Protokoll:
17170

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 17

  • date_rangeSitzungsnummer: 170

  • date_rangeDatum: 23. März 2012

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 10:30 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 14:35 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/170 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 170. Sitzung Berlin, Freitag, den 23. März 2012 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 26: Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Richard Pitterle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Wer Schulden bremsen will, muss Millio- näre besteuern (Drucksache 17/8792) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Olav Gutting (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Poß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Daniel Volk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 27: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Agrarpolitischer Bericht 2011 der Bun- desregierung (Drucksache 17/5810) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem An- trag der Abgeordneten Cornelia Behm, Ulrike Höfken, Friedrich Ostendorff, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Klima- bilanz im Ackerbau verbessern (Drucksachen 17/2487, 17/4888 Buch- stabe b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Heinz Paula, Dr. Wilhelm Priesmeier, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Kleingruppenhaltung für Legehennen end- gültig beenden (Drucksache 17/9028) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verordnung zur Kleingruppenhaltung unverzüglich in Kraft setzen (Drucksache 17/9035) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . . Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . Alexander Süßmair (DIE LINKE) . . . . . . . . . 20087 A 20087 B 20089 A 20091 A 20091 B 20094 B 20095 D 20096 D 20098 C 20100 A 20100 C 20102 B 20103 B 20105 A 20105 A 20105 B 20105 B 20105 C 20107 C 20109 B 20110 B 20111 B Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2012 Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU) . . . . . . Alexander Süßmair (DIE LINKE) . . . . . . . Heinz Paula (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Edmund Peter Geisen (FDP) . . . . . . . . . . Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Röring (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 28: Antrag der Abgeordneten Stephan Kühn, Sven-Christian Kindler, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verlässliche Finanzierung des öffentlichen Personen- nahverkehrs – Fortführung der Kompen- sationsmittel nach dem Entflechtungsge- setz (Drucksache 17/8918) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antje Tillmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Sören Bartol (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Lutze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 29: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – zu dem Antrag der Abgeordneten Christel Humme, Caren Marks, Petra Crone, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Entgeltgleichheit zwischen Män- nern und Frauen gesetzlich durchsetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Lazar, Kerstin Andreae, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Frauen verdienen mehr – Gleichstellung ist Innovationspolitik (Drucksachen 17/5038, 17/4852, 17/5821) . . Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) . . . . Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicole Bracht-Bendt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicole Bracht-Bendt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Yvonne Ploetz (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katharina Landgraf (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Christel Humme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg von Polheim (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20112 D 20113 C 20114 D 20116 B 20117 D 20118 D 20119 D 20121 C 20121 D 20122 D 20124 C 20126 A 20127 D 20129 A 20129 B 20131 B 20133 A 20134 A 20134 B 20134 C 20135 D 20136 D 20138 B 20140 A 20141 C 20143 A 20144 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2012 20087 (A) (C) (D)(B) 170. Sitzung Berlin, Freitag, den 23. März 2012 Beginn: 10.30 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2012 20143 (A) (C) (D)(B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bär, Dorothee CDU/CSU 23.03.2012 Barchmann, Heinz- Joachim SPD 23.03.2012** Barnett, Doris SPD 23.03.2012* Blumenthal, Sebastian FDP 23.03.2012 Brinkmann (Hildesheim), Bernhard SPD 23.03.2012 Bülow, Marco SPD 23.03.2012 Bulling-Schröter, Eva DIE LINKE 23.03.2012 Ehrmann, Siegmund SPD 23.03.2012 Ferner, Elke SPD 23.03.2012 Fritz, Erich G. CDU/CSU 23.03.2012* Dr. Fuchs, Michael CDU/CSU 23.03.2012 Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 23.03.2012 Goldmann, Hans- Michael FDP 23.03.2012 Granold, Ute CDU/CSU 23.03.2012 Groschek, Michael SPD 23.03.2012 Groß, Michael SPD 23.03.2012 Dr. Hein, Rosemarie DIE LINKE 23.03.2012 Dr. Hendricks, Barbara SPD 23.03.2012 Hunko, Andrej DIE LINKE 23.03.2012* Dr. h.c. Koppelin, Jürgen FDP 23.03.2012 Kossendey, Thomas CDU/CSU 23.03.2012 Kramme, Anette SPD 23.03.2012 Krischer, Oliver BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 23.03.2012 Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 23.03.2012 Lanfermann, Heinz FDP 23.03.2012 Lay, Caren Nicole DIE LINKE 23.03.2012 Lindner, Christian FDP 23.03.2012 Luksic, Oliver FDP 23.03.2012 Menzner, Dorothée DIE LINKE 23.03.2012 Dr. Middelberg, Mathias CDU/CSU 23.03.2012 Möller, Kornelia DIE LINKE 23.03.2012 Müller (Köln), Kerstin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 23.03.2012 Müller (Aachen), Petra FDP 23.03.2012 Nahles, Andrea SPD 23.03.2012 Nestle, Ingrid BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 23.03.2012 Nietan, Dietmar SPD 23.03.2012 Nord, Thomas DIE LINKE 23.03.2012 Dr. Ott, Hermann E. BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 23.03.2012 Pieper, Cornelia FDP 23.03.2012 Poland, Christoph CDU/CSU 23.03.2012 Dr. Ratjen-Damerau, Christiane FDP 23.03.2012 Sager, Krista BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 23.03.2012 Schaaf, Anton SPD 23.03.2012 Schäfer (Saalstadt), Anita CDU/CSU 23.03.2012 Schieder (Schwandorf), Marianne SPD 23.03.2012 Schlecht, Michael DIE LINKE 23.03.2012 Dr. Schmidt, Frithjof BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 23.03.2012 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 20144 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2012 (A) (C) (D)(B) * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der Union für den Mittelmeerraum Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mit- geteilt, dass sie den Antrag Naturlandschaft Senne schützen – Militärische Nutzung des Truppen- übungsplatzes nach Abzug der Briten beenden auf Drucksache 17/4555 zurückzieht. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Innenausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über den Stand der Ab- wicklung des Fonds für Wiedergutmachungsleistungen an jüdische Verfolgte 2011 – Drucksachen 17/6993, 17/7417 Nr. 1.5 – Finanzausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Maßnahmen der Kreditwirtschaft zur Umstellung bestehender Einzugs- ermächtigungen auf das SEPA-Lastschriftmandat – Drucksache 17/8072 – – Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof Bericht nach § 99 der Bundeshaushaltsordnung zur Ge- winnermittlung nach Durchschnittssätzen bei land- und forstwirtschaftlichen Einkünften gemäß § 13a des Ein- kommensteuergesetzes – Drucksachen 17/8428, 17/8641 Nr. 8 – Verteidigungsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Dritter Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetz Berichtszeitraum 1. Januar 2009 bis 31. Dezember 2010 – Drucksachen 17/8073, 17/8406 Nr. 1.3 – Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Tätigkeit der Verkehrsinfrastruktur- finanzierungsgesellschaft im Jahr 2010 – Drucksachen 17/8331, 17/8641 Nr. 6 – Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – Unterrichtung durch den Deutschen Ethikrat Stellungnahme des Deutschen Ethikrates – Humanbio- banken für die Forschung – Drucksachen 17/2620, 17/3737 Nr. 2 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- ner Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 17/7423 Nr. A.2 EuB-BReg 180/2011 Drucksache 17/7423 Nr. A.3 EuB-BReg 183/2011 Drucksache 17/8515 Nr. A.2 EuB-BReg 195/2011 Drucksache 17/8515 Nr. A.5 EP P7_TA-PROV(2011)0576 Drucksache 17/8515 Nr. A.8 Ratsdokument 18437/11 Drucksache 17/8515 Nr. A.13 Ratsdokument 18726/11 Drucksache 17/8673 Nr. A.1 Ratsdokument 5141/12 Innenausschuss Drucksache 17/8227 Nr. A.8 EP P7_TA-PROV(2011)0459 Drucksache 17/8227 Nr. A.14 Ratsdokument 17620/11 Drucksache 17/8227 Nr. A.15 Ratsdokument 17625/11 Drucksache 17/8426 Nr. A.3 Ratsdokument 17285/11 Drucksache 17/8426 Nr. A.4 Ratsdokument 17287/11 Drucksache 17/8426 Nr. A.5 Ratsdokument 17289/11 Drucksache 17/8426 Nr. A.6 Schwanitz, Rolf SPD 23.03.2012 Seif, Detlef CDU/CSU 23.03.2012 Senger-Schäfer, Kathrin DIE LINKE 23.03.2012 Steinbach, Erika CDU/CSU 23.03.2012 Stracke, Stephan CDU/CSU 23.03.2012 Tressel, Markus BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 23.03.2012 Ulrich, Alexander DIE LINKE 23.03.2012 Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 23.03.2012 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 23.03.2012 Werner, Katrin DIE LINKE 23.03.2012 Dr. Westerwelle, Guido FDP 23.03.2012 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2012 20145 (A) (C) (D)(B) Ratsdokument 17290/11 Drucksache 17/8426 Nr. A.7 Ratsdokument 17790/11 Drucksache 17/8515 Nr. A.14 EP P7_TA-PROV(2011)0577 Drucksache 17/8515 Nr. A.16 Ratsdokument 17627/11 Drucksache 17/8515 Nr. A.18 Ratsdokument 18638/11 Drucksache 17/8856 Nr. A.6 Ratsdokument 6258/12 Sportausschuss Drucksache 17/4927 Nr. A.11 Ratsdokument 5597/11 Finanzausschuss Drucksache 17/4598 Nr. A.14 Ratsdokument 18095/10 Haushaltsausschuss Drucksache 17/8227 Nr. A.24 Ratsdokument 17229/11 Drucksache 17/8426 Nr. A.16 EP P7_TA-PROV(2011)0542 Drucksache 17/8426 Nr. A.19 Ratsdokument 17232/11 Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Drucksache 17/8426 Nr. A.20 EP P7_TA-PROV(2011)0492 Drucksache 17/8426 Nr. A.21 EP P7_TA-PROV(2011)0511 Drucksache 17/8426 Nr. A.22 Ratsdokument 16809/11 Drucksache 17/8426 Nr. A.23 Ratsdokument 16812/11 Drucksache 17/8426 Nr. A.24 Ratsdokument 16821/11 Drucksache 17/8426 Nr. A.25 Ratsdokument 16824/11 Drucksache 17/8426 Nr. A.27 Ratsdokument 17752/11 Drucksache 17/8426 Nr. A.30 Ratsdokument 17881/11 Drucksache 17/8426 Nr. A.32 Ratsdokument 18445/11 Drucksache 17/8673 Nr. A.4 EuB-BReg 10/2012 Drucksache 17/8673 Nr. A.5 Ratsdokument 5225/12 Drucksache 17/8673 Nr. A.6 Ratsdokument 5228/12 Drucksache 17/8673 Nr. A.7 Ratsdokument 5279/12 Drucksache 17/8673 Nr. A.8 Ratsdokument 5491/12 Drucksache 17/8856 Nr. A.9 Ratsdokument 5227/12 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Drucksache 17/8856 Nr. A.12 Ratsdokument 5036/12 Ausschuss für Gesundheit Drucksache 17/8673 Nr. A.13 Ratsdokument 18509/11 Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Drucksache 17/8426 Nr. A.47 Ratsdokument 18633/11 Drucksache 17/8673 Nr. A.14 Ratsdokument 5111/12 Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Drucksache 17/7423 Nr. A.36 EP P7_TA-PROV(2011)0427 Drucksache 17/8227 Nr. A.43 EP P7_TA-PROV(2011)0471 Drucksache 17/8227 Nr. A.44 EP P7_TA-PROV(2011)0474 Drucksache 17/8426 Nr. A.48 EP P7_TA-PROV(2011)0518 Drucksache 17/8515 Nr. A.47 Ratsdokument 18635/11 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 17/7713 Nr. A.35 Ratsdokument 15451/11 Drucksache 17/7713 Nr. A.37 Ratsdokument 15624/11 170. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 26 Besteuerung von Millionären TOP 27, ZP 9, 10 Agrarpolitik TOP 28 Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs TOP 29 Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern Anlagen
Gesamtes Protokol
Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717000000

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich rufe den Tages-
ordnungspunkt 26 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara
Höll, Dr. Axel Troost, Richard Pitterle, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Wer Schulden bremsen will, muss Millionäre
besteuern

– Drucksache 17/8792 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die
Fraktion Die Linke der Kollege Dr. Gregor Gysi.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Die FDP ist aber toll vertreten!)



Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717000100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die

FDP ist beim Thema Vermögensteuer wirklich reichlich
vertreten. Das liegt an der inneren Ablehnung, die da
herrscht.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ich habe gehört, dass Sie zu den Millionären gehören!)


Vor 15 Jahren wurde die Vermögensteuer ausgesetzt.
Das Bundesverfassungsgericht hatte entschieden, dass
die unterschiedliche Bewertung von Geldvermögen und
Grundvermögen nicht zulässig sei. Dieser Fehler sollte
korrigiert werden. Er ist nicht korrigiert worden. So lief
dann die Erhebung der Vermögensteuer aus. Wir treten
ganz energisch für eine Wiedererhebung ein.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Ungleichheit der Vermögensverteilung ist durch
massive Umverteilung von unten nach oben immer grö-

ßer geworden, nicht nur in Deutschland, aber auch in
Deutschland. Ich nenne einmal ein Beispiel: Der VW-
Chef Martin Winterkorn bezieht ein Jahreseinkommen
von 17,5 Millionen Euro.


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Dafür zahlt er Steuern!)


Das ist etwa das Doppelte von dem, was Herr
Ackermann verdient. Da darf man sich als Erstes die
Frage erlauben, ob er wirklich doppelt so viel arbeitet
wie Herr Ackermann. Aber jetzt kommt das Entschei-
dende: Er verdient das Tausendfache eines Leiharbeiters
bei VW. Ich frage Sie: Glauben Sie im Ernst, dass er das
Tausendfache leistet? Auch sein Tag hat nur 24 Stunden.


(Beifall bei der LINKEN)


Das heißt, das Ganze wird unvermittelbar.

Das Nettovermögen hier in Deutschland – Geld und
Immobilien – belief sich 2011 auf 8,2 Billionen Euro.
Das reichste Zehntel unserer Bevölkerung besitzt davon
61 Prozent; das sind 5 Billionen Euro. Die untersten
70 Prozent – was heißt hier eigentlich „untersten“? – be-
sitzen unter 9 Prozent des Nettovermögens. Bei uns le-
ben jetzt 830 000 Euro-Vermögensmillionäre; vor drei
Jahren waren es 720 000. Das heißt, während der Krise
ist die Zahl der Vermögensmillionäre um 110 000 gestie-
gen. Sie müssen der Bevölkerung einmal erklären, wes-
halb die Bevölkerung arm wird, aber die Vermögensmil-
lionäre immer mehr und auch noch reicher werden.


(Beifall bei der LINKEN – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Die gehören auch zur Bevölkerung!)


Diese 830 000 Vermögensmillionäre in Deutschland
haben ein Gesamtvermögen von 2,2 Billionen Euro. Das
ist mehr als die Gesamtverschuldung des Bundes, der
Länder und der Kommunen, die bei nur 2 Billionen Euro
liegt.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Spitzenvergleich!)


Theoretisch könnte man das ausgleichen – das fordern
wir gar nicht –, aber eine angemessene Vermögensteuer





Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)


ist doch wohl das Mindeste, was man in diesem Zusam-
menhang leisten muss.


(Beifall bei der LINKEN)


Unsere Milliardäre – es sind übrigens knapp über 100 –
haben ein Vermögen von 300 Milliarden Euro; das deckt
unseren gesamten Bundeshaushalt ab.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber nur einmal!)


Ihr Vermögen steigt seit 2003 jährlich um 10 Prozent.
Für den öffentlichen Dienst verlangt Verdi nun eine
Lohnsteigerung von 6,5 Prozent. Und Sie sagen, das sei
unbezahlbar? Ich halte das in Anbetracht dieser Tatsa-
chen für eine Unverschämtheit.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Unternehmens- und Vermögenseinkommen stie-
gen seit 2000 um knapp 31 Prozent. Die Reallöhne fielen
in den letzten Jahren, bis 2010, um 4,5 Prozent, im Nie-
driglohnbereich sogar um bis zu 19 Prozent. Diese Um-
verteilung – das muss man klipp und klar sagen – haben
SPD und Grüne, dann Union und SPD und jetzt Union
und FDP organisiert, indem die Reichen steuerlich privi-
legiert wurden. Ich nenne Ihnen einige Beispiele: Aus-
setzung der Vermögensteuer 1997, Senkung des Spitzen-
steuersatzes der Einkommensteuer von 53 Prozent auf
42 Prozent. Früher musste man für Zins- und Kapitalein-
künfte Einkommensteuer bezahlen, das heißt, bei hohen
Einkünften 53 Prozent und dann abgesenkt wenigstens
42 Prozent. Auch das wurde nicht gehalten. Man hat für
solche Einkünfte die Abgeltungsteuer in Höhe von
25 Prozent eingeführt.

Es gibt einen Verein, in Hamburg gegründet, mit über
40 Mitgliedern – alles Vermögensmillionäre. Dieser Ver-
ein blamiert die Bundesregierung, indem er regelmäßig
fordert, endlich wieder Vermögensteuer bezahlen zu dür-
fen. Das müssen Sie sich einmal überlegen: Da setzen
sich über 40 Vermögensmillionäre zusammen und for-
dern das, und die Regierung sagt: Um Gottes willen!


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Nennen Sie doch einmal Fakten!)


– Ich will Ihnen ein Mitglied nennen: Peter Vollmer. Er
hat gesagt, dass er für seine verzinslichen Papiere und
Sparguthaben unter Kohl 53 Prozent bezahlen musste,
jetzt nur noch 25 Prozent. Er – nicht ich! – bezeichnete
Deutschland als ein Niedrigsteuerland für Reiche. Das
ist die Tatsache, mit der wir es zu tun haben!


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Skandal!)


Würden noch die Steuergesetze gelten, die unter Kohl
galten, hätten wir jährlich Mehreinnahmen von 51 Mil-
liarden Euro.

Es gibt noch einen zweiten Grund. Die Konzentration
auf immer größere Vermögen hat die maßlose Spekula-
tion und die Jagd nach immer höheren Renditen beflü-
gelt. Vermögende konsumieren nicht mehr, sie investie-
ren auch nicht mehr, wenn sie glauben, einfach durch
Spekulation aus Geld mehr Geld machen zu können.
Nur: Jemand muss das bezahlen. Diese Illusion ist zer-
platzt und hat zur bisher schwersten Finanzkrise geführt.

Um die maroden Banken und Hedgefonds zu retten,
mussten sich die Staaten immer höher verschulden. Wer
kommt für die Verluste auf? Die Steuerzahlerinnen und
Steuerzahler! Wir haben einen Rettungsschirm für die
Banken in Höhe von 480 Milliarden Euro. Sie kennen
die europäischen Rettungsschirme. Hier haftet Deutsch-
land mit Bürgschaften und für Risiken in einer Gesamt-
höhe von 280 Milliarden Euro. Wer haftet letztlich da-
für? Wer bezahlt das Ganze? Die Lohnabhängigen, die
Rentnerinnen, die Arbeitslosen, die Handwerker und die
kleinen und mittelständischen Unternehmer! Die Vermö-
genden bleiben ungeschoren.

Die Banken kennen überhaupt kein Risiko mehr; Pro-
fite verteilen sie, und Verluste werden den Steuerzahle-
rinnen und Steuerzahlern auferlegt. Das verletzt sogar
das Eigentumsrecht; denn man haftet auch für die Ver-
luste seines Eigentums. Nicht einmal das kriegen Sie ge-
backen!


(Beifall bei der LINKEN)


Deswegen sage ich Ihnen immer wieder: Die großen
Banken müssen verkleinert und öffentlich-rechtlich ge-
staltet werden.

Frau Merkel kennt beim Schuldenabbau immer nur
eine Medizin, nämlich Ausgabenkürzungen und Schul-
denbremse. Warum kommen Sie eigentlich nie auf die
Idee, die Einnahmen zu erhöhen? Das wäre doch eine
selbstverständliche, zumindest zweite Methode.


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Aber Gott sei Dank kommen Sie auf die Idee!)


Aber das tun Sie nicht; denn dann müssten Sie sich ein-
mal mit der Privilegierung und der Verhätschelung der
Vermögensbesitzer auseinandersetzen


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Allerdings!)


und sagen: Wir treiben das nicht weiter. – Es wäre viel-
leicht höchste Zeit.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich erinnere noch einmal daran: Nachdem Sie all das
gemacht haben, sagen Sie den Beschäftigten im öffentli-
chen Dienst: 6,5 Prozent Lohnerhöhung ist zu viel. –
Dieser Grad der Ungerechtigkeit ist nicht vermittelbar.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Volker Wissing [FDP]: Wer sagt das denn, Herr Gysi?)


– Der Bundesinnenminister.

Wir brauchen eine Vermögensteuer von 5 Prozent
– da sehen Sie mal, wie radikal unsere Forderung ist –
auf Privatvermögen, das über 1 Million Euro liegt.


