Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Sitzung.
Wir treten in die Tagesordnung ein und fahren fort mit der unterbrochenen
Fragestunde .
Zunächst die Frage des Abgeordneten Schmidt betreffend die Zahl der sogenannten Fast-Zusammenstöße im Luftraum der Bundesrepublik:
Wieviel sogenannte Fast-Zusammenstöße sind im Jahre 1958 und im Jahre 1959 im Luftraum der Bundesrepublik cien Flugsicherungsbehörden bekanntgeworden?
Das Wort zur Beantwortung hat Herr Staatssekretär Dr. Seiermann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Bundesrepublik sind 1958 143 Fälle und 1959 246 Fälle von Fast-Zusammenstößen den Flugsicherungsbehörden bekanntgeworden. Die Angaben sind aber kaum als vollständig anzusehen; denn erst seit 1957 ist im europäischen Raum ein Verfahren über die Meldung über Zusammenstoßgefahren eingeführt. Die Meldungen werden von den Luftfahrzeugführern abgegeben und von der Bundesanstalt für Flugsicherung ausgewertet. Sie hängen stark von der subjektiven Auffassung der meldenden Luftfahrzeugführer ab. Deshalb ist eine Statistik über die Anzahl der gemeldeten Zusammenstoßgefahren kein Maßstab für die wirkliche Gefährdung des Luftverkehrs. Da das Meldeverfahren laufend verbessert wird, steigen die Meldungen auch aus diesem Grund von Jahr zu Jahr an.
Im übrigen ist es unausweichlich, daß bei einer Verdichtung des Luftverkehrs auch die Gefahr von Fast-Zusammenstößen zunimmt, insbesondere dann, wenn mit der Verdichtung des Luftverkehrs gleichzeitig eine wesentliche Vergrößung der Geschwindigkeiten verbunden ist.
Eine Zusatzfrage.
Herr Dr. Seiermann, stimmt es, daß es nach wie vor für militärische Düsenflugzeuge im unteren Kontrollbereich, d. h.
demjenigen Bereich, in dem sich die normale Verkehrsluftfahrt abspielt, erlaubt ist, bei entsprechendem Wetter nach Sichtflugregeln frei und unkontrolliert zu fliegen? Und stimmt es zweitens, daß es sich bei der überwältigenden Mehrzahl der eben von Ihnen genannten Fast-Zusammenstöße um Situationen handelt, bei denen gerade militärische Düsenflugzeuge beteiligt waren, wobei in 80 bis 90 % aller Fälle nachträglich nicht mehr festgestellt werden konnte, um welches militärische Flugzeug es sich gehandelt hatte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf diese beiden Fragen wie folgt beantworten:
Nach internationalem Brauch fallen die Flüge nach Sichtflugregeln zum größten Teil nicht unter die Flugsicherungskontrolle, das heißt, sie brauchen nicht von der Flugsicherung erfaßt zu werden.
An den sogenannten Fast-Zusammenstößen waren im Jahre 1959 beteiligt — ich darf mich auf das letzte Jahr beschränken —: bei Flugzeugen mit Kolbenmotoren 265 zivile und 127 militärische Luftfahrzeuge, bei Flugzeugen mit Strahltriebwerken 5 zivile und 168 militärische Luftfahrzeuge.
Was das sogenannte Anfliegen zu Identifizierungszwecken anbelangt, — wollten Sie, Herr Abgeordneter Schmidt auf diese Frage eine Antwort? —,
so dürfen Militärflugzeuge diese Identifizierungsanflüge nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen durchführen. Wenn solche Anflüge stattgefunden haben, dann ist nach Auffassung der Streitkräfte entweder eine Notwendigkeit im Rahmen der gestellten Verteidigungsaufgaben vorhanden gewesen, oder die Ansteuerung ist auf Grund mangelnder Informationen durchgeführt worden, oder es hat eine Verwechslung vorgelegen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Dr. Seiermann, da Sie eben von Identifizierungsanflügen sprachen, darf ich mir die Frage erlauben, wer die Verantwortung trug und wer bestraft wurde für jenen Identifizierungsanflug, der nach der Wahl des Bundespräsidenten in Berlin dazu führte, daß das Flugzeug, in dem sich der Bundespräsident Lübke und der Bundestagsvizepräsident Schmid befanden, von einem Düsenjäger bis auf 7 m Abstand angesteuert wurde.
Dr. Seiermann, Staatssekkretar im Bundesministerium für Verkehr: Darf ich den ersten Teil der Frage noch einmal hören?
Es war eine einzige Frage, Herr Dr. Seiermann: Wer trug die Verantwortung und wer wurde bestraft für den Identifizierungsanflug gegenüber jener BEA-Viscount, die von Berlin nach Köln-Wahn flog und in der sich der Bundespräsident Lübke und der Bundestagsvizepräsident Schmid befanden, wobei sich das Militärflugzeug dem zivilen Verkehrsflugzeug bis auf 7 m genähert hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich bedauere, diese Frage aus dem Handgelenk nicht beantworten zu können. Ich werde sie schriftlich beantworten.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Schmidt betrifft die Zusammenarbeit zwischen zivilen und militärischen Flugsicherungsdienststellen:
Ist der Herr Bundesverkehrsminister der Auffassung, daß die Zusammenarbeit zwischen zivilen und militärischen Flugsicherungsdienststellen eine optimale Ausschöpfung der bestehenden Möglichkeiten erreicht hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zusammenarbeit zwischen zivilen und militärischen Flugsicherungsdienststellen vollzieht sich auf sieben Behördenebenen. Drei dieser Ebenen haben übernationalen, vier haben nationalen Charakter. In allen Ebenen sind das Bundesverkehrsministerium und das Bundesverteidigungsministerium oder deren nachgeordnete Dienststellen beteiligt. Soweit erforderlich, wirken auch die Stationierungsstreitkräfte mit.
Die organisatorischen Voraussetzungen zur optimalen Ausschöpfung der bestehenden Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit zwischen zivilen und militärischen Flugsicherungsdienststellen sind durch die am 21. April 1959 abgeschlossene Verwaltungsvereinbarung geschaffen, die in ihrer Durchführung eine zur Zeit wohl ausreichende Grundlage für eine vollständige Ausnutzung aller technischen und betrieblichen Möglichkeiten sichert.
Schwierigkeiten ergeben sich allerdings für die Bundesanstalt für Flugsicherung dadurch, daß die notwendige Anzahl ausgebildeter Fachkräfte einen Engpaß darstellt. Auf diese Frage hat ja mein Herr Minister am letzten Mittwoch in der Fragestunde bereits hingewiesen. Er hat darauf hingewiesen, daß die Ausbildung etwa drei Jahre erfordert, daß an die Eignung hohe Anforderungen gestellt werden müssen und daß die Zahl der bisher im Bundeshaushalt genehmigten Planstellen noch nicht ausreicht.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär Dr. Seiermann, ist Ihnen bekannt, daß in dent oberen Kontrollbereich — das sind die Flughöhen zwischen 20 000 und 25 000 Fuß, in dem man damit angefangen hat, eine gemeinsame Flugkontrolle für die zivile und die militärische Luftfahrt einzurichten — insbesondere das sogenannte Rhine-Control offensichtlich schlecht funktioniert, was z. B. aus der Tatsache hervorgeht, daß am 19. September 1959 eine aus Skandinavien kommende Caravelle beim Einflug in den Kontrollbereich 10 Minuten gebraucht hat, um Sprechfunkkontakt mit Rhine-Control zu bekommen — was einer Flugstrecke von 130 km innerhalb des Kontrollbereichs entspricht —, ohne daß Funkverbindung bestand?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Schmidt, die tatsächlichen Schwierigkeiten im Kontrollbereich des sogenannten oberen Luftraumes, d. h. über 6000 bis 7000 m, sind mir bekannt. Diese Schwierigkeiten haben aber mit der Zusammenarbeit zwischen militärischen und zivilen Dienststellen an sich nichts zu tun. Sie wissen, Herr Schmidt, daß diese Fragen der Sicherung des oberen Luftraumes Hauptgegenstand des sogenannten Euro-Control-Abkommens sind, das zwischen sieben europäischen Staaten zur Zeit verhandelt wird und von dem wir hoffen, daß es im Ma./ dieses Jahresunterzeichnet wird. Erst wenn die in der Euro-Control-Organisation in Verbindung mit der NATO geplanten Systeme, Verfahren und Dienste eingerichtet sind, kann mit einer optimalen Ausnutzung der dann gegebenen Möglichkeiten für die Sicherung des oberen Luftraums gerechnet werden.
Darf ich eine letzte Frage stellen, Herr Dr. Seiermann?
Sind Sie in Erwägung der vielfältigen Tatsachen, die ich als Fragesteller hier nur andeuten konnte, die dafür sprechen, daß zur Zeit das deutsche Flugsicherungssystem den zu stellenden Anforderungen nicht entfernt entspricht, wenn man die militärische und die zivile Seite nebeneinander sieht, sind Sie angesichts dieser vielen Erfahrungstatsachen bereit, zu erwägen, ob nicht in Deutschland nach dem Vorbild anderer Länder, insbesondere der Vereinigten Staaten, eine den zivilen und den militärischen Flugbetrieb gemeinsam umfassende Kontrolle eingerichtet werden muß, wie es in den Vereinigten Staaten neuerdings durch die Federal Aviation Agency unter ihrem durch seine Neuerungen bekannt und berühmt gewordenen Chef Quesada geschehen ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Schmidt, ich darf zunächst darauf hinweisen, daß die Sicherung des Luftraums über dem Gebiet der deutschen Bundesrepublik hinsichtlich der Qualität zweifellos den Vergleich mit der Sicherung der entsprechenden Lufträume des Auslandes aushält. Sie wissen, daß vor allem in den Vereinigten Staaten, denen ganz andere personelle und materielle Mittel zur
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Februar 1960 5623
Staatssekretär Dr. SeiermannVerfügung stehen, die Frage der Flugsicherung in der Öffentlichkeit viel kritischer behandelt wird, als das — notwendigerweise - auch bei uns der Fall ist.Auf den Hauptinhalt Ihrer Frage kann ich antworten, daß die Entwicklung der Flugsicherung zweifellos zu einer den gesamten Flugverkehr umfassenden Sicherung führen wird. Wir sind schon auf diesem Wege. Wir haben z. B. die Vereinbarung mit der Bundeswehr getroffen, daß die Radarabsicherung für die Fliegerhorste von der zivilen Flugsicherung im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten übernommen wird, d. h. für sechs Fliegerhorste ist dieses Verfahren bereits eingeführt, und es wird im Rahmen der personellen und materiellen Möglichkeiten weiterhin mit dem Ziele der Erfassung aller Fliegerhorste ausgedehnt.
Ich danke sehr.
Wir kommen zu den Fragen betreffend den Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Herr Abgeordneter Kalbitzer stellte eine Frage wegen der Entfernung von in Hamburger Postämtern ausliegenden Adreßbüchern. Herr Kalbitzer wird vertreten durch Herrn Berkhan:
Warum wurden in den Hamburger Postämtern auf Anweisung des Postministers die Adreßbücher, die dort zur öffentlichen Benutzung auslagen, entfernt?
Die Antwort erteilt Herr Staatssekretär Herz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Anweisung zur Zurückziehung der Adreßbücher in den Schaltervorräumen der Hamburger Postämter wurde gegeben, um Klagen aus anderen Städten vorzubeugen. Denn auch aus anderen Städten kamen Forderungen von Verlegern auf unter Hinweis auf die Regelung in Hamburg, die zugestandenermaßen seit Jahrzehnten besteht -, auch ihre Adreßbücher oder ähnliche Werke auslegen zu können. Leider aber wäre eine allgemeine Einführung dieser Kundendienstmaßnahme nicht möglich gewesen, einfach im Hinblick auf die schwierigen räumlichen Verhältnisse, die in einer großen Zahl von Postämtern noch bestehen. Andererseits kann sich eine öffentliche Verwaltung wie die Deutsche Bundespost dem Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung nicht entziehen. Um Klagen unter Hinweis auf die in Hamburg bestehende Sonderregelung zu vermeiden, hielt man es daher für das kleinere von zwei Übeln, die von Ihnen angeführte Weisung an die Oberpostdirektion Hamburg ergehen zu lassen.
Ich darf allerdings hinzufügen, daß dieselbe Angelegenheit vor kurzem von einem Hamburger Mitglied des Verwaltungsrats der Deutschen Bundespost zur Sprache gebracht wurde. Auf Grund der dort stattgefundenen Erörterungen hat der Herr Bundespostminister das Auslegen der Adreßbücher in den Hamburger Postämtern vorerst weiter zugelassen.
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, stimmen die Mitteilungen der Zeitung „Die Welt" vom 19. Januar auf der Hamburg-Seite, wo es wörtlich heißt:
Über die Gründe dieser merkwürdigen Maßnahme, die vom Bundespostministerium in Bonn verfügt wurde, ist man auch in der Direktion
— es handelt sich um die Direktion der Bundespost in Hamburg —
am Stephansplatz nicht recht klar. Einige Absätze weiter heißt es:
Dabei hat die Auslage der Adreßbücher keinen Pfennig gekostet. Im Gegenteil, den Adreßbuchverlag kostete jedes Buch in jedem Postamt jährlich 40 DM.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es trifft zu, daß -- um den letzten Teil der Frage zuerst zu beantworten — der ,Deutschen Bundespost keine Kosten entstanden sind. Daß die Hamburger Oberpostdirektion nicht in jeder Hinsicht die Gründe für die Anweisung erkennen konnte, ergab sich ja aus meinen Ausführungen, wonach aus anderen Städten und Bezirken Forderungen kamen, die uns zu dieser Maßnahme gezwungen haben.
Eine zweite Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, darf ich fragen, ob die Erwägungen des Ministeriums so stark sind, daß man nach jahrelangem Ausliegen von Adreßbüchern jetzt diese Annehmlichkeit in einer Großstadt von 1,8 Millionen Einwohnern beseitigt und dabei zuläßt, daß das Ansehen der Deutschen Bundespost als ein Kundendienstbetrieb mit Monopolcharakter leidet? Ich finde Ihre Begründung schwach und bin der Auffassung, daß die Wegnahme der Adreßbücher unter Hinweis auf die Gleichmäßigkeit „lächerlich" ist, da die Adreßbücher jahrzehntelang ausgelegt worden sind.
Das ist keine Frage mehr.
- Meine Damen und Herren, wir wollen nachsichtig sein, jeder mit jedem. Ich habe festgestellt, daß die letzten Ausführungen keine Fragen mehr waren; das sollte genügen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe mich darauf bezogen, daß wir den Grundsatz der Gleichmäßigkeit nicht einfach vernachlässigen dürfen. Es wurden in der Tat solche Forderungen
Metadaten/Kopzeile:
5624 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Februar 1960
Staatssekretär Dr.-Ing. E. h. Herzin anderen Städten erhoben, die wir nicht erfüllen konnten und die sich auf die Hamburger Regelung bezogen. Im übrigen aber darf ich Ihnen sagen, daß sich nach einer Übergangsfrist, die der Herr Bundespostminister angeordnet hat, ergeben wird, ob das Bedürfnis der Öffentlichkeit für diesen Kundendienst groß genug ist, um ihn gegebenenfalls auch unter Aufwendung gewisser Kosten wieder allgemein einzuführen und zuzulassen.Ich darf Ihnen aber dazu sagen, daß nach unserer Meinung die Nachschlagemöglichkeit im Postamt etwa im Hinblick auf die Vervollständigung der Briefanschriften nicht so sehr hoch zu veranschlagen ist, so bedeutungsvoll an sich diese Werke im allgemeinen Gebrauch auch sind. Der überwiegende Teil der Post, die in Hamburg in den Postämtern aufgeliefert wird, ist ja nicht nach Hamburg selbst gerichtet, sondern nach Städten außerhalb, für die die Adreßbücher ohne Nutzen sind.
Weitere Fragen betreffen den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verteidigung. Zunächst die Frage des Abgeordneten Hansing betreffend Bezahlung von Hausarbeitstagen der weiblichen Beschäftigten bei der Standortverwaltung Bremen:
Weiß die Bundesregierung, daß die weiblichen Beschäftigten bei der Standortverwaltung Bremen der Bundeswehr seit über einem Jahr auf eine Bezahlung ihrer Hausarbeitstage, die sie in der Zed vom 1. Januar bis 30. November 1958 nicht erhalten heben, warten?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Wünsche der in der Anfrage genannten Arbeitnehmerinnen können aus folgenden Gründen nicht befriedigt werden:
Das Bundesarbeitsgericht hat im Urteil vom 28. Juli 1958 entschieden, daß nach dem Hausarbeitstagsgesetz für Bremen der Anspruch auf einen Hausarbeitstag entfällt, wenn in der Woche durchschnittlich nicht mehr als 46 Stunden gearbeitet wird und wenn gleichzeitig durch Arbeitszeitverlegung zwei oder mehr Sonnabende im Monat von der Berufsarbeit freigestellt werden. Aus den Urteilsgründen ist zu erkennen, daß angesichts des eindeutigen Wortlauts des Hausarbeitstagsgesetzes von Bremen ein Anspruch auch dann nicht besteht, wenn durch anderweitige Verteilung der Arbeitszeit von 48 Stunden die Arbeitnehmer nicht mehr an allen sechs Tagen der Woche beschäftigt werden. Dieser Fall liegt für die weiblichen Beschäftigten der Standortverwaltung Bremen in der genannten Zeit vor, da in dieser Zeit jeder zweite Samstag arbeitsfrei blieb.
Das Landesarbeitsgericht in Bremen hat zwar in einem Urteil vom 26. November 1958 einen anderen Standpunkt eingenommen. Die von diesem Gericht vertretene Auslegung des bremischen Gesetzes widerspricht jedoch der genannten Rechtsansicht des Bundesarbeitsgerichts und bedarf deshalb einer höchstrichterlichen Nachprüfung. Diese Antwort erteile ich im Benehmen mit dem Herrn Bundesminister des Innern.
Eine Zusatzfrage? — Bitte!
Herr Staatssekretär, ist dem Bundesverteidigungsministerium bekannt, daß gegen das Urteil des Bremer Sozialgerichts kein Einspruch erhoben worden ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, dies ist bekannt. Aber das Urteil des bremischen Gerichts widerspricht, wie ich ausführte, dem Urteil des Arbeitsgerichts. Es ist nunmehr, falls Arbeitnehmerinnen erneut klagen, abzuwarten, ob ein weiterer Prozeß zur höchstrichterlichen Entscheidung führt und diese unter Umständen anders ist als die des Bundesarbeitsgerichts.
Die nächste Frage Abgeordneter Dr. Bucher — betrifft Verkehrsunfälle bei den Monövern in der Oberpfalz:
Ist es richtig, daß bei den kürzlich abgeschlossenen Manövern in der Oberpfalz, die unter dem Stichwort „Winterschild" liefen, sehr viele Verkehrsunfälle sich ereigneten, bei denen unter anderem vier Zivilpersonen getötet und dreißig verletzt wurden? Worauf sind diese Verkehrsunfälle, falls die Meldung zutreffend ist, zurückzuführen, und wie gedenkt die Bundesregierung dafür vorzusorgen, daß Ähnliches sich nicht wiederholt?
Herr Staatssekretär, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nach den bisher vorliegenden Meldungen wurden, wie vom Herrn Abgeordneten ausgeführt, bei Verkehrsunfällen während der Übung „Winterschild" vier Zivilpersonen getötet und etwa 30 Zivilpersonen verletzt. Soweit bis jetzt zu übersehen ist, handelt es sich bei diesen Unfällen fast ausschließlich um Zusammenstöße zwischen Fahrzeugen der US-Streitkräfte und zivilen deutschen Kraftfahrzeugen. Fahrzeuge der Bundeswehr waren bei tödlichen Unfällen nicht beteiligt.
Als Ursache dieser Unfälle sind in erster Linie anzusehen: starke Verkehrsmassierung aus Anlaß der Übungen und damit erhöhte Unfallgefahr, besonders schwierige Straßen- und Wetterverhältnisse, leichtsinniges Verhalten der zivilen Verkehrsteilnehmer, besonders hei Nacht — z. B. unvorsichtiges Überholen von Kolonnen, Nichtbeachtung der Vorfahrt von Kolonnen, zu geringer Abstand von Panzern und schweren Kraftfahrzeugen, Nichtbeachtung der eckigen Bewegungen von Kettenfahrzeugen — und Nichtbeachtung der Warnzeichen der militärischen Verkehrsregelungsorgane.
Zur Vermeidung von Unfällen wurden vom Bundesminister für Verteidigung in den letzten Jahren eine Anzahl Befehle erlassen, z. B. über die Geschwindigkeitsbegrenzung für Kraftfahrzeuge der Bundeswehr und über Verhütung von Kraftfahrzeugunfällen allgemein und über die Verhütung von Unfällen infolge Glatteis.
Für künftige Übungen laufen folgende Maßnahmen: Rechtzeitige und ausreichende Aufklärung der Bevölkerung durch Presse und Rundfunk über die besondere Verkehrsgefährdung bei Übungen — z. B. in der Nähe von Kettenfahrzeugen —, im Zu-
Staatssekretär Hopf
sammenwirken mit den Ländern umfangreicher Einsatz der Polizei an den Schwerpunkten der Übungen, ferner Ausstattung der deutschen militärischen Verkehrsregelungsorgane — z. B. der Feldjäger mit Befugnissen zur wirksameren Verkehrsregelung bei Übungen —, erneuter Hinweis an die in der Bundesrepublik stationierten ausländischen Streitkräfte auf die Art. 2 und 17 des Truppenvertrages, wonach von ihnen deutsches Recht, insbesondere auch das deutsche Verkehrsrecht, zu beachten ist, und Verhandlungen mit diesen ausländischen Streitkräften über wirksamere Maßnahmen zur Verhinderung von Unfällen.
Eine Zwischenfrage.
Werden Sie, Herr Staatssekretär, bei diesen Verhandlungen mit den alliierten Dienststellen auch prüfen, ob sich, wie berichtet worden ist, in mehreren Fällen die beteiligten amerikanischen Soldaten tatsächlich überhaupt nicht um die zivilen Opfer gekümmert haben, und besonders auf diesen Mißstand hinweisen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ermittlungen hierüber laufen bereits, weil solche Meldungen auch uns bekanntgeworden sind. Außerdem wird mit den leitenden Stellen der Stationierungsstreitkräfte eventuell mit ausländischen Staatsstellen hierüber bereits Verbindung aufgenommen, um auch hier eine andere Handhabung durchzusetzen.
Die Frage ist erledigt.
Weitere Frage — des Abgeordneten Bauer -- betreffend den früheren Adjutanten des Inspekteurs der Luftwaffe, Gliga:
1st die Meldung richtig, daß gegen den früheren Adjutanten des Inspekteurs der Luftwaffe, Gliga, nach Bekanntwerden der von ihm zu seiner Person gemachten vielfachen Falschangaben weder eine Mitteilung an die Staatsanwaltschaft erfolgt ist noch ein Disziplinarverfahren eingeleitet wurde, und trifft es zu, daß im Bundesverteidigungsministerium von strafrechtlicher Verfolgung bzw. disziplinarrechtlicher Ahndung abgesehen wurde, weil kein materieller Schaden entstanden sei?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Verdacht, daß Gliga bei seiner Bewerbung falsche Angaben gemacht haben könnte, entstand anläßlich einer internen Sicherheitsüberprüfung. Als Gliga daraufhin vernommen wurde, gab er zu, einige Fragen in dem Bewerbungsbogen wahrheitswidrig beantwortet zu haben. Während der Untersuchung beantragte er selbst seine Entlassung. Diesem Antrag war nach dem Soldatengesetz zu entsprechen.
Da Herr Gliga selbst seine Entlassung beantragt hatte, wurden die Ermittlungen nicht fortgeführt. Die Feststellung, ob ein Grund zur Entlassung aus der Bundeswehr gegeben sei, wurde durch den Entlassungsantrag hinfällig.
Eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft ist dann nicht mehr erstattet worden. Eine Verpflichtung hierzu bestand nicht, auch nicht nach § 22 der Wehrdisziplinarordnung. Nach dieser Vorschrift ist eine
Abgabe an die zuständige Strafverfolgungsbehörde vorgeschrieben, wenn ein Dienstvergehen zugleich eine strafgerichtlich zu verfolgende Handlung ist oder sein kann. Bei der Einstellung der dienstlichen Untersuchung nach der Entlassung des Gliga war aber noch nicht erwiesen, ob er ein Dienstvergehen begangen hatte.
