Protokoll:
15026

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 15

  • date_rangeSitzungsnummer: 26

  • date_rangeDatum: 14. Februar 2003

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 13:35 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Gratulation des Abgeordneten Klaus Lippold zum 60. Geburtstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2013 A Tagesordnungspunkt 2: a) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Jahreswirtschaftsbericht 2003 der Bundesregierung: Allianz für Er- neuerung – Reformen gemeinsam voranbringen (Drucksache 15/372) . . . . . . . . . . . . . . 2013 A b) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Jahresgutachten 2002/03 des Sachverständigenrates zur Begutach- tung der gesamtwirtschaftlichen Ent- wicklung (Drucksache 15/100) . . . . . . . . . . . . . . 2013 B Wolfgang Clement, Bundesminister BMWA 2013 C Friedrich Merz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 2016 C Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2020 B Rainer Brüderle FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2022 D Franz Müntefering SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 2024 D Johannes Singhammer CDU/CSU . . . . . . 2025 D Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 2027 A Hans Michelbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 2028 D Franz Müntefering SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 2029 A Dr. Heinz Riesenhuber CDU/CSU . . . . . . . . 2030 A Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos . . . . . . . . . . 2032 B Joachim Poß SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2033 B Hartwig Fischer (Göttingen) CDU/CSU 2034 A Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . . . . 2034 C Max Straubinger CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 2036 B Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . . . 2037 D Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD . . . . . . . . 2038 A Tagesordnungspunkt 11: Erste Beratung über den von den Abgeord- neten Dirk Fischer (Hamburg), Eduard Oswald, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Ent- wurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Einführung von strecken- bezogenen Gebühren für die Benutzung von Bundesautobahnen mit schweren Nutzfahrzeugen (Drucksache 15/355) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2038 B Georg Brunnhuber CDU/CSU . . . . . . . . . . . 2038 C Uwe Beckmeyer SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2040 B Horst Friedrich (Bayreuth) FDP . . . . . . . . . . 2042 A Albert Schmidt (Ingolstadt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2042 D Horst Friedrich (Bayreuth) FDP . . . . . . . . . . 2044 A Albert Schmidt (Ingolstadt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2044 B Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin BMVBW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2044 C Tagesordnungspunkt 12: Zweite und dritte Beratung über den von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Neurege- lung des Energiewirtschaftsrechts (Drucksachen 15/197, 15/432) . . . . . . . . . 2045 C Plenarprotokoll 15/26 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 26. Sitzung Berlin, Freitag, den 14. Februar 2003 I n h a l t : Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär BMWA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2045 D Dr. Joachim Pfeiffer CDU/CSU . . . . . . . . . . 2046 D Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2048 B Gudrun Kopp FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2049 B Rolf Hempelmann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 2050 A Dr. Rolf Bietmann CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 2051 C Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Dirk Niebel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Abbau von Bürokratie sofort einleiten (Drucksache 15/65) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2053 A Birgit Homburger FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 2053 B Walter Hoffmann (Darmstadt) SPD . . . . . . . 2054 C Birgit Homburger FDP . . . . . . . . . . . . . . 2056 B Dr. Michael Fuchs CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 2056 D Dr. Michael Bürsch SPD . . . . . . . . . . . . . 2058 D Fritz Kuhn BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2059 C Stephan Mayer (Altötting) CDU/CSU . . . . . 2061 A Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär BMWA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2062 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2064 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 2065 A Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Hans-Jürgen Uhl (SPD) zur Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundeskanzler zur aktuellen politi- schen Lage (25. Sitzung, Zusatztagesordnungs- punkte 3 und 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2065 D Anlage 3 Erklärung des Abgeordneten Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstim- mung über den Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Gemeindefinanzen dauerhaft stärken (25. Sit- zung, Zusatztagesordnungspunkt 5) . . . . . . . . 2065 D Anlage 4 Erklärung des Abgeordneten Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstim- mung über den Entwurf eines Gesetzes zur Än- derung des Gesetzes zur Neuordnung der Gemeindefinanzen (Gemeindefinanzreform- gesetz) (25. Sitzung, Tagesordnungspunkt 3) 2066 A Anlage 5 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2066 A Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Februar 2003II (A) (B) (C) (D) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Februar 2003 2013 26. Sitzung Berlin, Freitag, den 14. Februar 2003 Beginn: 9.00 Uhr
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    (A) (B) (C) (D) 2064 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Februar 2003 2065 (C) (D) (A) (B) Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/ 14.02.2003 DIE GRÜNEN Andres, Gerd SPD 14.02.2003 Brase, Willi SPD 14.02.2003 Breuer, Paul CDU/CSU 14.02.2003 Bülow, Marco SPD 14.02.2003 Daub, Helga FDP 14.02.2003 Dobrindt, Alexander CDU/CSU 14.02.2003 Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 14.02.2003 Joseph DIE GRÜNEN Dr. Gauweiler, Peter CDU/CSU 14.02.2003 Dr. Gerhardt, Wolfgang FDP 14.02.2003 Gleicke, Iris SPD 14.02.2003 Glos, Michael CDU/CSU 14.02.2003 Göbel, Ralf CDU/CSU 14.02.2003 Günther (Plauen), FDP 14.02.2003 Joachim Hartnagel, Anke SPD 14.02.2003 Janssen, Jann-Peter SPD 14.02.2003 Kaupa, Gerlinde CDU/CSU 14.02.2003 Kolbe, Manfred CDU/CSU 14.02.2003 Krüger-Leißner, SPD 14.02.2003 Angelika Meckelburg, Wolfgang CDU/CSU 14.02.2003 Möllemann, Jürgen W. FDP 14.02.2003 Müller (Köln), Kerstin BÜNDNIS 90/ 14.02.2003 DIE GRÜNEN Multhaupt, Gesine SPD 14.02.2003 Neumann (Bremen), CDU/CSU 14.02.2003 Bernd Nitzsche, Henry CDU/CSU 14.02.2003 Dr. Nüßlein, Georg CDU/CSU 14.02.2003 Oswald, Eduard CDU/CSU 14.02.2003 Pofalla, Ronald CDU/CSU 14.02.2003 Polenz, Ruprecht CDU/CSU 14.02.2003 Rauen, Peter CDU/CSU 14.02.2003 Repnik, Hans-Peter CDU/CSU 14.02.2003 Scharping, Rudolf SPD 14.02.2003 Schmidbauer SPD 14.02.2003 (Nürnberg), Horst Schmidt (Eisleben), SPD 14.02.2003 Silvia Simm, Erika SPD 14.02.2003 Dr. Stadler, Max FDP 14.02.2003 Freiherr von Stetten, CDU/CSU 14.02.2003 Christian Thiele, Carl-Ludwig FDP 14.02.2003 Vaatz, Arnold CDU/CSU 14.02.2003 Volquartz, Angelika CDU/CSU 14.02.2003 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 14.02.2003 Wettig-Danielmeier, SPD 14.02.2003 Inge Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Hans-Jürgen Uhl (SPD) zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zu derAbgabe einer Regierungserklärung durch den Bundeskanzler zur aktuellen politischen Lage (25. Sitzung, Zusatztagesordnungspunkte 3 und 4) In der Ergebnisliste ist mein Name nicht aufgeführt. Mein Votum lautet „Nein“. Anlage 3 Erklärung des Abgeordneten Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den An- trag der Fraktionen der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN: Gemeindefinanzen dauerhaft stärken (25. Sitzung, Zusatztages- ordnungspunkt 5) In der Ergebnisliste ist mein Name nicht aufgeführt. Mein Votum lautet „Ja“. entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 4 Erklärung des Abgeordneten Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Neuordnung der Gemeindefinanzen (Ge- meindefinanzreformgesetz) (25. Sitzung, Tages- ordnungspunkt 3) In der Ergebnisliste ist mein Name nicht aufgeführt. Mein Votum lautet „Nein“. Anlage 5 Amtliche Mitteilungen Der Vorsitzende des folgenden Ausschusses hat mitge- teilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Ge- schäftsordnung von einer Berichterstattung zu der nach- stehenden Vorlage absieht: Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2002 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 17 02 Titel 632 01 – Aufwendungen für Gräber und Opfer von Krieg und Ge- waltherrschaft – – Drucksachen 15/174, 15/264 Nr. 1.4 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla- ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 15/103 Nr. 2.1 Rechtsausschuss Drucksache 15/173 Nr. 1.7 Finanzausschuss Drucksache 15/103 Nr. 2.11 Drucksache 15/103 Nr. 2.19 Drucksache 15/103 Nr. 2.20 Drucksache 15/103 Nr. 2.21 Drucksache 15/103 Nr. 2.22 Drucksache 15/103 Nr. 2.23 Drucksache 15/103 Nr. 2.25 Drucksache 15/103 Nr. 2.37 Drucksache 15/103 Nr. 2.62 Drucksache 15/103 Nr. 2.64 Drucksache 15/103 Nr. 2.65 Drucksache 15/103 Nr. 2.67 Drucksache 15/103 Nr. 2.68 Drucksache 15/103 Nr. 2.82 Drucksache 15/103 Nr. 2.109 Drucksache 15/103 Nr. 2.118 Drucksache 15/173 Nr. 2.7 Drucksache 15/173 Nr. 2.12 Drucksache 15/173 Nr. 2.24 Drucksache 15/173 Nr. 2.27 Drucksache 15/173 Nr. 2.28 Drucksache 15/173 Nr. 2.39 Drucksache 15/173 Nr. 2.44 Drucksache 15/173 Nr. 2.48 Drucksache 15/173 Nr. 2.51 Drucksache 15/173 Nr. 2.63 Drucksache 15/173 Nr. 2.67 Drucksache 15/173 Nr. 2.72 Drucksache 15/173 Nr. 2.85 Drucksache 15/173 Nr. 2.86 Haushaltsausschuss Drucksache 15/103 Nr. 2.3 Ausschuss fürWirtschaft und Arbeit Drucksache 15/103 Nr. 2.4 Drucksache 15/103 Nr. 2.29 Drucksache 15/103 Nr. 2.30 Drucksache 15/103 Nr. 2.31 Drucksache 15/103 Nr. 2.43 Drucksache 15/103 Nr. 2.44 Drucksache 15/103 Nr. 2.45 Drucksache 15/103 Nr. 2.46 Drucksache 15/103 Nr. 2.49 Drucksache 15/103 Nr. 2.51 Drucksache 15/103 Nr. 2.52 Drucksache 15/103 Nr. 2.53 Drucksache 15/103 Nr. 2.55 Drucksache 15/103 Nr. 2.60 Drucksache 15/103 Nr. 2.76 Drucksache 15/103 Nr. 2.78 Drucksache 15/103 Nr. 2.84 Drucksache 15/103 Nr. 2.88 Drucksache 15/103 Nr. 2.92 Drucksache 15/103 Nr. 2.94 Drucksache 15/103 Nr. 2.97 Drucksache 15/103 Nr. 2.98 Drucksache 15/103 Nr. 2.102 Drucksache 15/103 Nr. 2.104 Drucksache 15/103 Nr. 2.113 Drucksache 15/103 Nr. 2.120 Drucksache 15/103 Nr. 2.121 Drucksache 15/103 Nr. 2.122 Drucksache 15/103 Nr. 2.123 Drucksache 15/103 Nr. 2.124 Drucksache 15/103 Nr. 2.127 Drucksache 15/103 Nr. 2.132 Drucksache 15/103 Nr. 2.134 Drucksache 15/103 Nr. 2.135 Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 15/103 Nr. 2.32 Drucksache 15/103 Nr. 2.96 Drucksache 15/103 Nr. 2.107 Drucksache 15/103 Nr. 2.108 Drucksache 15/173 Nr. 2.8 Drucksache 15/173 Nr. 2.61 Drucksache 15/173 Nr. 2.64 Ausschuss für Verkehr, Bau und Wohnungswesen Drucksache 15/339 Nr. 2.26 Drucksache 15/339 Nr. 2.37 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 15/103 Nr. 2.9 Drucksache 15/103 Nr. 2.38 Drucksache 15/103 Nr. 2.74 Drucksache 15/103 Nr. 2.80 Drucksache 15/103 Nr. 2.87 Drucksache 15/173 Nr. 2.15 Drucksache 15/173 Nr. 2.54 Drucksache 15/173 Nr. 2.73 Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Drucksache 15/103 Nr. 2.73 Drucksache 15/173 Nr. 1.5 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Februar 20032066 (C) (D) (A) (B) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 15/173 Nr. 2.50 Drucksache 15/173 Nr. 2.56 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 15/103 Nr. 1.5 Drucksache 15/103 Nr. 1.7 Drucksache 15/103 Nr. 2.13 Drucksache 15/103 Nr. 2.26 Drucksache 15/103 Nr. 2.36 Drucksache 15/103 Nr. 2.54 Drucksache 15/103 Nr. 2.56 Drucksache 15/103 Nr. 2.103 Drucksache 15/103 Nr. 2.136 Drucksache 15/173 Nr. 2.94 Drucksache 15/268 Nr. 2.1 Drucksache 15/268 Nr. 2.2 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Februar 2003 2067 (C)(A) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502600000

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Sitzung ist eröffnet.
Der Kollege Klaus Lippold feiert heute seinen 60. Ge-

burtstag. Ich gratuliere im Namen des Hauses ganz herzlich.

(Beifall)


Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 a und 2 b auf:
a)Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierung
Jahreswirtschaftsbericht 2003 der Bundes-
regierung: Allianz für Erneuerung – Reformen
gemeinsam voranbringen
– Drucksache 15/372 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierung
Jahresgutachten 2002/03 des Sachverständi-
genrates zur Begutachtung der gesamtwirt-
schaftlichen Entwicklung
– Drucksache 15/100 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundes-
minister Wolfgang Clement das Wort.

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Der Jahreswirtschaftsbericht, über den wir heute be-
raten, ist in einer Zeit außerordentlicher Prognoseunsi-
cherheit entstanden. Die Gründe für diese Unsicherheit
haben sich bis heute noch verstärkt. Die weitere Erholung
der Weltwirtschaft und die Beschleunigung des Welthan-
dels sind durchaus nicht gesichert. Dabei können von ei-
ner möglichen militärischen Intervention im Mittleren
Osten nachhaltige negative Effekte auf internationale
Finanzmärkte, Ölpreise sowie Konsumenten- und Inves-
torenvertrauen ausgehen. – So steht es im Jahreswirt-
schaftsbericht. Weiter heißt es dort:

EinKrieg stellt einunkalkulierbaresEreignisdar, das in
der Jahresprojektion nicht berücksichtigtwerden kann.

Dieser Auffassung ist offenkundig auch die amerika-
nische Notenbank. Alan Greenspan jedenfalls sieht in
den wachsenden geopolitischen Risiken, wie er gesagt
hat, eine starke Belastung für die ohnehin verunsicherte
amerikanische Wirtschaft und damit, wie wir aus unserer
Sicht hinzufügen müssen, auch für die Weltwirtschaft.
Weder die Geld- noch die Fiskalpolitik, so Greenspan,
können etwas gegen die derzeitige geopolitische Unsi-
cherheit tun. Dem ist ausdrücklich zuzustimmen.

Die Zukunftssorgen, die durch die Irakkrise ausgelöst
werden, überlagern alle positiven Entwicklungen. Obwohl
sich die Auftragsbücher der Unternehmen in den Eurolän-
dern langsam wieder füllen, schrauben die Unternehmer
ihre Produktionserwartungen zurück. Ein drohender Irak-
krieg hat sich wie Mehltau über die Wirtschaft und den Ar-
beitsmarkt gelegt. Auch deshalb müssen wir jede Chance
ergreifen, um die Kriegsgefahr zu verringern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Bundesminister Wolfgang Clement

Meine Damen und Herren, um es pointiert zu sagen: Es
wäre das beste Konjunkturprogramm, wenn dieser Krieg
nicht stattfände und wenn wieder alle mit mehr Klarheit und
mehr Zuversicht nach vorn blicken könnten. Im schlimms-
ten aller Fälle allerdings werden wir im europäischen Rah-
men das Notwendige tun müssen, um die nationale Kon-
junktur so gut wie möglich vor Kriegsfolgen zu schützen.

Dass der europäische Stabilitäts- und Wachstums-
pakt im Falle außergewöhnlicher Ereignisse, die sich der
Kontrolle des Mitgliedstaates entziehen, die erforderliche
Flexibilität bietet, steht außer Zweifel. Genauso unzwei-
felhaft muss aber sein, dass die Verpflichtung, das struk-
turelle Defizit systematisch zurückzuführen, nicht infrage
gestellt wird. Nur über den Abbau des strukturellen Defi-
zits werden wir mittel- und längerfristig zu den konjunk-
turpolitischen Handlungsspielräumen zurückfinden, die
wir brauchen und wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, schon seit mehreren Legis-
laturperioden ist die wirtschaftliche Entwicklung in unse-
rem Land unbefriedigend. Die Wachstumsdynamik ist zu
schwach und der Beschäftigungsaufbau kommt nicht
voran. Nach nur 0,2 Prozent realem Wachstum des In-
landsprodukts im vergangenen Jahr erwarten wir für die-
ses Jahr unter den genannten Voraussetzungen eine ver-
haltene Belebung des Wachstums auf real rund 1 Prozent.

Für diese Erwartung spricht einiges. So kann die welt-
wirtschaftliche Entwicklung nach Einschätzung der inter-
nationalen Experten wieder an Dynamik gewinnen. Die
kurz- und langfristigen Nominalzinsen bleiben niedrig.
Dafür war die Lockerung der Geldpolitik in Europa An-
fang Dezember letzten Jahres ein positives Signal.

Die Lohnstückkosten sind in Deutschland sehr verhal-
ten gewachsen und nehmen weiter nur moderat zu, was
die Wettbewerbspositionen deutscher Exporteure in Eu-
ropa und am Weltmarkt verbessert.

Zu den günstigen Rahmenbedingungen gehört auch die
geringe Inflation. Sie hat sich in Deutschland merklich
zurückgebildet und ist mit Raten von nur wenig über
1 Prozent am niedrigsten in der Eurozone. Im Jahres-
durchschnitt 2002 stiegen die Lebenshaltungskosten nur
um 1,3 Prozent. Wir haben damit wesentlich zur Preissta-
bilität in Europa beigetragen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir erwarten in Übereinstimmung mit nahezu allen na-
tionalen Experten ein Wiederanziehen des Wachstums im
zweiten Halbjahr. Eine Reihe von konjunkturellen
Frühindikatoren bestätigen unsere Prognose. Eine Um-
frage der Kreditanstalt für Wiederaufbau im deutschen
Mittelstand zeigt ebenfalls erste Stabilisierungstendenzen
an. Interessant ist auch, dass entgegen der öffentlichen
bzw. veröffentlichten Stimmung der Drang zur Selbst-
ständigkeit in Deutschland stärker ist als angenommen
und dass wir immer noch eine deutlich höhere Zahl an Un-
ternehmensgründungen haben als an Insolvenzen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Die neue Ich-AG ist das!)


Insgesamt deuten die Frühindikatoren eine moderate kon-
junkturelle Erholung in den nächsten Monaten an.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die Ich-AG für Busfahrer!)


– Jawohl, die Ich-AG gehört selbstverständlich dazu, Herr
Kollege. Sie müssen den Menschen die Chance geben,
sich – auch aus der Arbeitslosigkeit heraus – selbstständig
zu machen. Das werden wir weiterhin tun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das Jahr 2003 ist für Deutschland das Jahr der ent-
scheidenden wirtschafts- und finanzpolitischen Weichen-
stellungen. Im Steuerrecht haben wir die nächsten Stufen
der Steuerreform 2004 und 2005 gesetzlich verankert. Zur
Absenkung der Lohnnebenkosten werden wir noch vor
der Sommerpause vor allem die Gesundheitsreform auf
den Weg bringen. Wenn ich das richtig beobachte, besteht
hier ein gemeinsames Interesse am Erfolg einer solchen
Reform. Mit der Zinsabgeltungsteuer stärken wir die
Steuerbasis und unterbinden unfairen Steuerwettbewerb.

In diesem Jahr müssen wir die Voraussetzungen schaf-
fen, um endlich aus einem wirtschaftlichen Teufelskreis
auszubrechen, in dem sich unser Land seit fast zwei Jahr-
zehnten bewegt.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Bitte?)

Ich meine den Teufelskreis eines zu schwachen und lang-
fristig zurückgehenden Wachstums einerseits und der da-
mit einhergehenden Arbeitsplatzverluste andererseits, die
wiederum die Wachstumsschwäche vertiefen. Im Ergebnis
ist die Wachstumsdynamik unserer Volkswirtschaft mit
durchschnittlich 1,5 Prozent seit 1995 unzureichend; sie ist
rückläufig. Nach Auffassung vieler Experten liegt das nicht
zuletzt an der langfristigen Unterauslastung des Faktors Ar-
beit, die viele Gründe hat. Der wichtigste ist zweifellos,
dass die hohe und verhärtete Arbeitslosigkeit zu einer
Wachstumsbremse aus sich selbst heraus geworden ist.
Deshalb geht es jetzt darum, den Zugang zum Arbeits-
markt, zu regulärer und ehrlicher Arbeit, mit allen Mitteln
der Arbeitsmarkt-, der Wirtschafts-, der Finanz-, der Sozial-
und nicht zuletzt der Bildungspolitik wieder zu erweitern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Klartext heißt das: Stetiges und höheres Wachstum ist
ohne einen besseren Zugang zu den Arbeits- und den Gü-
termärkten nicht möglich, ein spürbarer Abbau der Arbeits-
losigkeit auch nicht. Deshalb gehört alles auf den Prüfstand,
was den Zugang zur Erwerbstätigkeit behindern könnte. Bis
zum Sommer werden wir deshalb ein umfassendes Maß-
nahmenpaket auf den Weg bringen, das unter anderem den
Umbau derArbeitsverwaltung zu der deutschen Agentur
für Arbeit, die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und
Sozialhilfe und die Ausbildungs- und Beschäftigungssitua-
tion Jugendlicher einschließt. Dazu gehört selbstverständ-
lich eine gründliche, aber – dafür verbürge ich mich – faire
Analyse der Beschäftigungswirkungen unseres Arbeits- und
Sozialrechts, aus der es dann Konsequenzen zu ziehen gilt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



(A)



(B)



(C)



(D)


2014


(A)



(B)



(C)



(D)






Dass Gewerkschaften und Arbeitgeber der Einladung
des Bundeskanzlers ohne Tagesordnung und Tabus folgen
wollen, finde ich gut. Ich habe Verständnis dafür, dass
beide Seiten in den vergangenen Tagen und Wochen ihre
Positionen deutlich gemacht haben. Ich bin überzeugt:
Keine Seite wird sich entziehen. Entscheidend ist, dass
wir in diesem Jahr die großen Reformen aufs Gleis setzen.

Deshalb habe ich auch mit sehr großem Interesse
die jüngsten Hinweise des DGB-Vorsitzenden Michael
Sommer aufgenommen, die die Bereitschaft auch für Re-
formen des Arbeitsrechts signalisieren. Wie er bin ich der
Überzeugung, dass wir vorurteilsfrei der Frage nachzuge-
hen haben, was in diesem Land Beschäftigung hemmt. Mir
geht es in der Diskussion etwa um den Kündigungsschutz
oder das Abfindungsrecht nicht um eine Deregulierung
oder gar Aushöhlung des entwickelten Arbeitsrechts, son-
dern um eine beschäftigungsfördernde Erneuerung. Es
gibt deshalb auch nicht den geringsten Grund, die Ge-
werkschaften in einer Weise anzugreifen und auszugren-
zen, wie das seit neuerem aus den Reihen der Opposition
heraus versucht wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wer dies tut, Herr Kollege Merz, der hat die Geschichte
der industriellen Beziehungen und die Bedeutung der So-
zialpartnerschaft – dies ist übrigens auch für die Arbeits-
produktivität in den Betrieben wichtig – nicht verstanden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, wir haben in Deutschland
keinen Bedarf an markigen Worten; derer sind genug ge-
wechselt. Es besteht vielmehr Bedarf an konkreten Taten
und konkreten Reformen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Bravo! – Dirk Niebel [FDP]: Dann tun Sie das!)


– Sehen Sie, Sie sind doch in Bewegung zu bringen. Es ist
ein Vergnügen, das zu erleben. Glauben Sie mir: Es wird
noch spannender. – Deshalb werden wir den Kurs konse-
quent fortsetzen, den wir mit den ersten beiden Hartz-Ge-
setzen und mit unserer Mittelstandsoffensive einge-
schlagen haben.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Umsetzung eins zu eins!)


Dem Arbeitsmarkt kommt bei der Entfesselung der
Wachstumskräfte eine Schlüsselrolle zu. Die Verabschie-
dung der Gesetze zur Umsetzung der Empfehlung der
Hartz-Kommission Ende letzten Jahres hat gezeigt, dass
eine Einigung über Parteigrenzen hinweg gelingen kann.
Zukünftig – das gilt ab dem 1. Juli dieses Jahres – müssen
sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach einer
Kündigung unmittelbar beim Arbeitsamt melden, damit
wir den Prozess der Vermittlung in Arbeit spürbar be-
schleunigen können.

Wir haben die Spielräume für Zeitarbeit deutlich
erweitert. Ich kann begründet davon ausgehen, dass es in
diesem Rahmen alsbald auch zu tarifvertraglichen Ver-
einbarungen zwischen Gewerkschaften und Zeitarbeitsun-

ternehmen für bestimmte Gruppen, wie etwa die Langzeit-
arbeitslosen, kommen wird, sodass deren Wiedereingliede-
rung in den Arbeitsmarkt besser gelingen kann als bisher.

Die Fördermöglichkeiten bei Existenzgründung durch
Arbeitslose wurden, Herr Kollege Michelbach, durch die
Ich-AG und die Familien-AG sehr wohl ausgebaut. Mit
den Minijobs erschließen wir neue Marktpotenziale unter
anderem im Bereich der haushaltsnahen Dienstleistungen.

An den nächsten Reformschritten wird intensiv gefeilt.
Diese betreffen den Umbau der Bundesanstalt für Arbeit
zu dem modernen Vermittlungsunternehmen und die Be-
seitigung von Doppelstrukturen und Verschiebebahnhö-
fen durch die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe
und Sozialhilfe.

Nach Vorlage des Berichts der Kommission zur Re-
form der Gemeindefinanzen wird die Bundesregierung
ohne Verzögerung die entsprechenden Gesetzentwürfe
vorlegen. Es wäre gut, wenn wir diese zu Beginn des
nächsten Jahres im Gesetzblatt lesen könnten.

Meine Damen und Herren, unser Land braucht die
Menschen, die Verantwortung übernehmen und unterneh-
merische Ideen verwirklichen. Sie schaffen die Arbeits-
plätze. Der Mittelstand ist der Beschäftigungsmotor in
Deutschland. Deshalb haben wir eine weit reichende Mit-
telstandsoffensive auf den Weg gebracht. Wir fördern
Existenzgründungen und Kleinstunternehmen durch at-
traktive Besteuerung, einfachste Buchführungspflichten
und durch Öffnungen im Handwerksrecht. Ich bin über-
zeugt, dass wir dabei eine Übereinstimmung mit dem
Handwerk erzielen können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mit der neuen Mittelstandsbank bündeln wir die Res-
sourcen für die Finanzierung des Mittelstands. Wir befreien
die Unternehmen von überflüssiger Bürokratie. Wir wer-
den voraussichtlich noch in diesem Monat erste Stufen des
Masterplans Bürokratieabbau im Kabinett beschließen.

Wir modernisieren die Berufsausbildung durch die
Straffung von Verfahren. Die Erweiterung der Ausbil-
dungsbefugnis liegt mir dabei besonders am Herzen. Es
ist absolut inakzeptabel, dass heute 44 Prozent der Be-
triebe im Westen und 51 Prozent der Betriebe im Osten
Deutschlands nicht über eine Ausbildereignung entspre-
chend der einschlägigen Verordnung verfügen. Das müs-
sen wir ändern. Wir brauchen mehr Betriebe, die junge
Menschen ausbilden können und wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn es um die Stärkung der Wachstumspotenziale un-
serer Volkswirtschaft geht, dann darf eine strategische
Industriepolitik nicht fehlen. Durch ihre hohe Produk-
tivität und starke Exportorientierung bildet die Industrie
das Fundament der deutschen Wirtschaft. Die Sicherung
und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie
steht daher ganz oben auf der wirtschaftspolitischen Agen-
da der Bundesregierung.

Wir haben das Thema industrielle Wettbewerbsfähig-
keit deshalb auch wieder auf die europäische Tagesord-
nung gesetzt. Europas Industrie steht heute für ein Viertel

Bundesminister Wolfgang Clement




Bundesminister Wolfgang Clement
der Wirtschaftskraft des Binnenmarktes und gibt etwa
45 Millionen Menschen Beschäftigung. Das zeigt – so
hoffe ich – unmissverständlich, dass industriefreundliche
Rahmenbedingungen einen großen Beitrag zur Verbesse-
rung der Arbeitsmarktsituation leisten können. Das gilt in
noch höherem Maße für uns in Deutschland, weil das ge-
samtwirtschaftliche Gewicht der Industrie hierzulande stär-
ker ist als bei den meisten unserer europäischen Nachbarn.

Umso wichtiger ist es, die Stärkung der industriellen
Wettbewerbsfähigkeit in Europa mit Nachdruck voranzu-
treiben. Wir müssen das ehrgeizige Ziel, das die Staats-
und Regierungschefs in Lissabon vereinbart haben, näm-
lich die Europäische Union innerhalb von zehn Jahren
zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu
machen, mit aller Kraft weiterverfolgen.

Meine Damen und Herren, in diesen Tagen wird uns
vielleicht bewusster als sonst, wie wichtig eine selbstbe-
wusste, eine kräftige europäische Rolle gerade auch in der
Weltwirtschaft ist.


(Dirk Niebel [FDP]: Und gute Bedingungen!)

Ich freue mich deshalb sehr, dass der Bundeskanzler zu-
sammen mit Präsident Chirac und Premierminister Blair
in einem gemeinsamen Brief angeregt hat, die Wettbe-
werbsfähigkeit der Wirtschaft insgesamt sowie der Indus-
trie zum Schwerpunkt des Frühjahrsgipfels der Euro-
päischen Union zu machen. In diesem Schreiben heißt es,
die Industrie dürfe nicht zum Feld von Regulierungsex-
perimenten gemacht werden, die höhere Kosten oder Be-
lastungen für die Unternehmen bedeuteten. – Das kann
ich nur nachdrücklich unterstreichen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [FDP]: Wer hat denn damit angefangen?)


Wenn es uns gelingt, die internationale Wettbewerbs-
fähigkeit unserer Wirtschaft auf hohem Niveau zu halten
– dazu gehört insbesondere eine starke und nachdrückli-
che Technologiepolitik –, wenn es uns gelingt, das Rück-
grat unserer Volkswirtschaft, den Mittelstand, spürbar zu
kräftigen, wenn wir den Arbeitsmarkt gelenkiger machen,
wenn wir die neuen Instrumente der Beschäftigungs- und
der Vermittlungspolitik, die die Hartz-Gesetze uns an die
Hand geben, einsetzen und wenn wir schließlich die Mit-
tel und Instrumente nicht zuletzt in den strukturschwa-
chen Regionen unseres Landes, namentlich in Ost-
deutschland, konzentriert einsetzen, dann habe ich keinen
Zweifel daran, dass sich die ökonomischen und die Be-
schäftigungsperspektiven in unserem Land sehr bald wie-
der aufhellen können. Daran gemeinsam zu arbeiten und
dabei auch aufeinander zuzugehen, das sollte unser aller
Streben sein.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502600100

Ich erteile das Wort Kollegen Friedrich Merz, CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Friedrich Merz (CDU):
Rede ID: ID1502600200

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Offen gestanden, bin ich etwas überrascht darüber
gewesen, dass der Bundeswirtschaftsminister seine Rede
zu einem so wichtigen Thema schon nach 13Minuten Re-
dezeit abgeschlossen hat.


(Dirk Niebel [FDP]: Alles wird gut! – Klaus Brandner [SPD]: Er kann konzentriert reden! Kein Bedarf an starken Worten, Bedarf an starken Taten! – Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Klare Ansage!)


Die Vorlage des Jahreswirtschaftsberichtes – so steht es
jedenfalls, wenn ich es richtig im Kopf habe, im Stabilitäts-
und Wachstumsgesetz der Bundesrepublik Deutschland –
ist Anlass für die zentrale Aussprache im Bundestag über die
Wirtschaftspolitik der Bundesregierung. Dabei richten wir
den Blick sowohl zurück in das vergangene Jahr als auch
nach vorn in das bereits begonnene Jahr.

Herr Bundeswirtschaftsminister, was Sie heute ge-
bracht haben, das war zu wenig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn Sie angesichts der schweren wirtschaftlichen Krise,
in der sich die Volkswirtschaft der Bundesrepublik
Deutschland ja nun ohne Zweifel befindet, Ihrer Aufgabe
gerecht werden wollen, dann müssen Sie zunächst einmal
eine nüchterne und zutreffende Analyse der Lage der
Wirtschaft zu Beginn des Jahres 2003 vornehmen.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt eine halbe Stunde Schlechtreden!)


Es kann ja kein Zweifel daran bestehen, dass wir in diesem
Jahr mit Wachstumsaussichten rechnen müssen, die erneut
am untersten Ende der Skala der Länder der gesamten Eu-
ropäischen Union sind. Es lässt sich doch nicht bezwei-
feln, dass unser Land in einer tiefen, strukturell begründe-
ten Wachstums- und Beschäftigungskrise steckt. Meine
Damen und Herren von der sozialdemokratischen Frak-
tion, dies hat nun mit dem drohenden Konflikt im Irak
überhaupt nichts zu tun. Das ist vielmehr das Ergebnis der
Wirtschaftspolitik von Rot und Grün seit vier Jahren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Gestern Abend hat der Zentralverband des Deut-

schen Handwerks die Ergebnisse des Jahres 2002 be-
kannt gegeben. Vor einem Jahr hat Ihr Vorgänger, Herr
Clement, den Zentralverband massiv kritisiert, ja ihn per-
sönlich beschimpft und diffamiert und gesagt, dies sei
parteipolitisch motivierte Schwarzmalerei,


(Joachim Poß [SPD]: Das war sehr zutreffend!)


als von diesem Verband vor einem Jahr gesagt wurde, dass
die Politik der rot-grünen Bundesregierung zum Verlust
von 200 000 Arbeitsplätzen führen werde. Am Ende des
Jahres 2002 waren es 300 000 Arbeitsplätze, die verloren
gegangen sind, und die Perspektiven für das Jahr 2003
sind noch einmal schlechter geworden.


(Joachim Poß [SPD]: Schwarzmalerei! Das sehen wir jetzt wieder!)



(A)



(B)



(C)



(D)


2016


(A)



(B)



(C)



(D)






Herr Bundeswirtschaftsminister, warum sagen Sie kein
Wort zu der großen Zahl der Unternehmenskonkurse im
Jahr 2002? 38 000 Unternehmen sind in den Konkurs ge-
gangen; Creditreform und andere, die sehr marktnah be-
obachten, welche Entwicklung sich in den ersten Wochen
des Jahres 2003 abzeichnet, weisen darauf hin, dass wir
bei den Unternehmenskonkursen erneut mit einem Zu-
wachs von 10 bis 15 Prozent rechnen müssen. Eine Zahl
von 42 000 oder vielleicht 44 000 Unternehmenskonkur-
sen in diesem Jahr würde einen erneuten Rekord in der
deutschen Nachkriegsgeschichte bedeuten. Dazu müssen
Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, etwas sagen, wenn
Sie an diesem Pult stehen und über den Jahreswirt-
schaftsbericht der Bundesregierung sprechen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass die Indus-

trie nach wie vor – trotz des berechtigten Blicks auf den
Mittelstand – eine tragende Säule unserer Volkswirtschaft
ist. Herr Clement, die deutschen Industrieunternehmen ha-
ben im Jahr 2002 überproportional an Wert verloren. Über-
all auf dieser Welt – der Hinweis ist gar nicht falsch – hat
es Probleme gegeben. Wenn Sie die Entwicklung der Un-
ternehmen beispielsweise in Amerika, Japan – das Land
steckt seit zehn Jahren in einer schweren Strukturkrise –
und Europa mit der Entwicklung der Unternehmen in
Deutschland vergleichen, dann müssen Sie zu der Fest-
stellung gelangen, dass der Wert der börsennotierten
Aktiengesellschaften in keinem Land auf dieser Welt so
dramatisch zurückgegangen ist wie in Deutschland.


(Otto Schily, Bundesminister: Hören Sie doch auf!)


– Entschuldigung, ich will Ihnen die Zahlen nennen: Der
Dow Jones ist um 17 Prozent, der Nikkei-Index um
20 Prozent und der Deutsche Aktienindex, also der DAX
30, um 44 Prozent gesunken.

Meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, die
deutschen Industrieunternehmen haben unter Ihrer Ver-
antwortung in einem Jahr fast die Hälfte ihres Börsen-
wertes verloren. Das hat nun wahrlich nichts mit der Welt-
konjunktur zu tun. Das hat im Wesentlichen etwas mit der
Wirtschaftspolitik der rot-grünen Bundesregierung zu
tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das, was dort geschieht, hat nicht nur auf die – richti-

gerweise – durch die Riester-Rente etablierte zusätzliche
private Altersversorgung Auswirkungen. Die Alters-
versorgung der Menschen wird durch diesen Kursverlust
der deutschen Aktiengesellschaften massiv geschädigt.
Dies hat Auswirkungen auf die Eigenkapitalausstattung
der Unternehmen und massive Auswirkungen auf das
Kreditgeschäft der Unternehmen, weil die Sicherheiten
plötzlich nicht mehr im erforderlichen Umfang vorhan-
den sind.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sehnsucht nach Planwirtschaft!)


Alles in allem – Herr Bundeswirtschaftsminister, das
Wort ist nicht erwähnt worden – hat das Auswirkungen

auf die Eigenkapitalausstattung der deutschen Unterneh-
men.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Wo sind denn Ihre Vorschläge, Herr Merz?)


– Herr Poß, ich werde auf meine Vorschläge zu sprechen
kommen.


(Klaus Brandner [SPD]: Jetzt haben Sie schon sieben Minuten allgemeine Aussagen verbreitet!)


Bevor man hier in einem gewissen politischen Prag-
matismus, den ich Herrn Clement gar nicht absprechen
will, auf alle möglichen Einzelvorschläge zu sprechen
kommt, muss man zunächst einmal die Lage zutreffend
analysieren. Wer die Lage nicht richtig analysiert, kann
auch nicht die richtigen Konsequenzen ziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deswegen müssen wir über die gesamtökonomischen
Bedingungen des Jahres 2003 anders miteinander spre-
chen, als Sie das als Bundeswirtschaftsminister seit eini-
gen Wochen tun. Ich sage Ihnen: Wenn wir über die
Grundlagen unserer Volkswirtschaft nur diskutieren und
sie nicht nachhaltig verbessern, dann werden sämtliche
Aktionsprogramme, die Sie in dieser Bundesregierung
beschließen, an der tatsächlichen Lage von Wachstum und
Beschäftigung in Deutschland nichts ändern.

Ich werde eine Reihe von konkreten Vorschlägen ma-
chen und Ihnen eine Reihe von konkreten Fragen stellen.
Meine erste Frage: Herr Bundeswirtschaftsminister, was
ist Ihr Kurs?


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hätten zuhören sollen!)


