJahren.
Die neoliberale Globalisierung hat aber auch weltweit– das ist der Hoffnungsträger – soziale Bewegungen aufden Plan gerufen und linke Regierungen hervorgebracht– zum Beispiel in Lateinamerika –, die sich gegen Aus-beutung, Abhängigkeit und Bevormundung zur Wehrsetzen und sich für neue alternative Entwicklungsmo-delle, eine solidarische Weltwirtschaft sowie eine breitedemokratische Beteiligung der Bevölkerung an Ent-scheidungen einsetzen. So sind zum Beispiel die Verfas-sungen von Venezuela, Bolivien und Ecuador wirklichzukunftsweisend. Genau da könnte deutsche Entwick-lungspolitik ansetzen und solche Prozesse der selbstbe-stimmten Entwicklung stärken.
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Es ist natürlich nicht nur eine Ironie des Schicksals,ass ein FDP-Minister diesem Ministerium heute Be-tand und Stärke verleihen will. Herr Minister, Sie sto-en auf unser absolutes Unverständnis, dass Sie heutengesichts 50 Jahre BMZ nicht die Gelegenheit nutzen,
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Ute Koczy
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an diesem Tag das Wort zu ergreifen und zu uns zu spre-chen.
Ich frage mich, warum das der Fall ist. Liegt es vielleichtdaran, dass ein Erfolg der EZ ausmacht, dass sie auf diesogenannten weichen und zivilen Themen setzt? Denndie Entwicklungszusammenarbeit tritt für internationa-len Ausgleich und Fairness ein. Sie trägt so zum Erhaltdes Friedens bei. Das ist eine Stärke. Demokratie undRechtstaatlichkeit lassen sich nur so entwickeln, auf dasseigenständiges und eigenverantwortliches Handeln mög-lich wird.Lassen wir Wolfgang Gieler sprechen, der das BMZvon 1971 wie folgt beschreibt:Erfolg kann nur eine Entwicklungspolitik haben,die in Zusammenarbeit mit den Entwicklungslän-dern, den anderen Geberländern sowie internationa-len Institutionen und Organisationen den ständigenAusgleich der Interessen aller Beteiligten anstrebt.Sie taugt nicht als Instrument kurzfristiger außen-politischer Erwägungen.
Die EZ arbeitet mit den Menschen vor Ort zusammen.Sie orientiert sich an deren Bedürfnissen und organisiert,wenn es richtig läuft, praktische wirtschaftliche und da-mit handfeste Chancen für die Menschen in diesen Län-dern. Das geschieht zum Beispiel beim Aufbau der Was-serversorgung, bei der Stärkung der Frauenrechte, bei derBildung, bei der Landwirtschaft oder aktuell bei erneuer-baren Energien. Nicht immer gelingt dies. Es brauchtdazu vor allem eines: Zeit.Viele verschiedene Ansätze sind in den letzten50 Jahren erprobt worden. Die deutsche EZ ist mit ihrenDurchführungsorganisationen, allen voran den beidengroßen Organisationen GIZ und KfW, und auch nicht zu-letzt dank einer großartigen und vielfältigen Zivilgesell-schaft professionell geworden. Vielleicht muss sich dieEZ deswegen immer wieder neu hinterfragen. Ange-sichts der krassen Veränderungen in unserer Welt sindkritische Fragen und Analysen äußerst dringend notwen-dig. Wir Grüne wollen, dass sich die EZ erfolgreich undkonstruktiv den heutigen globalen Herausforderungenund Problemen stellt. Da lohnt es sich schon, die An-fänge des Ministeriums einmal genauer unter die Lupezu nehmen, bevor ich meine Anliegen für die Zukunftäußere.Was führte damals zur Entscheidung für ein solchesMinisterium? Deutschland lag nach dem Krieg in Trüm-mern. Die Erfahrungen der Kriege waren traumatisch,die ökonomischen Zerstörungen immens. Damals warDeutschland selbst ein Entwicklungsland. Wir bekamenHilfe. Der Marschallplan war das Rettungsseil, an demman sich heraushangelte. Somit wuchs in Deutschlanddas Gefühl für Verantwortung, für Unterstützung und fürinternationale Zusammenhänge. Aber bitte keine Schön-färberei: Auch damals galt, dass man die eigenen außen-,wdsEmLMdSstegfükliGgBhdURFudhLgsssuWuisaesmdzhvEudd
Liebe Kolleginnen und Kollegen, 50 Jahre EZ sindein Selbstläufer und schon gar keine Selbstverständ-chkeit. Deutschland hat sich aus historischen und gutenründen und mit besonderem Einsatz diesem Politikfeldewidmet. Auch deshalb ist die EZ Teil der Identität derundesrepublik Deutschland geworden. Doch die Weltat sich gewandelt. Andere Länder treten erstarkend aufie Weltbühne. Das alte Europa verliert an Einfluss, dieSA ebenso. Die Machtverhältnisse haben sich längstichtung Süden verschoben. Das muss doch Anlass zuragen sein. Wissen wir genau, was das bedeutet? Sindnsere Reaktionen darauf angemessen? Heute findetoch eher ein Rückzug auf nationale, auf bilaterale Ver-ältnisse statt. Das ist gewiss der falsche Weg. Mit derinie „Bilateral vor multilateral“ landen wir in der Sack-asse. Ich fürchte, dass sich Deutschland so zum Außen-eiter macht.
Wenn Entwicklungspolitik Teil der Zukunft sein will,o muss sie sich an der Gestaltung – ach was, an der Lö-ung der Probleme beteiligen. Klimawandel, Finanz-nd Ernährungskrise, fragile Staatlichkeit, ungerechteelthandelsordnungen und die globale Armut fordernns heraus. Doch die Institutionenwelt, die wir kennen,t nicht auf die Bearbeitung dieser Krisen und Themenusgerichtet. Das internationale System ist zerklüftet, in-ffizient und rückwärtsgewandt. Also dürfen wir nichto weitermachen wie bisher. Die Entwicklungspolitikuss sich hier konstruktiv einmischen. Ziel muss sein,ie weltweite Armut zu bekämpfen, den Klimawandelu stoppen und die Probleme der wachsenden Mensch-eit beim Ressourcenmangel effizient, fair und konflikt-ermeidend zu lösen. Die Entwicklungsdefizite in denntwicklungsländern müssen auf den Tisch. Kritik annserem Lebensstil muss zu Veränderung führen undarf nicht nur diskutiert werden.
Ganz klar: Wir müssen uns wirksam damit auseinan-ersetzen, wie wir die aufklappende soziale Schere inner-
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Ute Koczy
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halb von Entwicklungs-, Schwellen- und Industrielän-dern wieder schließen können. Dafür braucht es sozialeSicherungssysteme, eine intensive Zusammenarbeit mitder Zivilgesellschaft und Konzepte abseits der Ebene vonzweijährigen Regierungsverhandlungen. Letztlich brauchtes eine neuartige globale Entwicklungsarchitektur.Liebe Kolleginnen und Kollegen, 50 Jahre EZ, darinsteckt für viele Menschen viel Herzblut, egal ob im posi-tiven oder im negativen Sinne. Ich will all denjenigen, diesich der Aufgabe der Entwicklungspolitik und dem Zielverschrieben haben, für bessere Verhältnisse zu sorgen,herzlich danken. Wir brauchen die zukunftsfähige deut-sche Entwicklungszusammenarbeit. Die Entwicklungs-zusammenarbeit ist und bleibt ein sinnvoller Bestandteildeutscher Identität.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Das Wort erhält nun die Kollegin Sibylle Pfeiffer für
die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herzlichen Glückwunsch zum 50. Geburtstag, BMZ,möchte man fast sagen; aber im Vorfeld des 14. Novem-ber, des Gründungsdatums, zu gratulieren, bringt Un-glück. Ich möchte dem BMZ eigentlich wünschen, vieleweitere Jahrzehnte als selbstständiges Ministerium, alsder Kanal für die Entwicklungszusammenarbeit, als er-folgreicher Kämpfer gegen Armut, Hunger und Not indieser Welt zu wirken. Deshalb sage ich nicht „Herzli-chen Glückwunsch!“, sondern: Viel Erfolg!
Als 1961 dieses Ministerium gegründet wurde, gab esdafür viele gute Argumente. Man wollte die entwick-lungspolitischen Aktivitäten bündeln. Man stellte fest,dass sich das Außenministerium mit Entwicklungspoli-tik beschäftigte, das Innenministerium usw. Das ist heuteimmer noch oder wieder so, liebe Freunde, auch wennmanches anders ist. Darauf möchte ich gleich zurück-kommen. Es gibt sehr viele Parallelen zwischen der Ge-genwart und 1961 und auch 1962, als im Februar oderMärz, wenn ich mich recht erinnere, der Ausschuss fürwirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ge-gründet wurde. Damals ging es um Themen wie: Wer inwelchem Ministerium hat eigentlich die Federführungbei entwicklungspolitischen Fragen? Wie wird dasGanze finanziert? Wie grenzt man sich von anderen Res-sorts ab? Freunde, da hat sich nicht viel geändert. Darumgeht es heute auch noch. Insofern gibt es sehr wohl Par-allelen. Es stellt sich die Frage, ob wir in diesen 50 Jah-rewsWbuDWnAlimcEvsWsJWwSedsbcwkweEcDnVfä1gPßteTmsreGtr
In den 70er-Jahren wurde dem Thema Frauen eineehr große Bedeutung beigemessen. Dieses Thema ha-en hier zumindest die weiblichen Redner angespro-hen. Wer weiß besser als Deutschland, dass die Ent-icklung eines Landes ohne Frauen nicht passierenann?Deshalb ist es richtig, dass wir Frauen in den Ent-icklungsländern unterstützen, aber nicht nur in ihremigenen Selbstverständnis und nicht nur über das Themampowerment, sondern vor allen Dingen über das einfa-he, aber wirksame Mittel der Klein- und Kleinstkredite.abei haben wir mit den Frauen die allerbesten Ergeb-isse erzielt, weil Frauen die Gelder, die man ihnen zurerfügung stellt, zielorientiert einsetzen. Sie gehen sorg-ltig mit diesen Geldern um und zahlen diese zu fast00 Prozent wieder zurück. Gleichzeitig haben sie Werteeschaffen. Sie haben sich Kühe und Ziegen gekauft,rodukte auf den Markt gebracht und damit einen gro-en Beitrag zum Einkommen der eigenen Familie geleis-t.Die 80er- und 90er-Jahre waren geprägt durch diehemen HIV/Aids, Umwelt, Drogen und Ähnliches.Ich will jetzt nicht zu lange in der Vergangenheit kra-en, weil es ein Zukunftsthema gibt, das mich sehr be-chäftigt, nämlich das Weltbevölkerungswachstum. Be-its 1972 hat der Club of Rome in einem Bericht auf dierenzen des Wachstums hingewiesen und vor unkon-olliertem Bevölkerungswachstum gewarnt. In den Jah-
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Sibylle Pfeiffer
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ren 1974, 1984 und 1994 fanden Weltbevölkerungskon-ferenzen statt.Liebe Freunde, wir haben nicht hingehört. Vielleichthaben wir doch hingehört, aber keine politischen Konse-quenzen daraus gezogen. Wenn wir heute wissen, dassim Oktober der siebenmilliardenste Mensch geborenwird, wenn wir heute wissen, dass die Weltbevölkerungim Jahr 2050 auf bis zu 13 Milliarden Menschen ange-wachsen sein wird, wenn es nicht gelingt, die Geburten-rate signifikant zu senken, dann müssen wir heute daraufreagieren, auch im Sinne unserer Kinder und Kindeskin-der. Wir müssen Wege finden, die Geburtenrate zu sen-ken.Wir müssen uns fragen: Welche Konsequenzen hatdieses Bevölkerungswachstum eigentlich für die Ernäh-rungssituation der Menschen in den Entwicklungslän-dern, dort, wo das Bevölkerungswachstum stattfindet?Was bedeutet es für uns in Deutschland? Wir haben einesinkende Bevölkerungszahl und eine alternde Gesell-schaft. Das gilt im Übrigen auch für die Schwellenlän-der. Was bedeutet das für die Nutzung von Ressourcen?Was bedeutet das für die Wasserversorgung, aber auchfür die Entsorgung?Megacities und Slums und die damit verbundenen ge-sellschaftlichen Probleme sind die Folgen. Die jüngstenEntwicklungen im Norden Afrikas, in Tunesien, inÄgypten und in Algerien, haben auch etwas damit zutun, dass es dort sehr viele junge Menschen gibt, die teil-weise sehr gut ausgebildet sind. Dass sich daraus sozialeSpannungsfelder ergeben, ist doch völlig klar.Wenn ich einmal das Bevölkerungswachstum bis zumJahre 2050 hochrechne, dann weiß ich, vor welchen Pro-blemen meine Enkeltochter im Jahr 2050 stehen wird.Deshalb müssen wir jetzt schon einige Probleme ange-hen. Ich glaube, es ist unsere Aufgabe und vor allen Din-gen unsere Pflicht, darüber nachzudenken, was wir ent-wicklungspolitisch jetzt schon tun können – oder auch„erst“; denn wenn man bedenkt, dass schon im Jahr 1972darüber diskutiert worden ist, dann kann man von „erst“reden –, um mit den Problemen fertig zu werden, die aufuns, auf die internationale Gemeinschaft zukommen.Wir können die Entwicklungsländer damit nicht alleinelassen, weil das Problem auch uns direkt betrifft. Des-halb, liebe Freunde: Lasst uns in Zukunft auch über die-ses Problem und eventuelle Lösungen reden. Das wäremein Wunsch für die Zukunft, auch für das Ministerium.Vielen Dank.
Nun erhält der Kollege Sascha Raabe das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Wir feiern heute ein Jubiläum – 50 Jahre BMZ –, dases nach dem Willen des aktuellen Ministers eigentlichgar nicht gegeben hätte; denn dann würden wir nur4GssliMdnhsd5sMArenhzesmwtimBeinAjeNretegflinvmGWlaFtidD
Ich selbst bin seit knapp zehn Jahren in diesem Be-ich tätig und habe auf vielen Reisen Menschen ken-engelernt, die beispielsweise in Gebieten, in denen frü-er Bürgerkrieg herrschte, versuchen, Täter und Opferusammenzubringen. Daher weiß ich, wie schwer es ist,ine solche Arbeit zu verrichten. Das ist auch emotionalchwierig; denn man trifft dort auf Menschen, deren Fa-ilien ausgelöscht wurden, deren Geschwister verge-altigt wurden und die in einer sehr schwierigen Situa-on leben müssen.Insofern weiß ich, dass wir manchmal auch Instru-ente einsetzen müssen, die eher im psychologischenereich wirken. Hier leistet der Zivile Friedensdienstine ganz hervorragende Arbeit,
dem er mit Psychologen oder zum Teil auf spielerischert, zum Beispiel mit Theatertherapie oder anderen Pro-kten, versucht, den Menschen zu helfen. Herr Ministeriebel, Sie haben ja heute schon zu „50 Jahre BMZ“ ge-det, indem Sie Phoenix kurz vor dieser Debatte ein In-rview gegeben haben. In diesem Interview haben Sieesagt: Ehe ich Tanztherapeuten irgendwohin in die Weltiegen lasse, sorge ich lieber dafür, dass in Unternehmenvestiert wird.Das liegt auf der gleichen Linie wie das Spiegel-Inter-iew, in dem Sie gesagt haben: Die Entwicklungshelferit ihren Alpaka-Pullovern machen da immer nur so einedöns; es geht vielmehr darum, den Menschen mitirtschaft und noch mal Wirtschaft zu helfen. – Ichsse es nicht zu, dass Sie diejenigen, die im Zivilenriedensdienst ihre Arbeit verrichten und dabei trauma-sch verängstigten Menschen helfen – auch mit Mitteln,ie Ihnen nicht gleich einleuchten –, verächtlich machen.iese Menschen leisten eine sehr wichtige Arbeit.
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Dr. Sascha Raabe
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Wir müssen zurückweisen, wie Sie über Entwicklungs-helferinnen und Entwicklungshelfer reden.Ihr Credo, dass „Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft“das Allheilmittel in der Entwicklungszusammenarbeit ist,können wir so nicht teilen. Natürlich hat es wirtschaftli-che Hilfe auch schon unter Heidemarie Wieczorek-Zeulgegeben, die übrigens das Programm Public-Private-Part-nership eingeführt hat, mit dem wir zusammen mit derPrivatwirtschaft entwicklungsfördernde Projekte vor Ortunterstützen.
Aber Wirtschaft alleine kann nicht für Entwicklung sor-gen; denn es kommt immer darauf an, welche Rahmen-bedingungen die Wirtschaft hat und wie sie sozialverant-wortlich abgesichert ist. Deswegen war es so wichtig,dass Heidemarie Wieczorek-Zeul das Ministerium zu ei-nem Ministerium für globale Strukturpolitik gemachthat.Wir erleben doch gerade jetzt wieder, was passiert:Ein Unternehmen wie Nokia wandert erst aus Deutsch-land nach Rumänien ab, weil die Sozialstandards dortniedriger sind und es die Arbeitnehmer dort ausbeutenkann, und dann, wenn diese Standards in Rumänien et-was gestiegen sind, wird die Produktion nach Indien undChina verlagert. Insofern ist das Hohelied auf die Wirt-schaft nicht allein das, was den Menschen nützt.
Wir müssen endlich dafür sorgen, dass die Gewinne derGlobalisierung den Menschen zugutekommen, die sieerarbeitet haben. Deswegen brauchen wir dort Regeln,Herr Minister.
Es wird unsere Aufgabe in den nächsten Jahren imRahmen der Entwicklungszusammenarbeit sein, vor al-lem dafür zu sorgen, dass soziale Standards wie die ILO-Kernarbeitsnormen, selbstverständlich die Menschen-rechte, aber auch gewisse soziale Sicherungssysteme,Mindestlöhne und Umweltstandards auch in Entwick-lungsländern durchgesetzt werden. Das muss man überdas scharfe Schwert der Freihandelsabkommen der Eu-ropäischen Union machen. Es ist ganz wichtig, dass wirda sagen: Nur Länder, die sich diesen Spielregeln unter-werfen, die sich verpflichten, dafür zu sorgen, dass keineKinderarbeit und keine Sklavenarbeit stattfinden undKoalitionsfreiheit herrscht, dürfen mit Europa Handelbetreiben. Das wird unsere große Aufgabe sein. Wirbrauchen hier nicht Liberalisierung, sondern endlich Re-geln für die Menschen, die hart arbeiten und unsere Soli-darität und Unterstützung brauchen.
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Ich weiß, dass es in vergangenen Jahren auch für so-ialdemokratische Entwicklungsminister nicht immericht war, eine ODA-Quote von 0,7 Prozent zu errei-hen.
Ja, es war schwierig, es zu erreichen. – Erhard Epplert damals sogar zurückgetreten, weil ihm der Mittelauf-uchs nicht ausreichte. Wir hatten mit Heidemarieieczorek-Zeul immer eine Ministerin, die gekämpftat wie eine Löwin. Sie hat gesagt: Ich brauche 1 Mil-arde Euro. – Dann waren es am Ende vielleicht nur00 Millionen Euro.
Lieber Herr Kollege.
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Aber was machen Sie, Herr Minister? Sie kämpfen
nicht einmal.
Obwohl es 365 Abgeordnete gibt, die für die Aufsto-
ckung Ihres Haushalts sind, kommen Sie hier mit einem
Haushalt, der einen lächerlichen Aufwuchs zu verzeich-
nen hat. Sie versuchen auch noch, das schönzurechnen.
Sie sagen: In der Finanzplanung hatten wir eine Kürzung
um Hunderte Millionen Euro vorgesehen. Deshalb gebe
es im Haushalt angeblich einen Aufwuchs um 750 Mil-
lionen Euro.
Lieber Herr Kollege.
Tricksen, Täuschen: Das ist, was Sie können, Herr
Minister Niebel. Sie vernebeln, aber Sie helfen den
ärmsten Menschen nicht.
In diesem Sinne hoffe ich für die nächsten 50 Jahre
Entwicklungszusammenarbeit, dass sie spätestens 2013
wieder in verantwortungsvollen Händen liegt, am besten
in sozialdemokratischen Händen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun der Kollege Joachim Günther für
die FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-nen und Kollegen! Meine Vorredner haben bereits deut-lich dargelegt, dass es in den vergangenen 50 Jahren einekontinuierliche Verbesserung in der Entwicklungszu-sammenarbeit Deutschlands gegeben hat. Herr Raabe,bisher waren alle Beiträge relativ sachlich gehalten. Ichweiß nicht, was Ihre letzten Darlegungen sollten.
Ich glaube, wir sollten gemeinsam nach vorne schauenund uns nicht mit solchen Dingen beschäftigen.
Ich bin der Überzeugung, dass es vor 50 Jahren sehrvorausschauend war, ein solches Ministerium zu etablie-ren. Die Initiative ging damals vom Parlament aus. Des-hmbkUDflkhngdfoubkaKmEreMvSsömUteDlazdbCTmdbCszemgDGwfü
Entwicklungspolitik ist heute meines Erachtens glo-ale Zukunftspolitik. Sie trägt im Endeffekt dazu bei, dienappen Ressourcen gerechter zu verteilen und unseremwelt für die nächsten Generationen zu bewahren.urch Entwicklungspolitik sollen wir Krisen und Kon-ikte friedlich bewältigen und die Armut weltweit be-ämpfen. Darüber sind wir uns über die Parteigrenzeninweg eigentlich alle einig. Entwicklungspolitik kannur dann erfolgreich sein, wenn die Wirtschaft, die Zivil-esellschaft und die Politik sich gemeinsam engagieren;enn nur gemeinsam können wir diesen globalen Heraus-rderungen begegnen. Die unterschiedlichsten Kräftenserer Gesellschaft sollten wir dabei integrieren. Dies-ezüglich gebe ich Ihnen recht; das ist ein großes Zu-unftsfeld.Deshalb ist es in der Gegenwart wichtig, dass wir unsuf Schlüsselpositionen konzentrieren und dort unsereräfte bündeln, wo wir am schnellsten zu Erfolgen kom-en können. Ich vertrete die Überzeugung, dass bei derntwicklungspolitik auch unsere Werte und unsere Inte-ssen eine Rolle spielen sollen. Der Mensch steht imittelpunkt der Zusammenarbeit. Das heißt, wir müssenor allem bei der Bildung ansetzen; denn Wissen ist derchlüssel zur Überwindung von Armut, und ohne Wis-en ist Armut nicht zu überwinden. Erst die Bildung er-ffnet den Menschen Chancen, ihr Leben mitzubestim-en und es frei von Not zu gestalten.
ns geht es darum, dass wir unsere Innovationskompe-nzen in andere Länder befördern; denn nicht nur wir ineutschland, sondern auch unsere Partnerländer müssenngfristig denken und planen, um die Zukunft sichernu können.Ich möchte deshalb einige Schlüsselbereiche nebener Bildung ansprechen. Frau Wieczorek-Zeul, Sie ha-en Afrika erwähnt. Afrika ist für uns der Kontinent derhancen und Herausforderungen. Er liegt vor unsererür. Wir müssen durch kluge Zusammenarbeit die Ar-ut senken, das Gesundheitswesen ausbauen und Pro-uktionsmöglichkeiten vor Ort schaffen; denn damit ge-en wir den Menschen in ihren Heimatländern einehance, ihre Zukunft zu gestalten und ihre Existenz zuichern.
Wir müssen in den Entwicklungsländern vor allemukunftsfähige Möglichkeiten zur Energiegewinnungntwickeln und ausbauen; denn erst dadurch wird esöglich, in den Regionen, in denen keine Energieversor-ung vorhanden ist, die Lebensumstände zu verbessern.as ist der Kreislauf „Energie – sauberes Trinkwasser –esundheit“. Das ist für viele Regionen dieser Welt ganzichtig und eine große Chance für uns.Die Innovationspotenziale Deutschlands sollten wirr den Klimaschutz insgesamt nutzen. Das könnte das
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Joachim Günther
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Weltklima beeinflussen. Das nenne ich nur als Stich-wort.Herr Raabe, es ist anders, als Sie es gesagt haben: Wirengagieren uns nicht nur im wirtschaftlichen Bereich,sondern auch in den fragilen Ländern; denn nur wennwir investieren, wenn wir in die Meinungsbildungs- unddie Demokratisierungsprozesse einsteigen, haben wir dieChance, den weltweiten Frieden praktisch zu sichern.
Diese Schlüsselbereiche wählen wir, weil wir in die-sen Bereichen unseren Werten entsprechend arbeitenkönnen. Das sind Bereiche, die auch in unserem eigenenInteresse sind; denn wachsender Wohlstand in den Part-nerländern gewährleistet internationale Stabilität. AlsExportnation brauchen wir die Globalisierung dieserStabilität; denn sie schafft für alle Menschen die Chance,friedlich miteinander auszukommen und im Austauschzu arbeiten. Wenn es aber zum Konflikt zwischen Wer-ten und Interessen kommt – auch das möchte ich deut-lich sagen –, dann stehen die Werte an erster Stelle.Menschenrechte dürfen nicht zur Disposition stehen.
Die Nichtregierungsorganisationen, die Unternehmerund die Privatleute haben viele gute Ideen und eine hoheBereitschaft, sich für eine bessere Welt zu engagieren.Das merken wir tagtäglich auf vielen Veranstaltungen.Ich bin der Überzeugung, dass das BMZ eine Bühne da-für werden sollte. Diese vielfältigen gesellschaftlichenEngagements sollten besser koordiniert und gelenkt wer-den. Aus diesem Grunde finde ich es absolut positiv,dass es endlich gelungen ist, die Vorfeldorganisationenneu zu sortieren und somit ein besseres und einheitlichesErscheinungsbild in der Welt herzustellen.
Moderne Entwicklungsarbeit ist nicht nur, wie man sosagt, das Abspeisen von Armen. Wir haben es in der Re-gel mit intelligenten Menschen zu tun, die das Recht ha-ben, für sich selbst zu sorgen. Unsere Aufgabe ist es, ih-nen die Möglichkeit einzuräumen, durch Bildung undden Aufbau ihrer Strukturen zu diesem Recht zu kom-men.
Bei dieser Gesamtbetrachtung dürfen wir den Klima-wandel nicht aus den Augen verlieren. In diesem Zusam-menhang möchte ich die gegenwärtige Hungersnot nachder Dürreperiode am Horn von Afrika nennen. Das BMZsollte mit unseren Partnern innovative, effiziente undflexible Lösungen für diese Probleme entwickeln undauch andere Zukunftsfragen einbeziehen. Es gilt also,unsere Partner in den Regierungen, der Wirtschaft undder Gesellschaft davon zu überzeugen, dass dies dieWeichenstellung für die Zukunft sein muss.Auf folgende drei Bereiche müssen wir uns konzen-trieren: Chancen auf Arbeitsplätze und damit Einkom-men in den Entwicklungsländern, Chancen auf verläss-liHbevtrENtiBsv5bpzSgmOdhNdluleFdGgbismg„d
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daraus war: Hilfe zur Selbsthilfe ist richtig, funktioniertaber nur, wenn die Entwicklungsländer Mittel an dieHand bekommen, um die Strukturen für Bildung, Ge-sundheit und Ernährung selbst aufzubauen. Das interes-siert diese Regierung aber nicht. Sie hat die Budgethilfe– die einzigen Mittel, über die die Entwicklungsländerrelativ eigenständig verfügen können – zusammengestri-chen.
Ich sage Ihnen, Herr Niebel: Zwingen Sie den Partner-ländern nicht länger Ihre Programme auf. Bauen Siestattdessen die Budgethilfeprogramme aus. SchenkenSie den Entwicklungsländern – Ihren Partnern auf Au-genhöhe, wie Sie immer so schön sagen – Vertrauen.
Mein zweites Beispiel betrifft die Marktöffnungspoli-tik, die diese Bundesregierung betreibt. Das ist auchnichts Neues, sondern bekannt aus den 80er-Jahren unterdem Titel „Strukturanpassungsmaßnahmen“. Diese hat-ten katastrophale Folgen. Die Entwicklungsländer wur-den zur Öffnung ihrer Märkte gezwungen. Sie musstenSubventionen für Lebensmittel streichen, Ausgaben fürBildung und Gesundheit kürzen, und sie mussten privati-sieren. In der Folge vervierfachte sich die Arbeitslosig-keit in Afrika. Der Reallohn fiel um ein Drittel. DieLehre daraus war: Marktöffnung und Privatisierung sindder falsche Weg.
Ich sage Ihnen, Herr Niebel: Hören Sie auf, die Aus-zahlung von Entwicklungsgeldern an den Abschluss vonFreihandelsabkommen, also an Marktöffnungen, zu kop-peln. Das ist Erpressung.
Tragen Sie stattdessen dazu bei, dass die Entwicklungs-länder ihre Märkte durch Zölle schützen. Nur durch zu-sätzliche Zolleinnahmen können die EntwicklungsländerSchulen und Krankenhäuser aufbauen.Entwicklungspolitik muss umfassend sein. Das Han-deln aller Ministerien muss auf die Erreichung entwick-lungspolitischer Ziele ausgerichtet sein.Nehmen wir das Finanzministerium: Das wäre zu-ständig für die Verhinderung von Nahrungsmittelspeku-lationen. Schauen Sie nach Ostafrika. Da sehen Sie, wel-ches Elend hohe Nahrungsmittelpreise verursachen. DieZockerei mit Weizen und Mais treibt die Preise hoch.Nahrungsmittelspekulationen müssen endlich verbotenwerden.
mSHslidtrzEsleDlifünSeKhe„btrHaissssgN
Auch die Kanzlerin ist gefragt. Statt deutsche Pa-ouillenboote an Angola zu verkaufen, sollte sie sich fürivile Aufbauhilfe einsetzen.
s gibt in Afrika keinen einzigen Konflikt, bei dem deut-che Waffen fehlen. Deutsche Waffen morden mit in al-r Welt. Nichts verhindert Entwicklung mehr als Krieg.eshalb brauchen wir das Ende von Waffenexporten.
Die Bundesregierung sollte den heutigen Tag, näm-ch 50 Jahre deutsche Entwicklungszusammenarbeit,r eine Änderung ihres entwicklungspolitischen Kursesutzen; denn sonst werden die schrecklichen Bilder ausomalia, aus Kenia nicht die letzten ihrer Art sein. Gehts weiter wie bisher, wird weiter alle sechs Sekunden einind an Unterernährung sterben. Geht es weiter wie bis-er, wird Jean Ziegler, der ehemalige UN-Sonderbericht-rstatter für das Recht auf Nahrung, mit seinem Satz:Ein Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet“, rechtehalten. Es ist an Ihnen, Herr Niebel, endlich einen Bei-ag zu leisten, dieses Morden zu beenden.Danke.
Das Wort hat nun der Kollege Hartwig Fischer.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!err Movassat, Sie können sich gern meine Homepagenschauen: www.30000-kinder-sterben-taeglich.de. Dast ein Thema, das alle hier im Hause beschäftigt. Ichage Ihnen: Nicht mit ideologischen Schlagwortenchaffen wir Ernährungssicherung,
ondern durch Schwerpunktprogramme wie das Pro-ramm für ländliche Entwicklung, Wasser und Energie.icht mit ideologischen Schlagworten schaffen wir
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Hartwig Fischer
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Selbstverantwortlichkeit und Eigenverantwortlichkeit,sondern durch Schwerpunktprogramme für Bildung undberufliche Bildung.
Nicht mit ideologischen Schlagworten schaffen wirSelbstständigkeit und den Aufbau von kleinen und mitt-leren Unternehmen, sondern durch Schwerpunktpro-gramme zum Beispiel im Bereich der Mikrofinanzenund durch Wirtschaftspartnerschaften. Nicht mit ideolo-gischen Schlagworten schaffen wir eine an den Men-schen orientierte Entwicklungszusammenarbeit. Diesechristlich-liberale Koalition hat die Zusammenarbeitentwicklungspolitisch konditioniert, indem wir einenMenschenrechts-TÜV eingeführt haben und guteRegierungsführung zur Grundlage von entwicklungs-politischer Zusammenarbeit machen. Dabei haben wirauch die Korruptionsbekämpfung im Blick. Nicht mitideologischen Schlagworten, Frau Hänsel und HerrMovassat,
schaffen wir in Bürgerkriegsgebieten und in Kriegsge-bieten Frieden für die Menschen.
Nicht mit ideologischen Schlagworten schaffen wir es,dass das Morden, das Vergewaltigen und das Sterbenvon Kindern beendet werden, sondern durch militärischeund polizeiliche Stabilisierung im Rahmen von UN-Mandaten.Lieber Herr Raabe, mit ideologischen Schlagwortenmachen wir auch keine Haushaltspolitik. Ich erinneredaran – Frau Wieczorek-Zeul hat das sehr selektiv deut-lich gemacht –: Wir haben in der Zeit der rot-grünen Re-gierung Stabilität in den Haushaltsansätzen gehabt. Ja,Sie haben entschuldet, aber wir haben in der Zeit, nach-dem Angela Merkel die Verantwortung als Kanzlerinübernommen hat, den Haushalt von 3,9 Milliarden Euroum über 50 Prozent auf 6,0 Milliarden Euro gesteigert.
Das sollten Sie einmal anerkennen; denn Sie selbst wa-ren in der Großen Koalition daran beteiligt.
Es ist doch vollkommen klar, dass es nicht das Geldallein ist, auch wenn es wichtig ist. – Herr Präsident, ichlasse jetzt keine Zwischenfragen zu. – Vielmehr geht esdarum – das ist der entscheidende Punkt –, die Effizienzder Entwicklungszusammenarbeit zu steigern. Wir ha-ben in dieser Koalition geschafft, was wir in der GroßenKoalition mit Ihnen, Frau Wieczorek-Zeul, nicht hinbe-kommen haben: die Durchführungsorganisationen zu-sammenzuführen und damit eine stärkere Effektivität indie Entwicklungszusammenarbeit zu bringen.dggJsDFWindSwgmGnSKgADinWzlirereuWtednhteadmgridnd
Wenn ich das alles zusammenzähle, komme ich zuem Ergebnis, dass es jetzt eine positive Ausrichtungibt, mit der wir optimistisch in die nächsten 50 Jahreehen können. Ich sage Ihnen: Zum ersten Mal seit zweiahren haben wir die Situation, in der der Begriff „wirt-chaftliche Zusammenarbeit“ einen Namen hat: Vielenank, Dirk Niebel.