Auf die Entscheidungen des Bundesverteidigungsministeriums hatte die Frage, oh ein materieller Schaden eingetreten war oder nicht, keinen Einfluß. Ein materieller Schaden ist im übrigen nicht eingetreten.
Keine Zusatzfrage?
Frage des Abgeordneten Dr. Bechert — sie gehört zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft — betreffend Einsetzung von Mitteln im Haushaltsvoranschlag für 1960 zum Zwecke der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten auf dem Gebiet des Haltbarmachens von Lebensmitteln:
Warum hat das Bundesministerium fur Atomkernenergie und Wasserwirtschaft in den Haushaltsvoranschlag für 1960 unter Kap. 31 02 Tit. 620 Mittel in Höhe von 1 Million DM eingesetzt, die en die Industrie gegeben werden sollen zum Zweck der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten auf dem Gebiet des Haltbarmachens von Lebensmitteln mit Hilfe von ionisierender, also auch radioaktiver Strahlung, obwohl dies eindeutig in dm Verordnung über die Behandlung von Lebensmitteln mit Elektronen-, Gamma- und Röntgenstrahlen oder ultravioletten Strahlen vorn 19. Dezember 1959 verboten ist? Warum hat das Bundesminisierium für Atomkernenergie- und Wasserwirtschaft, wenn die Mittel nur an Forschungsstätten der Wissenschaft — nicht der Industrie — gegeben werden sollen, wie im Ausschuß für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft gesagt wurde, im Haushaltsvoranschlag die ganz andere Formulierung verwendet, die Mittel sollten an die Industrie gegeben werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem Lebensmittelgesetz dürfen Lebensmittel mit ionisierenden oder ultravioletten Strahlen nur behandelt werden, wenn dies ausdrücklich zugelassen ist. Die Vorschrift bezieht sich nur auf solche Stoffe, die dazu bestimmt sind, in unverändertem oder zubereitetem oder verarbeitetem Zustand von Menschen gegessen, gekaut, getrunken oder geraucht zu werden, nicht aber auf solche Stoffe, die nicht für den menschlichen Genuß, sondern ausschließlich für Forschungszwecke verwendet und höchstens an Versuchstiere verfüttert werden.
"Das Atomministerium widmet sich auch der Förderung der Strahlennutzung und der Entwicklung der Isotopentechnik und Kernchemie und hat in seinem Haushaltsvoranschlag für 1960 Mittel hierfür beantragt. Die speziellen Erläuterungen zu Ziffer 8 des Tit. 620 dürfen dementsprechend nur im Zusammenhang mit den Erläuterungen zu dem Gesamttitel gesehen werden, die lediglich eine Förderung von Forschungs- und Entwicklungsvorhaben vorsehen, nicht aber eine Förderung der industriellen Produktion von Lebensmitteln. Der Begriff „Lebensmittel-Industrie" bezeichnet daher hier nur ein zu förderndes wissenschaftlich-technisches Aufgabengebiet. Um in Zukunft Mißverständnissen vorzubeugen, ist in dem überarbeiteten Entwurf des Haushaltsvoranschlags das Wort „LebensmittelIndustrie" durch das Wort „Lebensmittel-Forschung" ersetzt worden.
Eine Zusatzfrage: Herr Staatssekretär, ist Ihnen entgangen, daß in den Erläuterungen des Einzelplans 31 Kap. 31 02 zu Tit. 620 steht:
Veranschlagt sind Zuwendungen an wissenschaftliche und technische Institute und Einrichtungen des Bundes, der Länder, der Industrie usw. ... auf folgenden Gebieten:
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
— Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn man dies dem Parlament mitgeteilt hätte. Die Frage ist zurückgestellt.
Die Fragestunde ist damit erledigt.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll nunmehr das Parteiengesetz aufgerufen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die politischen Parteien (Drucksache 1509).
Ich erteile dem Herrn Bundesminister des Innern das Wort zur Begründung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestern war eine Debatte, die sozusagen das Interesse von jedermann finden konnte und vielleicht auch gefunden hat. Das, worüber wir heute sprechen, ist nicht geeignet, das Interesse von jedermann, aber sicherlich doch das Interesse der Parteien selbst zu finden.
Es sind zur Zeit nur wenige Abgeordnete im Saale.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, darauf wollte ich gerade kommen. Im Hause sind wir heute morgen eigentlich nur in einem kleinen auserlesenen Kreise versammelt. Ich schätze, daß nicht mehr als 15 % der Mitglieder des Hohen Hauses hier sind.
— Ich kann nur Feststellungen treffen. Wir werden uns aber Mühe geben, für jene anderen, die nicht hier sind, gleichzeitig alle Fragen mit zu bedenken.
Erlauben Sie mir, ganz offen zu sagen: An solchen Tagen empfindet man sehr, daß wir uns vielleicht doch dazu entschließen sollten, die räumlichen Verhältnisse hier ähnlich denen des britischen Unterhauses zu gestalten, die es sehr viel angenehmer machen, im vertrauteren Kreise zusammen zu sein. Vielleicht entschließt sich das Hohe Haus eines Tages dazu.
Herr Minister, ich nehme an, Sie wollten das Haus nicht kritisieren. Sie wollten wohl nur Ihrer Betrübnis, ja Trauer Ausdruck verleihen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, Trauer ist ein vielleicht zu starkes Wort. für das, was mich bewegt. Aber in meinen Ausführungen bringe ich vielleicht gewisse Unterschiede zwischen dem, was ich als Bundesminister des Innern und als Abgeordneter sage. Bitte, seien Sie so freundlich, einige meiner Bemerkungen unter die Kategorie „Abgeordnetenbemerkungen" zu bringen.
- Nein, das ist gar nicht schizophren. Ich bemühe mich gerade, diese Eigenschaften, was man in der Tat lernen muß — Sie, meine Damen und Herren von der Linken, werden das ja vielleicht eines Tages auch lernen können —, schön miteinander in Einklang zu bringen. Das ist nicht immer ganz leicht, aber es ist erlernbar.
— Lieber Herr Kollege Metzger, ich kann nicht unentwegt den Herrn Bundeskanzler verteidigen.
Ich hoffe, daß er bald gesund zurück ist. Dann werden Sie von neuem Ihre Freude an ihm haben und nicht mit mir vorlieb nehmen müssen.
Meine Damen und Herren, das Parteiengesetz ist aus der öffentlichen Diskussion schon lange bekannt. Ich möchte heute morgen einmal einige Bemerkungen zum Werdegang des Gesetzes machen. Es ist eigentlich seit mehr als zehn Jahren in der Diskussion, seit damals der Parlamentarische Rat denBundesinnenminister Dr. SchröderArt. 21 des Grundgesetzes geschaffen hat; einen Artikel, von dem ich gleich sagen möchte, daß er im wesentlichen bereits durch andere gesetzliche Bestimmungen ausgefüllt worden ist. Was wir jetzt im Parteiengesetz vorschlagen, ist sozusagen das letzte Stuck der Ausführung von Art. 21 des Grundgesetzes. An diesem Gesetz ist auch tatsächlich bei nahe zehn Jahre lang gearbeitet worden, natürlich nicht ohne Unterbrechung — um nicht den Eindruck zu erwecken, daß wir zehn Jahre nichts anderes getan hätten, als pausenlos an dem Parteiengesetz zu arbeiten. Sie kennen das Maß gesetzgeberischer Arbeit, das wir in jenen .Jahren zu bewältigen hatten, sehr genau aus Ihrer eigenen Mitwirkung. — Ich darf einmal einen kurzen Abriß der Entwicklungsgeschichte geben.1950 wurden im Bundesministerium des Innern die ersten Entwurfsarbeiten geleistet. 1951 haben Ressortbesprechungen und Beratungen mit den Ländern stattgefunden, und schließlich ist im Jahre 1951 der erste Entwurf eines Parteiengesetzes im Bundeskabinett behandelt worden. Im Jahr 1952 ist der zweite Entwurf eines Parteiengesetzes ins Kabinett gelangt. Dabei stellte sich heraus, daß die Materie doch wesentlich schwieriger sei, als man zunächst angenommen hatte, daß sie überdies vielschichtiger und verwickelter sei und daß man doch weitere eingehende Überlegungen werde anstellen müssen, was dann auch geschah.Zwischen 1953 und 1955 hat es eine gewisse Unterbrechung an diesen Arbeiten gegeben, nicht etwa — ich bin ganz sicher, daß Sie Ihre Termin- und l Zeitkalender sorgfältig prüfen werden — weil ich damals ins Amt kam und das Parteiengesetz als nicht sonderlich wichtig empfunden hätte, sondern weil wir damals, wie Sie sich entsinnen, in intensive Auseinandersetzungen über das Wahlrecht verstrickt waren, und natürlich gehörten das Wahlrecht und die Wahlrechtsreform vor das Parteiengesetz. Ich habe damals eine Kommission zur Vorbereitung des Wahlrechts berufen. Später ist das Wahlgesetz verabschiedet worden, wie Sie noch in Erinnerung haben. Den engen Zusammenhang zwischen Wahlrecht und Parteienrecht brauche ich nicht darzulegen.Ich habe dann im Einvernehmen mit dem Bundeskabinett Ende 1955 eine Parteienrechtskommission berufen, die den Auftrag haben sollte, die politischen, soziologischen und rechtlichen Grundlagen des Parteienwesens wissenschaftlich zu durchleuchten. Über diese Kommission ist das Hohe Haus genau im Bilde. Sie hat schließlich einen Bericht ererstattet unter der Überschrift „Rechtliche Ordnung des Parteienwesens". Das ist eines jener wenigen Regierungsdokumente, die es sogar zu einer zweiten Auflage gebracht haben, weil die Nachfrage danach sehr groß war. Die Kommission war in besonderer Weise zusammengesetzt. Sie reichte von den Historikern über die Philosophen zu den Verfassungsjuristen und zu den Vertretern des Faches Politische Wissenschaft und bis hinein in die Publizistik. Man muß heute wieder einmal sagen, daß der Bericht, den jene Kommission geliefert hat, einen außerordentlichen Beitrag zur Durchleuchtung dieses Teils unseres Verfassungslebens darstellt. Jedenfalls sind Notwendigkeit und Nutzen dieser Schrift von allen Seiten anerkannt worden. Diese Schrift bildet eine wesentliche Grundlage für den Entwurf, und ich bin ganz sicher, daß sie auch eine Grundlage oder, sagen wir einmal, eine Hilfe für die künftigen Gesetzesverhandlungen sein wird.1958 sind die Entwurfsarbeiten wiederaufgenommen und dann recht schnell, etwa in einem reichlichen halben Jahr, abgeschlossen worden. Im Mai 1959 ist das Parteiengesetz durch die Bundesregierung verabschiedet, im August ist es dem Bundesrat zugeleitet worden, und es liegt dem Hohen Hause, wenn ich nicht irre, seit Dezember vor.Das ist also ein Überblick über eine beinahe zehnjährige Vorgeschichte. Ich glaube sagen zu dürfen, daß sich die lange Wartezeit in diesem Falle wirklich gelohnt hat. Die Erfahrungen einer langjährigen Aufbauarbeit und die Erfahrungen aus der Wirksamkeit der Parteien konnten jetzt ausgewertet werden. Die Kommission hat sich im übrigen — um das hier einzuschieben — sehr große Mühe darum gegeben, auch die Wirklichkeit der Parteien zu erforschen. Sie hat eine Menge Unterhaltungen und Diskussionen darüber mit den hervorragendsten Vertretern der verschiedenen Parteien gehabt. Die Wissenschaft und besonders die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben eine Reihe grundsätzlicher Fragen des Parteienrechts weitgehend geklärt, so daß man, glaube ich, heute sagen kann: die ganze Materie ist für eine gesetzgeberische Regelung nunmehr wirklich reif geworden.Das Parteiengesetz gehört zu jenen Gesetzen, über deren wünschenswerten Inhalt sehr verschiedenartige Vorstellungen bestehen. Nachdem ich im Bereich der politischen Gruppen über diese Fragen einmal etwas unmittelbarer gesprochen habe, muß ich sagen: das Interesse an den Organisationsfragen und an den Fragen der Rechenschaftslegung ist lange nicht so groß wie das Interesse an der für die Parteien wirklich brennenden Frage, wo eigentlich das Geld für ihren ständig wachsenden Bedarf herkommen soll. Über die Frage, woher das Geld für diese Arbeit kommen soll, sagt das Gesetz im einzelnen nichts.
- Der erste Zwischenruf „Leider" ist schon gefallen,und das wird mir Anlaß geben, nachher vielleicht noch einmal Ihnen meine Auffassung - ich kann da allerdings nicht verbindlich für die Bundesregierung sprechen — darüber zu sagen, wo das Geld für die Parteien herkommen sollte.Das Gesetz, das Ihnen nun im Entwurf vorliegt, ist nicht den praktischen Notwendigkeiten des Tages oder etwa reinen Zweckmäßigkeitserwägungen entsprungen, sondern stellt die Ausführung eines Verfassungsauftrages dar. Deshalb ist die Frage seiner Notwendigkeit, die Frage, ob man dieses Gesetz überhaupt braucht, und die Frage seiner Zweckmäßigkeit kein Diskussionspunkt. Der Verfassungsauftrag muß ausgeführt werden. Es geht also nicht mehr um das Ob, sondern es geht nur noch um das Wie seiner Ausführung, das Wie, das
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Februar 1960 5629
Bundesinnenminister Dr. Schröderallerdings eine große Spannweite von Möglichkeiten umfaßt.lch stelle nun die einzelnen Fragen zusammen. Die erste Frage ist die, welche Bedeutung dieses Gesetz im System der gesamten Rechtsordnung hat. Auf diese Frage ist zu antworten, daß es sich um die Ergänzung des Grundgesetzes in einem seiner wichtigsten Bestandteile handelt. Das Parteiengesetz stellt ähnlich wie das Wahlgesetz ein wesentliches Stück Verfassungsrecht dar. Von dem schwierigen Kapitel, mit dem wir uns in einigen Wochen beschäftigen werden, dem Kapitel der Notstandsgesetzgebung abgesehen, ist das Parteiengesetz das letzte noch ausstehende Gesetz verfassungsrechlichen Inhalts. Mit ihm kommt der Aufbau der verfassungsmäßigen Ordnung, wie sie dem Grundgesetzgeber vorgeschwebt hat, im wesentlichen zum Abschluß.Die zweite Frage ist die nach der Bedeutung des Gesetzes in tatsächlicher Hinsicht. Die Antwort darauf ergibt sich in einer Parteiendomokratie allein schon aus dem Gegenstand. Das politische Wollen des Volkes kann nur über die Parteien Eingang in die staatliche Willensbildung finden und nur so zu politischer Wirklichkeit werden. Das Schicksal von Volk und Staat hängt in unserer Zeit weitgehend von Wesensart und politischer Gestaltungskraft der Parteien ab.Die dritte Frage in diesem Zusammenhang ist die Frage nach der Bedeutung des Gesetzes im Hinblick auf künftige Entwicklungen. Hierzu ist folgendes zu sagen. Sie werden sich darüber klar sein oder im Laufe der Erörterungen darüber klarwerden, daß der Entwurf völliges Neuland betritt; denn es gibt — das zu wissen ist wichtig — im Ausland keine Parteiengesetze. Die Beachtung des Experiments, das zu unternehmen wir uns hier anschicken, geht über die deutschen Grenzen hinaus. Man ist dort durchaus gespannt darauf, ob es uns gelingen wird, etwas Praktikables zu schaffen.Neuland betritt das Gesetz auch in allgemeiner verfassungspolitischer Hinsicht. Das bisherige Verfassungsrecht war im wesentlichen auf die Ordnung der eigentlichen Staatsorganisation und die Regelung des Verhältnisses von Staat und einzelnem beschränkt. Aber in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts ist es das Hauptproblem der Staatskunst, Ordnung in das Beziehungssystem Staat, Parteien, Verbände und Individuum zu bringen. So wie wir es sehen, ist das Parteiengesetz ein erster Schritt in dieser Richtung.Ich komme nun zu einem anderen Gedankenkreis, den Vorstellungen und Erwartungen zum Parteiengesetz. Ich habe das schon kurz angesprochen. Die gesetzgeberischen Bemühungen der Bundesregierung in den Anfangsjahren waren überwiegend durch das Bestreben nach formalrechtlicher Fixierung des bisher völlig freien, ungeregelten Parteiwesens gekennzeichnet. Erst später sind zunehmend materielle und konkrete Forderungen an das Gesetz gestellt worden. Die sehr verschiedenartigen Vorstellungen über Zweck und Inhalt des Gesetzes sind dabei weit auseinandergegangen. Man hat z. B. gedacht an die Institutionalisierung der Parteien im Bereich des öffentlichen Rechts, an die Steigerung ihres öffentlichen Ansehens und ihrer Anziehungskraft, an die Belebung des inneren Parteilebens durch Demokratisierung und schließlich an die Beseitigung innerparteilicher Konfliktstoffe. Man hat auch — ich habe das soeben schon erwähnt an die sogenannte ideale Parteifinanzierung gedacht, an die Beeinflussung der Erfolgschancen der Parteien durch gezielte gesetzliche Regelungen im Bereich der Rechenschaftslegung usw.Die letzten Erwägungen haben die oppositionellen Kreise etwas mehr bewegt. Das ist hier etwas diplomatisch formuliert. Ich will es jetzt einmal etwas weniger diplomatisch ausdrücken: Auf vielen Seiten bestanden Erwägungen, daß es schon ein bedeutender eigener politischer Erfolg wäre, wenn es gelänge, die Geldquellen des politischen Gegners zum Versiegen zu bringen. Diese oppositionellen Betrachtungen sind natürlich meilenweit entfernt von dem, was einem richtig aufgefaßten Parteiengesetz zugrunde gelegt werden kann. Das Parteiengesetz ist nicht ein Stück Klassenkampf, nicht ein Stück klassenkämpferischer Betrachtung zwischen Armen und Reichen, wo Sie als die heutigen Reichen uns als die inzwischen Armen sogar noch als die früher angeblich Reichen attackieren. Das Parteiengesetz muß sich aus diesen allzu polemischen zwischenparteilichen Betrachtungen herausheben. Es ist tatsächlich so gewesen, daß es bis zum Erscheinen des Regierungsentwurfs in der Öffentlichkeit kein klares Bild über den richtigen Inhalt eines Parteiengesetzes gegeben hat. Insoweit hat -- das muß man einmal sagen, auch wenn das kein Thema ist, von dem die große Öffentlichkeit viel verstehen kann — der Regierungsentwurf zum erstenmal den Versuch gemacht, etwas darzustellen, was es vorher überhaupt noch nicht gegeben hat, nämlich ein Gesetz über die Parteien.Was ist nun die Grundtendenz des Entwurfs? Ich glaube, es ist eine Pflicht des Gesetzgebers, die Dinge gegenüber vielfach gehegten Erwartungen nüchtern zu betrachten. Es darf hier keine Überspannung in Zielsetzung und Regelung geben. Es gibt eine Pflicht, die gewachsene Wirklichkeit anzuerkennen, tatsachenbedingte Notwendigkeiten zu berücksichtigen, natürlichen Entwicklungen Spielraum zu lassen und die Möglichkeiten nicht zu übersehen, die außerhalb der Gesetzgebung für die Erreichung bestimmter staatspolitischer Ziele bestehen.Die Parteien — und wer wüßte das nicht, der sie aus langer eigener Mitarbeit kennt — sind ein empfindliches und sogar gefährliches Objekt der Gesetzgebung. Die Parteien sind nicht nur als Organisationen anzusehen, sondern wir haben bei ihnen gleichzeitig die Gefahr gesamtpolitischer Fehlentwicklungen zu bedenken, die eine unüberlegte Gesetzgebung verursachen könnte. Die Parteien und das Gesetz über die Parteien sind auch keine geeigneten Gegenstände für Experimente. Wir müssen uns der Notwendigkeit der Erkenntnis bewußt sein, daß der erste Versuch gesetzlicher Regelung des Parteiwesens nicht in jeder Beziehung endgültig sein kann. Es mag durchaus sein — das sage ich gleich
Metadaten/Kopzeile:
5630 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Februar 1960
Bundesinnenminister Dr. Schrödervon vornherein —, daß sich an Hand späterer Erfahrungen manche Korrekturen ergeben.Aus diesem Grunde sind drei Forderungen vorweg zu stellen.
Sie haben das Wort, Herr Minister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe das Wort. Ich mache einen sparsamen Gebrauch davon, da andere, die nicht das Wort haben, einen regeren Gebrauch davon machen.