Meine zweite Frage – diese wiederhole ich heute zum
zweiten oder dritten Mal – lautet: Welches langfristige
Ziel hat die Bundesregierung hinsichtlich der Staats-
quote? Sie bleiben die Antwort auf diese zentrale wirt-
schaftspolitische Frage erneut schuldig. Herr Bundeswirt-
schaftsminister, Ihr Vorgänger im Amt, von dem wir mit
Konzepten hier nun wahrlich nicht verwöhnt worden sind,
hat wenigstens zu Beginn seiner Amtszeit den Mut ge-
habt, in einem Wirtschaftsbericht des Bundeswirtschafts-
ministeriums – den Jahreswirtschaftsbericht durfte er ja
nicht erstellen – zu schreiben, dass er es für richtig hält,
die Staatsquote langfristig auf 40 Prozent abzusenken. Ist
das die Politik der Bundesregierung, ja oder nein? Ist das
Ihr Ziel? Wenn es Ihr Ziel ist: Ist es auch das Ziel des Bun-
deskanzlers der Bundesrepublik Deutschland, Gerhard
Schröder? Wohin soll sich der Anteil des Staatsverbrauchs
am Sozialprodukt der Bundesrepublik Deutschland ent-
wickeln? Diese Frage müssen Sie beantworten, wenn Sie
die richtige Wirtschaftspolitik in diesem Lande machen
wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Bundeskanzler, wenn Sie es – das wurde von Ih-

nen in einem Interview bestätigt – unverändert für richtig
halten, dass sich die Staatsquote in diese Richtung ent-
wickelt, dann sollten Sie sich klar machen, dass das

Friedrich Merz




Friedrich Merz
erhebliche Auswirkungen auf die Zukunft der sozialen
Sicherungssysteme und auf die Struktur unseres Steuersys-
tems hat. Jenseits aller Mittelstandsoffensiven, Program-
me, Ich-AGs, Familien-AGs und wie die Dinge alle heißen:
Dies sind die zentralen makroökonomischen Stellschrau-
ben, die die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutsch-
land drehen oder so lassen kann, wie sie heute stehen. Wenn
sie so bleiben, wie sie heute sind, Herr Clement, dann
werden Sie mit noch so viel Pragmatismus und noch so
vielen Programmen an der Lage unserer Volkswirtschaft
nichts zum Besseren ändern. Diese Fragen müssen beant-
wortet werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nun sind wir in den letzten Tagen Zeugen einer anhal-

tenden Diskussion in der Sozialdemokratischen Partei
und auch in der SPD-Bundestagsfraktion mit Reaktionen
auf die Vorschläge, die Sie zum Thema Kündigungs-
schutz gemacht haben, geworden. Dazu hat es auch in
dieser Woche in der Bundestagsfraktion der SPD offen-
sichtlich eine kontroverse Auseinandersetzung gegeben,
nachdem Sie zu Beginn des Jahres zu dieser Frage richti-
gerweise einen Vorschlag gemacht haben. Bei Licht be-
trachtet ist die Auseinandersetzung, die Sie zu diesem
Thema führen, eine profunde Debatte über den richtigen
Kurs in der Wirtschaftspolitik, die die SPD in den mehr
als vier Jahren ihrer Regierungsverantwortung bis zum
heutigen Tag nicht ausgetragen hat.

Dahinter verbirgt sich mehr als die Frage, ob man am
Kündigungsschutz, am Arbeitsrecht oder an den sonstigen
Rigiditäten unseres Arbeitsmarktes etwas verändern soll.
Dahinter verbirgt sich in großen Teilen der Sozialdemo-
kratischen Partei Deutschlands ein tief greifender Mei-
nungsstreit über den richtigen Weg in der Wirtschaftspo-
litik und der Sozialpolitik schlechthin.


(Joachim Poß [SPD]: Die CDU hat auch noch einige vor sich, Herr Merz!)


Sie, Herr Bundeskanzler, haben im Juni 1999 mit Ihrem
britischen Amtskollegen Tony Blair ein gemeinsames Pa-
pier veröffentlicht.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Daran erinnert er sich nicht mehr!)


Damals haben Sie dieses Schröder-Blair-Papier als das
richtungweisende Papier Ihrer Regierungspolitik über
eine im Wesentlichen angebotsorientierte Wirtschafts-
politik, also über den Weg bezeichnet, den Sie mit Ihrer
Regierung beschreiten wollen.

In diesem Zusammenhang ist sehr viel über das Thema
Neue Mitte gesprochen worden. Kurz vor Weihnachten
des letzten Jahres haben Sie aus dem Kanzleramt wie-
derum ein Papier an die Öffentlichkeit lanciert, das an die
Strategie anknüpft, die Sie im Sommer 1999 verfolgen
wollten. Dieses Papier enthielt erneut eine im Wesent-
lichen angebotsorientierte Wirtschaftspolitik. Was ist da-
raus geworden?


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nichts! – Zuruf von der CDU/CSU: Die alte Linke!)


Es fällt auf, dass das Wort Neue Mitte in Ihrem Sprachge-
brauch praktisch überhaupt nicht mehr auftaucht. Die ge-

samten alten sozialdemokratischen Hüte werden jetzt also
wieder ins Schaufenster gelegt.

Sie müssen uns nicht unbedingt glauben, wenn wir das
so bewerten. Ich empfehle Ihnen, Herr Clement, die Lek-
türe eines Beitrages eines sehr jungen Professors für
Neuere Geschichte, der gestern in der Zeitung „Die Zeit“
eine Analyse über diesen Befund in der Sozialdemokrati-
schen Partei Deutschlands gemacht hat. Professor Paul
Nolte, der schon in sehr jungen Jahren national und inter-
national hohes Ansehen genießt, schreibt dazu:

Die Neue Mitte hat keine eigene kulturelle Präge-
kraft entwickelt und es herrscht in der SPD die Rat-
losigkeit darüber vor, welche kulturelle Orientierung
man dem sozialen Wandel geben soll.

Er führt aus:
Das zeigt sich plastisch in der habituellen Unsicher-
heit sozialdemokratischer Politiker in ihrem
Schwanken zwischen dem anbiedernden, neuprole-
tarischen Gestus eines Olaf Scholz und dem neurei-
chen Gehabe, das man in mancherlei Varianten von
Schröder oder Scharping kennt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)

Genau um diesen Befund geht es. Es geht nicht um

wirtschaftspolitischen Pragmatismus. Es geht um die Rat-
losigkeit in der rot-grünen Bundesregierung, wie sie auf
die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts reagieren
soll. Sie fallen im Grunde in die Zeit vor dem Godes-
berger Parteitag der SPD im Jahre 1959 zurück.


(Joachim Poß [SPD]: Der Zeitgeschichtler Merz! Er hat von Geschichte so wenig Ahnung wie von Wirtschaft!)


Das, was Sie in Bezug auf die Wirtschaftspolitik in die-
ser SPD-Bundestagsfraktion für richtig halten, entspricht
im Wesentlichen dem, was Sie aus dem 19. Jahrhundert
bis heute in Ihren Köpfen haben. Das hat mit einer mo-
dernen Wirtschafts- und Sozialpolitik praktisch nichts zu
tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Clement, wenn wir heute eine zutreffende Ant-

wort auf die Frage geben wollen, wie man die Arbeitswelt
des 21. Jahrhunderts neu ordnet, wie man in einem Land
wie der Bundesrepublik Deutschland zu einem hohen
Maß an Beschäftigung, vielleicht sogar zu Vollbeschäfti-
gung und einem kräftigen wirtschaftlichen Wachstum
zurückkommt, dann sind aus meiner Sicht zunächst ein-
mal ein paar Vorbedingungen zu akzeptieren.


(Klaus Brandner [SPD]: 15 Minuten geredet und nicht einen einzigen Vorschlag gemacht!)


Erstens. Sie müssen, ob Sie wollen oder nicht, die Glo-
balisierung anerkennen, akzeptieren, respektieren und
versuchen, sie mit Ihrer Politik im Inland zu gestalten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wer sich gegen die Globalisierung wendet, wer glaubt,
dass man aus der Globalisierung der Volkswirtschaften


(A)



(B)



(C)



(D)


2018


(A)



(B)



(C)



(D)






aussteigen kann, der wird sich selbst isolieren und wirt-
schaftspolitisch marginalisieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Zweitens. Es führt kein Weg daran vorbei, dass Sie eine
Grundentscheidung darüber treffen müssen, ob Sie eine
im Wesentlichen angebotsorientierte oder nachfrageorien-
tierte Wirtschaftspolitik betreiben wollen.


(Dr. Rainer Wend [SPD]: Das ist die entscheidende Frage?)


Sie können sich nicht um diese Frage herummogeln. Auch
mit der Antwort, Sie würden als intelligenten Policy Mix
beides machen –


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die richtige Mischung!)


wie Sie nicht müde werden zu behaupten –, drücken Sie
sich in Wahrheit um die Entscheidung in dieser Frage
herum, die Sie aber beantworten müssen, wenn Sie über
die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaft der Bun-
desrepublik Deutschland sprechen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Politik der Extreme!)


Wenn Sie diese beiden Fragen so beantworten wie wir
– was Ihnen wie uns nicht schwer fallen sollte –, dann er-
gibt sich daraus eine Reihe von logischen Antworten. Wir
müssen dafür sorgen – das haben Sie zu Beginn des Jah-
res mit Recht festgestellt, Herr Clement –, dass auf dem
Arbeitsmarkt mehr Mobilität und Flexibilität entstehen.

Ich möchte Ihnen zwei Vorschläge zum Kündigungs-
schutz und zur Betriebsverfassung machen, die wir in die-
ser Woche – ich gebe zu: auch kontrovers – in den eige-
nen Reihen diskutiert haben. Herr Clement, wir bieten
Ihnen an, dass wir bei diesem Thema über die Partei- und
Fraktionsgrenzen hinweg zusammenarbeiten. Wir ma-
chen Ihnen Vorschläge und sind auch offen für andere
bzw. bessere Vorschläge. Wichtig ist, dass in diesem Be-
reich etwas unternommen wird.

Wir schlagen Ihnen vor, das Kündigungsschutzrecht
so zu ändern, dass diejenigen, die neu eingestellt werden
– wohlgemerkt; es geht nicht um eine Verschlechterung
der Rechtslage der Beschäftigten –, das Recht bekommen
– ich betone: sie werden nicht dazu verpflichtet –, einen
Arbeitsvertrag abzuschließen, in dem auf das Kündi-
gungsschutzrecht verzichtet und gleichzeitig für den Fall,
dass der Arbeitsplatz nicht erhalten werden kann, eine Op-
tion auf eine Abfindung eröffnet wird. Ich meine, es ist
besser, mit einem etwas geringeren Kündigungsschutz be-
schäftigt zu sein, als mit dem derzeit bestehenden hohen
Kündigungsschutz arbeitslos zu bleiben. Das ist unser
Angebot an Sie.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir machen Ihnen ein zweites Angebot. Wir sind be-

reit, mit Ihnen die Betriebs- und die Tarifverfassung zu
ändern. Dies ist ein schwieriges Thema. Ich gebe zu, ich
kann – teilweise jedenfalls – verstehen, dass sich die Ge-
werkschaften dagegen wehren. Weil Sie das angespro-

chen haben, will ich an dieser Stelle deutlich machen, dass
niemand von uns – auch ich nicht – irgendetwas gegen die
Gewerkschaften einzuwenden hat.


(Zurufe von der SPD: Ach! – Joachim Poß [SPD]: Überhaupt nicht! – Dr. Rainer Wend [SPD]: Nichts gegen die Gewerkschaften, sie müssen nur lammfromm sein! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt hören Sie doch mal zu! Ganz ruhig!)


Die Gewerkschaften haben über viele Jahrzehnte ein ho-
hes Maß an sozialem Frieden in Deutschland ermöglicht
und sie stehen mit in der Verantwortung für soziale Part-
nerschaft in den Betrieben.

Nicht Sie, sondern wir haben nach dem Zweiten Welt-
krieg in der Bundesrepublik Deutschland das Betriebs-
verfassungsgesetz auf den Weg gebracht. Diese Betriebs-
verfassung hat sich im Kern bewährt, und zwar nicht
gegen die Gewerkschaften, sondern mit ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Kritik – auch das möchte ich betonen – richtet

sich gegen den Macht- und Gestaltungsanspruch einer
Handvoll von Gewerkschaftsfunktionären in diesem
Lande, die sich anmaßen, praktisch in allen politischen
Fragen an die Stelle der Parlamente zu treten und ihre Ent-
scheidung mit einer Vetoposition durchzusetzen, die zum
Stillstand in diesem Lande führen wird. Dagegen wehre
ich mich mit Nachdruck.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es geht im Kern um die Frage, ob wir es zulassen, dass

in diesem Land weiter eine Funktionärsherrschaft eta-
bliert wird,


(Joachim Poß [SPD]: Wen meinen Sie? Herrn Göhner?)


oder ob wir das Primat der Politik gemeinsam zurückge-
winnen, Herr Clement. Über diese Fragen, die wir ge-
meinsam entscheiden müssen, kann an keiner anderen
Stelle als im Deutschen Bundestag entschieden werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Wo ist Herr Göhner?)


Deswegen mache ich Ihnen in diesem Zusammenhang
unseren zweiten Vorschlag.


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Handwerksordnung liberalisieren!)


Wir möchten mit Ihnen zusammen die Betriebsverfas-
sung und die Tarifverfassung ändern. Wir sind der Mei-
nung, dass die Betriebe innerhalb der fortbestehenden
Flächentarifverträge – dabei sind wir übrigens anders als
die FDP der Auffassung, dass die Flächentarifverträge
ihre befriedende überbetriebliche Funktion nicht nur ge-
habt haben, sondern auch behalten sollen – das Recht be-
kommen sollten,


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Fortschritte, Herr Merz!)


ohne Interventionsrechte der Funktionäre in den Arbeit-
geberverbänden und Gewerkschaften eigenständige be-
triebliche Regelungen zu treffen, wenn die Beteiligten in

Friedrich Merz




Friedrich Merz
den Betrieben übereinstimmend der Auffassung sind, dass
hieran etwas geändert werden soll.

Dieser Vorschlag hat einen sehr konkreten Hintergrund.
Sie kennen die Fälle Burda, Viessmann, Mohndruck und
eine Reihe anderer, die Rechtsgeschichte in Deutschland
geschrieben haben. Wir wollen nicht die befriedende
Funktion der überbetrieblichen Tarifverträge infrage stel-
len. Wir wollen vielmehr, dass innerhalb der Tarifverträge
die Tarifpartner in den Betrieben das Recht haben, entwe-
der betriebliche Bündnisse für Arbeit nach dem Betriebs-
verfassungsgesetz gemeinsam auszuhandeln oder aber
nach dem Günstigkeitsprinzip des Tarifvertragsgesetzes
eigenständige Regelungen mit Abweichungen von den Ta-
rifverträgen gemeinsam zu verabreden, wenn dies den Be-
schäftigungsaussichten in den Betrieben nützt.


(Dirk Niebel [FDP]: Steht im FDP-Wahlprogramm!)


Ich sage nicht nur an die Adresse der Kolleginnen und
Kollegen, sondern auch an die Adresse der Gewerkschaf-
ten: Wer die Flächentarifverträge in Deutschland auf
Dauer retten will, der darf sich dieser Flexibilität und die-
ser Autonomie in den Betrieben nicht in den Weg stellen.
Wer dies heute tut, wird morgen vor dem Trümmerhaufen
der gesamten Tarifpolitik in Deutschland stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Unser Angebot steht, Herr Clement. Ich bin mir ziem-
lich sicher, dass wir gemeinsam im Deutschen Bundestag
für eine solche Öffnung unseres Arbeitsmarktes eine
Mehrheit haben. CDU/CSU, FDP, der größere Teil – wie
ich vermute – der Grünen-Fraktion und auch beträchtliche
Teile der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion sind
der Auffassung, dass die Dinge so, wie sie heute sind,
nicht bleiben können. Da wir über Vernunft in Deutsch-
land reden und darüber, dass wir gemeinsam aus dieser
Wachstums- und Beschäftigungskrise herausfinden wol-
len, lassen Sie uns im Deutschen Bundestag um den Weg
ringen, wie wir dies schaffen können.

Unser Angebot steht. Aber Sie, Herr Clement, müssen
unabhängig von Ihrer Rhetorik Konzepte auf den Tisch
legen, die in Fortsetzung der langen Linien unserer Wirt-
schaftspolitik einen Weg aus der Krise aufzeigen. Prag-
matismus allein reicht nicht. 100 Baustellen und kein Richt-
fest, Herr Clement, das ist noch keine Wirtschaftspolitik.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502600300

Ich erteile das Wort dem Kollegen Werner Schulz,

Bündnis 90/Die Grünen.

Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Zen-
trum der heutigen Debatte steht der Jahreswirtschafts-

bericht. Das war nicht in jedem Punkt der Rede meines
Vorredners zu erkennen. Ich kann mich des Eindrucks
nicht erwehren, dass Sie dem gestern blamabel geschei-
terten Angriff in der Außenpolitik einen weiteren in der
Wirtschaftspolitik folgen lassen wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


Wir liegen doch in der Analyse der angespannten Wirt-
schaftssituation gar nicht so weit auseinander. Herr Kol-
lege Merz, das Wirtschaftswachstum der 90er-Jahre war
insgesamt mäßig. In zwei Jahren Ihrer Regierungszeit gab
es sogar ein Schrumpfen der Wirtschaft. Angesichts einer
gesättigten und hoch entwickelten Volkswirtschaft müs-
sen wir alles daransetzen, dass wir trotz geringer Wachs-
tumsraten eine hohe Beschäftigung erreichen. Das wird
die Aufgabe in den nächsten Jahren sein; das müssen wir
schaffen.

Ich kann bei Ihnen das alte Bewertungsmuster heraus-
hören: Alles, was schief läuft und was danebengeht, lasten
Sie der Bundesregierung an.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Ob es gescheiterte Unternehmenskonzepte sind, ob es
Schwierigkeiten aufgrund von Börsenspekulationen sind,
ob sich Firmen verkalkuliert haben, das alles lasten Sie
der Bundesregierung an. So geht es nicht. Das ist das alte
Muster.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Damit kann man Stimmungen verstärken und Landtags-
wahlen gewinnen.

Man kann auch – wir akzeptieren das – durch politi-
sche Zurückhaltung dem anderen einen Denkzettel ver-
passen. Wir werden – das werden Sie noch merken – un-
sere Reformanstrengungen dagegensetzen. Aber auch für
Sie ist eine neue Situation entstanden. Sie müssen jetzt
nämlich endlich Antworten geben und mitarbeiten. Sie
sind in eine neue Verantwortung gekommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


Das bedeutet nicht große Konfrontation, die Sie gele-
gentlich suchen, oder große Koalition, sondern Koopera-
tion. Wir brauchen eine Kraftanstrengung von Schwarz-
Rot-Grün. Das Gold müssen wir uns in diesem Land,
glaube ich, erst wieder erarbeiten. Wir müssen für einen
mentalen Umschwung sorgen. Darüber können Sie ruhig
lachen. Aber die Rezession beginnt im Kopf, vor allem in
Ihrem.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ihr Schlechtreden – Sie behaupten zum Beispiel, die Bun-
desregierung habe kein Konzept und keinen Entwurf –
kann ich nicht mehr hören, Kollege Merz.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)



(A)



(B)



(C)



(D)


2020


(A)



(B)



(C)



(D)






Schauen Sie sich doch den Jahreswirtschaftsbericht
2003 einmal genau an! Ich stimme Ihnen ja zu, dass die
dort enthaltene Projektion optimistisch ist und dass wir
uns anstrengen müssen, wenn wir sie erreichen wollen.
Daran werden Sie sich jetzt beteiligen müssen. So einfach
wie bisher können Sie es sich jetzt nicht mehr machen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aber neben dieser Projektion ist auf 50 Seiten des Jahres-
wirtschaftsberichts die Konzeption der Bundesregierung
niedergeschrieben, die unter dem Motto „Modernisierung
und Erneuerung“ steht. Ich weiß nicht, welche anderen
Berichte Sie sonst noch lesen. Ich möchte Ihren Dreistu-
fenplan nicht in Bausch und Bogen verdammen, auch
wenn er das dürftigste Ergebnis dieser Woche ist.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Lachen bei der CDU/CSU)


Aber ich bin froh, dass von Ihrer Seite überhaupt etwas
gekommen ist, worüber wir reden können. Daran können
wir immerhin anknüpfen. Reden wir also über das, worum
es geht!


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber nicht so schreien!)


Wir halten an der Haushaltskonsolidierung fest.
Schließlich waren wir es, die das Nachhaltigkeitsprinzip
in die Finanzpolitik eingeführt haben.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

– Ich verstehe nicht, warum Sie lachen. Was haben Sie
gegen Nachhaltigkeit? Auf Ihren Abgeordnetenbänken
herrscht vielleicht nachhaltige Komik.

Wir haben, wie gesagt, das Nachhaltigkeitsprinzip in
die Finanzpolitik eingeführt. Für uns ist dieses Prinzip
keine vorübergehende Modeerscheinung; denn wir wis-
sen, dass wir nur so aus der Schuldenspirale herauskom-
men. Im Unterschied zu Ihnen hat die Bundesregierung in
der letzten Legislaturperiode mit der Haushaltskonsoli-
dierung begonnen. Sie haben uns ja einen riesigen Schul-
denberg hinterlassen, der die heutigen Probleme erst ge-
schaffen hat. Wir halten jedenfalls am Wachstums- und
Stabilitätspakt fest.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich sage Ihnen aber auch: Wer das Steuervergünsti-
gungsabbaugesetz in Bausch und Bogen ablehnt und dif-
famiert, indem er so tut, als ob Subventionsabbau eine
Steuererhöhung ist, der muss jetzt, bitte schön, auch sa-
gen, wie er einsparen möchte. Ich bin auf Ihre Vorschläge
gespannt. Herr Kollege Merz, mich interessiert es sehr
– darauf hätten Sie in Ihrer Rede eingehen sollen –, wie
Sie das strukturelle Defizit, von dem Sie gesprochen ha-
ben, beseitigen wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir sind dabei, die Vorschläge der Hartz-Kommission
umzusetzen. Das wird Dynamik und Flexibilität auf dem
Arbeitsmarkt schaffen. Es wird eine bessere Vermittlung
und auch mehr Arbeitsplätze geben. Wir können auch ei-

nen Schritt weiter gehen und über den Kündigungs-
schutz reden. Wir müssen schauen, was die Praxis der Ab-
findungsregelungen gebracht hat. Möglicherweise ist es
besser, auf Optionsmodelle zu setzen, als an starren Re-
gelungen festzuhalten; denn es ist sicherlich besser, Men-
schen in Beschäftigung zu bringen, als wenn der Rationa-
lisierungsdruck auf dem Faktor Arbeit lastet und zu
weiteren Entlassungen führt.

Ich bin auch dafür, dass sich der Flächentarif dem Wett-
bewerb stellt. Wir haben das Betriebsverfassungsgesetz
geändert und den Betriebsräten mehr Mitbestimmung ge-
geben. Das muss natürlich in betrieblichen Bündnissen
für Arbeit zum Tragen kommen. Wir haben damit Erfah-
rungen im Osten, wo etliches in dieser Richtung ge-
schieht.

Ich glaube, auch die Gewerkschaften stehen – ich habe
das heute von IG-Metall-Bezirkschef Huber gehört –
Modernisierungen aufgeschlossen gegenüber. Die Ge-
werkschaften erkennen nämlich, dass ihre Chance nicht
allein im Armdrücken in Verhandlungsrunden zur Lohn-
gestaltung, sondern auch in der Qualifizierung und der
Weiterbildung ihrer Mitglieder sowie im Coaching von
Betriebsräten besteht. Bloß, Kollege Merz – das kritisiere
ich an Ihnen –, das alles müssen wir mit den Gewerk-
schaften erreichen. Mit Ihren halbstarken Tönen verprel-
len Sie die Gewerkschaften. Ich habe manchmal den Ein-
druck, dass Sie mit Ihrem alten Mofa in die DGB-Zentrale
brettern wollen, um die Sommer-Zeit zu beenden.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Sie sollten nicht vergessen: Der Ton macht die Musik. Ich
weiß, dass Sie Polemik nicht vertragen können, wenn sie
nicht gerade von Ihrer Seite kommt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ein Feuerwerk der Rhetorik!)


Wir wollen die sozialen Sicherungssysteme reformie-
ren. Das ist auch Ihre Absicht und da können wir uns tref-
fen. Die Lohnnebenkosten unter 40 Prozent zu senken,
das ist Ihre Absicht und das ist auch unsere Absicht. Inso-
fern können wir da zusammenarbeiten. Ich staune nur da-
rüber. Sie haben die Kommission zur nachhaltigen Finan-
zierung der sozialen Sicherungssysteme heftig kritisiert.
Jetzt wollen Sie der Rürup-Kommission eine Ruck-zuck-
Kommission folgen lassen. Bitte schön, dann treten wir in
einen Ideenwettbewerb! Legen wir die Vorschläge zu-
sammen und versuchen, etwas Vernünftiges daraus zu
machen!

Sie wollen die Sozialkassen von den versicherungs-
fremden Leistungen entlasten. Ich verstehe nur nicht,
warum Sie ausgerechnet bei der Arbeitslosenversicherung
anfangen wollen und das JUMP-Programm oder bei ABM
und SAM kürzen wollen, wie das in dieser Woche durch
einen Antrag zum Ausdruck gekommen ist. Ich habe Ih-
nen in der letzten Sitzungswoche angeboten, das System
von den versicherungsfremden Kosten der deutschen Ein-
heit zu entlasten.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Werner Schulz (Berlin)





Werner Schulz (Berlin)

Es sind 3 Prozentpunkte, die wir noch heute dafür auf-
wenden und um die wir die Lohnnebenkosten mit einem
Schlag drücken könnten. Das würde sowohl auf der Ar-
beitnehmer- als auch auf der Arbeitgeberseite zu Buche
schlagen und wäre auch ein substanzieller Beitrag für ein
Bündnis für Arbeit, damit sich diese ergebnislose Runde
endlich Bündnis für Arbeit nennen kann.

Und ich sage Ihnen: Das wird heute im Bundesrat Ihre
Nagelprobe werden, was die Modernisierung der Wirt-
schaft anbelangt. Zu einer modernisierten Wirtschaft
gehört auch ein modernes Zuwanderungsrecht. Dieser
Frage müssen Sie sich stellen. Sie wissen, hier sind die
Forderungen der Wirtschaftsverbände an Sie ganz klar,
nicht nur aus demographischen Gründen,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Gehört das auch zum Jahreswirtschaftsbericht?)


sondern auch deshalb, weil Zuwanderung natürlich Zu-
gang, Neugründung, Flexibilität und Dynamik in einer
Volkswirtschaft auslösen. Heute werden Sie zeigen müs-
sen, ob Sie die Blockadehaltung wirklich überwunden ha-
ben und ob Sie konstruktiv mitarbeiten werden.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Teilen Sie immer die Auffassung der Wirtschaftsverbände, überall?)


– Nein,

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Aha!)


aber in dieser Frage sind sich alle gesellschaftlichen
Kräfte bis auf die Union einig, Herr Kauder. Nur die
Union verweigert sich bei der Zuwanderungsfrage.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sowohl die Kirchen als auch die Wirtschaftsverbände und
andere große Interessenverbände in unserem Land sind
der Zuwanderung gegenüber aufgeschlossen, während
die Union an dieser Stelle absolut blockiert.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie suchen sich immer das heraus, was Ihnen passt!)


Da werden wir Ihre Reformbereitschaft heute noch er-
kennen können.

Ich glaube, dass die Reformbereitschaft in unserem
Land weit größer ist als jene, welche die Politik derzeit
abruft.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Die Mehrheit will, dass Sie die Regierung nicht mehr führen! Das ist die Meinung im Volk!)


Viele könnten die Wahrheit vertragen, wenn man ihnen
die Probleme vernünftig erklärt und eine Perspektive für
Lösungen nennt. Nur dann, wenn wir die Chancen und die
Erfolgsaussichten herausarbeiten – nicht nur immerzu die
Probleme aufwerfen und das Haar in der Suppe suchen,
wie Sie, Kollege Merz, das tun; das dann möglichst auch
noch spalten wollen –, werden wir Kräfte gewinnen und
den mentalen Schub bekommen, den wir für den robusten
Wandel, der in unserem Land abläuft, benötigen.

Wir brauchen keine weiteren Kommissionen, um zu er-
kennen, dass für die Reformen nicht viel Zeit bleibt. Wir

haben dieses Jahr für Reformen, damit das, was wir in die-
sem Jahr beschließen, im nächsten Jahr zur vollen Wir-
kung kommt. Das heißt, wir haben ein kleines Zeitfenster
zum Handeln. Insofern haben wir nicht mehr allzu viel
Zeit, uns über diese Probleme zu streiten; wir müssen echt
zusammenarbeiten. Wie gesagt, Ihr Dreistufenplan bedarf
der Nachbesserung. Da ist noch einiges auszufüllen bzw.
zu konkretisieren.

Es bedarf auch keiner weiteren Kommission, um die
Legitimation der Politik klar zu machen. Wir sollten uns
als Parlament dazu aufraffen – das muss die Leitlinie der
nächsten Monate sein –, uns gegenüber Interessenverbän-
den und gegenüber Bremsern durchzusetzen und das zu
entscheiden und zu verantworten, was politisch notwen-
dig und geboten ist.


(Dirk Niebel [FDP]: Dann tut es doch! Regiert ihr eigentlich?)


Das ist die Aufforderung an Sie. Solch eine Politik ist kein
Selbstzweck, sondern die Voraussetzung für die soziale,
ökologische und demokratische Stabilität. Nur so können
wir die Reformvorhaben verwirklichen und nur so werden
wir auch wieder die finanziellen Spielräume bekommen,
die wir brauchen, um die notwendigen Veränderungen zu
realisieren.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502600400

Ich erteile das Wort dem Kollegen Rainer Brüderle,

FDP-Fraktion.


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1502600500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Jah-

reswirtschaftbericht trägt die Überschrift „Allianz für Er-
neuerung“. Wir haben in der Debatte gestern erlebt, dass
man sehr Acht geben muss und dass es gefährlich wird,
wenn diese Regierung von Allianz spricht.


(Zurufe von der SPD: Ha, ha!)

Die Wirtschaftslage ist sehr ernst. Wir befinden uns in

der dramatischsten Wachstums- und Wirtschaftskrise der
Nachkriegsgeschichte. Die Wirtschaft stagniert im dritten
Jahr hintereinander. Die Gefahr eines so genannten
Double Dip, also eines nochmaligen Abgleitens in der Re-
zession, besteht auch ohne einen Irakkrieg ganz konkret.

Herr Clement, es hilft nichts, auf die geopolitische Si-
tuation zu verweisen. Diese Situation ist, wie sie ist. Die
anderen haben unter ihr genauso zu leiden. Deutschland
befindet sich also nicht in einer Sonderlage. Daran, dass
wir deutlich schlechter als andere dastehen, obwohl die
anderen die gleichen geopolitischen und weltwirtschaftli-
chen Rahmenbedingungen haben, zeigt sich, dass hier, in
diesem Land, etwas falsch gemacht wird. Anders ist un-
sere Krise logisch nicht zu erklären.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



(A)



(B)



(C)



(D)


2022


(A)



(B)



(C)



(D)






Die Grundachsen der Wirtschaftspolitik sind nicht
richtig ausgerichtet. Wir brauchen eine Wirtschaftspolitik
mit Charakter. Unsere Wirtschaftspolitik muss sich wie-
der auf ordnungspolitische Grundsätze besinnen und sie
konsequent umsetzen. Der Staatsanteil in Deutschland
liegt bei fast 50 Prozent. Das ist eine der Ursachen für Ef-
fizienzverluste bei uns. Konkret: 48,5 Prozent dessen, was
in diesem Land erarbeitet wird, fließt in den Staatssektor,
der von seiner Struktur her eine schlechtere Effizienz als
die Unternehmen in einer freien Markwirtschaft – Steue-
rung der Ressourcen und der Dienstleistungen, Produk-
tionsmöglichkeiten – hat.

Bevor die jetzige geopolitische Situation – so nennen
Sie es – eingetreten ist, hat die Regierung die Chance lei-
der nicht genutzt, die Wachstumskräfte zu stärken. Die
Regierung hat es versäumt, eine Steuerreform durchzu-
führen, die den Bürgern mehr Möglichkeiten, zu kon-
sumieren, und dem Mittelstand mehr Möglichkeiten, zu
investieren, gibt. In der Wirtschaftspolitik dieser Regie-
rung sind keine klaren Linien zu erkennen. Ständig gibt es
Diskussionen über Erbschaftsteuer, Vermögensteuer,
Mehrwertsteuer und anderes. Wie soll man da vernünftig
rechnen? Wie soll zum Beispiel ein Handwerksmeister
entscheiden können, ob er sich eine neue Maschine an-
schafft, wenn ständig Unsicherheit herrscht? Seinen
Markt kennt er in etwa, aber die Unsicherheiten einer
nicht kalkulierbaren Politik stellen ein Risiko dar, das er
nicht kennt und das er nicht beherrschen kann. Dafür sind
Sie verantwortlich.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Reglementierung in Deutschland ist überdreht.
Das ist zwar nicht allein Ihre Schuld, aber auch Ihre. Die
Regelungsdichte hat sich unter Rot-Grün erhöht; sie
wurde nicht geringer. Es ist immer wieder schön, wenn
Sie tolle Begriffe wie Masterplan oder Bürokratieabbau
benutzen. An Luftblasen, die Sie produzieren, fehlt es
nicht. Geben Sie den Ländern und den Kommunen doch
die Möglichkeit, Gesetze für ein paar Jahre außer Kraft zu
setzen! Wenn Sie das getan haben, dann werden Sie fest-
stellen: Es passiert gar nichts. Die meisten merken näm-
lich gar nicht, wie viel Unsinn hier reglementiert ist. Ge-
ben Sie doch den Menschen die Chance, mit ihrer Arbeit
erfolgreich zu sein!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Mittelstand ist der eigentliche Hoffnungsträger.
Bei den großen Konzernen wird es nicht zu einem nen-
nenswerten Zuwachs an Arbeitsplätzen kommen. Auto-
matisierungsprozesse wie Robotik werden weiterhin dazu
führen, dass Arbeitsplätze dort eher verloren gehen.
Außerdem werden die großen Konzerne die Produktion
bestimmter Komponenten in andere, kostengünstigere
Regionen Europas und der Welt verlagern.

Sie haben Recht: Für die kleinen Betriebe ist der über-
drehte Kündigungsschutz ein Einstellungshemmnis. Es
geht nicht darum, den Arbeitnehmern etwas wegzuneh-
men, sondern darum, den Arbeitslosen etwas zu geben,
nämlich die Chance, wieder eine Arbeit zu bekommen.
Genauso geht es darum, den kleinen und mittleren Betrie-

ben die Chance zu geben, mehr Leute einzustellen, um
mehr produzieren und leisten zu können. Das ist der ei-
gentliche Grund, warum Sie Änderungen vornehmen
müssen. Das haben Sie richtig erkannt. Leider bringen Sie
aber nichts zustande.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Kaum hatten Sie einige relativ mutige Sätze gesagt,
kam Herr Müntefering und widersprach Ihnen. Ich weiß
nicht, ob es aus gemeinsamen Zeiten in NRW noch Rech-
nungen zwischen Ihnen zu begleichen gab. Die neueste
Idee des Kanzlers war, den Kündigungsschutz zu lockern,
wenn es im Gegenzug eine Beschäftigungsgarantie gibt.
Der Kanzler möchte also, dass sich ein Handwerksmeister
im Kanzleramt meldet, um dort mitzuteilen, dass er sich
von einem seiner Angestellten trennen muss; im Gegen-
zug garantiert er, andere Angestellte nicht zu entlassen.
Was Sie veranstalten, das ist doch alles absurdes Theater!

Richtig wäre Folgendes: Für Betriebe, die bis zu 20 Be-
schäftigte haben, muss die Regelung deutlich vereinfacht
werden. Es darf doch nicht sein, dass ein Metzgermeister
erst Jura studiert haben muss, wenn er jemanden einstel-
len möchte. Ein Metzgermeister soll Wurst produzieren
und nicht Gesetzestexte studieren müssen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Herr Kollege Merz, Sie bleiben auf halbem Weg ste-

hen. Ich sehe die große Koalition, die sich im Hinblick auf
eine Neuregelung der Minijobs gebildet hat, mit großem
Missbehagen.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann ich verstehen!)


– Auch da fliegen Sie heraus, Herr Kuhn; Sie sind ja schon
aus dem Vorsitzendenamt herausgeflogen.

Wir müssen das Tarifkartell öffnen. Im Osten Deutsch-
lands – das weiß jeder hier im Raum – unterliegen 70 Pro-
zent aller Beschäftigungsverhältnisse nicht dem gelten-
den Tarifvertragsrecht. Diese sind, wenn Sie so wollen,
alle rechtswidrig. Keiner rührt daran: keine Gewerk-
schaft, keine Regierung. Es handelt sich um eine Not-
reaktion, damit Beschäftigung überhaupt in dem bisheri-
gen Umfang dort erhalten werden kann. Aber diese
Erkenntnis muss uns doch zu der Einsicht verhelfen, dass
wir Spielräume öffnen müssen.

Deshalb sagen wir, Herr Kollege Merz, dass Mitarbei-
ter, wenn 75 Prozent eines Betriebs in freier Abstimmung
eine andere Regelung als die, die die Gewerkschaftsfunk-
tionäre ausgehandelt haben, haben wollen, auch das Recht
bekommen sollen, hier eigene Entscheidungen zu treffen.
Es ist ihr Arbeitsplatz, es handelt sich um ihre Lebensper-
spektiven. Deshalb muss das Tarifvertragsrecht geändert
werden und müssen den betroffenen Arbeitnehmern mehr
Freiheit und mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten gege-
ben werden.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ja!)

Verweigert ihnen doch nicht die Entscheidungsmöglich-
keit; ein Quorum von 75 Prozent ist eine hohe Hürde.


(Beifall bei der FDP)


Rainer Brüderle




Rainer Brüderle

Besonders scheinheilig sind bei diesen Fragen die Grü-
nen. Sie fordern zwar Flexibilität im Arbeitsmarkt und
eine Lockerung des Kündigungsschutzes, doch zugleich
ist ihr Parteifreund Bsirske der schlimmste Betonmischer,
den wir haben.


(Beifall bei der FDP)

Ist es mit Ihrem Demokratie- und Wirtschaftsverständnis
vereinbar, dass jemand, der stellvertretender Aufsichts-
ratsvorsitzender der Lufthansa AG ist und damit eine hohe
Verantwortung für ein großes Unternehmen hat – dafür
bekommt er ja auch anständig Geld –, gleichzeitig der An-
führer der Streikmaßnahmen gegen dasselbe Unterneh-
men ist?


(Dirk Niebel [FDP]: Pfui!)

Wie gespalten muss dessen Seele sein? Einerseits ist er
nach dem Aktiengesetz verpflichtet, für das Unternehmen
einzutreten und sein Wohl zu fördern, andererseits ist er
derjenige, der mit Lohnforderungen in Höhe von bis zu
20 Prozent die Axt an das Unternehmen legt. Wissen Sie
nicht, wie die Luftfahrtgesellschaften in der Welt draußen
dastehen?


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Man muss darüber reden können, ob bestimmte Vari-
anten von Mitbestimmung, die sich im Laufe der Zeit aus-
geprägt haben und auf der Illusion beruhen, parlamentari-
sche Mechanismen auf Unternehmen übertragen zu
können, noch zeitgemäß sind oder ob sich hier etwas än-
dern muss. Ich bin dafür, dass Gewerkschaftsführer kein
Aufsichtsratsmandat mehr bekleiden dürfen,


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

weil sie damit in Interessenskonflikte geraten. Entweder
nehmen sie das Interesse ihrer Mitglieder nicht richtig
wahr, sodass ihnen die Mitglieder weglaufen – der Deut-
sche Gewerkschaftsbund verliert ja jedes Jahr zwischen
300 000 und 500 000 Mitglieder – und sie wie ÖTV, DAG
und HBV zu Verdi und nächstes Jahr vielleicht Verdi mit
IG Metall zu Puccini usw. fusionieren müssen


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ha, ha!)