(Lachen des Abg. Olav Gutting [CDU/CSU])


Mein Gott, davon ginge doch die Welt nicht unter! Aber
es brächte uns steuerliche Mehreinnahmen von jährlich
80 Milliarden Euro, die wir sehr sinnvoll für Bildung,
Kultur und soziale Gerechtigkeit ausgeben könnten.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich sage Ihnen zum Schluss: Wer hier kein Stück Ge-
rechtigkeit einführt – wer unseren Antrag also ablehnt –,





Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)


macht sich mit sozialen Forderungen, mit Forderungen
nach mehr Bildung und nach mehr Kultur restlos un-
glaubwürdig.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717000200

Das Wort hat der Kollege Olav Gutting für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Olav Gutting (CDU):
Rede ID: ID1717000300

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Verehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Die Fraktion Die Linke fordert zum
wiederholten Mal,


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das stimmt!)


zuletzt war es, glaube ich, 2010, die Wiedereinführung
der Vermögensteuer, und wir werden den Antrag auch
dieses Mal wieder aus guten Gründen zurückweisen.


(Beifall des Abg. Dr. Volker Wissing [FDP] – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Weil ihr die Lobby der Millionäre seid!)


Eine Steuererhöhungsmaßnahme mit Einnahmen – Sie
haben es vorhin gesagt – von jährlich 80 Milliarden Euro
zerschlägt Leistungsanreize und ist schädlich für unsere
Volkswirtschaft.


(Beifall bei der FDP – Zurufe von der LINKEN: Oh! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Es kommen mir die Tränen!)


Mit der von Ihnen geforderten massiven Substanzbe-
steuerung – und das ist es – werden die Investitionen zu-
rückgehen, eine Kapitalflucht wird einsetzen, Wachstum
wird zerstört, und Arbeitsplätze werden verschwinden.
Das ist für uns kein gangbarer Weg.

Es geht Ihnen in Wirklichkeit auch nicht um die
Rückführung der Staatsverschuldung.


(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Na, na, na!)


Sie wollen die Schulden nicht bremsen; denn Sie planen
an anderer Stelle in Ihren Programmen Ausgaben, die
diese Einnahmen aus der Vermögensteuer um ein Vielfa-
ches übertreffen.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Nein!)


Linke Politik, meine Damen und Herren, bedeutet immer
mehr Schulden. Das sehen wir gerade auch in Nord-
rhein-Westfalen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Und eure Politik bedeutet mehr Geld für Millionäre!)


Worum es Ihnen hier geht, ist: Sie wollen enteignen,


(Zurufe von der LINKEN: Oh! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das macht ihr doch!)


Sie wollen umverteilen, und Sie bedienen hier Neidkom-
plexe. Staatsfinanzen nachhaltig konsolidieren und
Schulden bremsen, das funktioniert anders. Hierzu

braucht man eine gesunde und starke Wirtschaft sowie
eine hohe Beschäftigungsquote.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Und staatliche Einnahmen!)


Dazu, meine Damen und Herren, muss man dem Steuer-
zahler so viel belassen, dass es auch noch einen Leis-
tungsanreiz gibt. Man muss ihm so viel belassen,


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Den Normalverdienern!)


dass sich Leistung auch lohnt. Deshalb haben wir hier
auch unseren Vorschlag zum Abbau der kalten Progres-
sion eingebracht.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Lobby für Millionäre seid ihr!)


Allein im letzten Jahr sind die Steuereinnahmen um
40 Milliarden Euro gestiegen. 2013 werden wir in
Deutschland aller Voraussicht nach die Schallmauer von
über 600 Milliarden Euro Steuereinnahmen durchbre-
chen. 2013 über 600 Milliarden Euro Steuereinnahmen!


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wo ist das Problem?)


Wenn die Konjunktur weiter so gut läuft – dafür arbeiten
wir hier –, dann ist es machbar, dass wir schon 2014
überhaupt keine Neuverschuldung mehr haben werden.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In diesem Jahr! – Manfred Zöllmer [SPD]: Der Finanzminister will das aber nicht!)


Es ist einfach ein steuerliches Naturgesetz, dass eine
zu hohe Steuerlast letztendlich dazu führt, dass insge-
samt weniger Steuern eingenommen werden.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch völliger Unsinn!)


Großbritannien hat das gerade erkannt und senkt den vor
kurzem angehobenen Spitzensteuersatz jetzt wieder ab.
Man hat gemerkt, dass ein hoher Spitzensteuersatz so
gut wie gar nichts für die Haushaltskonsolidierung bringt
und stattdessen Investoren abschreckt. Nur für Sie von
den Linken ist diese Regel anscheinend immer noch un-
interessant. Für Sie ist diesbezüglich die Erde immer
noch eine Scheibe.

Ihr Vorhaben einer Vermögensteuer mit 5 Prozent pro
Jahr zehrt die betroffenen Steuerzahler aus.


(Lachen bei der LINKEN)


Sie wollen – das sagen Sie ganz ehrlich – mit dieser
Steuer enteignen. Da sagen Sie ganz lapidar: Ja, was
wollen Sie denn eigentlich? Denen bleibt doch noch
1 Million.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Mehr! Viel mehr! – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Vom Rest 95 Prozent! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wir gehen sammeln!)






Olav Gutting


(A) (C)



(D)(B)


Und 1 Million Euro ist für die meisten Menschen in
Deutschland – und auch für mich – richtig viel Geld.

Wenn man den Millionären – die im Übrigen, Herr
Gysi, auch zu unserer Bevölkerung gehören; das ist
keine andere Volksgruppe –


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: So wollen wir sie auch besteuern! Weil sie zu uns gehören, wollen wir sie besteuern!)


1 Million Euro belässt, werden die in der Tat dadurch
nicht arm. Diese Menschen werden dann aber nicht mehr
lange in diesem Lande sein. Sie werden dieses Land
ziemlich schnell verlassen, und dieses Land wird dann
ziemlich schnell auch ziemlich arm werden.


(Beifall bei der FDP)


Schauen wir uns Ihren Vorschlag einmal ganz genau
an.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717000400

Kollege Gutting, gestatten Sie eine Frage oder eine

Bemerkung des Kollegen Gysi?


Olav Gutting (CDU):
Rede ID: ID1717000500

Ich komme gleich dazu, glaube ich. Lassen Sie uns

erst einmal den Vorschlag ganz genau anschauen.

Sie fordern eine jährliche Besteuerung in Höhe von
5 Prozent des gesamten Geld-, Immobilien- und Sach-
vermögens von über 1 Million Euro. Diese Steuer soll
völlig unabhängig davon erhoben werden, ob aus diesem
Kapital ein Ertrag erwächst oder ob der Steuerzahler da-
mit vielleicht auch Verluste macht.

Die durchschnittliche Rendite bei Immobilienvermö-
gen liegt derzeit deutlich unter 5 Prozent. Die Rendite
bei Bundesschatzbriefen liegt bei ungefähr 1 Prozent,
bei Festgeld, bei Tagesgeld weit unter 3 Prozent. Nach
Zahlung sämtlicher Ertragsteuern, die wir zusätzlich ha-
ben – die Wirkung der Geldentwertung, der Inflation
muss auch noch berücksichtigt werden –, soll dann das
gesamte den Freibetrag übersteigende Vermögen noch
einmal mit 5 Prozent zusätzlich besteuert werden,


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Woher kommt denn die jährliche Steigerung von 10 Prozent? – Christian Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Das ist Enteignung!)


völlig unabhängig davon, ob daraus Gewinn entsteht
oder nicht. Wer, bitte, soll dann – das ist die Frage – in
Deutschland noch investieren?


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Bei euch ist eins und eins sieben!)


Wer soll in Immobilien investieren? Wer soll in bezahl-
baren Wohnraum investieren, wenn aufgrund dieser Ver-
mögensteuer ein jährlicher Verlust vorprogrammiert ist?

Gerade die Mietimmobilien für sozial Schwache wer-
den mit dieser Vermögensteuer verkommen, weil keiner
mehr investiert. Noch gravierender ist: Es wird, es muss
sogar zu gravierenden Mieterhöhungen kommen, damit
diese Vermögensteuer bedient werden kann.


(Beifall bei der FDP – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Mieterhöhungen haben wir auch ohne Steuer!)


Gerade Sie von der ehemaligen PDS müssten es doch
besser wissen. Sie haben in der DDR das Prinzip des real
existierenden Sozialismus gehabt.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Und Mieterhöhungen?)


Was ist passiert? Es wurde nicht mehr in den Wohnraum
investiert. Wohnraum verknappt, Wohnraum verkommt.
Sie haben das doch 40 Jahre lang in der DDR erlebt.
Lassen Sie also die Finger von der Wiedereinführung der
Vermögensteuer! Nicht ohne Grund wird ab 2013 von
den EU-15-Staaten nur noch Frankreich die Vermögen-
steuer erheben. Auch dort wird sie – das wird man bald
sehen – keine Zukunft haben.

Es gibt noch andere wichtige Argumente. Die Verwal-
tungskosten für diese Steuer beliefen sich bei ihrer Erhe-
bung in der Vergangenheit auf ungefähr ein Drittel der
Einnahmen.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das stimmt nicht! 8 Prozent nach Angaben des Ministeriums in NRW!)


Sie betrugen damals das Fünffache der Erhebungskosten
für die Lohnsteuer, und sie betrugen das Sechsfache der
Erhebungskosten für die Körperschaftsteuer.

Wenn Sie eine verfassungsgemäße Vermögensteuer
haben wollen, dann brauchen Sie eine kontinuierliche
und gegenwartsnahe Bewertung der Vermögen.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Wie bei der Erbschaftsteuer!)


Diese gegenwartsnahe und kontinuierliche Bewertung
bedeutet einen enormen Bürokratieaufwand. Das wird
zu enormen Kosten führen.


(Katrin Kunert [DIE LINKE]: Eine enorm langweilige Rede!)


Das ist eine Mammutaufgabe für die öffentliche Verwal-
tung, für die Finanzverwaltung und für die Gerichte. Wie
wollen Sie verfassungssicher zwischen Privatvermögen
und Betriebsvermögen trennen? Diese Frage können Sie
nicht beantworten. Es ist völlig klar, dass dann Steuerge-
staltung und Steuerflucht ins Ausland vorprogrammiert
sind.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie bei der Erbschaftsteuer!)


Die Vermögensteuer, wie Sie sie einführen wollen,
schädigt die Volkswirtschaft. Sie ist investitionsfeind-
lich. Sie ist bürokratisch und teuer. Sie ist unsozial ge-
genüber Mietern. Sie führt zu Steuerflucht und zu
Arbeitslosigkeit. Sie wird mittel- und langfristig beim
Staatshaushalt zu wegbrechenden Steuereinnahmen füh-
ren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)






Olav Gutting


(A) (C)



(D)(B)


Genau deswegen können wir diesem Antrag nicht zu-
stimmen. Genau deswegen werden wir ihn wieder und
wieder ablehnen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717000600

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Joachim

Poß das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1717000700

Ich muss jetzt erst einmal drei Minuten warten, bis

das Rednerpult heruntergefahren ist. – Man kann auch
an einem niedrigen Pult auf einer gewissen geistigen
Höhe argumentieren.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Den Anspruch müssen Sie jetzt noch erfüllen!)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber
Kollege Gutting, ich glaube, mit sozialer Ignoranz kann
man die Spaltung in unserer Gesellschaft, die man leider
konstatieren muss, nicht überwinden.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben einen Beleg dafür geliefert, wohin diese Igno-
ranz führt. Dass Sie das, was Ihnen nicht passt, einfach
zur Seite schieben, das verstehen, glaube ich, selbst die
CDU-Wähler nicht mehr. Auch die verstehen die Welt
nicht mehr. Das merke ich, wenn ich mit Leuten disku-
tiere, von denen ich weiß, dass sie nicht unbedingt meine
Partei wählen.

Warum der VW-Chef – das ist überhaupt keine Diffa-
mierung der betreffenden Person – ein Gehalt von mehr
als 17 Millionen Euro erhält, das verstehen die Men-
schen einfach nicht, wie auch immer das begründet wird.


(Olav Gutting [CDU/CSU]: Darum geht es doch aber hier nicht, Herr Kollege!)


Ich sage Ihnen: Die Menschen haben recht. Das ist nicht
mehr zu verstehen!


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein so hohes Gehalt muss nicht sein. Das ist gestaltbar.
Auch viele Unternehmer, zum Beispiel der Chef von
Continental, fragen sich inzwischen öffentlich, ob so
hohe Manager- und Vorstandsgehälter überhaupt zu
rechtfertigen sind.


(Olav Gutting [CDU/CSU]: Was hat das mit der Vermögensteuer zu tun?)


– Es gibt Zusammenhänge mit dem Thema, über das wir
hier diskutieren. – Dabei geht es – das ist interessant –
nicht nur um die Relation zu den Gehältern der „einfa-
chen“ Arbeitnehmer.


(Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717000800

Kollege Poß, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-

kung des Kollegen Wissing?


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1717000900

Aber gerne.


(Zurufe von der FDP)


– Herr Wissing sitzt daneben. Er spricht ja gleich. Er
kann seine Rede aber auch in eine Zwischenfrage pa-
cken. Das reicht dann auch.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717001000

Entschuldigung. Ich habe das vorweggenommen. Die

Arbeitsteilung bei der FDP wollen wir natürlich respek-
tieren. – Bitte.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1717001100

Die Arbeitsteilung funktioniert. – Herr Kollege Poß,

weil Sie uns eine Frage bezüglich der Höhe der Vergü-
tungen, die bei VW gezahlt werden, gestellt haben, frage
ich: Stimmen Sie mir zu, dass das ein mitbestimmtes
Unternehmen ist?


(Zuruf von der LINKEN: Das Argument hatten wir gestern schon!)


Stimmen Sie mir zu, dass solche Fragen natürlich auch
im Aufsichtsrat dieses mitbestimmten Unternehmens be-
handelt werden? Wie können Sie sich erklären, dass die
Vertreter der Gewerkschaften solchen aus Ihrer Sicht
überzogenen Gehältern zustimmen? Das würde mich in-
teressieren.


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1717001200

Lieber Kollege, auf diese Frage wollte ich gleich zu

sprechen kommen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dann können Sie es jetzt ohne Anrechnung auf die Redezeit tun!)


Diese Frage ist Gegenstand meiner weiteren Ausführun-
gen. Ich will Ihnen jetzt gern den Kern erläutern: Allein
über Änderungen der Besteuerung schaffen wir nicht die
soziale Akzeptanz, die wir für unsere soziale Marktwirt-
schaft benötigen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aha!)


Dazu bedarf es weiterer Maßnahmen. Als ein Beispiel
wollte ich die Begrenzung von Vorstands- und Manager-
gehältern – dies war in den letzten Jahren schon des Öf-
teren Gegenstand der Debatten hier im Hause – nennen.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Genau! – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Hätten Sie einmal dem Bundespräsidenten zugehört! Der spricht von der Freiheit!)






Joachim Poß


(A) (C)



(D)(B)


Ich werde Ihnen erläutern, wie man das machen kann.
Dazu bedarf es, ob bei Volkswagen oder woanders, nicht
nur der Mitwirkung der Aktionäre, der Eigentümer, son-
dern – da haben Sie vollkommen recht – auch der Mit-
wirkung der Gewerkschaften, der Betriebsräte, aller Ak-
teure, im Übrigen auch der Politik.

Wir haben in der Großen Koalition – Herr
Michelbach, ich glaube, damals haben Sie zugestimmt –
eine ganze Reihe von Änderungen des Aktiengesetzes
vorgenommen. Es war sehr mühsam, in den anderthalb-
jährigen Verhandlungen, die unter anderem ich mit der
CDU/CSU geführt habe, zu Ergebnissen zu kommen.

Eine andere Richtung für Vergütungen in Unterneh-
men sollte vorgegeben werden: Nicht mehr Kurzfrist-
denken, sondern langjährige Performance, wie man es
neudeutsch nennt, soll das entscheidende Kriterium sein.
Das heißt – da haben Sie vollkommen recht –, es geht
nicht nur um Besteuerungsfragen, sondern auch um das
sogenannte Primäreinkommen. Da bedarf es einer Dop-
pelstrategie.

Aber auch die Politik ist in der Verantwortung, diese
Fragen zu regeln. Das wollte ich zum Ausdruck bringen.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nicht nur die Unternehmen tragen diese Verantwortung.
Sie haben auf die Verantwortung der Unternehmen hin-
gewiesen.


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Die Gewerkschaften! Es ging nur darum, warum die Gewerkschaften zugestimmt haben!)


– Das wäre eine Verengung. Natürlich sind die Betriebs-
räte und die Gewerkschaften in einem Mitbestimmungs-
modell Mitwirkende. Oft genug haben sie es nicht ganz
einfach. Insofern sind sie in der Verantwortung.

Der Kern unserer damaligen gesetzlichen Neurege-
lung in der Großen Koalition war, dass die Aufsichtsräte
eine stärkere Verantwortung und auch stärkere Auf-
sichtsmöglichkeiten bekommen. Wir haben gesetzliche
Veränderungen durchgesetzt, aber leider nicht in dem
Umfang, in dem wir Sozialdemokraten es vorgeschlagen
hatten.

Wir erleben – auch die FDP ist nicht frei von diesen
Erlebnissen –, dass Gerechtigkeitsfragen und die Wahr-
nehmung der zunehmenden sozialen Spaltung in allen
Bevölkerungsteilen, auch im sogenannten wirtschaftli-
chen Mittelstand, an Bedeutung gewinnen. Wenn die
Menschen von Gehältern wie dem von Herrn Winterkorn
und von anderen Managergehältern lesen und hören, sa-
gen sie zu Recht: Das kann ja wohl nicht wahr sein.

Die sozialen und materiellen Verhältnisse sind aus
dem Gleichgewicht geraten. Hier besteht Korrekturbe-
darf. Die Korrekturen müssen wir auf verschiedenen
Wegen erreichen. Ein Weg führt über die Besteuerung.
Die Besteuerung hoher Vermögen gehört auf jeden Fall
dazu. Das ist unbestritten. Wir haben die Wiedereinfüh-
rung der Vermögensteuer nicht erst auf unserem letzten

Parteitag beschlossen, sondern schon viel früher. Wir
sind fest entschlossen, im Fall der Übernahme der Re-
gierungsverantwortung die Vermögensteuer wieder zu
erheben. Wir brauchen auch einen höheren Spitzensteu-
ersatz,


(Beifall bei der SPD)


um die soziale und steuerliche Balance wiederherzustel-
len; das ist aus dem Gleichgewicht geraten.

Es wird argumentiert: Wir haben eine gerechte Ge-
sellschaft; 10 Prozent der Steuerzahler erbringen über
50 Prozent des Einkommensteueraufkommens. – Das ist
richtig, aber zu kurz gesprungen. Das ist kein Beleg für
Gerechtigkeit, sondern zeigt nur, wie die Einkommens-
verhältnisse bei uns auseinandergedriftet sind.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auf der einen Seite stagnieren die Realeinkommen.
Ich gehe gar nicht auf prekäre Beschäftigungsverhält-
nisse usw. ein; das würde meine Redezeit sprengen. Auf
der anderen Seite explodieren zur gleichen Zeit, auch in
schwierigsten wirtschaftlichen Situationen, die Mana-
gergehälter. Das durchschnittliche Einkommen eines Be-
schäftigten im Vergleich zum Einkommen eines Mana-
gers steht zwar nicht im Verhältnis von 1 : 1 000, aber im
Vergleich zu Vorständen im Verhältnis von 1 : 50. In
Einzelfällen beträgt dieses Verhältnis 1 : 100 und im Fall
von VW 1 : 350. Sicherlich gibt es aber auch Fälle, etwa
bei Leiharbeitern, in denen das Verhältnis 1 : 1000 be-
trägt. Eine Gesellschaft, die ein solches Gehalts- und Bo-
nisystem nicht für veränderungswürdig hält, wird krank,
meine Damen und Herren. Das ist so.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Stimmen Sie jetzt dem Antrag zu? – Gegenruf der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Vielleicht tut er es ja! Warum auch nicht? – Gegenruf des Abg. Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Ich frage ja nur! – Gegenruf der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wäre das so schlimm? Das ist Demokratie!)


Es besteht dringender Änderungsbedarf. Wir müssen
in Umsetzung dessen, was wir im Rahmen der Änderung
des Aktiengesetzes schon beschlossen haben, von den
Unternehmen erwarten, dass sie durch Zusammenwirken
aller Akteure – durch Zusammenwirken aller Akteure! –
etwas einführen, was wir damals übrigens schon in einer
Anhörung erörtert haben:


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Was ist jetzt mit dem Antrag? – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Was machen wir mit dem Antrag?)