Meine Damen und Herren, ich sagte, daß es drei Punkte sind, die wir jetzt einmal betrachten wollen.Das erste ist die Beschränkung auf die in Art. 21 des Grundgesetzes ausdrücklich angesprochenen Regelungsaufträge. Das Parteienrecht ist im übrigen gar nicht so ungeregelt, wie man das manchmal annimmt. Die Grundnormen stehen tatsächlich bereits in Art. 21 des Grundgesetzes, und ein großes Stück weiteren Parteienrechts befindet sich in den Wahlgesetzen. Schließlich — und darauf muß man hinweisen, weil es den wenigsten bewußt ist — findet sich in dem Gesetz über das Bundesverfassungsgericht eine ganze Menge an Parteienrecht, ja sogar prozessualem Parteienrecht.Ganz ausgeklammert ist hier ein Kapitel, das man „Fraktionen und Abgeordnete" überschreiben könnte. Dieses Kapitel hat in den früheren Diskussionen über das Parteiengesetz noch einen erheblichen Raum eingenommen. Es gehört aber in das Parlamentsrecht und insoweit in die Zuständigkeit des für das jeweilige Parlament zuständigen Gesetzgebers. Bestimmungen dieser Art gehören also im Grunde in die Geschäftsordnung.Probleme der Spannung zwischen Abgeordneten bzw. Fraktionen einerseits und Parteien andererseits sind seit Ausschaltung der totalitären Partei nicht mehr so aktuell, wie es in der Weimarer Zeit der Fall gewesen ist. Der Zusammenhang mit dem Problem einer Reform der Parlamentsarbeit und ihrer Methoden bleibt ebenfalls dem reinen Parlamentsrecht vorbehalten und gehört nach unserer Auffassung nicht in ein Parteiengesetz.Ferner sind ausgeklammert die Beziehungen und das Verhältnis zwischen den Parteien und den Verbänden. Über diese Beziehungen sind ebenfalls keine grundsätzlichen Regelungen in das Parteiengesetz aufgenommen. Dies ist ein Kapitel, so oft es auch draußen behandelt worden ist, das infolge seiner Vielschichtigkeit noch nicht zu gesetzlicher Regelung reif ist. So hat auch die Parteienrechtskommission sich nicht in der Lage gesehen, auf diesem Gebiet bereits eine Empfehlung für gesetzgeberische Regelungen zu geben. Ich glaube jedenfalls, daß dieses Problem „Parteien und Verbände" von der begrenzten Basis eines Parteiengesetzes aus überhaupt nicht zu lösen ist.Die zweite Kernfrage möchte ich überschreiben mit „Festhalten am traditionellen Charakter der Parteien". Was ist darunter zu verstehen? Darunter ist zu verstehen die Wahrung des Wesens der Parteien als frei gebildeter Vereinigungen des gesellschaftlichen Raumes außerhalb der organisierten Staatlichkeit. Das bedeutet den Verzicht auf fragwürdige Versuche, die Verfassung — ich sage das nun in Anführungszeichen — „weiterzubilden". Wir sind der Meinung, daß eine volle Staatsunabhängigkeit der Parteien gewahrt werden sollte. Dazu gehört dann selbstverständlich auch die Vermeidung aller besonderen Staatskontrollen, vor allem hinsichtlich der Einhaltung der demokratischen Ordnung und der Finanzgebarung. Es ist — ich habe das gerade in einem anderen Zusammenhang erwähnt — von der Parteienrechtskommission sehr eingehend mit Vertretern der politischen Parteien darüber gesprochen worden, welche Organisationsform sie selbst für richtig hielten, und mir ist daraus in Erinnerung geblieben, daß ein so kenntnisreicher Mann wie der frühere Alterspräsident dieses Hauses, der seinerzeitige Präsident des Reichstages Paul Löbe, sich ganz nachdrücklich auf den Standpunkt gestellt hat, daß man die Parteien nicht etwa in Korporationen öffentlich-rechtlichen Charakters oder etwa in eingetragene Vereine verwandeln sollte — obwohl sie diese Rechtsform annehmen können —, sondern daß man sie tatsächlich das sein lassen und bleiben lassen sollte, was ich gerade „Vereinigungen des gesellschaftlichen Raumes außerhalb der organisierten Staatlichkeit" genannt habe.Das dritte Prinzip, meine Damen und Herren, ist der Verzicht auf jede gesetzlich vorgeschriebene Idealtypik der Parteien. Das Gesetz will sich und muß sich, wie ich glaube, darauf beschränken, geordnete und gesunde Grundlagen des Parteilebens zu schaffen, auf denen die Parteien in vollem Maße ihre Entwicklung selbst zu bestimmen und ihre eigene Kraft zu bewähren haben.Wenn Sie das nehmen wollen als die drei leitenden Gedanken, die den Inhalt des Entwurfs bestimmen und begrenzen, kommen wir nun zu den beiden großen Hauptkapiteln. Diese beiden großen Hauptkapitel heißen: „Innere Ordnung der Parteien" und „Rechenschaftslegung der Parteien".Zunächst zur inneren Ordnung. Die innere Ordnung ist in den öffentlichen Diskussionen allzu sehr in den Schatten der Finanzfragen getreten. Der Sache nach bildet jedoch die innere Ordnung tatsächlich einen Schwerpunkt des Gesetzes.Das Grundgesetz hat, wie ich bereits andeutete, keinen Auftrag zu umfassender Regelung der inneren Ordnung gegeben, sondern nur zur Gewährleistung demokratischer Grundsätze im Organisationsgefüge der Parteien. Das Ziel ,des Entwurfs ist daher nicht der ideale, ohne Reibungsverluste funktionierende Parteiapparat, sondern die Sicherung einer von der Mitgliederbasis ausgehenden Parteiwillensbildung. Das oberste Prinzip dieser inneren Ordnung bleibt die Organisationsfreiheit. Nur sie trägt der Verschiedenartigkeit der Parteien, der natürlichen Dynamik des Parteilebens und allen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Februar 1960 5631
Bundesinnenminister Dr. Schröderkünftigen Entwicklungen Rechnung. Nur unter dem Prinzip der Organisationsfreiheit und ohne Hilfestellung durch gesetzlich vorgeschriebene Organisationsschemen ist sichergestellt, daß sich nur solche Parteien bilden und am Leben halten, die aus selbst aufgebrachter eigener Integrationskraft aktionsfähige politische Einheiten zu bilden vermögen. Insoweit haben die Bestimmungen über die innere Ordnung der Parteien eine doppelte Zielrichtung. Die erste geht auf eine Schutzvorkehrung gegen ein Wiedererwachen des totalitären Parteientyps. Insoweit erfüllt das Gesetz also eine Aufgabe des präventiven Verfassungsschutzes. 'Die zweite Zielrichtung der Bestimmungen geht auf Sicherung gegen Aushöhlung breit fundierter Willensbildung bei denjenigen Parteien, deren demokratischer Charakter an sich unbestritten ist, durch die Bildung übermächtiger Parteioligarchien. Ich glaube, daß das die beiden Dinge sind, .die man als die Zielrichtung der Bestimmungen über die innere Ordnung ansprechen darf.Ich sprach von den Parteioligarchien. Hier handelt es sich klar um die Eindämmung einer Erscheinung, die nicht nur die Parteien, sondern das gesamte moderne Verbandswesen ergriffen hat und die letzten Endes auf tiefen Strukturveränderungen der modernen Gesellschaft beruht. Die Bildung von Massenorganisationen, die Inanspruchnahme der Mitglieder durch eine Vielzahl von Pflichten und anderen Beschäftigungen, die nur eine minimale Zeit lassen, sich um den Verband zu kümmern, — all dies sind Umstände, die eine Oligarchie begünstigen. Machtkonzentrationen bei den Führungskörpern der Verbände, die auf diese Weise entstehen, sind gar nicht, wie man gelegentlich glaubt, gegen den Willen der Mitglieder erzwungen, sondern werden sogar von diesen selbst gewollt oder zumindest gebilligt. Offenbar ist es in der modernen Massengesellschaft bei ihrer Differenziertheit sehr schwierig, klare Führungsfunktionen herauszubilden, die zwar eine einwandfreie demokratische Legitimation haben, wenn sie auch nach den gegebenen Verhältnissen nicht bis in jede Führungsentscheidung hinein immer ganz demokratisiert sein können.Um dieser Entwicklungsrichtung, die wir für sehr schwerwiegend halten, entgegenzuarbeiten, sind hier bestimmte Vorschriften vorgesehen worden. Der Entwurf sucht durch eine ganze Reihe grundlegender Regelungen solchen Tendenzen im Bereich der Parteien entgegenzuwirken und die Verhältnisse aufzulockern. Möglichkeiten dazu finden sich in der Zuständigkeit der Mitglieder- bzw. Vertreterversammlungen für die grundlegenden Sachentscheidungen, in der verhältnismäßig kurzfristigen Wahl aller Parteiorgane, in der geheimen Wahl der Vorstände, dem Schutz der Mitglieder vor Mißbrauch der Verbandsgewalt durch unabhängige Parteischiedsgerichte usw. Dies alles dient nur dazu, einigermaßen sicherzustellen, daß sich die Entwicklung in den Parteien nicht nach jenen eben geschilderten Tendenzen der modernen Massengesellschaft zwangsläufig vollzieht.Welche Wirkungen von diesen Vorschriften und ihrem Appell auf Betätigung der mitgliedschaftlichenRechte ausgehen, hängt davon ab, in welchem Umfang von den gesetzlich geschaffenen Möglichkeiten Gebrauch gemacht wird und welche Bereitschaft in den breiten Kreisen der Parteimitglieder besteht, selbst aktiv zu werden und Aufgaben zu übernehmen. Der Gesetzgeber — darüber sind wir uns alle klar — kann hier nur einen Rahmen schaffen. Er kann nicht das Leben selber schaffen, sondern das Leben muß von denen geschaffen werden, die sich in den Parteien für diese Arbeit zusammenfinden.So ist der Entwurf im einzelnen darum bemüht, eine Synthese zwischen demokratischer Willensbildung einerseits und den Erfordernissen politischer Führung andererseits zu finden, zwischen gesicherter Aktionsfähigkeit und den Integrationsbedürfnissen der Parteien auf der anderen Seite, und gleichzeitig den Parteien weite Spielräume für eigenverantwortliches Gestalten und Handeln zu lassen.Über die gesetzliche Regelung der inneren Ordnung wird sich, glaube ich, hier eine Übereinstimmung ohne allzu große Schwierigkeiten finden lassen. Wenn ich die Kritik überblicke, die ich seit der Veröffentlichung des Entwurfs zur Kenntnis genommen habe, habe ich den Eindruck, daß sich — mehr oder weniger leicht — Formeln finden lassen, die von allen, jedenfalls allen in diesem Hause vertretenen politischen Parteien als praktisch anerkannt werden können.Nach dem Kapitel der inneren Ordnung, für das ja alle hier Anwesenden ohne Zweifel Sachverständige sind, komme ich zu dem Kapitel „Rechenschaftslegung der Parteien". Hier bestehen in der Tat, anders als bei der inneren Ordnung, grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten. Die Rechenschaftslegung hat die Diskussion um das Parteiengesetz in den letzten Jahren so sehr beherrscht, daß beide nach weitverbreiteten Vorstellungen nahezu miteinander identifiziert werden. Ich muß sagen, das gilt beinahe ganz und gar für unsere sozialdemokratischen Freunde.Die Notwendigkeit, die Rechenschaftslegung auf den Umfang ihrer 'sachlichen Bedeutung zurückzuführen, sehen wir ganz klar. Die Parteifinanzen sind ein wichtiges Gebiet, aber sie sind nur ein Teilstück der Parteiengesetzgebung. Das möchte ich doch ganz nachdrücklich unterstreichen.Die Rechenschaftslegung ihrerseits ist wieder nur ein Aspekt des Problems „Parteifinanzen". Tatsächlich und von der Sache her ist heute die Kardinalfrage: wie kommen die Parteien zu den notwendigen Mitteln, um ihre von der Verfassung gewollte Existenz zu sichern und ihre von der Verfassung gestellten Aufgaben zu erfüllen? Das ist die entscheidende Frage für die Zukunft unserer Demokratie geworden, nicht etwa die Frage nach der Herkunft ihrer Mittel.In richtiger Erkenntnis dieser Sachlage ist die Frage „Wie kommen die Parteien zu den notwendigen Mitteln?" in der letzten Zeit auch mehr und mehr in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion gerückt worden. Trotzdem befaßt sich der Entwurf nicht mit dem Gesamtproblem der Parteien-
Metadaten/Kopzeile:
5632 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Februar 1960
Bundesinnenminister Dr. Schröderfinanzierung, weil nach meiner Überzeugung die Dinge hier noch nicht so weit geklärt und ausgereift sind, daß eine gesetzgeberische Regelung in allernächster Zeit in Betracht käme. Deshalb haben wir zunächst einmal den ausdrücklichen Regelungsauftrag des Art. 21 GG zu erfüllen.Nun werden Sie sich alle darüber klar sein — alle, die einmal selbst, sozusagen voraus, über dieses Thema nachgedacht haben —, daß der Abschnitt Rechenschaftslegung die weitaus größten Schwierigkeiten bei der Ausarbeitung des Entwurfs gemacht hat. Aber es ist auch gar kein Geheimnis, daß man im Parlamentarischen Rat keine ausreichend klaren Vorstellungen über die Tragweite des Art. 21 Abs. 1 Satz 4 und die Möglichkeiten seiner Verwirklichung gehabt hat.Die Parteienrechtskommission hat die Frage der Rechenschaftslegung sehr eingehend untersucht und das Dilemma klar erkannt. Sie hat nämlich gesagt:Die Ausführung des grundgesetzlichen Auftrages ist bei einer im Ziel und in den Mitteln begrenzten Gesetzgebung praktikabel, aber von geringerer Wirkung. Je strenger die Anforderungen an Ziel und Kontrolle, desto stärker auch die Auswirkungen auf Gefüge und Stellung der Parteien, die bei ihrer unterschiedlichen, vorwiegend historisch bedingten Struktur nicht gleichmäßig getroffen werden.Ich glaube, hier ist in sehr wohl abgewogenerwissenschaftlicher Weise das Problem umschrieben.Wenn wir noch einmal einen Blick auf den Parlamentarischen Rat und diejenigen, die die Bestimmungen über die Rechenschaftslegung der Parteien vorgeschlagen haben, zurückwerfen, so glaube ich, daß ihr Bild vom geschichtlichen Ablauf — und wir haben ja gestern viel von den Bildern vom geschichtlichen Ablauf gesprochen — damals eben wirklich stärker emotional bestimmt als wissenschaftlich klar war. Die Idee, daß das Aufkommen radikaler Gruppen von mächtigen Geldmännern und Geldgebern abhängig sei, hat sich als eine in meinen Augen historisch unzutreffende Idee erwiesen.
— Das ist sicher ein weites Feld, meine Damen und Herren. Es ist Ihnen unbenommen, anderer Meinung zu sein; aber Sie werden mir erlauben,
zu sagen, was ich meine.
Zu glauben, daß Bewegungen, die in die Tiefe und Breite eines Volkes gehen können, durch Geld hervorgerufen werden können, durch den Einsatz der Mittel weniger verruchter Geldgeber, ist eine Naivität, um es ganz deutlich zu sagen. Sicherlich wird auch Geld gebraucht, um eine große Propaganda entfalten zu können; aber manchmal sind die größten Geldmittel, die für Propaganda ausgegeben werden, völlig nutzlos. Wenn es nach Geldmitteln gegangen wäre, dann säße die Kommunistische Partei, die 1949 da drüben einmal etwa 15 oder 25 Sitze eingenommen hat, heute weit über die Mitte des Hauses hinaus.
Ich sage, wenn es nach dem Geld gegangen wäre;
denn sie lag in dem propagandistischen Aufwand weit vor allem, was etwa Sie aufwenden konnten, und weit vor dem bescheidenen Aufwand, den meine eigenen politischen Freunde etwa machen konnten.
— Meine Damen und Herren, ich habe eigentlich die Heiterkeit schon vorweggenommen, die ich bei Ihnen erwartete. Aber Sie wissen, meine Damen und Herren, daß wir in der Tat einen ungeheuren Respekt vor Ihrem finanziellen Hintergrund haben. Das glauben Sie nur nicht.
— Ja, ich weiß nicht, Herr Kollege, ob Sie bereit sind, das im Protokoll festhalten zu lassen, daß Sie mir eine klare Darlehnszusage — wie ich annehme für politische Zwecke und, wie ich weiter annehme, ohne jede Bindung — gemacht haben.
Selbstverständlich war, gerade wenn ich von dem ausgehe, was ich über den Inhalt des Sachverständigenberichts gesagt habe, daß sich der Entwurf für das entschließen mußte, was wir im Einvernehmen mit der Kommission den praktikablen Weg nennen; denn der Gesetzgeber kann sich nicht auf Forderungen und Wünschbares beschränken, sondern er trägt die Verantwortung dafür, daß seine gesetzgeberischen Befehle auch durchführbar sind und bis in die Einzelheiten befolgt werden. Sie werden mir zustimmen, meine Damen und Herren, daß nichts schlimmer ist als gesetzliche Bestimmungen, die nur auf dem Papier stehen und über die jedermann so oder so hinweggeht. Hauptbestreben des Entwurfs ist deshalb, einen realisierbaren Weg zu finden, der dem Zweck der Vorschrift der Rechenschaftslegung wirklich so nahe wie nur irgend möglich kommt.Letzten Endes geht es nämlich bei der Rechenschaftslegung um einen einzigen Punkt: Rechenschaft über jede einzelne Zuwendung unter Nennung des jeweiligen Geldgebers oder nur kategorienmäßige Angabe der Geldquellen. Alles andere betrifft im Grunde nur Folgerungen, Modalitäten und Technik. Deswegen die Frage, ob wirklich jeder einzelne Geldgeber in dem veröffentlichten Rechenschaftswerk der Parteien in Erscheinung treten soll oder ob die Parteien sozusagen kategorienmäßig Rechenschaft über ihre Geldquellen geben sollen. Ich halte letzteres für den einzigen praktisch durchführbaren und wirklich befolgbaren Weg. Die Bundesregierung schlägt daher sowohl aus rechtlichen als auch aus tatsächlichen Gründen — ich sage das in Übereinstimmung mit den einschlägigen Ausführungen in
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Februar 1960 5633
Bundesinnenminister Dr. Schröderdem Bericht der Parteienrechtskommission — eine kategorienmäßige Rechnungslegung nach Einnahmequellen vor.Lassen Sie mich einiges zu den rechtlichen Erwägungen in diesem Punkt sagen. Art. 21 Abs. 1 Satz 4 des Grundgesetzes ist als Schutznorm gegen die undemokratischen Einflüsse auf dem Finanzweg nur eine von verschiedenen demokratischen Sicherungsvorkehrungen des Art. 21 überhaupt. Er ist dazu eine nur sehr indirekte und nur bedingt wirksame Sicherungsvorkehrung. Denn mit Art. 21 ist etwas ganz anderes neu in Erscheinung getreten, etwas, was der Grundgesetzgeber zwar eingeführt hat, in seinem Systemzusammenhang nach meiner Überzeugung aber noch gar nicht wirklich übersehen konnte. Darüber wissen wir heute mehr, weil wir inzwischen zehn Jahre Parteiengeschichte und politische Wirklichkeit hinter uns haben.Das Grundgesetz unterscheidet sich von der Weimarer Verfassung z. B. ganz grundlegend dadurch, daß es die radikalen, die verfassungsfeindlichen Gruppen nicht getrost mitspielen läßt und sich nicht darauf verläßt — wie das manche vielleicht auch heute noch empfehlen möchten —, daß sozusagen die gesunde politische Gegenwehr, die immer neue demokratische Entscheidung des breiten Wählervolkes die radikalen Verfassungsfeinde von allein aus der Welt bringen würde oder sie jedenfalls so angenehm kleinhalten könnte, daß sie mehr oder weniger nur Randerscheinungen, manchmal etwas lauten Charakters, aber nicht wirklich umsturzfähige Gebilde werden.Das Grundgesetz hat sich deswegen entschlossen, den Weg des Parteienverbots zu gehen. Es hat sich entschlossen, die verfassungsfeindlichen Kräfte im demokratischen Spiel nicht mitspielen zu lassen, sondern sie auszuschalten. Dafür hat es — wir haben das gestern am Rande etwas erwähnt den gerichtlichen Weg gewählt. Es überläßt eine solche Entscheidung nicht etwa einer Parlamentsmehrheit— ein Parlament wäre vielleicht allzu vorbelastet—, und es überläßt eine solche Entscheidung auch nicht der Exekutive; dagegen hätten sich sicher auch Bedenken geltend machen lassen. Vielmehr hat es sich auf den Standpunkt gestellt: solche eigentlich nicht Mitspielberechtigte müssen durch das Bundesverfassungsgericht ausgeschlossen werden.Auf diese Weise sind — ich habe das gestern erwähnt und darf es heute wiederholen — in der Tat zwei angeblich demokratische Mitspieler als nichtdemokratisch entlarvt und ausgeschaltet worden. Der eine war die Kommunistische Partei, der andere die Sozialistische Reichspartei. Beide Verbote wurden etwa gleichzeitig beantragt. Für die Sozialistische Reichspartei ist es sehr schnell ergangen, in weniger als Jahresfrist. Für die Kommunistische Partei hat es fünf Jahre gedauert, kam aber schließlich doch.So würde es natürlich jeder anderen Gruppe gehen. Wenn sich einige verruchte Geldgeber finden sollten — meistens macht man sich von den Geldgebern ganz falsche Vorstellungen —, die auf die Idee kämen, irgendwelche Gruppen zu finan zieren in der Hoffnung, daß diese das Hohe Haus dann schon etwas aus den Angeln heben würden, nun, das wäre eben alles zu naiv, um weit zu tragen. Tun sich hier verfassungsfeindliche Gruppen auf, werden sie den Weg nach Karlsruhe geführt werden. Darüber habe ich mich gestern des längeren verbreiten können. Gerade weil das so ist, weil die verfassungsfeindlichen Gruppen überhaupt keine Gelegenheit mehr erhalten, am demokratischen Spiel teilzunehmen, hat der Gedanke „nehmt ihnen das Geld, dann können sie nicht mehr" —, der erstens in sich falsch, obsolet war, und zweitens dem Ziel, das er erreichen soll, gar nicht dient — so eine leicht „klassenkämpferische" Note — ich meine das in Anführungsstrichen, um nicht unnötig Ihre Begeisterung auszulösen — erhalten. Ich werde vielleicht Gelegenheit haben, im Laufe der Debatte darauf zurückzukommen.Meine Damen und Herren, das etwa ist das Wesentliche, was zu der Frage Rechenschaftslegung zu sagen ist. Ich verzichte darauf, über die Detailfragen zu sprechen: Was ist praktisch, was ist kontrollierbar, was ist umgehbar? Wir sollten uns in dem Grundsatz einig sein, daß es keinen Zweck hat, ein Gesetzgebungswerk für das Auge zu schaffen, ein Gesetz, das nur auf dem Papier steht. Was wir tun, muß den Grundlinien entsprechen, die das Grundgesetz festlegt, und muß andererseits der Wirklichkeit und der Gefahrenlage gerecht werden.Gestatten Sie mir noch einige Schlußbemerkungen. Ich bin mir darüber klar, daß der Entwurf, den wir dem Hause vorlegen, einen hohen Schwierigkeitsgrad hat; das wird sich herausstellen. Der Entwurf wird ja in die Hände der Spezialisten geraten. Das ist das Schicksal jedes schwierigen Gesetzes. Aber auch alle diejenigen Mitglieder des Hohen Hauses, die keinen so unmittelbaren Anteil an den Beratungen darüber nehmen, sollten sich der Tatsache bewußt sein, daß dies eine schwierige und sehr delikate Sache ist.Wir schmeicheln uns nicht, die ideale Lösung bereits gefunden zu haben. Wir sind also sehr diskussionsoffen, um diesen Ausdruck zu gebrauchen. Aber ich habe die Überzeugung, daß, wenn man diese beiden Probleme — innere Ordnung und Rechenschaftslegung — nüchtern und in diesem realistischen Rahmen anpackt, man durchaus in der Lage ist, in absehbarer Zeit das Parteiengesetz zu verabschieden.Herr Kollege Schmitt , ich sehe Sie gerade, Sie lachen mir freundlich zu.
.
- Ihre Bemerkungen habe ich nicht mitbekommen. Mit den Begriffen nüchtern, klar, realistisch habe ich ungefähr die Linie angedeutet, die ich mir für die Beratung dieser Sache vorstelle.Dem Herrn Kollegen Mende — ich glaube, er ist im Moment nicht im Saal — habe ich auf seinen Zwischenruf zugesagt, noch einige Worte darauf zu verwenden, wie ich mir die Finanzierung der politischen Parteien vorstelle. Meine Damen und
Metadaten/Kopzeile:
5634 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Februar 1960
Bundesinnenminister Dr. SchröderHerren, ich verfüge über langjährige Erfahrungen in Fragen der Finanzierung von Gruppen oder Parteien, zumal ich früher in Bonn Vorsitzender der Hochschulgruppe der Deutschen Volkspartei war. Ich kenne also die Schwierigkeiten, weil ich schon vor 1933 und nach 1945 Einsicht in diese Verhältnisse hatte. Die Struktur der politischen Parteien ist sehr verschieden, und deswegen haben sie auch in der Gestaltung ihrer inneren und äußeren Arbeit manche Schwierigkeiten zu überwinden.Der erste und normale Weg einer gesunden Finanzierung ist für die politischen Parteien der Appell an diejenigen, die sich ihnen angeschlossen haben, also der Appell an die Mitglieder, der Appell an ihren Idealismus, ihnen in ihrer Arbeit zu helfen. Jeder von uns weiß, was auf diesem Gebiet getan wird, und jeder weiß auch, welche Grenzen das hat. Der erste Weg ist also der Appell an die Spendefreudigkeit der Mitglieder und an ihre Mitgliedsbeiträge.Das zweite Bein, wenn ich mich so ausdrücken darf, auf dem die politischen Parteien stehen sollten und könnten, ist im deutschen Parteiengebiet leider ungleich ausgebildet. Dieses zweite Bein ist — —
— Ich komme auf insgesamt vier Beine, nicht daß Sie glauben, meine Damen und Herren, ich spräche von einem Menschen, ich spreche lieber von einem Gebäude. Ich sage also vielleicht besser: die zweite Säule. Sie ist bei unseren sozialdemokratischen Freunden sehr stark ausgebildet. Es handelt sich um den Bereich eigener Vermögenswerte und eigener wirtschaftlicher Unternehmungen publizistischer Art usw.; das brauchen wir hier nicht im einzelnen zu erörtern, darauf kommen wir vielleicht im Laufe der Debatte zurück. Es gibt aber einen Bereich einer gewissen Eigenbetätigung auf publizistischem oder sonstigem Gebiet, in dem die Parteien möglicherweise ihre Finanzkraft etwas verstärken können. Es wird bei der einen oder anderen verschieden sein.Das dritte Feld, meine Damen und Herren, ist der Appell an die Bereitschaft weiterer Kreise, zu spenden, jener Kreise, die vielleicht die Mitgliedschaft — —
— Das will ich nicht sagen. Was wir von Fall zu Fall machen müssen und woran wir nicht vorbeikommen, ist, an die Bereitschaft weiter Kreise zu appellieren, Spenden zu geben.
— Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb, hätte ich beinahe gesagt, Herr Kollege Bausch.