– das ist die Konsequenz, weil sie die Mitglieder nicht
mehr ansprechen und ihre Interessen nicht mehr wahrneh-
men –, oder sie treten für die Interessen der Mitglieder ein
und können die Interessen der Unternehmen nicht mehr
unbefangen wahrnehmen. Man sollte in Ruhe darüber
nachdenken, ob ein solcher Zielkonflikt hingenommen
werden kann oder ob sich hier nicht vielmehr eine Bonzo-
kratie entwickelt hat, die ein Stück weit Mitschuld daran
hat, dass unsere Wirtschaft nicht richtig funktioniert.

Worum geht es im Kern? Wir müssen die Kraft auf-
bringen, die Grundachsen neu auszurichten. Wir müssen
uns auf das Erfolgsgeheimnis der sozialen Marktwirt-
schaft zurückbesinnen:


(Beifall bei der FDP)

durch Berechenbarkeit, Vertrauen und Gestaltungsfrei-
räume der Wirtschaft die Möglichkeit geben, in einen

Wettbewerb einzutreten, der den Namen verdient. Sie
misstrauen dem Wettbewerb. Deshalb versuchen Sie im-
mer neue Ansätze der Industriepolitik. Sie wissen doch
nicht besser als die Unternehmen, wie es laufen soll.
Wenn Ihre Ordnungspolitik nun auch noch auf europä-
ischer Ebene durchgesetzt wird, bekommt man ja eine
Gänsehaut, denn dabei kann nichts Vernünftiges heraus-
kommen. Die Europäische Union ist sicherheitspolitisch
ja kaum handlungsfähig und bekommt viele Reformen
nicht hin. Wenn die noch festlegt, in welchen Sektoren in
Europa investiert und welche gefördert und entwickelt
werden sollen, dann kann das nur schief gehen. Deshalb
fordern wir Rückbesinnung auf Normalität.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie kommen doch an Adam Riese nicht vorbei: Auch
in Zukunft wird zwei plus zwei vier sein, auch wenn Ih-
nen das nicht passt. Haben Sie doch die Kraft, endlich den
Umbau vorzunehmen! Die Statik des Gebäudes der deut-
schen Gesellschaft und Wirtschaft stimmt nicht mehr.
Hier haben Sie in den letzten Jahren Fehlentwicklungen
forciert. Deshalb sind wir falsch aufgestellt. Das ist die
Ursache dafür, dass die Veränderungen in der Weltwirt-
schaft, die geostrategischen Veränderungen Deutschland
stärker treffen als andere Staaten. Sie können nichts dafür,
wenn sich in der Weltwirtschaft etwas verändert; aber Sie
können etwas dafür, dass wir in Deutschland so schlecht
aufgestellt sind und dass sich solche Veränderungen des-
halb bei uns doppelt und dreifach auswirken.

Aus diesem Grund brauchen wir wieder eine Rückbe-
sinnung auf die Prinzipien der Wirtschaftspolitik, den
Charakter der Wirtschaftspolitik. Wir müssen wegkom-
men von kurzatmigen Teillösungen, die es nicht bringen.
Ein Heftpflaster hier und da und homöopathische Dosen
sind nicht die Lösung. Sie müssen jetzt den Mut haben,
konsequent Schnitte vorzunehmen, um etwas zu verän-
dern, sonst wirkt sich Ihre Wirtschaftspolitik auch staats-
politisch aus: Die Menschen wenden sich ab, sie vollzie-
hen die innere Kündigung einem Staat gegenüber, der
nicht in der Lage ist, die Weichen so zu stellen, dass sie
wieder eine Chance haben. Darum geht es: Gebt den Men-
schen endlich eine Chance!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502600600

Ich erteile das Wort dem Kollegen Franz Müntefering,

SPD-Fraktion.

(Zuruf von der CDU/CSU: Der Wirtschaftsexperte! – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Konsumverzicht!)



Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1502600700

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Wirtschaftsminister Wolfgang Clement hat heute
Morgen sehr praktisch und konkret deutlich gemacht, was
in diesem Jahr in der Politik in Deutschland geschehen
wird. Er hat noch einmal die Mittelstandsoffensive erläu-
tert. Er hat darauf hingewiesen, was im Bereich der Hartz-


(A)



(B)



(C)



(D)


2024


(A)



(B)



(C)



(D)






Vorschläge beschlossen worden ist und was noch kom-
men wird. Diese Maßnahmen sind für das Wirtschafts-
wachstum und die Arbeitsplätze in unserem Lande außer-
ordentlich wichtig.

Der Supervize Merz hat darauf mit einer angeblichen
Analyse geantwortet; er hat gesagt, man müsse die Lage
erst einmal analysieren.


(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Eine super Rede!)


Er hat all die tatsächlichen oder angeblichen Probleme in
diesem Lande auf die Formel konzentriert: Das ist Schuld
der SPD.


(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

Das ist die alte Melodie, die schon Rudi Carrell gesungen
hat. Sie haben nur nicht begriffen, Herr Merz, dass das
eine Satire und nicht ernst gemeint war.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben heute viele dünne Bretter gebohrt. Ich wundere
mich, wie intensiv Ihre Kollegen klatschen, wenn Sie hier
Ihre Analysen vorbringen.

Zur Staatsquote:Wir haben 1998 eine Staatsquote von
49,3 Prozent übernommen. In der vergangenen Legis-
laturperiode haben wir sie auf 48,5 Prozent abgesenkt; das
bedeutet eine Absenkung um 20 Milliarden Euro.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Hören Sie auf! Das ist ja peinlich!)


Unser Ziel ist, sie auch weiter abzusenken. Man muss da-
bei aber realistisch bleiben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist ja Voodoo!)


– Hören Sie erst einmal zu und lesen Sie das noch einmal
nach! Vielleicht können Sie dann einen Teil Ihrer Vorur-
teile überdenken.

Die Staatsquote hat etwas mit der Zinslast und der
Schuldenlast des Staates zu tun. Die über 40 Milliar-
den Euro Zinsen, die wir auf Bundesebene Jahr für Jahr
zu bezahlen haben, sind so viel wie 2 Prozent Staatsquote.
Wir haben von Ihnen eine Schuldenlast geerbt,


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

die dazu geführt hat, dass von jeder Mark Steuern 22 Pro-
zent für die Zinszahlungen aufgewandt werden mussten.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das ist falsch!)


Wir haben in den vergangenen vier Jahren mit der Politik
von Hans Eichel erreicht, dass die Schuldenlast des Bun-
des so weit gesunken ist,


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie haben neue Schulden gemacht!)


dass wir nicht mehr 22 Prozent, sondern nur noch 19 Pro-
zent der Steuereinnahmen für die Zinszahlungen benö-
tigen.

Wer die Staatsquote senken will, Herr Merz, muss be-
greifen, dass diese Politik der Haushaltskonsolidierung
ein ganz wichtiger und richtiger Schritt ist, den wir auch
in Zukunft tun werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie mahnen beim Wirtschaftsminister an, die Steuer-
und Abgabenlast unter 40 Prozent zu senken. Das steht
als mittelfristiges Ziel in seinem Wirtschaftsbericht. Die
Steuerquote ist niedriger, als sie in diesem Lande jemals
war. An der Abgabenquote werden wir zu arbeiten haben.


(Widerspruch des Abg. Friedrich Merz [CDU/CSU])


– Sie müssen sich Ihre alten Papiere noch einmal an-
schauen, Herr Merz. Es kann ja sein, dass Sie in Ihrer
Fraktion für alles, was Sie sagen, leichtfertig Beifall be-
kommen. Aber wenn man sich die Zahlen, die Realitäten
anschaut, kann man nur feststellen: Sie haben ein Wol-
kenkuckucksheim aufgebaut und behaupten, das sei eine
Analyse. Aber das ist keine Analyse, sondern Ideologie.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Das ist ja unglaublich, was Sie da erzählen!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502600800

Herr Kollege Müntefering, gestatten Sie eine Zwi-

schenfrage?


Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1502600900

Gleich. Ich möchte noch einen Punkt dazu sagen.
Ich wundere mich über die Ignoranz gegenüber den

weltwirtschaftlichen Risiken, mit denen wir es zu tun
haben. Wir werden im Lande selbst das tun müssen, was
möglich ist, um Wachstum und Arbeit zu schaffen sowie
Wohlstand zu garantieren; das tun wir auch. Aber nicht
zur Kenntnis zu nehmen, dass weltwirtschaftlich etwas in
Bewegung war und ist und dass ein Konflikt im Nahen
Osten auch für den Wohlstand bei uns im Land eine hohe
Belastung wäre, ist blanke Ignoranz. Das ist zwar nicht
das Thema heute Morgen; aber die Art und Weise, wie Sie,
Herr Merz, und Herr Brüderle darauf reagiert haben,
zeigt, dass Sie nicht begriffen haben, welche ökonomi-
schen Risiken mit Blick auf den Irak und den Nahen Osten
es gibt. Darüber darf man sehr wohl sprechen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502601000

Jetzt Kollege Singhammer.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1502601100

Herr Müntefering, bei dieser Debatte geht es entschei-

dend auch um das Vertrauen. Dies spielt in der Wirt-
schaftspolitik eine große Rolle. Nehmen Sie eigentlich die

Franz Müntefering




Johannes Singhammer
Feststellung Ihres früheren Parteivorsitzenden Herrn La-
fontaine ernst, der vor kurzem in der „Bild“-Zeitung for-
muliert hat: „Wer das Kainsmal der Unzuverlässigkeit
und Unglaubwürdigkeit auf der Stirn trägt, wird abge-
wählt“?


Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1502601200

Da haben Sie sich den falschen Zeugen gewählt. Ich

kommentiere Oskar Lafontaine weder öffentlich noch in-
tern.


(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Wird der ausgeschlossen wie Möllemann? – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Es haben nicht alle geklatscht! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


Herr Merz, Sie haben konkret zwei Punkte angespro-
chen: den Kündigungsschutz und den Flächentarif.
Während Sie den Kündigungsschutz offensichtlich zer-
schlagen wollen, haben wir – Minister Clement ganz vor-
nean – Entscheidendes getan: Wir haben die Bedingungen
für befristete Arbeitsverhältnisse neu formuliert und deut-
lich erweitert, insbesondere für die 50-Jährigen und Älte-
ren. Wir haben im Hartz-Konzept die Basis dafür ge-
schaffen, dass die Leiharbeit sehr viel stärker genutzt
werden kann, als das bisher der Fall war. Wir haben mit
den Ich-AGs die Möglichkeit eröffnet, auch in Zukunft
eine Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Sub-
unternehmen zu organisieren.


(Beifall des Abg. Klaus Brandner [SPD])

Zum Flächentarif: Er ist in weiten Teilen Deutsch-

lands – das wissen Sie – nicht tatsächlich in Wirkung. In
Ostdeutschland ist der Flächentarif in den allermeisten
Firmen faktisch nicht gültig.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Richtig!)

Weil das so ist, sage ich Ihnen: Sie reiten an dieser Stelle
auf Punkten herum, die für die Entwicklung bei uns im
Land nicht gut sind. Denn das, was Sie in Ihrer Formulie-
rung zum Kündigungsschutz und zum Flächentarif sagen,
hat ein Ziel: Sie wollen die Handlungsstärke und die
Handlungskraft der Gewerkschaften fundamental treffen.
Das ist Ihr Ziel; darauf richten Sie Ihre Politik.


(Ulrich Heinrich [FDP]: Wehren Sie doch nicht schon wieder ab!)


Sie wollen auf dem Arbeitsmarkt die totale Individuali-
sierung haben.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist politische Kampfrhetorik!)


Dazu sage ich Ihnen: Darüber kann man streiten. Das
sind aber zwei unterschiedliche Richtungen der Politik
und der gesellschaftlichen Organisation. Dass wir in
Deutschland so starke Arbeitgeberverbände und so
starke Gewerkschaften haben, war eine der Grundlagen
dafür, dass wir in Deutschland Wohlstand erreicht haben
und ihn auch behalten werden. Man kann sich das alles
anders wünschen.


(Ulrich Heinrich [FDP]: Wir haben doch jetzt die Probleme zu lösen!)


Ich sage Ihnen: Eine Wirtschaft bzw. ein Arbeitsmarkt, die
bzw. der total individualisiert ist und wo die Ideologie der
totalen Privatisierung herrscht, wird anders aussehen als
die derzeitige Gesellschaft der Bundesrepublik Deutsch-
land.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dirk Niebel [FDP]: Das will doch kein Mensch!)


Ich möchte auch in Zukunft in einem Lande leben, in dem
starke Arbeitgeber – auch diese nenne ich ausdrücklich –
und starke Arbeitnehmer ihre Interessen sinnvoll bündeln,
sie organisieren und sie auch erstreiten können. Das ist de-
mokratische Kultur. Die muss es auch in der Wirtschaft
geben. Deshalb lassen wir an der Mitbestimmung und an
all dem, was damit zusammenhängt, nicht rütteln. Das ist
sicher.


(Beifall bei der SPD – Abg. Hartmut Schauerte [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502601300

Kollege Müntefering, gestatten Sie eine Zwischen-

frage?


Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1502601400

Nein.
Wir wissen, dass die Erneuerung der Hauptimpuls in

unserem Lande sein muss. Und so handeln wir. Dafür
steht der Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang
Clement in besonderer Weise. Wenn Sie soeben zugehört
hätten, hätten Sie mitbekommen, was er im Hinblick auf
den Bereich Handwerk plant.

Im Übrigen möchte ich ein Dankeschön in Richtung
Handwerk sagen. Das ist der Bereich unserer Wirtschaft,
der am intensivsten ausbildet. Er erreicht eine 10-Prozent-
Quote. Wenn das alle anderen Bereiche in gleicher Weise
tun würden, sähe die Situation sehr viel besser aus. Meine
Bitte an das Handwerk in Deutschland: Macht das weiter
so mit der Ausbildung! Das ist gut für die jungen Men-
schen und im Übrigen die Voraussetzung dafür, dass das
Handwerk auch in Zukunft meisterlich bleiben kann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Problem, das der Mittelstand hat, ist ein ganz an-
deres. Wenn man mit den Betroffenen spricht, sagen sie:
Unser größtes Problem ist, dass die Banken – auch die
dem Gemeinwohl verpflichteten Banken, die Sparkassen –
vor Ort die Kreditlinien auch der gewinnträchtigen klei-
nen und mittleren Unternehmen rabiat zusammengestri-
chen haben.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Sagen Sie doch einmal etwas zur West-LB!)


Sie haben keine Chance mehr, Investitionen vernünftig
finanziert zu bekommen; manche werden geradezu in die
Illiquidität getrieben. Deshalb sage ich an dieser Stelle: Hier
ist nicht primär unser Handeln gefragt, sondern das liegt in
der Verantwortung derer, die in diesem Lande in Geldinsti-


(A)



(B)



(C)



(D)


2026


(A)



(B)



(C)



(D)






tuten Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung haben.
Sie müssen dafür sorgen, dass die kleinen und mittleren Un-
ternehmen vernünftige Finanzierungskonditionen bekom-
men. Dies ist eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür,
dass die Wirtschaft handlungsfähig ist und vorankommt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Der Mann hat keine Ahnung!)


Unsere Erwartung an die Banken und Sparkassen ist da-
her: Schalten Sie von Kleinmut auf Mut um! Es wäre
schon gut, wenn man nicht immer versuchte, alles der Po-
litik hinzuschieben.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Der Mann hat keine Ahnung!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502601500

Kollege Müntefering, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Hinsken?


Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1502601600

Herrn Hinsken kann ich das nicht verwehren. Übrigens

noch herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1502601700

Herr Müntefering, die Debatte dauert bereits 70 Mi-

nuten. Ist Ihnen bewusst, dass in dieser Zeit – wenn man
den Durchschnittswert zugrunde legt – neun Betriebe in der
Bundesrepublik Deutschland in Konkurs gegangen sind?


(Zurufe von der SPD: Oh!)

Weder Sie noch Minister Clement haben dazu auch nur
ein Wort gesagt. Was wollen Sie tun, damit die Konkurs-
zahlen nicht noch weiter steigen, sondern endlich nach
unten gedrückt werden? Dahinter stehen schließlich
menschliche Schicksale!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1502601800

Herr Hinsken, das ist unsere gemeinsame Sorge. Das,

was Sie sagen, wissen wir und das nehmen wir ernst. Ich
weiß, dass Sie im Bereich des Handwerks in besonderer
Weise engagiert sind. Wir sind ganz nahe beieinander: Es
geht um die Frage, was man an dieser Stelle tun kann.

Ich sage noch einmal: Das, was Wolfgang Clement ge-
tan hat, nämlich durch eine besondere Initiative mit der
Kreditanstalt für Wiederaufbau und der Deutschen Aus-
gleichsbank zumindest partiell Hilfestellung zu geben, ist
sehr viel besser und für die Unternehmen hilfreicher als
die großen Reden, die Ihr Kollege Merz hier führt. Das
sollten Sie zur Kenntnis nehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es gibt in Deutschland Arbeit, auch für das Handwerk
und die kleinen und mittleren Unternehmen. Die Frage ist

nur, wie wir sie mobilisieren. Es gibt Arbeit im produzie-
renden Bereich, es gibt Arbeit im Dienstleistungsbereich,
es gibt Arbeit in der Baubranche. Wir müssen auch den
Kommunen die Chance geben, wieder stärker zu inves-
tieren: in die Infrastruktur, in Gebäude. Die Arbeit liegt in
Deutschland doch wirklich auf der Straße; sie muss nur
mobilisiert werden. Die Kommunen fragen uns händerin-
gend, wie das zu finanzieren ist, und die Handwerker fra-
gen händeringend, wie das in Bewegung zu setzen ist.

Wir haben ein Gesetz zur Steuerehrlichkeit vorgelegt.
Uns geht es unter anderem darum, dass die großen Unter-
nehmen, die in den vergangenen Jahren keine oder fast
keine Körperschaftsteuer mehr gezahlt haben,


(Werner Kuhn [Zingst] [CDU/CSU]: Wer hat das denn zu verantworten?)


so sie denn Gewinne machen, in Zukunft wieder Körper-
schaftsteuer zahlen müssen – wenn auch nur noch 25 Pro-
zent. An dieser Stelle aber – immerhin geht es darum, ob im
Verlauf der Legislatur 8 bis 9 Milliarden Euro zusätzlich in
die Kassen der Kommunen in Deutschland fließen – sagt
die CDU/CSU: Abgelehnt! Die Bürgermeister und die
Oberbürgermeister der CDU und der CSU haben die durch
das Steuervergünstigungsabbaugesetz zu erwartenden
Mehreinnahmen längst in ihre Haushalte eingestellt, weil
sie dieses Geld dringend brauchen. Sie aber verweigern
sich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb noch einmal die Bitte an Sie, Herr Hinsken, und
an alle bei Ihnen, die klaren Verstand haben und nicht so
ideologisch herangehen, wie das Herr Merz tut:


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Sorgen Sie dafür, dass das Steuervergünstigungsabbauge-
setz beschlossen wird! Sie tragen sonst die Verantwortung
dafür, dass die Kommunen auch in Zukunft die Investi-
tionen, die dringend erforderlich wären, nicht finanzieren
können. Es liegt an Ihnen! Sie haben die Chance, dem
Handwerk zu Arbeit zu verhelfen. Von der FDPwill ich in
diesem Zusammenhang gar nicht sprechen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Über illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit reden
Sie nicht – das passt in das Schema von Herrn Merz nicht
hinein –, obwohl dies eines der größten Probleme über-
haupt ist und diese „Branche“ so schnell wächst wie keine
andere. Wo aber sind sie denn, diese Leute? Viele der Un-
ternehmen sind in den Arbeitgeberverbänden organisiert.
Deshalb sage ich an dieser Stelle den Herren Rogowski
und Hundt: Wenn ihr über die hohen Lohnnebenkosten
klagt, dann seht doch bitte ein, dass ihr selbst etwas dafür
tun müsst! Auch Mitglieder eurer Organisationen tun ihre
Arbeit am Finanzminister und am Sozialsystem vorbei;
der ehrliche Handwerker, der ehrliche Unternehmer ist der
Dumme, während sich die anderen ins Fäustchen lachen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das habt ihr doch gemacht! Ihr habt doch die Steuersätze gemacht!)


Franz Müntefering




Franz Müntefering

Wir haben in der letzten Legislaturperiode in Bezug auf
das Tariftreuegesetz und das Arbeitnehmer-Entsende-
gesetz sowie die Regelungen zum Lohndumping im Bau-
gewerbe Gesetzesinitiativen ergriffen,


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Und die Ergebnisse? Runter! Alles runter!)


die von Ihnen alle bekämpft worden sind. Deshalb lautet
meine Aufforderung an Sie: Wer über die Senkung der
Lohnnebenkosten spricht –


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Alles runter!)


– Herr Schauerte, lassen Sie das! –, der muss auch im Blick
haben, dass es ganz wichtig ist, die illegale Beschäftigung
und die Schwarzarbeit in Deutschland einzudämmen! Das
wissen Sie doch auch, Sie tun nur nichts dagegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502601900

Kollege Müntefering, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Michelbach?


Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1502602000

Nein, es tut mir Leid, ich habe nur noch eine Minute

Redezeit.
Ich will noch zwei Bereiche ansprechen, die für die

Binnennachfrage in unserem Land ganz wichtig sind.
Wir wissen: Der Export läuft. Wir hoffen, dass das so wei-
tergeht. Deutschland ist als Industrieland exportfähig und
die großen Unternehmen sind gut drauf. Aber wir wissen
auch, dass die Binnennachfrage nicht so groß ist, wie sie
sein sollte. Woran liegt das?


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: An Ihnen!)

– Herr Schauerte sagt natürlich, das liegt daran, dass die
Sozis regieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

– Jetzt klatschen Sie auch noch.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genauso ist es doch!)


– Wer es so billig erklären will, der soll das doch tun.
Wenn Sie es jedoch genau ansehen, werden Sie feststel-
len, dass die Zurückhaltung beim Kaufverhalten während
der 90er-Jahre gewachsen ist. Im Jahre 2001 betrug die
Sparquote 140 Milliarden DM.

In welchen Bereichen können wir die Binnennachfrage
anstoßen? Wir können zu Investitionen in den Kommunen
beitragen, aber auch im Bau- und Gesundheitsbereich. In
der Gesundheitspolitikmüssen wir in diesem Jahr große
Reformen anpacken und zu Entscheidungen kommen.
Das Gesundheitswesen ist eine der größten Branchen in
unserem Land; dort sind viele Menschen beschäftigt und
werden in Zukunft noch mehr Menschen beschäftigt sein.
Dies ist nicht die Stunde, über Gesundheitsreformen zu
sprechen, aber für die Debatte, die wir darüber führen
werden, kündige ich schon jetzt an, dass wir gemeinsam
darauf achten müssen – das werden wir auch tun –, die

Existenzfähigkeit dieser Branche – ich sage das mit Blick
auf die Arbeitsplätze – zu erhalten; denn das Gesund-
heitswesen ist ein ganz wichtiger Aspekt für die Entwick-
lung der Binnennachfrage.

Abschließend möchte ich nur noch stichwortartig den
Bereich der Energiepolitik nennen. Hier geht es darum
zu prüfen, ob mit der energetischen Gebäudesanierung
– 160Millionen Euro sind dafür in den Haushalt 2003 ein-
gestellt – zwei Dingen gleichzeitig Genüge getan werden
kann:


(Beifall der Abg. Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


dem der Schutz unserer Umwelt und der Schaffung von
Arbeitsplätzen. Sie von der Opposition haben sich in der
Energiepolitik in der vergangenen Legislaturperiode ver-
weigert. Wir haben 15 Gesetzentwürfe in den Bundestag
eingebracht, Sie haben 13 Mal dagegen gestimmt.

Wir haben die Verwendung der erneuerbaren Energien
aus ökologischen Gründen gestärkt, wir haben das aber
auch getan, um Arbeitsplätze zu schaffen. Die Energiepo-
litik muss auch bei der Verbesserung des Gebäudebestan-
des in der Bundesrepublik Deutschland eine Rolle spie-
len. Hier liegt eine große Chance für die kleinen und
mittleren Unternehmen; hier können wir etwas am Ar-
beitsmarkt bewegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich verstehe natürlich, dass Sie jetzt ungläubig schauen
und nicht klatschen; denn Sie wissen, dass ich Recht habe.
Mein Angebot und meine Bitte lauten: Wir müssen in den
nächsten Wochen und Monaten im Bundestag darüber
sprechen, wie wir den Arbeitnehmern und Unternehmen
konkret helfen können; denn wir brauchen mehr Arbeits-
plätze in diesem Land. Wir müssen aber endlich aufhören,
in Schlagworten die großen makroökonomischen Dinge
anzusprechen, wie es Herr Merz tut; sie sind nämlich bei
ihm nichts anderes als Luftschlösser.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502602100

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem

Kollegen Hans Michelbach.


Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1502602200

Herr Müntefering, Sie haben die Chuzpe gehabt, die

deutsche Wirtschaft mit einer Globalschelte zu belegen.
Ich muss diese Schelte, die Sie gegenüber den Verbands-
vertretern und der gesamten deutschen Wirtschaft betrie-
ben haben, strikt zurückweisen. Allein die deutsche Wirt-
schaft zahlt 600 Milliarden Euro im Jahr an
Sozialabgaben. Es gibt also keinen Grund, die deutsche
Wirtschaft in dieser Form in die Ecke zu stellen. Herr
Müntefering, das muss ich Ihnen ganz deutlich sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



(A)



(B)



(C)



(D)


2028


(A)



(B)



(C)



(D)






Sie haben gerade versäumt, Rezepte zur Bekämpfung
der Schattenwirtschaft vorzulegen. Im Bereich der Schat-
tenwirtschaft sind im letzten Jahr 370 Milliarden Euro er-
wirtschaftet worden. Das war der einzige Bereich, in dem
es einen Zuwachs gegeben hat. Inzwischen beträgt sein An-
teil 17,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Das ist Re-
kordniveau! Dagegen haben Sie kein Rezept. Sie haben
pauschal die deutsche Wirtschaft angegriffen, statt die
Schattenwirtschaft gezielt zu bekämpfen.

Noch ein Wort zur Schuldenentwicklung: Sie haben
gesagt, die Entwicklung der Staatsquote hänge mit der
Schuldenentwicklung zusammen. Das ist zwar richtig, aber
Sie dürfen nicht nur in eine Richtung schauen, sondern
müssen sich selbst die Frage stellen: Was haben Sie zur
Konsolidierung und zur Rückführung der Verschuldung
gemacht? In den Jahren Ihrer Regierungsverantwortung ist
die Neuverschuldung um über 100 Milliarden Euro gestie-
gen. Das haben Sie zu verantworten. Lassen Sie die Finger
vom Stabilitäts- und Wirtschaftspakt und nehmen Sie diese
Situation wahr! Dazu fordere ich Sie herzlich auf.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502602300

Kollege Müntefering, Sie haben das Wort zur Erwide-

rung.


Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1502602400

Sehr geehrter Kollege, wenn ich hier Herrn Merz in

Person kritisiere, meine ich nicht die ganze Fraktion der
CDU/CSU. Wenn ich Herrn Rogowski kritisiere, meine
ich nicht die ganze Wirtschaft in Deutschland.


(Zuruf von der CDU/CSU: Jemand wie Sie kann uns doch überhaupt nicht beleidigen!)


Dass wir in Deutschland tüchtige Unternehmer haben,
müssen Sie uns nicht sagen. Dass Unternehmen schwarze
Zahlen schreiben müssen, wissen auch wir Sozialdemo-
kraten. In diesem Zusammenhang ist Schwarz ausnahms-
weise einmal eine schöne Farbe. Dazu wollen wir auch
gern unseren Teil beitragen.

Unsere Wirtschaft ist global tätig und das ist gut für
uns; denn wir gewinnen durch die Globalisierung, das ist
überhaupt keine Frage. Wir haben der deutschen Wirt-
schaft in den vergangenen Jahren geholfen, wettbewerbs-
fähig zu werden.


(Lachen bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist ja eine Lachnummer!)


– Es kann sein, dass Herr Merz Ihnen immer etwas ande-
res erzählt, aber hören Sie einfach mal zu.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben in den vergangen Jahren dafür gesorgt, dass
ein Großteil dieser Unternehmen keine oder fast keine
Steuern mehr zahlen musste. Sprechen Sie einmal mit
Herrn Hinsken, er wird Ihnen das bestätigen!


(Zurufe von der CDU/CSU)

Die Handwerksbetriebe sowie die kleinen und mittleren
Unternehmen beklagen doch, dass wir die großen Unter-

nehmen in solcher Weise hofieren und die kleinen Unter-
nehmen im Grunde angeblich verkümmern lassen.

Herr Kollege, wir haben kein Problem damit, eine ver-
nünftige Industriepolitik zu machen. Wir bleiben Indus-
trieland. Die großen Industriebetriebe bleiben die Lokomo-
tive für unsere Wirtschaft. Hier machen wir keine Abstriche.
An dieser Stelle muss man aber auch klipp und klar sagen:
Vorwürfe aus dieser Richtung an uns und den Versuch, die
Handlungsmöglichkeiten der Gewerkschaften zu zerschla-
gen, halte ich für nicht vernünftig. Wir wenden uns dagegen;
denn dies kann keine vernünftige Entwicklung sein.


(Beifall des Abg. Klaus Brandner [SPD])

Nun zu Ihrer Anmerkung zur Staatsquote: Sie können

es wenden, wie Sie wollen, aber die Zinsen in Höhe von
circa 40 Milliarden Euro, die wir pro Jahr auf Bundes-
ebene zahlen müssen, stellen eine Belastung für den Staat
dar. Jedes Prozent Staatsquote macht ungefähr 20 Milliar-
den Euro aus. Unsere Zinsschuld macht also allein 2 Pro-
zent der Staatsquote aus. Ich habe nicht behauptet – keiner
von uns sagt das –, dass wir die Schulden gesenkt haben.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Herr Eichel behauptet das immer! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


– Das ist doch billig, hört doch auf! Ihr wisst doch ganz
genau, dass es anders ist.

Es geht nicht darum, ob die Schulden gesenkt worden
sind. Es geht darum, dass die Nettokreditaufnahme redu-
ziert worden ist. Das ist geschehen und darauf sind wir
stolz. Das war schon schwer genug.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Leistung, die Hans Eichel in den letzten vier Jahren
erbracht hat


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sind mehr Schulden!)


– die Schulden sind immer in Relation zu den Einnahmen
zu sehen, Herr Kauder –,


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Ach!)

ist die: 1998 wurden von jeder Mark, die an Steuern ein-
genommen wurde, 22 Prozent für Zinszahlungen aufge-
wandt. Heute beträgt diese Quote 19 Prozent. 19 Prozent
sind deutlich weniger als 22 Prozent. Wir haben die Hand-
lungsfähigkeit des Staates verbessert. Darauf sind wir
stolz und diesen Weg gehen wir weiter.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Deswegen bekommen wir jetzt den blauen Brief! 3,5 Prozent Defizitquote! Das ist Ihre Kunst!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502602500

Ich erteile das Wort dem Kollegen Heinz Riesenhuber,

CDU/CSU-Fraktion.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt kommt endlich etwas Gescheites!)


Hans Michelbach






Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1502602600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Die Argumentation von Herrn Müntefering ist in ei-
ner raffinierten Weise darauf angelegt, die Menschen zu
verwirren. Erst hat er hier dargestellt, die jetzige Form der
Körperschaftsteuer sei verhängnisvoll, man müsse sie
erhöhen und die Union müsse das mittragen.


(Joachim Poß [SPD]: Das hat Herr Stoiber im Wahlkampf jeden Tag gesagt!)


In Ihrer Antwort auf die Kurzintervention des Kollegen
Michelbach haben Sie dagegen mit großer Begeisterung
dargestellt, dass Sie mit dieser Körperschaftsteuer eine
Leistung vollbracht und zur Entlastung der Industrie bei-
getragen haben.

Der Hintergrund ist aber doch der: Herr Eichel hatte
den Auftrag, den Körperschaftsteuersatz zu halbieren.
Ihm ist damit gelungen, von Einnahmen aus der Körper-
schaftsteuer in Höhe von 23Milliarden Euro zu Ausgaben
von knapp 2 Milliarden Euro pro Jahr zu kommen. Dieser
Einbruch ist auf den Fehler von Herrn Eichel bei seiner
Arbeit zurückzuführen. Er hat seine Probleme nicht lösen
können. Wenn Sie das, was Herr Eichel in den Sand ge-
setzt hat und wodurch er uns in eine steuerliche Falle hat
tappen lassen – dies bringt uns in eine überaus kritische
Situation –, als Triumph der Weisheit und der überlegenen
Strategie der SPD darstellen wollen, dann ist das wirklich
ein Hochmaß an Raffinement, an intellektueller Akroba-
tik, das man schon fast bewundern muss.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Zum Thema Schwarzarbeit hat Ihnen der Kollege
Michelbach in schlichten Worten einige relevante Punkte
mitgeteilt. Die Frage ist doch: Warum steigt die Schwarz-
arbeit, wenn Sie regieren? Wenn Sie anfangen, die Mini-
jobs sozusagen zu kriminalisieren,


(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)


dann bekommen Sie natürlich Probleme. Und von der
Union haben Sie verlangt, dies wieder ins Lot zu bringen.
Wir haben die Minijobs in eine vernünftige Form ge-
bracht. Die konstruktive Arbeit der Union im Bundesrat
war hilfreich für die Zukunft Deutschlands. Wir haben
dieses unsägliche und abstruse Gesetz zur Bekämpfung
der Scheinselbstständigkeit de facto abgeschafft. Sie soll-
ten sich bei uns herzlich bedanken und nicht solch auf-
sässige Bemerkungen machen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Mir ist die Debattenstrategie, die Sie an den Tag gelegt
haben, nicht vollkommen klar.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Herr Clement hat gerade eine faszinierende Rede gehalten.


(Der Redner geht Richtung Regierungsbank und kehrt dann zum Pult zurück – Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Er hat im Grunde im Einzelnen dargestellt, dass, warum
und wie die Reformen durchgeführt werden müssen und
dass die konstruktive Zusammenarbeit mit der Union ge-
fordert sei. Herr Müntefering dagegen hält eine Rede, als
habe er die Absicht, die Opposition zu stürzen. Das ist
keine besonders intelligente Strategie.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Herr Schulz hat auf konstruktive Weise, die wir von unse-
ren Freunden bei den Grünen gewöhnt sind, darauf hinge-
wiesen, dass wir Vorschläge machen sollen. Das heißt also:
Ihr braucht uns! Lieber Herr Müntefering, warum kommen
Sie nicht mit Liebe und Demut auf uns zu und bitten uns
um brüderlichen Rat, der Ihnen helfen soll, eine verfahrene
Situation halbwegs wieder in Ordnung zu bringen?


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr müsst im Bundesrat Farbe bekennen!)


Wir machen – Herr Friedrich Merz hat darauf hinge-
wiesen – konkrete Vorschläge. Wir haben, obwohl dies
alles schwierige Bereiche sind, Vorschläge zu den be-
trieblichen Bündnissen für Arbeit, zur Gesundheitspolitik
und zu der Frage des Kündigungsschutzes vorgelegt.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ihr habt etwas vorgelegt? Das strotzt doch voller Widersprüche!)


Wenn Sie weise wären, sehr geehrter Herr Kollege
Müntefering, dann müssten Sie in den nächsten eineinhalb
Jahren mit Sorgsamkeit vorgehen, als ob Sie einen großen
Schatz beschützen müssten. Denn jetzt sind die Wahlen in
Hessen und Niedersachsen gelaufen. Das Ergebnis ist zum
einen sicher der großartigen Leistung von Christian Wulff
zu verdanken. Der Erfolg ist auch der hervorragenden Re-
gierungsarbeit von Roland Koch mit Ruth Wagner zu ver-
danken. Das Ergebnis war aber auch eine massive Ohr-
feige für die Bundesregierung, weil es die Leute nicht
mehr ausgehalten haben, was hier gelaufen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie haben nun 18Monate Zeit bis zu den nächsten großen
Wahlen, die die Mehrheit im Bundesrat verändern könn-
ten. Diese Zeit müssten Sie, wenn Sie ein Minimum an
Weisheit haben, so nutzen, dass Sie das Land voranbrin-
gen. Und wie sieht es aus? Die Mehrheiten sind klar: Sie
haben im Bundestag – wie auch immer – die Mehrheit.
Wir haben im Bundesrat die Mehrheit; diese ist stark. Sie
brauchen für die relevanten Punkte bei dem, was Sie vor-
haben, auch den Bundesrat.


(Franz Müntefering [SPD]: Können Sie das noch einmal wiederholen?)


Dabei kann die Arbeitsteilung nicht so aussehen, dass wir
sagen, was alles getan werden soll, und Sie uns erläutern,
warum dies alles Käse sei. Herr Müntefering, dies ist
keine geschickte Strategie; das ist einfach schlechtes
Handwerk.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



(A)



(B)



(C)



(D)


2030


(A)



(B)



(C)



(D)






Sie müssten mit handfesten und konkreten Vorschlägen
kommen und müssten sagen, was Sie jetzt wirklich wol-
len.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das ist keine Rede, was Sie hier abgeben!)


– Schauen Sie, eine solch konstruktive, in die Zukunft
weisende Opposition machen wir nicht aus Liebe zu Ih-
nen, sondern aus Liebe zu Deutschland. So etwas kann
sich ja jede Regierung nur wünschen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn ich an 1996, die Petersberger Beschlüsse und die

damalige Steuergesetzgebung, zurückdenke, dann muss
ich sagen: Ihre Strategie bestand in nichts anderem, als
diese ganze Sache blindlings zu blockieren, obwohl sich
das verheerend für die Zukunft Deutschlands ausgewirkt
hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und Sie blockieren das Steuervergünstigungsabbaugesetz! Das ist genau das Gleiche!)


Wir sind jetzt in der Situation, die beschrieben worden
ist und die Friedrich Merz analysiert hat: Es ist im Grunde
alles verkorkst. Unsere Chance besteht eigentlich nur
darin, dass wir im europäischen Vergleich so schlecht
sind. Wenn wir so schlecht sind, dann heißt das doch, dass
wir ein gewisses Potenzial haben. Dann können wir bes-
ser werden; darauf können wir aufbauen. Und dann brin-
gen Sie solche Vorschläge!

Der Sachverständigenrat hat uns handfeste Vor-
schläge gemacht. Sein erster Punkt ist: Steuern senken,
erst Recht in dieser Situation.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die Staatsverschuldung weiter hochtreiben! Oder was wollt ihr?)


Was machen Sie? Die Steuerreform mit der Entlastung für
den Mittelstand stand im Gesetzblatt. Das nehmen Sie
jetzt erst einmal wieder heraus. Ferner sagen Sie, die Ban-
ken seien des Teufels, weil sie für den Mittelstand den Zu-
gang zu den Krediten erschweren. Dazu meine ich: Geben
Sie doch dem Mittelstand die Chance, Geld zu verdienen
und somit Eigenkapital aufzubauen. Dann kann er auch zu
den Banken gehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Banken haben kein eigenes Geld; es ist das Geld der
Bürger. Der typische kleine Sparer, der sein Geld einer
Bank anvertraut, stellt das Geld zur Verfügung, mit dem
der Mittelstand arbeiten soll. Mit diesem Geld muss die
Bank verantwortlich umgehen. Welche Vorstellung von
Wirtschaft haben Sie eigentlich?


(Zurufe von der CDU/CSU: Gar keine!)

