Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet
Gestern haben wir von unserem Kollegen, dem ehemaligen Bundesminister für Wohnungswesen und Städtebau und Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen, Dr. Lauritz Lauritzen, in einem Staatsakt Abschied genommen. Er ist nur wenige Monate nach seinem 70. Geburtstag verstorben.Lauritz Lauritzen wurde am 20. Januar 1910 in Kiel geboren. Nach dem Schulbesuch und dem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften war er zunächst Justitiar und dann Hauptabteilungsleiter bei der Reichsstelle „Chemie". Nach dem Kriege übernahm er nach kurzer Tätigkeit beim Berliner Magistrat und beim Landratsamt Rendsburg die Leitung der Präsidialkanzlei beim Oberpräsidenten der Provinz Schleswig-Holstein. Als Landesdirektor im Kieler Innenministerium war er maßgeblich an der Gestaltung der Landessatzung und der Kreis- und Gemeindeordnung beteiligt.Nach dreijähriger Tätigkeit im niedersächsischen Innenministerium war Lauritz Lauritzen von 1954 bis 1963 Oberbürgermeister der Stadt Kassel. In dieser Zeit schaffte er es, aus der vom Kriege stark zerstörten Stadt eine moderne Großstadt zu machen. Starke kulturelle und künstlerische Impulse gehen heute von der von ihm ins Leben gerufenen „Dokumenta" aus, die Kassel weltweit bekannt machte.Von 1963 bis zur Bildung der Großen Koalition war Lauritz Lauritzen Minister für Justiz und Bundesangelegenheiten im hessischen Kabinett von Georg August Zinn.Am 1. Dezember 1966 wurde er Mitglied der Bundesregierung als Minister für Wohnungswesen und Städtebau; 1972 übernahm er das Ministerium für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen. Zuständig für Raumordnung und Städtebau, bemühte er sich, den humanitären Aspekten modernen Bauens und Wohnens stärker zum Durchbruch zu verhelfen und gleichzeitig die betroffenen Bürger an der Planung zu beteiligen.Dem Deutschen Bundestag gehörte er seit 1969 an. Er war unter anderem Mitglied des Auswärtigen Ausschusses.Wir alle trauern um einen Kollegen, der großes soziales Engagement bewiesen und das Wohl der Menschen stets vor parteipolitische t Überlegungen gestellt hat; wir trauern um einen Kollegen, der in allen Fraktionen Freunde hatte und dessen politischer Rat allgemein hochgeschätzt war; wir trauern um einen Kollegen, der neben Standfestigkeit und Prinzipientreue auch die Bereitschaft zum Kompromiß hatte, Eigenschaften, ohne die eine parlamentarische Demokratie nicht auskommen kann.Die großen Verdienste von Lauritz Lauritzen hat der Herr Bundespräsident durch die Verleihung des Großen Verdienstkreuzes mit Stern und Schulterband des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland gewürdigtDen Familienangehörigen und der Fraktion der SPD habe ich meine aufrichtige und herzliche Anteilnahme ausgesprochen. Der Deutsche Bundestag wird Lauritz Lauritzen immer ein ehrendes Gedenken bewahren.Sie haben sich zu Ehren des Toten von den Plätzen erhoben. Ich bedanke mich.Als Nachfolger für den verstorbenen Abgeordneten Dr. Lauritz Lauritzen hat mit Wirkung vom 9. Juni 1980 der Abgeordnete Leuschner die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben.Ich begrüße den Abgeordneten sehr herzlich in unseren Reihen und wünsche ihm eine erfolgreiche Mitarbeit im auslaufenden 8. Deutschen Bundestag.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um die Beratungspunkte ergänzt werden, die in der Ihnen vorliegenden Liste „Zusatzpunkte zur Tagesordnung" aufgeführt sind:Zweite Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte (Drucksache 8/1250)a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 8/4167)Berichterstatter:Abgeordneter Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
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Präsident Stücklenb) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit undSozialordnung (Drucksache 8/4128)Berichterstatter: Abgeordneter Horstmeier
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortsetzung der Eingliederung von Vertriebenen und Flüchtlingen
überweisungsvorschlag:Innenausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß f 96 GOIst das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Bevor ich den Tagesordnungspunkt 5 aufrufe, habe ich die große Freude und Ehre, eine Delegation der israelischen Knesset, die auf der Diplomatentribüne Platz genommen hat, unter Führung des Präsidenten, Herrn Berman, und des Vizepräsidenten, Herrn Meron, bei uns im Deutschen Bundestag auf das herzlichste zu begrüßen.
Der Besuch der Knesset-Delegation gibt uns Gelegenheit, die zwischen dem Staat Israel und der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Beziehungen auch auf parlamentarischer Ebene zu beleben und zu vertiefen. In vielfältigen Gesprächen werden wir die Möglichkeit nutzen, uns über die Situation im Nahen Osten unterrichten zu lassen und unser Interesse an einer friedlichen Lösung der bestehenden Konflikte zu bekunden.Ich wünsche Ihnen einen erlebnisreichen und angenehmen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. Dezember 1979 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik auf dem Gebiet des Veterinärwesens— Drucksache 8/3875 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 8/4019 —Berichterstatter:Abgeordneter Sauter
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.Es liegen keine Wortmeldungen vor. Demnach gibt es keine Aussprache. Meine Herren Parlamentarischen Geschäftsführer, ist das so vorgesehen? — GutDann kommen wir zur Einzelberatung in zweiter Beratung. Ich rufe die Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Dieses Gesetz ist einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Staatshaftungsgesetzes-- Drucksache 8/2079 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/4145 —Berichterstatter: Abgeordneter Westphalb) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 8/4144 —Berichterstatter:Abgeordnete Frau Dr. Däubler-Gmelin Dr. Klein
Meine Damen und Herren, ich darf Sie darauf hinweisen, daß die Beschlußempfehlung und der Bericht des Rechtsausschusses auf Drucksache 8/4144 die frühere Beschlußempfehlung auf Drucksache 8/4026 und den früheren Bericht auf Drucksache 8/ 4037 ersetzen. Beide Drucksachen sind inhaltlich geändertWünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Prof. Dr. Klein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das geltende Staatshaftungsrecht hat eine Reihe anerkannter Mängel. Das gilt zunächst einmal für seine zivilrechtliche Konstruktion nach dem Vorbild des bürgerlichen Deliktsrechts. Der handelnde Beamte haftet unmittelbar selber bei rechtswidrigem und schuldhaftem Verhalten. Der Staat übernimmt seine Schuld und behält sich ein Rückgriffsrecht gegenüber dem Beamten vor. Im Rechtsstaat aber ist der Grund für die Staatshaftung das Bedürfnis nach Wiederherstellung der durch unrechtmäßiges Handeln des Staates verletzten Gerechtigkeit, also die Wiedergutmachung geschehenen Unrechts. Auf ein Verschulden kann es dabei nicht ankommen.Ein weiterer Mangel des geltenden Rechts ist die Subsidiarität der Staatshaftung, soweit die Amtspflichtverletzung fahrlässig erfolgt ist Was als Beamtenprivileg einstens sinnvoll war, ist als Fiskalprivileg heute nicht mehr zu rechtfertigen.
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Dr. Klein
Der im Rahmen des bürgerlichen Deliktsrechts angesiedelte Amtshaftungsanspruch ist überdies ausschließlich auf Geldersatz gerichtet — eine nicht mehr zeitgemäße Folge der im 19. Jahrhundert vertretenen sogenannten Fiskustheorie, die zwischen dem Staat als Hoheitsträger und dem Staat als Vermögensträger streng unterschied. Der damals geltende Grundsatz „Dulde und liquidiere' kann nach heutigem Rechtsverständnis keinen Raum mehr beanspruchen. Die Rechtspraxis hat denn auch, um diesem Mißsand abzuhelfen, längst den sogenannten Folgenbeseitigungsanspruch entwickelt, der vor den Verwaltungsgerichten geltend gemacht werden muß.Als ein Mangel wird auch die Gemengelage mit den von der Rechtsprechung zum Zweck der Lükkenfüllung entwickelten Ansprüchen aus enteignungsgleichem und aufopferungsgleichem Eingriff empfunden, bei denen es sich der Sache nach um Fälle einer originären und verschuldensunabhängigen Staatshaftung handelt Diese Ansprüche werden unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet und stehen deshalb nicht zur Disposition des Gesetzgebers.Ungeachtet dieser Mängel aber ist der Rechtsschutz des Bürgers — in diesem Fall handelt es sich um den sogenannten sekundären Rechtsschutz — meist gesichert, wenn man von den Privilegien mancher Hoheitsverwaltungen absieht, deren Existenzberechtigung allerdings schon nach geltendem Recht umstritten ist.Nun muß klar gesagt werden, daß eine Behebung dieser Mängel auf kostenneutrale Weise nicht möglich ist. Ebenso klar muß hervorgehoben werden, daß die Hauptlast eines diese Mängel eliminierenden Staatshaftungsrechts die Länder und die Gemeinden zu tragen haben oder hätten. Der Bund hält seine eigene Belastung vermittels der den hauptsächlich betroffenen Bundesverwaltungen Post und Finanzen zuerkannten Haftungsprivilegien wohlweislich in Grenzen. — Die ausführlichen Beratungen des Rechtsausschusses haben nun allerdings bestätigt, was man vorher schon wußte: daß exakte und zuverlässige Kostenberechnungen nicht möglich sind.Die CDU/CSU hat von Beginn der Beratungen an betont, daß sie nicht bereit ist, sich an einer Scheinreform zu beteiligen, die zwar quantitativ die Bilanz der sozialliberalen Reformgesetzgebung zu verbessern geeignet ist, qualitativ aber nicht. Dabei ist natürlich auch zu bedenken, daß ein neues Gesetz immer zunächst über einige Jahre hinweg auch Rechtsunsicherheiten schafft. Diesen Nachteil in Kauf zu nehmen, erscheint nur dann vertretbar, wenn durch das neue Gesetz der sekundäre Rechtsschutz wirklich verbessert werden kann.Nicht zu bezweifeln ist, daß der vorliegende Entwurf eine Reihe solcher Verbesserungen aufweist, wobei Vorzüge und Nachteile entscheidend unter dem Gesichtspunkt zu beurteilen sind, was dem rechtsschutzsuchenden, durch staatliches Unrecht geschädigten Bürger nütztDer Gesetzentwurf führt das Prinzip der unmittelbaren Staatshaftung ein und trägt damit einemPostulat der rechtswissenschaftlichen Dogmatik Rechnung, ohne daß freilich der durch Staatsunrecht Geschädigte davon einen spürbaren Nutzen hätte. Das Subsidiaritätsprinzip entfällt. Die Staatshaftung tritt, was nach geltendem Recht umstritten ist, auch bei Versagen technischer Einrichtungen ein, wo diese anstelle von Personen selbst vollziehende Gewalt ausüben, und der Entwurf eröffnet, was freilich auch schon geltendes Recht ist, die freie Wahl zwischen Geldersatz und Wiederherstellungsanspruch. Schließlich trägt er durch ausdrückliche Zuweisung einzelner Rechtsmaterien in den Bereich der privatrechtlichen Haftung dem Erfordernis der Rechtssicherheit Rechnung, wobei er allerdings nicht ausschließlich rechtssystematischen, sondern auch rechtspraktischen Erwägungen folgtNeben diesen Vorzügen wiegen die Nachteile schwer. So bleibt insbesondere das Verschuldensprinzip im Grundsatz bestehen, eine nach dem Urteil des Haushaltsausschusses offenbar unvermeidliche Entscheidung. Im Rechtsausschuß war man demgegenüber zunächst übereinstimmend der Auffassung, daß die Staatshaftung, wenn sie denn schon neu geregelt werden solle, als Unrechtshaftung auszugestalten sei, das Verschuldensprinzip also in Wegfall zu kommen habe. Zwar war niemals jemand der Auffassung, dieses Prinzip könne so weit verfolgt werden, daß die Vorwerfbarkeit staatlichen Fehlverhaltens überhaupt keine Rolle mehr spielt Der an das Verhalten des Staates anzulegende Sorgfaltsmaßstab muß aber jedenfalls ein sehr hoher sein. Dementsprechend war der Rechtsausschuß ursprünglich der Ansicht, der Staat müsse sich dann — aber auch nur dann — seiner Geldersatzpflicht entziehen können, wenn ihm eine Pflichtverletzung gegenüber dem Geschädigten vernünftigerweise nicht mehr vorgeworfen werden kann. Die jetzige Formulierung, die diejenige des ursprünglichen Regierungsentwurfs wieder aufgreift, besagt demgegenüber nach dem Urteil vieler Sachverständiger — fast aller, die sich zu dem Thema geäußert haben —, daß es de facto und de jure beim Verschuldensprinzip bleibt Die Pflichtverletzung muß mindestens fahrlässig erfolgt sein, um eine Staatshaftung auszulösen. Das rechtspolitisch wichtigste, dem Bürger einen spürbaren Vorteil bringende Anliegen der Reform ist damit preisgegeben.Ihm soll nur bei rechtswidrigen Grundrechtseingriffen Folge gegeben werden, womit die Verletzung sogenannten spezifischen Verfassungsrechts gemeint ist, eine Formel, die der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Überprüfung einfachen Rechts im Verfassungsbeschwerdeverfahren entnommen ist, die aber, wie wiederum alle Sachverständigen sagen, an dieser Stelle fehl am Platze ist und zu kaum lösbaren, erhebliche Rechtsunsicherheit verursachenden Abgrenzungsschwierigkeiten führen muß.Die vorliegende Lösung ist also entgegen dem, was sie zu sein vorgibt, nicht eine Staatsunrechtshaftung, sondern eine nur leicht, nämlich durch die Umkehr der Beweislast modifizierte Verschuldenshaftung. Ich mache keinen Hehl aus meinem Bedauern darüber, daß die vom Rechtsausschuß ins Auge
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Dr. Klein
gefaßte Anhebung des Sorgfaltsmaßstabes nicht realisiert werden konnte. Ich respektiere die dagegen vorgetragenen haushaltspolitischen Bedenken. Nur: wenn man ihnen folgt, dann ist die ehrlicherweise zu ziehende Schlußfolgerung eben die, daß dies nicht die Zeit für eine Reform des Staatshaftungsrechts ist, eine Reform jedenfalls, die diesen Namen auch verdient. So leichten Herzens, wie wir die unverhältnismäßig viel höheren Kosten des Sozialstaats auf uns zu nehmen oft bereit sind, so schwer fällt uns offenbar eine — im Vergleich zu jenen — relativ geringfügige Erhöhung der Kosten des Rechtsstaats. Das gilt im übrigen auch für gewisse Haftungsprivilegien, die sich die öffentliche Verwaltung, namentlich die des Bundes, vorbehalten hat. Sie sind nicht durchweg unberechtigt, in ihrem Ausmaß aber, etwa im Bereich der Finanzverwaltungen, schwer erträglich.Nach dem Entwurf bleibt es auch bei der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für den Geldersatzanspruch. Der für eine veränderte Rechtswegzuweisung erforderlichen Verfassungsänderung haben wir uns aus guten Gründen widersetzt. Die CDU/CSU hegt nachhaltige Zweifel an der Nützlichkeit einer sogenannten Vereinheitlichung der Rechtswege, die in der Praxis dazu führt, daß nicht die ordentlichen Gerichte, sondern die Gerichte aller Gerichtszweige über Schadensersatzklagen im Rahmen des Staatshaftungsrechts zu entscheiden haben. Die besonderen Erfahrungen der ordentlichen Gerichtsbarkeit auf diesem Gebiet sollen dem rechtsschutzsuchenden Bürger nach unserer Überzeugung auch in Zukunft zugute kommen. Die damit verbundenen Nachteile sind verhältnismäßig gering. Eine Veränderung des geltenden Rechts tritt insoweit nicht ein. Die Verdoppelung des Rechtswegs, also die Notwendigkeit, die Verwaltungsgerichte vor den ordentlichen Gerichten anzurufen, wird — wie in der Vergangenheit so auch in der Zukunft — nur selten eintreten. Eine Verlagerung der Masse der Schadensersatzklagen von der ordentlichen auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit hätte dort überdies zu einer spürbaren Stellenvermehrung führen müssen, die jetzt vermieden ist.Gewisse kompetenzrechtliche Bedenken gegen den vorliegenden Gesetzentwurf seien nicht verschwiegen. Meines Erachtens erstickt sich die Zuständigkeit des Bundes nicht auf die Regelung des Folgenbeseitigungsanspruchs, soweit er sich aus dem rechtswidrigen Vollzug von Landesrecht ergibt Insoweit sind die Länder zuständig.Die verbleibenden. Vorteile des Entwurfs wiegen nicht schwer genug, um das geltende Recht durch eine neue Konzeption, durch eine Vielzahl neuer Vorschriften zu ersetzen. Der Entwurf in seiner vorliegenden Form beseitigt die für den durch staatliches Unrecht geschädigten Bürger gravierendsten Mängel des geltenden Staatshaftungsrechts nicht. Wir haben deshalb in die Verhandlungen des Rechtsausschusses den Vorschlag eingebracht, die verbliebenen positiven Elemente des Entwurfs im Rahmen des geltenden Rechts zu verwirklichen. Der Vorschlag ist abgelehnt worden; ein neues Gesetz soll gemacht werden. Dieser Aufwand erscheint uns nicht gerechtfertigt. Er schadet mehr, als er nützt. Dem Postulat einer Verminderung der Gesetzesflut wird wieder einmal zuwidergehandelt Wir werden uns daran nicht beteiligen.Die CDU/CSU-Fraktion lehnt diesen Gesetzentwurf ab. — Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Däubler-Gmelin.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es sehr schade, Herr Klein, daß wir jetzt am Ende einer doch sehr langen Beratung zum Staatshaftungsgesetz von Ihnen wieder Wertungen hören wie „Scheinreform", „Gesetzesflut" und ähnliches mehr. Ich finde das deshalb schade, weil wir doch alle, glaube ich, sehr wohl wissen, daß gerade mit dem Gesetzentwurf zur Reform des Staatshaftungsrechts ein Entwurf vorliegt, der zum einen sehr schlank ist — 39 Paragraphen, einschließlich der Anpassungsvorschriften und der Inkrafttretens-Klausel —
und der zum anderen sehr lange, sehr intensiv und sehr gut durchberaten wurde. Wir alle wissen doch, daß es Ende der 60er Jahre extra eine auch wissenschaftlich gut besetzte Kommission gab, die die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten durchdacht und durchgearbeitet hatWir haben dann im Jahre 1973 ihren hochqualifizierten Bericht bekommen und Referentenentwürfe und einen Regierungsentwurf. Es folgten zwei Jahre Ausschußberatung unter Ihrer Beteiligung; das kann also gar nicht so schlecht gewesen sein.
— Vielen Dank. Ich beziehe das natürlich auch auf mich.Weiter hatten wir ein Anhörungsverfahren und eine sehr intensive wissenschaftliche Begleitung unserer Arbeit. All das — das sollte festgehalten werden — hat dazu geführt, daß die Ergebnisse, die wir heute vorliegen haben, nicht einfach mit „Scheinreform" oder „nicht für den Bürger geeignet" abzutun sind. Ich meine, man hätte heute noch ein bißchen sachlicher, als das geschehen ist, auf die Vorteile und auch auf die derzeitigen Probleme dieses Gesetzentwurfs hinweisen können. Man kann sich auch mit ihnen sachlich auseinandersetzen.Lassen Sie mich deshalb noch einmal sagen, worüber wir uns eigentlich alle einig waren. Wir waren uns einig darüber, daß wir heute ein durch Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit geprägtes Verständnis vom Verhältnis zwischen Staat und Bürger haben; wir waren uns völlig darüber einig, daß das, auf unser Gebiet bezogen, bedeuten muß, daß der Staat für Schäden, für die er verantwortlich ist, zur Verantwortung gezogen werden muß, und wir waren uns darüber einig — auch Sie stimmten dem teil-
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Frau Dr. Däubler-Gmelinweise und zeitweise zu —, daß schon der Gesetzentwurf, der uns vom Justizministerium vorgelegt wurde, sehr viele dieser Anforderungen in hohem Maße erfüllte.Sie haben ja selber darauf hingewiesen, daß der Staat, also die öffentliche Hand, unmittelbar, ausschließlich, primär, also ohne Abwälzungsmöglichkeiten auf Dritte, haftet, wenn nicht dargelegt werden kann, daß bei den Handlungen des Staates oder daß seine Bediensteten bei ihren Handlungen, bei ihren Verwaltungsakten, bei Bescheiden oder z. B. auch bei Dienstfahrten alles getan haben, was ihnen ein vernünftiger Mensch zumuten kann. Sie haben schon darauf hingewiesen, daß es diese Entlastungsmöglichkeiten bei rechtswidrigen Grundrechtseingriffen nicht gibt. Wir halten das und auch das abstufende System für richtig, weil wir der Auffassung sind, daß die Grundrechte bei uns einen besonderen Wert haben und daß deshalb eine schärfere Haftung durchaus angebracht ist.Ich glaube, man muß noch einmal unterstreichen, daß wir auch im Bereich der Schadensregelung eine ganze Menge verbessert haben, teils durch den Entwurf selbst und teils durch die Beratungen im Rechtsausschuß. Da gibt es jetzt z. B. die Bestimmung, daß bei rechtswidrigen Eingriffen in den Grundrechtsbereich der volle Schaden anstelle des Substanzverlustes zu ersetzen ist. Das ist ein Vorteil. Es gibt dann weiterhin die Vorschrift, daß im Bereich der Verletzung immaterieller Rechtsgüter ein angemessener Schadensersatz in Geld für NichtVermögensschäden gezahlt werden muß. Auch das ist — übrigens auch gegenüber der Rechtsprechung, Herr Klein — ein Fortschritt. Es gibt dann die Gleichstellung des Folgenbeseitigungsanspruches mit dem Geldersatzanspruch. Es gibt schließlich — damit entferne ich mich etwas vom Schaden — die Einbeziehung neuer technischer Einrichtungen, die heute in zunehmendem Maße Bedienstete ersetzen, also Ampelanlagen und andere selbständige technische Systeme. Auch das ist ein Vorteil für den Bürger. Wir haben schließlich eine sachgerechte, wie ich meine, nach den Grundsätzen der Praxis und auch der Plausibilität vorgenommene Grenzziehung gefunden, die zwischen Privatrecht und Staatshaftungsrecht abgrenzt. Dies alles sind doch unbestreitbar Vorteile.Wenn Sie jetzt sagen, daß angemessenerweise ein Entlastungsnachweis des Staates nur im Fall der äußersten Sorgfalt geführt werden dürfte und daß das nicht nur Ihr Grund für die Ablehnung der Grundgesetzänderung, sondern auch der Grund für die Ablehnung dieses Gesetzentwurfs gewesen sei, Herr Klein, dann halte ich das von der Sache her für verfehlt und deshalb für bedauerlich. Sie wissen sehr wohl — ich habe daraus keinen Hehl gemacht —, daß ich durchaus eine gewisse Sympathie für diese Ausweitung des Haftungsmaßstabes habe. Davon habe ich hier nichts zurückzunehmen. Es fragt sich nur, ob dieser Haftungsmaßstab ihre Ablehnung der Gesamtregelung trägt, ob also die Wertigkeit dieser Haftungsverschärfung wirklich so hoch anzusiedeln ist. Ich meine, das ist nicht der Fall, weil man doch bei aller Sympathie für eine solche Lösung sehen muß, daß damit natürlich auch Risiken, keineswegs bloß für die Kosten, verbunden sind.Ich habe aus der ersten Lesung noch sehr wohl in Erinnerung, daß der Kollege Erhard — in einer Zwischenfrage — bemerkt hat, so viel zusätzliches Unrecht könnten die Staatsbediensteten gar nicht verursachen, daß die Haftungsverschärfung die Kosten so in die Höhe drücken könne. Ich teile diese Auffassung. Es gibt natürlich aber andere Gefahren. — Stichwort: Bedienstete. Sie und ich wollen nicht, daß Bedienstete ständig mit der Nase in den Vorschriften herumstöbern, sondern Sie und ich wollen, daß Bedienstete im Rahmen des Vertretbaren vernünftig handeln. Wenn die Haftungsverschärfung zur Folge hätte, daß man an alles Handeln der öffentlichen Gewalt den Maßstab anlegt, den man beispielsweise nach einem etwas karikierten Bild der Reichsgerichtsrechtsprechung an die Sorgfaltspflicht bei der Teilnahme am Straßenverkehr gelegt hat, dann wäre dies auch nicht richtig. Ich darf dieses Bild in Ihre Erinnerung zurückrufen! Danach würde ein Autofahrer dem Sorgfaltsmaßstab nur dann genügen, wenn er etwa zehn Meter vor einer Kreuzung anhalten, das Auto verlassen, sich dann an die Kreuzung vortasten und, wenn es sich um eine Straßenbahnschiene handelte, den Kopf auf die Schiene legen und dann wieder zurückgehen würde, um mit dem Auto ausreichend langsam vorzurücken. Diese Gefahr besteht natürlich auch.
— Sie werden das ganz bestimmt wissen. Ich muß erst nachgucken.Zweiter Punkt. Es könnte natürlich auch die Gefahr bestehen, daß wir durch den Haftungsmaßstab der äußersten Sorgfalt zu stark zu einem Auseinanderklaffen in den Haftungsmaßstäben des privaten Bereichs und des öffentlichen Bereichs beitrügen. Auch das ist nicht ganz von der Hand zu weisen.Sie rügen dann weiterhin — Sie haben das gerade eben wieder getan —, daß sich der Bund für seinen Bereich Haftungsprivilegien vorbehalten habe. Herr Klein, ich halte das, was Sie sagen, nicht für ganz richtig. Sie wissen sehr wohl, daß wir für die Privilegien im Postbereich und im Finanzbereich — im einen Fall in unserem Gesetz und im anderen Fall im Zusammenhang mit diesem Gesetz — Haftungsverschärfungen vorgesehen haben. Die aber werden gegen Ihr Votum Gesetzeskraft erlangen — obwohl das dem Bürger nützt —, wenn Sie dieses Gesetz ablehnen. Ihre Argumentation ist also auch insoweit nicht richtig.Ihre Argumentation, der Bund habe sich Haftungsprivilegien vorbehalten, die er den Ländern und Gemeinden nicht gebe, stimmt auch nicht. Sie wissen ganz genau, daß die unterschiedlichen Regelungen mit einer solchen Grenzziehung nichts zu tun haben, sondern daß es sich einfach um sachlich andere Bereiche handelt. Im Postbereich und bei den Finanzbehörden haben wir Masseverfahren, die es so im Bereich der Länder und Gemeinden nicht gibt Dort handelt es sich doch um individuellere Verhältnisse. Und auch im übrigen kann man gerade
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Frau Dr. Däubler-Gmelindieser Bundesregierung nicht vorwerfen, sie habe für den Abbau der Privilegien der Bundesunternehmen nichts getan. Ich erinnere jetzt nur einmal an die allgemeinen Geschäftsbedingungen, an die Bemühungen des Bundesjustizministers, diesen allgemeinen Geschäftsbedingungen — so wie wir das alle gemeinsam wollen — in dem Bereich der öffentlichen Unternehmen des Bundes Geltung zu verschaffen.Dritter Punkt. Sie haben auch festgestellt, wir alle seien uns einig, daß man von der zivilrechtlichen Verstrickung des Staatshaftungsrechts wegkommen müsse. Auch wir sind dieser Auffassung. Bloß, wenn wir Ihrem Vorschlag gefolgt wären, das, was Sie wollen, ins Bürgerliche Gesetzbuch aufzunehmen, hätten wir doch genau dieses Ergebnis nicht erreicht Wir halten das nicht für richtig.Und wenn Sie jetzt aus alledem die Konsequenz ziehen, dem Gesetzentwurf nicht zuzustimmen, dann gestatten Sie mir dazu die Bemerkung, daß mich das an folgenden Fall erinnert: Eine Gemeinde braucht zwar dringend eine Kläranlage und kann sie, für ihre heutige Größe ausgelegt, auch durchaus finanzieren. Da sie aber nicht genau weiß, ob sie in fünf Jahren nicht erheblich mehr Einwohner hat, für die sie eine erheblich größere Kläranlage brauchen würde, zieht sie aus dieser Befürchtung die Konsequenz, die Kläranlage bzw. die Zuleitungskanäle jetzt insgesamt nicht zu bauen, nicht einmal in der Größenordnung, wie sie sie heute bauen könnte. Wäre das richtig? Ich halte das für ganz falsch. Ich bin der Meinung, daß unser Entwurf für den Bürger viel bringt, so daß man ihm zustimmen muß.Ich halte Ihre Behauptung, er bringe zu wenig, schließlich auch deshalb für nicht zulässig, weil Sie es waren, die vieles von dem verhindert haben, was wir noch zusätzlich wollten. Wir wollten ja nicht nur die skizzierte Verbesserung der Rechtsgrundlagen für den Bürger, sondern auch noch eine Vereinheitlichung des Rechtsweges, also die Verbesserung der Durchsetzungsmöglichkeiten. Wir sind davon ausgegangen, daß der Bürger wissen sollte, wann der Staat haftet, wie der Staat haftet und wie der Bürger zu seinem Recht kommt; wir wollten, daß dies bei einem Gericht geht. Deshalb u. a. wollten wir auch die Grundgesetzänderung und die Rechtswegvereinheitlichung. Sie haben der Grundgesetzänderung nicht zugestimmt; als Folge können wir diese Rechtswegvereinheitlichung heute nicht durchsetzen. Es wird bis auf weiteres so bleiben, daß ein Bürger, der etwa gegen die schädigende Handlung einer Gemeinde klagt, zuerst wegen der Rechtmäßigkeit vor die Verwaltungsgerichte gehen muß und wegen der Höhe des Schadensersatzes dann vor die Zivilgerichte. Hinzu kommt, daß er wieder zu den Verwaltungsgerichten gehen muß, wenn er einen Folgenbeseitigungsanspruch geltend machen will. Und wenn der Bürger sich erst später, nachdem er — vor den Zivilgerichten — zunächst Schadensersatz in Geld verlangt hat, darauf besinnt, doch lieber die Wiederherstellung des alten Zustandes zu verlangen, dann muß er wieder zu den Verwaltungsgerichten zurück. Wir meinen, daß das alles nicht dem Bürger dient und vermeidbar gewesen wäre. Wir sind auch der Meinung, daß das von uns vorgeschlagene Abhilfeverfahren, bundeseinheitlich geregelt, dazu beigetragen hätte, die Gerichte zu entlasten. Dem sind Sie mit Ihrem Nein zur Grundgesetzänderung ebenfalls nicht gefolgt.Zu den Kosten: Ich teile nicht Ihre Auffassung, daß man nicht in etwa absehen könnte, welche Kosten auf wen zukommen. Wir sind der Auffassung, daß unsere Beratungen und das Anhörungsverfahren im Ausschuß die Berechnungsmodalitäten, die uns das Justizministerium vorgelegt hat, sehr wohl bestätigt haben. Wir glauben, daß die Annahme dieses Gesetzes nicht Risiko, sondern einen kalkulierbaren und guten ersten Schritt bedeutet.Als letzten Punkt darf ich auf die Frage nach der Bundeskompetenz eingehen. Wenn wir hier schon die Bundeskompetenz und die Bedenken ansprechen, die der Rechtsausschuß des Bundesrats auf Vorschlag des Unterausschusses ins- Spiel gebracht hat, dann kann man nicht so tun, als bezöge sich dies lediglich auf den Folgenbeseitigungsanspruch in dem Bereich, den Sie genannt haben, Herr Klein; dann muß man sagen, daß das sehr viel weiter geht. Die Bedenken laufen darauf hinaus, daß zwar im Staatshaftungsrecht bisher alles bundesrechtlich — richterrechtlich — geregelt gewesen sei, daß das aber nicht ausreiche, um die Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Nr. 1 des Grundgesetzes herzuleiten. Ich halte das für falsch, und ich weiß natürlich auch, warum Sie die Folgerung des Bundesratsrechtsausschusses nicht gezogen haben. Seine Bedenken träfen auf das, was Sie vorschlagen, ebenso zu, und zwar deshalb, weil ja dafür, ob eine Materie kompetenzrechtlich dem bürgerlichen Recht zuzuordnen ist, nicht ausschlaggebend sein kann, ob eine solche Materie innerhalb des BGB oder außerhalb des BGB geregelt ist.Ich ziehe das Fazit: Warum Sie diesem Entwurf nicht zustimmen, ist nicht klar. Und ich darf Sie an folgendes erinnern: Der jetzige Justizminister des Landes Baden-Württemberg, Ihr früherer justizpolitischer Sprecher, Herr Eyrich, hat 1978 davon gesprochen, daß ein Kompromiß zwar nicht immer das Beste sei, aber er sei ein Fortschritt. Er sei der Meinung, daß dieses Staatshaftungsgesetz, wenn ein paar bestimmte Punkte erfüllt seien — diese Punkte haben wir übrigens erfüllt —, kompromißfähig sei. Warum schließen Sie sich eigentlich dieser Meinung nicht an?
Meine Damen und Herren, wir sind der Auffassung: Sie erweisen den Bürgern einen schlechten Dienst, wenn Sie nicht mit uns zusammen das verwirklichen, was heute gut machbar ist und was wir vorgelegt haben. Das geht weit über das hinaus, was bisher an gesetzlichen Rechtsgrundlagen und an Weiterentwicklung durch Rechtsprechung vorhanden ist Ich fände es gut, wenn Sie sich Ihr Abstimmungsverhalten überlegten. Wir stimmen diesem Gesetzentwurf jedenfalls zu.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980 17725
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Zur Zustandsbeschreibung hat Herr Kollege Klein so treffliche Ausführungen gemacht, daß man sich nur wundern kann, zu welchem Ergebnis er dann anschließend gekommen ist.
Es ist doch unbestreitbar, daß wir hier im Grundsatz einen ganz neuen Ansatz für die Verwirklichung der Rechte des Bürgers haben; was wichtiger ist: für das Verhältnis des Bürgers zu seinem Staat. Es ist dringend notwendig, die Konsequenz aus einer Bewußtseinsveränderung zu ziehen, die bezüglich unserer Demokratie, bezüglich unserer Auffassung von Bürgerrechten längst vonstatten gegangen ist, ohne im Rechtsbereich vollzogen worden zu sein, nämlich hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Bürger und Staat, wenn der Staat in die Rechte des Bürgers zu Unrecht eingreift.Deshalb ist es ganz notwendig, ohne Rücksicht auf etwa dem jetzigen Entwurf noch anhaftende Mängel zunächst einmal diesen wichtigen Schritt zu tun, daß das Rechtsverhältnis des Bürgers zum Staat in unserem Gesetz so geklärt wird, wie es für eine demokratische Auffassung, nach der der Staat dem Bürger und nicht der Bürger dem Staat zu dienen hat, selbstverständlich sein muß.Wenn dies das Kernanliegen ist und wenn im einzelnen so gerungen worden ist, wie Frau Däubler-Gmelin das hier zutreffend dargestellt hat, und wenn Sie, Herr Klein, sich dabei insbesondere sehr nützlich beteiligt haben, dann verstehe ich nicht, welche Mächte außerhalb Ihrer eigenen Erkenntnisfähigkeit dazu geführt haben, daß Sie diesen eigentümlichen Zickzackkurs gesteuert haben.
Im Jahre 1978 hat man im Bundesrat von seiten der Opposition einer Grundgesetzänderung zugestimmt, und vor einigen Wochen hat man von seiten der Opposition dieser Grundgesetzänderung im Rechtsausschuß zugestimmt. Ich muß Ihnen sagen: Für mich war es ein Aha-Erlebnis besonders erfreulicher Art, als Sie überraschenderweise mit diesem Vorschlag hervortraten, den ich schon nicht mehr für realisierbar gehalten hatte.
Dann müssen aber ganz eigentümliche Dinge vorgekommen sein.Ich gebe ja zu, daß es schon eigentümlich ist, daß der Haushaltsausschuß meint, das Wort „äußerste" müsse gestrichen werden, weil sonst Mehrkosten auf den Staatshaushalt zukommen. Das ist eine seltsame Entscheidung des Haushaltsausschusses.
Der Haushaltsausschuß ist ja, wie Sie wissen, ein Ding eigener Art. An dieser Stelle hat er meiner Ansicht nach endgültig überzogen.Ich muß das wohl für die Kollegen, die den Beratungsstand nicht laufend verfolgen konnten, einmal sagen: Wir haben die Formulierung gehabt, daß der Staat sich dann von seiner Haftung entlasten kann, wenn die äußerste gebotene Sorgfalt beachtet worden ist. Der Haushaltsausschuß hat nun herausgefunden, daß das Wort „äußerste" zu streichen ist, weil eine nicht genannte Zahl von Millionen DM zusätzlich ausgegeben werden müßte, wenn dieses Wort im Gesetzestext stehenbliebe. Eine sehr seltsame Idee, die man mit uns fairerweise wenigstens einmal hätte diskutieren sollen. Denn ich bin der Meinung, daß für einen Beamten die gebotene Sorgfalt immer die äußerste Sorgfalt ist. Anders kann ich mir die besonderen Privilegien und den von uns hochgeschätzten Status des Berufsbeamtentums überhaupt nicht erklären.
Wenn man so viel mehr Ruhe hat und in einer so anderen Organisation lebt als andere im Erwerbsleben Tätige, weil die Verantwortung so besonders ist, dann ist die gebotene Sorgfalt immer die äußerste SorgfaltDieser wichtige staatsrechtliche Grundsatz ist vom Haushaltsausschuß verkannt worden. Das haben Sie, Herr Klein, dann benutzt, um mannigfache andere Bedenken, die mit Sicherheit nicht bei Ihnen geboren sind — dazu habe ich die Beratungen zu sorgfältig verfolgt —, sondern die im Zweifel aus dem Bereich der Bundesländer gekommen sind, umzusetzen. Diese Änderung auf Wunsch des Haushaltsausschusses, die nach dem, was ich soeben gesagt habe, wenn schon nicht keine, so doch jedenfalls nur sehr geringe Bedeutung haben kann, haben Sie benutzt, um sich von Ihren früheren Zusagen und Ihren eigenen Vorschlägen wieder zurückziehen zu können. Sie haben gesprochen von einer Veränderung der Geschäftsgrundlage — nach all den Einigungen in wichtigen sachlichen Fragen.Damit setzt sich die Opposition in diesem Hause, die CDU/CSU, der Gefahr aus, die Mitwirkung an einer Entscheidung einfach zu verschlafen, deren materielle Bedeutung nicht annähernd so wichtig ist wie ihre grundsätzliche Bedeutung, nämlich das rechtliche Anerkenntnis eines anderen Verhältnisses des Bürgers zu seinem Staat.Weil uns Freien Demokraten dies so vorrangig ist, werden wir dem Gesetzentwurf zustimmen, obwohl wir tatsächlich in Einzelfragen erhebliche Bedenken anzumelden hätten. Hier muß erst einmal der wichtige Schritt getan werden, dieses Verhältnis auf eine andere Basis zu stellen; dann hat man später auch die Möglichkeit nachzubessern. Ich bin mit den Rechtswegkomplikationen, die sich hier jetzt auftun, genauso wenig einverstanden wie Frau Däubler-Gmelin. Allerdings würde ich im Zweifel zu anderen Lösungsvorschlägen kommen, die Ihren Lösungsvorschlägen, Herr Klein, wahrscheinlich näherkommen. Die Chance, das mit uns gemeinsam zu machen, haben Sie durch Ihr Verhalten bedauerlicherweise vertan. Weil wir aber die Grundsatzent-
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Kleinertscheidung für soviel wichtiger halten als unsere Bedenken im einzelnen, werden wir, wie ich soeben schon sagte, zustimmen.Eine Reihe von Privilegien, die noch aufrechterhalten sind, können bei Gelegenheiten abgebaut werden, vielleicht auch mit grundsätzlichen Überlegungen darüber, was des Staates Aufgabe ist und was seine Aufgabe nicht ist. Denn da, wo der Staat sich nicht überflüssigerweise in Tätigkeiten drängt, die auch andere erfüllen können, gibt es naturgemäß keine Probleme der Staatshaftung mehr. Das möchte ich nur für die Zukunft anmerken. Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976 hat der Bundeskanzler für die Bundesregierung die Vereinheitlichung und Erneuerung des völlig unübersichtlichen, zersplitterten und auch inhaltlich unbefriedigenden Staatshaftungsrechts angekündigt. Nach mehr als anderthalbjähriger, sehr sorgfältiger Beratung folgt dieser Ankündigung heute die parlamentarische Tat, d. h. die Verabschiedung des von der Bundesregierung im Mai 1978 vorgelegten Entwurfs in der vom Rechtsausschuß empfohlenen und, ich stehe nicht an hinzuzufügen, verbesserten Fassung.Der Entwurf beseitigt Unübersichtlichkeit und Zersplitterung. Der bislang geltende Rechtszustand ist dem geschriebenen Recht nur bruchstückhaft zu entnehmen. Aus einzelnen Normen, die über eine Vielzahl von Vorschriften — ich nenne nur das Bürgerliche Gesetzbuch, sein Einführungsgesetz, das Reichsbeamtenhaftungsgesetz, acht Ausführungsgesetze der Länder, zahlreiche Polizei- und Pressegesetze der Länder, das Bundesgrenzschutzgesetz, und dieser Katalog ist nicht vollständig — verstreut sind und aus ganz unterschiedlichen Rechtsepochen stammen, zum Teil sogar noch aus dem letzten Jahrhundert, ergeben sich nur allgemeine Anhaltspunkte, die überdies mitunter — so etwa bei § 839 BGB — in die Irre führen. Konkret anwendbar sind die Regelungen des Staatshaftungsrechtes, so wie es heute gilt, überdies erst im Lichte des Richterrechts, das diese Rechtsprechung im Laufe der Zeit entwickelt hat. Richterrecht sind auch die wichtigen Institute des enteignungsgleichen Eingriffs, des aufopferungsgleichen Eingriffs und der Folgenbeseitigung. Demgegenüber regelt der Entwurf die eigentliche Materie nunmehr übersichtlich in knapp 17 Paragraphen. Die 22 anderen betreffen das Verhältnis zu anderen Regelungen oder passen das Bundes- und das Landesrecht an die Neuregelung an und erhöhen damit die Übersichtlichkeit und die innere Folgerichtigkeit unserer Rechtsordnung.Ich meine also — im Widerspruch zu dem, was Herr Kollege Klein ausgeführt hat —, daß wir hier nicht der Normenflut Vorschub leisten,
sondern daß wir im Gegenteil unsere Rechtsordnung übersichtlicher machen. Ich persönlich meine, daß dies allein schon die Zustimmung zu dem Entwurf und seine Verabschiedung rechtfertigen warde. Und wer noch eindringlicher als andere beständig die Unüberschaubarkeit unseres Rechts anprangert und eine durchgreifende Rechtsbereinigung fordert — sogar mit neuen Gesetzen, die zu diesem Zweck erlassen werden sollen —, der müßte eigentlich schon wegen dieses Bereinigungseffektes zu dem Entwurf ja sagen.Aber der Entwurf hat nicht nur formelle Bedeutung, er transformiert nicht nur Richterrecht in Gesetzesrecht, er bringt auch materielle Verbesserungen, von denen ich meine, daß sie einem sozialen und liberalen Rechtsstaat wohl anstehen, und die das Rechtsstaatsprinzip und das Sozialstaatsprinzip unserer Verfassung ein Stück voranbringen. Meine Vorredner — übrigens einschließlich des Kollegen Klein — haben das schon gründlich dargelegt. Aber lassen Sie mich bitte die sechs wichtigsten inhaltlichen Fortschritte noch einmal wiederholen.Erstens. Der Staat haftet künftig unmittelbar. Die Rechtsvorstellung, eigentlich sei die Wiedergutmachung eine privatrechtliche Pflicht des Beamten, in die der Staat nur nach Art einer Versicherung eintrete, gehört damit endgültig der Vergangenheit an.Zweitens. Der Staat haftet künftig an erster Stelle. Er kann den geschädigten Bürger nicht mehr an seine eigene, vom Bürger mit seinen Prämien bezahlte Versicherung oder an Dritte verweisen, die den Schaden vielleicht mit verursacht haben.Drittens. Der Staat muß künftig beweisen, daß die Pflichtverletzung auch bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt nicht hätte vermieden werden können. Es ist nicht mehr Sache des Bürgers, seinerseits dem Staat Sorgfalts- und Organisationsverstöße nachzuweisen.Viertens. Bei rechtswidrigen Grundrechtseingriffen haftet der Staat künftig in jedem Fall. Der besondere Rang der Grundrechte wird damit deutlich unterstrichen.Fünftens. Der Staat haftet künftig für das Versagen seiner technischen Einrichtungen, etwa der Verkehrsampeln oder der Computer, die mehr und mehr an Bedeutung gewinnen, ebenso wie für das Versagen seiner Dienstkräfte. Es geht also nicht mehr zu Lasten des Bürgers, wenn der Staat statt Menschen Maschinen verwendet, um seine Aufgaben zu erfüllen.Sechstens. Der Bürger kann künftig statt oder neben Geldersatz die Wiederherstellung des ursprünglichen oder — und das ist noch bedeutsamer — eines gleichartigen Zustandes verlangen. Bisher mußte er sich in der Regel mit Geld zufriedengeben, das eben nicht immer zu einem vollen Ausgleich des schädigenden Zustandes ausgereicht hat.Schließlich sind die Fälle, in denen der Staat nur wie ein Privater haftet, weil er dem Bürger nicht mit hoheitlicher Gewalt, sondern wie ein Privatmann gegenübertritt, klarer als bisher abgegrenzt. Dazu hat gerade der Rechtsausschuß in seinen Beratun-
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Bundesminister Dr. Vogelgen beigetragen. Auch werden Haftungsbeschränkungen auf bestimmten Gebieten, so etwa für die Deutsche Bundespost, wenigstens zum Teil abgebaut.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich meine, das ist doch eine inhaltliche Bilanz, über die man ernsthaft miteinander reden kann. Ich würde mir wünschen, wir hätten es hier im Bundestag nur mit Gesetzen zu tun, die jeweils für den Bürger vergleichbare Fortschritte wie dieser Entwurf bringen.
Natürlich, Herr Kollege Klein und meine Damen und Herren gerade von der Opposition, auch ich hätte mir in einzelnen Punkten noch weitergehende Lösungen gewünscht. Aber die sind teils an finanzpolitischen Erwägungen gescheitert, teils aber auch— lassen Sie mich das in aller Höflichkeit sagen — an der Opposition. Finanzpolitisch war eben der Maßstab der „äußersten Sorgfalt" nicht durchsetzbar.
— Nein, finanzpolitisch! Das ist nicht richtig.Und auch einem noch stärkeren Abbau der Haftungsbeschränkungen standen die fiskalischen Bedenken entgegen, die sich unter Umständen bei weitgehenden Reduzierungen natürlich auch wieder in den Gebühren niedergeschlagen hätten. Das muß man ehrlicherweise sagen. Aber, meine Damen und Herren, fiskalische Hemmnisse einzuräumen ist doch ebensowenig eine Schande wie die Feststellung, daß man schließlich einen vernünftigen Kompromiß erreicht hat. Und bei der Haftung für gesetzgeberische Pflichtverletzungen enthält der Entwurf jetzt immerhin eine ganz klare Vormerkung, an der die künftigen Spezialregelungen nicht so ohne weiteres vorbeigehen können.Bedauerlicher erscheint mir allerdings noch, daß die Vereinheitlichung der Rechtswege an den Bedenken der Opposition gescheitert ist. Hier hätte eben doch die Vielzahl der Instanzen fühlbar reduziert werden können. Gerichte, Anwälte und Bürger hätten Arbeit, die Bürger übrigens auch noch Kosten gespart;
denn es macht einen Unterschied, ob es letzten Endes drei oder sechs Instanzen sind. Indes, ohne die Opposition ist die Grundgesetzänderung nicht möglich. Damit muß sich die Bundesregierung — jedenfalls für die gegenwärtige Legislaturperiode — abfinden.Warum die Opposition im übrigen nein sagt, ist mir trotz der schriftlichen Berichte und auch trotz Ihrer Ausführungen, Herr Kollege Klein, nicht völlig klargeworden.
— Entschuldigung, jedenfalls zu dem, was jetzt verabschiedet werden soll.
Die neue Drucksache weist wieder ein Nein aus.Ich sehe übrigens kommen, daß spätere Wissenschaftler, die sich diesem Gebiet widmen, gewisse Schwierigkeiten haben werden, die Aufeinanderfolge der Rechtsausschußberichte innerhalb kurzer Zeit mit unterschiedlichen Voten nachzuvollziehen.Jetzt ist die Frage: Warum sagen Sie nein? Sie sagen, es handle sich um eine Scheinreform. Herr Kollege Klein, kann man das wirklich sagen? Sind die sechs Punkte — und es sind von Frau Kollegin Däubler-Gmelin und Herr Kollegen Kleinert noch andere erwähnt worden — wirklich nur Schein? Sie haben dies doch selbst alles für wichtig genug gehalten, um zunächst zuzustimmen. Nun sagen Sie: Weil der Haushaltsausschuß das Wort „äußerste' herausgestrichen hat! Nun frage ich noch einmal in aller Ruhe: Ist der Unterschied zwischen der „gebotenen Sorgfalt" und der „gebotenen äußersten Sorgfalt" wirklich so gewichtig, wenn es um die rechtsstaatliche Verpflichtung geht, mit der öffentlichen Gewalt sorgsam umzugehen? Kann diese Nuance so entscheidend sein, Herr Kollege Klein, daß Sie deswegen zu dem ganzen Werk nein sagen wollen, dessen Vorzüge Sie ja doch dankenswerterweise in wichtigen Punkten anerkannt haben? Ich fürchte, das wird doch der Bedeutung und den Relationen nicht gerecht. Hier geschieht doch mehr als eine Routinekorrektur. Hier wird auf einem langen Weg, der ja nicht erst 1860 begonnen hat, sondern viel weiter zurückreicht, ein wichtiger Schritt getan. Am Anfang dieses Weges stand der allmächtige absolute Staat, der zwar Kraft seiner Macht Recht setzte, selbst aber an dieses Recht nicht gebunden war. Am Anfang dieses Weges stand der Untertan, der staatliches Unrecht wie einen Schicksalsschlag hinzunehmen hatte. Jetzt nähern wir uns dem Ziel, dem Rechtsstaat nämlich, der die Rechte seiner Bürger stärker noch achtet, als er es seinen Bürgern wechselseitig zu tun vorschreibt, der weiß, daß seine Gewalt und sein Gewaltmonopol — das Gewaltmonopol ist ja der größte Fortschritt in der Staats- und Zivilisationskultur durch die Jahrtausende — die Legitimation nur vom Recht empfangen und von dem unbedingten Willen, das Recht wiederherzustellen, wo es vom Staat selbst gekränkt wurde. Was ein Zachariä, was der Deutsche Juristentag schon 1867 gefordert hat, wofür Otto Mayer, Otto Gierke, Rudolf von Herrnritt eingetreten sind, was den Vätern des Grundgesetzes vorschwebte, was der Deutsche Juristentag 1968, 101 Jahre nach der ersten Befassung mit diesem Thema, erneut angesprochen hat — die-
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Bundesminister Dr. Vogelser Entwurf trägt dem Rechnung; er erfüllt nicht alles, aber sehr viel davon.
Mir bleibt übrig, in erster Linie den deutschen Richtern zu danken, die das Staatshaftungsrecht bislang entwickelt und mit ihrer Rechtsprechung zur Amtshaftung, zum enteignungsgleichen Eingriff, zum aufopferungsgleichen Eingriff und zur Folgenbeseitigung in den Grenzen des richterrechtlich Zulässigen ergänzt und damit dem Rechtsstaat einen wertvollen Dienst in den vergangenen Jahrzehnten erwiesen haben. Ich möchte dem Deutschen Juristentag 1968 und der von dem Bundesinnenministerium und dem Bundesjustizministerium berufenen Staatshaftungskommission danken, die in sehr gründlicher Arbeit die Grundlagen für das gelegt hat, was wir heute verabschieden. Ich möchte der Frau Berichterstatterin und den Herren Berichterstattern danken, die sich der schwierigen Materie mit großem Engagement angenommen und den Entwurf konstruktiv weiterentwickelt und ausgeformt haben, unabhängig davon, ob jetzt am Schluß ein Ja oder ein Nein gesagt wird. Aber ich möchte auch den Finanzpolitikern danken, die insgesamt doch ein erfreuliches Verständnis für die rechtsstaatliche Bedeutung des Gesetzgebungswerks gezeigt haben.Ich bitte nun namens der Bundesregierung um Zustimmung. Ich bitte auch die Opposition noch einmal um Prüfung, ob sie nicht jetzt oder im weiteren Gesetzgebungsverfahren — die Möglichkeit, daß wir uns hier noch einmal mit der Vorlage zu beschäftigen haben, ist ja nicht völlig auszuschließen — zum Ja zurückkehrt. Die Sache und der Entwurf wären ein solches Ja wert.Ich danke für die Aufmerksamkeit
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in der zweiten Beratung. Ich rufe die §§ 1 bis 39 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? - Das Gesetz ist in zweiter Lesung mit Mehrheit angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wird das Wort gewünscht? — Dies ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist in dritter Lesung mit Mehrheit angenommen.
Es ist nun noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4144 unter Ziffer 2, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 und 8 auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes
— Drucksachen 8/3259, 8/3661 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 8/4172 —Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Riedl
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 8/4119 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Pensky Spranger
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 28. Juni 1978 über die Kontrolle des Erwerbs und Besitzes von Schußwaffen durch Einzelpersonen
— Drucksache 8/3660 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 8/4121 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Miltner Pensky
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat hat empfohlen, eine verbundene Debatte durchzuführen. — Es herrscht Übereinstimmung im Hause.
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Das Wort hat der Abgeordnete Spranger, und damit ist die Aussprache eröffnet.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn der Deutsche Bundestag heute erneut Veränderungen im Bereich des Waffenrechts zu beschließen hat, dann bringt dies nur in Teilbereichen Verbesserungen. Weder wird dadurch eine nachhaltige Korrektur zahlreicher Ungereimtheiten, Unübersichtlichkeiten und gesetzgeberischer Fehlentscheidungen im Waffenrecht der vergangenen Jahre vorgenommen oder das Waffenrecht entscheidend verbessert, noch wird die Verpflichtung des Gesetzgebers eingelöst, sich umfassend mit einer entbürokratisierenden Form des Waffenrechts auseinanderzusetzen. Gerade die Beratung dieser drei Gesetzentwürfe im Ausschuß hat das weitverbreitete Unbehagen bei der Exekutive, bei den Abgeordneten, aber auch bei den Betrof-
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Sprangerfenen zum Waffenrecht und der heutigen Situation dazu deutlich gemacht.Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem europäischen Übereinkommen vom 28. Juni 1978 nennt als Ziel die Verbesserung der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten des Europarates bei der Bekämpfung des illegalen Waffenhandels und des illegalen Besitzes von Schußwaffen. So begrüßenswert einerseits die Absicht ist, der Weisheit letzter Schluß ist dieses europäische Abkommen mit Sicherheit nicht. Zu Recht sind im Innenausschuß Bedenken bezüglich des zu erwartenden Verwaltungsaufwandes geäußert worden. Der Absichtserklärung der Bundesregierung, den Verwaltungsaufwand so gering wie möglich zu halten, begegnen wir nach den früheren Erfahrungen mit Skepsis.Hinsichtlich des doppelten Genehmigungsverfahrens hat die Bundesregierung begrüßenswerter-weise Vorbehalte angemeldet Wir gehen davon aus, daß von diesen Vorbehalten dann auch Gebrauch gemacht wird; denn das doppelte Genehmigungssystem ist ebenso zu aufwendig wie das Mitteilungsverfahren im Hinblick auf Kriegswaffen, die an die Streitkräfte oder die Polizeien anderer Staaten geliefert werden. Das Bundesministerium des Innern muß den Vollzug des Übereinkommens sorgfältig überwachen und insbesondere darauf dringen, daß der Bürger nicht von mehreren staatlichen Stellen bürokratisch reglementiert wird.Dieses Gesetz gibt auch Anlaß zu zwei Feststellungen.Erstens hat der Bundesgesetzgeber erneut in einer sehr bedeutsamen Gesetzesfrage im Grunde kaum die Möglichkeit gehabt, entscheidend auf die Gestaltung des dem Gesetz zugrunde liegenden europäischen Übereinkommens Einfluß zu nehmen. Das bestätigt die Erfahrung, die wir im Innenausschuß wie wohl auch andere Ausschüsse in den vergangenen Jahren gemacht haben: Die Flut jener gesetzlichen Regelungen, die im europäischen Bereich nicht über parlamentarische Gremien dem Bundesgesetzgeber zur Ratifizierung ohne die Möglichkeit zur Änderung vorgelegt werden, hat ständig zugenommen. Es ist dringend erforderlich, künftig die Möglichkeiten des nationalen Gesetzgebers, auf derartige Gesetzesbestimmungen Einfluß zu nehmen, zu stärken.Zweitens hat die CDU/CSU im Innenausschuß auch die Gesetzestechnik kritisiert. In der Anlage I dieses Übereinkommens sind in außerordentlich umständlicher und unnötig komplizierter Weise Definitionen zum Übereinkommen enthalten, die für den Gesetzesanwender wie für den vom Gesetz Betroffenen weitgehend unverständlich sind. Die Übersichtlichkeit und Verständlichkeit der Gesetze, die immer gefordert wird, wird hier mit Sicherheit nicht praktiziertAus diesem Grunde hat die CDU/CSU auch beim Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes wesentliche Paragraphen abgelehnt. Die §§ 21 und 24 bis 26 setzen sich aus zahllosen Absätzen und Unterabsätzen, aus vielen Verweisungen und umfassend enumerierenden Einzelregelungen zusammen, die das Waffenrecht noch komplizierter und unübersichtlicher machen. Hier tobt sich ein Gesetzesperfektionismus aus, der in glattem Widerspruch zum allgemein anerkannten Ziel der Entbürokratisierung steht Außerdem wird dem Bundesinnenminister ein breiter Katalog von Ermächtigungen zu Verordnungen eingeräumt, die die Möglichkeit und Gefahr einer automatischen weiteren Ausuferung des Waffenrechts mit sich bringen.Aus diesem Gesetzeswerk spricht insgesamt ein tiefes und unberechtigtes Mißtrauen gegen Waffenbesitzer, Schützen, Waffenhändler und andere Personen, die legal Eigentümer oder Besitzer von Waffen sind. Über das berechtigte Ziel, strafbare Handlungen mit Waffen zu verhindern, wird weit hinausgegangen.Wenn der Bund schließlich meint, daß zusätzliche Kosten dieses Gesetzes nur durch den Vollzug der Typenprüfung und -zulassung von Munition durch Schaffung von zwei Stellen im gehobenen technischen Dienst entstehen, so ist dies unrealistisch. Vor allem die Umsetzung dieses Gesetzes in den Ländern und in den Gemeinden wird diesen einen erheblichen zusätzlichen Verwaltungsaufwand abverlangen. — Aus diesen Gründen insgesamt haben wir die §§ 21 und 24 bis 26 sowie Art. 2 im Ausschuß abgelehnt.Wenn wir in der Schlußabstimmung schließlich doch nicht gegen das Gesetz gestimmt haben, so deswegen, weil mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Waffengesetzes auch eine Änderung des § 6 Abs. 4 Nr. 6 des Waffengesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Waffenrechts vom 31. Mai 1938 verbunden war. Diese Änderung beruht auf einer Initiative der CDU/CSU, die einen entsprechenden Gesetzesantrag vorgelegt hatte, dem sich in den Beratungen dann auch die Vertreter der Koalitionsparteien angeschlossen haben.Durch die Ermächtigung von 1978 hatte der Innenminister das Recht erhalten, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zur Abwehr von Gefahren vorzuschreiben, daß Schußwaffen, Munition und Geschosse in bestimmter Weise zu verpacken und aufzubewahren sind. Diese Ermächtigung hat nun seit 1978 mehrfach zu zum Teil haarsträubenden Bemühungen des Bundesinnenministers geführt, eine Verpackungs- und Aufbewahrungsverordnung zu erlassen, die mit ungeheurem Kostenaufwand und mit schrecklichem Bürokratismus und Gesetzesperfektionismus versuchen sollte, diese Ermächtigung auszufüllen.Seit Erlaß dieser Ermächtigung hat sich darüber hinaus ergeben, daß sich Befürchtungen, die damals, im Mai 1978, für diese Ermächtigung — die ja seinerzeit auch von allen Parteien akzeptiert wurde — sprachen, nicht bestätigten. Terroristische Vereinigungen würden sich — so nahm man damals an — ihre Waffen bei Jägern, Sportschützen oder anderen Privatpersonen beschaffen, weil die es ihnen zu einfach machen und die Waffen nicht richtig verwahren würden. Heute aber steht fest — und dies auch und vor allem auf Grund der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der CDU/
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SprangerCSU - daß die betroffenen Privatpersonen ihre Waffen auch ohne die Rechtsverordnung des Bundesinnenministers hinreichend vor dem Zugriff krimineller Elemente sichern. Das Bundesinnenministerium zeigte sich weiterhin nicht in der Lage, die Ermächtigung auszufüllen, es sei denn, mit einem derartig großen baulichen und finanziellen Aufwand, daß es für die Betroffenen unzumutbar gewesen wäre und in keinem Verhältnis zum erhofften Mehr an Sicherheit gestanden hätte.Nachdem nun diese Ermächtigung mehr als zwei Jahre lang wie ein Damoklesschwert über Sportschützen, Jägern und sonstigen zum Besitz und Führen von Waffen berechtigten Privatpersonen hing, hat der Gesetzgeber auch die Verpflichtung, die dadurch eingetretene unerträgliche Verunsicherung dieser Personenkreise zu beseitigen. Das liegt auch im Interesse der örtlichen Behörden, die nun endlich wieder Entscheidungen treffen können, die dauerhaft sind und nicht ständig unter dem Vorbehalt einer unausgefüllten Ermächtigung stehen.Schließlich war und ist in zunehmendem Maß nicht einzusehen, warum dem Bundesinnenminister ein Instrument zur Knebelung der ganz, ganz überwiegend gesetzestreuen Sportschützen, Jäger und sonstigen zum Besitz und Führen von Waffen berechtigten Privatpersonen in die Hand gegeben werden soll, wenn seine sonstige Sicherheitspolitik in breitem Umfang zu einem ständigen Abbau der Handlungsfähigkeit staatlicher Organe
gegenüber Terroristen und sonstigen Kriminellen sowie gegenüber Verfassungsfeinden, politischen Extremisten und kommunistischen Agenten führt.