Diese Kreise sind sicherlich sehr differenziert. Aber es muß ihnen möglich sein — das möchte ich mit allem Nachdruck sagen, und wir werden darüber noch ausführlicher sprechen —, die Arbeit der politischen Parteien, welche ein staatstragendes Element ,darstellen, zu fördern. Es muß ihnen auchmöglich sein, das mit steuerlichem Nutzeffekt zu tun. Die Meinungen darüber gehen bei uns offenbar gar nicht mehr so weit auseinander. Ich lese in Ihren Publikationen, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, daß Sie in der Tat auch dafür sind, daß diese Mitgliedsbeiträge und vielleicht auch weitere Spenden — es wird bei Ihnen irgendeine Höhe vorgeschlagen — steuerlich abzugsfähig werden. Ich bin in der Tat der Meinung, daß wir in Verbindung mit der Prüfung der Parteien auf ihre Gemeinnützigkeit diese Überlegungen stärker als bisher berücksichtigen müssen. Auf diesem Gebiet gibt es ein Urteil des Bundesverfassungsgerchts. Auch darüber werden wir sprechen müssen. Wir kommen aber nicht daran vorbei, verbindlich zu der Frage Stellung zu nehmen: Ist die Unterstützung der politischen Parteien etwas vom Staat her weniger Positives ,als die Unterstützung des Baues einer Turnhalle, idle Unterstützung eines Kindergartens, die Hilfe für irgendeinen karitativen Zweck und die Unterstützung für irgendeine andere Einrichtung gemeinnützigen Charakters? Für uns, meine Damen und Herren, gehört selbstverständlich die Unterstützung der Parteien in eine ebenso förderungswürdige Kategorie wie die Unterstützung für die gerade aufgeführten Zwecke.
— Sie ,denken offenbar an das Sammlungsgesetz. Das ist ein weites Feld, Herr Kollege Wittrock. Bei dem Sammlungsgesetz handelt es sich ja, unter uns gesagt, um ein Stück Tragödie. Da stellt man von einer bestimmten Materie fest, sie sei Landesrecht: praktisch wird sie dadurch unbeweglich. Alle fordern eine generelle Regelung oder eine generelle Aufhebung, jedoch man bringt sie nicht zustande. Aber damit wird sich das Hohe Haus noch beschäftigen. Ich habe jedenfalls durchaus Sympathie für die Aufhebung des Sammlungsgesetzes. Ich weiß nicht, wie das von der Mehrzahl meiner eigenen politischen Freunde beurteilt wird. Ich hätte nichts dagegen, daß das Gesetz aufgehoben wird, mindestens aber in einen Rahmen gebracht wird, der nicht gerade den politischen Parteien auch noch Schwierigkeiten macht. Es wäre geradezu grotesk, wenn wir den Spendenaufruf politischer Parteien an die vorherige Genehmigung einer Landesregierung knüpfen müßten.
— Aber Herr Kollege Schmitt , ich will Ihnen hier eine verbindliche Erklärung abgeben: wenn die Sozialdemokratische Partei demnächst einen öffentlichen Spendenaufruf macht und auf die steuerliche Begünstigung dieser Spenden hinweist, sind wir gern bereit, das sehr richtig zu finden. Wir werden selbstverständlich ähnliche Aufrufe veröffentlichen. Die dritte Säule sind also steuerbegünstigte Spenden in einer Form, über die im einzelnen zu sprechen sein wird.Schließlich komme ich zu ,dem vierten Punkt, nämlich zu der Frage, was vom Staat her — von einem sich etwas distanziert stellenden Gesamtwillen her
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Februar 1960 5635
Bundesinnenminister Dr. Schröder- gegenüber den politischen Parteien an finanzieller Unterstützung vertretbar ist. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß die politischen Parteien sehr wohl einen Anspruch darauf haben, in ihrer politischen Bildungsarbeit genauso wie viele andere, oft sehr viel weniger ansehnliche Gruppen öffentlich unterstützt zu werden.
Sehen Sie sich einmal an, was manchmal alles für öffentliche Bildungsarbeit unterstützt wird. Ich muß sagen, das, was z. B. meine Freunde an politischer Bildungsarbeit leisten, geht auch in der Qualität weit über das hinaus, was diese oder jene Gruppe zu leisten imstande ist.Ich wiederhole: dies sind die vier Säulen, die ich mir als Grundlage für die Finanzierung der politischen Parteien denke, nämlich: Mitgliedsbeiträge und -spenden, möglicherweise eigene wirtschaftliche Betätigung publizistischer und sonstiger Art, steuerbegünstigte Spenden und schließlich öffentliche Zuwendungen für politische Bildungsarbeit. Wenn wir dazu kommen, haben wir ein gesundes System. Wir haben dann vor allem ein ehrliches System.Das Schlimme ist nämlich, daß durch undurchsichtige Gestaltung auf diesem Gebiet, infolge der Notwendigkeit und des Zwanges, manchmal häßliche Umgehungswege zu beschreiten, die Parteienfinanzierung in ein Zwielicht zu geraten droht und in der Vergangenheit auch gelegentlich in ein Zwielicht geraten ist. Ich denke da nicht nur an Herrn Agartz, das Buch über Herrn Agartz und was dort geschrieben ist.
— Ich dachte gerade lieber an Herrn Agartz. Warum sollte ich an Herrn Bach denken?
— Agartz liegt mir näher, schon des Alphabets wegen. Da bin ich sehr formal eingestellt.
Wenn wir dazu kommen, die Erörterungen über das Parteiengesetz auch mit einer gesunden, anständigen, öffentlich vertretbaren Regelung der Parteienfinanzierung abzuschließen, haben wir in der Tat eine bedeutende Leistung vollbracht. Die Bundesregierung kann dazu nur einen bescheidenen Beitrag in dem Gesetzentwurf leisten, der sich auf zwei Kapitel beschränkt. Aber die Bundesregierung wird sicherlich sehr gern bereit sein, bei all den Beratungen, die nun einsetzen werden, auch an jenen Wünschen gesetzgeberischer Gestaltung, die über das hinausgehen, was jetzt im Entwurf steht, mitzuarbeiten. Ich hoffe, daß wir, sagen wir einmal, übers Jahr — so lange werden die Beratungen wohl dauern — hier ein gesundes, gutes Parteiengesetz werden verabschieden können.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Even.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Recht hat der Herr Bundesminister des Innern darauf hingewiesen, daß wir mit der Regierungsvorlage gesetzgeberisches Neuland betreten. In der Tat ist eine solche Regelung des Parteienwesens, von dem Ausnahmefall des argentinischen Gesetzes abgesehen, ohne jedes Beispiel in der deutschen und ausländischen demokratischen Verfassungsgeschichte.Den Parteien wird in Art. 21 des Grundgesetzes eine zentrale Funktion bei der politischen Willensbildung eingeräumt. Sie werden dadurch in ihrer Rechtsstellung weit über das hinausgehoben, was sie jemals in der deutschen Verfassungsgeschichte und insbesondere in der Weimarer Verfassung besessen haben. Nun steht allerdings auf der anderen Seite bereits jetzt fest — und dafür ist die Regierungsvorlage ein unfreiwilliger Beweis —, daß die Parteien ihre ehrenvolle Erwähnung im Grundgesetz mit einer Bürde von Pflichten zu bezahlen haben, von Pflichten, die teilweise mit nicht unerheblichen neuen finanziellen Belastungen verknüpft sind. Ich bin daher dem Herrn Bundesinnenminister besonders dankbar für die Ausführungen, die er zuletzt gemacht hat, über die Arten und Möglichkeiten einer Finanzierung der politischen Parteien und gewisse Förderungsmöglichkeiten seitens der öffentlichen Hand.Nun glaube ich freilich, daß wir Bedeutung und Sinn des Parteiengesetzes nach dem Willen des Grundgesetzes nur dann richtig ermessen können, wenn wir es in den Zusammenhang der verfassungspolitischen Überlegungen stellen, die zur Formulierung des Art. 21 geführt haben. Offensichtlich ist nach Entstehungsgeschichte, Wortlaut und Stellung des Art. 21 eine verfassungsrechtliche Sicherung unserer freiheitlichen Grundordnung beabsichtigt. Hinter diesem Art. 21 steht die Vorsicht politisch gebrannter Kinder, hinter Art. 21 stehen lebendig die grausamen Erfahrungen der gerade überwundenen tyrannischen Barbarei, unter deren Eindruck der Parlamentarische Rat gestanden hat. Es war die nicht unberechtigte Furcht, es könnte unter Umständen zu einem erneuten Rückfall in unsagbare Barbarei kommen, wenn man sich nicht bessere Sicherungen, wirksamere Kautelen schaffte, als sie der Weimarer Verfassung zur Verfügung standen. Aber es war daneben auch die lodernde Drohung der kommunistischen Expansion, die am östlichen Horizont aufzuflackern begann und den Parlamentarischen Rat ,dazu veranlaßt hat, das Problem der Abwehr totalitärer Parteien als besonders aktuell und wesentlich zu betrachten. Infolgedessen ist Art. 21 eine Schutzvorschrift unseres Rechtsstaates gegenüber einem Rückfall in Einparteienherrschaft und Diktatur. Das Hauptziel ist die Abwehr totalitärer Bestrebungen jeder Art.Daher darf Art. 21 kein Instrument dafür sein— ich betone dies mit besonderer Deutlichkeit —, die demokratischen freiheitlichen Parteien gegeneinander auszuspielen. Art. 21 enthält keine Rechtsgrundlage
Metadaten/Kopzeile:
5636 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Februar 1960
Dr. Even
zur Diskriminierung einer oder mehrerer der staatsbejahenden Parteien. Bei aller Verschiedenheit ihrer politischen Vorstellungen darf das Gemeinsame aller staatsbejahenden Kräfte nicht übersehen werden, die gemeinsame Basis des Grundgesetzes, auf die alle staatstragenden Parteien getreten sind. Infolgedessen zielt die Stoßrichtung des zu erlassenden Parteiengesetzes vielmehr auf die Staatsfeinde, die Antidemokraten. Die Feinde der Freiheit sollen daran gehindert werden, den Rechtsstaat erneut zur Knebelung der Freiheit zu mißbrauchen.Diese Erkenntnis erscheint um so wesentlicher, wenn man zum Vergleich die gewaltigen Anstrengungen und Aufwendungen betrachtet, die von antidemokratischer Seite in der Bundesrepublik unternommen werden. So wies der Vorsitzende des DGB, Willi Richter, kürzlich darauf hin, daß die kommunistische SED jährlich rund 100 Millionen DM zur Zersetzung der Grundordnung in der Bundesrepublik aufwende. Diese Zahl erscheint um so beklemmender, wenn man sie mit den laufenden Aufwendungen für die Organisation und die Tätigkeit der demokratischen Parteien zusammengenommen vergleicht. Denn es steht fest, daß alle demokratischen Parteien zusammengenommen nicht einmal einen Bruchteil der gewaltigen Geldmittel haben, die den Freiheitsfeinden jährlich zur Verfügung stehen.Der verfassungspolitische Wille sieht aber nun nicht nur negative Abwehrmaßnahmen vor, sondern er gebietet auch positive Sachverhalte. Daraus ergeben sich die fünf Kernsätze des Art. 21 des Grundgesetzes. Erstens: die Berufung der Parteien zur Mitwirkung bei der politischen Willensbildung. Zweitens: die Gewährleistung ihrer Gründungsfreiheit. Drittens: das Gebot ihrer inneren demokratischen Ordnung. Viertens: die öffentliche Rechenschaftslegung über die Herkunft ihrer Mittel. Fünftens: der Zwang zur Verfassungsmäßigkeit ihrer Ziele. Sie wissen, daß das Verfahren zur Verwirklichung des letzten Punktes im wesentlichen bereits durch das Bundesverfassungsgerichtsgesetz geregelt ist und daß sich eine festgefügte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts daran angeschlossen hat. Insoweit hat die Regierungsvorlage auch nur einige wenige Ergänzungen vorzunehmen. Die übrigen Punkte bedürfen aber näherer Ausgestaltung, sie nehmen daher im Regierungsentwurf auch den breitesten Raum ein.Ich darf vorausschicken, daß sich die CDU/CSU-Fraktion hinter alle Grundsätze der Regierungsvorlage stellt, daß sie aber eine Reihe von Bestimmungen für verbesserungsfähig hält.Was zunächst die Mitwirkung der Parteien bei der politischen Willensbildung betrifft, so wird die Frage nach der Stellung der Parteien im Rechtsstaat gestellt. Das Grundgesetz weist den Parteien bei der politischen Willensbildung eine offensichtlich herausragende Stellung zu. Man kann geradezu von einer zentralen verfassungsrechtlichen Funktion sprechen, die das Grundgesetz den Parteien zuweist. Es wird ihnen das Recht, aber auch die Pflicht zur Mitwirkung an der politischen Willensbildung verfassungsrechtlich verbrieft.Was ist nun darunter zu verstehen? Zunächst einmal werden die Parteien in ihrer Existenz und in ihrer Wirksamkeit garantiert. Das bedeutet praktisch die Gewährleistung des Mehrparteienstaates. Hier wird die Sorge deutlich, die aus dem Wissen darum entspringt, daß die Entwicklung nach 1933 bald zu einem Einparteienstaat geführt hat. Hier wird aber auch der Alpdruck deutlich, der angesichts der Entwicklung zum Einparteienstaat in Mitteldeutschland besteht. Demgegenüber garantiert das Grundgesetz ausdrücklich den Mehrparteienstaat. Es garantiert die Möglichkeit mindestens einer Oppositionspartei. Damit wird eine scharfe Grenzlinie gezogen gegenüber jedweder Form der Diktatur, deren Wesenszug bekanntlich die Ausschaltung jeder Opposition ist.Durch diese zentrale verfassungsrechtliche Stellung werden die Parteien allerdings nicht zu Staatsorganen, nicht zu Gliedern der Staatsorganisation, wohl aber werden sie zu unabdingbaren Bestandteilen des Verfassungslebens. Wenn man die Verfassungswirklichkeit dem gegenüberstellt, wird man zu dem Ergebnis kommen, daß sie eher noch weitergeht, als es im Grundgesetz seinen Niederschlag gefunden hat. Wir begrüßen es, daß der Regierungsentwurf am freien gesellschaftlichen Grundcharakter der Parteien festhält, daß er es den Parteien überläßt, die geeignete Rechtsform des zivilen Rechtes selbst auszuwählen, etwa in Gestalt eines nichteingetragenen Vereins oder eines eingetragenen Vereins oder einer sonstigen geeigneten Rechtsform, und daß damit den Parteien der notwendige Spielraum gegeben ist, innerhalb dessen sie sich frei entfalten können.Andererseits erfüllen die Parteien nach dem Wortlaut und Sinn des Art. 21 öffentliche Aufgaben, dienen gemeinnützigen Zwecken und sind dem Wohl des deutschen Volkes verpflichtet. Es wäre wahrscheinlich noch zu prüfen, ob man nicht im Katalog der Aufgaben der Parteien, wie er in der Regierungsvorlage vorgesehen ist, noch etwas stärker die eigenschöpferische Arbeit und Wirkungsmöglichkeit der Parteien herausstellen sollte, als das bisher der Fall ist. Jedenfalls ist als wesentlich festzuhalten, daß die Parteien eine öffentliche Funktion ausüben, damit auch gemeinnützigen Zwecken dienen und der Gesamtheit verpflichtet sind.Alle Parteien stehen in einem diametralen Gegensatz zu den verschiedenen Gruppen- und Verbandsinteressen. Sie alle wissen, daß in jeder politischen Partei verschiedene Gruppeninteressen zum Zuge kommen. Das ist natürlich und ein Spiegelbild der Verhältnisse unserer Industriegesellschaft. Aber hier setzt die wesentliche staatspolitische Aufgabe der Parteien ein, die verschiedenen Gruppeninteressen innerhalb ihrer Organisationen mit dem Maßstab ihres Programms am Gemeinwohl zu orientieren und dadurch zu einem Ausgleich zu kommen. Die staatspolitische Aufgabe der Parteien liegt also auch darin, gewissermaßen als Interessenfilter wirksam zu werden, durch den die extremen Gruppenegoismen ausgeglichen werden und ein Kompromiß, ein Mittelweg gefunden wird, der es ermöglicht,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Februar 1960 5637
Dr. Even
eine Politik zu betreiben, die auch die Gemeinschaft, das Gemeinwohl berücksichtigt.Die verschiedenen Merkmale des Parteienbegriffs sind nach unserer Auffassung im Entwurf zutreffend definiert. Man mag darüber streiten, ob die Formulierung im einzelnen zu verbessern ist. Wesentlich ist aber die notwendige Abgrenzung gegenüber Interessenverbänden, Wählervereinigungen und bloßen Rathausparteien.Was die letzte Frage anlangt, bin ich allerdings der Auffassung, daß in den kommenden Beratungen geprüft werden muß, ob nicht entsprechend dem Grundsatz der Wettbewerbsgleichheit bei Kommunalwahlen eine Angleichung der bloßen Rathausparteien, die nicht Parteien im Sinne des Gesetzes sind, an die den im Gesetz festgelegten Pflichten unterworfenen Parteien notwendig erscheint; denn andernfalls besteht die Möglichkeit, daß diese von dem Parteiengesetz und damit von den Pflichten, die das Gesetz auferlegt, ausgenommenen Rathausparteien auf gewissen Gebieten einen Vorsprung gegenüber den eigentlichen Parteien gewinnen, die an das Parteiengesetz gebunden sind.Es dürfte auch zu überlegen sein, ob nicht eine rein klarstellende Registrierung der Parteien ins Auge zu fassen ist, wie sie etwa der Bundesrat bereits vorgeschlagen hat. Wir wenden uns zwar gegen eine Registrierung der Parteien mit rechtsbegründender Wirkung, weil verfassungsrechtliche Bedenken entgegenstehen und zu befürchten ist, daß dadurch der Grundsatz der Gründungsfreiheit verletzt werden könnte. Aber eine rein klarstellende Registrierung würde dem nicht entgegenstehen. Als Fortschritt gegenüber der bisherigen Rechtslage der Parteien ist auch die Verbesserung ihres Namensschutzes anzusehen und daher zu begrüßen.Was nun die innere Ordnung der Parteien angeht, so hat der Herr Bundesminister bereits darauf hingewiesen, daß es wahrscheinlich in diesem Hohen Hause verhältnismäßig leicht zu einer Übereinstimmung in diesen Fragen kommen kann, vor allen Dingen in den Grundsätzen, daß die Satzung und die Parteiprogramme veröffenlicht werden müssen, daß jedes Parteimitglied vor dem Mißbrauch der Verbandsgewalt zu schützen ist, daß die Führungsgremien echte Spitzenorgane der demokratischen Repräsentation sein müssen, daß alle Mandate zeitlich zu befristen sind, daß für die Vorstandswahlen geheime Abstimmung vorzusehen ist, daß alle Mitglieder gleiches Stimmrecht haben und dergleichen mehr.Man wird, so glauben wir, freilich zu prüfen haben, ob hinsichtlich der Schlußfolgerungen, die im Gesetzentwurf aus diesen Grundsätzen gezogen worden sind, alles in jeder Hinsicht notwendig und zweckmäßig ist. Aber »das Wesentliche dieser Bestimmung liegt doch darin, daß die totalitären, antidemokratischen Parteien, gegen die sich ja auch der Zwang zu einer inneren demokratischen Ordnung in erster Linie richtet, in aller Regel nicht nur ihrer Zielsetzung nach, sondern auch ihrer inneren Organisationsgewalt nach diktatorisch verfahren.Damit komme ich zu dem etwas strittigeren Problem der Rechenschaftslegung über die Herkunft der Mittel. Namens der CDU/CSU-Fraktion begrüße ich die öffentliche Rechenschaftslegung. Wir begrüßen sie nicht nur, weil dadurch ein Verfassungsauftrag erfüllt wird, sondern wir begrüßen sie vor allem auch deshalb, weil durch eine solche Finanztransparenz dazu beigetragen wird, eine Reihe von Legenden zu zerstören. Zum Beispiel wird sich dann das Märchen von der angeblich reichen CDU und der 'angeblich armen SPD verflüchtigen. In aller Öffentlichkeit wird klargestellt werden, daß keine der bestehenden Parteien ihre Aufgaben allein mit Eigenmitteln finanzieren kann und daß auch die Linke auf erhebliche Fremdmittel der verschiedensten Herkunft angewiesen ist.Durch die öffentliche Rechenschaftslegung wird aber auch die Legende von der Chancenungleichheit zugunsten der nichtsozialistischen Parteien zerrrinnen. Es wird sich zeigen, daß gerade das Gegenteil richtig ist. So ist beispielsweise die Sozialdemokratische Partei kraft ihres gewaltigen Parteivermögens gegenüber anderen Parteien finanziell im Vorteil.
— Ich stelle fest, daß Sie selber nicht wissen, wie vermögend Sie sind. Wir machen Ihnen das nicht zum Vorwurf. Wir machen Ihnen höchstens zum Vorwurf, daß Sie den Anschein erwecken, als wären Sie arm und nur die anderen reich.
— Wir können das noch konkretisieren, wenn Sie es wünschen. — Daher begrüßen wir, daß der oberste Parteivorstand für die gesamte Partei und nicht nur für die Bundesorganisation Rechenschaft legen muß.
— Das ist eben nicht der Fall. Sie sind offenbar nicht orientiert, daß die Rechenschaftslegung der SPD nur eine Teilrechenschaftslegung ist und daß sie nach einem bekannten Wort eines deutschen Journalisten vergleichbar ist mit einem Schleiertanz, bei dem die attraktivsten und interessantesten Stellen verdeckt bleiben.
Wir fordern weiterhin eine Vervollständigung
Wir fordern, daß grundsätzlich Rechenschaft über alle Mittel abzulegen ist,
einschließlich der direkt oder indirekt beherrschten Geschäftsbetriebe und Unternehmen.Daher halten wir eine Vervollständigung des Herkunftskatalogs über den Entwurf der Regierung
Metadaten/Kopzeile:
5638 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Februar 1960
Dr. Even
hinaus dahin für erforderlich, daß auch die Parteivermögen einzubeziehen sind.
Die Regierungsvorlage sieht die Rechenschaftslegung nach Einnahmearten, nach den verschiedenen Kategorien vor. Die Namensnennung der einzelnen Beitragszahler, Spender und Förderer ist nicht vorgesehen. Damit entspricht die Vorlage dem Gutachten der Parteienrechtskommission. Auch der Bundesrat hat sich in diesem Punkt hinter die Regierungsvorlage gestellt; wie wir überzeugt sind, mit Recht. In dem Wortlaut des Art. 21 ist keine individuelle Namensnennung vorgesehen. Auch die Diskussion im Parlamentarischen Rat weist nicht in diese Richtung. Die Entstehungsgeschichte zeigt vielmehr, daß man den einzelnen Spender nicht hat treffen wollen.
Eine zwangsweise, gegen den Willen der Betroffenen verfügte Namensnennung in der Öffentlichkeit wäre ein schwerer Eingriff in die Rechte der freien Persönlichkeit und der freien Meinungsäußerung. Jeder Staatsbürger hat ein Recht darauf, daß sein Name in der Öffentlichkeit, jedenfalls von Amts wegen, ungenannt bleibt, wenn er Mitglied einer bestimmten Organisation ist oder sie unterstützt. Natürlich kann er freiwillig auf dieses Recht verzichten, und mitunter geschieht dies. Niemand darf ihn jedoch dazu zwingen. Wenn der Grundgesetzgeber eine so weitgehende Einengung des Persönlichkeitsrechts gewollt hätte, hätte er das ausdrücklich sagen müssen, etwa durch die Worte: „unter namentlicher Nennung der Geber". Das hätte leicht geschehen können. Es ist aber nicht geschehen. Daher fehlt es an einer Rechtsgrundlage für eine solche Regelung.Aber selbst wenn dieses verfassungsrechtliche Hindernis nicht bestände, wäre keine Möglichkeit gegeben, die Forderung nach Namensnennung der Geber praktisch zu verwirklichen. Zunächst müßte man konsequenterweise alle Geber, einschließlich der Mitglieder, die Beiträge zahlen, namentlich nennen. Das bedeutet die jährliche Veröffentlichung von weit über einer Million Namen. Soweit ich sehe, hat das bisher noch niemand gefordert. Lehnt man dies jedoch ab und nimmt irgendeine Begrenzung vor, so muß diese Begrenzung notwendigerweise willkürlich sein. Denn klare sachliche Merkmale für die Grenze zwischen Beiträgen und Spenden, zwischen Zuwendungen, deren Geber namentlich zu veröffentlichen sind, und solchen Zuwendungen, bei denen das nicht zu geschehen braucht, lassen sich nicht aufstellen. Wo soll die Grenze liegen? Bei 100 Mark? Bei 1000, bei 5000, bei 10 000 Mark oder wo? Bei der Beantwortung dieser Frage würden keine sachlichen Erwägungen, sondern parteipolitische Nützlichkeitsgedanken unvermeidlich die Hauptrolle spielen.Eine Begrenzung, wie immer sie ausfallen mag, würde darüber hinaus praktisch nicht vollziehbar sein. Der Gesetzgeber müßte von vornherein damit rechnen, daß sein Gesetz nicht verwirklicht würde, weil es allzu leicht umgehbar wäre. Würde manbeispielsweise die Grenze bei 1000 DM festlegen, könnte eine natürliche oder eine juristische Person oder eine Personenvereinigung leicht fünf Strohmänner vorschieben, die jeweils nur 1000 DM oder 1000 DM minus einen Pfennig geben würden, oder man würde eine große Zahl von Zwischenorganisationen gründen, unter denen sich der Staatsbürger nichts mehr vorstellen kann. Diese Lösung würde daher im Ergebnis mehr der Verschleierung als der Klärung dienen und damit im Widerspruch zum Sinn und Geist des Art. 21 stehen.