Der Kollege Brüderle hat mit der Dynamik, die ihm ei-

gen ist und die wir alle sehr bewundern,

(Beifall des Abg. Franz Müntefering [SPD])


darauf hingewiesen, dass wir nur mithilfe des Mittel-
stands eine Chance haben, das Problem der Arbeitslosig-
keit zu überwinden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Natürlich ist dies die einzige Chance. Und dann frustrie-
ren Sie den Mittelstand mit 48 Steuererhöhungsgesetzen.
Wenn ich mir eine Strategie überlegen sollte, wie man die
Leute verrückt machen und sie so beschäftigen könnte,
dass sie keine Lust mehr zur Arbeit haben, dann würde ich
sagen: Ich mache 48 Gesetze. Deutschland steckt in einer
Krise und Sie reden über die Mehrwertsteuer auf Schnitt-
blumen und Katzenfutter. Das ist doch wirklich ein Witz.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Was ist denn das für ein Weltbild, das dahinter steckt?
Herr Minister Clement hat mit markigen Worten ge-

sagt: Die Zeit der markigen Worte ist vorbei. Jetzt geht es
darum, Taten sehen zu lassen. – Jawohl! Sie haben bis
jetzt in eindrucksvollen und majestätischen Worten die
Vorschläge genannt, die gemacht worden sind. Die Vor-
schläge des Sachverständigenrates gefallen mir besser als
jene, die im Jahreswirtschaftsbericht enthalten sind. Die
Vorschläge des Sachverständigenrates sind konkreter und
handfester; der Sachverständigenrat spricht über die
Staatsquote in einer sehr viel konkreteren Weise als Sie.
Aber wie dem auch sei: Jetzt leisten Sie mal etwas!

In der Tat, Herr Müntefering, Sie haben Recht – ich
freue mich, auch Ihnen einmal zustimmen zu können; hier
sehen wir ja, wie die Liebe unter den Menschen wächst –:


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Im Jahreswirtschaftsbericht findet sich eine Passage, in
der es heißt, das schrittweise zu erreichende, mittelfristige
Ziel bei der Steuer- und Abgabenlast seien 40 Prozent.
Dazu sage ich: Prima! Aber das steht am Schluss eines
kleinen Abschnittes über die Rürup-Kommission, sodass
man sich wundert. Das ist ungefähr so, wie der Pilatus ins
Credo kommt: Zufällig steht es da drin. Dabei ist das doch
der zentrale Punkt, von dem aus Sie ableiten müssten, was
Sie wollen, von dem aus Sie Ihre Strategie entwickeln
müssten, von dem aus man aufbauen müsste, was in
Deutschland sein soll. Unter diesem Titel wären alle ein-
zelnen Maßnahmen zu fassen: Wirtschaftswachstum,
Bürokratieabbau. Den Bürokratieabbau machen, bitte
schön, Sie; Bürokratieabbau ist exekutives Handeln. Da-
bei kann Ihnen die Opposition selbst bei all ihrer brillan-
ten Intelligenz und ihrer überlegenen Konzeptionskraft
nur begrenzt helfen. Wie wir das machen, haben wir in
Hessen gezeigt. Von Hessen lernen heißt, wie Sie einmal
gesagt haben, siegen lernen.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster [SPD]: Einen alten Moskauer Spruch zitieren! Moskau lässt grüßen! – Weitere Zurufe von der SPD)


Wir haben dort 39 Prozent der Verwaltungsvorschriften
und 15 Prozent der Rechtsverordnungen abgebaut. Die
Menschen haben dabei keine Schmerzen erlitten, sondern
sind glücklicher geworden. Das heißt: Tun Sie etwas!
Bringen Sie etwas voran!

Dr. Heinz Riesenhuber




Dr. Heinz Riesenhuber

Herr Clement, wir sehen mit Freuden, dass Sie mit
großer Dynamik und Tatkraft gestartet sind.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502602700

Kollege Riesenhuber, ich muss Sie leider daran erin-

nern, dass Sie Ihre Redezeit deutlich überschritten haben.

(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Nein! – Zugabe!)



Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1502602800

Ich bitte um Nachsicht und komme zum Schluss. –

Herr Bundesminister Clement, ich freue mich über jeden
Wirtschaftsminister, der als Tiger startet. Wir hoffen sehr,
dass Sie nicht als Bettvorleger landen. Es ist nicht nur eine
Frage des persönlichen Geschicks des hochverehrten
Herrn Bundesministers, sondern auch eine Frage, ob die
begrenzte Zeit genutzt wird, Deutschland voranzubrin-
gen, ob Sie mit den markigen Reden aufhören und zu den
Taten, die Sie so mannhaft in Ihren markigen Reden ver-
langt haben, schreiten. Hier bauen wir auf Ihre konstruk-
tive Tatkraft. Sie können sich darauf verlassen, dass die
Opposition Sie konzeptionell so begleiten und immer
wieder herausfordern wird, dass all Ihre intellektuellen
Fähigkeiten in hinreichendem Maße entwickelt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU, und der FDP – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502602900

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir wer-

den vor Herrn Riesenhubers Auftritten zukünftig links
und rechts noch zwei Standmikrofone installieren müs-
sen.

Nun erteile ich Kollegin Gesine Lötzsch das Wort.


Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1502603000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-

lege Riesenhuber, auch ich muss sagen, dass ich vor allen
Dingen von den sportlichen Leistungen, die Sie hier voll-
bracht haben, begeistert bin. Das ist eine tolle Sache.

Ich denke, der vorliegende Jahreswirtschaftsbericht
ist ein Dokument, das bisher für einen Jahreswirtschafts-
bericht einmalig ist; denn es ist von sehr viel Pessimismus
geprägt. Die Arbeitslosenzahlen bleiben hoch und die
Prognosen für das Wirtschaftswachstum sind minimal; sie
liegen inzwischen bei unter 1 Prozent. Das ist tatsächlich
eine denkbar schlechte Ausgangslage für eine wirtschaft-
liche Stabilisierung.

Die Bundesregierung macht die schlechte Weltwirt-
schaftslage etwas zu einseitig für diese Situation verant-
wortlich. Ich glaube, es ist ein Fehler, darauf zu vertrauen,
dass die Wirtschaft nur über ständig steigende Export-
überschüsse wieder angekurbelt werden könnte. Anknüp-
fend an die gestrige Debatte möchte ich den Einfluss der
internationalen Lage selbstverständlich nicht vernachläs-
sigen. Wir als PDS lehnen einen Krieg gegen den Irak ab,
weil wir Krieg für kein Mittel der Politik halten.


(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])


Aber auch für die Wirtschaft in Europa hätte ein Krieg ge-
gen den Irak verheerende Folgen.

Meine Damen und Herren, zur Bekämpfung der Ar-
beitslosigkeit und zur Ankurbelung der Wirtschaft setzt
die Bundesregierung auf alte Rezepte, deren Unwirksam-
keit längst nachgewiesen ist. Dabei muss man nur nach
Ostdeutschland schauen. Weder die weitere Flexibilisie-
rung des Arbeitsmarktes noch Billiglohnstrategien wer-
den zu Erfolgen führen. Würden niedrigere Löhne wirk-
lich Arbeitsplätze in Deutschland schaffen, müssten wir
im Osten die niedrigsten Arbeitslosenzahlen in der Bun-
desrepublik haben. Flexible Arbeitszeiten, untertarifliche
Bezahlung und unregelmäßige Lohnzahlungen sind dort
keine Seltenheit. Ich frage mich häufig, wie die Menschen
ihre Existenz mit derart niedrigen Löhnen überhaupt si-
chern können.

Trotz Investitionen in die Infrastruktur verpuffte der
Gründungsboom in Ostdeutschland Anfang der 90er-Jah-
re. Das Gegenteil ist eingetreten: Durch die sinkende
Kaufkraft wird auch noch die Binnennachfrage lahm ge-
legt. Solange das Wirtschaftswachstum unter 2 Prozent
liegt, werden auch keine neuen Arbeitsplätze entstehen.
Anstatt aber die Beschäftigung über wirksame Arbeits-
marktprogramme zu fördern, zielt die Politik der Bundes-
regierung im Augenblick weiter darauf ab, die Arbeitslo-
sen loszuwerden. Ich halte das weder wirtschaftlich noch
sozial für vernünftig.

Die Bundesanstalt für Arbeit – so sagte der Minister
gestern im Ausschuss – soll sich von einer Anstalt zu ei-
ner Agentur wandeln. Das hört sich als Schlagwort erst
einmal sehr gut an. Aber der Paradigmenwechsel, für den
Florian Gerster stehen will, hat sich auf die Lage der Ar-
beitslosen bisher noch nicht positiv ausgewirkt. Bemer-
kenswert finde ich, dass Gerster gegenüber den Landes-
arbeitsministern erklärt hat, für ihn stünden die Interessen
der Beitragszahler im Vordergrund. Das ist aus meiner
Sicht zwar richtig, aber nur so lange, wie die Bedürfnisse
der Arbeitslosen dabei nicht aus dem Blick geraten.

Die Koalition hat sich nun vorgenommen, die Zuschüsse
für die Bundesanstalt für Arbeit auf null zu reduzieren. Be-
kanntlich haben die ostdeutschen SPD-Abgeordneten da-
gegen protestiert und die Einstellung von über 800 Milli-
onen Euro in den Haushalt gefordert. Damit konnten sie
sich in ihrer Fraktion nicht durchsetzen. Ich würde Ihnen
aber empfehlen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von
der SPD, die konkreten Erfahrungen Ihrer Abgeordneten
aus dem Osten ernster zu nehmen. Die Ostdeutschen sind
zwar in diesem Land die Minderheit. Ihren Wahlsieg vom
September 2002 hat die SPD aber den Ostdeutschen zu ver-
danken. Dass die Wählerinnen und Wähler mit ihrer
Stimmabgabe konkrete Erwartungen verbinden, ist kein
Geheimnis. Das sollten Sie nicht vergessen.

Die Mittelstandsförderung, die sich die Bundesregie-
rung auf die Fahnen geschrieben hat, nimmt im Wirt-
schaftsbericht nur einen kleinen Raum ein. Qualität muss
nicht mit Quantität gleichgesetzt werden, aber bemer-
kenswert ist diese Zurückhaltung schon. Ich denke, eine
neue Mittelstandspolitik ist dringend erforderlich. Die
Bedeutung kleiner und mittelständischer Unternehmen
wird nicht nur gesamtwirtschaftlich, sondern auch gesell-


(A)



(B)



(C)



(D)


2032


(A)



(B)



(C)



(D)






schaftlich unterschätzt. Der Mittelstand schafft zwar die
meisten Arbeitsplätze, erhält aber die wenigsten Subven-
tionen. Das ist nicht nur ungerecht, sondern auch ökono-
misch bedenklich.

Werden Großprojekte wie Cargolifter oder Lausitzring
– salopp gesprochen – in den Sand gesetzt, ist das ganze
Geld verloren und die Folgekosten sind groß. Werden
aber vergleichsweise geringe Subventionen an mehrere
kleine und mittlere Unternehmen vergeben, so ist die Er-
folgswahrscheinlichkeit rein statistisch höher. Das bedeu-
tet allerdings mehr Arbeit für diejenigen, die die Gelder
verwalten. Auch bringt es nicht so schicke Politikerfotos
von geretteten Großbetrieben. Dass diese Rettungsaktio-
nen – siehe Holzmann – oft nicht von Dauer sind, sei hier
nur am Rande erwähnt.


(Beifall des Abg. Dirk Niebel [FDP])

Ich denke, dass wir in der Mittelstandspolitik – Herr

Präsident, ich bin gleich fertig – den Bedürfnissen ost-
deutscher Betriebe gerecht werden müssen. Diese Be-
triebe sind oft sehr klein. Ihr Problem ist das fehlende Ei-
genkapital. Im Osten gibt es nun einmal nicht die viel
beschworene Erbengeneration. Dort sind keine Erbtanten
oder reichen Eltern, die ihrer Verwandtschaft mit um-
fangreichen Immobilien Sicherheit bieten können. Von
den Banken werden die zahlreichen jungen Unternehmer
in den neuen Ländern oft wie die letzten Löffel behandelt.

Jede Wirtschafts- und Arbeitsmarktförderung wird nur
dann funktionieren, wenn es keinen Krieg geben wird.
Alle Bemühungen der Bundesregierung, den drohenden
Krieg gegen den Irak zu verhindern, finden unsere volle
Unterstützung. In dieser wichtigen Frage hat die Bundes-
republik die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich. Gut
wäre, wenn die Regierung endlich zu einer Wirtschafts-
und Arbeitsmarktpolitik finden könnte, die ebenfalls die
Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hat.

Danke schön.

(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502603100

Ich erteile Kollegen Joachim Poß, SPD-Fraktion, das

Wort.

(Dirk Niebel [FDP]: Könnten wir nicht lieber Riesenhuber noch einmal hören?)



Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1502603200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr

Riesenhuber hat hier – das hat sicherlich einigen gefallen –
im Stile eines überdynamisierten Managementgurus agiert.


(Dirk Niebel [FDP]: Er war einfach gut!)

– Ich meine das wirklich lieb. – Wenn man seine Aussa-
gen auf den Kern zurückführt, hat er Steuersenkungen
gefordert. Das war seine Aussage in dieser Sache. Steuer-
senkungen sind also der einzige Vorschlag der Union in
dieser Debatte.


(Ulrich Heinrich [FDP]: Sie sind ihm intellektuell nicht gewachsen!)


Herr Merz hat zwei Anmerkungen zum Arbeitsrecht
gemacht. Das ist alles, was die Opposition – die FDP fällt
geistig sowieso aus –


(Beifall bei der SPD)

in einer Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht zu-
stande bringt! Der Bundeswirtschaftsminister konnte in
seiner Rede aus zeitlichen Gründen nicht auf alles einge-
hen. Den Menschen in der Bundesrepublik Deutschland
muss klar sein, auf welch geistigem Niveau Sie sich in-
zwischen befinden. Darum geht es im Kern.


(Beifall bei der SPD)

Im Parlament muss deutlich gemacht werden, wer kon-
krete, vernünftige und realistische Lösungskonzepte für
die anstehenden Probleme anbietet und wer nicht. Es geht
nicht um das Schwarze-Peter-Spiel.

Herr Merz, die Art und Weise, wie Sie die Gewerk-
schaften bzw. die Kolleginnen und Kollegen, die sich für
andere Arbeitnehmer und deren Interessen einsetzen, dis-
kreditieren und teilweise verleumden, ist für unseren So-
zialstaat erbärmlich. Dass muss man ganz deutlich sagen.


(Beifall bei der SPD)

Herr Göhner, der gerade den Saal verlassen hat, ist doch
einer Ihrer engsten Berater. Er ist Hauptgeschäftsführer
der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberver-
bände. Herr Michelbach, der dort sitzt, ist Vizepräsident
dieses Verbands. Das sind die Funktionäre, die in diesem
Lande Fortschritte verhindern. Sie sitzen in Ihren Reihen.


(Beifall bei der SPD)

So kann die Diskussion nicht geführt werden. Wir soll-

ten sie auch nicht auf einem solchen Niveau führen, indem
nur mit dem Finger auf andere gezeigt und gefragt wird,
welche Funktionäre die anderen in ihren Reihen haben.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Hören Sie doch auf damit! Sie machen das doch!)


– Ich wollte damit nur deutlich machen, dass die Diskus-
sion, die Sie losgetreten haben, Herr Merz, und in der die
Arbeitnehmerinteressen verleumdet werden, Ihnen nicht
aus Ihrer Verlegenheit heraushilft. Diese Verlegenheit,
Herr Merz, haben Sie kürzlich in einem Interview in der
„Welt am Sonntag“ deutlich gemacht.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Lesen Sie es mal vor!)


Darin haben Sie nämlich Ihr zentrales Wahlkampfver-
sprechen der Steuersenkungen – Herr Riesenhuber hat das
nicht richtig mitbekommen; das verstehe ich nach seinem
Auftritt auch –


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Welches Niveau!)


wieder kassiert, Herr Merz, weil Sie die Fakten ein wenig
kennen.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das habe ich nicht bestritten, dass ich die kenne!)


Sie haben keine Steuersenkungen mehr versprochen, sehr
wahrscheinlich aus guten Gründen. Denn Sie wissen um

Dr. Gesine Lötzsch




Joachim Poß
die Widersprüche. Der saarländische Ministerpräsident
Müller hat sogar festgestellt, dass Steuererhöhungen not-
wendig sind, vielleicht noch nicht 2003, aber dann 2004.
Herr Böhmer hat sich in ähnlicher Weise eingelassen. Das
ist die Situation. Sie werden von den Realitäten dieses
Landes eingeholt, meine Damen und Herren von der Op-
position. Darüber werden wir in den nächsten Tagen und
Wochen ringen. Darum geht es nämlich.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502603300

Kollege Poß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Fischer?


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1502603400

Gerne.

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Vielleicht kommt er dann wieder auf ein höheres Niveau! Das ist ja fürchterlich!)



Hartwig Fischer (CDU):
Rede ID: ID1502603500

Herr Poß, können Sie sich vorstellen, dass sich jemand,

der elfeinhalb Jahre Betriebsratsvorsitzender war und seit
über 30 Jahren in der Gewerkschaft ist, von manchen
Funktionären dieser Gewerkschaft nicht mehr vertreten
fühlt so wie ich?


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1502603600

Entschuldigen Sie, aber bei aller Sachlichkeit: Das ist

Ihr Problem.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)


Es ist Ihr Problem, wie Sie das wahrnehmen, weil Sie als
Betriebsratsvorsitzender möglicherweise eine Politik un-
terstützen, die in einem diametralen Gegensatz zu den Ar-
beitnehmerinteressen steht. Da müssen Sie sich Ihre ei-
gene Befindlichkeit klar machen.


(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Herr Merz hat in der „Welt am Sonntag“ festgestellt:
Die Finanzpolitik kann derzeit angesichts der de-
saströsen Lage der öffentlichen Haushalte keinen
konstruktiven Beitrag zur Lösung der Wirtschafts-
krise mehr leisten.

Ich finde es beachtlich, wenn Herr Merz nur wenige Tage
nach den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen
zugibt, dass die riesigen Steuersenkungsforderungen der
Union, die noch in dieser Woche von Herrn Glos und Frau
Merkel wiederholt wurden, kassiert werden.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist schon vorher gesagt worden! Politclown!)


Damit wurde den Menschen Sand in die Augen gestreut.
Das war nichts anderes als Augenwischerei und
Schwindel. So viel zum Thema Glaubwürdigkeit und
Lügen.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502603700

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen

Laumann?


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1502603800

Natürlich. Das ist ja für die Redezeit günstig.


Karl-Josef Laumann (CDU):
Rede ID: ID1502603900

Herr Kollege Poß, Sie haben meinen stellvertretenden

Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz wegen einiger Äu-
ßerungen über die Gewerkschaften angegriffen. Ich will
noch einmal klarstellen: Der Kollege Merz hat nichts an-
deres gesagt,


(Zurufe von der SPD: Frage!)

als dass die Entscheidungen in diesem Land im Parlament
und nicht in den Vorständen welchen Verbands auch im-
mer fallen müssen. Bestätigen Sie das?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich möchte Ihnen noch eine zweite Frage stellen. Sie
kommen ja aus dem Ruhrgebiet, in dem es eine starke ge-
werkschaftliche Tradition gibt.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Tolle Erfolge übrigens!)


Würden Sie mir nicht Recht geben, dass es leider in den
vergangenen Jahren bei vielen DGB-Gewerkschaften die
Entwicklung gegeben hat, dass das Prinzip der Einheits-
gewerkschaften nicht mehr gelebt wurde


(Zustimmung des Abg. Hartmut Schauerte [CDU/CSU])


und dass gerade im Ruhrgebiet auf Gewerkschafts- und
SPD-Versammlungen kaum noch ein Unterschied in der
Rhetorik erkennbar war?


(Widerspruch bei der SPD)

Könnten Sie sich vorstellen, dass sich die 50 Prozent Ar-
beitnehmer, die bei den letzten beiden Landtagswahlen
die CDU gewählt haben, durch diese Rhetorik nicht mehr
angesprochen fühlen?


(Beifall bei der CDU/CSU)



Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1502604000

Herr Laumann, ich glaube, dass Sie wirklich ein auf-

rechter Mensch sind. Das will ich ausdrücklich konstatie-
ren. Aber Sie haben ein Problem. Sie als Arbeitnehmer-
vertreter müssen im Zweifel immer die Interessen des
Wirtschaftsflügels Ihrer Fraktion im Deutschen Bundes-
tag vertreten. Das ist Ihr Problem, obwohl Sie versuchen,
diesen Interessenkonflikt abzumildern. Ich schätze Sie
persönlich. Dennoch muss ich Ihnen sagen, dass Sie im
Zweifel auf eine Politik setzen, die sich gegen die Arbeit-
nehmerschaft richtet.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ CSU: Unsinn! – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Sie sind immer noch der kleine Falke!)



(A)



(B)



(C)



(D)


2034


(A)



(B)



(C)



(D)






Die Konzepte, bei denen Sie konkret werden, wie zum
Beispiel bei den Konzepten zur Gesundheitsreform, rich-
ten sich gegen die Arbeitnehmerschaft. Das ist Ihr per-
sönliches Problem, Herr Laumann. Davon kann ich Sie
– mit welcher Antwort auch immer – nicht befreien.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Er kann es nicht besser! – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Sie sind immer noch der kleine Falke! Nichts gelernt!)


Ich stelle fest: Wir bleiben berechenbar für Arbeitneh-
mer, für die mittelständischen Unternehmen und für Fa-
milien mit Kindern. Wir senken in den Jahren 2004 und
2005 weiter die Steuern.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie erhöhen sie!)


Wir sind also berechenbar. Wir hatten im letzten Jahr die
niedrigste Steuerquote innerhalb der OECD. Die Minis-
terpräsidenten der Union bekommen einer nach dem an-
deren kalte Füße, weil sie wissen, dass die Finanzpro-
bleme in erster Linie auf eine unzureichende Steuerbasis
zurückzuführen sind. Darüber werden wir uns in den
nächsten Wochen auseinander setzen müssen.

Monatelang haben Sie, wie gesagt, die Senkung des Ein-
kommensteuerspitzensatzes auf unter 40 Prozent und an-
deres mehr gefordert. Wo aber bleiben Ihre konkreten Vor-
schläge? Sie haben doch immer den Eindruck erweckt, Sie
hätten Konzepte. Jetzt sagt Frau Merkel, dass Sie noch et-
was Zeit brauchen, um Konzepte vorzulegen. Wo ist denn
das Sparpaket von Herrn Stoiber? Die „Rheinische Post“,
die sich nicht beleidigt fühlt, wenn man feststellt, dass sie
unionsnah ist, schrieb, dieses Sparpaket sei ein Phantom.
Mit diesem Phantom können wir nicht länger Politik ma-
chen. Die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland
verlangen konkrete Antworten. Wir geben sie ihnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben Ihre eigene Klientel über die tatsächlichen
Verhältnisse getäuscht. Es wird für viele Menschen ein
schmerzhafter Prozess werden. Aber auch für Sie wird es
schmerzhaft werden, wenn Sie jetzt in die Realität eintau-
chen müssen.

Wir warten auf Ihre Vorschläge. Herr Stoiber hat doch
jeden Tag mit vibrierender Stimme gesagt, dass die
Großunternehmen, die von den Sozis so begünstigt wür-
den, keine Steuern mehr zahlen würden und dass dies eine
soziale Schieflage sei. Diese Meinung hat er schon im
Fernsehduell mit dem Bundeskanzler vertreten. Wo ist
denn Ihr Vorschlag zur Reform der Körperschaftsteuer?
Sie sind doch gar nicht in der Lage, einen solchen Vor-
schlag zu machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Meister sagt, dass Sie in diesem Punkt nichts verän-
dern wollen. Andere wiederum äußern sich anders. Die
Wahrheit ist, dass Sie für die Auseinandersetzung mit der
Realität in diesem Lande nicht aufgestellt sind.


(Beifall bei der SPD – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Warum sind Sie so giftig?)


Sie betreiben nur Augenwischerei. Immer wenn es
konkret wird, tauchen Sie weg. Es ist eine Schande, dass
eine Volkspartei, die so viel Zustimmung in den Umfra-
gen findet, nicht in der Lage ist, auch nur eine konkrete
Antwort auf die Sorgen der Menschen in diesem Land zu
geben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/ CSU)


Wir warten auf Ihre Vorschläge. In der Finanzpolitik
handeln Sie nach der Devise: nicht konkret werden und
unpräzise bleiben, mit anderen Worten: wegtauchen. Aber
das reicht nicht.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Herr Poß, warum schreien Sie so giftig vor sich hin?)


– Ich bin doch überhaupt nicht giftig.

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Sie sind das Problem! Der ewige Jungsozialist!)

Herr Merz hat in einem Interview mit der „Welt am

Sonntag“ gesagt: Konkreter war noch nie eine Opposition
im Bundestag. – Die Wahrheit aber ist: Noch nie war eine
Opposition im Deutschen Bundestag in der Sachaus-
einandersetzung so weggetaucht wie Sie.


(Lachen des Abg. Hartmut Schauerte [CDU/CSU])


Das gilt auch für Ihren so genannten Strategiegipfel von
letzter Woche, der ohne Ergebnis blieb.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Der ewige Jungsozialist!)


– Herr Schauerte, pflegen Sie doch nicht Ihre Vorurteile.
Pflegen Sie endlich etwas Sachverstand, den Sie offen-
kundig nicht haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie sind doch auch ein Interessenvertreter. Sie sind ein
Funktionär der Volksbanken. Immer wenn es um deren In-
teressen geht, verschließen Sie sich den notwendigen Er-
kenntnissen.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wollen Sie jetzt auch noch die beschimpfen? Beschimpfen Sie doch gleich alle!)


Viele Unternehmen leiden darunter, dass sich die Banken
falsch verhalten. Das wissen wir doch.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Weiter so!)

Sorgen Sie dafür, dass es besser wird!

Die Unionsspitzen saßen stundenlang zusammen. Aber
kein einziger vernünftiger, konkreter Sparvorschlag hat
das Licht der Welt erblickt. Der Berg kreißte und gebar
noch nicht einmal ein Mäuschen. So viel zur Durchset-
zungskraft von Herrn Stoiber, dem ehemaligen Spitzen-
kandidaten, der von Ihnen jetzt sozusagen zur Seite ge-
drängt wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Joachim Poß Joachim Poß Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Der ewige Jungsozialist!)





Ich fasse zusammen. Es gibt keine konkreten Vor-
schläge der Union zur unabdingbaren Verbesserung der
Situation der öffentlichen Haushalte, keine konkreten
Vorstellungen zur Fortentwicklung des deutschen Steuer-
rechts. Ebenso gibt es, wie die gestrige Debatte gezeigt
hat, keine einheitlichen, sondern lediglich widersprüchli-
che Vorstellungen der Union über die Gemeindefinanz-
reform.

Sie müssen jetzt Farbe bekennen, weil wir in diesem
Jahr Entscheidungen für die weitere Entwicklung unseres
Landes treffen müssen. Das werden wir Ihnen abverlan-
gen. Sie haben es in der Hand, mit uns zusammen dafür
zu sorgen, dass es zu wichtigen finanziellen Entlastungen
für Bund, Länder und Kommunen kommt, dass in diesem
Jahr – auch daran müssen Sie mitwirken – das 3-Prozent-
Defizit-Kriterium wieder eingehalten wird und dass wir
– auch das geht nur mit Ihrer Mitarbeit – einen großen
Schritt hin zu einem einheitlicheren und gerechteren Steu-
ersystem machen. Sie müssen sich entscheiden.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Hören Sie das Schimpfen auf! Werden Sie sachlich!)


Herr Schauerte, in einer dpa-Meldung ist zu lesen – ich
habe vergessen, sie mit an das Rednerpult zu nehmen; sie
liegt aber an meinem Platz –: Schauerte: Es wird Zeit,
dass wir uns mit den Realitäten auseinander setzen.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Nein, ich kenne die nicht! Es ist Schluss mit den taktischen Spielchen!)


– Genau: Schluss mit den taktischen Spielchen. Herr
Schauerte, obwohl ich Ihnen sehr wahrscheinlich noch nie
zugestimmt habe, stimme ich Ihnen hier ausdrücklich zu.
Setzen Sie sich in der Union durch.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Hören Sie auf!)


Machen Sie Schluss mit den taktischen Spielchen und
kümmern Sie sich stattdessen um die Sorgen und die Pro-
bleme der Menschen in diesem Land!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Sie sollen Schluss machen! Werden Sie sachlich!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502604100

Ich erteile das Wort Kollegen Max Straubinger, CDU/

CSU-Fraktion.


Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1502604200

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Herr Kollege Poß, wir diskutieren heute über den Jahres-
wirtschaftsbericht des Bundeswirtschaftsministers. Er
ist an Traurigkeit nicht zu überbieten. Er geht nämlich von
der Prognose aus, dass es im Jahr 2003 im Durchschnitt
4,2 Millionen Arbeitslose in unserem Land geben wird
und dass sich die Jugendarbeitslosigkeit auf dem höchsten

Niveau zementieren wird, das sie jemals in der Bundesre-
publik erreicht hat. Das ist traurig für die Menschen in
Deutschland.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Unsere Kollegen Friedrich Merz und Heinz Riesenhuber

haben heute sehr viele Vorschläge gemacht, wie wir
zukünftig unsere Wirtschaft wieder besser in Fahrt brin-
gen können.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Welche Vorschläge?)

Herr Kollege Poß, Ihnen, der Sie angeblich nicht feststel-
len konnten, dass Vorschläge gemacht wurden, muss ich
entgegenhalten, dass Sie zwar ständig von den Interessen
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, nicht aber von
den Interessen der arbeitslosen Menschen in unserem
Land reden, die dringend Arbeit suchen. Das ist das Fatale
Ihrer Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Poß, Sie haben Berechenbarkeit angemahnt. Ich sage
Ihnen: Letztendlich sind Sie und die SPD berechenbar,
wenn es um die Konservierung der Arbeitslosigkeit in un-
serer Gesellschaft geht. Das ist das traurige Ergebnis Ih-
rer Politik.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Im Januar 2003 gab es fast 4,7 Millionen Arbeitslose

und fast 500 000 arbeitslose Jugendliche. Diese dramati-
sche Entwicklung in Deutschland ist das Ergebnis von
vier Jahren Politik der rot-grünen Bundesregierung. Be-
gonnen hat sie mit Lafontaine und möglicherweise wird
sie auch mit ihm enden. Er soll ja in der SPD wieder zu
neuen Ehren kommen. Begonnen hat sie mit Lafontaine,


(Dr. Rainer Wend [SPD]: Mit Gauweiler, Herr Straubinger!)


weil damals der Bundeshaushalt um 12 Prozent aufge-
bläht wurde und die Grundlage für die schlechte wirt-
schaftliche Entwicklung in Deutschland gelegt wurde.
Ein weiterer Grund ist natürlich die massive Verteuerung
der Energie in unserem Land. Die Ökosteuer führt in ers-
ter Linie – der Fraktionsvorsitzende Müntefering ist lei-
der nicht mehr da; er ist ja der Spezialist für Konsumver-
zicht in unserer Gesellschaft – zu einer Verringerung der
Freiräume, die benötigt werden, um Investitionen zu täti-
gen bzw. die private Kaufkraft zu stärken; denn hier
wurde maßlos überzogen.

Der Kollege Müntefering hat von der Wettbewerbs-
fähigkeit der deutschen Wirtschaft gesprochen. Ich emp-
fehle ihm, die Wettbewerbsfähigkeit der Tankstellenbesit-
zer an der österreichischen Grenze etwas genauer zu
untersuchen. Wenn er das täte, dann würde er wahr-
scheinlich zu einer völlig anderen Meinung von der Wett-
bewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft kommen.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Mit entscheidend war, glaube ich, dass Rot-Grün keine
Reformen vorgenommen hat und dass man auf so ge-
nannten Besitzständen hocken bleibt. Ich kann nicht ver-
stehen, dass es ein großartiges Arbeitnehmerrecht ist,


(A)



(B)



(C)



(D)


2036


(A)



(B)



(C)



(D)






wenn durch einen falschen Kündigungsschutz heute
Arbeitsplätze vor die Hunde gehen. Ich kann dies an ei-
nem praktischen Beispiel darlegen. Es geht um die Haus-
haltsberatungen in unserem Kreistag Dingolfing-Landau.
Vor zwei Jahren wurde extra ein Programm zur Integra-
tion von Aussiedlern und ausländischen Bürgerinnen und
Bürgern eingerichtet. Zwei Personen wurden mit Zeitar-
beitsverträgen eingestellt. Jetzt kam der Vorschlag des
Landrats und der Verwaltung, diese Arbeit einzustellen,
obwohl sie weiterhin nötig ist. Begründung: Wenn wir die
beiden gut qualifizierten Personen weiterhin beschäfti-
gen, werden wir sie später, wenn die Aufgabe einmal weg-
fällt, nicht mehr entlassen können.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Vorschlag des SPD-Landrats!)


– Das wollte ich noch sagen: Es war nicht ein Landrat von
der CSU, sondern der stellvertretende Bezirksvorsitzende
der SPD in Niederbayern. – Das zeigt sehr deutlich,
wie der Kündigungsschutz für Arbeitsplatzverluste in
Deutschland mit verantwortlich ist.

Ich habe den Jahreswirtschaftsbericht natürlich mit In-
teresse gelesen. Ich bin genau der Meinung, die der Kol-
lege Riesenhuber vorhin schon vorgetragen hat, nämlich
dass wir in der dramatischen Lage, in der wir sind, we-
sentlich größere Würfe machen müssen, bessere Kon-
zepte zur Umsetzung bringen müssen und uns nicht stän-
dig in Klein-Klein üben dürfen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr gut! Das ist richtig!)


Die SPD hat entdeckt, dass der Mittelstand der Be-
schäftigungsmotor schlechthin in der Bundesrepublik ist,
und führt dies auch aus: 70 Prozent der Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer sind in mittelständischen Betrie-
ben. Sie wollen besonders den Mittelstand fördern. Ich
war völlig überrascht und von den Socken, als ich an ers-
ter Stelle las: Minimalbesteuerung und einfachste Buch-
führungspflichten. – Das klingt gut, Herr Bundeswirt-
schaftsminister. Ich möchte Sie dabei auch unterstützen.
Aber glauben Sie, dass sich jemand dann, wenn ab der
Grenze von 17 500 Euro sofort wieder alle Mechanismen
der Entbürokratisierung entfallen – unterstellt, 50 Prozent
davon sind Kosten –, mit 8 750 Euro – im Jahr, wohlge-
merkt! – eine Existenz als Selbstständiger aufbauen
möchte, dann möglicherweise nicht mit 35, sondern mit
50 oder 60 Stunden Arbeitszeit in der Woche? Ich bin da-
von überzeugt, dass Sie da Schiffbruch erleiden werden.
Ich hätte mich unter diesen Umständen 1984 nicht selbst-
ständig gemacht, Herr Bundeswirtschaftsminister. Das ist
Klein-Klein. Wenn man sich in Ihrem Hause um solche
Grenzen und die Frage, wie man die ins Gesetzblatt hin-
einbringen kann, Gedanken macht, ist das eigentlich ver-
taner Beamtenschweiß. Deshalb: große Würfe, Herr Bun-
deswirtschaftsminister!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Opposition, Friedrich Merz an der Spitze, hat heute

verschiedenste Vorschläge unterbreitet. Wir sind bereit,
sie in eine gemeinsame Gesetzgebungsarbeit zum Wohle
der Menschen in Deutschland mit einzubringen. Das und
nicht das parteipolitisch Kleinkarierte ist unser Ziel.


(Lachen bei der SPD)


Die Wirtschaft Deutschlands muss wieder vorankommen.
Wir als Opposition sind bereit, gute Vorschläge bis ins Ge-
setzblatt zu bringen. Bei der Hartz-II-Gesetzgebung sind
auf unseren Druck hin die Minijobs wieder entbürokrati-
siert und handhabbar gemacht worden.


(Klaus Brandner [SPD]: Da haben Sie gar nichts entbürokratisieren müssen! Das war Bestandteil des Gesetzes! Das war entbürokratisiert!)


Wir haben erreicht, dass die Menschen in Deutschland,
die auf dieser Basis arbeiten wollen, auch wieder die
Möglichkeit dazu haben, nachdem SPD und Grüne das im
Jahr 1999 abgeschafft hatten.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502604300

Herr Kollege Straubinger, kommen Sie bitte zum

Schluss.


Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1502604400

Ja, Herr Präsident. – Das, was ich beschrieben habe, ist

letztendlich das Ergebnis Ihrer Wirtschaftspolitik. Wir
werden Sie mit unseren Vorschlägen garantiert in eine
gute Richtung lenken. Wenn die Vorschläge der Bundes-
regierung uns die Zustimmung erlauben, dann hat sie un-
sere Unterstützung.

Besten Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502604500

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen

Schauerte das Wort.

(Klaus Brandner [SPD]: Auf Herrn Straubinger? – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Herr Präsident, so geht es doch nicht!)



Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1502604600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Der Kollege Poß – nachdem er uns fürchterlich be-
schimpft hatte, hat er die Debatte mittlerweile verlassen –
hat mich angegriffen, indem er darauf verwiesen hat, dass
ich gesagt habe, der Dachstuhl in Deutschland brenne und
die Zeit für taktische Spielchen sei vorbei.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Und ihr seid die Anzünder!)


Auf welches Niveau wir in Deutschland mittlerweile
gesunken sind, kann man daran erkennen, dass eine sol-
che Äußerung als kritikwürdig angesehen wird. Wer in
diesem Saal will denn behaupten, wir hätten nicht allzu oft
und viel zu lange taktische Spielchen miteinander betrie-
ben? Wer will das ernsthaft behaupten, ohne zu lügen?
Warum ist es angesichts dessen zu rügen, dass ein Abge-
ordneter in einer Situation wie der jetzigen – die Sorgen
im Lande nehmen täglich zu – sagt: Wir müssen mit die-
ser Art von Grabenkämpfen aufhören, wir müssen endlich
vorangehen und Gemeinsamkeiten herausarbeiten.

Max Straubinger




Hartmut Schauerte

Das hat Herr Poß offensichtlich überhaupt noch nicht
verstanden. Sein Beitrag – er bestand im Prinzip nur aus
Beschimpfungen; das kann der Wirtschaftsminister nun
überhaupt nicht gebrauchen, wenn er Koalitionen schmie-
den will, um in Deutschland etwas zu bewegen – hat das
in dramatischer und beklagenswerter Weise bestätigt. Ich
kann eine solche Verhaltensweise nur auf das Tiefste be-
dauern. Sie entspricht nicht dem, was in Deutschland im
Moment wirtschaftspolitisch und gesellschaftspolitisch
erforderlich ist.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502604700

Da Herr Poß nicht mehr anwesend ist, gebe ich dem

Kollegen Schmidt die Gelegenheit, zu erwidern.


Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1502604800

Herr Schauerte, mit der Art von Reflex, den Sie gerade

wieder einmal gezeigt haben, dokumentieren Sie auch,
dass Sie diejenigen sind, die ständig Grabenkämpfe be-
trieben haben. Ich weise die von Ihnen hier in den Raum
gestellten Vorwürfe schärfstens zurück, auch im Namen
von Herrn Poß, der jetzt nicht mehr hier sein kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist schon eine Ungehörigkeit, dass einer uns anschreit, und dann haut er ab!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502604900

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf

den Drucksachen 15/372 und 15/100 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dirk
Fischer (Hamburg), Eduard Oswald, Georg
Brunnhuber, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ein-
führung von streckenbezogenen Gebühren für
die Benutzung von Bundesautobahnen mit
schweren Nutzfahrzeugen
– Drucksache 15/355 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Tourismus

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Georg Brunnhuber von der CDU/CSU-Fraktion
das Wort.


Georg Brunnhuber (CDU):
Rede ID: ID1502605000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Die CDU/CSU-Fraktion bringt heute den Entwurf eines
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Einführung von
streckenbezogenen Gebühren für die Benutzung von
Bundesautobahnen mit schweren Nutzfahrzeugen ein.
Der Volksmund nennt diese Gebühren LKW-Maut; als
solche sind sie auch hier allgemein bekannt.