Kein Aktiengesetz und kein Code of Governance – das
sind die Regeln, die sich Unternehmer freiwillig geben –
hält Unternehmen davon ab, ein sogenanntes Cap einzu-
führen, das heißt eine Begrenzung der Gehälter vorzuse-
hen. Man muss die vorgesehene Umstellung der Krite-
rien vornehmen, und dann hat man eine Grenze. Jetzt ist





Joachim Poß


(A) (C)



(D)(B)


gesellschaftspolitisch der richtige Zeitpunkt dafür, dass
sich die Unternehmen dieses Mittels – in der Wissen-
schaft wird darüber schon lange diskutiert – endlich be-
dienen, um den sozialen Sprengstoff, der sich hieraus er-
gibt, aus der Welt zu schaffen.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717001300

Kollege Poß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Kolb?


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Was will der denn jetzt schon wieder?)



Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1717001400

An die Zwischenfragen habe ich mich schon ge-

wöhnt. Ich danke Ihnen schon im Voraus herzlich für
Ihre Frage.


(Vereinzelt Heiterkeit)



Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1717001500

Und, wie ich denke, für die Verlängerung der Rede-

zeit.


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1717001600

Ja; das gehört ja dazu. Das ist eine einmalige Chance.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1717001700

Nach allem, was Sie gesagt haben, bin ich schon ge-

spannt, wie Sie gleich abstimmen werden.


(Nicolette Kressl [SPD], an die CDU/CSU gewandt: Was soll denn das schon wieder? Erklären Sie ihm doch die Geschäftsordnung noch mal!)


Mich interessiert allerdings erst einmal ein ganz konkre-
ter Punkt. Sie haben jetzt viel über die Erhöhung des
Spitzensteuersatzes gesprochen, der ja auch für Perso-
nengesellschaften der maßgebende Ertragsteuersatz ist.
Eigentlich wäre es dann nur logisch, wenn die SPD auch
beabsichtigt, den Ertragsteuersatz für Kapitalgesell-
schaften zu erhöhen. Strebt die SPD das an – ja oder
nein? – und, wenn ja, auf welche Höhe?


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1717001800

Es muss eine weitgehende Belastungsgleichheit her-

gestellt werden. Es muss dafür gesorgt werden, dass Per-
sonengesellschaften, was ihre Belastung betrifft, in etwa
wie Kapitalgesellschaften behandelt werden. Das ist die
Antwort auf diese Frage.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie haben das Problem aber noch nie lösen können!)


Sie werden verstehen, dass ich jetzt nicht in die Einzel-
heiten gehe. Aber: Dazu gibt es verschiedene steuer-
rechtliche Möglichkeiten.


(Lachen bei Abgeordneten der FDP)


Das ist auch nicht neu.


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Aha! Wollen Sie ihn also senken?)


Wenn ich polemisch wäre – wozu ich überhaupt nicht
neige, vor allen Dingen heute Morgen nicht –,


(Lachen bei Abgeordneten der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Oh nein! Sie doch nicht!)


dann müsste ich Sie daran erinnern – ich weiß nicht, ob
Sie damals schon im Parlament waren; aber das kann gut
sein –,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Doch, doch! Ich weiß ja, was jetzt kommt! – Weiterer Zuruf von der FDP: Er ist schon lange dabei!)


wie hoch während Ihrer Regierungszeit in den 90er-Jah-
ren die steuerliche Belastung für Personengesellschaften
war. Unter Helmut Kohl lag der Spitzensteuersatz bei
53 Prozent. Geben Sie doch nicht den Schlaumeier und
ergehen Sie sich hier nicht in falscher Sorge um die Un-
ternehmen!


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Richten Sie Ihren Blick doch mal nach vorne!)


Natürlich würden wir in Regierungsverantwortung
unter Berücksichtigung aller Notwendigkeiten, gerade
was die Behandlung des Mittelstandes betrifft – wir wis-
sen, dass 85 Prozent der Unternehmen in Deutschland
Personengesellschaften sind –, entsprechende Vor-
schläge entwickeln. Ich denke, dass ein möglicher grü-
ner Koalitionspartner in eine ähnliche Richtung denkt.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Achtung, Grüne! Das war eine Drohung! – Gegenruf des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach! Euch gibt es dann nicht mehr!)


Um auch das noch einmal klarzustellen: Wir haben
diese Fragen der Vergütung – Herr Gysi ist ja im Gegen-
satz zu mir Jurist –


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Aber was für einer!)


im Rahmen der parlamentarischen Beratung, die zur Zeit
der Großen Koalition stattgefunden hat, erörtert. Jeden-
falls gibt es erhebliche Zweifel, ob es überhaupt verfas-
sungsrechtlich zulässig wäre, gesetzliche Obergrenzen
– und dann noch in einer bestimmten Relation – einzu-
ziehen.


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Jetzt sagen Sie doch auch mal etwas zum Antrag!)


Bevor dieser Streit ausgetragen wird – das wird ge-
schehen –, muss der zweite Bestandteil unserer Doppel-
strategie umgesetzt werden: Man muss den gesellschaft-
lichen Druck erhöhen – auch über die Gewerkschaften
und andere Verbände – und dafür sorgen, dass ein Cap
eingeführt wird; denn wir brauchen eine gewisse
Grenze. Gleichzeitig muss man durch die Besteuerung,





Joachim Poß


(A) (C)



(D)(B)


sowohl von Einkommen wie auch von Vermögen, einen
sozialen Ausgleich herzustellen versuchen. Auch dies
wird nicht von heute auf morgen zu erreichen sein; das
ist klar.

Die von Ihnen im vorliegenden und heute diskutierten
Antrag, meine Damen und Herren von der Linkspartei,
vorgeschlagene isolierte Maßnahme, nur eine Vermö-
gensteuer einzuführen, und die Vorstellung, die Sie,
meine Damen und Herren von der Linkspartei, in Ihrem
Antrag und in Ihren Ausführungen damit verbinden,
dass man durch eine möglichst hohe Besteuerung alle
gesellschaftlichen Probleme in den Griff bekommen
würde, ist nun wirklich populistisch.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Diese populistische Vorstellung teilen wir ebenso wenig
wie den Populismus von rechts, der sich hier heute Mor-
gen teilweise leider schon wieder gezeigt hat. Also,
überdenken Sie Ihre Ignoranz, meine Damen und Herren
von CDU/CSU und FDP.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717001900

Nun hat der Kollege Dr. Volker Wissing für die FDP-

Fraktion das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des Abg. Olav Gutting [CDU/CSU] – Manfred Zöllmer [SPD]: Oh, jetzt geht es aber rund!)



Dr. Volker Wissing (FDP):
Rede ID: ID1717002000

Lieber Joachim Poß, wenn man anderen Vorwürfe

macht und von Populismus spricht, dann sollte man
nicht selber so populistisch reden wie Sie eben hier vor
dem Deutschen Bundestag.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Das war Ausdruck von Sachlichkeit!)


Ich fand es sehr entlarvend: Als Herr Kollege Kolb
Sie gefragt hat, ob Sie beabsichtigen, auch für die großen
Kapitalgesellschaften in Deutschland die Steuern zu er-
höhen, haben Sie sich nicht getraut, zu sagen: Nein, die
SPD möchte nicht, dass die großen Kapitalgesellschaf-
ten in Deutschland höher besteuert werden. – Sie zahlen
knapp unter 30 Prozent an Steuern, und Sie wollen das
nicht erhöhen.


(Joachim Poß [SPD]: Aber wir wollen die Gewerbesteuer verbessern! Das betrifft diese Unternehmen! – Weiterer Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das stimmt nicht! Sie zahlen weniger!)


Sie haben dann gesagt: Wir wollen die Besteuerung
von Personengesellschaften der Besteuerung von Kapi-
talgesellschaften anpassen. Damit haben Sie verdeckt
eine Steuersenkung gefordert. Gleichzeitig erklären Sie
den Leuten aber scheinheilig, Sie seien für eine Erhö-
hung des Spitzensteuersatzes. Sie müssen sich schon
einmal entscheiden.


(Beifall des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP])


Entweder wollen Sie sachliche Steuerpolitik machen,
oder Sie wollen Populismus betreiben. Das müssen Sie
den Leuten dann klar sagen.


(Beifall bei der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die haben sich schon entschieden! – Joachim Poß [SPD]: Das müssen Sie gerade sagen! Von Ihnen habe ich noch nie einen sachlichen Satz in der Debatte gehört!)


Sie haben für die großen Unternehmen die Steuern
gesenkt und reden ständig von Steuererhöhungen für
Personengesellschaften, für die kleinen und mittelständi-
schen Unternehmerinnen und Unternehmer.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Das ist doch Quark, was Sie hier erzählen! – Joachim Poß [SPD]: Das ist Quark mit Soße! – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch nicht!)


Lieber Kollege Poß, das ist scheinheilige, populistische
Politik. Die SPD muss sich einmal entscheiden, für wen
sie in Deutschland Politik machen will.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn Sie diese Entscheidung getroffen haben, dann
kann man mit Ihnen auch wieder sachlich über Steuer-
politik reden.

Jetzt komme ich zur Linken. Herr Gysi, Sie machen
das ja sehr trickreich. Sie erwecken den Eindruck, man
müsste in Deutschland endlich auch einmal Millionäre
besteuern. Dabei werden sie besteuert.


(Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Deren Einkommen werden besteuert! – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Deren Vermögen wird nicht besteuert!)


Daneben erwecken Sie den Eindruck, die Linke
wollte die Schuldenbremse in Deutschland einhalten.
Dabei waren Sie gegen die Einführung der Schulden-
bremse. Diese trickreichen Dinge, die in Ihren Anträgen
stehen, tragen in Wahrheit nicht zur Verbesserung der
Lage bei, und sie tragen auch nicht dazu bei, das politi-
sche Klima in Deutschland zu verbessern.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Weil wir keine Mehrheit haben, deshalb tragen sie nicht dazu bei!)


Ich sage Ihnen Folgendes: Wenn Sie sich hier hinstel-
len und Sätze sagen wie: „Die Milliardäre haben zusam-
men ein Vermögen in Höhe von 300 Milliarden Euro,
was dem Bundeshaushalt entspricht“, dann erwecken Sie
damit den Eindruck, als könnte man damit irgendein
haushaltspolitisches Problem lösen. In Wahrheit wissen
Sie doch genauso gut wie ich: Wenn man diese 300 Mil-
liarden Euro wegbesteuert, dann kann man sie einmal im
Bundeshaushalt einsetzen.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Die haben doch keinen Steuersatz von 100 Prozent!)






Dr. Volker Wissing


(A) (C)



(D)(B)


Wenn Sie das nicht dazu sagen, dann arbeiten Sie trick-
reich an der Verwirrrung der Öffentlichkeit. Das ist kein
sachlicher Beitrag – schon gar nicht zur Lösung der Pro-
bleme dieses Landes.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: 5 Prozent steht da drin und nicht 100 Prozent! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Die MövenpickPartei versteht das nicht!)


Herr Kollege Gutting hat Ihnen sehr sachlich dar-
gelegt, warum Ihr Antrag schlicht und einfach blanker
Populismus ist. Wenn Menschen beispielsweise in Im-
mobilien investieren und eine Rendite von unter 5 Pro-
zent erzielen, dann können Sie doch nicht ernsthaft eine
Steuer von 5 Prozent verlangen. Frau Enkelmann stellt
sich dann auch noch hier hin und sagt: Ich weiß gar
nicht, was Herr Gutting meint, wenn er von Mieterhö-
hungen spricht. – Tun Sie doch nicht so scheinheilig. Sie
wissen doch ganz genau: Wenn Ihr Antrag eine Mehrheit
fände, dann müssten die kleinen Leute, die Mieterinnen
und Mieter, die Zeche bezahlen.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Auch da gibt es Rechte!)


Man kann Ihrem Antrag schon deswegen nicht zustim-
men,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist es!)


weil man die Menschen, die niedrige Einkommen haben,
vor einer solchen Steuerpolitik schützen muss.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Die wissen auch, dass die FDP sie schon immer geschützt hat!)


Seien Sie doch für all die Menschen, die an Sie glau-
ben, froh darüber, dass wir Ihre Anträge ablehnen, weil
sie die Situation der Menschen mit geringen Einkommen
in Wahrheit nicht verbessern, sondern verschlechtern
würden. Das tun Sie ja auch mit der Politik, die Sie an
anderer Stelle vertreten.

Wir legen Ihnen einen Entwurf zum Abbau der kalten
Progression in den unteren Einkommensgruppen vor,


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Quatsch!)


weil es hier eine Gerechtigkeitslücke gibt. Die Linke
sagt: „Das lehnen wir ab“,


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: In dieser Form lehnen wir das ab!)


ohne ein sachliches Argument dafür zu haben, weshalb
Sie das tun.

Auch an dieser Stelle sieht man, dass Sie nur nach au-
ßen hin den Eindruck erwecken, als würden Sie eine
Steuerpolitik für die Bezieher unterer Einkommen ma-
chen. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Ihnen geht
es darum, an Vermögen heranzukommen, eine andere
Gesellschaft aufzubauen und umzuverteilen,


(Beifall bei der FDP)


weil Sie die Unterschiede in unserer Gesellschaft nicht
ertragen können. Der richtige Weg ist aber, dass man für
die Bezieher unterer Einkommen eine Verbesserung
schafft.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Steuersenkungen auf Pump!)


Sie aber sagen: Wir lassen die Bezieher unterer Einkom-
men im Stich und kümmern uns darum, dass es anderen
schlechter geht.


(Beifall bei der FDP)


Wir wollen keine Gesellschaft, in der es allen gleich
schlecht geht.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das hatten wir schon einmal in der DDR! – Joachim Poß [SPD]: Sie sind gegen den Mindestlohn!)


Deswegen laden wir Sie ein: Helfen Sie mit, durch den
Abbau der kalten Progression für die Bezieher unterer
Einkommen jetzt etwas zu verbessern. Dann wird es in
Deutschland ein Stück gerechter.


(Beifall bei der FDP – Zurufe von der LINKEN)


Sehen Sie, Sie winken schon wieder ab und sagen: Wir
machen doch nichts für die unteren Einkommen,


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Quatsch!)


wir werden doch nicht die kalte Progression bei den Be-
ziehern kleiner Einkommen in Deutschland beseitigen.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie halten sich ja selber für den Bezieher eines unteren Einkommens!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717002100

Kollege Wissing, wollen Sie die Chance wahrneh-

men, eine Frage oder eine Bemerkung des Kollegen
Ernst zu hören?


Dr. Volker Wissing (FDP):
Rede ID: ID1717002200

Ja, bitte.


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717002300

Ich möchte einmal klarstellen, dass wir uns schon in

der letzten Legislaturperiode zur kalten Progression
positioniert haben und selbstverständlich dafür waren,
sie auszugleichen. Aber wir wollen dies gegenfinanzie-
ren. Gegenfinanzieren bedeutet für uns, dass wir den
Spitzensteuersatz erhöhen, um den Staatshaushalt ent-
sprechend zu sanieren. Auch das ist ein Punkt, um zu ei-
nem vernünftigen Staatshaushalt zu kommen.

Eine Frage muss ich Ihnen aber doch stellen. Sie ha-
ben gerade gesagt, die Besteuerung von Vermögen – ich
stelle noch einmal klar, es geht um Vermögen oberhalb
von 1 Million Euro; unterhalb von 1 Million Euro pas-
siert überhaupt nichts – würde nicht dazu führen, dass
die Vermögenden tatsächlich höher besteuert würden.





Klaus Ernst


(A) (C)



(D)(B)


Vielmehr wäre das eine Vorgehensweise, die letztendlich
wiederum die kleinen Leute finanzieren müssten. Jetzt
müssen Sie mir „den kleinen Mann“ oder „die kleine
Frau“ zeigen, die ein Vermögen von über 1 Million Euro
hat. Dann ist sie keine „kleine Frau“ mehr. Wenn man
genau diese Gruppe besonders besteuert, dann wird
diese Gruppe zur Finanzierung des Staatshaushalts he-
rangezogen und auch die Neuverschuldung geringer.


(Zuruf von der FDP: Er will es einfach nicht kapieren!)


Mehr Einnahmen bedeuten nämlich weniger Verschul-
dung, und dann brauchen wir auch die unsinnige Schul-
denbremse in der jetzigen Form nicht. Ist das richtig,
oder ist das falsch?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Lachen bei Abgeordneten der FDP)


– Bei der nächsten Wahl lachen Sie nicht mehr so.


(Zuruf von der FDP: Dann lachen wir, weil Sie nicht mehr da sind!)



Dr. Volker Wissing (FDP):
Rede ID: ID1717002400

Herr Kollege Ernst, es gibt exakt zwei Möglichkeiten:

Entweder verstehen Sie nichts, aber auch gar nichts vom
Steuerrecht. Dann frage ich mich aber, warum Sie bei
dieser Debatte in der ersten Reihe sitzen.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Tolle Antwort auf die Frage!)


Oder Sie betreiben genau das gleiche Geschäft wie Herr
Gysi: Sie täuschen die Öffentlichkeit mit bewussten Ver-
wirrungen und Verdrehungen der Realität.


(Beifall bei der FDP)


Der Kollege Gutting hat es Ihnen doch klar erläutert:
Wenn Sie auf Vermögen eine Steuer von 5 Prozent erhe-
ben und die Rendite bei Immobilieninvestitionen bei
unter 5 Prozent liegt – können Sie mir so weit folgen? –,
dann müssen Sie doch die Frage beantworten, was mit
der Differenz ist. Diese führt dann zu Mieterhöhungen.
Diese Mieterhöhungen würden Sie, würde Ihr Antrag
umgesetzt, den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland
zumuten. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab. Haben
Sie das verstanden?


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Nein, weil es Unfug ist, weil es vollkommener Quatsch ist!)


Im Übrigen haben auch Sie bestätigt: Die Linke ist
dagegen, dass es Beziehern unterer Einkommen besser
geht.


(Zurufe von der LINKEN: Oh!)


Stattdessen konzentriert sich die Linke darauf, dafür zu
sorgen, dass es anderen Einkommensbeziehern schlech-
ter geht.

Das kann Ihre Politik sein; das mag Ihr Weg sein.
Aber wir arbeiten auf einer anderen Baustelle.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Bei euch ist 1 Prozent noch immer 1 Prozent zu viel!)


Wir sorgen mit dem Abbau der kalten Progression dafür,
dass es den Beziehern unterer Einkommen besser geht
und dass sie gerechter besteuert werden, und das machen
wir auch nicht auf Pump.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Steuersenkungen auf Pump!)


– Nein, das geschieht nicht auf Pump, Herr Kollege
Zöllmer.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Selbstverständlich!)


Sie betreiben den gleichen Populismus. Also, wir ma-
chen es nicht auf Pump, sondern es ist der Verzicht auf
ungewollte Steuermehreinnahmen.


(Lachen des Abg. Manfred Zöllmer [SPD])


Im Übrigen betreiben Sie ganz bewusst ein Verwirr-
spiel in der Öffentlichkeit; das muss man den Menschen
auch einmal sagen. Sie differenzieren nämlich nicht


(Manfred Zöllmer [SPD]: Es ist wirklich kein Wunder, dass Sie bei 2 Prozent liegen, wenn Sie so rechnen!)


zwischen höheren Steuersätzen und höherem Steuerauf-
kommen. Tatsächlich ist es so, dass die Steuereinnahmen
des Staates in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen
sind. Sie erwecken allerdings den Eindruck, man müsse
die Steuersätze endlich erhöhen, damit die Steuern flie-
ßen. Fakt ist: Wenn man die Unternehmensbesteuerung
in Deutschland auf über 30 Prozent anhebt, dann werden
die Kassen leerer. Das wissen Sie, aber Sie sagen es der
Öffentlichkeit nicht. Der Kollege Poß ist ja der klaren
Frage von Herrn Kolb scheinheilig ausgewichen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717002500

Herr Kollege Wissing, Sie können gerne weiterreden,

allerdings geschieht dies dann auf Kosten Ihrer Frak-
tionskollegen.


Dr. Volker Wissing (FDP):
Rede ID: ID1717002600

Sie haben zu dieser Debatte nichts Sachliches beizu-

tragen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Das muss der Superscheinheilige gerade sagen! Der Superscheinheilige hat gesprochen!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717002700

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol-

legin Lisa Paus das Wort.


Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717002800

Herr Wissing, auch wenn Sie es immer noch nicht

verstehen wollen: Das Thema Verteilungsgerechtigkeit
gehört in Deutschland tatsächlich ganz oben auf die
Agenda.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)






Lisa Paus


(A) (C)



(D)(B)


Genau eine Person dieser Koalition hat das verstan-
den. Es ist keine vier Wochen her, als Bundestagspräsi-
dent Lammert sagte:

Es muss Sie mindestens so sehr besorgen wie mich,
dass drei Viertel der in Deutschland lebenden Be-
völkerung die bestehende Einkommens- und Ver-
mögensverteilung für ungerecht empfinden.

Und er hat, an Ihre Adresse gerichtet, extra ergänzt, dass
selbst bei den Wählern der liberalen FDP diese Zahl bei
65 Prozent liege.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Recht hat er!)