Wir halten es für einen Anachronismus, grundsätzlich gesetzestreue Bürger zusätzlich und in einem Höchstmaß durch solche Bestimmungen zu belasten, während andererseits der Bundesinnenminister nicht nur gegenüber Kriminellen und Terroristen ständig Sicherheit abbaut, nicht nur sich mit zu langen Freiheitsstrafen verurteilten Terroristen zu stundenlangen Gesprächen hergibt, sondern sogar auf einem öffentlichem Empfang ein gemeinsames Buch mit dem Altterroristen Mahler unter dem Titel „Der Minister und der Terrorist" herausgibt.
Dieser Skandal wird durch die Tatsache verstärkt, daß der Bundesinnenminister bei der internationalen Tagung von Kriminalbeamten in Aachen am 22. Mai mit der falschen Behauptung, er werde im Innenausschuß benötigt, sein zugesagtes Grundsatzreferat absagte. Die Kumpanei mit einem in Strafhaft einsitzenden Altterroristen ist Herrn Bundesminister Baum offenbar wichtiger als ein sichtbares Engagement für die vielfältigen und schwerwiegenden Probleme der inneren Sicherheit bei den Verantwortlichen. Ihm sind solche Altterroristen wie Herr Mahler offenbar wichtiger als Polizeibeamte, die bei der Verfolgung von Terroristen ihre Knochen hinhalten.
Nach unserer Auffassung hat es in der Bundesrepublik Deutschland noch niemals einen Innenminister gegeben, der in so grober, zielstrebiger und vielfältiger Weise laufend die Sicherheit und den Schutz unserer Bürger demontiert Wer wie Herr Baum Sicherheit abbaut, schafft nicht mehr Freiheit, sondern produziert mehr Gefahren für die Freiheit.Der Schaden dieser Politik kann und darf nicht durch Knebelung der Schützen und Jäger ausgeglichen werden.
Der von Herrn Kollegen Pensky vorgelegten ergänzenden Entschließung zu diesem Komplex konnte die CDU/CSU im Ausschuß nicht zustimmen. Diese Entschließung enthält nach unserer Auffassung bloße Selbstverständlichkeiten, mit denen man den Bundestag besser verschonen sollte, auch unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung überflüssiger Gesetzesproduktion. Es bedarf doch wirklich keiner Entschließung des Deutschen Bundestages, daß er die Überzeugung habe, für die Bekämpfung der Gewaltkriminalität sei sichere Verwahrung von Schußwaffen von erheblicher Bedeutung. Es steht auch schon längst im Gesetz, daß die zuständigen Behörden der Länder den Besitzern von Waffen Auflagen zur sicheren Aufbewahrung machen können — wobei sie allerdings nicht die verhängnisvolle Unsicherheitspolitik des Bundesinnenministers ausgleichen können. Eine leere Deklamation ist es schließlich, von den Landesregierungen entsprechende Ausfüllung der gesetzlichen Befugnisse zu fordern, es sei denn, man unterstellt den Ländern willkürlich, sie würden davon nicht entsprechend Gebrauch machen.Das Waffenrecht — das hat die Beratung auch dieser drei Gesetzentwürfe ergeben — bedarf dringend insgesamt einer umfassenden Verbesserung. Der nächste Deutsche Bundestag sollte deshalb hier eine umfassende Rechtsbereinigung und eine Durchforstung einer unübersichtlich gewordenen, zu Ungerechtigkeiten führenden und Exekutive wie Gerichte wie Betroffene unerträglich belastenden Gesetzesmaterie anstreben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pensky.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es war selbstverständlich zu erwarten, Herr Kollege Spranger, daß Sie wie bei jeder Gelegenheit und bei allem, selbst wenn es absolut unpassend ist, Ihre polemische Platte gegen die Bundesregierung oder die Koalition abspielen.
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PenskyAber ich bin nicht bereit, auf diesen Sums überhaupt irgendwie einzugehen.
Ich halte es für richtig, Herr Kollege Spranger, daß ich mich rein sachlich nur mit dem auseinandersetze, was heute auf der Tagesordnung steht und was wir beschließen wollen.Ich weise darauf hin, daß es drei Gesetzentwürfe sind, mit denen wir uns zu befassen haben. Wenn wir die Punkte 7 und 8 der Tagesordnung in verbundener Debatte erörtern, ist es folgerichtig, wenn der Gesetzentwurf auf Drucksache 8/3660, der als Punkt 8 auf der Tagesordnung steht, zunächst besprochen wird, weil sich nämlich der Gesetzentwurf zu Punkt 7 auf der Drucksache 8/3661 im wesentlichen nur aus dem erstgenannten Gesetzentwurf ableitet, wie ich später im einzelnen noch erläutern werde. So will ich deshalb auch verfahren.Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf auf Drucksache 8/3660 soll das Europäische Übereinkommen vom 28. Juni 1978 über die Kontrolle des Erwerbs und Besitzes von Schußwaffen durch Einzelpersonen ratifiziert werden. Das Übereinkommen hat zum Ziel, dem illegalen Waffenhandel von Land zu Land entgegenzuwirken. Die Initiative im Europarat hierzu hat die Bundesregierung ergriffen. Sie hat in zähen Verhandlungen schließlich auch zu einem brauchbaren Ergebnis geführt. Hierzu können wir der Bundesregierung nur Dank und Anerkennung sagen. Der Anstoß zu einer solchen Aktivität geht — das darf ich in Erinnerung rufen — auf eine Entschließung des Deutschen Bundestages im Zusammenhang mit der abschließenden Beratung des ersten bundeseinheitlichen Waffengesetzes im Jahre 1972 zurück. In dieser Entschließung wird die Bundesregierung u. a. aufgefordert — ich zitiere —, „alsbald die notwendigen Schritte zur Harmonisierung des Waffenrechts der europäischen Staaten einzuleiten".Damals wie heute, meine Damen und Herren, gilt dies: In den Mitgliedstaaten des Europarats sind der Erwerb und der Besitz von Schußwaffen in sehr unterschiedlichem Umfang einschränkenden Bestimmungen unterworfen. Diese Situation begünstigt den unkontrollierten Erwerb von Schußwaffen durch Personen, die in einem anderen Land ansässig sind, sowie den illegalen Waffenhandel. Ich möchte das mit dem folgenden Beispiel verdeutlichen. Die Schußwaffe, mit der Generalbundesanwalt Buback seinerzeit meuchlings ermordet wurde, ist, wie langwierige kriminalpolizeiliche Ermittlungen ergeben haben, in einem Waffengeschäft in der Schweiz legal erworben und illegal in die Bundesrepublik eingeführt worden.Das Übereinkommen vom 28. Juni 1978 verpflichtet deshalb die Vertragsparteien, ein Kontrollsystem für internationale Waffentransaktionen einzuführen. Es sieht zwei Kontrollsysteme vor: a) das Mitteilungssystem — hier sind die Vertragsparteien verpflichtet, die Ausfuhr oder das Verbringen einer Schußwaffe der Vertragspartei mitzuteilen, in deren Hoheitsgebiet der Käufer oder Empfänger der Schußwaffe ansässig ist — und b) das System der doppelten Genehmigung: Hier sind die Vertragsparteien verpflichtet, die Ausfuhr pp. von Schußwaffen nur zu erlauben, wenn der Käufer oder Empfänger der Waffe eine waffenrechtliche Genehmigung seines Heimatstaates besitzt.Das Übereinkommen ist inhaltlich so ausgestattet worden, daß ihm möglichst viele Staaten beitreten können. So ist das System der doppelten Genehmigung für die Annahme des Übereinkommens nicht obligatorisch. Das Übereinkommen eröffnet deshalb die Möglichkeit, es in bezug auf das System der doppelten Genehmigung sowie hinsichtlich weniger gefährlicher Waffenkategorien schrittweise durchzuführen. Anlage II des Übereinkommens sieht deshalb vor, daß die Vertragsstaaten insoweit Vorbehalte machen können.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat im Innenausschuß erklärt, daß sie von dem Vorbehaltsrecht Gebrauch machen wolle, aber nur dort — ich füge hinzu und unterstreiche das —, wo dies im Sinne eines möglichst unbürokratischen Verfahrens möglich ist. Selbstverständlich darf hierdurch das Kontrollsystem selbst nicht durchlöchert oder völlig in Frage gestellt werden. Um zu vermeiden, daß gleichartige Waffen usw. unterschiedlich eingestuft und behandelt werden, werden in Anlage I des Übereinkommens die Waffen- und Munitionskategorien aufgezählt, für die das Übereinkommen gilt. Einmal werden die Waffen nach dem Grund ihrer Gefährlichkeit, sodann die wesentlichen Teile und das Zubehör zu den kontrollierten Waffen aufgeführt. Weiter sind notwendige Definitionen für bestimmte Arten von Schußwaffen enthalten, zu denen auch Kriegswaffen zählen.Das Übereinkommen ist inzwischen erfreulicherweise von acht Staaten unterzeichnet worden. Es sind dies: Dänemark, Bundesrepublik Deutschland, Griechenland, Großbritannien, Irland, Luxemburg, Türkei und Zypern. Wir können auch von dieser Stelle aus — darum bitten wir auch die Bundesregierung — alle übrigen Vertragsstaaten des Europarates nur dringend einladen, diesem Übereinkommen baldmöglichst beizutreten und es auch in innerstaatliches Recht umzusetzen. Denn nur in enger internationaler Zusammenarbeit, meine Damen und Herren, kann es uns gelingen, dem illegalen Waffenhandel noch besser als bisher beizukommen. Dies müßte schließlich auch schon deshalb im Interesse aller europäischen Staaten liegen, weil die mittels Schußwaffen begangene Gewaltkriminalität, die in allen Staaten anzutreffen ist, hierdurch besser bekämpft werden kann.Wir Sozialdemokraten werden deshalb auch diesem Ratifizierungsgesetz zustimmen.Der dem Deutschen Bundestag vorliegende Gesetzentwurf auf Drucksache 8/3661 sieht in erster Linie Änderungen des Waffengesetzes vor, die Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus völkerrechtlichen Vereinbarungen — es sind dies das Europäische Übereinkommen vom 28. Juni 1978 über die Kontrolle des Erwerbs und Besitzes von Schußwaffen durch Einzelpersonen sowie das Übereinkommen vom 1. Juli 1969 über die gegenseitige Anerkennung der Beschußzeichen für Handfeuer-
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Penskywaffen — Rechnung tragen sollen. In Ausführung des Europäischen Übereinkommens vom 28. Juni 1978, von dem ich zunächst gesprochen habe, wird in Art._ 1 Nr. 1 eine Ermächtigung geschaffen, durch Rechtsverordnung eine Anzeigepflicht für private und gewerbliche Waffengeschäfte durch Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem anderen Vertragsstaat zu begründen. In Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Übereinkommen vom 1. Juli 1969 sollen zwei von der Ständigen Internationalen Kommission für die Prüfung von Handfeuerwaffen — auch kurz CIP genannt - in den letzten beiden Jahren gefaßte Beschlüsse über die Prüfung bestimmter Handfeuerwaffen und Schußapparate und die Prüfung der in den Handel gekommenen Munition in deutsches Recht umgesetzt werden. Dabei handelt es sich insbesondere um die Festlegung der zulassungspflichtigen Handfeuerwaffen und Schußapparate, die Einführung einer Typenprüfung und -zulassung von Munition durch die PhysikalischTechnische Bundesanstalt, Bestimmungen der örtlichen Zuständigkeit für die periodischen Kontrollen durch die Landesbehörden — Beschußämter —, die Anpassung der Bußgeldvorschriften.Meine Damen und Herren, der Bundesrat hat im ersten Durchgang eine Reihe von Änderungen bzw. Ergänzungen vorgeschlagen, denen weitgehend entsprochen worden ist. Nun gibt es aber einen Punkt, dem die Bundesregierung widersprochen hat, nämlich die Absicht des Bundesrates, die Zuständigkeit für die Durchführung der Typenprüfung und -zulassung von Munition den Landesbehörden zu überlassen. Dem also hat sowohl die Bundesregierung als auch der Bundestagsinnenausschuß widersprochen. Nun erfahren wir aber — davon sind wir etwas überrascht; das bringt auch diese Beratung, den Verlauf dieser Beratung etwas durcheinander —, daß der Haushaltsausschuß gestern zu später Tageszeit getagt und einen Beschluß gefaßt hat, der von dem Beschluß des Innenausschusses des Deutschen Bundestages abweicht. Ich bin jetzt nicht in der Lage — diese Frage ist in der Vergangenheit Gegenstand politischer Auseinandersetzungen gewesen —, abschließend etwas dazu zu sagen. Wir haben deshalb vereinbart — ich hoffe, daß die Kollegen der Opposition dem zustimmen —, daß wir uns heute im Laufe des Tages im Innenausschuß mit der Frage befassen und dann heute nachmittag über diese Frage hier abstimmen können.Zu dem Gruppenantrag von CDU/CSU-Abgeordneten auf Drucksache 8/3259 habe ich schon bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs von dieser Stelle aus darauf hingewiesen, daß die CDU/CSU noch bei der letzten Änderung des Waffengesetzes, die am 1. Juli 1978 in Kraft getreten ist, mit Vehemenz darum gefochten hatte, daß genau die Bestimmung in das Gesetz aufgenommen wird, die sie mit dem gut ein Jahr später vorgelegten, nämlich dem jetzigen Gesetzentwurf wieder beseitigt haben will. In meinen damaligen Ausführungen habe ich schon den dokumentarischen Nachweis erbracht, daß wir Sozialdemokraten dem 1978 von der CDU/CSU vorgelegten Antrag nur deshalb zugestimmt haben, weil sie damit gedroht hat, das gesamte Gesetzgebungsvorhaben der Bundesregierung über den Bundesrat zu Fall zu bringen, mit dem durch kriminalpolizeiliche Erfahrungen anerkannte Lücken im Waffenrecht und im Kriegswaffenkontrollgesetz zwingend geschlossen werden mußten. Deshalb fällt es uns auch um so leichter, dem gestellten Antrag der CDU/CSU im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens unsere Zustimmung zu geben.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980 17733
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17734 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980
Als Gesetzgeber müssen wir die möglichen Voraussetzungen schaffen, damit solche Menschen ihre Identität finden können. Wir werden aber mit den Mitteln der Gesetzgebung und mit Rechtsvorschriften nicht alles leisten können, was die Natur an Eigenwilligkeiten geschaffen hat und was nun geradegebogen werden soll. An dieser Überschätzung der Möglichkeiten der Gesetzgebung zur Korrektur von Absonderlichkeiten in der Schöpfung — oder sagen wir besser: von Besonderheiten — leidet der Gesetzentwurf der Bundesregierung. Sie macht es leider mit diesem Entwurf unmöglich, über den gemeinsamen Willen hinaus, den Betroffenen zu helfen, ein gemeinsam getragenes Gesetz hier zu verabschieden.Worin stimmen wir überein? Der 7. Deutsche Bundestag hatte einhellig für ein Gesetz plädiert, wonach in Fällen von genitalverändernden Operationen oder anderen medizinischen Eingriffen durch Gerichtsbeschluß festgestellt wird, daß die betreffende Person nun rechtlich als dem anderen Geschlecht zugehörig gilt. Eine solche gesetzliche Regelung verlangt auch das Bundesverfassungsgericht von uns auf Grund seines Beschlusses vom 11.Oktober 1978. Nicht mehr und nicht weniger ist gefordert, meine Damen und Herren.Soweit der Gesetzentwurf dies regelt, findet er unsere volle Unterstützung. Wir stimmen deshalb ausdrücklich § 8 zu, der hierfür die Rechtsgrundlage schafft Herr Präsident, ich möchte bereits an dieser Stelle beantragen, daß wir einzeln über die Vorschriften abstimmen, um uns diese Gelegenheit der Zustimmung zu geben.Mit dieser sogenannten großen Lösung wird der Grundsatz der Unwandelbarkeit des Geschlechts aufgegeben und damit die Wiederherstellung der Identität dieser Menschen ermöglicht.Der Gesetzentwurf geht aber über diese Intention des 7. Deutschen Bundestages und des Bundesverfassungsgerichts weit hinaus. Anstatt die große Lösung in die Tat umzusetzen und nun einmal abzuwarten, was diese Gesetzesmaßnahmen, für die es in der ganzen Welt kein vergleichbares Vorbild gibt — damit auch keine Erfahrungen —, für Auswirkungen haben wird, wird hier der totalen Regelungsbedürftigkeit gefrönt, dem totalen Gesetzesperfektionismus gehuldigt. Es könnte ja sein, wird gesagt, daß es unter der kleinen Anzahl von Transsexuellen auch solche gibt, die sich einer geschlechtsverändernden Operation nicht unterziehen können oder unterziehen wollen und damit die Einheit von Physis und Psyche nicht wiederherstellen können. Diesen soll nun die Möglichkeit eröffnet werden, beispielsweise Mann zu bleiben — mit allen rechtlichen Konsequenzen —, aber im Rechtsverkehr einen weiblichen Namen führen zu dürfen.Diese sogenannte kleine Lösung ist keine Lösung. Sie löst die Probleme nicht, sie verlagert sie. Sicherlich hilft sie, die Peinlichkeit zu vermeiden, wenn der in Kleidern erscheinende Mann mit der Angabe seines männlichen Vornamens Erstaunen bei Grenzbeamten auslöst. Aber sie hilft nicht, wenn der in Kleidern erscheinende Mann in die Frauenstation des Krankenhauses oder der Haftanstalt eingeliefert wird oder die Damentoilette aufsucht. Dort fliegt er überall raus. Und da hilft auch kein Ausweis mit einem weiblichen Vornamen.Was ich damit sagen will: Wenn es nicht gehen sollte, Körper und empfundenes Geschlecht in der einen oder anderen Richtung in Einklang zu bringen, dann sind auch wir als Gesetzgeber mit unserem Latein am Ende. Wir sollten das nicht zu überspielen versuchen.Die kleine Lösung ist nicht nur untauglich, sondern sie birgt Gefahren in sich. Es werden zwei Kategorien von Transsexuellen geschaffen, solche, bei denen der Einklang von Vorname, der sie im Rechtsverkehr ausweist, und Geschlecht — also die große Lösung — hergestellt wird, und solchen, bei denen der Vorname über das wahre Geschlecht hinwegtäuscht — die kleine Lösung. Wir halten es nicht für vertretbar, den Einklang von Vorname und Geschlecht aus Gründen einer höchst zweifelhaften Therapiemöglichkeit für einen seiner Größe nach völlig unbekannten Personenkreis zu opfern.Die kleine Lösung birgt für das Institut der Ehe ein Gefährdungspotential, das wir nicht freilegen wollen. Lassen wir es zu, daß eine Person über ihr Geschlecht durch einen Vornamen des Gegengeschlechts im Rechtsverkehr hinwegtäuschen darf, so ist abzusehen, daß hieraus zukünftig immer weitergehende Rechte abgeleitet werden. Uns hat zu denken gegeben, daß Sie, Herr Kollege Wolfgramm, im Innenausschuß erklärt haben, Sie hielten es für vertretbar, daß eine Person, die nach der großen Lösung als dem anderen Geschlecht zugehörig erklärt worden ist, ruhig mit ihrem bisherigen, nun aber gleichgeschlechtlichen Partner verheiratet bleiben darf. Wann wird dann aber die Stunde gekommen sein für die Forderung, der Transsexuelle, der äußerlich Mann geblieben ist, aber mit dem Vornamen als Frau auftritt, müsse auch einen anderen Mann heiraten dürfen? Wir wollen diese Schleuse nicht öffnen.Wir bieten erneut an, es mit der großen Lösung zu versuchen und zu sehen, wieviel Sorgen und Nöte wir damit ausräumen können. Wir dürfen nicht vergessen, daß der typische Transsexuelle eben danach strebt, die Einheit, die Identität von Geschlecht und Empfindungen wiederherzustellen. Diesem Anliegen werden wir mit der großen Lösung gerecht. Allerdings wünschen wir bei dieser groBen Lösung, daß die Auflösung der Ehe Voraussetzung und nicht Folge des Verfahrens nach §§ 8ff. des Entwurfs, also für die große Lösung, ist. Wir möchten, daß der Ehepartner vorher aus der bisherigen Gemeinschaft aussteigt, daß dies vorher klargelegt wird, bevor das Verfahren nach §0 8 ff. eingeleitet wird.Meine Damen und Herren, die Behandlung dieses Gesetzentwurfs hat ein Höchstmaß an Sachlichkeit
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980 17735
Dr. Jentsch
ausgezeichnet, ein Höchstmaß an Willen, dem betroffenen Personenkreis zu helfen. Wir sind dazu bereit. Wir sind bereit, die große Lösung hier mit zu unterschreiben; wir tragen sie mit. Für die kleinere Lösung können wir leider unsere Hand nicht geben. Wir appellieren noch einmal an Regierung und Koalitionsfraktionen, erst einmal den Versuch mit der großen Lösung zu machen und nach einigen Jahren Erfahrung dann zu sehen, ob es wirklich noch der kleinen Lösung bedarf.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Meinecke.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich zur Sache rede, möchte ich einige einleitende Bemerkungen machen:Erstens einmal, Herr Kollege Jentsch: Die Geschichte dieses Gesetzes beginnt nicht mit dem Antrag des Bundestages vor Beendigung der vorigen Legislaturperiode. Die Geschichte, die uns auch zum Gesetzgebungsverfahren gezwungen hat, beginnt vor zehn bis 15 Jahren. Darum stehe ich hier auch mit etwas gemischten Gefühlen, insbesondere wenn ich an einen Kollegen denke, der hier in der Mitte unter uns sitzt — auch jetzt sitzt er wieder da —, der einmal in der Fragestunde zu dieser Thematik fragte, ob die Regelung überhaupt von Interesse für den Gesetzgeber, für den Bundestag sei angesichts der so kleinen Zahl betroffener Menschen, um die es sich handelt Dies ist genau der Punkt — ohne an irgend jemanden einen Vorwurf zu richten —: Es ist tatsächlich so, daß es sich um 10 000 oder 5 000 oder noch weniger Menschen handelt und daß sich darum ein Gesetzgebungsverfahren hier nur ungeheuer schwierig veranstalten läßt. Ich bin froh und dankbar, daß diese Legislaturperiode es gerade noch zum Schluß schafft, wenn der Bundesrat uns nicht vielleicht noch Stolpersteine vor die Füße werfen sollte.Es ist auch fair, heute die Bemühungen unseres ehemaligen Hamburger Kollegen Klaus Arndt noch einmal zu würdigen. Denn ohne ihn und seine Aktivitäten wäre es zu diesem Gesetz nie gekommen. Es ist ferner fair, heute ein Lob dem Bundesministerium des Innern auszusprechen, insbesondere einigen hohen Beamten, die sich sehr intensiv mit dieser Frage befaßt und sehr sorgfältig an dem Gesetzestext gearbeitet haben.Ich gebe Herrn Kollegen Jentsch in einer Beziehung recht! Wir führen oft Klage darüber — es wird uns auch oft angelastet —, daß wir für alles und für jedes im Eiltempo Gesetze machen und daß diese Gesetze auch noch perfektionistisch sein sollen. Bei dieser Vorlage trifft das aber nicht zu. Dabei beziehe ich ausdrücklich auch das „perfektionistisch" mit ein. Die gefundenen Lösungen werden nämlich den Empfindungen und Nöten der betroffenen Menschen gerecht, aber wir brauchen auch Erfahrungen mit den gefundenen rechtlichen Möglichkeiten. Immerhin gibt es keine vergleichbare Regelung in derWelt; das hat schon Herr Kollege Jentsch gesagt Wir sind neben Schweden die erste Nation, die diesen Menschen gerecht zu werden versuchtZum Inhalt der nun gefundenen Lösung — ohne daß ich ins Detail gehen will — möchte ich folgendes sagen. Die Auffassungsunterschiede, die schon bei den Beratungen im Ausschuß sichtbar wurden, sind sachlich vorgetragen und diskutiert worden. Aber ich bin heute fest davon überzeugt, daß der Entwurf der Bundesregierung und die Auffassung der Koalitionsfraktionen die einzig richtige Hilfe und Lösung bieten. Mehr als zehn Jahre — ich sagte es schon — sind wir mit den Problemen und diesen Fragen vertraut. Wir haben in vielen Gesprächen und mit brieflichen Kontakten die Sorgen und die Nöte der betroffenen Menschen, insbesondere im Alltag, erfahren müssen. Es handelt sich nicht nur um eine juristische Emanzipation eines biologischen Kunstfehlers, es handelt sich nicht nur um die juristische Korrektur eines Webfehlers. Sondern es ist auch eine Frage der Therapie und eine Frage der Sozialmedizin. Hierin, Herr Kollege Jentsch, unterscheiden wir uns. Ich kann Ihre rechtlichen und formal juristischen Bedenken, es würden irgendwo Schleusen geöffnet, verstehen. Aber ich kann sie als Parlamentarier nicht akzeptieren. Ich habe das Problem von Anfang an als „Mitmensch" gesehen, als ein Politiker allerdings, mit vorheriger medizinischer Ausbildung; das gebe ich zu.Die vorgeschlagenen Lösungen haben natürlich Auswirkungen auf das Rechtsgefüge. Das haben wir ja auch bedacht Aber wir müssen dabei erkennen, daß wir nicht die Auffassung vertreten können, die geschlechtliche und menschliche Entwicklung eines Menschen, einer Frau oder eines Mannes, sei etwas punktuell Fixierbares, und damit sei dann die Ausgangslage gegeben. Vielmehr haben wir hinsichtlich der Entstehungsursachen, die zum Transsexualismus führen, begriffen, daß es sich offenbar um eine dynamische Entwicklung handelt, deren Ende nicht bei jedem Individuum abzusehen ist. Und gerade aus diesem Grunde meinen wir, daß eine stufenweise Lösung, bei der man dann auch von der Stufe eins eventuell wieder zurücktreten kann, eine bessere Lösung ist Die stufenweise Lösung bedeutet, daß der 18jährige, der volljährig Gewordene — wie es im Ersten Abschnitt des Gesetzes geregelt ist — nur seinen Vornamen ändert und vielleicht mit dieser äußerlichen, aber im Alltag doch ungeheuer wichtigen Berechtigung sein Schicksal leichter tragen kann als zuvor. Dies haben uns die Betroffenen immer wieder gesagtWenn dann in den kommenden Jahren der Wunsch weiter geht, er sich einer operativen oder einer Hormonbehandlung, also einer ärztlichen Behandlung, unterziehen will und er sich als letztes dann auch dem großen Eingriff der Umwandlung unterzieht, greift der Zweite Abschnitt des Gesetzes.Es haben sich im Laufe der letzten Jahre bei der Betrachtung dieses „Webfehlers der Natur" neue Gesichtspunkte ergeben. Wir haben aus den Vereinigten Staaten Bedenken gegen den großen operativen Eingriff gehört — eine gewisse Zurückhaltung. Wir haben vernommen, daß Psychoanalytiker und
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17736 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980
Dr. Meinecke
psychotherapeutisch tätige Ärzte der Meinung sind, manches ließe sich vielleicht auch auf diesem Wege korrigieren — und vielleicht besser.Wir wissen aus dem Institut für Sexualwissenschaft in Hamburg von Herrn Professor Pfäfflin, daß er sagt, daß dieses Gesetz ohne die kleine Lösung, also ohne beide Lösungen, ein Torso sei, ja geradezu ein Monstrum".Der Gesundheitsausschuß des Bundesrates hat die Auffassung erarbeitet, beiden Lösungen zuzustimmen. Der Gesundheitsausschuß des Bundestages hat ebenfalls — fast einstimmig — beiden Lösungen, also der jetzt mit der Mehrheit des Innenausschusses beschlossenen Formulierung, zugestimmtIch möchte zusammenfassen: Auf den ersten Blick mögen die gefundenen Lösungen manchem als zu kompliziert erscheinen — eben weil es nach Perfektionismus aussieht Dieses ist aber nicht der Fall, und das ist auch gut so. Eine streng juristische Betrachtungsweise hilft diesen Menschen nicht Für mich sind die Fachleute maßgebend, die sich seit Jahren medizinisch-wissenschaftlich dieses Phänomens angenommen haben. Mit diesen Wissenschaftlern haben wir in langen Gesprächen den jetzigen Entwurf im Prinzip auch erarbeitetOhne die kleine Lösung — so Professor Pfafflin; das habe ich schon zitiert — bliebe „das Gesetz ein Torso, ja ein Ungeheuer, vor dem man nur warnen könne. Die gesetzliche Lösung bietet — anders als das Gesetz über die freiwillige Kastration — lediglich Hilfeleistung in Fällen, in denen die Behandlung angestrebt oder vollzogen ist Die Verantwortung bleibt bei den Beteiligten — Mann oder Frau — eine offene Frage, die juristisch nie vollständig in den Griff zu bekommen sein wird".Diesem fachlichen Kommentar möchte ich mich anschließen. Insoweit ist die nun zur Schlußabstimmung vorliegende Fassung als eine ungewöhnliche Leistung des Gesetzgebers zu verstehen — man höre und staune —: ein Gesetz mit therapeutischem Effekt. Aus diesem Grunde bitte ich auch die Kolleginnen und Kollegen um eine unpolitische Abstimmung, d. h. nicht nach Fraktionen gegliedert, sondern nach dem eigenen gesunden Menschenverstand und dem eigenen Empfinden. Sagen Sie ja zu dem ganzen Gesetz, sagen Sie ja zu beiden Lösungen!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Freien Demokraten begrüßen es, daß wir nach so langer Zeit — endlich zu einer Lösung für eine sicher sehr kleine Minderheit kommen. Ich unterstreiche, daß dieses Bemühen von uns allen auch durch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 11. Oktober 1978 und durch den Bericht und den Beschluß der Europäischen Kommission für Menschenrechte unterstützt wird. Ich meine, das macht deutlich, daß sich dieser Bundestag auch mit den Problemen einer kleinen Minderheit beschäftigt, die keine pressure group hat, über keine besondere Verbandslobby verfügt Wir sind zu einem Ergebnis gekommen, das sich, meine ich, sehen lassen kann.Wir können den Betroffenen, Herr Kollege Jentsch, nicht ihre eigene Problematik, unter der sie leiden, abnehmen. Wir können ihnen auch nach diesem Gesetz mit der kleinen und der großen Lösung ihre Schwierigkeiten nicht abnehmen. Sie werden weiter an diesen Schwierigkeiten tragen müssen. In bestimmter Hinsicht können wir ihnen aber helfen: Wir können dazu beitragen, die großen Schwierigkeiten der Betroffenen im verwaltungstechnischen, im Formularbereich, im juristischen Bereich abzubauen, und ihnen helfen, wenigstens einen Weg zu ihrer Identität zu finden. Deswegen steht meine Fraktion auch voll hinter der sogenannten kleinen Lösung. Wir meinen, daß damit im Alltag, beim Verkehr mit Behörden, bei der Urkundenbeschaffung, bei der Errichtung von Sparkassenkonten, beim Arbeitsplatzwechsel, bei der Arbeitsplatzsuche, im Sozialbereich eine Möglichkeit gegeben ist, die Identitätsfindung wenigstens zu einem Teil zu erreichen.Es ist richtig — ich unterstreiche das, was der Kollege Meinecke gesagt hat —, daß die Probleme im medizinischen, im psychotherapeutischen, im Sozialbereich wurzeln und im medizinisch-therapeutischen Sinne letztlich nicht lösbar sein werden. Es werden nur Annäherungen gefunden werden können. Aus eben diesen Gründen muß die rein juristische und die rein verwaltungsrechtliche Position, die sich durch die Vornamenänderung ergibt — die in diesem Zusammenhang möglicherweise auftretenden Schwierigkeiten wollen wir gar nicht bestreiten —, nachrangig sein. Ich habe es in Gesprächen mit den Betroffenen erlebt, daß sie immer wieder gesagt haben, sie könnten eigentlich nicht verstehen, warum diese starre juristische Position ihnen die Möglichkeiten beschneiden solle, wenigstens zu einem Teil ihre Identität zu finden. Dieses angestrebte Ziel wird mit der vorgesehenen Lösung nun erreichtIch meine auch, daß mit einer Gefährdung, wie Sie es mit Ernst vorgetragen haben, Herr Kollege Jentsch, für die Ehe nicht zu rechnen ist Ich bin davon überzeugt, daß wir feststellen werden, daß keine Pervertierung dieses Rechtes eintreten wird. Im Gegenteil! Ich meine, daß die kleine Lösung gerade ein wichtiges Ventil darstellt, um nicht jedesmal den Schritt hin zur großen Lösung zu vollziehen, der, wie wir wissen, nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, obwohl die Entwicklung in diesem Bereich durchaus schwankend ist Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß in jüngerem Alter eine Entscheidung dann vielleicht provoziert würde, wenn wir nur die große Lösung zuließen, die eben nicht mehr umkehrbar ist und die auch keine Veränderung mehr ermöglichtWir begrüßen es, daß im Gesetzentwurf das Offenbarungsverbot festgelegt ist Damit ist keine Möglichkeit gegeben, im Vorleben oder im Vorfeld
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Wolfgramm
der veränderten Entscheidung des einzelnen herumzuschnüffeln.Nach meiner Vorstellung — Sie haben mich darauf angesprochen, Herr Kollege Jentsch — wird sicher ein zusätzliches Problem geschaffen, wenn bei vollzogener großer Lösung durch Richterurteil automatisch die Ehe geschieden wird. Ich glaube, daß es nach einem langen Zusammenleben, z. B. in einer Ehe, andere Gemeinsamkeiten zusätzlicher Art gibt, die weit über die Sexualität hinausgehen. Deshalb sollten eigentlich die Ehepartner - nach dem Willen des anderen, des Betroffenen vielleicht — entscheiden, ob sie auseinandergehen wollen oder nicht Wir haben dies aber nicht mehr zu einem Grundsatzstreit erhoben. Wir wollen vielmehr erst die Erfahrungen mit diesem Gesetz, also die Entwicklung abwarten und diese Idee vielleicht zu irgendeinem anderen Zeitpunkt, wenn die Dinge sich positiv darstellen, noch einmal ins Gespräch bringen.
Ich meine, daß sich das, was wir hier getan haben, wirklich sehen lassen kann, daß es auch eine Signalwirkung für das Ausland hat Wenn wir einmal von Japan absehen, das keine Probleme mit den Vornamen kennt, weil es dort keine unterschiedlichen Vornamen für Männer und Frauen gibt, dann gibt es tatsächlich bis auf die große Lösung in Schweden in der ganzen Welt diese Möglichkeiten für Transsexuelle nicht. Ich meine, daß es eine Initialzündung sein kann, denn wir wissen ja, daß sie nicht nur in Deutschland leiden, sondern in anderen Ländern genauso.Ich begrüße es, daß schon eine Ankündigung für einen Entwurf im Europäischen Parlament vorliegt Ich meine, wir sollten das intensiv unterstützen.Ich darf zum Schluß sagen, daß ich nicht nur dem Innenministerium für seine intensiven Bemühungen danke, den Gesetzestext durch Formulierungshilfe zu verbessern und umzuarbeiten, sondern auch meine, daß die Beratungen im Innenausschuß dem Thema angemessen und von großem Ernst getragen worden sind. Ich sehe die Gründe der Opposition — auch wenn ich sie nicht anerkennen kann —, aus denen sie der kleinen Lösung angesichts ihrer ideologischen Position nicht zustimmen kann. Wir haben uns wirklich, soweit wir auch in den einzelnen Punkten voneinander entfernt waren, in der Diskussion mit großem Ernst um eine Lösung bemühtIch meine — wenn man das einmal an einer solchen Stelle und angesichts eines solchen Gesetzes sagen darf —, es ehrt das Parlament, daß es sich mit Ernst um eine Lösung für eine kleine Minderheit bemüht hat, die wir jetzt vorlegen und der wir zustimmen wollen.
Das Wort hat Herr Staatssekretär von Schoeler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst bei den Berichterstattem im Innenausschuß, die dieses Gesetz betreut haben, die die Beratungen des Innenausschusses vorbereitet haben, sehr herzlich für die sachliche Form bedanken, in der wir unsere Arbeit durchführen konnten, und dafür, daß wir auch außerhalb der Beratungen des Innenausschusses die Möglichkeit hatten, durch Anhörungen von Experten unsere Meinung fortzuentwickeln, ohne daß wir das Gesetzgebungsverfahren dadurch zeitlich aufgehalten hätten. Ich meine, daran sollte heute bei dieser Debatte auch erinnert werden: Für unsere Glaubwürdigkeit — damit meine ich nicht die der Regierung oder die eines einzelnen Parlamentariers, sondern die des Parlaments insgesamt — wird es ganz entscheidend sein, ob es gelingt, das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode ins Bundesgesetzblatt zu bringen; denn davon, daß etwas geschehen soll, haben die Betroffenen, für die das von existenzieller Bedeutung ist, nun schon viele, viele Jahre etwas gehört Wenn nichts passiert, wäre, wie ich glaube, in den Augen der Betroffenen unsere Glaubwürdigkeit sehr, sehr erschüttert.Ich habe gesagt, wir hatten sehr sachliche Beratungen. Ich habe mich dafür bedankt Um so mehr bedaure ich, daß wir hier heute nicht zu einem einstimmigen Ergebnis kommen konnten. Bei uns hat das einmütige Votum des Bundestagsausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit, in dem auch die Vertreter der Oppositionsfraktion für die Konzeption des Regierungsentwurfes gestimmt haben, die Hoffnung aufkommen lassen, daß auch hier im Plenum ein UmdenkungsprozeB möglich wäre. Leider ist das nicht der Fall.Ein solcher Umdenkungsprozeß hätte nach meiner Einschätzung möglich sein können, weil wir auf Grund der Gespräche, die wir mit den Experten geführt haben, einige wichtige Überlegungen und Argumente für die sogenannte und hier schon oft apostrophierte „kleine" Lösung gehört haben. Es ist doch nicht wahr, daß es nur darum ginge, hier Gesetzesperfektionismus zu treiben. Das klingt so abwertend. Natürlich müssen wir uns die Frage stellen: Was passiert mit Menschen, die Transsexuelle sind, sich aber wegen Krankheit oder Alters einer Operation nicht unterziehen können? Das kann man, wenn man will, mit dem bösartigen Wort „Perfektionismus" belegen. Ich meine aber, daß dieses Wort dem Problem hier nicht gerecht wird.Herr Kollege Jentsch, es geht ja nicht nur um diesen zugegebenermaßen kleinen Personenkreis, sondem auch darum, daß uns die Ärzte, die solche Operationen in der Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig vornehmen — die Zahl ist so klein, daß wir mit fast allen haben sprechen können —, gesagt haben, der Transsexuelle, der zu ihnen komme, um sich einer Behandlung zu unterziehen, warte sehnlichst darauf, daß sich seine Probleme durch die Behandlung, durch die Operation lösten. Er überschätzt in dem Augenblick, in dem er zum Arzt kommt, die Möglichkeit des Arztes, ihm zu helfen, weil es sich nicht nur um ein operativ zu lösendes, sondern ganz entscheidend eben auch um ein psychisches Problem handelt.
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17738 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980
P
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn das, was der Mann tagtäglich an Diskriminierung durch seinen von ihm als falsch empfundenen Vornamen erlebt, nur dadurch abgestellt werden kann, daß eine Operation durchgeführt wird, stehen wir als Ärzte, als Therapeuten vor der Situation, daß der Patient auf nichts anderes als auf die Operation wartet. Das führe zur Operation, es zwinge nachgerade dazu. Die Ärzte haben aber auch gesagt: Eigentlich haben wir größte Bedenken gegen solche Operationen; wir wollen sie nur im Notfall durchführen, nur dann, wenn wir wirklich absolut davon überzeugt sind, daß die Operation unumgänglich ist. Sie haben uns weiter gesagt: Wenn ihr es bei der „großen Lösung" belaßt, erschwert ihr es uns, nehmt ihr uns die Möglichkeit, die Patienten von dem Wunsch nach der Operation, der für sie oft so sehnlich, so psychologisch unüberwindbar ist, herunterzubringen.
Wenn man den Gesetzentwurf also auf die „große Lösung" beschränken würde, wäre damit der Zwang verbunden, den Weg zur Operation zu gehen. Das war für uns das entscheidende Motiv. Neben der „großen Lösung", die zwischen uns schon deshalb nicht streitig sein kann, weil es letztlich um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geht, die uns diese als verfassungsrechtlich verpflichtend mit auf den Weg des Gesetzgebungsverfahrens gegeben hat, wollen wir aus diesem Grunde auch die „kleine Lösung". Wir haben sie hinzugefügt. Ich wäre dankbar, wenn in den Beratungen, die mit dem heutigen Tage ja nicht abgeschlossen sind, dieser Gesichtspunkt noch einmal berücksichtigt würde.
Auf jeden Fall aber, so meine ich, muß es in dieser Legislaturperiode zu einem Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens kommen, wenn das Vertrauen der
— zugegebenermaßen wenigen — Betroffenen, um die es hier geht, in den Parlamentarismus insgesamt nicht ganz wesentlich erschüttert werden soll. — Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, ich schließe die allgemeine Aussprache.Wir kommen nun zur Einzelberatung und zur Abstimmung in zweiter Beratung. Für die zweite Lesung ist getrennte Abstimmung beantragt Ich rufe demgemäß die einzelnen Paragraphen auf.Zunächst stimmen wir über § 1, Einleitung und Oberschrift ab. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke sehr. Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme?- Es ist mit Mehrheit so beschlossen.§ 2. Wer stimmt in zweiter Lesung für § 2? — Danke sehr. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? —§ 2 ist beschlossen.§ 3. Wer stimmt dafür? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — § 3 ist angenommen.§ 4. Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen?— § 4 ist angenommen.§ 5. Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen?— § 5 ist angenommen.§ 6. Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen?— § 6 ist angenommen.§ 7. Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer dagegen stimmt, gebe bitte das Handzeichen. — Stimmenthaltungen? — § 7 ist angenommen.§ 8. Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen?— § 8 ist angenommen.§ 9. Wer dafür stimmt, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? —§ 9 ist angenommen.§ 10. Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen?— § 10 ist angenommen.§ 11. Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen?— § 11 ist angenommen.§ 12. Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen?— § 12 ist angenommen.§ 13. Wer dafür stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen?— § 13 ist angenommen.§ 14. Wer dafür stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen?— § 14 ist angenommen.§ 15. Wer dafür stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen?— § 15 ist angenommen.§ 16. Wer dafür stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen?— § 16 ist angenommen.§ 17. Wer dafür stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen?— § 17 ist angenommen.§ 18. Wer dafür stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — § 18 ist angenommen.Damit sind die einzeln aufgerufenen Vorschriften des Gesetzes in Einzelabstimmung angenommen. Die zweite Beratung ist abgeschlossen.Wir treten in diedritte Beratungein. Ich frage das Haus: Wird dazu das Wort gewünscht? — Ich sehe: Das Wort wird nicht gewünscht.Wer dem Gesetz als Ganzem in dritter Lesung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben.— Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Das Gesetz ist angenommen.Es ist noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4120 unter Ziffer 2, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980 17739
Vizepräsident LeberIch rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge— Drucksache 8/3752 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/4169 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Riedl
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 8/4139 —Berichterstatter:Abgeordnete Brandt Spranger
Wünscht einer der Herrn Berichterstatter das Wort? — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Herrn Abgeordneten Dr. Langguth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben eine moralische Verpflichtung, durch die Gesetzgebung des Deutschen Bundestages dafür zu sorgen, daß jenen Flüchtlingen gerade aus dem asiatischen Raum, die im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen in die Bundesrepublik gelangt sind, unbürokratisch geholfen wird. Wir stimmen deshalb dem Gesetzentwurf zu, da diese Flüchtlinge nach geltendem Recht keine besonderen Eingliederungshilfen in Anspruch nehmen können und bisher zusätzlich das Asylverfahren durchlaufen müssen. Unter anderem sind deshalb — zu Recht, wie wir meinen — Änderungen im Arbeitsförderungsgesetz und im Bundesausbildungsförderungsgesetz notwendig.
Meine Fraktion nimmt jedoch den Gesetzentwurf zum Anlaß, einige generelle Aussagen zum Flüchtlingsproblem in aller Welt zu machen:
Erstens. Aus humanitären Gründen war es notwendig und richtig, jene Flüchtlinge aus Vietnam, Laos und Kambodscha in der Bundesrepublik aufzunehmen, da in asiatischen Ländern zu diesem Zeitpunkt keine oder nur eine sehr geringe Aufnahmebereitschaft bestand. Eine Verpflanzung Tausender von Menschen Zehntausende von Kilometern entfernt in einen anderen Kulturkreis hat aber immer viele Probleme. Wir vermissen, daß die Bundesregierung in nachdrückliche politische Verhandlungen mit den ASEAN-Ländern mit dem Ziel eingetreten ist, daß dort die Aufnahmebereitschaft vergrößert wird. Für diesen humanitären Zweck sollte die Bundesregierung auch Finanzmittel zur Verfügung stellen, wenn dies die Verhandlungen erfolgreich gestalten läßt.
Zweitens. Im Unterausschuß für humanitäre Hilfe unterscheiden wir immer zwischen den humanitären Aspekten und den politischen Aspekten jener
Flüchtlingstragödien. Dennoch ist es eine wichtige Forderung, daß die Bundesregierung nicht nur dazu Stellung nimmt, wohin die Flüchtlinge ausgewichen sind, sondern auch dazu, aus welchen Ländern und aus welchen politischen Systemen sie stammen. Deshalb forderte meine Fraktion von der Bundesregierung einen „Flüchtlingsbericht", der die Herkunftsländer und die Ursachen des Flüchtens aufzeigen sollte. Ein solcher Bericht wäre auch sinnvoll vor dem Hintergrund der im August dieses Jahres stattfindenden UNO-Sondergeneralversammlung!
Drittens. Wahrscheinlich waren noch nie so viele Menschen auf der Flucht wie gegenwärtig. Die UNO-Statistik weist für Ende 1978 für die ganze Welt rund 12,6 Millionen Flüchtlinge aus. Eine neuere Statistik zeigt, daß wir gegenwärtig sogar etwa 15 Millionen Flüchtlinge in aller Welt haben.
Daneben ist noch mit einer sehr großen Dunkelziffer von Menschen zu rechnen, die innerhalb ihrer Länder auf der Flucht vor politischer Unterdrükkung waren oder umgebracht wurden. In die Dunkelziffer des Verderbens gehören auch bis zur Hälfte jener Boots-Leute, „boatpeople" genannt, die auf ihrer verzweifelten Flucht im Chinesischen Meer ertrunken oder von Piraten beraubt oder umgebracht worden sind. Für diejenigen, die ihre Flucht lebend überstanden haben und hier bei uns in der Bundesrepublik aufgenommen wurden, ist der vorliegende Gesetzentwurf engebracht worden.
Viertens. Ein politischer Aspekt, der bei dieser Gelegenheit festgehalten werden muß, ist die Tatsache, daß etwa 95 % aller Flüchtlinge dieser Erde auf der Flucht vor dem Marxismus sind.
Deswegen werden wir viele humanitären Probleme dann nicht lösen, wenn der Kommunismus nicht seine entsprechenden Bemühungen einstellt, sich in aller Welt zu etablieren.
Fünftens. Dieser Tage wurde von seiten meiner Fraktion erneut der Vorschlag einer „Stiftung Flüchtlingshilfe" in die Diskussion gebracht. Ziel eines solchen Vorschlages ist es, die Arbeit der freien Träger jener zahlreichen Hilfsorganisationen zu fördern und zu koordinieren und auch mit staatlichen Entscheidungen in Einklang zu bringen. Der Vorschlag zur Schaffung einer Art Clearing-Stelle sollte durchaus geprüft werden, denn es ist nach unserer Auffassung auch notwendig, daß die Maßnahmen der Entwicklungshilfe mit humanitärer Hilfe koordiniert werden, z. B. besondere Entwicklungshilfemaßnahmen für jene Gebiete in Thailand, die durch Zehntausende kambodschanischer, laotischer oder vietnamesischer Flüchtlinge besonders betroffen sind.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Ja, selbstverständlich.
Herr Kollege, wenn Sie hier darauf zu sprechen kommen, daß die-
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Dr. Meinecke
ser Vorschlag von Ihrer Fraktion ins Gespräch gebracht worden sei, müßten Sie hier dann korrekterweise nicht daran erinnern — oder ist es Ihnen entgangen? —, daß es ein Vorschlag der Bundesregierung vom 28. August vergangenen Jahres gewesen ist und daß sie seit der Zeit mit den Ländern über diese Stiftung verhandelt?
Herr Kollege, dies ist mir bekannt Ich habe deswegen vorhin auch zum Ausdruck gebracht, daß dieser Vorschlag von meiner Fraktion „erneut" eingebracht worden ist. Ich muß allerdings sagen, daß die Bemühungen der Bun: desregierung in diesem Zusammenhang nach unserem Eindruck bisher sehr zurückhaltend waren, und zwar so zurückhaltend, daß wir seit jenem Beschluß der Bundesregierung hier nichts mehr davon gehört haben.
Insofern will ich auf diesen Vorschlag hinweisen und die Regierung nachdrücklich bitten, ihre Bemühungen fortzusetzen.
Sechstens. Meine Damen und Herren, nach wie vor scheint meiner Fraktion eine Koordination der Gesamtproblematik der humanitären Hilfe zwischen den einzelnen Bundesressorts noch nicht genügend geklärt zu sein.
Bisher haben sich auch noch keine Anzeichen dafür eingestellt, daß sich die alleinige Federführung des Auswärtigen Amtes für Fragen der humanitären Hilfe sehr positiv auch für die praktische Hilfeleistung vor Ort in den entsprechenden Katastrophengebieten auszahlt. Inzwischen wird immer deutlicher, daß nach Inanspruchnahme der vollen Kompetenz nicht nur über die Entscheidung für humanitäre Hilfe, sondern auch für deren praktische Durchführung durch das Auswärtige Amt der Bundesminister des Innern nicht mehr in nennenswertem Umfang beteiligt ist. Dies führte dazu, daß das Technische Hilfswerk seit jener Kompetenzverlagerung im Ausland praktisch nicht mehr oder nur noch ganz, ganz wenig zum Einsatz gelangt ist Wir haben jetzt die Hoffnung, daß sich dies ändert; denn wir meinen, daß die im Ausland gesammelten Erfahrungen des Technischen Hilfswerks durchaus auch bei einem Katastrophenfall in der Bundesrepublik Deutschland sinnvoll umgesetzt werden können.
Ich möchte diese Aussprache schließlich dazu nutzen, für meine Fraktion — ich denke, daß wir das in diesem Hause übereinstimmend tun können — all denjenigen Organisationen Dank zu sagen, die in aller Welt und auch in der Bundesrepublik Deutschland humanitäre Hilfe leisten. Dieser Dank an dieser Stelle gilt allen Hilfsorganisationen und privaten Initiativen. Dank sei bei dieser Gelegenheit auch vor allem jenen Bürgern gesagt, die unseren Neubürgern aus Vietnam, Laos oder Kambodscha mit viel Engagement geholfen haben, sich in unserer Gesellschaft zurechtzufinden. Allein staatliche Gesetze, z. B. das vorliegende Gesetz, reichen nicht aus, diese Eingliederung in unsere Gesellschaft zu ermöglichen. Unsere Neubürger müssen auch menschliche
Wärme verspüren. Deshalb dieser Dank an jene Privatleute, private Initiativen und Organisationen, die sich hier im humanitären Sinne engagiert haben. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brandt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mir den Gesetzentwurf nun extra hier mit heraufgenommen, damit ich weiß, worum es eigentlich geht. Denn nach dieser Rede war ich mir nicht ganz im klaren, worum es bei dem Tagesordnungspunkt 10 geht. Deshalb möchte ich das hier doch noch einmal kurz zusammenfassend sagen: Es liegt ein Gesetzentwurf vor, den die Fraktion von SPD und FDP im März in den Bundestag initiativ eingebracht haben. Im Mai haben wir diesen Gesetzentwurf im Innenausschuß behandelt, beraten und einstimmig verabschiedet. Hier beraten wir ihn nun in zweiter und dritter Lesung und werden ihn sicherlich auch hier einstimmig verabschieden.Worum geht es? Es geht im Grunde um eine Selbstverständlichkeit, von der man hätte annehmen können, daß es einer besonderen gesetzlichen Regelung nicht bedurft hätte. Aber es hat sich herausgestellt, daß man sie doch brauchte. Deshalb diese Regelung.Wir haben Gruppen von Flüchtlingen hier bei uns aufgenommen und gesagt: Wir wollen diesen Gruppen von Flüchtlingen eine neue Heimstatt, eine neue Heimat anbieten, soweit sie von ihnen angenommen wird; das ist für diese Leute schwierig genug.Dabei hat sich herausgestellt, daß man eine gesetzliche Regelung haben muß, wenn man auch diese Gruppen, die im Sichtvermerksverfahren oder in einem anderen Verfahren hier aufgenommen worden sind, in den Genuß der sozialen Leistungen bringen will, wie beispielsweise Asylberechtigte, also anerkannte Asylanten, sie bei uns bekommen. Denn sie kommen nicht ohne weiteres in den Genuß von Förderungsmaßnahmen, beispielsweise nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz oder dem Arbeitsförderungsgesetz.Deshalb ist der Sinn dieses Gesetzentwurfs folgender:Erstens. Die Rechtsstellung dieser Leute soll klargestellt werden. Es sollte zum Ausdruck gebracht werden: Sie werden rechtlich so behandelt, als wären sie bei uns anerkannte Asylanten. Denn sie sind von uns mit unserem Willen hier als Gruppe aufgenommen worden, und wir wollen ihnen eine neue Heimstatt anbieten.Zweitens. Wenn sie diese Rechtsstellung haben, sollen sie auch in den gesetzlichen Bereich des Bundesausbildungsförderungsgesetzes und des Arbeitsförderungsgesetzes einbezogen werden. Die beiden hier mitberatenden Ausschüsse haben dem zugestimmt
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Brandt
Ich glaube, das ist eine sachgerechte Regelung. Wie gesagt: Ich wäre froh gewesen, es hätte einer solchen eigenen gesetzlichen Regelung gar nicht bedurft. Man hätte das, was an sich selbstverständlich und gewollt ist, auch so machen können. Aber es hat sich herausgestellt, daß es doch einer eigenen gesetzlichen Regelung bedurfte. Die haben wir hier nun auf dem Tisch liegen und werden sie jetzt verabschieden.Wir reden über die Probleme der Flüchtlinge in aller Welt. Sie haben recht, es sind ungefähr 15 Millionen, die irgendwo herumirren, ohne Dach über dem Kopf, ohne zu wissen, wie sie den nächsten Tag bestreiten sollen, ohne zu wissen, ob sie den nächsten Tag überleben. Es ist schlimm genug, daß dies so ist. Die Bundesregierung und auch dieses Parlament haben viele Anstrengungen unternommen, um das zu tun, was in ihrer Macht liegt. Das gilt jetzt beispielsweise gerade wieder für Somalia, wo es im Augenblick besonders schwierig ist, wo sich einer der besonderen Krisenherde in der Welt darstellt. Das tun wir, und wir wollen es im Rahmen unserer Möglichkeiten tun. Ich denke, Herr Kollege Langguth, daß es sicherlich nicht mehr in dieser, sondern in der nächsten Legislaturperiode — das Problem wird uns leider erhalten bleiben — Gelegenheit geben wird, in diesem Hause wieder einmal ausgiebig über diese Fragen zu sprechen. Das wäre nicht das erste Mal. Hier und heute geht es um diesen, auf den einen Punkt bezogenen Gesetzentwurf, und ich denke, den wollen wir jetzt gemeinsam verabschieden.
Das Wort hat Herr Kollege Engelhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir behandeln im Plenum regelmäßig Tagesordnungspunkte, zu denen gesprochen wird. Es sind zwei Gründe dafür denkbar, daß wir eine Debatte führen: zum einen, weil unterschiedliche Standpunkte zwischen den Fraktionen bestehen und der Öffentlichkeit gegenüber diese unterschiedlichen Meinungen klargelegt und dargestellt werden sollen und zum anderen, weil wir zwar quer durch die hier vertretenen Fraktionen einig sind, aber Wert darauf legen, dies wegen der Bedeutung einer Sache hier durch eine Debatte auch deutlich zu machen. Ich meine, der aufgerufene Punkt gehört der zweiten Kategorie an. Dann sollen wir aber — hier stimme ich Herrn Kollegen Brandt zu — auch etwas zum Problem sagen — er hat dies bereits getan —, um zu schildern, was mit diesem kurzen Gesetzentwurf beabsichtigt ist.
Fast wäre man in diesen Tagen versucht, jetzt über das Asylrecht zu sprechen. Das ist die Hintergrundmusik für unsere heutige kurze Debatte. Wer weiß, wie das Asylverfahren durch den Andrang so vieler, die schließlich als Asylanten nicht anerkannt werden können, verstopft ist, der wird es als um so dringender ansehen, es zu ändern, daß meist kleine Bevölkerungsgruppen, die wir, aus humanitären Gründen vor Vernichtung schützend, hier in der Bundesrepublik aufnehmen, bisher zusätzlich das Asylverfahren durchlaufen mußten. Das bisherige
Verfahren wird man nur als unvernünftig ansehen können. Damit macht dieser Gesetzentwurf Schluß und stellt damit gleichzeitig sicher, daß die Betroffenen sofort nach ihrer Ankunft in den Genuß der Förderungsmaßnahmen kommen können.
Ich weiß, im Vorfeld der Beratungen zu diesem Gesetzentwurf ist natürlich auch die Frage aufgeworfen worden, ob nicht eine stärkere Mitwirkung des Parlaments bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus humanitären Gründen geboten erscheint. Dies ist weitgehend Sache der Bundesregierung; aber mir erscheint diese Frage deswegen nicht problematisch, weil wir wissen, daß die Bundesregierung ihrerseits hier nur in enger Abstimmung mit den Bundesländern tätig werden kann, die sich bereit erklären müssen, die Aufnahme von Flüchtlingen vorzunehmen.
In diesem Zusammenhang hat jetzt in der Debatte Herr Kollege Langguth zum Flüchtlingsproblem ganz allgemein eine Reihe von Anmerkungen gemacht und Kritik geübt. Ich denke, dies ist hier nicht der Ort und nicht die Zeit, näher darauf einzugehen. Wir sollten uns einmal die Gelegenheit nehmen, in einer etwas umfassenderen Weise diese Probleme zu behandeln.
Dann wird deutlich werden, daß die Bundesrepublik Deutschland und die sie vertretende Bundesregierung in einem weiten und großen Umfang all die letzten Jahre tätig geworden ist: zum einen durch eine sehr entschiedene Friedenspolitik, die alles mit den zur Verfügung stehenden Mitteln dazu beizutragen sucht, daß das Flüchtlingsproblem, wo immer wir es verhindern können, überhaupt nicht erst entsteht
Wir wissen, daß wir in dieser Welt, so wie sie nun einmal ist, hier häufig an Hürden und Hindernisse stoßen, die wir mit allen Bemühungen nicht überwinden können.
Dann haben wir uns bemüht, an Ort und Stelle Not zu lindern. Wir müssen uns einmal unterhalten, was dort noch besser gemacht werden kann. Sie haben Kritik geübt, daß etwa das Technische Hilfswerk kaum noch zum Einsatz komme. Vielleicht werden Sie in einiger Zeit hören, wo dies in einer sehr wirksamen Weise geschehen wird. Ich halte pauschale Kritik in diesem Punkt nicht für gerechtfertigt.
Darüber hinaus haben wir uns bemüht — wenn natürlich auch nur kleine —, Gruppen von Flüchtlingen aus humanitären Gründen in unserem Lande aufzunehmen. Wir wissen immer, wenn wir dies tun, daß dies nur ein kleiner Tropfen auf den heißen Stein ist Aber wir machen damit deutlich, daß das, was an uns liegt, getan werden soll. Dazu sind wir bereit
Herr Kollege Engelhard, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Langguth?
Bitte!
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Herr Kollege, können Sie dann zumindest bestätigen, daß seit dem 30. Oktober 1978 das BMI für das Auswärtige Amt auf Ersuchen des zuständigen Referats für humanitäre Hilfe lediglich in einem einzigen Fall humanitäre Hilfe geleistet hat und daß von daher meine Kritik an dem geringen Einsatz des THW gerechtfertigt ist?
Herr Kollege, mir ist nicht bekannt, in wie vielen Fällen das THW zum Einsatz gekommen ist. Sie wissen im übrigen auch, daß das Technische Hilfswerk dort eingesetzt werden muß, wo Probleme gelöst werden müssen, die das Technische Hilfswerk mit seinem Personal und den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln überhaupt lösen kann. Deswegen glaube ich, daß man sachgerecht auf eine so generelle rein quantifizierende Frage vernünftigerweise auch nicht antworten kann.
Ich will in diesem Zusammenhang am Schluß noch einmal aufgreifen, Herr Kollege Langguth, was ich vorhin sagte, nämlich daß wir spätestens gleich zu Beginn der nächsten Legislaturperiode Gelegenheit nehmen sollten, uns einmal in einer größer angelegten Debatte über diese Fragen zu unterhalten. Dann wird auch Gelegenheit sein, von seiten der Bundesregierung eine ganz umfassende Darstellung all dessen zu geben, was in diesem Bereich getan worden ist. Vielleicht werden Sie dann auch etwas gedämpfter mit den kritischen Anmerkungen auftreten, von denen Sie glaubten, sie heute hier machen zu müssen. Danke.
Meine Damen und Herren, das Wort wird weiter nicht gewünscht.
Wir kommen zur Einzelberatung und zur Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die §§ 1 bis 6, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, bitte ich um das Handzeichen. — Danke sehr. Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wird dazu das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke sehr. Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Das Gesetz ist angenommen.