Dieser Gesetzentwurf sorgt für Klarheit. Seine Sub-
stanz spricht für Intelligenz; denn er wird dem gerecht,
was Gebühr im Grundsatz bedeutet. Leider Gottes hat die
Bundesregierung nie bedacht, dass das Erheben einer Ge-
bühr mit dem Rückfluss des eingenommenen Geldes in
den Bereich, wo es gezahlt worden ist, einhergehen sollte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die LKW-Maut wird praktisch zu 100 Prozent von denjeni-
gen vereinnahmt, die die Autobahn benutzen. Deshalb be-
greifen wir nicht, dass die Bundesregierung und die sie tra-
gende Koalition nicht bereit ist zu sagen: Jawohl, diese
Gebühr muss auch denen zu 100 Prozent zugute kommen,
von denen wir sie einkassieren, damit derjenige, der mit sei-
nem LKW die Autobahn benutzt, nicht von vornherein den
Eindruck hat, dass es sich hier um eine zusätzliche Besteue-
rung und damit um ein zusätzliches Abkassieren handelt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Renate Blank Abzockerei!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, machen Sie
es sich da nicht zu leicht. Wir hatten mehrere Anhörungen
zu all diesen Fragen. Bei der letzten Anhörung im Früh-
jahr des vergangenen Jahres haben einige Rechtsprofes-
soren darauf hingewiesen, dass es verfassungsrechtlich
zumindest nicht eindeutig als sauber zu bezeichnen ist,
wenn diese Gebühr so aufgeteilt wird, wie Sie es vorha-
ben. Das Allerschlimmste ist meiner Meinung nach, dass
der Finanzminister einen höheren Anteil, nämlich über
700 Millionen Euro, für sich vereinnahmt und nur
600 Millionen Euro für den Ausbau derAutobahnen im
Rahmen des Anti-Stau-Programms vorgesehen sind.
Damit legen Sie jetzt schon die Fallstricke für das Schei-
tern Ihrer Verkehrspolitik.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie ist gescheitert!)


Denn da, wo der Verkehr am stärksten zunimmt, nämlich
auf der Straße, da tun Sie am wenigsten. Dass die Schiene
von Ihnen aus den Einnahmen aus der LKW-Maut noch
besser bedient wird als die Straße, halten wir schlichtweg
für eine falsche Entscheidung, weil sie auch zu falschen
politischen Schlüssen führt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie alle kennen die verschiedenen Prognosen: Der Gü-

terkraftverkehr soll bis zum Jahr 2015, also in den
nächsten 13 Jahren, um etwa 64 Prozent zunehmen. Der
überwiegende Anteil dieses Wachstums wird auf den
Verkehrsträger Straße entfallen. Wir sind gerade dabei,
mehr wirtschaftliche Kontakte nach Osteuropa zu knüp-
fen. Das führt zwangsläufig wieder zu mehr Güter-
verkehr. Deshalb müsste man, wenn man eine intelligente
Verkehrspolitik machen will, zunächst einmal den Ver-


(A)



(B)



(C)



(D)


2038


(A)



(B)



(C)



(D)






kehrsträger Straße ertüchtigen. Wir haben in Deutsch-
land noch viele Autobahnen – das haben Sie ja nun im
Anti-Stau-Programm selber erkannt –,


(Renate Blank [CDU/CSU]: A 3 ist nicht enthalten!)


wo durch einen Ausbau von zwei auf drei Streifen die Ver-
kehrsfrequenz erhöht werden kann. Eine Ertüchtigung
kann aber auch in Form anderer Maßnahmen erfolgen.
Dafür benötigen wir unwahrscheinlich hohe Summen.

In diesen Wochen werden ja in den Landesparlamenten
die Anmeldungen entsprechender Vorhaben für den Bun-
desverkehrswegeplan vorbereitet. Man hört, dass die
Maßnahmen, die dem vordringlichen Bedarf zugerechnet
werden, etwa 60 bis 70 Milliarden Euro kosten; insgesamt
geht es wohl um ein Volumen von weit über 100Milliarden
Euro, das in den nächsten zehn bis 15 Jahren, je nach Lauf-
zeit des Verkehrswegeplans, aufgebracht werden muss. Da-
mit handelt es sich nicht um eine theoretische Diskussion
über den Bedarf des Straßenbaus in Deutschland, sondern
um pragmatische Feststellungen, welche Maßnahmen im
Straßenbau in Deutschland notwendig sind.

Sie können sich da auch nicht herausreden und sagen, es
handele sich nur um Anträge von CDU- und CSU-Abge-
ordneten. In vielen Landkreisen – ich kann das für Baden-
Württemberg bestätigen – sind auch Ihre Parteifreunde im
Anmelden ziemlich spitze. Es herrscht offensichtlich zwi-
schen Rot und Grün Übereinstimmung, dass man noch viele
Straßen bauen müsse. Wenn Sie berücksichtigen, welch un-
wahrscheinlich große Summe aufgebracht werden muss,
müssten Sie doch von sich aus zu der Einsicht kommen, dass
mehr Geld in den Straßenbau gesteckt werden muss.


(Beifall bei der CDU/CSU – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In die Schiene!)


Ich mache Ihnen jetzt einmal die Rechnung auf: Bis
jetzt sind pro Haushaltsjahr Investitionen von etwa
5 Milliarden Euro für die Straße vorgesehen. Wenn wir
von den 3,4 Milliarden Euro, die durch die LKW-Maut
eingenommen werden, die Systemkosten in Höhe von
circa 1,2 Milliarden und die Kosten für die Kompensation
bzw. Harmonisierung abziehen, dann verbleiben insge-
samt 2,1 Milliarden Euro für Investitionen. Wenn man die
zu den im Haushalt vorgesehenen 5 Milliarden Euro ad-
diert, kommt man auf über 7 Milliarden Euro für Investi-
tionen in die Straße. Damit könnten wir in zehn Jahren ge-
nau das abarbeiten, was als vordringlicher Bedarf
angemeldet wird, nämlich etwa 70 Milliarden Euro. Weil
wir damit nicht nur dafür sorgen, dass der Verkehr ohne
Stau besser läuft, sondern auch eine enorme Investition
für die Bauwirtschaft tätigen, müsste eine intelligente
Verkehrspolitik geradezu dankbar sein, wenn eine Oppo-
sition solche Vorschläge macht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Darum machen wir ja intelligente Verkehrspolitik!)


Damit hätten Sie nämlich das, was Sie dringend benöti-
gen, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken.

Wenn die Wirtschaft wieder stärker wachsen soll,
brauchen wir eine verbesserte Verkehrsinfrastruktur

auf der Straße. Pro 1 Milliarde Euro Investition in die
Straße könnten etwa 20 000 Arbeitsplätze gesichert oder
neu geschaffen werden.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Richtig!)

Bedenken Sie einmal, was das für ein Investitionspro-
gramm für Deutschland wäre! Leider Gottes sind Sie un-
fähig, in diesen Kategorien zu denken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Volker Kauder [CDU/CSU]: Daran sind die Grünen schuld! Die Grünen verhindern das!)


In diesem Zusammenhang ist auch die Frage zu erör-
tern: Warum finanziert ihr aus diesen Mitteln nicht auch
den Schienenausbau? Ich will es Ihnen sagen: Die
Schiene bekommt nach wie vor, obwohl sie privatisiert
wurde, insgesamt ein Vielfaches dessen aus dem Bundes-
haushalt, was die Straße erhält.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Gleichzeitig prüft niemand von Ihnen nach – weder die
Vertreter auf der Regierungsbank, die verantwortlich
wären, noch die Mitglieder aus den Reihen von Rot-
Grün –, wie effizient diese Mittel ausgegeben werden,


(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aber hallo! Täglich prüfen wir das nach! Stündlich!)


was mit diesen Mitteln geschieht und ob auf der Schiene
mit diesen Mitteln tatsächlich ein verbessertes Angebot
geschaffen wird. Albert Schmidt ist doch deswegen aus
dem Bahn-Aufsichtsrat ausgetreten, weil er nicht mehr
mitmachen wollte.


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ehrt ihn bei dem, was dort an Lug und Betrug zulas-
ten des Bundeshaushaltes organisiert wird. Das ist doch
eine Tatsache.


(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jetzt aber Vorsicht! „Lug und Betrug“?)


– Ich nehme „Lug und Betrug“ zurück und sage: Trickse-
rei zulasten des Bundes. Das ist sicherlich das Gleiche.


(Karin Rehbock-Zureich [SPD]: Da müssen Sie selber lachen!)


Wenn heute, etwa acht Jahre nach der Bahnreform, die
Bahn AG schon wieder 20 Milliarden Euro an Verschul-
dung aufweist, obwohl wir sie 1994 mit 70Milliarden DM
komplett entschuldet haben,


(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Diese neuen Schulden sind in eurer Regierungszeit aufgelaufen!)


zeigt das doch, dass hier etwas nicht stimmt. Wir kritisie-
ren nicht die Verantwortlichen der Bahn, sondern die Bun-
desregierung. Warum halten Sie die Verantwortlichen
nicht auf und sagen: Dort, wo so viel Geld fließt, müssen
auch effizient Güter befördert werden,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Georg Brunnhuber




Georg Brunnhuber
statt dass ständig Anschlussstellen und Nebenstrecken ge-
strichen werden und am Ende trotz erhöhtem Mittelzu-
fluss weniger auf der Schiene befördert wird als vorher.

Ihre Politik für die Schiene ist gescheitert; das kann
man im Februar 2003 feststellen. Sie haben auch in die-
sem Bereich der Verkehrspolitik keine Konzeption mehr.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Unser Antrag enthält schlicht den Hinweis, dass die

Betroffenen, nämlich die Zahlenden, sprich: die Unter-
nehmer im Güterkraftverkehr, von der Politik unterstützt
werden müssen; denn sie bezahlen die Maut und haben
deshalb die Erwartungshaltung, dass mit diesem Geld et-
was für sie getan wird, also auf der Straße.

Die Pressemeldungen und die Verhandlungen der ver-
gangenen Jahre zeigen, dass Sie das Güterkraftver-
kehrsgewerbe ganz schön an der Nase herumgeführt ha-
ben. Sie haben in allen Besprechungen zunächst gesagt,
die LKW-Maut solle ganz niedrig sein. Dann haben Sie
den Leuten erklärt, je höher die LKW-Maut pro Kilome-
ter sei, umso mehr Harmonisierung schaffe das. Als man
dann im Verkehrsministerium kalte Füße wegen der Zu-
sagen bekommen hat, sind die Verhandlungen ins Kanz-
leramt verlegt worden. Von dort wurde den Leuten bis
zum Wahltag am 22. September ständig erklärt, man
strebe einen größtmöglichen Harmonisierungsschritt und
eine Kompensation an.

Heute waschen Sie Ihre Hände in Unschuld und sagen
den Leuten: Da können wir nichts machen; mehr als
300Millionen Euro können wir nicht ausgeben. Sie sagen
das wohl wissend, dass ein Großteil des deutschen Güter-
kraftverkehrsgewerbes die LKW-Maut, wenn sie in dieser
geringen Harmonisierung kommt, nicht überleben wird.
Bei dieser Maut wird nicht ein Kilogramm mehr auf der
Schiene befördert. Vielmehr werden leider Gottes Billig-
unternehmen aus dem Ausland auf deutschen Straßen un-
terwegs sein. Die deutschen Arbeitgeber werden keine
Aufträge mehr erhalten und die Arbeitnehmer werden ar-
beitslos. Diese Situation haben Sie mit Ihrer Verkehrs-
politik geschaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Mit Ihrer Verkehrspolitik geht es auf den Straßen so zu:

immer mehr Stau. Das Einzige, was an Tempo zunimmt,
ist Ihr Versagen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und so weiter und so weiter!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502605100

Das Wort hat jetzt der Kollege Uwe Beckmeyer von

der SPD-Fraktion.


Uwe Beckmeyer (SPD):
Rede ID: ID1502605200

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Herr Brunnhuber, Ihre Rede war laut und teilweise
abenteuerlich. Mein Eindruck ist: Die Verkehrspolitik an
sich und das, was Sie darüber berichten, stimmen nicht
überein.

Ich habe mich gefragt: Was will die Union mit diesem
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des bestehenden
Gesetzes zur Einführung einer Maut eigentlich erreichen?


(Renate Blank [CDU/CSU]: Das, was wir wollen, steht darin!)


Der Deutsche Bundestag hat dieses Gesetz in der letzten
Legislaturperiode beschlossen. Es ist verkündet und es
harrt der Anwendung.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Genau das ist das Problem! – Renate Blank [CDU/CSU]: Die Frage ist, wann sie kommt!)


Es hat sogar ein Vermittlungsverfahren gegeben. Insbe-
sondere die Punkte der Zweckbindung und der Harmoni-
sierung sind dort erörtert worden. Das Ergebnis war über-
zeugend: Es gab ein hohes Maß an Übereinstimmung
auch mit den Ländern, die am besten wissen, welche Maß-
nahmen mit der Maut möglich werden oder, anders ge-
sagt, welche Maßnahmen nicht realisiert werden können,
wenn die Maut nicht kommt.

In dem beschlossenen Gesetz ist ein Mautaufkommen
vorgesehen, das zum überwiegenden Teil zweckgebunden
für die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur ver-
wendet werden soll.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist schon im Ansatz falsch! Das stimmt nicht!)


Hier besteht also eine ganz klare Zweckbindung, aber
eben nicht, wie die Union es vorsieht, ausschließlich für
die Straße. Wir wissen doch: Wer in der Verkehrspolitik
erfolgreich sein und keine Steinzeitpolitik machen will,
der hat am Ende alle Verkehrsträger an den Finan-
zierungsquellen zu beteiligen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir alle sind dafür, von einer alleinigen Haushaltsfinan-
zierung wegzukommen. Ich glaube, da sind wir uns alle
hier in diesem Hause einig. Wir sind an einer teilweisen
Nutzerfinanzierung interessiert; das ist richtig. Dies war
eines der wichtigsten Argumente, geradezu der Motor für
die Einführung einer Maut.

Warum nun der Unionsgesetzentwurf? Die Antwort ist:
Die Union hat ein Problem. Das Problem ist: Sie muss
bzw. sie will versuchen, ihre etwas breitmäuligen Ver-
sprechen aus der Vorwahlkampfzeit gegenüber der
Logistikbranche einzulösen. Gemeint ist das Stoiber-Ver-
sprechen, den Harmonisierungsbeitrag zu verdoppeln,
also für die Branche statt 300 Millionen Euro 600 Milli-
onen Euro auszuschütten.

Doch jeder Kundige weiß, dass das finanzpolitisch und
verkehrspolitisch zu einem Nullsummenspiel verkommen
kann. Wegekosten entstehen. Sie müssen von den Nutzern
getragen werden.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Quatsch!)

Ein entsprechender angemessener Harmonisierungsbei-
trag ist zweifelsohne notwendig. Aber die Union weiß ge-
nau, dass seit der Wissmann-Waigel-Ära, seit 1995, die
Einnahmen aus der Eurovignette in Höhe von 800 Mil-


(A)



(B)



(C)



(D)


2040


(A)



(B)



(C)



(D)






lionen an den Finanzminister abgeführt werden müssen,
Stichwort: Gesamtdeckungsprinzip. Das ist in diesem Zu-
sammenhang Ihre Erfindung.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Das war damals D-Mark!)


Sie weiß aber auch, dass Toll-Collect-Dienstleistungen in
Höhe von 640 Millionen Euro und Kontrollaufwendun-
gen für das BAG in Köln in Höhe von 90 Millionen Euro
bezahlt werden müssen. Wenn wir dann einen Harmoni-
sierungsbeitrag à la Stoiber in Höhe von 600 Millionen
Euro in Rechnung bringen, ergibt das eine Teilsumme von
gut 2,13 Milliarden Euro – und das bei Gesamteinnahmen
in 2004 in Höhe von 3,4 Milliarden Euro.

Was ist das Ergebnis? Am Ende steht für die Finanzie-
rung von Verkehrsinfrastruktur nur noch weniger als die
Hälfte zur Verfügung, nämlich 1,27 Milliarden Euro.
Wenn man die Verteilung so vornimmt, wie Sie es vor-
schlagen, ist das ein desaströses Ergebnis.


(Beifall bei der SPD – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Bei Ihrem System, Herr Beckmeyer!)


Denn Bund und Länder brauchen für die Infrastruktur-
investitionen deutlich mehr Geld aus den Mauteinnah-
men, als ihnen die aktuelle Opposition


(Zuruf von der SPD: Was heißt „aktuelle“?)

zubilligen will. Man erkennt die Absicht und ist ver-
stimmt. Die Branche soll einen doppelt so hohen Harmo-
nisierungsbeitrag bekommen, am Ende aber bleibt viel zu
wenig übrig für die dringend notwendigen verkehrs-
systemübergreifenden Investitionen. Damit kann man
der verkehrspolitischen Problematik in Deutschland nicht
gerecht werden.

Die Union versucht mit ihrem Antrag, diesen schäd-
lichen Tatbestand zu kaschieren, was sträflich, kurzatmig
und grundsätzlich von Übel ist.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Kurzatmig ist eure Politik!)


Herr Fischer und Herr Brunnhuber, aus der Entfernung
eines Landes betrachtet, glaubte ich, die Union in diesem
Hause betreibe zumindest handwerklich eine saubere Ver-
kehrspolitik. Doch, so muss ich sagen, ich habe mich ge-
irrt. Dieser Antrag ist eindeutig unter Niveau.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dirk Fischer [Hamburg][CDU/CSU]: Was die SPD meint, ist völlig unwichtig! Die Bürger entscheiden das, nicht die SPD!)


So geht es nicht. Ich warne davor, dass Sie von der Union
diesen eingeschlagenen Weg gehen. Sie werden den An-
forderungen der deutschen Verkehrspolitik mit diesem
Vorschlag in gar keiner Weise gerecht. Er ist falsch und
trägt nicht.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Die Marx-und-Murks-Partei SPD entscheidet dies wohl kaum!)


Ich habe acht Jahre lang als Vorsitzender im Verkehrsaus-
schuss des Bundesrates erlebt: Die Länder überlegen es

sich genau – und sie werden es auch hier tun –, ob sie ei-
nen solchen Weg mitgehen. Denn es sind ihre Projekte, die
vor dem Hintergrund Ihrer Vorschläge zu kurz kommen.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Ich rufe nur: A 3!)

Auch wir Sozialdemokraten halten einen ordentlichen

Beitrag zur Harmonisierung der Wettbewerbsbedingun-
gen im europäischen Güterverkehr für erforderlich. Aber
auch der Schwerlastverkehr mit einem zulässigen Ge-
samtgewicht von mehr als 12 Tonnen muss an der Finan-
zierung der Wegekosten beteiligt werden, wie dies bei der
Schiene durch die Trassenpreise schon der Fall ist. Aus-
ländische LKWs werden für die Nutzung der Autobahnen
mit den vollen Wegekosten belastet. Das führt zu einem
fairen Wettbewerb.

Die Zweckbindung nur an ein Verkehrssystem zu kop-
peln ist falsch. Wir haben in Deutschland ein integriertes
Verkehrssystem und deshalb müssen wir uns an der Ge-
samtheit aller Personen- und Gütertransporte in der Re-
publik orientieren. Wir müssen alle ineffizienten Investi-
tionen vermeiden und innerhalb dieser Republik alle drei
Verkehrsträger berücksichtigen.

Ein Wort zum Schluss: Wir alle haben die Schreckens-
szenarien aus der Feder der einschlägigen Branchenver-
bände gelesen


(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Die stimmen!)


und festgestellt, dass vieles aufgeschrieben wurde, was
nur auf den ersten Augenblick beeindruckt. Schauen wir
in die Schweiz: Dort ist die leistungsabhängige Schwer-
lastabgabe inzwischen Alltag,


(Renate Blank [CDU/CSU]: Sie können doch die Schweiz nicht mit Deutschland vergleichen! Das ist ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen!)


die elektronische Erfassung klappt. Auch dort hat man vor
deren Einführung ein Verwaltungschaos vorhergesagt. Es
ist offensichtlich ausgeblieben.

Wir in der Koalition bleiben zuversichtlich. Wir sind
mit dem Mautgesetz auf dem verkehrspolitisch richtigen
Weg


(Renate Blank [CDU/CSU]: Das ist eine Geldbeschaffungsmaßnahme für den Finanzminister und sonst nichts!)


und wir lassen uns durch kurzsichtige Ablenkungs-
manöver nicht irritieren.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502605300

Herr Kollege Beckmeyer, ich beglückwünsche Sie zu

Ihrer ersten Rede in diesem Hause.

(Beifall)


Das Wort hat jetzt der Kollege Horst Friedrich von der
FDP-Fraktion.

Uwe Beckmeyer






Horst Friedrich (FDP):
Rede ID: ID1502605400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr

Kollege Beckmeyer, dass ausgerechnet Sie bei dieser Ge-
setzgebung anderen handwerkliche Fehler vorwerfen,
zeigt, dass Sie eigentlich gar nicht wissen, was für ein Ge-
setz Sie abgeliefert haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Dass es im Vermittlungsausschuss an dem denkwürdigen
Tag war, als das Zuwanderungsgesetz behandelt worden
ist, das nun von Karlsruhe aufgehoben wurde, ist nur
kennzeichnend für die ganze Gesetzgebung. Sie haben es
bis heute nicht geschafft, dem Gewerbe verlässlich, in ge-
setzgeberischer Form, zu signalisieren, wie Sie die Kom-
pensation – die zugegebenermaßen nicht ausreichend ist –
gesetzlich umsetzen wollen.


(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: So ist das!)

Bis heute ist nichts Belastbares im Hause angekommen.

Herr Steinmeier, der Kanzleramtschef, hat schon vor
zwei Jahren bei der Einführung der Maut größtmögliche
Harmonisierung auf europäischem Niveau verspro-
chen. Schauen Sie sich die Zahlen an: Wenn Sie den aus-
ländischen LKW-Anteil abziehen, belasten Sie das deut-
sche Gewerbe mit der Maut im Jahr mit ungefähr
2,7 Milliarden Euro, während Sie nur um 300 Millionen
Euro entlasten. Wenn das Ihre Kompensation ist, kann ich
nur sagen: Sie haben sich schwer verrechnet.

Dass Sie den Finanzminister loben, verstehe ich nicht.
Sein Einnahmeausfall aus derLKW-Vignette beträgt im
Jahr 2001 – in DM gerechnet – etwa 900 Millionen DM.
Er will sich dafür aber auf einmal 1,5 Milliarden DM er-
setzen lassen.


(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das hat Herr Waigel schon gemacht!)


Er tut das mit einer aus meiner Sicht sehr fadenscheinigen
Begründung.


(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist Waigels Werk!)


– Ach, Herr Kollege Schmidt, diese Behauptung wird
auch durch Wiederholung nicht richtig. Sie können das so
oft behaupten, wie Sie wollen, es bleibt falsch.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist richtig, das kann man nachlesen!)


Fakt ist, der Finanzminister hat 900 Millionen DM an
Einnahmen aus der Eurovignette verloren, die man kom-
pensieren kann. Es bleibt das Fragezeichen, warum er sich
1,5 Milliarden kompensieren will.


(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Natürlich ist es Waigel!)


Sie haben in Ihrer Maut-Verordnung einen weiteren
Punkt offen gelassen. Das ist die Fälligkeit der Gebüh-
ren. Sie ist insbesondere für die mittelständischen Unter-
nehmer wichtig, deren Gebühren automatisch abgebucht
werden sollen. Die automatische Abbuchung funktioniert

aber nur dann, wenn die Banken die Kreditlinien entspre-
chend erhöhen.

Hier fragen sich nicht nur Neugierige, was es bedeutet,
wenn diejenigen, die nicht abbuchen können, Einzelver-
fahren vornehmen müssen. Dann stehen Sie wirklich vor
dem Chaos und es wird deutlich größer sein, Herr Kollege
Beckmeyer, als in der Schweiz, weil wir mehr Autobahn-
kilometer und deutlich mehr Ausfahrten haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Die Bundesregierung führt die nächste Pleitewelle herbei!)


Die Union konzentriert ihren Antrag jetzt auf ein weite-
res Kriterium: die Zweckbindung.Darüber ist schon nach-
gedacht worden. Im Sinne einer echten Gebühr muss die
volle Zweckbindung möglich sein. Auch hier sind wir un-
terschiedlicher Meinung; denn das, was Sie als Zweckbin-
dung bezeichnen, ist nicht abgesegnet, hängt vom Willen
des Finanzministers ab und wird auch den Unternehmen
keine Vorteile bringen. Mehr Straßenbau werden Sie damit
nicht erreichen, weil 50 Prozent aller Einnahmen der Maut
bereits durch die Kompensation für den Finanzminister und
die Systemkosten verbraucht worden sind. Erst der Rest
kann verteilt werden. Das ist aus meiner Sicht zu wenig und
rechtfertigt nicht den Aufwand, den Sie betreiben.

Danke sehr.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502605500

Das Wort hat jetzt der Kollege Albert Schmidt, Bünd-

nis 90/Die Grünen.

Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch der heutige Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur Ver-
änderung eines wichtigen Punktes des kürzlich verab-
schiedeten LKW-Maut-Gesetzes kann nicht darüber hin-
wegtäuschen, dass das Thema LKW-Maut in Deutschland
– ich behaupte, auch hier im Haus – überwiegend im Kon-
sens diskutiert wird.

Ich will versuchen, darzustellen, worin sich alle Exper-
ten und vor allem die Verkehrsverbände einig sind. Das
soll nicht in Vergessenheit geraten. Der erste Punkt ist: Wir
sind uns einig – die Union erkennt das in ihrem Antrag aus-
drücklich an –, dass wir den Erhalt und die Verbesserung
unseres Verkehrssystems nicht bewältigen werden, wenn
wir nicht neben der reinen Haushaltsfinanzierung für den
Bau, den Unterhalt und den Betrieb von Straßen und
Schiene auch die Nutzerfinanzierung verstärkt einsetzen.

Diesen Paradigmenwechsel haben wir mit dem LKW-
Maut-Gesetz vollzogen, nachdem er auf der Schiene
schon viel früher – im Zuge der Bahnreform – vollzogen
worden ist. Denn das, was dort Trassenpreis heißt, ist
nichts anderes als eine Schienenmaut.


(Renate Blank [CDU/CSU]: So weit stimmt es auch!)


– In diesem wesentlichen Punkt sind wir uns also einig. Das
freut uns Grüne deshalb ganz besonders, weil dies ein Bei-


(A)



(B)



(C)



(D)


2042


(A)



(B)



(C)



(D)






trag zu mehr Verursachergerechtigkeit ist: Derjenige, der
Schäden und damit Kosten verursacht, muss nachher per
LKW-Maut seinen Beitrag leisten, damit diese Kosten
volkswirtschaftlich sinnvoll gedeckt werden. Das ist richtig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein zweiter Punkt: Mich überrascht ein bisschen, dass

die Union in einem zweiten Punkt Konsens signalisiert,
allerdings ohne dies auszusprechen, nämlich in der Höhe
der LKW-Maut.Alle Berechnungen, die ich in den letz-
ten Wochen und Monaten und auch heute aus Ihrem Mund
gehört habe, gehen von dem Einnahmevolumen aus, das
auch die Bundesregierung angepeilt hat. Dies erzielt man
aber nur, wenn man pro Fahrzeug und pro Kilometer eine
Nutzungsgebühr von im Schnitt 15 Cent einnimmt. Die
Gebühr ist für den schweren LKW etwas höher und für
den leichteren LKW etwas niedriger.


(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Billiger kann es nicht werden, weil sonst die Systemkosten höher sind!)


Dies finde ich sehr erfreulich, denn dadurch ist die Wege-
kostendeckung ungefähr 15-mal höher als durch die alte
Vignettenregelung. Dies ist in der Tat ein Quantensprung
in der verkehrspolitischen Erkenntnis auf der rechten
Seite dieses Hauses.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Georg Brunnhuber [CDU/ CSU]: Das ist nichts Neues!)


Offenbar besteht auch noch in einem dritten Punkt
Konsens: Wir wollen gemeinsam die Wettbewerbsbedin-
gungen für das spedierende Gewerbe, also für die LKW-
Wirtschaft, auf europäischer Ebene möglichst harmonisch
gestalten. Wir wollen und müssen bestehende Harmoni-
sierungsdefizite Stück für Stück abbauen. Insoweit sind
wir uns einig.

Jetzt komme ich zum Dissens, verehrter, geschätzter
Herr Kollege Brunnhuber.


(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Vielen Dank! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wir sollten es nicht übertreiben!)


– Das ist einfach die süddeutsche Sympathie. – An einer
Stelle beginnt der Widerspruch. Sie sagen doch, wir müss-
ten der spedierenden Wirtschaft viel mehr Einnahmen
zurückerstatten, zugleich aber viel mehr investieren. Was
denn nun? Entweder wollen Sie die Kompensation er-
höhen und haben damit weniger zum Reinvestieren oder
Sie wollen die Kompensation nicht erhöhen und haben
dann mehr zum Investieren. Ihre Argumentation ist wi-
dersprüchlich. Das ist in einer Debatte immer schlecht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der Weg, den wir eingeschlagen haben, ist sehr vernünf-
tig, nämlich die wirklich bestehenden Harmonisierungs-
defizite anzupacken und zu beseitigen.

Gestatten Sie mir hier eine Randbemerkung: Wenn die
Gerüchte, die in diesen Tagen durchsickern, zutreffen,
dass nämlich unsere Nachbarländer Frankreich, Italien
und die Niederlande daran denken, die Dieselsubventio-
nierungmöglicherweise über das vereinbarte Zeitmaß hi-

naus fortzuschreiben, sollten wir gemeinsam dafür eintre-
ten, dass es in Europa nicht zu einem Subventionswettlauf
kommt. Es kann nicht darum gehen, wer den Diesel für
seine Spediteure am stärksten subventioniert. Dann sind
am Schluss alle Verlierer und niemand ist der Gewinner.
Dies war aber nur eine Randbemerkung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Abg. Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Herr Kollege, nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich
habe um 12 Uhr meinen nächsten Termin. Ein anderes
Mal lasse ich Ihre Frage gerne zu.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist Feigheit vor dem Feind, Herr Kollege!)


– Das hat mit Feigheit nichts zu tun. Diejenigen, die ich
damit angesprochen habe, haben sehr genau verstanden,
dass sie gemeint sind.

Nun zurück zur Kompensation:Wir sind alle gut be-
raten, wenn wir diese Harmonisierung angehen, damit
Ernst machen, zugleich aber den Zweck der Einnahmen
nicht vernebeln. Es kann und soll hier nicht um Belas-
tungsneutralität gehen, denn sonst können wir uns das
Spiel sparen. Wenn wir die Infrastruktur verbessern wol-
len, müssen wir zusätzliche Einnahmen erzielen.

Jetzt komme ich zu dem eigentlichen Dissens, der in
Ihrem Antrag zum Vorschein kommt. Wir müssen bei der
Reinvestition darauf achten, das gesamte Verkehrssys-
tem zu verbessern. Inzwischen weiß sogar der ADAC-
Autofahrer, dass wir ohne eine Verlagerung von LKWs
von der Straße auf die Schiene und das Binnenschiff
überhaupt keine Chance mehr haben,


(Renate Blank [CDU/CSU]: Und wir tun alles, um die Binnenschifffahrt zu verhindern!)


den Verkehr auf der Straße in Zukunft zu bewältigen. Des-
wegen ist es richtig, sich nicht nur auf das Anti-Stau-Pro-
gramm zur Straßenengpassbeseitigung zu konzentrieren,
sondern im gleichen Umfang auch auf die Engpassbesei-
tigung im Schienennetz. Nur dann haben wir eine Chance,
den LKW-Güterverkehr wenigstens in nennenswertem
Umfang von der Straße auf die Schiene zu verlagern.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Der Güterverkehr auf der Schiene wird immer weniger!)


Dieses Ziel würden wir nicht erreichen, wenn wir heute
Ihrem Antrag folgen würden, wonach die Einnahmen le-
diglich für den Straßenbau verwendet würden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Georg Brunnhuber [CDU/ CSU]: Das wäre aber intelligent!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502605600

Herr Kollege Schmidt, kommen Sie bitte zum Schluss.

Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Deswegen, Herr Kollege Brunnhuber, können wir
Ihrem Antrag leider nicht näher treten. Wir empfehlen

Albert Schmidt (Ingolstadt)





Albert Schmidt (Ingolstadt)

Ihnen aber abschließend zum Trost: Schauen Sie sich ein-
mal an, was Sie übersehen haben.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502605700

Nein, Herr Kollege Schmidt, Sie haben Ihre Redezeit

schon weit überschritten.

(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Sag es mir aber trotzdem noch! – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Ich denke, du willst weg!)


Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Schauen Sie sich einmal das Betreibermodell an. Darin
sind dynamische Investitionsreserven enthalten, die Sie
nicht unterschlagen sollten.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502605800

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen

Horst Friedrich das Wort.

(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Hast du kein Zuhause?)



Horst Friedrich (FDP):
Rede ID: ID1502605900

Frau Kollegin Hustedt, ich habe, vielleicht im Gegen-

satz zu Ihnen, in Oberfranken ein sehr schönes Zuhause.
Ich möchte den Kollegen Schmidt, da er meine Zwi-

schenfrage nicht zugelassen hat, auf diesem Wege daran
erinnern, dass wir ihn sehr unterstützen, wenn er seine
Vorstellungen zur Subventionierung von Diesel, die er
eben vorgestellt hat, durchsetzen will.

Er ist aber mitsamt den Kollegen der SPD im Wort.
Ich erinnere an das, was Bundesverkehrsminister
a. D. Bodewig bei der Jahresversammlung des BGL in
Berlin gesagt hat. Seine klare Aussage lautete: Wenn die
Nachbarländer am Jahresende 2002 aus der Subventio-
nierung des Diesels nicht ausstiegen, würden wir diese
Subventionierung einführen. Wenn Sie sich an diesen
Worten messen lassen, dann haben Sie uns auf Ihrer Seite.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Margit Spielmann [SPD]: Das war die neueste Nachricht! Die musste heute noch sein!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502606000

Wollen Sie erwidern? – Bitte schön, Herr Schmidt.

Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Ich mache es kurz. Ich kann nur wiederholen, was ich
vorhin gesagt habe; denn genauso habe ich das gemeint.
Wenn wir anfangen, in einen Subventionswettlauf darum
einzutreten, wer sein Gewerbe am meisten subventioniert,
dann sind am Schluss die Finanzminister und die Volks-

wirtschaften aller Länder die Verlierer. Deshalb kann ich
vor diesem Weg nur warnen. Wir müssen auf dem Stopp
der Subventionierung in den anderen Ländern, so wie er
vereinbart worden ist, bestehen. Alles andere halte ich für
falsch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Der letzte Wortbruch gegenüber dem Gewerbe! – Renate Blank [CDU/CSU]: Nach dem Motto: versprochen und gebrochen! – Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/SCU]: Ein Wortbruch jagt den anderen!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502606100

Das Wort hat jetzt die Parlamentarische Staatssekretä-

rin Angelika Mertens.

A
Angelika Mertens (SPD):
Rede ID: ID1502606200


Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
gen! Zunächst bitte ich alle Redner, nicht von Kompensa-
tion zu reden; denn Kompensation ist nicht EU-fest. Es ist
besser, von Harmonisierung zu sprechen.


(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Da stimme ich Ihnen ausdrücklich zu!)


Ein Wort an Herrn Brunnhuber: Der BGL ist nie im Un-
klaren gelassen worden – jedenfalls von mir nicht –, was
diese 300 Millionen Euro angeht.

Ich bedanke mich für die Unterstützung, die uns die
CDU/CSU-Fraktion gegeben hat. So ist in dem von ihr
vorgelegten Entwurf zu lesen, die Finanzierung stoße an
Grenzen und wir brauchten ein zweites Standbein. Dafür
herzlichen Dank. Über Plagiate soll man sich nicht ärgern.
Sie sind wahrscheinlich die aufrichtigsten aller Kompli-
mente. Das hat schon Theodor Fontane gesagt, der ja im
19. Jahrhundert gelebt hat. Alles andere in Ihrem Antrag
würde sehr gut in diese Zeit passen.

Mit Ihrer Haltung sind Sie völlig isoliert, nicht nur in
Europa, sondern auch in der Wirtschaft. Das Deutsche
Verkehrsforum spricht sich in diesem Zusammenhang
für Preise im Verkehr aus, die aus Sicht der Nutzer, der
Verkehrsträger und des Staates fair sind;


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Das ist doch keine interessenfreie Stimme!)


das heißt, eine Wegekostenanlastung nach dem Verur-
sacherprinzip und Zweckbindung der daraus erwirt-
schafteten Mittel für Ausbau und Erhalt der Verkehrsin-
frastruktur.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Jetzt tragen Sie auch noch Lobbyzitate vor! Das kann doch nicht wahr sein! Schämen Sie sich!)


Das Verkehrsforum ist nicht irgendein Verein, sondern
zählt zu der Crème de la Crème der Verkehrswirtschaft.
Dass einige Mitglieder das unterschreiben, aber anders re-
den, ist letztlich deren Problem und nicht unseres.

Ich hatte das Vergnügen, an einem Mobilitätsforum
teilnehmen zu können, auf dem ein Vertreter der Automo-


(A)



(B)



(C)



(D)


2044


(A)



(B)



(C)



(D)






bilwirtschaft – er kam übrigens aus dem Süden – gefordert
hat, 50 Milliarden Euro zusätzlich in Straßen zu investie-
ren. Selbst die Vertreter des ADAC haben kurz vor einem
Ohnmachtsanfall gestanden, als sie das gehört haben.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Innerhalb der nächsten 15 Jahre!)


So kann man, wie ich denke, keine seriöse Diskussion
führen; vielleicht ist das auch nicht gewollt. Das wäre al-
lerdings bedauerlich. Wir stellen uns der nationalen und
der europäischen Verantwortung. Dies bedeutet noch im-
mer: nachhaltige Mobilität und Miteinander von wirt-
schaftlicher, ökologischer und sozialer Verantwortung.
Wir brauchen also eine integrierte Verkehrspolitik. Alle
Verkehrsträger müssen ihre Stärken optimieren und ihre
Schwächen minimieren.


(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Wir werden die Verkehrsprobleme der Zukunft nicht
lösen können, wenn wir nicht zu einer deutlichen Verla-
gerung besonders beim Güterverkehr auf Schiene und
Wasserwege kommen. Dazu sind durch die Umsetzung
der Bahnreform, den qualifizierten Ausbau bei Schiene
und Wasserweg, der besseren Vernetzung der Verkehrs-
träger, zum Beispiel durch Investitionen in den kombi-
nierten Verkehr, die Weichen gestellt.

Der überwiegende Teil der Einnahmen aus der LKW-
Maut werden in den nächsten Jahren gezielt für die größ-
ten Probleme eingesetzt, nämlich zur Beseitigung der Ka-
pazitätsengpässe bei Straße, Schiene und Wasserweg.
Bei der Straße kommen wir zum Beispiel auf Lücken-
schlüsse von 250 km. Die Mauteinnahmen geben uns
auch die Möglichkeit, erstmals das Betreibermodell zu
realisieren, also den Ausbau auf sechs bzw. acht Streifen
bei Autobahnen, finanziert, erhalten und betrieben durch
die private Bauindustrie.

Die Anschubfinanzierung des Bundes stellt sozusa-
gen die Ablösesumme für die Nutzung durch den privaten
PKW-Verkehr dar. Wir werden wegen dieses Modells von
der Wirtschaft, vor allen Dingen von der Bauindustrie, ge-
lobt. Ich denke, das haben wir auch verdient. Diesen
Schritt, der lange überfällig war, haben wir gewagt. Das
zeigt, dass wir eine mutige Verkehrspolitik machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Renate Blank [CDU/CSU]: Mutig in die Sackgasse!)