Er steht damit zwar allein in der Koalition; das wollen
Sie offenbar nicht begreifen. Aber er steht damit nicht
allein in der Gesellschaft und auch nicht allein – das ist
neu – in der Wirtschaft.


(Joachim Poß [SPD]: Das hat sich bei der CDU/ CSU noch nicht herumgesprochen!)


Es gibt inzwischen schon seit über einem Jahr die Ini-
tiative „Appell Vermögender für eine Vermögensab-
gabe“. Diese hat inzwischen entsprechende Anzeigen
gedruckt.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Sie können doch freiwillig zahlen!)


Es gibt in dieser Woche nach Bekanntgabe der Re-
kordgehälter deutscher Spitzenmanager eine Meldung
des Verbandes der Familienunternehmer – wirklich nicht
verdächtig, linke Positionen zu vertreten;


(Joachim Poß [SPD]: Überhaupt nicht! Stockkonservativ!)


wir alle kennen ihn. Er formuliert so klar und einfach
wie wahr:

Kein Top-Manager ist das … 400-Fache eines ein-
fachen Angestellten wert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Dr. Volker Wissing [FDP])


Der Verband legt nach und fordert eine Obergrenze für
Managervergütungen. Das Gleiche tut auch die Deutsche
Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, auch kein Hort
der Linken.

Dies geht weiter. Einer der Spitzenmanager, Postchef
Frank Appel – er hat im letzten Jahr 5,2 Millionen Euro
verdient –, formuliert:

Viele Spitzenmanager wie ich haben nichts dage-
gen, … mehr Steuern oder eine Vermögensabgabe
zu zahlen …

Die Schulden müssen

auf ein Maß gesenkt werden, das unsere Kinder in
30 Jahren tragen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Daniel Volk [FDP]: Es gibt ein entsprechendes Konto, auf das jeder freiwillig zahlen kann! Warum macht das niemand?)


Er ergänzt:

Ich denke, ein nicht unwesentlicher Teil der Wirt-
schaftselite teilt meine Ansicht. … Ja, wir Besser-
verdiener wollen höhere Steuern zahlen. So haben
mir einige nach meinem Vorschlag geschrieben.

Damit endet das aber nicht. Es gibt dazu Debattenbei-
träge in allen bürgerlichen Zeitungen. In der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung, in der Zeit, in der Wirtschafts-
woche, in der Capital: Überall ist das Thema virulent.

All das macht deutlich: Erstens. Die Schere zwischen
Arm und Reich hat sich inzwischen in einem Maß geöff-
net, das längst nicht mehr nur ungerecht ist, sondern das
den Zusammenhalt unserer Gesellschaft akut gefährdet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Oder wie es Professor Corneo von der Freien Universität
Berlin am Montag bei der Anhörung zur kalten Progres-
sion ganz sachlich formuliert hat: Sie müssen sich ent-
scheiden, ob Sie weiter in einer Demokratie leben wol-
len oder ob Sie eine verstärkte Ungleichverteilung
zwischen Arm und Reich zulassen wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


All das macht zweitens deutlich: Die Verschuldung ist
inzwischen so hoch, dass sie allein durch Sparpolitik
schlichtweg nicht mehr auszugleichen ist. Die Besteue-
rung von Vermögen ist eben nicht mehr nur eine Frage
der Gerechtigkeit, sondern sie ist heute eine Frage der
ökonomischen Vernunft. So forderte bereits im Septem-
ber letzten Jahres die ebenfalls im Hinblick auf linke
Ideen völlig unverdächtige Unternehmensberatung Bos-
ton Consulting eine europaweite Vermögensabgabe. Ihre
Begründung hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun, sondern
lautet schlichtweg: Das ist die ökonomisch sinnvollste
Lösung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir können unsere Probleme eben nicht über Wachstum
lösen. Die einzigen Alternativen, die ansonsten zur Wahl
stehen, sind entweder eine Rezession durch reine Spar-
politik oder eine Inflation. Eine Vermögensabgabe ist die
ökonomisch sinnvollste Lösung. Nehmen Sie sich die
Worte von Boston Consulting einmal zu Herzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür müsste man wirtschaftlichen Sachverstand haben!)


Wir Grünen waren mit die Ersten und sind bis heute
die einzige Partei, die seit Beginn der Finanz- und Schul-
denkrise für die Erhebung einer einmaligen Vermögens-
abgabe zur Tilgung der krisenbedingten Schulden ge-
worben hat. Unser Vorschlag für Deutschland, den wir
vor einem Jahr gutachterlich vom Deutschen Institut für





Lisa Paus


(A) (C)



(D)(B)


Wirtschaftsforschung haben unterfüttern lassen, lautet:
Wir wollen, dass die reichsten 330 000 Deutschen – das
ist weniger als 1 Prozent der Bevölkerung – eine einma-
lige Vermögensabgabe auf ihr gesamtes Nettovermögen
zahlen, zahlbar über zehn Jahre mit jährlich 1,5 Prozent.
Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirt-
schaftsforschung könnten so 100 Milliarden Euro einge-
nommen werden. Das entspricht den geschätzten bishe-
rigen Kosten der Krise für den Bundeshaushalt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So geht Schuldenabbau! – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Diese 100 Milliarden können Sie nur einmal verteilen!)


Es geht eben nicht – das funktioniert auch schlicht-
weg nicht –, aus privaten Schulden öffentliche Schulden
zu machen, um sie dann über noch mehr Staatsverschul-
dung zu finanzieren. Das hat uns die europäische Schul-
denkrise schneller als erwartet vor Augen geführt. Es
funktioniert genauso wenig, wenn die Schulden der Ban-
ken von den Hartz-IV-Empfängern abgetragen werden
sollen.

Was allerdings auch nicht funktioniert, ist der Vor-
schlag der Linken; ich muss leider wiederholen, was ich
schon vor zwei Jahren gesagt habe, weil Sie Ihren An-
trag nicht geändert haben. Es ist verständlich, dass Sie
vor der Saarland-Wahl eine wahlkampftaugliche Bot-
schaft aussenden wollen. Aber dann muss auch endlich
wieder Substanz in Ihre Partei kommen und nicht nur
heiße Luft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – SvenChristian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Heiße Luft passt zu Oskar Lafontaine!)


Ich kann der rechten Seite dieses Hauses Entwarnung
geben: Das vollmundig daherkommende Versprechen
von Mehreinnahmen in Höhe von 80 Milliarden Euro
taugt nicht einmal für 10 Pfennig.


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Da haben Sie recht!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717002900

Frau Kollegin Paus, gestatten Sie eine Zwischenfrage

von Herrn Wissing?


Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717003000

Nein. Ich bin am Schluss meiner Redezeit; ich habe

leider nur noch 30 Sekunden.

Nur ein Beispiel, warum Ihr Vorschlag schwächelt:
Da Sie Betriebsvermögen von der geplanten Besteue-
rung ausschließen, öffnen Sie ein riesengroßes Scheu-
nentor für Steuerumgehung. Dafür ist keine Flucht ins
Ausland oder ein teurer Steuerberater nötig. Das geht
ganz einfach: Man muss nur eine Verwaltungsgesell-
schaft gründen, in der das Privatvermögen gebündelt
wird, und schon greift Ihre Steuer komplett ins Leere.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: So einfach ist das auch nicht!)


Wegen dieser Substanzlosigkeit wird es leider so
kommen: Sie werden, jenseits von Lafontaine-Land, ge-
meinsam mit der FDP zu Recht abgewählt werden,
meine lieben Damen und Herren von der Linken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717003100

Das Wort hat der Kollege Dr. h. c. Hans Michelbach

für die Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1717003200

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Bei all

den populistischen Täuschungsmanövern und Neid-
debatten der Opposition


(Widerspruch bei der LINKEN)


darf heute eines nicht in Vergessenheit geraten: Bei der
Krisenbewältigung und der Einführung einer Schulden-
bremse war Deutschland europaweit am erfolgreichsten.
Diese Vorbildfunktion hat zum europäischen Fiskalpakt
geführt. Die Sicherung von Wachstum und Beschäfti-
gung wurde durch Steuergesetze und Konjunkturpro-
gramme erfolgreich gestaltet.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Wovon reden Sie denn eigentlich?)


Mittlere und kleine Einkommen wurden durch diese
Bundesregierung und diese Koalition wesentlich entlas-
tet.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Das ist doch Unsinn! Erzählen Sie doch mal, wo!)


Das ist die Wahrheit. Dadurch hat es den Konjunkturauf-
schwung in Deutschland gegeben.

Diesen Weg wollen wir jetzt mit dem Gesetzentwurf
zum Abbau der kalten Progression fortsetzen. Das ist
eine erfolgreiche Politik für unsere Steuerzahler. Wir
wollen 6 Milliarden Euro zurückgeben, und Sie wollen
das blockieren. Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Manfred Zöllmer [SPD]: Geld, das Sie nicht haben! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Geldausgeben auf Pump machen Sie!)


Unsere Steuerpolitik wird grundsätzlich am Prinzip
der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit ausgerich-
tet. Wir lehnen leistungsfeindliche Substanzbesteuerun-
gen ab, weil sie volkswirtschaftliche Schäden hervorru-
fen.

Die 100 Milliarden Euro, die Frau Paus gerne einneh-
men würde, könnten Sie nur einmal einnehmen. Sie ent-
ziehen diese Gelder letzten Endes der Volkswirtschaft.
Davon hat der normale Bürger leider nichts.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es bleibt doch in der Volkswirtschaft!)






Dr. h. c. Hans Michelbach


(A) (C)



(D)(B)


Sie betreiben so eine gemeinwohlwidrige Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Unsere Politik wird strikt am Prinzip der Besteuerung
nach der Leistungsfähigkeit ausgerichtet.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Von wegen! – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Davon träumt ihr doch!)


Wir lehnen leistungsfeindliche Substanzbesteuerungen
ab. Wir wollen eine lückenlose Besteuerung des Ertrags.
Das ist eine gerechte, wachstumsfördernde und ökono-
misch sinnvolle Steuerpolitik.

Steuergerechtigkeit können Sie auch nicht an den
30 DAX-Vorständen festmachen, wie es von Herrn Gysi
versucht wurde. Man kann zwar immer wieder die An-
gemessenheit der Managergehälter infrage stellen, aber
in einer freiheitlichen Marktwirtschaft sollten wir Frei-
heit und Verantwortung im Blick haben und diese Men-
schen nicht wegen der Besteuerung ins Ausland treiben.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Bravo! Dann ist das eben so! – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ludwig Erhard würde sich im Grab umdrehen!)


Mir ist jeder Höchststeuerzahler, der in Deutschland
Steuern zahlt, lieber als der, der ins Ausland abwandert.
Sie wollen anscheinend, dass diese Menschen gemein-
wohlwidrig ins Ausland abwandern. Das war ja leider in
der Vergangenheit aufgrund Ihrer Steuerpolitik schon
häufig genug der Fall.

Wir müssen eine lückenlose Besteuerung des Ertrags
und des Einkommens sicherstellen. Wir dürfen aber keine
Substanzbesteuerung vornehmen. Substanzbesteuerun-
gen sind nicht im Interesse der volkswirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit und der volkswirtschaftlichen Ent-
wicklung.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Nein! Gegen die Interessen der Millionäre! Für die macht ihr Politik!)


– Herr Ernst, ich weiß, dass Sie Voodoo-Ökonomie studiert
haben. Ich kann Ihnen nur sagen: Die volkswirtschaftliche
Leistungsfähigkeit wird durch eine zunehmende Substanz-
besteuerung zerstört; das ist die Wahrheit. Das sollten
Sie endlich einmal lernen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Woher wissen Sie das denn? Ging es uns schlechter, als wir die Vermögensteuer hatten? Sie erzählen doch Voodoo!)


Was wir machen, ist keine Ignoranz, sondern ökonomi-
sche Vernunft. Die Opposition hat nach meiner Ansicht
ein gestörtes Verhältnis zur Leistung; das wird hier im-
mer wieder deutlich.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie haben ein gestörtes Verhältnis zur Gerechtigkeit!)


Deswegen können wir Ihren Vorstellungen nicht zustim-
men.

Wenn man sich die Steueraufkommensstatistik an-
schaut, dann stellt man fest, dass 79 500 Steuerpflichtige
nach der Splittingtabelle über ein gemeinsames Einkom-
men in Höhe von 500 000 Euro verfügen.


(Joachim Poß [SPD]: Könnte es sein, dass Sie persönlich betroffen sind?)


Sie sagen, dass 500 000 Euro 1 Million DM sind und
dass es sich somit um Einkommensmillionäre handelt.
Dementsprechend stellen Sie Ihre Anfragen.


(Joachim Poß [SPD]: Sind Sie etwa persönlich betroffen, Herr Kollege?)


Ich möchte Ihnen Folgendes in Erinnerung rufen: Im
Jahr 2011 haben diese 79 500 Steuerpflichtigen Einkom-
mensteuer in Höhe von 28,43 Milliarden Euro gezahlt.
Der Anteil dieser Reichensteuerzahler an der Zahl aller
Steuerpflichtigen liegt bei 0,2 Prozent. Man muss sich
das einmal vorstellen: 0,2 Prozent der Steuerpflichtigen
leisten über 12 Prozent des Steueraufkommens. Diese
wollen Sie vertreiben? Ich bin froh, dass diese Steuer-
pflichtigen 12 Prozent des gesamten Steueraufkommens
leisten. Das sollten Sie sich vor Augen halten.

Die Erhöhung des Reichensteuersatzes um 1 Prozent-
punkt würde die individuelle Steuerlast um durchschnitt-
lich 6 300 Euro pro Jahr erhöhen und zu einem Steuer-
mehraufkommen in Höhe von lediglich 0,5 Milliarden
Euro, also von 500 Millionen Euro, pro Jahr führen. Das
heißt, das, was Sie vorschlagen, ist nicht zielführend.
Angesichts der geringen Zahl der betreffenden Steuer-
pflichtigen ist die steuerliche Leistungsfähigkeit mini-
mal. Ich muss daher ganz deutlich sagen: Ihre Rechnung
kann auf keinen Fall aufgehen.

Es ist nicht gut, dass vor Wahlen, wie sie jetzt bevor-
stehen, die Menschen, die Leistung erbringen, immer
wieder geradezu vorgeführt werden. Herr Lafontaine
fordert eine Steuer in Höhe von 75 Prozent. Sie verlan-
gen 5 Prozent zusätzlich. Das ist im Vergleich zu der
Forderung von Herrn Lafontaine geradezu ein Schnäpp-
chen.


(Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Das eine ist die Einkommensteuer und das andere die Vermögensteuer!)


Ich bin gespannt, wie SPD und Grüne abstimmen
werden, ob sie einem solchen willkürlichen Steuerauf-
wuchs zustimmen werden. Ich frage mich, was die SPD
insbesondere im Hinblick auf die Großkonzerne eigent-
lich will. Will sie die Steuerlast der mittelständischen
Betriebe eher senken oder im Rahmen einer Steuerorgie
weiter erhöhen? Das alles passt doch nicht zusammen.
Angesichts ihrer großen Zahl sind die mittelständischen
Unternehmen für das Gemeinwohl in Deutschland wich-
tig. Sie dürfen daher die Personengesellschaften nicht
weiter mit Einkommensteuererhöhungen traktieren. Das
geht doch nicht auf. Das können Sie nicht machen. Das
ist gemeinwohlwidrig.





Dr. h. c. Hans Michelbach


(A) (C)



(D)(B)


Die Menschen werden erkennen, dass unsere Steuer-
politik, die auf dem Prinzip der Besteuerung nach der
Leistungsfähigkeit basiert, die einzig richtige ist. Daran
werden wir uns messen lassen. Wir werden die Zustim-
mung der Bürgerinnen und Bürger dafür erhalten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717003300

Das Wort hat der Kollege Manfred Zöllmer für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1717003400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Und täglich grüßt das Murmeltier. Alle ken-
nen sicherlich diesen Film. Diese Aussage bezieht sich
nicht nur auf die Rede von Herrn Michelbach – das alles
haben wir so oder so ähnlich schon einmal gehört –, son-
dern in diesem Fall auch auf den Antrag der Fraktion
Die Linke. Wenn einem nichts mehr einfällt, dann bringt
man einfach einen alten Antrag, den man schon einge-
bracht hatte, wortgleich wieder ein, ändert aber die
Überschrift. So viel Kreativität gibt es immerhin.

Bei den Inhalten gibt es allerdings keine Kreativität.
Über all das, was Sie vortragen, haben wir bereits disku-
tiert. Es wäre schön, wenn Sie das eine oder andere aus
den Diskussionen in Ihre Anträge aufgenommen und Re-
cycling anders definiert hätten, als Sie es hier gemacht
haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir Sozialdemokraten wollen die Vermögensteuer
wieder einführen. Wir brauchen eine Vermögensteuer in
Deutschland, weil viele Menschen – wir haben hierzu
schon Zahlen gehört – ihre Einkommen nicht nur aus Ar-
beit erzielen, sondern auch aus Vermögen; die Schere
geht immer weiter auseinander. Dies ist ein Gebot sozia-
ler Gerechtigkeit. Unser Steueraufkommen muss gerech-
ter verteilt werden. Dazu ist eine Vermögensteuer
notwendig; denn die Einkommens- und Vermögensver-
teilung in Deutschland ist zutiefst ungerecht. Das obere
Zehntel in Deutschland besitzt über 60 Prozent des ge-
samten Vermögens.

Im internationalen Vergleich – schauen Sie sich ein-
mal die Statistiken der OECD an, Herr Wissing – steht
Deutschland bei vermögensbezogenen Steuern ganz un-
ten. Die Struktur des Steueraufkommens in Deutschland
ist zu stark am Lohneinkommen orientiert. Wir müssen
diese Orientierung verändern.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717003500

Kollege Zöllmer, gestatten Sie eine Frage oder Be-

merkung des Kollegen Ernst?


Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1717003600

Aber gerne.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717003700

Bitte schön.


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Jetzt haben Sie mehr Redezeit als Gysi!)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717003800

Ich nehme ja mit Freude zur Kenntnis, dass Sie für

eine gerechte Vermögensverteilung sind. Aber ich kann
das nicht unwidersprochen stehen lassen.

Könnte es sein, dass die jetzige ungerechte Vermö-
gensverteilung, die Sie konstatieren, damit zusammen-
hängt, dass Sie in Ihrer Regierungszeit den Spitzensteu-
ersatz von 53 Prozent auf 42 Prozent gesenkt haben?


(Widerspruch bei der SPD)


– Ihr braucht euch gar nicht so aufzuregen; das ist eure
Angelegenheit. – Könnte es damit zusammenhängen,
dass zum Beispiel im Jahr 2000 das Aufkommen aus der
Körperschaftsteuer geringer war als das Aufkommen aus
der Hundesteuer in diesem Land? Könnte es sein, dass
Sie in Ihrer Regierungszeit auf die Wiedereinführung ei-
ner Vermögensteuer verzichtet haben?


(Bernd Scheelen [SPD]: Das war Oskar Lafontaine!)


– Aber ihr habt regiert. – Könnte die ungerechte Vermö-
gensverteilung in diesem Lande, die Sie so wie wir
konstatieren, durch eine vollkommen falsche Besteue-
rungspolitik vonseiten der sozialdemokratischen Partei
verursacht worden sein?


(Widerspruch bei der SPD)


– Ich verstehe überhaupt nicht, warum Sie so brüllen.
Das ist doch eure Politik. Steht doch dazu oder sagt: Das
war falsch.


Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1717003900

Vielen Dank, Herr Kollege, für diese Frage. Zum

Stichwort Vermögensteuer fällt mir ein, dass es einen
Finanzminister namens Lafontaine gab, der die Chance
gehabt hätte, die Vermögensteuer wieder einzuführen. Es
gab da ein kurzes Zeitfenster, auch im Hinblick auf die
Mehrheit im Bundesrat, in dem das möglich gewesen
wäre.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Ja, ein halbes Jahr!)


Er hat es nicht getan.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zurufe von der LINKEN)


Sprechen Sie doch einfach mit ihm, und fragen Sie ihn
einmal, warum er das damals nicht gemacht hat.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das war doch euer Minister, nicht unserer! Was habt ihr denn gegen euren Minister?)


Darüber hinaus argumentieren Sie immer: Wenn wir
noch die Steuersätze von Helmut Kohl hätten, dann
ginge es uns fantastisch.





Manfred Zöllmer


(A) (C)



(D)(B)



(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das habe ich nicht gesagt!)


Dazu fällt mir nur ein: Wenn wir das Wetter vom 15. Juli
hätten, wäre es wärmer draußen.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Jetzt wollt ihr die Steuern doch wieder erhöhen! Vor fünf Jahren war Senken richtig! Jetzt ist Erhöhen richtig!)


Das Problem ist doch, dass sich die Welt verändert hat
– diese Veränderung der Welt müssen doch auch Sie zur
Kenntnis nehmen –, und darauf muss man steuerpoli-
tisch reagieren.