Meine Damen und Herren, es ist noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/ 4139 unter Ziffer2, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Verbesserung und Ergänzung sozialer Maßnahmen in der Landwirtschaft
— Drucksache 8/2844 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 8/4167 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 8/4128 —
Berichterstatter: Abgeordneter Horstmeier
b) Zweite Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte
— Drucksache 8/1250 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 8/4167 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 8/4128 —
Berichterstatter: Abgeordneter Horstmeier
Herr Kollege Horstmeier als Berichterstatter wünscht das Wort. Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum vorliegenden schriftlichen Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung möchte ich folgende Erläuterungen geben.Im Mittelpunkt dieses Zweiten Agrarsozialen Ergänzungsgesetzes steht die Hinterbliebenenregelung in der Landwirtschaft. Daß dieses Problem vorher nicht gelöst war, wurde von allen Seiten als eine Lücke in der agrarsozialen Sicherung angese-
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Horstmeierhen. Die Frage hat alle Fraktionen des Bundestags fast während der gesamten Legislaturperiode beschäftigt.Bereits im Dezember 1977 hat die CDU/CSU- Fraktion ein 8. Änderungsgesetz zum GAL eingebracht. Dieses sah vor, alle Witwen landwirtschaftlicher Unternehmer, die mindestens ein Kind unterhalten oder das 45. Lebensjahr vollendet haben, in die Leistungen des Altershilfegesetzes für Landwirte einzubeziehen. Die Hofabgabe als Leistungsvoraussetzung sollte dabei nicht gefordert werden.Im Juni 1979 hat dann die Bundesregierung ein weitergehendes Zweites Agrarsoziales Ergänzungsgesetz eingebracht. In puncto Witwenregelung brachte es drei Leistungsarten: Erstens das Witwengeld, von den Voraussetzungen her fast gleich angelegt wie beim CDU/CSU-Entwurf, aber mit einem gravierenden Unterschied: bei Bezug des Witwengeldes sollte die Hofabgabe gefordert werden.Zweitens war die Haushalts- und Betriebshilfe für die ersten zwei Jahre nach dem Todesfall vorgesehen; eine Leistung, die ja auch schon bei Krankheit gewährt wird.Drittens die Übergangshilfe als eine ganz neue Leistungsart für ein Jahr nach dem Todesfall. Hierfür sollte das Erfordernis der Hofabgabe nicht bestehen.Zentraler Punkt der Auseinandersetzungen blieb die Frage, ob für den Bezug von Witwengeld die Hofabgabe gefordert werden sollte oder nicht. Diese Frage hat die Gemüter monatelang beschäftigt Eine Brücke fanden dann die drei Fraktionen durch den Vorschlag einer zeitlichen Ausweitung der im Regierungsentwurf vorgesehenen Übergangshilfe, die ja auch nach den Vorstellungen der Regierung ohne Hofabgabe gewährt werden sollte, um damit den Hof für den Hofnachfolger zu erhalten. Die Kosten der Übergangshilfe sollten ohne Bundeszuschuß ausschließlich zu Lasten der Beitragszahler gehen. Darin gab es volle Übereinstimmung.Bei der Frage der Leistungsvoraussetzungen für die Übergangshilfe wurde es dann sehr kontrovers. Die Koalitionsfraktionen bestanden in ihren Anträgen darauf, die Leistungen auf Betriebe bis zu einem Wirtschaftswert von 25 000 DM zu beschränken. Darüber liegende Betriebe sollten die Übergangshilfe nicht erhalten können. Ebenso sollte beim Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen des Antragstellers eine Grenze von zur Zeit 1 260 DM monatlich gesetzt werden.Dazu hat dann die Opposition Änderungsanträge gestellt:a) ältere Witwen, ab 45 Jahre, auch ohne Kinder, in die Übergangshilfe einzubeziehen, ähnlich wie das bei der Gewährung von Hinterbliebenengeld ist;b) — und das ist eigentlich der Hauptpunkt — die Betriebsgrößengrenze von 25 000 DM fallenzulassen, mit der Begründung, das ja eine Arbeitseinkommensgrenze vorgesehen sei;c) diese Arbeitseinkommensgrenze der Betroffenen von 1 260 auf 2 100 DM monatlich heraufzusetzen.Die Mehrheit des Ausschusses lehnte diese drei Anträge ab. Damit ist das Übergangsgeld in der erstgenannten Form, nach den Vorstellungen der Koalition, beschlossen worden.Es ist weiter zu bemerken, daß das Zweite Agrarsoziale Ergänzungsgesetz die Einbeziehung weiterer Personenkreise, nämlich der Flußfischer, Seenfischer und Imker, in die Leistungen des GAL vorsieht. Zu erwähnen bleibt noch die Leistungsverbesserung für die Zusatzversorgung der Arbeitnehmer in der Landwirtschaft, die auch in diesem Gesetz geregelt ist.Das Altershilfeproblem der älteren Mithelfenden auf den Höfen ist durch Anträge der Koalitionsfraktionen neu und besser gestaltet worden.Es bleibt hier auch noch festzuhalten, daß die Kosten des Bundes durch die Anträge des Ausschusses zu diesem Gesetz niedriger ausgefallen sind, als im Regierungsentwurf veranschlagtMeine Damen und Herren, die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist wegen der unterschiedlichen Auffassungen über die Einschränkungen in der Leistungsart Übergangshilfe nicht einstimmig, sondern mit Mehrheit verabschiedet worden.
Zur Berichterstattung wird das Wort weiter nicht gewünscht
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Schartz .
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Wir leben in einem sozialen Staat Das ist die Aussage, die wir Politiker bei allen möglichen Gelegenheiten machen. Ich will heute morgen nicht den Versuch unternehmen, diese Aussage juristisch zu definieren; ich meine nur, man könnte sich wohl darauf verständigen, daß wir in einer modernen Sozialpolitik demjenigen, der unverschuldet in Not geraten ist, der nicht mehr in der Lage ist, in genügendem Maße eine Erwerbstätigkeit auszuüben, einen Rechtsanspruch gegen die Gesellschaft geben.Alle politischen Parteien sagen in ihren Programmen aus, daß es in der modernen Sozialpolitik notwendig ist, auch die Selbständigen in das soziale Netz einzubeziehen. Wenn man davon ausgeht, daß die Erwerbschancen in der heutigen Wirtschaft für die Selbständigen nicht mehr die gleichen sind wie früher, ist dies in der Sache wohl auch richtig. Auch reicht das persönliche Eigentum, wenn man es mit den Kosten im sozialen Bereich vergleicht, nicht mehr aus, um Krankheit, Erwerbsunfähigkeit und Altersversorgung abzudecken.Aus dieser Grundeinstellung haben alle politischen Parteien die Absicht erklärt, das Netz der sozialen Sicherheit für die Landwirte zu verbessern und insbesondere die gravierende Lücke zu schließen, daß die Witwe eines verstorbenen Bauern bei dem heutigen Rechtszustand keinerlei Hilfe erfah-
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Schartz
ren kann. Sie erhält keine Rente. Auch sind für sie die Erwerbsmöglichkeiten in der Landwirtschaft ja beschränkt. Die wirtschaftliche Situation der Landwirte ist ja heute anerkanntermaßen so, daß die Bauern runde 30 % weniger als Angehörige anderer Berufe verdienen.Dies hat die CDU/CSU-Fraktion im Jahre 1977 zum Anlaß genommen, einen Entwurf zur Einführung einer Witwenrente für die Frau eines verstorbenen Bauern einzubringen. Danach sollte für das Jahr 1980 eine Rente in Höhe von 288 DM jeder Witwe gegeben werden, die ein Kind von unter 18 Jahren versorgt oder die älter als 45 Jahre ist. Wir wollten dies auf der Grundlage der Weiterbewirtschaftung der Betriebe möglich machen, um so die Existenz der bäuerlichen Familie zu erhalten.Die Bundesregierung hat geraume Zeit danach einen Gesetzentwurf eingebracht, der ebenfalls 288 DM als monatliche Rente vorsah. Die Bedingungen für das Gewähren dieser Rente wurden allerdings wesentlich verschärft. Der Berichterstatter hat eben zutreffend ausgeführt, daß gerade dies der Punkt ist, in dem die Einigung unter den politischen Parteien nicht erfolgen konnte. Die Bundesregierung verlangt, daß das Hinterbliebenengeld, wie sie diese Witwenrente nennt, nur gewährt wird, wenn der Betrieb abgegeben wird. Sie verlangt ebenfalls, daß nur dann gezahlt wird, wenn das Kind weniger als 15 Jahre alt ist.In den Beratungen des Bundestages haben die Koalitionsfraktionen dann andere Anträge gestellt. Aber der entscheidende Punkt ist geblieben, daß die Bundesregierung zwar einen kleinen Teil der bäuerlichen Witwen mit dem Hinterbliebenengeld versorgen will, aber andererseits ihre Doktrin aufrechterhält, daß dieses Geld nur bei Abgabe des Betriebes gegeben werden soll.Die landwirtschaftliche Berufsvertretung hat in der Einsicht in die Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestag den Fraktionen einen für meine Begriffe sehr weitgehenden Vorschlag zugestellt. Der Deutsche Bauernverband hat ausdrücklich erklärt, daß er eine Witwenrente für diejenigen Frauen verstorbener Bauern haben will, die den Betrieb weiterbewirtschaften wollen. Dieses sogenannte Übergangsgeld sollte — das war das Angebot der bäuerlichen Berufsvertretung — aus solidarischen Beiträgen der Bauern gezahlt werden. Der Bund sollte für das Übergangsgeld keinen Pfennig aufbringen. Ich meine, es wäre gut gewesen, wenn alle Fraktionen des Bundestages auf dieses Angebot eingegangen wären.Obwohl die Bauern erklärt haben, sie wollten alle Kosten für dieses Übergangsgeld zahlen, glaubten die SPD und die FDP einschränkende Vorschriften auch weiterhin in das Gesetz einführen zu müssen. Jetzt wird nicht mehr die Abgabe des Betriebes verlangt, jetzt wird eine Abgrenzung so vorgenommen, daß alle Betriebe, die mehr als 25 000 DM Wirtschaftswert haben, von der Rentenregelung ausgeschlossen werden sollen. 25 000 DM Wirtschaftswert bedeutet — wenn man einmal die durchschnittlichen Hektarwerte in der Bundesrepublik Deutschland ansieht —, daß alle Betriebe über 20,3Hektar von der Zahlung des Ubergangsgeldes ausgeschlossen wären.
Dies wiederum würde bedeuten, daß rund drei Viertel aller Vollerwerbsbetriebe in der Bundesrepublik Deutschland nicht in den Genuß des Übergangsgeldes kommen sollen. Ich habe diese Zahlen aus der Schichtung der Testbetriebe nach Wirtschaftswerten errechnet, die jedermann zugänglich istErlauben Sie mir hier ein Wort zu der nicht vorhandenen agrarpolitischen Konzeption der Bundesregierung.
Beim einzelbetrieblichen Förderungsprogramm der Bundesregierung, dem sogenannten Ertl-Plan, wird ein Mindesteinkommen als Voraussetzung für eine staatliche Förderung verlangt. Dort wird verlangt, daß die Betriebe groß sind, sonst gibt es keine Förderung. Hier wird verlangt: die Betriebe müssen klein sein, sonst gibt es keine Witwenrente. Auf der einen Seite ist es so, daß 20 Hektar nicht ausreichen, auf der anderen Seite ist es so, daß 20 Hektar zuviel sind.
Das Wort, das mein Kollege Horstmeier geprägt hat, ist schon richtig: neben der Förderschwelle kommt jetzt die Sozialschwelle hinzu.Ich frage die Bundesregierung, ich frage die Fraktionen, die die Bundesregierung tragen: was ist denn eigentlich der Grund, weshalb Sie auf der einen Seite sagen: „Der Betrieb ist zu klein, ich kann dich bei deinen Investitionen nicht fördern", und weshalb Sie heute bei der Beratung dieses Gesetzes sagen: „Der Betrieb ist so groß, und deswegen erhältst du keine soziale Hilfe"?Ich meine schon, daß es notwendig ist, nachzudenken, ob dies Gesellschaftspolitik ist, die auf die Erhaltung der Landwirtschaft hinausgehen soll. Ich bin der Auffassung, es gibt einen Grund, der weit über das hinausgeht, was man agrarpolitisch verstehen kann. Ich sehe ihn im Ideologischen, in der ideologischen Zielsetzung der Sozialisten, der sich die FDP unterworfen hat.
— Herr Kollege Wehner, lassen Sie mich meine Meinung vortragen.
— Herr Kollege Wehner, ich will meine Meinung begründen; denn das ist in Ihrem Zwischenruf nicht geschehen: Ich will sie mit der Haltung der Koalition und der Regierung in Sachen Familiengeld begründen. Dort hat sich gezeigt, daß sie ganz bewußt die Selbständigen aus einer sozialen Hilfeleistung des Staates ausschließen.
Dies ist die logische Fortsetzung Ihrer Verhaltensweise gegenüber den Selbständigen und gegenüber
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Schartz
den Bauern. Sie haben die Mehrheit, und Sie benutzen diese Mehrheit —
— Herr Kollege Wehner, es ist nicht meine Aufgabe, die Vortragsweise oder den Vortrag des Herrn Berichterstatters, der für den Ausschuß berichtet hat, zu bewerten. Ich habe den Eindruck — ich bin in dieser Meinung sehr fest —, daß hier ein absolut korrekter und objektiver Bericht aus dem Ausschuß gegeben worden ist.
Es ist nicht meine Aufgabe, das festzustellen, aber ich stelle es für meine Person fest.Ich spreche hier für die Fraktion der CDU/CSU im Deutschen Bundestag.
Und ich sage: Ich erkenne in dieser Behandlung der Bauern und der Selbständigen eine logische Fortsetzung ihrer ungerechten Behandlungsweise in Sachen Familiengeld.
Die Mütter in den Selbständigen-Bereichen haben Sie von der Zahlung dieses Familiengeldes ausgeschlossen, obwohl es aus den Mitteln aller aufgebracht wird.
Herr Schartz, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Cronenberg?
Ja.
Herr Kollege, würden Sie die Güte haben, dem Hause einmal darzulegen, mit welcher Begründung wir damals diese sozialen Maßnahmen durchgeführt haben, und würden Sie bestätigen können, daß wir ausdrücklich erklärt haben, daß wir hier im Interesse der arbeitenden Mütter den ersten Schritt in die richtige Richtung getan haben? Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dieses dem Hause darlegten, damit dieses Mißverständnis, das Sie hoffentlich nicht bewußt hier provozieren wollen, ausgeräumt wird.
Herr Kollege Cronenberg, ich meine, es wäre richtiger, wenn sie begründeten, weshalb Sie die Selbständigen-Frauen ausgeschlossen haben.
Das wäre die richtige Verhaltensweise. Wenn sowohl sozialpolitische wie bevölkerungspolitische Gründe mitgespielt haben und die Finanzierung auch von entscheidender Bedeutung ist, frage ich Sie: Wo nehmen Sie das Recht her, den Status der Erwerbstätigkeit nur auf die Frau in einem unselbständigen Erwerbsverhältnis zu beziehen? Ist denn die Frau eines Bauern nicht in der Erwerbstätigkeit,
ist die Frau eines Handwerkers nicht erwerbstätig?
Sie können von mir erwarten, daß ich Ihre Frage beantworte. Ich bitte aber darum, daß Sie hier deutlich machen, weshalb die Bäuerin von dieser Leistung ausgeschlossen wird.
Ich hatte gesagt, ich sehe den Grund für diese Verhaltensweise in der ideologischen Zielsetzung der Sozialisten. Ich sehe diese Behandlungsweise nicht im Zusammenhang mit der Frage nach Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit oder der Frage nach Bedürftigkeit oder Nichtbedürftigkeit, sondern allein im Zusammenhang damit, daß man hier eine Doktrin verfolgt und in Verfolg dieser Doktrin die Bauern, die etwas mehr Land haben als andere, von dieser Hilfe ausschließen will.
Ich meine, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sollte zum Schluß meiner Vortragszeit hier deutlich machen, daß die Bauern bereit waren — und dies offiziell erklärt haben —, alle Kosten dieses Übergangsgeldes selbst zu tragen. Der Herr Berichterstatter hat zutreffend ausgeführt, daß der Bund entlastet worden wäre. Ich meine, dieses Angebot des Deutschen Bauernverbandes hätte von den Regierungsfraktionen aufgenommen werden sollen. Es hätte dazu führen müssen, daß für die Witwen verstorbener Bauern eine soziale Besserstellung erreicht worden wäre.
Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag wird diesem Gesetz, das sie selbst initiiert hat, nicht zustimmen können, weil diese Grenze des Wirtschaftswertes in dem Gesetz enthalten sein wird, wenn die Regierung und die sie tragenden Fraktionen ihre Meinung nicht ändern. Sie wird nicht zustimmen, weil hier allein für die Bauern der Begriff des Kindes auf Kinder bis zu 15 Jahren eingeengt wird. Sie wird nicht zustimmen, weil die Witwen über 45 Jahre von einer Rentenzahlung ausgeschlossen werden.
Ich sage für die Fraktion der CDU/CSU im Deutschen Bundestag: Wenn wir in diesem Hause wieder die Möglichkeit haben, per Mehrheitsentscheidung diese ungerechte Schwelle zu beseitigen, werden wir das tun. Ich verspreche es den Bauern und ihren Frauen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kirschner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schartz, nur eine Vorbemerkung: Sie haben vorhin gesagt, alle Parteien wollten die soziale Sicherung der Agrarbevölkerung. Wenn Sie sich einmal die Leistungsbilanz der sozialliberalen Koalition vergegenwärtigen, stellen Sie fest, daß von 1969 bis 1978 allein 19,5 Milliarden DM an Bundesmitteln in die Agrarsozialpolitik geflossen sind.
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17746 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980
KirschnerSetzen Sie diese Summe bitte in Verhältnis zu der Summe, die zu der Zeit aufgewendet wurde, als Sie die Verantwortung getragen haben.Mit der heutigen abschließenden zweiten und dritten Lesung eines Zweiten Gesetzes zur Verbesserung und Ergänzung sozialer Maßnahmen in der Landwirtschaft wird — wie der Name des von der Bundesregierung eingebrachten und am 22. Juni 1979 in erster Lesung hier im Bundestag beratenen Gesetzentwurfes aussagt — der Zielsetzung Rechnung getragen, Lücken im landwirtschaftlichen Alterssicherungssystem zu schließen bzw. vorhandene Mängel zu beheben, um die soziale Sicherung der Agrarbevölkerung weiter zu verbessern. Der Gesetzentwurf sieht vor, die soziale Sicherung der jüngeren hinterbliebenen Ehegatten landwirtschaftlicher Unternehmer in die Altershilfe für Landwirte einzubeziehen und zu verbessern. Einbezogen in den Kreis des GAL werden die Fluß- und Seenfischer, die Imker, die als landwirtschaftliche Unternehmer bereits Mitglied der landwirtschaftlichen Unfallversicherung sind, sowie die mithelfenden Familienangehörigen zwischen dem 50. und 65. Lebensjahr. Die finanziellen Aufwendungen der Versicherung für diese Personen werden von der Solidargemeinschaft der landwirtschaftlichen Beitragszahler aufgebrachtIn der Vergangenheit hatte sich oft gezeigt, daß jüngere Hinterbliebene es nicht leicht haben, den landwirtschaftlichen Betrieb nach dem Tode des Ehegatten weiterzuführen. Wir haben uns die Beratungen im Ausschuß nicht leichtgemacht, galt es doch, einen sozialpolitisch vernünftigen und auch vertretbaren Weg zu finden, der die Erhaltung und Weiterführung des landwirtschaftlichen Unternehmens durch gezielte Hilfeleistungen ermöglicht, um der Familie und insbesondere dem Hofnachfolger die Existenzgrundlage zu sichern und andererseits kein ungerechtfertigtes Rentendenken zu fördern.Wie immer man auch die Notwendigkeit einer finanziellen Grundsicherung ohne Hofabgabe, wie sie immer wieder gerade vom Bauernverband und, wie wir eben gehört haben, von der CDU/CSU in den verschiedenen Stellungnahmen gefordert wurde, begründet — die Weiterführung des Betriebes ist damit keineswegs gesichert. Hier wird ein Besitzstandsdenken deutlich, das nicht gerechtfertigt ist Vielmehr kommt es auf die konkrete Bedarfssituation an. Es sollte nicht verschwiegen werden, in welcher Höhe Bundeszuschüsse — im laufenden Jahr werden es zirka 2 Milliarden DM sein — zur Finanzierung der landwirtschaftlichen Altershilfe beitragen. Ein solches Besitzstandsdenken wäre auch im Blick auf andere vergleichbare Bevölkerungsgruppen nicht vertretbar, beispielsweise im Blick auf einen Handwerksbetrieb, der von einer Witwe nur dann weitergeführt werden kann, wenn ein entsprechendes Meisterfachzeugnis nachgewiesen wird. All dies mußte bei den Beratungen sorgfältig abgewogen und bedacht werden.Aus der Überlegung heraus, daß eine Rentendauerleistung die Gestellung von Fachkräften der Betriebs- und Haushaltsführung zur Weiterführung des landwirtschaftlichen Unternehmens nicht ersetzen kann, ist es sinnvoll, nur dann eine Rentenleistung zu gewähren, wenn der Hof auch abgegeben wird. Wir hätten sonst zweierlei Arten von Berechtigten, bei denen Rentenleistungen in der Altershilfe gewährt würden: auf der einen Seite die erwerbsunfähigen und die über 65jährigen Altersgeldbezieher, die nur dann eine Rente aus der Altershilfe für Landwirte erhalten, wenn sie den Hof abgeben; auf der anderen Seite wäre dann dieser Personenkreis der jüngeren Hinterbliebenen, die eine Rentenleistung ohne Hofabgabe erhalten. Dies wäre wohl schwer zu erklären. Wir haben deshalb an der Voraussetzung der Gewährung einer Hinterbliebenenrente, an der Hofabgabe, festgehalten, allerdings den Gesetzentwurf der Bundesregierung in den Ausschußberatungen in einigen anderen wesentlichen Punkten verändert.Lassen Sie mich deshalb zu den einzelnen vorgeschlagenen Änderungen kommen. So wurde der Begriff, daß der verstorbenen Ehegatte den Unterhalt seiner Familie „überwiegend" bestritten hatte, in „nicht überwiegend" geändert. Damit wurde der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Rechnung getragen, wonach das bäuerliche Ehepaar das wirtschaftliche Einkommen gemeinsam erwirtschaftet.Ebenso schlagen wir vor, die Altersgrenze eines im Haushalt lebenden Kindes als Voraussetzung für den Bezug der Rentenleistung vom 15. auf das 16. Lebensjahr heraufzusetzen.Allerdings — und dies muß noch einmal betont werden —, diese Leistung ist einkommensabhängig, d. h., das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen der oder des Hinterbliebenen darf drei Zehntel der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht übersteigen. Dies sind 1980 1 260 DM.Die Bezieher von Hinterbliebenengeld werden, sofern nicht eine andere Versicherung Vorrang hat, auf Kosten des Bundes in der landwirtschaftlichen Krankenkasse versichert. Liegen die Voraussetzungen für ein Hinterbliebenengeld bei Abgabe des Hofes nicht vor, soll zur Erleichterung des Übergangs ins Arbeitsleben für ein Jahr nach dem Tode des Unternehmers eine Übergangshilfe gewährt werden.Das zur Rentenleistung, die aber, wie gesagt, nicht im Vordergrund des Gesetzes steht. Ziel ist vielmehr die Erhaltung und Weiterführung des Hofes für den hinterbliebenen Ehegatten und dessen Kinder. Deshalb sieht der Gesetzentwurf im einzelnen vor: erstens die Bereitstellung von Betriebs- und Haushaltshilfe bis zur Dauer von zwei Jahren, zweitens — und das ist die wesentliche Änderung, die der Gesetzentwurf durch die Beratungen im Rechtsausschuß erfahren hat — die Zahlung einer Übergangshilfe für denjenigen oder diejenigen hinterbliebenen landwirtschaftlichen Unternehmer bis längstens zum 60. bzw. 65. Lebensjahr. Voraussetzung ist allerdings, daß im Haushalt mindestens ein Kind lebt, das das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Diese Altersgrenze entspricht dem Gedanken einer Erziehungsrente nach § 1265 a Reichsversicherungsordnung.
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KirschnerHier wird auch die Zielsetzung des Gesetzentwurfs deutlich: statt einer undifferenzierten Gewährung einer Rentenzahlung gezielte Hilfen zur Erhaltung des Betriebes für den späteren Hofnachfolger. Allerdings ist diese Übergangshilfe an einen tatsächlichen Bedarf gekoppelt, d. h. auf die Einkommenssituation abgestimmt. So wird die Übergangshilfe nur den Betrieben gewährt, deren Wirtschaftswert 25 000 DM nicht übersteigt Damit werden rund zwei Drittel aller Beitragspflichtigen von dieser Leistung erfaßt, und es wird — ich will das noch einmal betonen — auf die konkrete Bedarfssituation abgehoben.Des weiteren ist die Grenze für Arbeitsentgelt und -einkommen auf drei Zehntel der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung festgesetzt. Das sind, wie gesagt, 1 260 DM im Jahre 1980. Renten und vergleichbare Versorgungsaufwendungen dürfen ein Viertel der monatlichen Bezugsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung — das sind 1980 550 DM — nicht überschreiten. Soweit zur Übergangshilfe.Weitere wichtige Änderungen betreffen die Einbeziehung der mithelfenden Familienangehörigen, die am 1. Mai 1980 das 50., aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet haben. Mit der Einbeziehung dieser Gruppe in die Altershilfe für Landwirte, und zwar als Pflichtmitglieder zu Lasten der Beitragszahler, haben wir einen wichtigen, wenn auch kleinen Schritt zur immer wieder beschworenen Gesamtverantwortung der innerlandwirtschaftlichen Solidarität getan. Wir haben mit dieser Regelung jedoch nichts anderes vollzogen als das, was in der gesetzlichen Rentenversicherung eine Selbstverständlichkeit ist, daß nämlich Rentenansprüche durch entsprechende Beitragsleistung zur Solidargemeinschaft erworben werden.Eine weitere wichtige Änderung, die wir vorschlagen, betrifft die Beitragshöhe in der landwirtschaftlichen Krankenkasse für mitarbeitende Familienangehörige. Mit diesem Änderungsvorschlag wird der Selbstverwaltung das Recht eingeräumt, für diesen Personenkreis die Höhe des Beitrags auf mindestens 50, höchstens jedoch 75 % des Beitrags der landwirtschaftlichen Betriebsleiter — an Stelle des bisher vorgeschriebenen festen Beitragssatzes von 66 2/3 % — festzulegen.Besonders hervorzuheben ist noch die im Gesetz vorgesehene Verbesserung der Ausgleichsleistung für ehemalige landwirtschaftliche Arbeitnehmer nach dem Zusatzversorgungsgesetz von 1974. Seit ihrer erstmaligen Gewährung 1974 ist diese Leistung bisher nicht angehoben worden; jetzt wird sie von 50 auf 70 DM gesteigert.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassend folgendes feststellen. Erstens. Die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu diesem Gesetzentwurf verstärkt durch die von mir vorgetragenen Beschlußempfehlungen die von der Bundesregierung festgelegte Zielsetzung, durch geeignete Maßnahmen die Erhaltung des Hofes für den Hinterbliebenen und dessen Kinder unter Beachtung einer gegebenen Bedarfssituation sicherzustellen.Zweitens. Mit dieser Regelung wird, wie der Gesetzentwurf der Bundesregierung ausdrücklich betont, kein Präjudiz für die große Reform der Hinterbliebenenversorgung 1984 geschaffen. Diese Reform wird sich auf alle Zweige der sozialen Sicherung erstrecken müssen. Dies gilt auch für die dann erneut zu überprüfenden, jetzt zu treffenden Neuregelungen für die Witwen und Witwer in der Landwirtschaft.Drittens möchte ich deutlich machen, daß es bei den Sozialpolitikern innerhalb der SPD-Fraktion lange Diskussionen über die Altershilfe der Landwirte gegeben hat.
Das jetzige System, nach dem nur 12,4% der Aufwendungen durch Beiträge, dagegen 87,6 % durch Bundeszuschüsse aufgebracht werden, findet keine Parallele in den anderen Zweigen der gesetzlichen Rentenversicherung. Um es noch deutlicher zu sagen: Um eine Rentengeldleistung von 490,90 DM zu erhalten — dies entspricht dem 1979 möglichen Höchstbetrag in der landwirtschaftlichen Altershilfe nach 21 Versicherungsjahren —, muß ein Versicherter nach dem 1979 geltenden Beitragssatz in der gesetzlichen Rentenversicherung rund 84 000 DM an Beiträgen aufbringen, in der Altershilfe der Landwirte dagegen nur rund ein Fünftel, also ca. 17 000 DM.Gestatten Sie mir dazu eine Bemerkung — dies muß man ja auch im Blick auf die Diskussion sehen, die der Kollege Schartz gerade bezüglich der angeblichen Ungleichbehandlung der Selbständigen seitens der Koalition geführt hat —: Diesen Betrag von 84 000 DM, den ich gerade genannt habe, muß auch ein Selbständiger aufbringen, wenn er in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert ist.Dies alles muß vor dem Hintergrund gesehen werden, daß rund die Hälfte der Vollerwerbsbetriebe über ein gutes bis sehr gutes Einkommen verfügt, das erheblich über dem Durchschnittseinkommen der Versicherten in der gesetzlichen Rentenversicherung liegt, und daß des weiteren fast die Hälfte aller landwirtschaftlichen Unternehmer — dies betrifft die überwiegende Mehrzahl der Neben- und Zuerwerbsbetriebe — Mitglied in der gesetzlichen Rentenversicherung oder mit Pensionsansprüchen ausgestattet ist. Das heißt, daß wir sowohl einer Gruppe mit einem guten bis sehr guten Einkommen als auch den zusätzlich in der Rentenversicherung Versicherten oder Beamten — wie gesagt, dies betrifft all diejenigen, die im Sinne des Gesetzes über die Altershilfe für Landwirte beitragspflichtig sind, ihr Einkommen jedoch überwiegend oder doch zu einem nicht unerheblichen Teil außerhalb der Landwirtschaft verdienen — Rentenansprüche in der Altershilfe für Landwirte in einer Weise bezuschussen, wie es weder der Bedarfssituation entspricht noch einem Vergleich mit den in der gesetzlichen Rentenversicherung Versicherten im Sinne von sozialer Gerechtigkeit standhält. Darüber muß in Zukunft geredet werden.Viertens möchte ich feststellen: Durch die Änderungsvorschläge des Ausschusses konnten die fi-
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Kirschnernanziellen Aufwendungen des Bundes für die in diesem Gesetzentwurf vorgeschlagenen Maßnahmen gegenüber der Regierungsvorlage geringer gehalten werden. Dies macht beispielsweise 1981 9,7 Millionen DM und 1982 10,5 Millionen DM aus, und 1983 werden es 11,1 Millionen DM sein. Die dadurch notwendige Beitragserhöhung beträgt 4,50 DM. Damit steigt der Einheitsbeitrag in der Altershilfe für Landwirte auf 75 DM pro Monat an und liegt damit immer noch unter dem Mindestbeitrag in der gesetzlichen Rentenversicherung.Meine Damen und Herren, nach dem von mir eben Dargelegten bitte ich Sie, dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, wie auch die SPD-Bundestagsfraktion es tun wird, zuzustimmen und den vorliegenden Gesetzentwurf der CDU/CSU sowie die dazu eingebrachten Änderungsanträge abzulehnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Paintner.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich im Namen der FDP-Fraktion einige Worte zu dem Ihnen heute zur Beschlußfassung vorliegenden Entwurf des Zweiten Agrarsozialen Ergänzungsgesetzes sage.Der Regierungsentwurf dieses Gesetzes, den wir vor beinahe genau einem Jahr, am 22. Juni 1979, in erster Lesung behandelt haben, ist in intensiven Beratungen innerhalb der Koalition entscheidend verbessert worden. Möglich wurde dies, weil sich in den vergangenen Monaten viele Fragen der vor uns liegenden Reform der sozialen Sicherung der Frau geklärt haben und die Standorte der politischen Kräfte hierzu deutlicher geworden sind. Wir sind daher sicher, Regelungen erarbeitet zu haben, die sich in der nächsten Wahlperiode ohne Schwierigkeiten in die Gesamtkonzeption der Neuregelung der Hinterbliebenensicherung und der sozialen Sicherung der Frau einfügen lassen.Hilfreich war bei unseren Beratungen auch die Bereitschaft der Betroffenen, einen höheren Anteil der Kosten dieses Gesetzes selber zu tragen.Die Beschlüsse der Koalition haben den Regierungsentwurf weiterentwickelt. Die grundsätzliche Zielsetzung des Entwurfs — Sicherung der Weiterbewirtschaftung des landwirtschaftlichen Unternehmens — wird verstärkt Zu diesem Zweck wird die Möglichkeit der Betriebshilfegestellung ausgedehnt Künftig kann Betriebs- oder Haushaltshilfe auch dann gestellt werden, wenn keine Kinder betreut werden. Ist die landwirtschaftliche Alterskasse nicht in der Lage, eine eigene Kraft oder eine Kraft einer anderen Organisation zu stellen, besteht die Möglichkeit der Erstattung der Kosten für eine selber beschaffte ErsatzkraftDie auch im Regierungsentwurf vorgeschlagene Übergangshilfe ist wesentlich auf Betreiben der FDP-Fraktion verbessert worden. Hinterbliebene Ehegatten, die für mindestens ein Kind sorgen, können diese Übergangshilfe über einen längeren Zeitraum erhalten. Dies gilt selbst dann, wenn sie ein mittleres landwirtschaftliches Unternehmen bewirtschaften. Vom zweiten Jahr nach dem Sterbemonat des Landwirts an dürfen allerdings sonstige Erwerbs- oder Renteneinkommen bestimmte Grenzen nicht überschreiten.Diese Regelungen haben Kritik gefunden. Starke Worte sind gefallen. Die Wirtschaftswertgrenze von 25 000 DM ist zur Sozialschwelle befördert worden. Sogar die Verfassungsmäßigkeit der Regelung ist in Zweifel gezogen worden.Lassen Sie mich dazu nur sagen: Sozialpolitik ist in unseren Augen Hilfe zur Selbsthilfe. Wir helfen durch Gestellung von Ersatzkräften und bei kleinen und mittleren Betrieben durch Übergangshilfen. Wir halten es hier jedoch nicht für angebracht — und dazu stehen wir auch dann, wenn es nicht populär ist —, Personen soziale Hilfen zu geben, die aus eigener Kraft in der Lage sein sollten, sich selbst zu helfen.
— Leider fehlt die Zeit.Eine andere Regelung können wir gegenüber denen, die die Mittel für die Alterskasse für Landwirte aufbringen, nicht verantworten. Dies gilt gleichermaßen für jene Bauern, die ihre Beiträge bei den Alterskassen abliefern, und für die Steuerzahler, die, wie Sie alle wissen, den weit überwiegenden Teil der Mittel für die Altershilfe der Landwirte aufbringen.Die Wirtschaftswertgrenze ermöglicht den Bezug der Übergangshilfe für etwa zwei Drittel der Alterskassenbetriebe. Wir halten es nicht für eine Überbeanspruchung der Solidarität der größeren Betriebe, wenn sie eine Leistung mitfinanzieren, die nur solchen Betriebsinhabern zugute kommt, die sich in einer besonderen Notlage befinden.Neben der Betriebs- und Haushaltshilfe sowie der Übergangshilfe wurde das Hinterbliebenengeld verbessert. Nach Auffassung der Koalition wird die Altersgrenze des zu betreuenden Kindes mit 15 Jahren zu niedrig angesetzt; die Altersgrenze soll daher auf 16 Jahre angehoben werden.Wesentlich für uns Liberale sind auch die Verbesserungen für mitarbeitende Familienangehörige. Die Geburtsjahrgänge 1915 bis 1930 werden künftig in der Altershilfe für Landwirte versichert sein. Sie erhalten damit die Möglichkeit, Ansprüche auf Altersgeld, vorzeitiges Altersgeld und medizinische Rehabilitationsmaßnahmen zu erwerben. Zeiten der hauptberuflichen Tätigkeit als mitarbeitender Familienangehöriger, die vor dem Inkrafttreten der Neuregelung liegen, werden großzügig angerechnet Diese Ausnahmeregelung für die Familienangehörigen — darüber waren sich die Koalitionsfraktionen einig — ist keinesfalls ein Einstieg in die allgemeine Pflichtversicherung für Selbständige.In der Krankenkasse der Landwirte wurde der Verantwortungsbereich der Selbstverwaltung erweitert Den landwirtschaftlichen Krankenkassen
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Paintnerwurde bei der Beitragsfestsetzung für mitarbeitende Familienangehörige ein weiterer Spielraum unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse eingeräumt. Sinn dieser Regelung ist eine Entlastung der Bewirtschafter von Klein- und Mittelbetrieben. Ich appelliere an die Vertreterversammlungen der landwirtschaftlichen Krankenkassen, diese Zielsetzung zu verwirklichen.In der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs sind kritische Worte zur Finanzierung der Altershilfe für Landwirte geäußert worden. Ich darf Ihnen hierzu ganz deutlich die Meinung der Freien Demokraten sagen. Für uns sind die Zuschüsse des Bundes aus agrarpolitischen Erwägungen dem Grunde und der Höhe nach unabdingbar. Reden kann man mit uns — das können Sie schon in unseren Thesen zur Alterssicherung nachlesen — darüber, ob die Finanzierung der Altershilfe für Landwirte strukturgerechter gestaltet werden sollte.
Wir Freien Demokraten sind immer bereit, die Prinzipien von Eigenverantwortung und Solidarität innerhalb der landwirtschaftlichen Versicherungsgemeinschaft entsprechend den Erfordernissen weiterzuentwickeln.
Beweis hierfür ist der nun zur Beschlußfassung anstehende Gesetzentwurf.Nun noch ein Wort zu den kritischen Bemerkungen meines Kollegen Günther Schartz, der hier das Mutterschaftsgeld hart kritisiert hat und der sicherlich übersehen hat, daß gerade wir bei allen Debatten und Beratungen immer wieder darauf hingewiesen haben, daß das Mutterschaftsgeld zunächst für die arbeitende Mutter vorgesehen ist und daß wir uns mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln dafür einsetzen wollen, auch die anderen Mütter mit einzubeziehen, wenn die finanziellen Mittel ausreichen.
Ich sage Ihnen hier ganz klar und deutlich, daß es sicherlich richtiger ist, zunächst der arbeitenden Mutter 750 DM zur Verfügung zu stellen, als allen Müttern nur 300 DM zu geben, womit alle schlecht bedient gewesen wären. Ich möchte auch nicht versäumen, in der agrarpolitischen Diskussion darauf hinzuweisen, daß es schon viele Landwirtinnen gibt, die im Neben- oder Zuerwerb dieses Mutterschaftsgeld in Anspruch nehmen können. Dies muß auch hier gesagt werden.Wir Freien Demokraten stimmen diesem Gesetzentwurf zu, den wir für einen fairen Kompromiß halten. Ich meine, wir sind in der Agrarsozialpolitik einen Stein weitergekommen.
— Hier können Sie nicht von Stolpersteinen reden. Genau das, was Herr Wehner hier in seinem Zuruf sagt, wollte ich sagen: Es ist vielmehr der letzte Meilenstein, der hier daraufgesetzt worden ist. Ich glaube, die Agrarsozialpolitik dieser Bundesregierung mit Minister Josef Ertl kann sich sehen lassen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Heren! Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf zeigt den Willen der Bundesregierung und der Koalition, die soziale Sicherung auch in der Landwirtschaft weiter auszubauen. Er hat — wie das immer so ist — manche Kritik erfahren. Er hat in den Beratungen der Ausschüsse eine Reihe von Verbesserungen erfahren. Die Grundkonzeption des Regierungsentwurfs und die Verbesserungen im Ausschuß haben zu einem vernünftigen Gesetz geführt, das ein dringliches Problem regelt.Durch den Ausbau der sozialen Sicherung für jüngere Hinterbliebene in der Landwirtschaft — das ist die Zielrichtung dieses Gesetzes — sollen in erster Linie die Hilfen zur Weiterführung des landwirtschaftlichen Unternehmens verstärkt werden. Dabei kann es nicht darum gehen, dem hinterbliebenen Ehegatten einen Geldbetrag zur Verfügung zu stellen und ihn dann seinem Schicksal zu überlassen. Die Altershilfe für Landwirte ist bewußt kein Vollversorgungssystem. Sie setzt vielmehr weiteres Einkommen oder Naturalien voraus. Deshalb sind die in diesem Grundsicherungssystem möglichen Geldleistungen nicht so hoch, daß damit eine durch den Tod des Unternehmers ausgefallene Fachkraft ersetzt werden könnte.Es ist unsere Aufgabe, meine Damen und Herren, vorwiegend in den Fällen zu helfen, in denen beim Tod eines Ehegatten wirklich Not am Mann oder auch Not an der Frau ist; wir haben ja hier ein für beide Seiten geltendes Gesetz. Darum richtet sich dies auch in erster Linie an den Familienbetrieb. Darum halten wir daran fest, die zur Weiterführung des Betriebes notwendigen Fachkräfte in Form der Betriebs- oder Haushaltshilfe für eine Zeit bis zu zwei Jahren bereitzustellen, wobei es in diesem Fall gar nicht darauf ankommt, ob im Haushalt ein waisengeldberechtigtes Kind vorhanden ist
— Ihr Zwischenruf entspricht genau dem, was hier in meinem Text steht, Herr Kollege. — Gegen diese Art der Hilfeleistung wird eingewendet, daß es genügend Fachkräfte dafür nicht gibt Ich glaube, man sollte, um hier einen Begriff aus dem ländlichen Milieu zu nehmen, die Kirche im Dorf lassen. Denn
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Bundesminister Dr. Ehrenbergdiese Kritik trifft bundesweit nicht zu. Das Vorhandensein der genannten Fachkräfte ist regional sehr unterschiedlich und vor allen Dingen von den künftigen Bedingungen abhängig. Bisher gab es z. B. für diese Fachkräfte gar keinen Arbeitsmarkt. Die landwirtschaftlichen Alterskassen konnten Betriebshilfen in der Regel nur bis zu acht Wochen finanzieren. Für eine so kurze Zeit war es natürlich sehr viel schwieriger, als es jetzt für eine Zeit bis zu zwei Jahren sein wird. Manch jungem Landwirt, der den eigenen Hof noch nicht übernehmen kann, wird sich hier eine willkommene Gelegenheit bieten, anderswo etwas Neues zu lernen, eine sinnvolle Tätigkeit zu leisten, um dann nach dieser Zeit auf dem väterlichen Hof weiterzumachen. Ich glaube, wir werden in wenigen Monaten sehen, daß die Arbeitsmarktsituation für Fachkräfte mit diesem Gesetz anders ist, als sie bisher war. Sie scheinen auf die Dynamik unserer Wirtschaftsordnung furchtbar wenig zu vertrauen; ich tue das sehr viel mehr.Denn, meine Damen und Herren, die Betriebs- und Haushaltshilfe gewährt dem hinterbliebenen Ehegatten die notwendige fachliche Unterstützung im Betrieb oder Haushalt Während dieser Zeit kann er sich in freier Entscheidung ohne materiellen Druck darüber klarwerden, ob er den Betrieb allein weiterführen will und allein weiterführen kann. Im Anschluß an die Betriebs- oder Haushaltshilfe wollen wir dann eine Übergangshilfe in Form einer Rente gewähren. Hier kommt es vor allen Dingen darauf an, daß dem Hofnachfolger das Unternehmen erhalten bleiben soll. Gerade dieser Punkt, dem Hofnachfolger das Unternehmen zu erhalten, scheint mir ein sichtbarer Ausdruck sozialistischer Ideologie zu sein, wie sich Herr Kollege Schartz das zu bezeichnen bemühte.
Meine ostfriesischen Gesprächspartner in der Landwirtschaft werden hierüber sehr anders denken und nicht mit solchen Ausdrücken operieren.Wir wollen mit der Übergangshilfe gezielt helfen; eine breite Streuung wäre hier auch nicht sinnvoll. Das Festsetzen auf den Wirtschaftswert bis zu 25 000 DM zieht hier eine vernünftige Linie, von der zwei Drittel aller von der landwirtschaftlichen Alterskasse erfaßten Landwirte mit erfaßt werden, und das sind 50 % der Vollerwerbsbetriebe. Ich empfehle dem Kollegen Schartz, sich die neueste Statistik des Jahres 1980 erst einmal anzusehen, bevor er hier falsche Zahlen in die Welt setztEine laufende Geldleistung ohne Hofabgabe im Rahmen eines strukturpolitisch motivierten Gesetzes ist grundsätzlich problematisch. Die Probleme stellen sich noch viel schärfer, wenn man den Vorstellungen der Opposition folgen und Übergangshilfe ohne Rücksicht auf die Betriebsgröße und grundsätzlich auch ab Vollendung des 45. Lebensjahres des Hinterbliebenen zahlen würde, ohne daß ein Hofnachfolger vorhanden ist
Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Meinem verehrten Kollegen Schröder erlaube ich sie immer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister, da Sie die ostfriesischen Gesprächspartner zitieren, möchte ich die Frage an Sie richten: Glauben Sie, daß die ostfriesischen Landwirte mit der Einschränkung der Übergangshilfe bei einem Wirtschaftswert von 25 000 DM einverstanden sein können, wobei Sie aus der regionalen Kenntnis heraus wissen müßten, daß dieser Wirtschaftswert von 25 000 DM etwa im südlichen Teil Ostfrieslands, im Rheiderland, schon bei 8,5 Hektar erreicht wird, und welche Notwendigkeit liegt dafür überhaupt vor, da doch klargestellt ist, daß die Solidargemeinschaft die Leistung und die Kosten, die daraus entstehen, selbst trägt und dem Bundeshaushalt daraus keine Kosten entstehen?
Verehrter Herr Kollege Schröder, ich komme zunächst zum Wirtschaftswert Wo dieser Wirtschaftswert schon bei 8,5 Hektar erreicht wird, ist auch die Leistungskraft dieses Unternehmens soviel größer, daß die Leistungen selber erbringbar sind.
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— Ich will Ihnen darauf eine Antwort geben, Herr Sauter. Ich bin sehr dankbar für diesen Zwischenruf. Dies hängt sehr von der politischen Verantwortung in den Ländern ab. Das weiß ich.
— Nein. Bitte, lassen Sie mich ausreden. — Darf ich? — Ja, ich frage darum.Ich habe nämlich die Seminare für Nebenerwerbslandwirte auswerten lassen, die der Deutsche Bauernverband durchgeführt hat und die von meinem Hause finanziell gefördert werden. Dabei hat sich herausgestellt, daß es von Land zu Land sehr unterschiedlich ist und daß es zum Teil Länder gibt— dazu gehört auch Ihr Land —, wo bewußt sogar die Berater sagen: Wir werden über die Maßnahmen gar nicht richtig informiert.
Dies können Sie in den Aktenvermerken in meinem Hause nachlesen.
Das habe ich gestern abend erst gelesen. — Ja, bitte, das wollen wir überprüfen. Sie können sich ja beim Deutschen Bauernverband erkundigen. Dort sind die Seminare durchgeführt worden. Dort können Sie sich einmal sagen lassen, was dort Nebenerwerbslandwirte und Beratungskräfte gesagt haben. Auch über Ihr Land. Es ist merkwürdig, daß es ganz unterschiedlich ist. Ich bitte doch darum, daß wir in dieser Frage endlich einmal bei der Wahrheit bleiben und nicht in diesem Hause ständig Unwahrheiten wiederholen. Dies wollte ich mit meinen Bemerkungen zur Förderschwelle sagen.Jetzt kommt der Wirtschaftswert! Nach den Unterlagen, die wir haben, werden bei einem Wirtschaftswert von 25 000 DM von 600 000 Betrieben, die dem GAL unterliegen, rund 400 000 berücksichtigt. Das sind nach Adam Riese, meine ich, zwei Drittel. Das geht in benachteiligten Gebieten sogar bis zu Betriebsgrößen von 40 ha. Daß das eine Frage ist, die sicherlich unterschiedlich gesehen werden kann, möchte ich gar nicht bestreiten. Aber wer dieAusführungen meiner Vorredner bezüglich der Behandlung der Landwirtschaft durch staatliche Dotierung gehört hat, der wird auch verstehen, warum es einen Kompromiß geben mußte. Dies ist in der Tat eine sehr schwerwiegende Frage, vor der wir alle stehen, weil es letzten Endes auch darum geht, insgesamt eine ausgewogene Lösung zu finden.Ich meine, daß mit diesem Gesetzentwurf ein ganz wesentlicher Schritt gemacht wurde. Es ist eine Regelung, die es übrigens in vergleichbaren Zweigen des Handwerks nicht gibt. Dort gibt es nur die Öffnung der Rentenversicherung. Diese steht auch den Landwirten zur Verfügung. Ich glaube, wir haben den richtigen Weg eingeleitet. Das soziale Netz ist komplettiert. Wir können heute nach zehn Jahren Verantwortung in dieser Bundesregierung und durch sozialliberale Politik feststellen: das soziale Netz für die Landwirtschaft ist nicht nur verbessert worden, sondern so ausgeglichen, daß es heute sicherlich möglich ist, auf dem Lande davon zu reden, daß auch die Menschen auf dem Lande sozial gleichberechtigt behandelt werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Schartz .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nur einige kurze Bemerkungen machen und vor allem auf das eingehen, was die Herren Bundesminister hier teilweise richtig und teilweise falsch vorgetragen haben.Herr Kollege Paintner, Sie haben das Problem des Familiengeldes angesprochen. Kollege Paintner, Sie haben die Frage aufgeworfen, ob es denn nicht verständlich sei, daß man die arbeitenden Mütter — und das ist das Wort, an dem ich mich stoße — mit 750 Mark im Monat unterstütze.
— Wenn er diesen Klammerzusatz gemacht hätte, würde ich das aber schon eher begriffen haben.
Ich will mich darüber dann nicht auslassen, wenn Sie sagen, das sei ein Versprecher gewesen. Ich sage: Ich hätte es gesellschaftspolitisch für richtig gehalten, wenn man alle Mütter genommen und nicht differenziert hätte.
Ich frage: Wieso ist hier nicht die Unterstützung für alle Mütter möglich?Herr Bundesminister Ertl, Sie haben einige Dinge zutreffend vorgetragen. Nur, wie können Sie das alles mit Leistungen der sozialliberalen Koalition begründen wollen? Die Altershilfe ist 1957 geschaffen worden. Wenn ich die Zahl richtig im Kopf habe, ist die landwirtschaftliche Unfallversicherung 1898 durch Gesetz kreiert worden. Wie man das mit der sozialliberalen Koalition in Verbindung bringen kann, ist mir nicht so sehr verständlich.
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17754 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980
Schartz
Ich stimme Ihnen zu, daß es eine gute Sache war, die Krankenversicherungspflicht für alle in der Landwirtschaft Beschäftigten einzuführen. Ich stehe nicht an, zu sagen — es ist auch mit den Stimmen aus meiner Fraktion beschlossen worden —: 1972, das war eine gute Sache.Dann haben Sie, Herr Minister Ertl, sich bei den „25 ha" und den „25 000 DM" versprochen. Sie haben an die Wahrheit appelliert Herr Minister Ertl, es ist wahr, daß es neben den Einzelbetrieblichen Förderungsprogrammen mit seiner Investitionsförderung auch noch ander Möglichkeiten der Förderung gibt. Sie haben die Übergangshilfe angezogen. Nur, Herr Minister Ertl, das ist eine Hilfe für den Übergang. Wenn ich recht informiert bin, war bis zu diesem Jahr ihre Gewährung noch an die Voraussetzung geknüpft, daß der „Betriebsnachfolger" nicht im Betrieb bliebe. Das ist doch der Grund, weshalb die Bauern diese Leistung nicht angenommen haben. Ich wiederhole: Die Voraussetzung für diese Zinsverbilligung war, daß der „Betriebsnachfolger" erklärte: Ich bleibe nicht im Betrieb. Und erst dann gab es die Hilfe. Das ist doch wohl keine Hilfe für die landwirtschaftlichen Haupterwerbsbetriebe.
— Doch, Herr Minister, das ist wahr. Herr Minister, ich bin gerne bereit, Ihnen die entsprechenden Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Ich kann nur wiederholen: Es ist wahr.Ich teile alles, was Sie im übrigen gesagt haben. Ich möchte aber zu dem, was Herr Minister Ehrenberg gesagt hat, und zu diesen bestrittenen 25 % etwas ausführen: Ich habe mir diese Zahlen aus den Unterlagen „Schichtung der Testbetriebe in der Bundesrepublik Deutschland nach Wirtschaftswerten", bezogen auf das Jahr 1979, errechnen lassen. Sie können Sie in Ihrem Hause nachrechnen lassen. Ich glaube, daß in diesen Prozentzahlen eine unterschiedliche Bewertung liegt. Nach den Antworten auf die Zwischenfragen, die Herr Bundesminister Ehrenberg gegeben hat, glaube ich nicht, daß er von einer riesigen Sachkenntnis belastet ist. Vielleicht haben Sie, Herr Minister, die „Haupterwerbsbetriebe" und nicht die „Vollerwerbsbetriebe" gemeint. Wenn das so ist, will ich Ihnen nicht widersprechen. Ich sprach von den Vollerwerbsbetrieben, den Betrieben, die keine anderen Einnahmen haben als die aus der Landwirtschaft.Ich sage noch etwas: Sie haben für meine Begriffe heute deutlich gemacht, daß meine Behauptung über das fehlende Verständnis in Ihrer Partei — ich will nicht sagen: in der Bundesregierung — über die landwirtschaftlichen Familienbetriebe richtig ist. Die Ehefrau eines Bauern in einem Familienbetrieb ist Mitbewirtschafterin, Mitinhaberin. Das ist doch eine Lebensgemeinschaft.
Glauben Sie denn, meine Frau wäre meine Arbeitnehmerin in einem landwirtschaftlichen Familienbetrieb? Wie können Sie davon ausgehen, daß diese Frau den Status der Arbeitnehmerin übernähme —das ist sicher keine Degradierung —, nur weil Sie nicht bereit sind, eine soziale Leistung zu geben, so wie es richtig und gerecht wäre? Das ist schizophren.
Ich meine, daß Sie auch die Antwort auf die Frage schuldig geblieben sind: Wieso schließen Sie eigentlich die Kinder von Bauern ab 16 Jahre — bei anderen liegt die Altersgrenze bei 18 Jahren — von einer Hilfe aus? Wieso ziehen Sie eigentlich bei 25 000 DM Wirtschaftswert eine Grenze? Wissen Sie denn nicht — das ist doch im Grünen Bericht der Bundesregierung aufgeführt —, daß gerade diese Betriebe, die ausschließlich von der Landwirtschaft leben, die Problembetriebe in unserer Agrarpolitik und in der deutschen Landwirtschaft sind? Es gibt keine sachliche und keine politische Berechtigung für diesen Ausschluß.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung und zur Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe Art. 1 Nr. 1 bis 8 a in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die Vorschriften sind angenommen.Ich rufe nun Art. 1 Nr. 9 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/4164 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wünscht die CDU/CSU- Fraktion den Änderungsantrag zu begründen? — Ich sehe, das ist nicht der Fall.Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Wer Art. 1 Nr. 9 in der Ausschußfassung anzunehmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Damit ist Art. 1 Nr. 9 in der Ausschußfassung angenommen.Ich rufe nun Art. 1 Nr. 10 bis 16, 18 bis 21, 23 bis 25, 28 und 29, 31 bis 35 und 37, Art. 2 bis 10 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.Wir treten in diedritte Beratungein. Wird dazu das Wort gewünscht? — Ich sehe, das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Das Gesetz ist in dritter Lesung angenommen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980 17755
Vizepräsident LeberEs ist nun noch über zwei Beschlußempfehlungen des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4128 unter Ziffer 2, den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/1250 abzulehnen. Wird Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung gewünscht? — Ich sehe, das ist nicht der Fall.Wir stimmen dann über die Beschlußempfehlung ab. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4128 unter Ziffer 2, den von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte auf Drucksache 8/1250 abzulehnen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Es ist so beschlossen.Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4128 unter Ziffer 3 weiter, die zu den Gesetzentwürfen eingegangenen Eingaben und Petitionen für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe, das Haus ist damit einverstanden. Es ist so beschlossen.Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung. Die Sitzung wird um 14 Uhr fortgesetzt.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der unterbrochenen Sitzung fort.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Neuregelung der Einkommensbesteuerung der Land- und Forstwirtschaft
— Drucksache 8/4092 —
Berichterstatter: Abgeordneter Westphal
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vermittlungsausschuß hatte sich am 22. Mai 1980 mit sieben Anrufungsbegehren des Bundesrates zum Gesetz zur Neuregelung der Einkommensbesteuerung der Land- und Forstwirtschaft zu befassen. Er hat ein Vermittlungsergebnis erzielt und empfiehlt es zur Annahme in Bundestag und Bundesrat.Zwei Teilfragen aus dem zweiten Anrufungsbegehren fanden die Zustimmung aller Beteiligten, nämlich erstens eine Begünstigung kleinerer Betriebe bei der Tierhaltung. Mit der Einführung der zusätzlichen Grenze von 30 Vieheinheiten in § 13 a Abs. 1 Nr. 3 Einkommensteuergesetz soll erreicht werden, daß Kleinbetriebe unabhängig von der Grenzziehung von drei oder vier Vieheinheiten je Hektar stets 30 Vieheinheiten insgesamt halten dürfen, sofern nicht die Grenze zur gewerblichen Tierhaltung überschritten wird.Zweitens: Bei der Ermittlung des Wertes der Arbeitsleistung, der ein Teil des Ausgangswertes für die Gewinnbesteuerung nach Durchschnittssätzen des § 13a ist, sollen nicht nur die Familienmitglieder unter 15 Jahren, sondern auch diejenigen über 65 Jahren außer Betracht bleiben, was eine Vergünstigung zusätzlicher Art ergibt.Die entscheidende Frage, die den Vermittlungsausschuß beschäftigte, war, ob das vom Bundestag beschlossene dreistufige Verfahren beibehalten oder der Forderung des Bundesrates nach Wiederherstellung des zweistufigen Verfahrens der Besteuerung stattgegeben werden sollte. Das bisher geltende Recht sieht in der Besteuerung der Landwirtschaft eine Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen bis zur Buchführungsgrenze vor. Weil die steuerliche Belastung bei diesem Verfahren nach § 13a relativ geringer ist, je größer der Betrieb ist, und dies nicht als gerechte Besteuerung innerhalb der Landwirtschaft angesehen werden kann, hat der Bundestag beschlossen, die Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen oben zu begrenzen, und zwar bei einem Ausgangswert von 25 000 DM, der einem Gewinn von etwa 28 000 DM jährlich entspricht. Die Konsequenz ist, daß eine dritte Stufe zwischen der Besteuerung nach Durchschnittssätzen einerseits und der Buchführungsgrenze andererseits, bei der Vollbesteuerung erfolgt, entsteht, in der die Betriebe, wenn sie nicht selbst die Vollbesteuerung beantragen, eine Überschußabrechnung vorlegen oder, wenn sie dies nicht tun, geschätzt werden.Der Bundesrat wollte beim zweistufigen Verfahren bleiben und die Ungerechtigkeiten durch eine Staffelung der Rechnungsgrößen „Grundbetrag" und „Wert der Arbeitsleistung" ausräumen. Diese Rückkehr zum zweistufigen System ist vom Vermittlungsausschuß abgelehnt worden. Andererseits hat aber der Vermittlungsausschuß die vom Bundestag mit 25 000 DM vorgesehen Obergrenze des Ausgangswertes für die Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen auf 32 000 DM angehoben. Damit fallen noch Betriebe mit einer landwirtschaftlichen Nutzfläche bis etwa 26 Hektar in die Besteuerung nach § 13a.Um allerdings die Streubreite der Gewinne in der Durchschnittssatzbesteuerung nach oben nicht zu groß werden zu lassen, hat der Vermittlungsausschuß Elemente der Staffelung aus dem Bundesratsbegehren übernommen und den sogenannten Teiler des Ausgangswertes zur Ermittlung des Grundbetrages über 25 000 DM von einem Sechstel auf ein Fünftel verstärkt sowie bei der Ermittlung des Wertes der Arbeitsleistung eine zusätzliche Staffelung bei über 25 000 DM Ausgangswert mit 14 000 DM je familienangehöriger Arbeitskraft eingefügt. Die Wirkung dürfte sein, daß sich aus der Erhöhung des Ausgangswertes keine neuen Steuermindereinnahmen ergeben, weil im oberen Bereich der Durchschnittssatzbesteuerung die Quote der Erfassung der Gewinne vergrößert wird.Meine Damen und Herren, eine weitere Änderung hat der Vermittlungsausschuß bei der steuerlichen Behandlung von Sonderkulturen vorgenommen. Er ist dem Bundesrat insofern gefolgt, als
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17756 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980
WestphalBetriebe mit Sonderkulturen bis zu einer bestimmten Grenze des anteiligen Einheitswertes nach Durchschnittssätzen besteuert werden sollen. Die Obergrenze dafür wurde aber nicht bei 4 000 DM, sondern bei 2 000 DM festgelegt; der vorgesehene Freibetrag von 3 000 DM entfällt nicht.Außerdem ist der Vermittlungsausschuß einem Vorschlag gefolgt, der unter bestimmten Bedingungen die Veräußerung oder Entnahme von landwirtschaftlichen Grundstücken zum Zwecke der vorweggenommenen Erbfolge oder der Abfindung weichender Erben bis zum Jahre 1986 mit einem Freibetrag von 60 000 DM steuerlich begunstigt Dies soll insbesondere in den Gebieten mit Realteilung den Übergang auf die nächste Generation erleichtern und zur Strukturverbesserung in der Landwirtschaft beitragen, ohne daß daraus eine Dauersubvention werden soll.Abgelehnt wurden eine Reihe von Begehren des Bundesrates; davon will ich hier nur folgende nennen, ohne ausführlich zu sein: Nicht angenommen wurde die Einführung eines betriebsbezogenen progressionsmindernden Freibetrags von 5 000 DM für die nicht nach Durchschnittssätzen des Gewinns zu besteuernden Landwirte. Es bleibt also bei dem zwischen 50 000 DM und 60 000 DM Gewinn degressiv bis zum Auslaufen gestalteten Steuerabzugsbetrag für die buchführenden und die geschätzten Landwirte, wie der Bundestag es beschlossen hatte.Nicht angenommen hat der Vermittlungsausschuß auch die Gewährung der neuen Freibeträge bereits ab 1. Januar 1980, während das Gesetz ja erst zum 1. Juli dieses Jahres in Kraft treten soll. Hierdurch wurden Steuermindereinnahmen von 400 bis 500 Millionen DM vermieden.Meine Damen und Herren, dieses hier dargestellte Ergebnis der Beratungen über eine in sich gerechtere Gestaltung der Einkommensbesteuerung der Landwirtschaft wird dazu führen, daß etwa 600 000 Betriebe — statt 570 000 Betriebe nach dem Bundestagsbeschluß — in der Besteuerung nach Durchschnittssätzen verbleiben; bei der Bundesratslösung wären es 765 000 Betriebe gewesen. Bei etwa 90 000 Betrieben — statt bei 120 000 Betrieben — werden die Gewinne nach dem Überschuß der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben zu ermitteln sein. 140 000 Betriebe — statt bisher 85 000 — werden voll buchführungspflichtig sein, während diese Zahl durch die Bundesratslösung gegenüber heute — wie gesagt: 85 000 — noch um 10 000 auf 75 000 Betriebe gesenkt worden wäre.Das Ergebnis unserer Beratungen hat von beiden Seiten Kritik erfahren. Den einen erscheint der Zugriff der Besteuerung als zu stark; den anderen ist der erreichte Grad gerechter Besteuerung zu gering. Diese doppelte Kritik weist das Ergebnis als einen Kompromiß aus, von dem man hoffen kann, daß er sich vor dem Verfassungsgericht als haltbar erweist. Ich empfehle Ihnen die Annahme.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wird das Wort zur Abgabe einer Erklärung gewünscht? — Bitte, Herr Kollege Meyer zu Bentrup.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion gebe ich folgende Erklärung ab:Für die gesetzliche Neuregelung der Einkommensbesteuerung der Land- und Forstwirtschaft hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu den Beratungen im Gesetzgebungsverfahren eine klare Konzeption mit den Zielen vorgetragen: erstens mehr Ausgewogenheit der Besteuerung innerhalb der land-und forstwirtschaftlichen Betriebe entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erreichen, zweitens weniger Bürokratie für die Betriebe und die Finanzverwaltungen zu schaffen, um das Steueraufkommen und den Verwaltungsaufwand in einem finanziell vertretbaren Verhältnis zu halten, drittens die Steuerpolitik nach dem Landwirtschaftsgesetz auch als ein Mittel der Einkommenspolitik aus agrar- und gesellschaftspolitischen Gründen einzusetzen und viertens die Wettbewerbsverhältnisse in der europäischen Landwirtschaft stärker zu berücksichtigen.