Das Wort erhält nun der Kollege Thilo Hoppe für die
raktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!elchen Stellenwert, welches Image, welche Akzeptanz der Bevölkerung Entwicklungszusammenarbeit hat,as hängt – zum Glück nicht allein, aber auch – vomtellenwert des Ministeriums und vom Image des Ent-icklungsministers ab. Wir haben im Laufe der Jahreanz unterschiedliche Charaktere und Typen erlebt. Ichöchte jetzt nicht alle aufzählen, aber aus der langeneschichte des BMZ eine Geschichte herausgreifen, ei-en Konflikt zwischen Erhard Eppler und Helmutchmidt.Bei einem Streit am Kabinettstisch soll Eppler denanzler eindringlich auf negative Auswirkungen eineseplanten Bundestagsbeschlusses auf die Ärmsten derrmen in den Entwicklungsländern hingewiesen haben.araufhin soll der Kanzler Eppler an seinen Amtseid er-nert haben: Du hast doch geschworen, deine Kraft demohle des deutschen Volkes zu widmen, seinen Nutzenu mehren und Schaden von ihm abzuwenden. – Epplereß sich davon nicht beeindrucken. Er verstand sich be-its als Weltinnenpolitiker, als Anwalt der globalen Ge-chtigkeit, auch als Fürsprecher derjenigen, die unterngerechten Verhältnissen massiv leiden. In gewissereise war er ein Exot am Kabinettstisch, ein Außensei-r, ein Mahner, aber eine Stimme, die – ohne eigenstän-iges BMZ, ohne einen eigenständigen Entwicklungsmi-ister mit Kabinettsrang – am Kabinettstisch gefehltätte.Entwicklungsministerinnen und Entwicklungsminis-r der Sorte Eppler gelten als unbequem und streitbar,ls Weltverbesserer, was die einen als positiv ansehen,ie anderen als naiv. Sie geben der Entwicklungszusam-enarbeit insgesamt das Image: Hier geht es um eineute Sache, um Hilfe zur Selbsthilfe, um gelebte Solida-tät.
Man kann manchmal den Eindruck bekommen, dasser jetzige Entwicklungsminister ein solches Image garicht haben möchte, dass es ihm im Kreise von führen-en FDP-Politikern sogar peinlich wäre, als Helfer und
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. September 2011 15511
Thilo Hoppe
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Rächer der Enterbten zu gelten und einem Gutmen-schen- und Gedönsministerium vorzustehen. Deshalbbemüht er sich, immer wieder klarzustellen, dass dasBMZ nicht so etwas wie ein Weltsozialamt sei. Er betontdie wirtschaftliche Zusammenarbeit, die zu Win-win-Si-t
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Pro Euro, den wir in den Entwicklungsländern
investieren, fließen 1,80 Euro in unsere Wirtschaft zu-
rück.
So gewinnt man Akzeptanz in weiten Teilen der FDP
und beim BDI, aber nicht in der breiten Bevölkerung.
Denn sie erwartet gar nicht, dass wir an den Entwick-
lungsländern auch noch verdienen; mehrere Umfragen
haben dies klar bestätigt. Verstehen Sie mich bitte nicht
falsch, auch dieser Entwicklungsminister hat einiges
richtig gemacht – Stichwort GIZ –,
und er betont nicht nur das Business, sondern auch das
Humanitäre und die Menschenrechte. Insgesamt aber
verschiebt die neue Führung die Ziel- und Schwerpunkt-
setzung so sehr in Richtung Wirtschaftsförderung, dass
man eher von einer interessengeleiteten als von einer
wertegeleiteten Entwicklungspolitik sprechen kann.
Diese Entwicklung ist nicht ungefährlich. Denn wenn
es in diese Richtung weitergeht, dann könnte man auf
die Idee kommen, zu fragen: Wozu noch ein BMZ? Das
kann auch gleich die Exportförderabteilung des Wirt-
schaftsministeriums erledigen.
Doch so weit wird es hoffentlich nicht kommen. Viele
gute Leute im BMZ und fraktionsübergreifend auch
viele gute Leute im Ausschuss für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung werden sich dem entge-
genstellen. Außerdem finden in zwei Jahren – spätestens
in zwei Jahren – wieder Bundestagswahlen statt.
Ich danke Ihnen.
Nächster Redner ist der Kollege Helmut Heiderich für
die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! In denletzten 50 Jahren, über die wir heute Morgen schon einegmwbn2rutiQrüLnewmPWJdnwswKrewsWleshSAnAdfusmUDb
Als Beispiel nenne ich das Thema „Ernährung undampf gegen den Hunger“, das zu meinem Aufgabenbe-ich gehört. Im Jahre 2000 haben wir beschlossen: Wirollen die Zahl derjenigen, die von Hunger betroffenind, von 900 Millionen auf 450 Millionen zurückführen.enn Sie dieser Tage aktuelle Berichte lesen, dann stel-n Sie fest, dass es mittlerweile 1 Milliarde Menschenind. Es gibt heute also mehr Betroffene als damals. Wiraben, was die Erreichung dieses Ziels betrifft, keinenchritt nach vorn gemacht. Wir haben nichts erreicht.uch das muss man erwähnen; man sollte nicht einfachur ablesen.Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich bin deruffassung, dass Entwicklungspolitik nicht nur nachem Motto „Viel Geld, viel Ehr’ und viel Fortschritt“nktioniert,
ondern dass man sich bei allem Rosarot auch ein wenigit den Inhalten beschäftigen muss.
m Rupert Neudeck zu zitieren:Die Dürrekatastrophen sind ja keine biblischen Pla-gen. Man kann sie bewältigen.
as muss man angehen.Ich will ein aktuelles Beispiel nennen. Die Israelis ha-en in Kenia von 1995 bis 2000 genau das gemacht, was
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Helmut Heiderich
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man heute bräuchte: Sie haben in einem Trockengebieteine Musterfarm mit einer Größe von 5 000 Hektar auf-gebaut. Dort haben sie mit modernsten Methoden undmit eigens gezüchtetem Saatgut versucht, den Dürren,die es zeitweise gab, zu begegnen und die Ernährungssi-cherung zu gewährleisten. Sie haben das Projekt imJahre 2000 der Universität von Nairobi übergeben. Einhalbes Jahr später war die Vorzeigefarm zugrunde ge-wirtschaftet. Alles, was beweglich war, war verschwun-den und in Privateigentum überführt.
Ganz aktuell – deswegen habe ich dieses Beispiel ge-wählt – ist die Regierung von Kenia dabei, dieses Vorha-ben wiederzubeleben und mit neuen Investitionen genaudas zu machen, was damals leider schiefgegangen ist.Ein Mitarbeiter der Caritas in Uganda hat geschrie-ben: Das Land ist fruchtbar, aber es fehlt eine Strategie.Es fehlt die Investition in eine leistungsfähige Landwirt-schaft. – Einige von uns haben gehört, was der Präsidentdes IFAD vor zwei Tagen im Ausschuss gesagt hat. Erhat deutlich gemacht: Wir – nicht nur wir, die Deut-schen, sondern wir als Industriegesellschaft – haben andieser Stelle in den letzten Jahren gemeinsam versagt.Wir müssen mehr in die Kleinbauern, die weltweit etwa70 Prozent der Landwirte ausmachen, investieren. Aberdiese Investitionen sind nicht im Sinne der Lebenserhal-tung oder in Richtung Subsistenzlandwirtschaft zu täti-gen. Vielmehr müssen wir den Kleinbauern ermögli-chen, für den Markt produktiv zu werden. Wir müssenihnen die Möglichkeit verschaffen, dass sie ihre eigenenProdukte verkaufen können, dass sie Geld verdienenkönnen, dass Entwicklung im ländlichen Raum und Ar-beitsplätze entstehen, sodass wir auf diesem Weg ausdem Dilemma herauskommen, in dem wir noch immerstecken.
Es gibt eine Vielfalt von Argumenten. Aber ob Siebeim Committee for World Food Security nachfragen,ob Sie die Ergebnisse der L’Aquila-Konferenz zitierenoder ob Sie die FAO fragen – überall wird dasselbe Ar-gument angeführt: Wir haben diesen Bereich über Jahr-zehnte hinweg sträflich vernachlässigt, und wir müssenhier dringend einen anderen Weg einschlagen, und zwareinen Weg nach vorne. Deshalb ist es richtig – das sageich noch einmal ausdrücklich in Bezug auf die Debatteüber die Bundesregierung und Herrn Niebel –, dass dieBundesregierung mit dem Koalitionsvertrag einen Kurs-wechsel eingeleitet hat, um das Thema „Ländliche Ent-wicklung“ wieder zu einer Priorität der Politik zu ma-chen.
Ich hoffe, dass Sie alle dies unterstützen werden.
Lassen Sie mich noch kurz etwas zu den Argumentensagen. Es geht um die Frage, wie wir verfahren sollen.IcPmPbnwwdSddawWWswWdlundtedrehbDkwdfeGL
ass wir die einzelnen Schritte überprüfen und dass wirort, wo wir erfolgreich sind, diese Schritte fortsetzen,ber dort, wo wir nicht erfolgreich sind, prüfen, warumir nicht erfolgreich waren und ob wir einen andereneg gehen können. Das heißt aber auch, Frauieczorek-Zeul, dass wir, wenn wir zu keinem gemein-amen Ergebnis kommen, sagen müssen: Hier müssenir unsere Beteiligung beenden.
ir müssen in diesem Hause dann auch den Mut haben,ies gemeinsam zu vertreten.
Herr Kollege!
Meine Redezeit ist beendet.
Ich glaube, wir bewegen uns auch in der Entwick-
ngspolitik auf eine Neuausrichtung zu. Wir sollten
ach den vergangenen 50 Jahren die Gelegenheit nutzen,
ie Neuausrichtung für die nächsten zehn Jahre einzulei-
n. Ich hoffe hierbei auch auf Ihre Unterstützung.
Vielen Dank.
Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist
ie Kollegin Sabine Weiss für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-n! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viel ist heute undier über die Geschichte der Entwicklungszusammenar-eit, über Geld und über Effizienz gesprochen worden.as sind sicherlich wichtige Themen, über die wir dis-utieren müssen. Ich aber möchte die Gelegenheit, dassir uns in einer Kernzeitdebatte befinden, nutzen, umie Entwicklungszusammenarbeit von abstrakten Begrif-n wie multi- oder bilateral herunterzubrechen auf dieeschichte eines Lebens. Ich möchte von dem kurzeneben von Emanuel erzählen.
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Sabine Weiss
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Emanuel wurde am 7. August 2011 mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte geboren, sodass er nicht richtigNahrung aufnehmen konnte. Emanuels Pech war, dass ermit dieser Behinderung nicht in Deutschland geborenwurde, sondern in einem philippinischen Dorf am Randedes Dschungels. So hat Emanuel auch nur bis zum12. September 2011 gelebt. In Deutschland wäre Ema-nuel aufgrund der medizinischen Möglichkeiten nocham Leben.Jeden Tag – das wissen wir Entwicklungspolitiker –sterben 21 000 Kinder an vermeidbaren oder behandel-baren Krankheiten, zum Beispiel an Durchfall oder Lun-genentzündung. Das sind immerhin mehr als 7,5 Millio-nen Kinder im Jahr. Viele sterben, weil sie eben nicht inMünchen oder Düsseldorf, sondern in Mogadischu oderAddis Abeba geboren wurden.Ich habe Emanuel persönlich kennengelernt. Damithat das ansonsten häufig namenlose Leiden von millio-nenfach vermeidbarem Sterben für mich plötzlich einkonkretes Gesicht und einen Namen bekommen. Wiralle sind uns einig: Es ist ein Skandal, dass sich der ver-meidbare und millionenfache Tod von Kindern und Er-wachsenen in den armen Ländern jeden Tag still undleise vollzieht, ohne dass es hier zu einem Aufschrei derEmpörung kommt. Daher möchte ich an dieser Stelleausnahmsweise nicht nur um mehr Geld für die Entwick-lungszusammenarbeit werben, sondern auch um mehrAufmerksamkeit.
Es reicht eben nicht, wenn wir höchstens einmal vor ho-hen Feiertagen oder aktuell bei großen Katastrophen andie Armen dieser Welt und ihr Leid denken und danneinfach wieder zur Tagesordnung übergehen; denn sowerden wir den Menschen nicht gerecht. Daher meinAppell heute an Sie und auch an die Zuschauer draußen:Helfen Sie mit, denen, die wenig Stimme besitzen undderen Leiden sich still und leise vollzieht, Gehör zu ver-schaffen. Es braucht viel mehr Aufmerksamkeit und Be-wusstsein dafür, zu erkennen, dass es in vielen Teilendieser Erde um die Lebensbedingungen vieler Menschennicht gut bestellt ist.Das Parlament ist immer ein Spiegel der Gesellschaft.Öffentliches Bewusstsein und Empörung erhöhen auchden Handlungsdruck auf uns Politiker. Das ist dann so-zusagen der Rückenwind aus der Bevölkerung für unsEntwicklungspolitiker, damit neben all den anderenwichtigen Themen auch die Themen der Entwicklungs-politik den Stellenwert erhalten, den sie angesichts dermassiven Herausforderungen auch verdienen.
Aufmerksamkeit ist die eine Seite der Medaille, mehrGeld ist die andere. Ja, wir brauchen mehr Koordinationzwischen Geberländern und den NGOs. Wir brauchenmehr Effizienz, aber wir brauchen eben auch mehr Geld.AuweVindmga–wbedgWsDwewnumuwNmdzagGdsfü
ber unser Haushalt für wirtschaftliche Zusammenarbeitnd Entwicklung ist mit 6,33 Milliarden Euro im Ent-urf – das können wir nicht übersehen – wieder einmalin Rekordhaushalt.
or dem Hintergrund der angespannten Haushaltslage, der wir uns befinden, der Euro-Krise und der Schul-enbremse ist das zunächst ein Erfolg. Ich bin sicher, dieeisten Kolleginnen und Kollegen würden liebenderne noch mehr Geld für die Entwicklungszusammen-rbeit geben.
Herr Raabe, lassen Sie mich einfach meinen Gedankeneiterführen; dadurch wird Ihre Frage wahrscheinlicheantwortet werden.365 Abgeordnete, also mehr als die Hälfte, haben denntwicklungspolitischen Konsens unterschrieben, undas sicherlich nicht leichtfertig, sondern aus Überzeu-ung.
ir alle wissen, dass derzeit nicht die Zeit der anwach-enden Haushalte ist.
ass der Entwurf für den Entwicklungsetat zunächstieder – im Gegensatz zu fast allen anderen Bereichen –ine Steigerung vorsieht, zeigt doch, welchen Stellen-ert die erfolgreiche deutsche Zusammenarbeit genießt.Wir haben in den letzten 50 Jahren viel erreicht. Den-och wünscht sich mein entwicklungspolitisches Herz,nserem Versprechen schnell und fühlbar näher zu kom-en
nd es vielleicht im Jahr 2015 tatsächlich zu erfüllen. Icheiß, es ist nie genug Geld für alles Erstrebenswerte undotwendige da; aber Geld in der Entwicklungszusam-enarbeit trägt eben auch dazu bei, viel, viel Leid zu lin-ern.Mein Fazit: Ich wünsche mir eine breitere Unterstüt-ung und noch größere finanzielle Anstrengungen, umll die unglaublichen Ungerechtigkeiten noch tatkräfti-er und entschlossener an der Wurzel packen zu können.esteigertes Bewusstsein erhöht den Handlungsdruck inen Ländern weltweit und hier bei uns. Mehr Aufmerk-amkeit erhöht die Zahl der Mitkämpfer. Empörunghrt zu mehr Tatendrang. Von all dem brauchen wir
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Sabine Weiss
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möglichst reichlich, damit der Skandal des millionen-fach vermeidbaren Sterbens endlich ein Ende hat.Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.Beschlüsse oder Überweisungen sind dazu nicht vor-gesehen, sodass wir gleich zum nächsten Tagesord-nungspunkt kommen können.Ich rufe Tagesordnungspunkt 29 auf:Beratung der Großen Anfrage der AbgeordnetenKatrin Göring-Eckardt, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Fritz Kuhn, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENAltersarmut in Deutschland– Drucksachen 17/3139, 17/6317 –Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auchfür diese Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Das istoffenkundig nicht umstritten und damit so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-nächst der Kollegin Katrin Göring-Eckardt für die Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Nachdem kurz vor den Haushaltsberatungen hektisch einRentendialog geschaffen worden ist, debattieren wirheute die ausführliche Große Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen und die Antwort der Bundesregierung.Unsere zweite Frage an die Bundesregierung lautet:Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass Al-tersarmut in den nächsten Jahren zu einem Problemwird bzw. ein Problem bleibt?Darauf antwortet die Bundesregierung:Es gibt bisher keine seriöse Studie, die die zukünf-tige Entwicklung von Personen, deren Gesamtalters-einkommen unterhalb der Grundsicherung liegt,zahlenmäßig verlässlich vorhersagt.Auf die Frage: „Hat die Bundesregierung die Absicht,Studien … in Auftrag zu geben?“ antwortet die Bundes-regierung:Nein, die Bundesregierung hat nicht die Absicht,Studien zum Thema „Entwicklung der Altersar-mut“ in Auftrag zu geben.Wenn dieses „Nein, die Bundesregierung hat nicht dieAbsicht“ ein Nein von Walter Ulbricht wäre, könntenwir uns Hoffnungen machen. Das ist es aber nicht. Dahermüssen wir wahrscheinlich annehmen, dass sich dieBundesregierung mit diesem Thema überhaupt nicht be-schäftigen will.igjevubsgwLmtegugSümedmgswigdWBadszdAtedcnvFisddv
Diese Art von Vogel-Strauß-Politik ist gefährlich. Sienoriert nicht nur, dass mittlerweile jeder achte Rentner,de achte Rentnerin in Deutschland armutsgefährdet ist;or allem verstreicht wertvolle Zeit, die wir bräuchten,m dem Problem zu begegnen und entsprechend vorzu-eugen. Wer das heute ignoriert, der agiert gegen den ge-unden Menschenverstand und gleichzeitig bewusst ge-en die Realität, frei nach dem Motto: Die alten Armenerden schon nicht auf die Straße gehen. – Frau von dereyen, auch wenn Sie es nicht hören wollen: Altersar-ut bekämpft man nicht mit Minimallösungen im Ren-nsystem, die nicht einmal mit dem Finanzminister ab-estimmt sind, und auch nicht mit ein paar Interviewsnd in Talkshows.Armut im Alter ist deswegen besonders schwerwie-end, weil sich die Armen im Alter nicht mehr aus dieserituation befreien, die Armut nicht aus eigener Kraftberwinden können. Wer im Alter arm ist, wird es ver-utlich bis zum Lebensende bleiben. Das war übrigensiner der Gründe für die Einführung der Riester-Rente,ie gerade bei Beziehern kleiner und mittlerer Einkom-en Wirkung zeigt. Aber das reicht eben nicht aus.Natürlich ist Altersarmut in erster Linie auf einen Man-el an Einkommen zurückzuführen. Aber diese eindimen-ionale Betrachtungsweise, die auch in der Handlungs-eise der Bundesregierung zum Ausdruck kommt,noriert die vielfältigen zusätzlichen Benachteiligungener Alten. Die Folgen sind häufig Vereinsamung, schlechteohnsituation, mangelhafte medizinische Versorgung,eschränkung bei Ernährung, Kleidung und Mobilität,lso dem Aktionsradius. Inzwischen wissen wir aus Stu-ien: Es gibt die gefühlte und wohl auch reale Machtlo-igkeit, die eigene Situation zu verändern, Rechte durch-usetzen, auch politisch einzufordern, und nicht zuletztas Gefühl, Bürgerin oder Bürger zweiter Klasse zu sein.lte, die sich gar nicht mehr trauen, ihre Ansprüche gel-nd zu machen, sie laut auszusprechen, befinden sich iner Situation der verdeckten Armut. Das ist ein zusätzli-her Skandal; das ist Folge einer solchen Politik.
Die OECD hat bescheinigt: Deutschland gehört inter-ational zu den Schlusslichtern bei der Alterssicherungon Geringverdienern.
ür 6,5 Millionen Menschen aus dem Niedriglohnbereicht die Altersarmut schon heute vorprogrammiert. Unteriesen 6,5 Millionen Menschen sind vor allem Frauen;enn 69 Prozent der Niedriglöhner sind Frauen.Herbert Rische, der Präsident der Deutschen Renten-ersicherung, stellte diese Woche fest:Klar ist: Wenn jemand sein Leben lang zu geringenLöhnen arbeitet, wird er vermutlich auch im Alterkeine auskömmliche Rente haben.
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Katrin Göring-Eckardt
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So weit, so klar. Er macht aber zusätzlich darauf auf-merksam:Zu den Risikogruppen gehören auch Minijobberund Selbstständige, die nicht vorsorgen.Ich füge hinzu: die nicht vorsorgen können.Die Bundesregierung hat keine Idee, wie man bei denSelbstständigen vorbeugen könnte. Ein Mindestlohnreicht als Vorsorge natürlich nicht aus, aber er wäre zu-mindest ein nicht unwesentlicher Schritt.Es gibt aber vor allem keine Lösungsvorschläge fürdie von Altersarmut bedrohten Langzeitarbeitslosen.Das erste Sparpaket der Bundesregierung hat die Mög-lichkeit genommen, Rentenanwartschaften aufzubauen.Jetzt nimmt die Bundesregierung in der aktiven Arbeits-marktpolitik für die Langzeitarbeitslosen erneut drasti-sche Kürzungen vor: 7,8 Milliarden Euro sollen bei denLangzeitarbeitslosen gespart werden. Das hat nicht nuraktuell Auswirkungen, die schon drastisch genug sind,sondern es hat auch Auswirkungen, wenn die betroffe-nen Menschen ins Rentenalter kommen und dann vonArmut bedroht sind.Dass die Bundesregierung zu den verschiedenenGruppen, von denen wir heute schon wissen, dass sie be-sonders betroffen sein werden, keinerlei Vorschlägemacht, muss einen beunruhigen. Obwohl sie aufgrundihrer lebenslang schlechten Einkommenssituation vomRisiko der Altersarmut besonders betroffen sind, kom-men Menschen mit Behinderung in den Überlegungender Bundesregierung nicht vor. Ihr Anteil ist in den letz-ten Jahren um 11 Prozent gestiegen. Es gibt auch keineVorschläge für Migrantinnen und Migranten. Geht dieBundesregierung davon aus, dass sie das schon inner-halb ihres Familienverbundes regeln werden? Auch fürdie Ostdeutschen gibt es keine Vorschläge. Sie alle wer-den von der Bundesregierung ignoriert.Einen Lösungsvorschlag hat sie, und zwar die Mehr-generationenhäuser. Sie sollen, was die Wohnsituation,Vereinsamung etc. angeht, den armen Alten helfen. Manmuss aber dazusagen: 157 Mehrfamilienhäuser stehen indiesem Herbst vor dem Aus, weil die Förderung aus-läuft. Die einzige Lösungsmöglichkeit, die die Bundes-regierung sieht, steht vor dem Aus. Das nenne ich Vogel-Strauß-Politik. Das nenne ich gefährlich. Diese Politikist alles andere als sozial.Vielen Dank.
Das Wort erhält der Kollege Peter Weiß für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Wer ein Leben lang gearbeitet und für das Alter vorge-
sorgt hat, der soll sich darauf verlassen können, dass er
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Nur 1,8 Prozent derer, die eine volle Rente beziehen,
üssen zurzeit staatliche Unterstützung in Form von
rundsicherung im Alter in Anspruch nehmen. Das ist
in sagenhaft niedriger Wert. Von denjenigen in unserem
and, die über 65 Jahre alt sind, müssen 2,4 Prozent
rundsicherung im Alter beantragen. Interessant ist al-
rdings: Über die Hälfte derer, die Grundsicherung im
lter beantragen, hat nie in eine Rentenversicherung
ingezahlt. Das zeigt: Rente schützt vor Altersarmut.
eswegen müssen wir die gesetzliche Rentenversiche-
ng stärken.
Frau Göring-Eckardt, Sie haben die anderen 50 Pro-
ent angesprochen, die keinen Anspruch gegenüber der
entenversicherung haben. Wir wollen gemeinsam mit
er FDP in dem Rentendialog, den die Bundesministerin
rsula von der Leyen in diesem Herbst eingeleitet hat,
uch darüber sprechen, wie wir die sogenannten Solo-
elbstständigen besser davor schützen können, dass sie
ichts für das Alter tun. Wir müssen sie in die Pflicht
ehmen, damit auch sie, die als Selbstständige ihre Al-
rsvorsorge selber planen können, das in ausreichendem
aße tun, um im Alter nicht auf Grundsicherung ange-
iesen zu sein.
Herr Präsident, ich wollte eigentlich zum nächsten
unkt übergehen, aber Herr Strengmann-Kuhn hat offen-
ichtlich eine Frage zu dem bisher Gesagten.
Offenkundig scheint das Interesse an der Beantwor-ng der Frage mindestens so ausgeprägt zu sein wie aner Frage selbst. Dann will ich dem nicht im Wege ste-en. – Bitte schön.
Die Selbstständigen und insbesondere die Soloselbst-tändigen sind ein wichtiges Thema. Sie haben eben ge-agt, man müsse die gesetzliche Rente stärken. Gilt dasuch für die Selbstständigen? Was meinen Sie dazu, undas meint insbesondere Ihr Koalitionspartner dazu?
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Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
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Wenn die gesetzliche Rente gestärkt werden soll, dannmüssten auch die Selbstständigen in die gesetzliche Ren-tenversicherung einbezogen werden. Gibt es darüber Ei-nigkeit zwischen CDU/CSU und FDP?
Herr Kollege Strengmann-Kuhn, wir stehen am An-fang des Rentendialogs.
Als Experte wissen Sie, welche Vorschläge es gibt. AlsVorbild für alle Selbstständigen könnte die traditionellsehr gute Lösung bei den Handwerkerinnen und Hand-werkern dienen. Diese müssen 18 Jahre in der gesetzli-chen Rentenversicherung bleiben, nachdem sie sichselbstständig gemacht haben. Die entscheidende Frageist: Schaffen wir es, jeden dazu zu verpflichten, für dasAlter vorzusorgen? Niemand darf sich darauf verlassen,notfalls durch die staatliche Grundsicherung aufgefangenzu werden. Ich bin zuversichtlich, dass wir mit Abschlussdes Rentendialogs im Frühjahr kommenden Jahres einLösungskonzept haben, bei dem auch die Selbstständigenmitmachen; darauf kommt es mir an.Obwohl die Grundaussage „Rente schützt vor Alters-armut“ stimmt, stellen sich die Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer die bange Frage: Wird das auch in Zu-kunft so sein? – Es ist bekannt, dass das Rentenniveauinsgesamt sinkt
und dass es immer mehr Menschen gibt, die Unterbre-chungen in ihrer Erwerbsbiografie haben, längere Pha-sen der Arbeitslosigkeit leider erleben mussten oder überlange Zeit im sogenannten Niedriglohnsektor beschäftigtwaren. Deshalb brauchen wir in der gesetzlichen Ren-tenversicherung einen zusätzlichen Mechanismus, dervor Altersarmut schützt.In rot-grüner Regierungsverantwortung sind all dieRentenreformen beschlossen worden, die in den kom-menden Jahren zu einer deutlichen Absenkung des Ren-tenniveaus führen.
Aber eine untere Auffanglinie für Rentnerinnen undRentner ist von Rot-Grün nie in Erwägung gezogen undim Gesetz verankert worden. Ich freue mich über dieGroße Anfrage der Grünen. Aber sie hätten längst zurKenntnis nehmen können, dass es diese Koalition ausCDU/CSU und FDP ist, die in ihre Koalitionsvereinba-rung klar hineingeschrieben hat: Wir wollen eine zusätz-liche Sicherung,
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Ich bedanke mich bei Frau Bundesministerin Ursulaon der Leyen, dass sie den Rentendialog mit einem kon-reten Vorschlag eingeleitet hat; über diesen haben wiru diskutieren. Ihr Vorschlag sieht vor, dass derjenige,er sich keine auskömmliche Rente in seinem Leben er-rbeiten konnte, ab dem Jahr 2013 eine Zuschussrenteeantragen kann, die eine monatliche Rentenzahlung inöhe von 850 Euro garantiert.Es zeigt sich wieder einmal: Während sich die Oppo-ition noch mit dem Was und dem Wie befasst und bean-agt, dass die Bundesregierung zusätzliche Untersu-hungen in Auftrag geben soll, sind wir als Koalitionereits einen Schritt weiter und legen konkrete Vor-chläge auf den Tisch,
us denen hervorgeht, wie in Zukunft zusätzlicherchutz vor Altersarmut geschaffen werden kann.
Ich bin mir sicher, dass wir über einzelne Rahmenbe-ingungen der Vorschläge von Frau Bundesministerinrsula von der Leyen im Rentendialog offen diskutierenerden. Sicherlich sind Alternativen denkbar. Eine Al-rnative ist allerdings für mich nicht denkbar. In der öf-ntlichen Diskussion wird immer wieder die Forderungrhoben, auch denjenigen, die weniger als 30 Beitrags-hre vorweisen können, eine Grundrente zu garantieren.Wer alle Unterschiede im Rentenversicherungssysteminebnet und gleiche Rente für alle fordert, ob sie gear-eitet oder nicht gearbeitet haben, ob sie einbezahlt odericht einbezahlt haben, der festigt nicht das System deresetzlichen Rentenversicherung, sondern er zerstört es Wahrheit. Deswegen werden wir das nicht mitma-hen.
enn die Rente nichts mehr mit Arbeits- und Beitrags-istung zu tun hat, dann wird einerseits das Arbeitenntwertet – der Wert der Arbeit wird nicht gestärkt, son-ern sie wird entwertet –, andererseits ist die Rente keinenerkennung mehr für die Lebensleistung. Warum sollich jemand ein Leben lang anstrengen, wenn im Alterlle gleichbehandelt werden? Der Vorschlag von Frauon der Leyen hat den großen Charme, dass damit zuecht diejenigen, die gearbeitet und sich bei der eigenenlterssicherung angestrengt haben, aber trotzdem nureringe Ansprüche erworben haben, für die lebenslange
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Peter Weiß
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Arbeitsleistung und Vorsorgeleistung wirklich belohntwerden. Darauf kommt es an.
Wer leider nie arbeiten konnte, für den hat die Ren-tenversicherung heute nichts bereit, und sie wird auch inZukunft nichts auszahlen können, weil keine Beiträgegeflossen sind. Aber dafür gibt es die staatliche Grund-sicherung. Frau Kollegin Göring-Eckardt hat die Ar-beitslosengeld-II-Bezieher angesprochen.
In dem Modell, das jetzt vorgelegt worden ist, ist es da-durch, dass Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld IIAnrechnungszeiten in der gesetzlichen Rentenversiche-rung sind, auch für die, die langzeitarbeitslos waren,möglich, die 850-Euro-Rente zu bekommen.
Das ist deutlich mehr als der Betrag, den der Staat früherfür eine Altersrente ausgezahlt hat.
Auch die Debatte über Mindestlöhne – Frau Göring-Eckardt, ich danke Ihnen, dass Sie darauf hingewiesenhaben – hilft uns in diesem Zusammenhang nicht. Selbstein Mindestlohn von mehr als 9 Euro würde nicht zu ei-ner Rente von 850 Euro führen. Das zeigt: Man musszwar die Mindestlohndebatte führen, sie ist aber nichtdazu geeignet, im Zusammenhang mit dem auskömmli-chen Alterseinkommen weiterzuhelfen.
Ein ganz besonderes Augenmerk sollte den Erwerbs-minderungsrentnern gelten, weil mittlerweile 9 Prozentdieser Personengruppe ergänzend auf Grundsicherung– sprich: staatliche Hilfe – angewiesen sind. Deswegenist es richtig, dass Frau von der Leyen vorschlägt, die so-genannte Hinzurechnungszeit um zwei Jahre zu verlän-gern, was insgesamt zu höheren Ansprüchen von Er-werbsminderungsrentnern führen wird. Sicherlichwerden wir im Rentendialog auch über weitere Maßnah-men diskutieren.Es geht bei der Debatte über Altersarmut und im Ren-tendialog in der Tat um Grundsätzliches. Bleibt dieRente Anerkennung für Lebensleistung, oder werdenalle unabhängig von ihrer Arbeitsleistung gleichgestellt?Der Sozialstaat, auf den wir stolz sind, wird nicht sozia-ler, sondern unsozial, wenn immer mehr Menschenunabhängig von ihrer eigenen Leistungsfähigkeit zustaatlichen Fürsorgeempfängern gemacht werden. DerSozialstaat und die sozialen Sicherungssysteme bleibendann sozial und finanzierbar, wenn sie die Leistungsfä-higkeit und Leistungsbereitschaft des Einzelnen fördernund erhalten. Darum geht es uns.Vielen Dank.
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Langzeitarbeitslosigkeit zu tun. Aber wenn wir uns hierdie konkrete Politik der Bundesregierung anschauen,dann stellen wir fest, dass auch da nichts passiert. Einer-seits geschieht im Rentenversicherungssystem nichts.Da haben wir vielmehr die Situation, dass die Beiträgezur Rentenversicherung für SGB-II-Empfänger abge-schafft worden sind. Wir haben andererseits die Situa-tion, dass die gesamte Arbeitsmarktpolitik für Langzeit-arbeitslose kaputtgemacht worden ist. In den nächstenJahren werden im Zusammenhang mit der Arbeitsmarkt-politik 26,5 Milliarden Euro eingespart. Wir haben denSachverhalt, dass Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen abge-schafft werden und dass der Beschäftigungszuschussschon in der Vergangenheit niedergemacht worden ist.Statt Arbeitsgelegenheiten in intensiverer Weise zu nut-zen, passiert auch hier das Gegenteil. Integrationsfirmenbeispielsweise würden vielen Langzeitarbeitslosen hel-fen. Aber von diesen konkreten innovativen Vorschlägenist in der Arbeitsmarktpolitik nichts zu hören.
Dass die SPD gegen prekäre Beschäftigung etwasmacht, haben wir demonstriert. Wir haben zahlreicheGesetzentwürfe in den Bundestag eingebracht. Zuletztam gestrigen Tag haben wir über die Streichung dersachgrundlosen Befristung geredet. Wir haben Gesetz-entwürfe zum Mindestlohn und auch zur Leiharbeit ein-gebracht. Auch werden wir noch Gesetzentwürfe zu dererzwungenen Teilzeitarbeit vorlegen. Dies ist in der gan-zen Debatte ebenfalls ein wichtiges Thema.Wir wissen natürlich, dass wir rentenrechtlich an dieThematik herangehen müssen. Deshalb wollen wir ei-nerseits bei Langzeitarbeitslosigkeit Anrechnungszeitenmit Durchschnittswerten schaffen, die eine verbesserteSituation für Langzeitarbeitslose bieten. Andererseitswollen wir die Rente nach Mindesteinkommen.Meine Damen und Herren der Koalition, da IhreMinisterin es bislang nicht für nötig hielt, die Bundes-tagsfraktionen zum Regierungsdialog einzuladen, könn-ten Sie vielleicht zumindest noch den CDU-Fraktions-vorsitzenden in NRW, Karl-Josef Laumann, und diebayerische Sozialministerin Haderthauer einladen. Beidekönnten Ihnen unseren Ansatz nicht nur erklären, son-dern auch anpreisen. Sie unterstützen ihn nämlich.Nun zum dritten Risikofaktor: Dass Erwerbsminde-rung immer häufiger zu Altersarmut führt, ist mittler-weile unumstritten. Umstritten ist der Lösungsvorschlagvon Schwarz-Gelb. Statt grundlegend etwas am Problemzu ändern, soll die Zurechnungszeit um zwei Jahre ver-längert werden, aber nur parallel zur Anhebung der Re-gelaltersgrenze, also pro Jahr ein Monat.
Das ist sehr dünn.