(Beifall bei der SPD)


Die OECD hat das Problem analysiert und gesagt, in
Deutschland gebe es ein Ungleichgewicht zwischen der
Besteuerung von Einkommen und Ertrag und der Be-
steuerung von Vermögen. Das ist aus meiner Sicht eine
richtige Analyse. Dieses Ungleichgewicht müssen wir
beseitigen. Denken Sie einfach einmal darüber nach.
Vielleicht bekommen wir dann ja demnächst einen An-
trag von Ihnen, den wir hier diskutieren können.

Ich betone noch einmal: Eine Vermögensteuer ist
wirtschaftspolitisch richtig, und sie auch ein Gebot so-
zialer Gerechtigkeit.


(Beifall bei der SPD)


Wie sieht eigentlich die Steuerpolitik der Koalition
aus?


(Joachim Poß [SPD]: Es gibt doch keine Steuerpolitik!)


Die erste Frage, die sich stellt, ist: Gibt es überhaupt eine
Steuerpolitik dieser Koalition? Ich habe mir einmal die
Mühe gemacht, noch einmal in den Koalitionsvertrag zu
schauen. Ich habe gelacht, als ich gelesen habe, was Sie
damals alles aufgeschrieben haben. Wenn Ihre Steuer-
politik eine Person wäre und zwei Beine hätte, dann
könnte sie Stargast in der Sendung Pleiten, Pech und
Pannen sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Schauen wir uns einmal die FDP an. Sie sind als
Mehr-netto-vom-Brutto-Partei gestartet. Dann haben Sie
irgendwann gemerkt, dass Sie ein totes Pferd reiten, und
sind abgestiegen. Nach den jetzigen Umfragen liegen
Sie bei 2 Prozent. Sie suchen nach einem neuen Pferd,
haben es aber nicht gefunden. Geblieben ist eine unsägli-
che Klientelpolitik, die ihren Ausdruck zum Beispiel in
der Steuererleichterung für Mövenpick fand.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das stimmt! – Zuruf von der FDP: Gut, dass das nochmals gesagt worden ist!)


Herr Michelbach, schauen wir uns doch einmal die
Union an. Sie als Union haben doch die Klientelpolitik
ebenfalls vorangetrieben. Ich darf nur an die CSU erin-
nern, die bei der Hoteliersteuer an führender Stelle betei-
ligt war.


(Joachim Poß [SPD]: Der Michelbach war dafür! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Michelbach war dafür, genau!)


Sie machen Steuerpolitik nach dem Motto: Wer sich
bewegt, hat schon verloren. Vermögensteuer, Gemeinde-
finanzreform, Vereinfachung des Steuerrechts, Mehr-
wertsteuerreform, Finanztransaktionsteuer – alles Fehl-
anzeige bei Ihnen. Das ist Ihre Bilanz. Diese Koalition
ist doch steuerpolitisch am Ende. Sie leben alleine von
den Erfolgen einer Reformpolitik, zu der Sie nichts bei-
getragen haben.


(Beifall bei der SPD – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ach du meine Güte! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Die leben noch von eurer Steuersenkung!)


Wohlstand, Sicherheit und soziale Gerechtigkeit er-
fordern einen handlungsfähigen Staat. Dazu sind ausrei-
chende und verlässliche Staatseinnahmen nötig. Wenn
wir uns den Schuldenstand von Bund, Ländern und
Kommunen anschauen, dann stellen wir fest: Wir sind in
vielen Bereichen von einem handlungsfähigen Staat weit
entfernt.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genau! Durch Steuersenkungen!)


Das gilt für die Bundesländer und Kommunen, die zu-
künftig auch die Schuldenbremse einhalten müssen. Nun
glaubt die Linke, mit der Vermögensteuer – diese steht ja
den Bundesländern zu – den steuerpolitischen Stein der
Weisen gefunden zu haben,


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Einen Stein! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wir haben noch andere Vorschläge!)


damit sie nicht mehr Haushalte konsolidieren muss. Das
ist doch Ihr Problem. Haushaltskonsolidierung und die
Einhaltung der Schuldenbremse sind eine große Heraus-
forderung. Das ist völlig unbestritten.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sind Sie für die Vermögensteuer oder nicht?)


– Was war Ihre Frage?


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ob Sie wieder für die Vermögensteuer sind, ja oder nein?)


– Das habe ich viermal gesagt. Sie müssen einfach nur
zuhören, dann erledigt sich schon einiges.


(Beifall bei der SPD – Dr. Daniel Volk [FDP]: Sagen Sie es für den Kollegen Ernst noch ein fünftes Mal!)


Die Vermögensteuer ist ein wichtiges Element zur
Landesfinanzierung. Das ist unbestritten. Deshalb wun-
dere ich mich, dass CDU und FDP diese ablehnen und
die FDP auch noch Steuersenkungen auf Pump fordert


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Wer macht denn Pumphaushalte in Nordrhein-Westfalen?)


und in Nordrhein-Westfalen den Wahlkampf damit be-
streitet, sich als oberster Haushaltskonsolidierer zu pro-





Manfred Zöllmer


(A) (C)



(D)(B)


filieren. Das passt überhaupt nicht zusammen. Schauen
Sie sich doch Nordrhein-Westfalen an.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Glänzendes Beispiel einer soliden Staatsfinanzierung!)


Die rot-grüne Landesregierung hat den notleidenden
Kommunen mit dem Stärkungspakt Kommunalfinanzen
unter die Arme gegriffen.


(Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD])


Was hat der Bund gemacht? Sie greifen den Ländern und
den Kommunen in die Tasche und nehmen ihnen das
Geld wieder weg.


(Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD])


Diese Art der finanzpolitischen Arbeitsteilung verurtei-
len wir. Dies ist doch unsinnig.

Die Vermögensteuer ist kein Deus ex Machina, kein
Geist aus der Flasche, kein Wundermittel zur Lösung al-
ler Probleme, wie die Fraktion Die Linke glaubt.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Wir haben noch die Finanztransaktionsteuer, die Erbschaftsteuer, die Einkommensteuer!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717004000

Kollege Zöllmer, es tut mir leid, Sie müssen zum

Schluss kommen.


(Abg. Dr. Volker Wissing [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Die Zwischenfrage von der FDP kommt ein bisschen
zu spät zur Verlängerung der Redezeit.


Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1717004100

Das finde auch ich. – Die Vermögensteuer ist verfas-

sungsrechtlich möglich, die Bewertungsprobleme sind
lösbar, sie schafft mehr Gerechtigkeit. Deshalb ist sie
dringend notwendig.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE] – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Der Schluss war gut!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717004200

Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Dr. Daniel Volk

das Wort.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Daniel Volk (FDP):
Rede ID: ID1717004300

Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr ge-

ehrten Damen und Herren! Herr Kollege Zöllmer, Sie
haben schon eine sehr selektive Sichtweise der letzten
Jahre hier dargelegt. Die Sichtweise ist abhängig davon,
wer in welchem Bundesland regiert. Ich darf Ihnen zu-
nächst einmal darlegen, dass wir in der Steuerpolitik zu
Beginn dieser Legislaturperiode mit dem Wachstumsbe-
schleunigungsgesetz Familien in Deutschland entlastet
haben. Wir haben bei der Gewerbesteuer die substanzbe-
steuernden Elemente zurückgefahren.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Zulasten der Kommunen! Das ist das Problem!)


Uns wurde schon damals von Ihnen gesagt, das sei sozu-
sagen das Ende einer soliden Staatsfinanzierung.


(Joachim Poß [SPD]: Aber Sie fliegen aus dem Landtag!)


Das Gegenteil ist eingetreten. Wir haben sprudelnde
Steuereinnahmen. Die Steuereinnahmen sind jetzt so
hoch wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Strukturell!)


Wir haben den Haushalt so geführt, dass wir in den
nächsten Jahren, 2013/2014, in den Bereich eines ausge-
glichenen Haushaltes kommen werden. Das ist das Er-
gebnis der soliden Steuer- und Finanzpolitik dieser Bun-
desregierung.

Wenn ich auch noch darauf hinweisen darf:


(Zuruf der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ein weiteres Ergebnis dieser Bundesregierung ist, dass
wir historisch niedrige Arbeitslosenzahlen haben.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Wissen Sie, das unterscheidet eben uns von Ihnen.


(Zuruf des Abg. Stefan Rebmann [SPD])


Als Rot-Grün 2005 abgewählt wurde, haben Sie als Er-
gebnis Ihrer Regierungspolitik mehr als 5 Millionen Ar-
beitslose hinterlassen. Wir haben die Arbeitslosenzahlen
auf ein historisches Niveau gesenkt. Wir sorgen für mehr
Wohlstand für alle in diesem Land.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Manfred Zöllmer [SPD]: Deswegen sind Sie jetzt auch bei 2 Prozent!)


Wenn Sie sich hier hinstellen und feststellen, dass
Wohlstand und Vermögen ungerecht verteilt sind,


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das hat sogar der Bundespräsident heute in seiner Rede gesagt!)


dann kommt einem doch gleich die Frage in den Sinn,
wie das wieder zusammengeführt werden kann.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Gute Frage! – Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz genau!)


Ihr Weg ist: Dann nehmen wir es halt den Reichen


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Und geben es den Armen! – Stefan Rebmann [SPD]: Und geben es den Armen!)


und geben es den Armen – eine Art Robin-Hood-Politik.
Nur leider Gottes wird diese Politik nicht aufgehen. Der
richtige Ansatz – das macht diese Regierung –





Dr. Daniel Volk


(A) (C)



(D)(B)



(Zuruf der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


ist, denjenigen mit unteren oder mittleren Einkommen
die Möglichkeit zu geben, am Wohlstand zu partizipie-
ren,


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genau!)


Vermögen aufzubauen, die Bezieher unterer und mittle-
rer Einkommen von einer überzogenen Besteuerung zu
entlasten.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Die kalte Progression abzubauen, heißt, den Beziehern
unterer und mittlerer Einkommen die Möglichkeit zu ge-
ben, am Wohlstand teilzuhaben.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Falsch!)


Ich fordere Sie auf: Gehen Sie diesen Schritt mit! Ma-
chen Sie wirklich eine Politik für die Bezieher unterer
und mittlerer Einkommen! Damit wird es in Deutschland
Wohlstand für alle geben. Das ist ein vernünftiger An-
satz in der Steuer- und Finanzpolitik,


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Märchenstunde!)


im Gegensatz zu einer Haushaltspolitik, die wie in Nord-
rhein-Westfalen in immer mehr Verschuldung geht.


(Ulrich Kelber [SPD]: Ihr erhöht eure Neuverschuldung! NRW baut ab!)


Es muss vielmehr eine Politik des gerechten Ausgleichs
und einer soliden Staatsfinanzierung sowie eine gute
Steuerpolitik geben, wovon jede Person hier partizipie-
ren kann.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: So ein Quatsch!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717004400

Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege

von Stetten für die Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Frhr. Christian von Stetten (CDU):
Rede ID: ID1717004500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die lebhafte Debatte zeigt, dass am kommen-
den Wochenende, wenn auch nur in einem kleinen Bun-
desland, Landtagswahlen stattfinden.


(Ulrich Kelber [SPD]: Nichts gegen das Saarland!)


Sollte der heute öffentlich beratene Antrag der Links-
fraktion Rückenwind für den Spitzengenossen Oskar
Lafontaine erzeugen, so ist dieser Schuss, wie die heu-
tige Debatte gezeigt hat, nach hinten losgegangen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Denn eine 5-prozentige Vermögensabgabe ist volkswirt-
schaftlicher Wahnsinn und ein Schritt in die falsche
Richtung.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Linken träumen von einer jährlichen Einnahme in
Höhe von 80 Milliarden Euro, die sie bei den Bürgern
abkassieren wollen.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Nein! Nicht bei den Bürgern, bei den Millionären!)


Dabei wissen sie ganz genau, dass das nicht umgesetzt
werden wird. Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen
hat es sehr klar herausgearbeitet: Sie haben noch nicht
einmal festgelegt, was mit Sachvermögen gemeint ist
bzw. wie Sie verhindern wollen, dass Umgehungstatbe-
stände, die Sie ja sonst immer anprangern, geschaffen
werden.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Dabei können Sie uns ja helfen!)


Das wird in Ihrem Antrag nicht deutlich; er ist völlig dif-
fus, auch wenn er zum wiederholten Male in dieser Le-
gislaturperiode eingebracht worden ist.


(Joachim Poß [SPD]: Hoffentlich sind Sie persönlich nicht betroffen, Herr von Stetten!)


– Herr Poß, es kommt mir sowieso so vor, als ob die
linke Seite des Hauses, wenn es um steuerpolitische Fra-
gen geht, nur drei Antworten kennt: Einmal fordern Sie
die Erhöhung des Spitzensteuersatzes, dann die Erhö-
hung der Erbschaftsteuer und, wie jetzt auch wieder, die
Einführung der Vermögensteuer.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Alles richtig! – Joachim Poß [SPD]: Die Erbschaftsteuer drückt Sie besonders! Das weiß ich! – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Körperschaftsteuer!)


All das bringen Sie immer wieder ein.
In schöner Regelmäßigkeit gibt es auch einen Antrag

der Linksfraktion, der im letzten Jahr schon zweimal ab-
gelehnt worden ist.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Gehen Sie davon aus: Der kommt im nächsten Jahr noch einmal wieder!)


– Das befürchten wir. – Ich sehe übrigens auch keinen
großen qualitativen Unterschied zu dem Antrag, der im
letzten Jahr vom Haus abgelehnt worden ist. Nur ein
kleiner Unterschied ist mir aufgefallen, der qualitativ
vielleicht bedeutend ist: Im letzten Jahr sollte das Parla-
ment noch beschließen, dass jährlich ein Steuersatz von
5 Prozent für Vermögen, das über dem Freibetrag liegt,
erhoben wird. In Ihrem jetzigen Antrag haben Sie als
Stichtag nicht den 31. Dezember des jeweiligen Jahres,
sondern den 31. Dezember 2012 festgelegt. So stellt sich
die Frage: Soll das eine einmalige Abgabe sein, die zum
Ende des Jahres 2012 erhoben wird?


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Nein! Das soll nur das Verschieben von Vermögen verhindern!)






Christian Freiherr von Stetten


(A) (C)



(D)(B)


Ich habe gehofft, dass Sie klüger geworden sind. Sie
bleiben also bei der Forderung von jährlich 5 Prozent
und sorgen dadurch dafür, dass die Substanz entzogen
wird. Ich glaube, dass wir das beim letzten Mal auch
schon diskutiert haben. Bei einem Steuersatz von 5 Pro-
zent auf den Verkehrswert für das Vermögen, das über
dem Freibetrag liegt, enteignen Sie die Bürger nach
20 Jahren.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das sind keine normalen Bürger! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Welcher Bürger hat denn 1 Million?)


Nehmen wir den Besitzer eines großen Hauses: Im
ersten Jahr haben Sie die Hofeinfahrt wegbesteuert, im
zweiten Jahr die Garage, im dritten Jahr das Bad und im
vierten Jahr die Küche. Nach 20 Jahren haben Sie aus
dem stolzen Hausbesitzer wieder einen Mieter gemacht.
Anträge auf Einführung dieses Sozialismus können Sie
ruhig noch öfter im Parlament einbringen. Wir werden
Ihre Anträge immer wieder ablehnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der LINKEN: Von 1 Million kann man überhaupt nicht leben! Ich verstehe Sie völlig!)


Herr Ernst, ich komme zu den Mietern. Der Kollege
Gutting hat die Auswirkungen auf den Mieter am An-
fang sehr gut dargestellt. Sie haben dennoch an den Kol-
legen Wissing eine Zwischenfrage gestellt, warum die
normalen Mieter von dieser Vermögensteuerabgabe be-
troffen sind. Nach den Ausführungen des Kollegen
Wissing haben Sie gesagt, Sie hätten es immer noch
nicht verstanden.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Nein, das hat er nicht gesagt!)


Deswegen möchte ich es Ihnen noch einmal erklären:
Nehmen wir einen privaten Besitzer großer Immobilien,
für Sie im Prinzip also eines der Feindbilder, die jeden
Tag durch das Dorf getrieben werden. Dieser Immobi-
lienbesitzer hat verschiedene Wohnungen und durch die
Mieteinnahmen eine Verzinsung von – ich sage mal –
4 Prozent. Von diesen 4 Prozent muss er seine Steuern
zahlen. Dann kommen Sie mit einer jährlichen Substanz-
steuer in Höhe von 5 Prozent. Er wäre ein schlechter Un-
ternehmer, wenn er das mitmachen würde. Er würde also
versuchen, diese Wohnungen am Markt zu verkaufen.
Wer aber kauft ein Objekt mit einer Rendite von 4 Pro-
zent, wenn er darauf 5 Prozent Steuern zahlen muss?


(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Dann muss er auch Vermögensmillionär sein, sonst wäre er nicht steuerpflichtig!)


Er wird diese Wohnungen nicht loswerden. Was wird er
also tun? Er wird die Abgabe von 5 Prozent über die
Mietnebenkosten auf die Mieter abwälzen. Ein Abwäl-
zen der 5-prozentigen Vermögensteuer auf die Mietne-
benkosten bedeutet für den normalen Mieter eine Ver-
doppelung der jährlichen Mietnebenkosten. Das werden
CDU/CSU und FDP in diesem Hause nicht zulassen.
Deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Kennen Sie das Mietrecht nicht? – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Bei der Finanztransaktionsteuer ist es der kleine Riester-Sparer!)


Damit wir uns nicht falsch verstehen: Wir sind uns in
der Koalition einig, dass starke Schultern selbstverständ-
lich mehr tragen müssen als schwache Schultern. So ist
unser Steuersystem aufgebaut.


(Ulrich Kelber [SPD]: Deswegen muss die FDP nichts mehr tragen! – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie einen konkreten Vorschlag, damit es Wirklichkeit wird!)


Dass Sie eine Substanzsteuer einführen wollen, die auch
fällig wird, wenn der Betroffene zum Beispiel die Hälfte
seines Vermögens verloren hat oder wenn das Vermögen
beispielsweise keine Rendite abwirft, ist Gift für unser
Land und für die Betroffenen.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Natürlich gibt es eine Stundung! Das ist auch jetzt schon so!)


Betroffen sein werden natürlich auch Familienunter-
nehmer. Sie wollen auch die Handwerksmeister dadurch
schröpfen. Es kann doch keiner sagen, dass dieser Perso-
nenkreis für die jetzige Finanzkrise verantwortlich ist.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Sind das alles Millionäre, die Kleinund Mittelständler?)


Diesem Personenkreis wollen Sie einen höheren Ein-
kommensteuersatz aufoktroyieren. Sie wollen denen ei-
nen höheren Erbschaftsteuersatz aufoktroyieren. Auch
die Vermögensteuer trifft selbstverständlich die Fami-
lienunternehmer, die ihr Vermögen, das sie in den letzten
Jahrzehnten erarbeitet haben, im Umkreis des Familien-
unternehmens angehäuft haben, die hier Immobilien ge-
kauft haben, die nicht ins Ausland gegangen sind, son-
dern treu hier in Deutschland geblieben sind.

Sie können auch mit den Gewerkschaften sprechen.
Fragen Sie die Mitarbeiter, ob sie lieber in einem famili-
engeführten Unternehmen arbeiten, bei dem sie noch
wissen, wo der Chef sein Büro hat, wo sich der Chef
noch persönlich um deren Anliegen kümmert, oder ob
sie im Falle einer Veräußerung des Unternehmens, weil
die Steuer nicht mehr bezahlt werden konnte, lieber bei
einem anonymen Unternehmen arbeiten wollen. Ich
glaube, hier sind die Antworten relativ deutlich.

Sie schreiben – ich komme zum Schluss – im
Schlusssatz Ihres Antrages, die von Ihnen geplante Mil-
lionärsteuer wäre die einzig logische Möglichkeit, die
Staatsschulden abzubauen. Ich glaube, in der heutigen
Debatte ist deutlich geworden, dass es kein logischer
Antrag, sondern ein ideologischer Antrag ohne Substanz
und Sinnhaftigkeit ist. Deswegen werden wir nach inten-
siven Beratungen, so wie in den vergangenen Jahren,
diesen Antrag ablehnen.

Herzlichen Dank.





Christian Freiherr von Stetten


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das wundert uns aber jetzt!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717004600

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/8792 an den Finanzausschuss vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 a und b sowie
die Zusatzpunkte 9 und 10 auf:

27 a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung

Agrarpolitischer Bericht 2011 der Bundes-
regierung

– Drucksache 17/5810 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm,
Ulrike Höfken, Friedrich Ostendorff, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Klimabilanz im Ackerbau verbessern

– Drucksachen 17/2487, 17/4888 Buchstabe b –

Berichterstattung:
Abgeordnete Johannes Röring
Waltraud Wolff (Wolmirstedt)

Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Kirsten Tackmann
Cornelia Behm

ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinz
Paula, Dr. Wilhelm Priesmeier, Willi Brase, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Kleingruppenhaltung für Legehennen endgül-
tig beenden

– Drucksache 17/9028 –

ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten

(Quedlinburg)

der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verordnung zur Kleingruppenhaltung unver-
züglich in Kraft setzen

– Drucksache 17/9035 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich nehme an,
dass das kein Widerspruch ist, was an mein Ohr dringt,
sondern unbedingt notwendige Gespräche. Dann ist so
beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parla-
mentarische Staatssekretär Dr. Gerd Müller.