Agrarpolitisch ist das Beratungsergebnis des Vermittlungsausschusses unbefriedigend. Es entspricht nicht unseren Vorstellungen, weil SPD und FDP eine erhebliche Steuermehrbelastung für die Land- und Forstwirtschaft durchgesetzt haben. Vor allem die Masse der kleineren Betriebe, besonders der Nebenerwerbsbetriebe, ist stärker belastet worden. Auch die große Zahl der Betriebe mit Sonderkulturen oder Sondernutzungen wurde wesentlich schlechter gestellt. Es entspricht nicht unserer Konzeption und unserer Auffassung, daß die Einnahmen /Ausgaben-Überschußrechnung nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes für etwa 80 000 Betriebe — wir hörten soeben sogar: 90 000 Betriebe — eingeführt werden soll. In diesem Bereich wird es möglicherweise durch aufwendige Schätzverfahren mehr Bürokratie geben. Ob es in Zukunft mehr Gerechtigkeit geben wird, ist zweifelhaft.Als ein wichtiges Ergebnis des Vermittlungsausschusses bleibt festzustellen, daß nun weniger Betriebe ihren Gewinn nach dieser sogenannten dritten Gewinnermittlungsstufe ermitteln müssen, als zuächst im Regierungsentwurf vorgesehen war. Ein wesentlich größerer Anteil der kleineren und weniger leistungsfähigen Betriebe kann somit wie bisher seinen Gewinn weiterhin pauschaliert nach Durchschnittssätzen — § 13 a des Einkommensteuergesetzes — ermitteln, also in einem bewährten und unbürokratischen Verfahren.Ferner bleibt als Ergebnis des Vermittlungsausschusses festzuhalten, daß für die Betriebe mit Sonderkulturen nicht, wie zunächst vorgesehen, die Gewinngrenze maßgebend ist, sondern daß als Maßstab zur Feststellung des Gewinns der Vergleichswert festgesetzt wurde. Zwar wird der Vergleichswert von 2 000 DM noch eine Vielzahl von kleineren Betrieben, die Sonderkulturen haben, mit unnötigen Verwaltungskosten belasten. Aber er ist gegenüber
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980 17757
Dr. Meyer zu Bentrupdem Regierungsentwurf eine Verbesserung. SPD und FDP waren nicht bereit, hier einer noch besseren Lösung zuzustimmen.Der Bundesfinanzminister versuchte, während des Beratungsgangs dieses Gesetzentwurfs Druck auszuüben.
Seine Ankündigung, erst bei Annahme der gesetzlichen Neuregelung wieder die Möglichkeiten von Sonderabschreibungen nach den §§ 76 bis 78 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung zu verlängern, sei nur ein Hinweis.Der Bundeslandwirtschaftsminister war nicht in der Lage, seine eigene Konzeption, die in weiten Teilen unserer Auffassung entsprach, für ein besseres Steuergesetz durchzusetzen.So bleibt das Ergebnis des Vermittlungsausschusses agrarpolitisch unbefriedigend und stößt deshalb bei uns auf so viel Kritik, auch weil dieser Gesetzentwurf zu wenig unsere Handschrift trägt. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gobrecht.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion gebe ich folgende Erklärung ab.
Zunächst eine Vorbemerkung. „Im Nebenraum dirigierte die Lobby der Landwirte — Ungewöhnlicher Einfluß auf Vermittlungsausschuß", so berichtete die „Frankfurter Rundschau" am 24. Mai 1980.
— Das ist eine seriöse Zeitung; sehr wohl!
In dieser bisher unbestrittenen Darstellung wurde berichtet, daß zu den vertraulichen Verhandlungen des Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat über die Reform der Einkommensbesteuerung der Land- und Forstwirtschaft der Bauernverband mittelbar durch seine Spitzenfunktionäre, u. a. den Generalsekretär und den Verbandsjustitiar, durch Mitglieder von CDU und CSU hinzugezogen worden ist.
Dies halte ich für einen unglaublichen Stilbruch, für einen skandalösen Gipfel des Lobbyismus.
Dies, meine Damen und Herren, darf auf keinen Fall Schule machen.
Wir werden einen solchen Verfall der Sitten nicht mitmachen.
— Nur etwas Geduld, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich freue mich, daß Sie auf meine Worte so gespannt sind, daß Sie so ungeduldig sind.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter. — Meine Damen und Herren, ich bitte doch um etwas mehr Ruhe.
Vielen Dank, Herr Präsident. — Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie mich lassen, was Sie ja müssen, dann werden Sie jetzt von mir den weiteren Wortlaut der Erklärung hören,
die ich die Ehre habe für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hier abzugeben.
Aber wenn Sie sich so getroffen fühlen, dann ist das nicht mein Bier, um das einmal deutlich zu sagen.Zum Ergebnis des Vermittlungsausschusses.Erstens. Auf den Kernpunkt gebracht bedeutet das Ergebnis des Vermittlungsausschusses, worüber wir heute hier abstimmen, mehr Steuergerechtigkeit in den Dörfern.
Das vorliegende Ergebnis bedeutet einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer gerechteren Besteuerung der Land- und Forstwirte insgesamt
und zur Beseitigung der bedenklichen Besteuerungsunterschiede innerhalb der Land- und Forstwirtschaft. Der von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion von Anfang an geforderte Übergang zum dreistufigen Verfahren — nämlich Durchschnittssätze, Einnahmenüberschuß, Gewinn laut Buchführung —, der beim Vermittlungsverfahren durchgesetzt werden konnte, bedeutet eine Strukturreform, die nicht nur kurzfristige Wirkungen zeitigen wird. Wir begrüßen, daß der Vermittlungsausschuß das Prinzip der Dreistufigkeit ausdrücklich bestätigt hat und den Anwendungsbereich der Durchschnittssätze gegenüber dem geltenden Recht deutlich eingeschränkt hat.Im Interesse der mittleren Betriebe ist es auch zu begrüßen, daß der Steuerabzugsbetrag von
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17758 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980
Gobrecht2 000 DM bestätigt wurde; denn diese neue Vergünstigung mildert insbesondere die steuerliche Belastung der erstmals unter die Einnahmenüberschußrechnung fallenden Betriebe.Gegenüber der Forderung des Bundesrats nach einem weiterhin progressionsabhängigen Freibetrag, der wieder die größten land- und forstwirtschaftlichen Unternehmer am meisten begünstigt hätte, bedeutet der gleichmäßige steuerliche Abzugsbetrag nicht nur mehr Gerechtigkeit für die mittleren Land- und Forstwirte, sondern auch darüber weit hinausgehend einen steuerpolitisch außerordentlich interessanten Einstieg in das Ziel von mehr Steuergerechtigkeit im gesamten Einkommensteuerrecht.Im Zusammenhang mit der mittleren Stufe der künftigen Drei-Stufen-Lösung der Überschußrechnung sind einige Unklarheiten in die Offentlichkeit getragen worden. Gestatten Sie mir deshalb einige Klarstellungen:Es gibt schon heute zirka 45 000 Land- und Forstwirte, für die die Überschußrechnung in Betracht kommt; die Zahl verdoppelt sich nun. Die Behauptung, die Überschußrechnung sei für Land- und Forstwirte etwas völlig Neues, ist einfach unzutreffend.Die Finanzämter sind seit jeher bei allen drei Arten von Einkünften gezwungen, den Gewinn dann zu schätzen, wenn er vom Steuerpflichtigen nicht oder nicht zutreffend ermittelt wird. Die Sorge, bei den Landwirten seien die Finanzämter hierzu nicht in der Lage, ist unbegründetBei der Überschußrechnung braucht der Landwirt weder zu bilanzieren noch eine Bestandsaufnahme vorzunehmen, noch eine Verlust- und Gewinnrechnung zu erstellen. Er hat also keine einfache oder vereinfachte Buchführung, sondern nur einfachste Aufzeichnungen über Einnahmen und Ausgaben nach den — möglicherweise im Schuhkarton — gesammelten Belegen zu erstellen. Die unsere Landwirte diskriminierende Behauptung, sie seien hierzu nicht in der Lage, müssen wir mit Entschiedenheit zurückweisen.
Zweitens. Außerordentlich schwer wird der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion die Zustimmung zum Kompromiß des Vermittlungsausschusses in der Frage der Grenze zwischen Durchschnittssatzgewinnermittlung, die weiterhin für rund 600 000 Landwirte und damit für über zwei Drittel der Land- und Forstwirte gelten soll, und der mittleren Stufe, der Einnahmenüberschußrechnung. Auf Bitten der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion hat sich das Bundesjustizministerium am 6. Juni zum Vermittlungsergebnis geäußert Dabei hat der Bundesjustizminister gegen die vom Vermittlungsausschuß vorgeschlagene Anhebung des Ausgangswertes für die Durchschnittssatzgewinnermittlung von 25 000 DM auf 32 000 DM verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht Das Justizministerium hatte bereits zuvor bei der Bearbeitung des Entwurfs der Bundesregierung dargelegt, daß es sich bei dem Ausgangswert von 25 000DM im Regierungsentwurf um eine verfassungsrechtlich noch tragbare Obergrenze handele, deren Ausdehnung ein wachsendes verfassungsrechtliches Risiko zur Folge hätte. Das Bundesjustizministerium führt weiter aus:Die Beschlüsse des Vermittlungsausschusses haben zur Folge, daß das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nunmehr auch für solche land- und forstwirtschaftlichen Betriebe eingeschränkt wird —
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, einen Augenblick. — Ich möchte doch bitten, etwas mehr Ruhe zu bewahren.
— Ich bitte doch um Ruhe und bitte den Redner fortzufahren.
Vielen Dank, Herr Präsident Ich wiederhole: Das Bundesjustizministerium führt weiter aus:Die Beschlüsse des Vermittlungsausschusses haben zur Folge, daß das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nunmehr auch für solche land- und forstwirtschaftlichen Betriebe eingeschränkt wird, die nicht mehr zu den echten landwirtschaftlichen Kleinbetrieben gerechnet werden können, sondern über eine auch steuerlich relevante Leistungsfähigkeit verfügen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir Sozialdemokraten machen hier ganz deutlich, daß wir dem Ergebnis des Vermittlungsausschusses in diesem Punkt nur zustimmen, weil über dieses Ergebnis nur insgesamt mit Ja oder Nein befunden werden kann und weil die Beibehaltung der gegenwärtigen Rechtslage, die ich im Bereich des § 13 a des Einkommensteuergesetzes, also der Durchschnittssatzgewinnermittlung, für eindeutig verfassungswidrig halte, sehr viel weitergehende verfassungsrechtliche und politische Probleme aufwerfen würde. Meine Fraktion hat sich jedenfalls bemüht, die politische Entscheidung nicht dem Verfassungsorgan in Karlsruhe zuzuschieben. Gleichwohl wird das Bundesverfassungsgericht nicht umhin können, über die gegenwärtige Rechtslage auf Grund der Vorlagebeschlüsse zu entscheiden und sich möglicherweise auch zum neuen Gesetz in diesem Punkt zu äußern, weil die CDU/CSU diesen verfassungsrechtlich sensiblen Punkt durch ihr Verhalten im Bundesrat und im Vermittlungsausschuß auch in das neue Gesetz transportiert hat.In der Stellungnahme des Bundesjustizministeriums vom 6. Juni 1980 wird aber darüber hinaus auf einen weiteren verfassungsrechtlich wichtigen Punkt hingewiesen, auf den Punkt nämlich, daß die Erhöhung der Obergrenze des Ausgangswerts auf 32 000 DM für Transferleistungen, also z. B. für Wohngeld, für BAföG, für Sparförderung, erhebliche
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Gobrechtverfassungsrechtliche Schwierigkeiten mit sich bringt. Dabei wird darauf aufmerksam gemacht, daß allein schon aus verfassungsrechtlichen Gründen Folgeänderungen in den sozialen Leistungsgesetzen erforderlich sind, weil sich § 13 a des Einkommensteuergesetzes in der Fassung der Vorschläge des Vermittlungsausschusses als Bemessungsgrundlage für Transferleistungen nicht mehr eignet. Die sozialdemokratische Fraktion fordert die Bundesregierung auf, unverzüglich entsprechende Folgerungen für die Leistungsgesetze zu ziehen, damit durch dieses Gesetz nicht ein zusätzlicher verfassungsrechtlich nicht vertretbarer Punkt für längere Zeit ausgelöst wird.Drittens. Mit diesem Gesetz ist ein begrenzter Subventionsabbau, der von vielen Arbeitnehmern, Gewerbetreibenden und Freiberuflern als viel zu niedrig bezeichnet wird, in Höhe von rund 300 Millionen DM verbunden. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, es bleiben allein für die rund 600 000 Land- und Forstwirte, deren Einkünfte auch zukünftig nach § 13 a, nach der Durchschnittssatzgewinnermittlung, errechnet werden, weiterhin rund 1,5 Milliarden DM als jährliche Einkommensteuervergünstigung erhalten. Für uns Sozialdemokraten ist es in diesem Zusammenhang wichtig, daß diese Vergünstigungen zukünftig nicht mehr zu großen Teilen den großen Land- und Forstwirten, sondern in erster Linie den Landwirten mit niedrigem Einkommen zufließen.
Dies ist ein ganz wichtiger Punkt für mehr Gerechtigkeit auf dem Dorf. Im übrigen werden die zusätzlichen Vergünstigungen durch dieses Gesetz sofort in Kraft treten. Die Mehrbelastungen, die zu einem Subventionsabbau von 300 Millionen DM führen, werden jedoch erst im Laufe der Zeit wirksam. Wir haben damit bis zu unserer äußersten Möglichkeit auf die besondere Lage der Landwirtschaft, wie uns dies gesetzlich aufgegeben ist, auch durch Maßnahmen der Steuerpolitik Rücksicht genommen.Viertens. Schließlich muß bemerkt werden, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion der umfangreichen Neuregelung für Grundstücksgewinne im Zusammenhang mit der Abfindung weichender Erben nach § 14 a des Einkommensteuergesetzes zustimmt, was sich allerdings nur auf die Zielsetzung dieser erst vom Vermittlungsausschuß eingeführten Vorschrift bezieht, die wir im Finanzausschuß des Deutschen Bundestages überhaupt nicht beraten konnten. Die CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat hat in diesem Punkt eine Lösung erzwungen, die sowohl jeglicher Forderung nach Steuervereinfachung als auch nach Verwaltungsvereinfachung und auch nach der Verhinderung von Steuerumgehung Hohn spricht. Wir möchten klarstellen, daß wir Sozialdemokraten jedenfalls in diesem Punkt und diese Form der Durchführung nicht gewollt haben; aber auch hier gilt, daß wir leider nur über das gesamte Vermittlungsergebnis abstimmen können.Fünftens und letztens. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird dem Kompromiß des Vermittlungsausschusses heute trotz aller genannten Bedenken zustimmen, weil das Gesetz insgesamt einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung bedeutet und weil wir nicht nur in Sonntagsreden dafür sind, daß politische Entscheidungen im Deutschen Bundestag getroffen und nicht anderen einfach zugeschoben werden. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zumpfort.
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17760 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980
— Bitte sehr, Herr Abgeordneter Westphal.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Offensichtlich legt die Opposition Wert darauf, erst zu hören, was ich zu sagen habe, bevor sie ihre Erklärung abgeben will. Mir ist das gleich; ich kann es vorher und nachher.Für uns ist es wichtig, zu diesem Thema eine Erklärung abzugeben, weil das Gesetzgebungsverfahren im Zusammenhang mit dem Entwurf eines Gesetzes, das die von uns getragene Bundesregierung vorgelegt hat, nun, nachdem ein zweites Vermittlungsverfahren stattgefunden hat, zu einem Ergebnis geführt hat, das wir nicht akzeptieren können, und wir klarzumachen haben, warum wir es nicht akzeptieren können. Seitens der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion' möchte ich deshalb folgendes sagen.Nach Art. 83 des Grundgesetzes führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus. Der Fall, daß sich die Länder im Zuge von Gesetzgebungsverfahren darauf berufen, ist nicht selten. Dem Vermittlungsausschuß hat gerade erst kürzlich ein solcher Fall vorgelegen, in dem sich die Länder darauf berufen haben. Die bei Bund und Ländern — sicher noch stärker bei den Ländern — vorhandene Skepsis gegenüber der Einführung neuer Mischfinanzierungstatbestände ist in unserem Kreise allgemein bekannt und bedarf nicht näherer Erläuterung.Doch dann, meine Damen und Herren, wenn es darum geht, die Konsequenzen aus diesen Grundsätzen und Erfahrungen zu ziehen und auch durchzuhalten, d. h., daß die zuständige Ebene — beim Volkszählungsgesetz die Länder — dafür auch tatsächlich die Kosten trägt, fangen die Prinzipien an zu wackeln, und die Erfahrungen sind plötzlich vergessen. Uns scheint: So ist es erneut im Vermittlungsausschuß bei dem uns hier vorgelegten Vermittlungsergebnis geschehen. Die Forderung des Bundesrats, der Bund solle 50 % der Kosten des Volkszählungsgesetzes 1981 in Höhe von etwa 250 Millionen DM — das ist eine Viertelmilliarde — zusätzlich übernehmen, widerspricht den Konsequenzen aus Art. 83 des Grundgesetzes und schafft damit einen neuen Mischfinanzierungstatbestand.Meine Damen und Herren, die Berufung des Bundesrats bei seinem Vermittlungsbegehren auf Art. 106 Abs. 4 Satz 2 des Grundgesetzes, nach dem bei einer Mehrbelastung der Länder durch ein Bundesgesetz der Bund diese Mehrbelastung durch Finanzzuweisungen ausgleichen kann — ich betone:
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Westphalkann —, wenn sie auf einen kurzen Zeitraum begrenzt ist, zieht deshalb hier nicht, weil diese Kann-Vorschrift die finanzielle Situation der Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern insgesamt berücksichtigen muß.Das haben die Länder auch gemerkt, was klar wird, wenn man sich ihre eigene Begründung des Vermittlungsbegehrens noch einmal ansieht und sie nachliest. Diese Situation der Lastenverteilung ist aber — man könnte hinzufügen: leider — ganz entschieden anders als 1970. Die in Art. 106 des Grundgesetzes enthaltenen Maßstäbe für die Aufteilung der Einnahmen aus den Gemeinschaftssteuern sind, so umstritten diese Maßstäbe im einzelnen sein mögen, insofern eindeutig, als die Deckungsbedürfnisse beider Ebenen zu einem billigen Ausgleich gebracht werden müssen, und der sieht eben anders aus als 1970.Damals hat der Bund einen Positivsaldo gehabt. Er hatte 400 Millionen DM Überschuß und brauchte keine neuen Kredite zur Deckung seiner Ausgaben aufzunehmen, während die Länder sich damals mit 3,1 Milliarden DM neu verschuldeten. Heute sieht es anders aus. Im Jahre 1980 muß der Bund für etwa 24 Milliarden DM neue Kredite aufnehmen, während es bei allen Ländern zusammen etwa 12,5 Milliarden DM sein werden.
— Ich könnte mehr dazu ausführen. Ich möchte mich hier sehr bewußt begrenzen. — Das wird 1981, zu Beginn der Gültigkeit des Gesetzes über die Volkszählung, nicht anders sein.Meine Damen und Herren, der Haushaltsausschuß hat bei seinem Votum zum Volkszählungsgesetz eindeutig gesagt, daß er sich die Forderung der Länder nicht zu eigen machen kann. Es heißt dort: „Für die Mehrbelastung durch eine Finanzzuweisung stehen Mittel nicht zur Verfügung." Damit wäre das Gesetz mit der Haushaltslage nicht vereinbar.Die Konsequenz kann für uns nur sein: Wir lehnen das Vermittlungsergebnis ab und beharren auf dem von diesem Haus beschlossenen Gesetz.
Nun nehme ich das voraus, was wahrscheinlich in der nächsten Erklärung deutlich werden wird, wenn der Vertreter der CDU/CSU spricht.
— Wollen Sie mit uns dagegen stimmen? Dies würde klarmachen, daß sich bei Ihnen die Haushälter durchgesetzt haben. Ich erwarte leider nicht, daß das der Fall ist. Ich lasse den letzten Absatz aus.Für denjenigen, der Sinn für Kuriositäten hat, möchte ich anmerken, daß ich hier eine Rede zum zweitenmal gehalten habe, die ich schon am 24. Januar 1980 vortrug. Aber es geht nicht um die Kuriosität; es geht um ein Prinzip, und es geht um Geld. Wir halten die Statistik für wichtig; wir brauchen die Daten der Volkszählung. Wir würden es bedauern, wenn dieses Gesetz durch den Bundesrat scheiterte, wenn er seine sonstige Linie verließe und eine neue Mischfinanzierung einführte.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Broll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Unterschied zum Kollegen Westphal steht mir im Augenblick der Text der Erklärung, die ich damals am gleichen Tage wie Sie, Herr Kollege Westphal, abgegeben habe, nicht zur Verfügung. Ich werde aber versuchen, mich einigermaßen an den damaligen Wortlaut zu halten.
-- Zweifellos, Herr Kollege, war die Erklärung des Kollegen Westphal beim erstenmal nicht besser als beim zweitenmal.Ich erkläre im Namen der CDU/CSU-Fraktion, daß wir dem Vermittlungsvorschlag zustimmen.
Wir bedauern es außerordentlich, Herr Kollege Jahn, daß die Volkszählung, die Arbeitsstättenzählung und die Wohnraumzählung nun auf Grund der abermaligen Weigerung Ihrer Fraktion nicht stattfinden kann. Dabei haben wir hinreichende Informationen, daß die Bundesländer, die übrigens in dieser Sache eine Einheitsfront bilden, keineswegs parteipolitisch begrenzt, mit einem Kompromiß einverstanden gewesen wären, wenn nur die Bundesregierung ihrerseits dazu bereit gewesen wäre. „Keine müde Mark", hat der Staatssekretär des Finanzministeriums im Vermittlungsausschuß gesagt, wolle der Bund den Ländern geben.Nun ist der Betrag von einer Viertelmilliarde Mark natürlich kein Pappenstiel. Sie müssen aber daran denken, daß der Bund z. B. bereit gewesen ist, 550 Millionen DM, also mehr als eine halbe Milliarde, den Ländern in ihren Kompetenzbereich hineinzugeben, nämlich für die Psychiatrieversorgung. Darin sehen wir einen eklatanten Widerspruch.
Der Bund hat im Jahre 1970 den Ländern 1,30 DM für eine reine Volkszählung gegeben, mit der keine Arbeitsstätten- und Wohnraumzählung verbunden war. Wir haben daher den Eindruck, daß dem Bund insgesamt an den Ergebnissen der geplanten Zählung nicht mehr sehr liegt. Dabei ist — darin stimme ich dem Kollegen Westphal völlig zu — das Ergebnis der geplanten neuen Volkszählung dringend nötig. Wir wissen, daß die Zahlen, von denen die Regierung in bezug auf die vorhandenen Wohnungen heute noch ausgeht, absolut nicht mehr stimmen. Es gibt entschieden weniger Wohnungen, wie sich herausstellen wird. Die Fachleute wissen das längst
Ganz sicher stimmt die Zahl der Ausländer nach derdamaligen Volkszählung nicht mehr, und ganz si-
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17762 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980
Brollcher stimmt auch nicht mehr die Zahl der Arbeitsstätten; auch die Fortschreibungen haben daran nichts ändern können.Wir wünschten, daß die Politik der Zukunft auf der Grundlage realistischen Zahlenmaterials geführt werden könnte. Wir selbst als Fraktion würden dadurch in unserer Politik eine wesentliche Hilfe bekommen. Wir verstehen subjektiv, daß die Regierung und vielleicht auch Sie an dieser Entwicklung kein Interesse haben können. Um so mehr bedauern wir dies und stimmen — ich sagte es schon — dem Vermittlungsvorschlag zu.
Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht mehr gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 8/4094 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Das letzte war die Mehrheit. Der Antrag des Vermittlungsausschusses ist abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 4 der Tagesordnung:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Änderung des Investitionszulagengesetzes
— Drucksache 8/4096 —
Berichterstatter: Staatsminister Schmidhuber
Ich frage, ob der Berichterstatter das Wort wünscht. — Das ist der Fall. Bitte, Herr Minister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem gegenwärtigen Rechtsstand ist nach § 2 Investitionszulagengesetz die Errichtung einer Betriebsstätte nur in Schwerpunktorten der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" förderungswürdig. In Nichtschwerpunktorten werden Betriebserweiterungen — bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen — nur gefördert, wenn die Investitionsmaßnahmen auf oder unmittelbar neben dem bisherigen Betriebsgelände durchgeführt werden. Dies kann zu Härten und zu regionalpolitisch unerwünschten Folgen führen, wenn beispielsweise aus Gründen des Umweltschutzes oder wegen fehlender Grundstücksflächen auf andere Grundstücke innerhalb derselben Gemeinde ausgewichen werden muß.
Der Deutsche Bundestag hat in seiner 211. Sitzung am 17. April 1980 das Gesetz zur Änderung des Investitionszulagengesetzes beschlossen. Danach sollen künftig auch Investitionen im Rahmen einer Teilauslagerung von Betriebsstätten in Nichtschwerpunktorten gefördert werden können, wenn die zusätzliche Errichtung im direkten Zusammenhang mit einer städtebaulichen Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahme, aus Gründen des Umweltschutzes oder mangels ausreichender Grundstücksflächen an einem anderen als dem bisherigen Betriebsstandort erfolgt.
Der Bundesrat hat in seiner 486. Sitzung am 9. Mai 1980 den Vermittlungsausschuß mit zwei Begehren angerufen.
Erstens wurde verlangt, entsprechend dem ursprünglichen Gesetzesantrag der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages auch die vollständige innerörtliche Betriebsverlagerung in die Förderung einzubeziehen und im übrigen die Gewährung der Investitionszulagen nicht nur auf Erweiterungen zu beschränken, sondern auch auf Investitionen auszudehnen, die aus Gründen der Umstellung oder der grundlegenden Rationalisierung vorgenommen werden.
Zweitens wurde verlangt, in den Katalog der begünstigten Energieerzeugungs- und -verteilungsanlagen nach § 4 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 des Investitionszulagengesetzes auch „Laufwasserkraftwerke" zu übernehmen.
Der Vermittlungsausschuß hat am 22. Mai 1980 den Einigungsvorschlag beschlossen, der Ihnen in Bundestagsdrucksache 8/4096 vorliegt. Der Einigungsvorschlag sieht kurzgefaßt folgendes vor.
Erstens. Unter den im Gesetzesbeschluß des Deutschen Bundestages vom 17. April 1980 genannten Voraussetzungen sind auch die Errichtung einer zusätzlichen innerörtlichen Betriebsstätte sowie eine vollständige innerörtliche Betriebsverlagerung förderungswürdig.
Zweitens. Der Anlagenkatalog nach § 4 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 des Investitionszulagengesetzes wird um „Laufwasserkraftwerke" ergänzt.
Namens des Vermittlungsausschusses empfehle ich, diesem Vorschlag zuzustimmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß über die vorliegenden Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 8/4096 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Der Antrag des Vermittlungsausschusses ist damit angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung der Wirtschaftspläne des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1980
— Drucksache 8/3306 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksachen 8/4155, 8/4165 —
Deutscher Bundestag —. 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980 17763
Vizepräsident Wurbs
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Warnke Roth
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht.
— Dann eröffne ich die Aussprache. Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Warnke das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und meine Herren! Die CDU/CSU-Fraktion zieht Bilanz für die Entwicklung des ERP-Sondervermögens in der 8. Legislaturperiode. Der ERP-Haushalt sieht heute anders als vor fünf Jahren aus. Eine entscheidende Weichenstellung ist in dieser Legislaturperiode gelungen. ERP ist zum Eckpfeiler der Mittelstandspolitik geworden. Damit hat sich das Konzept der Union durchgesetzt.
— Das Gegenkonzept kam von der SPD. Und der Herr Roth, der jetzt so herzlich lacht, der macht hier gute Mine zu einem für ihn gar nicht so guten Spiel.
Herr Roth und die SPD wollten ERP als Schwerpunkt der Entwicklungshilfe ausbauen. Sie haben es nicht so sehr mit den kleinen und mittleren Unternehmen. Das wäre nicht gutgegangen mit der Entwicklungshilfe. ERP ist für die Ausgabe kurzfristiger Kredite zu angemessener Verzinsung leistungsfähig. Was die Entwicklungshilfe braucht, sind langfristige Kredite, die niedrigverzinslich sind.
Wir hätten bei der Befolgung des SPD-Konzeptes wenig mehr für die Entwicklungshilfe gehabt, aber kein Geld für die Mittelstandsförderung.
Die Union hat das verhindert. Da sie nicht die Mehrheit hatte, mußte sie mit den Freien Demokraten zusammenarbeiten. Die Freien Demokraten haben hier mit uns zusammengearbeitet und eine Teilwiedergutmachung des Flurschadens gewährleistet, der durch ihre Mitverantwortung hinsichtlich der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in den 70er Jahren angerichtet worden ist.
— Sehr richtig. Kollege Kunz ist kein Jurist. Die Juristen würden von „tätiger Reue sprechen, und die wirkt bekanntlich strafmindernd.
So konnte der Mittelstandsanteil bei den ERP-Krediten von lediglich 18 % — absolute Summe: 480 Millionen DM — vor vier Jahren auf heute über 50 % — 1,7 Milliarden DM — des Gesamthaushalts gesteigert werden.
Im einzelnen ist freilich manches noch nicht in Ordnung. So pendeln die Zinsen hektisch rauf und runter und hecheln dem Auf und Ab des Kapitalmarktzinses hinterher. Das ist nicht gut, das ist nicht notwendig im Hinblick auf die Förderung eines zentralen Bereiches. Diese Zinsen sollten verstetigt, sie sollten konstant gehalten werden.
Im übrigen haben wir für den Haushalt von immerhin 3 Milliarden DM und ein Sondervermögen 13 Milliarden DM keine mittelfristige Finanzplanung.Die Bundesregierung stützt sich zur Fortsetzung dieses Kurses auf einen Indemnitätsbeschluß, den ihr das Parlament vor acht Jahren gegeben hat. Es bleibt unverständlich, daß wir uns für eine so gewichtige Finanzmasse auch nur der kurzfristigen Orientierungshilfe begeben.
Dennoch wird die Unionsfraktion dem Gesamtgefüge von Mittelstandsförderung, Gemeindefinanzierung, Berlin-Hilfe und einem bemessenen Anteil von Entwicklungshilfe im ERP-Wirtschaftsplan 1980 ihre Zustimmung geben.
Damit ist die Regierung aber nicht von der Mitverantwortung für den Milliarden-Verlust des ERP-Vermögens in Sachen DIAG, das wohl größte Finanzdebakel der 70er Jahre, entlastet. Dieser Skandal wäre vermeidbar gewesen. Die DIAG hatte 1965 einen guten Start. Sie befand sich ein halbes Jahrzehnt lang auf gutem Kurs. Die Schwierigkeiten traten in den 70er Jahren auf. Die Verantwortung hat ein unverdächtiger Zeuge geklärt. Der Bundesrechnungshof schreibt in seinem Prüfungsbericht aus dem Jahre 1975: „Fehlentwicklung bei einem Bundesunternehmen infolge mangelnder Aufsicht der Bundesregierung."
Die DIAG geriet in die roten Zahlen. Zur Vertuschung des ersten Sündenfalles, der mangelnden Aufsicht, wurde unverzüglich ein zweiter begangen. Hinter dem Rücken des Parlaments und unter Verstoß gegen die Grundsätze der Haushaltsordnung wurden dreistellige Millionen-Beträge als verlorener Zuschuß aus diesem Kreditvermögen an die DIAG gegeben. Und dann ging es weiter bergab. Es entwickelte sich ein Ritual: Jährliche Nachschlagsrunden mit Beträgen in dreistelliger Millionenhöhe wurden für die Bundesregierung zur Gewohnheit. Die Beantragung erfolgte stets nach gleichem Schema: Bargeld sofort, widrigenfalls der Gang zum Konkursrichter, mit unabsehbaren Konsequenzen für die Arbeitsplätze in Berlin. Zusätzlich wurde die Versicherung gegeben, diesmal werde es endgültig das allerletzte Mal gewesen sein. Dies ist annähernd ein halbes dutzendmal im Ausschuß vorgeturnt worden.
Heute stehen wir vor einem Scherbenhaufen. Wir haben bei der letzten Rate die Sperre der Mittel durchgesetzt. Ich möchte meinen Kollegen in der
Dr. Warnke
Arbeitsgruppe bei dieser Gelegenheit Dank dafür sagen, daß sie dazu beigetragen haben, daß hier gegen die Bundesregierung die Bremse gezogen werden konnte.
Die Bundesregierung mußte in diesem Jahr gestehen, zumindest für eine maßgebliche Untereinheit der Gruppe DIAG sei noch kein Zeitpunkt der Defizitbeendigung anzukündigen. Die Defizite haben sich zwar verringert; sie werden sich aber weder heute noch in absehbarer Zukunft ausmerzen lassen. Nach Auffassung des Bundesrechnungshofes besteht die Gefahr der Dauersubvention der DIAG. Einer solchen Verlängerung jahrelanger Mißstände konnte die Union nicht zustimmen.
Aber auch das bisherige, von uns für unzulänglich gehaltene Sanierungsergebnis konnte nur erzielt werden, weil ein Mann zwei Jahre lang bereit war, einen erheblichen Teil seiner Arbeitskraft für das Ehrenamt des Aufsichtsratsvorsitzenden zur Verfügung zu stellen. Die Unionsfraktion sagt auch an dieser Stelle Dr. Arndt Vogels ihre Anerkennung für die Herkulesarbeit, mit dem er das Ergebnis von einem Jahrzehnt Mißwirtschaft zu korrigieren versucht hat, Betriebsabläufe transparent gemacht und risikoreiche Auslandsengagements gelöst hat.
Daß der Zustand des Unternehmens eine Defizitbeseitigung überhaupt nicht mehr ermöglichte, ist nicht die Schuld von Dr. Vogels. Dafür trägt die Koalition die Verantwortung.
Ganze tausend Arbeitsplätze sind jetzt mit dem Aufwand von 1 Milliarde DM gesichert worden. Das bedeutet 1 Million DM pro Arbeitsplatz, nicht mehr und nicht weniger. Vielleicht wird es aber noch mehr, wenn sich nämlich zeigt, daß auch diese tausend Arbeitsplätze nicht von Bestand sein werden.
Es ist ein schwerer Schaden eingetreten, der vermeidbar gewesen wäre. Das ERP-Sondervermögen ist um 1 Milliarde DM erleichtert worden. Diese Milliarde ist zum Teil noch zur Aufrechterhaltung von Produktion zu ruinösen Wettbewerbsbedingungen und damit zur direkten Schädigung mittelständischer Wettbewerber des dergestalt massiv subventionierten Unternehmens eingesetzt worden.
Es ist kein Zufall, daß die Kreditaufnahme des ERP- Sondervermögens im Jahre 1980 sich mit mehr als 1 Milliarde DM in der Größenordnung dieses Verlustes der DIAG hält. Trotz der Kreditaufnahme reichen die Mittel für die kleinen und mittleren Unternehmen aber bei weitem nicht aus. Das Beispiel des Regionalprogramms beweist das. Nach Abzug der Vorbelastung wird der verfügbare Baransatz 1980 mit 580 Millionen DM bereits erheblich niedriger sein als im vergangenen Jahr mit 675 Millionen DM. Ein weiteres erhebliches Zurückgehen des für 1981 wirksamen Baransatzes ist zu befürchten, wenn die Mittel in ihrer absoluten Höhe nicht aufgestockt
werden. Schon heute reichen die Mittel nur aus, um die Anträge bis September zu bedienen, und mußten bis zum Satz von 23 % der Investitionssumme repartiert werden, damit das Programm nicht schon nach wenigen Monaten hätte geschlossen werden müssen. Durch eine zusätzliche Milliarde Eigenkapital des ERP-Sondervermögens hätte dringend notwendiger mittelstandpolitischer Beistand geleistet werden können. Dafür, daß dies verspielt wurde, hat die Regierung geradezustehen. Es darf sich nicht wiederholen. Wenn der Bundesrechnungshof endgültig Klarheit in diese Affäre gebracht hat, wird die Union die Konsequenzen für Organisation und Vollzug des ERP-Sondervermögens in den 80er Jahren ziehen, um solche Skandale in Zukunft abzustellen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Roth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Pieroth, Sie machen schon den ersten Zwischenruf, bevor ich ein Wort sagen kann.
Sie wissen ja überhaupt nicht, was ich sagen wollte. Ich wollte sagen, daß ich es für eine glückliche Fügung halte, daß Herr Wurbs jetzt präsidiert, denn er hat auch Beziehungen zum Thema „kleine und mittlere Unternehmen". Haben Sie etwas dagegen?
Der Herr Vorredner hat gemeint, er müsse die Entwicklungshilfe gegen die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen ausspielen. Das war nicht notwendig. Die Bundesregierung hat im Jahre 1979 die Mittel für die Entwicklungshilfe aus dem Etat um 30 % aufgestockt. Das war der Erfolg unserer Bemühungen.Ich freue mich übrigens, Herr Pieroth, daß Sie an der Stelle immer wieder mit uns kooperieren. Es wäre gut, wenn Sie da mehr Umsetzung in der Gesamtfraktion hätten.Wir werden weiterhin den Kurs fahren und haben das in den letzten Jahren gemacht, die Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen aus dem ERP-Sondervermögen besonders zu realisieren.An der Stelle finde ich etwas sehr interessant. Mein Herr Vorredner hat gesagt, die Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen und ihrer Existenzgründung aus dem ERP-Sondervermögen sei besonders erfolgreich, so erfolgreich, daß die Mittel schon im Jahre 1980 nicht ausreichen würden. Nun ein Zitat aus dem CDU-Wahlprogramm 1980:Das Gleichgewicht zwischen Markteintritt undMarktaustritt ist seit Beginn der 70er Jahredeutlich gestört. Unternehmensstillegungen
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Rothwerden nicht mehr durch Unternehmensneugründungen wettgemacht.An anderer Stelle:Es ist ein absoluter Rückgang bei der Zahl der Selbständigen festzustellen.Meine Damen und Herren, was paßt denn hier zusammen? Stimmt die Aussage dieses Herrn oder stimmen die Feststellungen des Wahlprogramms der CDU/CSU?
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Warnke?
Aber gern.
Herr Kollege Roth, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich nicht, wie sich auch aus dem Protokoll ergeben wird, gesagt habe, diese Mittelstandsförderung sei besonders erfolgreich, sondern daß ich gesagt habe, diese Mittel reichten nicht aus, um den Bedarf zu dekken?
Herr Kollege, wir haben die Mittelfür Neugründungen seit 1977, also in dieser Legislaturperiode, von 265 Millionen auf 840 Millionen DM ausgeweitet. Wir haben die Mittel aus dem ERP-Sondervermögen für die mittleren und kleineren Firmen insgesamt von 766 Millionen DM auf 1,697 Milliarden DM ausgeweitet. Das sind Ausweitungen in einem Ausmaß, wie sie kein anderer Titel des Bundeshaushalts oder des ERP-Sondervermögens erfahren hat.
Nun zu den Folgen. Ich zitiere das CDU-Wahlprogramm:
Es ist ein absoluter Rückgang bei der Zahl der Selbständigen festzustellen.
Im Jahr 1977 14 000 selbständige Existenzen mehr in der Bundesrepublik, im Jahr 1978 6000 mehr, im Jahr 1979 38 000 mehr am Ende des Jahres als zu Anfang des Jahres. Selbständigwerden auch und besonders durch unsere Förderungsprogramme ist also erfolgreich gewesen. Es ist ein absoluter Erfolg unserer zusammen mit der liberalen Partei betriebenen Politik.
Ich möchte an der Stelle eines sagen: Es gab in der Koalition nie auch nur in einem Detail einen Dissens — Herr Staatssekretär Grüner nickt in der Frage der Ausweitung der Mittelstandskredite. Wir freuen uns, daß wir dies gerade jetzt zu Beginn eines Wahlkampfes feststellen können,
wo Sie hergehen und erzählen, der Mittelstand
stehe vor dem Zusammenbruch und es sei ein „absoluter Rückgang bei der Zahl der Selbständigen" festzustellen.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Roth, können Sie bestätigen, daß die Zahl der Selbständigen in den Jahren 1974 bis 1976 um 110 000 zurückgegangen ist, daß Ihre Koalition auch für diese Jahre Verantwortung trägt und daß der Rückgang in den Jahren 1974 bis 1976 mit 110 000 wesentlich höher ist als der gelinde Anstieg in den Jahren 1977 bis 1979?
Sehen Sie, ich habe in meinem nicht ausgearbeiteten Manuskript einen Abschnitt „Zwischenfragen" vorbereitet; da ich nicht wußte, wer fragen würde, habe ich nicht „Zwischenfrage Pieroth", sondern „Zwischenfrage von der CDU/CSU" notiert.Zwischen 1962 und 1970, in den Jahren, in denen Sie Regierungsverantwortung getragen haben, ist die Zahl der Selbständigen aus produzierendem Gewerbe, Handel und Dienstleistung um 181000 zurückgegangen.
In den Jahren zwischen 1970 und 1979 haben wir insgesamt einen Rückgang von 30 000, d. h. nur ein Sechstel der Zahl aus der Periode, die Sie zu verantworten hatten. Das ist der Unterschied, und nicht zuletzt das drückt sich in den Zahlen und in der Statistik aus.
Ihre Mode, zu behaupten, der Mittelstand oder die Selbständigen seien jetzt im Würgegriff der Bürokratie oder des Staates, ist durch die realen Zahlen, ist durch die Statistik nicht belegbar.
Das merken Sie ja auch immer. Das ist doch sehr interessant.Am Dienstag war ich beim Mittelstandsausschuß des DIHT. Ihr früherer Kollege und jetziger Minister Zeitel war dabei, Herr Haussmann von der FDP war dabei. Es ist doch erstaunlich, in welcher Weise der Mittelstand inzwischen bereit ist, diese Seite der sozialliberalen Politik zu akzeptieren!
Nur gibt es einen Unterschied zwischen dem, was Sie vertreten, und dem, was wir vertreten. Wir vertreten keine ständische Politik. Wir zahlen einem nicht etwas dafür, daß er irgendwo — und sei es in der Mitte — steht. Wir glauben auch nicht, daß es eine besondere soziale Bedürftigkeit des Mittelstandes gibt; dem geht es finanziell ganz gut. Das Problem ist, daß der Mittelstand gegenüber der Groß
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Rothwirtschaft spezifische Nachteile hat, und davor müssen wir ihn schützen.
Während die Großwirtschaft Zugang zum großen — auch internationalen — Kapitalmarkt hat, muß man der kleinen Wirtschaft einen speziellen Kapitalmarkt — sprich: ERP-Sondervermögen — organisieren. Wir unterstützen die kleine und die mittlere Wirtschaft, und zwar nicht deshalb, weil sie Vorteile und Privilegien erhaschen will, sondern deshalb, weil sie spezielle Aufgaben und Funktionen erfüllt. Dafür kämpfen wir.Welche Funktionen sind das? Beispielsweise die Funktion der Umstrukturierung und Modernisierung der Wirtschaft — wir stellen gerade im mittelständischen Bereich viel Innovation fest -, die Funktion der Stärkung des Wettbewerbs, die Funktion der Versorgung der Bevölkerung — wie sähe die Versorgung der Bürger in Städten und Gemeinden ohne den kleinen und den mittleren Handel eigentlich aus? —, die Funktion der Ausbildung; wir sagen ja zu den vielfältigen Ausbildungsleistungen der kleinen und mittleren Wirtschaft für die jungen Bürger dieses Staates, dieses Volkes. Von dieser Aufgabenstellung her sagen wir ja und fordern Sie alle auf — und ich hoffe, Sie von der Opposition machen mit —, diesen ERP-Plan zu unterstützen.Zur DIAG will ich nur drei Worte sagen. Erstens. Gegründet wurde die DIAG vom damaligen Herrn Minister Dollinger, als er marode private Betriebe zusammenfaßte.
Zweitens. Es gibt keinen Zweifel daran, daß die DIAG am Anfang dieses Jahrzehnts verheerende Mißmanagemententscheidungen getroffen hat.
Und es gibt, so füge ich hinzu, keinen Zweifel daran, daß dieses Parlament damals seine Kontrollfunktion nicht erfüllt hat.
Der dritte Punkt — damit will ich schließen —: Es gibt keinen Zweifel daran, daß der jetzige Aufsichtsratsvorsitzende Dr. Vogels eine hervorragende Konsolidierungsleistung erbracht hat, und es gibt keinen Zweifel daran, daß die DIAG trotz der Iran-Gefährdung jetzt auf einem Wege der Gesundung ist. Wer jetzt nachdem er seine Kontrollfunktion zehn Jahre lang nicht erfüllt hat, hergeht und die Ereignisse bei der DIAG zum Hauptthema einer ERP-Diskussion macht, zeigt nur, daß er keine Hosen anhat. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Angermeyer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Polemik um die DIAG will ich nicht weiter eingreifen; erlauben Sie mir vielmehr
— ich komme noch darauf —, daß ich zunächst einmal über den Wirtschaftsplan in seiner Gesamtheit spreche. Dazu stelle ich fest, daß wir doch in weitesten Teilen einvernehmlich darüber beraten haben.
— Die reguläre ERP-Förderung, die schwerpunktmäßige Ausrichtung auf den gewerblichen Mittelstand, war nicht kontrovers. Auseinandersetzungen gab es natürlich im Zusammenhang mit der DIAG.Aber lassen Sie mich zunächst etwas zu dem erfreulicheren Teil des ERP-Wirtschaftsplans sagen. Durch die gemeinsame zielgerichtete Arbeit von Regierung und Parlament — im Einzelfall mit Abweichungen oder Nuancierungen — ist das Ergebnis einhellig zustande gekommen. Die im ERP-Plan 1980 beabsichtigte Umstrukturierung und Konzentrierung der Fördermaßnahmen sind gelungen.Wir begrüßen die Straffung der Programme, weil dadurch in dem traditionellen ERP-Bereich nachhaltiger und stärker gefördert werden kann. 56 % sind für kleine und mittlere Unternehmen vorgesehen. Davon entfallen über 1,8 Milliarden DM auf die drei Hauptprogramme: Regionalförderung, Existenzgründungen und Betriebe in neuen Gewerbegebieten. Der Rest von 75 Millionen DM behandelt Spezialförderungen, bei denen weitere Straffungsmöglichkeiten nur noch sehr begrenzt möglich sein dürften. Das Ausmaß der Gewichtsverlagerung zugunsten des Mittelstands wird deutlich, wenn man sich vor Augen hält, daß bis vor zehn Jahren für diesen Bereich nur ca. 15 % der ERP-Mittel bereitgestellt wurden. Besonders markant sind die Zuwachsraten seit 1978. Darauf wurde schon eingegangen. Damals betrug der Mittelstandsanteil 975 Millionen DM. 1979 waren es 1,7 Milliarden DM. 1980 sind es 1,9 Milliarden DM.Dies ist keine Wahlkampfpropaganda. Dies ist keine Polemik. Dies sind ganz nüchterne Zahlen. Sie sprechen für die Mittelstandspolitik, die diese Koalition, diese Bundesregierung tatsächlich gemacht hat.Die beiden anderen Programmschwerpunkte sind der Umweltschutz, bei dem die Ansätze schon im Vorjahr um 45 % verstärkt worden waren und für 1980 nochmals ein leicht erhöhtes Niveau, nämlich 600 Millionen DM, aufweisen, und das Berlin-Investittonsprogramm, das eine Steigerungsrate von rund 9 % hat und 532 Millionen DM erreicht.Wenngleich der Anteil der Kapitalmarktmittel ungefähr ein Drittel der Gesamteinnahmen erreicht, sind die wirtschaftlichen Verhältnisse dieses Sondervermögens in bester Ordnung. Einem Vermögensbestand von etwa 12 Milliarden DM stehen Fremdmittel von etwa 2 Milliarden DM gegenüber. Meine Fraktion wird mit darüber wachen, daß diese
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Angermeyergeordneten Verhältnisse so bestehenbleiben und die Fremdmittelaufnahme im Rahmen wirtschaftlich vernünftiger Grenzen bleibt.Für die kommenden Jahre läßt das bisherige gute Ergebnis mit allseits hohen Steigerungsraten allerdings etwas vorsichtig in die Zukunft blicken. Man sollte das gerade jetzt nicht verschweigen. Bekanntlich trägt neben der Mittelbeschaffung aus Umschichtungen innerhalb des ERP-Plans die Kreditaufnahme in hohem Maß zur Finanzierung der Programmansätze bei. Auch bei der Kreditfinanzierung, die 1980 1,1 Milliarden DM betragen soll, waren die Zuwachsraten in den letzten Jahren erheblich. Die Belastung daraus wird um so unmittelbarer fühlbar, je mehr Baransätze und tatsächlicher Mittelabruf einander entsprechen, was, wie in den Ausschüssen eingehend erörtert, die ab 1979 verstärkt eingestellten Verpflichtungsermächtigungen bewirken sollen. Wir werden also in den kommenden Jahren viel zurückhaltender operieren und uns nach Ausschöpfung der Expansionsmöglichkeiten mit relativ schmalen Zuwachsraten begnügen müssen.Ich habe vorhin die DIAG erwähnt. Lassen Sie mich hier die Gelegenheit benutzen, ein paar Worte zu den Sanierungsabläufen bei der DIAG zu sagen.Der Ausschuß für Wirtschaft, insbesondere die ERP-Arbeitsgruppe, ist kontinuierlich und umfassend über die Sanierungsmaßnahmen im einzelnen informiert worden. Hierbei wurde auch über die notwendigen Schritte der Unternehmensführung ausführlich berichtet. Die inzwischen erzielten Ergebnisse und Fortschritte vor allem bei der Bereinigung des schwierigen und verlustreich gewesenen Anlagegeschäfts lassen es zu, schon jetzt von einer wachsenden Konsolidierung bei der DIAG zu sprechen. Dabei ist auch auf die Ausgliederung des Betriebs Ludwig Loewe hinzuweisen. Auch diese Maßnahme war ein Bestandteil des im Sommer 1978 vorgelegten Sanierungskonzepts des Unternehmens.Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß bei der Abgabe des Werkes Loewe eine Lösung gefunden werden konnte, die den Erhalt der Arbeitsplätze fast aller betroffenen Mitarbeiter ermöglichte.Auch in betrieblicher, betriebstechnischer und organisatorischer Hinsicht konnten bei der DIAG Verbesserungen erreicht werden. Damit werden sich im Sommer dieses Jahres die Unternehmensorgane erneut in einer kritischen Analyse befassen, um sicherzustellen, daß diese Fortschritte im Hinblick auf das gesetzte Sanierungsziel auch von Bestand sind. Dies gilt insbesondere für das Berliner Werk Fritz Werner, wo die Verluste erhebliche Sorgen bereiten. Auch hier unternehmen Aufsichtsrat und Geschäftsführung alle Anstrengungen, um schwarze Zahlen zu erreichen und zu halten. Für eine abschließende Aussage über das Ergebnis dieser Bemühungen ist es im Augenblick noch zu früh. Ich habe aber aus den Gesprächen mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden der DIAG, Herrn Dr. Vogels, den Eindruck gewonnen, daß alles geschieht, damit letztlich eine solche Aussage positiv ausfällt.Auf die Erörterungen im Haushaltsausschuß und im Wirtschaftsausschuß wegen des Auszahlungszeitpunktes der Zuschußrate im Februar 1979 möchte ich hier nicht mehr eingehen. Die damit zusammenhängenden Fragen sind im Wirtschaftsausschuß und in der Arbeitsgruppe ausführlich behandelt worden. Im übrigen werden sich durch die Absprache mit dem Unternehmen, die noch zu leistenden Zuschußraten jeweils erst zum letztmöglichen Zeitpunkt bereitzustellen, in dieser Hinsicht keine Probleme mehr ergeben.In diesem Zusammenhang ist in den Ausschüssen auch Kritik geübt worden, die auf die Prüfungsmitteilungen des Bundesrechnungshofes zurückgeht. Ich möchte mich hier dazu nicht äußern, weil ich den Beratungen darüber im zuständigen Ausschuß dieses Hohen Hauses nicht vorgreifen möchte.Aber mir liegt daran, auf eines noch hinzuweisen. Auch dies wurde von den Vorrednern gesagt, und ich möchte es auch für meine Fraktion deutlich wie- derholen. Die ERP-Arbeitsgruppe hat sich durch Herrn Dr. Vogels unmittelbar über die Probleme wie über die vorhin bereits erwähnten Fortschritte bei der Sanierung des Unternehmens berichten lassen. Sie hat einhellig — dies betone ich ausdrücklich — Herrn Dr. Vogels für seine Bemühungen gedankt und ihm übereinstimmend ihre Anerkennung für das bisher Erreichte ausgesprochen. Ich freue mich — damit möchte ich das Thema DIAG abschließen —, feststellen zu können, daß wir zumindest in diesem Punkt alle der gleichen Meinung waren.Insgesamt läßt sich zum Thema ERP-Plan 1980 sagen — damit komme ich zum Schluß —, daß der Entwurf ausgewogen ist und in die richtige Richtung weist. Die FDP-Fraktion wird ihm zustimmen.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dem außerordentlich scharfen Angriff von Herrn Kollegen Dr. Warnke auf die Bundesregierung und damit auf den Bundeswirtschaftsminister in Sachen DIAG möchte ich doch einige klarstellende Bemerkungen machen.Wenn man die Äußerungen von Herrn Dr. Warnke als unbefangener und in die Sache nicht eingeweihter Zuhörer verfolgt hat, mußte man daraus den Schluß ziehen, daß hier ungeheuerliche Versäumnisse der Bundesregierung vorgelegen hätten. Das steht in krassem Widerspruch zur Haltung des Parlaments zu den Vorschlägen, die die Bundesregierung gemacht hat, um der DIAG aus ihren Schwierigkeiten zu helfen. Dieses Haus hat einstimmig alle Maßnahmen der Bundesregierung gebilligt, die zur Sanierung der DIAG hier vorgeschlagen worden sind. Das ist im übrigen auch im Wirtschaftsausschuß geschehen. Deshalb stehen die Vorwürfe von Herrn Dr. Warnke in einem krassen Widerspruch zum richtigen politischen Verhalten der
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Parl. Staatssekretär Grüner CDU/CSU-Bundestagsfraktion und der Mitglieder der CDU/CSU im Wirtschaftsausschuß.
Verzeihen Sie, Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Warnke?
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, dem Hohen Hause zu bestätigen, daß die ersten Zuweisungen an DIAG von mehreren hundert Millionen DM ohne Konsultation des Wirtschaftsausschusses und des Parlaments unter Inanspruchnahme gewisser Möglichkeiten der gegenseitigen Deckungsfähigkeit gemacht wurden und daß das Parlament erst nachträglich mit dem Hinweis: „Weil wir schon so viel Geld ausgegeben haben, müssen wir die Sanierung jetzt auch fortsetzen" informiert worden ist?
Herr Kollege, ich bin nicht bereit, Ihnen das zuzugestehen,
sondern ich betone noch einmal, daß wir ohne haushaltsrechtliche Deckung keine müde Mark ausgeben können, daß wir das auch nicht getan haben und daß die Vergabe jeder Mark Ihre Zustimmung gefunden hat.
Wenn hier, Herr Kollege Dr. Warnke, die Prüfungsmitteilungen des Bundesrechnungshofes angezogen worden sind, dann hätte eigentlich hinzugefügt werden müssen, daß ich im Ausschuß den ungewöhnlichen Weg beschritten habe, Ihnen solche vorläufigen Prüfungsmitteilungen, die ja nicht endgültig sind und die der Erörterung zwischen dem Rechnungshof und dem zuständigen Ressort dienen, zur Verfügung zu stellen, um auch nicht den Schatten eines Verdachts aufkommen zu lassen, daß Ihnen irgendeine relevante Information etwa vorenthalten würde.
Es gibt keine abschließende Prüfungsbemerkung des Bundesrechnungshofs, sondern es gibt lediglich Prüfungsmitteilungen, die noch der Erörterung bedürfen. Sie wissen sehr genau, daß wir diese Prüfungsmitteilungen des Bundesrechnungshofs mit sehr guten Gründen in Frage gestellt haben. Das ist ja auch Gegenstand der Ausschußberatungen gewesen. Gerade die ungewöhnliche Offenheit der Bundesregierung, die den Rechnungshof nicht nur überrascht, sondern auch zu Stirnrunzeln veranlaßt hat, eben weil das Verfahren von Prüfungsmitteilungen darauf ausgerichtet ist, Irrtümer des Bundesrechnungshofes hinter verschlossenen Türen zu korrigieren, nachdem die andere Seite gehört worden ist, hätte hier, meine ich, auch angesprochen werden müssen. Es wäre deshalb richtiger gewesen, auf solche vorläufigen Prüfungsmitteilungen des Rechnungshofes hier nicht einzugehen.
Ein weiterer Punkt: Wir alle kennen die Gründe für die Verluste, die die DIAG erlitten hat. Wir alle wissen, wie es zur Aufdeckung dieser Verluste gekommen ist. Wir alle wissen aber auch, daß weder der Aufsichtsrat noch viel weniger die Bundesregierung in der Lage war, zu einem bestimmten Zeitpunkt und rechtzeitig Fehlinvestitionen und Fehlentscheidungen der Unternehmensleitung zu entdecken, die nicht einmal der Anlageausschuß, der in der DIAG bestand und der von hervorragenden Unternehmern der deutschen Wirtschaft besetzt war, hat erkennen können.
Ich schließe damit, daß ich unterstreiche, was hier übereinstimmend von der unternehmerischen Leistung von Herrn Dr. Vogels für die Sanierung des Unternehmens gesagt worden ist. Das ist das Konzept der Bundesregierung geworden. Wir haben es gemeinsam getragen. Deshalb meine ich, daß es richtig ist, die DIAG hier nicht in öffentlichen Verhandlungen ins Gerede zu bringen, sondern dieses Sanierungskonzept gemeinsam zu unterstützen. Verbales Lob an die Adresse des Aufsichtsratsvorsitzenden hilft uns nichts, wenn die Entwicklung der DIAG gleichzeitig durch Angriffe, die sachlicher Grundlage entbehren, beeinträchtigt wird. Wir brauchen die Chance für dieses Sanierungskonzept.
Ich meine deshalb, daß wir Herrn Dr. Vogels am besten dadurch unterstützen, daß wir bei dem bleiben, was wir gemeinsam beschlossen haben, nämlich dieses Sanierungskonzept zu finanzieren und auch politisch zu ihm zu stehen. Das schließt selbstverständlich nicht etwa aus, daß auch in einem solchen Sanierungskonzept Risiken stecken. Wie jeder von uns weiß, sind wirtschaftliche Entwicklungen nicht vorauszusehen. Ein noch so gutes Konzept kann durch ungünstige wirtschaftliche Entwicklungen, auf die ein Unternehmen keinen Einfluß hat, beeinträchtigt werden.
Wir brauchen Ruhe an der DIAG-Front. Wir brauchen eine faire Behandlung dieses schwerwiegenden Vorgangs. Ich bitte Sie sehr herzlich darum, daß wir in der gemeinsamen politischen Verantwortung für dieses Unternehmen, die wir gemeinsam getragen haben, auch in Zukunft bleiben.
Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die §§ 1 bis 13, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.Wir treten in diedritte Beratungein. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980 17769
Vizepräsident WurbsWir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Bericht der Bundesregierung über die Lage der freien Berufe in der Bundesrepublik Deutschland— Drucksachen 8/3139, 8/4154 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. SchachtschabelWünscht der Berichterstatter das Wort? — Es wird nicht gewünscht. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hauser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Tatsache, daß wir uns heute zum drittenmal in dieser Legislaturperiode mit den Fragen der freien Berufe beschäftigen, ist nicht der Erkenntnis der Bundesregierung oder der Koalition zu verdanken, die sich endlich einmal mit diesem Thema beschäftigt, sondern beruht ausschließlich auf der Tatsache, daß die CDU/CSU- Fraktion bereits am 14. September 1977 einen Antrag stellte und die Bundesregierung aufforderte, über die Lage der freien Berufe zu berichten. Noch in dem letzten Mittelstandsbericht, den wir am Ende der vorigen Legislaturperiode hier zu diskutieren hatten, wurde über die Problematik der freien Berufe nicht in einem Satz Auskunft gegeben, so daß ich hier für meine Fraktion, an die Bundesregierung die Frage stellte, ob die freien Berufe nach ihrer Auffassung überhaupt nicht zum Mittelstand gehören. Um all diese Probleme einmal mehr in das Bewußtsein des Parlaments und auch der Üffentlichkeit zu bringen, ist dann am 14. September 1977 von uns dieser Antrag gestellt worden. Das Ergebnis sind der Bericht des Bundesregierung und die Diskussion, die daran anschließend stattgefunden hat.Wir haben dann den Entschließungsantrag vom 29. August 1979 hier vorgelegt, über dessen Schicksal heute beraten werden soll.In dem Bericht der Bundesregierung ist eine Reihe von Gesichtspunkten dargestellt worden, denen wir voll zustimmen können. Vor allen Dingen sind wir sehr erfreut darüber, daß, wenn auch spät, so hoffentlich nicht zu spät, die Bundesregierung und die Koalition die Bedeutung der freien Berufe für unsere Gesellschaft und unsere Volkswirtschaft erkannt haben und die Bundesregierung dies auch in ihren Bericht hineingeschrieben hat. In dem Bericht sind auch eine Reihe von Maßnahmen angesprochen worden, die man einleiten wolle und könne, um Schwierigkeiten zu beheben. Aber — das möchte ich hier feststellen — bis heute ist nicht ein einziger dieser Vorschläge auch nur im Ansatz realisiert worden. Von daher stellt sich natürlich die Frage, wie ernst es die Bundesregierung mit ihrem eigenen Bericht meint, den sie hier vorgelegt hat.Ich meine, es genügt nicht, daß man im Wirtschaftsministerium ein zusätzliches Referat schafft, in dem die Probleme der freien Berufe behandelt werden sollen, sondern es geht um die Frage, welche konkreten Dinge hier politisch realisiert werden, die im Interesse der freien Berufe nötig sind. Denn nicht die Eröffnungsbilanz, sondern die Schlußbilanz ziert einen seriösen Kaufmann, und diese Schlußbilanz der Regierungspolitik ist aus der Sicht der freien Berufe ausgesprochen mager.Es hätte der Bundesregierung eigentlich gut angestanden, wenn sie sich auch einmal mit den Untersuchungen des Kölner Versicherungswissenschaftlers Professor Heubeck beschäftigt hätte oder die Thuringia-Studie etwas näher auf ihre Aussagen hin untersucht hätte, die sich mit diesen Fragen beschäftigt. Wenn man diese beiden sehr sorgfältigen Arbeiten einmal durchliest, dann könnte man zu der Auffassung kommen, daß wir auf dem Wege zu einer neuartigen Zwei-Klassen-Gesellschaft sind: auf der einen Seite der Teil unserer Gesellschaft, der sich auf der Grundlage einer gesicherten Altersversorgung immer mehr auf die 35-Stunden-Woche zubewegt, und auf der anderen Seite der Teil der Gesellschaft, der auch heute noch 60 bis 70 Stunden in der Woche arbeiten muß, um überhaupt seine Existenz sichern zu können, und dessen Altersversorgung in aller Regel ungesichert ist.