Ihr Antrag, Frau Blank, zeigt letztlich die Rückschritt-
lichkeit Ihrer Politik. Ich kann nur sagen: Bleiben Sie da-
bei! Das wird uns unser Geschäft eindeutig erleichtern.
Unser Geschäft ist, eine vernünftige, moderne und inte-
grierte Verkehrspolitik zu machen. Das haben wir in den
letzten vier Jahren bewiesen und das werden wir auch in
den kommenden vier Jahren beweisen.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Sie müssen träumen!)


Angesichts des Lobes, das wir für unsere Verkehrspo-
litik bekommen, können wir selbstbewusst sein; mit der
Kritik können wir leben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502606300

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-

wurfs auf Drucksache 15/355 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu an-
derweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Geset-
zes zur Änderung des Gesetzes zur Neurege-
lung des Energiewirtschaftsrechts
– Drucksache 15/197 –

(Erste Beratung 16. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Arbeit (9. Ausschuss)

– Drucksache 15/432 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Joachim Pfeiffer

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Parlamentarische Staatssekretär Staffelt für die Bundesre-
gierung das Wort.

D
Dr. Ditmar Staffelt (SPD):
Rede ID: ID1502606400


Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Wir beraten heute abschließend den Gesetzentwurf
der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur
Novellierung des Energiewirtschaftsrechts. Dieses Ge-
setzgebungsverfahren konnte, wie Sie sich vielleicht erin-
nern, in der vergangenen Legislaturperiode nach einem
Einspruch des Bundesrates nicht mehr zum Abschluss ge-
bracht werden. Der Gesetzentwurf ist jetzt erneut einge-
bracht worden – er ist mit dem früheren identisch –, damit
die vorgesehenen und vor allem die dringend notwendi-
gen Ergänzungen des Energiewirtschaftsrechts umgesetzt
werden können.

Über den Inhalt des Gesetzentwurfs im Einzelnen ha-
ben wir ja bereits in der ersten Lesung am 19. Dezember
letzten Jahres miteinander debattiert. Deshalb will ich Sie
nicht mit Wiederholungen langweilen, sondern nur kurz
auf zwei wichtige Punkte im Zusammenhang mit dem
Energiewirtschaftsrecht hinweisen.

Erstens. Wir wollen mit der Novelle die Regeln für die
Marktöffnung im Gasbereich ergänzen und so vor allem
das Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland
wegen nicht vollständiger Umsetzung der EU-Gasrichtli-
nie stoppen. Sie werden sich erinnern, dass es im Grunde
seit dem Jahr 2000 eine solche Regelung hätte geben sol-
len und es aufgrund der Debatten, die es in diesem Hause,
aber auch mit den Verbänden gegeben hat, und aufgrund
unseres Wunsches, eine Regelung zu finden, die ohne eine

Parl. Staatssekretärin Angelika Mertens




Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelt
Regulierungsbehörde auskommt, zu einem gewissen zeit-
lichen Verzug gekommen ist. Ich sage daher: Wer Wett-
bewerb im Gasbereich will, darf diesen Gesetzentwurf
nicht weiter blockieren.

Zweitens. Der Gesetzentwurf verbessert insgesamt den
gesetzlichen Rahmen für die leitungsgebundene Energie-
wirtschaft. Dazu gehört, dass die Novelle für eine größere
Schlagkraft der Kartellbehörde sorgt. Dies geschieht
durch den Sofortvollzug ihrer Netzzugangsverfügungen.
Dazu gehört ferner, das die Novelle auch weiterhin den
Weg für Verbändelösungen in der Energiewirtschaft ins-
gesamt offen hält. Dies geschieht durch die vorgesehene
größere rechtliche Verbindlichkeit der Verbändevereinba-
rungen für den Netzzugang bei Strom und Gas.

Schließlich sorgt der Gesetzentwurf zum Beispiel mit
der Ermächtigungsgrundlage für eine Netzzugangsver-
ordnung Gas auch dafür, dass wir handlungsfähig sind,
falls die Verhandlungen zur Weiterentwicklung der Ver-
bändevereinbarung Gas nicht erfolgreich verlaufen sollten.

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hält
eine rasche Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs der
Regierungsfraktionen für dringend geboten. Unserer Auf-
fassung nach gibt es dazu keine Alternative. Wir brauchen
die im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Regelungen, um
unser Netzzugangssystem ohne Brüche weiterentwickeln
zu können. Daher gilt es, diesen Gesetzentwurf jetzt so
umzusetzen, wie er ist. Ich denke, wir alle sind uns über
die Ziele im Wesentlichen einig.

Im Sommer hatte ich das Vergnügen, mit den Kolle-
ginnen und Kollegen aus den Bundesländern im Vermitt-
lungsausschuss darüber zu debattieren. Nachhaltige in-
haltliche Probleme waren im Grunde genommen nicht
festzustellen. Von daher appelliere ich an alle Kolleginnen
und Kollegen in diesem Hause, speziell auch an die der
Opposition, ausdrücklich: Lassen Sie uns das Gesetz-
gebungsverfahren gemeinsam zügig abschließen.


(Beifall bei der SPD)

Es liegt ein Gesetzentwurf vor, der eine Vielzahl wich-

tiger und völlig unstrittiger Regelungen zur Weiterent-
wicklung des Wettbewerbs auf dem Strom- und Gasmarkt
enthält. Wenn wir das bei uns praktizierte Netzzugangs-
modell, das auf eine staatliche Rahmensetzung mit ergän-
zender Selbstregulierung durch Verbändevereinbarungen
setzt, beibehalten wollen, sehe ich zu einem solchen Ge-
setzentwurf keine Alternative.

Ich wiederhole an dieser Stelle: Es kann in einer Zeit, in
der wir über die Fragen von Deregulierung und Entbüro-
kratisierung reden, nicht sein, dass wir Regulierungs-
behörden provozieren und nicht darauf setzen, dass alle,
die im Zusammenhang mit Strom und Gas, als ein Wirt-
schaftskomplex miteinander verbunden sind – die Kunden
genauso wie die Hersteller und Lieferanten –, eine Lösung
finden, in die alle eingebunden sind und aufgrund derer die
Schwierigkeiten eigenständig gelöst werden können. Wie
Sie wissen, haben wir durch das Kartellamt die Möglich-
keit, in schwierige Fragen einzugreifen und durch den
Sofortvollzug reagieren zu können. Ich denke, das ist eine
Austarierung der Interessen und entspricht damit auch
dem, was alle Beteiligten erwarten dürfen.

Wir stehen mit unserem System der Verbändeverein-
barungen an einer Weichenstellung.

Zum einen müssen die Verbändevereinbarungen insbe-
sondere im Gasbereich natürlich auch zukünftig weiter-
entwickelt werden. Mit der vorgesehenen Befristung der
Verrechtlichung tragen wir dem im Gesetzentwurf Rech-
nung. Denken Sie bitte daran: Was wir heute beschließen,
gilt bis zum 31. Dezember dieses Jahres. Wir werden uns
sehr schnell in eine erneute Novellierungsdebatte hinein-
begeben müssen. Wir haben dann aber eine Grundlage,
auf der wir vernünftig weiterentwickeln können.

Zum anderen müssen wir den Partnern der Verbände-
vereinbarungen bei dieser Fortentwicklung ein positives
Signal geben, indem wir den Verhandlungsergebnissen
eine größere rechtliche Relevanz als bisher verschaffen.
Geschieht dies nicht, droht das Instrument der Verbände-
vereinbarungen insgesamt zu scheitern.

Auf dem Energierat am 25. November 2002 ist es der
Bundesregierung gelungen, dem System der Verbände-
vereinbarungen – auch in den Rahmenbedingungen neuer
europäischer Binnenmarktrichtlinien für Strom und Gas –
Raum zu verschaffen. Nach diesem Erfolg hielte ich es
nicht für klug, die Tür zu diesem Gestaltungsspielraum
auf nationaler Ebene jetzt zuzuschlagen. Die für nächstes
Jahr anstehende Umsetzung der neuen EU-Binnenmarkt-
richtlinie wird es ohnehin erforderlich machen, dass wir
gemeinsam weitere Anpassungen am Energiewirtschafts-
recht vornehmen. Wir werden in diesem Hause also spä-
testens im nächsten Winter gemeinsam über das Energie-
recht diskutieren.

Für heute gilt: Bringen wir nunmehr den notwendigen
ersten Schritt zu Ende. Lassen Sie uns dann gemeinsam
den zweiten Schritt sorgfältig vorbereiten. Meine Bitte an
die Kollegen von CDU/CSU und FDP: Helfen Sie mit,
dass auch in den von Ihnen regierten Bundesländern ein
Weg für die Verabschiedung gefunden wird. Meine Er-
fahrungen aus Gesprächen vom Frühsommer des vergan-
genen Jahres waren, dass die Unterschiede gering und die
Chancen für eine Einigung gut sind. Wir sollten uns des-
halb auf den Weg machen, diesen Gesetzentwurf in der
vorliegenden Fassung zu verabschieden.

Danke.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502606500

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer von

der CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1502606600

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Die Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes ist
in der Tat nicht nur für die Energiewirtschaft, sondern
auch für die gesamte gewerbliche Wirtschaft und die pri-
vaten Kunden wichtig. Die Energiewirtschaft benötigt
Planungs- und Investitionssicherheit. Wenn die Netz-
betreiber – das gilt für den Strom- und den Gasbereich
gleichermaßen – nicht wissen, was auf sie zukommt, dann


(A)



(B)



(C)



(D)


2046


(A)



(B)



(C)



(D)






ist das ein Investitionshemmnis ersten Grades. Auch die
kommunalen Energieversorger wissen nicht, wie es wei-
tergeht. Neue Energieanbieter haben keine Klarheit über
die Markteintrittsbedingungen. Was sind die Folgen? – In-
vestitionszurückhaltung, Investitionsvermeidung oder
gar Investitionsverlagerung.

He
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1502606700
Soweit ich es beurteilen kann, sind wir uns
über die Ziele nicht nur weitestgehend, sondern über alle
Fraktionen hinweg einig. Aber die Wahl der Instrumente
und der Weg zum Ziel trennen uns. Deshalb finde ich es
bedauerlich und nicht nachvollziehbar, weshalb Sie in den
vergangenen Wochen nicht die Gelegenheit genutzt ha-
ben, zu einem Kompromiss zu kommen. Ich sehe nach
wie vor die Möglichkeit zu einem Kompromiss. Das
habe ich diese Woche im Ausschuss wiederholt.

Wie ist die wirkliche Lage? Sie haben in der vergange-
nen Legislaturperiode diesen Gesetzentwurf – aus wel-
chen Gründen auch immer – vertrödelt oder verschleppt.
Sie haben ihn dann im Frühjahr des letzten Jahres einge-
bracht und sind damit im Bundesrat gegen die Wand ge-
fahren. Danach hatten Sie in der alten Legislaturperiode
nicht mehr die Kraft – es wird darüber gestritten, ob es ein
Einspruchsgesetz oder ein zustimmungsbedürftiges Ge-
setz ist –, den Gesetzentwurf erneut in den Bundestag ein-
zubringen. So weit, so schlecht.

Im Dezember 2002 haben Sie diesen Gesetzentwurf
mit zwei Marginalien, aber sonst unverändert wieder ein-
gebracht. Wir haben signalisiert, dass wir zu einem Kom-
promiss bereit sind. Diesen Kompromiss haben wir in der
Sache konkretisiert. Ich will ihn in aller Kürze anschnei-
den: Er dient den Interessen der Netzbetreiber, weil er In-
vestitions- und Planungssicherheit bietet, und ermöglicht
eine Nettosubstanzerhaltung der Netze. Wir alle haben
nichts davon, wenn die Netzbetreiber nicht mehr in die
Netze investieren, sondern von der Substanz leben und es
dann in einigen Jahren zu ernsthaften Schwierigkeiten in
der Versorgungssicherheit kommt. Andererseits müssen
wir sicherstellen, dass der Wettbewerb wirklich greift.
Auf diesem Gebiet sind die letzten Liberalisierungs- und
Rationalisierungserfolge mit Sicherheit noch nicht er-
reicht.

Unstrittig ist, dass Quersubventionen in der Größen-
ordnung von mindestens 270Millionen Euro pro Jahr von
den Netzbetreibern in den Erzeugungsbereich fließen,
womit die Wettbewerbsfähigkeit an dieser Stelle beein-
flusst wird. Deshalb ist es für mich nicht nachvollzieh-
bar – ich muss es leider so sagen: Im besten Fall ist es
naiv, im mittleren Fall dilettantisch und im schlechtesten
Fall wirtschaftsfeindlich –, wenn Sie jetzt unser Ge-
sprächsangebot nicht nutzen, um zu einem Kompromiss
zu kommen. Es ist absehbar, dass Sie mit diesem Gesetz-
entwurf im Bundesrat – Herr Staffelt, Sie haben das an-
ders dargestellt – wieder massiv gegen die Wand fahren.


(Dr. Axel Berg [SPD]: Das Gesprächsangebot war gestern!)


Zuletzt haben sich die Wirtschaftsminister am 12. und
13. Dezember mit diesem Thema beschäftigt und sie ha-
ben damals einstimmig die Verrechtlichung in Form einer

Vermutungsregelung abgelehnt. Nach unseren Informa-
tionen wird sie – nicht nur was die unionsregierten
Länder, sondern auch Länder wie Rheinland-Pfalz und
Schleswig-Holstein betrifft – im Bundesrat nicht realisiert.
Deshalb ist es um so unverständlicher, dass Sie nicht be-
reits jetzt in den Gremien des Bundestages die Gelegen-
heit zum Kompromiss nutzen, um damit schneller zu ei-
ner Lösung zu kommen. Wir haben Ihnen am Mittwoch
und auch bereits im vergangenen Jahr in Aussicht gestellt,
wie wir zu einem Kompromiss gelangen könnten.

Was aber ist die Folge? Auf der einen Seite verhindern
Sie Rationalisierungs- und Liberalisierungsfortschritte,
das heißt, für die gewerbliche Wirtschaft und die Ver-
braucher steigen die Kosten. Die Rationalisierungs- und
Liberalisierungsfortschritte werden durch Ihre Politik
der Steuererhöhungen konterkariert. Herr Merz hat vor
zwei Wochen die absoluten Zahlen genannt. Danach ist
die Belastung durch Energiesteuern in Deutschland in den
vergangenen vier Jahren von 2 Milliarden auf 12 Milliar-
den angestiegen. Für einen privaten Haushalt mit drei Per-
sonen ist die steuerliche Belastung von 28 Prozent im Jahr
1998 auf 41 Prozent 2002 angestiegen und hat dadurch die
Rationalisierungs- und Liberalisierungseffekte mehr als
überkompensiert. Das heißt, der private Haushalt behält
derzeit nichts mehr übrig.

Für die gewerbliche Wirtschaft sieht es nicht anders aus.
In diesem Bereich kommt es zu einem Investitionsstau, zur
Investitionsvermeidung oder gar zur Investitionsverlage-
rung, weil die Unternehmen durch die Ökosteuer und die
anderen damit verbundenen Kostensteigerungen immer
stärker in ihrer Wettbewerbsfähigkeit eingeschränkt wer-
den. Insofern ist es in der Tat dringend notwendig, zu ei-
ner Lösung zu kommen.

Sie haben die EU-Problematik angesprochen. Es ist be-
reits ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet worden.
Auch deshalb verstehe ich nicht, dass Sie nicht versuchen,
zu einer Lösung zu kommen bzw. einen Kompromiss zu
erzielen.

Sie haben diesen Weg beschritten. Wir haben Ihnen
diese Woche das Angebot gemacht, die heutige Beratung
des Gesetzentwurfs abzusetzen und in der nächsten Wo-
che unter Einbeziehung der Bundesländer zu einer Lö-
sung zu kommen. Dann hätte das Thema nächste Woche
im Bundestag behandelt und vielleicht auch eine Lösung
erzielt werden können. Damit hätte viel Zeit gespart wer-
den können. Bei dem jetzt eingeschlagenen Weg besteht
die Gefahr, dass gar nichts geschieht, dass der von uns al-
len gewünschte verhandelte Netzzugang in Deutschland
nicht geschaffen wird und dass vielleicht nichts anderes
übrig bleibt als die Regulierung, die ohnehin von einigen
von Ihnen gewünscht zu werden scheint.

In der Handelsblatt-Konferenz hat Herr Clement kürz-
lich die Position der Regierungsfraktionen vorgetragen.
Frau Hustedt hat – wenn ich das richtig verstanden habe –
wenige Minuten später inhaltlich etwas anderes vorgetra-
gen, nämlich dass sie sich eine Regulierung vorstellen
könnte, die sie für wünschenswert halte.

Dieses Tohuwabohu führt im Ergebnis leider nicht zu der
dringend notwendigen Rechts- und Planungssicherheit
für die Energiewirtschaft und die Unternehmen, sondern zu

Dr. Joachim Pfeiffer




Dr. Joachim Pfeiffer
Verzögerungen. Im Ergebnis können wir, wie gesagt,
nicht mehr den deutschen Weg, den wir eigentlich als ge-
meinsames Ziel verfolgen, beschreiten. Das wäre bedau-
erlich.

Ich darf noch einmal unsere Gesprächsbereitschaft an-
bieten, wie es Herr Adamowitsch bereits vor zwei Wo-
chen getan hat. Leider sind bisher Ihrerseits keine kon-
kreten Gesprächsangebote gefolgt. Auch wenn Sie es
vielleicht mittlerweile selber nicht mehr glauben: Sie sind
noch an der Regierung und wir hoffen, dass Sie, während
Sie sich auf dem Fahrersitz befinden – –


(Doris Barnett [SPD]: Wir sind an der Regierung und wir bleiben es auch!)


– Frau Barnett, wenn Sie mit Ihrem Dilettantenstadel so
weitermachen, werden Sie in der Tat die SPD dort hin-
bringen, wo Möllemann die FDP nicht hingebracht hat:
auf 18 Prozent.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte zum Thema zurückkehren. Das Energie-
wirtschaftsrecht ist wirklich kein Feld, auf dem man ideo-
logische Grundsatzstreitigkeiten austragen sollte, wenn
man sich über das Ziel einig ist. Lassen Sie uns also zu ei-
ner Verständigung kommen und die nächste Woche nut-
zen, ohne Vermittlungsausschuss, aber unter Einbezie-
hung der Bundesländer zu einem Ergebnis zu kommen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502606800

Das Wort hat jetzt die Kollegin Michaele Hustedt vom

Bündnis 90/Die Grünen.


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502606900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Pati-

enten Wettbewerb im Strom- und Gasbereich geht es aus
meiner Sicht schlecht. Junge mittelständische Unterneh-
men, die hoffnungsvoll in den Wettbewerb gestartet sind,
wie zum Beispiel ares, und VASA, mussten inzwischen
Insolvenz anmelden, weil sie gegen die alteingesessenen
Unternehmen keine Chance hatten. Der Kampf um den
Endverbraucher wurde aufgegeben. So hat zum Beispiel
Yello die Preise um 20 Prozent erhöht. Die Stadtwerke,
die noch die Interessen der Kunden vertreten können,
werden Schritt für Schritt aufgekauft. Sie sind nicht mehr
unabhängig und können also nicht mehr im Namen der
Kunden verhandeln.

Die großen Unternehmen teilen sich die Gebiete wie-
der auf. Das heißt, Stadtwerke, die noch unabhängig sind,
bekommen kein alternatives Angebot mehr, weil die
Großen nicht mehr in Konkurrenz zueinander treten. Da-
her ist es ein relativ düsteres Bild, das ich vom Zustand
des Wettbewerbs im Strom- und Gasbereich in diesem
Lande zeichnen muss.

Vor diesem Hintergrund muss man diesen Gesetzent-
wurf sehen. Wir setzen damit die EU-Gasrichtlinie um.

Dies geschieht relativ spät. Deshalb stehen wir auch unter
Zeitdruck. Wir wollen mit diesem Gesetz einige Verbes-
serungen für den Gas- und Strombereich durchsetzen. Die
Frage stellt sich, ob dieses Gesetz ausreicht, um die Miss-
stände im Wettbewerb tatsächlich zu beheben. Darauf
muss ich mit Nein antworten.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Da sind wir uns einig, Frau Hustedt!)


Auf die Frage, ob dieses Gesetz ein Fortschritt ist, muss
ich antworten: Ja, es bedeutet durchaus einen kleinen
Schritt vorwärts. Aber es müssen noch weitere Schritte
folgen.

Absolut positiv ist die Möglichkeit des Sofortvollzugs
durch das Kartellamt zu bewerten. Das stärkt seine Stel-
lung und gibt ihm die Möglichkeit, einzugreifen und mit
dem Sofortvollzug die Probleme zügig zu beheben. Die
Praxis sieht im Moment so aus, dass bei Streitigkeiten drei
Jahre lang vor Gericht gezogen wird. In der Zwischenzeit
sind aber die Kunden weg. Unter Umständen sind kleine
Unternehmen dann vom Markt verschwunden. Die neue
Regelung ist also ein echter Fortschritt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Pfeiffer, wenn man die Diskussion über

den verhandelten oder regulierten Netzzugang unideo-
logisch führt, dann muss man sagen, dass dies ein Schritt
in Richtung stärker regulierter Netzzugang ist. Eine un-
abhängige staatliche Instanz wird in ihrer Position als
Schiedsrichter gestärkt. Sie kann damit wirkungsvoller
eingreifen, um den Wettbewerb zu fördern. Wir diskutie-
ren schon lange nicht mehr darüber, ob wir einen regu-
lierten oder einen verhandelten Netzzugang haben wol-
len. Das Element des verhandelten Netzzuganges gibt es
bereits. Nun werden Schritt für Schritt und so unbürokra-
tisch wie nur möglich stärkere Regulierungen durch den
Staat als Schiedsrichter eingeführt, um einen fairen Netz-
zugang sicherzustellen.


(Dr. Rolf Bietmann [CDU/CSU]: Da verstehen Sie das Kartellamt falsch! Das ist eine wettbewerbsrechtliche Missbrauchskontrolle!)


Ich glaube, es ist richtig, dass wir diese Diskussion
führen.

Es gibt einen zweiten wichtigen Punkt, nämlich die
Verrechtlichung der Verbändevereinbarung.Wer wei-
terhin auf den verhandelten Netzzugang setzt, der muss
diesen Weg mitgehen. Durch den Antrag der FDP, aber
auch durch unsere Vorschläge wurde die Diskussion aus-
gelöst, ob wir in diesem Zusammenhang den Ermessens-
spielraum des Kartellamtes größer machen sollten, als es
bis jetzt im Gesetz vorgesehen ist. Ich verfolge diese Dis-
kussion durchaus mit Sympathie. Wir stehen allerdings
sehr stark unter Zeitdruck – das wurde heute schon ge-
sagt –, weil wir die Gasrichtlinie umsetzen müssen. Ich
hoffe, dass im Bundesrat in diesem Punkt eine Einigung
möglich ist. In den anderen Kernfragen sind wir uns einig.

Ich glaube, dass diese Novellierung ein erster Schritt
ist. Er ist aber kein ausreichender Schritt, um wieder mehr
Wettbewerbsintensität zu erzeugen. Es steht in dieser Le-
gislaturperiode eine zweite Novellierung an. Wir werden


(A)



(B)



(C)



(D)


2048


(A)



(B)



(C)



(D)






uns dabei insbesondere mit der Umsetzung der neuen EU-
Richtlinie hinsichtlich des Wettbewerbs beschäftigen
müssen. Dabei stehen zwei Themen im Mittelpunkt. Es
gibt nach wie vor die Diskussion, ob nicht die Stellung des
Staates als Schiedsrichter, also die Stellung des Kartell-
amtes oder welcher Behörde auch immer, gestärkt werden
muss, um hier größeren Einfluss zu nehmen.

Es steht auch die Frage an, ob wir ein stärkeres Un-
bundling brauchen, also eine noch deutlichere Trennung
von Netz, Stromerzeugung und Stromhandel, um das Netz
von den Interessen der Stromerzeuger unabhängig zu ma-
chen.

Das werden die Themen sein, die bei der Umsetzung
der neuen EU-Richtlinie angeschnitten werden und mit
denen wir uns folglich beschäftigen müssen.

Abschließend möchte ich feststellen: Ich erwarte, dass
die Verbände zügig die neuen Verbändevereinbarungen
aushandeln. Nicht erst im Herbst, sondern schon im April
oder im Mai muss es zu Ergebnissen kommen, die deut-
lich besser sind als das, was zurzeit auf dem Tisch liegt.
Das gilt nicht nur für den Gasbereich. Auch im Strombe-
reich brauchen wir Verbesserungen. Ich erwarte auch,
dass die neuen Anbieter und die Verbraucher stärker als
bisher in die Verhandlungen einbezogen werden; denn es
kann nicht angehen, dass bei den Verhandlungen nur die
Stadtwerke, die EVUs und die Großindustrie am Tisch sit-
zen und sich zulasten von Verbrauchern und Neuanbietern
einigen. Auch deren Interessen müssen bei den Verbände-
vereinbarungen deutlich berücksichtigt werden.

Wenn das Ergebnis nicht ausreichend ist – das sage ich
sehr deutlich –, dann müssen wir über eine stärkere Re-
gulierung diskutieren. Das, Herr Pfeiffer, hat nichts mit
Wunschdenken zu tun. Ich wünsche mir zwar, dass es ei-
nen staatlichen Rahmen gibt und dass sich die Verbände
selber Regeln geben, an die sie sich halten und die einen
fairen Netzzugang gewährleisten. Man muss aber fest-
stellen, dass das zurzeit nicht der Fall ist, obwohl schon
vier, fünf Jahre ins Land gegangen sind. Wenn jetzt nicht
der entscheidende Schritt gemacht wird, dann ist der
Staat, ob er will oder nicht, ob er es sich wünscht oder
nicht, in der Pflicht, hier den Schiedsrichter zu spielen und
im Bereich des natürlichen Monopols Netz für einen fai-
ren Netzzugang zu sorgen. Das ist meine Position. Ich bin
überzeugt, dass die unseres Koalitionspartners nicht weit
davon entfernt ist.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502607000

Das Wort hat jetzt die Kollegin Gudrun Kopp von der

FDP-Fraktion.


Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1502607100

Herr Präsident! Sehr geehrte Herren und Damen! Ich

glaube, wir sind uns einig darüber, dass wir in Deutsch-
land den Wettbewerb im Strom- und Gasbereich stärken
wollen. Frau Kollegin Hustedt, zu Ihrer Definition der

Aufgaben des Bundeskartellamts möchte ich ganz klar
sagen: Dieses Amt hat nicht die Funktion eines Regulier-
ers, sondern ist – das ist ein ganz großer Unterschied – die
Instanz der Missbrauchskontrolle. Das muss man klar
auseinander halten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Neuauflage des Energiewirtschaftsgesetzes enthält

im Vergleich zum ersten Entwurf lediglich eine Neuerung,
nämlich die des Sofortvollzugs. Das ist richtig und drin-
gend notwendig; das unterstützen wir auch. Aber ansons-
ten enthält der Gesetzentwurf keine weiteren Neuerun-
gen. Herr Staatssekretär Staffelt, Sie haben auch während
der Beratungen keinerlei Vorschläge aufgenommen. Das
bedauern wir sehr; denn die FDP-Bundestagsfraktion hat
einen dezidierten Änderungsantrag vorgelegt.


(Zuruf von der SPD: Vor zwei Tagen!)

– Vor zwei Wochen! Bitte erkundigen Sie sich noch ein-
mal. – Wir hätten in der Tat – hier bin ich mit dem Kolle-
gen Dr. Pfeiffer einer Meinung – mit ein bisschen gutem
Willen zu einem Konsens kommen können.

Ich möchte noch einmal darstellen, worauf wir Wert
legen.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Wir wollen es noch immer! Aber die wollen es nicht!)


Wir als FDP-Fraktion wollen mit den beantragten Ände-
rungen erreichen, dass die Kartellaufsicht über die Nut-
zungspreise voll wirksam bleibt, also nicht nur jenseits
der Reichweite der Verbändevereinbarungen wirkt. Wir
möchten, dass zur Klärung von Streitigkeiten im Zusam-
menhang mit Netzzugangsvereinbarungen und Netz-
zugangsverweigerungen eine Streitschlichtungsstelle
beim Bundeskartellamt eingerichtet wird, und nicht, dass
wie derzeit eine kleine Task Force, die beim Bundeswirt-
schaftsministerium angesiedelt ist, an ein paar Stell-
schrauben dreht. Uns als FDP-Fraktion reicht die Formu-
lierung „gute fachliche Praxis“ nicht aus, weil sie zu
unbestimmt ist.


(Beifall bei der FDP)

Wir erwarten leider, dass dadurch Tür und Tor für Rechts-
streitigkeiten in erheblichem Umfang geöffnet werden.
Auch das sollten wir vermeiden. Deshalb schlagen wir
eine Verrechtlichung der Verbändevereinbarung „Strom II
plus“ unter Verzicht auf die „gute fachliche Praxis“, wie
sie im Gesetzentwurf genannt wird, mit einer dynami-
schen Verweisung und einer Berücksichtigungsregelung
vor. Das halten wir für absolut notwendig. Eine Verrecht-
lichung der Verbändevereinbarung Gas II vom 3. Mai des
letzten Jahres ist nicht beabsichtigt. Wir sind uns, glaube
ich, auch darüber einig, dass die Vereinbarung in der jet-
zigen Form den wettbewerblichen Anforderungen absolut
nicht genügt. Daran müssen wir noch arbeiten.

Wir als FDP sind der Meinung, dass Deutschland faire
Wettbewerbspreise für Strom und Gas dringend braucht.
Solche wettbewerbsfähigen Preise sind nämlich das
Fundament einer gut funktionierenden Wirtschaft an un-
serem Standort Deutschland. Vergessen Sie nicht, liebe
Kollegen und Kolleginnen von Rot-Grün, dass gerade die
Verbraucher durch die Ökosteuer und andere Abgaben be-
reits über Gebühr belastet sind!

Michaele Husted




Gudrun Kopp

Noch ein Wort zum Schluss. Ich finde es bedauerns-
wert, dass wir nicht zu Verhandlungen kommen konnten.
Den Gesetzentwurf werden wir heute ablehnen, weil kei-
ner unserer Änderungswünsche berücksichtigt wurde.
Das kommt in den Bundesrat und – davon können wir,
glaube ich, ausgehen – dann auch in den Vermittlungs-
ausschuss. Es wird also weitere Zeit ins Land gehen, es
wird wertvolle Zeit, wertvolle Energie benötigt werden,
die wir in einen Konsens hätten investieren können. Von
daher kann ich nur sagen: Schade drum! Wir als Opposi-
tionsfraktion haben hier versucht, einen konstruktiven
Beitrag zu leisten. Wir werden das weiterhin tun und sa-
gen: Sie haben zu verantworten, was jetzt weiter ge-
schieht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502607200

Das Wort hat jetzt der Kollege Rolf Hempelmann von

der SPD-Fraktion.


Rolf Hempelmann (SPD):
Rede ID: ID1502607300

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Es ist zu Recht festgestellt worden: Mit der Novelle
zum Energiewirtschaftsgesetz verabschieden wir heute
etwas, was für die Gesamtgesellschaft in Deutschland
wichtig ist; denn jeder ist in irgendeiner Weise Teilnehmer
am Strom- oder Gasmarkt und soll letztlich vom fairen
und chancengleichen Wettbewerb, den wir mit diesem
Gesetz begünstigen wollen, profitieren.

Es ist darauf hingewiesen worden, welch langen Vor-
lauf dieses Gesetz hat. Wir haben in der Tat in der letzten
Legislaturperiode relativ früh begonnen, an der Entwick-
lung dieses Gesetzes zu arbeiten. Wir haben das in einer
Form getan, die möglichst viele in dieser Gesellschaft und
in der Energiewirtschaft mitnehmen sollte, nämlich in der
Form der Verbändevereinbarung, an der die Politik
durchaus beteiligt war. Das war gut so, denke ich, und der
Preis, den wir gezahlt haben – das Ganze hat eben gedau-
ert –, war die Sache wert. Wenn man deswegen von Ver-
schleppung redet, Herr Kollege Dr. Pfeiffer, dann trifft das
die Sache überhaupt nicht. Wenn Sie es als Verschleppung
begreifen, dass wir den Versuch unternehmen, einen brei-
ten Dialog zu einem Thema zu organisieren, zu dem wir
auch einen breiten Konsens haben wollen,


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Es gibt ja keinen Konsens!)


dann ist das Ihre Sache und spricht für ein Demokratie-
verständnis, das wir jedenfalls nicht teilen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Wir haben doch gar keinen Konsens!)


Ein wesentliches Ziel dieses Gesetzes ist, die Verbän-
devereinbarung, die, wie gesagt, nach langem Vorlauf und
einem schwierigen Interessenausgleich zustande gekom-

men ist, zu verrechtlichen. Darüber ist jedenfalls eine
ganze Zeit lang der Streit entbrannt. Deswegen will ich für
die SPD-Fraktion – ich denke, das gilt für unseren Koali-
tionspartner gleichermaßen – noch einmal ganz deutlich
sagen: Wir wollen diese Verrechtlichung.Wir wollen sie
vor allem deshalb, weil dies die einzige Chance ist, um auf
Dauer unser deutsches System einer freiwilligen Verbän-
devereinbarung zu stabilisieren und in Brüssel langfristig
Akzeptanz für diesen Weg zu finden.

Wir müssen uns im Übrigen klar darüber sein: Dies ist
ein Weg, der in keinem anderen der Mitgliedstaaten ge-
gangen wird. Die anderen 14 haben den Regulierer. Wir
haben die freiwillige Verbändevereinbarung. Wenn man
so will, ist dies ein deutscher Sonderweg. In diesem Fall
stören Sie sich ja auch nicht an der Vokabel – bei anderen
Themen sind Sie bei diesem Begriff ein bisschen sensi-
bler –, sondern sagen: Es ist in Ordnung, dass wir diesen
Sonderweg gehen.

Wenn wir diesen „deutschen Sonderweg“ weiterhin ge-
hen wollen, wenn wir den Erfolg der Bundesregierung
vom November letzten Jahres, für den ich ausdrücklich
danke, nicht gefährden wollen – ich erinnere daran, dass
für diesen Weg auch ein Stück Akzeptanz geschaffen
worden ist –, dann müssen wir diese Verrechtlichung jetzt
vollziehen.

Andererseits muss die Verbändevereinbarung – ich
gebe denjenigen durchaus Recht, die da noch Verbesse-
rungsmöglichkeiten sehen – selbstverständlich weiterent-
wickelt werden. Wir haben die Verrechtlichung zunächst
bis zum 31. Dezember 2003 begrenzt; denn es ist völlig
klar: Der Wettbewerb in unserem Land hat noch nicht das
Ausmaß, das wir uns wünschen. Auch bei den Verbänden,
die beim Zustandekommen der Vereinbarung am Tisch
saßen, gibt es noch Vorbehalte und Bedenken, ob der
Wettbewerb auf diese Weise tatsächlich in dem erhofften
Maße etabliert werden kann. An der Vereinbarung muss
weiter gearbeitet werden. Sie muss mehr Transparenz ent-
halten. Letztlich wird sich die Verbändevereinbarung an
der Antwort auf die Frage „Gibt es sowohl im Strom- als
auch im Gasbereich tatsächlich einen fairen und chancen-
gleichen Netzzugang?“ messen lassen müssen. Ich wie-
derhole: Wir fordern eine Weiterentwicklung der Verbän-
devereinbarung.

Wichtig ist aber auch die Verordnungsermächtigung
für den Bundeswirtschaftsminister; schließlich müssen
wir uns auch darüber Gedanken machen, was sein wird,
wenn es keine optimierte Verbändevereinbarung und da-
her keinen faireren Wettbewerb in den Bereichen von
Strom und Gas gibt. Wenn das der Fall ist, ist der Wirt-
schaftsminister ermächtigt, die notwendigen Maßnahmen
zu ergreifen. Am Ende der Entwicklung kann es natürlich
auch dazu kommen, dass es einen Regulierer gibt.

Es wird immer so getan, als gäbe es in Europa den Re-
gulierer. In Wirklichkeit gibt es 14 unterschiedliche Mit-
gliedstaaten und 14 unterschiedliche Systeme. Es gibt
große und es gibt kleine Behörden. Es gibt Beamtenappa-
rate; es gibt aber auch sehr flexible GmbHs. Wir werden
uns die unterschiedlichen Verhältnisse in den einzelnen
europäischen Staaten sehr genau anschauen. Es gibt auch
auf diesem Gebiet durchaus die Chance, von anderen zu


(A)



(B)



(C)



(D)


2050


(A)



(B)



(C)



(D)






lernen und, wenn es sein muss, ein System zu entwickeln,
das viele der Befürchtungen, die jedenfalls hier immer
wieder geäußert werden, nicht rechtfertigt. Damit kein
Missverständnis entsteht: Das, was ich gerade beschrie-
ben habe, ist eine Not- oder Auffangsituation; was wir
wollen, ist die Verbändevereinbarung. Alle Teilnehmer
sind aufgefordert, ihren Beitrag zu leisten.

Das Kartellamt ist hier mehrfach erwähnt worden.
Das Kartellamt hat in der Vergangenheit in der Tat einige
Kritik geübt. Das Kartellamt hatte beispielsweise die Auf-
fassung vertreten, die Unterstellung einer guten fachli-
chen Praxis bei Einhaltung der Verbändevereinbarung
grenze seinen Handlungsrahmen ein. Dazu sage ich: Das
spricht nicht gegen die Verrechtlichung und das spricht
auch nicht gegen die Etablierung des Systems der guten
fachlichen Praxis, sondern das spricht dafür, dass die
Verbändevereinbarung weiterentwickelt werden muss,
sodass die Befolgung der Verbändevereinbarung mit einer
guten fachlichen Praxis letztlich identisch ist. Dieser Ge-
danke zeigt den Weg auf, den wir gehen wollen.

Ich möchte noch ein paar Worte zu dem sagen, was die
Opposition hier gesagt hat. Die FDP hat in der Tat vor
zwei Wochen einen Antrag eingebracht. Aber was ist die
Substanz dieses Antrages?


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Nichts!)

Im Grunde genommen geht aus diesem Antrag doch her-
vor, dass wir wesentliche Bestandteile der Verbändever-
einbarung aufgeben sollen. Das heißt, in diesem Antrag
kommt keine Bestätigung des Systems der Verbändever-
einbarung, sondern eine Absage zum Ausdruck. Wenn wir
Ihren Weg gingen, dann würden sich große Teile der Wirt-
schaft von der Teilnahme an der Verbändevereinbarung
verabschieden und dann hätten wir ein – diesen Begriff ha-
ben Sie, Herr Dr. Pfeiffer, hier eben benutzt – Tohuwa-
bohu. Genau das wollen wir nicht und deswegen gehen wir
nicht den Weg, den die FDP vorschlägt.

Dr. Pfeiffer hat einerseits von Kompromissvorschlägen
gesprochen und andererseits hat er auf uns eingeschlagen,
indem er das, was wir hier vorgetragen und vorgeschlagen
haben, „Dilettantenstadel“ genannt hat. Es tut mir Leid,
sagen zu müssen: Das ist nicht die Sprache des Kompro-
misses, sondern die Sprache der Verweigerung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir gehen hier, im Bundestag, unseren Weg. Wir for-
mulieren eine klare Position auf der Basis eines langen
Dialoges mit den Marktteilnehmern in diesem Bereich.
Wir zeigen, dasswir regieren–Siehabendas eingefordert –,
indem wir diese Position klar machen.

Jetzt geht das Ganze in den Bundesrat. Es ist in Ord-
nung, dass im Bundesrat die Länder ihre Interessen vor-
tragen und es gegebenenfalls dann im Vermittlungsaus-
schuss auch zu Veränderungen kommt. Ich nehme, wenn
es ernst gemeint ist, gerne Ihr Angebot an, weitere Ge-
spräche zu führen. Wir als Parlamentarier können die Ge-
spräche im Bundesrat begleiten und mithelfen, dass hier
zeitnah vernünftige Ergebnisse erzielt werden und es zu
einem Interessenausgleich zwischen Bund und Ländern
kommt. Die Länder haben in dieser Sache natürlich in der
Tat – ich nenne nur die Stichworte Preisaufsicht und Lan-

deskartellbehörden – eigene Überlegungen angestellt und
eigene Interessen.