Ich komme zum letzten Grund, warum nach dem Er-erbsleben das Risiko von Altersarmut hoch ist, näm-ch zur fehlenden obligatorischen Absicherung vonelbstständigen. Wir erfahren aus der Antwort aufrage 25, dass bei älteren Soloselbstständigen das Ar-utsrisiko mit 27 Prozent am höchsten ist – viel höheroch als bei Arbeitslosen. Vorschläge der Bundesregie-ng hierzu: Fehlanzeige. Es gibt nur einige blumigeorte von Herrn Weiß. Sehen Sie denn nicht, was Sieier tun müssen? Die einzige vernehmbare Lösungtammt im Übrigen von der FDP. Selbstständige sollenich verpflichtend privat absichern. Das heißt aber nur,ass sie eine Lebensversicherung oder etwas Ähnlichesaben müssen. Das ist aber eben keine echte Rentenver-icherung. Das sind wieder einmal Sonderrechte für dieigene Klientel. Die SPD will eine Erwerbstätigenver-icherung, eine moderne Sozialversicherung, die unab-ängig von der Art der Arbeit alle Erwerbstätigen um-sst, damit Übergänge einfacher möglich sind.Noch eine kurze Bemerkung zum Regierungsdialog.enn man sich anschaut, was in dem Wolkigen und Un-efähren der Ministerin zum Vorschein kommt, danntellt man fest: Es ist das Festschreiben eines konservati-en Frauen- und Familienbildes. Was ist geplant? Eineuschussrente, die bedeutet, dass sie aktuell den langjäh-g tätigen Vollzeitbeschäftigten überhaupt nichts nutzt.en maximalen Vorteil haben diejenigen, die eineninijob ausüben, auf die Sozialversicherungsfreiheiterzichten und für fünf Jahre einen Riester-Vertrag ab-chließen. Wir müssen uns aber überlegen, welche Aus-irkungen das für Menschen hat, die eine Rente knappberhalb der Grundsicherung beziehen. Wenn man dasmrechnet, bedeutet dies, dass ein Durchschnittsverdie-er knapp 35 Jahre Beiträge entrichten muss, um diesenuschuss zu erhalten. Viele Menschen werden sich zuecht fragen, warum sie sich krummlegen sollen, wenner Rest ihnen vom Staat geschenkt wird.
Liebe Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kom-
en.
Liebe Kolleginnen und Kollegen vom Arbeitnehmer-ügel der CDU/CSU, ich glaube nicht, dass Sie diesentwicklung wollen. Sie ergibt sich aber zwangsläufig,enn die Rentenpolitik nicht mehr auf die Mitte der Ge-ellschaft ausgerichtet ist. In diesem Sinne appelliere ichn Sie: Machen Sie sich in Ihrer Fraktion bemerkbar underhindern Sie solche Regelungen!Vielen Dank.
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Das Wort hat nun Heinrich Kolb für die FDP-Frak-
tion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Kollegin Kramme, bei Ihrer Rede fällt mir spontanWilhelm Busch ein: „Wer durch des Argwohns Brilleschaut, sieht Raupen selbst im Sauerkraut.“
Ich will hier einmal sehr deutlich sagen: Über dasThema Altersarmut diskutieren wir nicht erst seit heute,es ist nicht erst seit heute auf der Agenda. Mit Ausnahmeder Linken haben alle Parteien im Deutschen Bundestagschon einmal Verantwortung getragen, seitdem über die-ses Thema diskutiert wird.
Deswegen nutzt es nichts, Frau Kollegin Göring-Eckardt, hier zu behaupten, es gebe keine Forschungs-aufträge der Bundesregierung. Das mag zwar sein, aberes ist nicht so, dass zu diesem Thema nicht geforschtwürde. Nehmen Sie die DIW-Armutsstudie, an der HerrGrabka mitgearbeitet hat.
– Die Regierung erteilt zwar keine Aufträge, aber eswird doch auf diesem Gebiet geforscht. In der wissen-schaftlichen Landschaft besteht großes Interesse an die-ser Frage. Wer will, kann auch sehen. Das will ich hiersehr deutlich sagen.
Da hier ein Mangel an Konzepten beklagt wird, mussich sagen: Die FDP-Bundestagsfraktion hat in der letztenLegislaturperiode bereits umfassende Antworten vorge-legt, übrigens nicht nur den einen Antrag, der jetzt hierin Rede stand. Wir haben gesagt, wie die Bekämpfungder Altersarmut zielgruppengerecht und nach der Betrof-fenheit erfolgen kann. Wir haben das sehr sauber durch-dekliniert. Ich empfehle Ihnen, das einmal nachzulesen.Es ist hier zu Recht gesagt worden: Im Alter ist es füreigene Anstrengungen zu spät. – Ich unterstreiche das.Deswegen geht die FDP-Bundestagsfraktion von einempräventiven Ansatz aus. Wenn wir nachsorgend kompen-sieren wollen, dann muss der Staat mit Steuermitteln ran.Wir müssen die Menschen ermuntern, mit eigener priva-ter oder betrieblicher Vorsorge
für ein ausreichendes Gesamtalterseinkommen zu sor-gen. – Da schüttelt die Kollegin Ferner den Kopf.WRsVruEzsRsecSaghzdMedBnsre–sScagkeRdweKsP1nsddaste
r hat gesagt, das sei deswegen vertretbar, weil gleich-eitig für private und betriebliche Altersversorgung ver-tärkt geworben werde. Die Einführung der Riester-ente war doch die Reaktion Ihrer Partei darauf. Es isticherlich nur recht und billig, darauf hinzuweisen, dasss darum geht, alle drei Säulen zu stärken: die gesetzli-he Rente – ich sehe sie unverändert als die wichtigsteäule an; das will ich hier gar nicht bestreiten –, aberuch die private und die betriebliche Rente.Das, was die Bundesregierung jetzt in den Dialog ein-ebracht hat, sind Ansätze, die zielführend sind. Ich willier zur Frage der Selbstständigkeit deutlich Stellung be-iehen: Die Selbstständigen sind eine der Gruppen, beienen wirklich Handlungsbedarf besteht. Ja, wir sind dereinung: Es braucht keine Pflichtversicherung, sonderns genügt eine Versicherungspflicht. Jeder Selbststän-ige muss in jedem Jahr seiner Erwerbstätigkeit eineneitrag zu seiner Altersvorsorge leisten, mit dem Ergeb-is, im Alter ein Versorgungsniveau oberhalb der Grund-icherung, zumindest oberhalb der Armutsgrenze zu er-ichen.
Das hängt davon ab, wo eine Versicherung abgeschlos-en wird.
ie haben vorhin gesagt: Da sind private Lebensversi-herungen vollkommen fehl am Platz. Das kann durch-us auch in der gesetzlichen Rentenversicherung erfol-en, in die Selbstständige freiwillig Beiträge einzahlenönnen.Herr Strengmann-Kuhn hat leider nicht gefragt, ob esine Stärkung oder eine Schwächung der gesetzlichenentenversicherung nach sich ziehen würde, wenn manie Selbstständigen einbeziehen würde. Ich warne dairklich vor einfachen Antworten. Wenn Sie sich dasinmal im Detail anschauen, Herr Kollege Strengmann-uhn – ich schätze, Sie haben das schon getan –, dannehen Sie natürlich, dass zum Beispiel Beiträge in derflichtversicherung der Handwerker – sie müssen8 Jahre lang einzahlen – verpflichtend nur im Verhält-is zu einem durchschnittlichen Verdienst zu entrichtenind; man kann freiwillig mehr zahlen. Wenn Sie das än-ern wollen, nach dem Motto „Alle Selbstständigen inie Rentenversicherung“, wobei sich die Beitragshöhenn der Pflichtversicherung der Handwerker ausrichtenollen, dann stellt sich für die vielen anderen Versicher-n die Frage: Warum müssen wir eigentlich verpflich-
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15520 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. September 2011
Dr. Heinrich L. Kolb
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tend bis zur Beitragsbemessungsgrenze Beiträge entrich-ten? Der Teufel steckt also im Detail. Ich warne davor,allzu früh „halleluja!“ zu rufen.Mindestlöhne sind definitiv keine Lösung.
– Frau Ferner, Sie kennen doch die Rentenformel. Mankommt zu diesem Ergebnis, wenn man die entsprechen-den Werte in die Rentenformel einsetzt. Dafür muss mankein Mathematiker sein; Adam Riese zu bemühen, reichtvöllig aus.
Man stellt fest: Mindestlöhne – und schon gar nicht derallgemeine flächendeckende Mindestlohn, der nach allerVoraussicht nicht bei 12 oder 15 Euro, sondern deutlichdarunter liegen würde – führen nicht zum Ziel.
Auch ich bin dafür, dass wir Voraussetzungen für einegute eigene Altersvorsorge schaffen, nämlich dadurch,dass möglichst viele Arbeitsplätze in Deutschland beste-hen. Da sind wir, die schwarz-gelbe Bundesregierung,sehr erfolgreich.
Erwerbsarbeit führt zu eigenen Altersvorsorgebeiträgenund ist allemal besser, Frau Ferner, als wenn Menschenarbeitslos oder gar langzeitarbeitslos sind.
Das sind erste Beiträge zu dieser Diskussion, die wirgerne mit Ihnen führen, weil gerade die FDP-Bundes-tagsfraktion auf dem Gebiet der Altersarmut intensivvorgearbeitet hat. Sie braucht keine Diskussion mit ir-gendjemandem in diesem Hause zu scheuen.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun Matthias W. Birkwald für die Frak-
tion der Linken.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Anfang September hatte die Berli-ner B.Z. über Gerd Legler berichtet. Vorgestern ist er mirauf meinem Weg vom Reichstagsgebäude ins Büro auchbegegnet. Gerd Legler ist 69 Jahre alt. Er ist Rentner,und er tourt als Berlins erste mobile Pfandflaschensta-tion mit seinem Rollstuhl jeden Tag acht Stunden durchsRegierungsviertel, um seine Rente aufzustocken.„bvlansleWtiznMlidadnRbuSsdfasdbpfoirLsdDIh
Pfandflaschen gesucht“, hat er auf ein Schild geschrie-en. Rund 18 Euro am Tag nimmt er mit dem Sammelnon circa 100 Pfandflaschen ein.Gerd Legler ist studierter Maschinenbauer. Er hatnge Jahre als Ingenieur gearbeitet und erhält dennochur 760 Euro Rente. Dies reiche hinten und vorne nicht,agt er, und seinen Kindern wolle er nicht zur Last fal-n. Wie heißt es doch in Art. 1 des Grundgesetzes: „Dieürde des Menschen ist unantastbar.“ Eine Rentenpoli-k, die dafür verantwortlich ist, dass sich alte Menschenum Wühlen in Mülleimern und Flaschencontainern ge-ötigt sehen, verstößt gegen das Gebot der Achtung derenschenwürde. Eine solche Politik nenne ich erbärm-ch.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Linken wollen,ass jede und jeder in Würde leben kann. Das muss fürlle Menschen gelten, für die, die arbeiten, und auch fürie, die, aus welchen Gründen auch immer, nicht odericht mehr arbeiten.
An diesem Würdeprinzip muss sich auch eine guteentenpolitik messen lassen. Doch vor zehn Jahren ha-en SPD und Grüne das Rentenniveau drastisch gesenktnd dafür gesorgt, dass es auch in Zukunft sinken wird.ie haben die private Riester-Rente und ungerechte Ab-chläge bei der Erwerbsminderungsrente eingeführt unden Niedriglohnsektor massiv ausgedehnt. Das alles warlsch, ist falsch und bleibt eine falsche Politik.
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,agen in der Vorbemerkung zu Ihrer Großen Anfrage:Vergangene Rentenreformen haben die Ansprücheder Rentnerinnen und Rentner reduziert, die Real-löhne haben sich schwach entwickelt, die Anzahlder prekären Beschäftigungsverhältnisse und dieSpreizung der Erwerbseinkommen haben zugenom-men.Das ist alles wahr. Zur Wahrheit gehört aber auch,ass Grüne und SPD mit diesem Unsinn begonnen ha-en, CDU und SPD mit der Rente erst ab 67 die renten-olitische Demontage und diese falsche Politik nahtlosrtgesetzt haben und Schwarz-Gelb diesen Weg unbe-rt weitergeht.
Die Folge: Die Rente sichert den einmal erreichtenebensstandard schon längst nicht mehr. Und: Die Rentechützt nicht einmal mehr vor Altersarmut. Damit wer-en viele Alte an den Rand der Gesellschaft gedrängt.as alles war und ist politisch gewollt. Wir Linken sagennen: Das ist ein völlig unhaltbarer Zustand.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. September 2011 15521
Matthias W. Birkwald
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Wer heute in Rente geht, erhält eine immer niedrigereRente aus der gesetzlichen Rentenversicherung – dieHerr Weiß stärken will –, als dies früher üblich war. Daskann bis zu 100 Euro im Monat ausmachen. Aktuell er-halten westdeutsche Neurentner nur noch 808 EuroRente im Durchschnitt.
Bei den Frauen zwischen Aachen und Helmstedt sind esmickrige 494 Euro. Bei den ostdeutschen Neurentnernsind es 785 Euro bei den Männern und nur 666 Euro beiden Frauen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sindRenten, die deutlich unterhalb der Armutsrisikogrenzeliegen. Diese beträgt derzeit 929 Euro für Alleinste-hende. Schauen Sie einmal auf Seite 6 der Antwort derBundesregierung auf die Große Anfrage. Dort finden Siediese Zahl, die sogar von zwei Instituten bestätigt wor-den ist.Meine Damen und Herren von der christlichen Partei,da können Sie auch nachlesen, dass schon heute 15 Pro-zent der Menschen jenseits der 65 von Armut bedrohtsind. Nehmen Sie das einmal zur Kenntnis, und hörenSie endlich auf, zu behaupten, Altersarmut sei heute keinProblem, weil nur 2,4 Prozent der älteren Menschen diesogenannte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbs-minderung in Anspruch nehmen! Diese Art der Schön-färberei ist schlicht und einfach unerhört, Herr Weiß.
Herr Weiß, Sie haben eben gesagt, die Rente würdeheute schon vor Altersarmut schützen. Dazu sage ich Ih-nen jetzt einmal eine Zahl. Zwischen 2003 und 2010 istbei den Grundsicherungsempfängern, bei denen eine Al-tersrente angerechnet wird, eine Steigerung von71,7 Prozent zu verzeichnen gewesen. Das sind113 480 Menschen mehr, bei denen die Rente nicht mehrzum Leben reicht. So sieht es aus.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen feststel-len, dass die Altersarmut wieder in der Mitte der Gesell-schaft angekommen ist, vor allem bei den Ostdeutschenund bei den Frauen. Im Jahr 2003, Herr Weiß, warenknapp 260 000 Betroffene auf die Grundsicherung imAlter angewiesen. Ende 2009 waren es schon fast400 000.
Zwei Drittel davon sind Frauen. Zudem müssen immermehr Alte einen Minijob annehmen, um überhaupt ir-gendwie über die Runden zu kommen. Schon heute ge-hen mehr als 740 000 Menschen im Rentenalter einemMinijob nach. Auch hier sind zwei Drittel davon Frauen.dtesnaszgjozagmdedtepwhmKPHsTfüendhhd
Nein, diesen Eindruck habe ich nicht. Ich danke Ihnenr die Frage, Frau Kollegin. Ich habe die Ministerinben zweimal freundlich gebeten, zuzuhören. Das isticht erfolgt. Bei dem „Regierungsdialog Rente“ sindie Oppositionsparteien bisher gar nicht eingeladen. Daseißt, unsere Meinung scheint die Regierung leider über-aupt nicht zu interessieren. Ich hoffe, das wird noch an-ers.
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15522 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. September 2011
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Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischen-
frage von unserem FDP-Kollegen Kober?
Bitte schön.
Lieber Kollege Birkwald, sind Sie bereit, anzuerken-
nen, dass das Bundesministerium für Arbeit und Sozia-
les an diesem heutigen Tag während dieser Debatte mit
zwei Vertreterinnen bzw. Vertretern anwesend ist,
dem Staatssekretär Hans Joachim Fuchtel und der Bun-
desministerin Dr. Ursula von der Leyen, die weite Teile
der Debatte gemeinsam verfolgen, und dass das eine
Ausnahme ist, womit das Bundesministerium für Arbeit
und Soziales unterstreicht, wie wichtig dieses Thema
ist?
Lieber Herr Kollege Kober, ich bin gerne bereit, Ih-nen zu bestätigen, dass der Herr Kollege Staatssekretäraufmerksam zugehört hat. Wenn aber die Leiterin desHauses, die Ministerin selbst, anwesend ist, dann ist esauch ein Gebot der Höflichkeit, den Oppositionspolitike-rinnen und Oppositionspolitikern zuzuhören. Das aberist auch auf zweimalige freundliche Aufforderung hinnicht erfolgt. Deswegen kann ich Ihnen dies, was dieMinisterin anbelangt, leider nicht bestätigen.
Also noch einmal: Sehr geehrte Frau von der Leyen,Sie haben einen „Regierungsdialog Rente“ ins Leben ge-rufen. Ich sage Ihnen: Die bisher von Ihnen vorgelegtenVorschläge dazu sind wirkungslos und zum Teil sogarkontraproduktiv. Warum? Sie sind wirkungslos, weil Siedie Erwerbsminderungsrente nur an die unsäglicheRente ab 67 anpassen, aber kein bisschen verbessernwollen. Gerade die, die geschuftet haben, bis sie krankwurden, brauchen unsere Unterstützung und dürfen nichtmit Almosen abgespeist oder gar mit Abschlägen be-straft werden.
Ihr Vorschlag, die Hinzuverdienstgrenzen für vorzei-tig in Rente gegangene Ältere zu erweitern, ist kontra-produktiv; denn mit Ihrer Kombirente werden prekäreBeschäftigungen als eine zentrale Ursache der Alters-armut eben nicht bekämpft. Im Gegenteil – Minijobswürden noch weiter hoffähig gemacht. Damit treiben Sieden Kombilöhner in die Kombirente und rufen den ar-men Alten zu: Geht doch arbeiten!
Das ist die zynische Logik, die wir bereits von Hartz IVkennen. Wollen Sie allen Ernstes – wie in den USA –,dTdDte–ÜUsd4pbfatecvcwssmbzbDmFswicBEktiwzkpß
as kann doch wohl nicht wahr sein! Würdevolles Al-rn geht anders, Frau Ministerin.
Herr Lindner, Ihre Beiträge sprechen immer für sich.ber Sie rede ich besser kein Wort, das geht nur zu Ihrenngunsten aus.
Frau Ministerin, die von Ihnen vorgeschlagene Zu-chussrente ist ungerecht. Sie würde nur einem Bruchteiler von Altersarmut Betroffenen zugutekommen.0 Versicherungsjahre und 35 Beitragsjahre und 5 Jahrerivate Vorsorge, das ist für die, die die Zuschussrenterauchen, fast unmöglich. Ihre Zuschussrente geht in dielsche Richtung.Lassen Sie mich Ihnen das an einem Beispiel erläu-rn: Wer heute aus einem Minijob kleine Rentenansprü-he erwerben will, muss aus eigener Tasche die pauschalom Arbeitgeber abgeführten Rentenbeiträge aufsto-ken. Mit Aussicht auf die Zuschussrente könnten dieenigen Minijobberinnen und Minijobber, die das heutechon machen, bald mehr werden. Das wäre aber einechlechte Entwicklung. Denn von den Minijobs kannan weder leben noch anständige Rentenansprüche auf-auen.Wenn wir dabei bedenken – Sie ahnen es schon –, dasswei Drittel all derer, die ausschließlich einen Minijob ha-en, Frauen sind, dann müssen wir eines klar feststellen:ie Zuschussrente wäre nichts weiter als eine Minijobprä-ie für Frauen. Sie würde nämlich das althergebrachteamilienmodell vom männlichen Familienernährer undeiner hinzuverdienenden Ehefrau belohnen. Diese rück-ärtsgewandte Politik gilt es zu verhindern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen aus Union und FDP,h fordere Sie auf: Nehmen Sie wenigstens den von derundesregierung im Juni dieses Jahres veröffentlichtenrsten Gleichstellungsbericht ernst. Dort wird klipp undlar festgestellt, dass sich Minijobs für Frauen „langfris-g … häufig als biografische Sackgasse“ erweisen. Dortird eindeutig gefordert, „alle Erwerbsverhältnisse so-ialversicherungspflichtig zu machen“. Es muss alsoünftig jede Stunde Erwerbsarbeit sozialversicherungs-flichtig werden, vom ersten Euro an. Das wäre ein gro-er Schritt in die richtige Richtung.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. September 2011 15523
Matthias W. Birkwald
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Wenn Sie schon nicht auf die Linke hören und denGleichstellungsbericht Ihres Ministeriums ignorieren,dann hören Sie wenigstens auf den Deutschen Frauenrat,der genau das auch fordert.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Rente muss vorArmut schützen. Aber eine gute Rentenpolitik ist deut-lich mehr als eine reine Armutsvermeidungspolitik. EineRentenpolitik ist nur dann gut, wenn sie dafür sorgt, dassdie Menschen ihren einmal erarbeiteten Lebensstandardauch im Alter halten können. Gute Arbeit – unbefristet,am besten in Vollzeit, keine Leiharbeit, mit guten Löh-nen, von denen man leben kann – ist das Fundament ei-ner guten Rente; das will die Linke.
Wir wollen, dass künftig alle, die ihren Lebensunter-halt, in welcher Form auch immer, mit Arbeit verdienen,in die Rentenkasse einzahlen, also zum Beispiel Ange-stellte, Beamte und Beamtinnen, Freiberuflerinnen undFreiberufler, natürlich auch Selbstständige, Abgeordneteund, ja, auch das, Ministerinnen und Minister – alle! Daswäre solidarisch.
Damit die Rente das einmal im Leben durch gute Ar-beit Erreichte sichert, müssen alle Kürzungsfaktoren ausder Rentenformel gestrichen und die Rente erst ab 67 un-bedingt zurückgenommen werden.
Deswegen brauchen wir dringend einen flächendecken-den gesetzlichen Mindestlohn, natürlich im Osten undWesten in derselben Höhe von 10 Euro in der Stunde.Denn nur wer mindestens 9,98 Euro in der Stunde ver-dient, schafft es, nach 45 Jahren eine Rente oberhalb derheutigen Grundsicherung zu erhalten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zumSchluss. Um Altersarmut wirkungsvoll einzudämmen,muss auch der Solidarausgleich in der Rente gestärkt wer-den. Deshalb müssen erstens die Abschläge bei der Er-werbsminderungsrente zurückgenommen werden, zwei-tens Langzeiterwerbslose in der Rentenversicherungdeutlich besser abgesichert werden, und drittens musseine solidarische Mindestrente eingeführt werden, dieFrauen und Männer in Ost und West wirksam vor Alters-armut schützt, damit auch Herr Legler in Zukunft keinePfandflaschen mehr sammeln muss. Denn die Linke istder Überzeugung: Die Würde des Menschen ist unantast-bar, auch im Alter.Herzlichen Dank.
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anchmal lohnt sich das Zuhören vielleicht auch nicht;s gibt andere wichtige Dinge, die man in der Zeit be-prechen kann.Grundsätzlich richte ich zunächst einmal einen herzli-hen Dank an die Bundesregierung, nicht nur für dieräsenz heute hier, sondern auch für die ausführliche Be-ntwortung der Großen Anfrage. Damit ist sicherlichine gute Grundlage für die weitere Diskussion gegeben.arauf, dass die Ministerin sogar über den Schritt dereantwortung der Fragen hinausgegangen ist, indem sieigene Vorschläge gemacht hat, werde ich später einge-en.
Beim Thema „Rente und Alterssicherung“ haben wiron der Union immer die Leistungen der älteren Genera-on vor Augen. Von dieser Debatte sollte daher das Si-nal ausgehen, dass wir den Rentnerinnen und Rentnernank für ihre Lebensleistung, ihren aufopferungsvolleninsatz für ihr Land und ihre Familie sagen. Das giltanz besonders auch deshalb – dessen bin ich mir als einher jüngerer Kollege natürlich bewusst –, weil dienge Generation in diesem Land bis heute von dieserebensleistung profitiert.
Wenn wir über das Thema Altersarmut sprechen,ann sprechen wir zum einen über die Situation heutend zum anderen über das, was in der Zukunft sein wird.etzteres hängt ja davon ab, welche politischen Kon-epte zum Tragen kommen.Lassen Sie uns zunächst einmal über das Thema „Al-rsarmut heute“ sprechen. Natürlich ist es richtig, dasss um jeden, der von Altersarmut betroffen ist, schadet. Dahinter stecken oft tragische Schicksale, auf jedenall aber immer individuelle Biografien. Manchmalhnt es sich, genau hinzuschauen, wie es dazu kommenonnte, dass ein Mensch durch das sehr dicht gewebteoziale Netz, auch der Rentenversicherung, gefallen ist.
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15524 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. September 2011
Dr. Peter Tauber
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Der Kollege Weiß hat schon darauf hingewiesen, dassdie Hälfte derjenigen, die auf Grundsicherung im Alterangewiesen sind, überhaupt nicht in die Rentenversiche-rung eingezahlt hat.Wir wissen also, dass es Menschen gibt, die tragischeSchicksale erlitten haben und im Alter nicht die entspre-chende soziale Sicherheit vorfinden. Aber – auch das ge-hört zur Wahrheit – das ist die Ausnahme. Der gegen-wärtigen Rentnergeneration, also denjenigen, die heuteüber 65 Jahre sind, geht es so gut wie nie. Das ist diereichste Rentnergeneration, die dieses Land je gesehenhat. Auch das muss man an dieser Stelle einmal sagen.Das liegt an der individuellen Lebensleistung, das liegtaber auch daran, dass wir in der Bundesrepublik ein gu-tes Rentensystem entwickelt haben. Wir dürfen alsonicht vergessen, auf welchem Niveau wir diese Debatteführen.
Auch Im internationalen Vergleich ist Deutschlandhinsichtlich des Rentenniveaus gut aufgestellt. SchauenSie sich einmal das durchschnittliche Renteneinkommenan.
Kaufkraftbereinigt liegen wir in der EU an der Spitze.Österreich, Frankreich, die Niederlande und selbstWohlfahrtsstaaten wie Schweden liegen deutlich hinteruns. Man kann auch einmal den Vergleich zu unseremNachbarland Polen ziehen. Dort liegt die Rentenhöhekaufkraftbereinigt bei nur 40 Prozent des deutschen Ren-tenniveaus. Auch das gehört zur Wahrheit, darauf hinzu-weisen und sich solche Zahlen einmal anzuschauen.Der Kollege Weiß hat dankenswerterweise schon da-rauf hingewiesen, dass in Deutschland 2,4 Prozent derüber 65-Jährigen Leistungen der Grundsicherung im Al-ter beziehen. Die Zahl ist seit 2007 sogar gesunken. Be-trachten Sie daneben einmal die Zahl der Kinder in die-sem Land, die in Armut leben. Das ist die entscheidendeZahl, wenn wir über die Vermeidung von Altersarmut inder Zukunft reden.
Wir müssen uns fragen: Welche Perspektiven geben wirKindern und Jugendlichen in diesem Land? Diesbezüg-lich hat diese Ministerin mit dem Bildungs- und Teilha-bepaket viel auf den Weg gebracht.
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Die Neujustierung des Rentensystems – beginnendei den Entscheidungen von Rot-Grün bis zu dem, wasir in der Großen Koalition auf den Weg gebracht haben –t eine logische Folge des demografischen Wandels.enn es immer mehr ältere Menschen und immer weni-er jüngere Menschen gibt, dann können wir die Sozial-ysteme nicht einfach so fortführen wie bisher. Das istuch unter dem Aspekt Generationengerechtigkeit einanz wichtiger Punkt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Birkwald?
Nein.
Der Kollege Birkwald hat vorhin schon ausgiebig voneinem Recht, dazwischenzurufen, Gebrauch gemacht.
h habe mir schon den „Schweigefuchs“ verkniffen, denan in der Kinder- und Jugendarbeit immer zeigt, wennmand nicht aufmerksam zuhört, sondern dazwischen-ft. Die Zwischenrufe habe ich gehört. Deswegenraucht er jetzt keine Zwischenfrage zu stellen.
Ich habe Ihnen in Demut zugehört.
as ist der feine Unterschied. Ich habe in der heutigenebatte kein einziges Mal dazwischengerufen.
ie rufen ständig dazwischen. Wenn Sie nicht dazwi-chenrufen, sondern aufmerksam zuhören würden, dann
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. September 2011 15525
Dr. Peter Tauber
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bräuchten Sie keine Frage zu stellen. So einfach ist dasmanchmal.
Deshalb der Schweigefuchs, extra für Sie.
Es gibt noch eine Anfrage.
Nein, ich lasse auch keine Zwischenfrage der Kolle-gin Dittrich zu.Wenn wir über die Zukunft reden, lautet die entschei-dende Frage: Was können wir tun, damit Altersarmut indieser Gesellschaft künftig kein Thema mehr ist? Damitsind wir an einem entscheidenden Punkt: Natürlich müs-sen wir denjenigen, die heute arbeiten, und vor allem denKindern und Jugendlichen eine Perspektive geben: Ihnenmüssen Angebote gemacht werden, damit sie eine guteSchulbildung genießen, eine gute Ausbildung machenund eine möglichst ungebrochene Erwerbsbiografie hin-legen können. Das bedeutet nicht, dass wir uns wün-schen, dass jeder in dem Beruf, in dem er in das Er-werbsleben eingestiegen ist, auch aus dem Erwerbslebenausscheidet. Es geht vielmehr um die Anschlussfähig-keit. Die Phasen der Arbeitslosigkeit müssen möglichstkurz sein,
damit eine nahezu vollständige Erwerbsbiografie mög-lich ist und möglichst lang in die Sozialversicherungs-systeme eingezahlt werden kann. Das ist ganz wichtig.Auch das ist ein Beitrag zum Kampf gegen die Altersar-mut.Dafür schaffen wir die Voraussetzungen, indem wirdie Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern; dasElterngeld und der Ausbau der Krippenplätze tragen ih-ren Teil dazu bei.
Am Ende ist das ein wichtiges Signal an die jungenMenschen in diesem Land.Die niedrige Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland– auch das gehört dazu – ist im Vergleich zu anderenLändern in Europa schon heute ein ganz maßgeblicherBeitrag zum Kampf gegen die Altersarmut. Wer heuteArbeit hat, der wird morgen nicht in gleichem Maße vonAltersarmut bedroht sein. Das ist ein ganz wichtiges Si-gnal.
– Auf diesen Zwischenruf möchte ich gerne eingehen:Der Kollege Lehrieder wird Ihnen das mit dem Mindest-lohn und der Grundsicherung noch einmal in RuhedndddEodvvewbduAdssbfüVssliliFDdZdredBdpesAsVD
iese Zahlen zeigen aus meiner Sicht eindrucksvoll,ass die Familie, der Familienverbund eine Form desusammenlebens und eine solidarische Partnerschaft ist,ie vor Altersarmut schützt. Das entspricht auch unse-m Gesellschafts- und Familienmodell und bestätigtieses aus meiner Sicht eindrucksvoll.
Im Rahmen des „Regierungsdialog Rente“ ist dieundesministerin zudem auf die Rentenversicherungen,ie Wohlfahrtsverbände, die Gewerkschaften, die Fach-olitiker und die Arbeitgeber zugegangen. Auch das warin Schritt in die richtige Richtung. Während die Oppo-ition noch ausladend fragt, liefert die Ministerin bereitsntworten. So soll das sein. So erwarten wir das von un-erer Regierung. Vielleicht hören Sie nächstes Mal zu.ielleicht beteiligen Sie sich an der Diskussion.
arüber würden wir uns freuen.Herzlichen Dank.
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15526 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. September 2011
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Das Wort hat nun Angelika Krüger-Leißner für die
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Die Warnungen vor Altersarmut kommen vonallen Seiten. Sie sind unüberhörbar in Deutschland. Zu-letzt kamen sie Anfang des Monats vonseiten derOECD. Diese hat bescheinigt, dass Deutschland im in-ternationalen Vergleich im Hinblick auf die Alterssiche-rung von Geringverdienern zu den Schlusslichtern zählt.Ich sage Ihnen: Das ist eine Schande!
Das bedeutet nämlich, dass auch für Menschen, die ihrLeben lang gearbeitet, aber nur ein geringes Einkommenbezogen haben, das Risiko der Altersarmut besteht.Denn sie erhalten nur eine Minirente, die ein menschen-würdiges Leben im Alter nicht sichert.Auch nach der Auswertung der Antworten der Bun-desregierung zur Großen Anfrage komme ich zu demSchluss: Das sind keine guten Aussichten für den Ruhe-stand der Menschen. Das gilt nicht nur für Einzelne. Dasgilt gleichermaßen für Ost und West. Es gilt gleicherma-ßen für Männer und Frauen, für Jugendliche ebenso wiefür die heute 40- bis 50-Jährigen, für Menschen, die zuNiedriglöhnen beschäftigt sind, für Menschen, die ausunterschiedlichsten Gründen Brüche in ihrer Erwerbs-biografie zu verzeichnen haben, aber genauso auch fürSelbstständige, die nicht in der Lage sind, ausreichendfür das Alter Vorsorge zu tragen, für Menschen, die ausgesundheitlichen Gründen in ihrer Erwerbsfähigkeit ge-mindert und eingeschränkt sind, und für Alleinerzie-hende. Heute Morgen haben mir Künstler in einer Rundegesagt, dass das auch für den Bereich der Kreativen gilt.Viele Menschen in Deutschland sind in Sorge. Sie fra-gen sich: Wie komme ich im Alter über die Runden?Werde ich staatliche Hilfe brauchen oder wird meineRente reichen? – Diese Fragen, Frau Ministerin von derLeyen, beschäftigen die Menschen in Deutschland. Al-tersarmut ist ein zentrales Thema in unserer Gesell-schaft. Die Menschen fürchten sich vor der Zukunft. Siehaben Angst. Sie erwarten von Ihnen eine Rentenreform,die Lösungsvorschläge bezüglich der Frage bietet, wiewir der Zunahme von Altersarmut entgegentreten kön-nen, und zwar wirksam.Aber leider ist das, was ich von der Bundesregierungbisher gehört habe, auch im Rahmen der Beantwortungder Großen Anfrage, höchst unbefriedigend. Dazumöchte ich gern zwei Beispiele nennen.Erstens. Auf die Frage, ob Altersarmut gegenwärtigein Problem ist, antwortet die Bundesregierung – ich zi-tiere –:Nein, Altersarmut ist heute kein verbreitetes Phäno-men. Wer im Alter bedürftig ist, dem sichert dieGrundsicherung im Alter den Lebensunterhalt.MDdZnDd7GiminsSddGseEnnwbsASaumsnsssvOßA
dem Sie gesagt haben: 1,8 Prozent, was ist denn daschon? – Das sind 400 000 Menschen, die ein schwereschicksal haben,
ie in der Regel ein Leben lang gearbeitet haben undennoch nur eine Minirente beziehen.Dabei will ich eines sagen: Es ist gut, dass wir dierundsicherung in Deutschland überhaupt haben;chließlich habe ich daran mitgearbeitet, dass wir sieingeführt haben.
s ist ebenfalls gut, dass die Kommunen dafür auch dasötige Geld haben. Aber wir dürfen uns darauf dochicht ausruhen;
ir müssen handeln.Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen, dass dereste Schutz vor Altersarmut stabile Erwerbsbiografienind. Das wissen wir auf allen Seiten im Hause.
us diesem Grunde kommen wir nicht darum herum, dieituation für die Menschen, die im Niedriglohnbereichrbeiten, zu verbessern. Dafür gibt es nur einen Weg,nd zwar die Einführung eines Mindestlohns. Sie kom-en nicht darum herum.Genau diese Voraussetzungen, die gegeben sein müs-en, damit Altersarmut nicht entsteht, sind seit langemicht mehr erfüllt. Die Versicherungsverläufe im Westenind schon seit den 70er-Jahren nicht mehr stabil, weilich die Arbeitsmarktlage in Richtung Langzeitarbeitslo-igkeit zu verändern begonnen hatte. Nach der Wieder-ereinigung und dem Zusammenbruch der Wirtschaft imsten gab es eine Arbeitsmarktkrise ungeahnten Ausma-es mit letztendlich gravierenden Auswirkungen auf dielterssicherung der Menschen. Beides, die Entwicklung
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. September 2011 15527
Angelika Krüger-Leißner
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im Westen wie die Entwicklung im Osten, hat starkeSpuren in den Erwerbsbiografien hinterlassen. Die Aus-wirkungen des demografischen Wandels kommen nochdazu; leider habe ich zu wenig Zeit, darüber zu reden.Alles spricht aber dafür, dass bei den Problemen, die wirlösen müssen, Altersarmut zukünftig eine immer größereRolle spielen wird.