Das ist eine Entwicklung, die man nicht nur zur Kenntnis nehmen darf, sondern die gebietet, daß man auch konkret die Frage stellt: Wie wollen wir das ändern? Damit bin ich bei einem Punkt, der in dem Zusammenhang besonders wichtig ist, nämlich bei der Frage, wie man das Vorsorgedilemma, vor dem die freien Berufe stehen, regeln kann. Dazu schweigt die Bundesregierung.Im Mittelpunkt unseres Antrages stehen die Vorsorgeaufwendungen. Wir bedauern, daß die Bundesregierung Punkt 9 unseres Berichtsauftrages nicht nachgekommen ist, der dazu aufforderte, die Krankheits-, Alters- und Hinterbliebenenversorgung der freien Berufe und der anderen Selbständigen sowie der Arbeitnehmer im privaten und öffentlichen Bereich in bezug auf ihre unterschiedliche steuerliche Belastung zu prüfen. Die Bundesregierung hat zwar erklärt, die steuerliche Gleichbehandlung der Vorsorgeaufwendungen der Selbständigen und der Arbeitnehmer sei zu gewährleisten. Aber diesem Lippenbekenntnis sind keine Taten gefolgtZur Erfüllung dieser Zusage hätte die Hälfte der Vorsorgeaufwendungen der Selbständigen analog dem Arbeitgeberfreibetrag zur Sozialversicherung der Arbeitnehmer bis zur jeweiligen Höhe der Beitragsbemessungsgrenze in der Sozialversicherung steuerfrei bleiben müssen. Hier geht es nicht um eine Bevorzugung der freien Berufe oder der Selbständigen, sondern es geht um die Chancengleichheit in der Besteuerung mit den Arbeitnehmern, die wir herstellen wollen.Dabei ist für mich natürlich sehr interessant, daß Kollegen aus der FDP gerade dieses Thema der Vorsorgeaufwendungen sozusagen als die Ultima ratio
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Hauser
der Problematik der freien Berufe in Fernsehsendungen und öffentlichen Diskussionen darstellen, in den Ausschüssen des Bundestages aber, in denen wir dieses Thema beraten haben, mit der SPD gemeinsam unseren Antrag abgelehnt haben. Da frage ich mich natürlich: Was soll das? Dem Mittelstand und den freien Berufen ist mit schönen Sonntagsreden und irgendwelchen Interviews in entsprechenden Zeitschriften überhaupt nicht gedient, wenn man im Parlament, wo die Entscheidungen fallen, etwas anderes tut, als man vorher versprochen hat.
— Wissen Sie, Herr Kollege, wir halten Sonntagsreden und setzen sie nachher in politische Realität um, während Sie am Sonntagabend schon wieder alles vergessen haben, was Sie gesagt haben. Das ist der große Unterschied.
Ich glaube, wir müssen in dem Zusammenhang auch über ein anderes Thema sprechen, nämlich über die Frage der steuerbegünstigten Direktversicherung auch für die freien Berufe. Den Selbständigen muß wie den Arbeitnehmern auch nach § 40 b des Einkommensteuergesetzes das Recht gewährt werden, Aufwendungen für eine Direktversicherung bis zu 2 400 DM im Jahr mit dem günstigen Steuersatz von 10 % pauschal zu versteuern. Oder: Als eine Alternativmaßnahme speziell für ältere Freiberufler sollte die Möglichkeit zur steuerfreien Pensionsrückstellung gewährt werden, wie sie bereits heute bei Kapitalgesellschaften für Arbeitnehmer möglich ist. Ich glaube, daß wir über diese Dinge noch länger diskutieren müssen, und zwar ernsthaft und nicht nur in Form von irgendwelchen Willenserklärungen mit unwägbarem und kaum erkennbarem Ausgang. Wir müssen sehr konkret sagen, wann wir bereit sind, an dieses Thema heranzugehen.Es gibt einen dritten Punkt Die Beschlußempfehlung des Wirtschaftsausschusses, die heute zur Beratung ansteht, enthält keine Aussagen zu den Fragenkomplexen, die auch die Eingrenzung der Nebentätigkeiten der öffentlich Bediensteten zum Inhalt haben.
— Herr Kollege Schachtschabel, ich habe das sehr wohl gelesen. Aber ich will Ihnen gleich sagen, daß die Bundesregierung vor über einem Jahr erklärt hat, man wolle einen Gesetzentwurf vorlegen, der allerdings bis heute noch nicht den Schreibtisch des Referenten verlassen hat, geschweige denn parlamentsreif geworden ist. Das zeigt doch, wie ernst= haft Sie bereit sind, an dieses Thema heranzugehen.Was nützt es uns denn, daß Sie in diesen Bericht hineinschreiben, daß Sie dies alles tun wollen? Sie fügen sogar hinzu, das solle alles noch in der 8. Legislaturperiode erledigt werden. Aber wir haben jetzt ungefähr drei Wochen vor Schluß dieser Parlamentsperiode noch nicht einmal einen Referentenentwurf, geschweige denn eine Vorlage, die hier im Parlament zur Beratung anstehen könnte.Abgesehen davon läuft dieser Referentenentwurf, wenn man ihn überhaupt ernsthaft ansprechen will, in eine völlig falsche Richtung. Statt die Nebentätigkeit einzugrenzen, wird die Nebentätigkeit durch Vermutungstatbestände zementiert und eigentlich sogar legalisiert. Denn in diesem Referentenentwurf wird gesagt, daß erst dann eine Problematik entsteht, wenn die Nebentätigkeit eines öffentlich Bediensteten mehr als zehn Stunden in der Woche erreicht. Ich meine, zehn Stunden Nebentätigkeit, die nicht einmal mehr der Genehmigung bedürfen, sind viel schlimmer als das, was wir heute haben; denn heute kann der Dienstvorgesetzte durch Abwägung aller Aspekte Einfluß nehmen.Es kommt auch hier nicht so sehr darauf an, daß der Minister oder die Bundesregierung irgendwelche Absichten erklärt, sondern für uns ist wichtig, was hier in diesem Hause politisch realisiert wird.Lassen Sie mich hier abschließend ein Fazit ziehen. Ich meine, wenn man den Bericht der Bundesregierung und das, was in ihm steht, ernst nimmt und wenn man die Aussagen mancher Kollegen aus den Koalitionsfraktionen wirklich ernst nehmen könnte, wäre die parlamentarische Basis für eine Menge von Maßnahmen möglich gewesen. Daß dieses alles nicht zum Tragen gekommen ist, ist eigentlich das Allerbedauerlichste bei dieser Thematik.Wir werden zwar dem Ausschußbericht zustimmen, weil wir nicht wollen, daß er hier unter Umständen in ein Zwielicht gerät. Aber wir machen hier sehr deutlich, daß das, was dort gesagt wird, im Grunde den freien Berufen überhaupt nichts bringt. Es bringt uns in der Sache keinen Schritt nach vorne, es ist in Wirklichkeit nur weiße Salbe. Hier wird so getan, als sei man bereit, etwas zu unternehmen. In Wirklichkeit formuliert man nur Absichtserklärungen mit ungewissem Ausgang. Wir sind der Meinung, daß es an der Zeit ist, in dieser Frage sehr konkret zu werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Schachtschabel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf eine kleine Vorbemerkung machen. Verehrter Herr Kollege Hauser, ich hatte nicht gedacht, daß Sie zu den Kollegen gehören, die ein sachliches Thema wie das jetzt anstehende durch polemische und teilweise auch unzutreffende Ausführungen anzuheizen versuchen. Das hat mich wirklich überrascht.Sie werden sich erinnern, daß die hier zur Debatte stehende Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zum Bericht der Bundesregierung über die Lage der freien Berufe in der Bundesrepublik Deutschland im Ausschuß gegen die Stimmen der CDU/CSU durchgesetzt werden mußte.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980 17771
Dr. Schachtschabel— Lassen Sie mich doch einmal ausreden. Wir haben Ihre Ausführungen doch auch schweigsam angehört
Die Vertreter der SPD-Fraktion im Wirtschaftsausschuß — ich denke, das gilt auch für meine Kollegen von der FDP — bedauern, daß Sie dem nicht zugestimmt haben, denn wir hatten der CDU/CSU einen Vorschlag für eine von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages getragene Beschlußempfehlung unterbreitet, der die Möglichkeit geboten hätte, unsere gemeinsame Verantwortung — ich betone, Herr Kollege Hauser: unsere gemeinsame Verantwortung — für eine zukunftsweisende und sachgerechte Politik für freie Berufe zu dokumentieren und zu unterstreichen. Aber offenbar wollten Sie den Bereich der freien Berufe wieder sozusagen als Gralshüter absegnen, wie Sie das gern für bestimmte Bereiche unserer Wirtschaft zu tun pflegen.Ich spreche die Herren von der CDU/CSU an: Leider haben Sie dieser geschlossenen Haltung nicht zugestimmt obwohl Sie weder dem Bericht der Bundesregierung noch der hier vorliegenden Beschlußempfehlung Alternativen entgegenzusetzen hatten. Entkleidet man nämlich die Forderungen der CDU/ CSU von überflüssiger Polemik und unqualifizierten Vorwürfen gegen die Bundesregierung — wir haben davon ja einige gehört — und auch von den Vorwüfen gegen die Koalitionsfraktionen, so ist festzuhalten, daß die Opposition keine wesentlichen Beiträge zur Weiterentwicklung einer vernünftigen Politik für freie Berufe aufzeigt.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hauser?
Herr Kollege Professor Schachtschabel, sind Sie bereit, zuzugeben, daß die CDU/CSU-Fraktion im Wirtschaftsausschuß einen weitergehenden Antrag zur Abstimmung gestellt hat als den, von dem Sie jetzt sprechen, und sind Sie bereit, zuzugeben, daß unser Entschließngsantra der Ausgangspunkt dieser ganzen Diskussion gewesen ist, in dem wir mit sehr konkreten Maßnahmen im einzelnen dargestellt haben, was wir im Interesse der freien Berufe für politisch notwendig halten?
Herr Kollege Hauser, ich muß in Ihre Erinnerung zurückrufen — vielleicht haben Sie das übersehen oder vergessen oder wollen es nicht mehr wissen — , daß wir sowohl Ihren Entschließungsantrag als auch unsere Beschlußempfehlung in gemeinsamer Absprache zu einer einzigen Beschlußempfehlung umformulieren wollten. Dem sind Sie nicht nachgekommen. Das stelle ich hier nochmals fest. Und Sie hatten dagegen gar nichts weiter einzuwenden als die Tatsache, daß Sie nicht wollten. Sie haben einfach nicht gewollt. So ist das wirklich vor sich gegangen, und ich glaube, es war notwendig, das hier einmal in aller Deutlichkeit auszusprechen.
— Ach, reden Sie doch nicht immer von weißer Salbe, Herr Hauser! Das ist wahrscheinlich das einzige, was Sie verkaufen können.
Ich weißnicht, was Sie sonst noch machen. Aber lassen Sie das doch einmal, und bleiben Sie hier doch einmal sachlich!Die SPD und die FDP haben deshalb allein eine Beschlußempfehlung erarbeitet, die der Bedeutung der freien Berufe und der Notwendigkeit der Lösung noch anstehender Probleme Rechnung trägt. Dazu will ich Ihnen Antworten geben auf Ihre Vorwürfe, die Sie vorhin vorgetragen haben. Aus Zeitgründen können hier nicht alle einzelnen Punkte unserer Beschlußempfehlung erläutert werden; darin ist aber vieles enthalten, was als Antwort auf Ihre Vorwürfe gelten kann. Ich nehme nur zu den wichtigsten Aussagen Stellung.Die Beschlußempfehlung greift die Ausführungen in dem Bericht der Bundesregierung auf, daß Vorsorgeaufwendungen von Selbständigen und Arbeitnehmern einkommensteuerrechtlich gleichzubehandeln seien, soweit es der Grundsatz gleichmäßiger Besteuerung erfordert und zuläßt Herr Hauser, das muß man doch nicht extra noch einmal im einzelnen begründen, das wissen Sie als Steuerfachmann oder als jemand, der sich mit Steuerfragen befaßt, doch auch, was damit in etwa gemeint istDie SPD-Bundestagsfraktion hält diesen Hinweis für besonders wichtig und notwendig. Deswegen habe ich ihn noch einmal hervorgehoben. Er verdeutlicht, daß die SPD-Bundestagsfraktion bei der Erörterung dieser Problematik eine komplexere Betrachtungsweise für notwendig erachtet als die CDU/CSU.Die einseitige, teilweise maßlos übertriebene Darstellung der angeblichen Benachteiligung Selbständiger im Steuerrecht verkennt völlig, daß es umgekehrt auch eine Fülle von Tatbeständen gibt, die eindeutig zugunsten Selbständiger anzuführen sind. Ich denke z. B. an die vielen gezielten Finanzhilfen und Steuervergünstigungen in Milliardenhöhe, ferner aber auch an die besonderen Freibeträge für die Angehörigen der freien Berufe bei der Einkommensteuer oder aber an den Altersentlastungsbetrag, der 1975 mit der Steuerreform eingeführt worden ist Nicht zuletzt wirken sich auch die viel zitierten „Gestaltungsmöglichkeiten" und die Tatsache, daß ein großer Teil aller Selbständigen die Steuerabschlußzahlung zu spät leistet und dadurch in den Genua eines nicht unerheblichen Zinsgewinnes kommt, eindeutig zum Vorteil selbständig Tätiger
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17772 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980
Dr. Schachtschabelaus. Das sollte man hier wenigstens einmal aussprechen dürfen.
Wenn also von Chancengerechtigkeit gesprochen wird, muß bei aller prinzipiellen Anerkennung der Anliegen freier Berufe — ich betone: bei aller Anerkennung der Anliegen der freien Berufe — auch gesehen werden, daß sich diese Forderungen, wie meine Anmerkungen zeigen, in der Tat auch für die Arbeitnehmer erheben ließen.Über diese Bemerkung hinaus dürfte zudem unstrittig sein, daß bei künftigen Überlegungen über steuerliche Entlastungen — deren Umfang naturgemäß begrenzt ist, das weiß wohl jedermann — ökonomische und soziale Bedürftigkeitsrangfolgen ausschlaggebend sein müssen.In diesem Zusammenhang wird bei der Frage, wann und wie weit steuerliche Entlastungen anzusetzen sind, nicht unbeachtet bleiben können, daß den angeblich so stark benachteiligten freiberuflich Tätigen mit einem Durchschnittseinkommen von 1974 bereits 95 000 DM ein angeblich bevorzugter gewerblicher Arbeitnehmer — nach Angaben des Statistischen Bundesamtes — mit einem Durchschnittseinkommen von 20 000 DM jährlich für 1974 gegenübersteht.Nur ergänzend möchte ich im Hinblick auf die steuerliche Behandlung der Vorsorgeaufwendungen Selbständiger darauf verweisen, daß die Regierungskoalition mit Wirkung ab 1980 erst vor kurzem den Vorwegabzug von 2500 DM bzw. 5000 DM — bei Alleinstehenden bzw. Verheirateten — erhöht hat und darüber hinaus beabsichtigt, im Rahmen des neuerlichen Steuerpakets den Vorwegabzug wiedenim um 500 DM bzw. 1000 DM zu erhöhen.Aber ich komme auch noch auf einen anderen Punkt zu sprechen. Ich habe den Einwurf gemacht, ob Sie, Herr Kollege Hauser, die von uns formulierte Beschlußempfehlung überhaupt gelesen haben. Die Beschlußempfehlung fordert des weiteren dazu auf, die Nebentätigkeit von Angehörigen des öffentlichen Dienstes einzuschränken. Wir halten diese Forderung insbesondere unter Berücksichtigung beschäftigungspolitischer Aspekte für notwendig.Ich hatte bereits in der ersten Lesung des Berichts über die Lage der freien Berufe Gelegenheit, darauf hinzuweisen, daß wir an den grundgesetzlichen Bestimmungen in diesem Falle nicht vorbeigehen können, nach denen jedem Bürger das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit — Art. 2 Abs. 1 — gewährt wird. Dieses Grundrecht umfaßt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auch das Recht auf entgeltliche Verwertung der eigenen Arbeitskraft. Für einen Beamten bedeutet dies nach Maßgabe der Vorschriften des Beamtenrechts, daß der Dienstherr ihm eine Nebentätigkeit nur insoweit untersagen kann, als sie dienstliche Interessen beeinträchtigt. Auch das sollte man wissen, Herr Kollege Hauser. Denn mit lautstarken Forderungen, wie sie die CDU/CSU öffentlichkeitswirksam vorträgt, ist es nicht getan. Sondern hier gehört eine sehr sachkundige Überlegung und Überprüfung dazu.Im Gegensatz zu den unverbindlichen Erklärungen der Opposition hat die Bundesregierung konkret gehandelt und einen Referentenentwurf vorgelegt, der dieses Problem lösen will. Nach Lage der Dinge wird dieser Entwurf — das ist doch verständlich, Herr Kollege Hauser — erst in der nächsten Legislaturperiode behandelt werden können. So notwendig die baldige Behandlung ist, so wichtig ist es nach Auffassung der SPD-Bundestagsfraktion auch, darauf zu achten, daß die vorgesehenen Regelungen nicht etwa zu zunftähnlichen Beschränkungen führen.
Darauf hat dankenswerterweise auch mein Kollege Roth vorhin bei der Erörterung des ERP-Planes aufmerksam gemacht.Standespolitische Interessen dürfen nicht dazu führen, daß einem Bürger dieses Landes die Ausübung einer bestimmten wirtschaftlichen Tätigkeit verboten wird, obwohl er über die erforderliche berufliche Qualifikation verfügt und die einschlägigen rechtlichen Bestimmungen — etwa arbeits-, steuer-oder dienstrechtlicher Art — einhält. Verhindern wollen und werden wir allerdings — Herr Kollege Hauser, das sollten Sie sich vielleicht aufschreiben —, daß öffentlich Bedienstete den selbständigen Freiberuflern während ihrer Dienstzeit Konkurrenz machen. Hierzu bedarf es allerdings nicht, wie die CDU/CSU gelegentlich behauptet, einer weiteren Verschärfung des Schwarzarbeitergesetzes. Hierzu bedarf es lediglich einer strikten Anwendung des bestehenden Dienstrechtes. Dazu fordern wir nachdrücklich auch von dieser Stelle aus alle zuständigen behördlichen Institutionen auf.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hauser?
Ja, wenn mir das nicht von der Zeit abgenommen wird, Herr Präsident.
Herr Kollege Schachtschabel, darf ich Sie fragen, ob Ihnen noch in Erinnerung ist, daß in dem von Ihnen dem Parlament vorgelegten Bericht steht, daß diese Regelungen im Dienstrecht noch im 8. Bundestag verabschiedet werden sollen?
Herr Kollege Hauser, wenn Sie mit mir einverstanden sind und auch andere darüber beschließen, daß wir die Sitzungswochen dieser Legislaturperiode noch um eine weitere Woche ergänzen, könnten wir Ihrem Wunsch entsprechen. Ich bin aber sicher, daß Sie bestimmt nicht mitmachen.
Eine weitere Aussage der Beschlußempfehlung betrifft die öffentlichen Dienstleistungen. Diese sollen verstärkt an freiberuflich Tätige vergeben werden, wenn die Leistungen ohne Nachteile für die Allgemeinheit von diesen erbracht werden können.
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Deutscher Bundestag -- 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980 17773
Dr. SchachtschabelAuch dazu eine Stellungnahme, meine Damen und Herren: Die Frage, ob öffentliche Dienstleistungen von den Trägern der öffentlichen Verwaltung oder von Selbständigen ausgeführt werden sollen, ist für die SPD kein Tabu. Das Problem stellt sich nur dann, wenn mit der sogenannten Privatisierung Nachteile für die Allgemeinheit im weitesten Sinn entstehen, d. h. nach unserer Auffassung auch, wenn für davon betroffene Arbeitnehmer Nachteile aufkommen. Eine sogenannte — wie Sie das immer so gern formulieren — Entstaatlichung nach den Vorstellungen der CDU/CSU, die, anschaulich gesprochen, zur Privatisierung der Gewinne und zur Sozialisierung der Verluste führt, wird die SPD nicht mitmachen.Die in der Beschlußempfehlung in dem Bericht der Bundesregierung zur Lage der freien Berufe niedergelegten Maßnahmen und Anregungen werden nach Auffassung der SPD-Bundestagsfraktion dazu beitragen, daß die freien Berufe ihre wichtigen Aufgaben in Wirtschaft und Gesellschaft auch in Zukunft erfolgreich wahrnehmen können. Da bedarf es nicht extra eines Hinweises, man müsse das Thema überhaupt erst zur Debatte stellen; denn unsere Initiativen — und auch diese Initiative — sind zugleich weitere Kennzeichen für die solide und erfolgreiche Selbständigenpolitik der sozialliberalen Koalition.
— Die CDU/CSU will das nicht anerkennen, das ist klar. Sie malt Zukunft und Gegenwart der Selbständigen in Handel, Handwerk, im übrigen Gewerbe und in den freien Berufen in den düstersten Farben. Die CDU/CSU stellt sich damit ins wirtschaftspolitische Abseits; denn die Wirklichkeit sieht anders aus.
Dies gilt insbesondere für die freiberuflich Tätigen, deren Zahl weiter ansteigt und die vielfach zu den Spitzenverdienern in unserem Lande zählen.Ich schließe mit einem Zitat — und bitte um Erlaubnis, das anführen zu dürfen —
— Ja, das muß man Ihnen einmal sagen. Ich habe doch den Eindruck, daß Sie manches nicht lesen.Diese positive Beurteilung, die ich hier zugrunde gelegt habe, gilt nicht allein für die freien Berufe.Das Zitat lautet:Die Welt der mittelständischen Wirtschaft ist zur Zeit so heil wie schon seit vielen Jahren nicht mehr. Dies ergibt sich aus einer Umfrage der Wirtschaftsauskunftei Creditreform und gilt für Beschäftigungslage, Auftragseingang, Investitionsbereitschaft, . Zukunftserwartungen, Zahlungsfähigkeit und — wie aus diesen Kriterien geschlossen wird — auch für die Ertragslage.Meine Damen und Herren, diese Aussage ist nachzulesen in der Zeitung „Die Welt' vom 29. November1979 — damit uns keiner unterstellt, wir hätten sieaus irgendeiner sozialdemokratisch beeinflußten Mitteilung entnommen.
Der CDU/CSU wäre nur zu raten, möglichst rasch auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren, damit sie wieder ernstgenommen werden kann und damit wir auch die Probleme der freien Berufe, soweit sie gemeinsam gelöst werden müssen, gemeinsam lösen können. Wir haben es Ihnen angeboten, Sie haben nicht zugestimmt.
Das Wort hat der Abgeordnete Gattermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Hauser, Sie wollten mit den Freien Demokraten über Sonntagsreden sprechen. Ich bin gerne dazu bereit Die Mittelstandsvereinigung Ihrer Partei hat ein Programm vorgestellt, das allein in seinem steuerlichen Bereich 20 Milliarden DM kostet. Das muß man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Als aber Ihr Kanzlerkandidat sein Steuerpaket vorstellte, war von diesen Dingen nichts zu sehen. Was also ist eine Sonntagsrede?
— Vielleicht stellen Sie Ihre Frage noch etwas zurück; ich bringe noch ein anderes Beispiel.
Sie haben hier — das ist zum Thema gehörig — im Blick auf den Vorwegabzug bzw. die steuerliche Gleichstellung bei den Vorsorgeaufwendungen gefordert, daß alle Aufwendungen für die Altersvorsorge und Krankenversicherung bis zur Hälfte der Bemessungsgrundlage absetzungsfähig sein sollten. Auch das habe ich in dem Steuerpaket des nach seiner, aber auch nur nach seiner Ansicht zukünftigen Kanzlers nicht gelesen, Herr Kollege Hauser.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte, gern.
Herr Kollege Gattermann, ich unterstelle, daß Ihnen doch sicher auch bekannt ist, daß das Programm, das in Saarbrücken verabschiedet worden ist, ein Aktionsprogramm für die kommende Legislaturperiode ist, nicht aber ein Programm, das innerhalb weniger Wochen oder Monate realisiert werden kann. Deswegen frage ich Sie, ob Ihnen entgangen ist, daß man vernünftige Politik, wenn man sie überhaupt betreiben will, nur in langfristigen Perspektiven betreiben kann und daß wir die Absicht haben, dies in der kommenden Legislaturperiode zu tun.
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17774 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980
Herr Kollege Hauser, das Steuerpaket, um das wir uns im Augenblick im Bundesrat streiten und im Vermittlungsausschuß demnächst werden streiten müssen, ist ein Steuerprogramm, das zunächst einmal die Jahre 1980 und 1981 verkonsumiert Sagen Sie mir, wie Sie in der Restzeit der nächsten Legislaturperiode ein solches Mammutprogramm verwirklichen wollen. Dies war also eine Sonntagsrede. Ich nehme es Ihnen ja gar nicht übel, wenn Sie solche Reden halten. Werfen Sie uns dann aber bitte nicht vor, Sonntagsreden zu halten, wenn Sie selber welche halten. Das ist der Punkt.
Nun noch etwas anderes. Sie haben in diesem Zusammenhang behauptet, wir machten Versprechungen und gäben Erklärungen ab, stimmten dann aber dagegen.
Sie haben dabei einen ganz bestimmten Punkt im Auge gehabt. Sie haben dies auch schon im Zweiten Deutschen Fernsehen gesagt, und zwar unter Verdrehung des Tatbestandes. Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar, daß Sie dieses Thema angesprochen haben. Dadurch habe ich nämlich die Gelegenheit, eine Richtigstellung vorzunehmen.Ihr Antrag — das habe ich eben schon gesagt — zielt auf den gesamten Bereich der Aufwendungen für Altersvorsorge und Krankenversicherung. In diesem Bereich ist eine völlige schematische Gleichstellung, die ich im übrigen aus vielerlei Gründen gar nicht für gut und richtig halte, nicht finanzierbar. Unser Vorschlag, von dem ich in derselben Sendung gesprochen habe, bezieht sich ausschließlich auf Aufwendungen für die Krankenversicherung. Dazu werde ich gleich noch etwas sagen. Dann werden Sie merken, wie ernsthaft wir diesen Vorschlag, der auch nicht nur finanzierbar ist, sondern sogar Einsparungen bringt, verfolgen.Bei der ersten Aussprache über den Bericht der Bundesregierung über die Lage der freien Berufe habe ich für meine Fraktion erklärt, daß die freien Berufe ab sofort ein nicht mehr zu negierender politischer Faktor seien. Zum Abschluß der parlamentarischen Beratungen will ich dies noch einmal unterstreichen und den Stellenwert der freien Berufe in unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung deutlich machen.Die freien Berufe sind ein wichtiges und aktives Element in unserem Gemeinwesen. Ihre Aufgaben und Funktionen können, obwohl manche uns anderes glauben machen wollen, von staatlichen oder privaten Großorganisationen und Institutionen eben nicht ' besser, ja, in der Regel nicht einmal gleichwertig wahrgenommen werden. Es ist eine unleugbare Tatsache, daß die freien Berufe, wie in der Vergangenheit feststellbar, wesentlich dazu beitragen, den Freiheitsraum und damit auch die Lebensqualität des einzelnen Bürgers zu sichern. In unserer Gesellschaft, in der vielfach vor der Allmacht großer Organisationen resigniert wird, in der einzelne sich in eine neue Innerlichkeit oder in alternative Lebensweisen flüchten, sind die freien Berufe als Helfer, Mittler und Berater unverzichtbar. Daneben muß aber auch die gesamtwirtschaftliche Aufgabe und Bedeutung der freien Berufe unterstrichen werden. Ihr vielfältiges Angebot an Dienstleistungen, ihre Innovationsfähigkeit und -bereitschaft leisten einen wesentlichen Beitrag zur Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft, zum wirtschaftlichen Wachstum und zur Anpassung an den Strukturwandel.Vor fast genau zwei Jahren hat der Ausschuß für Wirtschaft einmütig das Hohe Haus gebeten, die Bundesregierung um einen Bericht über die Lage der freien Berufe in unserem Lande zu ersuchen. Es ist bedauerlich, daß diese Einmütigkeit offenbar wegen des bevorstehenden Wahltermins nicht bis zum Ende durchgehalten worden ist,
so daß hier heute zwei unterschiedliche Entschließungsanträge zur Beschlußfassung anstehen.Meine Damen und Herren, letztlich — und da stimme ich Herrn Kollegen Hauser ausdrücklich zu — ist aber nicht der Bericht als solcher entscheidend, letztlich ist auch nicht die Entschließung des Deutschen Bundestages entscheidend, sondern entscheidend sind die Konsequenzen, die in der praktischen Politik aus den Erkenntnissen des Berichts gezogen werden, um den freien Berufen auch in der Zukunft ihre Position im gesellschaftlichen Spektrum der Bundesrepublik Deutschland zu sichern, um die wirtschaftlichen Grundlagen ihrer Tätigkeit zu gewährleisten.Wir Liberalen suchen den Dialog mit den Betroffenen. Deshalb haben wir bereits vor der abschließenden Beratung des Berichts mit den Repräsentanten der freien Berufe ein Hearing durchgeführt. Wir haben dabei Erkenntnisse gewonnen, die den Schluß zulassen, daß die FDP-Fraktion in vielen Punkten mit den Auffassungen der Repräsentanten der freien Berufe übereinstimmt.Lassen Sie mich aus dem Bereich der steuerlichen Behandlung von Vorsorgeaufwendungen einen aktuellen Punkt herausgreifen. Eine freiberufliche Tätigkeit, die auch für die nachfolgenden Generationen attraktiv sein soll, setzt bei allem Mut zum Risiko auch die Möglichkeiten einer Absicherung gegen die Wechselfälle des Lebens voraus. Dies erfordert nicht, wie gelegentlich von interessierter Seite behauptet wird, die zwangsweise Einbeziehung aller Selbständigen in die gesetzliche Pflichtversicherung.
Auch nach Auffassung der FDP-Fraktion muß dem einzelnen Angehörigen der freien Berufe die Freiheit erhalten bleiben, selbst zu entscheiden, wie und wo er sich absichern will. Um diese Wahlfreiheit zu erhalten und zu erweitern, rechnet sich die FDP- Fraktion einen wesentlichen Beitrag daran zu, daß seinerzeit die gesetzliche Rentenversicherung für alle Selbständigen geöffnet wurde. Sie rechnet es sich auch als ein gewisses Verdienst an, daß beim sogenannten Vorwegabzug Anpassungen der Höchstbeträge vorgenommen wurden.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980 17775
GattermannMeine Damen und Herren, Sie wissen, daß auch im Rahmen des nun dem Bundesrat vorliegenden Steuerentlastungspakets eine weitere Erhöhung des Vorwegabzuges vorgesehen ist. Es muß aber mit aller Deutlichkeit gesagt werden, daß über das Mittel der Anhebung des Vorwegabzuges die steuerliche Ungleichbehandlung der Freiberufler und Selbständigen bei Vorsorgeaufwendungen auf Dauer nicht in den Griff zu bekommen ist. Dies wird daraus deutlich, daß von den Steuermindereinnahmen, die diese weitere Anhebung des Vorwegabzuges bewirken wird, nur knapp die Hälfte, zwischen einem Drittel und der Hälfte, bei den Selbständigen und den Freiberuflern ankommt Das bedeutet, daß bei kontinuierlicher Anhebung des Vorwegabzuges im Ergebnis die steuerliche Ungleichbehandlung zwischen Arbeitnehmern und Selbständigen nicht abgebaut, sondern verstärkt wird.Wir Freien Demokraten hätten es deshalb lieber gesehen, wenn an Stelle der allgemeinen Anhebung des Vorwegabzuges ein besonderer Selbständigenvorwegabzug für Krankheitsvorsorgeaufwendungen eingeführt worden wäre. Allerdings müssen wir selbstkritisch darauf hinweisen, daß wir diesen Vorschlag sehr spät, für die Beratung im Deutschen Bundestag zu spät in die Diskussion eingeführt haben angesichts der Fülle von wechselseitig abhängigen Maßnahmen, für die bereits Entscheidungen gefallen waren. Möglicherweise wird dieses Thema im Vermittlungsausschuß noch einmal aufgerollt werden. Es gibt ja ähnliche Vorschläge von Länderseite, die in dieselbe Richtung zielen. Der ungewöhnliche Scharm dieser Vorschläge, nämlich zielgenau zu wirken, Mitnehmereffekte zu vermeiden und gleichzeitig in schwieriger Haushalts- und Finanzlage beachtliche Einsparungen zu erzielen, müßte eigentlich eine Kompromißlösung in dieser Frage noch möglich machen.Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion stimmt mit den Repräsentanten der freien Berufe auch darin überein, daß z. B. bei der neueren Entwicklung im Medien- und Datenbereich sehr sorgfältig darauf geachtet werden muß, daß sowohl die Wettbewerbssituation der freien Berufe als auch die Privatsphäre des einzelnen Bürgers erhalten bleiben. Datenschutz, insbesondere im medizinischen Bereich, ist kein modischer Schnickschnack, sondern, wie auch anläßlich des 83. Deutschen Ärztetages in Berlin deutlich geworden ist, eine unabweisbare Notwendigkeit, wenn wir verhindern wollen, daß Orwellsche Visionen schon vor dem prognostizierten Zeitpunkt 1984 Realität werden. Auf der anderen Seite aber eröffnen die neuen Medien auch für die freien Berufe neue Möglichkeiten der Rationalisierung und der Verbesserung des Leistungsangebots.Meine Damen und Herren, Entstaatlichung und Nebentätigkeit öffentlich Bediensteter sind zwei weitere Problemkreise, die von den Angehörigen der freien Berufe breit diskutiert werden. Ich brauche nicht zu betonen, daß der Gedanke, alles oder doch möglichst viel durch den Staat erledigen zu lassen, dem liberalen Verständnis unserer Gesellschaft widerspricht. Dabei verkenne ich nicht, daß der moderne Staat als Rechts- und Sozialstaat auch im Bereich der Daseinsvorsorge und -fürsorge zahlreiche Aufgaben zu erfüllen hat. Fraglich ist aber, ob all das, was heute praktiziert wird, wirklich in diesem Umfange notwendig ist und für alle Zeiten festgeschrieben sein muß. Sollten — das frage ich Sie — nicht auch die Deutsche Bundespost oder die Technischen Uberwachungsvereine etwas mehr Zurückhaltung üben, statt immer neue Märkte aufzureißen? Es stimmt mich nachdenklich, wenn der Technische Überwachungsverein z. B. in München oder in Hannover unter Hinweis auf seine amtliche Beauftragung in einzelnen Bereichen sein Tätigkeitsfeld zu Lasten der freien Sachverständigen in anderen Sektoren ausdehnt Zwar belebt Konkurrenz das Geschäft, aber wenn dies unter Ausnutzung einer quasi amtlichen Stellung geschieht, ist die notwendige Waffengleichheit nicht mehr gewährleistet.
An Stelle bloßer Lippenbekenntnisse für die freien Berufe müssen daher nach unserer Überzeugung — und dies gilt für die unionsregierten Länder, aber auch für die anderen; es gilt für alle — auch im Bereich der Länder entsprechende Aktivitäten ergriffen werden.Was die Problematik der Nebentätigkeit öffentlich Bediensteter betrifft, so zeichnen sich nach meiner Einschätzung einige positive Tendenzen ab. Mit ihrem Referentenentwurf zur Einschränkung von Nebentätigkeiten, der zur Zeit mit den Verbänden und Gewerkschaften diskutiert wird, bemüht sich die Bundesregierung im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen darum, derartige Tätigkeiten einzuschränken. Diese Bestrebungen sind uneingeschränkt zu begrüßen. Gleichfalls positiv zu bewerten ist das Bemühen insbesondere der Architektenschaft, mit den Gewerkschaften und Standesorganisationen der im öffentlichen Dienst Beschäftigten ins Gespräch zu kommen. Es ist zu hoffen, daß bei diesen Diskussionen Lösungen gefunden werden.Gleichwohl sollte man sich davor hüten, das Kind mit dem Bade auszuschütten und ohne Differenzierung Nebentätigkeiten eo ipso zu verteufeln. Professoren der Rechtswissenschaft schreiben Gutachten und können als Strafverteidiger auftreten; Leiter von Forschungslaboratorien in der Industrie sind gleichzeitig Hochschulprofessoren; Architekten leiten ihre Büros, halten aber auch Vorlesungen an Universitäten. Wollte man dies alles grundsätzlich unterbinden, so würde doch einiges an notwendiger praktischer Erfahrung, die gerade für die Ausbildung junger Akademiker immer wieder verlangt wird, verlorengehen.Meine Damen und Herren, im öffentlichen Gesundheitswesen oder in den zahnärztlichen Fachbereichen ist es — man mag das bedauern oder nicht — wegen der doch recht guten Einkommenssituation der Praktiker kaum mehr möglich, ohne die Erlaubnis zu Nebentätigkeiten auf längere Zeit qualifizierte Kräfte zu erhalten.Mit der Neufassung der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure sowie der Novellierung
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17776 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980
Gattermannder Rechtsanwaltsgebührenordnung — die übrigens nach Auffassung der FDP-Fraktion in einigen Punkten noch verbessert werden muß und bei der sich einige abenteuerliche Vorstellungen des Bundesrates unter gar keinen Umständen durchsetzen dürfen — wird dem Grundsatz Rechnung getragen, daß der Staat dort, wo er die Einkommen reglementiert, zugleich ein angemessenes Auskommen sichern muß. Dies gilt auch heute noch, gerade im Hinblick auf die nachdrängenden Berufsanfänger.Das letzte Stichwort: „Akademikerschwemme". Es löst nicht nur bei den freien Berufen, sondern auch bei der dadurch betroffenen Studentengeneration Fragen und Besorgnis aus. Globale Aussagen helfen hier aber nicht weiter. Vielmehr ist nach einzelnen Berufen zu differenzieren.Wenn es im Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen heißt, das große Nachwuchspotential sei eine Chance, so ist das nicht nur als Chance für die freien Berufe zu sehen, Nachwuchsprobleme zu lösen. Es ist auch eine Chance für die Gesellschaft, die Qualität des Dienstleistungsangebots der freien Berufe zu verbessern, hier und da auch durch Steigerung der Qualifikationsnorm.Meine Fraktion betrachtet die heutige Debatte nicht als einen Schlußstrich unter dem Kapitel „Freie Berufe". Sie ist nicht bereit, noch einmal zwanzig Jahre ins Land gehen zu lassen, bevor man sich der freien Berufe wieder annimmt. Sie wertet diese Debatte als Auftrag, weiterhin alle Bemühungen um die gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Absicherung und den Ausbau der freien Berufe zu unterstützen. Dies sind wir den freien Berufen, ihren Angehörigen und Mitarbeitern, aber auch den ins Berufsleben drängenden jungen Akademikern schuldig.
Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich bin besonders mit der letzten Bemerkung des Kollegen Gattermann völlig einverstanden, daß es nicht wieder zwanzig Jahre dauern darf, bis wir uns mit diesem Thema beschäftigen, und daß dies auch nicht der Abschluß einer Debatte über die Lage der freien Berufe sein kann. Diese Debatte wird fortgeführt werden müssen, wie vieles andere, was sich selbstverständlich nicht an einem Tag und in einem Aufgalopp erledigen läßt.Ich denke, die Tatsache dieser Debatte, die Tatsache, daß diese Probleme wieder mehr ins Bewußtsein der Öffentlichkeit und damit ins Bewußtsein der politischen Kräfte gerückt sind, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß die Bundesregierung und in der Bundesregierung das Bundesministerium für Wirtschaft sich intensiver, als es früher der Fall gewesen war, mit dieser Frage beschäftigt haben. Es kommt natürlich nicht darauf an, Herr Kollege Hauser, daß man ein Referat einrichtet, Es kommt darauf an, was man in diesem Referat veranstaltet und ob man Dinge in Bewegung bringt. Ich habe aus IhrenÄußerungen entnommen, daß uns dies jedenfalls gelungen ist. Für diese Bestätitgung zunächst einmal herzlichen Dank!
— Ich weiß natürlich sehr wohl: Sie wollten anders verstanden sein. Aber lassen Sie mich das ruhig einmal so interpretieren.Die Bundesregierung hat in ihrem Bericht über die Lage der freien Berufe deutlich hervorgehoben, daß eine Vielzahl unabhängiger Freiberufler ebenso wie eine breite Schicht leistungsfähiger kleiner und mittlerer Unternehmen wesentliche Voraussetzung für ein vielfältiges und breites Leistungsangebot, für einen wirksamen Wettbewerb und damit für das Funktionieren unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist.Die steigende Zahl von Selbständigen und Freiberuflern sehe ich als Erfolg der konsequenten Politik der Bundesregierung an, die auch Gründung und Aufbau selbständiger Existenzen fördert. Daneben liegt natürlich die Sicherung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit bestehender Unternehmen, Praxen und Büros im gesamtwirtschaftlichen Interesse. Die gerade von den freien Berufen erhobene Forderung nach weniger Staat und mehr Freiheit ist in meinen Augen besonders begrüßenswert. Sie zeigt, daß auch die freien Berufe — ich möchte hinzufügen: wahrscheinlich gerade die freien Berufe — bereit und willens sind, sich dem Wettbewerb zu stellen. Eingriffe des Staates, z. B. mit dem Ziel einer Einschränkung und Beseitigung dieses Wettbewerbs, bedürfen in jedem Fall einer besonderen Rechtfertigung. Sie müssen die Ausnahme bleiben.Genau dies hat die Bundesregierung in ihren Grundsätzen einer Politik für freie Berufe, die als Richtschnur staatlichen Handelns anzusehen sind, ausdrücklich bekräftigt. Wenngleich z. B. in weiten Teilen des Gesundheitswesens aus sehr verständlichen Überlegungen wettbewerbliche Steuerungsmechanismen von übergeordneten Gesichtspunkten überlagert werden — das gilt im übrigen nicht nur für die freien Berufe, die hier tätig sind, sondern auch für die Pharmaindustrie, wie ich vor vierzehn Tagen schon einem in einem Vortrag darlegen konnte oder mußte —, so gilt es dennoch, allen Bestrebungen nach mehr Staat um jeden Preis auch in diesem Bereich entgegenzutreten. Überlegungen z. B., die auf eine Verlagerung wesentlicher, bisher von niedergelassenen Ärzten wahrgenommener Funktionen auf staatliche Stellen abzielen, widersprechen nicht nur unserer liberalen Politik, sondern wirken sich auch, wie die Erfahrungen in anderen europäischen Ländern deutlich gezeigt haben, negativ für den einzelnen Bürger aus.
Die freie Arztwahl und die ambulante medizinische Versorgung durch niedergelassene Ärzte und Zahnärzte sind Säulen unseres freiheitlichen Gesundheitswesens. — Aber, meine Damen und Herren, wenn Herr Hauser diese Auffassung soeben mit dem Zwischenruf „Sehr richtig!" bestätigt, verstehe ich noch weniger, was sich da im Bundesrat ereignet
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980 17777
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffhat; denn dort sieht die Opposition es offensichtlich anders. Sonst wäre es nämlich nicht zu erklären, daß sie dort entgegen — —
— Lassen Sie mich doch erst einmal ausreden, Herr Kollege.
Wir bleiben schön bei der Einteilung, daß Sie die Opposition sind und wir die Regierung; das wird auch noch eine Weile so bleiben, Herr Waigel.
Die Opposition, meine Damen und Herren, sieht das offensichtlich anders, denn sonst wäre es ja nicht zu erklären, daß sie im Bundesrat entgegen allen sonst üblichen Beteuerungen den Umfang ärztlicher Versorgung in Polikliniken ausweiten wollte und dies mit Kostenüberlegungen motiviert hat. Da bin ich allerdings der Ansicht, hier würde ein Stück Freiheit aus kurzsichtigen Überlegungen vergeben. Natürlich ist eine Kostendämpfung im Gesundheitswesen erforderlich, aber das darf ja wohl nicht zu einseitigen und globalen Belastungen führen. Wichtig ist vielmehr, daß die Gestaltungsfreiheit des einzelnen erhalten bleibt und daß er selbst wählen kann, wie er sich absichern will. Wahlmöglichkeiten und Selbstbeteiligungsmodelle dürfen in dieser Diskussion nicht von vornherein tabu sein; sie müssen ebenso wie andere Alternativen in ihrem Für und Wider gründlich abgewogen werden.Meine Damen und Herren, zum Ende dieser Legislaturperiode ist es angebracht, noch einmal darauf hinzuweisen, daß sich die Bundesregierung nicht mit leeren Versprechungen begnügt, sondern Entscheidendes auch zur Absicherung der wirtschaftlichen Grundlage der freien Berufe getan hat. Die unter Federführung des Bundeswirtschaftsministeriums durchgeführte Novellierung der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure soll zu wesentlichen Verbesserungen führen. Nun gilt es — hier bitte ich um Ihre Mithilfe —, dies auch im Bundesrat durchzusetzen. Damit wird gerade die Existenz solcher Berufsbereiche gesichert, die besonders stark von konjunkturellen Schwankungen betroffen sind.Auch für die Rechtsanwälte ist eine Verbesserung der Gebührenordnung von der Bundesregierung vorgelegt worden. Sie befindet sich zur Zeit in der parlamentarischen Beratung. Durch die Verabschiedung des Prozeßkostenhilfegesetzes ist dabei sichergestellt, daß hier keine Zugangsbarrieren für einkommensschwache Bevölkerungsschichten aufgebaut werden.Auch im Bereich des Sachverständigenwesens — das gilt zugleich für Dolmetscher und Übersetzer — werden wir in der kommenden Legislaturperiode über eine Anhebung im Bereich des Zeugen- und Sachverständigenentschädigungsgesetzes reden müssen, denn man kann von unabhängigen Sachverständigen nicht verlangen, daß sie viel geringereStundensätze vergütet bekommen, als staatliche oder halbstaatliche Organisationen — ich nenne hier z. B. die Technischen Überwachungsvereine oder die Landesgewerbeämter — für die gleiche Tätigkeit verlangen.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir einen kurzen Blick über die Grenzen nach Europa. Wenn auch hin und wieder Haushaltsforderungen und Bürokratie in den Mittelpunkt der Diskussion rücken, so sind mit dem Begriff Europäische Gemeinschaft sehr konkrete Vorstellungen und deutliche Vorteile verbunden wie die Öffnung der Grenzen, der Verzicht auf Kontrollen und die Freiheit, in jedem europäischen Mitgliedstaat zu arbeiten und sich dort niederzulassen. Für die freien Berufe sind Niederlassungsfreiheit und Freizügigkeit im Dienstleistungsverkehr in Europa mit Hoffnungen, zugleich aber auch mit Problemen verbunden. Daß die angestrebte Freizügigkeit in der Gemeinschaft nicht zu einer Beseitigung gewachsener und bewährter Berufsbilder, wohl aber zu einer schrittweisen Annäherung führt, dafür wird die Bundesregierung Sorge tragen.Die erzielten Fortschritte bei der Rechtsangleichung für Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte und Rechtsanwälte gilt es auszubauen und schrittweise um Freizügigkeitsregelungen, z.B. bei Architekten und Ingenieuren, Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern sowie anderen Berufsgruppen, zu erweitern. Wir wissen sehr wohl, daß dabei im einzelnen sehr schwierige und komplizierte Abgrenzungsfragen auftreten, die weit in die Interessenbereiche dieser Berufsstände hineingehen. Aber wir werden darauf achten, daß das Kernproblem der Freizügigkeit freier Berufe, nämlich die Anerkennung der Diplome im Sinne einer qualitativen Anerkennung, im Vordergrund steht und dort auch bleibt.In unserem eigenen Land ist im Bereich der Dienstleistungen sowohl die Zahl der Erwerbstätigen als auch die Zahl der Selbständigen seit 1970 gestiegen. Dies gilt auch für die Entwicklung in verschiedenen freien Berufen. So hat seit 1972 nicht nur die Zahl der selbständigen Berufsangehörigen, z.B. bei den Ärzten, Tierärzten, Steuerberatern, Apothekern, Wirtschaftsprüfern und Architekten, absolut zugenommen, sondern die Tendenz zu größeren Praxen, Büros und Sozietäten hat auch dazu geführt, daß die Zahl der abhängig Beschäftigten in den freien Berufen gewachsen ist. Dies bedeutet nicht, daß alle diejenigen, die heute oder morgen einen freien Beruf ergreifen werden, eine staatliche Einkommensgarantie erhalten. Die Zeiten stetiger Einkommenszuwächse und völlig problemloser Existenzgründungen — ich glaube, dies müssen wir auch der jüngeren Generation sagen — gehören sicher der Vergangenheit an. Aber es ist — entgegen dem hier und da gezeichneten Schreckensbild eines am Hungertuch nagenden Apothekers, Arztes, Anwalts oder Steuerberaters — gleichwohl darauf hinzuweisen, daß Freiberufler — bei entsprechendem Mut zum Risiko und zur Verantwortung, der aber bei jedem potentiellen Selbständigen vorausgesetzt werden sollte — auch in den nächsten Jahrzehnten17778 Deutscher Bundestag 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffgute Berufschancen haben werden. Wir bemühen uns jedenfalls darum, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen.Ich möchte an dieser Stelle, meine Damen und Herren, die Anstrengungen derjenigen Selbständigen und Freiberufler hervorheben, die durch Bereitstellung von Ausbildungsplätzen zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit wirkungsvoll beigetragen haben. Dies gilt um so mehr, als mehr als 90 % der in freien Berufen Auszubildenen Frauen sind, die als Arzt- und Zahnarzthelferin, Rechtsanwalts- oder Steuerberatergehilfin arbeiten werden.Für den Bereich der Selbständigen und der freien Berufe sind die Fragen der Alterssicherung und Krankheitsvorsorge von besonderer Bedeutung. Es ist nur verständlich, daß sich die bisherige Debatte auf diesen Punkt sehr konzentriert hat. Zur Schaffung von berufsständischen Versorgungswerken wurde in vielen freiberuflichen Bereichen eine begrüßenswerte Eigeninitiative ergriffen. Die Bundesregierung hat den Wünschen der Selbständigen durch die wiederholten Erhöhungen des sogenannten Vorwegabzugs im Rahmen der Sonderausgaben Rechnung getragen. Auch im Steuerreformgesetz 1981, das zur Zeit im Bundesrat diskutiert wird, sind wiederum Verbesserungen bei den Vorsorgeaufwendungen Selbständiger vorgesehen. Mir persönlich, meine Damen und Herren, erscheint z. B. der vom Bundesverband der Freien Berufe, der in den Jahren seiner Existenz übrigens ein wichtiger und geschätzter Gesprächspartner der Bundesregierung geworden ist, gemachte Vorschlag eines Selbständigen-Vorwegabzugs zur Krankenversicherung interessant, weil er den Belangen selbständig Tätiger gezielt Rechnung trägt und zugleich teure Mitnahmeeffekte vermeidet.Im Rahmen der Altersversorgungsdiskussion wird auch über Regelungen für Selbständige diskutiert — das Stichwort ist vorhin gefallen: § 40b oder 34 d —, die analog der Betriebsrentenregelung für Arbeitnehmer im gewerblichen Bereich wirken. Allerdings — diese meine Warnung richtet sich an die freien Berufe — darf der Grundsatz der steuerlichen Gleichbehandlung bei Vorsorgeaufwendungen Selbständiger nicht im Sinne einer schematischen Übernahme bestehender und für Arbeitnehmer geltender Regelungen mißverstanden werden. Unsere Aufgabe ist es vielmehr, sachgerechte Lösungen zu entwickeln, die den besonderen Belangen der Selbständigen Rechnung tragen.Ich möchte sehr deutlich sagen, Herr Kollege Hauser, daß der Inhalt einer solchen Debatte doch auch darin bestehen muß, über Absichtserklärungen, die Sie kritisiert haben, miteinander zu sprechen. Sie haben schließlich gesagt, auch Sie hätten in Saarbrücken ein Aktionsprogramm für die Zukunft erarbeitet. Auch dies ist doch nichts anderes als eine Absichtserklärung, und Absichtserklärungen sollten — auf Dauer gesehen — natürlich dann, wenn es finanziell vertretbar ist, Taten folgen. Schlecht ist es, wenn die Absichtserklärungen selbst aufgegeben werden. Dafür hat der Kollege Gattermann vorhin einige betrübliche Beispiele aus Ihrem Bereich vorführen können.Es ist wichtig, daß den Angehörigen der freien Berufe die Freiheit erhalten bleibt, selbst zu entscheiden, wie sie ihre Alters- und Krankheitsvorsorge entsprechend ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gestalten wollen. Alle Bestrebungen, die Öffnung der gesetzlichen Rentenversicherung für Selbständige und die damit eingeräumte Wahlmöglichkeit in Richtung auf eine Pflichtversicherung zu modifizieren, werden auf meinen energischen Widerstand stoßen.Die Diskussion über Aufgaben und Funktionen der freien Berufe, die von der Bundesregierung auf Grund ihres Berichts in das Bewußtsein einer breiten Offentlichkeit getragen wurde, gilt es auch in Zukunft fortzuführen. Die Bundesregierung wird dabei den Verbänden und Kammern der freien Berufe Hilfe und Unterstützung gewähren. Allerdings verpflichtet die in Anspruch genommene Freiheit auch die freien Berufe, Gruppen- und Standesinteressen zum Wohle der Allgemeinheit zurückzustellen. Wir als Bundesregierung stehen nicht hier, um irgend jemandem nur Rechte, nur Freiheiten, nur Chancen zusprechen zu wollen, sondern wir müssen ihm gleichzeitig sagen, daß es auch Pflichten und Verantwortung gibt. Wir stellen fest, daß diese Ausgewogenheit von den Vertretern der freien Berufe ebenso gesehen wird. Ein Ausruhen auf Lorbeeren kann es bei Berufsgruppen, die sich wie die freien Berufe einer besonderen Anerkennung und Bedeutung erfreuen, nicht geben. Öffentliche Anerkennung — das wissen wir alle, und das wissen auch die Vertreter der freien Berufe — muß immer wieder neu erkämpft werden.Die freien Berufe sind nicht nur heute unverzichtbarer Bestandteil unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Ihre Aufgaben werden gerade bei der Lösung zukünftiger Probleme im Gesundheits-, Informations-, Umwelt-, Technologie- und Energiesektor und in vielen anderen Bereichen noch größer und wichtiger werden. Deshalb kann ich hier feststellen, daß die Bundesregierung die Unabhängigkeit der freiberuflich Tätigen, die den Freiheitsraum des einzelnen Bürgers und damit ein wichtiges Stück Lebensqualität gewährleistet, heute und auch morgen sicherstellen wird. — Ich bedanke mich für ihre Aufmerksamkeit.
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4154 unter Ziffer I die Annahme einer Entschließung. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so angenommen.Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4154 unter Ziffer II, den Entschließungsantrag der Abgeordneten Hauser und der Fraktion der CDU/ CSU auf Drucksache 8/3276 für erledigt zu erklären. Erhebt sich dagegen Widerspruch. — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980 17779
Vizepräsident Frau RengerIch rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Genfer Protokoll von 1979 zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen— Drucksache 8/3985 —Beschlußempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Wirtschaft
— Drucksache 8/4149 —Berichterstatter: Abgeordneter Stommel
Interfraktionell ist eine Debatte mit Kurzbeiträgen verabredet. Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kittelmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion stimmt den Ergebnissen der Verhandlungen der GattRunde zu. Diese Ergebnisse können ein wirkungsvolles Instrumentarium gegen das Vordringen weiterer protektionistischer Tendenzen sein.Die Resultate sind kein Grund zum Jubeln, aber im Hinblick auf die Erwartungen durchaus befriedigend. Die CDU/CSU stellt fest, daß eine Bewährungsprobe bestanden wurde und es für die Zukunft jeder Anstrengung wert ist, das GATT als das zentrale Welthandelsinstrument zu erhalten.Besonders herzlichen Dank möchte die CDU/ CSU bei dieser Gelegenheit den zahlreichen Mitgliedern des Wirtschaftsministeriums abstatten, die sich im unermüdlichen Einsatz dieser harten Arbeit der Nachtverhandlungen unterzogen haben. Wir haben das heute im Wirtschaftsausschuß auch schon getan.
Maßstab für die kritische Bewertung des Verhandlungsergebnisses ist die Tokio-Erklärung von 1973. Die dort gesetzten Ziele waren erstens die Ausweitung und weitere Liberalisierung des Welthandels, zweitens die zusätzlichen Vorteile für den internationalen Handel der Entwicklungsländer. Erreicht werden sollten diese Ziele durch eine Zollsenkung und die Verringerung oder Beseitigung nichttarifärer Handelshemmnisse, die Untersuchung des geltenden Schutzklauselsystems im Hinblick auf eine weitere Handelsliberalisierung, die Einbeziehung der Landwirtschaft in die Verhandlungen unter Berücksichtigung ihrer besonderen Merkmale und Probleme — ein besonderes Problem — und viertens die vorrangige Behandlung tropischer Erzeugnisse.An diesen Verhandlungszielen gemessen ergibt sich insgesamt ein befriedigendes Verhandlungsergebnis. Abgesehen von der Schutzklauselfrage sind in allen anderen Bereichen, die die Tokio-Erklärung nennt, substantielle Fortschritte erzielt worden.Vor allem sind die Vorteile für die Entwicklungsländer beträchtlich. Zum einen gilt das für die Zollkonzessionen, die bei den sie besonders interessierenden tropischen Produkten gemacht wurden. Des weiteren dürfte aber für die Entwicklungsländer auf Dauer auch die Eindämmung der nichttarifären Handelshemmnisse eine noch größere Bedeutung haben. Das gilt um so mehr, als den besonderen Verhältnissen der Entwicklungsländer durch Sonderregelungen Rechnung getragen worden ist.Von ganz grundlegender Bedeutung für die Entwicklungsländer muß aber die Anerkennung eines Sonderstatus bei der Fortentwicklung des GATT- Rechtsrahmens sein. Den Entwicklungsländern bringen sie in multilateralen Handelsverhandlungen sehr wichtige Vorteile, sowohl durch das Gesamtergebnis als auch durch die spezifischen Zugeständnisse in der Gemeinschaft.Den Industrieländern ist zugute zu halten, daß sie sich bemüht haben, den Interessen und Problemen der Entwicklungsländer, vor allem der ärmsten unter ihnen, in allen Verhandlungsbereichen weitgehend Rechnung zu tragen. Wenn die Erwartungen, die die Entwicklungsländer gehabt haben, trotzdem nicht alle erfüllt wurden, so ist doch zu hoffen, daß immer mehr Entwicklungsländer die erzielten Ergebnisse letztlich akzeptieren werden. Vor allem aber ist zu hoffen, daß die Entwicklungsländer immer mehr erkennen, daß sie im GATT mehr erreichen, als das auf vielen anderen politischen Konferenzen vorher der Fall war.Die CDU/CSU gibt der Hoffnung Ausdruck, daß immer mehr Entwicklungsländer ihre Energien nicht auf eine ideologisch bedingte Veränderung einer neuen Weltwirtschaftsordnung lenken, sondern erkennen, daß ihre handelspolitische Zukunft in einer liberalen Weltwirtschaft liegt.