Ich lade Sie also alle ein: Nehmen Sie, wenn Sie es
ernst meinen, weiter konstruktiv an der Entwicklung die-
ses Gesetzes sozusagen in der nächsten Instanz teil. Wir
jedenfalls werden diesem Gesetzentwurf heute zustim-
men, weil wir der Auffassung sind, dass dies der Ab-
schluss eines langen Prozesses ist. Die nächste Runde
wird zeigen, wie wir gemeinsam zu einem vielleicht noch
breiteren Konsens kommen können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502607400

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Rolf Bietmann von

der CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Rolf Bietmann (CDU):
Rede ID: ID1502607500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Hier war gerade von Dialog und breitem Konsens die
Rede, aber Herr Kollege Hempelmann, Sie wissen, es gibt
weder diesen Dialog noch Konsens. Es gibt nicht einmal
innerhalb der rot-grünen Koalitionäre Konsens in dieser
Frage. Es war für mich ein sehr interessantes Erlebnis, als
ich im Umwelt- und Wirtschaftsausschuss mit ansehen
konnte, wie Ihnen die Grünen klar gesagt haben, dass sie
eigentlich nicht hinter den Inhalten dieses Gesetzes stehen
und vor allen Dingen in der Frage der Bewertung der wett-
bewerbsrechtlichen Regelungen zu ganz anderen Ergeb-
nissen als die SPD kommen und am liebsten mit CDU und
FDPgegen dieses Gesetz gestimmt hätten. Deswegen gibt
es heute im Deutschen Bundestag eigentlich eine Mehr-
heit für mehr Wettbewerb im Energiewirtschaftsrecht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf des Abg. Dr. Axel Berg [SPD])


Es ist bedauerlich, dass aus Gründen des Koalitions-
zwanges heute etwas von SPD und Grünen beschlossen
wird, hinter dem die Grünen als Regierungsfraktion ei-
gentlich gar nicht stehen und das keine Chance hat, bei
den Bundesländern im Bundesrat auf Zustimmung zu
stoßen. Ein solches Verfahren und Vorgehen ist eigentlich
für den Gesetzgeber beschämend. Hinzu kommt, dass die-
ses Energiewirtschaftsgesetz in der Tat eine Vielzahl von
Fehlern enthält. Dabei geht es nicht nur um die Frage der
Verrechtlichung der Verbändevereinbarung.

In diesem Zusammenhang lohnt es sich auch, einige
Gedanken zur Situation der Energiepolitik überhaupt zu
formulieren, denn der von früheren Regierungen einge-
schlagene Weg der Liberalisierung des Energiemarktes ist
sträflich vernachlässigt worden. Die rot-grüne Energie-
politik zeichnet sich heute im Wesentlichen durch Steuer-
erhöhungen, Subventionen und Marktabschottung aus.
Das führte in den letzten Jahren trotz Senkung von Pro-
duktionskosten bei den Energieversorgern wieder zu ei-
nem Anstieg der Energiepreise für Industrie und Ver-
braucher. In diesen Preisen dokumentiert sich das
Subventionsproblem bei den erneuerbaren Energien. Ins-
besondere weisen die Preise für Endverbraucher und

Rolf Hempelmann




Dr. Rolf Bietmann
Industrie die unerträgliche Wirkung der Ökosteuer aus. So
treibt Rot-Grün die Energiekosten in einer Weise in die
Höhe, die der Wettbewerbsfähigkeit des Standortes
Deutschland nachhaltig schadet.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Thema verfehlt!)

Die Preise für Industriestrom sind in Deutschland nicht

gefallen. Sie haben wieder das Niveau zu Monopolzeiten
vor der Marktöffnung erreicht. Der Industriestrompreis
– auch das muss man hier einmal sagen, weil das im EEG-
Bericht der Bundesregierung anders steht – befindet sich
nicht im europäischen Mittelfeld, sondern fast an oberster
Stelle. Nur in Italien und Irland liegen die Preise noch
höher, während sie in den anderen EU-Ländern deutlich
darunter liegen. Energiekosten sind aber ein bedeutender
Standortfaktor bei Investitionsentscheidungen. So gefähr-
det rot-grüne Energiepolitik Investitionen und damit wirt-
schaftliches Wachstum in Deutschland.

Mit der Verabschiedung des heutigen Entwurfs wird
sich die Preisschraube erneut drehen. Ein Preisanstieg ist
aber für unseren Standort völlig unverantwortbar. Wir
brauchen mit Blick auf die Preisentwicklung endlich den
von allen gewünschten Wettbewerb im Energiemarkt. Ge-
nau dem wird der vorliegende Entwurf nicht gerecht.

Dabei liegen die Vorschläge für die Novellierung be-
reits seit der letzten Legislaturperiode auf dem Tisch. Im
November 2001 hat die Union dazu einen Antrag einge-
bracht und die Bundesregierung aufgefordert, die Novel-
lierung so vorzunehmen, dass der Wettbewerb erhalten
bleibt und weiter ausgebaut werden kann.

Unser Ziel ist die Schaffung und nachhaltige Etablie-
rung des Wettbewerbs sowohl im Strom- als auch im Gas-
bereich. Dabei setzen wir unverändert auf freie Verhand-
lungen zwischen Netzbetreibern, Energielieferanten und
-abnehmern anstelle staatlich regulierter Zugangsregeln.

Diesen Rahmen gewährleisten die Verbändevereinba-
rungen. Das System der Verbändevereinbarungen dient
dem Wettbewerb und muss weiterentwickelt werden. Al-
lerdings darf die mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf
geplante Verrechtlichung der Verbändevereinbarungen
nicht dazu führen, dass die Missbrauchskontrolle der Kar-
tellbehörden tatsächlich ausgehebelt wird. Den Kartell-
behörden sollen nach dem Text des Gesetzes nämlich
durch Vermutungsregeln die Hände gebunden werden. Es
erfolgt eine einseitige Stärkung der jetzigen Betreiber der
Gas- und Stromnetze. Daher wird diese Regelung zu einer
Abschottung der Netze, zu weniger Wettbewerb und damit
zur Stärkung von Monopolen führen. Eine solche Stärkung
von Monopolen wollen wir gerade nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Verrechtlichungslösung der Verbändevereinbarun-
gen im Gesetz hat den Fehler, dass die Netzbetreiber in die
komfortable Lage versetzt werden, ihre Interessen in den
Verbändevereinbarungen aufgrund ihrer herrschenden
Stellung am Markt maximal durchzusetzen, ohne die Kar-
tellaufsicht fürchten zu müssen. Das, meine Damen und
Herren, ist die klassische Rückkehr zur Monopolwirt-
schaft. Wettbewerb und damit verbundene Preissenkun-
gen sind so ausgeschlossen.

Darum schlagen wir ein anderes System vor. Wir schla-
gen vor, die Verbändevereinbarungen unter Beibehaltung
einer effektiven Kartellkontrolle insoweit zu verrechtli-
chen, als die Kartellaufsicht die Einhaltung der Verbände-
vereinbarungen in jedem Einzelfall angemessen berück-
sichtigen muss. Mit einer gesetzlich vorgegebenen
Berücksichtigungsklausel kann eine juristische Wertungs-
vorgabe formuliert werden, die einerseits den Interessen
der Netzbetreiber an Planungs- und Investitionssicherheit
gerecht wird, andererseits aber auch das Interesse an Miss-
brauchskontrolle durch die Wettbewerber berücksichtigt.

Mit dieser Position – das haben die Erörterungen in den
Fachausschüssen gezeigt – können sich auch die FDP und
– das betone ich – die Grünen anfreunden. Darum wie-
derhole ich, meine Damen und Herren: Es gibt in diesem
Haus eine politische Mehrheit für Wettbewerb. Deshalb
ist es unverantwortlich, dass die Grünen heute aufgrund
des Koalitionszwanges mit der SPD gegen mehr Wettbe-
werb in der Energiewirtschaft in Deutschland stimmen.

Aber, meine Damen und Herren, es gibt auch einige
weitere Kritikpunkte. Ich will sie nur kurz skizzieren. Es
geht um die Verweigerung einer Beweislastumkehr zu-
gunsten von Unternehmen, die den Netzzugang begehren.
Außerdem geht es um die fehlende Transparenz der Re-
gelungen im Gesetz.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1502607600
Richtig ist,
dass das vorläufige Eingreifen des Kartellamtes ein Fort-
schritt ist. Aber Sie haben den Gesetzentwurf nicht weiter-
gedacht. Sie haben nicht daran gedacht, dass das geltende
Recht zum Tragen kommt, wenn möglicherweise nach drei
oder vier Jahren durch ein deutsches Gericht festgestellt
wird, dass diese vorläufige Regelung falsch war, und dass
insoweit beachtliche Schadenersatzansprüche drohen. Wer
soll denn für diese Schadenersatzansprüche das Geld
zurückstellen? Da geht es ja nicht um Peanuts, sondern um
Hunderte Millionen Euro. Das hat niemand bedacht. Diese
Fragen müssen unbedingt geklärt werden.

Deswegen steht bei kritischer Betrachtung des Gesetz-
entwurfes fest, dass dieser Entwurf für den Standort
Deutschland die unabdingbar notwendige preisgünstige
und umweltverträgliche Versorgung mit Elektrizität und
Gas nicht garantiert und den Weg der eingeschlagenen Li-
beralisierung des Energiemarktes verlässt.

Die Union dagegen tritt für mehr Wettbewerb ein. Eine
Rückkehr zu Monopolstrukturen ist mit uns nicht zu ma-
chen. Sie nützen niemandem, am wenigsten der Industrie
und dem privaten Verbraucher. Darum sage ich noch ein-
mal: Die Politik von Rot-Grün wird weiter steigende
Energiepreise nach sich ziehen und damit den Wirt-
schaftsstandort Deutschland schwächen. Diese Politik
machen wir nicht mit.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502607700

Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-

tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen ein-


(A)



(B)



(C)



(D)


2052


(A)



(B)



(C)



(D)






gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ge-
setzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts,
Drucksache 15/197. Der Ausschuss für Wirtschaft und Ar-
beit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 15/432, den Gesetzentwurf anzunehmen. Wer stimmt
dem Gesetzentwurf zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Be-
ratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit in dritter Lesung mit dem gleichen Quorum ange-
nommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Dirk Niebel, Birgit Homburger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Abbau von Bürokratie sofort einleiten
– Drucksache 15/65 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin spricht
für den Antragsteller, die FDP-Fraktion, die Kollegin
Birgit Homburger.


(Horst Kubatschka [SPD]: Frau Homburger, atmen Sie noch mal durch!)



Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1502607800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr

Kollege Kubatschka, ich freue mich immer, wenn Sie sich
solche Sorgen um mich machen. Ich kann Ihnen aber ver-
sichern: Das ist vollkommen überflüssig.

Kommen wir nun zu unserem Antrag zum Bürokra-
tieabbau. Der Abbau von Bürokratie ist eine der zentralen
Aufgaben der Politik. Längst ist Bürokratie zu einer mas-
siven Belastung in allen Lebensbereichen geworden. Des-
wegen kämpft die FDP für den Abbau von unsinnigen und
überflüssigen Vorschriften und für mehr Freiheit für die
Bürgerinnen und Bürger.


(Beifall bei der FDP)

Das hat – das muss ich Ihnen sagen – Ihr Wirtschafts-

minister, Herr Clement, längst begriffen; jedenfalls er-
weckt er nach draußen diesen Eindruck. Ihr Bundeskanzler,
Herr Schröder, hat sogar in seiner Regierungserklärung da-
von gesprochen, dass der Abbau unnötiger Bürokratie eine
Säule seiner Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik sei. Und

was macht die SPD-Bundestagsfraktion? Sie betätigt
sich in dieser Frage als Chefbremser, was das Beispiel
Kündigungsschutz in der letzten Woche wieder bewiesen
hat.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Doris Barnett [SPD]: Wenn Sie sonst nichts auf der Pfanne haben!)


Wir reden nicht über Bürokratieabbau, sondern wir
handeln. Wir haben bereits im November letzten Jahres,
also in dieser Legislaturperiode, einen ersten Antrag ein-
gebracht.


(Doris Barnett [SPD]: Was haben Sie gemacht, als Sie an der Regierung waren?)


Ich möchte Ihnen deutlich machen, dass Sie darüber
nachdenken sollten, ob jetzt nicht auch Sie langsam ein-
mal handeln wollen.


(Beifall bei der FDP)

70 000 Gesetze, Verordnungen und Rechtsvorschriften

haben wir in diesem Land zu beachten. Jährlich werden es
mehr. Dadurch fallen allein für die Wirtschaft rund
30 Milliarden Euro Kosten an. Wenn man sich die Kos-
tenbelastung anschaut, dann stellt man fest, dass ein Ar-
beitsplatz in der Großindustrie mit rund 150 Euro pro
Jahr belastet wird, während in einem kleinen oder mittel-
ständischen Betrieb eine Belastung von rund 3 500 Euro
pro Arbeitsplatz und Jahr entsteht. Das ist ein Ausmaß,
das längst einer Existenzbedrohung der kleinen und mitt-
leren Betriebe gleichkommt. Dieser Unsinn muss jetzt
endlich aufhören!


(Beifall bei der FDP – Zuruf der Abg. Doris Barnett [SPD])


– Wir sagen nicht, dass das alles in den letzten vier Jahren
passiert ist.

Aber ich danke Ihnen für diesen Einwurf: Sie haben
schon in der letzten Legislaturperiode, also vor vier Jah-
ren, in Ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben, die Büro-
kratie und Vorschriften abbauen zu wollen. Sie wollten
deregulieren. Das war ein Hauptpunkt.


(Doris Barnett [SPD]: Haben wir ja auch gemacht!)


– Ja, das haben Sie wunderbar gemacht. Sie haben in ei-
ner Antwort auf eine Anfrage mitgeteilt, dass Sie ein paar
Vorschriften abgeschafft hätten. Aber eine ganze Reihe
neuer haben Sie beschlossen, sodass in der letzten Legis-
laturperiode unter Ihrer Führung im Saldo bzw. netto, also
das abgezogen, was Sie abgeschafft haben, 300 neue Ge-
setze und über 1 000 neue Verordnungen beschlossen
worden sind. Das ist das Ergebnis Ihrer Art von Bürokra-
tieabbau: mehr Bürokratie, mehr Regulierung. Aus unse-
rer Sicht ist das der falsche Weg.


(Beifall bei der FDP)

Deswegen fordern wir in unserem Antrag ein Bürokra-

tieabbaugesetz. Ein solches kann – wenn Sie wollen –
noch vor der Sommerpause 2003 im Deutschen Bundes-
tag beschlossen werden. Wir haben in unserem Antrag
27 konkrete Vorschläge für Bürokratieabbau gemacht,

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms




Birgit Homburger
zum Beispiel im Bereich der Statistiken, im Bereich des
Sozialversicherungsrechts, im Bereich des Steuerrechts,
im Bereich des Betriebsverfassungsgesetzes


(Horst Kubatschka [SPD]: Das kann ich mir gut vorstellen!)


oder im Bereich des Kündigungsschutzgesetzes.
Ihre Minister sprechen doch zwischenzeitlich selbst

von Bürokratieabbau, nur umgesetzt wird nichts. Herr
Eichel beispielsweise hat gerade vorgestern angekündigt,
er wolle Überregulierungen im Steuerrecht beseitigen und
in dessen Zuge die Lohnsteuerkarte abschaffen. Da muss
man Sie doch fragen: Warum, um Himmels willen, haben
Sie dann den Anträgen der FDP-Bundestagsfraktion zur
Vereinfachung des Steuerrechts in diesem Hause nicht zu-
gestimmt?


(Beifall bei der FDP – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Weil das falsch war!)


Oder nehmen wir das Beispiel der Umsatzsteuervor-
anmeldungen:Wir fordern, dass diese Meldungen künf-
tig nur noch vierteljährlich abgegeben werden müssen. So
könnten im Jahr 12 Millionen Formulare eingespart wer-
den. Das entspricht einer geschätzten Entlastung von min-
destens 0,5Milliarden Euro, im Übrigen für Unternehmen
und Finanzverwaltungen. Anders ausgedrückt: Das er-
sparte 36 Millionen Blatt Papier – 12 Millionen Formu-
lare à drei Blatt –, gestapelt ein Berg von etwa 4 000 Me-
ter Höhe; das liegt irgendwo zwischen Großglockner und
Matterhorn. Warum stimmen Sie dem nicht zu? Warum
wehren Sie sich dagegen, dass diese Meldungen künftig
statt monatlich nur noch vierteljährlich abgegeben wer-
den müssen?


(Beifall bei der FDP – Doris Barnett [SPD]: Damit wir noch mehr Steuern verlieren?)


– Entschuldigung, Frau Kollegin, aber dieser Zwi-
schenruf ist Unsinn. Durch diese Maßnahme würde man
doch keine Steuern verlieren. Wir wollen lediglich die
Umsatzsteuervoranmeldungen derart vereinfachen, dass
statt monatlich nur noch vierteljährlich ein Formular ab-
gegeben werden muss. Dadurch verliert man doch keine
Steuern. Reden Sie doch nicht so ein Zeug daher!


(Beifall bei der FDP – Doris Barnett [SPD]: Warten Sie doch mal ab! Wir sind ja erst seit ein paar Monaten an der Regierung!)


Minister Clement ist geradezu das Kontrastprogramm
zu dem, was Sie machen: Er kündigt einen Masterplan
Bürokratieabbau an und will diesen hier im Bundestag
vorlegen. Ich habe den Eindruck, da verhält es sich ein
bisschen wie mit dem Ungeheuer von Loch Ness: Alle re-
den von Nessi; aber keiner hat sie je gesehen. So ist das
auch mit dem Masterplan.


(Beifall bei der FDP)

Wir wollen ernst machen mit dem Bürokratieabbau.

Hören Sie endlich auf mit Ihrer Bürokratieabbaurhetorik!
Das ist unanständig angesichts der wirtschaftlichen Lage,
in der wir uns befinden. Wir werden Sie in jedem einzel-
nen Punkt mit einem Lösungsvorschlag konfrontieren. Im
Januar haben wir damit angefangen, in jeder Sitzungswo-
che des Deutschen Bundestages hierzu Vorschläge einzu-

reichen. Wir geben Ihnen damit die Gelegenheit, zu be-
weisen, dass es Ihnen mit dem Bürokratieabbau ernst ist.


(Doris Barnett [SPD]: Haben Sie sich einmal die Hartz-Gesetze angeschaut?)


Oder um es anders auszudrücken – das ist mein letzter
Satz Herr Präsident –: Die FDP eröffnet Ihnen, meine sehr
verehrten Kolleginnen und Kollegen, eine riesige Chance.


(Lachen bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unter Selbstüberschätzung leiden Sie wohl nicht, oder?)


Wenn Sie schon selber nichts zuwege bringen, können Sie
unserem Antrag zustimmen und damit das wahr machen,
was Sie sonst nur ankündigen. Das ist unser Angebot an
Sie. Stimmen Sie dem FDP-Antrag zu!

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502607900

Das Wort hat jetzt der Kollege Walter Hoffmann von

der SPD-Fraktion.


Walter Hoffmann (SPD):
Rede ID: ID1502608000

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Homburger,
ein bisschen mehr Nachdenklichkeit hätte Ihrem forschen
Auftreten gut getan, gerade angesichts dieses wichtigen
Themas.

Es ist wohl völlig unstrittig, dass ein Großteil – ich will
das jetzt nicht mit Prozentwerten totschlagen – der büro-
kratischen Regelungen, mit denen wir uns alle herumzu-
schlagen haben, auf europarechtliche Regelungen zurück-
geht. Jeder Kollege, der im Ausschuss für Wirtschaft und
Arbeit oder im Auswärtigen Ausschuss tätig ist, weiß, dass
die Hälfte der Tagesordnungspunkte – das habe ich im
wahrsten Sinne des Wortes noch geschönt – europarechtli-
che Regelungen behandelt. – Das ist mein erster Punkt.

Zweiter Punkt: Ich will versuchen, es mit einer Zahl zu
verdeutlichen; es ist eine rein mathematische Angelegen-
heit. Sie waren 16 Jahre lang – ob ich es gut finde oder
nicht, spielt keine Rolle – für die Gesetzgebung verant-
wortlich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben 16 Jahre lang eine Unmenge an Vorschriften auf
Bundes- und Länderebene produziert.


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Jetzt hören Sie mit den 16 Jahren auf!)


– Ich muss das jetzt anführen. Ich neige nicht zum Rück-
blick, denn wir müssen unumstritten nach vorn schauen.


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Das ist das Entscheidende!)


Aber man kann nicht so tun, als sei die Bürokratie in den
letzten vier Jahren entstanden. Das ist in der Tat nicht der
Fall.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



(A)



(B)



(C)



(D)


2054


(A)



(B)



(C)



(D)






Lassen Sie mich jetzt zum Thema zurückkommen. Die
Zielsetzung ist klar: Wir wollen Bürokratie abbauen. Das
wollen wir nicht nur ankündigen, sondern ernsthaft um-
setzen.


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Wann denn?)


Es ist ja nicht so, als ob nichts geschehen wäre. Hier müs-
sen wir die Tassen im Schrank lassen.

Ich möchte Ihnen den Fall eines Rechtsanwaltes schil-
dern, der mich schriftlich aufgefordert hat, mit dafür zu
sorgen, die Formulare der Krankenkassen zu verein-
heitlichen und eine einzige Anlaufstelle im Internet zu
schaffen. Ich musste ihm mitteilen, dass dies bereits seit
November 2001 geltende Rechtslage ist. Ich musste ihm
weiterhin mitteilen, dass die Personalabrechnungsformu-
lare der Krankenkassen nicht nur vereinheitlicht wurden,
sondern dass die Informationstechnische Servicestelle der
GKV ihre Dienste im Internet sogar kostenlos anbietet.

Ein dritter Punkt, bei dem ich mich relativ gut aus-
kenne, sind die Unfallverhütungsvorschriften. Da gab es
ein völlig unübersichtliches Regelwerk. Wir sind stolz da-
rauf, dass seit Oktober vergangenen Jahres die Flut der
Unfallverhütungsvorschriften für die Hersteller und Be-
treiber technischer Geräte zusammengefasst, vereinheit-
licht und vereinfacht worden ist. Das ist eine gute Sache.


(Beifall bei der SPD)

Der vierte Punkt: Die Menschen quälen sich durch ihre

Steuererklärungen; sie sind absolut undurchschaubar,
schwierig und zeitaufwendig. Der einzige Berufsstand, der
davon profitiert, ist der der Steuerberater. Deswegen finde
ich es gut, dass die Bundestagsfraktion eine Initiative
gestartet hat – Sie haben davon sicher in der Zeitung gele-
sen –, um die Lohnsteuerkarte ab 2005 abzuschaffen, die
Steuererklärung soweitwiemöglich zuvereinfachenunddie
Vordrucke bundesweit zu vereinheitlichen. Dabeiwill ich es
belassen, auchwenn es noch eineFülleweiter gehender For-
derungen gibt. Auch das ist ein guter Ansatz. Ich hoffe, wir
haben alle zusammen die Kraft, das durchzustehen.


(Beifall bei der SPD – Peter Dreßen [SPD]: Der Bundesrat muss mitmachen!)


Frau Homburger, Sie müssen noch ein paar Tage war-
ten, dann wird das positive Ungeheuer herauskrabbeln und
den Masterplan vorlegen. Sie werden an jedem einzelnen
Punkt gefordert sein. Dann müssen Sie sich auch bekennen
und Position beziehen; denn dann ist die Zeit der Sprüche-
klopferei im wahrsten Sinne des Wortes vorbei.


(Beifall bei der SPD – Eckart von Klaeden [CDU/ CSU]: Wir zittern schon im Voraus!)


Wir sollten aufhören, das als einmalige Sache oder als
Beschränkung auf eine Legislaturperiode zu betrachten.
Das ist unsinnig. Wir sind uns doch darüber einig, dass
Bürokratieabbau ein Prozess sein muss, der sich über
viele Jahre hinweg vollzieht. Bei alldem, was wir be-
schließen, sollten wir daran denken, welche Schwierig-
keiten und bürokratischen Regelungen das möglicher-
weise mit sich bringen wird.

Auch in Ihrem Antrag gibt es Maßnahmen, die unstrit-
tig, ja sogar sinnvoll sind. Das ist überhaupt kein Thema.

Wir werden sie im Rahmen des Masterplans sicherlich auch
umsetzen. Es gibt aber auch Konfliktpunke, bei denen ich
sicher bin, dass wir zu keiner Einigung kommen werden.

Eines sage ich ganz deutlich: Mit demjenigen, der un-
ter dem Etikett des Bürokratieabbaus Positionen durch-
setzen will, die er bisher im Parlament nicht durchsetzen
konnte, werden wir nicht übereinstimmen. Dabei werden
wir nicht mitmachen.

Ich will ein Beispiel aus Ihrem Antrag nennen. Sie ver-
langen, dass die Pflicht des Arbeitgebers, über beschäfti-
gungspolitische Vorschläge des Betriebsrates zu beraten,
abgeschafft wird. Frau Homburger, das hat nichts mit
Bürokratie zu tun, sondern schlicht und ergreifend mit
dem Abbau von Arbeitnehmerschutzrechten, mit Mit-
bestimmung und innerbetrieblicher Demokratie. Um nichts
anderes geht es Ihnen bei diesem Punkt.

Dazu sage ich Ihnen ganz deutlich: Dieser Vorschlag
ist unsinnig und kontraprodutiv. Jeder, der betriebliche
Realitäten kennt, weiß, dass es Betriebsräte mit ihrem
Know-how, ihrem Ideenreichtum und ihrer Fantasie häu-
fig geschafft haben – in Kooperation, oft aber auch gegen
Arbeitgeber –, ihre Betriebe, die in massiven Schwierig-
keiten steckten, zu retten. Ich habe in meinem beruflichen
Leben viele solcher positiven Erfahrungen gemacht.

Diese Forderung ist also unsinnig und hat auch nichts
mit Bürokratieabbau zu tun.


(Beifall bei der SPD)

Es handelt sich hierbei schlicht und ergreifend um eine
Forderung nach dem Abbau von Arbeitnehmerrechten.
Dabei werden wir nicht mitmachen. Das sage ich klar und
deutlich.

Frau Homburger, ich bin sehr gespannt – ich sage dies
nicht arrogant –, wie Sie reagieren werden, wenn es bei
der Forderung nach Bürokratieabbau an die Besitzstände
Ihrer Klientel gehen wird. Und das wird kommen.


(Birgit Homburger [FDP]: Wir haben keine Klientel! – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Machen Sie doch mal einen Vorschlag!)


– Das haben wir doch. Ich habe meine Zweifel, ob Sie
auch dann noch weiter mitmachen werden, wenn es an die
Standesprivilegien Ihrer Klientel geht.

Ich bin auch für eine ehrliche Diskussion mit den Ver-
bänden; Herr Staffelt wird dies nachher sicherlich noch
ausführlich schildern. Alle Verbände sind aufgefordert
worden, ihre Vorschläge – bis zum November des letzten
Jahres – zu präsentieren. Ich habe nun meine Zweifel, ob
diese Vorschläge mit den betrieblichen Realitäten in Ein-
klang zu bringen sind. Ich habe dies bewusst als Zweifel
formuliert.

Ich bin auch der Auffassung, dass die Wirtschaftsver-
bände erst einmal ihre eigenen Hausaufgaben zu machen
haben. Es ist bekannt, dass sie einerseits für ihre unmit-
telbare Arbeit eine Unmenge an Statistiken benötigen und
sich daher mit Händen und Füßen gegen die Abschaffung
wehren, dass sie dies aber andererseits in ihren Forde-
rungskatalog hineinschreiben. Diese Doppelzüngigkeit
wird bei dieser Diskussion nicht aufrechtzuerhalten sein.

Walter Hoffmann (Darmstadt)





Walter Hoffmann (Darmstadt)


Lassen Sie mich noch etwas zu den Ländern sagen, in
denen Sie von der CDU/CSU Regierungsverantwortung
tragen. Ich habe einen relativ guten Überblick darüber,
was dort im Bereich des Bürokratieabbaus geschieht. Ich
habe mich häufig gefragt, weshalb es immer noch so ist,
dass ein in Mainz zugelassener Architekt keine Aufträge
in Wiesbaden, also auf der anderen Seite des Rheins, aus-
führen kann.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das liegt an Herrn Beck!)


Ich habe mich auch häufig gefragt, warum es immer
noch so ist, dass ein in Hessen vereidigter Vermessungs-
ingenieur in Rheinland-Pfalz nicht tätig sein darf. Das
kann doch nicht sein. Ich habe es nicht geglaubt, als man
mir dies erzählt hat. Dort, wo Sie in den Landesregierun-
gen Verantwortung tragen, sind Sie aufgefordert, hier Ab-
hilfe zu schaffen.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502608100

Herr Kollege Hoffmann, erlauben Sie eine Zwi-

schenfrage der Kollegin Homburger?


Walter Hoffmann (SPD):
Rede ID: ID1502608200

Natürlich.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502608300

Bitte.


Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1502608400

Herr Kollege Hoffmann, ich möchte Sie nur fragen, ob

Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass es auch auf
Landesebene sicherlich immer noch Möglichkeiten für ei-
nen Bürokratieabbau bzw. den Abbau überflüssiger Vor-
schriften gibt. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
dass in Hessen unter liberaler Regierungsbeteiligung in
den letzten Jahren 39 Prozent der Verwaltungsvorschriften
und 15 Prozent der Rechtsverordnungen zurückgenom-
men worden sind? Insgesamt waren dies circa 5 000 Vor-
schriften.

Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass bei-
spielsweise in Baden-Württemberg im Jahre 2000
26 Prozent und im Jahre 2001 weitere 11 Prozent der
Verwaltungsvorschriften zurückgenommen worden sind?
Die Zahlen für das Jahr 2002 habe ich noch nicht vorlie-
gen; aber diese Entwicklung ging weiter.

Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass in den
Ländern, in denen die FDP Regierungsverantwortung
trägt, der Bürokratieabbau auch tatsächlich erfolgt?


Walter Hoffmann (SPD):
Rede ID: ID1502608500

Frau Homburger, ich nehme diese Zahlen in der Tat zur

Kenntnis.

(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das ist aber nett!)


Ich sage Ihnen dazu aufgrund interner Informationen: Die
Zahlen sagen relativ wenig aus. Die Hessische Landes-
regierung hat unter Führung der FDP


(Birgit Homburger [FDP]: Das ist gut! – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das hat es noch nie gegeben!)


im Baurecht eine ganze Reihe von Änderungen vorge-
nommen. Schauen Sie sich diese Änderungen einmal an.
Dann werden Sie feststellen, dass alle Verbände, die von
der Sache wirklich etwas verstehen, gegen diese Ände-
rungen sind. Ich behaupte auch, dass ein Großteil dieser
Änderungen absolut kontraproduktiv ist.

Wenn ich noch Zeit hätte – ich habe leider nur noch we-
nige Sekunden –, würde ich Ihnen anhand mehrerer Bei-
spiele verdeutlichen,


(Horst Kubatschka [SPD]: Das kannst du jetzt machen!)


wie sich ein positiver Ansatz bei der Umsetzung in das
Gegenteil verkehren kann. Dies gilt gerade für das Bau-
recht.Wir werden eine Unmenge von Klagen bekommen,
weil die Vorschläge nicht durchdacht, nicht abgestimmt
und wirklichkeitsfremd sind. Die Regierung aber kann
aufzeigen, sie habe das und das gemacht. Ich sage Ihnen
dies nicht arrogant oder überheblich, sondern nur, um auf-
zuzeigen, dass hier der Teufel im Detail steckt.


(Lachen bei der SPD)

Wenn der Masterplan in wenigen Tagen hier auf den

Tisch kommt, werden wir sehen, ob Sie bereit sind, sich
Ihrer Verantwortung konkret zu stellen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zum Abschluss fordere ich Sie noch einmal auf. Ma-
chen Sie konkrete Vorschläge, über die wir diskutieren
können und die uns weiterbringen! Verschonen Sie uns
aber bitte mit Ihren Versuchen, durch die Hintertür Mitbe-
stimmungsrechte und andere Schutzrechte auszuhebeln!
Dazu ist uns das Ziel des Bürokratieabbaus zu wichtig.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502608600

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Michael Fuchs von

der CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1502608700

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Lieber Kollege Hoffmann, vielen Dank für diese markigen
Worte. Einem Kreisvorsitzenden a. D. des DGB hört man
bei einem solchen Thema besonders gerne zu. Sie sprachen
davon, dass der Teufel im Detail stecke. Der Teufel steckt
nicht im Detail, sondern in Ihrer Fraktion, die nicht fähig ist,
diese Dinge umzusetzen. Das ist das Problem.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Walter Hoffmann [Darmstadt] [SPD]: Warten Sie doch mal zwei Wochen!)



(A)



(B)



(C)



(D)


2056


(A)



(B)



(C)



(D)






Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Wir diskutieren seit
Jahren über den unsäglichen Ladenschluss. Wir hatten
die Hoffnung, dass Sie in diesem Bereich endlich etwas
tun würden; der Bundeskanzler und der Bundeswirt-
schaftsminister haben das ja mit großen Worten angekün-
digt. Wie wir von Ihren Kollegen aber hören mussten, ha-
ben Sie, wenn es darum geht, die Öffnungszeiten um
gerade einmal vier Stunden zu verlängern, eine Mehrheit
von nur 60 Prozent in Ihrer Fraktion. 40 Prozent stellen
sich noch immer dagegen. Es ist doch ein Drama, wenn
man bei solchen Lächerlichkeiten nicht weiterkommt.


(Beifall der Abg. Birgit Homburger [FDP])

Wir haben eine wahrhaft gewaltige Regulierungswut in

diesem Staat. Es wurden Anmeldungs-, Aufzeichnungs-,
Berechnungs-, Erklärungs-, Ermittlungs-, Nachweis- und
Abführungspflichten geschaffen. Es gibt 2 200 Gesetze mit
47000 Einzelvorschriften und 3 000 Rechtsverordnungen
mit 40000 Einzelvorschriften. Ich finde, da ist genug Platz.

Gerhard Schröder hat in seiner ersten Regierungser-
klärung gesagt – ich zitiere –:

Wir werden die Verwaltung schlanker und effizienter
machen, wir werden hemmende Bürokratie rasch be-
seitigen.

Was haben Sie an hemmender Bürokratie in der letzten
Legislaturperiode denn beseitigt?


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Produziert habt ihr! – Ludwig Stiegler [SPD]: Lesen Sie einmal nach, was Herr Schily dazu aufgeschrieben hat!)


Was haben Sie geschafft? – Im OECD-Bürokratie-
vergleich ist zu lesen, dass Deutschland unter den euro-
päischen Ländern Platz 16 einnimmt.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Sie haben eine Leseschwäche!)


Ich weiß, dass Sie es schaffen, dass wir auf Plätze, die
noch weiter hinten liegen, kommen. Darin sind Sie gut.
Bei E-Government zum Beispiel liegen wir europaweit
auf dem drittletzten Platz.


(Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär: Das stimmt doch gar nicht! Das ist völlig falsch!)


Beim Wirtschaftswachstum haben Sie es nun geschafft,
dass wir Schlusslicht sind. Da haben Sie für dieses Land
die rote Laterne geholt. Das hat es in Deutschland noch
nie gegeben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der FDP-Antrag hat Recht und enthält Punkte, die be-

weisen, dass Sie Mut haben. Diese haben Sie vorgetragen,
Frau Homburger. Allerdings fehlt mir der Glaube, dass die
Fraktionen von Rot-Grün irgendetwas davon umsetzen
werden. Ich glaube nicht, dass dieser dringend benötigte
Befreiungsschlag kommen wird. Ich erwarte, dass Ihren
Worten endlich Taten folgen.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das wäre aber schön!)


Diese großartig angekündigten Reformen müssen mehr
werden als nur Luftblasen.

Wir hören von dem Masterplan; alle Tage wird mit
großen Worten ein Splitter aus ihm verkündet. Aber all die
Ankündigungen – der Ankündigungsminister ist heute
leider nicht hier – zerplatzen wie Seifenblasen. Wird der
Masterplan insgesamt etwa ebenfalls großartig angekün-
digt und dann von den Gewerkschaften ideologiegerecht
weichgespült? Kommt auch er auf das Abstellgleis wie
der Ladenschluss? 40Prozent Ihrer Fraktion wollen nichts
ändern. Das kann ich nicht mehr nachvollziehen. Das tut
mir wirklich Leid, Frau Barnett; denn hier müssten wir
endlich zu einem Anschluss an die europäischen Verhält-
nisse kommen.

Herr Staatssekretär Staffelt, ist es für den Bundeswirt-
schaftsminister eigentlich befriedigend, dass dann, wenn
er die Gedanken, die er sich immer wieder macht – diese
sind manchmal gar nicht so falsch –, veröffentlicht, die
Herren Bsirske und Zwickel umgehend das Kanzleramt
stürmen und ein führungsstarker Kanzler sofort eine
Rückrufaktion startet? So kann es nicht gehen. Ich sehe
aber leider nicht, dass sich das ändern wird.

Der Bundeswirtschaftsminister strampelt sich ab – das
geben wir durchaus anerkennend zu –, bekommt in der
Fraktion aber nichts Vernünftiges durch. Wir haben ein
Arbeitspapier der Projektgruppe „Masterplan Büro-
kratieabbau“ des BMWAerhalten. Dieses enthält 33 zum
Teil weit reichende Vorschläge. Vielleicht ist diesmal so-
gar der große Wurf darunter. Sie gehen so weit, dass die
Zwangsmitgliedschaft in der IHK abgeschafft werden soll
und dass der Meisterbrief im Handwerk zur Disposition
gestellt werden soll. Auch die Arbeitsstättenverordnung
wollen Sie verändern. Die Pflichten zur Führung von Sta-
tistiken sollen geändert werden.


(Doris Barnett [SPD]: Das stimmt nicht! – Ludwig Stiegler [SPD]: Das ist eine Zusammenschreibung der Verbandseingaben und kein Ministeriumspapier!)


– Herr Kollege Stiegler, ich kann Ihnen das Papier gerne
geben. Es stammt aus dem BMWA. Ich gebe es Ihnen so-
gar mit dem Rubrum des BMWA.


(Birgit Homburger [FDP]: Das Konfliktpotenzial ist sehr hoch! – Ludwig Stiegler [SPD]: Sie fälschen!)


– Herr Stiegler, ich fälsche nicht! Ich bin nur sehr ge-
spannt, wie Sie darauf reagieren und was daraus wird.
Oder sind das nur die üblichen Ankündigungen, die wir
von Ihnen gewöhnt sind?


(Ludwig Stiegler [SPD]: Das ist eine Kombination von Verbandsbeiträgen!)


Die Regierung hat in der letzten Wahlperiode 391 Gesetze
und sage und schreibe 973 Rechtsverordnungen erlassen.
Das war Ihr Programm zum Bürokratieabbau. Ich habe
nicht das Gefühl, als hätten Sie bis jetzt irgendetwas da-
zugelernt.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Dazu brauchen wir Sie!)


So wird es jedenfalls nicht weitergehen können.
Es gibt eine sieben Jahre alte Untersuchung des Instituts

für Mittelstandsforschung in Bonn, in der nachgewiesen

Dr. Michael Fuchs




Dr. Michael Fuchs
wurde, dass wir zu viel Bürokratie haben. Warum haben
Sie eigentlich nicht eine neue Untersuchung in Auftrag ge-
geben? Der Bundeswirtschaftsminister verfügt in seinem
Etat für Öffentlichkeitsarbeit über 13 Millionen Euro. Ich
meine, damit könnte er etwas Sinnvolles anfangen und
eine solche Untersuchung in Auftrag geben. Ich schlage
Ihnen das vor.