Es bleibt daher nur der Weg der Regierungsvorlage, nämlich nach den verschiedenen Einnahmegruppen Rechenschaft zu legen. Das ist die einzig verfassungsmäßige, saubere und durchführbare Lösung. Über Einzelheiten wird man gewiß diskutieren können; am Grundsatz selbst wird man jedoch nicht zu rütteln vermögen.Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zusammenfassend betonen, daß nach dem Willen des Grundgesetzes das Parteiengesetz die Stellung der demokratischen Parteien stärken und die Abwehr totalitärer Kräfte erleichtern soll. Von dieser Grunderkenntnis muß man ausgehen, wenn das Parteiengesetz in der richtigen Richtung entwickelt werden soll. Keinesfalls ist es der Wille des Grundgesetzgebers gewesen, etwa einer demokratischen Selbstzerfleischung Vorschub zu leisten, etwa den Kampf zwischen den freiheitlichen Parteien zu verschärfen. Ich glaube, wir sollten gerade angesichts der Lage, in der wir heute stehen, uns dieser Erkenntnis bewußt sein. Wenn man dagegen jede sich bietende Gelegenheit dazu benutzt, dem eigenen Volke und der Welt das peinliche Schauspiel gegenseitiger Beschimpfung zu bieten, nimmt nicht die jeweilige Gegenpartei Schaden, sondern der Rechtsstaat und die Demokratie insgesamt.
Wir erblicken daher in dem Entwurf der Bundesregierung einen Beitrag zur inneren Festigung der Demokratie. Allerdings glauben wir — und das betone ich —, daß letzten Endes Paragraphen und Gesetze nicht entscheidend sein können. Entscheidend für die Erhaltung des Rechtsstaates sind vielmehr der Wille und die Tatbereitschaft aller Staatsbürger, für die Sicherung der freiheitlichen Grundordnung einzustehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Heinemann.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Parlamentarische Rat hat dem Bundestag eine Reihe von Aufträgen hinterlassen. Von ihnen sind bis heute zwei unerledigt. Rückständig ist der Auftrag aus Art. 26, nämlich die Strafbarkeit derjenigen Handlungen zu definieren, die das friedliche Zusammenleben der Völker stören. Es dürfte an der Zeit sein, auch diesen Auftrag jetzt endlich anzufassen.
Dr. Dr. Heinemann
Rückständig ist ferner der Auftrag aus Art. 21, über den wir heute sprechen. Diese beiden rückständigen Aufträge sind der Mehrheit dieses Hauses offenbar unsympathisch gewesen. Aber es sind nun einmal Aufträge der Verfassung.
Herr Dr. Schröder hat mit Recht daran erinnert, daß die Bearbeitung des Auftrags aus Art. 21 vor zehn Jahren einsetzte. Ich habe damals im Bundesinnenministerium den Sachbearbeiter für diese Aufgabe bestellt und selber die ersten Gespräche mit Vertretern der Parteien über ein Parteiengesetz geführt. Aber dann hat sich das Tempo der Bearbeitung dieses Auftrags ungewöhnlich verlangsamt, obwohl es, wie Herr Dr. Schröder mit Recht sagte, um ein wichtiges Ergänzungsstück zu unserer Verfassungsordnung geht und hier endlich das letzte Glied verfassungsrechtlicher Gesetzgebung bewältigt werden soll.
Herr Dr. Schröder, Sie haben uns drei Begrenzungen vorgetragen, von denen aus Sie an die Vorlage des Parteiengesetzes herangegangen sind. Sie haben davon gesprochen, daß der traditionelle Charakter der Parteien gewahrt werden solle und daß es nicht darauf ankomme, eine Idealtypik zu entwickeln. Nun, mit diesem Ihrem Vortrag zu diesen drei Markierungen sind wir sicherlich weitgehend einverstanden, aber dann bitte die Frage, sehr verehrter Herr Dr. Schröder: was soll der § 2 in dem Gesetz? Der geht doch gerade auf eine Idealtypik der Parteien hinaus. Oder ist der § 2 lediglich deshalb so voluminös aufgebaut, um den einen Kernsatz nicht gar zu schnell hervortreten zu lassen, daß die Parteien „gemeinnützigen Zwecken" dienen, noch deutlicher gesagt: daß bei ihnen alles steuerfrei sein soll? Auf diesen Punkt komme ich noch einmal zurück.
Sie haben mit Recht davon gesprochen, Herr Dr. Schröder, daß es in dem Entwurf um zwei Kernstücke geht: innere Ordnung und Finanzierungsprobleme. Was die innere Ordnung anlangt, so sind wir mit Ihnen sicherlich weitgehend übereinstimmender Meinung, nämlich: es gilt, das innere demokratische Leben der Parteien zu gewährleisten, es gilt abzuwehren, daß sich Oligarchien verfestigen und daß sich Parteidiktaturen interner Art zu entwickeln vermögen. Aber, Herr Dr. Schröder, wenn man solche Vorhaben verfolgen will, darf man den Grundsatz der Vertragsfreiheit oder, wie Sie es genannt haben, der Organisationsfreiheit nicht unbegrenzt gelten lassen. Wir haben von der SPD aus ernsteste Bedenken z. B. gegen den § 13 Abs. 3 Ihrer Vorlage, nach dem es zulässig sein soll, in Vorstandsgremien, also in willensbildenden oder willenstragenden Organen der Parteien, kraft Satzung Amtsträger oder Vertreter von Sonderorganisationen, Nebenorganisationen usw. zuzulassen, und das sogar bis zu einem Drittel der Gesamtmitgliederzahl solcher Organe, mit beratender Stimme sogar bis zur Hälfte. Wir warnen vor einer solchen Ausweitung der sogenannten Organisationsfreiheit. Im Vordergrund muß bleiben, daß die Willensbildung sich von den Mitgliedern aus, von unten nach oben, entwickelt und nicht vorweggenommene Fixierungen von Positionen Platz greifen.
Nun zu dem Kapitel Rechenschaftslegung. Da sind wir in der Tat bei dem neuralgischen Kapitel unserer differenten Meinungen. Herr Dr. Schröder, Sie haben unter anderem die zehnjährigen Bemühungen um diese Vorlage damit begründet, daß es gut gewesen sei, erst noch weitere Erfahrungen zu sammeln. Nun, der Parlamentarische Rat hatte Erfahrungen, nicht nur in bezug auf eine NSDAP, sondern z. B. auch auf eine Harzburger Front, z. B. auch auf die Durchdringung verschiedenster Weimarer Parteien mit dem anonymen Geld. Es bedurfte nicht neuer Erfahrungen.
Aber nun sind zehn Jahre, wie Sie sagen, neue Erfahrungen gemacht worden. Was haben diese zehn Jahre erbracht? Sie haben gar nichts anderes erbracht als die alte Erfahrung, nämlich: Geld kauft Macht.
Diese Erfahrung ist eine schlechthinnige Erfahrung, und, verehrte Damen und Herren von der CDU, wir verwahren uns nachdrücklich dagegen, daß die angebliche Stoßrichtung des Art. 21 so interpretiert wird oder, wie ich sagen muß, so verändert wird, wie es uns heute vorgetragen worden ist. Die Stoßrichtung des Art. 21 ist keineswegs, ausschließlich Verfassungsfeinde zu treffen. Das ist ein ganz kardinaler Irrtum! Sondern die Stoßrichtung des Art. 21 ist ganz schlechthin und uneingeschränkt, jede Verfälschung der Demokratie zu treffen, auch eine Verfälschung inmitten der demokratischsten Parteien in bezug auf eine Durchsetzung mit Interessentenvertretern und all dergleichen mehr. Gerade darüber haben uns ja die weiteren zehn Jahre nach dem Parlamentarischen Rat wiederum Erfahrungen bereitet. Nutzt die Vorlage diese Erfahrungen? Im Gegenteil, hier ist viel Filigranarbeit darauf verwendet worden, den Schleiertanz fortführen zu können, der hier so beliebt ist.
Der Auftrag, der von Art. 21 her gesetzt ist, wird mit dieser Vorlage weithin nur formal erfüllt, aber nicht sachlich. Mein Gesamturteil über diese Vorlage ist dies, daß bei einem äußerlich sehr sauberen Perfektionismus im Kernstück eine Verfälschung des Auftrags aus Art. 21 betrieben wird.
Das Kernstück des Auftrags aus Art. 21 ist die Verhinderung dessen, daß anonymes Geld politische Parteien infiltriert. Verehrte Damen und Herren, waren wir uns darüber nach 1945 nicht einig? Ich denke, wir waren uns absolut darüber einig. Ich begnüge mich, zur Erinnerung eine Rede ins Gedächtnis zurückzurufen, die der Herr Bundeskanzler im März 1946 vor den Kölner Studenten gehalten hat.
— Ja, da war ich noch in der CDU. Ich habe sogar diese Rede aufbewahrt, weil sie mir außerordentlich richtig erschien. Diese Rede ist sogar auch heute noch als eine Drucksache der rheinischen CDU
Dr. Dr. Heinemann
irgendwo erhältlich, vielleicht mittlerweile aber nur noch aus dem Giftschrank der CDU unter den Geheimdokumenten.
In dieser Rede vor den Kölner Studenten hat sich der Herr Bundeskanzler sehr dagegen gewehrt, daß es wieder Großkapitalisten geben dürfe, daß wirtschaftliche Machtzusammenballung stattfinden dürfe, und er hat davon gesprochen, daß keinerlei Machteinflüsse von Großkapitalisten auf das politische Leben stattfinden dürften.
Lesen Sie diese Rede einmal nach!
— Nein, dagegen habe ich gar nichts. Ich möchte lediglich, daß Sie ihn in Erinnerung bekommen und daß Sie diese Grundsätze erfüllen!
Die Erfahrungen, die damals unter uns allen vorlagen und in deren Auswertung wir einig waren, bezogen sich, jawohl, bezogen sich unter anderem auch auf die NSDAP. Bekannt war, daß Thyssen und Kirdorf hier kräftig mitgespielt hatten, aber auch andere. Ich habe hier die Aufzeichnungen von Ernst Pönsgen aus dem Juni 1945 zu dem Thema „Hitler und die Ruhrindustriellen" in der Hand. Pönsgen war bei den Vereinigten Stahlwerken ein großer Mann, er war der Vorsitzende des Vereins der Eisen- und Stahlindustriellen, der Arbeitgeber Nord-West usw. Er hat in diesen Aufzeichnungen aus dem Juni 1945 alles daran gewendet, darzulegen, daß die Ruhrindustriellen sehr harmlose Leute in bezug auf die Finanzierung der NSDAP gewesen seien. Aber so einige Dinge muß auch er selber einräumen, u. a., daß von der Wirtschaft die sogenannte Adolf-Hitler-Spende aufgebracht wurde, und zwar, um die SA der NSDAP zu finanzieren, Herr Dr. Schröder, die SA der NSDAP zu finanzieren.
— Herr Dr. Schröder, nachdem Sie vorhin hier gesagt haben, — —
— Verehrte Damen und Herren, Sie müssen sich in der Tat daran gewöhnen,
daß ich Sie immer wieder an das erinnere, was Sie 1945 und in den ersten Jahren nach dem Kriege gesagt haben.
Damals ist eine große Auseinandersetzung darüber geführt worden, inwieweit das Rheinisch-Westfälische Kohlensyndikat an der Finanzierung von Parteien usw. beteiligt gewesen sei.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? —
Herr Kollege Dr. Heinemann, Sie zitieren dauernd aus den Jahren 1945 bis 1950 aus Verlautbarungen einer Partei, der Sie bis dahin selbst angehört haben. Finden Sie das eigentlich geschmackvoll?
Herr Dr. Barzel, ich sage noch einmal, ich habe das, was von 1945 bis 1950 im Umkreis der CDU gesagt, proklamiert und an Programmatik vorgetragen worden ist, ernst genommen, und ich beklage es auf das lebhafteste, daß Sie das alles heute nicht mehr gelten lassen wollen.
Ich war im Begriff, auszuführen, daß in der Diskussion der damaligen Jahre insbesondere auch die Frage eine große Rolle gespielt hat, ob und inwieweit das Rheinisch-Westfälische Kohlensyndikat an der Finanzierung von Parteien beteiligt gewesen sei. Darüber können Sie, Herr Dr. Barzel, sehr viel in der „Rheinischen Post" jener Jahre nachlesen. Es ging um die Frage, ob pro Tonne Kohleförderung 50 Pf oder nur 5 Pf Umlage gezahlt worden seien. Man hat sich vielleicht im Endergebnis auf die 5 Pf geeinigt. Das macht aber bei 120 Millionen t Förderung immerhin auch noch 6 Millionen Mark aus. Darum ging es damals. Von daher war es uns allen ein ernstes Anliegen, daß künftig die Herkunft solcher Gelder durch die zur Pflicht gemachte öffentliche Rechenschaft aufzudecken sei, wie das der Parlamentarische Rat in Art. 21 hineingeschrieben hat.Die Erfahrung der Jahre nach dem Parlamentarischen Rat verläuft wieder völlig in den Linien jener Finanzierungen, wie sie zur Weimarer Zeit im Umkreis der Harzburger Front üblich geworden waren. Es gab wieder Umlagen in den Fachverbänden nach dem Umsatz, nach den Mitgliedern, nach den Lohnsummen, nach der Zahl der Arbeitnehmer und dergleichen mehr.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Februar 1960 5641
Dr. Dr. HeinemannUnsere kardinale Frage ist: Welche Bestimmungen enthält der Entwurf, damit Entartungen politischer Finanzierung, über deren Beurteilung wir früher einig waren, jetzt wirklich begegnet werden kann? Im Hinblick hierauf haben wir eine Reihe Beanstandungen gegen den Entwurf zu erheben.In § 23 Abs. 2 Nr. 5 heißt es, daß Spenden lediglich nach „Mitgliederspenden" und „Fremdspenden" aufzugliedern seien. Es sollen also die Spenden, wie wir gehört haben, lediglich kategorienmäßig aufgeteilt, aber die Spender selbst — und zwar ohne jede Rücksicht auf die Höhe der Spende — im dunkeln gelassen werden. Dies, genau dies, halten wir für den kardinalen Verstoß gegen den Auftrag des Art. 21, wonach die Parteien über die Herkunft ihrer Mittel öffentliche Rechenschaft geben sollen. Herkunft ist mehr als nur eine kategorienmäßige Zergliederung der Mittel einer Partei; hier geht es darum, Mann und Namen zu erfahren, mindestens bei höheren Beträgen.Das Verblüffendste ist — ich kann es nicht anders ausdrücken, sehr verehrte Damen und Herren —, daß Sie hier mit Art. 5 des Grundgesetzes arbeiten wollen und aus ihm das Recht herleiten, die politische Meinung zurückzuhalten. Gut, dieses Recht, die politische Meinung zurückzuhalten, anerkennen wir. Aber wer seine politische Meinung zurückhalten will, möge vor allen Dingen sein politisches Geld zurückhalten!
Wer seine politische Meinung betätigt, der hat kein Recht darauf, daß sein Name geheimgehalten wird. Es gibt kein Grundrecht auf anonymes politisches Wirken in einer freiheitlichen Demokratie!
Sie selber haben früher ein Recht auf anonymes politisches Wirken in der Demokratie in anderen Zusammenhängen auch nur sehr wenig gelten lassen wollen, z. B. als es darum ging, in den Wahlgesetzen die Aufstellung von Kandidaten zu regeln; da haben Sie eine große Zahl von Unterschriften für die Aufstellung des Kandidaten für nötig gehalten.
— Ja, ist die Geldspende denn nicht auch freiwillig?
— Ach, lieber Herr Even, wenn ein Geldspender nicht damit einverstanden ist, daß seine Spende genannt wird, dann müßten Sie sie anstandshalber zurückweisen.
— Einigen Sie sich jetzt bitte, wer einen Zwischenruf macht, ich kann nicht alle gleichzeitig verstehen.
Als es um die Unterschriftserfordernisse für die Einreichung von Wahlvorschlägen ging, klang dieses Thema auch schon an. Aber damals scheuten Sie sich nicht, meine Damen und Herren, eine sehr hohe Zahl von Unterschriften zu fordern, was dann das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe korrigieren mußte.Aber im übrigen, wenn hier Art. 5 und Art. 21 gegeneinander abgewogen werden sollen, dann hat doch zweifellos Art. 21 den Vorrang, und wenn Art. 5 überhaupt Bedeutung haben soll, dann verstehe ich nicht, verehrte Damen und Herren, wie Sie sogar juristischen Personen das Grundrecht der anonymen Betätigung zubilligen wollen!
Was haben denn juristische Personen mit Art. 5 zu tun, was hat denn etwa das sogenannte „Haus Daimler-Benz" mit dem Art. 5 zu tun?
Ich bin dankbar, daß der Bundesrat hier schon korrigierende Vorschläge unterbreitet hat, und sie sollten in der weiteren Beratung sehr ernst genommen werden.Wir verwahren uns auch dagegen, daß Förderergesellschaften im Anonymen bleiben. Die Herkunft des Geldes soll und darf nicht damit verschleiert werden können, daß man zwischen dem Spender und der Partei eine Förderergesellschaft einschaltet. Bezüglich dieser Förderergesellschaften erheben sich ohnehin grundsätzliche Fragen.Wir bemängeln ferner, daß in demselben § 23 Abs. 3 die öffentlichen Leistungen an Parteien schlechthin von der Auskunftspflicht ausgenommen werden sollen. Die dafür gegebene Begründung reicht in keiner Weise aus. Es ist gesagt worden, aus den Haushaltsplänen sei erkennbar, was an politische Parteien gezahlt wird. Nun, hier spielt eine Vielzahl von Haushaltsplänen eine Rolle, solche des Bundes und der Länder. Es muß deutlich werden, was bei den einzelnen Parteien ankommt. Man kann es nicht den Staatsbürgern auferlegen, die Haushaltspläne mit ihren Geheimnissen durchzugraben, um dahinterzukommen, was den Parteien zufließt.In diesem Zusammenhang ein Wort zu der öffentlichen Finanzierung der Parteien überhaupt. Verehrte Damen und Herren, wir hätten nichts dagegen, daß etwaige Sachleistungen, die in sich selbst einen klar begrenzten Charakter haben und die in sich selbst eine Gleichheit für alle Parteien ergeben, zugelassen werden, etwa die Aufstellung von Tafeln für Plakate oder von Postwurfsendungen ohne Gebührenzahlung. Dagegen aber, daß irgendeine öffentliche Finanzierung für allgemeine Parteiarbeit
Metadaten/Kopzeile:
5642 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Februar 1960
Dr. Dr. Heinemannund Wahlpropaganda einsetzt, haben wir schlechterdings alles.
Es mag zwischen diesen beiden Flügeln von klaren Sachleistungen und Finanzierung allgemeiner Parteiarbeit und Wahlarbeit noch das eine oder andere Mittelstück geben; darüber mag nachgedacht werden. Aber jetzt mögen Sie zur Kenntnis nehmen, daß wir von der NSDAP
— wir von der SPD alles dagegen haben, daß eine allgemeine Parteifinanzierung aus öffentlichen Mitteln Platz greift. Herr Dr. Schröder hat selbst davon gesprochen, daß die Parteien unabhängig sein müssen. Das setzt voraus, daß sie eigenständig sind. Die Parteien haben den Staat zu tragen, und nicht umgekehrt hat der Staat die Parteien zu tragen. Ich darf vielleicht in diesem Zusammenhang an die Erfahrungen mit dem großen Finanzierungstopf beim Bundesjugendplan erinnern. Die Erfahrungen sind nicht gerade verlockend, und sie sollten uns davor warnen, auf andere Gebiete überzugreifen.Ich muß nun ein Wort zu den §§ 5 und 6 des Entwurfs sagen. Da ist von Sonderorganisationen und Nebenorganisationen die Rede mit der Tendenz, gewisse Organisationen in die Auskunftspflicht hineinzubugsieren und ebenso geflissentlich andere Organisationen aus dieser Auskunftspflicht herauszuhalten. Die sogenannten Nebenorganisationen sollen nicht als Teile einer politischen Partei gelten und infolgedessen der Auskunftspflicht enthoben sein. Das ist verblüffend. Nebenorganisationen im Sinne dieses Gesetzes sind Organisationen, die die Grundsätze einer politischen Partei verbreiten, sind Organisationen, die Mitglieder für eine politische Partei werben, ja, es sind sogar Organisationen, die in den willenstragenden Organen der politischen Parteien kraft Satzung ohne Wahl aus der Mitgliederschaft der Partei sitzen und tätig sein können. Das sollen also Organisationen sein, die von der Auskunftspflicht freigestellt werden, trotz dieser umfänglichen Arbeit für eine Partei und trotz dieser von Ihnen vorgeschlagenen Beteiligung an der Willensbildung innerhalb der Partei! Wir halten das für eine glatte Umgehung dessen, was hier gefordert ist. Wir treten für die Streichung der §§ 5 und 6 ein, um es der Entwicklung — meinetwegen auch der Rechtsprechung eines Bundesverfassungsgerichts — zu überlassen, zu sagen, was Partei ist und was Mittelzufluß an eine Partei ist.Eine ähnliche Umgehung finden wir auch im § 24, in dem zugelassen werden soll, daß kostenlose Werbung nur dann Parteieinnahme wäre, wenn eine Partei ausdrücklich in der Werbung genannt wird. Nun, diese ausdrückliche Nennung einer Partei in der Werbung kann man sehr leicht umgehen und trotzdem in einer ganz klaren, bündigen Weise für eine bestimmte Partei werben oder gegen eine andere politische Partei arbeiten.
Herr Dr. Schröder, wir geben zu, daß die Materie, die hier zur Debatte steht, ihre sachlichen Schwierigkeiten hat. Wir beklagen es aber, daß Sie sich in dem Entwurf nicht bemüht haben, diesen Schwierigkeiten bis zum äußersten Maße gerecht zu werden. Der Entwurf legt es in mancherlei Richtung darauf an, einfach das zu legalisieren, was gegenwärtig an unguter politischer Finanzierung im Gange ist. Da es sich um eine schwierige und komplexe Materie handelt, wird es letzten Endes darauf ankommen, daß das Problem von den verschiedensten Seiten her gesetzgeberisch angegangen wird, und daß hier ein Zusammenspiel und ein Ineinandergreifen von Bestimmungen verschiedener Art stattfinden wird. Da müßte also z. B. das Steuerrecht wieder in Erinnerung gebracht werden. Herr Dr. Schröder, die SPD steht auf dem Standpunkt, daß wohl Mitgliedsbeiträge steuerfrei gestellt werden können, nicht aber Spenden, keinesfalls also die Wiederherstellung jener Verordnung in Betracht kommt, die das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt hat. Wir befürchten, daß Sie — es ist nachher in Ihren Äußerungen auch ziemlich deutlich geworden — mit diesem § 2, wo mit viel Umkleidung von der Gemeinnützigkeit der Parteien die Rede ist, eben das wieder anpeilen, was das Bundesverfassungsgericht abgelehnt hat. Wir vertreten den Standpunkt jenes Karlsruher Urteils und werden uns dagegen wehren, daß Parteispenden wieder steuerfrei gestellt werden.Eine weitere Ergänzung in bezug auf unsere Materie ist vom Handelsrecht her anzugehen. In den handelsrechtlichen Gesellschaften sind Parteispenden nicht Kosten, sondern Gewinnverwendung. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß ein jeder Gesellschafter, insbesondere auch jeder Aktionär gegenüber der Geschäftsführung, gegenüber dem Vorstand einer Aktiengesellschaft das Recht auf Auskunft hat, ob aus den Mitteln einer Aktiengesellschaft politische Spenden gewährt worden sind.Wir wollen ferner noch einmal die Möglichkeiten zur Diskussion stellen, die sich vom Wahlrecht her anbieten, etwa unter dem Gesichtspunkt, die Ausgaben für Wahlwerbung zu begrenzen. Ich denke, wir hätten alle miteinander ein Interesse daran, die Wahlschlachten nicht zu Materialschlachten entarten zu lassen.