Das Verhandlungsergebnis bedeutet auch insofern einen Erfolg, als die wichtigsten Handelsnationen der Welt zumindest teilweise wieder vom Protektionismus abgegangen sind, der sich in den letzten Jahren immer breiter gemacht hatte. Die CDU/ CSU bekräftigt, daß das Ergebnis auch für die EG grundsätzlich einen Gewinn darstellt. Zwar sind nicht alle Ziele erreicht worden, aber immerhin ist ein wesentlich besserer Zugang zum amerikanischen und japanischen Markt gesichert worden. Das gilt auch für die Märkte anderer entwickelter Länder.Erhebliche Zugeständnisse sind, wie in dem Bericht der Europäischen Gemeinschaften vom 12. Oktober 1979 von der Kommission festgestellt wird, auch den Staatshandelsländern gemacht worden. Trotzdem sind die StaatshandeLsländer nicht bereit gewesen, dafür eine entsprechende Gegenleistung zu erbringen. So hat Ungarn — wie aus dem Bericht hervorgeht — sein Angebot im Zollbereich zurückgenommen. Die Angebote der Tschechoslowakei und Rumäniens beziehen sich auf Zölle, deren Bedeutung fraglich ist. Keines dieser Länder hat dem Antrag entsprochen, die Käufe bestimmter Warenkategorien beim Vertragspartner zu steigern. Es darf in dieser Frage bei der steigenden Anzahl von
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17780 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980
KittelmannStaatshandelsländern nicht übersehen werden, daß es zumindest problematisch erscheint, wenn immer mehr Länder Mitglied des GATT werden, die in ihrem Kern eine liberale Weltmarktwirtschaft ablehnen.Es kann auch nicht bestritten werden, daß Zollsenkungsrunden langsam an die Grenzen ihrer Möglichkeiten stoßen. Der Zoll verliert deshalb langfristig als Gegenmaßnahme zu protektionistischen Barrieren an Wert. Wenn auf diesem Gebiet die vorhandenen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, gilt es, neue Möglichkeiten zu erdenken. Um so dringlicher werden in Zukunft die nicht vom Zoll betroffenen. protektionistischen Instrumente einer kritischen Würdigung zu unterziehen sein. Hierbei geht es vor allen Dingen um administrative Maßnahmen, die den Protektionismus begünstigen.Im Mittelpunkt des Interesses der CDU/CSU- Fraktion wird deshalb in Zukunft stehen, wie weit die Bemühungen der Bundesregierung gehen, diese Barrieren kurz- oder langfristig abbauen zu helfen. Dabei ist das öffentliche Auftragswesen von besonderem Interesse. Schon heute kann man bemerken, daß bei Auftragsvergaben z. B. im Off-shore-Bereich, die in Milliardenhöhe gehen, der deutsche Markt ausgespart wird. Hier gilt es, sehr aufmerksam die weitere Entwicklung zu beobachten und auch auf diesem Gebiet konstruktive Lösungen zu finden.Die in einer liberalen Weltwirtschaft immer wieder aufgezeigten Chancen und Möglichkeiten gilt es vor allen Dingen auch dann auszunutzen, wenn es einer Regierung schwierig erscheint und man sich auf diesem Gebiet unpopulär macht Auch wenn die Ara der großen GATT-Konferenzen beendet sein sollte, gibt es eine Menge spezifischer Einzelmaßnahmen zu treffen, mit denen entsprechend der Bedeutung des GATT Protektionismus immer wieder abgewehrt wird.Zusammenfassend kann die CDU/CSU-Fraktion nochmals ausdrücklich betonen, daß sie das erreichte Ergebnis begrüßt, obwohl im nichttarifären Bereich weiterhin erhebliche Handelshemmnisse bestehen, deren Beseitigung für einen funktionsfähigen Welthandel dringend erforderlich istDie CDU/CSU fordert die Bundesregierung auf, sich weiter dafür einzusetzen, daß vorläufige Schutzzölle auch von westlichen Partnern nur dann eingesetzt werden, wenn wirklich eine Beeinträchtigung der einheimischen Industrie durch gedumpte oder subventionierte Importe vorliegt. Ich persönlich ermutige auch zu einer weiteren selbstkritischen Haltung der EG im Hinblick auf den Protektionismus im Agrarmarkt.Das Ergebnis der Tokio-Runde ist ein Zeichen von Hoffnung für einen liberalen Welthandel. Erforderlich wäre eine Übernahme dieser Grundsätze auch auf andere internationale Konferenzen im Nord-Süd-Dialog, z. B. bei der UNCTAD.Die CDU/CSU stimmt dem Gesetz zu und nimmt die Mitteilung der EG-Kommission über multilaterale Handelsvereinbarungen zustimmend zur Kenntnis.
Das Wort hat der Abgeordnete Rapp.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben eine reichliche halbe Stunde Zeit, um über ein Gesetz zu beraten und Beschluß zu fassen, mit dem wir uns die Ergebnisse jahrelanger Beratungen von über 100 Staaten der Erde im wichtigsten Weltwirtschaftsgremium, dem GATT, zu eigen machen. Dabei geht es um nicht mehr und um nicht weniger als um die künftige Gestaltung und Entwicklung des Welthandels.Jeder vierte Arbeitsplatz in der Bundesrepublik Deutschland hängt von der Funktionstüchtigkeit des Welthandels ab. Ein ähnlich großer Teil der Güter und Dienste, die wir nutzen, die wir in Anspruch nehmen, wird eingeführt. Außenwirtschaftspolitische Entscheidungen haben somit gerade für unsere Wirtschaft und für unser Volk hohen Rang und weit-tragende Bedeutung. Immerhin bestimmen die Vereinbarungen, die heute mit der Annahme des Zustimmungsgesetzes für uns verbindlich werden, Richtung und Tempo des Wandels der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung und damit auch unseres eigenen Strukturwandels.Selbstverständlich, meine Damen und Herren, stimmen wir dem Ratifizierungsgesetz zu. Insgesamt geben die Vereinbarungen der Tokio-Runde des GATT der Freiheit des Welthandels Auftrieb und dem Kampf gegen den Protektionismus Nachdruck. Wir haben Anlaß, der Bundesregierung für ihre wohlorientierte, zielstrebige und beharrliche Verhandlungsführung zu danken und ihr zu diesem Ergebnis zu gratulieren.
Es richtet sich somit keineswegs gegen die Bundesregierung, wenn ich gleichwohl die Gelegenheit der Verabschiedung dieses Zustimmungsgesetzes wahrnehmen möchte, die Frage zu stellen, ob denn die parlamentarische Legitimation außenwirtschaftspolitischer Entscheidungen ausreicht, wenn wir, der Deutsche Bundestag, weiterhin auf die bloße Ratifizierung von Texten beschränkt bleiben, auf deren Zustandekommen wir noch nicht einmal beratend haben einwirken können.
Ich kenne die Verfassungslage. Ich weiß, daß die Bundesregierung in solche Beratungen nicht gebunden hineingehen kann. Wir brauchen auch nicht darüber zu reden, daß wichtige Kompetenzen bei der EG in Brüssel liegen. Aber eine Rückkoppelung in das Parlament hinein, meine Damen und Herren, könnte und müßte schon sein, regelmäßige Berichterstattung während der laufenden Verhandlungen, Beratung über jeweils anstehende Probleme.Ich richte diese kritische Anfrage an uns, den Bundestag, selbst An wen denn sonst? Wir haben hier ja noch nicht einmal ein organisatorisches Gerüst zur ressortübergreifenden Erörterung solcher
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980 17781
Rapp
Themen. Ressortübergriff muß deshalb sein, weil ja sowohl die Wirtschaftspolitik als die Landwirtschaftspolitik, die Finanzpolitik, die Außen- und die Entwicklungspolitik berührt sind. Im Europäischen Parlament gibt es immerhin einen Außenwirtschaftsausschuß. Ich denke, wir sollten daran Maß nehmen.Nach dieser Vorrede bleibt mir gerade noch die Zeit zu einem sehr kurzen Durchgang durch dieses sehr umfangreiche Vertragswerk. Anders als bei der Kennedy-Runde des GATT stand diesmal der Zollbereich nicht im Vordergrund des Interesses. Gleichwohl sind auch die hier erzielten Ergebnisse eindrucksvoll. So würden z. B. unsere deutschen Zolleinnahmen, über acht Jahre verteilt, um ein Drittel sinken, wenn die Mindereinnahmen aus den Zollsatzsenkungen nicht durch die Zunahme des Importvolumens ausgeglichen würden. Das Zollsatzniveau der EG wird um durchschnittlich ein Viertel gesenkt. Für einen Großteil der in die Europäische Gemeinschaft einzuführenden Waren werden Zollsätze noch zwischen 5 und 10 % gelten. Ich stimme Herrn Kittelmann zu: Damit kommt irgendwo die Zollpolitik als Instrument an die Grenze ihrer Möglichkeiten.Stärkere Senkungen gibt es im Landwirtschaftsbereich sowie in der Chemie und im Maschinenbau, geringere Senkungen gibt es bei den Textilien. Und da dieses Stichwort gefallen ist, erinnere ich daran, daß Ende 1981 das Welttextilabkommen ausläuft, daß es novelliert werden muß. Die Tokio-Runde des GATT hat dafür Orientierungen vorgegeben, die gerade in diesem hochsensiblen Bereich ein hohes Maß an Sensibilität und an Verantwortungsbewußtsein für den freien Handel von allen Beteiligten erfordern werden.Das Schwergewicht der Verhandlungen der Tokio-Runde des GATT lag diesmal bei dem runden Dutzend Kodizes zur Regelung nichttarifärer Probleme. Da gibt es den Kodex für Subventionen und Ausgleichszölle. Es konnte erreicht werden, daß eine kausale und konkrete Schädigung nachzuweisen ist, ehe Abwehrmaßnahmen getroffen werden dürfen.Genauer ausformulierte Kriterien bilden auch im Antidumping-Kodex einen Damm gegen die Versuchung, eigene Leistungsschwäche mit der Klage wegen angeblich unfairer Praktiken zu kaschieren. Die beiden Stichwörter „Stahl in die USA" und „Kunstfaser aus den USA" zeigen, daß dies alles von höchster Relevanz und Brisanz istDas Übereinkommen über technische Handelshemmnisse enthält Verhaltensregeln, durch die verhindert werden soll, daß die Manipulation mit Normvorschriften als Mittel zum Schutz der eigenen Industrie eingesetzt werden kann. Auch wird auf eine größere Einheitlichkeit des Normenwesens hingewirktDer Kodex über Regierungskäufe verpflichtet die Teilnehmerstaaten bei bestimmten öffentlichen Ausschreibungen zur Gleichbehandlung inländischer und ausländischer Lieferangebote. Besondere Übereinkünfte haben nichtdiskriminierende Modalitäten der Erteilung von Einfuhrlizenzen und die einheitliche Anwendung der Grundsätze der gerechten Festsetzung des Zollwerts zum Ziel. Zu hoffen ist, daß alsbald auch das so wichtige Übereinkommen über Maßnahmen gegen die Einfuhr nachgeahmter Waren in Kraft treten kann.Von besonderer Bedeutung ist — Herr Kittelmann hat darauf bereits hingewiesen —, daß künftig ohne weiteres eine günstigere Behandlung der Entwicklungsländer sowohl bei den Zöllen als auch im nichttarifären Bereich möglich sein wird. Den Entwicklungsländern gegenüber kann vom sonst durchgängig zu beachtenden Prinzip der Meistbegünstigung abgewichen werden. In der Regel wird ja auch auf Gegenseitigkeit, auf Reziprozität, verzichtet Gegenmaßnahmen der Industrieländer gegen die Einfuhr subventionierter Waren aus Entwicklungsländern werden erschwert. So richtig und wichtig es ist, meine Damen und Herren, immer wieder auf die Verstärkung der öffentlichen Entwicklungshilfe zu drängen, so darf doch nicht — was leider oft geschieht — übersehen werden, daß Begünstigungen dieser Art im Handel, jedenfalls auf längere Sicht, Entwicklung stärker zu stimulieren vermögen als Zuwendungen.Erwähnt sei noch, daß für die Streitbeilegung wirksamere Verfahrensregeln vereinbart werden konnten.Nicht gelungen ist bisher die Revision der Schutzklausel nach Art. XIX des GATT-Abkommens. Wir stützen die Bundesregierung in dem Bestreben, weiterhin nur weltweit wirksame Schutzmaßnahmen gegen marktzerrüttende Einfuhren zuzulassen. Sollten sich in dieser Frage die anderen Staaten durchsetzen, die auch die selektive, auf einzelne Staaten bezogene Anwendung der Schutzklausel haben wollen, so muß insbesondere im Interesse der Schwellenländer unter den Entwicklungsländern dafür gesorgt werden, daß es nicht zu Diskriminierungen kommen kann. So viel zu den wichtigsten Inhalten des sehr viel umfangreicheren Pakets.Mit der Annahme des anstehenden Gesetzentwurfs werden wir, wie gesagt, multilaterale Vereinbarungen zur weiteren Liberalisierung des Welthandels, zur Befreiung des Welthandels von mancherlei Hemmnissen für uns verbindlich machen. Dies freilich ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist, daß wir stillschweigend die Bereitschaft mitbeschließen, den Strukturwandel unserer Wirtschaft nicht nur hinzunehmen, nicht nur nicht zu behindern, sondern ihn aktiv zu fördern. Das redet sich leicht daher, wird aber auch in Zukunft mitunter sehr schmerzhaft sein. Aber dieser Prozeß ist die Voraussetzung dafür, daß der Welthandel nicht zum Nullsummenspiel verkommt, bei dem der eine verliert, was der andere gewinnt Die Tokio-Runde des GATT hat einerseits wichtige Voraussetzungen für das weitere Wachstum des Welthandels und der Weltwirtschaft geschaffen. Andererseits hängt es vom weiteren Wachstum des Welthandels und der Weltwirtschaft ab, ob die getroffenen Vereinbarungen nach Buchstaben und Geist durchgesetzt werden können.
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17782 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980
Rapp
Letzer Satz: Das bewährte Instrument des GATT muß erhalten bleiben und gepflegt werden, wozu es erforderlich sein wird, ihm alsbald neue Aufgaben zur Gestaltung des Ordnungsrahmens der Weltwirtschaft, z. B. des grenzüberschreitenden Dienstleistungsbereichs, zuzuweisen.Nochmals: wir stimmen dem Zustimmungsgesetz, dem Ratifizierungsgesetz zu.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haussmann.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Die FDP-Fraktion begrüßt nachdrücklich den erfolgreichen Abschluß der Tokio-Runde. Wir freuen uns sehr, daß in diesem wichtigen außenwirtschaftlichen Bereich ein so hohes Maß an Übereinstimmung zwischen allen Fraktionen herrscht Die substantiellen Zollsenkungen und vor allem die weitreichenden Vereinbarungen auch im sogenannten nichttarifären Bereich, d. h. besonders Kodizes über Subventionen, Normen und öffentliche Aufträge, sind ganz wesentliche Beitrage zum Abbau von Handelshemmnissen.Wir begrüßen ganz besonders die Sonder- und Vorzugsbehandlung für die Entwicklungsländer in weiten Bereichen dieses Ergebnisses. Es ist sehr zu hoffen, daß die Entwicklungsländer in Erkenntnis dieser wichtigen Vorteile noch in größerer Zahl den Ergebnissen beitreten, als es bisher geschehen ist.Die noch ungelöste Frage der Schutzklauselreform spielt sicher eine entscheidende Rolle. Die vor allem von der Gemeinschaft erhobene, ohnehin problematische Forderung nach Zulassung sogenannter selektiver und damit nach unserer Meinung diskriminierender Schutzmaßnahmen hatte bekanntlich zur offenen Konfrontation mit den Entwicklungsländern geführt. Die Bundesregierung sollte mit all ihren Kräften bemüht sein, eine Wiederholung dieser Konfrontation bei künftigen Verhandlungen zu vermeiden. Sie sollte aktiv nach einer Lösung suchen, die mehr internationale Disziplin in dieser hochsensiblen Frage bringt, das Vertrauen der Entwicklungsländer in das GATT stärkt und ihnen die Zustimmung zu den Ergebnissen der Tokio-Runde erleichtert.Aus der Tokio-Runde ist das offene, multilaterale, auf dem Prinzip des internationalen Wettbewerbs beruhende Welthandelssystem ohne Zweifel gefestigt hervorgegangen. Es ist für den internationalen Handel das Spiegelbild unseres liberalen Wirtschaftssystems. Dieses System, dem gerade Liberale verbunden sind, besteht darin, daß es zugleich mehr Freihandel bringt und protektionistische Bestrebungen zurückdrängt Darin liegt unseres Erachtens auch im Bereich der Ordnungspolitik ein ganz entscheidender Erfolg der Tokio-Runde.Dieser Erfolg ist ein Ergebnis ganz zäher Verhandlungen vor allem der zuständigen Beamten des Wirtschaftsministeriums in vielen Nachtsitzungen. Ich möchte mich auch im Namen der FDP-Fraktion bei diesen Beamten sehr herzlich für diesen Einsatz bedanken.
Anerkennung möchten wir an dieser Stelle aber auch dèm Wirtschaftsminister aussprechen. Ohne dessen unbeirrtes und gerade — siehe Beispiel Manila — oft unpopuläres Eintreten für einen liberalen Welthandel wäre der Erfolg in dieser Form sicher nicht denkbar gewesen. Graf Lambsdorff steht hier in bester liberaler Tradition. Ich erlaube mir dies als Reutlinger Abgeordneter zu sagen. Der große liberale Nationalökonom Friedrich List ist der bedeutendste Sohn dieser Stadt, und er hat schon vor vielen Jahrzehnten gerade im Bereich der Außenwirtschaftspolitik eine stärkere Liberalisierung gefordert. Graf Lambsdorff kann sich auch hier auf seine liberale Fraktion verlassen, wenn er weiter gegen Protektionismus kämpft und damit einem anderen Grafen in Europa mit sehr oft entgegengesetzten Tendenzen auf die Nerven fällt.Auch ist es ein gutes Gefühl für uns, daß trotz beginnenden Wahlkampfs die CSU heute morgen in der Wirtschaftsausschußsitzung unseren Grafen zum Tugendwächter des Freihandels geschlagen hat.
— Der Kollege von der CSU hat ihn heute morgen dazu gemacht Darauf sind wir sehr stolz.
Meine Damen und Herren — und die Zeit eilt —, protektionistische Kräfte sind auch mit dem erfolgreichen Abschluß der Tokio-Runde sicher nicht endgültig gebannt. Sie können sogar durch die fortgesetzten Ölpreissteigerungen neuen Auftrieb erhalten. Es gibt beunruhigende Anzeichen hierfür. Um so mehr ist es wichtig, den Erfolg der Tokio-Runde zu wahren und auszubauen.Dies bedeutet für uns erstens schnelle, vorbehaltlose Umsetzung dieser Verhandlungsergebnisse in die Praxis durch alle Unterzeichner, durch die Gemeinschaft und durch die Drittländer, zweitens zielstrebige intensive Bemühung um Lösung für die noch offenen Fragen, voran das schon erwähnte Schutzklauselproblem, drittens weitere Liberalisierungsimpulse für den Welthandel, viertens Stärkung des GATT als institutioneller Grundlage und Garant des von uns gewünschten offenen, multilateralen Welthandelssystems, gerade unter Einbeziehung der Entwicklungsländer.Nicht zuletzt, meine Damen und Herren: Wir sollten nach wie vor unsere nationalen Hausaufgaben in der Wirtschaftspolitik lösen; denn das ist allein der Garant, daß wir auch in Zukunft in internationalen Konferenzen als der Wächter für liberalen Welthandel auftreten können. Ich möchte nur davor warnen, daß wir — wie es auch heute von seiten der Union angeklungen ist — mit dem Argument, das Leistungsbilanzdefizit wäre vor allem durch stärkere Exportförderung abzubauen, in einen Exportförde-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980 17783
Dr. Haussmannrungswettlauf eintreten, der ohne Zweifel ein schlechtes Beispiel wäre.Diese nationalen Anstrengungen bedeuten vor allem verstärkte Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen, sicher mit einer Kursänderung in der Forschungs- und Entwicklungspolitik. Sie bedeuten weiter eine Verbesserung der Produktivität Es ist vor allem wichtig, daß deutsche Firmen nicht nur Produkte, sondern insbesondere auch Dienstleistungen, sogenannte Problemlösungen, anbieten und nicht zuletzt an ihrem Vorteil der Termintreue, der gewissenhaften Betreuung, vor allem auch nach dem Kauf, festhalten. Ich glaube, wenn wir diese nationalen wirtschaftspolitischen Aufgaben lösen, können wir auch in Zukunft diese wichtige Rolle als Garant des liberalen Welthandels spielen.Unsere Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf zu.
Das Wort hat Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Zustimmungsgesetz sollen die im Dezember 1979 unterzeichneten multilateralen Handelsvereinbarungen ratifiziert werden, soweit sie sich auf Zollzugeständnisse für Waren beziehen, die unter den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl fallen. Für diesen Bereich haben die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft für Kohle und Stahl noch Zollautonomie. Insoweit sind hier Gegenstände der Bundesgesetzgebung betroffen.
Die Behandlung dieses Gesetzentwurfs hier gibt mir Gelegenheit, auf die schon unterstrichene außerordentliche Bedeutung der Tokio-Runde hinzuweisen, deren Ergebnisse größtenteils nicht ratifizierungsbedürftig sind.
Die Resultate, die dort erzielt wurden, sind im Zeichen weltweiter wirtschaftlicher Schwierigkeiten keinesfalls selbstverständlich. So ist bei den Zöllen eine bedeutende Senkung von etwa 30 % und gleichzeitig eine Harmonisierung der Tarife erreicht worden. Vor allem aber sind durch den Abschluß einer Reihe von Kodizes u. a. über Zollwert, Subventionen /Ausgleichszölle, Antidumpingverfahren, Einfuhrlizenzverfahren, Normen und Regierungskäufe erstmals in diesem Umfang die nichttariflichen Handelshemmnisse abgebaut und ihre Handhabung einer strafferen internationalen Disziplin und Uberwachung unterworfen worden. Eine große Rolle spielte die von den Entwicklungsländern geforderte Sonderbehandlung, die in vielen Fällen zugestanden wurde.
Ich bin davon überzeugt, daß es gelungen ist, mit dem Schlußpaket der GATT-Verhandlungen ein wirkungsvolles Instrumentarium gegen das Vordringen weiterer protektionistischer Maßnahmen zu erleichtern. Ich bin dankbar für das Lob, das hier den Mitarbeitern des Bundeswirtschaftsministeriums aus den Reihen des Parlaments gegeben wurde. Die politische Leitung des Ministeriums ist stolz auf diese Leistungen und auf die Qualität der Arbeit, die geleistet worden ist.
Was mir besonders wichtig erscheint, ist der hier zum Ausdruck gekommene Konsens in der Beurteilung unserer Außenhandelspolitik. Es ist ein liberaler Konsens, der selbstverständlich angesichts unserer Außenhandelsabhängigkeit unseren grundlegenden materiellen Interessen entspricht.
Wir sollten aber auch den Mut haben, deutlich zu sagen, daß ungeachtet dieses materiellen Interesses unseres Landes an einem freien Welthandel nach unserer Überzeugung freier Welthandel und internationale Arbeitsteilung das beste Angebot und das beste Mittel zur Überwindung gravierender wirtschaftlicher Interessengegensätze zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern darstellen. Diese Interessengegensätze, die wir nicht verkleistern und von denen wir wissen, daß sie nicht mit marktwirtschaftlichen Mitteln allein zu lösen sind, können, wie wir auf Grund unserer Interessenlage, aber auch aus unserer liberalen Grundüberzeugung meinen, am besten mit den eben erwähnten Mitteln überwunden werden.
Es ist, wie ich meine, von außerordentlicher Bedeutung, daß wir in der Außenwirtschaftspolitik hier im deutschen Parlament eine breite Grundübereinstimmung haben. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, Herr Kollege Rapp, daß die Diskussion dieser Themen in unserem Parlament, da nicht kontrovers, nicht den breiten Raum einnimmt, der von der Sache her sicher angemessen wäre. Wir jedenfalls sind daran interessiert und auch bereit, in eine vertiefte Diskussion, wie sie im Wirtschaftsausschuß immer wieder geführt wird, einzutreten.
Der erfolgreiche Abschluß dieser Tokio-Runde eröffnet die große Chance, auch in den zweifellos schwierigen 80er Jahren ein offenes Welthandelssystem zu erhalten und zu stärken. Darin liegt die Bedeutung dieser Ergebnisse.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung in zweiter Beratung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe Art. 1 bis 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Wir haben nun noch über die Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 8/4149 unter Buchstabe b) abzustimmen. Es geht um die Annahme einer Entschließung. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung energierechtlicher Vorschriften— Drucksachen 8/3917, 8/4034 —
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17784 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980
Vizepräsident Frau Rengeraa) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 8/4166 —Berichterstatter: Abgeordneter Glosbb) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 8/4138 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Narjes Wolfram
b) Zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Zollkontingent für feste Brennstoffe— Drucksache 8/3520 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 8/4138 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Narjes Wolfram
Die Berichterstatter wünschen nicht das Wort.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Spies von Büllesheim.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU stimmt dem in den Drucksachen 8/4138 und 8/3520 vorliegenden Gesetzeswerk zu. Durch den auf Grund dieses Gesetzes erhobenen und trotz seiner erheblichen Höhe immer noch so genannten „Kohlepfennig" bringen die Stromverbraucher im Bundesgebiet insgesamt etwa 4,5 % der abgabepflichtigen Stromerlöse, d. h. etwa 2 Milliarden DM, auf. Jedenfalls wird dieser Betrag im Jahre 1981 voraussichtlich erreicht werden.Mit diesem Betrag wird der deutschen Elektrizitätswirtschaft der Einsatz von fast der Hälfte der deutschen Kohleförderung zur Verstromung bis 1995 ermöglicht Es werden Investitionskostenzuschüsse für die beschleunigte Umstellung von Öl und Gas auf Kohle gewährt. Der konkurrenzfähige Einsatz von niedrigflüchtiger Kohle und von Ballastkohle zur Stromerzeugung wird ermöglicht Durch die Änderung des Gesetzes über das Zollkontingent für feste Brennstoffe werden die Voraussetzungen für einen vermehrten Kohleimport geschaffen.Diese gesetzliche Regelung ermöglicht den Vollzug des zwischen der Elektrizitätswirtschaft und dem deutschen Steinkohlebergbau am 23. April dieses Jahres abgeschlossenen Übereinkommens, welches zum Inhalt hat, daß unabhängig von jedem Konjunkturverlauf bis zum Jahre 1995 steigende Mengen, insgesamt etwa die Hälfte der deutschen Kohleförderung, der Verstromung zugeführt werden können.Natürlich melden sich wie bei jeder Abgabe Stimmen zu Wort, die gegen diese Abgabe sind. Aber wer gegen die Erhebung dieser Abgabe ist, sollte nicht vergessen, daß es zu wesentlichen Teilen eben diesen Verstromungsgesetzen zu verdanken ist, daß wir heute noch eine eigene, heimische Steinkohleförderung von 85 Millionen Tonnen haben,
die uns als Sicherheit heute besonders angenehm ist. Viele, die diese Abgabe früher nicht verstanden haben, beginnen, sie zu begreifen.Die Bundesrepublik hat heute mit einem Kleinsatz von nur 8 % bei der Stromerzeugung weltweit den geringsten Ölanteil. Frankreich produziert heute noch 23 %, die Niederlande 25 %, Belgien 40 und Italien sogar 75 % des Stromes aus Öl. Wir dürfen mit Freude feststellen, daß in der Bundesrepublik Deutschland 53 % unseres Stroms aus heimischer Braunkohle und Steinkohle erzeugt werden.Der Steinkohleeinsatz gibt uns nicht nur Sicherheit, sondern er gibt — und das ist weithin immer noch unbekannt — im Augenblick auch einen Rentabilitätsvorteil; denn die Stromerzeugung aus deutscher Steinkohle ist schon heute billiger als die aus Schweröl. Allerdings muß man gleichzeitig sagen, daß der Einsatz sowohl von 01 als auch von Gas wie auch von Kohle in der Grundlast, verglichen mit den Kosten der Braunkohle und insbesondere verglichen mit den Kosten eines Kernkrafteinsatzes, wesentlich teurer ist. Wenn wir heute also mehr Steinkohle in der Grundlast einsetzen, so erbringen wir damit gleichzeitig eine Leistung für die Zukunft.Die negative Entwicklung auf dem internationalen Energiemarkt wird mit Sicherheit anhalten. Weil das so ist, werden wir jede unter wirtschaftlichen Bedingungen zu fördernde Tonne deutscher Kohle auch tatsächlich fördern müssen. Dies kann aber nur geschehen, wenn diese Kohle auch Absatz hat, und das kann nur dann geschehen, wenn bestimmte Kohlearten wie die niedrigflüchtige Kohle und die Ballastkohle, die heute im Wettbewerb der heimischen Kohlearten untereinander nicht, jeden- falls nicht bei der Verstromung, wettbewerbsfähig sind, besonders gefördert werden, wenn also die Mehrkosten, die bei der Verstromung dieser Kohle entstehen, auch ausgeglichen werden. Auch dies erfolgt mit diesem Gesetz.Wir haben uns im Ausschuß für Wirtschaft sehr schwergetan, für die niedrigflüchtige Kohle, deren Mehrkostenausgleich bisher an die Wärmepreisdifferenz zum Schweröl gebunden war, für 1980 eine einigermaßen angemessene Übergangsregelung zu finden. Wir haben diese Lösung schließlich einverständlich gefunden, und diese Lösung stellt das Mindestmaß dessen dar, was für die betroffenen Schachtanlagen und Elektrizitätswerke, die diese Kohle nun seit einigen Jahren unter erheblichen Mehrkosten verstromen, gerade noch erträglich ist
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Dr. Freiherr Spies von BüllesheimWichtig ist — und das wurde in den Beratungen des Wirtschaftsausschusses auch angesprochen —, daß die in den Verstromungsgesetzen gegebenen administrativen Möglichkeiten auch so genutzt werden, daß für die niedrigflüchtige Kohle im Ergebnis letztlich eine angemessene Übergangsregelung im Jahre 1980 zustande kommt.Mit den jetzt abgeschlossenen Verstromungsverträgen ist die Kohle bis zum Jahre 1995 ausgebucht. Wenn man Stromverbrauchszunahmen von etwa 4 % in den nächsten fünf Jahren und dann bis auf 2,5 % sinkende Zunahmen unterstellt, erkennt man, daß wir für die Stromerzeugung, für die wir heute etwa 120 Millionen t SKE einsetzen, im Jahre 1995 etwa 200 oder 210 Millionen t SKE werden einsetzen müssen, und dann sind die 15 Millionen t, die nun auf Grund des Verstromungsgesetzes zusätzlich an heimischer Kohle eingesetzt werden, eben nur ein kleiner Anteil an diesem Mehrbedarf. Darüber, woher der Rest kommen soll, schweigen sich diejenigen, die gegen die Kernkraft sind, aus. Die inländische Steinkohle ist jetzt, nach Abschluß dieses Vertrages, für absehbare Zeit vollständig ausverkauft. Das Wort vom Vorrang für die heimische Kohle kann künftig nicht mehr ein verbales Versteck für Kernkraftgegner sein.Herr Kollege Wolfram, Sie haben bei der ersten Lesung des Gesetzes am 23. April hier vor dem Bundestag klar erklärt, daß mit diesem Gesetz der Vorrang für die Kohle verwirklicht sei und daß der Vorbehalt gegen einen maßvollen Ausbau der Kernenergie künftig — so haben Sie sich ausgedrückt — mit Blick auf die Kohle nicht mehr geltend gemacht werden könne. Im Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung und der Erhaltung der Arbeitsplätze in unserem Lande Nordrhein-Westfalen kann man nur hoffen, daß sich diese Erkenntnis der Bundestagsfraktion auch im Lande Nordrhein-Westfalen durchsetzt
und daß wir im Lande Nordrhein-Westfalen auch Kernkraftwerke sowie Entsorgungsanlagen bauen werden.
— Auch in Bayern und ebenso in Hessen, wenn ich das als Mahnung an Ihre Freunde sagen darf.
— Überall; da sind wir einig.Wenn wir bedauern — und ich möchte das namens meiner Fraktion hier noch einmal ausdrücklich bedauern —, daß der Bau neuer Steinkohlekraftwerke nur sehr langsam vorangeht, muß man sich von der Elektrizitätswirtschaft immer wieder sagen lassen, daß wir Politiker es nicht vermocht haben, für den Bau von Kraftwerken in der Bundesrepublik Deutschland die notwendigen verläßlichen Rechtsvoraussetzungen zu schaffen. Das ist leider eine richtige Feststellung. Die Genehmigungsverfahren sind mit großen Rechtsrisiken verbunden; die Verwaltungsgerichte haben keine klaren Maßstäbe, und die Verwaltungsgerichtsbarkeit rügt, daß die Politiker durch Nichtvorgabe entsprechender klarer zulässiger Emissionswerte den schwarzen Peter den Gerichten zuschieben.Wir sollten es, so glaube ich, nicht mehr bei unseren wiederholten und völlig einverständlichen Appellen an die Elektrizitätswirtschaft, nun endlich einmal Steinkohlekraftwerke zu bauen, belassen, sondern sollten auch den Mut haben, endlich einmal durch klare Gesetze der Elektrizitätswirtschaft auch die Rechtssicherheit zu geben, die sie benötigt.
— Daran hindert uns niemand, aber vielleicht ist es ein gewisser Flügel Ihrer Partei, Herr Kollege Wehner, der Sie diese Entscheidungen nicht wagen läßt. Diesen Eindruck hat man jedenfalls.
Das vorliegende Gesetzeswerk ermöglicht nach langen Jahren starker Beschränkung auch wieder einen stärkeren Kohleimport. Das geschieht durch Importanrechtscheine, durch Zusatzkontingente für Kohlevergasung und Kohleverflüssigung und durch eine allgemeine Öffnung des Wärmemarktes, der noch drei Jahre an einen konkreten Verdrängungsnachweis für Rohöl und Gas gebunden ist.Die Regierung hat sich in diesem Zusammenhang leider nicht in der Lage gesehen, eine Regelung vorzuschlagen, die sicherstellt, daß die Hausbrandzechen von einer solchen Öffnung des Wärmemarkts nicht betroffen werden. Die Regierung erwartet solche Schwierigkeiten nicht, aber sie hat erklärt, daß sie, wenn solche Schwierigkeiten auftreten würden, diesen Schwierigkeiten mit den ihr gegebenen administrativen Möglichkeiten begegnen würde. Daran sei die Regierung hier noch einmal erinnert.Dieses Verstromungsgesetz ist ein notwendiges und sinnvolles Gesetz. Aber es hat auch Probleme, die wir gesehen haben, die aber nicht zu lösen waren oder nur unter weiterer erheblicher Komplizierung des ohnehin ungeheuer komplizierten Gesetzes zu lösen gewesen wären.Wir haben bedauert, daß der Ausschuß unseren Anträgen nach einer degressiven Förderung für den Bau neuer Steinkohlekraftwerke und für Umstellungsmaßnahmen nicht gefolgt ist. Im Grundsatz haben Sie dem zugestimmt. Aber es wurde nicht für möglich gehalten, ein in naher Zukunft gebautes Steinkohlekraftwerk mehr als ein später gebautes zu fördern, eben wegen der erwähnten rechtlichen Schwierigkeiten.Wir haben im Wirtschaftsausschuß auch sehr eingehend über die fortbestehenden Nachteile für die revierfernen Länder gesprochen. Diese Nachteile werden durch den Ausgleich von Revierpreisunterschieden für die Drittelmenge und durch die Staffelung der Höhe der Ausgleichsabgabe nur teilweise ausgeglichen. Die Stromtransportkostenzuschüsse laufen 1987 aus. Ein Frachtenausgleich für Kohle wurde nicht für möglich gehalten, weil Stromtrans-
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Dr. Freiherr Spies von Büllesheim portkostenzuschüsse und Kohletransportkostenzuschüsse einander entsprechen müßten, um unnötige Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.Auch an dem Beispiel der Erörterung dieser komplizierten Frage könnte man darlegen, wie kompliziert dieses Gesetz in seinen Bestimmungen und zugleich in seinen vielfältigen, kaum abzuschätzenden Wirkungen ist. Niemand in diesem Hohen Haus wird behaupten wollen, daß er jedes Gesetz, das wir hier verabschieden, verstanden hat. Aber die Feststellung ist wohl berechtigt, daß dieses Gesetz besonders kompliziert ist. Nur wenige haben es begriffen, und wohl nur wenige werden es begreifen. Aber wir alle sind wohl der Auffassung, daß angesichts der schnellen Entwicklung dieses Gesetz sicher nicht fünfzehn Jahre unverändert Bestand haben wird und daß wir bald in die Situation kommen können, dieses Gesetz zu novellieren.Immer, wenn es kompliziert wird, hat man auch Anlaß, ernsthaft über die Frage nachzudenken, ob man auf dem richtigen Weg ist. Unser Antrag, die Bundesregierung zu einem umfassenden Bericht über die deutsche Steinkohle aufzufordern, hat diesen gedanklichen Ansatzpunkt. Jede staatliche oder, wie beim Kohlepfennig, quasi-staatliche Leistung bewirkt, daß die Unternehmen ihre Entscheidungen nicht mehr allein nach wirtschaftlichen Gegebenheiten, sondern auch nach den Subventionen ausrichten. Wir werden diesen Bericht erhalten. Wir werden die Aufgabenstellung etwas präzisieren, wie wir es im Wirtschaftsausschuß besprochen haben.Wenn man heute die Frage stellt, ob wir auf dem richtigen Weg sind, muß man sie in mehrfacher Hinsicht wohl mit einem zweifelnden Nein beantworten. Es sind Überlegungen grundsätzlicher Art notwendig. Wir müssen in diesem komplizierten Maschenwerk der Förderungsbestimmungen von Bund, von Ländern, von der EG für Forschung, für Förderung, für Altlasten etc. fragen, ob wir hier nicht ein effizienteres System finden können. Wir sollten diese Möglichkeiten vorbehaltlos suchen. Z. B. sollten wir den Gedanken einer Förderprämie prüfen, der etwa dahin geht, daß für jede aus deutscher Erde geförderte Tonne Kohle ohne Rücksicht auf den Verwendungszweck — ob Verstromung, ob Stahl; heute sind die Förderbestimmungen ja sehr weit an den Verwendungszweck gebunden — die Förderprämie einheitlich gewährt wird. Es sollte nur nach Lagerstätten differenziert werden; solche Differenzierungen haben wir ja auch heute. Vielleicht wäre dieses System einfacher und gleichzeitig effizienter. Daß das seine Schwierigkeiten hat, weiß jeder von uns. Jeder hält die Kohlesubvention für notwendig. Sie ist notwendig. Wir wollen sie fortführen. Aber wir sollten nach einem einfacheren Weg dazu suchen.Das alles ist bei den Beratungen kurz angesprochen worden. Es konnte wegen der Kürze der Zeit und wegen des Mangels an Unterlagen nicht mehr geprüft werden.Wir sollten froh sein, daß wir dieses Gesetz auf der Grundlage des Vertrags nunmehr soweit haben. Wir sind froh, daß es soweit ist.Was heute geschehen kann und was heute geschehen muß, geschieht mit diesem Gesetz. Die Fraktion der CDU/CSU stimmt daher dem auf den Drucksachen 8/4138 und 8/3520 vorliegenden Gesetzeswerk zu.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfram.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag verabschiedet heute in zweiter und dritter Lesung zwei außerordentlich wichtige Energiegesetze. Nachdem wir am 23. April diesen Komplex in erster Lesung behandelt haben und sehr zügig unser Wort eingelöst haben, in den Ausschüssen zu beraten, können wir heute das Zweite und das Dritte Verstromungsgesetz ändern und das Gesetz über das Zollkontingent für feste Brennstoffe novellieren.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt beide Gesetze. Sie sind nach unserer Bewertung die wichtigsten energiepolitischen Entscheidungen dieses Jahres, ich möchte sogar sagen: dieser Legislaturperiode. Sie sind wichtige Bestandteile und Säulen der Energiepolitik dieser Bundesregierung und der sie tragenden Regierungskoalition. Sie verwirklichen das Prinzip „Vorrang der Kohle". Sie haben eine Langzeitwirkung bis Mitte der 90er Jahre; ich meine, sogar darüber hinaus.Beide Gesetze sind Beweis für die mittel- und langfristig vorausschauende deutsche Energiepolitik. Sie widerlegen viele Behauptungen der Opposition, wobei ich Sie, verehrter Kollege Dr. Spies von Büllesheim, zumindest was den ersten Teil Ihres Debattenteils betrifft, ob der Sachlichkeit ausnehme. Sie sollten vielleicht einmal Frau Breuel in Niedersachsen ein bißchen Nachhilfeunterricht in Kohle-und Energiepolitik geben.
Was Sie zum Schluß bemerkt haben, will ich nachher gleich noch beantworten. Dazu werde ich ein paar kritische Anmerkungen machen.Die beiden Gesetze beweisen die Richtigkeit unserer Energiepolitik. An beiden Gesetzen wird einmal mehr demonstriert, daß man dazu keine Alternativen hat und braucht. Beide Gesetze ermöglichen eine noch wirkungsvollere Politik weg vom Öl. Gerade die letzten Tage haben bewiesen, daß Ö1 knapp bleibt und trotz eines vorübergehenden ausreichenden Angebots knapper wird. Es kann auch keinen Zweifel daran geben, daß die Ölpreisexplosion anhalten wird.Es ist für mich immer ein bißchen schleierhaft, wenn wie gerade heute in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" über die anerkannt beträchtlichen Zuschüsse für den heimischen Steinkohlenbergbau philosophiert wird, wenn man sich an den Millionen aufhält, die wir zur Erhaltung und zum Ausbau des wichtigsten heimischen Energieträgers bereithal-
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Wolfram
ten, und gleichzeitig einfach zur Tagesordnung übergeht, wenn es darum geht, zur Kenntnis zu nehmen, daß sich innerhalb von zwei Jahren die Aufwendungen dieses Landes und seiner Wirtschaft für die Ölimporte um 30 Milliarden DM erhöhen. Was ist das für ein Verhältnis?Verehrter Herr Kollege Spies von Büllesheim, wenn Sie vorhin behauptet haben, wir seien in unserer Energiepolitik nicht auf dem richtigen Wege, dann möchte ich Ihnen mit aller Klarheit widersprechen. Wir haben vor 20 Jahren den Riesenfehler gemacht, daß wir Öl ungehindert ins Land gelassen haben und die Kohle beinahe hätten vor die Hunde gehen lassen. Wir haben diesen Fehler in den letzten zehn Jahren korrigiert. Sie haben ja anerkannt, daß der deutsche Steinkohlenbergbau heute einen entscheidenden Beitrag zur Sicherung der zukünftigen Energieversorgung leisten kann.
— Herr Dr. Narjes, Sie großer Energieexperte aus dem Norden können sich ja nachher noch dazu melden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Spies von Büllesheim?
Bitte gern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Wolfram, wollen Sie hier die Aussage machen, daß das System — ich rede nicht vom Volumen — unserer Kohleförderung das absolut denkbar beste ist, und wollen Sie deshalb das System außerhalb jeden Zweifels stellen?
— Das ist überhaupt keine peinliche Frage.Ich möchte zunächst einmal bestätigen, daß unser Bergbau im internationalen Maßstab der technologisch beste ist — das werden Sie anerkennen —, und zum anderen, daß diese Bundesregierung die Bedeutung des Bergbaues von Anfang an anerkannt hat und Sie sich Gott sei Dank ja inzwischen dem auch anschließen.
— Jedenfalls nicht widersprechen, vielen Dank.
Die dritte Bemerkung, lieber Kollege Spies von Büllesheim: Natürlich kann man über die eine oder andere Zuschußmaßnahme und die damit zusammenhängenden technischen Fragen reden. Da würde ich mir das eine oder andere etwas einfacher vorstellen können. Sie wissen, ich habe immer dafür plädiert, daß wir staatliche Hilfen nicht so sehr für negative Rationalisierung, also für Stillegungen und deren Folgekosten, sondern für den Ausbau, für Investitionen, für neue Technologien, für die Humanisierung der Arbeitswelt im Bergbau und dergleichen geben, weil das der beste Weg ist, um einen solchen Wirtschaftszweig seine Rolle erfüllen zu lassen. — Ich sehe, daß Sie dem zustimmen. Ich bedanke mich dafür.Meine Damen und Herren, ich möchte in diesem Zusammenhang ein Wort zur letzten Ölpreiserhöhung sagen, die uns ins Haus gebracht worden ist. Sie bedrückt natürlich auch uns, und wir sind erschüttert, daß die OPEC-Staaten ihre Ölpreise einmal mehr erhöhen, und zwar mit einem Schlag um 4 Dollar pro Barrel. Die- Auswirkungen werden schlimm sein, auch für unser Land, mehr noch für andere. Daraus kann nur einmal mehr die Schlußfolgerung gezogen werden: Wir müssen noch mehr Öl substituieren, wir müssen noch mehr Energie einsparen, wir müssen Öl auch aus dem Wärmemarkt nehmen. Sie haben richtigerweise festgestellt, daß die deutsche Stromerzeugung nur zu 8 bis 9 % aus Ölkraftwerken kommt. Daraus würde ich die Konsequenz ziehen: Auch diese Mengen müssen herausgenommen werden. Wir appellieren an die Industrie, schweres Heizöl aus dem Wärmemarkt zu nehmen, Zug um Zug herauszunehmen, aufzubereiten und zu leichten und mittleren Produkten zu verarbeiten. Hätte man auf unseren Rat gehört, hätte es schon viel früher Konversions-, hätte es schon viel früher Crack-Anlagen gegeben. Man sieht, daß diese Anlagen heute „ausgebucht" sind. Es wäre sicherlich gut, wenn wir noch ein paar Kapazitäten mehr dafür verfügbar hätten.
— Sehen Sie, das unterscheidet die heutigen CDU- Energiepolitiker von Mannen wie Burgbacher und Springorum. Ich erinnere mich der Zusammenarbeit mit Professor Burgbacher auch im Europäischen Parlament gern. Bloß, damals war der frühere Herr Kollege Burgbacher ein einsamer Rufer in der CDU/ CSU-Wüste; denn Sie sind Professor Burgbacher in der Kohle- und Energiepolitik nie gefolgt. Das sind die Tatsachen.Meine Damen und Herren, ich möchte auch noch einmal unterstreichen, daß es unser Ziel bleibt, den Ölverbrauch zu reduzieren. Wir begrüßen die Erklärung des IEA-Ministerrates. Wir können nur hoffen, daß alle Länder, die diesen Beschluß mit gefaßt haben, dieses Ziel auch konsequent anstreben. Unsere Einsparpolitik und unsere Kohlepolitik, die beiden Gesetze, die wir heute in dritter Lesung verabschieden werden, dienen diesem Ziel auf jeden Fall.Wir Sozialdemokraten haben uns immer für einen hohen Anteil der heimischen Kohle an der Verstromung ausgesprochen. Bereits vor Abschluß des Zehn-Jahres-Verstromungsvertrages haben wir uns für eine größere Verstromungsmenge als die dann vereinbarten 33 Millionen Tonnen pro Jahr eingesetzt. Während der Laufzeit dieses Zehn-JahresVertrages haben wir die zeitliche Verlängerung und die mengenmäßige Aufstockung gefordert. Wir haben jahrelang an die Elektrizitätswirtschaft appelliert, mit dem Bau neuer, umweltfreundlicher Stein-
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Wolfram
kohlenkraftwerke zu beginnen. Zu lange hat die Elektrizitätswirtschaft nach meinem Dafürhalten mit Investitions- und Bauentscheidungen zurückgehalten. Ich hoffe sehr, daß Sie nicht in die Lage kommen, das dann zu verantworten.Meine Damen und Herren, wir haben in diesem Zusammenhang auch immer darauf gedrängt, daß Kraft-Wärme-Koppelungsanlagen in größerem Umfang errichtet und daß die Fernwärmenetze ausgebaut werden. Dafür sprechen wir uns nicht nur verbal aus. Wir wissen, wie wichtig dieses Programm als Anschluß des auslaufenden Fernwärme-Teils des Programms für Zukunftsinvestitionen ist Außerdem wollen wir 01 aus privaten Haushaltsheizungen verstärkt herausnehmen und, wenn möglich und wo möglich, durch Fernwärme ersetzen.Sie sollten, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, das Land Schleswig-Holstein ermuntern, seine restriktive Haltung aufzugeben. Notfalls muß eine Bund-Länder-Vereinbarung auch ohne Schleswig-Holstein zustande kommen.
— Natürlich geht es um Geld! Investitionen für die Zukunft kosten Geld. Aber es ist gut angelegtes Geld, verehrter Herr Kollege Dr. Narjes, auch in Schleswig-Holstein.Wir Sozialdemokraten begrüßen selbstverständlich den bis 1995 abgeschlossenen Vertrag zwischen Elektrizitätswirtschaft und deutschem Steinkohlenbergbau. Wir danken der Elektrizitätswirtschaft, der industriellen Kraftwirtschaft und dem Bergbau. Wir finden es gut und richtig, daß die Einsatzmenge von jetzt 33 Millionen Tonnen schrittweise auf 47,5 Millionen Tonnen pro Jahr aufgestockt wird. Wir wollen und müssen diesen Vertrag flankierend unterstützen, und deshalb sind wir für die Verlängerung des Mehrkostenausgleichs gegenüber Heizöl bis 1995, wobei wir davon ausgehen, daß sich die Schere durch die Preissteigerungen beim Öl immer schneller schließen wird. Wir halten es für richtig, daß ein Drittel der bisherigen Menge deutscher Kohle auf den Preis für Importkohle verringert wird. Auch hier dürfen wir davon ausgehen, daß sich die Preisdifferenzen verringern werden. Wir sind voll damit einverstanden, daß die über 33 Millionen Tonnen Steinkohle hinausgehenden Mengen grundsätzlich nicht subventioniert werden. Dafür geben wir der Elektrizitätswirtschaft die Möglichkeit, Kohle aus Drittländern zu importieren, ohne daß die deutsche Kohle dadurch verdrängt wird.Wir haben im Wirtschaftsausschuß beschlossen, den Gesetzentwurf der Bundesregierung in einigen Punkten zu ändern oder zu ergänzen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion trägt diese Änderungen, die im wesentlichen auch auf unsere Initiative hin zustande gekommen sind. Wir finden es gut, daß eine Regelung für die niederflüchtige Kohle getroffen worden ist, wenn sie auch nicht voll befriedigend ist Aber auf jeden Fall gibt es verbesserte Hilfen für den Einsatz niederflüchtiger Kohle bereits im Jahre 1980, und für die Randzechen, insbesondere in den Revieren Aachen und Ibbenbüren, ist damit eine Lösung getroffen worden.
— Sie haben sich gleichermaßen daran beteiligt Wenn es um die niederflüchtige Kohle geht, gehen Sie nicht von der Fahne, dann sind Sie dabei. Das will ich Ihnen gern testieren.Wir begrüßen auch die Empfehlung des Ausschusses, den bisherigen Zuschuß für Einsatzerschwernisse bereits 1980 unabhängig von der Wärmepreisdifferenz zu gewähren. Wir sind davon überzeugt, daß damit das Problem der sogenannten Randzechen jetzt gelöst wird. Bergbau und Elektrizitätswirtschaft müssen das Ihre dazu tun. Wir haben uns für eine höhere Flexibilität bei der Kohleabnahme für die EVUs und für eine Reduzierung der Mindestausnutzungsdauer für die Kraftwerke auf der Basis der Gemeinschaftskohle eingesetzt Der Ausschuß ist damit den Wünschen der Elektrizitätswirtschaft entgegengekommen.Wir haben mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, daß im Zusammenhang mit diesem Gesetz keine Diskussion über die Ausgleichsabgabe, wie in früheren Zeiten gewohnt, erfolgt ist Diese Ausgleichsabgabe hat sich als Instrument der deutschen Energiepolitik bewährt Die Forderung nach Haushaltsfinanzierung ist diesmal unterblieben. Der Bundesrat ist auch dem Antrag auf teilweise Haushaltsfinanzierung nicht gefolgt, und dafür möchten wir dem Bundesrat danken.Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion stelle ich fest, daß wir eine Herabsetzung der Zustimmungsschwelle für den Bundestag bei Rechtsverordnungen über den Ausgleichsabgabesatz von 4,5 %, wie es die Opposition im Ausschuß beantragt hat, nicht für notwendig oder zweckmäßig halten. Wir sind aus verständlichen Gründen auch gegen ein Mitwirkungsrecht des Bundesrates bei der Festsetzung des Ausgleichsabgabesatzes.Lassen Sie mich noch ein Wort zu dem notwendigen Bau von Kohlekraftwerken sagen. Wir sind der Meinung, daß mindestens 10 000 MW neuer Steinkohlenkraftwerke in allen Bundesländern gebaut werden müssen. Ich hoffe sehr, daß die EVUs in allen Bundesländern die entsprechenden Entscheidungen möglichst bald treffen.Ein letztes Wort möchte ich noch zur Kohleimportregelung sagen. Das bisherige Gesetz läuft noch bis Ende 1981. Wenn wir es trotzdem schon heute verlängern, dann hängt das damit zusammen, daß sich die Lage auf dem Weltenergiemarkt drastisch verändert hat, daß die Politik des „Weg vom 01" und des Vorrangs der Kohle nur mit optimaler Nutzung der heimischen Kohlelagerstätten und mit entsprechend höheren Kohleeinfuhren realisierbar ist Wir sind also dafür, daß die Importmengen in dem im Gesetz vorgeschriebenen Umfange aufgestockt werden. Wir begrüßen vor allem, daß eine Menge von rund 5 Millionen Tonnen auch für die Kohleveredelung bereitgestellt wird.
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Wolfram
Frau Präsidentin, darf ich noch einen letzten Satz anfügen?
— Ich bitte um Entschuldigung.
— Ich weiß, daß es für diesen Kreis fast eine Zumutung ist.Ich möchte abschließend noch einmal feststellen, daß für uns mit beiden Gesetzen das Prinzip „Vorrang der Kohle" verwirklicht ist. Ich stelle auch noch einmal fest, daß dieses Argument im Zusammenhang mit einem möglicherweise notwendigen Bau von Kernkraftwerken aus unserer Sicht nicht mehr gebraucht werden kann, wenn die anderen Prämissen erfüllt sind.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird beiden Gesetzen zustimmen.Ich bedanke mich für Ihre Geduld.
Das Wort hat der Abgeordnete Zywietz.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den Vorrednern und angesichts der Tatsache, daß wir vor sechs oder sieben Wochen bereits die erste Lesung mit Austausch aller Argumente — und zwar mit großer Deutlichkeit und Umsicht auf seiten aller Fraktionen — hatten, kann ich mich heute in der zweiten und dritten Lesung nicht zuletzt wegen der großen Übereinstimmung hinsichtlich der Zielsetzung und Strukturierung dieses Gesetzes einigermaßen kurz fassen.Wir können feststellen, daß der Einsatz der Kohle für die Stromerzeugung und die Bemessung von Importkohlenkontingenten für den Gesetzgeber, für dieses Haus gute alte bekannte — um nicht zu sagen: bewährte — Themenstichworte sind. Ich will freimütig bekennen, daß es nicht unbedingt liberale Mustergesetze sind. Aber ich möchte zum Ausdruck bringen, daß ich erfreut darüber bin, daß wir das Verstromungsgesetz und das Importkohlegesetz nicht, wie zumeist in der Vergangenheit, getrennt beraten, sondern dieses Mal beide Komplexe im Rahmen einer Diskussion über die energiepolitische Perspektive in Gesetzesform gießen.Ich meine, diese Tatsache macht einen erfreulichen Unterschied deutlich. Heimische Kohle und Importkohle waren zuweilen so etwas wie feindliche Brüder, möchte ich einmal sagen. Jetzt sind es eher befreundete Brüder geworden. Aus einer Konkurrenzsituation ist mehr Kooperation geworden. Ich halte das für eine erfreuliche Entwicklung.Genauso erfreulich ist es, daß die Akzeptanz dieses Gesetzes sowohl in diesem Hause als auch außerhalb bei der. beteiligten Wirtschaft und in den wesentlichen Regionen sehr groß ist. Daraus schließen wir einmal, daß das Gesetz mit außerordentlicher Umsicht und Feinfühligkeit strukturiert worden ist. Zum anderen schließen wir daraus aber auch, daß auf Grund einer veränderten Energiesituation zumindest ähnliche Schlußfolgerungen gezogen worden sind. Sie lauten: Die Importkohle hat neben der heimischen Kohle ihren Platz; in einer erschwerten Situation wird man nicht nur erfinderischer — darauf ist bei anderen Gelegenheiten hingewiesen worden —, sondern man rückt auch stärker zusammen. Im übrigen bin ich auch sicher, daß das Stichwort Kohle — unter Hinzuziehung der Importkohle — dazu beitragen wird, daß die Nähe zur Kernenergie, zum Hochtemperaturreaktor deutlicher wird.Die beiden Gesetze markieren in ihrer Bündelung — das ist schon besonders prägnant gesagt worden — eine wesentliche — wenn nicht die wesentlichste — Etappe in der Umsetzung der energiepolitischen Ziele, der energiepolitischen Konzeption der Regierung, die da lauten: erstens weg vom Öl; zweitens Förderung der heimischen Energiequellen, wobei in besonderer Weise die Möglichkeiten und Chancen unserer heimischen Kohle hervorgehoben werden sollten; drittens die Breite der Energieträger erhöhen, die Bezugsregionen diversifizieren und die Energieträger in ihrer Position stärken, die bisher nur einen äußerst geringen Importanteil haben, was alles zusammengenommen sicherlich die Energieversorgung sicher macht.Sie wird dadurch insbesondere im Bereich der Verstromung sicher gemacht. Die Perspektive, daß mit dem Bündel dieser hier vorliegenden Maßnahmen Ende der 80er Jahre über 50 % des Stroms in der Bundesrepublik durch Kohleeinsatz hergestellt werden, erscheint mir beruhigend, wie es mir auch — der kurze Gedankenabtausch gerade zuvor hat das deutlich gemacht — als eine richtige Politik erscheint, diese Verstromungsgesetze aus den 60er Jahren ausgebaut zu haben; denn immerhin ist es gelungen, einen Verstromungsanteil und damit einen Absatzteil für die Kohle von 30 % aufrechtzuerhalten. Ich fühle mich eigentlich sehr sicher, daß ohne eine solche damalige Gesetzgebung angesichts reichlichen und billigen Öls ein noch sehr viel stärkerer Durchmarsch des Öls in den Verstromungsbereich stattgefunden hätte, wodurch — aus heutiger Sicht gesehen — die Versorgungssituation nicht besser geworden wäre.Dieses Bündel will die Menge der Kohle im Verstromungsbereich erhöhen, und zwar deutlich erhöhen. Die Zahlen wurden genannt. Wir betrachten es auch als einen Vorteil, daß der Zeithorizont bis fast an das Ende dieses Jahrhunderts verlängert wurde. Auch das ergibt für alle Beteiligten jeweils aus ihrer Sicht eine größere Sicherheit.Es ist richtig und aus unserer Sicht begrüßenswert, daß die Möglichkeiten der Importkohle verstärkt in diese Politik einbezogen wurden. Das kostet gewiß Geld. Es kommt aber nicht wie einstmals aus dem Bundesetat, sondern seit 1974 über einen Fonds. 4,5 % halten wir für vertretbar, wenn man diese Mengenausdehnung und damit die entsprechende Sicherheit haben will. Wir erhöhen die Sicherheit, wie ich meine, bei einer entsprechenden Sicherheitsprämie für die Bevölkerung, denn die 4,5 % sind als Aufschlag auf die Strompreisrechnung letztlich vom Verbraucher, vom Bürger zu zahlen.
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ZywietzWir halten dies aber für eine vertretbare, ja für eine notwendige Mittelverwendung.Aus der Sicht der FDP bewerten wir es positiv, daß mit Hilfe der Importkohle durch die Möglichkeiten einer Mischpreiskalkulation ein noch größerer Kohleanteil verstromt werden kann. Wir begrüßen auch, daß Aktivitäten im Kohlebereich von deutschen Unternehmen im Ausland angesichts der Reimportmöglichkeiten überhaupt Sinnhaftigkeit und Perspektive bekommen. Wir begrüßen es ferner, daß durch die Hereinnahme billiger Importkohle der Bereich der Kohletechnologie mit allen Aspekten mehr Schubkraft und eine, wie ich es bezeichnen möchte, erleichternde Anstoßfunktion gewinnen wird. Damit kann ein Energieträger im Sinne rationeller Energieverwendung in einen weiteren Verwendungsbereich eindringen, der bisher stark vom Ö1 dominiert wird, nämlich in den Wärmemarkt. Wenn hier sukzessive mehr Importkohle eingesetzt werden kann, halten wir das für eine richtige Perspektive.Dies alles kommt in den beiden Gesetzesvorlagen zum Ausdruck. Auf die drei, vier Einzelheiten, die im Ausschuß beraten wurden, möchte ich nicht mehr eingehen. Das ist hinreichend getan worden.Es bleibt der beteiligten Wirtschaft Dank zu sagen, die sich für diese Vertragsgestaltung engagiert hat. Ich persönlich werte die Tatsache als gesundes Selbstvertrauen für einen guten Vertragsabschluß, daß gerade am Tag der ersten Lesung hier in diesem Hause zwischen der Kohleseite und der Verstromungsseite der Vertrag abgeschlossen wurde, wodurch ja gut 2 Milliarden DM Finanzierungserwartung in dieses Haus verlagert werden. Ich werte dies, wie gesagt, positiv und nicht so, daß man vielleicht glauben müßte, dem Parlament bleibe nichts anderes übrig, als nur noch den Scheck für den ausgehandelten Betrag zu überreichen.Bleibt noch Dank zu sagen dem Wirtschaftsminister und dem Wirtschaftsministerium für diesen Abschluß — neben den unmittelbar Beteiligten. Sie, Herr von Büllesheim, haben angedeutet, daß die Materie in der Tat kompliziert ist und über die Jahre immer noch komplizierter geworden ist. Die Vielfalt der Interessen und die gute Absicht in das richtige Vertragswerk zu gießen — mit der entsprechenden Gesetzgebung —, ist, so scheint mir, kein ganz leichtes Unterfangen. Es ist gelungen. Dafür möchten wir Dank sagen.Die FDP wird diesen beiden Gesetzen zustimmen. — Ich bedanke mich.
Das Wort hat Bundesminister Graf Lambsdorff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieses Gesetz, das zur endgültigen Beschlußfassung vorliegt, ist nach Auffassung der Bundesregierung ein Markstein, eine konsequente Fortsetzung einer als richtig erkannten energiepolitischen Konzeption.Bereits in der ersten Lesung des Gesetzes habe ich die einzelnen Elemente dieses Konzepts dargelegt; deswegen will ich sie hier nur ganz kurz wiederholen: die optimale Nutzung der heimischen Kohlelagerstätten — wichtige Voraussetzung hierfür ist eine langfristige Absatzsicherung für die Kohle in ihrem wichtigsten heimischen Absatzbereich, der Kraftwirtschaft —, die weitere Zurückdrängung des Öls und längerfristig auch des Gases aus der E-Wirtschaft und damit Verstärkung der Sicherheit der Stromversorgung, die Gewährleistung der notwendigen längerfristigen Planung von Kohlebergbau und Stromwirtschaft. Durch diese an die Grenzen der Leistungsfähigkeit des deutschen Steinkohlebergbaus gehende langfristige und umfangreiche Lieferbindung wird eine politisch entscheidende Voraussetzung für den notwendigen Ausbau auch der Kernenergie geschaffen. — Ich stimme ausdrücklich dem zu, was der Kollege Wolfram hierzu gesagt hat.
