Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Parlamentarische Rat hat dem Bundestag eine Reihe von Aufträgen hinterlassen. Von ihnen sind bis heute zwei unerledigt. Rückständig ist der Auftrag aus Art. 26, nämlich die Strafbarkeit derjenigen Handlungen zu definieren, die das friedliche Zusammenleben der Völker stören. Es dürfte an der Zeit sein, auch diesen Auftrag jetzt endlich anzufassen.
Dr. Dr. Heinemann
Rückständig ist ferner der Auftrag aus Art. 21, über den wir heute sprechen. Diese beiden rückständigen Aufträge sind der Mehrheit dieses Hauses offenbar unsympathisch gewesen. Aber es sind nun einmal Aufträge der Verfassung.
Herr Dr. Schröder hat mit Recht daran erinnert, daß die Bearbeitung des Auftrags aus Art. 21 vor zehn Jahren einsetzte. Ich habe damals im Bundesinnenministerium den Sachbearbeiter für diese Aufgabe bestellt und selber die ersten Gespräche mit Vertretern der Parteien über ein Parteiengesetz geführt. Aber dann hat sich das Tempo der Bearbeitung dieses Auftrags ungewöhnlich verlangsamt, obwohl es, wie Herr Dr. Schröder mit Recht sagte, um ein wichtiges Ergänzungsstück zu unserer Verfassungsordnung geht und hier endlich das letzte Glied verfassungsrechtlicher Gesetzgebung bewältigt werden soll.
Herr Dr. Schröder, Sie haben uns drei Begrenzungen vorgetragen, von denen aus Sie an die Vorlage des Parteiengesetzes herangegangen sind. Sie haben davon gesprochen, daß der traditionelle Charakter der Parteien gewahrt werden solle und daß es nicht darauf ankomme, eine Idealtypik zu entwickeln. Nun, mit diesem Ihrem Vortrag zu diesen drei Markierungen sind wir sicherlich weitgehend einverstanden, aber dann bitte die Frage, sehr verehrter Herr Dr. Schröder: was soll der § 2 in dem Gesetz? Der geht doch gerade auf eine Idealtypik der Parteien hinaus. Oder ist der § 2 lediglich deshalb so voluminös aufgebaut, um den einen Kernsatz nicht gar zu schnell hervortreten zu lassen, daß die Parteien „gemeinnützigen Zwecken" dienen, noch deutlicher gesagt: daß bei ihnen alles steuerfrei sein soll? Auf diesen Punkt komme ich noch einmal zurück.
Sie haben mit Recht davon gesprochen, Herr Dr. Schröder, daß es in dem Entwurf um zwei Kernstücke geht: innere Ordnung und Finanzierungsprobleme. Was die innere Ordnung anlangt, so sind wir mit Ihnen sicherlich weitgehend übereinstimmender Meinung, nämlich: es gilt, das innere demokratische Leben der Parteien zu gewährleisten, es gilt abzuwehren, daß sich Oligarchien verfestigen und daß sich Parteidiktaturen interner Art zu entwickeln vermögen. Aber, Herr Dr. Schröder, wenn man solche Vorhaben verfolgen will, darf man den Grundsatz der Vertragsfreiheit oder, wie Sie es genannt haben, der Organisationsfreiheit nicht unbegrenzt gelten lassen. Wir haben von der SPD aus ernsteste Bedenken z. B. gegen den § 13 Abs. 3 Ihrer Vorlage, nach dem es zulässig sein soll, in Vorstandsgremien, also in willensbildenden oder willenstragenden Organen der Parteien, kraft Satzung Amtsträger oder Vertreter von Sonderorganisationen, Nebenorganisationen usw. zuzulassen, und das sogar bis zu einem Drittel der Gesamtmitgliederzahl solcher Organe, mit beratender Stimme sogar bis zur Hälfte. Wir warnen vor einer solchen Ausweitung der sogenannten Organisationsfreiheit. Im Vordergrund muß bleiben, daß die Willensbildung sich von den Mitgliedern aus, von unten nach oben, entwickelt und nicht vorweggenommene Fixierungen von Positionen Platz greifen.
Nun zu dem Kapitel Rechenschaftslegung. Da sind wir in der Tat bei dem neuralgischen Kapitel unserer differenten Meinungen. Herr Dr. Schröder, Sie haben unter anderem die zehnjährigen Bemühungen um diese Vorlage damit begründet, daß es gut gewesen sei, erst noch weitere Erfahrungen zu sammeln. Nun, der Parlamentarische Rat hatte Erfahrungen, nicht nur in bezug auf eine NSDAP, sondern z. B. auch auf eine Harzburger Front, z. B. auch auf die Durchdringung verschiedenster Weimarer Parteien mit dem anonymen Geld. Es bedurfte nicht neuer Erfahrungen.