(Beifall bei der FDP)

Wenn es Ihnen damit wirklich Ernst ist, dann tun Sie doch
etwas!


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aber nicht mit diesem unwissenschaftlichen Institut!)


Frau Homburger hat vollkommen Recht: Jeder Ar-
beitsplatz im Mittelstand ist mit 3 500 Euro Bürokratie-
kosten belastet. Das muss doch Grund genug sein, so
schnell wie möglich etwas zu ändern.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)


Herr Hoffmann, es geht nicht darum, nur ein bisschen
an den Statistiken herumzuschnipseln. Nein, wir müssen
schon an das Eingemachte gehen; es müssen Dinge in An-
griff genommen werden, die für die Bürgerinnen und Bür-
ger und die Unternehmen spürbar sind.


(Zuruf des Abg. Walter Hoffmann [Darmstadt] [SPD])


Ein Mitarbeiter benötigt durchschnittlich 62 Stunden für
die bürokratische Pflicht.


(Walter Hoffmann [Darmstadt] [SPD]: Das wissen wir!)


– Wenn Sie es wissen, ist es ja gut. Aber dann tun Sie doch
etwas! Fangen Sie endlich einmal an


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

und warten Sie nicht immer nur ab, bis Ihnen irgendwel-
che Vorschläge gemacht werden.

Wir müssen auch in den Gesetzen die Folgekosten-
abschätzung etwas anders definieren.


(Doris Barnett [SPD]: Haben wir ja gemacht!)

Auch in dieser Hinsicht erwarte ich etwas Initiative von
Ihnen. Aber Initiativen von Ihnen finden wir allenfalls in
Zeitungen und nicht hier im Parlament, wo sie hin-
gehören. Das wäre mir wesentlich lieber.


(Beifall der Abg. Birgit Homburger [FDP])

Ich will mich jetzt gar nicht mit den einzelnen Para-

graphen beschäftigen; dazu bräuchte ich drei Stunden Re-
dezeit, die ich leider nicht habe. Wir haben es mit einem
Flächenbrand zu tun, den Ihre Bürokratie verursacht hat.
Sie können sich nicht mehr damit herausreden, Herr
Hoffmann – es tut mir Leid –, dass Bundeskanzler Kohl
16 Jahre lang regiert hat. Das waren 16 gute Jahre für
Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Aber was wir jetzt erlebt haben, sind fünf schlechte Jahre
für Deutschland gewesen.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Sieben magere Jahre! Die Heuschreckenplage fehlt nur noch!)


Es hat noch nie in Deutschland eine Situation gegeben,
in der die Wirtschaft so sehr am Boden lag wie jetzt. Ich
bin Unternehmer. Ich habe im Zeitraum von Januar bis
heute bereits 25 Unternehmerkunden verloren; sie sind
Pleite gegangen. Das sind die Folgen Ihrer Politik. Was
anderes sollte es denn sonst sein?


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unsinn! Das kann doch gar nicht wahr sein! Wir leben hier doch nicht im Staatskommunismus! – Gegenruf des Abg. Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Wenn Sie so weitermachen, Herr Schmidt, dann sind wir bald da!)


– Ich denke nicht, dass das etwas mit Staatskommunismus
zu tun hat. Aber Sie haben so viele Gesetze gemacht, die
die Unternehmen immer weiter belastet und die dazu ge-
führt haben, dass heute keiner mehr richtig durchatmen
kann. Das sind die Folgen Ihrer Politik.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Durch Wiederholen wird das nicht besser!)


Alle sieben Minuten geht in Deutschland ein Unter-
nehmen Pleite. Das finde ich nicht zum Lachen, Frau
Barnett. Da gehen Arbeitsplätze verloren; das sollte Ihnen
genauso weh tun, wie es uns weh tut.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502608800

Herr Kollege Fuchs, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Bürsch?


Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1502608900

Gerne.


Dr. Michael Bürsch (SPD):
Rede ID: ID1502609000

Herr Kollege, ist Ihnen bewusst oder bekannt, dass in den

90er-Jahren die Sachverständigenkommission „Schlanker
Staat“ unter der Leitung Ihres früheren Kollegen Rupert
Scholz einen umfänglichen Bericht geschrieben hat, der
viele Forderungen zum Bürokratieabbau enthielt? Damals
lag die Zahl der Gesetze, die in einer Legislaturperiode
verabschiedet wurden, zwischen 500 und 600; es waren
fast doppelt so viel wie jetzt. Ist Ihnen ferner bekannt, dass
aus diesen Forderungen von Professor Rupert Scholz und
der Sachverständigenkommission nichts hervorgegangen
ist, was einen Abbau von Bürokratie und Vorschriften be-
wirkt hat?


(Birgit Homburger [FDP]: Das stimmt nicht!)

Ist Ihnen schließlich bekannt, dass Herr Scholz damals

schon darauf hingewiesen hat, dass wir bei der Forderung
nach Bürokratieabbau immer darauf achten müssen, dass
die Gesetze den Rechtsstaat sichern? Wenn Sie Unterneh-
mer fragen, ob sie diese Gesetze brauchen, dann werden


(A)



(B)



(C)



(D)


2058


(A)



(B)



(C)



(D)






sie Ihnen antworten: Natürlich brauchen wir Richtlinien,
die unser Handeln mit einem Maßstab versehen.

Die Forderung nach Bürokratieabbau gibt es, solange
es Gesetze gibt.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Also sind Sie dagegen?)


Insofern stellen Sie jetzt eine etwas populistische Forde-
rung auf.

Ich möchte Sie fragen: Kennen Sie die Forderungen
der Sachverständigenkommission „Schlanker Staat“?


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das steht in Ihrer Regierungserklärung!)


Wenn ja: Können Sie mir sagen, was davon umgesetzt
worden ist? Wenn man nämlich den Vergleich zu den Jah-
ren 1990 bis 1998 zieht, bekommt man einen etwas reale-
ren Hintergrund, was Ihre Forderungen angeht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1502609100

Herr Kollege, ich darf Ihnen berichten, dass Professor

Scholz eine sehr gute Arbeit geleistet hat. Diese führen
wir heute immer noch weiter.


(Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär: Warum geht das nicht schneller?)


Leider sind wir seit 1998 nicht mehr an der Regierung,
sonst hätten wir die Forderungen von Herrn Scholz um-
gesetzt.


(Klaus Brandner [SPD]: Jetzt machen Sie noch eine inhaltliche Aussage! Sie lassen nur Sprechblasen ab! Kein einziges Beispiel! – Herr Brandner, wenn Sie es so gut finden, sollten Sie den Bericht vielleicht lesen und nicht darüber polemisieren. (Klaus Brandner [SPD]: Sie haben kein einziges Beispiel genannt!)


Ich empfehle Ihnen diesen Bericht zur Lektüre; denn er
stellt den Handlungsrahmen dar, den Sie brauchen, um
jetzt Bürokratie abzubauen.


(Beifall des Abg. Eckart von Klaeden [CDU/CSU])


Eine Menge davon ist umgesetzt worden. Unsere Frak-
tion wird Forderungen aus dem Scholz-Papier einbringen.
Machen Sie sich keine Sorgen: Wir werden Sie beim
Thema Bürokratie treiben. Ich bin der Meinung, dass wir
über einen solchen Befreiungsschlag sprechen müssen.
Anders werden wir mit dem Moloch Bürokratie nicht fer-
tig werden.

Meine Damen und Herren, zum Abschluss möchte ich
noch eines sagen: Ludwig Erhard kann man immer zitie-
ren. Herr Brandner, ich weiß, dass Sie von ihm nichts hal-
ten; das bekommen wir jeden Tag zu hören.


(Klaus Brandner [SPD]: Ganz im Gegenteil! – Walter Hoffmann [Darmstadt] [SPD]: Er stand bei Ihnen auf dem linken Flügel!)


Sie wissen wahrscheinlich nicht, was er wollte. Ich sage
Ihnen, was er gesagt hat: Jede Ausgabe des Staates stellt
einen Verzicht des Bürgers dar. Darüber sollten Sie einmal
dringend nachdenken; denn Ihr Fraktionsvorsitzender
Müntefering will die Bürger zusätzlich belasten, weil es
immer noch nicht genug ist. Die Bürger sollen zugunsten
des Staates verzichten. Das ist nicht meine Vorstellung
vom Staat. Ich bin der Meinung, dass der Staat für den
Bürger da ist und nicht der Bürger für den Staat.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502609200

Nächster Redner ist der Kollege Fritz Kuhn, Bündnis 90/

Die Grünen.

(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Jetzt bin ich mal gespannt! – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Stimmen Sie doch einfach zu!)



Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502609300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich kann den Grundton in der Debatte nicht ganz verste-
hen, und zwar aus folgendem Grund nicht: Es ist doch
völlig logisch, dass es eine Aufgabe staatlicher Politik auf
allen Ebenen ist – in den Gemeinden, den Ländern und
dem Bund –, überflüssige Bürokratie abzubauen. Darüber
muss es einen Konsens geben.

Zunächst einmal geht es darum, wie die Bürger den
Staat empfinden. Ein nicht unerheblicher Teil der Poli-
tikverdrossenheit kommt daher, dass die Bürger die Büro-
kratie nicht durchschauen und oft negative Erfahrungen
gemacht haben. Das betrifft übrigens vor allem die kom-
munale Ebene. Zweitens ist zu beachten, dass zu viel
Bürokratie auch eine wirtschaftliche Dimension hat. Es ist
auf jeden Fall ein Mittelstandsthema, weil die relative
Kostenbelastung für den Mittelstand höher als für Groß-
betriebe ist, die das natürlich leichter bewältigen können.

Frau Homburger, das Gutachten, das Sie anfordern
– Sie haben ja die alte Studie zitiert –, ist auf dem Weg.
Das Wirtschaftsministerium hat ein neues Gutachten in
Auftrag gegeben, sodass wir im Herbst neue Zahlen vor-
legen können.

Ich will zunächst einmal festhalten: Bürokratieab-
bau ist notwendig. Hierbei muss es einen konstruktiven
Wettbewerb geben. In den letzten Jahren habe ich viele
Geschichtenerzähler, die darüber berichteten, wo die
Bürokratie am schlimmsten ist, erlebt, die beim Bürokra-
tieabbau völlig gescheitert sind. Der beste Geschichten-
erzähler war sicherlich Herr Späth, der im Wahlkampf
Bürokratiegeschichten erzählt hat. Er sprach vom Hand-
werksbetrieb, der niemanden mehr einstellen konnte, weil
keine zweite Toilette vorhanden war, und von anderen
Dingen. Als Ministerpräsident in Baden-Württemberg ist
er aber gigantisch gescheitert.


(Klaus Brandner [SPD]: Nichts als Luft!)


Dr. Michael Bürsch




Fritz Kuhn
Es gab viele Kommissionen, eine zweijährige Untersu-
chung und einen Abschlussbericht in fünf Bänden. Ergeb-
nis null! So einfach kann es also nicht gehen.

Vielleicht ist das Maulen über Bürokratie so etwas wie
ein Bürgerrecht. Max Weber hat die Bürokratie ja als das
Wesen staatlicher Herrschaft bezeichnet. Deshalb ist es si-
cher auch das Recht des Bürgers, zu sagen, dass ihm das
auf den Geist geht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Machen wir uns jetzt aber ernsthaft Gedanken darüber,
was passieren muss. Ich finde es richtig, dass das Wirt-
schaftsministerium jetzt die Vorschläge derWirtschafts-
verbände sammelt. Sie wurden gefragt, welche konkre-
ten Vorschläge sie zum Abbau von Bürokratie haben.
Diese Vorschläge muss man durchgehen und auflisten.
Eine ganze Reihe davon wird man umsetzen können. Da-
mit wurde übrigens bereits in der letzten Legislaturpe-
riode begonnen.

Nicht jeder Vorschlag wird umsetzbar sein, weil die
Verbände natürlich auch Punkte in die Liste aufnehmen
werden, gegen die sie aus anderen Gründen schon immer
waren. Man wird aber auf eine ganze Reihe von Punkten
stoßen, die man sofort und einfach umsetzen kann. Das
sind die Teile der Bürokratie, die dadurch entstanden sind,
dass sich die Verwaltung verselbstständigt hat. Trotz
guten Willens der Verwaltung entstanden absurde, über-
bürokratische Regelungen. Diesen Teil kann man leichter
erfassen. Einiges davon kann zum Wohle der mittelstän-
dischen Wirtschaft abgeschafft werden.

In anderen Bereichen ist das aber nicht so einfach. Dort
muss man die Frage stellen: Wie ist das Ziel, das bisher
mit einer bürokratischen Regelung umgesetzt wird, ohne
diese Regelung zu erreichen? Frau Homburger, was mir
bei Ihrer Rede nicht gefallen hat, war, dass Sie ausschließ-
lich quantitativ argumentiert haben. Sie haben als Beispiel
die Menge an einzusparendem Papier genannt, das sich zu
einer Höhe von etwa 4 000 Metern stapeln ließe. Sie nann-
ten in diesem Zusammenhang den Großglockner. Wir
aber brauchen eine qualitative Diskussion.

Wenn wir Deutschland wirklich entbürokratisieren
wollen, müssen wir eine Aufgabenkritik des Staates
vornehmen.


(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Mit dem Einsammeln von Strichlisten ist es nicht getan.
Vielmehr müssen wir uns fragen: Was ist die Kernaufgabe
des Staates? Wenn man ein Ziel, zum Beispiel im Um-
weltschutz, ohne Bürokratie verwirklichen will, dann
muss man klären, mit welcher anderen Methode man die-
ses Ziel erreichen kann. Vieles, was Sie in Ihrem Antrag
fordern – ich habe ihn mir genau angeschaut –, ist nicht
machbar, zum Beispiel bei der Mitbestimmung. Sie ver-
weigern sich da einer inhaltlichen Diskussion, weil Sie
das Ziel nicht wollen.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das stimmt ja gar nicht!)


Daher können Sie fröhlich und herzhaft die Streichung
von Regelungen fordern.


(Birgit Homburger [FDP]: Nein!)


Wir in der Koalition haben den Masterplan beschlos-
sen.


(Birgit Homburger [FDP]: Den gibt es doch gar nicht! – Ernst Burgbacher [FDP]: Machen Sie überhaupt etwas?)


– Man muss nicht alles in den ersten vier Monaten ma-
chen. Ansonsten werfen Sie der Regierung wieder vor, al-
les in den ersten Monaten umsetzen zu wollen.


(Lachen der Abg. Birgit Homburger [FDP])

Frau Homburger, auch diese Legislaturperiode wird – zu
Ihrem Bedauern – vier Jahre dauern. In dieser Zeit wer-
den wir sehr sorgfältig und gründlich die Bürokratie ab-
bauen. Ohne einen Masterplan wird dies aber nicht gelin-
gen. Mithilfe dieses Masterplans wollen wir in allen
Bereichen des Regierungshandelns eine Aufgabenkritik
vornehmen, um festzustellen, welche Regelungen gestri-
chen werden können, welche notwendig sind und welche
Wege noch zum Ziel führen. Dabei sind vier Fragestel-
lungen zu beachten, auf die ich kurz eingehen will.

Erstens. Welche Aufgaben übernimmt der Staat? Wenn
diese Aufgaben festgelegt sind, muss er Regelungen tref-
fen, um eine Verselbstständigung der Bürokratie zu ver-
meiden.

Zweitens. Welche Aufgaben kann der Markt besser
übernehmen? Ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass
marktwirtschaftliche Regeln in vielen Bereichen des
staatlichen Handelns mehr als das reine Ordnungsrecht
bringen. Das gilt auch für Teile der Umweltpolitik, um ein
ureigenes Thema der Grünen anzusprechen.

Drittens. Welche Aufgaben können besser von der Zi-
vilgesellschaft übernommen werden? In vielen Bereichen
der Sozialpolitik kann vieles auf andere Art als durch eine
staatliche Behörde erreicht werden.

Viertens – das sollte man nicht vergessen –: Gibt es
neue intelligente Kombinationen? Ich meine das Zusam-
menwirken von einem Minimum an staatlicher Hilfe und
dem gesellschaftlichen Engagement von Bürgerinnen und
Bürgern. Damit würde man sicherlich ein besseres Ergeb-
nis als durch rein staatliches Handeln erzielen.

Liebe Kollegin Homburger, das ist der Grund, warum
wir für die Umsetzung dieses Masterplans ein wenig Zeit
benötigen, um unsere Ziele gründlich zu realisieren.
Manche Maßnahmen kann man sofort umsetzen. Ich für
meine Fraktion kann bei Ihnen allen in diesem Haus nur
dafür werben. Wenn wir es mit unseren Bemühungen
wirklich ernst meinen, dann ist dieses Thema für Partei-
enhickhack und wechselseitige Polemik nicht geeignet.


(Klaus Brandner [SPD]: So ist es!)

Wir können ein Beispiel nennen, bei dem die Schwarzen
etwas nicht geschafft haben. Dafür können auch die
Schwarzen einen Fall nennen, bei dem wir etwas nicht er-
reicht haben.

Bürokratie gibt es auf allen Ebenen. Der Bürger unter-
scheidet ja nicht zwischen Bürokratie der Kommunen, der
Länder, des Bundes oder der Europas. Massiven Bürokra-
tieabbau schaffen wir nur, wenn wir gut zusammenarbei-
ten. Ihr Antrag ist ein wertvoller Anstoß, der in unserer


(A)



(B)



(C)



(D)


2060


(A)



(B)



(C)



(D)






Fraktion diskutiert werden wird. Ich glaube, dass in die-
ser Legislaturperiode unser Masterplan zum Bürokra-
tieabbau ein guter Anfang ist.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502609400

Nächster Redner ist der Kollege Stephan Mayer,

CDU/CSU-Fraktion.


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1502609500

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Beim Wetterbericht ist heutzutage häufig von der
gefühlten Temperatur die Rede. Was hat es damit auf sich?
Bei der gefühlten Temperatur handelt es sich um die Tem-
peratur, die subjektiv wahrgenommen wird und die vor al-
lem dann, wenn einem der Wind eisig ins Gesicht bläst,
als wesentlich schmerzhafter und niedriger wahrgenom-
men wird als die tatsächliche Temperatur.

In Deutschland ist derzeit die gefühlte Bürokratie be-
sonders dramatisch, sowohl für Unternehmen als auch für
jede Privatperson. Denn gerade in der heutigen, wirt-
schaftlich außerordentlich schwierigen Zeit – einer Zeit dra-
matischer Auftragseinbrüche, rekordverdächtiger Lohn-
nebenkosten, einer rigiden Arbeitsgesetzgebung und zu
langer Genehmigungsverfahren – wird die überbordende
Bürokratie als besonders schmerzhaft und belastend emp-
funden. Dabei wäre es ein großer Fehler der Politik, den
schwarzen Peter der Verwaltung und den Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeitern im öffentlichen Dienst in die
Schuhe zu schieben.


(Zustimmung des Abg. Walter Hoffmann [Darmstadt] [SPD])


Herr Kuhn, diesen Fehler dürfen wir als Politiker nicht
machen. Denn jeder von uns hat sicherlich schon mehr-
mals die positive Erfahrung gemacht, dass sich ein Be-
amter oder Angestellter im öffentlichen Dienst bürgernah
und unkompliziert gezeigt hat. Ich möchte daher alles an-
dere, als über Verwaltung, Behörden und öffentlichen
Dienst den Stab zu brechen. Denn eines muss uns in die-
sem Hause klar sein: Wir sind diejenigen, die vom Volk
gewählt wurden und die das Mandat erhalten haben, zum
Wohle der Bürgerinnen und Bürger die Geschicke
Deutschlands zu lenken. Es ist daher die Aufgabe der Po-
litiker, die entsprechenden Vorgaben zu machen und den
Umdenkungsprozess in Richtung Entbürokratisierung
einzuleiten.

Das eminent wichtige Thema Entbürokratisierung be-
steht nicht nur in der Abschaffung von Normen und Ge-
setzen oder in der Vereinfachung von Genehmigungsver-
fahren, sondern es bedarf zunächst eines deutlichen
Bewusstseinswandels in der Politik, im Staat und in der
Bevölkerung. Entbürokratisierung sollte daher in der
staatlichen Hierarchie ganz oben angesiedelt sein.

Meines Erachtens wäre ein „Mister Entbürokratisie-
rung“, ein Experte mit einem schlagkräftigen und kompe-

tenten Mitarbeiterstab, der unabhängig von politischer
Einflussnahme ist, am besten geeignet, dem staatlichen
Apparat auf die Finger zu schauen und das gesamte Nor-
menwerk – sprich: alle Gesetze, Verordnungen und Ver-
waltungsvorschriften – darauf zu überprüfen, ob sie ver-
einfacht oder möglicherweise völlig abgeschafft werden
können.

Es gibt das geflügelte Wort: Wer einen Sumpf trocken-
legen will, darf nicht die Frösche fragen. Ich möchte die-
sen Satz umformulieren: Wer Deutschland reformieren
und nach vorne bringen will, der darf dies nicht Rot-Grün
überlassen. Denn die von Ihnen, meine Damen und Her-
ren von der SPD, geprägte Forderung, wir bräuchten den
aktivierenden Staat, offenbart in verräterischer Art und
Weise Ihr eigentliches Ziel und Ansinnen. Sie trauen es
den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland nicht zu, für
sich selbst Verantwortung zu tragen. Sie wollen immer
mehr Macht und Kompetenzen an den Staatsapparat her-
anziehen und haben nicht den Mut, mehr Rechte und Ver-
antwortung in private Hände zu geben.

Wir von der CDU/CSU setzen unser Modell von der
aktiven Bürgergesellschaft dagegen. Wir haben den
Mut, einen deutlichen Schritt zu gehen und den Bürgerin-
nen und Bürgern mehr Freiheit und Selbstverantwortung
einzuräumen. Wir haben auch das Vertrauen in die Men-
schen, dass sie ihr Leben eigenverantwortlich besser ge-
stalten. Die Bürgerinnen und Bürger sind in diesem Punkt
bereits wesentlich weiter und aufgeschlossener, als Sie
von Rot-Grün nur zu denken wagen. Unter den wenigen
Stellenanzeigen, die heutzutage trotz Ihrer fatalen Wirt-
schafts- und Arbeitsmarktpolitik noch veröffentlicht wer-
den, werden Sie keine finden, in der von der Bewerberin
oder dem Bewerber nicht höchste Flexibilität, die Fähig-
keit zu eigenverantwortlichem Arbeiten und überdurch-
schnittliche Motivation erwartet wird.

Was man im Kleinen voraussetzt, sollte man auch im
Großen erwarten können. Die Politik muss dann aber auch
so ehrlich sein, den Menschen offen und ungeschminkt zu
sagen, dass mit diesem Mehr an Freiheit und Rechten
auch ein Mehr an Pflichten verbunden ist. Sicherlich ist
ein Großteil der Bevölkerung pauschal für die Entbüro-
kratisierung, aber den Einzelfall, der einen persönlich be-
trifft, möchte dann doch jeder genauestens im Gesetz ge-
regelt haben.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: So ist es!)

Hier ist mehr Mut zur Lücke gefordert. Diesen Mut muss
zum einen die Politik zeigen, aber zum anderen müssen
letztendlich wir alle in Deutschland diesen Mut haben, in-
dem wir akzeptieren, dass nicht alles bis ins letzte Detail
durch Gesetze, Verordnungen oder Verwaltungsvorschrif-
ten geregelt werden kann.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr gut!)


Deshalb muss der Grundsatz jeglicher Entbürokratisie-
rungsbemühungen sein: Die beste Bürokratie ist die, die
überhaupt nicht entsteht. Der Staat muss sich auf seine
Kernaufgaben und Kompetenzen konzentrieren. Ferner
muss die Aufgabenverteilung zwischen den einzelnen
staatlichen Ebenen neu überdacht werden, damit Flexi-
bilität und Eigenverantwortung gewährleistet werden

Fritz Kuhn




Stephan Mayer (Altötting)

können. Beispielsweise ist es meines Erachtens ein Un-
ding, dass mehr als 70 Prozent der Weltliteratur in deut-
scher Sprache auf dem Gebiet des Steuerrechts verfasst ist.

Vor allem der Subsidiaritätsgedanke sollte im Hin-
blick auf bürokratische Anforderungen stärker zum Zuge
kommen. Statt einer Vielzahl von detaillierten gesetzli-
chen und rechtlichen Vorschriften sollte der Gesetzgeber
seine konkreten Ziele definieren. Die Unternehmer hätten
dann die Pflicht, zur Realisierung dieser Ziele betriebsbe-
zogen optimierte Lösungen zu entwickeln und selbst aus-
zuwählen. Solche Regelungen könnten gegebenenfalls in
betrieblichen Bündnissen getroffen werden. Eine Subsi-
diaritätsregelung wäre insbesondere für Kleinbetriebe zu
fordern. Sie wäre aber auch auf alle Unternehmen aus-
weitungsfähig.

Erfolgreiche Beispiele für die Umsetzung dieses Ge-
dankens waren in den letzten Jahren Selbstverpflichtun-
gen der Wirtschaft in der Umweltpolitik, Herr Kuhn. Hier
ist der Umweltpakt Bayern, der am 23. Oktober 2000 un-
ter dem Titel „Nachhaltiges Wirtschaften im 21. Jahrhun-
dert“ neu aufgelegt wurde, vorbildlich. Bayern ist mit
dem Umweltpakt von 1995 als erstes Bundesland in
Deutschland den neuen Weg der Kooperation von Staat
und Wirtschaft gegangen. Bayern hat Betriebe, die durch
ein Ökoaudit Eigenverantwortung für den betrieblichen
Umweltschutz übernommen haben, mit Erleichterungen
beim Verwaltungsschutz belohnt.

Dieser Weg hat in Deutschland und darüber hinaus
Schule gemacht. Der Umweltpakt Bayern stand Pate für
ähnliche Vereinbarungen in vielen Bundesländern, unab-
hängig von der jeweiligen politischen Couleur. Das Ziel,
im Oktober 2005 die Marke von 3 000 Teilnehmern zu er-
reichen, ist mit der aktuellen Zahl von 3 290 Teilnehmern
bereits heute bei weitem übertroffen.

Viele Unternehmer klagen mir regelmäßig ihr Leid da-
rüber, dass in besonders eilbedürftigen Fällen das derzeit
gültige Genehmigungsrecht noch immer ein großes Inves-
titionshemmnis darstellt. Für den Bau von Anlagen wäre
es daher unter dem Gesichtspunkt des Subsidiaritätsge-
dankens sinnvoll, das Instrument der Rahmengenehmi-
gung bundesweit einzuführen. Dieses Instrument räumt
den Unternehmen das Recht ein, auf Basis vereinfachter
Unterlagen in einem festgelegten Rahmen mit dem Bau
einer Anlage zu beginnen und erst kurz vor Betriebsbe-
ginn die Detailprüfung und die Genehmigung durch-
führen zu lassen. Die Genehmigungsverfahren nach dem
Bundes-Immissionsschutzgesetz sind hier als vorbildlich
anzuführen.

Zudem sollten für die Bearbeitung von Genehmi-
gungsverfahren zwischen und innerhalb der Behörden
insgesamt Fristen festgelegt werden, die bei Überschrei-
tung eine automatische Genehmigung in Form einer Ge-
nehmigungsfiktion zur Folge haben. Hierfür wären ein-
heitliche gesetzgeberische Maßnahmen auf Bundes- und
Länderebene erforderlich.

Wenn man in der Politik die Grundauffassung vertritt,
dass es notwendig ist, mehr Zutrauen und Vertrauen in die
Bürger und in die Unternehmen zu setzen, sollte man ver-
stärkt zu Erlaubnissen mit Verbotsvorbehalt übergehen.
Im Freistaat Bayern wurde dies beispielsweise durch

weitreichende und grundlegende Novellierungen der
bayerischen Bauordnung erreicht.

Des Weiteren sind die übertriebenen Anforderungen an
Statistiken sowie Mitteilungs- und Meldepflichten zu
nennen. Hier entsteht in manchen Bereichen die groteske
Situation, dass Daten mehrfach erhoben werden. So gibt
es beispielsweise bei den Lohn- und Gehaltskosten allein
vier Kostenstrukturerhebungen: Verdienst-, Arbeitskos-
ten-, Gehalts- und Lohnstrukturerhebung. Viele andere
Erhebungen sind unnötig, weil sie wegen der Auswahl der
Befragten nicht repräsentativ sein können. Ich nenne bei-
spielsweise die Güterkraftverkehrsstatistik.

Wirklich gespannt bin ich auf den Masterplan Büro-
kratieabbau, den Herr Bundesminister Clement alsbald
vorlegen will. Aber mehr als einen Desasterplan erwarte
ich davon nicht. Ich räume durchaus ein, dass Sie es gut
meinen. Aber gut gemeint ist noch lange nicht gut ge-
macht, wie man unschwer an dem Beispiel des in der
Amtszeit von Herrn Clement zentralen Vorhabens –


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502609600

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist schon deutlich über-

schritten.


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1502609700

– ich komme zum Ende, Frau Präsidentin – einer Ver-

waltungsstrukturreform erkennen kann. Der von Herrn
Clement vorgelegte Gesetzentwurf hatte mit einer Ver-
waltungsstrukturreform nichts mehr zu tun.

Kurzum, meine Damen und Herren von Rot-Grün, Sie
können es nicht und Sie werden es auch nicht lernen. Das
ist aber auch nicht schlimm, weil es sich angesichts der
kurzen Restlaufzeit, in der Sie noch Verantwortung für
Deutschland tragen, für Sie nicht mehr lohnt, noch hinzu-
zulernen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Walter Hoffmann [Darmstadt] [SPD]: Eine gute Rede, aber ein schwaches Ende!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502609800

Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär

Ditmar Staffelt.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Der Dauer redner der Regierung!)


D
Dr. Ditmar Staffelt (SPD):
Rede ID: ID1502609900


Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich habe den Ausführungen des Kollegen Mayer
phasenweise sehr interessiert zugehört. Dass Sie zum
Schluss sozusagen noch Ihre Pflichtrunde gedreht haben,
indem Sie die übliche Polemik eingebracht haben, soll
mich nicht daran hindern, mich mit der Sache konstruktiv
auseinander zu setzen.

Herr Kollege Fuchs, Sie entbürokratisieren sich sozu-
sagen selbst, wenn Sie jetzt schon gehen und nicht mehr


(A)



(B)



(C)



(D)


2062


(A)



(B)



(C)



(D)






den Beitrag der Bundesregierung anhören wollen. Auch
das entspricht übrigens dem, was Sie hier vorgetragen ha-
ben. Herr Fuchs, Sie haben leider Gottes eine sehr rück-
wärts gewandte Rede gehalten. Sie haben überhaupt nicht
nach vorne diskutiert.


(Beifall bei der SPD – Widerspruch des Abg. Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU])


Sie müssen sich auch die Feststellung gefallen lassen,
dass es sich bei dem Thema Bürokratie leider nicht nur um
ein parteipolitisches oder koalitionäres Problem, sondern
auch um ein Strukturproblem unserer Gesellschaft
handelt, das über Jahrzehnte gewachsen ist. Man muss
doch zugeben, dass wir alle über viele Jahrzehnte zum
Aufbau von Bürokratie in Bund, Ländern und Gemein-
den, wenn auch aus sehr unterschiedlichen Motiven, bei-
getragen haben, weil wir Gesetze gemacht haben, die wir
für notwendig und richtungsweisend erachtet haben, aber
auch weil wir aufgrund bestimmter Ereignisse und Um-
stände Regulierungsbedarf gesehen haben, dem wir durch
entsprechende Gesetze und Verordnungen nachgekom-
men sind. Die sollten letztendlich helfen, das staatliche
Miteinander zu organisieren.

Ich möchte in diesem Zusammenhang auch darauf hin-
weisen, dass es nicht nur Forderungen von Unternehmen
nach Entbürokratisierung, sondern auch nach mehr
Regulierung gibt, und zwar immer dann, wenn in einem
bestimmten Bereich Bedrohungen entstehen, die mögli-
cherweise nichts mit vernünftigen und rechtlich einwand-
freien Wettbewerbsbedingungen zu tun haben. Ich erin-
nere mich – ich darf das deshalb anführen, weil dies auch
Teil des Antrags der FDP-Fraktion ist – an unsere Dis-
kussion über die Tariftreue. Wer hat denn dieses Thema
initiiert? Es waren doch die Vertreter der deutschen
Bauindustrie, die zu uns gekommen sind und geklagt ha-
ben: Wenn wir uns die Tarifstruktur und die Bezahlung
der Arbeitskräfte anschauen, dann müssen wir feststellen,
dass die Situation in der Bauwirtschaft katastrophal ist.
Die ehrlichen Handwerker und die ehrlichen Bauunter-
nehmer, die sich an Recht und Gesetz sowie an die Tarife
halten, haben Wettbewerbsnachteile gegenüber denje-
nigen, die schlicht und einfach außerhalb des Gesetzes
agieren.

Wie sollen wir uns nun verhalten? Sollen wir das
Ganze dem Markt überlassen, und zwar auch dem Teil des
Marktes, den wir für rechtlich nicht abgesichert halten?
Oder sollen wir den ehrlichen Kaufleuten, den ehrlichen
Handwerkern und den ehrlichen Unternehmern helfen,
indem wir an dieser Stelle ein bisschen eingreifen, damit
wieder reguläre Wettbewerbsverhältnisse am Markt herr-
schen? Ich finde, das ist auch ein Teil der Wahrheit, mit
der wir uns auseinander setzen müssen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Klaus Brandner [SPD]: Das hat etwas mit Ludwig Erhard zu tun, Herr Fuchs!)


Im Handwerk ist die Situation ähnlich. Wir diskutie-
ren heute doch auch über die Frage, inwieweit wir Exis-
tenzgründungen im Bereich des Handwerks erleichtern
können. Dagegen stehen natürlich die bisherigen Rege-

lungen der Handwerksordnung, die sehr viele Vorteile
bietet, der es aber auch gut täte – das darf man nicht ver-
gessen –, wenn sie mehr Freiräume zuließe. In unseren
Gesprächen, die wir im Augenblick mit den Vertretern
des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks führen,
geht es um die Frage, wie sich das organisieren lässt.
Auch das ist ein Thema, bei dem aus der Sicht eines Ver-
bandes eher der Erhalt des Status quo als das Aufbrechen
vorhandener Strukturen erstrebenswert erscheint. Auch
das gibt es. Ich sage deshalb noch einmal: Wenn man sich
diesem Thema inhaltlich vernünftig nähern will, dann
darf man es nicht parteipolitisch, sondern nur strukturell
tun.

Die Bundesregierung hat – Sie wissen, dass das ein
großer Komplex ist – mit der Entbürokratisierung begon-
nen. Bei der Mittelstandsoffensive ist sozusagen ein
Small Business Act in der Pipeline. Die entsprechenden
Gesetze und Verordnungen sind in der Mache.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Darauf sind wir sehr gespannt!)


– Ja natürlich, Sie werden das alles erleben. Es braucht
seine Zeit. Sie können ja einmal in unsere Abteilung VIII,
die Mittelstandsabteilung, schauen. Die Leute da ackern
von morgens bis abends, weil all das, was wir machen,
natürlich auch in vernünftige gesetzliche Formen gegos-
sen werden muss.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Und umgesetzt!)

Sie wissen auch sehr wohl, dass wir natürlich bereitwillig
die gesellschaftlich notwendigen Gespräche führen, um das
sattelfest zu machen und in die Praxis umsetzen zu können.

Ich füge hinzu, dass wir beim Thema Masterplan Büro-
kratieabbau – das ist von Ihnen hier ein wenig polemisch
dargestellt worden – auf dem Weg sind. Ende Februar
wird es einen Kabinettsbeschluss dazu geben und dann
werden wir über die Details reden müssen. Dann wird im
Einzelnen festzustellen sein: An welchen Stellen kann
man an Stellschrauben drehen und an welchen kann man
es nicht?

Wir als Bundeswirtschaftsministerium jedenfalls ha-
ben klargelegt: Alle Vorschläge, die uns aus den Unter-
nehmen, aus den Verbänden, aus den Gewerkschaften,
von einzelnen Bürgerinnen und Bürgern erreichen, wer-
den evaluiert und in entsprechender Weise ihre Berück-
sichtigung finden, wenn es um die Betrachtung dessen
geht, was in unserem Land gemeinhin an Forderungen in
Sachen Bürokratieabbau besteht.

Ich bitte Sie allerdings, in einem Punkt aufzupassen;
der Kollege Kuhn hat das zu Recht gesagt. Ich weigere
mich, zum Beispiel einen Komplex wie das Betriebsver-
fassungsgesetz mal schnell unter dem Thema Bürokra-
tieabbau abzuhandeln und abzuhaken. Da sollten wir
schon offen über die Frage des Betriebsverfassungsgeset-
zes miteinander debattieren.


(Birgit Homburger [FDP]: Ja!)

Das können wir ja tun, das wäre dann ehrlich. Es gibt eben
substanzielle Gesetze, die etwas anderes beinhalten als nur
Bürokratie, die auch etwas mit Gesellschaftspolitik und
auch etwas mit dem Wohl und Wehe von Unternehmern

Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelt




Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelt
auf der einen Seite und Arbeitnehmern auf der anderen
Seite zu tun haben.

Ich sage noch einmal: Wir werden alles prüfen. Wir
werden alle Evaluierungen, die von uns vorgenommen
werden, vorlegen. Das ist eine ganze Menge.

Die Themen dabei sind – Sie haben es angesprochen –:
Handwerksordnung – Ziel ist übrigens die Abschaffung
der Inländerdiskriminierung und die Erleichterung von
Existenzgründungen –, Zwangsmitgliedschaften, Vergabe-
recht, Honorarordnung für Architekten und Ingenieure,
Arbeitsstättenverordnung, Unfallversicherung und alles,
was damit zu tun hat, Modernisierung der beruflichen Bil-
dung. Es ist eine lange Reihe von Themen, denen wir uns
stellen müssen. Wir sind allesamt gehalten, glaube ich, die
Polemik an der Stelle zu lassen.

Herr Fuchs, Ihre Anmerkung war überhaupt nicht hilf-
reich. Sie müssten es eigentlich besser wissen. Wenn Sie
im politischen Prozess beheimatet sind, dann müssten Sie
wissen, dass der Prozess hin zu einem Kabinettsbeschluss
weit fortgeschritten ist. Sie tun hier so, als würden wir
noch Monate oder Jahre ins Land gehen lassen, bevor wir
irgendetwas vorlegen. Dies wird mitnichten der Fall sein.

Ich sage in Ihre Richtung, Herr Mayer: Wenn es gute
Vorschläge aus dem Freistaat Bayern gibt, bitte schön! Sie
sind eingeladen, sie einzubringen! Ich füge hinzu: Das
Thema Entbürokratisierung erschöpft sich nicht allein mit
einem solchen Prozess auf Bundesebene. Es ist auch ein
Thema der Länder und Gemeinden.


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Wir haben die Kommission eingerichtet!)


– Das glaube ich Ihnen ja. Kommissionen zu diesem
Thema gibt es wohl in ziemlich allen Bundesländern. Die
Frage ist: Was kommt dabei heraus?

Wie gesagt: Gute Ideen sind willkommen. Gute Ideen
werden übernommen, zumindest evaluiert werden. Wenn
die Evaluierung zu einem positiven Ergebnis führt, dann
werden die Ideen auch übernommen. Insofern hoffe ich
auf weniger Polemik und mehr Sachorientierung. Dann
werden wir in den kommenden Monaten in der Sache
selbst einen gewaltigen Schritt vorankommen.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502610000

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 15/65 an die in der Tagesordnung aufgeführ-
ten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einver-
standen? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 19. Februar 2003, 13 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.