Hier vermisse ich Ihre Konzepte.Wenn ich gerade von Konzepten spreche, möchte ichals zweites Beispiel die kürzlich von Ihnen, Frau von derLeyen, entwickelte Idee einer Zuschussrente ansprechen.Ich habe gehofft, dass die Bundesregierung endlich auf-wacht und mit dem „Regierungsdialog Rente“ einegrundlegende Reform beginnt, um Altersarmut entge-genzuwirken. Aber vielleicht war das gerade schon derkleine Regierungsdialog, den wir hier gerade beobachtethaben.Ich habe mich getäuscht. Nach Ihren Vorstellungen,Frau von der Leyen, soll unter bestimmten Vorausset-zungen eine Aufstockung von kleinen Renten auf850 Euro erfolgen. Lücken sollen also geschlossen wer-den. Was bei Ihnen so schön klingt, ist leider nicht zuEnde gedacht; denn viele Bedürftige werden außen vorgelassen. Diese Ankündigung erinnert mich fatal an dieAnkündigung der Bildungs-Chipkarte. Diese Idee istzerplatzt wie eine Seifenblase.
Ich fürchte, so wird es auch mit der von Ihnen angespro-chenen Zuschussrente sein.Ich will Ihnen das gerne begründen: Mit Ihrem eige-nen Koalitionspartner, der FDP, war Ihr Vorgehen offen-bar überhaupt nicht abgestimmt. Die Kolleginnen undKollegen der FDP fielen im wahrsten Sinne des Wortesaus allen Wolken, als sie morgens die Zeitung aufschlu-gen. Als Beleg dafür möchte ich die Aussagen einer Kol-legin zitieren. Frau Dr. Winterstein hat unmittelbar nachdem Bekanntwerden der Idee einer Zuschussrente am8. September 2011 hier im Plenum erklärt – ich zitiere –:Ich denke, man muss über die entsprechenden Vor-schläge noch ausführlich diskutieren und die De-tails klären. …
– Jetzt kommt der wichtigste Satz!Bei alldem muss man natürlich im Auge haben,dass Verbesserungen bei Sozialleistungen immerdas Problem mit sich bringen, dass sie Geld kosten.
Das ist doch fast eine klare Absage von Ihrer Haushälte-rin.
MsDdDwnUSlipelaSSngaVBwsAdwIcugdm
afür haben wir genügend Beispiele erfahren. Die Aus-irkungen dieser Idee auf den Haushalt sind ja nochicht einmal durchgerechnet, geschweige denn, dass ihremsetzung ab dem Jahr 2013 finanziert wäre.Ich kann nur sagen: Das ist – wie auch an anderentellen – purer Aktionismus und sozial unverantwort-ch. Deshalb fordere ich Sie auf: Beenden Sie dieseslanlose Agieren, nehmen Sie die Warnung der OECDrnst, packen Sie das Thema „Altersarmut in Deutsch-nd“ endlich an, hören Sie auf die Gewerkschaften, dieozialverbände und die Kirchen.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Legen Sie ein grundlegendes Konzept vor. Das, was
ie bisher zeigen, ist ein sozialpolitisches Armutszeug-
is.
Danke.
Das Wort hat nun Pascal Kober für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichlaube, wenn wir uns als Politik mit dem Thema Alters-rmut beschäftigen, dann tun wir das in einer dreifachenerantwortung. Zunächst einmal, lieber Matthiasirkwald – das ist überhaupt gar keine Frage –, habenir eine Verantwortung gegenüber denjenigen Men-chen, die geringe Einkünfte im Alter haben.
ber wir alle hier haben in unseren Reden betont, dassas höchste Risiko für Altersarmut unterbrochene Er-erbsbiografien sind.
h bitte Sie, anzuerkennen, dass diese Bundesregierungnd die sie tragende Regierungskoalition vor allen Din-en einen präventiven Ansatz wählen, weil das Problemer Altersarmut mit Blick auf die Zukunft gelöst werdenuss. Ich bitte Sie, anzuerkennen, dass seit langer Zeit
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15528 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. September 2011
Pascal Kober
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keine Bundesregierung in der Arbeitsmarktpolitik so er-folgreich war wie diese Bundesregierung.
28,4 Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeits-plätze – das kann sich sehen lassen.
Wir haben jetzt beispielsweise auch eine Pflegere-form in Angriff genommen
– Sie können mir ja eine Zwischenfrage stellen –; dennwir wissen, dass Pflegezeiten auch eine Ursache für un-terbrochene Erwerbsbiografien sind.Ich bin meinem jüngeren Kollegen Tauber durchausdankbar, dass er an die zweite Verantwortung, die wirhaben, erinnert hat: die Verantwortung gegenüber künfti-gen Generationen. Ich denke, allen hier im Saal – bis aufden Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei – istklar, dass wir nicht ewig an der Sozialversicherungs-schraube drehen können, weil höhere Sozialversiche-rungsbeiträge wie zum Beispiel höhere Rentenversiche-rungsbeiträge langfristig zu einer Verschärfung desProblems der Altersarmut führen würden; denn siebrächten zwangsläufig Arbeitsplatzabbau und damit un-terbrochene Erwerbsbiografien mit sich.
Wir können auch nicht ewig an der Steuerschraube dre-hen oder die Zuschüsse an die Rentenversicherung erhö-hen; denn auch das belastet künftige Generationen undnimmt ihnen die Chancen.
Ich möchte auch an die dritte Verantwortung, die wirbei so einem sensiblen Thema wie der Altersarmut ha-ben, erinnern: die Verantwortung gegenüber der Wahr-haftigkeit, der Ernsthaftigkeit und der Glaubwürdigkeitvon Politik.
Ich glaube, das sehe ich nicht allein so.
Wir alle sollten zugeben, dass es auf diese Frage keineeinfachen Antworten gibt. Ich habe mit Freude vernom-men, dass der von Ihnen propagierte Mindestlohn von8,50 Euro, Frau Göring-Eckardt, auf den Sie heute hin-gaIcreMnvmDkIcMBteNbhesMsTAgbsvra
h bitte Sie, wenigstens so ehrlich zu sein, dass Sie Ih-r eigenen Fraktion im Deutschen Bundestag und denenschen, die dieser Debatte folgen, einmal vorrech-en, wie viel für die Menschen bei einem Mindestlohnon 8,50 Euro, effektiv zur Verhinderung von Altersar-ut herauskommt.
as lassen Sie ganz gezielt verschleiert und im Halbdun-eln.
h rufe Sie dazu auf: Beziffern Sie, was Sie mit einemindestlohn von 8,50 Euro erreichen wollen! Kollegeirkwald hat Ihnen ja vorgerechnet, dass man mindes-ns einen Stundenlohn von 10 Euro bräuchte, um dasiveau der Grundsicherung zu erreichen.
Frau Göring-Eckardt, Sie haben in der heutigen De-atte wie auch in der Debatte zur Einbringung des Haus-alts des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialesine Fülle von Fragestellungen benannt, von der Wohn-ituation von Älteren bis zur Situation von Älteren mitigrationshintergrund. Sie haben Fragen gestellt unduggeriert, die Bundesregierung würde sich um diesehemen nicht ausreichend kümmern.
ber Sie haben null Komma null Antworten und Lösun-en skizziert. Nichts haben Sie zur Lösung dieser Pro-leme beigetragen.
Jetzt beginnt der Rentendialog. Eigentlich sollten Sieich konstruktiv daran beteiligen und Ihre Vorschlägeortragen. Dass Sie einfach nur kritisieren, ist mir, ge-de als Vertreter der jüngeren Generation, zu wenig.
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Pascal Kober
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Das möchte ich im Hinblick auf die Verantwortung unddie Glaubwürdigkeit der Politik betonen.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Wolfgang Strengmann-Kuhn für dieFraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ganz kurz zu Herrn Kober. Wir haben in unserer GroßenAnfrage unter anderem nach zielgruppenspezifischenMaßnahmen gefragt. Wir wollten wissen, ob die Bun-desregierung Antworten auf diese Fragen hat.
Von der Bundesregierung, die auch beim Regierungsdia-log gefordert ist, kam immer nur die Antwort: Nein, wirplanen keine speziellen Maßnahmen für spezielle Grup-pen.
Das ist daneben. Wir brauchen neben den allgemeinenMaßnahmen auch zielgruppenspezifische Maßnahmen.
Nun zu dem, was ich eigentlich sagen wollte. Es gehtbei diesem Thema nicht nur um Altersarmut. Das Pro-blem ist weitaus größer. Es geht um die Akzeptanz derRentenversicherung insgesamt; der Kollege Weiß hatdas schon angedeutet. Der Beitragssatz zur Rentenversi-cherung beträgt etwa 20 Prozent. Wegen der Riester-Rente kommen für viele Menschen weitere 4 Prozentobendrauf. Das heißt, ein Viertel des Einkommens vielerMenschen fließt in die Rentenkasse. Wenn es uns nichtgelingt, dafür zu sorgen, dass die Rente vor Armutschützt, dann haben wir ein großes Problem: Die Men-schen stellen die gesetzliche Rentenversicherung in-frage. Auf diese Herausforderungen müssen wir drin-gendst reagieren.
Wenn der Kollege Kolb sagt: „Wir brauchen einenpräventiven Ansatz“, dann ist das völlig richtig.
Wir brauchen auch eine präventive Rentenpolitik. Wirwollen hier in Richtung einer Bürgerversicherung gehen,weil wir mittelfristig eine Rentenversicherung brauchen,inhDtagdndMasabeinhssmlabliAnvDlepDdknnDtiHeüd
adurch würden Lücken in den Versicherungsbiografientsächlich geschlossen.Es müssen auch deshalb Beiträge auf alle Einkommenezahlt werden, damit wir eine nachhaltige Finanzierunger Rentenversicherung gewährleisten können. Das isticht von heute auf morgen zu erreichen. Außerdem hatiese Maßnahme nur langfristige Wirkungen. Präventiveaßnahmen wirken ja insgesamt nur langfristig; das istber auch gut so. Dafür muss man, wie gesagt, unbedingtorgen. Hierfür sind die Vorschläge der Bundesregierungllerdings zu schwach.Wir brauchen aber auch kurzfristige Lösungen. Ichin dem Kollegen Matthias Birkwald sehr dankbar, dassr an einem Einzelbeispiel, aber auch an den Zahlen, die der Großen Anfrage zu finden sind, deutlich gemachtat: Es gibt heute schon Altersarmut. Davon betroffenind nicht nur die 440 000 Menschen, die in der Grund-icherung sind. Wenn man sich die Zahlen zum Altersar-utsrisiko ansieht, dann stellt man fest, dass in Deutsch-nd 2,4 Millionen Menschen leben, die ein Einkommeneziehen, das unterhalb der Altersarmutsrisikogrenzeegt. Diese Grenze ist nicht sehr hoch. Sie liegt für einenlleinstehenden bei 929 Euro, für einen Paarhaushalt beiur 1 400 Euro, das heißt bei 700 Euro pro Person. Da-on müssen in Paarhaushalten 1 Million Menschen ineutschland leben, Herr Tauber, und allein 1 Million al-instehende Frauen bekommen weniger als 929 Euroro Monat.
ieser Betrag ist nicht sehr weit von den 850 Euro, dieie Ministerin gefordert hat, entfernt.Nun freue ich mich, dass sich alle Parteien, was dieurzfristigen Maßnahmen betrifft, unserer Forderungach einer Garantierente langsam annähern, wenn auchur schrittweise.
ie Linke fordert mittlerweile eine bedürftigkeitsorien-erte Mindestrente; diese ist allerdings eher ein besseresartz IV.
Herr Gabriel hat in der Sommerpause öfter mal voniner Sockelrente geredet. Dazu habe ich von der SPDberhaupt noch nichts gehört. Sie sind hier sehr vage.Bisher gibt es die Forderung der Linken und der SPD,ie Rente nach Mindesteinkommen wieder einzuführen.
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15530 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. September 2011
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
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Das halten wir für falsch, weil sie in der Tat nicht sehrzielgenau ist. Hier teilen wir die Position der Bundes-regierung. Ein Experte hat in der Ausschussanhörunggesagt, das sei vergleichbar mit einer Schrotflinte, alsonicht zielgenau.Im Gegensatz dazu ist die Zuschussrente, die dieMinisterin vorgeschlagen hat, vergleichbar mit einerWasserpistole, weil damit fast niemand erreicht wird.
Sie sprechen von 15 000 Menschen im Jahre 2013. DieZahl soll dann langsam ansteigen. Aber wer erreichtheutzutage noch 45 Versicherungsjahre? Wenn es dieDiagnose ist, dass es vor allem um die Menschen mit ei-ner unterbrochenen Erwerbsbiografie geht, dann darfman die Hürde für eine Zuschuss- oder Mindestrentenicht zu hoch setzen.Wir fordern mit der Garantierente, dass Menschen mit30 Versicherungsjahren eine Rente bekommen, die überdem Grundsicherungsniveau liegt. Das wäre wirklicheine armutsfeste Sicherung.
Wichtig ist – das ist auch noch einmal zu betonen –:Für die Akzeptanz der Rentenversicherung müssen wirgewährleisten, dass derjenige, der mehr einzahlt, aucheine höhere Rente erhält. Auch hier ist die Zuschussrentewieder die falsche Lösung; denn es wird zwar gefordert,dass man 45 Jahre lang in die Rentenversicherung einge-zahlt und am Ende 35 Jahre lang geriestert hat, aber wel-che eigenen Beiträge geleistet wurden, um einen An-spruch zu haben, ist egal. Das Geld wird komplettwieder einkassiert. Völlig unabhängig davon, ob jemand100 Euro, 500 Euro oder 800 Euro im Monat selbst vor-gesorgt hat, wird die Rente immer auf 850 Euro aufge-stockt.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Auch dadurch wird die Akzeptanz der Rentenversi-
cherung gefährdet.
Ich fasse zusammen: Die Regierung hat sich zwar be-
müht, aber es ist nur ein mickriges Reförmchen mit un-
erwünschten Nebenwirkungen herausgekommen. Hier
muss dringend nachgebessert werden, um zu einer ech-
ten Garantierente zu kommen, bei der sich die Menschen
darauf verlassen können, dass nach langer Beitragszah-
lung eine Rente herauskommt, die sie wirklich vor Ar-
mut schützt.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen!
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Wir haben unser Konzept einer Garantierente vorge-
gt, die besser ist als eine Zuschussrente, weil sie vor
ltersarmut schützt und die Akzeptanz der Rentenversi-
herung wiederherstellt.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Paul Lehrieder für die CDU/CSU-
raktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!iebe Kollegen! Herr Kollege Strengmann-Kuhn, ichnge da an, wo Sie aufgehört haben. Sie haben ausge-hrt, Sie könnten nicht nachvollziehen, dass 45 Bei-agsjahre erreicht werden können. Sie haben schlichtberhört bzw. eben nicht zur Kenntnis nehmen wollen,ass in die Anrechnungszeit auch Zeiten der Arbeitslo-igkeit, Zeiten der Kindererziehung und sonstige Zeitener Beitragsfreistellung einfließen. Das heißt, die Hür-en bei der Erreichung dieser 45 Jahre werden abge-enkt. Das wollte ich gleich zu Beginn korrigieren, damitich da kein falscher Eindruck verfestigt.
Ich muss auch noch etwas zum Aufschlag der hoch-eschätzten Frau Kollegin Göring-Eckardt sagen. Frauollegin Göring-Eckardt, Sie haben ausgeführt, dieiester-Rente sei wirksam. Das unterstreiche ich vollnd ganz. Ich glaube, wir haben mit der gestrigen Ent-cheidung zur Euro-Stabilität einen wichtigen Schritt inezug darauf getan, dass durch einen stabilen Euro die Riester-Verträgen angelegten Gelder auch in Zukunftur Verfügung stehen. Das alles hängt zusammen.Frau Göring-Eckardt, mit Ihrem großen Lamento, wirätten im Sparpaket Kürzungen bei der vernünftigen Al-rssicherung für Langzeitarbeitslose vorgenommen, lie-en Sie falsch.
einem Jahr der Langzeitarbeitslosigkeit entsteht eineentenanwartschaft in Höhe von 2,06 Euro. Das heißt,ach 40 Jahren Langzeitarbeitslosigkeit hat man eineentenanwartschaft in Höhe von über 80 Euro erwor-en. Wenn Frau Ministerin von der Leyen jetzt eine Zu-chussrente von 850 Euro auf den Weg bringt, dann istas mehr als zehnmal so viel, wie Langzeitarbeitslosezw. Hartz-IV-Empfänger über Beiträge zur Arbeitslo-enversicherung als Anwartschaft erreichen können. Dasuss man auch einmal richtigstellen.
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Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Nur dass die Leute nicht mehr aus derLangzeitarbeitslosigkeit herauskommen!)Jetzt komme ich zum Mindestlohn. Kollege Tauberhat die Spannung bereits aufgebaut. Herr KollegeBirkwald, in der letzten Ausschusssitzung haben Sie dieFrau Ministerin gefragt – sie hat Ihnen ganz ergriffen zu-gehört –, wie hoch der Verdienst sein müsse, um eineauskömmliche Rente in der Größenordnung der von unsgeplanten Zuschussrente zu erreichen. Die Frau Ministe-rin hat Ihnen geantwortet: 12 Euro. Jetzt haben Sie dieChuzpe, hier abermals 10 Euro pro Stunde zu verlangen.
Damit erreichen Sie doch keine Alterssicherung! Hiersind wir doch schon zwei Schritte weiter als die Links-partei.
Es ist richtig: Unsere Mitbürgerinnen und Mitbürgerkönnen von einem funktionierenden Staat erwarten, dasser sich darum kümmert, dass nach mehreren JahrzehntenArbeit eine auskömmliche Rente zur Verfügung steht. Esist auch richtig – ich glaube, Frau Kollegin Krüger-Leißner hat bereits darauf hingewiesen –, dass die Sorgeum ein gewisses Auskommen bzw. einen gewissen Le-bensstandard im Alter sehr viele Menschen, auch junge,umtreibt. Ich bin froh, dass sehr viele junge Menschenauf der Tribüne sind, die von den Entscheidungen, diewir heute treffen, in Zukunft betroffen sein werden. DieBürgerinnen und Bürger vertrauen auf uns, und dieserVerpflichtung müssen wir nachkommen. Wir werden ihrauch nachkommen, liebe Kolleginnen und Kollegen vonden Grünen.Über die Fragen, die durch die Bundesregierung be-antwortet wurden, wurde bereits am 7. September diesesJahres – die Frau Ministerin machte den Aufschlag zum„Regierungsdialog Rente“ – hier an diesem Mikrofon in-tensiv diskutiert. Der Regierungsdialog ist ein offenerDiskussionsprozess. Im Übrigen stehen wir hier am An-fang. Das heißt also, Ihre Anregungen und Ideen sowieIhre geschätzte Kritik, Herr Kollege Strengmann-Kuhn,werden wir natürlich im Rahmen dieses Dialogs sehrgern aufnehmen. Wir hören aufeinander. Natürlich kön-nen wir auch von den Grünen das eine oder andere ler-nen; das will ich nicht verhehlen.
Es handelt sich um einen offenen Diskussionsprozess, andem die Rentenversicherung, die Fachpolitiker, dieWohlfahrtsverbände, die Gewerkschaften, die Arbeitge-ber sowie weitere Institutionen und Akteure mit demZiel beteiligt sind, mögliche Änderungen im Renten-recht daraufhin zu prüfen, ob sie die Lebensleistung ge-recht belohnen und den Bedürftigkeitsrisiken wirksamentgegenwirken.urugIcsawzzaeareMCds–icsimRswrenRHgKLdzss
h bitte den Herrn Staatssekretär, es der Ministerin ent-prechend mitzuteilen.Unsere Renten sind heute in den allermeisten Fällenusreichend. Heute ist die gesetzliche Rente noch dieichtigste Form der Altersvorsorge. Sie macht 65 Pro-ent aller Alterseinkommen in Deutschland aus. 68 Pro-ent der Rentner leben allein von der gesetzlichen Rentels Alterseinkommen.
Herr Kollege Birkwald, ich muss Ihnen schon wiederine kleine Richtigstellung zumuten. Sie haben vorhinusgeführt, die Frau im Westen habe eine Durchschnitts-nte von 494 Euro, die im Osten eine von 666 Euro.an muss fairerweise – das hat bereits Winstonhurchill erkannt – sagen: Ich glaube keiner Statistik,ie ich nicht selber gefälscht habe. – Dies sind Durch-chnittsrenten; das ist richtig.
Herr Kollege Birkwald, warten Sie mit Ihrer Frage, bish Ihnen das erklärt habe. – Es sind aber auch Anwart-chaften dabei, die nicht für ein auskömmliches Leben Alter gedacht sind. Wenn ich mir als Rechtsanwalt imahmen einer Zusatzbeschäftigung als abhängig Be-chäftigter eine Rentenanwartschaft von 4,50 Euro er-erbe, wird diese in das Gesamtpaket der Durchschnitts-nten mit eingerechnet. Die Zahlen beziehen sich alsoicht nur auf die Menschen, die von dieser gesetzlichenente im Alter leben, sondern auch auf solche, die ihraupteinkommen von berufsständischen Altersversor-ungswerken beziehen.Der Kollege Birkwald will etwas fragen.
Herr Kollege Birkwald, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident, und vielen Dank, Herrollege, dass Sie die Frage zulassen. – Herr Kollegeehrieder, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dassie Rentnerinnen und Rentner im Osten zu über 90 Pro-ent ausschließlich von der gesetzlichen Rente leben undie gar keine Chance hatten, privat vorzusorgen oderich eine betriebliche Altersvorsorge aufzubauen?
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15532 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. September 2011
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Herr Kollege Birkwald, ich danke Ihnen ausdrücklichfür die Frage. Wir können nichts dafür, dass in früherenZeiten der damalige Staat auf dem Gebiet der heutigenneuen Länder für seine Menschen nicht mehr an Alters-vorsorge erwirtschaften konnte. Die Fehler der SEDbzw. Ihrer Vorgänger uns in die Schuhe zu schieben,geht natürlich nicht.
Es ist richtig, dass das unterschiedliche Rentenniveauauch daher rührt,
dass es im Osten keine Pensionen, keine Beamtenversor-gung etc. gegeben hat, die in das Rentensystem einflie-ßen konnten. – Herr Birkwald, ich bin noch nicht fertig;ich möchte noch zwei Sätze sagen. Bleiben Sie noch einbisschen stehen, dann passt es schon. – Wir müssen aberaufpassen, dass für diejenigen, die heute im Berufslebenstehen, eine auskömmliche Sicherung im Alter möglichist.Ich komme – der Kollege Weiß hat es eben bereitsausgeführt – zu den Zahlen.
– Ja, aber das zu wissen, hilft Ihnen sicherlich weiter. –2,4 Prozent der Menschen auf dem Gebiet Deutschlandsleben derzeit von ergänzenden Transferleistungen im Al-ter. Das ist – bezogen auf den gesamten Schnitt der Be-völkerung – unterdurchschnittlich wenig. Dies ist gut. Eswurde darauf hingewiesen, dass es der heutigen Rentner-generation so gut geht wie sicherlich wenigen Rentner-generationen in Deutschland, und das gilt auch für dieZukunft. Wir müssen ebenfalls darauf hinweisen, dass– das ist auch ein Appell an die Jugend – rechtzeitig vor-gesorgt werden muss, weil die gesetzliche Rente alleinmöglicherweise in vielen Bereichen nicht mehr aus-reicht.Auch der Präsident der Rentenversicherung, HerrRische, hat bestätigt, dass die Altersarmut heute kein – ichmöchte ausdrücklich sagen: noch kein – Thema ist. Wirmüssen dafür sorgen, dass es auch kein großes Themawird. Heute haben 97,6 Prozent aller Menschen über65 Jahre eine ausreichende Versorgung. Von rund20 Millionen Seniorinnen und Senioren sind heute rund400 000 – das sind natürlich 400 000 zu viel – oder2,4 Prozent auf Leistungen aus der Grundsicherung an-gewiesen. Es ist richtig – der Kollege Weiß hat bereitsdarauf hingewiesen –, dass die Hälfte von diesen aufGrundsicherung angewiesenen Seniorinnen und Senio-ren in unserer Gesellschaft nie in die Rentenversiche-rung eingezahlt haben. Das muss man fairerweise dazu-sagen.–mkszzsluwwKdaaGJwbdvvDssnoha–Pria„tetedvjeuhesdStib
Der hat auch immer recht. – Dank zahlreicher Refor-en basiert unser Rentensystem auf drei Säulen undonnte deswegen unbeschadet die Wirtschaftskrise über-tehen. Diese Säulen sind erstens die gesetzliche Rente,weitens die betriebliche Altersvorsorge und drittens dieusätzliche Vorsorge. Unsere Aufgabe ist es nun, Anpas-ungen vorzunehmen, die weiterhin eine gerechte Vertei-ng garantieren. Renten müssen ein Spiegel der Er-erbsphase bleiben.Wir haben gestern Abend in erster Lesung den Ent-urf eines Gesetzes zur Stärkung der Finanzkraft derommunen beschlossen. Das ist ein richtiger Weg, weilie Kommunen dadurch entlastet werden. Der eine oderndere hat dabei im Vermittlungsausschuss mitgewirkt;uch das will ich nicht verhehlen. Ich sage das, weil dierundsicherung im Alter, die der Bund in den nächstenahren komplett übernehmen wird, selbstverständlicheiterhin als steuerfinanzierte Fürsorgeleistung erhaltenleiben soll, um all denjenigen, denen keine ausreichen-en Mittel zur Verfügung stehen, auszuhelfen.Zusätzlich müssen allerdings gesellschaftlich rele-ante Leistungen wie Kindererziehung und die Pflegeon Angehörigen entsprechend berücksichtigt werden.as wird bei den Beitragsbemessungszeiten der Zu-atzrente in dem neuen Rentenmodell erfolgen. Insbe-ondere Frauen erfahren im bisherigen Modell Be-achteiligungen. Außerdem sollen Niedrigverdienerder Menschen, die einer Teilzeitbeschäftigung nachge-en und privat vorgesorgt haben, besser gestellt werdenls die, die wenig gearbeitet und nicht vorgesorgt haben.
Frau Ferner, Sie sprechen doch gleich.
rivate und betriebliche Vorsorge muss sich auch für Ge-ngverdiener lohnen. Hier gilt es, existierende Fehl-nreize auszuhebeln.Wie genau diese Probleme zu lösen sind, wird derRegierungsdialog Rente“ bis Ende des Jahres erarbei-n. Es ist wichtig, die Ergebnisse gemeinsam mit Exper-n und Verbänden zu entwickeln. Die Zuschussrente,ie unsere Bundesministerin 2013 einführen möchte,erspricht einen guten Lösungsansatz. Damit sollen die-nigen ein monatliches Nettoeinkommen von 850 Eurond damit deutlich mehr als in der Grundsicherung er-alten, die „jahrzehntelang gearbeitet und eingezahlt …,rzogen und gepflegt und dabei zusätzlich privat vorge-orgt“ haben, um unsere Ministerin zu zitieren. Das ister richtige Weg.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und bitteie, auch die Kolleginnen und Kollegen in der Opposi-on, im Interesse unserer Arbeitnehmerinnen und Ar-eitnehmer konstruktiv an diesem Dialog mitzuwirken.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. September 2011 15533
Paul Lehrieder
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Das Wort hat nun Elke Ferner für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!Herr Lehrieder, Sie haben eben von Dialog gesprochen.Ich glaube, man kann hier nicht von einem Regierungs-dialog sprechen, sondern das ist eher ein Von-der-Leyen-Monolog, zumindest so, wie es bisher angelegt war.
Diese Zuschussrente ist die übliche Methode vonFrau von der Leyen: viel Wind, aber fast keine Wirkung;mehr Schein als Sein. Außerdem hilft es nur wenigen.
Vor allen Dingen ändert es nichts an den Ursachen, HerrKober. Die Gründe für Altersarmut kennen wir alle.Menschen mit Erwerbsminderung haben im Alter einhohes Armutsrisiko. Langzeitarbeitslosigkeit ist ein gro-ßes Armutsrisiko. Das Gleiche gilt für Menschen mitniedrigen Löhnen und mit Minijobs. Das trifft auch aufSelbstständige zu, zumindest dann, wenn die Tätigkeitnicht wirklich erfolgreich ist und sie nicht entsprechendvorsorgen können. Ein Grund ist auch eine schlechteQualifikation, weil diese zu einem geringen Einkommenführt. Diese Gruppe ist häufiger von Arbeitslosigkeit be-droht.Dass Herr Tauber eben sagte, dass Menschen, die zuzweit zusammenleben, ein höheres Einkommen und da-mit ein niedrigeres Armutsrisiko haben, ergibt sich vonalleine. Aber das Partnerschaftsmodell als Mittel zur Be-kämpfung von Altersarmut darzustellen, ist schon einbisschen skurril; das muss ich ehrlich sagen.
Denn viele suchen es sich nicht selber aus, allein alt zuwerden. Ich finde: Egal, ob ein Mann oder eine Fraualleine alt wird, ihre Rente sollte zumindest so aus-kömmlich sein, dass sie nach langjähriger Arbeit und Er-werbstätigkeit nicht zum Sozialamt oder zur Grundsi-cherungsstelle gehen müssen.
Wenn man die Ursachen kennt, dann muss man auchfragen: Was tut Schwarz-Gelb, um die Ursachen zu be-kämpfen? Nichts tun Sie.SKSrelafehLdgLSdMnFdSanLMn–VsGkhFtebclibrus
ie würden am liebsten den Niedriglohnsektor und denombilohnbereich ausweiten.
ie weigern sich ständig, über Mindestlöhne zu diskutie-n oder sie gar einzuführen. Dass 8,50 Euro, ein Lebenng verdient, nicht ausreichen, um eine altersarmuts-ste Rente zu bekommen, ist wohl wahr.Die Frage ist aber auch, welches Menschenbild manat, nämlich ob man davon ausgeht, dass jemand seineben lang im Mindestlohnbereich bleibt, oder ob manavon ausgeht, dass Menschen durch Leistung aufstei-en können.
etzteres ist unser Menschenbild.
ie scheinen eher dem Menschenbild verhaftet zu sein,ass jemand, der einmal Mindestlohn bezieht, immer imindestlohn bleibt. Das ist der Unterschied zwischen Ih-en und uns.
Von Mindestlöhnen würden im Übrigen geraderauen profitieren. Denn über 70 Prozent der im Nie-riglohnsektor Beschäftigten sind Frauen. Was aber tunie? Sie tun nichts. Auch Frau von der Leyen, obwohl esls Arbeitsministerin ihre originäre Aufgabe wäre, tutichts, um die Entgeltungleichheit zu beseitigen.Wo bleibt denn die Initiative der Regierung, was dieeiharbeit, aber auch die Entgeltungleichheit zwischenännern und Frauen betrifft? Ich habe bisher nochichts dazu gesehen.
Das passt nicht zum Weltbild. Das ist wohl wahr.Es gibt auch kaum Initiativen zur Verbesserung derereinbarkeit von Familie und Beruf. Den Rechtsan-pruch auf Kinderbetreuung ab 2013 haben wir in derroßen Koalition durchgesetzt. Das ist aber immer nochein Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz. Auch dasat negative Auswirkungen auf die Möglichkeiten vonrauen, vollzeiterwerbstätig zu sein. Viele, die zurzeitilzeitbeschäftigt sind, würden lieber mehr Stunden ar-eiten als bisher. Teilzeitbeschäftigung ist eine der Ursa-hen von Altersarmut.Eine andere Ursache ist, wie gesagt, die geringe Qua-fizierung. Gerade in Zeiten, in denen es wirtschaftlichesser läuft und mehr Menschen einer sozialversiche-ngspflichtigen Beschäftigung nachgehen, sollte manich eigentlich mehr um diejenigen kümmern, die noch
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Elke Ferner
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keinen Anschluss am Arbeitsmarkt gefunden haben. Wasaber macht diese Regierung? Sie machen einen Kahl-schlag in der aktiven Arbeitsmarktpolitik.Sie haben zu verantworten, dass im nächsten undübernächsten Jahr reihenweise Bildungsträger, die sehrgute Arbeit für benachteiligte Menschen leisten, über dieWupper gehen werden und dann, wenn sie dringend ge-braucht werden, nicht mehr zur Verfügung stehen. Damithaben Sie auch zu verantworten, dass insbesondere die-jenigen, die Nachteile am Arbeitsmarkt haben, es dannnoch schwerer haben werden, wieder Anschluss zu fin-den, und damit auch ein höheres Altersarmutsrisiko ha-ben. Das haben Sie zu verantworten.