Dr
Dr. Gerd Müller (CSU):
Rede ID: ID1717004700


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Deutschland ist ein schönes Land –


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Vor allen Dingen das Allgäu!)


so hat es auch unser Bundespräsident heute formuliert –:
herrliche Landschaften, Seen, Gewässer, Meer, Berge.
Wenn Sie am Wochenende in die herrliche Natur hinaus-
gehen, werden Sie das alles sehen können.

Für den Erhalt dieser Landschaften sorgen die Bäue-
rinnen und Bauern, die Fischer, die Forstwirte und all
diejenigen, die in den grünen Berufen tätig sind. Wir sa-
gen Ihnen heute ein herzliches Dankeschön für Ihre
großartige Arbeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Iris Gleicke [SPD] – Ulrich Kelber [SPD]: Interessiert sich die Ministerin für die Debatte nicht? Gestern auch schon nicht!)


Harte Arbeit, Fleiß, Familiensinn und Bodenständigkeit
zeichnen diese Familien aus. Sie sind das Rückgrat unse-
rer ländlichen Räume.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir diskutieren heute den Agrarpolitischen Bericht
2011 der Bundesregierung. Über 300 000 landwirt-
schaftliche Betriebe, 650 000 Beschäftigte in der Land-
wirtschaft, 780 000 Betriebe, 5 Millionen Arbeitsplätze
– Sie hören richtig –: Das ist das Agrobusiness, von der
Urproduktion auf dem Feld bis hin zum Verbraucher. Je-
der achte Arbeitsplatz ist in diesem Sektor zu Hause.

Landwirtschaft hat eine ethische, eine ökonomische,
eine ökologische und eine soziale Dimension. Landwirt-
schaft sichert und bewahrt die Schöpfung, unsere natür-
lichen Lebensgrundlagen von Mensch, Tier und Natur.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das ist die ethische Dimension.

Landwirtschaft ernährt uns. Ernährung ist die Überle-
bensfrage der Menschheit. Zu Zeiten Goethes lebten
1 Milliarde Menschen auf dem Planeten, heute sind es
7 Milliarden, im Jahr 2050 werden es 10 Milliarden sein.
Diese Menschen wollen jeden Tag etwas essen. Die FAO
prognostiziert uns, dass wir die Nahrungsmittelproduk-
tion bis 2050 um 70 Prozent steigern müssen, und das
bei weniger Fläche und geringer werdenden Ressourcen,





Parl. Staatssekretär Dr. Gerd Müller


(A) (C)



(D)(B)


Stichwort Wasser. Das ist die große Herausforderung im
Hinblick auf die Überlebensfrage der Menschheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Pflanzen, der Wald und das Land geben uns nicht
nur Nahrung und Energie, sondern sie schützen auch un-
ser Klima, Stichwort CO2-Speicher/Sauerstoffproduzent.
Das ist die ökologische Dimension der Landwirtschaft.
Deshalb sage ich: Bei der Landwirtschaft handelt es sich
nicht – wie es häufig dargestellt wird – um eine Branche
von gestern, mit dem Klischee etwa von Gummistiefeln.
Nein, die Landwirtschaft ist die Schlüsselwirtschaft von
morgen schlechthin.

Diese vielfältige Funktion der Landwirtschaft muss
sich in einer Form von Wertschätzung abbilden. Leider
verzeichnen wir jedoch die Entwicklung, dass der Anteil
der Ausgaben für Nahrungsmittel an den Konsumausga-
ben insgesamt aus der Sicht des Verbrauchers heute nur
noch 11 Prozent ausmacht, während dieser Anteil 1970
noch bei 20 Prozent lag. Nirgendwo sonst auf der Welt
ist das Angebot an Lebensmitteln so vielfältig und sind
diese so günstig und zugleich qualitativ hochwertig wie
in Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: So ist es!)


Der Preis für Brot ist seit 1950 um das Zehnfache ge-
stiegen. Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, der Preis für
Brotgetreide, das der Bauer liefert, ist jedoch auf dem
Niveau von 1950 stehen geblieben. So stellt sich die Si-
tuation dar.


(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Wo kommt jetzt das her?)


Deshalb sage ich an dieser Stelle in Richtung Verbrau-
cherinnen und Verbraucher: Die Wertschätzung für un-
sere Bäuerinnen und Bauern und ihre Leistung ist das
eine. Wir brauchen aber auch eine neue Verbraucher-
ethik. Das bedeutet: Handeln nach dem Motto „Geiz ist
geil“ ist im Hinblick auf die Entlohnung unserer Land-
wirte nicht zeitgemäß.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Ulrich Kelber [SPD])


Wir brauchen einen fairen Preis und ein faires Einkom-
men für harte Arbeit.

Der Agrarbericht, den wir diskutieren, zeigt auf – es
ist immer schwierig, mit Statistiken zu arbeiten –: Das
Bruttoeinkommen pro Familienarbeitskraft lag 2010 bei
30 200 Euro; das ist ein Durchschnittswert, meine Da-
men und Herren. 2009 hatten wir beispielsweise bei der
Milch die Sonderentwicklung, dass es innerhalb eines
Jahres einen Einbruch der Preise von 30 Prozent gab.
Wir haben heute die Situation, dass es im Bereich der
Milchwirtschaft eine Steigerung der Preise um nahezu
30 Prozent gibt. Die Frage ist immer: Welche Ver-
gleichsbasis nehmen wir? Der Milchpreis von seinerzeit
25 Cent pro Liter war natürlich entschieden zu gering;
heute sind es 35 Cent. Die Statistik ist an dieser Stelle
also nicht aussagekräftig. Der Agrarbericht zeigt aber,
dass der Preistrend insgesamt nach oben geht und die
Stimmung in der Landwirtschaft deshalb gut ist.

Meine Damen und Herren, der Agrarbericht offenbart
aber auch etwas anderes: die Bedeutung der Direktzah-
lungen. 2010 und 2011 machten Direktzahlungen
52 Prozent des Einkommens der Landwirte aus; das ist
ganz erheblich. Der Anteil der Direktzahlungen und Zu-
schüsse am Einkommen, der im Agrarbericht ausgewie-
sen ist, betrug im Durchschnitt 69 Prozent. Das zeigt,
welch hohen Stellenwert die Zahlungen auch in Zukunft
haben. Sie sind unverzichtbar.

Wir müssen deshalb die Betriebe weiter stärken. Die
Koalition aus CDU, CSU und FDP ist sich hier einig.
Wir haben im Sinne der deutschen Landwirtschaft und
der deutschen Verbraucher gehandelt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Angesichts der Zeit kann ich nur kurz folgende Punkte
nennen:

Erstens. Es geht um den Erhalt der Förderung im Rah-
men der GAP, um nominale Konstanz, um eine starke
erste und zweite Säule der GAP.

Zweitens. Wir werden im Unterschied zu früheren
Regierungen das hohe Niveau der Mittel im Rahmen der
GAK halten.

Drittens. Wir stehen zum ökologischen Landbau. Wir
erhalten die Förderung. Wir fordern aber auch die Län-
der auf, sich verstärkt in der Frage der Förderung des
ökologischen Landbaus zu engagieren.


(Ulrich Kelber [SPD]: Ihr habt doch das Bundesprogramm Ökologischer Landbau massiv beschnitten!)


Wir brauchen 10 000 zusätzliche Betriebe, die in diesen
Sektor wechseln; das hat die BioFach eindeutig gezeigt.

Viertens. Wir brauchen Verlässlichkeit in der Agrar-
sozialpolitik. Diese Koalition, FDP und Union, hat die
Reform der landwirtschaftlichen Sozialversicherung um-
gesetzt.

Fünftens. Die Reform der Erbschaftsteuer hatte und
hat eine große Bedeutung. Das Eigentum, meine Damen
und Herren, die Höfe müssen auch in Zukunft in der Ge-
nerationenfolge vererbbar bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Erik Schweickert [FDP] – Ulrich Kelber [SPD]: War’s denn vorher anders?)


Sechstens. Ohne Landwirte wird auch die Energie-
wende nicht gelingen. Ich nenne die Themen Biomasse
und Photovoltaik. Wir haben hier Themen, die wir ge-
meinsam anzugehen haben: Durchleitungsrechte, Netz-
bau.

Siebtens: das Problem der Ausgleichsflächenrege-
lung. Wir verlieren täglich circa 100 Hektar Nutzfläche.
Es kann nicht sein – hier müssen wir zu Änderungen
kommen –, dass wir für jedes Windrad zusätzlich 5 Hek-
tar Ausgleichsfläche ausweisen müssen. Wir werden
dies ändern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ulrich Kelber [SPD]: Symptombekämpfer!)






Parl. Staatssekretär Dr. Gerd Müller


(A) (C)



(D)(B)


Der Flächenfraß muss gestoppt werden. Deshalb lehnen
wir auch die vorliegenden Vorschläge der EU-Kommis-
sion zum Greening ab.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Freizeitagrarier!)


Meine Damen und Herren, unser Leitbild ist die nach-
haltige, ressourcenschonende, produktive Landwirtschaft
mit höchsten Umwelt-, Tierschutz- und Produktionsstan-
dards. Bundesministerin Aigner hat in Deutschland und
in der EU großartige Erfolge erzielt. Wir werden weitere
Vorschläge zur Reform der GAP machen, insbesondere
in Richtung Entbürokratisierung. Der Bauer gehört aufs
Feld und nicht vornehmlich ins Büro.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Bundesministerin setzt auf Dialog und Transpa-
renz. Im Charta-Prozess wurde ein Dialog mit allen ge-
sellschaftlichen Gruppen geführt. Die Stalltüren sind of-
fen, die Betriebe haben nichts zu verbergen. Frau Aigner
hat wichtige weitere Schritte angekündigt, die ich zum
Schluss nur kurz aufführen möchte.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717004800

Herr Staatssekretär, das können Sie gern tun. Ich

muss Sie darauf aufmerksam machen, dass das dann
aber Auswirkungen für die Redner der Unionsfraktion
hat.

Dr
Dr. Gerd Müller (CSU):
Rede ID: ID1717004900


Frau Pau, wenn Sie mich so behandeln würden wie
üblicherweise auch die Kolleginnen und Kollegen von
den Grünen? Ich bin in einer Minute fertig.

Frau Aigner hat weitere für die Zukunft wichtige
Schritte angekündigt, über die wir diskutieren werden.
Wir werden Vorschläge zur Weiterentwicklung des Tier-
schutzes und zur Verbesserung des Tierwohls vorlegen.
Wir werden neben den bereits vorhandenen weitere Vor-
schläge zur Reduzierung des Einsatzes von Antibiotika
in der Mast vorlegen. Wir werden weitere Vorschläge
zur Stärkung der Lebensmittelsicherheit vorlegen und
umsetzen. Frau Aigner hat das Thema Lebensmittelver-
schwendung aufgegriffen. Wir treten gegen die Welle
von Spekulationen im Bereich der Agrarrohstoffe an.
Wir verstärken die Agrarforschung. Außerdem stellen
wir uns dem Thema Welternährung.


(Ulrich Kelber [SPD]: Was macht ihr denn konkret bei der Spekulation? Ein Antrag ist nichts Konkretes!)


Die deutsche Landwirtschaft ist gut aufgestellt. Die
Politik steht zu unseren Bauern. Die Sicherung der Nah-
rungsmittelversorgung ist eine nationale strategische
Aufgabe, international gesehen geht es schlechthin um
das Überleben der Menschheit. Deshalb sind wir stolz
auf unser Land und unsere Bauern.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Sehr gut! Genau so sind wir! – Ulrich Kelber [SPD]: Im Süden nichts Neues!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717005000

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege

Dr. Wilhelm Priesmeier.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Rede ID: ID1717005100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe eben
den Eindruck gewonnen, die Rede kann eigentlich nur
der Deutsche Bauernverband geschrieben haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie beschwören eine Agrarromantik


(Marlene Mortler [CDU/CSU]: Das zeigt Ihre Ahnungslosigkeit!)


und verkünden mit großen Pathos, dass die Regierung
zur Landwirtschaft steht. Das ist doch eine Selbstver-
ständlichkeit, das muss man nicht betonen.

Wir debattieren über den Agrarbericht 2011. Das ist
immer eine Gelegenheit, auch zu der grundsätzlichen
Ausrichtung der Agrarpolitik Stellung zu nehmen. Dazu
habe ich heute allerdings nichts gehört. Von zukunftsfä-
higer Agrarpolitik war überhaupt nicht die Rede.

Wenn man die Bilanz der deutschen Land- und Agrar-
wirtschaft betrachtet, dann stellt man fest: Das kann sich
sehen lassen. Seit 2000 gab es bei der Schweinefleisch-
produktion eine Steigerung um 45 Prozent, die Geflügel-
fleischproduktion hat sich fast verdoppelt, und der
Exportwert liegt bei über 60 Milliarden Euro. Uns So-
zialdemokraten interessieren besonders auch die Ar-
beitsplätze. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille.

Die andere Seite der Medaille ist, dass wir die gesell-
schaftliche Diskussion über die Land- und Agrarwirt-
schaft nicht aus dem Blick verlieren dürfen. Diese haben
Sie jedoch vollständig aus dem Blick verloren, wie wir
heute sehen konnten.

Nach der Abwesenheit bei der gestrigen Debatte hatte
ich gehofft, dass die Ministerin zumindest bei der heuti-
gen Debatte anwesend wäre.


(Heinz Paula [SPD]: Das stimmt! Das wäre das Mindeste!)


Aber die Ministerin zieht es offensichtlich vor, die deut-
sche Agrarpolitik auf Pressekonferenzen oder Empfän-
gen zu kommentieren und nicht dort, wo das eigentlich
hingehört, nämlich hier im deutschen Parlament.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Armutszeugnis ist das! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Wo ist sie eigentlich? Missachtung! So wird das nichts!)






Dr. Wilhelm Priesmeier


(A) (C)



(D)(B)


Es würde sich anbieten, den Antrag zu stellen, die Minis-
terin herbeizuzitieren. Ich finde, das ist eine Missach-
tung der Agrardebatte. Das kann es eigentlich gar nicht
geben. Die Ministerin gehört hierher und nicht der
Staatssekretär.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Johannes Singhammer [CDU/ CSU]: Der hat aber hervorragend gesprochen!)


Die deutsche Agrarpolitik steckt trotz all der Erfolge
in einem großen Dilemma. Das werden Sie aber nicht
auflösen, zumindest nicht mit der rückwärts gewandten
Politik, die Sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Brüssel
betreiben.


(Marlene Mortler [CDU/CSU]: Er redet gegen seine eigene Überzeugung!)


Lassen Sie mich als Beispiel die Veredelungswirtschaft
nennen. In der gesellschaftlichen Debatte wird deutlich,
was sich dort abspielt. Das ist für jeden wahrnehmbar.
Man muss sich nur die Stellungnahmen der großen Or-
ganisationen wie NABU und der kirchlichen Organisa-
tionen durchlesen. Die muss man doch ernst nehmen.
Bei aller Lobhudelei und aller Freude über die wirt-
schaftliche Stärke und unsere Wettbewerbsfähigkeit: Das
kann man doch nicht verdrängen.


(Marlene Mortler [CDU/CSU]: Wer hat denn diese Rede geschrieben? NABU?)


Wir brauchen vernünftige Rahmenbedingungen, die in
der Gesellschaft Akzeptanz finden; denn sonst gerät die-
ser wichtige volkswirtschaftliche Sektor der Agrarwirt-
schaft zunehmend in Schwierigkeiten. Es wird in
Zukunft erhebliche Diskussionen über die Weiterent-
wicklung dieses Sektors geben, vor allem was die Stan-
dards betrifft.

Mit der Charta für Landwirtschaft und Verbraucher
haben Sie einen richtigen Weg eingeschlagen. Er muss
aber fortgeführt und verstetigt werden. Wir dürfen das
nicht auf eine einmalige Aktion und einen einmaligen
Ansatz beschränken, sondern wir müssen mit all den Be-
teiligten dauerhaft im Gespräch bleiben und die Agrar-
politik stetig weiterentwickeln.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Schauen Sie sich die DAFA-Strategie zur Nutztierhal-
tung an, die letzte Woche beschlossen wurde. Sie ist ein
Ansatz, dessen Umsetzung uns alle vor Herausforderun-
gen stellt. Insofern glaube ich, dass man darauf in der
Zukunft auch die deutsche Agrarpolitik mit ausrichten
sollte.

Wir brauchen mehr Akzeptanz für Investitionen zum
Beispiel in Stallbauten in ländlichen Räumen. Wir brau-
chen Bewegung im Baugesetz, um hier flexibel ansetzen
zu können. Man darf sich da nicht – wie letztens gesche-
hen – verweigern.

Ein Problem ist die Belastung der Böden mit Nitraten.
Dieses Problem ist die Regierung hier bislang noch nicht
angegangen. Das Erlassen einer Verbringungsverord-

nung allein löst das Problem nicht. Wir verlieren in der
Landschaft zunehmend an Artenvielfalt. In den letzten
40 Jahren sind mindestens 40 Arten verlorengegangen.
Die Flächenkonkurrenz steigt auch aufgrund der Bio-
masseproduktion. Wir müssen uns klar positionieren,
wir müssen deutlich machen, wohin wir in Zukunft wol-
len. Auch die Regierung muss das tun. Die Diskussion
über den Antibiotikaverbrauch in den letzten Monaten
hat gezeigt, wie schwierig die Situation wird, wenn es
um das Verbrauchervertrauen geht. Da brauchen wir
klare und eindeutige Minderungsziele und nicht einfach
nur einen hohlen Entwurf zur Änderung des Arzneimit-
telgesetzes bzw. eine Novelle, die außer Verordnungser-
mächtigungen an Klarheit nichts enthält und mit der wir
die weitere Ausgestaltung eventuell den Bürokraten auf
der Länder- und der Bundesebene überlassen. So geht
das nicht.


(Beifall bei der SPD)


In der Weise – das ist schon gewiss – wird der Gesetz-
entwurf auch nicht hier durch das Parlament gehen. Da
wollen wir Hand anlegen; wir wollen da ordentlich et-
was tun. Sie führen Scheindebatten über das Dispensier-
recht, treffen aber den eigentlichen Kern des Problems
nicht.

Wir brauchen ein besseres und tiergerechtes Hal-
tungssystem für die Tiere, mehr Hygiene im Stall und
ein besseres Management in der Produktion. Vor allen
Dingen müssen wir die Systeme an die Tiere anpassen –
und nicht umgekehrt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Heinz Paula [SPD]: Ganz genau! Das kann man nicht oft genug sagen!)


Man braucht Geld, um diese Entwicklung zu befördern.
Das Geld brauchen wir in der zweiten Säule und nicht
mehr in der ersten, wie Sie es hier mit Ihrer Agrarstein-
zeitpolitik vertreten.

Wenn wir zukünftig einen richtungsweisenden Ansatz
für die Agrarpolitik haben wollen, kann das an sich nur
heißen: langsamer, aber stetiger Ausstieg aus dem Sys-
tem der an sich überholten Direktzahlungen und weg mit
dem Gießkannenprinzip. Die Direktzahlungsverord-
nung, die wir nach 2014 bekommen werden, bietet einen
Ansatz dafür. Schichten wir zunächst einmal 510 Millio-
nen Euro von der ersten in die zweite Säule um. Dann
haben wir den finanziellen Spielraum, um das mitzu-
gestalten. Beschränken wir die Ausgleichszulage auf Re-
gionen, die sie brauchen, und verteilen wir sie nicht an
alle Regionen. 30 Prozent können bei uns nicht so be-
nachteiligt sein. Das ergibt sich aus den Zahlen, die Sie
heute Morgen vorgetragen haben. Insofern schaffen wir
– auch durch Verlagerung der Ausgleichszahlungen von
der ersten in die zweite Säule – für die Kofinanzierung
Raum. Dann sind wir, glaube ich, auf einem guten Weg.

Wir brauchen für die Zukunft mehr Investitionen,
klare Rahmenbedingungen und vor allen Dingen mehr
Investitionen in Beschäftigung, Wertschöpfung und
Innovation. Davon ist heute hier gar nichts deutlich ge-
worden.





Dr. Wilhelm Priesmeier


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der SPD)


Wir brauchen in der zweiten Säule langfristig angelegte
Förderprogramme und keine kurzfristigen Programme,
die man nur als Sonderprogramme für bestimmte Be-
reiche vorantreibt. Wir brauchen öffentliches Geld nur
noch für öffentliche Güter. Wir müssen die Artenvielfalt
sichern. Wir müssen uns dem Klimaschutz aktiv zuwen-
den und das Tierwohl verbessern. Das alles sind Maß-
nahmen, zu denen Sie hier heute vom Grundsatz her
keine Stellung bezogen haben.