Es gibt Erfahrungen in anderen Ländern dafür, wie man die Ausgaben für politische Arbeit in den Wahlen begrenzen kann, und zwar so, daß alle Beteiligten dabei ihr gutes und gleiches Recht finden.So werden wir also in die Beratung über dieses Parteiengesetz die hiermit angedeuteten steuerrechtlichen, handelsrechtlichen und schließlich auch wahlrechtlichen Gesichtspunkte mit hineinbringen, um dem Auftrag, den der Artikel 21 enthält, in dem höchstmöglichen Maß gerecht zu werden. Auch wir wissen, daß letzten Endes die geistige Haltung entscheidend sein wird, aus der dieses alles angefaßt wird und von der unser Parteileben überhaupt getragen sein wird.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Februar 1960 5643
Dr. Dr. HeinemannVerehrte Damen und Herren, mit einer nur for malen Erfüllung des Art. 21 ist uns, ist der Demokratie nicht gedient. Dann würden wir es vorziehen, daß das offene Ärgernis eines nicht erfüllten Auftrages bestehenbleibt. Das ist besser als die verhüllte, nur formale Erledigung eines Auftrages unter Verfälschung seines Kerns.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, während der letzten Rede sind zwei scharfe Worte gefallen: aus dem Hause das Wort „Infamie", von ,der Ministerbank das Wort „Gemeinheit". Beide Ausdrücke können noch als Werturteile gewertet werden, obwohl sie sehr scharf an die Grenze von etwas Stärkerem herangehen. Ich muß sie rügen.
Ich kann einem Abgeordneten einen Ordnungsruf erteilen, einem Minister nicht. Aber auch die Minister unterstehen nach § 45 der Geschäftsordnung der Ordnungsgewalt des Präsidenten. Ich glaube, daß es der Würde des Amtes des Ministers und dem Würde ausstrahlenden Chorgestühl, auf dem sich die Herren befinden, doch entspricht, wenn Zurufe von idort unterbleiben. Dafür hat der Minister ja als Äquivalent nach der Geschäftsordnung die Möglichkeit, jederzeit das Wort erteilt zu bekommen.
Wir fahren fort. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesminister des Innern hat zu Beginn seiner Begründung heute früh darauf hingewiesen, daß dieses Gesetz nicht wie unsere gestrige Debatte auf das allgemeine Interesse stößt und daß es in erster Linie die Parteien betrifft. Ich meine aber, es betrifft nicht nur die Parteien. Er wollte sicher auch nicht sagen, daß es nur sie betreffe. Es ist ein Gesetz von einer sehr grundsätzlichen Bedeutung. Daß das Grundgesetz die Parteien sozusagen endlich salonfähig gemacht hat, war eine ganz wesentliche Entscheidung.Das Grundgesetz hat damit verderbliche Lehren aufgegeben, die lange Zeit das deutsche politische Leben bestimmt haben und deren Wirkungen auch heute noch nicht überwunden sind. So hat Hegel den Staat als ein sittliches Ganzes, als die verkörperte Vernunft bezeichnet, und Treitschke hat einmal gesagt, eine Partei sei „einseitig und kurzlebig im Vergleich zur Universalität und Dauer des Staates", und ihr schönstes Schicksal sei, „unterzugehen, nachdem sie ihr Ziel erreicht habe". Eine solche Auffassung, nach der also ,auf der einen Seite in großer Erhabenheit Thron und Altar standen — Altar natürlich durchaus in dienender Rolle gedacht — und auf der anderen Seite die Parteien an der wüsten Stätte des Parlaments ihren Zank ausbreiteten, hat die Parteien von vornherein mit einem üblen Odium belastet. Demgegenüber hat sich das Grundgesetz die angelsächsische Auffassung von den Parteien zu eigen gemacht, daß sie Glieder eines politischen Systems sind, Teile, die dem Ganzen zu dienen haben. Das Gesetz, das uns hier vorgelegtwird und das diesen Auftrag des Grundgesetzes ausführen soll, ist deshalb — ich habe mich gefreut, das aus dem Munde des Herrn Innenministers zu hören - materielles Verfassungsrecht, genauso wie das Wahlrecht; ich habe mich besonders gefreut, auch dies von ihm zu hören.In der Debatte über dieses Gesetz in der Öffentlichkeit und auch heute hier im Hause ist nun naturgemäß die Rechnungslegung ganz in den Vordergrund getreten. Aber auch hierin folge ich dem Herrn Innenminister: der Sache nach ist dies natürlich nicht der zentrale Punkt, sondern der Sache nach ist der zentrale Punkt die innere Ordnung der Parteien.
Selbstverständlich haben wir alle insbesondere zur Rechnungslegung etwas zu sagen. Aber ich möchte einige wenige Worte auch zu der inneren Ordnung sagen.Im wesentlichen halten wir den Entwurf in diesem Punkt für gut. Das ergibt sich schon daraus, daß er im großen und ganzen unserer bereits bestehenden Parteisatzung entspricht, wir sie also gar nicht zu ändern haben werden. Aber ich glaube, daß es im Hinblick auf manche andere politische Gruppe durchaus notwendig war, hierzu im Parteiengesetz einiges klarzustellen, So sind insbesondere die Bestimmungen über die Wahl der Parteivorstände von großer Bedeutung. Die Wahl soll durch die Mitgliederversammlung der Partei erfolgen, nicht etwa durch einen Ausschuß, wie das, so habe ich mir sagen lassen, nach der bisherigen Satzung z. B. der CDU/CSU für einen Teil ihres Bundesvorstandes möglich war. Auch muß eine Wahl erfolgen. Der Herr Innenminister hat von geheimer Wahl gesprochen. Ich finde allerdings im Gesetzentwurf nicht expressis verbis gesagt, daß es eine geheime Wahl sein soll. Ich weiß nicht, ob das als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Wir würden es aber begrüßen, wenn dieser Punkt ausdrücklich klargestellt würde, nachdem offenbar bisher gerade der Bundesvorsitzende der CDU mehrmals durch Akklamation gewählt worden ist. Wir halten es für zweckmäßig, ganz klar die geheime Wahl vorzuschreiben.Zu § 13 haben wir das Bedenken, ob die mögliche Zahl der zugelassenen Mitglieder kraft Amtes mit einem Drittel des Gesamtvorstandes nicht doch etwas groß ist. Wir sollten darauf achten, daß dieses Gesetz den Parteimitgliedern möglichst viel Einwirkungsmöglichkeiten gibt, daß es dadurch das politische Interesse, in einer Partei tätig zu sein, stärkt.Ähnliches gilt für die Bestimmungen über die Aufstellung von Wahlbewerbern, deren Vorhandensein in diesem Gesetzentwurf wir besonders begrüßen. Auch hier ist es bisher möglich gewesen, daß ein verhältnismäßig sehr kleines Gremium, ein Parteivorstand von nur 20 Köpfen, vielleicht eine Landesliste aufgestellt hat, also, wenn es sich dabei um eine große Partei handelt, praktisch bestimmt hat, wer in den Bundestag einzieht, jedenfalls soweit es sich um die vorderen Stellen dieser Landesliste handelt. Hier sieht der Gesetzentwurf Mindest-
Metadaten/Kopzeile:
5644 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Februar 1960
Dr. Buchervoraussetzungen für solche Vertreterversammlungen vor. Damit wird die Mitwirkung der einfachen Parteimitglieder verstärkt. Gerade wenn wir es beklagen, daß bei uns die Wählerparteien überwiegen, d. h. daß der Mitgliederbestand der Parteien im Vergleich zu ihren Wählern verhältnismäßig gering ist, müssen wir besonders auf Bestimmungen achten, die es dem Wähler interessant machen, einer Partei beizutreten.Schließlich sind auch die Bestimmungen zum Parteienverbot sehr notwendig. Unsere Demokratie hat sich ja bewußt nicht auf den formalen Standpunkt einer relativen Demokratie gestellt, sondern sie duldet die Feinde der Freiheit nicht, wie das auch in der gestrigen Debatte mehrmals deutlich zum Ausdruck gekommen ist. Wir haben also in diesem Sinne eine streitbare Demokratie, die schon präventiv den Schutz der Verfassung vorsieht, und das ist zu begrüßen.Nun zum Hauptproblem, zur Rechenschaftslegung. Für das, was den Anlaß dafür gegeben hat, daß eine solche Bestimmung geschaffen wurde, bitte ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten drei Sätze zitieren zu dürfen, die mein Freund Leverenz, Justizminister von Schleswig-Holstein, vor einiger Zeit dazu gesagt hat:Schon zu Römerzeiten hat die Macht des Geldes dafür gesorgt, daß man nicht kritisch auf den Erwerb des Geldes schaute. Der Reichtum als solcher sollte Bewunderung erwecken und Macht verleihen. In einer freiheitlichen und sozialen Demokratie aber wird nicht nur die Freiheit, sondern auch der demokratische Gedanke auf das schwerste Schaden erleiden, wenn in ihr der Leitsatz „pecunia non olet — Geld stinkt nicht" Gültigkeit bekommt.Anlaß zu einer solchen Bestimmung des Grundgesetzes haben weiter sicher die Erfahrungen gegeben, die mit 'der Finanzierung der NSDAP gemacht worden sind, sowie Möglichkeiten, die sich bei uns, wenn vielleicht nicht gerade so wie in Sizilien, aber auch schon gezeigt haben, daß kleinere politische Gruppen aufgekauft werden können.Ziel dieser Bestimmungen kann eigentlich nur sein und ist auch die Wahrung der Chancengleichheit zwischen den einzelnen Parteien. Das ist sicher auch die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, das z. B. in einem Urteil vom Februar 1957 einer Klage der damaligen Gesamtdeutschen Volkspartei stattgegeben hat, die sich darüber beklagte, daß die seinerzeitige Steuerbegünstigung für nicht in Parlamenten vertretene Parteien nicht zugelassen war. Auch das spätere Urteil von Karlsruhe, das dann die Steuerbegünstigung von Spenden überhaupt für verfassungswidrig erklärte, wurde mit diesem Prinzip der Chancengleichheit begründet. Aber wenn man sich nun die Bestimmungen des Grundgesetzes und dieses Gesetzes ansieht, so muß natürlich eine gewisse Kritik daran laut werden. Denn was nützt unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit eine Offenlegung in jeder Form, wenn eben nur offengelegt wird, daß die Chancen nicht gleich sind? Ich will hier keine Kritik am Grundgesetzüben; es ist mir durchaus verständlich, daß diese Bestimmung damals geschaffen wurde. Aber — ich will gleich darauf zu sprechen kommen — es gäbe wohl noch zweckmäßigere Möglichkeiten, das Ziel zu erreichen.Chancengleichheit bedeutet doch, daß alle Parteien dieselbe Wirkungsmöglichkeit auf den Wähler haben sollen. Die Offenlegung der Parteifinanzen kann natürlich in gewissem Umfang den Wähler beeinflussen. Er bekommt dadurch ein gewisses Bild von einer Partei, er bekommt vielleicht Respekt vor ihr. Andererseits leidet das Prestige der Partei darunter vielleicht. Es ist nun die Frage, wodurch das Prestige der Partei mehr leidet: dadurch, daß sich herausstellt, wie reich sie ist, wie sehr sie durch Spenden gefördert wird, oder dadurch, daß sich etwa ihre Armut herausstellt? In der Zeit unseres Wirtschaftswunders neige ich eigentlich mehr zu der Ansicht, daß das letzte der Fall ist. Wenn sich nämlich herausstellt, daß eine Partei gar nicht so viel Spenden bekommt, dann wird eben mancher sagen: Na ja, die Armut kommt von der Powerteh. Sachlich hat die finanzielle Situation einer Partei nichts mit ihrem Wert und mit der Qualitiät ihres Programms und ihrer Argumente zu tun.Das Grundgesetz ermächtigt, kurz gesagt, nur zu einer Regelung, nach der die Finanzen offengelegt werden müssen, aber nicht zur Untersagung oder Beschränkung bestimmter Einnahmen. Das ist wohl auch nicht möglich.Wir von der Freien Demokratischen Partei halten es deshalb für besser, daß eine ähnliche Regelung getroffen wird, wie sie in den angelsächsischen Staaten besteht, nämlich eine Beschränkung der Parteiausgaben. Ich bin mir dabei darüber klar, daß hierzu eine Verfassungsänderung notwendig ist. Aber der Gedanke scheint uns doch der Beachtung wert zu sein. Ich darf auf die ausführlichen Darlegungen im Parteiengutachten verweisen, das sich mit dieser Frage sehr eingehend beschäftigt.Natürlich sind auch bei einer Ausgabenbeschränkung Umgehungen möglich. Natürlich kann man auch sehr raffinierte Aktionen unternehmen, wie wir sie ja schon öfters erlebt haben, z. B. daß ein Minister unter einem bestimmten Tierkreiszeichen eine Politik propagiert — ich denke an 6 + 7 + 41 —, die zu betreiben ihm sein Regierungschef gar nicht einmal erlaubt.
Wir können auch sehr infame Dinge erleben, etwajene anonyme Aktion mit dem „Trojanischen Pferd".
Ich gebe zu, daß sich das auch durch eine Ausgabebeschränkung nicht ändern läßt. Man kann eben — und das ist unser Einwand gegen das, was Kollege Heinemann vorgetragen hat — all diese unerfreulichen Erscheinungen der anonymen Parteifinanzierung überhaupt nicht durch Gesetze beseitigen.Mich hat der schlichte Satz in dem Parteiengutachten sehr beeindruckt, daß in Großbritannien die
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Februar 1960 5645
Dr. BucherBestimmungen über die Ausgabenbeschränkung nicht oder kaum umgangen werden. Weshalb? — Infolge der langen Tradition dieses Landes, und das ist das, was uns fehlt. Wir können nur sagen: Glückliches Großbritannien!Selbstverständlich sollte — das ist ja der Sinn einer Ausgabenbeschränkung — bei der Tätigkeit einer Partei im Wahlkampf die Überzeugungskraft ihrer Argumente gelten und nicht der Aufwand riesiger Mittel, wie er von irgendeinem wirtschaftlichen Unternehmen betrieben wird. Der Herr Bundesinnenminister hat davon gesprochen, daß seine Partei bei der letzten Wahl einen bescheidenen Aufwand getrieben habe. Nun, es war sicher bescheiden, zu sagen: „Keine Experimente!", doch die Mittel, mit denen dieses Schlagwort in die unterschwellige Psychose gebracht wurde, waren keineswegs bescheiden.Aber zurück zum Auftrag des Grundgesetzes, an den wir uns zu halten haben, und zu der Frage, ob eine weitergehende Aufgliederung der Einkünfte der Parteien, als sie im Entwurf vorgesehen ist, notwendig ist. Der Standpunkt, den die SPD dazu vertritt, scheint auf den ersten Blick freilich logisch zu sein. Rechenschaftslegung über Herkunft der Mittel der Parteien scheint zu erfordern, daß jeder einzelne Spender — cum grano salis — genannt wird. Ich vertrete auch nicht das Argument dagegen, das in der Begründung steht und das Herr Kollege Dr. Even vorgetragen hat: daß eine solche ganz genaue Aufgliederung der Meinungsfreiheit widersprechen würde. Ich gebe dem recht, was Herr Kollege Heinemann gesagt hat: Freilich hat jeder das Recht, seine Meinung zu äußern, und auch das Recht, sie nicht zu äußern. Leider Gottes wird bei uns in der Bundesrepublik offenbar mehr vom letzteren Recht Gebrauch gemacht. Aber es ist ja niemand gezwungen und gehalten, einer Partei etwas zu geben und dadurch seine Meinung zu decouvrieren. Das ist völlig richtig. Es gibt andere Argumente, die es richtig erscheinen lassen, es ungefähr so zu machen, wie es der Regierungsentwurf vorsieht, wobei man natürlich immer noch über einzelne Modifikationen sprechen kann.Einmal bin ich nicht überzeugt, daß etwa das Bundesverfassungsgericht die Lösung, die hier vorgeschlagen ist, unzulänglich finden würde; denn man kann mit Recht anführen, daß die Stellung der Parteien, wie sie hier festgelegt ist, ein Ausgleich ist zwischen der Freiheit der Parteigründung, der Freiheit des Parteilebens entsprechend Art. 9 des Grundgesetzes einerseits und dem Parteienprivileg andererseits, das der Art. 21 vorsieht. Deshalb läßt sich durchaus die Ansicht vertreten — und ich vertrete sie —, daß die Vermutung dafür spricht, daß die Parteien in der Gestaltung ihres Lebens frei und nicht zu sehr eingeschränkt sein sollen. Von diesem Standpunkt aus halte ich den hier gemachten Vorschlag für richtig.Außerdem würde eine Aufgliederung, wie sie die SPD verlangt, meiner Ansicht nach die Chancengleichheit zwischen den Parteien nicht nur nicht fördern, sondern sie würde diese Chancengleichheitverschieben. Auch das Gutachten spricht hier von einem Eingriff in die Struktur der Parteien.Sprechen wir es doch ganz offen aus — es ist ja kein Geheimnis —: es gibt bis zu einem gewissen Grade zweierlei Parteien bei uns in der Bundesrepublik, es gibt Mitgliederparteien, und es gibt Wählerparteien. Zu den ersteren zählt zweifellos die SPD. Bei ihr ist die Relation zwischen Mitgliedern und Wählern größer als bei den anderen hier im Hause vertretenen Parteien. Allerdings ist der Unterschied nicht so weltbewegend, daß man daraus zwei Kategorien machen könnte. In England liegt der Prozentsatz der Mitglieder bei beiden großen englischen Parteien — von der liberalen Partei habe ich keine Zahlen zur Verfügung — noch um ein Wesentliches höher als selbst bei unserer Sozialdemokratischen Partei. Deshalb möchte ich nur mit Einschränkung von diesem Unterschied sprechen. Aber es gibt ihn natürlich.Ich glaube, es wäre nicht zu verantworten — von uns als einer kleinen Partei aus betrachtet —, in der Weise in die Struktur einer Partei einzugreifen, daß man ihr sagt: Du hast dich von heute auf morgen zur Wählerpartei zu entwickeln. Das ist selbstverständlich ein erstrebenswertes Ziel für jede Partei — das stehe ich gar nicht an zu sagen —, und die SPD hat uns hier etwas voraus; das wollen wir ganz offen zugeben. Aber dieses erstrebenswerte Ziel kann eine sogenannte Wählerpartei ja nicht dadurch erreichen, und das kann man ihr nicht dadurch eröffnen, daß man ihr von heute auf morgen die Mittel abschneidet. Man muß vielmehr die Entwicklung weitergehen lassen und kann später vielleicht einmal daran denken, eine solche ins einzelne gehende Öffenlegungspflicht festzulegen. Heute jedenfalls wäre sie ungerecht.In diesem Zusammenhang freut es uns, daß der Vorschlag, den ich vor einiger Zeit schon in einem Rundfunkgespräch gemacht habe, nämlich die Mitgliedsbeiträge für die Parteien steuerlich zu begünstigen, Zustimmung eigentlich im ganzen Hause zu finden scheint. Natürlich müßte das begrenzt sein, etwa nach den Grundsätzen, nach denen die Sonderausgaben im Einkommensteuerrecht begrenzt sind. Aber diese Steuerfreiheit von Mitgliedsbeiträgen würde doch einen Reiz bieten in der Richtung, daß der Wähler mehr an die Parteien herangeführt wird. Das wäre eine Möglichkeit, den bisherigen Wählerparteien den Weg zur Mitgliederpartei zu erleichtern. Verfassungsrechtliche Bedenken sind dagegen bestimmt nicht zu äußern; denn jede Partei hat ja nach der Zahl ihrer Wähler die gleiche Möglichkeit, steuerbegünstigte Beiträge zu bekommen.Vor allem spricht gegen die genaue Aufgliederung die Möglichkeit von Umgehungen. Man verfolge etwa, wie es in den Vereinigten Staaten ist. Ein Beispiel: Bei der Präsidentenwahl von 1944 hat die Familie Dupont 109 000 Dollar, in 31 Beiträge aufgegliedert, an 58 verschiedene Organisationen gegeben. Damit ist schon angedeutet, welche ungeheuren Möglichkeiten der Umgehung vorliegen. Manipulationen können gemacht werden mit Organisationen außerhalb der Partei, ob nun der § 6 mit diesen Nebenorganisationen im Gesetz stehtDr. Bucheroder nicht, Manipulationen mit Vereinigungen, die schon in sich die Einkünfte und die Ausgaben saldieren, also das aufführen können, was Herr Kollege Heinemann hier den Schleiertanz genannt hat.Interessant ist auch, was das Gutachten hierzu sagt. Es heißt an einer Stelle:In vielen Fällen konnten Parteivorstände oder -schatzmeister beim besten Willen keine Auskunft über die eigentlichen Geldquellen erteilen, sondern nur über ihre Mittelsmänner.Schließlich gibt es noch eine große Lücke im Gesetz, nämlich die Spenden an Abgeordnete. Nachdem kein Steuerprivileg mehr für Spenden an Parteien besteht, macht es ja dem Betreffenden, der spenden will, nichts aus, ob er die Spende einer Partei direkt oder einem Abgeordneten gibt. Daß darauf ausgewichen würde, wäre das Unerfreulichste.
Im 1. Bundestag gab es einen Unterausschuß — den sogenannten „Spiegel-Ausschuß" —, der damals mit Mehrheit festgestellt hat, daß der Abgeordnete Spenden, die er bekommt, nicht zu nennen braucht. Der Ausschuß hat sich dabei auf Art. 47 des Grundgesetzes berufen, wonach der Abgeordnete ihm anvertraute Tatsachen nicht zu offenbaren hat. Und anvertraute Gelder sind ja offenbar besonders „harte" Tatsachen.Der Umgehungsmöglichkeiten wäre also Legion, und, kurz gesagt, die Moral davon bleibt eben immer: „Die im Dunkeln sieht man nicht". Deshalb sollten wir uns, glaube ich, hüten, hier ein zu perfektionistisches Gesetz zu machen, das nachher in dieser Beziehung Makulatur wäre, weil es nicht durchgeführt werden könnte.Schließlich ist noch zu fragen, wie die Sanktionen aussehen sollen, die für die Versäumung oder Verletzung der Offenlegungspflicht vorzusehen wären.Zusammenfassend möchte ich zu diesem Punkt sagen:Erstens. Da die Vermutung dafür spricht, daß die Parteien entsprechend dem Art. 9 des Grundgesetzes frei sind, sind wir durchaus in die Lage versetzt, praktische rechtspolitische Bedenken bei dieser Sache zu berücksichtigen.Zweitens. Auch die restlose Offenlegung der Parteifinanzen verhindert nicht, daß einzelne Parteien als Kehrseite der wirtschaftlichen Machtkonzentration konzentriert unterstützt werden.Drittens. Besser erschiene es uns, die Ausgaben der Parteien zu begrenzen. Denn die Hauptaufgabe dieses Gesetzes ist doch — und wir hoffen, daß es in seiner endgültigen Gestaltung dazu beitragen wird, sie zu erfüllen —, die Sauberkeit im politischen Leben zu gewährleisten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Wacher.