Wenn man sich genauer mit der Zuschussrente be-fasst, dann zeigt sich: Das ist ein Placebo. Es ist nichtsanderes als die Verlängerung des Kombilohns in dieRente. Es ist nicht mehr als eine Kombirente.Die Anreize gehen nicht unbedingt in die Richtung,möglichst lückenlos und in Vollzeit einer existenzsi-chernden Erwerbsarbeit nachzugehen; es wird vielmehrder Anreiz gesetzt, Teilzeit zu arbeiten. Man kann sichausrechnen, ob man mit Minijobs unter Verzicht auf dieVersicherungsfreiheit und mit 5 Euro Riester-Rente imMonat zu derselben Rente kommt wie eine Verkäuferin,die Tag für Tag sechs Tage die Woche im Laden stehtund ihr Leben lang vollzeiterwerbstätig ist.Sie riskieren damit auch ein Stück weit die Beitrags-bezogenheit der Rente. Das ist dem Rentensystem insge-samt mit Sicherheit nicht zuträglich.Sie versuchen, möglichst wenige in den Genuss IhrerZuschussrente kommen zu lassen. Das haben Sie vorges-tern in Ihrer Antwort auf meine Frage auch zugegeben,Herr Staatssekretär. Ich hatte gefragt, wie sich die Zu-schussrente bei denjenigen bemisst, die unter Inkauf-nahme von Abschlägen Rente beziehen. Dazu sagt dieBundesregierung:Die „Zuschussrente“ wird dann geleistet, wenn dievollen Ansprüche aus der eigenen Alterssicherungnicht ausreichen. Wer wegen der vorzeitigen Inan-spruchnahme eine Rente mit Abschlägen bezieht,kann ab dem Erreichen der Regelaltersgrenze eine„Zuschussrente“ erhalten, wenn er die Vorausset-zungen erfüllt. Durch die „Zuschussrente“ sollenallerdings die Abschläge nicht kompensiert werden.Alles klar: Wer unter Inkaufnahme von Abschlägenvorzeitig in Rente geht – warum auch immer –, be-kommt natürlich keine Zuschussrente in Höhe von850 Euro. Ihnen geht es gar nicht darum, möglichst vieleMenschen in den Genuss der Zuschussrente kommen zulassen. Vielmehr geht es Ihnen darum, etwas vorzugau-keln, was es gar nicht gibt.
Ihre Vorschläge sind wie immer mehr Schein als Sein.Wir werden die Vorschläge aus unserem letzten Regie-rungsprogramm noch einmal in den Bundestag einbrin-gen. Wir werden auf unserem Parteitag im kommendenDuddksFKRRkDrüulegÄsbWekfrzPnmuFleDMDra–N
er Anteil der Menschen im Alter von 65 Jahren und da-ber, die auf Leistungen der Grundsicherung im Alternd bei Erwerbsminderung angewiesen sind, liegt nachtzten Untersuchungen bei rund 2 Prozent der Alters-ruppe. Zudem hat sich die Einkommenssituation derlteren in den vergangenen 20 Jahren deutlich verbes-ert. Das bleibt aber wohl kaum so. Viele Jüngere habenis zum gesetzlichen Ruhestand noch eine schwierigeegstrecke vor sich. Immer mehr Erwerbsbiografiennthalten Zeiten von Arbeitslosigkeit oder Selbstständig-eit mit nur geringem Verdienst.Die Antwort der Bundesregierung auf die Große An-age der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen lässt Fragenur Altersarmut von morgen offen. Genaue Zahlen undrognosen helfen allerdings auch nicht weiter, wenn wiricht die Ursachen an den Wurzeln packen. Statt zu la-entieren, müssen wir die Voraussetzungen verbessern,m Altersarmut möglichst zu verhindern. Männer undrauen müssen in der Lage sein, durch eigene Beitrags-istungen ihr Auskommen im Alter zu sichern.
eshalb setzt die FDP-Fraktion darauf, die betreffendenenschen schnell wieder in Beschäftigung zu bringen.
as macht den Unterschied zwischen der christlich-libe-len Koalition und den Oppositionsfraktionen aus.
Hören Sie gut zu! – Wir setzen auf Vorsorge, Sie aufachsorge.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. September 2011 15535
Nicole Bracht-Bendt
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Frauen sind von Altersarmut überproportional betrof-fen. Durch familienbedingte Unterbrechungen, aberauch durch Teilzeitarbeit – das wurde schon mehrfachangesprochen – ist die Rente von Frauen häufig niedri-ger als die von Männern.
Die FDP-Fraktion setzt hier auf bessere Aufklärung.Frauen sollten sich nicht auf die Altersabsicherung durchden Mann verlassen.
Das Modell der Versorgerehe in einer Zeit, in der jedezweite Ehe geschieden wird, ist ein Auslaufmodell.
Ich halte es für unverzichtbar, schon in der Schule denjungen Menschen dies klarzumachen. Sie müssen wis-sen, dass sie schon in frühen Jahren an später denkenmüssen. Gerade bei Frauen ist auch die Berufswahl ent-scheidend. Klassische Frauenberufe führen bei Einkom-men und Weiterbildung häufig in die Sackgasse.
Lehrer und Eltern müssen jungen Frauen deutlich ma-chen, dass Teilzeitarbeit über einen längeren ZeitraumAbschläge in der Rente bedeutet.
Altersarmut muss keine tickende Zeitbombe sein. Un-ser Ziel muss sein, die Voraussetzungen zu schaffen,dass alle im Alter weiter gut leben können, ohne jungeGenerationen über Gebühr zu belasten. Die FDP hat da-für klare Konzepte. Wer will, soll neben der Rente unbe-grenzt hinzuverdienen dürfen. Zusammen mit unseremKoalitionspartner haben wir die Hinzuverdienstgrenzendeutlich ausgeweitet. Private Altersvorsorge muss sichlohnen. Deshalb hat die Koalition hier schon gehandelt,indem sie das Schonvermögen für die private Altersvor-sorge von ALG-II-Beziehern verdreifacht hat; das istteilweise schon vergessen. Auf diesem Weg werden wirweitergehen.
Die FDP-Fraktion setzt daneben auf die Eigenverant-wortung der Bürgerinnen und Bürger. Danach wird der-jenige, der arbeitet und vorsorgt, immer besser gestelltsein als derjenige, der nicht arbeitet und keine Vorsorgetrifft. Freiwillige Altersvorsorge muss sich auszahlen.Ganz herzlichen Dank.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Am Ende einer solchen Debatte sind wir dochicht am Ende der Debatte, wie wir wissen; denn wir tre-n in einen Dialog. Ich unterstütze das, was mein Kol-ge Lehrieder gesagt hat, nämlich dass wir den Diskursber dieses Thema pflegen wollen. Heute hatten wir eineuseinandersetzung, die teilweise scharf geführt wurde, deren Verlauf aber doch Argumente auf den Tisch ka-en, die in die Diskussion einzubeziehen sind.Ich möchte, auch in Rückschau auf diese Debatte, ei-ige Argumente, die mir wichtig sind, zusammentragen.ir reden über die Antwort der Bundesregierung auf dieroße Anfrage der Grünen, die 278 Fragen umfasst. Dast kein Thema, das uns, wie Sie vielleicht denken, nichtichtig wäre.
ir wollen es aber auf eine andere Weise als Sie ange-en. Ich habe sehr viel aus den Antworten der Bundesre-ierung gelernt, ich habe aber auch aus den noch nichteantworteten Fragen – das haben Sie, Herr Strengmann-uhn zu Recht angesprochen – gelernt. Wir werden dientworten auf diese Fragen suchen. Diese Fragen jetzt inen Mittelpunkt zu stellen und sie dann quasi zu zer-chießen, würde aber keinen Sinn ergeben.
Zu Anfang der Debatte sagte mein Kollege Weiß: Esuss in diesem Rentensystem eine auskömmliche Renter denjenigen geben, der einen Großteil seiner Lebens-eit gearbeitet hat. – Das Thema der Rente darf abericht dazu missbraucht werden, Ängste zu schüren. Diengst, keine auskömmliche Rente zu erhalten, ist füreute, die in den nächsten ein, zwei oder drei Jahren inen Ruhestand gehen, unbegründet. Die Ängste werdenielmehr unnötigerweise angeheizt.
Allerdings sehen wir, dass eine bedenkliche Entwick-ng am Horizont auftaucht. Sie haben vorhin Zahlen ge-annt und unterstellt, die Altersarmut sei jetzt schonxistent. Wir leugnen die Zahlen – 1,8 Prozent in deneuen Bundesländern
nd 2,8 Prozent im Westen – nicht. Gleichwohl wird diengst geschürt und so getan, als ob Altersarmut schonorhanden sei. Gestern habe ich einen Artikel in einerächsischen Zeitung gelesen, in dem dieses Thema be-andelt wurde. So hieß es, Sachsens Senioren würden ir-endwann unbezahlbar werden. Der Bericht als solcher
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15536 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. September 2011
Frank Heinrich
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war dann doch sehr konstruktiv, und es wurde gut argu-mentiert; es dient aber dem Thema nicht, wenn solcheplakativen Äußerungen in den Mittelpunkt gestellt wer-den.
Lassen Sie uns also vorsichtig mit der Angst der Leuteumgehen. Wir wollen das Thema fair diskutieren unddem Problem gerecht werden.Lassen Sie mich auf die Definition der Armut einge-hen, über die wir im Ausschuss schon verschiedentlichdiskutiert haben. Die Bundesregierung stützt sich bei derMessung von Armut sehr stark auf die EU-Kriterien,nimmt aber auch auf andere Indikatoren Bezug. Die Welt-gesundheitsorganisation definiert denjenigen als arm, derweniger als die Hälfte des durchschnittlichen Einkom-mens bezieht. Nach einer anderen Definition ist derjenigearm, der weniger als 60 Prozent des Medianeinkommenshat. Lassen Sie uns bei solchen Definitionen vorsichtigsein. Wir haben im Ausschuss schon öfter darüber gere-det. Wenn jeder Bürger Deutschlands jetzt 1 Million Euroerhalten würde, dann lebten einige Millionäre gemäß die-sen Definitionen unterhalb der Armutsgrenze. Das mussman also differenziert betrachten.
Die Ursachen einer möglichen Armutsgefährdung ha-ben wir deutlich genannt. Da sind wir uns einig. DieHauptursache sind die Brüche in der Erwerbsbiografie.Diese können mit geringen Einkommen oder Arbeitslo-sigkeit einhergehen. Sie, Frau Krüger-Leißner, haben da-rauf hingewiesen. Die Sorge, dass Niedriglöhne zu nied-rigen Renten führen, ist berechtigt. Ich möchte aber nochauf eine andere Sorge hinweisen. Gestern sprach ich miteinem Herrn, der sagte, dass er es als Gipfel der Unge-rechtigkeit empfinde, dass derjenige, der 35 oder 40 Jahregearbeitet und in die Rentenversicherung eingezahlt habe,genauso viel Rente erhalte wie jemand, der nie einen Taggearbeitet habe, aus welchen Gründen auch immer. Mandarf also bei der Diskussion nicht nur eine Personen-gruppe der Gesellschaft unter die Lupe nehmen.Prognosen, wie sich Bedürftigkeit im Alter entwi-ckeln wird – einige Fragen, die Sie an die Bundesregie-rung gestellt haben, betrafen dieses Thema –, lassen sichheute noch nicht seriös abgeben, obwohl wir diese be-drohliche Entwicklung am Horizont sehr wohl ernst neh-men. Dies hängt von der Beschäftigungs- und Einkom-mensentwicklung ab und hat mit dem Erwerbs- undVorsorgeverhalten der Bürger zu tun. Da rechnen wir alschristlich-liberale Koalition mit Eigenverantwortung.Uns ist wichtig, zu betonen, dass die Bürger zunächstselbst verantwortlich sind und erst dann auf die Solidari-tät der Gesellschaft zählen dürfen.
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Ein Thema, das in den Fragen, die Sie gestellt haben,ehr stark zum Vorschein kam, ist die verdeckte Armut.h habe versucht, mich zu erinnern: Sehr viele Leuteaben mir aus persönlicher Betroffenheit erzählt, dassie sich nicht trauen, zum Sozialamt zu gehen und Unter-tützung zu beantragen. Ich habe verdeckte Armut oftemerkt, aber zum letzten Mal vor 10 oder 15 Jahren,inschließlich der Armut im eigenen Familienumfeld.h höre davon in den letzten Jahren je länger umso we-iger, weil Altersarmut inzwischen – das wird in einigenntworten zum Ausdruck gebracht – nicht mehr in demaße wahrgenommen wird.
Hinsichtlich der Vermeidung von Altersarmut – dapreche ich nicht nur die Antworten der Bundesregie-ng an, sondern auch die Pläne, die wir an der Stelle ha-en – geht es sehr stark um Prävention und den Arbeits-arkt, um die Stärkung und die Taten, die wir dortineingeben. Denn die Integration in den Arbeitsmarkthrt dazu, dass auf der einen Seite die Rentenkassentabiler werden und dass auf der anderen Seite am Endeeit weniger Leute mit Brüchen in ihrer Erwerbsbiogra-e zu tun haben.
as hat auch etwas – Sie haben es bereits gesagt – miter Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu tun. Aber iniesem Bereich sind schon Sachen auf den Weg gebrachtorden.Was tut die Bundesregierung
r soziale Integration? Ich habe in meinem Wahlkreisicht nur geförderte Projekte der Bundesregierung, son-ern Projekte aus verschiedensten Bereichen der Gesell-chaft. Ich halte das Problem der Altersarmut nicht nurr ein bundespolitisches Thema; vielmehr hat die ganzeesellschaft darauf zu reagieren.Als eine Forschungsmaßnahme möchte ich auf denodularen Alterssimulationsanzug MAX zu sprechenommen. Man kann diesen Anzug anziehen, bekommtoch eine Brille und fühlt sich dann zehn Jahre älter.ann darf man damit in Geschäfte gehen und das allesus der Sicht eines älteren Menschen betrachten. Es wer-en Möglichkeiten entwickelt, das Leben im Alter undie Schwierigkeiten, die damit einhergehen, schon jetztorherzusehen. In dieses Projekt fließen Fördermittel.in weiteres Beispiel: Es soll ein Lehrstuhl für Demo-rafie entstehen.
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Frank Heinrich
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Sie sehen: Wir forschen auf verschiedensten Gebietenunserer Gesellschaft, um dem Thema Altersarmut so-wohl finanziell als auch in vielen anderen Bereichen ge-recht zu werden.Zum Schluss noch etwas zum „RegierungsdialogRente“: Wir sind – das wissen wir aus den Statistiken –der Staat Europas mit der ältesten Bevölkerung. Sach-sen, woher ich komme, hat in Bezug auf den Alters-durchschnitt die älteste Bevölkerung in Deutschland.Man unkt, dass Chemnitz in 20 Jahren die Stadt mit derältesten Bevölkerung Europas sein wird. Aber das eröff-net uns doch eine Chance, nämlich vor allen anderen et-was zu entwickeln – samt der Sozialsysteme –, woransich andere dann messen können.In Bezug auf das Thema Altersarmut sind wir jetzt so-gar schneller, als wir am Anfang gedacht haben; dennerst wollten wir eine Kommission einsetzen. Ich meine,dass wir – um ein Bild vom Golfen zu bemühen –, mög-licherweise schon beim Putten sind, während Sie geradeerst zum Abschlag gehen.
Ich glaube, dass wir schneller sind, als wir am Anfanggesagt haben, und dies aus gutem Grund. Wir habennämlich begriffen, was unser Auftrag ist. Wir haben denRegierungsdialog gestartet, werden ihn ernst nehmenund gehen damit in konkrete Planungen.Schlusswort. Die Vermeidung von Altersarmut isteine elementare Aufgabe staatlicher Sozialpolitik; wirund auch die Regierung zeigen dies. Die Risiken, die imAlter zu Armut führen können, sind bekannt. Deshalbmuss dieses Problem mit verlässlicher Arbeit und denvon den beiden liberalen Rednern genannten vorsorgli-chen Maßnahmen angegangen werden. Es hat mit fairenLöhnen und mit zusätzlicher privater Vorsorge zu tun.Das sind unsere erklärten Baustellen bei diesem Thema.Es ist uns wichtig, dass wir trotz der Tatsache, dassdie Erstellung von Studien eine lange Zeit, über ein Jahr,in Anspruch nehmen kann, schnell unterwegs sind, obIhnen das nun zu schnell geht oder nicht. Es wird alsoeine Kommission arbeiten; das könnte langwierig sein.Wir treten jetzt in einen Dialog ein, und wir werden einErgebnis vorlegen. Die Umsetzung werden wir mithilfekonkreter Maßnahmen machen. Dazu bedarf es abernoch Antworten der Bundesregierung.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent-
wurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des
Stasi-Unterlagen-Gesetzes
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h finde das empörend.
s ist eigentlich eine Beleidigung aller Bürgerrechtler.Jetzt O-Ton von Roland Jahn:Wer einen Schlussstrich will, hat nicht begriffen,dass Aufarbeitung nicht Aufrechnung ist. Aufarbei-tung ist eine Investition in die Zukunft unserer De-mokratie.
o schreibt Roland Jahn in der evangelischen Wochen-eitschrift Die Kirche unter der Überschrift „Der langechatten der Mauer“.
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Beatrix Philipp
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Wir wollen keinen Schlussstrich.
Wir novellieren heute zum achten Mal das Stasi-Un-terlagen-Gesetz. Wer sich mit der Entwicklung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes beschäftigt hat, der wird erkennen,dass dieses Gesetz ein herausragendes Beispiel für le-bendige Demokratie ist. Es ist gewachsen und verän-derte sich, sozusagen wie alles im richtigen Leben. Im-mer wieder wurde das StUG an die Rechtsprechung undan die Erfahrungen aus der Verwaltungspraxis ange-passt. Es wurde aber eben auch an Erfordernisse angegli-chen, wie sie sich aus der öffentlichen Wahrnehmungund den Vorkommnissen ergaben, die ich beispielhaftbei der ersten Beratung am 26. Mai dieses Jahres er-wähnt habe.Der vorliegende Gesetzentwurf steht also in der Kon-tinuität der notwendigen Veränderungen. Was sind nundiese Veränderungen und diese Neuerungen? Zum einenverlängern wir die Dauer der Überprüfungsmöglichkei-ten um weitere acht Jahre bis 2019. Denn: Immer wiederzeigen neue Stasienthüllungen wie zum Beispiel inBrandenburg und steigende Zahlen von Antragstellun-gen, dass das Thema Aufarbeitung noch immer aktuellist.
Wie ich eingangs erwähnte, ist es auch anscheinend des-wegen nötig, weil einige immer noch nicht wissen, wo-rum es geht.Zum anderen erweitern wir den überprüfbaren Perso-nenkreis. So sollen Beschäftigte des öffentlichen Diens-tes ab der Besoldungsgruppe A 9 bzw. ab der Entgelt-grupe E 9, die eine leitende Funktion ausüben, von nunan auf eine frühere hauptamtliche oder inoffizielle Stasi-tätigkeit überprüft werden können. Außerdem werdenalle Beschäftigten unabhängig von ihrer Vergütungs-gruppe dann überprüft, wenn – so das Gesetz – „Tatsa-chen den Verdacht einer hauptamtlichen oder inoffiziel-len Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit derehemaligen DDR rechtfertigen“, Zitatende.Dazu nenne ich ein aktuelles Beispiel. Nachdem An-fang dieses Jahres bei der Brandenburger Polizei dreineue Stasifälle ans Licht kamen, wollte der brandenbur-gische Innenminister Dietmar Woidke, SPD, immerhinSchutzbereichs- und Wachenleiter der Polizei auf einefrühere Stasitätigkeit überprüfen. Das derzeitige StUGließ eine solche umfassende Überprüfung allerdingsnicht zu. Das heißt, der Innenminister wollte, aber erdurfte nicht. Deswegen ändern wir das jetzt.
Nächstes Beispiel. Beim brandenburgischen Justiz-minister Volkmar Schöneburg, immerhin Mitglied derLinkspartei – das diskutieren wir jetzt nicht –, war dieSachlage anders: Das StUG gab ihm die Möglichkeit,Rdreg–EAstrwrindzaBaÄStisGdDguDIcded
Das können Sie nachlesen, wenn Sie es nicht wissen.s ist sehr erstaunlich, dass Sie es nicht wissen.
uch das korrigieren wir.Zurück zum Gesetzentwurf. Mit der neuen Regelungorgen wir für Transparenz, für Integrität und für Ver-auen in die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, soie Ulrike Poppe dies in der Anhörung ins Gedächtnisef. Ich zitiere: „Die Intention des ersten StUG waricht, die Stasimitarbeiter und -spitzel zu bestrafen, son-ern das Vertrauen in die demokratischen Institutionenu ermöglichen“, Zitatende. Das ist richtig so, und es istuch so geblieben.
Meine Damen und Herren von der SPD und vonündnis 90/Die Grünen, im Grundsatz war das ja wohluch Ihre Meinung. Ich zitiere aus der Begründung Ihresnderungsantrages:Vertrauen ist das Grundkapital unserer rechtsstaatli-chen und demokratischen Ordnung. Solches Ver-trauen kann erschüttert werden. Dann muss es dieMöglichkeit geben, angemessen zu reagieren.
ehr richtig. Das tun wir auch.
Aber Sie ziehen die falschen Schlüsse. Sie argumen-eren, dass Wissenschaftler und Journalisten solche Sta-ifälle schon aufdecken würden; alles andere wäre eineneralverdacht oder unverhältnismäßig. Wenn maniesen Gedanken zu Ende denkt, heißt das, dass derienstherr auf mehr oder weniger zufällige Enthüllun-en von Journalisten und Wissenschaftlern angewiesennd eben nicht mehr Herr des Verfahrens wäre.
as halten wir einfach für überhaupt nicht akzeptabel.
h denke, dass es Mitarbeiterinnen und Mitarbeiternurchaus zuzumuten ist, sich überprüfen zu lassen. Aufine Überprüfung kann eben noch nicht verzichtet wer-en, wie wir gesehen haben.
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Beatrix Philipp
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Meine Damen und Herren, in den letzten Tagen undWochen wurde in den Medien eine geplante Änderungim Stasi-Unterlagen-Gesetz besonders kontrovers disku-tiert. Die christlich-liberale Koalition spricht sich mitdem neuen § 37 a des Stasi-Unterlagen-Gesetzes ganzklar gegen eine Beschäftigung von ehemaligen Stasimit-arbeitern bei der Stasiunterlagenbehörde aus. Die Vor-stellung, in der Stasiunterlagenbehörde früheren Peini-gern begegnen zu können, ist den Opfern, aber auch derÖffentlichkeit überhaupt nicht zu erklären.
– Diese alte Debatte möchte ich hier eigentlich nichtwieder aufwärmen.
Aufgrund der einzigartigen Funktion dieser Behörde,nämlich der Aufarbeitung, halten wir es für richtig, Sta-simitarbeiter woandershin zu versetzen, wenn ihnen dieszuzumuten ist.
Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit wird auf die per-sönlichen und familiären Umstände ausdrücklich Rück-sicht genommen. Ich kenne niemanden, der nicht ver-wundert ist, wenn er zum ersten Mal hört, dass in derAufarbeitungsbehörde, also in der Stasiunterlagenbe-hörde, immer noch ehemalige Stasimitarbeiter tätig sind.Mit der Novellierung bringen wir aber zum Ausdruck,dass wir diese für Opfer unerträgliche Situation, natür-lich unter rechtsstaatlichen Bedingungen, ändern wollen.Wir setzen darauf, dass es zu einvernehmlichen Lösun-gen kommt. Damit starten wir weder eine Hetzjagd, wiegesagt wurde, noch sind wir von Rache geleitet, wie oft-mals von verschiedenen Seiten behauptet wurde. HerrThierse, auch von Verfolgungsradikalismus kann eigent-lich überhaupt keine Rede sein.
Zum Vorwurf, es handele sich um eine Einzelfallrege-lung: In Anbetracht von geschätzt 189 000 inoffiziellenMitarbeitern und fast 100 000 hauptamtlichen Mitarbei-tern ist es völlig unzutreffend, hier von einer Einzelfall-regelung zu reden.
Schließlich: Innen- und Justizministerium haben denGesetzentwurf geprüft und halten ihn für verfassungs-konform.
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Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss. Mehr Redezeit habe ich
icht.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf haben wir die
onsequenzen aus der Anhörung im Kulturausschuss im
uni gezogen. Wir haben viele fraktionsübergreifende
emeinsamkeiten gefunden. Die beiden wesentlichen
nterschiede bleiben leider bestehen. Ich bedaure das
ehr. Vielleicht ist es aber doch noch möglich, zu einer
emeinsamen Aufarbeitung zu kommen und dafür ein
eichen zu setzen.
Vielen Dank.
Für die SPD spricht nun der Kollege Dr. Wolfgang
hierse.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!assen Sie mich ein wenig grundsätzlich und zugleichersönlich beginnen. Die Aufarbeitung der unseligenrbschaft des Ministeriums für Staatssicherheit der DDRnd des SED-Staates insgesamt ist wesentlich für unseremokratisches Selbstverständnis, so wie das auch fürie Nazi-Erbschaft gilt.
Diese Aufarbeitung ist seit 1990 gemeinsames Anlie-en einer breiten Mehrheit des Deutschen Bundestags.
Sie ist mir auch persönlich sehr wichtig. Ich war seit990 an allen wichtigen Entscheidungen zu diesemhema beteiligt. Ich habe mich 1990 in der Volkskam-er für die Öffnung der Akten des Stasiministeriumsusgesprochen. Ich habe mich 1991 für die Errichtunger Stasiunterlagenbehörde eingesetzt, und dafür, dassiese Errungenschaft der friedlichen Revolution aucheute noch existiert. Ich habe an allen Novellierungenes Stasi-Unterlagen-Gesetzes mitgewirkt.
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15540 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. September 2011
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
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Das hat durchaus auch biografische Gründe. Ichmöchte zumindest einen Aspekt erwähnen. Ich bin auf-gewachsen als Sohn eines Rechtsanwalts in der DDR.Das heißt, ich bin aufgewachsen mit den Niederlagenmeines Vaters in politischen Verfahren. Ich will nur einBeispiel erzählen, das zu meinen frühesten politischenErinnerungen gehört.Als im März 1953 Stalin gestorben war, rief ein Mannim Suff auf dem Dorfplatz: Hurra, der größte Verbrecheraller Zeiten ist gestorben. – Mein Vater hat diesen Mannverteidigt. Er hat acht Jahre Zuchthaus bekommen. Ichwerde nie das Gesicht meines Vaters vergessen, als erbeim Abendessen mit Tränen in den Augen davon er-zählte und sagte: Ich habe nichts für ihn tun können.Wenn man so geprägt ist, wird man nie Kommunist.Mein Vater hat Menschen verteidigt – wir haben in derNähe zur Grenze im Thüringischen gewohnt –, die ange-klagt und verurteilt wurden wegen versuchter Republik-flucht, wegen der Inanspruchnahme eines elementarenMenschenrechts.Ich erinnere daran, weil daher eine fast unstillbareSehnsucht rührt nach unbedingter Rechtsstaatlichkeit.
Ich habe mich dafür eingesetzt, dass die Stasiunterla-genbehörde das werden konnte, was sie heute ist, näm-lich die zentrale Einrichtung zur Aufklärung von DDR-Unrecht. Die nicht rechtsstaatlich zustande gekommenenStasiakten den Opfern, der Wissenschaft und der Öffent-lichkeit zugänglich zu machen, dafür haben wir einerechtsstaatliche Ausnahmeregelung geschaffen. Mit ih-ren drei Schwerpunkten, nämlich Aufarbeitung, For-schung und Bildung über die Funktionsweise und Struk-tur der SED-Herrschaft, erfüllt diese Behörde eineunersetzliche Aufgabe. International ist sie zum Vorbildfür einen geordneten und zukunftsweisenden Umgangmit einer diktatorischen Vergangenheit geworden.Dass die SPD für Aufarbeitung steht, daran darf undkann kein Zweifel bestehen. Wir sind gegen einenSchlussstrich. Lieber Kollege Kurth, Sie sollten nichtdas Gegenteil öffentlich behaupten.
Auch die erneute Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes unterstützen wir. Die Überprüfungsmöglich-keiten bis 2019 zu verlängern, halten wir für genausorichtig, wie wir der Mehrzahl der Veränderungen im Ge-setzentwurf ausdrücklich zustimmen.Konsens herrscht darüber, dass auch ehrenamtlicheBürgermeister, Kommunalvertreter und Bewerber fürein Wahlamt auf eine Stasimitarbeit hin überprüft wer-den können. Sinnvoll ist eine Vereinfachung des Zu-gangs zu den Unterlagen für Wissenschaftler und Jour-nalisten. Richtig sind auch Regelungen, die klarumrissenen Personengruppen die Einsichtnahme in Ak-ten erleichtern, beispielsweise Angehörigen Vermissteroder Verstorbener.frnzvMtidnüwdgMgzuwMeGdkhnfüDdnhmliBnnsgdBDfeaihv
it zwei Vorschlägen nämlich sind die Koalitionsfrak-onen so weit über das Ziel hinausgeschossen, dass we-er SPD noch Bündnis 90/Die Grünen zustimmen kön-en. Unser Änderungsantrag spiegelt dies wider.Dissens herrscht zum Ersten über die Ausweitung desberprüfbaren Personenkreises im öffentlichen Dienst,ie Schwarz-Gelb das will. Eine Überprüfbarkeit ohneie Voraussetzung eines auf tatsächliche Anhaltspunkteestützten Verdachts lehnen wir ab.
ehr als 20 Jahre nach dem Fall der Mauer ist diese Re-elung schlicht unverhältnismäßig. Die vergangenenwei Jahrzehnte müssen bei der Beurteilung einer Personnd ihrer Tätigkeit genauso zählen wie das möglicher-eise moralisch falsche Handeln in der DDR zuvor.
eine Grundüberzeugung lautet – Kollegin Philipp hats ebenfalls zitiert –: Vertrauen ist eine wesentlicherundlage rechtstaatlicher Demokratie – Vertrauen inie Veränderbarkeit von Menschen. Dieses Vertrauenann enttäuscht werden. Wenn dies geschieht und An-altspunkte den Verdacht auf eine Tätigkeit für das MfSahelegen, dann – und nur dann – muss die Überprüfungr alle Beamten und Angestellten im öffentlichenienst möglich sein.Diese Überprüfung dient allen. Sie liegt im Interesseer arbeitgebenden Behörde, der Öffentlichkeit undicht zuletzt der verdächtigten Person selbst. Deshalbaben wir vorgeschlagen, immer dann die Überprüfungöglich zu machen, wenn ein begründeter Verdacht vor-egt, unabhängig von Funktion und Entgeltgruppe desetroffenen. Das war unser Vorschlag, auf den Sie leidericht eingegangen sind.Dissens herrscht zum Zweiten über die Einführung ei-es de facto rückwirkenden Einzelfallgesetzes, mit des-en Hilfe sich die Koalitionsfraktionen jener 47 ehemali-en Stasimitarbeiter aus der Behörde entledigen wollen,ie aber mittlerweile seit über zwei Jahrzehnten in dieserehörde arbeiten.
ie mögliche Begegnung mit früheren Tätern ist für Op-r gewiss schwer erträglich. Wenn ehemalige Stasimit-rbeiter in der Behörde Opfer von der Einsichtnahmerer Akten abhalten, dann ist das ohne Zweifel ein gra-ierendes Problem. Die ehemaligen Stasimitarbeiter sind
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. September 2011 15541
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
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aber unter Schäuble und Gauck eingestellt worden, weilman sie damals zu brauchen meinte.
Heute arbeiten diese Mitarbeiter seit über 20 Jahren inder Behörde und haben sich nichts zuschulden kommenlassen. Sie haben sich Vertrauensschutz in das Fortbeste-hen ihrer Arbeitsverhältnisse erworben. Die Fürsorge-pflicht der Behörde als Arbeitgeber gilt auch gegenüberdiesen Mitarbeitern.
Eine Lösung des Dilemmas kann es nur in rechtsstaat-lich – also arbeits- und dienstrechtlich – einwandfreierWeise geben.
Sie muss gemeinsam mit den 47 Mitarbeitern gefundenwerden. Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen da-gegen schlägt einen verfassungsrechtlich wie rechtspoli-tisch bedenklichen Weg ein. Wir lehnen ihn deshalb indiesem Punkte entschieden ab.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,es ist übrigens eine Illusion, wenn man meint, möglichenarbeitsrechtlichen Konflikten durch eine solche gesetzli-che Regelung aus dem Weg gehen zu können.
Wir lehnen diesen Gesetzentwurf auch in der Gewiss-heit ab, dass eine andere Lösung des Problems möglichist. Dass die Bundesregierung in nachgeordneten Ein-richtungen adäquate Arbeitsplätze für diese Mitarbeiteranbietet, scheint mehr eine Frage des Wollens als desKönnens zu sein.
Dies entnehme ich der Antwort von StaatsministerNeumann auf meine Anfrage von letzter Woche. Darinhat er mitgeteilt, dass er jetzt bereit ist, 19 Stellen innachgeordneten Einrichtungen zur Verfügung zu stellen.Ganz ohne dieses Gesetz ist das möglich.
Die Aufarbeitung des DDR-Unrechts ist ein Kapitelunserer Geschichte, das nicht abgeschlossen ist und aufabsehbare Zeit nicht abgeschlossen werden kann. Hierbedarf es der nötigen Instrumente, gewiss, aber auch desrechten Maßes. Angesichts der gegenwärtigen Diskus-sionen und Einlassungen auch mancher Kollegen kanniclictrdüfeHeregzgblispgggAzidsuudddsuMnun
ier entsteht über 20 Jahre nach dem Fall der Mauerine Schieflage; denn faktisch ist – auch wenn Sie ande-s behaupten – nicht der 1958 in Mannheim Geboreneemeint, sondern der 1958 in Leipzig Geborene.
Um eine Formulierung aus dem Historikerstreit auf-unehmen: Auch die DDR-Vergangenheit ist eine „Ver-angenheit, die nicht vergeht“. Weitere Anstrengungenleiben nötig, um diese Geschichte präzise und gründ-ch zu erforschen und sichtbar zu machen. Akten müs-en zugänglich bleiben. Die Aufklärungsarbeit und dieolitisch-historische Bildung bleiben wesentliche Auf-aben der Zukunft. Aber, liebe Kolleginnen und Kolle-en, dies alles sollte einer wichtigen Unterscheidung fol-en, ohne die die historische und politisch-moralischeufarbeitung schiefläuft: der Unterscheidung einerseitswischen dem Urteil über das politische, wirtschaftliche,eologische System, das falsch war und zu Recht ge-cheitert und überwunden ist – dieses Urteil muss hartnd entschieden sein –,
nd andererseits dem Urteil über die Menschen, die iniesem System gelebt haben,
ie Biografien, die in diesem System gelebt worden sind,ie nicht alle falsch waren und nicht alle gescheitertind. Dieses Urteil sollte sehr differenziert, behutsamnd menschenfreundlich sein. Es geht um das rechteaß.
Deshalb können wir dem Gesetzentwurf der Koalitionicht zustimmen. Ich lade Sie ein, dem ausgewogenennd maßvollen Änderungsantrag von SPD und Bünd-is 90/Die Grünen zu folgen.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Für die FDP hat jetzt das Wort der Kollege Reiner
Deutschmann.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Lieber Roland Jahn, auch 21 Jahrenach der deutschen Wiedervereinigung sind Opfer derStasi noch immer traumatisiert. Eine neue Langzeitstu-die belegt, dass eine große Zahl der Opfer auch Jahr-zehnte danach noch immer unter Angstzuständen und in-nerer Unruhe litt und weiter leidet. Sie wurden durchdiesen Staat schikaniert, geprügelt und weggesperrt. Le-bensläufe wurden zerstört, Karrieren verhindert undMenschen gegeneinander aufgebracht.Womit hatten die Opfer das verdient? Sie wolltennichts anderes als ein Stück Freiheit im sogenannten Ar-beiter- und Bauernstaat. Sie wollten sich nicht verbie-gen; sie wollten ein selbstbestimmtes Leben. Das einfa-che Verlangen nach Freiheit schien der Führung derDDR und ihrem schärfsten Schwert, der Stasi, gefährli-cher als der gemeine Schwerverbrecher. So wurden dieOpfer auch behandelt: wie Schwerstverbrecher. Dies istim ehemaligen Stasiuntersuchungsgefängnis in Berlin-Hohenschönhausen zu sehen, wo die Opfer beispiels-weise durch Dunkelhaft oder simuliertes Ertränken ge-quält wurden.Wenn wir uns dies klarmachen, wenn wir uns in dieLage der Opfer versetzen, dann wissen wir, warum es inDeutschland keinen Schlussstrich unter der Aufarbei-tung des Stasiunrechts geben darf.