Aber nun sind zehn Jahre, wie Sie sagen, neue Erfahrungen gemacht worden. Was haben diese zehn Jahre erbracht? Sie haben gar nichts anderes erbracht als die alte Erfahrung, nämlich: Geld kauft Macht.
Diese Erfahrung ist eine schlechthinnige Erfahrung, und, verehrte Damen und Herren von der CDU, wir verwahren uns nachdrücklich dagegen, daß die angebliche Stoßrichtung des Art. 21 so interpretiert wird oder, wie ich sagen muß, so verändert wird, wie es uns heute vorgetragen worden ist. Die Stoßrichtung des Art. 21 ist keineswegs, ausschließlich Verfassungsfeinde zu treffen. Das ist ein ganz kardinaler Irrtum! Sondern die Stoßrichtung des Art. 21 ist ganz schlechthin und uneingeschränkt, jede Verfälschung der Demokratie zu treffen, auch eine Verfälschung inmitten der demokratischsten Parteien in bezug auf eine Durchsetzung mit Interessentenvertretern und all dergleichen mehr. Gerade darüber haben uns ja die weiteren zehn Jahre nach dem Parlamentarischen Rat wiederum Erfahrungen bereitet. Nutzt die Vorlage diese Erfahrungen? Im Gegenteil, hier ist viel Filigranarbeit darauf verwendet worden, den Schleiertanz fortführen zu können, der hier so beliebt ist.
Der Auftrag, der von Art. 21 her gesetzt ist, wird mit dieser Vorlage weithin nur formal erfüllt, aber nicht sachlich. Mein Gesamturteil über diese Vorlage ist dies, daß bei einem äußerlich sehr sauberen Perfektionismus im Kernstück eine Verfälschung des Auftrags aus Art. 21 betrieben wird.
Das Kernstück des Auftrags aus Art. 21 ist die Verhinderung dessen, daß anonymes Geld politische Parteien infiltriert. Verehrte Damen und Herren, waren wir uns darüber nach 1945 nicht einig? Ich denke, wir waren uns absolut darüber einig. Ich begnüge mich, zur Erinnerung eine Rede ins Gedächtnis zurückzurufen, die der Herr Bundeskanzler im März 1946 vor den Kölner Studenten gehalten hat.
— Ja, da war ich noch in der CDU. Ich habe sogar diese Rede aufbewahrt, weil sie mir außerordentlich richtig erschien. Diese Rede ist sogar auch heute noch als eine Drucksache der rheinischen CDU
Dr. Dr. Heinemann
irgendwo erhältlich, vielleicht mittlerweile aber nur noch aus dem Giftschrank der CDU unter den Geheimdokumenten.
In dieser Rede vor den Kölner Studenten hat sich der Herr Bundeskanzler sehr dagegen gewehrt, daß es wieder Großkapitalisten geben dürfe, daß wirtschaftliche Machtzusammenballung stattfinden dürfe, und er hat davon gesprochen, daß keinerlei Machteinflüsse von Großkapitalisten auf das politische Leben stattfinden dürften.
Lesen Sie diese Rede einmal nach!
— Nein, dagegen habe ich gar nichts. Ich möchte lediglich, daß Sie ihn in Erinnerung bekommen und daß Sie diese Grundsätze erfüllen!
Die Erfahrungen, die damals unter uns allen vorlagen und in deren Auswertung wir einig waren, bezogen sich, jawohl, bezogen sich unter anderem auch auf die NSDAP. Bekannt war, daß Thyssen und Kirdorf hier kräftig mitgespielt hatten, aber auch andere. Ich habe hier die Aufzeichnungen von Ernst Pönsgen aus dem Juni 1945 zu dem Thema „Hitler und die Ruhrindustriellen" in der Hand. Pönsgen war bei den Vereinigten Stahlwerken ein großer Mann, er war der Vorsitzende des Vereins der Eisen- und Stahlindustriellen, der Arbeitgeber Nord-West usw. Er hat in diesen Aufzeichnungen aus dem Juni 1945 alles daran gewendet, darzulegen, daß die Ruhrindustriellen sehr harmlose Leute in bezug auf die Finanzierung der NSDAP gewesen seien. Aber so einige Dinge muß auch er selber einräumen, u. a., daß von der Wirtschaft die sogenannte Adolf-Hitler-Spende aufgebracht wurde, und zwar, um die SA der NSDAP zu finanzieren, Herr Dr. Schröder, die SA der NSDAP zu finanzieren.
— Herr Dr. Schröder, nachdem Sie vorhin hier gesagt haben, — —
— Verehrte Damen und Herren, Sie müssen sich in der Tat daran gewöhnen,
daß ich Sie immer wieder an das erinnere, was Sie 1945 und in den ersten Jahren nach dem Kriege gesagt haben.
Damals ist eine große Auseinandersetzung darüber geführt worden, inwieweit das Rheinisch-Westfälische Kohlensyndikat an der Finanzierung von Parteien usw. beteiligt gewesen sei.