Wacher . Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß anerkennen, daß Herr Dr. Heinemann nach dem Kriege besonders viele Erfahrungen in verschiedenen Parteien gesammelt hat. Ich muß aber bezweifeln, daß Herr Dr. Heinemann besondere Kenntnisse in bezug auf Parteifinanzierung hat. Ich erinnere mich, daß er, bevor sich die Gesamtdeutsche Volkspartei mangels Volkes auflöste, sich mit dem Bund der Deutschen zusammengetan hatte. In diesem Bund der Deutschen waren führende Kommunisten tätig, die über große Geldquellen verfügten, über deren Herkunft nichts bekannt war. Ich glaube, daß Herr Dr. Heinemann, wie er uns das gesagt hat, davon nichts gewußt hat. Aber wenn sich Herr Dr. Heinemann schon damals wenig um Parteifinanzierung gekümmert hat, dann hat sich das nach dem, was er heute gesagt hat, nicht wesentlich geändert. Vielleicht darf ich mir deshalb erlauben, weil Sie, Herr Dr. Heinemann, dieses Thema in bezug auf die CDU und die CSU besonders pointiert angesprochen haben, auf die Finanzierung Ihrer augenblicklichen Partei hinzuweisen.
Herr Dr. Menzel hat — und wir sind ihm alle für diese Ehrlichkeit dankbar — gesagt, daß es keine Partei geben kann, die von Beiträgen allein leben kann. Wir sind uns darin völlig einig. Auch wir — wir haben das noch nie bestritten — haben Spenden nötig. Aber Herr Dr. Heinemann hat wieder einmal das sehr böse Wort gesprochen: Geld kauft Macht, und es ist hier in diesem Hause der Eindruck entstanden, daß nur wir durch Spenden gekauft wären, daß das aber bei der SPD keineswegs der Fall sein könnte. Nun, Herr Dr. Heinemann, Sie wissen, daß Herr Professor Dr. Gülich, der von uns so sehr geschätzte Kollege, vor dem Bundesverfassungsgericht in etwa erklärt hat, daß bei der Sozialdemokratischen Partei 15% der Spenden an den Bundesparteivorstand gehen. Ich entnehme dem Geschäftsbericht von 1957, der immer nur der Geschäftsbericht des Parteivorstandes ist, daß Spenden in Höhe von 4,169 Millionen ausgewiesen sind. Nach Adam Riese war also der Spendenbetrag im Jahre 1957 27,79 Millionen. Wir wundern uns darüber gar nicht; denn die Wahlpropaganda der SPD hat gezeigt, daß sie nicht hinter unserer Wahlpropaganda zurückgestanden hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Die erste Frage: Ist Ihnen entgangen, daß es sich bei den nach dem Statut der Sozialdemokratischen Partei an den Vorstand abzuführenden Beträgen um Anteile von Beiträgen und nicht von Spenden handelt?Zweitens: Ist Ihnen entgangen, daß Spenden, die wir selbstverständlich auch gern in Empfang nehmen, im wesentlichen unmittelbar beim Parteivorstand eingehen, so daß es sich hier nicht um die 15 % handelt?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Februar 1960 5647
ErlerUnd die dritte Frage: Können Sie mir vielleicht sagen, wo ich den von Ihnen genannten Betrag in Empfang nehmen kann, um ihn meiner Partei zuzuführen? Wir könnten ihn gut gebrauchen!
Zur dritten Frage darf ich Ihnen sagen: Sie haben ihn ja schon und haben ihn schon verbraucht. Ich habe Ihnen erklärt, daß ich mich auf die Aussage von Herrn Professor Dr. Gülich vor dem Bundesverfassungsgericht beziehe; nichts anderes habe ich zitiert.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Ja.
Sind Sie bereit, Herr Kollege Wacher, Herrn Professor Gülich wörtlich zu zitieren statt allgemeine Ausführungen über seine Darlegungen zu machen?
Dann müßte ich Sie fragen,ob Sie bereit sind, bis 3 oder 4 Uhr hierzubleiben, damit ich das ganze Protokoll vorlesen kann.
Die können Sie im Protokoll genau nachlesen.
Also, meine Damen und Herren, damit ist zugegeben, und es wird ja gar nicht bestritten, daß auch die SPD Spenden nötig hat.Im übrigen gibt es noch eine andere Tatsache, die das ganz klar erhärtet. Ihr Fraktionssekretär Herr Dübber hat am 15. November 1957 im „Vorwärts" geschrieben, daß Sie ungefähr 1000 hauptamtliche Mitarbeiter haben. Machen wir mal eine Rechnung auf, was das kostet. Ich bin überzeugt — und darf davon ausgehen —, daß die Sozialdemokratische Partei vorbildlich bezahlt, ich setze aber nur 500 DM pro Monat ein und glaube, damit nicht allzu hoch zu greifen. Zu den 500 DM gehört erfahrungsgemäß der gleiche Betrag für allgemeine Büro- und Fuhrparkkosten. Das macht 1000 mal 1000, also 1 Million DM im Monat, im Jahr 12 Millionen DM. Wenn Sie sagen, es seien nicht 1000, sondern nur 800 Angestellte, na schön, dann macht es etwa 10 Millionen DM aus. Ich weiß, daß Sie im Jahre 1957 ein Mit- gliederaufkommen von 8,3 Millionen DM hatten, — wodurch schon die Notwendigkeit, auf Spenden zurückzugreifen, erwiesen ist.Die Frage, woher Spenden kommen, stand auch heute wieder stark im Vordergrund. Ich möchte ganz vorsichtig formulieren und sagen: ich glaube nicht, daß es sich mit Ihrem betont sozialen Gewissen vereinbaren läßt, die Spenden nur von den Beziehern ganz kleiner Einkommen und von Rentnern zu nehmen. Wenn ich mir das recht überlege, meine ich: indirekt eigentlich doch!Sie kennen doch die Geschichte der Millionenschecks, die laut Agartz — das ist nie überzeugend bestritten worden — durch den Deutschen Gewerkschaftsbund 1949 und 1953 über das Wirtschaftswissenschaftliche Institut an die SPD gegangen sind.
— Ich habe im Augenblick Herrn Hermann danach gefragt. Herr Hermann hat nämlich, wie sie wissen, ein Buch geschrieben, dessen eigentlicher Verfasser Herr Agartz ist, und Herr Agartz muß es ja wissen. Er hat dort folgendes geschildert — lesen Sie es auf den Seiten 176/177 nach, Herr Schmitt, das können S i e doch allein tun, daß brauche ich doch gar nicht hier vor dem Plenum zu tun!
In diesem Buch steht darin, daß von den Gewerkschaften —
— Ach, meine Herren, Sie müssen sich auch von uns mal für Sie unangenehme Dinge anhören, wir haben das, wenn es von Ihnen kam, auch schon oft tun müssen.Von den Gewerkschaften sind also Barschecks auf das Wirtschaftswissenschaftliche Institut ausgestellt worden. Diese Beträge — wir wissen alle, sie gehen über mehrere Millionen — sind dann von Herrn Dr. Agartz weitergegeben worden.Nun hat sich Herr Dr. Heinemann gegen die Steuerfreiheit von Spenden gewendet. Natürlich, wenn ich das damit in Verbindung bringe, kann ich das verstehen, weil wir wissen, daß die Gewerkschaften keine Steuern bezahlen.Ich möchte dazu noch folgendes sagen. Massenorganisationen, die sich überparteilich darstellen und mit viel Geld und Presse ausgerüstet sind, können dann gefährlich sein, wenn sie politische Ambitionen entwickeln. Manchmal geht der Schuß bekanntlich auch nach hinten los. Ich denke an den Slogan „Wählt einen besseren Bundestag!". In meinem Wahlkreis ist der Schuß nach hinten losgegangen: Ihr Abgeordneter ist abgewählt worden, ich bin zum Zuge gekommen.
Herr Dr. Heinemann hat sich auch gegen unsere Förderergesellschaften gewandt. Herr Dr. Heinemann, als ob allein wir Förderergesellschaften hätten! Man soll doch die Dinge, wenn man sie schon anspricht, komplett ansprechen. Wie ist es denn bei Ihnen mit dem „Verein zur Förderung der Demokratie und der Wiedervereinigung"? Ich habe mir, wenn ich das hier sagen darf, den Kopf zerbrochen, warum man darin das Wort „Wiedervereinigung" verwendet. Da es doch die erklärte Aufgabe ist, die Sozialdemokratische Partei zu finanzieren, kann es sich wohl nur um eine Wiedervereinigung der Ge-
Metadaten/Kopzeile:
1648 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Februar 1960
Wachernossen in den Gewerkschaften und der Genossen in der Sozialdemokratischen Partei handeln.
Denn diesem Verein gehören doch führende Herren der Gewerkschaften und gewerkschafts-genossenschaftlichen Unternehmungen an. Diese Herren — das ist ihr gutes Recht — sammeln auch bei freien Unternehmen, und uns wirft man vor, daß wir Geld von der Wirtschaft nehmen, und man sagt uns, das sei unmoralisch. Na, gehören Konsumgenossenschaften, von denen Sie Geld nehmen, nicht zur Wirtschaft? Sie können es mir gar nicht übelnehmen, wenn ich es nicht gerade als besonders moralisch erachte, wenn Gewerkschaftsbeträge der Arbeiter zur Finanzierung einer Partei verwendet werden.Im übrigen glaube ich, daß in diesen Bereich doch auch das Thema der letzten Konzentrationsdebatte fällt. Da haben wir etwas anzusprechen vergessen. Wir haben so viel von d e r Konzentration gesprochen, haben aber d i e Konzentration vergessen — ich darf Ihnen sagen, um was es sich handelt —: Die „Konzentration" ist nämlich eine GmbH, in der 26 Zeitungen, 30 Druckereien, 5 Buch- und Zeitschriftenverlage und 8 Buchhandlungen und weitere Unternehmen zusammengeschlossen sind.
Ich entnehme das dem „Vorwärts" Nr. 44 vom 2. November 1956 und bitte, es dort nachzulesen.Feststeht, daß 10 % der Gesamtanteile im Besitz des Bundesvorstandes der Sozialdemokratischen Partei sind. Feststeht, daß die Bezirksverbände beteiligt sind. Feststeht, daß nach § 8 der Parteistatuten eine Verpflichtung besteht, einen Werbebeitrag an den Vorstand zu leisten. 1957 wurde dieser mit 504 000 DM ausgewiesen. Ich weiß nicht, ich kann es nicht übersehen, ob das alles ist, beträgt doch der Umsatz dieses sozialdemokratischen Konzerns zirka 150 Millionen DM. Mit Spenden ist es manchmal wie mit einem Eisberg: nur ein kleiner Teil davon ist an der Oberfläche.
Es gibt noch ein sehr interessantes Kapitel, auf das ich mir erlauben darf hinzuweisen. Der „Vorwärts" hat am 1. Mai 1959 einen Band von Werbeanzeigen als Beilage gebracht. Es ist das gute Recht jeder Zeitung, sich Inserate zu besorgen, und es ist das gute Recht jeder Firma, für ihre Erzeugnisse zu werben. Wofür aber die Stadtwerke in Bielefeld z. B. in einer Anzeige über eine halbe Seite werben, erscheint mir gar nicht ohne weiteres erklärlich.
Ich weiß nicht, sollen die Bürger Bielefelds angeregt werden, mehr Gas oder mehr Wasser zu verbrauchen, oder fürchtet die Direktion der Stadtwerke, daß ihre Abnehmer aus Konkurrenzgründen in Zukunft in Herford oder in Detmold ihr Wasser beziehen werden, wenn sie sich nicht im „Vorwärts" gebührend in Erinnerung bringt? Oder meint man, daß die Frauen Münchens, die den „Vorwärts" gelesen haben, mit Bielefelder Wasser kochen werden?Aber schlechterdings unerklärlich ist mir ein großes Inserat des Landes Hessen. Es sagt — ich darf das mit Genehmigung des Herrn Präsidenten vorlesen —, daß „Hessen das Land im Herzen Deutschlands mit alter Kultur und moderner Wirtschaft, mit einer sozial aufgeschlossenen Bevölkerung ein starker Hort rechtlichen Denkens und demokratischer Gesinnung ist und bleibt." Ich frage mich: Hat es die hessische Regierung eigentlich nötig, diesen Nachweis mit Hilfe kostpieliger Inserate zu erbringen? Warum benutzt sie ausgerechnet den „Vorwärts" dazu? Bei den Mitgliedern der Sozialdemokratischen Partei — die hauptsächlich lesen doch den „Vorwärts" — wird es keine Zweifel am rechtlichen Denken und an der demokratischen Gesinnung der hessischen Regierung geben.
— Ich hoffe, daß Sie das tun und daß wir im Fremdenverkehr Bayern — Hessen keine Schwierigkeiten haben werden.Aber unter solchen Umständen, Herr Erler, muß man der SPD allerdings Recht geben, wenn sie behauptet, daß sie auf Spenden aus der Wirtschaft weniger angewiesen ist als andere Parteien. Es ist einfacher, Parteifinanzierung aus dem Gemeindesäckel der Stadt Bielefeld z. B. oder der Staatskasse der hessischen Regierung zu bestreiten. Nur, meine Damen und Herren, wird der Steuerzahler mit Recht etwas weniger Verständnis dafür aufbringen.
Ich sagte schon, daß ich es nicht gerade hochschätze, daß Gewerkschaftsbeiträge zur Finanzierung verwendet werden. Sie wissen, daß auch maßgebliche Persönlichkeiten der Sozialdemokratischen Partei bei der Wirtschaft sammeln. Das sollen sie. Zum Beispiel geht Herr Kopf in Hannover zur Wirtschaft. Es mag allerdings sein, daß in seine Sammelbüchse etwas weniger geflossen ist, als er gedacht hat.Im übrigen fällt mir da ein netter Vers von Wilhelm Busch ein, der einmal gesagt hat:Selben hab ich im Verdacht: Wenn er dürfte, wenn er könnte, Er es selbst nicht anders macht.
Wir haben weiß Gott nicht lauter Gesetze gemacht, die den Unternehmern besonders gefallen. Ich erinnere nur an die Mitbestimmung, an das Kartellgesetz, an die Lohnfortzahlung, und ich könnte einige weitere aufzählen.
Die Industrie hat uns trotzdem Spenden gegeben. Das liegt vielleicht daran, daß sie zu der Wirtschaftspolitik unter Herrn Professor Erhard mehr Vertrauen hat als zu einer Wirtschaftspolitik, die
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Februar 1960 5649
Wachervielleicht einmal Herr Brenner in der Hand haben könnte, Ich möchte feststellen, daß uns die Wirtschaft Spenden nicht gibt, damit wir eine bestimmte Wirtschaftspolitik machen, sondern weil wir sie machen.
Wenn hier darüber diskutiert wird, wer am meisten bekommt, darf man im übrigen — davon ist heute schon gesprochen worden — auch einmal die Frage stellen, wieviel Vermögen die einzelnen Parteien besitzen. Für die CSU darf ich es verbindlich sagen: keines.
Bis jetzt ist sogar unsere Landesgeschäftsstelle in Miete. Bei Ihnen steht es doch besser. Daß es so ist, darf man ja feststellen.Ich habe mit Interesse vermerkt, daß der Sozialdemokratischen Partei in Hessen vom Land ein zinsloses Darlehen von — Herr Schmitt wird es genau wissen — 2,5 Millionen DM als Vorschuß für ungeklärte Wiedergutmachungsleistungen gegeben wurde. Meines Wissens hat die SPD Wiedergutmachungsansprüche in Höhe von zirka 110 Millionen RM gestellt. Nach Ihrem Jahrbuch 1954/55 sollte die Rückerstattung bald zu einem gewissen Abschluß gebracht werden.
Ich wäre dankbar, wenn wir gelegentlich einmal hören könnten, auf welchen Betrag sich die bisher erfolgten Rückerstattungsleistungen belaufen. Ich glaube, daran wäre auch das Haus interessiert.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Darf ich fragen, ob Sie damit in Zweifel ziehen wollen, daß es rechtmäßig ist,
wenn das, was in hundert Jahren einer opferreichen Geschichte die Arbeiterbewegung an Häusern geschaffen hat und was ihr von den Nationalsozialisten gestohlen worden ist, zurückerstattet wird?
Herr Kollege Erler, Sie kennen mich gut genug, um zu wissen, daß ich es als völlig Rechtens ansehe, daß Sie diese Häuser ganz legal wiederbekommen haben. Aber es geht doch darum, daß man endlich damit aufhört, uns vorzuwerfen, wir seien eine reiche und Sie seien eine arme Partei.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Kollege?
Darf ich fragen, Herr Kollege, ob Ihnen bekannt ist, wie viele sozialdemokratische
Zeitungen in meinem Heimatland Hessen durch den Nationalsozialismus gestohlen worden sind? Darf ich Sie fragen, ob Sie wissen, wie hoch der wirkliche Wiedergutmachungsanspruch ist, der noch lange nicht befriedigt ist?
Wenn Sie schon die Frage stellen, dann schauen Sie sich aber einmal an, wie viele sozialdemokratische Redakteure es gerade im Lande Hessen gibt! Sie brauchen beim Zählen nicht die Hälfte der Finger einer Hand.
Herr Kollege Ritzel, ich bedauere, daß auch nur eine einzige gestohlen wurde. Ich weiß, daß es viele waren, die gestohlen wurden. Ich kenne die endgültige Höhe der Wiedergutmachungsansprüche nicht. Deshalb habe ich die Frage gestellt, ob Sie bereit wären, die Zahl gelegentlich zu nennen.
Die können Sie haben.
Schönen Dank. Wir werden darauf zurückkommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie mir eine Zwischenbemerkung, meine verehrten Damen und Herren. Von der nackten Pleite auf der einen Seite bis zur Bilanzverschleierung auf der anderen Seite gibt es so viele finanzielle Kostümierungsmöglichkeiten, daß wir uns darüber noch lange unterhalten könnten. Ich glaube, wir sollten statt uns gegenseitig Vorhaltungen zu machen, wo der eine oder andere sein Geld her hat,
zum Thema des Gesetzentwurfs zurückkehren.
Herr Präsident! Ich habe Ihre Mahnung zur Kenntnis genommen, möchte aber bemerken, daß die Frage der Parteifinanzierung sowohl im Gesetz angesprochen als auch von verschiedenen Rednern behandelt worden ist.
Ich vermag deshalb nicht einzusehen, warum ich mich mit dieser Frage nicht sollte beschäftigen dürfen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, ich habe nicht Sie gemeint. Ich habe die Zwischenfrager gemeint, die Sie immer vom Thema ablenken.
Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich Sie mißverstehen mußte.Meine Damen und Herren, das Parteiengesetz soll uns in die Lage versetzen, jene wichtigen Aufgaben zu erfüllen, die uns das Grundgesetz zugewiesen
Metadaten/Kopzeile:
5650 Deutscher Bundestag -- 3. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Februar 1960
Wacherhat. Natürlich muß eine politische Willensbildung temperamentvoll sein; aber — lassen Sie mich das gerade jetzt sagen wir dürfen über dieser notwendigen Auseinandersetzung nicht die uns verbindenden Aufgaben vergessen. Ich glaube, es war Dr. Even, der mit Recht darauf hinwies, unter welchem massiertem Druck des Ostens wir stehen. Da sollten wir in bestimmten Fragen, auf die es uns allen ankommt, viel mehr Einigkeit zeigen, als das bisher der Fall gewesen ist.
Wer bedauert nicht, daß unser Volk nur zu einem geringen Prozentsatz am politischen Leben teilnimmt! Ich weiß nicht, ob es Herr Dr. Bucher war, der die Wahlergebnisse von England angesprochen hat. Im Jahre 1955 waren 49 % der Wähler der Labour Party gleichzeitig Mitglieder; bei den Konservativen waren es 21%. Wir wissen, daß die Sozialdemokratie den höchsten Mitgliederanteil hat; trotzdem macht dieser Anteil auch nur einen Bruchteil der Wähler aus.Es kommt darauf an, die Menschen an die Parteien heranzuführen, und das heißt, sie an den Staat heranzuführen. Das ist eine Aufgabe, die wir gemeinsam zu erfüllen haben. Ich glaube, daß das nur gelingen kann, wenn dieses Gesetz keine Zwangsjacke wird. Wir sollten uns in den Ausschußberatungen überlegen, wie wir gerade die Jugend stärker für unsere Parteien interessieren können. Wir werden zu prüfen haben — auch das ist heute schon gesagt worden —, wie die staatsbürgerliche Erziehung durch die Parteien verbessert werden kann. Daß das nötig ist, bestreitet niemand. Das ist auch in der gestrigen Debatte oft genug durchgeklungen. Aber klar muß man sich über eines sein: daß man auch mit dem besten Gesetz auf diesem Gebiet nichts oder doch nur wenig erreichen kann, wenn das Parlament durch seinen Stil abstößt. Wir müssen alle eingestehen, daß das manchmal der Fall ist, ja ich möchte sagen, zu oft der Fall ist. Über allen notwendigen Auseinandersetzungen müssen wir immer das gemeinsame staatspolitische Interesse zutage treten lassen. Die Beratungen werden deshalb besonders schwierig sein, weil die Abgeordneten —
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ritzel?
Ich bin bei den letzten Sätzen. Ich bitte, mir das jetzt zu erlassen.
Die Beratungen werden, glaube ich, deshalb schwierig sein, weil die Abgeordneten als Parteimitglieder praktisch in eigener Sache zu entscheiden haben. Die Entscheidung über ein solches Gesetz ist daher schwieriger als die Entscheidung über jedes andere Gesetz. Aber ich darf für die CDU /CSU sagen, daß sie entschlossen ist, in Zusammenarbeit mit allen anderen Parteien die sacklich beste Lösung anzustreben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schneider .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe immer das Glück oder Unglück — je nachdem, wie Sie es nennen wollen —, daß ich als letzter spreche; das ist nicht ganz so einfach.