Neben der grundsätzlichen Verlängerung des Stasi-Un-terlagen-Gesetzes bis 2019 verfolgt die christlich-libe-rale Koalition zwei zentrale Anliegen:Erstens wollen wir verhindern, dass die Täter von da-mals Karriere im öffentlichen Dienst machen. Deswegenhaben wir die Überprüfungsmöglichkeit, und zwar auchohne Vorliegen eines Verdachts, auf die mittlere Lei-tungsebene ausgeweitet. Der Vorschlag der Opposition,nur bei einem konkreten Verdacht Überprüfungen zuzu-lassen, ist aus unserer Sicht unangemessen. So hinge esvon Journalisten oder sogar von Denunzianten ab, ob zu-fällig etwas über jemanden an die Öffentlichkeit gelangt.
Zweitens. Es darf nicht sein, dass Opfer der Stasi inder für sie geschaffenen Behörde auf Täter von damalstreffen oder das Wissen haben, ihre Akten würden vondenen bearbeitet, die sie damals beschatteten. Ein Opferder Stasi sprach letzte Woche im ZDF-heute-journal da-von, dass es ein Tritt in die Seele sei, zu wissen, dassehemalige MfS-Leute in dieser Behörde arbeiten. Des-halb haben wir eine Regelung vorgesehen, die das unter-sagt. Die dort verbliebenen Stasimitarbeiter sollen aufgleichwertige Stellen in anderen Bundesbehörden ver-sWOÜliDwvsGeDDvbBKaWvznleSInwgteuAteMnBdAvvdsAle
Zum ersten Punkt. Meine Damen und Herren von derpposition, Sie werfen uns vor, mit der Ausweitung derberprüfung würden Beamte und Mitarbeiter des öffent-chen Dienstes unter einen Generalverdacht gestellt.arum geht es nicht. Es geht vielmehr darum, eine Be-ertung der Eignung für einen bestimmten Dienstpostenorzunehmen. Das ist eine Kannregelung, und diese giltowohl in den alten wie in den neuen Bundesländern.
erade in den alten Bundesländern besteht, denke ich,iniger Handlungsbedarf.
Es geht um die Integrität des öffentlichen Dienstes.azu kann zum Beispiel Brandenburgs Innenminister,ietmar Woidke, zurzeit nur wenig beitragen; denn trotzieler Stasialtfälle im Land Brandenburg, beispielsweiseei der Polizei, bliebe ein Überprüfungsantrag beimStU nach geltendem Recht derzeit ohne Erfolg. Dieoalition sorgt dafür, dass dies ab dem 1. Januar 2012nders ist.
ir geben dem brandenburgischen Innenminister undielen anderen die Möglichkeit, den von Woidke so be-eichneten Schatten des Verdachts von der Polizei zuehmen und das Vertrauen der Bürger wieder herzustel-n.Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen von derPD, was ist los in Ihren Reihen? Ihr brandenburgischernenminister und die Landesbeauftragte, Ulrike Poppe,ollen es. Sie stellen sich hier, im Bundestag, dagegen.Nun zur zweiten Änderung der letzten Wochen. Unseht es bei der Umsetzung der stasibelasteten Mitarbei-r nach dem neuen § 37 a Stasi-Unterlagen-Gesetz nichtm Rache oder um Vergeltung. Es geht darum, einenusgleich zwischen den Interessen der Opfer – die soll-n wir vor allem im Blick haben – und der betroffenenitarbeiter zu finden. Wir meinen: Kein Opfer sollte ei-em ehemaligen Stasimitarbeiter in der Behörde desStU gegenübertreten müssen oder das Gefühl haben,ie Stasi säße immer noch in seinem Nacken, sei es imrchiv oder auch nur an der Pforte. Dass Mitarbeiter beiollen Bezügen unter Wahrung aller Anwartschaftenersetzt werden, gehört woanders zum normalen Behör-enalltag. Das ist meiner Meinung nach auch von dentasibelasteten Mitarbeitern beim BStU auszuhalten.
Die Glaubwürdigkeit der Behörde ist angekratzt. Zurufarbeitung gehört, dass die Behörde einen respektvol-n Umgang mit den Opfern pflegen kann. Das kann sie
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. September 2011 15543
Reiner Deutschmann
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nur, wenn keine ehemaligen Mitarbeiter des MfS in die-sem Haus tätig sind.
Herr Kollege Deutschmann, erlauben Sie eine Zwi-
schenfrage?
Ja.
Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Kollege. Ich stimme völlig mit Ih-
nen überein, dass es für die Opfer der Stasi, des SED-
Staates unzumutbar ist, in der Behörde, die diese Ange-
legenheiten untersuchen soll, ehemaligen Stasispitzeln
gegenüberzutreten. Darin stimmen wir völlig überein.
Sie wissen aber, wie lang die Einstellung dieser Perso-
nen schon zurückliegt, und Sie wissen, dass es Schuld
des Arbeitgebers und nicht der Betroffenen ist, dass sie
in dieser Behörde beschäftigt sind.
Der Arbeitgeber hätte doch längst, auf jeden Fall bis zur
Abfassung dieser Gesetzesnovelle, eine Lösung für die
Betroffenen finden können. Ich frage Sie nun: Wie
kommt es Ihrer Meinung nach an, wenn dieser Personen-
kreis jetzt kraft Ihres Gesetzes, dessen Verfassungsmä-
ßigkeit durchaus anzuzweifeln ist, in andere Bundesein-
richtungen versetzt wird? Wie stellen Sie sich das vor?
Welchem Stigma werden diese Personen ausgesetzt?
Halten Sie das für rechtsstaatlich vertretbar?
Ich habe bereits gesagt, dass es unser politischer
Wille ist, dass dies geschieht, weil das den Opfern nicht
zuzumuten ist. Das ist unsere Sicht.
Hinsichtlich Ihrer Feststellung, dass dieses Problem ei-
gentlich schon 20 Jahre in diesem Land besteht, kann ich
Ihnen nur zustimmen. Man hätte in dieser Frage viel
eher handeln müssen.
Der Kollege Thierse hat angedeutet, dass man den
Weg der Freiwilligkeit hätte wählen müssen. Dazu sage
ich: Die Gespräche haben in den letzten Monaten statt-
gefunden. Es sind schon viel eher Angebote unterbreitet
worden. Es ist nur keiner darauf eingegangen. Gerade
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Sie glücklicherweise nicht mehr.
err Thierse, Sie sprechen oft von gesellschaftlichem
usgleich und Versöhnung. Die Zeit mag die eine oder
ndere Wunde heilen. Aber aus unserer Sicht gibt es un-
r keinen Umständen eine Rechtfertigung dafür, dass in
inem Unrechtssystem Unrecht begangen wird.
Ich komme zum Ende meiner Rede. Wenn ich einen
unsch frei hätte, dann wünschte ich mir, dass mehr
tasitäter dazu bereit wären, sich ernsthaft und aufrichtig
ei den Opfern für die Dinge zu entschuldigen, die sie
nen angetan haben. Ohne eine solche Entschuldigung
erden ein Ausgleich und eine Versöhnung nur schwer-
ch möglich sein.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Rosemarie Hein
r die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um esleich am Anfang zu sagen: Die weitere Auseinanderset-ung mit der Geschichte ist für die Linke gerade wegenrer eigenen Geschichte unverzichtbar.
ie Aufarbeitung von Geschichte ist nicht nur wichtigr die, die in der Zeit der DDR Nachteile erlitten undnrecht erlebt haben und deshalb Genugtuung erwartennd zu Recht Rehabilitation einfordern, sie ist auch füriejenigen wichtig, die in irgendeiner Weise Verantwor-ng für erlittenes Unrecht tragen oder gar selbst Schulduf sich geladen haben. Wer nicht bereit und in der Laget, Lehren aus der Geschichte zu ziehen, läuft Gefahr,ie zu wiederholen. Das wollen wir nicht, und deshalb istns an einer ehrlichen Aufarbeitung gelegen.
Die Linke befürwortet eine tiefgreifende und differen-ierte Aufarbeitung von DDR-Unrecht und die Anerken-ung des durch dieses Unrecht zugefügten Leids und,oweit das überhaupt möglich ist, eine Wiedergutma-
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15544 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. September 2011
Dr. Rosemarie Hein
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chung. Ich habe großen Respekt vor den Erfahrungen derMenschen – Herr Thierse hat es eben angesprochen –, diesolche Sachen erlebt haben. Ich habe große Achtung vorihnen. Opfer der Staatssicherheit müssen darum – daranführt kein Weg vorbei – dauerhaft ein Recht auf Akten-einsicht haben.
Dennoch werden wir den vorliegenden Gesetzentwurfablehnen, und ich möchte versuchen, Ihnen zu begrün-den, warum.Unsere Ablehnungsgründe werden durch mehrereGutachten von Sachverständigen gestützt, die im Bun-destag angehört wurden.Erstens. Mehrere Sachverständige kritisieren, dassSie die Geltungsdauer des Gesetzes nunmehr bis zumJahre 2019 ausweiten wollen. Dadurch wird die Über-prüfungspraxis in Bezug auf Wahlämter und Mandatesowie auf Mitarbeiter im öffentlichen Dienst mit allenFolgen für die Betroffenen auf 30 Jahre nach der Wie-dervereinigung ausgedehnt.
Damit gehen Sie weit über die üblichen strafrechtlichenVerjährungsfristen hinaus. Wir halten das für unange-messen.
– Das ist ja das Problem. Es ist nicht einmal Strafrecht,es ist ein moralisches Recht,
das Sie höher als Strafrecht werten.
Wir gehen davon aus – Sie offensichtlich nicht –, dassauch Menschen, die Schuld auf sich geladen haben, zu-gestanden werden muss, dass sie in den letzten 20 Jahrendazugelernt haben, dass sie sich in der Demokratie ge-wissermaßen bewährt haben. Ich finde, man sollte dasauch anerkennen.
Sie wollen Ehrlichkeit, wir auch. Für mich wäre aberwichtig, dass sich offizielle und inoffizielle Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter der Staatssicherheit heute ihrerVerantwortung von damals stellen.
Das aber erfahren sie nicht durch eine derartige Überprü-fungspraxis. So werden der gesellschaftliche Dialog unddmdsteoIhkk–sbusnöcssdbdSdgddcEteläkfüsa
r Gesetzentwurf sieht vor, dass alle diese Personenünftig ohne Anlass überprüft werden sollen. Auch dasönnen wir nicht nachvollziehen.
Hören Sie mir einfach einmal zu. Ich habe Ihnen auchehr aufmerksam zugehört.In einem Gutachten von Professor Weberling wird daserechtigte Interesse betont, zu wissen, wen man wähltnd wer für ein öffentliches Amt tauglich ist. Ich ver-tehe das. Aber Regelüberprüfungen finden immer erstach der Wahl statt, und Mitarbeiter und Angestellte imffentlichen Dienst werden nicht gewählt. Ihr Ziel errei-hen Sie über diesen Weg also nicht.Auch 20 Jahre nach der Wiedervereinigung sehenich viele leider immer noch nicht in der Lage, eine Ver-trickung oder gar Schuld öffentlich zu bekennen, weilieses Bekenntnis auch heute noch zum Verlust des Ar-eitsplatzes führen kann und damit eine existenzielle Be-rohung bedeutet.
Eine offene und öffentliche Auseinandersetzung überchuld und Verantwortung, ein gesellschaftlicher Dialogarüber ist so nicht zu führen. Das bedarf einer anderenesellschaftlichen Atmosphäre, und die schaffen Sie mitieser Gesetzesänderung nicht.
Ein dritter Grund. Sie schaffen mit dem neuen § 37 aes Stasi-Unterlagen-Gesetzes eine besondere rechtli-he Regelung für eine sehr kleine Personengruppe.
s geht um Personen, die seit 20 Jahren in der Stasiun-rlagenbehörde arbeiten – und das offensichtlich zuver-ssig; sonst hätte es ja andere arbeitsrechtliche Möglich-eiten gegeben. Ihre frühere Mitarbeit im Ministeriumr Staatssicherheit war immer bekannt. Es gibt aus un-erer Sicht auch heute keinen Grund, eine Versetzung inndere Behörden sozusagen per Gesetz zu verordnen.
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Dr. Rosemarie Hein
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Wir halten das für verfassungsrechtlich höchst bedenk-lich.
20 Jahre nach der Wiedervereinigung wäre es eigent-lich an der Zeit, Frau Philipp, die Unterlagen des Minis-teriums für Staatssicherheit in das Bundesarchiv einzu-gliedern, so wie es ursprünglich beabsichtigt war.
– Es geht eben gerade nicht darum, sie zu versenken,Herr Wieland. Eine umfassende Aufarbeitung von Ge-schichte bedarf nämlich nicht nur des Zugangs zu denUnterlagen der Staatssicherheit, sondern auch des Zu-gangs zu den Unterlagen der Parteien und Massenorga-nisationen sowie des Staatsapparats. Die aber liegenschon im Bundesarchiv.
Eine Zusammenführung der Archivbestände könnteeine wissenschaftliche Aufarbeitung erleichtern, würdesie gerade nicht erschweren. Schon jetzt steht im Gesetz,dass der Zugriff auf diese Akten ermöglicht werden soll.Den Zugang für die Opfer müsste man nicht erschweren.Im Gegenteil: Man könnte sogar im Gesetz festschrei-ben, dass es ein lebenslanges Recht gibt, in diese Unter-lagen einzusehen.Wir bitten Sie nachdrücklich, über eine Zusammen-führung der Archivbestände in absehbarer Zukunft nach-zudenken. Das würde den notwendigen gesellschaftli-chen Dialog befördern, nicht verhindern; eineSchlussstrich-Mentalität wäre das auch nicht.Zum Änderungsantrag von Bündnis 90/Die Grünenund SPD möchte ich noch sagen: Wir stimmen mit Ihnenbezüglich der Streichung des neuen § 37 a überein. Wirrespektieren auch, dass Sie zumindest die Ausweitungdes Personenkreises im Zusammenhang mit der anlass-losen Überprüfung zurücknehmen wollen. Wir würdenaber mit einer Zustimmung zu Ihrem Änderungsantragauch der Ausweitung der Fristen zustimmen, und daskönnen wir nicht. Deshalb wollen wir uns bei der Ab-stimmung über den Änderungsantrag enthalten.
Für Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege
Wolfgang Wieland das Wort.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen undHerren! Frau Kollegin Hein, der Beitrag, den Sie hier ge-leistet haben, war ein relativ maßvoller. Im Ausschussfür Kultur und Medien haben Sie noch von Vergeltunggesprochen. Hier haben Sie die Forderung „Man mussdoch endlich einmal alles aufarbeiten“ formuliert. WennSie dieser Meinung sind, dann sollte Ihre Partei einmaldFuSBudle–sskIhDDHcRdDDcAcicdvunwDn
nd dann sollte Ihre Partei, die die Stasi als Schild undchwert eingerichtet hat, sich einmal fragen, welcheneitrag sie leistet,
nd zwar täglich, zur Rehabilitierung der Spitzel und zueren gesellschaftlicher Aufwertung, indem sie sie in al-n Etagen der Parlamente unterbringt.
Frau Enkelmann, es sind immer die Getroffenen, die sochreien und so emotional sind. – Was Ihre jetzige Vor-itzende, Frau Lötzsch, sagt, wenn sie zu den Alt-Tsche-isten geht und über Rentenunrecht jammert, und wasre designierte Vorsitzende, Frau Wagenknecht, zurDR zu sagen hat – der humanste Staat, den es ineutschland je gab –, zu Walter Ulbricht und zu Erichonecker, das sollten Sie einmal aufarbeiten.
Das Problem ist tatsächlich, dass es nach der friedli-hen Revolution in der DDR – das ist wohl die einzigeevolution, von der man das sagen muss – ganz vielener Täter materiell besser geht als ganz vielen der Opfer.as ist bitter; das weiß ich.
as ist aber auch deswegen so, weil der Rechtsstaat Ra-he und Vergeltung – darüber haben Sie noch in denusschüssen geredet – nicht kennt. Er nimmt keine Ra-he, er zahlt sogar Rente an die früheren Stasispitzel. Ja,h weiß, dass das für viele Opfer sehr bitter ist. Ich sageas ganz bewusst und erinnere an den folgenden Satzon Bärbel Bohley: Wir haben Gerechtigkeit gewolltnd den Rechtsstaat bekommen. – Dieser Satz ist von ei-er sehr klugen und sehr mutigen Frau. Er hat mir aberirklich noch nie gefallen.
enn wo soll sich Gerechtigkeit materialisieren, wennicht im Rechtsstaat? Nur dort geht es.
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15546 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. September 2011
Wolfgang Wieland
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Nur dort haben wir die prozessualen und prozeduralenMittel.Der Rechtsstaat sagt zum Beispiel auch, dass ein ver-urteilter Mörder – Lebach-Urteil des Bundesverfas-sungsgerichtes – ein Recht darauf hat, dass die Zeitun-gen ihn nicht mehr Mörder nennen. Der Rechtsstaat sagtauch – das haben uns die großen alten Männer des Da-tenschutzes Bull und Garstka in der Anhörung erklärt –,dass er das Vergessen kennt und es beim Datenschutzund an anderen Stellen sogar organisiert.Wenn man das alles weiß, dann kann man nicht, jelänger der Untergang der DDR her ist, mit einem zuneh-menden Furor – Heribert Prantl hat es so genannt – andiese Fragen herangehen. Wir sind nicht mehr im Jahreeins der deutschen Einheit, wir sind im Jahre 21 derdeutschen Einheit.
Frau Kollegin Philipp, wenn Sie hier bedauern, dasswir aus dem gemeinsamen Boot ausgestiegen sind, dannmuss ich Ihnen ganz deutlich sagen: Ausgestiegen sindSie.
Noch vor der Sommerpause haben Sie gesagt: Wir wer-den das doch nicht mit der „Gruppe der 47“ belasten.Nach der Sommerpause haben Sie es belastet. DiesesSondergesetz, sorry, halte ich in dieser Form für verfas-sungswidrig.
Es ist ein Gesetz für 47 Mitarbeiterinnen und Mitarbei-ter. Gleichzeitig nutzt es überhaupt nichts. Es schreibtdie geltende Rechtslage fest. Es macht die Arbeit nichteinfacher.
Deswegen hat Wolfgang Thierse völlig recht, wenn ersagt: Es geht nur im Einvernehmen, und es geht nurdann, wenn die Bundesregierung andere Verwendungs-möglichkeiten anbietet. Daran wird auch diese Formu-lierung nichts ändern. Sie ist falsch und grundsätzlichabzulehnen.
Zum zweiten Streitpunkt. Wir sind Ihnen sehr weitentgegengekommen; das muss ich einmal deutlich sa-gen. Wir sind Ihnen in den vielen Verhandlungen, diewir geführt haben, sehr entgegengekommen und habenspontan den Vorschlag aufgegriffen, den HubertusKnabe als Sachverständiger in der Anhörung gemachthat. Dieser sieht vor, dass bei Verdacht jeder überprüftwerden kann, sogar ein Pförtner. Dadurch würde der Per-sonenkreis also viel stärker ausgeweitet werden, als wires ursprünglich wollten. Das haben Sie abgelehnt; auchdas wollten Sie nicht machen.hctimdSDdrisgzSzRriafeSwpndbdddddzbmgHSWPkissSdtew
Wir haben Vertrauen in die integrative Wirkung desechtsstaates. Wir sagen: Man muss auch eine 20-jäh-ge unbeanstandete Tätigkeit, auch die von Polizeibe-mtinnen und -beamten in Brandenburg, würdigen. Dashlt mir bei Ihnen völlig. Sie beschäftigen sich nur mittasiverstrickungen. Diese dürfen nicht verniedlichterden. Aber es handelt sich hier um einen Abwägungs-rozess. Sollte man eine zweijährige Ausbildung an ei-er Stasihochschule, der keine berufliche Tätigkeit, son-ern direkt eine Tätigkeit im Rechtsstaat folgte, soewerten, dass man sagt: Hier geht nichts mehr?Roland Jahn hat, als er bei uns und im Ausschuss war,eutlich gesagt, dass er zukünftig mehr die Abhängigkeiter Stasi und das Verhältnis zwischen SED und Stasi inen Vordergrund stellen möchte, um die Unwucht ausieser Debatte zu bekommen. Ich erinnere an Berghofer,er deutlich gemacht hat, dass Modrow und Gysi seiner-eit sagten: Wenn wir wollen, dass die Partei fortbesteht,rauchen wir einen Schuldigen. Das ist die Stasi. Auf sieüssen wir die Volkswut lenken. – Das ist ganz sicher soewesen. Aber wir alle sollten darauf achten, was derund und was der Schwanz ist. So schlimm das, was dietasi gemacht, auch war, sie hat es im Auftrag und mitissen und Wollen – sie wurde dazu gegründet – Ihrerartei getan.
Zum Schluss – ein ganz schlichter und einfacher Satzommt jetzt noch; er wird Ihnen nicht gefallen, aber ert richtig –: Die Antwort auf die Stasi ist der Rechts-taat. Oder, wie es Joachim Gauck ausgedrückt hat:taatliche Verwaltung muss dem Recht gehorchen. We-er Gutdünken noch Gutmeinen dürfen das Handeln lei-n. – Das würde ich Roland Jahn gerne mit auf seineneiteren Weg geben.
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Das Wort hat jetzt der Kollege Marco Wanderwitz
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Die jüngsten der verantwortlichen Täter der Jahre 1989und davor sind heute Anfang/Mitte 40. Sie stehen alsonoch richtig in Saft und Kraft. Sie werden uns im Rah-men ihrer Berufsausübung noch die nächsten 20,30 Jahre begleiten, möglicherweise in politischen Wahl-ämtern, möglicherweise im öffentlichen Dienst. Genaudas ist der Grund, warum wir den Deckel nicht einfachzumachen dürfen, sondern uns noch eine ganze Zeit langsehr genau damit befassen müssen, was damals passiertist.
Nicht wenige dieser Täter – Kollege Deutschmannhat es schon angesprochen – haben ganz konkret das Le-ben von Menschen ruiniert, die Gesundheit von Men-schen ruiniert, Familien kaputtgemacht und Berufschan-cen kaputtgemacht. Diese Erfahrungen tragen dieBetroffenen ihr Leben lang mit sich herum. Sie haben sieauch in den neuen Rechtsstaat hinübergerettet. Wennman beispielsweise kein Abitur machen oder nicht stu-dieren konnte, dann hängt einem das ein Leben langnach. Der Täter von damals, der protegiert wurde undaufgestiegen ist, profitiert sein Leben lang von dem, waser damals für seine Tat bekommen hat.Wir sagen zur Einzelfallprüfung absolut Ja. Natürlichmüssen wir genau hinsehen. Wir sind auch bereit, zu dif-ferenzieren: zwischen den großen Tätern, denen, dieganz vielen Menschen geschadet haben, und denen, die,weil sie in einer Zwangslage waren, zwar mitmachenmussten, aber keinem geschadet haben, die beispiels-weise einen bestimmten Bericht geschrieben haben.Aber: Trotz der Einzelfallprüfungen sind wir nicht be-reit, kraft Zeitablauf so etwas wie eine Pauschalabsolu-tion zu erteilen.
– Herr Kollege Thierse, ich habe nicht in Ihre Richtunggeschaut, als ich das gesagt habe.
– Das Problem an Ihrer Rede, Frau Kollegin, war: Dererste Teil war die schöne Prosa. Aber ab der Mitte habenSie leider in jedem Satz das genaue Gegenteil davon ge-sagt.
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s spricht ja eine ganze Menge dafür, dass in diesen Ta-en einiges vielleicht planlos, anderes aber vielleichtuch mit einem gewissen Plan vernichtet worden ist. Espricht auch einiges dafür, dass Handakten von aktivenorgängen dabei waren und dass dort auch die Täter dertzten Jahre – eben auch die jüngeren verantwortlichenäter, die ich am Anfang meiner Rede beschrieben habe –ermerkt waren. Genau deshalb, weil es neue Erkennt-isse gibt, glauben wir, dass einiges dafür spricht, in ge-issen Momenten, die sich anbieten – das kann zumeispiel vor einer Beförderung auf einen noch verant-ortlicheren Posten sein –, noch einmal hinzuschauen,b da vielleicht doch mehr war.Es geht nicht um die Privatwirtschaft, sondern es gehtm Klarheit bei Wahlämtern. Wenn im Angesicht einerolchen Tat trotz alledem die Wahl stattfindet, dann mussan das in der Demokratie akzeptieren. Wir wollen aberlarheit. Hinsichtlich des öffentlichen Dienstes steht da-inter natürlich, wie Reiner Deutschmann schon gesagtat, der politische Wille: Wir wollen dort keine Täter.
Nun will ich es einmal so sagen: Lieber Wolfgangieland, lieber Kollege Thierse, ich will der Versu-hung, den Konflikt zu suchen, mit der ich vielleichtierhergekommen bin, widerstehen und einfach einmalersuchen, aufzuzeigen, wo die gedanklichen Unter-chiede zwischen uns sind, weil ich glaube, dass wir denuten Willen bei uns allen in diesem Hause sehen kön-en.Der erste Denkunterschied ist, dass Sie sagen, manüsse die letzten 20 Jahre mit anschauen. Das versteheh. Wir reden aber zumindest vorrangig über Leute, dieich 20 Jahre lang weggeduckt haben. Wir reden jetzticht über die 47, die noch immer in der Stasiunterlagen-ehörde arbeiten, sondern über die, die unerkannt im öf-ntlichen Dienst arbeiten, die bei der Einstellung gelo-en haben und die wir bis jetzt noch nicht gefundenaben.
ie haben sich 20 Jahre lang geduckt und werden jetzt Vergleich zu denen, die nicht gelogen haben und da-it nicht übernommen oder nicht eingestellt wordenind, und denen, die wir gefunden haben, dafür belohnt,ass sie weiter gelogen und sich weggeduckt haben. Dasann ich nicht akzeptieren.
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Marco Wanderwitz
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Der zweite Punkt, bei dem wir offensichtlich eine an-dere Ansicht haben, ist der – ich nenne es einmal so –Kollektivverdacht. Wenn ich in meinem Wahlkreis imsächsischen Südwesten mit den Menschen über dieseThematik rede, dann sagen mir die Opfer unisono: Gut,dass ihr es so macht, dass ihr das noch einmal ausweitet,dass ihr noch einmal genauer schaut und dass ihr nichtaufhört. – Die, die nicht konkret betroffene Opfer, abereben auch nicht Täter waren, sagen: Ich fühle michdurch diese Regelung in keinster Weise stigmatisiert;denn sie dient der Findung der Täter. Das könnt ihr gerneso machen.
Es mag ja vielleicht sein, dass die Menschen bei mirzu Hause anders ticken – ich weiß es nicht –, aber inmeinem Wahlkreis ist das jedenfalls die Meinung derMenschen, und das leitet mich.Widerstand in der Diktatur muss sich lohnen. Wir ha-ben gesagt, wie schwer es ist, zumindest ein bisschenvon dem wiedergutzumachen. Norbert Röttgen sprichthier und da ganz gerne davon, dass man Politik durch dieBrille der Kinder machen soll. Das gefällt mir grundsätz-lich sehr gut. In dieser Debatte hier will ich das einmalein bisschen umformulieren: Wir versuchen – ich ladenoch einmal herzlich dazu ein, den Gedankengängen, dieich geäußert habe, näherzutreten –, Politik durch dieBrille der Opfer und nicht durch die Brille der Täter zumachen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Patrick Kurth für die
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Liebe Kollegen von der Opposition, ich hatte mirheute auch mit Blick auf die Rednerreihenfolge und dieRedezeit vorgenommen, nicht auf die inhaltlichenPunkte einzugehen, sondern Sie noch einmal aufzufor-dern, Ihre Fehlentscheidung – Sie begehen hier einenFehler – zu revidieren und zuzustimmen.
Ich habe mir vorgenommen, dass außer der Linkenalle anderen vier Fraktionen in diesem Haus gemeinsamund geschlossen vorgehen und dass wir uns nicht wegender Details, die Sie vorgebracht haben, auseinanderdivi-dieren lassen;
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ie müssen der Öffentlichkeit und vor allen Dingen denpfern erklären, warum Sie erstmals Ihre Zustimmungu einer Änderung dieses wichtigen Gesetzes verwei-ern und aus welchen Gründen Sie das machen.
ein Mensch versteht, warum Stasileute in der Stasi-nterlagenbehörde arbeiten.
ie sollen – bei gleichem Arbeitsort, gleichem Gehaltnd gleichen Rentenansprüchen – versetzt werden. Diellermeisten Arbeitnehmer in diesem Land, die sich üb-gens nichts zuschulden kommen ließen, können vonolchen Versetzungsgründen bzw. Versetzungsbedingun-en nur träumen.
ir bauen eine Luxusbrücke, über die man offensicht-ch nicht bereit ist, zu gehen. Es wurden bereits Stellenngeboten. Soweit ich weiß, haben die Stasileute in dertasiunterlagenbehörde abgelehnt.
Freiwillig geht da keiner, Herr Thierse. Es ist auch einiderspruch, wenn Sie heute im Radio erklären, Sieeien für die Versetzung der Mitarbeiter, und einen Satzpäter erklären, man müsse die letzten 20 Jahre berück-ichtigen. Dann dürften Sie auch nicht für die Verset-ung der Mitarbeiter sein. Das ist einer von vielen Wi-ersprüchen.
ie behaupten, es liege ein rückwirkender Gesetzentwurfor. Das wird doch kein rückwirkendes Gesetz, sondernach vorne gerichtet. Das, was Sie sagen, ist falsch undidersprüchlich. Wir wollen eine Sachlage klären, die inukunft so nicht mehr Anwendung finden wird. Sie,err Thierse, spielen – das finde ich nicht in Ordnung –st gegen West aus, obwohl Sie wissen, dass es sich hierm ein gesamtdeutsches Gesetz handelt.
ie sagen – das hat Herr Wieland noch einmal wieder-olt –, wir würden nur geltendes Recht wiederholen. An-chließend erklären Sie, es sei verfassungswidrig. Daseißt doch, dass die aktuelle Rechtslage verfassungswid-g ist. Oder was? Auch das ist ein Widerspruch. Sie be-aupten, es gehe um ein unzulässiges Einzelfallgesetz.
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Patrick Kurth
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– Nein, es gilt für jeden. Wir legen endlich ausdrücklichund allgemeingültig fest, dass es nicht sein kann, dass inder Stasiunterlagenbehörde auch in Zukunft Exstasileutearbeiten.
Ich stimme da mit Ihrem Exparteifreund Otto Schilyüberein, der sagte, dass dies unverständlich ist. Das ist esja auch. Unverständlich ist, warum ehemalige Stasimit-arbeiter unbedingt in der Stasiunterlagenbehörde reso-zialisiert werden müssen. Es gibt genügend andere zu-mutbare Stellen.
Auch in Bezug auf die Ausweitung der Überprüfunggibt es nur Widersprüche. Sie fordern Nachsicht mit denStasileuten und Verjährung.
Aber Sie wollen – das geht nicht, wenn Sie diesenGrundsatz wirklich konsequent weiterführen wollen –trotzdem überprüfen lassen. Wenn Sie das konsequent zuEnde denken würden, unter Berücksichtigung von Ver-jährung usw., müssten Sie sagen: Schluss mit der Über-prüfung. Wir vergeben und vergessen und nehmen keineÜberprüfung mehr vor.Letztlich werfen Sie uns vor, wir hegten einen Gene-ralverdacht. Dazu möchte ich Ihnen – den Begriff „Ver-folgungsfuror“ haben Sie hier auch noch einmal erwähnt –nur sagen: Sie geben jetzt praktisch das rechtsstaatlicheInstrument, dass der Rechtsstaat sich selber überprüfenkann, in die Hände der Bürger bzw. der Presse. Dasheißt, wenn jemand einen Verdacht äußert, dann könnenwir nach Ihren Vorstellungen auch überprüfen. Damitfördern Sie ein Klima des Misstrauens. Sie fördern De-nunziantentum.
„Ich habe den Verdacht, dass mein Nachbar, derschon immer an seinem Gartenzaun stand usw., mögli-cherweise …“, diesen Verdacht spreche ich aus, setzeihn in die Zeitung, und dann darf die Stasiunterlagenbe-hörde untersuchen oder nicht untersuchen: Es kann nichtim Sinne des Rechtsstaates sein, so etwas zuzulassen.Deswegen bitte ich Sie noch einmal: Überdenken Sie, obSie an der Stelle wirklich richtig liegen oder ob Sie nichtdoch zustimmen sollten. Ich kann Ihnen sagen, was an-sonsten passieren wird: Wenn bei UnrechtsaufarbeitungVerjährung einsetzt, hat man keine Nähe mehr zu demThema. Dann ist man nicht mehr dran an den Themen,es fehlt einem die Sensibilität. Dann schaltet man ir-gendwann auch solche Anzeigen, in denen die Kanzlerin– Deutschland 2011 – mit einem Satz von WalterUlbricht aus dem Jahr 1961 in Verbindung gebrachtwird: „Niemand hat die Absicht, …“ Ich bitte Sie: Kom-men Sie davon weg und stimmen Sie heute zu.Herzlichen Dank.
MMulashAbfrKFmggswdGEguubwtibsmdKwwmbUwmligdhu
Das ist gut. Genauso gut ist, dass die Überprüfungs-ist bis Ende 2019 verlängert wird und dass auch derreis der überprüfbaren Personen auf die mittlereührungsebene erweitert wird, vor allem auch auf kom-unale Wahlbeamte. Allein der Umstand, dass im ver-angenen Jahr 89 000 Neuanträge an die Stasiunterla-enbehörde gestellt wurden, zeigt, dass das Thema – ichage: leider – nach wie vor hochaktuell ist und deshalbeiterhin unsere Aufmerksamkeit benötigt.Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen voner Opposition, Sie begehen in Ihrer Kritik an unseremesetzentwurf meines Erachtens einen groben Fehler:s geht hier nicht um strafrechtliche Aufarbeitung. Eseht auch nicht um strafrechtliche Vergeltung. Es gehtm historische Aufarbeitung. Es geht um individuellend moralische Verantwortung und Verantwortlichkeit.