Der deutsche Steinkohlebergbau hat diesen Zusammenhang selbst ausdrücklich anerkannt, ebenso die beteiligten Gewerkschaften. — Schließlich: Öffnung des Wärmemarktes und der Verstromung für die Importkohle.Voraussetzung für die Ihnen zur Beschlußfassung vorliegende Lösung war die Vereinbarung zwischen dem Steinkohlebergbau und der E-Wirtschaft über die Verlängerung und Aufstockung des 33-Millionen-Tonnen-Vertrages und eine parallele Vereinbarung zwischen Kohle und industrieller Kraftwirtschaft. Ich schließe mich dem Dank, den Herr Zywietz an die beteiligten Wirtschaftszweige ausgesprochen hat, an.Zwei Aspekte des vorliegenden Gesetzentwurfs möchte ich an dieser Stelle unterstreichen.Erstens. Mit der Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfs hat sich das Modell privatrechtlicher Vereinbarungen, verbunden mit staatlicher — rechtlicher und finanzieller — Flankierung, erneut bewährt. Ich wiederhole, was ich bei früherer Gelegenheit gesagt habe: Hätten wir dies mit Gesetzen versucht, würden wir uns heute noch entweder im Vermittlungsausschuß oder beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe aufhalten.Zweitens. Die Absatzsicherung für die heimische Kohle in der Stromwirtschaft gibt zugleich die Möglichkeit, die bisher sehr engen Möglichkeiten für die Importkohle auf dem deutschen Markt wesentlich zu erweitern. Auch bei äußersten Anstrengungen auf dem Gebiet der Energieeinsparung und bei optimaler Nutzung der heimischen Steinkohle werden wir in Zukunft neben einem Ausbau der Kernenergie auf einen ständig steigenden Anteil der Importkohle an der Deckung unseres Energiebedarfs nicht verzichten können, wenn wir die Entwicklung auf dem Weltölmarkt realistisch ins Auge fassen. Die Bundesregierung hält es deswegen für einen entscheidenden Fortschritt, daß nach Verabschiedung der vorgesehenen Änderung des Kohlezollkontingentgesetzes die Tür für eine steigende Rückkehr des allgemeinen Wärmemarkts vom Öl zur Kohle weit geöffnet wird. Öl muß immer stärker den Ver-
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffbrauchssektoren vorbehalten werden, bei denen es besonders schwer zu substituieren ist. Das gilt insbesondere für die leichten Produkte.Herr Kollege Wolfram, wir haben ja eine Unterhaltung über den früheren Bau von Crackanlagen im Hause geführt; da das damals nicht rentabel war, war kaum zu erwarten, daß sie gebaut wurden. Das gleiche gilt ja auch für den damaligen Einsatz von Kohle. Ich finde, wir sollten die Diskussion noch einmal miteinander führen, ob es nun ein Fehler war, vor 20 Jahren billiges Öl einzusetzen, wenn alle Welt um uns herum auf dieser billigen Basis des Erdöls ihre wirtschaftliche Produktivität betrieb und damit wettbewerbsfähig war. Hinterher ist alles leichter gesagt, als es damals entschieden wurde. Und ich bin mit dem Kollegen Wolfram sicher völlig einig, daß der Vergleich von 30 Milliarden DM mehr für Öl und 6 Milliarden DM mehr, die wir hier für die Subventionierung der Kohle aufzubringen haben — wir wissen das ja alle —, nicht etwa eine versteckte Aufforderung an die Kohle sein soll, nun den Ausgleich des Abstands von 6 Milliarden zu 30 Milliarden DM nachzuholen. Ich glaube nicht, daß das gedacht war.Meine Damen und Herren, Öl muß durch Kohle vorrangig verdrängt werden, wo dies technisch und ökonomisch am schnellsten und wirksamsten geschehen kann. Dies gilt vor allem für den Wärmemarkt der Industrie. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich an die deutsche Industrie appellieren, die Möglichkeiten, die ihr durch die Öffnung des Importkohlemarkts geboten werden, auch zu nutzen. Dabei bin ich mir bewußt, daß der Umstellung von Öl auf Kohle — wenn auch im Einzelfall unterschiedliche — Hindernisse entgegenstehen. Dieser Umstellungsprozeß ist aber unvermeidbar. Hier können durch rechtzeitiges Handeln Vorteile im Wettbewerb erzielt werden.Da Kohle für die Erzeugung von Prozeßdampf in Zukunft weltweit steigende Bedeutung erlangen wird, ist die Öffnung unseres Marktes für Importkohle zugleich ein Schritt zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit für die deutsche Industrie.Die schrittweise Herausnahme des schweren Heizöls aus der Industrie — immerhin ein Potential von 20 Millionen Tonnen — und seine Konversion in leichte und mittlere Produkte ist auch im Vergleich zur Kohleverflüssigung der schnellere und kostengünstigere Weg.Trotzdem müssen wir jetzt schon die Kohleveredelung anpacken. Wenn diese Techniken rechtzeitig zur Verfügung stehen sollen, müssen erste Großanlagen jetzt in Angriff genommen werden. Mit der Verabschiedung des Kohleveredelungsprogramms durch die Bundesregierung im Januar ist der erste Schritt zur Realisierung dieser Anlagen eingeleitet worden. Zur Zeit werden für 15 Projekte die konkreten Planungen durchgeführt. Die Bundesregierung ist entschlossen, die Industrie bei den weiteren Realisierungsschritten in dem notwendigen Umfang zu unterstützen.Es ist selbstverständlich, daß wir mit unserer Politik „Weg vom Öl" über den vorliegenden Gesetzentwurf hinaus alle sich bietenden Möglichkeiten ausschöpfen müssen. In diesem Zusammenhang greife ich zwei Punkte heraus, zu denen auch Entschließungsanträge vorliegen:Offengeblieben sind bei der Importregelung die zukünftigen Bezugsmöglichkeiten der Stahlindustrie. Die Bundesregierung begrüßt den vom Wirtschaftsausschuß einstimmig vorgelegten Entschließungsentwurf zu diesem für den Steinkohlenbergbau und die Stahlindustrie, aber auch für die Finanzpolitik des Bundes wichtigen Komplex. Die in dem Entschließungsentwurf für diese Verhandlungen gesetzten Zielpunkte werden von uns voll geteilt. Die Bundesregierung wird zu Beginn der nächsten Legislaturperiode entsprechende Gespräche mit den Beteiligten aufnehmen. Wir sind an einer zügigen Lösung sehr interessiert.Ein weiterer Punkt — ein Punkt, der mir Sorge macht —: Es geht um das Fernwärmeprogramm des Bundes und der Länder. Offiziell heißt es „Kohle-, Heizkraftwerks- und Fernwärme-Ausbauprogramm". Sie wissen, daß dieses Programm als Anschlußprogramm für den Teil „Fernwärme" des demnächst auslaufenden Zukunftsinvestitionsprogramms gedacht ist. Mit diesem Programm wollen wir, um Ö1 im Haushaltsbereich zu substituieren und Energie rationeller zu nutzen, Kohleheizkraftwerke und die Nutzung industrieller Abwärme für die Fernwärmeversorgung sowie Fernwärmenetze fördern. Ich begrüße hierzu ausdrücklich den Entschließungsantrag. Das Programm kann aber nur dann in Kraft treten, wenn alle Länder zustimmen. Herr Kollege Narjes, Sie haben dies ja vorhin durch einen Zwischenruf deutlich gemacht Ich appelliere deshalb an das Land Schleswig Holstein, im Interesse der langfristigen umfassenden Sicherung unserer Energieversorgung diesem Programm zuzustimmen. Ich begrüße es, Herr Narjes, daß Sie diese Auffassung vertreten haben und die sicherlich nicht von der Hand zu weisenden finanzpolitischen Bedenken zurückstellen.Zum Inhalt des Gesetzentwurfs im einzelnen kann ich mich sehr kurz fassen.Wichtig erscheint mir, daß die Subvention für die sogenannte Zusatzmenge zukünftig nicht mehr ansteigen kann und sich an der tatsächlichen Preisentwicklung auf dem Energiemarkt orientieren wird.In Zukunft wird bei Anlagen der Kraft-WärmeKopplung auch die Umrüstung von Öl- auf Kohlefeuerung finanziell gefördert. Folgerichtig ist deshalb, daß der Wirtschaftsausschuß die Umrüstungshilfen auf den Ölteil bei bivalenten Öl-Gas-Anlagen ausgedehnt hat.Es ist ebenfalls richtig, daß durch die unmittelbare Bereitstellung eines Kontingents für die Kohleveredelung von fünf Millionen Tonnen deutlicher zum Ausdruck kommt, daß Kohleveredelung auch auf der Grundlage von Drittlandskohle betrieben werden soll.Mit dieser entscheidenden Absicherung des Absatzes der heimischen Kohle und zugleich der Öffnung des Marktes für die Importkohle erfüllen wir die internationalen Verpflichtungen, die wir in der Europäischen Gemeinschaft, auf den Weltwirt-
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17792 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffschaftsgipfeln in Bonn und Tokio und zuletzt in der Ministersitzung der Internationalen Energieagentur in Paris übernommen haben. Wir leisten damit einen wesentlichen Beitrag zur Palette struktureller Maßnahmen, für die wir uns im internationalen Bereich immer wieder eingesetzt haben und die wir für das wichtigste und geeignetste Instrumentarium halten, um die Abhängigkeit der industrialisierten Verbraucherländer von den Ölimporten zu mindern.Damit ist nunmehr auch die Auseinandersetzung über Zweckmäßigkeit und Ausgestaltung rein zahlenmäßiger Ziele abgeschlossen, die die vergangenen Jahre beherrscht hat. Die Festsetzung derartiger Ziele bleibt den Fällen ausgeprägter Marktverengung vorbehalten, in denen sie auch nach Meinung der Bundesregierung gerechtfertigt ist. Das erforderliche Instrumentarium dafür ist von den IEA-Ministern im Mai verabschiedet worden.In Brüssel und in Paris haben wir uns darüber geeinigt, daß wir uns jetzt darauf konzentrieren, das Ö1 aus den Kraftwerken und der Industrie so weit wie möglich herauszunehmen und, wie immer dies erreichbar ist, auch aus dem privaten Sektor. Wir erwarten, daß diese Anstrengungen dazu führen werden, den Ölanteil am Gesamtenergieverbrauch der Internationalen Energieagentur bis 1990 von jetzt noch 52 % auf dann rund 40 % abzusenken. Ich gehe davon aus, daß dieses auch die Linie sein wird, die der Weltwirtschaftsgipfel am 22. Juni in Venedig verfolgen wird.Wir sind uns mit unseren westlichen Partnern darüber einig, daß es zur Erreichung dieses Ziels drei sich ergänzende Ansätze gibt: Einsparung, Kohle und Kernenergie. Der lange und vorbildliche Katalog unserer Einsparmaßnahmen ist hinlänglich bekannt. In unseren internationalen Gesprächen, insbesondere auch mit den westlichen Kohleförderländern, wird nunmehr die deutsche Position entscheidend davon bestimmt sein, daß die deutschen Unternehmen in Zukunft auch Importkohle werden einsetzen können.Die französische Kernenergiepolitik macht aber deutlich, daß auch Kernenergie direkt eingesetzt werden kann, um den Anteil des Öls am Verbrauch von Wirtschaft und. Privaten zurückzudrängen. In der Bundesrepublik wird häufig argumentiert, daß ein Zusammenhang zwischen Ausbau der Kernenergie und Verringerung der Ölabhängigkeit nicht bestehe. Dabei wird dann gerne auf das — auch nur auf den ersten Blick richtige — Beispiel verwiesen, daß man mit Kernenergie nicht Auto fahren könne. Zutreffend ist aber, daß ein kostengünstiges, sicheres Stromangebot unmittelbar zur Ablösung des Öls in den privaten Haushalten und auch des Öls zur Erzeugung von Prozeßwärme in der Industrie beiträgt. Für den Verbraucher, der nicht Fernwärme und Gas vor der Tür hat, ist natürlich der Strom die Alternative zum Öl für den Wärmebedarf. Das hat Frankreich erkannt und ist erklärtermaßen dabei, seiner Wirtschaft durch den Ausbau der Kernenergie den Verzicht auf Öl zu ermöglichen und sich zugleich imVerhältnis zu uns einen langfristigen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.
— Solange wir sie haben, Herr von Spies, ist das natürlich richtig.Ein auch in dieser Richtung abgestimmtes Vorgehen der großen Industrieländer kann einen wesentlichen Beitrag zur Lösung der Ölprobleme leisten.Im Kraftwerksbereich haben wir mit unserer Verstromungspolitik bereits erhebliche Vorleistungen erbracht. Der Ölanteil beträgt nur noch knapp 8 %.Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, schließlich noch ein Wort zu den energiepolitischen Anstrengungen der USA sagen, denen als größtem Energieverbraucher und größtem Mineralölimporteur der wesentlichste Anteil an der Durchsetzung unserer internationalen Bemühungen zukommt. Mit Genugtuung haben wir zur Kenntnis genommen, daß im amerikanischen Kongreß bei der Behandlung der Vorschläge der Administration zur Beschleunigung der Durchführung von Energieprojekten und zur Förderung der Herstellung synthetischer Treibstoffe nunmehr deutliche Fortschritte gemacht worden sind, auch wenn die Ergebnisse bezüglich des Synfuel-Programms ganz erheblich hinter den Vorstellungen der Regierung zurückgeblieben sind.Mit um so größerem Bedauern müssen wir allerdings zur Kenntnis nehmen, daß die vermittels einer Importabgabe geplante Erhöhung des Benzinpreises im Kongreß auf fast einhellige Ablehnung gestoßen ist. Diese Preiserhöhung hätte nach meiner Überzeugung in dem bei weitem wichtigsten Verbrauchsbereich, in dem die USA immer noch an einsamer Spitze liegen, für den amerikanischen Verbraucher ein deutliches Einsparsignal gesetzt.Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß: Die Bundesregierung ist erfreut und befriedigt darüber, daß dieses Gesetz, das für die Energiepolitik und Energiewirtschaft unseres Landes von weitreichender Bedeutung ist, heute im Bundestag verabschiedet werden kann. Die breite Zustimmung, die das Gesetz und das mit ihm verbundene energiepolitische Konzept hier und heute und auch bei den Verbänden, Unternehmen, Gewerkschaften und auch im ersten Durchgang des Bundesrates, gefunden hat, bestätigt mir, daß damit ein weiterer Schritt in unserer Energiepolitik in die richtige Richtung gegangen wird, national wie international.Den Bundesländern möchte ich für die von ihnen eingenommene konstruktive Haltung im ersten Durchgang ausdrücklich danken. Das läßt mich hoffen, daß das Gesetz im zweiten Durchgang die Zustimmung des Bundesrates findet.Allen, die dazu beigetragen haben, dieses Konzept zu verwirklichen, insbesondere den beteiligten Ausschüssen, die durch die zügige Beratung die schnelle Behandlung hier im Plenum möglich gemacht haben, sage ich im Namen der Bundesregierung nochmaligen Dank.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980 17793
Bundesminister Dr. Graf LambsdorffIch bitte Sie, dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die Art. 1 bis 3, 3 a, 4 und 5, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Der Gesetzentwurf ist in zweiter Lesung damit angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Das Gesetz ist in dritter Lesung einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, es ist nun noch über zwei Beschlußempfehlungen abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4138 unter Ziffer 2, den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf auf Drucksache 8/3520 für erledigt zu erklären. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Ferner empfiehlt der Ausschuß auf Drucksache 8/4138 unter Ziffer 3 die Annahme einer Entschließung. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes und anderer Gesetze
— Drucksache 8/3648 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 8/4168 —
Berichterstatter: Abgeordneter Löffler
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksachen 8/4141, 8/4157 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Spöri Dr. Kreile
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU/CSUFraktion stimmt dem Gesetzentwurf zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes und anderer Gesetze in der vom Finanzausschuß empfohlenen Fassung zu. Ziel des vorliegenden Entwurfes ist es vor allem, besonderen Gestaltungsmöglichkeiten im Steuerrecht entgegenzuwirken, durch die erhebliche, sachlich nicht gerechtfertigte Steuervorteile erzielt werden können.Insbesondere der neu formulierte § 15 a des Einkommensteuergesetzes entspricht in der Sache unseren seit langem vorgetragenen Forderungen; er geht ja auch im wesentlichen auf die Initiative des Bundesrates zurück. Mit diesem § 15a des Einkommensteuergesetzes wollen wir die Fehlleitung volkswirtschaftlichen Kapitals in sogenannten Verlustzuweisungsgesellschaften verhindern, deren primärer Zweck nicht die Erzielung von Einkünften, sondern die Erzielung von Steuerersparnissen ist. Dazu soll die steuerliche Anrechnung von Verlusten bei Gesellschaftern auf den Betrag begrenzt werden, für den der Gesellschafter tatsächlich haftet. Die CDU/CSU hat die Befürchtungen, daß aus der Begrenzung der Verrechnungsmöglichkeit von Verlusten bei beschränkt haftenden Unternehmern Nachteile insbesondere für die typische Familienkommanditgesellschaft entstehen könnten, sehr ernstgenommen. Indem wir im Finanzausschuß klargestellt haben, daß in den steuerlich maßgeblichen Haftungsrahmen auch das Sonderbetriebsvermögen des Gesellschafters einbezogen wird und daß dies auch für Darlehen gilt, die ein beschränkt haftender Gesellschafter der Gesellschaft gewährt, haben wir, wie wir glauben, die Gefahren für die wirtschaftlichen Betätigungsmöglichkeiten der klassischen Kommanditgesellschaften hinreichend eingegrenzt.Wir haben eine Ausnahme von der Einschränkung der Verrechnungsmöglichkeiten von Verlusten bei negativem Kapitalkonto nur im Rahmen des Berlinförderungsgesetzes zugelassen, weil wir glauben, daß im Rahmen der Berlinförderung auf dieses Instrument nicht verzichtet werden kann.
Bei allem sachlich Positivem dieser Regelung zeichnen sich dieser Gesetzentwurf insgesamt und gerade auch der neue § 15 a im Einkommensteuergesetz wieder einmal durch außerordentliche Kompliziertheit aus. Einen Beitrag zur Steuervereinfachung wird dieses Gesetz gewiß nicht leisten. Wenn wir dennoch bei allen Bemühungen eine einfachere Regelung nicht finden konnten, dann bestätigt sich einmal mehr unsere These, daß die Kompliziertheit der Steuergesetze eine zwangsläufige Folge der insgesamt hohen Steuerbelastung ist. Je höher die Steuerlast wächst, um so stärker wird der Druck, die Besteuerung zu vermeiden oder zu umgehen, und um so komplizierter werden die notwendigen gesetzlichen Regelungen, um so perfektionistischer wird der bürokratische Vollzug, um die sich immer
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17794 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980
Dr. Schäubleneu bildenden Lücken in der Besteuerung zu schließen.
— Herr Kollege Kühbacher, das ist doch eine gemeinsame Erfahrung, die wir machen. Dieses Problem, unter dem wir leiden, ist in der Finanzwissenschaft übrigens gar nicht neu. Deswegen dürfen wir uns alle nicht zuviel Hoffnungen machen, was Steuervereinfachung anbetrifft. Diesen Zusammenhang muß man, wie ich glaube, immer wieder aufzeigen.
— Sehr schön, daß Sie mir zustimmen.
Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt auch die Verbesserungen im Gesetzentwurf zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ausländischer Einkünfte, die durch die Neuformulierung des § 34c des Einkommensteuergesetzes bzw. des § 26 des Körperschaftsteuergesetzes geschaffen werden. Diese Neuregelungen erlauben in Zukunft, daß im Ausland gezahlte Steuern auf die entsprechende deutsche Steuer angerechnet werden können.
In den Fällen, in denen diese Anrechnung auch in Zukunft nicht möglich sein wird oder in denen diese Anrechnung die Doppelbesteuerung nicht zureichend vermeiden kann, bleibt die Möglichkeit, diese im Ausland gezahlten Steuern auch in Zukunft vom Gesamtbetrag der in Deutschland zu versteuernden Einkünfte abzusetzen.Wir ersetzen schließlich den in der Praxis insgesamt nicht bewährten § 39 des Körperschaftsteuergesetzes durch einen neuen § 50 c im Einkommensteuergesetz. Wir wollen damit die einmalige Besteuerung von Gewinnen bei Veräußerung von Anteilen an Körperschaften sicherstellen. Zugleich schaffen wir mit dieser Neuregelung — jedenfalls hoffen wir das alle gemeinsam — die durch § 39 des Körperschaftsteuergesetzes verursachte Behinderung beim Erwerb von Anteilen, die von Ausländern an Inländer veräußert werden und wo sich in der Praxis Wettbewerbsbehinderungen ergeben haben, ab.Dem Ziel, eine definitive Besteuerung von von Körperschaften ausgeschütteten Gewinnen mit 36 % Körperschaftsteuer zu sichern, sollte auch der im Regierungsentwurf vorgesehene § 8 Abs. 3 des Körperschaftsteuergesetzes dienen. Schon der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme darauf hingewiesen, daß die im Regierungsentwurf vorgesehene Erfassung nur des Fremdkapitals, das gegen gewinnabhängigen Ertrag von nichtanrechnungsberechtigten, also nicht unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschaftern, der Gesellschaft zur Verfügung gestellt wird, nicht ausreichen kann, sondern daß auch andere Umgehungsformen dieser Definitivbesteuerung ausgeschlossen werden müssen.Obwohl die Bundesregierung dieses Problem seit Jahren kennt, hat sie sich nicht zu einer Lösung imstande gesehen. Sie trägt damit eine schwere Verantwortung für zunehmend wachsende Ausfällebeim Körperschaftsteueraufkommen. Die Herausnahme dieser Problematik aus dem jetzt zu verabschiedenden Gesetz ist der CDU/CSU außerordentlich schwergefallen, und die Koalition muß sich vorhalten lassen, daß eine große Lücke in der Besteuerung der Körperschaften nicht geschlossen wird.
Wenn wir außerdem, meine Damen und Herren von der SPD — ich sage das mit allem Ernst und Nachdruck —, aus Ihren Reihen hören, daß das sogenannte Gewerkschaftsmodell in jedem Fall auch für die Zukunft steuerbefreit bleiben soll, wie das etwa der Kollege Spöri in einer Presseerklärung gesagt hat,
dann werden damit ja andere, nicht unbeschränkt steuerpflichtige Anteilseigner durch solch unverantwortliches Gerede geradezu aufgefordert, das Gestaltungsmodell der gewerkschaftseigenen Unternehmen zu übernehmen.
Mit dem Satz „Streikgelder der Gewerkschaften oder Mitgliedsbeiträge der Gewerkschaften dürfen nicht besteuert werden" kann dieses Problem nicht abgetan werden. Es geht hier überhaupt nicht um einen Angriff auf den Deutschen Gewerkschaftsbund,
sondern um die Vermeidung schwerwiegender Wettbewerbsverzerrungen und um die Sicherung des Steueraufkommens. Wirtschaftliche Unternehmen können sich nicht deshalb im Ergebnis weitgehend steuerbefreit im Wettbewerb bewegen, weil ihr Kapital von steuerfreien Körperschaften oder von ausländischen Anteilseignern gehalten wird.Herr Kühbacher, weil Sie hier so munter sind, muß ich einmal Ihre Presseerklärung von damals heraussuchen. Wer sich noch daran erinnert, wie ernst wir alle bei der Vereinsbesteuerung das Problem der Wettbewerbsverzerrungen bei vergleichsweise Bagatellbeträgen genommen haben, der kann Ihnen die Frage nicht ersparen, warum denn der Wettbewerbsgesichtspunkt dann nicht gelten soll, wenn es um Steuerausfälle in Höhe von vielen Millionen etwa bei gewerkschaftseigenen Unternehmen geht
Herr Kühbacher, Sie haben in einer Presseerklärung vom 23. April dieses Jahres zum Thema Vereinsbesteuerung erklärt:Die Vorstellung des Bundesrates, wirtschaftliche Geschäftsbetriebe der Vereine ... durch eine Minderung der Belastung im Gewerbesteuer-, Körperschaftsteuer- und Vermögensteuerbereich zu begünstigen, führt zu Wettbewerbsverzerrungen, die der übrigen Wirtschaft schaden und die dazu geeignet sind, den eigentlichen Vereinszweck immer mehr in Richtung Gewerbetätigkeit zu drängen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980 17795
Dr. SchäubleMeine Damen und Herren, wenn Sie nur noch ein klein wenig die Konstanz der Maßstäbe, die Sie anlegen, gelten lassen, dann können Sie nicht umhin, diese Lücke im Körperschaftsteuersystem, die ja im Ergebnis zu einer Aushöhlung des gesamten Systems unseres Körperschaftsteuerrechts führen wird, zu schließen. Wir haben doch in diesen Wochen ganz konkrete Anhaltspunkte für die Besorgnis, daß die Unfähigkeit der Regierungskoalition, dieses Problem jetzt zu lösen, und die Ankündigungen, die seitens der SPD noch hinzukommen, heute dazu führen, daß sich die Dimension des Problems dramatisch erweitert,
indem eben zur Zeit andere, nicht unbeschränkt steuerpflichtige Anteilseigner zu entsprechenden Gestaltungsformen greifen; und das sind sowohl steuerfreie Anteilseigner als auch nicht unbeschränkt steuerpflichtige, d. h. ausländische Anteilseigner. Dann, meine Damen und Herren, wenn wir diese Tür nicht verschließen, können wir im Grunde a la longue das System unseres Körperschaftsteuerrechts vergessen.Hinzufügen muß ich: In einer Zeit, in der der Finanzminister praktisch jede Woche den haushalts- und finanzpolitischen Offenbarungseid leisten muß und geleistet hat — wenn ich nur, Herr Kollege Ritz, an die Diskussion über die Finanzierung des EG-Kompromisses denke —, muß die Unfähigkeit der Koalition, diese enormen Ausfälle beim Körperschaftsteueraufkommen zu vermeiden, besonders bedrücken.Meine Damen und Herren, angesichts des Zeitdrucks, unter dem wir standen, und angesichts der Notwendigkeit, wenigstens im Bereich der Verlustzuweisungsgesellschaften eine Neuformulierung des § 15a zu verabschieden, haben wir uns im Finanzausschuß am Ende darauf geeinigt, mit der vorgelegten Entschließung die Lösung des Problems auf den Beginn der kommenden Legislaturperiode zu verschieben. Wir fordern mit dieser Entschließung die künftige Bundesregierung auf, das Versäumte unverzüglich nachzuholen. Wir von der CDU/CSU-Fraktion verbinden damit die Erwartung, daß in der neuen Legislaturperiode eine sachgerechte Lösung gefunden und auch von allen Beteiligten — das sage ich mit großem Ernst und Nachdruck — akzeptiert werden wird, eine Lösung, die diese große Lücke in der Besteuerung der Körperschaften schließt und die die Wettbewerbsneutralität des Körperschaftsteuersystems wiederherstellt.Meine Damen und Herren, wer von Steuergerechtigkeit nicht nur redet, sondern Steuergerechtigkeit und Wettbewerbsneutralität des Steuersystems auch wirklich will, ist in dieser Frage gefordert. Wir werden zu Beginn der kommenden Legislaturperiode eine schwere Aufgabe zu bewältigen haben. — Ich habe schon zu Beginn erklärt, daß wir dem Gesetz in der vom Finanzausschuß empfohlenen Fassung zustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Spöri.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da der Kollege Schäuble zumindest punktuell sachlich gesprochen hat,
kann ich mich in der Diskussion über diesen Gesetzentwurf auf zwei Punkte beschränken. Da ist zunächst einmal das Problem der sogenannten Abschreibungsgesellschaften, und da sind zum zweiten die von Herrn Schäuble angesprochenen Umgehungsmöglichkeiten bei der Körperschaftsteuer.Ich finde es erfreulich, daß auch Herr Schäuble diese Änderung, die wir vorgenommen haben, nämlich die Einfügung des § 15a des Einkommensteuergesetzes, unter ihrem wichtigen Gerechtigkeitsaspekt gesehen hat, eine Änderung, mit der ja in Zukunft verhindert wird, daß sich irgendwelche privilegierten Einkommensbezieher über Verlustzuweisungsstrickkonstruktionen steuerlich Verluste anrechnen lassen, die sie persönlich überhaupt nicht haben. Ich finde es wirklich bemerkenswert, daß Sie, Herr Schäuble, diesen Gerechtigkeitsaspekt hier in der Debatte akzeptiert haben, denn das war in der ersten Lesung nicht in dieser deutlichen Akzentuierung der Fall.
— Ich freue mich; hindern Sie mich bitte nicht an dieser Freude.Herr Schäuble, ich möchte es einmal ganz drastisch sagen: Für die Mehrzahl der mittleren und der kleineren Verdiener in diesem Lande war die Möglichkeit, sich über das sogenannte negative Kapitalkonto Verluste zurechnen zu lassen, die überhaupt nicht den realen persönlichen Verlusten entsprachen, weder eine gebräuchliche noch eine real praktizierbare Möglichkeit der Steuerumgehung. Diese kleinen Lohnsteuerzahler, die ihre Lohnsteuer über das Lohnbüro abgeführt haben, waren zu recht erbittert, wenn sie aus Illustrierten- oder Zeitungsberichten über Abschreibungsskandale erfuhren, welche Möglichkeiten und Schlupflöcher im Steuerrecht jene Findigen haben, von deren Einkommen der Durchschnittsverdiener nur träumen kann.Insofern danken wir der Bundesregierung
für die solide und gründliche Vorbereitung dieses Gesetzentwurfs. Sicher sind Impulse dazu auch aus dem Bundesrat gekommen. Ich finde es beispielhaft, daß ein Gesetz so harmonisch vorbereitet wird. Das soll in der Debatte hier überhaupt nicht ausgeklammert werden. Das war sehr konstruktiv. Dieses Beispiel von Föderalismus sollten wir in der Steuergesetzgebung öfters praktizieren.
Wir sind froh, mit dem Gesetzentwurf dieses leidige Steuerloch in diesem Jahr stopfen zu können.
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17796 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980
Dr. SpöriIch warne nur davor, die bedeutenden Fehlentwicklungen zu unterschlagen, die in diesem Bereich stattgefunden haben. In diesem Zusammenhang sind ja nicht nur ein paar dubiose Pleiteobjekte zu erwähnen, durch die eine skandalöse Kapitalvernichtung stattgefunden hat, z. B. im Baubereich, in der Filmbranche, bei der Erdgassuche oder bei der Erdölsuche. Darüber hinaus sind Milliarden DM an Investitionskapital weder marktwirtschaftlich sinnvoll gelenkt noch staatlich gezielt angelegt worden. Diese Milliarden DM wurden lediglich nach dem Prinzip der Steuerumgehung angelegt Wenn aus der Steuersparbranche unter Berufung auf marktwirtschaftliche Ordnungsprinzipien der heute zu verabschiedende Gesetzentwurf kritisiert wird, kann ich nur sagen, daß diese Praxis, Investitionskapital mit dem Versprechen anzulocken, daß garantiert steuerlich absetzbarer Verlust produziert wird, das genaue Gegenteil von Marktwirtschaft war. Das war eine Perversion
der marktwirtschaftlichen Mechanismen, die nicht verniedlicht werden sollte.Herr Schäuble hat von den Steuermehreinnahmeeffekten gesprochen die durch Praktizierung steuerlicher Gerechtigkeit erzielbar seien. Ich gehe auf diesen Aspekt ganz kurz ein. Der Gesetzentwurf bringt durch die Abschaffung des herkömmlichen Verlustzuweisungsmodells — gucken Sie sich das in der Vorlage mal an — immerhin 500 Millionen DM zusätzliche Steuereinnahmen. Das ist kein Pappen-stil. Selbst wenn wir jene Steuerverluste abziehen, die dadurch entstehen, daß wir die Doppelbesteuerungseffekte bei Auslandseinkünften abbauen, bleiben immerhin 300 Millionen DM für die öffentlichen Kassen übrig. Das ist eine ganz wesentliche Summe. Dies ist ein Beispiel, wie man durch Abbau steuerlicher Privilegien in diesem Staat die öffentliche Finanzsituation entlasten könnte.
Wir sollten in der nächsten Legiuslaturperiode diese Beispiele öfters wiederholen.
Lassen Sie mich noch auf ein Argument gegen diesen Gesetzentwurf eingehen, das jetzt aus der Abschreibungsbranche vorgebracht wird. Manche, die sich sachlich nicht durchgesetzt haben, sagen: Ihr braucht diesen Gesetzentwurf überhaupt nicht zu verabschieden, weil gegenwärtig auf dem Markt überhaupt keine Verlustzuweisungsprojekte mehr angeboten werden. Schlössen wir uns diesem Argument an, so könnten wir mit Sicherheit damit rechnen, daß innerhalb eines Jahres an diesem Markt dieselben alten Sumpfblüten wieder blühen. Diese flexiblen Abschreibungsartisten würden ihre alte Trickkiste wieder aufmachen. Deswegen ist dieser Gesetzentwurf dringend notwendig.
Niemand sollte aber im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf der Illusion verfallen, damit seien alle Steuerschlupflöcher im Bereich der Steuersparbranche verstopft. Wir wissen, daß es auf diesem Markt eine große Kreativität gibt Deshalb haben wir, um gleich vorzubeugen, andere Steuerumgehungskonstruktionen in diesem Gesetzentwurf verhindert. Aber auch damit ist diese Kreativität nicht entscheidend gebrochen; das sehen wir. Deswegen wäre es notwendig, daß wir in der nächsten Legislaturperiode weiter flankierend gesetzgeberisch initiativ werden, um andere unseriöse Praktiken, z. B. im Bereich der Warentermingeschäfte, in Zukunft zu unterbinden.
Meine Damen und Herren, ich denke hier z. B. an das liegengebliebene Vermögensanlagegesetz.Nun noch eine Anmerkung zu dem Punkt, den Sie zum Schluß angesprochen haben, Herr Schäuble. Sie haben von den Umgehungsmöglichkeiten bei der Körperschaftsteuer gesprochen. Wir alle wissen, daß gegenwärtig die Gefahr besteht, daß das neugeschaffene Körperschaftsteuerrecht durch ausländische Muttergesellschaften unterhöhlt wird; das haben Sie richtig beschrieben. Wir waren im Ausschuß alle der Meinung, daß die von der Bundesregierung vorgeschlagene „kleine Lösung" gegenwärtig nicht ausreichend ist, um alle diese Umgehungsmöglichkeiten zu verhindern. Deswegen haben wir über den besten Weg diskutiert, wie man hier weiterkommen kann. Ich verstehe es nicht, meine Damen und Herren, wenn hier in der Diskussion jetzt der Eindruck hervorgerufen wird, als ob jemand etwas hätte verhindern wollen. Sie alle haben in der Resolution, die wir dem Parlament empfohlen haben, zum Ausdruck gebracht, daß die vorgeschlagene „kleine Lösung" unzureichend ist, daß aber auch die Diskussionsansätze, die der Bundesrat alternativ eingebracht hat, nicht ausreichend sind. Dies ist auch von seiten des BDI gesagt worden.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hier klar zum Ausdruck bringen: Wir sind zwar dafür, daß die Bundesregierung bis 1981 eine umfassendere Lösung vorschlägt, aber ich möchte ebenso klar für die SPD-Bundestagsfraktion zum Ausdruck bringen, daß wir keine umfassendere Lösung dergestalt akzeptieren werden, die multinationalen Unternehmen über jetzt noch unbekannte Gesellschaftskonstruktionen weiterhin Schlupflöcher läßt, die aber auf der anderen Seite mit Sicherheit eine inländische Konstruktion trifft, nämlich die Gewerkschaftskonstruktion. Wir gehen davon aus, daß die Gewerkschaftliche Unternehmenskonstruktion — diese Differenzierung haben Sie hier nicht berücksichtigt, Herr Schäuble — erwiesenermaßen bereits vor der Körperschaftsteuerreform 1977 bestand. Wir halten es für vertretbar, daß man diese Konstruktion in der Diskussion nunmehr mit den Praktiken gleichsetzt, die — schon zeitlich gesehen — eine reine Ausweichreaktion auf das neue Körperschaftsteuerrecht von 1977 darstellen.
— Herr Schäuble, ich habe nur noch einen Satz. —
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980 17797
Dr. SpöriAbschließend möchte ich sagen, daß die SPD-Bundestagsfraktion diesem Gesetzentwurf zustimmt, wenn auch mit einigen kleinen Vorbehalten. — Dabei schaue ich z. B. auf meinen Kollegen Claus Grobecker, der sich sehr wirkungsvoll für seine Weserregion eingesetzt hat. Wir stimmen diesem Gesetzentwurf zu, weil wir sehen, daß er einen wesentlichen Schritt zu mehr Steuergerechtigkeit in unserem Land darstellt.
Das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Sie heute noch geduldig das Plenum bevölkern. Ich habe die Ehre, hier für die Freien Demokraten zum Artikelgesetz einige kurze Bemerkungen zu machen.Das Artikelgesetz beinhaltet im wesentlichen zwei Maßnahmen, wie meine Vorredner schon ausgeführt haben, nämlich die Einschränkung des negativen Kapitalkontos, um die legale Möglichkeit der Steuervermeidung einzudämmen, und die verbesserte Anrechnung von im Ausland gezahlten Steuern, um die Doppelbesteuerung ausländischer Einkünfte zu beseitigen oder zumindest den Versuch zu unternehmen, diese merklich zu mildern.Die Eindämmung der Möglichkeiten, durch Verlustzuweisungsgesellschaften legal Steuern zu sparen, ist eine Maßnahme von grundsätzlicher Bedeutung. Mit der Einfügung eines neuen § 15a in das Einkommensteuergesetz folgen wir einem Entschließungsantrag des Bundesrats. Wir halten es — wie der . Bundesrat — aus Gründen der Steuergerechtigkeit für notwendig, solchen Gesellschaften zu begegnen, die Steuervorteile mißbräuchlich ausnutzen. In diesem Zusammenhang ist es erfreulich, daß man tatsächlich vermerken kann, daß Bundestag und Bundesrat in einem doch wichtigen Gesetz auch einmal einer Meinung sind und konstruktiv zusammenarbeiten können.Es ist die Befürchtung geäußert worden, der neue § 15 a könne die klassischen Personengesellschaften— sprich: die normale KG, die sich gerade im mittelständischen Bereich besonderer Beliebtheit erfreut— treffen. Die FDP hat dieses Argument sehr ernst genommen. Ich hoffe jedoch, daß die gefundenen Lösungen diese Bedenken ausreichend berücksichtigen. Die Verlustverrechnungsmöglichkeiten in diesem Bereich sollen — um das klar zu sagen — ja nicht grundsätzlich beseitigt werden. Die normale KG wird in ihrer Tätigkeit nicht behindert werden. Wir wollen lediglich Verluste, die zu einem negativen Kapitalkonto führen bzw. ein solches erhöhen, nicht sofort steuerwirksam werden lassen. Diese Verluste können jedoch gutgeschrieben und mit späteren Gewinnen verrechnet werden. Die klassische Personengesellschaft arbeitet mit Gewinnabsichten. Der Personengesellschaft, die sich vorübergehend in der Verlustzone befindet, werden die Verlustverrechnungsmöglichkeiten also nicht grundsätzlich abgeschnitten.Der neue § 15 a ist ein Musterbeispiel dafür, daß das Streben nach mehr Steuergerechtigkeit zu äußerst komplizierten Lösungen führen kann. Der Gesetzgeber stand hier jedoch vor einem echten Dilemma: Er mußte die Verkomplizierung schließlich in Kauf nehmen. Denn die Tätigkeit der Verlustzuweisungsgesellschaften hat einen Umfang angenommen, der gesellschaftspolitisch nicht mehr Hinger tragbar war. Das Problem der Steuergerechtigkeit hat sich in der Tat mindestens zeitweilig gestellt. Wer die Anzeigenseiten der überörtlichen Zeitungen an den Wochenenden in Erinnerung hat, weiß, in welchem Umfang diese Möglichkeiten wahrgenommen worden sind.Wir müssen auch, so meine ich, möglichen Kapitalfehlleitungen entgegentreten. Diese können dann entstehen, wenn ausschließlich aus Steuerersparnisgründen dort investiert wird, wo unter Zugrundelegung üblicher Rentabilitätskriterien keine Investitionen vorgenommen würden. Man würde aber die Phantasie der Firmengründer und die Modellkonstrukteure gewaltig unterschätzen, wenn man annähme, daß nunmehr alle legalen Steuerersparnismöglichkeiten auf diesem Gebiet und in dieser Art verbaut wären. Es würde verwundern, wenn nicht findige Köpfe neue Schlupflöcher zur legalen Steuerausweichung finden würden. Ich möchte allerdings hier schon jetzt erklären, daß die FDP bereit ist, denkbaren Neuentwicklungen auf diesem Gebiet entgegenzuwirken, wenn sie sich als Fehlentwicklungen erweisen sollten.Für die verbesserte Anrechnung ausländischer Steuern hat sich die FDP in besonderem Maße eingesetzt. In einer Zeit, in der sich unsere Leistungsbilanz auf Grund von Ölpreissteigerungen und auch aus anderen Gründen drastisch verschlechtert hat, ist es notwendig, die Auslandsaktivitäten unserer Wirtschaft zu fördern. Die verbesserte Anrechnung ausländischer Steuern setzt die stattliche Reihe von Maßnahmen zur Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen unserer Wirtschaft fort. Diese wird gelegentlich unterschätzt. Wenn verschiedentlich darüber geklagt wird, im Steuerpaket sei als Maßnahme zugunsten der Wirtschaft nur die Übernahme der Ertragsteuerwerte, der Pensionsverpflichtungen in die Vermögensaufstellung enthalten, werden die außerhalb dieses Steuerpakets geregelten Rechtsänderungen zugunsten der Unternehmen übersehen. Neben der verbesserten Anrechnungsmöglichkeit ausländischer Steuern möchte ich nur die Ausweitung der. Abschreibungsvergünstigungen für Umweltschutzinvestitionen nennen. Dies haben wir vor kurzem im Rahmen des „Omnibus-Gesetzes" beschlossen.Allein drei Maßnahmen sind in diesem Zusammenhang also erwähnenswert: verbesserte Anrechnungsmöglichkeit bei ausländischen Steuern, Übernahme der Steuerbilanzwerte der Pensionsrückstellungen in die Vermögensaufstellung -- auch ein Vereinfachungseffekt, der nicht zu unterschätzen ist — und die großzügigere Abschreibungsvergünstigung für den Umweltschutz. Dies alles zusammengefaßt bringt der Wirtschaft Steuerentlastungen von über 800 Millionen DM pro Jahr. Ich meine, dies ist erwähnenswert.
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17798 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980
CronenbergEine im Gesetzentwurf der Bundesregierung ursprünglich vorgesehene Maßnahme ist interfraktionell einvernehmlich zurückgestellt worden. Es ist die Erweiterung des Tatbestands der verdeckten Gewinnausschüttung. Als verdeckte Gewinnausschüttung sollten auch Vergütungen behandelt werden, die eine Kapitalgesellschaft ihren nicht zur Anrechnung der Körperschaftsteuer berechtigten Anteilseignern gewährt, wenn diese ihnen Fremdkapital zur Verfügung stellen.Zweifelsohne spielt in diesem Zusammenhang die Frage der Gewerkschaften eine ganz bedeutsame Rolle. Hier hatte die Bundesregierung die sogenannte kleine Lösung vorgesehen, nach der nur gewinnabhängige Vergütungen als verdeckte Gewinnausschüttungen behandelt werden sollten. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung war aber bereits angekündigt worden, daß andere, komplizierte Gestaltungsmöglichkeiten zur Umgehung der Körperschaftsteuer geprüft werden sollten.Die Ausschußberatungen haben ergeben, daß diesen weitergehenden Möglichkeiten der Körperschaftsteuerumgehung durch eine sogenannte große Lösung entgegenzuwirken ist. Es müssen auch gewinnunabhängige Vergütungen in eine Regelung einbezogen werden.Wenn wir nunmehr die Bundesregierung ersuchen, bis Ende 1981 einen Gesetzentwurf für eine „große Lösung" vorzulegen, so geschieht dies, weil die durchaus notwendige „große Lösung" gründlich vorbereitet werden muß. Auf die „kleine Lösung" haben wir jetzt auch auch aus dem Grunde verzichtet, daß durch diesen Verzicht der Handlungsdruck für eine umfassendere Lösung starker wird. Schließlich räumen wir damit auch eine Übergangsfrist zur Änderung bisher praktizierter Modelle ein.Ich nehme an, es wird niemanden überraschen, wenn ich Ihnen im Namen der FDP-Fraktion die Annahme des Gesetzentwurfs empfehle. Ich bedanke mich für. Ihre Geduld.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Böhme.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat am 10. Oktober letzten Jahres einen Gesetzentwurf vorgelegt, der eine Neuregelung des Einkommensteuergesetzes vorsieht, um die gesellschaftspolitisch unerwünschten und steuerrechtlich gegen das Prinzip der Leistungsfähigkeit verstoßenden, also mißbräuchlichen Praktiken und Betätigungsmöglichkeiten der sogenannten Abschreibungsgesellschaften einzuschränken. Es ist sehr erfreulich, festzustellen, daß in diesem Hohen Hause darüber Übereinstimmung besteht, diese Praktiken einzuschränken und daß verhindert werden muß, daß dringend notwendiges Investitions- und Risikokapital auf diese Weise der deutschen Volkswirtschaft verlorengeht und bewußt fehlgeleitet wird, nur damit einige gut verdienende Mitbürger bei dieser Gelegenheit Steuern sparen können. Diesen Abschreibungsgesellschaften soll jetzt endlich ein Riegel vorgeschoben und damit eine Branche eingedämmt werden, die nur mit Verlusten wirbt, ausschließlich Verluste produziert und dadurch Milliardenbeträge an privatem Kapital in falsche Kanäle leitet. Diese Praxis ist volkswirtschaftlich unsinnig, gesellschaftspolitisch ein Ärgernis und steuerlich eine Ungerechtigkeit gegenüber denjenigen, die nicht die Möglichkeit haben, derartige Zeichnungen auf Abschreibungsgesellschaften vorzunehmen.
Nun haben Sie, Herr Kollege Schäuble, darauf hingewiesen, daß es nicht verwunderlich sei, wenn solche Abschreibungspraktiken angesichts der hohen Steuerlast in unserem Lande entstünden. Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß die Steuerlast gemeinhin an der sogenannten Steuerlastquote gemessen wird und daß diese in der Bundesrepublik in der Nachkriegszeit lediglich in Punkten hinter dem Komma schwankte, im übrigen aber im wesentlichen unverändert geblieben ist. Die Steuerlastquote schwankte etwa zwischen 23,5 % und 24,5 %. Nein, ich glaube, man kann es sich nicht so einfach machen, sondern es waren hier ausgefuchste und sehr erfahrene Abschreibungsspezialisten und Steuerexperten am Werke, um Möglichkeiten zu suchen, auf legalem Wege Steuern zu sparen.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kühbacher?
Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ich möchte Ihnen die Frage stellen, die ich eigentlich schon bei dem vorherigen Tagesordnungspunkt dem sehr geschätzten Herrn Wirtschaftsminister stellen wollte: Halten Sie es für unbedingt erforderlich, daß die Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren immer dann, wenn in zweiter und dritter Lesung die einzelnen Berichterstatter aus den Fraktionen bereits ausführlich zu der Sache Stellung genommen haben, noch einen obendraufsetzt, was dazu führt, daß das besonders gute Arbeitsklima, das wir eigentlich miteinander haben, auf die Dauer natürlich strapaziert wird, weil man das zum zweitenmal noch einmal von der Regierung anhören muß, was man — —
Können Sie sich bitte auf eine Frage beschränken.
Ja, Herr Kollege, das halte ich in dem Falle für sehr notwendig, und zwar wegen der Frage des .§ 8 Abs. 3 Körpersteuergesetz, welcher auch hier zur Sprache gekommen ist. Ein Vorschlag der Bundesregierung ist hier nicht aufgenommen worden, ein Vorschlag des Bundesrates übrigens auch nicht. Dieser Punkt hat die Öffentlichkeit sehr beschäftigt. Das ist der eigentliche Grund, weshalb ich hier das Wort ergreife.Ich bitte um Nachsicht, wenn ich bei der Gelegenheit unterstreiche, daß die Bundesregierung die
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Parl. Staatssekretär Dr. BöhmeZielsetzung hier noch einmal einheitlich feststellen kann und daß den Praktiken der Abschreibungsgesellschaften, die ja in der Öffentlichkeit wirklich mit Recht gerügt worden sind, hier endlich ein Riegel vorgeschoben wird. Ich halte das wirklich für mehr als ein Ärgernis und fand es beschämend, wenn in Wochenzeitungen oder in sonstigen überregionalen Zeitungen oder Illustrierten ganze Seiten von Anzeigen erschienen sind, mit denen auf die Möglichkeiten derartiger Abschreibungspraktiken hingewiesen wurde, die nur wenigen die Gelegenheit gegeben haben, ihr Steuerkonto auf diese Weise zu erleichtern. Ich möchte hier noch einmal ausdrücklich feststellen, daß ich mich sehr freue, daß es gelungen ist, dies einzuschränken.Ein Wort noch zum Zeitpunkt. Es wurde mit Recht gesagt, daß die Praxis bereits zurückgegangen sei. Dies hat natürlich damit zu tun, daß bereits seit dem Zeitpunkt des Beschlusses im Bundeskabinett mit einem rückwirkenden Inkrafttreten gerechnet werden mußte. Es ist ein Erfolg, wenn heute festzustellen ist, daß derartige Praktiken heute gar nicht mehr bestehen oder jedenfalls sehr zurückgegangen sind.Auf eine angenehme Begleiterscheinung möchte ich auch noch aufmerksam machen. Dieser Gesetzentwurf führt zu einer Mehreinnahme für den Bundesfinanzminister in Höhe von rund 500 Millionen DM.Lassen Sie mich jetzt zu dem, wie ich meine, entscheidenden Punkt kommen. Eine Frage ist im Finanzausschuß nicht geregelt worden und wird auch dem Parlament nicht zur Regelung vorgeschlagen, nämlich die sogenannte Fremdfinanzierung, das heißt die Möglichkeit, daß die Gesellschaften, die sich wirtschaftlich betätigen, nicht nur über Eigenkapital finanziert werden können, sondern auch über die Zuführung von sogenanntem Fremdkapital. Dies hat eine besondere Bedeutung mit der Neufassung unseres Körperschaftsteuerrechtes zum 1. Januar 1977 erlangt. Damals wurde das sogenannte Anrechnungsverfahren eingeführt, die Möglichkeit, daß deutsche Anteilseigner, also Anteilseigner, die deutsche Einkommensteuer bezahlen, die auf die Dividende, das heißt auf die Gewinne einbehaltene Körperschaftsteuer auf die deutsche Einkommensteuer anrechnen.Damit habe ich bereits zum Ausdruck gebracht, daß alle diejenigen Anteilseigner, die keine deutsche Einkommensteuer bezahlen, dann auch nicht in den Genuß einer solchen Anrechnung kommen können. Wenn sie keine deutsche Einkommensteuer bezahlen, geht eine solche Anrechnung auch nicht. Dieses ist erheblich, — Sie haben recht, Herr Kollege Schäuble — weil 40 % des Anlagekapitals deutscher Firmen in den Händen von Anteilseignern sind, die nicht anrechnungsberechtigt sind. Es handelt sich bei etwa 25 % um ausländische Anteilseigner. Und die restlichen 15 % von den genannten 40 % sind inländische Anteilseigner, die steuerbefreit sind, wie z. B. gemeinnützige Körperschaften. Dies ist das Problem, das hier angesprochen worden ist.Die Frage hat die Öffentlichkeit unter dem Stichwort „Gewerkschaftsproblem" außerordentlich beschäftigt. Ich möchte deshalb noch einmal darauf hinweisen, daß es nicht darum gegangen ist, Herr Kollege Schäuble, hier eine Regelung zu suchen, die einen Bereich ausgespart hätte. Das Gegenteil ist der Fall. Es besteht hier wirklich ein unverdächtiger Zeuge: Das ist ein Schreiben des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, der exakt die Regelung aufgenommen und unterstützt hat, die die Bundesregierung vorgeschlagen hat, nämlich die sogenannte kleine Lösung. Davon wäre unstreitig das sogenannte Gewerkschaftsmodell nicht erfaßt gewesen. Gleichwohl hat der Bundesverband der Deutschen Industrie die Annahme der sogenannten kleinen Lösung empfohlen, verbunden mit einer Empfehlung für eine große, allumfassende Regelung zu einem späteren Zeitpunkt.Im Ausschuß wurde die Frage diskutiert - man sollte hier wirklich nicht polemisch argumentieren —, ob es besser ist, jetzt einen ersten Schritt mit der sogenannten kleinen Lösung zu machen, oder ob wir sofort zu einer großen Lösung, nämlich zu einer umfassenden Regelung, kommen sollten.Herr Schäuble, ich glaube, es ist etwas unter Niveau, wenn man diese wirklich hochdiffizile Frage auf dem Niveau einer Vereinsbesteuerungsfrage abhandelt. So lassen sich die Vergleiche wirklich nicht darstellen; das wissen Sie ganz genau.Wir haben eine Menge von Problemen, die bisher nicht gelöst sind. Der Bundesrat hat einen Vorschlag gemacht, der ebenfalls Lücken aufweist, so daß wir auf diese Weise auch nicht zu der gewünschten gemeinsamen großen Regelung gekommen wären. Wir wissen heute nicht: Wie sind die Kriterien einer sogenannten Fremdfinanzierung abzugrenzen? Wie ist die Außenwirkung einer solchen Regelung, was müssen wir eventuell vorher mit unseren außenwirtschaftlichen Partnern in dieser Frage abklären? Hier gibt es also eine ganze Reihe von Fragen, die auch der Bundesrat nicht lösen konnte. Deswegen stimmt die Bundesregierung dieser Entschließung zu, daß es eine Aufgabe für die nächste Legislaturperiode ist, eine große allgemeine Regelung zu schaffen.Ich möchte hier ausdrücklich feststellen, daß eine solche Regelung auch notwendig ist. Das Verbot der Anrechnung von Körperschaftsteuer für Anteilseigner, die nicht oder nicht voll zur deutschen Einkommensteuer herangezogen werden, darf nicht auf dem Wege der Fremdfinanzierung von Kapitalgesellschaften umgangen werden.Dies hier noch einmal zum Ausdruck zu bringen, war mir wichtig, auch den Hinweis zu geben, daß die Bundesregierung die Empfehlung des Finanzausschusses aufgreifen und alle Kräfte einsetzen wird, um in der nächsten Legislaturperiode einen solchen Gesetzentwurf vorzulegen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schäuble?
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17800 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980
Ja, bitte.
Herr Staatssekretär, denkt die Bundesregierung bei der von ihr ins Auge gefaßten großen Lösung daran, eine zeitliche Differenzierung danach vorzunehmen, ob solche im Ergebnis körperschaftsteuerbefreiten Lösungen vor der Schaffung des neuen Körperschaftsteuergesetzes konstruiert worden sind oder erst nach der Schaffung des neuen Körperschaftsteuergesetzes?
Sehen Sie, Herr Schäuble, diese Frage wird dem Komplex nicht gerecht. Es ist sicher ein Punkt, daß mit der Körperschaftsteuerreform zum 1. Januar 1979 die Möglichkeit der Steuerumgehung bei der Körperschaftsteuer aktueller geworden ist und ein besonderes Gewicht erlangt hat. Aber Tatsache ist genauso, daß auch andere Staaten, die ein klassisches Körperschaftsteuersystem haben — wie z. B. die USA —, dasselbe Problem haben. Wir haben mit unseren amerikanischen Partnern dieses Problem sehr oft erörtert Sie haben dieselben Schwierigkeiten auch beim klassischen Körperschaftsteuersystem.
Es ist also überhaupt nicht die Frage der Rückdatierung. Da hört man heraus, es solle eine besondere Konstruktion getroffen werden. Dies ist überhaupt nicht der Fall. Wir haben uns im Ausschuß dagegen gewehrt, eine Lex specialis gegen irgendeine Gruppe zu machen, nicht irgend etwas zu vermeiden. Es war gerade so, daß nicht irgendwelche Lösungen verhindert werden sollten, sondern eine generelle Regelung für jedermann auch nach dem Prinzip der Gleichmäßigkeit der Besteuerung gefunden werden sollte. Ich bin sehr dankbar, daß ich das noch einmal ausführen konnte.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schäuble?
Bitte.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie sagten, meine Frage würde dem Problem nicht gerecht: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß diese Differenzierung von dem Kollegen Spöri aus der SPD-Fraktion eingeführt worden ist?
Nein, das kann ich überhaupt nicht bestätigen, und zwar deswegen nicht, weil der Bundesratsvorschlag vom Freistaat Bayern eingeführt worden ist. Dieser Vorschlag des Freistaats Bayern war allerdings eine Lex specialis, der wir nicht zustimmen wollten.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe Art. 1 bis 13, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Bitte die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zwei Enthaltungen in zweiter Beratung angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist bei einer Enthaltung angenommen.Es liegen noch zwei weitere Beschlußempfehlungen zur Abstimmung vor. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4141 unter Ziffer 2 die Annahme von zwei Entschließungen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist einstimmig angenommen.Der Ausschuß empfiehlt außerdem auf Drucksache 8/4141 unter Ziffer 3, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? — Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung der Bundeshaushaltsordnung— Drucksache 8/3785 —Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses
— Drucksache 8/4090 —Berichterstatter:Abgeordnete Löffler Carstens
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. — Anderweitig wird das Wort auch nicht gewünscht.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe Art. 1 bis 3 sowie Einleitung und Überschrift mit der vom Ausschuß empfohlenen Änderung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind einstimmig angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.Wir treten ein in diedritte Beratung.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980 17801
Vizepräsident Dr. von WeizsäckerWird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Bitte die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines . Strafrechtsänderungsgesetzes
— Drucksache 8/3911 —Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 8/4137 —Bericherstatter:Abgeordnete Dr. Linde Hartmann
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.•Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Hartmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur vier Jahre nach seinem Inkrafttreten soll also nunmehr der § 88a unseres Strafgesetzbuches, der die Befürwortung und öffentliche Propagierung bestimmter gegen den Bestand, die Sicherheit oder die Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik gerichteter schwerer Straftaten unter Strafe stellt, wieder aufgehoben werden.SPD und FDP begründen den vorliegenden Entwurf zunächst einmal damit, der § 88a sei überflüssig, da andere Vorschriften zur Verfügung stünden, um den sozialschädlichen Kern der Gewaltbefürwortung zu bekämpfen; es seien angeblich zu wenige Verfahren angefallen; daneben habe der § 88 a im Zusammenhang mit Durchsuchungen und Beschlagnahmen Rechtsunsicherheit hervorgerufen, und Rechtsunsicherheit bestehe auch im Bereich von Kunst, Wissenschaft und Publizistik, wo die — wenn auch falsche — Vorstellung herrsche, daß die Strafvorschrift die Meinungsfreiheit einschränke; § 88a sei zu einer Art Negativsymbol geworden.Meine Damen und Herren, es lohnt sich wirklich, diese vordergründige Argumentation, gewissermaßen lege artis, auseinanderzunehmen. Aus diesem Grunde ist für mich auch eine etwas längere Redezeit beantragt worden. Trotzdem will ich mich bemühen, es so kurz wie irgend möglich zu machen.Ausschußberichte pflegen zwar das Schicksal zu haben, im Archiv zu verschimmeln, oft sind sie aber für die Nachwelt sehr aufschlußreich. Dafür haben wir hier einen klassischen Fall in Gestalt des Berichtes des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform vom 7. Januar 1976 auf Drucksache 7/4549. Der § 88a wurde ja erst durch diesen Sonderausschuß in die seinerzeitige Regierungsvorlage einesStrafrechtsänderungsgesetzes eingefügt. Dazu heißt es dort u. a.:Durch Propagierung von Gewalt kann, namentlich bei Jugendlichen, die Bereitschaft zur Verübung von Gewalt- und Terrortaten gefördert werden. Dies gilt insbesondere für Druckschriften mit genauen Anleitungen für Gewalt- und Terrorakte.Der Ausschußbericht weist dann darauf hin, daß nach geltendem Recht Äußerungsdelikte dieser Art zwar schon nach anderen Vorschriften mit Strafe bedroht seien, stellt aber fest, daß in der Praxis diese Vorschriften nicht ausreichen.Die Behauptung von SPD und FDP, der § 88a sei überflüssig, ist eine reine Formelbehauptung. Weder in der ersten Lesung noch in den Ausschußberatungen wurde ein einziges hartes Faktum dafür vorgetragen, daß sich seit der Einfügung des § 88 a in das Strafgesetzbuch die damals in eingehender Beratung für zutreffend gehaltenen Umstände zwischenzeitlich geändert hätten. Was heute für die Streichung des § 88a vorgebracht wird, wurde seinerzeit in aller Ausführlichkeit erwogen — ich will hier nicht auch noch die Protokolle des Strafrechtssonderausschusses zitieren — und widerlegt.Der Generalbundesanwalt Professor Rebmann hat auf dem Deutschen Richtertag den § 88a sogar als in der Praxis nicht genügend tragfähig bezeichnet. Durch andere Vorschriften, die er genau bezeichnet hat und die ich jetzt aus Zeitmangel nicht aus seiner Rede zitieren will, die ja veröffentlicht worden ist, werde der inkriminierte Tatbestand, der durch eine Strafrechtsvorschrift erfaßt werden solle, nicht ausreichend erfaßt.Zu dem Argument, es seien nur wenige Verfahren bzw. Verurteilungen nach § 88 a angefallen, verweise ich zunächst nochmals auf die Ausführungen des Herrn Parlamentarischen Staatssekretärs de With in der Fragestunde am 9. Mai 1979, wo er auf eine dieses Argument beinhaltende Frage des Kollegen Gansel antwortete:Der Wert einer Vorschrift liegt auch darin, daß sie eine gewisse Abschreckungswirkung hat. Von Zeit zu Zeit ist das daran ersichtlich, daß entsprechende Delikte abnehmen. Gleichwohl kann der Wert einer solchen Vorschrift bestehenbleiben.Im übrigen, meine Herren Kollegen von der Koalition, müßten Sie viele Strafvorschriften aufheben, wenn ihr strafrechtspolitischer Wert nach der Zahl der Verfahren oder Verurteilungen zu bemessen wäre. Mir liegt eine Erhebung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vor, nach welcher in den Jahren 1977 und 1978 im gesamten Bundesgebiet beispielsweise keinerlei Verurteilungen wegen Hochverrats — §§ 81 bis 83 —, Anwerben für fremden Wehrdienst, Vertrauensbruch im auswärtigen Dienst, Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat erfolgt sind. Niemand denkt auch wohl daran, den Völkermord-Paragraphen 220 a des Strafgesetzbuches aufzuheben, nur weil er gottlob noch nicht angewendet werden mußte.
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17802 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980
HartmannAn diesem Beispiel kommt besonders deutlich zum Ausdruck, worauf es im gesamten Bereich des Strafrechts entscheidend ankommt: nämlich auf das in einer Strafvorschrift zum Ausdruck kommende Unwerturteil des Staates über ein bestimmtes Verhalten.