— So ist es. Wenn schon so viele kluge Leute soviel Kluges gesagt haben, ist es schwierig, dem noch etwas hinzuzufügen. Ich will es trotzdem versuchen. Ich will allerdings die Auseinandersetzung über die Methoden der Finanzierung der SPD-Arbeit nicht mehr fortsetzen, sondern ich will zum eigentlichen Thema, dem Gesetz, das uns heute vorliegt, zurückkehren. Der Herr Minister hat recht, wenn er sagt, daß wir hier absolutes Neuland betreten. Es gibt in der ganzen Welt kein Vorbild. Es wird zum erstenmal versucht, das Parteienleben durch positive Rechtsnormen irgendwie zu formen, zu bestimmen und im gewissen Sinne auch zu lenken. Das ist nicht so ganz einfach.Ich habe mir die Mühe gemacht, den Gesetzentwurf genau zu studieren. Ich hatte neulich die Ehre, an einem sehr langen, fast zwei Stunden dauernden Rundfunkgespräch darüber teilzunehmen. Leider ist mir das Mißgeschick passiert, daß ich die dafür erarbeiteten Unterlagen verloren habe. Deshalb muß ich heute sozusagen aus dem Handgelenk dazu Stellung nehmen, weil ich wirklich keine Zeit mehr hatte, alles noch einmal bis ins einzelne durchzuarbeiten. Ich bin mit dem Herrn Minister darin einig, daß die beiden Hauptgruppen „Innere Ordnung" und „Rechenschaftslegung" die Kernstücke dieses Gesetzes sind.Ich will auf eines kurz eingehen. Der Bundesrat hat wieder einmal den Versuch gemacht, uns aufzuoktroyieren, daß wir dieses Gesetz ohne seine Zustimmung nicht erlassen könnten. Die Bundesregierung hat das Gott sei Dank abgelehnt. Wir von der Deutschen Partei sind der Auffassung, daß die Auffassung der Bundesregierung hierzu richtig ist. Sie verweist mit Recht darauf, daß, wenn es anders wäre, auch die beiden Wahlgesetze von 1953 und 1958 der Zustimmung des Bundesrats bedurft hätten. Betrachten Sie das bitte nur als eine Vorbemerkung.Was die Regelung, die hier in dem unter der Überschrift „Innere Ordnung" stehenden Paragraphen vorgesehen ist, betrifft, werden wir ihr alle — so klang es auch heute doch wohl durch — im allgemeinen zustimmen können. Es soll der Versuch gemacht werden, die innere Ordnung der Parteien so zu gestalten, daß garantiert wird, daß sie sich auf demokratischer Grundlage bewegen. Es soll garantiert werden, daß die Gefahr nicht von innen kommt und daß sich nicht irgendwo wieder Zeichen einer Diktatur entwickeln können.Herr Kollege Heinemann hat allerdings in diesem Kapitel einen Paragraphen etwas kritisiert. Es handelt sich um den § 13 Abs. 3, wo es heißt:
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Februar 1960 5651
Dr. Schneider
Dem Vorstand können kraft Satzung angehören:a) Amtsträger der Partei und Vertreter von Sonder- und Nebenorganisationen der Partei,b) Abgeordnete in den Vertretungsorganen öffentlicher Gebietskörperschaften,c) Parteimitglieder, die ein leitendes öffentliches Amt bekleiden.Herr Kollege Heinemann, was haben Sie eigentlich dagegen? Es ist doch selbstverständlich, daß die Abgeordneten, die in die höchsten Gremien einer Partei gesandt werden und die entscheidend vom Vertrauen auch der gesamten Unterorganisationen der Partei getragen werden, demokratisch legitimiert sind, auch im Vorstand mitzuwirken. Sie haben schließlich die größte Erfahrung. Der Vorstand kann auf ihre Mitwirkung — wenn ein Zusammenspiel sinnvoll sein soll — gar nicht verzichten; sie bringen aus der praktischen politischen Erfahrung, aus ihrer Tätigkeit, die Anregungen mit, die für die weitere Entwicklung der Parteiarbeit von Nutzen sind. Wir haben gegen diese Regelung deshalb gar nichts einzuwenden, und Ihr Argument überzeugt mich nicht, es sei denn, Sie meinen nur, daß Nebenorganisationsmitglieder nicht mitwirken sollten. Darüber kann man einmal sprechen. Im übrigen können wir alle zusammen diese Bestimmungen des Gesetzes über innere Ordnung annehmen. Über das eine oder andere wird sich im Ausschuß sprechen lassen. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.Der Kerngehalt des ganzen Gesetzes steht wirklich unter dem Abschnitt „Rechenschaftslegung". Hier gehen die Meinungen weit auseinander. Art. 21 des Grundgesetzes, der die Rechenschaftslegung anordnet, wird von der einen Seite des Hauses sehr weit ausgelegt, von der anderen Seite des Hauses etwas enger interpretiert. Der Text des Grundgesetzes ist oft nicht ganz klar, hier auch nicht. Herr Kollege Even hat schon, wie ich glaube, ganz richtig gesagt: Wenn der Grundgesetzgeber diese weite Meinung gehabt hätte, hätte er das verdeutlichen müssen. Herr Kollege Even hat erklärt, daß das ohne weiteres durch die Einfügung von zwei Wörtchen hätte geschehen können. Es bestand also gar keine gesetzgeberische Schwierigkeit. Da sie nicht eingefügt worden sind, kann man der Meinung sein, daß die Vorschrift ausgelegt werden kann, wie wir das mit dem Regierungsentwurf tun.Die Aufnahme der Rechenschaftslegung der Parteien in das Grundgesetz war damals überhaupt ein Problem. Diese Bestimmung ist erst im allerletzten Moment eingefügt worden. Ich war nicht im Parlamentarischen Rat, aber ein prominenter Politiker dieses Gremiums hat gelegentlich einer Besprechung, an der teilzunehmen ich die Ehre hatte, einmal gesagt: War das nicht der Satz, den die Helene Wessel noch ganz zum Schluß gebracht hat, wo wir uns alle geniert haben, ihn abzulehnen? Meine Damen und Herren, ich war nicht dabei, aber so mußte ich es einmal hören. Herr Heinemann, Sie haben gesagt, das ist damals geschehen, weil die Erinnerung an das gräßliche Vergangene noch sehr lebendig war, weil man im Parlamentarischen Ratmeinte, man müsse diese Bestimmung als weitere Sicherungsmaßnahme neben dem anderen, was man gefordert hat, einbauen, weil man geglaubt habe, anonymes Geld habe Hitler erst gebracht und ermöglicht. Sie haben diese Meinung heute morgen — allerdings meine ich, Herr Kollege Heinemann, in diesem Stil sollten Sie das doch in der Zukunft nicht tun — wieder vertreten, als Sie daran erinnerten, welchen Zweck die Adolf-Hitler-Spende gehabt habe, nämlich den, die SA des sogenannten Führers zu finanzieren. Sie haben das mit einer deutlichen Spitze gegen den Herrn Minister, der dieses Gesetz heute begründet hat, vorgebracht. Ich habe nämlich neulich zufällig einmal gelesen — ich habe das sonst nicht gewußt —, daß der Herr Minister auch einmal in der SA gewesen sei.
Herr Bundesminister, es ist nicht möglich, von diesem Platz aus Zwischenrufe zu machen. Wenn Sie Zwischenrufe machen wollen, bitte ich Sie, sich auf die Abgeordnetenbank zu setzen. Ich muß das rügen.
Herr Kollege Heinemann, dann bedaure ich um so mehr, daß Sie das in dieser Form gesagt haben. Ich möchte hier meinem Vorredner beipflichten — ich habe das in der Vergangenheit schon sehr oft gesagt —: es kommt dafür, ob wir diesen Staat erhalten oder nicht, auch sehr entscheidend auf den parlamentarischen Stil an, den wir hier entwickeln.
Mit Geld allein kann ich politische Bewegungen weder züchten noch erhalten; denn — Herr Even hat es gesagt — die Kommunisten haben versucht, mit ca. 100 Millionen DM weiter bei uns zu unterminieren und Fuß zu fassen. Sie sehen, daß das nicht geglückt ist. Ich hatte gestern so das Gefühl und ich habe es auch heute wieder, Herr Kollege Heinemann: man meint immer, dieser Hitler sei vom Himmel gefallen,
er sei irgendwie gemanagt worden. Glauben wir doch so etwas nicht. Ich war nicht bei der NSDAP — ich möchte das sagen —, ich war auch nicht bei der SA. Gerade deshalb erlaube ich mir festzustellen: Hitler war doch keine Ursache, Hitler war eine Konsequenz. Das muß man doch einmal wissen: es gibt doch keine Revolutionen aus hellem Himmel. Warum kam er denn? Weil damals die Weimarer Republik — ich will gar nicht von Schuld sprechen — in eine Situation geriet, die für mehr als die Hälfte unseres Volkes langsam unhaltbar wurde. 71/2 Millionen Arbeitslose; multiplizieren Sie das mit 4, das waren 30 Millionen, die damals vis-à-vis dem Elend standen. Das war die Situation, das war die soziale Spannung, die heraufgekommen war und aus der Hitler schließlich als der Scharlatan, der jedem etwas versprach, ohne sein
Metadaten/Kopzeile:
5652 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Februar 1960
Dr. Schneider
Rezept zu offenbaren, hervorgehen konnte. Das ist die eigentliche Ursache und nicht das Geld, das Hitler hier und dort bekommen haben mag, was ich ja gar nicht bestreite. Das wollte ich hier noch einmal ganz deutlich aussprechen.Ich habe im Rechtsausschuß schon verschiedentlich gesagt: wenn wir durch ausgeklügelte Verfassungsvorschriften, auf Grund deren mit Gesetzesparagraphen gewisse Finanzierungsmethoden abgestoppt werden sollen, das Aufkommen radikaler Strömungen verhindern zu können glauben, dann befinden wir uns in einem absoluten Irrtum.
Das sage ich Ihnen voraus. Wir müssen eine Politik machen, die dahin geht, ein deutsches Haus zu bauen, in dem alle unsere Glieder anständig leben können.
Das ist die Voraussetzung für die Verhinderung des Aufkommens radikaler Strömungen, und nichts anderes. Mit Gesetzes- und Verfassungsparagraphen schafft man das niemals.Deshalb ist es meines Erachtens gar nicht so wichtig, wie man die Rechenschaftslegung macht, Herr Kollege Heinemann. Darin, daß sie gemacht werden muß, stimme ich zu. Wir bejahen die im Gesetzentwurf vorgesehene Regelung. Auf Einzelheiten will ich nicht eingehen — der Herr Kollege Bucher hat das schon getan —, z. B. nicht auf das Problem Mitgliederparteien-Wählerparteien und was damit zusammenhängt.Eines ist uns allen klar, das kann gar nicht geleugnet werden: Keine Partei, die in diesem Hause vertreten ist, ist in der Lage, sich allein aus eigener Kraft zu finanzieren.
Diese Erkenntnis müssen wir doch wohl alle gewonnen haben. Ist uns aber diese Erkenntnis gemeinsam und wissen wir daneben, daß eine politische Partei auf die Dauer nicht arbeiten und ihre Aufgabe nicht erfüllen kann, wenn sie nicht ausreichend finanziert ist, dann bleibt nur übrig, daß wir gemeinsam nach Methoden suchen, wie man die Parteien finanziert. Das gleiche Anliegen haben wir doch alle.Wenn Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, die Art der Offenlegung bekämpfen, so meine ich immer, Sie haben nicht das Generalanliegen der Finanzierung von Parteien im Auge, sondern ein ganz spezielles parteitaktisches Anliegen, nämlich durch eine individuelle Offenlegung bis in die letzten Geheimnisse einer jeden Partei, die nicht die Ihre ist, hineinzuleuchten; ich will das böse Wort „hineinschnüffeln" nicht gebrauchen.
— Warum denn? Ist das denn so dringend erforderlich?Der Herr Kollege Heinemann hat sehr leicht sagen: „Wir stehen nach wie vor auf dem Standpunkt, daß Spenden, die an Parteien gegeben werden, grundsätzlich nicht steuerfrei gegeben werden können." Ja, wenn man dann weiß — der Herr Kollege Wacher hat es gesagt —, daß bei Ihnen unter Umständen Spendengeber von ganz enormer Größenordnung auftreten, die nach dem Privileg, das wir ihnen gegeben haben, von Haus aus steuerfrei sind, dann sieht sich die Sache anders an als für uns, die wir nicht in der Lage sind, uns derartige Finanzquellen zu erschließen.Ich bin deshalb dem Herrn Minister dankbar, daß er selber — ich war ja heute morgen der erste Zwischenrufer, wie Sie wissen — dieses heiße Eisen angepackt hat. Ich kann ihm nur recht geben, und er hat ja die vier Quellen aufgezeigt; ich will das nicht wiederholen. Ich möchte nur das eine sagen: wir sollten uns alle miteinander bemühen, diese Frage zu lösen. Denn wir geben den Parteien hier eine ganz spezifische, eine staatstragende Legitimation. Sie tragen doch in Zukunft, wenn dieses Gesetz Wirklichkeit wird, unseren Staat in allen Erscheinungsformen, in denen er auftritt. Auf der anderen Seite läßt sich aber nicht leugnen, daß die Parteien betteln gehen müssen. Das ist doch geradezu unwürdig! Auf der einen Seite etabliert man eine Institution, der man alle Macht übereignet
— und der Verfassung —, und auf der anderen Seite läßt man sie schäbig betteln gehen. Ich bin leider auch Vorsitzender eines Landesverbandes einer Partei. Ich will Ihnen hier kein Lied singen, aber ich kann Ihnen sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe mich manchmal schon geschämt, wie ich habe — sagen wir es doch so — Klinken putzen müssen, um das Leben der Partei überhaupt noch weiter gestalten zu können.
Sagen wir hier doch die Wahrheit! Deshalb bin ich dem Herrn Minister so dankbar für die Ausführungen, die er dazu gemacht hat.In dieser Frage sollten wir zusammenarbeiten. Wir müssen auch die Frage, ob Steuerfreiheit oder nicht, auch wenn Sie noch so sehr zetern, noch einmal anpacken. Denn — lassen Sie mich das zum Schluß sagen, meine Damen und Herren — dieses Urteil von Karlsruhe betrachte ich nicht als der Weisheit letzten Schluß. Hier scheint mir der Begriff der Gleichheit vor dem Gesetz in einer Weise strapaziert zu werden, die man auf die Dauer nicht wird verantworten können. Mehr will ich dazu heute nicht sagen. Lassen Sie uns im Ausschuß zusammenarbeiten und diese Frage regeln, damit wir auf diese Weise wirklich eine Grundlage schaffen für demokratische Parteien, die die hohe Aufgabe zu erfüllen haben, unseren gemeinsamen Staat auch in die Zukunft zu tragen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt, Vockenhausen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Februar 1960 5653
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst eine Bemerkung vorausschicken. Der Herr Kollege Dr. Heinemann hat, als er das Beispiel der Finanzierung durch die Industrie erwähnt hat, ausdrücklich klarmachen wollen, wen die Industrie hat finanzieren wollen. Das war also keineswegs speziell an den Herrn Minister gerichtet,
sondern der Herr Kollege Heinemann hat nur ihm und dem Hause klarmachen wollen, um was es hier geht.
Warum spielt denn das Problem der Parteienfinanzierung eine so entscheidende Rolle in unserer modernen Gesellschaft? Es besteht doch — darüber darf nichts hinwegtäuschen — in der modernen Gesellschaft die Gefahr, daß die demokratische Fassade erhalten bleibt und daß der Staat dahinter ausgehöhlt und unterhöhlt wird durch die anonyme Macht großer wirtschaftlicher Verbände. Wenn Sie, meine Damen und Herren, darüber noch weitere Aufklärung brauchen, dann empfehle ich Ihnen doch sehr, einmal das Buch von Packard „Die geheimen Verführer" mit den zahlreichen Beispielen aus den Vereinigten Staaten sich vorzunehmen. Darin werden Sie mit aller Deutlichkeit feststellen können, welche Rolle die Propaganda und damit die Gefahr der Manipulation heute für Wahlkämpfe in der modernen Gesellschaft spielt. Für diese Manipulationen braucht man Riesensummen.
Es geht nun darum, daß klargestellt wird, wer für politische Zwecke den einzelnen Parteien Geld gibt. Der Herr Kollege Wacher hat dafür in einem gewissen Umfang eine Bestätigung gegeben. Er hat gesagt: Wir bekommen die Spenden, weil unsere Politik so ist! — Das ist eine Formulierung, zu der man nur sagen kann: Geld also, weil bestimmte Gesetze, z. B. bestimmte Steuergesetze, in diese oder jene Richtung gehen! Das ist doch die Konsequenz, die man aus seinen Ausführungen ableiten muß.
Der Herr Kollege Wacher hat dann von dieser Stelle einen leidenschaftlichen Appell an alle gerichtet, die Jugend und die Menschen überhaupt mehr an den Staat heranzuführen. Meine Damen und Herren, vor einer Stunde hat seine Fraktion den Antrag gestellt, die im Bundesjugendplan für politische Bildung vorgesehenen Mittel um 500 000 DM zu vermindern!
Wo bleiben hier die Konsequenzen?
— Ja, der Antrag wurde mit Mehrheit angenommen.
Herr Kollege Wacher, Sie haben von armen und reichen Parteien gesprochen. Wir sind stolz darauf, daß die SPD, eine Partei mit einer langen und großen Tradition, ein gewisses Vermögen auf Grund freiwilliger Spenden armer Menschen besitzt. Denken Sie nur an die Zeit vor dem ersten Weltkrieg und an die Gründung unserer Zeitungen! Diese vielen freiwilligen Spenden und diese gewaltigen Leistungen der deutschen Arbeiterschaft sind eine Aufforderung an Sie, endlich auch einmal etwas zu tun, damit Sie nicht nur von der Wirtschaft Geld erhalten, sondern auch echte Spenden von Ihren Mitgliedern und Förderern.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Herr Kollege Schmitt , darf ich Sie, wenn Sie schon heute nicht im Haushaltsausschuß waren und trotzdem Bescheid wissen, was dort geschah, fragen: Wissen Sie, daß Sie mit dem, was Sie hier sagen, doch eigentlich ein völlig falsches Bild wiedergeben?
Ich weiß, was Sie sagen wollen.
Wissen Sie, daß die CDU im Haushaltsausschuß eben für eine gezielte und wirkungsvolle politische Bildung der Jugend plädiert hat und nicht, wie Sie es hier darstellen, für eine Streichung der Mittel?
Sie haben also die Mittel gekürzt, um die Wirkung zu erhöhen? Das ist mir nicht ganz verständlich. Das müssen Sie vielleicht bei anderer Gelegenheit etwas deutlicher erklären.
Der Herr Kollege Wacher glaubte im Gegensatz zur sonstigen deutschen Öffentlichkeit, hier Dr. Agartz als Kronzeugen zitieren zu sollen. Das steht in einem auffälligen Gegensatz zu der Art und Weise, wie der Herr Minister Schröder noch wenige Minuten zuvor Dr. Agartz hier im Hause apostrophiert hat.Ich muß sagen, Herr Kollege Wacher, was Sie hier vorgetragen haben, ist doch die Unlogik selbst. Wenn Sie meinen, daß es so undurchsichtig und so dunkel bei uns ist, stimmen Sie doch unseren Anträgen zu! Dann können Sie doch über alles Aufklärung bekommen! Sie aber wollen die Herkunft der Geldmittel im Dunkeln halten. Darum geht es.
Der Herr Kollege Wacher hat dann Herrn Professor Gülich zitiert, aber leider nicht vollständig. Ich darf auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts Bezug nehmen: Verhandlungen am 13. Mai 1958, 11.20 Uhr, Seite 60. Ich darf ferner in diesem Zusammenhang auf das Jahrbuch der Sozialdemokratischen Partei für 1956/57, Seite 254, mit der zu-
Metadaten/Kopzeile:
5654 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Februar 1960
Schmitt
sammenfassenden Darstellung der Einnahmen und Ausgaben hinweisen. Sie werden dort unschwer feststellen können, Herr Kollege Wacher, daß Sie hier zwei Posten addiert haben, nämlich die Beiträge der Bezirke und die Wahlbeiträge, um zu Zahlen zu kommen, die Sie aus den Ausführungen von Herrn Professor Gülich herleiten wollen. Der Sachverhalt ergibt sich eindeutig aus dem, was der Herr Kollege Erler hier dargelegt hat.
— Ja, aber Sie haben die 15 % auf den gesamten Posten bezogen, und das ist falsch. Hier haben Sie nach Adam Riese nicht richtig gerechnet.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Burgbacher?
Bitte schön!
Herr Kollege Schmitt , sind Sie der Meinung, daß die Tatsache, daß es in diesem Hohen Hause Parteien mit und Parteien ohne Vermögen gibt — wobei wir neidlos jedes legale Vermögen anerkennen und achten —, Startgleichheit in der Finanzierung der Parteien bedeutet, oder ist das Startungleichheit?
Herr Kollege Burgbacher, Sie können nicht sagen, daß das Vermögen der SPD — das ist nachprüfbar, und das können Sie aus dem Jahrbuch ersehen — eine Veränderung der Startchancen bedeutet.
Jedenfalls hat sich das Bundesverfassungsgericht klar zu den Startchancen geäußert. Sie haben nur das einzige Bemühen — das ist heute auch bei Herrn Dr. Schröder zum Ausdruck gekommen —, dieses Urteil wieder, sei es so oder so, zu ändern oder gar aufzuheben. Darum geht es doch.
Der Herr Kollege Wacher hat sich dann mit den Anzeigen im „Vorwärts" beschäftigt. Herr Kollege Dr. Willeke ist nicht anwesend, aber ich habe mir seine kommunalpolitischen Blätter vorhin noch einmal durchgesehen. Zu dieser Frage könnte man natürlich auch einige Anmerkungen machen. Ich glaube nicht, daß es sehr sinnvoll ist, in dieser Beziehung die Zeitschriften und Zeitungen der Parteien gegeneinander aufzurechnen. Damit kommen wir bestimmt nicht weiter. Darauf kommt es ja auch in diesem Falle gar nicht an. Worauf es ankommt, das ist von dem Herrn Minister heute morgen sehr deutlich umgangen worden. Er hat gesagt: Die Frage des Verhältnisses der Parteien und Verbände ist noch nicht reif, einer gesetzlichen Klärung zugeführt
zu werden. Ich weiß nicht, ob sie für eine gesetzliche Klärung schon reif ist. Aber eins ist sicher: die Frage der Macht der Verbände im Staat ist überreif, damit geklärt wird, wo ihr Einfluß beginnt und wo er endet. Ein Beitrag dazu ist die Offenlegung der Parteifinanzen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Nur in aller Kürze drei kleine Bemerkungen! Herr Kollege Schmitt aus Vockenhausen, Sie haben mit beredten Worten sich stolz zum Vermögen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands bekannt. Wir beglückwünschen Sie zu diesem Vermögen. Auf Grund dieser Erklärung nehme ich an, daß Sie auch nichts dagegen haben, daß wir die Offenlegung des Vermögens unter Nachweis der Herkunft in den Katalog des § 23 des Gesetzentwurfs einfügen.
— Lassen Sie mich das zu Ende führen! Im Grundgesetz heißt es: Die Parteien haben über die Herkunft ihrer Mittel Auskunft zu geben. Bisher sind die Ausdrücke „Mittel" und „Herkunft der Mittel" nur im Sinne von Zuwendungen, von Finanzen, von Geld, von Schecks interpretiert worden. Nach der beachtlichen Mitteilung, die der Kollege Wacher dem Hause über das Vermögen der Sozialdemokratie, über ihre Druckereien usw., gemacht hat, müssen wir, glaube ich, bei politischer Interpretation des Wortes „Mittel" doch auch die indirekten Mittel erfassen, die der Sozialdemokratischen Partei in Form verbilligter Druckaufträge, nicht in Rechnung gestellter Flugblätter usw. zur Verfügung stehen.
— Das wollen wir prüfen. Ich kann das nicht abschließend für meine Freunde sagen. Ich glaube nach dieser Debatte, daß wir vielleicht doch eine Bestimmung über den Vermögensnachweis aller Parteien in den § 23 aufnehmen sollten.
Diese Debatte hat das Märchen von den reichen und den armen Parteien in ein anderes Licht gebracht. Ich glaube, daß wir nun, was die Chancengleichheit der Parteien auf materiellem Gebiet angeht, doch zu einem anderen Aspekt in der öffentlichen Diskussion kommen werden.
Auch zum zweiten Punkt will ich nur in aller Kürze etwas sagen. Herr Kollege Schmitt, Sie haben hier den Fall Agartz erneut geschildert. Ich habe Ihnen sehr sorgfältig zugehört. Sie haben sehr viele Worte, zum Teil auch ein paar laute Worte, ge-
Dr. Barzel
braucht; den Sachverhalt selbst aber haben Sie nicht bestritten.
Das war das Interessante an Ihren Ausführungen.
Nun ein dritter Punkt, den ich noch behandeln möchte. Ein Teil meiner Freunde ist der Auffasssung, daß man einen Satz aus dem bekannten Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichtes vom 24. Juni 1958, das auch Herr Kollege Schmitt hier angeführt hat, im Gange der Gesetzgebungsarbeit sehr sorgfältig prüfen sollte; ich darf ihn, mit Genehmigung des Herrn Präsidenten, verlesen:
Da die Abhaltung von Wahlen eine öffentliche Aufgabe ist und den Parteien bei der Durchführung dieser öffentlichen Aufgabe von Verfassungs wegen eine entscheidende Rolle zukommt, ist es zulässig, nicht nur für die Wahlen selbst, sondern auch für die die Wahlen tragenden politischen Parteien finanzielle Mittel von Staats wegen zur Verfügung zu stellen.
Wir glauben, daß man diesen Satz im Zusammenhang mit dem § 8 sehr sorgfältig prüfen sollte. Wir alle sind keine Freunde etwa einer Vollfinanziereng der politischen Parteien durch den Staat. Aber es gibt eine Reihe von Freunden, die glauben, daß eine Mitfinanzierung sehr wohl vernünftig sein könnte.
Ich habe mich vor allem zum Wort gemeldet, weil ich mich freue über das, was diese Debatte ergeben hat: daß die Chancengleichheit der Parteien auf dem materiellen Gebiet doch nicht so ist, wie bisher in der Öffentlichkeit vermutet wurde.
Meine Damen und Herren, die Rednerliste ist erschöpft. Ich schließe die Aussprache. Ich schlage Ihnen Überweisung des Gesetzentwurfs an den Ausschuß für Inneres vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Die Antragsteller haben beantragt, Punkt 3 der Tagesordnung, das Bundesurlaubsgesetz, abzusetzen. Ich nehme an, daß auch dem nicht widersprochen wird. — Ich stelle das fest.
Wir stehen also am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung auf Mittwoch, den 9. März 1960, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.