Dafür darf und wird es auch kein Rückwirkungsver-ot geben. Das ist der Grund, warum dieser Gesetzent-urf beileibe nicht verfassungsrechtlich oder rechtspoli-sch bedenklich ist, wie Sie, Herr Kollege Thierse,ehaupten. Es ist eine neue Attitüde, bei jedem Gesetztereotyp zu behaupten, es sei verfassungswidrig undan werde es in Karlsruhe überprüfen lassen. Ich for-ere Sie auf: Machen Sie das! Lassen Sie das Gesetz inarlsruhe überprüfen. Ich sage Ihnen ganz offen: Sieerden Schiffbruch erleiden.Herr Kollege Thierse, ich bin durchaus bei Ihnen,enn Sie fordern: Man muss Vertrauen schaffen. Aberan schafft Vertrauen nicht dadurch, dass man sichlind stellt. Ich möchte hier mit Johannes 8, 32 sprechen:nd ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheitird euch frei machen. – Sonst sind Sie bei allen The-en immer für größtmögliche Offenheit und größtmög-che Transparenz. Transparency International ist Ihrrößter Ratgeber und Befürworter. Warum sind Sie beiiesem wichtigen Thema nicht für größtmögliche Offen-eit und größtmögliche Transparenz?Ich möchte ausdrücklich dem neuen Leiter der Stasi-nterlagenbehörde, Roland Jahn, für seinen Mut und
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Stephan Mayer
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seine Tatkraft ganz herzlich danken. Er hat deutlich ge-macht, dass es nicht angehen kann, dass weiterhin ehe-malige Stasimitarbeiter in der Behörde arbeiten, die derAufarbeitung und der Aufklärung des Stasiunrechtsdient.
Herr Kollege Thierse, es ist, gelinde gesagt, euphe-mistisch, wenn Sie erklären: Es ist für Opfer der Stasischwer erträglich, wenn sie ihren ehemaligen Tätern insGesicht blicken müssen. – Ich muss Ihnen ganz ehrlichsagen: Sie müssen sich einmal in die Situation dieserPersonen versetzen: Sie gehen in das Gebäude der Stasi-unterlagenbehörde, und dort sitzen vorne freundlich lä-chelnd als Pförtner diejenigen, die früher die Täter wa-ren, die Sie ausspioniert, drangsaliert und schikanierthaben, die Sie vielleicht sogar persönlich an Leib undLeben erheblich bedroht und geschädigt haben.
Das ist an Zynismus und Verhöhnung in keiner Weise zuübertreffen.
Deswegen ist es vollkommen konsequent und richtig,dass wir jetzt mit der gesetzlichen Änderung die Mög-lichkeit zur Versetzung innerhalb der Bundesverwaltungschaffen, um diesen unmöglichen Zustand, der derzeitnoch vorherrscht, zu beenden.Meine Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,Sie begehen meines Erachtens einen weiteren Fehler.Mit der Fortschreibung des Stasi-Unterlagen-Gesetzesist kein Unwerturteil gegenüber den früheren Bewohne-rinnen und Bewohnern der DDR verbunden. Auch wer-den die ehemaligen Bürger der DDR nicht unter Gene-ralverdacht gestellt, sondern es geht um die weiterhinvorhandene und aus meiner Sicht dringend notwendigeMöglichkeit, dieses schreckliche Unrecht, das von Tau-senden von Stasimitarbeitern in 40 Jahren verübt wurde,aufzuarbeiten und aufzuklären.Deshalb kann ich an Sie nur herzlich, aber umso drin-gender appellieren: Steigen Sie wieder ins Boot ein!
Noch haben Sie die Möglichkeit. Zeigen Sie Mut undauch die Bereitschaft, an diesem gesamtgesellschaftli-chen Thema weiterhin ernsthaft mitzuarbeiten. Dazumöchte ich Sie kollegialerweise auffordern.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
das Wort der Kollege Wolfgang Börnsen von der CDU/
CSU-Fraktion.
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ir stehen für eine Verlängerung der Arbeit der BStUis 2019.
90 000 Anträge jährlich beweisen: Es gibt einen gro-en Bedarf an weiterer Aufklärung.
underte von Bürgern wollen Woche für Woche wissen,ie der Geheimdienst ihr Leben, ihren Beruf und ihreamilie gewissenlos manipuliert hat.In den vergangenen 20 Jahren hat es über 6,6 Millio-en Anträge gegeben. Dahinter steckt millionenfacheseid. Zu fast allen Vorschlägen, die heute beraten wer-en, besteht zwischen vier Fraktionen fast Einigkeit. Nurie Linke will die brutale Vergangenheit der DDR ver-essen lassen. Das ist typisch für die Linke.
Bei unserer Anhörung über den Entwurf des neuentasi-Unterlagen-Gesetzes sprach sich die übergroßeehrheit aller Experten für die Neufassung aus: für dieerlängerung der Frist der Überprüfung, für die Auswei-ng des Personenkreises und für die Erweiterung derugangsrechte für Stasiopfer, Wissenschaftler und Jour-alisten. Eine unterschiedliche Einschätzung gibt es nuru den 47 Mitarbeitern, den Geheimagenten im Dienster DDR, die heute noch weiterhin im Behördendiensttig sind. Wir lehnen eine weitere Beschäftigung dieseritarbeiter mit Stasivergangenheit ab.
Wir als Gesetzgeber haben das Heft des Handelns iner Hand. Die jetzt erzielte Lösung ist personal- und ver-ssungsrechtlich geprüft. Das Gutachten von Weberlingestätigt diese Rechtsauffassung. Evelyn Finger hat inrem Aufsatz in der Zeit noch einmal deutlich daraufufmerksam gemacht: Jetzt ist Zeit, zu handeln.Die Rechtsstaatlichkeit wird gewährleistet. Die einsti-en Mitarbeiter des MfS werden nicht entlassen, sondernersetzt. Roland Jahn hat vor seiner Wahl in allen Frak-onen des Bundestages erklärt, worauf es ihm ankommt:ie Behörde muss das Vertrauen der Bürger genießen.ie muss in ihrer Arbeit glaubwürdig sein, und sie darfie die Leiden der Opfer vergessen.Jetzt gilt es, Roland Jahn den Rücken zu stärken.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. September 2011 15551
Wolfgang Börnsen
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Ihn erst im Parlament mit großer Mehrheit in sein Amtzu wählen und ihn jetzt, wo es darauf ankommt, in dieserentscheidenden Frage alleinzulassen, geht nicht.Bereits die Einstellung von Stasispitzeln in eine Be-hörde, die Stasivergehen aufdecken soll, war eine Fehl-entscheidung.
Sie war gewollt, weil man angeblich auf deren Fach-kunde nicht verzichten konnte. Kritiker bezeichnen dieseMaßnahme zu Recht als naiv, leichtgläubig, folgen-schwer und der Reputation dieser Behörde abträglich.Jahrelang wurde der Sachverhalt unter der Decke ge-halten. Erst Ende der 90er-Jahre erfuhr das Parlamenterstmalig von diesen Vorgängen. Man hatte nicht nur denBock zum Gärtner gemacht, sondern Brandstifter zumFeuerlöschen eingesetzt. Das geht nicht.
In die Arbeit der Behörde zog Misstrauen ein. Mitdiesem Misstrauen machen wir heute Schluss. Die BStUmuss von diesem Verdacht befreit werden. Die Umset-zung erfolgt in fairer und gerechter Weise. Dem Einzel-fall wird Rechnung getragen.
Vergünstigungen wird es nicht geben. Das breite Ver-trauen in die Behörde wird wiederhergestellt.
Wir als Parlament waren zu lange zögerlich. Das giltfür die Veröffentlichung der Rosenholz-Unterlagen überdie Auslandsspionage der Stasi ebenso wie für die Auf-klärung über die zerrissenen Akten in 16 000 Säcken.Auch hier ist Handeln geboten.Die ganze Wahrheit muss auf den Tisch. Aufklärungund Aufarbeitung dürfen kein Ende haben, wenn wireine Befriedung unserer Gesellschaft erreichen wollen.Darum geht es, meine Damen und Herren.
Genau diese Zielsetzung leitet inzwischen 14 Partner-organisationen der BStU weltweit. In 14 Ländern, in de-nen es Militär- und Parteiendiktaturen gab, wird nachdem Vorbild der BStU und mit großer Unterstützung ausBerlin aufgeklärt und aufgearbeitet. Neu ist Ägyptenhinzugekommen. Insgesamt wird die BStU in ihrer Ar-beit international anerkannt. Damit es so bleibt, hat dasParlament, haben auch wir darauf zu achten, dass es kei-nen Anlass zu Misstrauen gibt, dass unsere Behörde bei-spielhaft arbeitet. Wir handeln auch im Sinne der Bür-gerkomitees, die am 14. Februar 1991 als Erste einenEntwurf für ein Stasi-Unterlagen-Gesetz vorgelegt undgesagt haben: Es muss eine glaubwürdige Behörde sein,die den Opfern gerecht wird.Zeigen Sie heute Solidarität mit dieser Behörde! Zei-gen Sie Solidarität mit den damaligen Bürgerkomitees!SdFwtedDdAdsdaÄautrluSsgubgnELeagKEeuGGisn
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15552 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. September 2011
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Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz
RechtsausschussPetitionsausschussInnenausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieVerteidigungsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Kultur und MedienFederführung strittigNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-derspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so be-schlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-nerin das Wort der Kollegin Karin Binder von der Frak-tion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Zivilcourage ist ein wichti-
ges Element unserer Demokratie und notwendig für eine
funktionierende Gesellschaft.
Deshalb hat die Linke einen Antrag zur Beratung mit
dem Titel „Die Bedeutung von Whistleblowing für die
Gesellschaft anerkennen – Hinweisgeberinnen und Hin-
weisgeber schützen“ vorgelegt. Noch gibt es keinen
wirklich zutreffenden deutschen Begriff für Whistleblo-
wing. Das Wort „Hinweisgeber“ trifft es nicht ganz.
Auch der Begriff „Informantenschutz“ ist nur eine unzu-
reichende Beschreibung. Deshalb reicht auch eine kleine
Änderung im BGB nicht aus, um das Thema zufrieden-
stellend zu behandeln. Wir meinen, dass Menschen, die
den Mut und die Courage haben, auf Missstände auf-
merksam zu machen, dafür nicht benachteiligt oder gar
bestraft werden dürfen.
Dies ist in unserer Gesellschaft aber fast die Regel.
Whistleblowerinnen und Whistleblower müssen da-
mit rechnen, dass sie verleumdet werden, dass sie ge-
mobbt werden und dass sie ihren Arbeitsplatz verlieren.
Dagegen können sie zwar klagen, aber unsere Arbeitsge-
richte versagen ihnen häufig den notwendigen Rückhalt
und Schutz.
Manche von diesen Hinweisgeberinnen und Hinweis-
gebern wurden für ihre Verdienste schon mit Medaillen
ausgezeichnet oder erhielten einen Preis, wie zum Bei-
spiel Miroslaw Strecker. Vielleicht erinnern Sie sich an
ihn: Ohne diesen Mann wäre der Gammelfleischskandal
vielleicht nie aufgeflogen. Als Lkw-Fahrer einer Spedi-
tion hat er beobachtet, wie seine Lieferung vom Empfän-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. September 2011 15553
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Noch zwei Sätze. – Dafür muss der Schutz von
Whistleblowern gesetzlich geregelt werden. Das sagt ein
Beschluss der G-20-Staaten.
Deshalb fordern wir die Bundesregierung heute auf,
uns bis zum Jahresende einen Vorschlag vorzulegen, da-
mit das Parlament genügend Zeit hat, die vielen notwen-
digen Gesetzesänderungen angemessen und qualifiziert
zu beraten.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Gitta Connemann für
die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wiki-
Leaks ist spätestens seit dem letzten Jahr wohl jedem
von uns bekannt. Die Internetplattform war angetreten,
die Welt transparenter und damit vermeintlich auch bes-
ser zu machen. Zu diesem Zweck wurden mehr als
250 000 Berichte aus US-Botschaften aus aller Welt ins
Netz gestellt. Diese Enthüllung liegt übrigens neun Mo-
nate zurück.
Heute bedeutet die so gepriesene Transparenz für
mehr als 100 Informanten vor allem eines: Angst um
ihre Sicherheit und ein Leben in Angst.
Denn die Geheimnisträger müssen um ihre Sicherheit
fürchten. Bislang waren ihre Namen in den Botschafts-
depeschen unkenntlich gemacht worden. Jetzt allerdings
stehen die Originaltexte mit den Namen aller Geheim-
nisträger im Internet. Grund dafür war eine Datenpanne
bei WikiLeaks. Die bittere Erkenntnis lautet: Die Com-
puterexperten konnten nicht – ich wiederhole: nicht – die
Sicherheit der ihnen anvertrauten Daten gewährleisten.
Gerade diese enthüllten Enthüller sollen aber zukünftig
für gar nichts mehr haften, wenn es nach dem Antrag der
Linken geht, über den wir heute debattieren.
In ihrem Antrag fordern die Genossinnen und Genossen
nämlich den – ich zitiere:
Schutz von Medien und anderen Publizierenden
wie z. B. WikiLeaks, anderen Leak-Plattformen …
Personen, die Verschlusssachen erhalten und ver-
breiten, dürfen dafür nicht haftbar gemacht werden
können.
Ohne Ausnahme, niemals Haftung. Ich finde schon
das absolut unfassbar; denn Portale wie WikiLeaks wür-
den nach dem Willen der Linken zukünftig vollkommen
außerhalb des Rechts stehen, im Guten wie im Schlech-
ten. Das wäre der absolute Freibrief für jegliches Han-
deln; denn die Linken machen keinerlei Unterschied, ob
diese Plattformen selbst gegen Normen verstoßen oder
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Ich habe nicht über die Bestrafung von WikiLeaks ge-prochen. Ich habe gesagt, dass ich die Beibehaltung dertrafrechtlichen Normen in dieser Form will.
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15554 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. September 2011
Gitta Connemann
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Noch schlimmer finde ich allerdings die Begründung.Ich empfehle daher wirklich jedem, diesen Antrag zu le-sen. Die Linke fordert nämlich die totale Haftungsfrei-stellung mit der Begründung – ich bitte darum, jetzt ge-nau zuzuhören –:Jene Enthüllungsplattformen sind zugleich eine le-gitime und zeitgemäße Erscheinungsform der vier-ten Gewalt. Sie müssen auch rechtlich vor Übergrif-fen …, gleich ob durch öffentliche oder privateStellen, geschützt werden.Als ich das las, war ich noch fassungsloser. Ich willhier gar nicht mehr von der bewährten Gewaltenteilung– Exekutive, Judikative und Legislative – sprechen. Da-rüber müssen wir mit Ihnen auch nicht mehr reden. Dasalles scheint für Sie wirklich nur eine Petitesse zu sein,weil Sie auf die Schnelle eine neue Gewalt – Sie spre-chen von der vierten Gewalt – generieren. Das ist un-glaublich.In Ihrem Antrag, den Sie vorlegen, fordern Sie, dassWikiLeaks als höchste Instanz vollkommen unantastbarist, obwohl in keiner Weise legitimiert. Ich sage Ihnenallen persönlich, meine Damen und Herren von der Lin-ken: Mir graut vor Ihrem Demokratieverständnis.
Schon deshalb ist Ihr Antrag vollkommen unakzeptabel.Das gilt auch mit Blick auf Ihr Rechtsverständnis. Dafürgibt es einmal mehr die Note „mangelhaft“.Im Mittelpunkt Ihres Antrags stehen die sogenanntenWhistleblower, also Informanten oder Hinweisgeber.Sie, meine Damen und Herren von der Linken, fordernin diesem Zusammenhang weitreichende gesetzliche Re-gelungen. Anlass für Ihre Forderung war im Übrigennicht die jüngste Entscheidung des Europäischen Ge-richtshofs für Menschenrechte in der Sache Heinisch.
– Das wollte ich gerade sagen. Es wäre gut, wenn Siemich ausreden lassen würden. – Die Entscheidung er-ging erst nach Vorlage Ihres Antrages.Sie stützen Ihren Antrag ausschließlich auf Wahrneh-mungen. Danach sind Whistleblower, Informanten undHinweisgeber, nicht hinreichend geschützt.
Dumm ist nur, dass Ihr Befund nicht stimmt. Das stelleich bei vielen Ihrer Anträge fest. Die Rechtslage ist so– ich empfehle immer den Blick ins Gesetz, der dieRechtsfindung erleichtert –,
dass ein Schutz besteht; das ist auch gut und wichtig. InDeutschland gibt es entsprechende spezialgesetzlicheRegelungen, beispielsweise das Anzeigerecht in § 17Abs. 2 des Arbeitsschutzgesetzes.Knddwgvmdwdankpesb2vdw–kbdddsicWk–zgbraSmAd
Frau Leidig, Sie können ruhig stehen bleiben. Ichomme nämlich jetzt zu den G-20-Staaten. Ich finde esemerkenswert, dass sich in diesem Haus Kollegen auser Opposition inzwischen zwar ständig zu Wort mel-en, um Fragen zu stellen, sich aber dann hinsetzen, umie Antwort nicht bis zum Ende hören zu müssen. Sieind manchmal wie bockige kleine Kinder. Anders kannh das nicht bezeichnen.
enn Sie stehen geblieben wären, hätte ich Ihnen sagenönnen
Frau Kollegin, quaken Sie nicht dazwischen; hören Sieu; auch das gehört zum Erwachsensein –: Das Gleicheilt für den im Jahr 2010 von den G-20-Staaten verein-arten Aktionsplan gegen Korruption, von dem Sie ge-de sprachen. Dieser Plan sieht unter anderem diechaffung von Regelungen vor, die Personen vor Diskri-inierung und Vergeltungsmaßnahmen schützen sollen.uch diese Erklärung ist unverbindlich. Machen Sieoch einfach Ihre Hausaufgaben!
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. September 2011 15555
Gitta Connemann
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Wir waren bei den spezialgesetzlichen Regelungen.Ich wiederhole es gerne, weil Sie sich damit offensicht-lich nicht beschäftigt haben: In Ihrem Antrag gibt esdazu kein einziges Wort, auch nicht zu § 4 g Abs. 1Satz 2 Bundesdatenschutzgesetz oder zu § 84 Betriebs-verfassungsgesetz. Das alles sind Regelungen, die schoneinen spezialgesetzlichen Schutz beinhalten.Im Übrigen werden in Deutschland Arbeitnehmer, dieden zuständigen Behörden echte oder vermeintlicheMissstände in Betrieben melden, darüber hinaus durchdie allgemeinen Regelungen des Kündigungsschutzge-setzes geschützt. Schutz erfahren sie auch durch das ar-beitsrechtliche Maßregelungsverbot. Danach darf derArbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht benachteiligen,wenn der Arbeitnehmer seine Rechte in zulässiger Weisenutzt. Das alles sind Regelungen, die wir heute haben,die in Ihrem Antrag aber mit keinem einzigen Wort an-gesprochen werden; das ist ja auch bequemer, als die be-stehende Rechtslage als richtig aufzufassen. Dem liegtein interessantes Rechtsverständnis zugrunde.Die Arbeitnehmer werden durch die Rechtsprechungdes Bundesverfassungsgerichts und des Bundesarbeits-gerichts geschützt. Diese Gerichte erkennen schon heuteein ungeschriebenes Anzeigerecht an:Arbeitnehmer können sich an öffentliche Stellen wen-den, wenn sie sich vorher ernsthaft um eine innerbetrieb-liche Klärung bemüht haben und ihre Anzeigen nichtleichtfertig erfolgen. Bei Straftaten mit schweren Folgenfür den Kollegen oder die Allgemeinheit kann auf eineinnerbetriebliche Klärung verzichtet werden. Keinesfallsdarf eine Anzeige mit dem Ziel ergehen, in erster Linieden Kollegen oder Arbeitgeber zu schädigen. Die Recht-sprechung berücksichtigt also die Interessen von Arbeit-gebern und von Arbeitnehmern ausgewogen. Sie schütztdas Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer auf der einenSeite, und sie sichert auf der anderen Seite die innerbe-triebliche, vertrauensvolle Zusammenarbeit. Deshalbexistieren in vielen Unternehmen inzwischen interne Re-gelungen; es ist anders, als in Ihrem Antrag dargestellt;Sie beziehen sich auf eine inzwischen veraltete Untersu-chung einer Unternehmensberatung. In Deutschland ha-ben sich bereits viele Unternehmen entschieden, Whist-leblowing betrieblich zu regeln, zum Beispiel dieDeutsche Bahn, Daimler, ThyssenKrupp, BASF, Vatten-fall Europe, Hochtief, ABB Deutschland usw. usf., unddas immer im betrieblichen Miteinander.
– Sie können gerne eine Zwischenfrage stellen. Aberdann bleiben Sie stehen und setzen sich nicht gleich wie-der hin.
Einen kleinen Moment. Das Wort erteile immer noch
ich.
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ie ich sehe, wollen Sie, Frau Leidig, eine Zwischen-
age stellen, und die Kollegin Connemann gestattet das;
as habe ich jetzt verstanden.
Sehr gerne.
Ich habe die Zeit angehalten.
Frau Leidig, bitte.
Ich möchte Sie fragen, woher Sie den Optimismus
ehmen, dass Selbstverpflichtungen von Unternehmen
u irgendwelchen nachhaltigen Ergebnissen führen.
enn man sich die Erhöhung der Frauenquote in Füh-
ngspositionen anschaut, dann stellt man fest: Trotz der
indestens zehn Jahre alten Selbstverpflichtung der gro-
en Unternehmen ist das Ergebnis gleich null.
Ich habe nicht von der Selbstverpflichtung der Unter-ehmen gesprochen, sondern von mehr; denn es handeltich um Betriebsvereinbarungen, Frau Kollegin. Sie soll-n wissen – so viele rechtliche Kenntnisse traue ich Ih-en zu –,
ass Betriebsvereinbarungen von den Kolleginnen undollegen in einem Betrieb eingeklagt werden können; esind einklagbare Rechte. Eine Betriebsvereinbarung istlso mehr als eine Selbstverpflichtung.Ich habe zuvor die gesetzlichen Regelungen darge-tellt, die heute schon greifen. Ich wäre dankbar, wennie sich diese einfach einmal ansehen und zur Kenntnisehmen würden. Dann würden wir sicherlich zu einerersachlichten Diskussion kommen.
Das Abstellen auf Gutgläubigkeit allein, wie es auch Ihrem Antrag gefordert wird, ist zwar wichtig, aberöllig unzureichend. Es müssen belastbare Informatio-en vorliegen. Wir müssen daran denken, dass eine An-eige immer ein scharfes Schwert gegenüber dem Be-offenen darstellt. Das ist übrigens nicht immer derrbeitgeber, sondern manchmal auch der Arbeitnehmer.eshalb dienen diejenigen Regelungen, die wir bis datoaben, dem innerbetrieblichen Frieden.Ich könnte noch vieles ansprechen. Unter anderemönnte ich auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofsr Menschenrechte in Sachen Brigitte Heinisch hinwei-en. Dieser Fall wird sicher in den Folgebeiträgen ange-prochen werden.
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15556 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. September 2011
Gitta Connemann
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Diese Entscheidung des Europäischen Gerichtshofsverpflichtet Deutschland nicht dazu, tätig zu werden.Vielmehr war das ein Appell an die Arbeitsgerichte.Diese Entscheidung war übrigens auch eine Bestätigungder in Deutschland geltenden Beweislastregelung. DasGericht hat festgestellt, dass die deutschen Arbeitsge-richte die Interessen in diesem Fall nicht abgewogen ha-ben. Darin haben sie eine Verletzung von Art. 10 derEuropäischen Menschenrechtskonvention gesehen. Daszeigt aber, dass das Ganze bei uns im Prinzip gut gere-gelt ist und dass bereits heute die Möglichkeit besteht,dagegen vorzugehen.Vor diesem Hintergrund und vor dem Hintergrund derEmpfehlung der G-20-Staaten, die wir abwarten sollten,glaube ich, dass wir uns noch über dieses Thema unter-halten werden. Ich wünsche mir, dass wir diese Diskus-sion dann auf einer anderen Ebene führen, nämlich aufeiner sachlichen und profunden, aber nicht auf einer lai-enhaften Ebene, die letztlich nur dazu geeignet ist, ir-gendwelche Stimmungen in den Medien aufzunehmen.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Kerstin Tack für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Brigitte Heinisch war eine verantwortungsbe-wusste Mitarbeiterin. Als sie wegen Personalmangelsihre Arbeit in einem Berliner Pflegeheim nicht mehr kor-rekt erledigen konnte, informierte sie das Management.Als es schlimmer wurde, hielt sie nach außen still, lehnteaber intern die Übernahme jeglicher Verantwortung ab.Als sie überarbeitet war, ging sie zuerst zum Arzt,später zum Anwalt. Dieser wandte sich an die Heimlei-tung, aber nichts passierte – anderthalb Jahre lang –, ob-wohl auch der Medizinische Dienst der Krankenversi-cherung Mängel beanstandet hatte. Daraufhin zeigte sieihren Chef an. Sie verlor ihren Job bzw. wurde entlassen –aus wichtigem Grund.Erfolglos versuchte sie, in Deutschland gegen dieKündigung vorzugehen. Jetzt hat ihr der EuropäischeGerichtshof für Menschenrechte recht gegeben. Er hatDeutschland wegen der Verletzung ihres Rechts auf Mei-nungsfreiheit verurteilt und ihr Entschädigung zugespro-chen.
Zwar hätten die Vorwürfe gegen das Pflegeheim einerufschädigende Wirkung, aber – so stellt der Gerichtshoffest – das öffentliche Interesse an Informationen überMängel in der Altenpflege überwiegt in einer demokrati-schen Gesellschaft das Interesse eines Unternehmens amSchutz seines Rufes. Das ist doch eine erstaunliche Be-merkung und zudem eine knallende Ohrfeige für dieBSnwWrazetisdmAJDhESfüläFlasglenZsCdbdtehsdmgsinbdHnwIcSahM
Wir haben immer wieder, insbesondere im Zusam-enhang mit dem Dioxinskandal Anfang dieses Jahres,efordert, dass endlich ein vernünftiges Informanten-chutzgesetz vorgelegt wird. Aber jedes Mal wurde das den Reihen von CDU/CSU und FDP als Teufelswerkezeichnet, das zu Denunziantentum führe.Ich frage deshalb die Regierungskoalition, warum sieen Schutz des Leiters des Pflegeheimes, in dem Fraueinisch tätig war, vor den Schutz der bedürftigen Se-iorinnen und Senioren und des Pflegepersonals stellenill.
h frage auch, warum denn Ihrer Meinung nach derchutz des Fleischbetriebes, der vergammeltes Fleischusliefern wollte und damit unabsehbar viele Menschenätte krankmachen können, vor den Schutz genau dieserenschen und des Fahrers gestellt werden soll? Wie
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. September 2011 15557
Kerstin Tack
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wollen Sie den betroffenen Menschen und dem Personaldiese Fragen beantworten?Der Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucher-schutz des Bundesrates hat in seiner Sitzung am 26. Sep-tember 2011 einen Antrag des Landes Berlin zur gesetz-lichen Verankerung des Informantenschutzes im BGBbeschlossen. Die Bundesregierung wurde aufgefordert,entsprechend tätig zu werden. Auch das EuropäischeParlament hat in seiner Entschließung am 15. September2011 beschlossen, weitere Maßnahmen zum Schutz vonInformanten zu ergreifen. Sie werden also zum Glückvon außen getrieben; denn Sie selber werden ja nicht tä-tig.Die SPD-Bundestagsfraktion wird in den nächstenWochen einen eigenen Gesetzentwurf zum Informanten-schutz in den Bundestag einbringen. Einige Bereichemüssen klar geregelt werden: Wann liegt ein Missstandvor? Wir brauchen eine klare Definition. In welcher Formkönnen Missstände geäußert werden? Können die Hin-weise auch anonym erfolgen? Soll immer eine innerbe-triebliche Regelung vorgeschaltet werden, bevor die Be-hörden angesprochen werden oder gar die Öffentlichkeitinformiert wird? Welchen Schutz sollen Hinweisgeberneben dem allgemeinen Kündigungsschutz genießen?Das ist die Frage nach dem Schutz vor Beeinträchtigun-gen von Entwicklungs- und Karrierechancen und vor un-gewollten Versetzungen im Betrieb.Es muss auch geregelt werden, welches die jeweils zu-ständige Behörde ist oder ob in Zweifelsfällen auch diePolizei für die Entgegennahme zuständig sein kann, wennein Hinweisgeber nicht weiß, wohin er sich wenden soll.Welche Schulungs- und Bildungspflichten obliegen ei-nem Dienstherrn, damit er seine Mitarbeiter über ihreRechte und ihren Schutz informiert? Die Rolle der Perso-nal- und Betriebsräte muss geklärt werden. Es muss ge-klärt werden, ob interne Systeme freiwillig oder ver-pflichtend eingeführt werden sollen und wann einHinweisgeber Rückmeldung von der zuständigen Stelleinnerhalb des Betriebes bekommen muss, damit er ent-scheiden kann, ob er weitere Schritte einleiten sollte odernicht. Schließlich muss geklärt werden, wer die Hinweis-geber berät, wer sie rechtlich unterstützt und wer die Be-weislast trägt.Das sind noch sehr viele offene Fragen. Der Fall Hei-nisch zeigt aber, wie groß die Not und wie wichtig dieKlärung dieser Fragen ist. Insbesondere im Pflege- undGesundheitsbereich, im Lebensmittelbereich und im Fi-nanzbereich ist der Informantenschutz sehr wichtig.Denn es geht um das Leben von Menschen und das Ab-wenden von Krankheiten und körperlicher Beeinträchti-gung, und es geht nicht zuletzt um die Existenzen vonMenschen im Finanzdienstbereich.Deshalb fordere ich – so wie der Fachausschuss desBundesrates und das Europäische Parlament – die Bun-desregierung auf: Hören Sie auf, zu sagen, alles sei gere-gelt; denn das ist es nicht. Legen Sie endlich ein ver-nünftiges Gesetz vor! Das ist in Deutschland überfällig.Wir warten auf Ihre Vorschläge.Herzlichen Dank.FLdnbIcdmimakTxEluDkdnsänzwCdfidagawDdreamg
Das Wort hat der Kollege Pascal Kober für die FDP-
raktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!iebe Frau Tack, Sie haben der Koalition Einseitigkeit iner Argumentation vorgeworfen. Ich finde, das triffticht zu. Meine Kollegin Gitta Connemann ist das Pro-lem hier eindeutig sehr differenziert angegangen.
h werde für die Regierungskoalition versuchen, miterselben Differenziertheit fortzufahren, und beginneit einer Wertschätzung für Whistleblower.Da es noch nicht so lange her ist, dass der Papst hier Deutschen Bundestag geredet hat, fühle ich michuch als evangelischer Theologe eingeladen, mit einematholischen Kirchenvater zu beginnen, nämlich mithomas von Aquin. Er hat einmal eine Handlungsma-ime formuliert:Für Wunder muss man beten, für Veränderungenaber arbeiten.s wäre nicht Thomas von Aquin, wenn er seine Hand-ngsmaxime nicht zugleich normativ fundieren würde.iese Norm, diese Fundierung ist bei ihm in genausolaren Worten zu finden:Alles, was gegen das Gewissen geschieht, istSünde.Viele Whistleblower handeln nach genau diesen bei-en Grundsätzen von Thomas von Aquin: Sie stellen ei-erseits ihr Gewissen über Abhängigkeiten und Zwänge;ie handeln andererseits, um für ihre Mitmenschen Ver-nderungen zum Positiven zu bewirken. Für ihr Strebenach Recht und Gerechtigkeit nehmen sie oft Ausgren-ungen, Anfeindungen und weitere, manchmal schwer-iegendere Repressalien in Kauf. Aber – Gittaonnemann hat diese Differenzierung schon sehr gut fürie Regierungskoalition zum Ausdruck gebracht – sienden sich auch in Konfliktsituationen wieder, mit wi-erstreitenden Interessen und Rechten.Ich nenne nur einmal das Beispiel des Datenschutzes,uf das ich jetzt näher eingehen will. Wenn ein Hinweis-eber Verstöße meldet, dann muss er unter Umständenuch personenbezogene Daten erheben, speichern undeitergeben: vielleicht seine eigenen Daten, vor alleningen aber die Daten mutmaßlicher Übeltäter. Er stößtamit natürlich sehr schnell an die Grenzen datenschutz-chtlicher Vorgaben. Damit sowohl der Hinweisgeberls auch der vielleicht Unschuldige geschützt werden,uss an dieser Stelle eine ganze Reihe von Fragestellun-en differenziert beantwortet werden,
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15558 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. September 2011
Pascal Kober
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beispielsweise: Inwieweit sind datenschutzrechtlicheVorgaben zu beachten? Inwieweit ist die Datenverarbei-tung bei Hinweisen rechtlich zulässig? Überwiegt dasInteresse des verdächtigten Mitarbeiters am Schutz sei-ner personenbezogenen Daten oder aber die Aufklä-rungspflicht? Wie können die gegenläufigen Interessendes betroffenen Mitarbeiters am Schutz seiner Daten so-wie des Hinweisgebers am Schutz vor strafrechtlichenund zivilrechtlichen Risiken im Einzelfall abgewogenwerden?Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, Ihr vor-liegender Antrag liefert leider nur unzureichende Ant-worten auf diese Fragen.
– Aber Sie wollen sich doch am demokratischen Prozessbeteiligen. Sie sind zwar nicht die Regierung; aber Siekönnen uns doch helfen, indem Sie kluge Anträge for-mulieren und sich am parlamentarischen Prozess beteili-gen. Immerhin sind wir noch das Parlament.
Ihre Zwischenrufe sind im Hinblick auf Ihr Verständnisvon Parlamentarismus und von der Oppositionsarbeitschon bemerkenswert.Wenn wir über Whistleblowing diskutieren, geht esnicht nur um das moralische Handeln von Einzelperso-nen; es geht auch um die freiheitlichen Grundlagen unse-rer staatlichen Ordnung: um die Meinungs- und Rede-freiheit einerseits und um den Schutz des Einzelnen vordem Missbrauch personenbezogener Daten andererseits;beides sind Fundamente eines liberalen Rechtsstaates.Folgte man Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kol-legen der Linken, so würden wir bestimmte Prinzipienunseres Rechtsstaats opfern, um damit vermeintlichmehr Schutz für eine bestimmte Personengruppe, füreine bestimmte Seite, zu erreichen. So wird in Ihremvorliegenden Antrag unter anderem gefordert, eine un-abhängige Ombudsstelle für Whistleblower einzurich-ten, die über angemessene Durchsetzungs- und Weiter-verfolgungsmechanismen verfügen muss. Die Kernfragelautet aber: Inwieweit dürfen dabei ohne konkrete Ver-dachtsmomente Daten ohne Zustimmung der betroffe-nen Personen erhoben, gespeichert und weitergegebenwerden? Diese Kernfrage bleibt im vorliegenden Antrag,wie so viele andere Fragen auch, unbeantwortet.An dieser Stelle ist mal wieder Thomas von Aquin zuzitieren. Er hat klargestellt, dass das Menschenrecht – da-mit meint er, wenn ich noch einmal an den Papst erinnerndarf, eine naturrechtliche Begründung des Menschen-rechts – über dem Staatsrecht stehen muss. Das heißt, diestaatlichen Gesetze dürfen nicht im Widerspruch zumMenschenrecht stehen. In genau diesem Sinn hat der Eu-ropäische Gerichtshof für Menschenrechte gehandelt, alser klargestellt hat, dass sich jeder, der Fehlverhalten mel-det, auf sein Grundrecht der Meinungsfreiheit berufenkann. Die Rechtsprechung hat also bereits Kriterien fürein Anzeigerecht des Arbeitnehmers aufgestellt. Auchnach § 84 ff. Betriebsverfassungsgesetz darf eine Be-sreszgvBuhzmSgafünLdVsBKmlirezPu
umal die Kollegin klargestellt hat, dass sie nicht positiv
itarbeiten, sondern nur Fragen stellen will. Dazu hatten
ie schon genügend Gelegenheit.