Würde dieses Unwerturteil nicht zum Ausdruck gebracht, so würde dies zu einer sozialethischen Desorientierung der Bevölkerung führen. Dies ist wohl auch der Grund dafür, daß nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuordnung des Betäubungsmittelrechts, womit der Rauschgiftmißbrauch, die Rauschgiftkriminalität bekämpft werden soll, richtigerweise die Verherrlichung des Betäubungsmittelmißbrauchs in § 28 Abs. 1 Nr. 11 dieses Entwurfs unter Strafe gestellt werden soll, um den Schutz jugendlicher und psycholabiler Personen zu verstärken.Weitere Beispiele dafür, daß schwerwiegende Strafvorschriften selten zur Verurteilung von Straftätern herangezogen werden müssen, könnte ich Ihnen nennen, abgesehen von der Dunkelziffer derjenigen Fälle, wo aus der Strafverfolgungsstatistik wegen der Zusammenfassung von mehreren Delikten genaues nicht ersichtlich ist. In allen diesen Fällen denkt doch niemand daran — so hoffe ich jedenfalls —, die entsprechenden Vorschriften des Strafgesetzbuches aufzuheben, abgesehen vielleicht von denjenigen, die das gesamte Strafrecht in Frage stellen, weil es nach ihrem Menschenbild keine individuelle Schuld, sondern nur gesellschaftliche Kriminalitätsursachen gibt.Wer gegen Strafvorschriften verstößt, hat strafprozessuale Maßnahmen wie Durchsuchungen und Beschlagnahmen zu gewärtigen. Es ist überhaupt kein Grund ersichtlich, den in § 88a des Strafgesetzbuches erfaßten Täterkreis diesbezüglich zu privilegieren. Mit keinem einzigen harten Faktum hat auch hier die SPD/FDP ihre diesbezüglichen Behauptungen untermauern können. Auch hier handelt es sich um reine Formelbehauptungen.Soweit behauptet wird, daß solche strafprozessualen Maßnahmen die Gefahr eines zu weitgehenden Eingriffs in den besonders geschützten Bereich der Meinungsfreiheit, der Pressefreiheit, der Freiheit von Kunst und Wissenschaft mit sich bringen, läßt sich auch hier Überzeugendes entgegensetzen, was ich auch gleich tun werde: Daß der § 88a des Strafgesetzbuches die Meinungsfreiheit tatsächlich einschränkt, behauptet die SPD/FDP selbst nicht Ich verweise dazu auch auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 28. Februar 1979, in welcher ausgesprochen ist, daß der § 88a weder die Meinungsfreiheit unzulässig einschränkt noch zu einer Verwirkung von Grundrechten führtNein, der SPD/FDP genügt, daß in manchen Kreisen die von ihr selbst als falsch erkannte Vorstellung herrscht, der § 88a des Strafgesetzbuches schränke die Meinungsfreiheit ein; auf Grund dieser falschen Vorstellung sei die Vorschrift auf alle Fälle zu einer Art Negativsymbol geworden. In gewissen Publikationen werde der § 88a des Strafgesetzbuches als der sogenannte „Maulkorb-Paragraph" apostrophiert, und deshalb sei er aufzuheben.Es ist geradezu absurd, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie hier die ausdrücklich als falsch erkannte Vorstellung bestimmter Kreise zum Maßstab der allgemeinen Gesetzgebung gemacht wird. Hier wird der Kantsche Imperativ, den gerade der Herr Bundeskanzler so häufig im Munde zu führen pflegt, pervertiert. Die Gesetzgebung soll die Grundsätze befolgen und den Maßstäben entsprechen, nach denen eine bestimmte, interessierte Minderheit zu handeln beliebtMit dem Spannungsverhältnis zwischen § 88a des Strafgesetzbuches und Meinungsfreiheit, Pressefreiheit sowie Freiheit von Kunst und Wissenschaft hat sich der Strafrechtssonderausschuß ebenfalls auseinandergesetzt Er hat gesehen, daß die Grenzen zwischen strafwürdigem Verhalten einerseits und künstlerisch oder demokratisch legitimen Aussagen andererseits fließend und vom Gesetzgeber nicht in allen Fällen hinreichend genau festzulegen sind.Zur Verhinderung von Eingriffen — sei es auch nur durch staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren und strafprozessuale Maßnahmen wie Durchsuchungen und Beschlagnahmen — in den von der Verfassung besonders geschützten Bereich der Meinungsfreiheit, der Pressefreiheit sowie der Freiheit von Kunst und Wissenschaft wird denn auch die Strafbarkeit der Befürwortung von Gewalttaten durch § 88a des Strafgesetzbuches ausdrücklich auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen die Befürwortung bestimmt und geeignet ist, die Bereitschaft anderer zu fördern, sich durch die Begehung solcher Taten für Bestrebungen gegen den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einzusetzen.Im Ausschußbericht heißt es dazu — und dies möchte ich wirklich wörtlich zitieren —:Damit ist sichergestellt, daß die Befürwortung von Gewalttaten im Ausland, etwa als Widerstand gegen eine Diktatur, von der Strafvorschrift ebenso wenig erfaßt wird, wie eine Äußerung im Rahmen einer Diskussion über die Grenzen des Widerstandsrechts nach Artikel 20 Abs. 4 GG. Darüber hinaus wird durch Bezugnahme in § 88 a Absatz 3 auf den — in der Entwurfsfassung verdeutlichten — § 86 Abs. 3 StGB— von dem in der ganzen bisherigen Diskussion überhaupt nie die Rede war —ausdrücklich hervorgehoben, daß eine Strafbarkeit wegen verfassungsfeindlicher Befürwortung von Straftaten nicht eintritt, wenn die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980 17803
HartmannNichts, aber auch gar nichts, ist von der SPD/FDP vorgebracht worden, was den Schluß zuließe, daß diese seinerzeit erfolgte Bezugnahme auf den zu diesem Zweck extra präzisierten § 86 Abs. 3 des Strafgesetzbuches nicht ausreiche, um strafbare von nicht strafbaren Äußerungshandlungen wirksam abzugrenzen. Meine Damen und Herren, so schwierig ist diese Abgrenzung nun doch wirklich nicht, es sei denn, man ist rechtsblind oder man will nicht abgrenzen.In unserem Strafrecht gibt es schwierigere Abgrenzungsprobleme. Das wissen alle, die mit der Rechtsanwendung in diesem Rechtsgebiet jemals zu tun gehabt haben. Solche schwierigeren Abgrenzungsprobleme gibt es z. B. bei der Abgrenzung zwischen Mord und Todschlag oder im Falle der Notwehr. Diese Abgrenzungsprobleme müssen bei der Rechtsanwendung doch auch bewältigt werden. Sie werden ja auch bewältigt, ohne daß einem gleich in den Sinn kommt, die ganzen Vorschriften aufzuheben.Oder wollen Sie, so frage ich Sie, meine Herren Kollegen von der Koalition, sich etwa die Agitation des „Informations-Dienstes zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten" zu eigen machen, in der gegen eingeleitete Verfahren nach § 88 a natürlich kräftig vom Leder gezogen worden ist. Die Fälle, derer sich diese Publikation besonders angenommen hat, sind sämtlich im Umfeld des Terrorismus angesiedelt. Verfahrensgegenstand war z. B. die Verbreitung einer Zeitung der Revolutionären Zellen mit dem Titel „Revolutionärer Zorn" oder einer „Dokumentation" der „Schwarzen Hilfe Fulda" über die Rote Armee Fraktion mit einem Inhalt, der eben durch § 88 a inkriminiert ist.Gerade auf die gewaltorientierten publizistischen Aktivitäten einer solchen Untergrundszene, die heute diese Ausrichtung hat und morgen eine andere haben kann, zielt der § 88 a. Es soll der Gefährdung der Allgemeinheit durch die Schaffung eines psychischen Klimas, in dem schwere Gewalttaten gedeihen und nachgeahmt werden, wie es in der Begründung des seinerzeitigen Strafrechtsänderungsgesetzes heißt, entgegengewirkt werden, ebenso einem Mißbrauch der grundgesetzlich garantierten Meinungs- und Redefreiheit durch eine zunehmende Radikalisierung der Meinung und eine wachsende Verwilderung der Methoden politischer Auseinandersetzungen, wie es im Vorschlag der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder vom Juni 1972 heißt, auf die die Einfügung des § 88 ja letztlich zurückgeht. Ist dies, so frage ich, nicht aktueller denn je? Siehe Bremen, siehe die Ausschreitungen und Kampagnen gegen Franz Josef Strauß etc.
Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Freiheit von Kunst und Wissenschaft sind Eckpfeiler unserer demokratischen Verfassungsordnung. Der Mißbrauch dieser Freiheiten verdient nicht den Schutz unserer Rechtsordnung und auch keinen Freibrief. Beim § 88 a verwechseln SPD und FDP wieder einmal Liberalität mit Permissivität. Die rechtstreuen Bürger unseres Landes verstehen es nicht, wenn straflos dieHetze gegen den Bestand und die Sicherheit unserer Republik und gegen unsere Verfassungsgrundsätze propagiert werden darf.Es ist an den Haaren aus einer ganz bestimmten Ecke herangezogen, wenn behauptet wird, der § 88 a habe das geistige Klima in der Bundesrepublik negativ beeinflußt und führe zu einer Quasi-Zensur. Daß dies nicht zutrifft, hat die Bundesregierung ja selbst sehr nachdrücklich in der Fragestunde am 9. Mai 1979 — Herr Staatssekretär de With, bitte lesen Sie Ihre damaligen Aussagen im Protokoll nach -- und in Ihrer Antwort vom 17. Januar 1980 auf eine Kleine Anfrage der Koalitionsfraktionen bekräftigt. Herr Kollege Linde, in der ersten Lesung wollten Sie mich aufspießen, weil ich mich auf diese damalige Fragestunde bezogen habe. Sie sagten, das liege ja ein Jahr zurück; diese Ausführungen stammten ja vom 9. Mai 1979. Ich habe dann nochmals klargestellt, daß das, was damals am 9. Mai 1979 von der Bundesregierung gesagt worden ist, am 17. Januar 1980 — und das ist ja nun wahrhaftig nicht lange her — expressis verbis bestätigt worden ist. Es hat geheißen, daß kein Anlaß bestehe, von den damals in der Fragestunde gegebenen Auskünften abzuweichen. Wir wissen alle, wie es zustande gekommen ist, daß dieser Paragraph gestrichen werden soll. Das ist eine Koalitionsvereinbarung, das sind Parteitagsbeschlüsse.Meine Damen und Herren, die Freigabe der verfassungsfeindlichen Befürwortung von Straftaten ist weder aus Gründen der Rechtsanwendung noch aus rechtspolitischen Gründen noch aus dem Selbstverständnis eines liberalen, aber wehrhaften Rechtsstaates heraus zu begründen. Es gibt kein einziges überzeugendes Argument dafür, nicht ein einziges.
Was hier obwaltet, ist purer Opportunismus, ist Anbiederei,
ist der Meinungsdruck der äußersten Linken und die teils naive, teils leichtfertige Gefährlichkeit, ihre publizistischen gegen unsere Ordnung gerichteten Aktivitäten unter dem Vorwand angeblicher Liberalität zu privilegieren. Von uns kriegt dieser Gesetzentwurf nicht eine einzige Stimme. — Vielen Dank!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Linde.
Herr Präsident! Meine Dame! Meine Herren! Herr Hartmann, sechs Stimmen können Sie ja aufbieten. Ich rede ungefähr vier Minuten. Vielleicht haben Sie noch eine Chance, ein bißchen zu mobilisieren.Herr Hartmann, die Bedeutung der Sache steht eigentlich im umgekehrten Verhältnis zur Länge Ihrer Rede. Lassen Sie mich noch eins sagen: Lege artis wollten Sie hier argumentieren. Ich will es noch einmal versuchen. Ich stimme Ihnen vollständig zu, daß Unwerturteile im Strafgesetzbuch durchaus ihre
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17804 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980
Dr. Lindeeigene Bedeutung haben. Hier bringt der Staat zum Ausdruck, daß man bestimmte Handlungsweisen nicht will. Das Entscheidende bei § 88a ist aber, daß sich dieses Unwerturteil zur Lächerlichkeit auswirkt, wenn von 111 eingeleiteten Strafverfahren eben nur eines zum Erfolg führt. Hier liegt der entscheidende Unterschied zwischen uns und Ihnen. Nichtwirkende Strafvorschriften wollen wir nicht in diesem Gesetz haben. Ich beziehe mich auf die Ausführungen meines Kollegen Kleinert und meine eigenen Ausführungen in der ersten Lesung. Dem ist eigentlich nicht mehr viel hinzuzufügen. Dennoch, damit das aktenkundig wird und auch Ihnen, Herr Hartmann, vielleicht noch einmal Gelegenheit zur Überlegung gibt, möchte ich einige Argumente wiederholen:Die Bundesregierung hat in der Beantwortung der Kleinen Anfrage im Januar eindeutig gesagt, daß sich diese Vorschrift auf die Strafverfolgung nicht nennenswert ausgewirkt hat. Daraus haben wir schlicht die Konsequenz gezogen: gesetzgeberische Initiative; diese Vorschrift soll weg.Das hat nichts, aber auch überhaupt nichts mit tagespolitischer Opportunität zu tun, Herr Hartmann, sondern das ist die Konsequenz aus der Haltung der Koalition, die zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Bekämpfung der Gewaltkriminalität das rechtsstaatlich Erforderliche veranlaßt hat und veranlassen wird, nicht mehr und nicht weniger. § 88a geht nach unserer Überzeugung über das Erforderliche hinaus. Hier haben wir — schauen Sie einmal die Protokolle nach — schon von Anfang an Bedenken gehabt. Mein Kollege Hermann Dürr hat — wie ich finde, zutreffend — von einer gesetzgeberischen Investitionsruine gesprochen, und diese Ruine werden wir heute einreißen. Die Aufhebung dieser Vorschrift wird die strafrechtliche Bekämpfung — damit es da keine Mißverständnisse gibt — der Gewaltkriminalität nicht behindern, weil dafür zahlreiche andere Vorschriften bestehen.
— Ja, damit haben wir ja auch unsere eigenen Probleme.Wer Gewaltbefürwortung mit untauglichen Mitteln des Strafrechts bekämpfen will, muß damit rechnen, daß aufmüpfige Bürger — ich rede nicht von Terroristen - Angst bekommen. Sie haben nämlich Angst davor, daß bestimmte Politiker einmal so handeln, wie sie reden, und wer Schriftsteller als „Ratten" und „Schmeißfliegen'' beschimpft oder politisch Andersdenkende mit „Unkraut" verwechselt, erzeugt doch ein geistiges Klima, das bei diesem § 88 a zu Mißverständnissen führt
Mein Rat ist: Überdenken Sie Ihre eigene Sprache, und wenn die gemäßigter wird, haben Sie mehr Anspruch darauf, sich über brutale oder zynische Sprache oder — ich möchte an Augsburg erinnern — vielleicht über geschmacklosen Blödsinn — oder wie auch immer man das bezeichnen soll — aufzuregen.
— Freiheit, lieber Herr Hartmann, ist die Freiheit der Andersdenkenden, und daran sich zu gewöhnen, auch wenn das unbequem ist, ist die Aufgabe unserer Demokratie.
Die Grenze zum Strafrecht ist eindeutig gezogen.Sozialdemokraten und, so meine ich, auch Freie Demokraten nehmen das sehr, sehr ernst und bitten deshalb um Zustimmung zu diesem Gesetz.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gattermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich will versuchen, es noch etwas kürzer zu machen als der Kollege Linde. Damit kommt nicht etwa zum Ausdruck, daß wir die Abschaffung des § 88a mit leichter Hand betrieben, sondern wir tun dies in unserer vollen rechtspolitischen Verantwortung.Es ist natürlich richtig, Herr Kollege Hartmann, daß die Tatsache, daß innerhalb einer bestimmten Zeitspanne nur eine Verurteilung erfolgt ist, für sich allein kein Argument ist, zu sagen, diese Strafnorm sei überflüssig. Völlig richtig! Aber z. B. das Verhältnis von 111 Ermittlungsverfahren mit Durchsuchungen in Buchhandlungen usw. zu einer Verurteilung am Ende, das der Kollege Linde angesprochen hat,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980 17805
Gattermannhat natürlich eine Relevanz hinsichtlich der Fragestellung, ob eine Strafvorschrift überhaupt geeignet ist, den einmal anvisierten Zweck zu erfüllen.Sie weisen darauf hin, daß vom Kollegen Linde das Wort vom Negativsymbol gebraucht worden sei. Das ist nicht so einfach abzutun, denn es ist ernsthaft etwas dran. Wenn eine Strafvorschrift von vielen im Lande falsch verstanden wird und es auch auf Grund von ergebnislosen Untersuchungen Anlaß zu Mißverständnissen gibt, muß man sich, so meine ich, damit auseinandersetzen, welche Negativwirkungen dies denn auf den gutwilligen Teil der jungen Generation hat.
Gerade dort ist ja die Kritik am lautesten geworden.
— Wir müssen die Frage untersuchen — und zwar nicht nur am § 88a, sondern an einer Vielzahl von Gegebenheiten im politischen Bereich —,
warum sich eigentlich so viele junge Menschen von den etablierten Parteien abwenden. Diese Frage müssen wir uns vorlegen, und wir müssen in allen Politikbereichen bereit sein, ernsthaft darüber zu diskutieren und dort, wo es notwendig ist, Konsequenzen zu ziehen.
— Lieber Herr Kollege Hartmann, wenn es hier darum geht, daß wir natürlich genau wie Sie keinerlei verfassungsfeindliche Gewaltverherrlichung wollen,
und wenn wir den Sinn, den Zweck und die Griffigkeit dieser Strafnorm in Zweifel ziehen, müßten wir sie nur dann aufrechterhalten, wenn es nicht, wie hier ebenfalls ausgeführt worden ist, eine Fülle von Strafnormen anderer Art gäbe, mit denen wir Delikte verfassungsfeindlicher Äußerung erfassen können. Uns geht es darum, in den Dialog einzutreten, Mißverständnisse aus der Welt zu schaffen und auch den Mut zu haben, die Konsequenzen aus einer falschen Einschätzung im Jahr 1976 zu ziehen.Deswegen werden wir diesem Gesetzentwurf zustimmen.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. de With.
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17806 Deutscher Bundestag -- 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980
— Drucksache 8/4171Berichterstatter:Abgeordneter Müller
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
— Drucksache 8/4039 —Berichterstatter:Abgeordneter Schmidt
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980 17807
Vizepräsident Dr. von WeizsäckerWünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Tillmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die neunte Novelle zum Luftverkehrsgesetz, die heute hier zur Verabschiedung ansteht, ist bei der Einbringung des Gesetzentwurfes im Januar dieses Jahres nicht diskutiert worden. Ich hätte sonst damals schon die Gelegenheit gehabt, darauf hinzuweisen, daß die CDU/ CSU diesem Gesetzentwurf nicht würde zustimmen können, wenn er nicht bei den Beratungen in den Ausschüssen wesentliche Verbesserungen erfahren würde.
Natürlich haben wir von vornherein uneingeschränkt ja gesagt zum Zweck dieses Gesetzes, nämlich, der Bedrohung des Luftverkehrs durch terroristische und sonstige kriminelle Anschläge wirksamer als bisher zu begegnen. Wir hatten aber wohl etwas dagegen einzuwenden, daß unter dem Vorwand der Gefahrenabwehr unnötiger weiterer Bürokratisierung Vorschub geleistet wurde und eine leichtfertige, bedenkliche Einschränkung von Grundrechten vorgesehen war. Nachdem den Vorschlägen und Vorstellungen der Union auch im mitberatenden Innenausschuß zugestimmt worden ist, nachdem außerdem noch einigen berechtigten Anliegen Betroffener Rechnung getragen wurde, können wir heute der mit Drucksache 8/4039 vorliegenden Fassung unsere Zustimmung geben.
Im einzelnen darf ich noch auf folgendes hinweisen:
Bei § 29c, der auf unser Betreiben hin völlig gestrichen worden ist, hat es sich um einen reinen Schnüffelparagraphen gehandelt. Nach Aussagen der Bundesregierung im Ausschuß sollte er zum Beispiel in Verbindung mit dem § 29e unter Einschränkung von Grundrechten die Kontrolle über bloße Einhaltung von Luftverkehrstarifen ermöglichen. Ich darf an dieser Stelle Bundesinnenminister Baum zitieren, der einmal geschrieben hat:
Wir leben nicht in einem Schnüffelstaat, in dem gezielt Informationen über Demokraten gesammelt werden.
Angesichts dieser Aussage ist es für mich völlig unerfindlich, wie Bundesregierung und Koalitionsfraktionen, die sich doch sonst in diesem Bereich so empfindlich geben, hier jegliche Sensibilität haben vermissen lassen.
Im Gegensatz zu der übertriebenen Aufsichts-
und Kontrollwut, die in § 29 c zum Ausdruck kam, ist bei den §§ 19b und 20a, bei denen es wirklich um die Sicherheit des Luftverkehrs geht, etwas unbekümmerter verfahren worden. Der Zugang zu sicherheitsempfindlichen Bereichen und Anlagen sollte ursprünglich noch im Referentenentwurf nur zuverlässigen Personen gestattet sein. Jetzt heißt es abgeschwächter: nur dazu berechtigten Personen. Wir gehen davon aus — lassen Sie mich das ausdrücklich feststellen — daß es sich bei dieser Berechtigung nicht nur um eine reine Formalität handelt, sondern daß die Zugangsberechtigung natürlich nur zuverlässigen Personen gewährt werden kann, damit das Sicherheitsrisiko auch minimiert wird.
Im übrigen bedauern wir, daß unser Antrag, § 21 Abs. 3 Satz 1 nicht zu ändern, abgelehnt wurde. Damit ist eine problematische Aushöhlung der Betriebspflicht des Fluglinienverkehrs vor allem im Hinblick auf die vorgeschriebene Regelmäßigkeit beschlossen worden. Wir meinen, daß die gesetzlichen Kriterien der Unterscheidung zwischen Linien- und Charterverkehr demnächst ohnehin einmal generell überprüft werden sollten. Auch insofern wird sich der Bundestag sicherlich heute nicht zum letztenmal mit dem Luftverkehrsgesetz befaßt haben.
Wir hoffen, daß dieses Gesetz ein Schritt auf dem Wege zu mehr Sicherheit im Luftverkehr sein wird. Ich bitte um Zustimmung. Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.
Wird das Wort weiter gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind einstimmig angenommen. Die zweite Beratung ist abgeschlossen.Wir treten in diedritte Beratungein. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Vielen Dank. Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 bis 23 und den 2. Zusatzpunkt auf:21. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Statistik der Straßen in den Gemeinden 1981— Drucksache 8/4038 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
InnenausschußHaushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO22. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Übereinkommen vom 18. Dezember 1979 gegen Geiselnahme— Drucksache 8/4133 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Auswärtiger Ausschuß InnenausschußRechtsausschuß
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17808 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980
Vizepräsident Dr. von Weizsäcker23. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes— Drucksache 8/4118 —Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Ausschuß für Wirtschaft2. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortsetzung der Eingliederung von Vertriebenen und Flüchtlingen— Drucksache 8/4163 —Überweisungsvorschlag:Innenausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß i 96 GOEs handelt sich um von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwürfe zur ersten Beratung. Das Wort wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt die 'Oberweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 8/4083, 8/4133, 8/4118 und 8/4163 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. Ist das Haus damit einverstanden? — Kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 auf:a) Beratung der Sammelübersicht 70 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 8/4040 —b) Beratung der Sammelübersicht 71 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 8/4098 —Das Wort wird nicht gewünscht Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 8/4040 und 8/4098, die in den Sammelübersichten 70 und 71 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses sind einstimmig angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf:Beratung der Ubersicht 15 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht— Drucksache 8/4016 —Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/4016, von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt zu den in der vorgenannten Drucksache aufgeführten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht abzusehen. Ist das Hausdamit einverstanden? — Kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 26 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dollinger, Dr. Riedl , Dr. Lenz (Bergstraße), Lemmrich, Röhner, Dr. Friedmann, Dr. Klein (Göttingen), Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Frau Berger (Berlin), Spilker, Dr. Langguth, Susset, Kunz (Berlin) und der Fraktion der CDU/CSUWiedereinführung des Mondscheintarifs — Drucksache 8/4024 —Überweisungsvorschlag des Altestenrates:Ausschuß für Verkehr und für das Post- und FernmeldewesenIn der Tageszeit ist dieses Thema etwas verfrüht
Interfraktionell ist für die Aussprache ein Kurzbeitrag für jede Fraktion vereinbart Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Dollinger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Mond ist noch nicht aufgegangen, aber der Mondscheintarif ist untergegangen, und wir wollen ihn wieder hochziehen.
Wir, die CDU/CSU, sehen in der Aufhebung des Mondscheintarifs und der damit verbundenen Gebührenerhöhung um 75% bei Gesprächen über 50 km eine für viele gravierende Beschneidung der Lebensqualität in unserem Lande.
Die Methode, die hier von der Post angewandt wurde, erinnert mich an die Frühzeit des Monopolkapitalismus.
— Geduld, meine Damen und Herren! Erst werden die Menschen zu etwas verführt — hier mit der Parole: „Ruf doch mal an!'' —, und wenn sie der Verführung erlegen sind, wird der Preis für diese Leistung drastisch heraufgesetzt Für diese neuerliche finanzielle Belastung, die besonders die von ihren Familienangehörigen und Bekannten weit entfernt Wohnenden, die Alleinstehenden und die sozial Schwachen hart trifft, haben wir kein Verständnis.
Für die Aufhebung des Mondscheintarifs gibt es für uns weder finanziell noch technisch überzeugende Gründe. Der versäumte rechtzeitige und ausreichende Ausbau des Fernmeldenetzes ist hier die Ursache. 'Ober dem Anpreisen und Vorbereiten von neuen Diensten und dem Vordringen in alle möglichen Märkte von Endgeräten hat der Bundespostminister seine ureigenste Aufgabe, die Schaffung ei-
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Dr. Dollingerner funktionierenden Fernmelde-Infrastruktur, sträflich vernachlässigt.
Der Fortfall des Mondscheintarifes, der sich seit sechs Jahren zunehmender Beliebtheit erfreute, macht dem Bürger deutlich, daß er sich auf die Kontinuität staatlicher Leistungen nicht mehr verlassen kann.
Die ohne Zweifel werbemäßig geschickte Verquikkung von Gebührensenkung und drastischer Gebührenerhöhung innerhalb des sogenannten Billigtarifs hat das Vertrauen der Bürger in die Wahrheit staatlicher Aussagen stark erschüttert.Bei der in die Millionen gehenden Werbeaktion der Deutschen Bundespost für die jüngste Tarifänderung wurde weder die drastische Gebührenerhöhung durch Fortfall des Mondscheintarifs erwähnt noch eine Begründung für die Annullierung des Tarifs gegeben. Für eine nicht nur nichtssagende, sondern sogar täuschende ganzseitige Anzeigenaktion in acht überregionalen Tages- und Wochenzeitungen und in 51 Tageszeitungen unter der Überschrift „Telefonieren wird billigere!'' wurden allein 1,37 Millionen DM ausgegeben. Hier zeigt sich deutlich, der Bundespostminister läßt sich die ihm von den Verbraucherverbänden bescheinigte Irreführung schon etwas kosten.Die nachgeschobenen Begründungen des Bundespostministers für den Fortfall des Mondscheintarifs sind widersprüchlich und unzutreffend. Nur auf Grund der ungerechtfertigten drastischen Gebührenerhöhungen in den Jahren 1972 und 1973 konnte die Deutsche Bundespost in den letzten fünf Jahren — also von 1975 bis 1979 — einen Überschuß allein in Form von Gewinnen und Rücklagen in Höhe von rund 14 Milliarden DM erzielen. Daneben haben wir noch die erheblichen Ablieferungen an den Bundeshaushalt und Sonderablieferungen in Milliardenhöhe. Hinweise auf Gebührenermäßigungen in den Jahren 1978 bis 1980 sind nur ein weiterer Beweis dafür, in welch unverantwortlichem Ausmaß die Bürger seinerzeit mit Gebührenanhebungen übervorteilt wurden.
Auch in diesem Jahr rechnet die Post wieder mit einem Gewinn von rund 2 Milliarden DM.Hinzu kommt die Sonderablieferung an den Bund in Höhe von 1,5 Milliarden DM in diesem Jahr. Im vergangenen Jahr waren es 1,1 Milliarden DM. Jetzt wird schon von einem weiteren Beitrag der Post gesprochen, und zwar zur Deckung des EG-Beitrages.
Vor gut einem Jahr hatte der Bundespostminister noch versichert, es bleibe bei der einmaligen Sonderabgabe von 1,1 Milliarden DM. Mittlerweile sind es 2,6 Milliarden DM geworden. Diese Sonderablieferungen — auch Telefonsteuer da und dort genannt — erscheinen mir verfassungsrechtlich bedenklich.
Diese Zahlen beweisen, daß genügend Mittel zur Verfügung gestanden haben, um das Telefonnetz entsprechend den Anforderungen auszubauen. Die Aufhebung des- Mondscheintarifs ebenso wie die prohibitive Gebühr beim Autotelefon — hier sind die Gebühren auch wegen mangelnder Kapazitäten sogar bis zu 750% heraufgesetzt worden —
— 750 %! —
zeigen einen deutlichen Verstoß des Bundespostministers gegen § 2 Abs. 3 des Postverwaltungsgesetzes. Nach dieser Vorschrift ist er verpflichtet, „die Anlagen der Deutschen Bundespost technisch und betrieblich den Anforderungen des Verkehrs entsprechend weiterzuentwickeln und zu vervollkommnen''. Dies ist nach unserer Meinung nicht geschehen.Zwar sagt der Bundespostminister, er habe unter anderem ein 1,4-Milliarden-DM-Sonderprogrammm gestartet. Das mag sogar stimmen. Wir hatten ja bereits von der CDU/CSU her im Dezember 1977 dazu aufgefordert, nachdem das Investitionsvolumen der Deutschen Bundespost im Jahre 1976 auf das des Jahres 1971 zurückgefallen war. Diese 10%, gemessen am derzeit angesammelten Überschuß von rund 14 Milliarden DM, waren einfach zuwenig, nachdem die Investitionstätigkeit in den Jahren 1975 bis 1980 so stark zurückgefahren worden war.Im übrigen, so glaube ich, ist es unerheblich, welchen Teil der Fernmeldeinvestitionen man als Sonderbauprogramm und welche man als Normalinvestitionen bezeichnet. Fest steht, daß zu wenig und dann noch zu spät investiert wurde. Bereits 1975/76 mußte man auf Grund von Messungen wissen, daß es beim Mondscheintarif nicht zuletzt auch wegen der großen Diskrepanz vom stark überhöhten Normaltarif zum ermäßigten Tarif zu Engpässen kommen wird.Obwohl damals die Fernmeldeindustrie unter Auftragsmangel litt, kürzte die Post ihre Investitionen drastisch um rund 25 %.
Heute behauptet der Herr Bundespostminister, die Lieferkapazitäten der Fernmeldeindustrie seien erschöpft. Sollten tatsächlich heute einige Fernmeldekapazitäten bis zur Grenze ausgelastet sein, dann liegt das daran, daß man erst ohne Grund die Aufträge gekürzt hat, worauf die Industrie sich mit ihren Fertigungskapazitäten eingestellt, d. h. diese Kapazitäten verringert hat.Nun wundert man sich, daß die Fernmeldeindustrie ihr Produktionsvolumen nicht so schnell ausdehnen kann, wie es auf Grund der Versäumnisse des Bundespostministers notwendig wäre. Beweis
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17810 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980
Dr. Dollingerfür diese Feststellung ist, daß die Investitionen der Deutschen Bundespost in Fernmeldeanlagen nach ihrem Rückgang ab 1974 selbst in diesem Jahr noch nicht das reale Volumen der Jahre 1973/74 erreicht haben.
In den letzten fünf bis sechs Jahren ist hier eine Investitionslücke von ca. 7 bis 9 Milliarden DM entstanden.Wenn es jetzt nach der Tarifänderung z. B. um 22 Uhr keine Netzblockaden mehr gibt — dafür ist jetzt die Lage zwischen 18 Uhr und 19.30 Uhr und weiter an Sonntagen angespannt —, so ist dies im wesentlichen ein Beweis dafür, daß man auch ohne zu investieren, aber dafür mit drastischen Preiserhöhungen das Problem lösen kann. Nur ein Monopolist wie die Deutsche Bundespost kann sich eine solche Verhaltensweise leisten, ohne daß er dafür zur Rechenschaft gezogen wird.Meine Damen und Herren, die Aufhebung des Mondscheintarifs war und ist nicht notwendig. Man hätte seinerzeit den Tarifsprung vom Nachttarif I zum Nachttarif II bzw. zum Mondscheintarif noch weiter entzerren sollen, wie wir unter anderem in unserem Antrag vom Dezember 1977 vorgeschlagen hatten. Der Vorverlegung des Mondscheintarifs auf Samstag 14 Uhr waren der Bundespostminister sowie SPD und FDP seinerzeit gefolgt. Hätten sie überdies den Mondscheintarif statt um 22 Uhr zwischen 20 Uhr und 21 Uhr beginnen lassen und den Übergang tariflich weiter entzerrt, wie das zum Teil auch schon geschehen war, und hätte der Bundespostminister entsprechend dem Verkehrsaufkommen rechtzeitig und ausreichend investiert, dann bräuchten wir heute nicht über die Wiedereinführung des Mondscheintarifs zu diskutieren.Auch sein Argument, es sei nicht sinnvoll und rationell, Fernmeldeanlagen für den Mondscheintarif auf eine Spitzenbelastung von ca. 5 % der Zeit auszubauen, wäre dann hinfällig.Im übrigen ist der Ausbau des Fernmeldenetzes solange sinnvoll, solange die Telefonvollversorgung noch nicht erreicht ist, das Sprechbedürfnis weiter zunimmt und überdies noch eine Reihe von neuen Diensten über das Telefonnetz angeboten werden sollen.
Herr Abgeordneter, es ist ein Kurzbeitrag vereinbart. Bitte, kommen Sie zum Schluß.
Danke, Herr Präsident.
Zum Schluß gestatten Sie mir noch ein Wort zu der Behauptung, der Mondscheintarif sei ein Faß ohne Boden. Vielleicht kann der Postminister einmal sagen, wie der Kostendeckungsplan bei Ferngesprächen ist und wie lange der Telefonkunde für eine Einheit, d. h. 23 Pf, über welche Entfernung telefonieren kann, damit das Gespräch für die Post noch kostendeckend ist. Ein Beispiel: Ein Telefongespräch von Bonn in das 100 km entfernte Mainz kostet genausoviel wie ein Gespräch nach dem 1000 km entfernten Porto.
Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, der Mondscheintarif sollte wieder eingeführt werden, und ich wäre sehr dankbar, wenn auch der Herr Bundespostminister damit einverstanden sein könnte. Wir haben dem Bürger vom Jahre 1974 bis zum Jahre 1980 hier etwas geboten. Herr Bundespostminister, der Mondscheintarif war eine gute Idee, zu der Sie sich beglückwünschen konnten. Ich meine, Sie sollten zu dieser guten Idee wieder zurückfinden.
Das Wort hat der Abgeordnete Paterna.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es vorwegzunehmen: Wir stimmen dem Überweisungsantrag zu.Was Sie nun, Herr Kollege Dollinger, hier geboten haben — das will ich Ihnen einmal in aller Deutlichkeit sagen; legen Sie mir das nicht als Respektlosigkeit aus —, ist nun wirklich ein starkes Stück.
Erstens erzählen Sie hier, ein Monopolist werde nicht zur Rechenschaft gezogen. Was machen wir denn hier? Wir reden hier im Parlament über dieses Verfahren der Post und über ihre Betriebsweise. Glauben Sie, die Kontrolle wäre besser, wenn wir die Post teilprivatisierten? Da bin ich gar nicht so sicher.
Sie stellen sich dann hierher, frech und gottesfürchtig, und erzählen, Sie hätten kein Verständnis für die neuen Gebührenmaßnahmen. Fragen Sie doch einmal die Kollegen, die die CDU/CSU in den Postverwaltungsrat entsendet und die merkwürdigerweise nicht hier sind! Fragen Sie mal den Kollegen Stücklen oder den Kollegen Windelen, was sie eigentlich im Postverwaltungsrat gemacht haben, als dort vor einem halben Jahr genau über das abgestimmt wurde, worüber Sie sich hier empören! Ich kann das hier nicht erzählen, denn das ist ja geheim. Aber was meinen Sie wohl, was Sie da zu hören kriegten! Mit dem Nichtverständnis kann es also so weit wohl nicht her sein. Wenn Sie also sechs Monate, nachdem diese Gebührenmaßnahme von Ihnen mitgetragen wurde,
jetzt, wo dies hier zur Diskussion steht, meinen, dafür könne man überhaupt kein Verständnis haben, so ist das doch wohl ziemlich unverfroren. Lassen Sie mich das einmal so deutlich sagen.
Nun will ich Ihnen zu den einzelnen Argumenten ein paar Gegenargumente liefern.Erstens. Die CSU/CDU — die CSU muß man in diesem Fall mal wieder zuerst nennen — fordert,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1980 17811
Paternaden Nachttarif II wieder einzuführen, den neuen Billigtarif aber beizubehalten. Aber dazu, was dies an Gebührenausfällen kosten würde, irgendwelche Angaben zu machen, ist die Opposition zu bequem. Dies ist typisch.Zweitens. In der Begründung des Antrags ist von — ich zitiere — „drastischen Preiserhöhungen'' die Rede. Kein Wort davon, daß die Abschaffung des Mondscheintarifs eine Gebührenänderung unter vielen ist, die in der Summe auf eine Gebührensenkung um schätzungsweise 2,3 Milliarden DM hinauslaufen. Wir bitten da doch um eine etwas sauberere Argumentation. Die Fernmelderechnungen werden also nicht, wie hier suggeriert wird, ab 1. April 1980 höher, sondern um durchschnittlich 10 % niedriger ausfallen. So sieht das aus.
— Die rechne ich Ihnen gleich vor. Gemach, gemach, Herr Tillmann!In der gesteuerten Kampagne — ich kriege ja auch diese vorgedruckten kleinen Postkarten, wo die empörten Postteilnehmer nur noch zu unterschreiben brauchen; vom Text her haben sie mich sehr stark an den CSU/CDU-Antrag erinnert — ist von den 75 % Verteuerung die Rede, die Sie, Herr Kollege Dollinger, ja auch erwähnt haben. Dadurch entsteht der völlig falsche Eindruck, die Gebührenrechnung — der Betrag steht da nicht so drin, aber der einfache Postkunde glaubt das — könne um 75 steigen. Das ist nicht der Fall. Wenn man die Wahrheit sagt, statt Propaganda zu verbreiten, muß man feststellen, daß erstens seit 1979 die Grundgebühr um 4 DM gleich 17 Gebühreneinheiten gesenkt wurde. Es ist ja so typisch: Wohltaten werden immer schnell vergessen. Man sollte sich aber vielleicht an den alten Adenauer erinnern und das auch immer wieder mal ein bißchen verbreiten. Das ist ja noch gar nicht so lange her. Zweitens sind ab 1. April 1980 20 Gebühreneinheiten frei. Das wird vom Oppositionsantrag immerhin erwähnt. Und drittens werden mit der Einführung des Zeittakts im Nahbereich 30 weitere freie Gebühreneinheiten für sozial Schwache gewährtNun nehme ich mal diese sprichwörtliche sozial schwache Rentnerin, die bisher angeblich ganz überwiegend zum Mondscheintarif telefoniert hat, und zwar über eine Entfernung von mehr als 50 km; vorher ist es sowieso uninterssant Ich unterstelle einmal: die gibt es in größerer Zahl. Wenn Sie das dann gegenrechnen, stellen Sie fest, daß diese Rentnerin 19 Gespräche pro Monat mit einer durchschnittlichen Dauer von fünfeinhalb Minuten führen kann, ohne daß ihre Rechnung auch nur um einen Pfennig höher wird. Solange sie unter den 19 bleibt, telefoniert sie immer noch billiger, wenn sie zu dem neuen Billigtarif spricht.
— Das kann ich Ihnen alles vorrechnen; das dauerthier ein bißchen lange. Das können wir dann imAusschuß noch einmal vertiefen, wenn Sie dieseZahlen anzweifeln sollten. Das ist alles schön ausgerechnet.Da zum Telefonieren immer zwei gehören, kann man davon ausgehen, daß die sozial schwache Rentnerin mindestens im gleichen Umfang angerufen wird, wie sie anruft. Das heißt also, sie kann pro Tag ein- bis zweimal zu besagter Zeit ein solches Gespräch führen, ohne gegenüber dem, was ihr früher zugemutet wurde, einen Pfennig mehr zu zahlen. Außerdem hat sie den Vorteil, nicht bis 22.45 Uhr warten zu müssen; das wäre nämlich die Zeit, wo sie zum erstenmal durchkommt. Heute kann sie dies bereits nach 18 Uhr tun.Vierter Punkt Die CSU/CDU unterschlägt die Tatsache, daß der sogenannte Mondscheintarif nicht mit sozialpolitischen Argumenten eingeführt wurde, sondern mit dem Ziel, das Fernsprechnetz über 24 Stunden relativ gleichmäßig auszulasten. Wenn diese Maßnahme durch unvorhergesehen verändertes Verhalten der Telefonteilnehmer zu Netzblockaden geführt hat — das ist ja unzweifelhaft —, ist es nur logisch, nicht nur durch ein gezieltes Investitionsprogramm von 1,4 Milliarden DM, sondern auch durch Tarifmaßnahmen für eine Entzerrung zu sorgen.Punkt fünf. Jetzt komme ich zu Ihrem Investitionsargument, Herr Kollege Dollinger. Es wäre völlig unsinnig, Ihrem Antrag zu folgen und dem Gebührenzahler zuzumuten, das Netz in einer Weise auszuweiten, daß es bei dem gegenwärtigen Verhalten zum Mondscheintarif zu keinen Netzblockaden führt. Das würde mindestens 15 Milliarden DM kosten.
— Ja, natürlich. Das würde mindestens 15 Milliarden DM kosten und würde das Netz für einen Bedarf von 5 % der Zeit ausbauen, und für 95 % des Tages wäre dies unnötig.
Ein so unwirtschaftliches Verhalten können Sie doch nicht der Allgemeinheit der Gesprächsteilnehmer — die müssen es schließlich bezahlen — zumuten.
Das Argument bezüglich des Investitionsloches können wir im Ausschuß auch noch ein bißchen vertiefen. Da werden Sie dann feststellen, daß das in der Tat absinkende Investitionsniveau — inzwischen steigt es wieder, im letzten Jahr um fast 16 %, das ist eine ganze Menge — sich nach der wirtschaftlichen Situation dieser Jahre richtete, was Rechnungshöfe immer sehr genau beobachten.Sechstens. Die CSU/CDU — das ist auch wieder so ein dolles Ding — reitet jetzt darauf herum, daß die Post Sonderablieferungen an den Bund leisten muß. Erstens wird verschwiegen, daß der Bund in den letzten 15 Jahren auf mehr als 10 Milliarden DM ihm gesetzlich zustehender Ablieferungen verzichtet hat. Die beiden Zahlen, die Sie genannt haben, sind dagegen verschwindend gering. Das ist
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Paternaschließlich auch den Postkunden zugute gekommen.Vor allen Dingen vergessen Sie folgendes. Lesen Sie einmal die Protokolle des Bundesrates nach. Da werden Sie feststellen, daß da mit einer 6 : 5 Mehrheit — nun dürfen Sie mal raten, wer die Sechs waren und wer die Fünf waren — beschlossen worden ist, und zwar auf Antrag des geliebten Landes Baden-Württemberg, wo immer noch keine Sozialdemokraten die Mehrheit haben — es kommt hoffentlich bald —
allein für 1979 eine Ablieferung von 5 Milliarden DM gefordert worden ist, für ein Jahr also doppelt soviel, wie wir für zwei Jahre insgesamt zugelassen haben. Und uns dann zu kritisieren — entschuldigen Sie, auch wenn das vielleicht ein bißchen ein schlechter parlamentarischer Stil ist —, halte ich für unverfroren, weil es einfach auf die Unwissenheit und Vergeßlichkeit der Bürger baut.
— Herr Pfeffermann, Sie haben heute Ihr Cannae schon im Ausschuß erlebt; ich würde für den Rest des Tages am besten schweigen. Das war so peinlich schon. Lassen Sie das man lieber. Sonst reden wir über Darmstädter Verkehrsprobleme.
Punkt sieben. Der CSU/CDU-Antrag basiert auf der Behauptung — ich zitiere wieder —, „die finanzielle Lage der Bundespost rechtfertige keine Gebührenerhöhung."Ich würde gern eine ganze Reihe von Argumenten zu diesem Punkte bringen. Das muß ich mir aus Zeitgründen versagen. Ich sage Ihnen nur: Wenn man saubere Vergleiche anstellt, wird man feststellen, daß die Deutsche Bundespost mit ihren Gebühren im internationalen Vergleich einen guten Mittelplatz einnimmt und daß sie eine ganze Reihe von Leistungen aus dem Fernsprechbereich mitfinanziert, die sonst subventioniert werden müßten.Ich will Ihnen einen Tip geben. Da können Sie einmal so richtig initiativ werden. Wenn man vergleicht — das hat so seine Tücken —, stellt man z. B. fest, daß es eine ganze Reihe von Postverwaltungen gibt, die für Geschäftstelefone stärker zur Kasse bitten als für Privattelefone. Wenn Sie es mit dem deutschen Verbraucher am privaten Telefon so gut meinen, bitte ich Sie: Stellen Sie doch mal den Antrag, eine solche Maßnahme auch hier einzuführen. Mal sehen, was daraus wird. Man muß sehr aufpassen, daß man auch wirklich Dinge vergleicht, die man miteinander vergleichen kann.Ich sage Ihnen jedenfalls: Es gibt kein Land in der Welt, in dem sich eine Postverwaltung einen solchen Tarif, wie es der Mondscheintarif war, bisheute glaubt leisten zu können. Der Billigtarif sucht ebenfalls seinesgleichen. •Lassen Sie mich zum Schluß kommen, Herr Präsident, indem ich noch zum weiteren Verfahren einige Sätze sage. Wir gehen davon aus, daß uns die Bundesregierung in etwa einem Jahr über das veränderte Verbraucherverhalten und die veränderten Gebühreneinnahmen berichten sollte. Sollte sich dabei herausstellen, daß die Prognosen der Bundespost mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmen, dann sind wir gerne zu einer Überprüfung bereit. Dazu ist es aber sechs Wochen nach Inkrafttreten der neuen Gebührenregelung wahrlich nicht an der Zeit. Wir sollten zu einem Zeitpunkt im Frühjahr nächsten Jahres, wo die Opposition nicht der Verführung des Wahltermins erliegt und durch ihn geblendet ist, die Prognosen des Ministeriums mit den tatsächlichen Zahlen vergleichen. Vielleicht gibt es auch vorher schon beweiskräftige Zahlen. Durch Tatsachen wird sich die SPD-Fraktion gern beeinflussen lassen, durch demagogische Propaganda der CSU/CDU aber heute nicht von einer verantwortungsbewußt getroffenen Entscheidung abbringen lassen. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoffie.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Opposition ist in Wahrheit ein Dokument abenteuerlicher Leichtfertigkeit. Das, was Sie, Herr Kollege Dr. Dollinger, hier heute dazu abgeliefert haben, ist ein Dokument dafür, was uns alle, die Bürger dieses Landes, erwarten würde, wenn Sie, der Sie, wie ich gelesen habe, in die Führungsmannschaft mit dem Ziel, wieder Postminister zu werden, aufgenommen worden sind, das tatsächlich würden: der Abmarsch der Deutschen Bundespost wieder in die roten Zahlen.
Meine Damen und Herren, Sie haben mit Datum vom 16. Mai, nur sechs Wochen nach Einführung dieser neuen Tarifstruktur für die Fernmeldegebühren, Ihren hier vorliegenden Antrag eingebracht. Nach diesen sechs Wochen, die nicht ausreichten, um auch nur den geringsten Resultatsvergleich erzielen zu können, haben Sie einen Antrag eingebracht, der nichts anderes erklärt, als daß Sie nur noch an den Wahltag, den 5. Oktober, denken können. Auch die Begründung des Antrags enthält überhaupt keine Erwägungen, die einen solchen Antrag zu diesem Zeitpunkt rechtfertigen könnten.Ich will deshalb noch einmal fragen, wie die Ausgangssituation war. Diese neue Tarifstruktur wurde zum 1. April eingeführt. Daß die CDU/CSU mit einer Reihe von Änderungen dabei nicht einverstanden war, ist natürlich ihr gutes Recht. Da sie die Koalition aber von ihren Auffassungen nicht überzeugen konnte, wurden ihre Forderungen abgelehnt. Damit müssen wir zunächst einmal beginnen. Inzwischen ist keine Situation eingetreten, die zu irgend-
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Hoffiewelchen neuen Überlegungen Anlaß geben könnte.Ich will deshalb noch einmal den Standpunkt der FDP zur Gebührenpolitik deutlich machen. Die zum 1. April in Kraft gesetzte neue Gebührenstruktur verfolgt mehrere Ziele. Es kam uns einerseits darauf an, durch ein ausgewogenes Gebührenniveau die einseitigen Belastungen des Fernsprechnetzes und dadurch verursachte Netzblockaden zu beseitigen. Ein solches Ziel konnte überhaupt nur erfolgreich angestrebt werden, wenn das Gebührengefälle zwischen den drei bisher bestehenden Tarifen — der Tagesgebühr, der Nachtgebühr I und der Nachtgebühr II — eingeebnet wurde. Das heißt, eine in der Tat gezielte Gebührenerhöhung war zum Abbau der Verkehrsspitzen nach 22 Uhr unerläßlich. Eine realistische Alternative dazu gab es nicht, und es gibt sie auch heute nicht, denn trotz der guten Ertragslage im Fernmeldewesen wäre es wirtschaftlich in keiner Weise vertretbar gewesen, die Tagesgebühr so stark abzusenken, daß auf diese Weise eine Entlastung in den späten Abendstunden hätte herbeigeführt werden können.Die neue Gebührenstruktur richtet sich gleichzeitig auf das Ziel, angesichts der Gebührenüberschüsse im Fernmeldewesen die Gesamtbelastung für die Fernmeldeteilnehmer zu senken. Diesem Ziel dienen die freien Gebühreneinheiten, die günstigeren Taktzeiten in den einzelnen Entfernungszonen, aber auch der neu eingeführte sogenannte Billigtarif.Nun ist es, wie ich glaube, notwendig, auf einige Dinge noch einmal ganz klar hinzuweisen. Zunächst, Herr Kollege Dollinger, verschweigt die Opposition, daß wir Gebührensenkungen in Höhe von 2 Milliarden DM vorgenommen haben.Des weiteren verschweigen Sie, daß sich die Erwartungen bereits heute erfüllen, daß nämlich der Billigtarif insgesamt der alten Regelung mit dem Mondscheintarif — das wird jeder einzelne Fernsprechteilnehmer merken — überlegen ist. Am Ende wird der einzelne also keine teureren, sondern billigere Rechnungen haben. Deshalb nützt es nichts, der Bevölkerung, die unwissend ist, weil sie das Gesamtpaket noch nicht genau genug verstanden hat und ihre Gesprächsgewohnheiten noch nicht darauf eingestellt hat, nun einfach zu sagen: Die Nachttarife haben sich erhöht; dadurch wird das Telefonieren bis zu 75 % teurer. — So behaupten Sie es ja in Ihren Flugblättern.Sie verschweigen auch konstant, daß man uns in der Zeit, als es den Mondscheintarif noch gab, gerade von seiten der Opposition ständig vorgeworfen hat: Beseitigt endlich die dadurch entstehenden Netzblockaden.
Jetzt, da wir dies tun, werden wir dafür geprügelt, daß wir Ihrer Forderung entsprochen und eine Entzerrung herbeigeführt haben.
Sie verschweigen weiterhin, Herr Kollege Dollinger, daß das Telefonieren von 18 bis 22 Uhr und von 6 bis 8 Uhr morgens gegenüber der Zeit, in der wir den Mondscheintarif hatten, erheblich billiger geworden ist. Es wird auch verschwiegen, daß älteren und behinderten Mitbürgern jeden Monat insgesamt 50 freie Gebühreneinheiten eingeräumt worden sind. Sie können davon ausgehen, daß eine Zahl mit Sicherheit stimmt — sie läßt sich aus den Rechnungen unstreitig belegen —: 50 % aller Fernsprechteilnehmer nehmen im Monat weniger als 50 Gebühreneinheiten in Anspruch. Dies zeigt schon, wie fadenscheinig die von Ihnen vorgelegten Rechnungen sind.Sie verschweigen den deutschen Bürgern, die sich von Ihnen verunsichern lassen sollen, letztlich auch, daß wir in der Welt eine einmalige Tarifstruktur haben. Lediglich in England gibt es — allerdings unter einem völlig anderen System, nämlich einem getrennten Post- und Fernmeldesystem — eine noch bessere Lösung. Im übrigen wird unser neuer Billigtarif aber von keinem anderen Land in der ganzen Welt erreicht. Das alles verschweigen Sie.Was Sie in Wahrheit beweisen, ist, daß die CDU/ CSU die Telefonkunden für dumm verkaufen will. Täuschung — Herr Kollege Dollinger, dieses Wort haben Sie gebraucht — ist in Wahrheit Ihr Geschäft.Meine Damen und Herren, das Gebührenpaket hat also strukturelle Veränderungen und eine Verminderung der Gesamtbelastungen für den Kunden zum Ziel. Es ist deshalb unfair, wenn die CDU/CSU Einzelveränderungen herausgreift und der Bundesregierung den Vorwurf macht, sie habe drastische Preiserhöhungen vorgenommen. Ich muß ausdrücklich betonen, daß es eine wesentliche Absicht der Gebührenänderung war, Veränderungen auch und gerade im Teilnehmerverhalten herbeizuführen. Nur durch eine solche Änderung des Teilnehmerverhaltens ist ein Abbau der Verkehrsspitzen möglich, nur dadurch ist eine Beseitigung der Netzblockaden möglich, nur dadurch wird die Deutsche Bundespost von dem Zwang befreit, eine Investitionspolitik zu verfolgen, die sich beim Netzausbau an den Verkehrsspitzen orientiert und daher betriebswirtschaftlich völlig unsinnig ist.Der Antrag der CDU/CSU ist unter diesem Gesichtspunkt also nichts anderes als die Aufforderung zu einer verantwortungslosen Investitionspolitik und in Wahrheit, Herr Kollege Dollinger, zur Verschleuderung von Volksvermögen. Die CDU/ CSU sollte jetzt einmal zur Kenntnis nehmen, daß die Gebührenpolitik für eine Dienstleistung, die mittlerweile nahezu von der gesamten Bevölkerung in Anspruch genommen wird, sich auch an diesem Gesamtinteresse der Bevölkerung orientieren muß und nicht an den Rechenbeispielen für den Teilnehmer X oder Y, der, weil er grundsätzlich nur nachts telefoniert, möglicherweise künftig eine höhere Rechnung haben wird. Wir können diese Gebührenstruktur nicht an solchen einzelnen orientieren, sondern nur an der Mehrheit derjenigen,
17814 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn. Donnerstag. den 12. Juni 1980Hoffiedie unsere Telefonkunden sind. Eine Orientierung an Minderheiten würde hier dazu führen, daß sich jeder einzelne wieder darauf einstellte und wir wieder das alte Bild der Netzblockaden hätten.Meine Damen und Herren, nach Auffassung der FDP-Fraktion sollten die Auswirkungen dieser neuen Gebührenstruktur, die im Moment von niemandem, weder von uns, weder von der SPD noch von der FDP, aber auch nicht von Ihnen, Herr Kollege Dollinger, nicht von der CSU und auch nicht von der CDU in irgendeiner Form objektiv bewertet werden können, in Ruhe und Gründlichkeit untersucht werden. Wir jedenfalls haben die Vorstellung, daß wir nach einem ausreichenden Erfahrungszeitraum — hier ist von dem Kollegen der SPD-Fraktion gesagt worden: ein Jahr; ich sage, auch ein halbes Jahr müßte ausreichen — von der Bundesregierung einen Bericht vorgelegt bekommen, der darüber Auskunft gibt, ob die mit der neuen Tarifstruktur verfolgten Ziele verwirklicht werden konnten. Es sollte insbesondere untersucht werden, ob der Abbau der Verkehrsspitzen gelungen ist und eine bessere Verteilung des Verkehrsaufkommens erreicht werden konnte. Es sollte weiterhin festgestellt werden, welche finanziellen Auswirkungen das Gebührenpaket auf die Ertragslage im Fernmeldewesen hat und ob sich für bestimmte Teilnehmergruppen erkennbare Benachteiligungen ergeben könnten.Zum Abschluß, meine Damen und Herren: Sollte sich in der Tat, Herr Kollege Dollinger, was wir derzeit noch nicht erkennen können, bei einer solchen Auswertung herausstellen, daß die erwarteten Mindereinnahmen aus dem Gebührenpaket vom 1. April für die Post nicht eintreten, wird die FDP dafür Sorge tragen, daß das Tarifgefüge eine solche nicht gewollte Entwicklung korrigiert. Dies wird aber erst dann geschehen, wenn nach diesem Erfahrungszeitraum Klarheit über den Sachverhalt herrscht Solange wird das, was Sie hier heute wieder veranstaltet haben, als das gewertet werden müssen, was es in Wahrheit ist: Es ist Vorwahlkampf ohne solide Argumentationsbasis. Das mag der Stil der Opposition und ihres Sonthofener Vorreiters sein, der Stil der FDP ist das nicht.
Das Wort hat Herr Bundesminister Gscheidle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dollinger, die Polemik allein hätte mich nicht hierher geführt, um zu antworten, denn selbst unter diesem Gesichtspunkt war es keine besonders gute Rede. Sie haben aber drei Dinge behauptet, zu denen ich Ihnen eine Aufklärung zuteil werden lassen darf, weil Sie sonst vielleicht unbeabsichtigt weiter in den Verdacht geraten, etwas wider besseres Wissen zu behaupten.Es ist richtig, daß in unseren Anzeigen kein ausdrücklicher Hinweis auf den Wegfall des Mondscheintarifs steht. Aber dies läßt sich auch in einer Anzeige nicht alles darstellen. Sie werden verstehen, daß ein Unternehmen aus einem Paket nichtgerade das herausnimmt, was einen bestimmten Benutzerkreis negativ berührt. In der Anzeige war aber ein Hinweis, man könne eine Broschüre anfordern. In dieser Broschüre ist sehr wohl der Wegfall des Mondscheintarifs erklärt. Es hätte sich gelohnt, wenn Sie die Broschüre bestellt hätten; dann wäre eine ganze Reihe Ihrer Argumente entfallen.
— Sie können sie jetzt noch nachfordern!
Ihre zweite Behauptung bezog sich auf diese Verteuerung um 750 %. Sehen Sie, das zeigt, wieviel Polemik Sie benötigen, um einer wahltaktischen Überlegung halbwegs den Anschein der Berechtigung zu geben. Natürlich haben wir beim Autotelefon in einem Einzelbereich eine solche Erhöhung. Nur, Herr Dr. Dollinger, am Durchschnitt der Gebühren eines Gesprächs über Autotelefon — im beweglichen Landfunk — hat sich durch die Gebührenänderung insgesamt nichts geändert. Der Sinn ist, durch eine Verteuerung des langen Sprechens über das Autotelefon, zu ermöglichen, daß die knappe Frequenz dafür ausreicht, daß die über Autotelefon Telefonierenden überhaupt noch die Möglichkeit, einen Teilnehmer zu erreichen, haben. Das hätten Sie durch Befragen von irgend jemandem leicht feststellen können.Die dritte Behauptung von Ihnen war, daß wir unsere Investitionen falsch gesteuert hätten. Wonach wollen Sie denn Investitionen — ob in Ihrer Ziegelei oder in der Landwirtschaft oder sonstwo — steuern? Das Erstaunliche für mich war, daß Sie, Herr Dr. Dollinger, hier angetreten sind und zunächst die Bundespost als einen Monopolkapitalisten, als etwas für den Bürger ganz Erschreckendes, vorgestellt haben. Und dann haben Sie Vorschläge gemacht, als ob wir ein Bauchladen wären; da greift man mal hinein, und wenn der Faden verkauft ist, holen wir die Nadeln hervor; wir probieren alles aus.Sie wissen doch, wie groß dieses Unternehmen ist, zwar inzwischen dreimal größer als zu Ihrer Zeit, aber schon damals war es so groß, daß man wissen muß: Man kann da mit so einfachen Maßnahmen nicht eingreifen.Ich sage Ihnen drei Dinge, die Sie beachten müssen. Erstens. Im deutschen Fernsprechnetz machen die Telefongespräche in dem Bereich unter 50 km mehr als 50 % aus. Das heißt, in einem Bereich von mehr als 50 % der Gespräche wird — auch bezogen auf den Mondscheintarif — nichts teurer.Eine zweite Bemerkung, die Sie einfach zur Kenntnis nehmen sollten: Durchschnittlich führen die Teilnehmer monatlich nur fünf Gespräche über einen Bereich von 50 km hinaus. Damit erkennen Sie die Relativität dessen, womit Sie im Hinblick auf den 5. Oktober hier versuchen, etwas in Bewegung zu halten, und zwar nicht wegen des Telefonierens, sondern aus durchsichtigen anderen Gründen.Sehen Sie, diese Bundespost hat sich noch nie dagegen gesträubt, mit ihrer Gebührenpolitik flexibel am Markt zu reagieren. Sie wissen, daß 1971 dieser Mondscheintarif von nachts 1 Uhr bis morgens 6 Uhr eingeführt wurde und daß wir dann nach viel-
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Bundesminister Gscheidlejährigem Sammeln von Erkenntnissen auf 22 Uhr weitergegangen sind. Dann ergab sich unsere Fernsprechdichte mit einem — auch auf den einzelnen Apparat bezogen - zunehmenden Fernsprechverkehr, und wir merkten, daß wir mit den Investitionen nicht nachkamen, um die Blockierungen aufzulösen. Deshalb müssen wir das zurücknehmen. Das würden Sie in Ihrem eigenen Unternehmensbereich genauso tun, oder aber Sie würden, wenn wir bei dieser Empfehlung blieben, einem Kaufhaus empfehlen, seine Kapazitäten am Umsatz des Sommerschlußverkaufs auszurichten.
— Herr Dollinger, ich habe wirklich zugesagt, nur vier Minuten zu sprechen, und das halte ich ein.Deshalb kann ich nur sagen: Etwas mehr Sorgfalt in der Vorbereitung solcher Begründungen wäre schon angebracht.Im übrigen wurde die Anregung, die hier von den Fraktionen der SPD und der FDP gegeben wurde, im Verwaltungsrat — Ihre Kollegen, die dort sitzen, wissen das; eine bessere Verbindung zu denen wäre anzuraten — besprochen, und es ist klar, daß wir — mit ausreichenden Erfahrungen — gern zu einerDiskussion darüber zur Verfügung stehen, wie man hier etwas weiter anpassen kann. Nur: Die Wiedereinführung des alten Mondscheintarifs bei gleichzeitiger Belassung des Billigtarifs, wie Sie sich das vorstellen — lieber Herr Dr. Dollinger, dies geht für den, der die Bundespost verantwortlich führen will, unter gar keinen Umständen. — Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 8/4024 an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fermeldewesen zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen früh 8 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.