Die Gerichte sind besser dazu geeignet, Entscheidun-
en zu treffen. Ich habe gerade die Verhältnismäßigkeit
ngesprochen. Diese Verhältnismäßigkeit würde bei Er-
llung der in Ihrem Antrag formulierten Forderungen
icht mehr ausreichend berücksichtigt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Partei Die
inke, beteiligen Sie sich doch an der Diskussion über
ie Fragen, die ich hier gestellt habe.
ersuchen Sie einmal, nicht nur anzuklagen, sondern po-
itiv am parlamentarischen Prozess mitzuwirken.
Vielen Dank.
Die Kollegin Ingrid Hönlinger hat für die Fraktion
ündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Das Aufdecken von Missständen in Unterneh-en und Institutionen ist von großer gesamtgesellschaft-cher Bedeutung. Kritikwürdige Zustände im Pflegebe-ich und Steuerhinterziehung in Millionenhöhe sind nurwei Beispiele von vielen. Oft hat nur ein begrenzterersonenkreis Zugang zu den relevanten Informationen,m von Missständen überhaupt erfahren zu können.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. September 2011 15559
Ingrid Hönlinger
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Deshalb ist die Gesellschaft auf diese Hinweisgeberin-nen und Hinweisgeber angewiesen.Es gehört viel Mut dazu, Missstände beim eigenenArbeitgeber oder beim Dienstherrn anzuprangern. Umsoempörender ist es, dass diesen Menschen in der Folgeauf ihren Hinweis noch immer häufig die Kündigungdroht. Hierfür gibt es leider viele Negativbeispiele.
Auch die Öffentlichkeit hat ein Interesse daran, dassskandalöse Zustände aufgedeckt werden. Dieses Inte-resse ist gewichtig. An dieser Stelle nenne ich nur dasBeispiel Gammelfleisch. Wir müssen endlich anerken-nen, dass Whistleblower einen wichtigen Beitrag für un-sere Gesellschaft leisten. Whistleblower sind Indikato-ren für gesellschaftliche Fehlentwicklungen. Sie habenunseren Schutz verdient, auch den gesetzlichen.Die Bundesregierung scheint diese Problematik ein-fach zu übergehen. Diese Ignoranz ist umso beschämen-der, als erst vor kurzem auch der Europäische Gerichts-hof für Menschenrechte in Straßburg Deutschland ineinem Whistleblower-Fall wegen Verletzung der Mei-nungsfreiheit verurteilt hat. Sie alle haben von dem Fallgehört. Der Berliner Altenpflegerin Brigitte Heinischwurde von ihrem Arbeitgeber gekündigt. Dabei habenwir es ihr zu verdanken, dass menschenunwürdige Zu-stände in einer Berliner Pflegeeinrichtung aufgeklärtwurden. Das ist nur ein Fall von vielen, aber er zeigt, inwelch schwieriger Situation Menschen stecken, die Un-gerechtigkeiten entdecken und aufdecken wollen.Wir Grünen wollen, dass nicht die Vertuscher vonMissständen geschützt werden, sondern die Aufdeckervon Missständen.
Vor diesem Hintergrund kann ich es einfach nicht verste-hen, dass diese Regierung nach wie vor keine Pläne hat,um den Schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisge-bern gesetzlich zu regeln. Trotz des dringenden Hand-lungsbedarfs hält es die Regierung nicht einmal für nö-tig, aktiv zu werden und sich einen Zeitplan zu geben.Stattdessen bleibt sie passiv und wartet auf die Empfeh-lungen und Diskussionsergebnisse der G-20-Staaten.Das ergibt sich aus der Antwort auf unsere Kleine An-frage.
Ich frage mich: Will sich die Regierung hinter dieserG-20-Arbeitsgruppe verstecken? Es muss doch eigent-lich allen klar sein, dass eine internationale Arbeits-gruppe den nationalen Gesetzgeber weder ersetzen nochihm die Arbeit abnehmen kann. Für die konkrete For-mulierung eines nationalen Gesetzes kann eine interna-tionale Arbeitsgruppe wenig Hilfestellung leisten. DieG-20-Arbeitsgruppe wird kaum Untersuchungen dazuanstellen, auf welche Weise sich eine gesetzliche Neure-gelung am besten in das bestehende deutsche Recht ein-gliedern lässt. Das ist schon Ihre Aufgabe, meine Damenund Herren von der Regierungsbank.fikisGkHvwsueswusdpDfüjewSbbFAcsDFdsss
Den Antrag der Linken zum Thema Whistleblowingnden wir prinzipiell berechtigt, aber uns fehlt die Kon-retisierung für eine gesetzliche Gestaltung. Der Antragt so unkonkret, dass er sich in dieser Form nicht in einesetz umsetzen lässt. Zum Beispiel lässt sich nicht er-ennen, wie Sie den Schutz von Hinweisgeberinnen undinweisgebern im Arbeitsrecht und im Beamtenrechterankern wollen. Welche Rechtsgüter sollen geschützterden? Wie kann ein angemessener Ausgleich zwi-chen den verschiedenen Interessen von Arbeitgebernnd Arbeitnehmern gefunden werden?Wir Grünen haben uns intensiv mit dem Problem aus-inandergesetzt. Wir wollen keinen schnellen Antrag,ondern einen gründlichen und ausgereiften. Deshalberden wir demnächst einen Gesetzentwurf vorlegennd zur Diskussion stellen. Er wird eine praktikable Ent-cheidungsgrundlage darstellen. Wir meinen nämlich,ass die Regelung zum Schutz von Whistleblowern eineräzise Diskussion verdient.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufrucksache 17/6492 an die in der Tagesordnung aufge-hrten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung istdoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDPünschen Federführung beim Ausschuss für Arbeit undoziales. Die Fraktion Die Linke wünscht Federführungeim Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-raucherschutz.Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag derraktion Die Linke abstimmen, also Federführung beimusschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-herschutz. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor-chlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –er Überweisungsvorschlag ist abgelehnt.Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag derraktionen der CDU/CSU und FDP abstimmen, also Fe-erführung beim Ausschuss für Arbeit und Soziales. Wertimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wertimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überwei-ungsvorschlag ist angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver-besserung der Versorgung bei besonderen
– Drucksache 17/7143 –
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15560 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. September 2011
Vizepräsidentin Petra Pau
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Überweisungsvorschlag:Verteidigungsausschuss
InnenausschussRechtsausschussHaushaltsausschuss gemäß § 96 GONach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundes-minister der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Ver-teidigung:Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Der Deutsche Bundestag hat allein in diesem Jahrsiebenmal über die Entsendung von Streitkräften debat-tiert und abgestimmt. Dabei stehen naturgemäß die Si-cherheitspolitik und die Sinnhaftigkeit eines solchenEinsatzes im Mittelpunkt. Das ist verständlich und gutso. Wir dürfen aber niemals vergessen, dass es bei diesenEntscheidungen um Menschen geht, um Soldaten,manchmal auch um zivile Mitarbeiter, die wir in dieWelt schicken, um Menschen, die uns anvertraut sind.Deswegen debattieren wir heute über den vorliegendenGesetzentwurf.Die Soldatinnen und Soldaten und ebenso die zivilenMitarbeiter werden, wenn auch in unterschiedlicherForm, durch unsere Entscheidung Gefährdungen ausge-setzt. Die Soldatinnen und Soldaten wissen das. Sie ken-nen die Gefährdungen. Sie haben durch Ablegung ihresDiensteids zugesagt, sich diesen Gefährdungen auszu-setzen. Viele sind stolz darauf.Loyalität und Pflichterfüllung sind für die Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter aber keine Einbahnstraße. FürStaat und Politik folgt vielmehr im Gegenzug die Ver-pflichtung, Verletzte und Hinterbliebene so gut wie mög-lich abzusichern. Pflichterfüllung der Soldaten und Für-sorgepflicht des Dienstherrn sind zwei Seiten derselbenMedaille.
Die Art und Weise, wie unser Land mit den Veteranender Bundeswehr umgeht, wie es sie nach dem Einsatzwieder aufnimmt, wie ihre Versorgung gestaltet wird, istein zentraler Gradmesser der gesellschaftlichen Aner-kennung des soldatischen Dienstes. Hier setzt der Ge-setzentwurf an, den ich heute hier einbringen darf.Es ist nicht das erste Gesetz zu diesem Thema. Wirhaben bereits 2004 und 2007 entsprechende Gesetze be-raten. Vieles ist besser geworden. Ich bedanke mich aus-drücklich für die Initiative zu diesem Gesetzentwurf, dievom Parlament und nicht von der Regierung ausgegan-gen ist. Ich freue mich, dass wir uns darüber einig sind,weitere Verbesserungen vorzunehmen. Ich nenne einmalfünf:Erstens. Die einmalige Entschädigungszahlung beischweren Einsatzunfällen wird deutlich erhöht.hisrüg1K1aZAgtebedngBWaVindVdübWBswwbdvwzwwfrdmglisvmfig
enn man sich doch auf die Klausel beruft, steht derund dafür ein. Das wird hier geregelt.Einzelne Zielvorstellungen, die in dem Beschluss die-es Hauses niedergelegt waren, sind in dem Gesetzent-urf der Bundesregierung nicht umgesetzt worden; dazuerden wir in der Debatte gleich noch etwas hören. Da-ei geht es um die Frage, ab wann eine dauerhafte Wehr-ienstbeschädigung vorliegt, ab einem Schädigungsgradon 30 Prozent oder von 50 Prozent, und wie die Be-eislast ist. Im Rahmen der Ressortabstimmung sind wiru dem Ergebnis gekommen, das nicht in den Gesetzent-urf aufzunehmen. Dafür gibt es auch gute Gründe. Esird jetzt versucht – das habe ich gehört; die Koalitions-aktionen werden das sicher gleich näher begründen –,as noch nachzubessern. Wenn es dazu kommt, freutich das sehr.Ich will, auch in Richtung der Opposition, noch sa-en: Egal, wie diese Debatte ausgeht – es sind ja hoffent-ch wenige Fälle, in denen der Schädigungsgrad zwi-chen 30 und 50 Prozent beträgt –: Wir sollten nichtergessen, dass die großen Maßnahmen, die auf Ihre ge-einsame Initiative hin jetzt eine gesetzliche Grundlagenden, als Erfolg bleiben. Ich glaube, das ist ein wichti-er Punkt.
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Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Verteidigung
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Bundesminister Dr. Thomas de MaizièreIch will abschließend darauf hinweisen, dass diese ge-setzlichen Regelungen nicht nur für Soldatinnen undSoldaten gelten, sondern auch für alle zivilen Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter, für Polizistinnen und Polizistenin Einsätzen. Wir haben in dem Bereich weniger Opferzu beklagen, aber es gibt Opfer. Wer weiß, vielleichtwerden es mehr. Für diesen Personenkreis wird in glei-cher Weise gesorgt.Ich freue mich auf eine konstruktive Beratung. Ich binsicher, dass dieses Gesetz in zweiter und dritter Lesungin diesem Haus mit einer breiten Mehrheit verabschiedetwird. Das wäre insbesondere für die Soldatinnen undSoldaten gut.
Das Wort hat der Kollege Fritz Rudolf Körper für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ichglaube, das Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz istkeine Materie, die sich zu einem poltischen Schlagab-tausch eignet. Herr Minister de Maizière hat darauf hin-gewiesen, dass es hinsichtlich der Einsatzversorgungschon einige Gesetzgebungsverfahren gegeben hat. EinSprichwort besagt: Man steigt nie zweimal in denselbenFluss. Das bedeutet: Die Herausforderungen sind immerneu, und man muss gerade hier die Fähigkeit zeigen, aufdiese Herausforderungen einzugehen.Ich glaube, die Soldatinnen und Soldaten, die ihr Le-ben im Einsatz riskieren, haben ein Anrecht darauf, dasswir uns um sie kümmern und ihnen hilfreich zur Seitestehen, wenn es beispielsweise zu Verletzungen, Erkran-kungen oder sogar noch Schlimmerem kommt.
Ich könnte jetzt sagen: Der Deutsche Bundestag hatschon vor etwa zwölf Monaten einen entsprechendenAntrag verabschiedet, aber erst jetzt haben wir den Ge-setzentwurf vorliegen. Diesen Hinweis will ich mir je-doch verkneifen. Ich hoffe nur: Was lange währt, wirdendlich gut. Herr Minister de Maizière hat aufgezeigt,welche inhaltlichen Punkte in dem Verbesserungsvor-schlag enthalten sind; diese begrüßen wir ausdrücklich.Ich hätte mir zu einigen Punkten gerne noch ein Wort ge-wünscht; vielleicht gehen die Kolleginnen und Kollegenaus den Koalitionsfraktionen noch darauf ein.Heute steht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitungein kleiner Artikel mit der Überschrift „Soldaten werdenbesser versorgt“. Unter anderem kann man dort lesen:Beamtenbund und Bundeswehrverband begrüßtenam Donnerstag eine angebliche Einigung, wonachKürzungen bei diesen Zahlungen vom nächstenJahr an zurückgenommen werden sollten.Hier ist insbesondere das Weihnachtsgeld gemeint. Ichdenke, das wäre in Anbetracht der Tatsache, dass ausdem Bereich der Bundeswehr fast 80 Prozent des Perso-nti–KimPaAgzddasgdqtrWedGstrdmeuleKiszmsohSriwweBsczkprüg
Ich sehe zwar keinen heftigen Applaus vonseiten derolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion, abermerhin Applaus. Ich denke, das ist ein ganz wichtigerunkt, den wir hier ansprechen müssen.Ich will mich nicht in Wiederholungen ergehen undufzählen, was in diesem Gesetz alles vorgesehen ist.ber da Herr Minister de Maizière auf die Frage einge-angen ist, ob die Grenze der Schädigung von 50 Pro-ent auf 30 Prozent gesenkt werden sollte: Ich zähle iner Tat zu denjenigen, die noch einmal genau darüberiskutieren wollen, was man an dieser Stelle tun sollte.In dem Zusammenhang kommt es mir noch auf einennderen Punkt an. Wir sollten etwas stärker daraufchauen, wie die Wehrdienstbeschädigungsverfahren ab-ewickelt werden. Ich denke, es ist ganz wichtig, dassiejenigen, die einen Antrag stellen, relativ zeitnah eineualifizierte Entscheidung bekommen, sodass den Be-offenen geholfen werden kann.
ir führen, glaube ich, am 17. Oktober dieses Jahresine Anhörung zu diesem Gesetzgebungsvorhabenurch. Wir sollten einmal überlegen, ob wir nicht demedanken einer Genehmigungsfiktion Rechnung tragenollten. Bei anderen Verfahren ist es so, dass, wenn An-äge in einer bestimmten Frist nicht entschieden wer-en, dies als positive Entscheidung gilt. Wir sollten ein-al darüber nachdenken, dieses Verfahren hierinzuführen. Ich bin sicher, dass das den Druck erhöhennd die zeitlichen Abläufe beschleunigen würde. Vor al-m in den Fällen, in denen sich Rehamaßnahmen unduren an die Behandlung der Betroffenen anschließen,t es wichtig und im Interesse der Betroffenen, dass esu zeitnahen Entscheidungen kommt. Diesbezüglich isteine herzliche Bitte, dass wir auch im Zuge dieses Ge-etzgebungsverfahrens noch einmal überlegen sollten,b wir diesen Gedanken aufgreifen. Ich denke, das wäreilfreich, sowohl für die betroffenen Soldatinnen undoldaten als auch für die betroffenen zivilen Mitarbeite-nnen und Mitarbeiter.Richtig ist, dass wir den Zeitrahmen, der für die An-endung dieses Gesetzes gilt, bis zum 1. Juli 1992 aus-eiten. Ich gebe zu, dass ich zuerst gedacht habe: Das istin sehr mutiger, waghalsiger Schritt. Aber die Zahl deretroffenen bzw. die Betroffenheiten sind wohl über-chaubar, sodass man mit Fug und Recht die Zusage ma-hen kann, den gesamten genannten Zeitraum einzube-iehen. Dies wird von uns ausdrücklich begrüßt. Demönnen wir zustimmen.In diesem Sinne: Wir werden diesen Gesetzgebungs-rozess weiterhin konstruktiv begleiten. Wir werden da-ber hinaus vielleicht auch die eine oder andere Anre-ung geben. Ich finde, die Zielsetzung, die Soldatinnen
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Fritz Rudolf Körper
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und Soldaten und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterim zivilen Bereich sowie ihre Angehörigen gleich zu be-handeln, ist völlig richtig. Das ist ein ganz wichtigerGrundsatz, der diesem Gesetzentwurf zugrunde liegt.Ich hoffe, dass das Gesetzgebungsverfahren zügig ab-geschlossen werden kann, sodass dieses Gesetz mög-lichst schnell im Bundesgesetzblatt zu finden sein wird.Wir können es gut gebrauchen. Ich glaube, es ist ein gu-tes Signal an unsere Soldatinnen und Soldaten, aber auchan die zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.Schönen Dank.
Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Elke Hoff
das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich mache keinHehl daraus, dass heute ein ganz besonderer Tag fürmich ist. Ich glaube, das gilt auch für die meisten meinerKolleginnen und Kollegen, die seit nunmehr weit übersechs Jahren dafür kämpfen, dass wir für unsere im Ein-satz verwundeten Soldatinnen und Soldaten einen opti-malen Rahmen schaffen, um zu vermeiden, dass sie – ichformuliere das immer so – eine zweite Existenzangst er-leiden bzw. einen zweiten Tod sterben müssen.Viele unserer Soldatinnen und Soldaten, die von ei-nem schwierigen Einsatz nach Hause kommen, wissennicht, wie ihre sozialen Grundlagen, ihre soziale Per-spektive und ihre Zukunft in dieser Gesellschaft ausse-hen werden. Sie müssen zum zweiten Mal erleben, dassihre Existenz gefährdet ist. Vor diesem Hintergrund waruns besonders wichtig, dass wir als Gesetzgeber die Ini-tiative ergreifen – der Herr Minister hat das sehr deutlichgemacht – und die notwendigen Rahmenbedingungenschaffen, um unseren Soldatinnen und Soldaten klarzu-machen: Wenn sie wieder zu Hause sind, müssen siekeine Bedrohung ihrer Existenz – als solche wurde dieSituation von vielen wahrgenommen – befürchten. HerrKollege Körper, Kolleginnen und Kollegen vom Bünd-nis 90/Die Grünen, ich glaube, dass wir es mit dem vor-liegenden Gesetzentwurf, aber auch mit dem bereits an-gekündigten Änderungsantrag der Koalitionsfraktionenwie in der Vergangenheit schaffen werden, am Ende eingemeinsames Signal an die Soldatinnen und Soldaten zusenden.Uns war wichtig, dass eine geringe Schwelle festge-setzt wird, wenn es darum geht, Soldatinnen und Solda-ten, die in einem Einsatz verwundet worden sind, dieMöglichkeit zu geben, einen Beruf beim ArbeitgeberBundeswehr auszuüben. So sollte die Erwerbsfähigkeitvon Soldaten nicht mehr um mindestens 50 Prozent, son-dern nur noch um 30 Prozent gemindert sein, damit dieBundeswehr zur Weiterbeschäftigung verpflichtet ist. Eskann nicht sein, dass Männer und Frauen, die in Aus-üddS5suSddsVsfüazfeIcvdwsEMdemmtefübimfindanzwbdgwvhfäSgroSE
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Elke Hoff
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Kollege Körper, vielleicht entscheidet ein Gericht tat-sächlich, dass die eine oder andere Regelung nicht un-umstößlich ist. Uns ist es aber wichtig, dass dieses Parla-ment den politischen Willen artikuliert, dass wir andieser Stelle alles tun und nichts unterlassen, was die Si-tuation von verwundeten Soldatinnen und Soldaten, dieaus einem Einsatz kommen, verbessern kann.Ich habe vor kurzem bei Gesprächen mit Soldaten ei-nen Hauptmann mit über 800 Einsatztagen getroffen.Dieser Mann sagte: Ich bin müde, und ich möchte einePerspektive sehen und wissen, dass mich mein Land auf-fängt. – Ich glaube, es ist an uns, diese Aufgabe zu erfül-len. Deswegen geht auch von dieser Stelle aus ein ganzherzlicher Gruß an die Betroffenen, die heute wieder beiuns sind und diese Debatte verfolgen: Ich glaube, Siealle können den Eindruck mit nach Hause nehmen, dassdieses Parlament wirklich bereit und willens ist, den An-liegen, die Sie berechtigterweise an uns herangetragenhaben, Rechnung zu tragen.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Harald Koch für die Frak-
tion Die Linke.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-
legen! Der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, nennt
sich Entwurf eines Einsatzversorgungs-Verbesserungs-
gesetzes. Seinem Namen wird er jedoch nicht gerecht;
denn de facto verbessert sich damit für die im Auslands-
einsatz geschädigten Soldatinnen und Soldaten nicht
viel.
Das ist – auch wenn die Regierung, wie der Minister
heute angekündigt hat, weitere Anpassungen vornehmen
will – nicht nur bedenklich, sondern geradezu fahrlässig;
denn es kann nicht sein, dass die Bundesregierung zwar
einerseits auf militärische Intervention und Krieg als
Mittel der Außen- und Sicherheitspolitik setzt, anderer-
seits für die Versorgung der dabei zu Schaden gekomme-
nen Soldatinnen und Soldaten aber wenig übrig hat.
Vor einem Jahr – daran möchte ich erinnern – haben
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regie-
rungskoalition, vollmundige Versprechungen gemacht.
Ihr damaliger Antrag sollte zügig in eine Gesetzesinitia-
tive münden. Erst jetzt, nach einem Jahr, liegt uns ein
extrem lückenhafter Umsetzungsversuch vor. Dabei
wollten Sie doch – ich zitiere – „Lücken schließen, Un-
gleichgewichte ausgleichen, großzügig verfahren“ und
vor allem „Verantwortung übernehmen“. Im jetzigen
Gesetzentwurf findet man davon so gut wie nichts wie-
der.
Ich möchte Ihnen nicht die Beweise für diese Behaup-
tung schuldig bleiben. Der Gesetzentwurf enthält weder
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Soweit ich mich erinnern kann, war ich gar nicht da,eil ich krank war. Aber wir haben dort auch Vertreter.s gibt Kolleginnen und Kollegen sowie Mitarbeiter, diearan teilnahmen und mich darüber informiert haben.etztendlich habe ich noch keine nennenswerten An-ätze erkannt. Wir werden sehen – heute befinden wirns in der ersten Lesung; das ist der Beginn der Beratun-en –, was dann bei der zweiten und dritten Lesung aufem Tisch liegen wird.Die Linke tritt für die unverzügliche Beendigung desrieges in Afghanistan, den Abzug der Bundeswehr undine andere, friedensorientierte Ausrichtung der deut-chen Außenpolitik ein. Wenn alle diese Forderungen er-llt werden würden, bräuchten wir heute nicht überiese Probleme zu diskutieren.Natürlich hat die Versorgung auch finanzielle As-ekte. Genau das ist wohl der Grund, warum so vieleorderungen des ursprünglichen Antrags im nun vorlie-enden Gesetzentwurf nicht mehr enthalten sind. Ange-essene und dauerhafte Versorgung der Kriegsveteranen
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Harald Koch
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ist Ihnen schlichtweg zu teuer. Genau das ist nicht ak-zeptabel. Der Verteidigungshaushalt ist groß genug, umdaraus problemlos die anfallenden Kosten zu schultern.Mit der Streichung einiger aus unserer Sicht sinnloserBeschaffungsprogramme wäre das problemlos machbar.
Ihren selbst formulierten Anspruch, mit diesem Ge-setzentwurf die Versorgungslage der Soldatinnen undSoldaten zu verbessern und damit Ihrer Fürsorgepflichtals Dienstherr nachzukommen, haben Sie jedenfalls klarverfehlt. Sollten in diesem Gesetzentwurf nicht nochwirksame Verbesserungen im Sinne der Betroffenen ein-gefügt werden, kann die Fraktion der Linken den Ge-setzentwurf nur ablehnen; denn mit diesem Stückwerkwäre niemandem geholfen.Vielen Dank.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Agnes Malczak das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ge-schieht äußerst selten, dass ein Gesetz dieser Bundes-regierung eine wirkliche Verbesserung bringt und nurbegrüßt werden kann. Beim Einsatzversorgungs-Verbes-serungsgesetz ist dies der Fall.An dieser Stelle möchte ich den Organisationen derBetroffenen danken, die immer wieder auf die schwieri-gen Schicksale aufmerksam gemacht und auf Verbesse-rungen gedrungen haben.
Die in diesem Gesetz vorgeschlagenen Verbesserungensind dringend notwendig, denn sie sind Ausdruck derVerantwortung, die wir für die Menschen tragen, die sichim Auftrag des Deutschen Bundestages in Einsätzen imAusland befinden und dabei zu Schaden kommen. DieseVerantwortung tragen wir ebenfalls für die Hinterbliebe-nen derer, die diesen Einsatz mit dem Leben bezahlen.Bereits seit mehreren Jahren wurden die bisher gel-tenden Regelungen dieser Verantwortung nur noch be-dingt gerecht. Heute begrüßen wir also den Gesetzent-wurf. Aber ich finde, man muss schon kritisch anmerkendürfen, dass es eine geraume Zeit gebraucht hat, bis Siesich überhaupt auf den Weg gemacht haben, und dass esdann ein bisschen an Mut und vielleicht sogar an politi-schem Willen gemangelt hat, alle entscheidendenSchritte zu gehen, denn dieser Gesetzentwurf bleibt inzentralen Punkten hinter den richtigen Forderungen Ihrereigenen Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker zurück.Die Mängel dieses Gesetzentwurfes lassen nämlich ei-nige Probleme einer ganzen Gruppe unter den Betroffe-nen ungelöst. Das ist das Dramatische.
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Ich möchte der Kollegin Hoff und auch dem Kollegeneck danken, die sich bereits in der Presse mit allereutlichkeit zu den Mängeln dieses Gesetzentwurfs ge-ußert haben und Korrekturen ankündigten. Ich dankenen auch, dass Sie das heute in Ihren Reden noch ein-al deutlich gemacht haben. Auch wir halten an dieserritik fest und werden weiterhin Nachbesserungen ein-rdern. Ich versichere Ihnen: Wir lassen nicht locker.Beim Begriff der Einsatzversorgung denken die meis-n Menschen wahrscheinlich ausschließlich an die Sol-atinnen und Soldaten und deren Angehörigen. Abericht nur Angehörige der Bundeswehr, sondern Tau-ende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ziviler Organisa-onen setzen sich in Konflikten im Auftrag des Deut-chen Bundestages für Frieden und Sicherheit ein. Auchie tragen ein hohes Risiko für ihre Gesundheit. Solda-nnen und Soldaten und zivile Kräfte verdienen glei-hermaßen unseren Respekt, unsere Anerkennung, aberor allem auch unsere Fürsorge.
Grundsätzlich haben Sie, liebe Kolleginnen und Kol-gen von der Koalition, das erkannt. Tatsächlich sehener Beschluss des Bundestages aus dem letzten Jahr under vorliegende Gesetzentwurf Verbesserungen für dasilitärische und zivile Personal im Auslandseinsatz vor.ber aus dieser Erkenntnis folgt bei Ihnen leider den-och nicht immer konsequentes Handeln.Wir Grüne haben diese Woche einen Antrag einge-icht, der von der Bundesregierung Verbesserungen beier Betreuung ziviler Kräfte in Einsätzen zur Konflikt-ewältigung fordert. Sie, werte Kolleginnen und Kolle-en von der Koalition, wollten das heute nicht gemein-am mit dem Gesetz über die Versorgung diskutieren.ersorgung und Betreuung sind zwei Seiten derselbenedaille, nämlich unserer Fürsorgepflicht. Diese tragenir für militärisches wie ziviles Personal gleichermaßen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. September 2011 15565
Agnes Malczak
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Wir dürfen nicht davor zurückscheuen, uns in diesemBereich umfassend mit den Mängeln auseinanderzuset-zen. Der vorliegende Gesetzentwurf ist sicherlich einnotwendiger Schritt in die richtige Richtung. Aber esbleibt noch viel zu tun.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Für die Unionsfraktionen hat nun der Kollege Jürgen
Hardt das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich möchte auf das eine oder andere eingehen, das hierangesprochen worden ist. Der Kollege Körper hat nachdem Weihnachtsgeld gefragt. Ja, ich glaube, es gibt Be-wegung in dieser Frage. Für die Bundeswehr würde dasbedeuten, dass rund 250 Millionen Euro zusätzlich auf-gebracht werden müssten. Es gibt zu diesem Sachverhaltin diesen Tagen und Wochen Gespräche, wie das imHaushalt so dargestellt werden kann, dass wir unseresonstigen Ziele bei der Bundeswehr dadurch nicht ge-fährden. Aber ich glaube, es ist eine gute Botschaft – derBundeswehrverband ist heute durch seinen Vorsitzendenvertreten –, dass wir Möglichkeiten sehen, in diesemPunkt etwas zu tun.
Ich möchte aber nun konkret zu dem vorliegendenGesetzentwurf der Bundesregierung zum Einsatzversor-gungs-Verbesserungsgesetz kommen. Die Initiative die-ses Hauses ist von allen Fraktionen getragen worden.Die Linke hat sich enthalten. Bei dem einen oder ande-ren linken Politiker stellt sich allerdings die Frage, wa-rum er sich damals enthalten hat. Denn diesem Gesetz-entwurf könnte man wirklich zustimmen, selbst wennman die Einsätze der Bundeswehr im Ausland nicht un-terstützt.
Der vorliegende Gesetzentwurf beschäftigt sich mitdenjenigen, die die größte Solidarität dieses Hauses undunserer Gesellschaft erfordern, nämlich den Soldatinnenund Soldaten der Bundeswehr und den Zivilisten, die inAuslandseinsätzen zu Schaden kommen.Am 13. Oktober 1993 ist der erste deutsche Soldat,Alexander Arndt, im Auslandseinsatz gefallen. Das istimmerhin schon 18 Jahre her. Seitdem haben 99 Bundes-wehrangehörige bei Auslandseinsätzen ihr Leben verlo-ren, 36 davon durch Feindeinwirkung. 300 sind körper-lich verwundet worden, und rund 400, vielleicht sogarmehr, sind an der Seele verwundet. Das ist eine großeZahl von Menschen, die für unser Vaterland in Auslands-einsätzen ihr Leben und ihre Gesundheit aufs Spiel ge-sdSgWBrüDklinsbinummgteshwhbinotekteumoregtudgzinsunaHbdAagGggvMd(C(Detzt haben. Hinter jedem einzelnen Schicksal steht auchas Schicksal der Angehörigen, die die Last ein gutestück mittragen müssen.Der Bundesverteidigungsminister hat in der vergan-enen Woche im Zusammenhang mit dem Bericht desehrbeauftragten davon gesprochen, dass wir uns zumegriff des „Veteranen“ bekennen müssen. Ich war da-ber sehr erfreut, aber auch kleines bisschen überrascht.enn unter Veteranen stellt man sich alte Männer inrumpligen Uniformen mit vielen Orden vor, die bei Mi-tärparaden in der ersten Reihe stehen. Unsere Vetera-en, die aus einem Kriegseinsatz nach Hause kommen,ind häufig junge Männer und Frauen, die mitten im Le-en stehen und noch viele Jahrzehnte der Berufstätigkeit der Bundeswehr oder im Zivilleben vor sich habennd ganz und gar nicht aufs Altenteil gehören, sondernitten in unserer Gesellschaft stehen. Wir sollten denodernen deutschen Veteranenbegriff entsprechend prä-en. Vielleicht können wir alle einen Beitrag dazu leis-n.Ich komme kurz zu den einzelnen Punkten des Ge-etzentwurfs. Das meiste, was wir letztes Jahr gefordertaben, ist von der Bundesregierung in den Gesetzent-urf aufgenommen worden. Auch ich glaube, dass wirinsichtlich der Grenze für den Grad der Beschädigungei entsprechender Übernahme noch im Ausschuss und der Anhörung am 17. Oktober darüber reden müssen,b wir nicht doch von 50 Prozent auf 30 Prozent herun-rgehen sollten. Denn gerade für die seelisch Verletztenönnte diese Senkung der Grenze eine deutliche Erleich-rung bedeuten.Ich glaube des Weiteren, dass wir bei der Beweislast-mkehr eine Regelung finden könnten, dass wir im Rah-en der Richtlinien oder der entsprechenden Rechtsver-rdnung, die die Feststellung solcher Beschädigungengelt, bestimmte Tatbestände definieren, indem wir sa-en: Wenn der Soldat oder Zivilist in einer solchen Si-ation gewesen ist, dann gehen wir immer davon aus,ass seine Beschädigung Folge dieses Einsatzes ist. Um-ekehrt bedürfte es des Nachweises, dass es in dem Ein-elfall nicht zutrifft. Das wäre eine Beweislastumkehrnerhalb von Grenzen, von denen ich glaube, dass manie gut akzeptieren könnte.Ich persönlich würde mir auch wünschen, dass wirns bei der Verdoppelung der Beträge für die Anrech-ung der Einsatzzeiten für die Rente nicht auf 365 Tage,lso ein Jahr, festlegen, sondern dass wir die notwendigeürde auf 180 Tage reduzieren, damit wir mehr Soldatenerücksichtigen können. 180 Tage bedeuten immerhin,ass man mindestens zweimal in einem Kontingent imuslandseinsatz gewesen ist. Das halte ich für durchausngemessen.Der Gesetzentwurf, den wir sicherlich demnächst mitroßer Mehrheit verabschieden werden, ist ein Gebot dererechtigkeit. Es wurde gesagt, dass das auch der Stei-erung der Attraktivität der Bundeswehr dient. Ichlaube, es ist zu kurz gegriffen, das Gesetz als Attrakti-itätsmaßnahme zu verstehen. Es handelt sich um eineaßnahme der Gerechtigkeit gegenüber denjenigen, dieen schwierigsten und gefährlichsten Job in unser aller
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Jürgen Hardt
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Namen machen, den Soldatinnen und Soldaten sowieden Zivilbediensteten der Bundeswehr, die entsprechendzu behandeln sind.Ich wünsche mir, dass die Klagen Einzelner über bü-rokratische oder schwerfällige Prozesse bei der Aner-kennung von Wehrdienstbeschädigungen ein Ende fin-den. Bund und Länder arbeiten daran, das Ganze zubeschleunigen. Ich vertraue darauf, dass das klappenwird. Wir, die Mitglieder des Verteidigungsausschusses,werden darauf genau achten.Ich danke Ihnen.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/7143 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 19. Oktober 2011, 13 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.
Ich wünsche Ihnen alles Gute.