Entwickeln Sie doch endlich eine Konzeption, die
von allen Fraktionen hier im Parlament getragen wird
und mit der wir gemeinsam aus der jetzigen antiquierten
Agrarpolitik aussteigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich setze fest darauf, dass wir Sozialdemokraten spätes-
tens ab 2013 diese Fehler korrigieren können. Die Zeit
ist reif für den Wandel.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Vielen
Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717005200

Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Dr. Christel

Happach-Kasan das Wort.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1717005300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Das Allensbacher Jahrbuch beschreibt seit
Beginn der Bundesrepublik Deutschland die Bewusst-
seinslage in Deutschland. Im zwölften Jahrbuch aus dem
Jahre 2010 heißt es: 96 Prozent der Menschen in
Deutschland stimmen der Aussage zu, dass wir eine
schöne Landschaft und eine herrliche Natur haben.
87 Prozent stimmen dieser Aussage zu: Bei uns gibt es
gutes Essen und Trinken. Im Fazit: Landwirtschaft tut
gut. Das ist ein hervorragendes Ergebnis, das unsere
Landwirte erzielen.


(Beifall bei der FDP – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles ist gut!)


Dass das nicht nur graue Zahlen sind, zeigt sich auch
daran, dass regionale Produkte an Beliebtheit gewinnen,
und zwar nicht nur regionale Produkte, die bei uns her-
gestellt werden, sondern auch Produkte, für die die Idee
aus Deutschland stammt, beispielsweise Lübecker Mar-
zipan. Die Idee stammt aus Lübeck. Das ist ein hervorra-
gendes Produkt, das sich großer Beliebtheit erfreut.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Wo wächst eigentlich Lübecker Marzipan? Können Sie mir das einmal erklären? Das ist ja absurd!)


Die drei Länder, in denen die meisten Menschen aus
Deutschland Ferien machen, Bayern, Mecklenburg-Vor-

pommern und Schleswig-Holstein, sind landwirtschaft-
lich strukturiert. Auch das zeigt, dass Landwirtschaft un-
serem Land guttut.

Ich weiß, dass es Demonstrationen gegen die Ansied-
lung landwirtschaftlicher Betriebe gibt. Ich weiß aber
auch, dass dies Einzelereignisse sind; das macht das
Allensbacher Jahrbuch deutlich. Die Volksabstimmung
zu Stuttgart 21 hat uns gezeigt, dass die lauten Rufer
nicht automatisch die Mehrheit haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Das wurde auch im Januar dieses Jahres in Berlin deut-
lich: Von 90 Verbänden eingeladen, haben 5 300 Men-
schen gegen unsere heimische Landwirtschaft demons-
triert, aber 400 000 Menschen haben die Grüne Woche
besucht und dafür sogar Eintritt gezahlt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Die Anerkennung für unsere Landwirtschaft ist also
enorm groß.

5 Millionen Menschen sind in der Landwirtschaft und
in den vor- und nachgelagerten Bereichen beschäftigt.
Die Bruttowertschöpfung beträgt 140 Milliarden Euro.
Das Exportvolumen beträgt 50 Milliarden Euro. Damit
werden Arbeitsplätze in Land- und Ernährungswirtschaft
in Deutschland gesichert.

Die Regierungskoalition hat eine sehr gute Bilanz
vorzuweisen: Waldgesetz und Waldstrategie sind auf den
Weg gebracht, die Agrardieselbesteuerung konnte zu-
rückgeführt werden, der Bereich der Pflanzenschutzmit-
telzulassungen wurde geordnet, über die Charta wird
– das erkennt sogar die SPD an – eine gute Diskussion
mit der Bevölkerung geführt, die Neuorganisation der
Landwirtschaftlichen Sozialversicherung wurde auf den
Weg gebracht – schade, dass die SPD, obwohl sie im
Plenum zustimmt, im Hintergrund dagegen arbeitet –,
und auch das Problem mit der Fehlsteuerung des EEG
im Bereich der Biomasse, das gerade vonseiten der SPD
kritisiert wurde, haben wir behoben.


(Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Nee!)


– Du hast vollkommen recht, Wilhelm.


(Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Eben! – Lachen bei der SPD)


Was ist weiterhin zu tun? Darauf wollen wir gerne zu
sprechen kommen. Wenn wir uns den Agrarbericht an-
schauen, dann müssen wir feststellen, dass die Einkom-
men im Bereich der Landwirtschaft in den letzten fünf
Jahren geringer waren als in den fünf Jahren davor, dass
die Einkommen im Bereich der Landwirtschaft nach wie
vor niedriger sind als die gewerblichen Vergleichsein-
kommen.


(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Hört! Hört! Ich dachte, alles ist in Ordnung!)


Das bedeutet, dass man mit der Beendigung der Direkt-
zahlungen die landwirtschaftlichen Betriebe letztlich in
die Armut treiben würde. Das muss jeder wissen, der
sagt: Wir wollen die Direktzahlungen beenden. – Das





Dr. Christel Happach-Kasan


(A) (C)



(D)(B)


wollen wir nicht. Deswegen stehen wir zu den zwei Säu-
len der Landwirtschaft.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Strukturwandel wird sich natürlich weiter vollzie-
hen; das ist der entscheidende Impuls. Wir wollen diesen
Strukturwandel begleiten, damit er sich nach ethischen
Maßstäben und sozialverträglich vollzieht.


(Lachen des Abg. Alexander Süßmair [DIE LINKE])


Wir wollen den Strukturwandel nicht aufhalten; denn das
würde Gelder kosten, die wir alle nicht haben – Sie übri-
gens auch nicht.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717005400

Kollegin Happach-Kasan, gestatten Sie eine Frage

oder Bemerkung des Kollegen Priesmeier?


Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1717005500

Eine Frage, ja.


(Lachen bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717005600

Tja, unsere Geschäftsordnung gibt beide Möglichkei-

ten her. – Bitte.


Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Rede ID: ID1717005700

Es ehrt Sie, Frau Kollegin, dass Sie Fragen gestatten.

Lassen Sie mich aber auch eine Bemerkung machen.

Kennen Sie das Gutachten des Sachverständigenrates
zur Agrarpolitik, insbesondere die Perspektiven, Aussa-
gen und Forderungen, die darin bezogen auf die Fortfüh-
rung des Direktzahlungssystems enthalten sind? Kennen
Sie zum Beispiel die Stellungnahme des an sich doch
sehr renommierten Agrarökonomen Professor Isermeyer?
Wissen Sie, was er dazu sagt? Können Sie mir vielleicht
deutlich machen, worin der Unterschied zwischen seiner
Position und Ihrer Position liegt? Warum möchten Sie
das so weiterführen?


Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1717005800

Ich habe nicht gesagt, dass ich irgendetwas weiterfüh-

ren möchte. Ich habe gesagt, dass wir diese Direktzah-
lungen im Bereich der Landwirtschaft in der heutigen
Situation, die im Agrarbericht der Bundesregierung auf-
gezeigt wird, brauchen, dass wir für die Zukunft aber ei-
nen Ausstieg haben wollen. Die FDP-Bundestagsfrak-
tion hat mit dem Modell der Kulturlandschaftsprämie,
mit der Forderung nach einer Entkoppelung einen Weg
beschrieben, wie man Direktzahlungen sukzessive ablö-
sen kann. Das beinhaltet, dass wir den Landwirten die
Möglichkeit geben müssen, ihr Einkommen vollständig
am Markt zu erwirtschaften. Das bedeutet, dass wir in
Forschung investieren müssen, um eine nachhaltige Pro-
duktivitätssteigerung zu erreichen; dies wird so vorge-
schlagen.

Ich stimme sowohl Professor Isermeyer als auch Pro-
fessor Schmitz, der dies auf dem Agrarkongress der
FDP-Bundestagsfraktion in Kiel noch einmal deutlich
gemacht hat, zu, dass wir natürlich im Blick haben müs-
sen, dass wir das Ziel, mehr am Markt zu erwirtschaften,
nur über eine nachhaltige Produktivitätssteigerung errei-
chen können. Diese müssen wir langfristig anlegen, um
sicherzugehen, dass genau die Betriebe, die Zukunfts-
potenzial haben, erhalten bleiben und nicht die Betriebe
gestärkt werden, die dieses Zukunftspotenzial nicht ha-
ben. Wir wollen nicht, dass jemand seinen landwirt-
schaftlichen Betrieb aufgeben muss und in Armut fällt.

Wir wollen den geordneten Ausstieg mancher Be-
triebe aus der Landwirtschaft. Wir wollen selbstver-
ständlich sicherstellen, dass die Landwirtschaft Struktu-
ren bekommt, die dazu beitragen, dass die in der
Landwirtschaft Tätigen ihr Einkommen selbstständig er-
wirtschaften können. Da sind wir mit den Wissenschaft-
lern in keiner Weise auseinander. Aber wir sagen auch:
Dies muss sukzessive erfolgen. Es kann nicht von heute
auf morgen geschehen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir brauchen eine Verbraucherethik; diese hat Staats-
sekretär Müller zutreffend beschrieben. Wir sehen: Aus
der Bevölkerung werden Ansprüche an die Landwirt-
schaft gestellt, aber die Bereitschaft, für entsprechende
Produkte mehr zu zahlen, ist vergleichsweise gering.
Deswegen müssen wir dafür werben, dass die Menschen
die Leistungen, die sie einfordern, auch bezahlen.

Ich habe gesagt: Wir brauchen eine nachhaltige Pro-
duktivitätssteigerung. Das bedeutet auch, dass wir mehr
Forschung brauchen. Zwei unserer Ressortforschungs-
einrichtungen sind Teile von Exzellenzclustern; Sie wis-
sen das sicherlich. Es handelt sich um das Institut in Ma-
riensee und das Institut in Kiel. Ich finde, beide müssten
dafür belohnt werden, dass sie – anders als andere Insti-
tute – mit ihrer Forschung international Anschluss ge-
funden haben.

Wir müssen natürlich auch darauf einwirken, dass die
Forschungsergebnisse umgesetzt werden. Da gibt es
nach wie vor Defizite, zum Beispiel im Bereich der Bio-
masseproduktion. Kurzumtriebsplantagen haben noch
nicht den Stellenwert, den sie laut Gutachten des Wis-
senschaftlichen Beirats haben sollten. Die gentechnische
Züchtung hat in Deutschland nicht den Rückhalt, den sie
braucht. Durch sie werden den Landwirten neue Sorten
an die Hand gegeben, die ertragreicher sind und bei de-
nen weniger Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden
müssen.

Ehec hat uns vor Augen geführt, dass für die Lebens-
mittelsicherheit nicht die Belastungen mit chemischen
Produkten, beispielsweise mit Dioxin – darüber wurde
Anfang letzten Jahres gesprochen –, das Problem sind,
sondern die Keimbelastungen. Deswegen müssen wir
dem Bereich Hygiene sehr viel mehr Stellenwert einräu-
men als bisher. Wir müssen auch deutlich machen, dass
die Vermeidung von Antibiotikaresistenzen wichtig ist.





Dr. Christel Happach-Kasan


(A) (C)



(D)(B)


Wir brauchen nach meiner Auffassung auf europäi-
scher Ebene ein Tierwohl-Label auf freiwilliger Basis,
wie es von vielen gefordert wird. Dieses zeichnet Tier-
haltung mit einem höheren Tierschutzstandard aus. Die
Menschen, die diesen fordern, haben dann die Wahl und
werden dann aber auch entsprechend mehr für diese Pro-
dukte zahlen.

Bei der Legehennenverordnung ist nicht Tierschutz
das Thema.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717005900

Kollegin Happach-Kasan, ich glaube, Sie können

jetzt kein neues Thema mehr ansprechen. Das Minus vor
der Zeitangabe zeigt Ihnen, wie weit Sie Ihre Redezeit
bereits überschritten haben.


Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1717006000

Dann werde ich meine Rede abschließen. – Der Bun-

desratsbeschluss zielt nicht auf Tierschutz, sondern da-
rauf, dass wir uns grundgesetzwidrig verhalten. Dies
kann die Bundesregierung natürlich nicht tun.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717006100

Das Wort hat der Kollege Alexander Süßmair für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Alexander Süßmair (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717006200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir beraten heute vor allem den Agrarpoliti-
schen Bericht 2011 der Bundesregierung. Darin geht es
um die Situation der Landwirtschaft von 2007 bis 2010
und um die Ziele der Agrarpolitik. In dem Bericht heißt
es so schön – ich zitiere –:

Zur Ernährungssicherung einer wachsenden Welt-
bevölkerung und zur Produktion nachwachsender
Rohstoffe ist eine leistungsfähige und sozialver-
trägliche, Ressourcen schonende, die Biodiversität
erhaltende Wirtschaftsweise erforderlich.

Alle diese Ziele sind richtig. Man könnte glauben, dass
Sie durchaus verstanden haben, worum es geht. Aber
stimmt das mit der Agrarpolitik, die Sie betreiben, über-
ein? Ich sage nein. Das beweise ich Ihnen anhand zweier
Punkte.

Punkt eins. Ihre Politik ist nicht sozialverträglich;
denn die Einkommen im ländlichen Raum sind immer
noch geringer als die in den industriellen Ballungsgebie-
ten. Das steht auch im Bericht. Dort kann man nachle-
sen, dass im Wirtschaftsjahr 2009/2010 das durch-
schnittliche jährliche Bruttoeinkommen eines Landwirts
bzw. einer Landwirtin 23 211 Euro betrug.

Das sind im Monat etwa 1 934 Euro. Damit lag das
Einkommen der Landwirte um 34 Prozent unter dem
durchschnittlichen Bruttoeinkommen. Viele Menschen

wandern deshalb aus den ländlichen Räumen ab, und
viele Betriebe finden keinen Nachfolger.

Heute ist Equal Pay Day. Das heißt: gleicher Lohn für
die gleiche Arbeit für Männer und Frauen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Leider ist es auch im ländlichen Raum so, dass Frauen
für die gleiche Arbeit weniger Lohn bekommen als Män-
ner. Damit sind Frauen, was ihre Einkommen betrifft, im
ländlichen Raum am schlechtesten gestellt. Nur 8 Pro-
zent der Betriebe in der Landwirtschaft werden von
Frauen geleitet. Da wundert es nicht, dass vor allem
junge, qualifizierte Frauen den ländlichen Raum verlas-
sen.

Was steht dazu im Agrarbericht der Bundesregierung?
Auf Seite 76 befindet sich eine Tabelle zu Auszubilden-
den in Agrarberufen. Dort steht das Wort „Molkereifach-
mann/-frau“. Das ist das einzige Mal, dass in diesem
Agrarbericht das Wort „Frau“ überhaupt vorkommt.


(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Skandalös!)


Auf 108 Seiten kein Wort zur Situation von Frauen in
der Landwirtschaft, geschweige denn zu gleichem Lohn
und Chancengleichheit von Männern und Frauen!


(Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Genau! Daran können Sie sehen: Wir sind gleichberechtigt! Wir haben diese Unterschiede längst überwunden!)


Das ist ein Armutszeugnis für Ministerin Aigner und ein
Tiefschlag für die schwarz-gelbe Bundesregierung.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Trend zur Industriealisierung der Landwirtschaft
hat sich in den letzten Jahren drastisch verstärkt. Durch
die Öffnung der Märkte und die Orientierung auf den
Weltmarkt sind die landwirtschaftlichen Betriebe einem
immer stärkeren Kostendruck ausgesetzt. Dafür müssen
dann Hunderttausende von Saisonarbeitskräften aus Ost-
europa teils zu Hungerlöhnen schuften, und die Beschäf-
tigten in den Betrieben werden mit niedrigen Löhnen
ausgebeutet. Bäuerinnen und Bauern sind immer stärker
– das ist schon erwähnt worden – auf die Fördergelder
der EU angewiesen, weil sie für ihre Produkte keine fai-
ren Preise bekommen. Immer mehr kleine und mittlere
Höfe müssen aufgeben, weil sie diesem Kostendruck
nicht mehr standhalten und das Geld für notwendige In-
vestitionen nicht mehr erwirtschaften können. Das ist
der völlig falsche Weg.


(Beifall bei der LINKEN)


In Ihrem Agrarpolitischen Bericht heißt es dazu, das
Ziel der Bundesregierung sei, die Exportpotenziale der
deutschen Landwirtschaft weiter auszuschöpfen. Das be-
deutet nichts anderes, als dass diese Entwicklung weiter
vorangetrieben werden soll, auf Kosten von Mensch,





Alexander Süßmair


(A) (C)



(D)(B)


Tier und Umwelt. Eine solche sozial und ökologisch un-
verantwortliche Politik lehnen wir ab.


(Beifall bei der LINKEN)


Punkt zwei. Ihre Politik ist nicht ressourcenschonend
oder nachhaltig. Die Bundesregierung fördert mit der In-
tensivierung der Landwirtschaft die damit verbundenen
Strukturen, hin zu Monokulturen, zu höherem Verbrauch
von Energie, zum Einsatz von mehr Düngemitteln und
Pflanzenschutzmitteln. Gleichzeitig erleben wir, dass die
zunehmende Verknappung von fossilen Energieträgern
und Mineraldünger wie Phosphor voranschreitet. Alle
Experten sind sich einig, dass die Preise für diese Roh-
stoffe in den nächsten Jahren stetig steigen werden.
Hinzu kommt, dass die Artenvielfalt durch die Intensi-
vierung deutlich abgenommen hat.

Etwa 50 Prozent unserer Exporte sind Fleischexporte.
Um die dafür notwendige Menge Fleisch zu erzeugen,
müssen billige Futtermittel importiert werden. Sie sor-
gen dafür, dass woanders in der Welt Regenwälder abge-
holzt werden. Sie sorgen dafür, dass Menschen von
ihrem Land vertrieben werden und unter sozial unzumut-
baren Bedingungen auf pestizidverseuchten Feldern
arbeiten müssen, und das nur, weil Ihnen kurzfristige
wirtschaftliche Erfolge und Profite wichtiger sind als
ökologische und soziale Nachhaltigkeit. Das machen wir
nicht mit.


(Beifall bei der LINKEN – Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Du brauchst auch nicht mitzumachen!)


Eine andere Agrarpolitik ist möglich, und es gibt Al-
ternativen. Die Linke will einen gesetzlichen flächende-
ckenden Mindestlohn,


(Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Oh ja! Na endlich! Darauf habe ich gewartet!)


der auch in der Landwirtschaft gilt.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen faire Erzeugerpreise in der Landwirt-
schaft; wir müssen die Marktmacht der Bäuerinnen und
Bauern stärken und Erzeugergemeinschaften fördern.
Wir wollen die Abkehr vom Dogma des Exports und hin
zu regionalen Wirtschaftskreisläufen, damit die Wert-
schöpfung im ländlichen Raum bleibt, die Umwelt ge-
schont wird und die Menschen wieder eine lebenswerte
Perspektive haben. Wir wollen eine gezielte und stärkere
Förderung von Betrieben, die gute Arbeitsplätze erhal-
ten, höhere Anforderungen an den Umweltschutz erfül-
len, den Tierschutz verbessern und tiergerechte Hal-
tungssysteme betreiben. Wir wollen den Ausbau des
Ökolandbaus und auch die Forschung dafür stärken. Wir
brauchen endlich eine geschlechterspezifische Förde-
rung im ländlichen Raum.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Willi Brase [SPD])


Wir brauchen auch eine Handelspolitik, die die Märkte
der Entwicklungsländer schützt und den Erzeugerinnen
und Erzeugern dort den Verkauf ihrer Produkte zu fairen

Preisen ermöglicht, statt ihre Ressourcen auszubeuten.
Das verstehen wir unter guten Perspektiven für die
Landwirtschaft.

Lassen Sie mich noch kurz etwas zu den beiden vor-
liegenden Anträgen von SPD und Grünen zum Verbot
der Kleingruppenhaltung sagen. Das Verbot ist richtig.
Wir sind der Meinung, dass Eier aus Legebatterien und
aus Käfighaltung so schnell wie möglich verboten wer-
den müssen; auch die Verbraucherinnen und Verbraucher
haben im Supermarkt schon längst entschieden.


(Zuruf von der LINKEN: So ist es!)


Sie kaufen nur noch Eier aus Bodenhaltung, Freilandhal-
tung oder aus Bio- und Ökolandbau. Nur die Industrie
hat ein Interesse an möglichst billigen Eiern aus Lege-
batterien. Das lehnen wir ab, und deshalb unterstützen
wir Ihre Anträge.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Heinz Paula [SPD]: Gut so!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717006300

Kollege Süßmair, es tut mir leid, dass ich auch Sie an

die Redezeit erinnern muss.


Alexander Süßmair (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717006400

Ja. – Nur wenn wir Menschen sorgsam mit Natur und

Tier umgehen, haben wir eine Zukunft.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717006500

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol-

legin Cornelia Behm das Wort.


Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717006600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Das Thema Klimaschutz in der Landwirt-
schaft kommt im Agrarbericht so gut wie gar nicht vor.
Dort stehen ein paar Zeilen mit Allgemeinplätzen, aber
Handlungsvorschläge für die Land- und Forstwirtschaft
sucht man darin vergebens. Dabei kommen wir über-
haupt nicht umhin, Klimaschutz und Landwirtschaft zu-
sammenzudenken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Inwieweit die Landwirtschaft aber Betroffene des Kli-
mawandels ist oder ob sie ihn bremst oder anheizt, hängt
in starkem Maße von der Bewirtschaftungsform ab.

In der ersten Lesung zu unserem Klimaschutzantrag
hat der Kollege Röring den Vorwurf erhoben, wir wür-
den die Augen vor der Realität verschließen und in ideo-
logische Wunschvorstellungen flüchten, anstatt effektive
Lösungswege zu erschließen.


(Johannes Röring [CDU/CSU]: Genau so ist es! Das werde ich gleich wiederholen!)






Cornelia Behm


(A) (C)



(D)(B)


Herr Röring, diesen Vorwurf müssten Sie ebenso an den
Weltagrarrat, an den Sachverständigenrat für Umweltfra-
gen und darüber hinaus an breite Teile der Gesellschaft
richten; denn sie erheben die gleichen Forderungen wie
die, die in unserem Antrag formuliert sind. Es sind eher
die Kollegen aus dem schwarz-gelben Lager, die die Au-
gen vor der Realität verschließen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Johannes Röring [CDU/CSU]: Das sind Fachleute!)


Es ist eine Binsenweisheit, dass energieintensive Be-
wirtschaftungsformen die Landwirtschaft zum Verursa-
cher von Treibhausgasemissionen machen. Deshalb ist
es angesichts der mehrfachen Herausforderungen, vor
denen die Landwirtschaft steht – Welternährung, Erhalt
der Biodiversität und Klimawandel –, besonders wichtig,
die Klimabilanz durch Maßnahmen der Energieeinspa-
rung und -effizienz zu verbessern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Willi Brase [SPD])


Die stereotype Antwort von Union und FDP auf diese
Herausforderungen ist aber, dass die Landwirtschaft effi-
zient und intensiv betrieben werden muss.

In den Augen der Regierungskoalition heißt effizient:
industrialisierte Landwirtschaft mit viel und teurer Tech-
nik,


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, so ist es!)


Abbau von Arbeitsplätzen, Massenproduktion und Se-
gregation der Landnutzung zulasten der Biodiversität.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Für die Agrarpolitiker auf der rechten Seite des Hauses
bedeutet intensiv, einige wenige Hochleistungssorten
weltweit anzubauen, gentechnisch veränderte Pflanzen
zur Absatzförderung für Herbizide,


(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Das ist doch Unsinn!)


chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel und Stick-
stoffdünger satt.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Darin steckt viel Energie. Das hat mit Klimaschutz
nichts zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aus grüner Sicht bekommen diese beiden Begriffe,
angewandt auf die Landwirtschaft, eine völlig andere
Bedeutung. Uns Grünen geht es um ökologische Intensi-
vierung, das heißt die Ressourcen vor Ort effizient nut-
zen, Innovationen, gut ausgebildete Arbeitskräfte, in
regionalen Kreisläufen wirtschaften, Bewahrung der
Agrobiodiversität und vielgliedrige Fruchtfolgen mit
Stickstoffzehrern, aber auch mit Stickstoffmehrern. Nur
so kann man die Landwirtschaft klimatauglich machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der dauerhafte Erhalt von Grünland und Mooren ist
im Hinblick auf die Klimawirkung der Landwirtschaft
effizient. Denn hier wird CO2 lang anhaltend gebunden.
Die ackerbauliche Nutzung dieser Standorte macht die
Landwirtschaft hingegen zum Klimakiller. Übrigens hat
die EU gerade erst in der vergangenen Woche Klima-
bilanzen von Land- und Forstwirtschaften gefordert.
Jetzt können Sie sich nicht mehr wegducken.

In unserem Antrag haben wir Vorschläge für einen
Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft gemacht. Sie
soll intensiv und effizient für das Klima, für die Welt-
ernährung und für die biologische Vielfalt sein – nicht
aber für Agrarkonzerne und die Chemieindustrie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717006700

Das Wort hat der Kollege Franz-Josef Holzenkamp

für die Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Franz-Josef Holzenkamp (CDU):
Rede ID: ID1717006800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte zu Beginn einleitend nur noch einmal kurz
darauf hinweisen, dass es der erste Agrarbericht ist, der
einen Zeitraum von vier Jahren beschreibt. Das zeigt,
dass wir damals alles richtig gemacht haben. Wir wollten
nämlich erstens weniger Bürokratie, und zweitens haben
wir die Aussagekraft erhöht, weil wir sehr volatile
Marktpreise in unserer Branche berücksichtigt haben. Es
ist also ein guter Einstieg.


(Ulrich Kelber [SPD]: Und weil es so wichtig ist, ist die Ministerin nicht da! So eine Logik!)


Da uns immer andere Dinge unterstellt werden,
möchte ich einen Satz zu unserem Leitbild voranstellen,
Frau Behm. Unser Leitbild ist und bleibt eine leistungs-
und wettbewerbsorientierte, aber familiengeführte bäu-
erliche Landwirtschaft.


(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wie sieht die Praxis aus? Was ist die Realität?)


Das war schon immer so, und das wird auch immer so
bleiben. Alle Betriebe sind uns gleich lieb – ob konven-
tionell oder öko, ob groß oder klein.


(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch ein Euphemismus!)


Das ist der Unterschied: Wir differenzieren nicht in
„gut“ oder „schlecht“, wie Sie dies ideologisch und pau-
schalisiert tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, gerade die Vielfalt ist das
Besondere an der deutschen Landwirtschaft und am
ländlichen Raum. Es geht darum, nachhaltig zu wirt-
schaften, die Ressourcen effizient zu nutzen und hoch
innovativ zu sein. Das gilt für alle Produktionsformen,
ob mit Laptop oder mit Gummistiefeln. Wünschen





Franz-Josef Holzenkamp


(A) (C)



(D)(B)


würde ich mir natürlich auch eine höhere Wertschätzung
von Lebensmitteln, damit wir in unserer Gesellschaft
schneller vorankommen, die Lebensmittelverschwen-
dung weiter abzubauen.

Wo stehen wir in der Landwirtschaft aktuell? Wir hat-
ten in diesem Berichtszeitraum einige Krisen zu über-
winden. Es gab die Finanzkrise, der die Milchkrise
folgte. Wir haben stürmische Zeiten durchleben müssen.
Aktuell möchte ich an das Kämpfen mit dem Schmallen-
berg-Virus erinnern. Außerdem müssen zurzeit viele
Bauern aufgrund der Frostsituation ihre Getreideflächen
umbrechen. Insgesamt sind wir allerdings relativ stabil,
weil – das ist ganz einfach, meine Damen und Herren –
unsere landwirtschaftlichen Betriebe ihre Hausaufgaben
gemacht und den Markt angenommen haben. Sie wollen
ihr Geld, ihr Familieneinkommen mit ihren Produkten
auf dem Markt, aber nicht mit Subventionen verdienen.
Das werden wir politisch begleiten und stärken. Auf uns
können sich die Landwirte letztendlich verlassen.

Meine Damen und Herren, wir erleben natürlich einen
permanenten Strukturwandel, und diesen wird auch nie-
mand von uns aufhalten. Gerd Müller, der Staatssekretär,
hat auf die Gesamtbeschäftigung in der Branche hinge-
wiesen,


(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber ihr seid die Treiber des Strukturwandels!)


und ich will Folgendes noch einmal deutlich sagen: Das
Gegenteil von dem, was Sie behauptet haben, Frau
Behm, ist tatsächlich Realität. Die Beschäftigtenzahl in
der gesamten Kette steigt.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: So ist es!)


Sie ist 2011 von etwa 4,6 oder 4,7 auf etwa 5 Millionen
Beschäftigte gestiegen. Das heißt, trotz einer Abnahme
der Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe um 2 bis
2,5 Prozent hat die Gesamtbeschäftigung zugenommen,
und das zeigt, wie innovativ und wirtschaftlich leis-
tungsfähig diese Branche letztendlich ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Eine kluge Politik!)


Ich will auch noch einen Satz zum Export sagen, weil
der Export immer pauschal kritisiert wird. Meine Damen
und Herren, wenn man importiert, dann muss man auch
exportieren. So einfach ist das. Wenn wir wollen, dass
die Bevölkerung auf der Welt satt wird, dann gehört
Welthandel dazu. Alle Produkte wachsen schließlich
nicht überall auf der Welt. Das sollten wir wirklich ein-
mal zur Kenntnis nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wenn Produkte made in Germany weltweit gewünscht
werden, wie Autos von BMW, Audi oder Mercedes,
freuen wir uns darüber. Darauf können wir uns wirklich
etwas einbilden.

Aber weil immer behauptet wird, wir seien aus-
schließlich exportausgerichtet: Schauen wir uns den

Saldo bei Import und Export an. Unser Land hat einen
Importüberschuss von etwa 16 Prozent. Das ist die
Wahrheit, nicht das, was Sie immer behaupten.

Noch ein Satz zu der Mär von den Exporterstattun-
gen. Die Exporterstattungen spielen in Europa zurzeit
fast keine Rolle mehr. Wir sind für eine europaweite Ab-
schaffung der Exporterstattung, um das deutlich zu sa-
gen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Zu den Herausforderungen. Auch wir in Deutschland
müssen unseren Beitrag zur Hungerbekämpfung leisten.
Wir müssen die Emissionen zur Bekämpfung des Klima-
wandels reduzieren. Da sind wir uns in der Zielsetzung
vollkommen einig.

Wir sollen und wollen auch schonend Energie erzeu-
gen. Ich persönlich – Herr Kollege Priesmeier, das haben
Sie angesprochen – sage deutlich: Wir haben in meinen
Augen die Grenze beim Biomasseanbau erreicht. Diese
2,15 Millionen Hektar in Deutschland sind definitiv ge-
nug. Wenn wir mehr machen wollen, müssen wir ver-
stärkt zur Kaskadennutzung übergehen. Das ist vernünf-
tig. Dabei spielt natürlich die Forschung eine zentrale
Rolle.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717006900

Herr Holzenkamp, erlauben Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Süßmair von der Fraktion Die Linke?


Franz-Josef Holzenkamp (CDU):
Rede ID: ID1717007000

Ja, sehr gerne. Herr Süßmair, bitte schön.


Alexander Süßmair (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717007100

Herr Kollege Holzenkamp, vielen Dank für die Zwi-

schenfrage. – Ich möchte noch einmal auf den Export zu
sprechen kommen. Es geht nicht darum – das sagt weder
die Linke noch jemand von denen, die den Export kriti-
sieren –, dass wir mit anderen Ländern – ich meine be-
stimmte Produkte, zum Beispiel Kaffee, Bananen und
Ananas, die wir hier nicht anbauen können – Handel
treiben.

Es geht um Folgendes: Wir konzentrieren uns – das
ist ja leider in einigen Branchen, etwa bei der Autoindus-
trie oder dem Maschinenbau, der Fall – darauf, mög-
lichst immer mehr zu exportieren.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsch!)


Sehr viele Ökonomen bescheinigen uns, dass Deutsch-
land durch seine hohen Exportüberschüsse mitverant-
wortlich für die Euro-Krise ist,


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das ist doch völliger Blödsinn!)


dafür dass andere Länder ihre Produkte nicht mehr ab-
setzen können, dass dort Arbeitsplätze in Bezug auf den
Binnenmarkt verlorengegangen sind. Auch wir haben
mit Blick auf den Binnenmarkt viele Arbeitsplätze verlo-
ren. Wir haben einen sehr großen Niedriglohnsektor und
eine geringe Kaufkraft.





Alexander Süßmair


(A) (C)



(D)(B)


Nehmen Sie das Beispiel Griechenland. Griechenland
war früher ein Agrarexportland und ist in den letzten
Jahren zu einem Agrarimportland geworden.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717007200

Ich bitte darum, eine Frage zu stellen.


Alexander Süßmair (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717007300

Daran ist auch Deutschland mit schuld.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: So ein Quatsch!)


Stimmen Sie mir nicht zu,


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Nein! Kein Mensch stimmt zu!)


dass es um das richtige Augenmaß geht und nicht darum,
mit unseren Produkten – möglichst billig und in Masse
hergestellt – andere Volkswirtschaften zu zerstören? Das
ist eben nicht nachhaltig. Wir haben das selbst während
einer Ausschussreise in Afrika gesehen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717007400

Herr Kollege, Sie haben Ihre Frage gestellt. Sie müs-

sen sie nicht noch zusätzlich kommentieren.


Alexander Süßmair (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717007500

Darf ich aber.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Jetzt ist Schluss!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717007600

Herr Holzenkamp, würden Sie bitte antworten?


Franz-Josef Holzenkamp (CDU):
Rede ID: ID1717007700

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Süßmair,

erstens: Gesamtwirtschaftlich haben wir im Saldo einen
Exportüberschuss, aber in der Agrarwirtschaft gerade
nicht. Dort haben wir einen Importüberschuss. Wenn Sie
Export und Import im Saldo gegenüberstellen, dann se-
hen Sie: Wir haben einen Importüberschuss von etwa
16 Prozent.

Zweitens. Damit schaffen wir Arbeitsplätze. Ich habe
vorhin ausdrücklich darauf hingewiesen: Obwohl sich in
der Landwirtschaft ein Strukturwandel vollzieht, erleben
wir in der gesamten Wertschöpfungskette eine Zunahme
von Arbeitsplätzen, gerade in 2011. Das belegt, dass es
andersherum ist.

Drittens: Bringen wir Arbeitsplätze in anderen Län-
dern in Gefahr? Die Fokussierung des Exports zielt aus-
schließlich auf kaufkräftige Länder, gerade auch auf
Nichtentwicklungsländer – auf keine anderen.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Benin!)


Ich habe nicht umsonst betont, dass wir für eine euro-
paweite Abschaffung der Exporterstattung sind, die übri-
gens heute – vielleicht haben Sie eben nicht genau zuge-
hört – in Europa fast keine Rolle mehr spielt. Also: Wir

belasten keine Märkte, besonders nicht in sensiblen Län-
dern.

Die Fokussierung unseres Exports zielt auf kaufkräf-
tige Länder, weil uns diese Länder auch beliefern. Wenn
wir einen Importanteil von 40 Prozent bei Milchproduk-
ten haben, dann müssen wir einen Teil unserer Milchpro-
dukte auch wieder exportieren.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Westafrika!)


Das lernt man in der Grundschule.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, wir verbessern die Wettbe-
werbsfähigkeit in der Landwirtschaft. Die Stichworte
Agrardiesel und Erbschaftsteuer sind schon gefallen.
Wir schützen Eigentum und bauen Wettbewerbsverzer-
rungen ab. Wir sorgen für soziale Absicherung in den
landwirtschaftlichen Familien. Wir haben gerade den
Bundesträger in unserer Landwirtschaftlichen Sozialver-
sicherung geschaffen. Wir sorgen für die Verbesserung
von Futtermittel- und Lebensmittelsicherheit – stellver-
tretend nenne ich nur den „Dioxin-Aktionsplan“ –,
wobei wir permanent nachjustieren, und wir sorgen für
einen umfangreichen Natur- und Umweltschutz. Bei-
spielhaft sei das Pflanzenschutzgesetz erwähnt, das ei-
nen zusätzlichen EU-weiten Schutz der Natur und der
Produkte in diesem Bereich gewährleistet.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auweia! Eben nicht! Das tut es doch nicht!)


Was bleibt zu tun? Tierschutz ist schon angesprochen
worden. Hier haben wir einiges vor. Die Novelle ist in
der Bearbeitung. Damit werden wir uns in Kürze be-
schäftigen. Ich möchte in Richtung Opposition auf Fol-
gendes hinweisen: Egal ob man für oder gegen Käfighal-
tung ist: Es hat sich bei den Hühnern gezeigt, dass es zu
Wettbewerbsverzerrungen kommt, wenn die einen etwas
machen und die anderen nicht.

Wir alle wissen, dass ab 1. Januar 2013 in der Sauen-
haltung die Gruppenhaltung Pflicht wird. Wir müssen
dafür sorgen – ich fordere die Bundesregierung auf, alles
zu tun, was in ihrer Kraft steht, und entsprechenden
Druck auszuüben –, dass die Umsetzung einheitlich er-
folgt. Es kann nicht sein, dass die Sauenhalter in
Deutschland darunter leiden, dass andere Länder die
Vorgabe nicht umsetzen, wie dies bei den Hühnern der
Fall ist.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht!)


Das kann nicht sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Noch kurz zur GAP: Die GAP soll fairer, grüner und
einfacher sein. Staatssekretär Müller hat schon im Kern
dazu Stellung genommen. Wenn wir mehr leisten und ef-
fizienter produzieren sollen, dann kann es nicht sein,
dass jeder Betrieb, unabhängig davon, wie er gelagert





Franz-Josef Holzenkamp


(A) (C)



(D)(B)


ist, 7 Prozent seiner Fläche stilllegen muss. Es ist politi-
scher Unsinn, so etwas zu beschließen.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir machen keine Stilllegung! Stilllegung ist falsch! Es geht um Ökovorrangflächen!)


Das muss man über Freiwilligenprojekte der zweiten
Säule machen. Hierbei waren wir bisher sehr erfolgreich.
40 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe in
Deutschland führen auf 25 Prozent der Gesamtfläche
Agrarumweltmaßnahmen durch. Das kann sich sehen
lassen. Das wollen wir gerne weiter ausbauen.

Deshalb ist es auch wichtig, den Flächenverbrauch zu
reduzieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir verbrauchen immer noch 90 bis 100 Hektar am Tag.
Ich lade die Opposition herzlich ein, mitzumachen, et-
was für den qualitativen Naturschutz zu tun, damit wir
nicht weiter jeden Tag so viel Fläche verbrauchen.

Abschließend ein Hinweis: Wir haben uns viel vorge-
nommen, um den Dialog mit unserer Gesellschaft zu
verbessern.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Das ist ja fast eine Drohung!)


Immer mehr Menschen wissen nicht mehr, was Land-
wirtschaft ist, insbesondere eine moderne, arbeitsteilige
Landwirtschaft, die beispielsweise Sie überhaupt nicht
wollen. Wo es Nichtwissen gibt, entstehen Freiräume für
Ideologien, und von manchen wird ein Spiel mit den
Ängsten betrieben. Daraus resultiert letztendlich Tech-
nologiefeindlichkeit.

Wir, die Bundesregierung und insbesondere unsere
Ministerin, Frau Aigner, haben den Charta-Prozess ini-
tiiert, um zu einem stärkeren Dialog zu kommen. Das
unterstützen wir mit aller Kraft. Das sollten wir auch ge-
meinsam tun, damit wir den Menschen in unserer Ge-
sellschaft, die zunehmend urban leben, wieder zu einem
Wissen darüber verhelfen können, wie Landwirtschaft
funktioniert.

Herzlichen Dank und später ein schönes Wochen-
ende.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717007800

Für die SPD-Fraktion hat nun das Wort der Kollege

Heinz Paula.


(Beifall bei der SPD)



Heinz Paula (SPD):
Rede ID: ID1717007900

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Werte

Gäste! Ich möchte Frau Ministerin Aigner eines zugute-
halten: Sie hat sowohl im Agrarbericht als auch in ihrem
Tierschutzbericht 2011 ein Problem erfasst, nämlich die
Kleingruppenkäfighaltung bei Legehennen. Ich darf aus
dem Agrarbericht zitieren:

… sind die Anforderungen an die Legehennenhal-
tung aufgrund eines Beschlusses des Bundesverfas-
sungsgerichts zur Kleingruppenhaltung bis April
2012

– also in kurzer Zeit –

neu zu regeln.

Weiter heißt es:

Die Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsver-
ordnung wird keine Regelungen für Kleingruppen-
haltung mehr vorsehen, aber einen angemessenen
Bestandsschutz beinhalten.

Was versteht nun unsere Tierschutzministerin Aigner un-
ter „angemessen“? Bestandsschutz bis 2035! 23 Jahre!


(Ulrich Kelber [SPD]: Unglaublich!)


Wieder einmal verschleppt die Ministerin ein Problem,
weil sie nicht klar entscheidet,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ulrich Kelber [SPD]: Lobbyministerin!)


und das, obwohl sich hinter den lapidaren Sätzen des
Agrarberichts das Elend von über 4,5 Millionen Lege-
hennen in Deutschland verbirgt, obwohl hinter diesen
Sätzen der Kampf Abertausender Bürgerinnen und
Bürger für mehr Tierschutz steckt, wie er in unserem
Grundgesetz verbürgt ist, und obwohl von allen Seiten
gefordert wird, dass Frau Aigner endlich handelt: das
Bundesverfassungsgericht, einstimmig der Bundesrat
mit allen Ministerpräsidenten, darunter auch Herr
Seehofer aus Bayern, Frau Kollegin Mortler. Allerorts
und parteiübergreifend kämpft man gegen den Unwillen
der Bundesregierung, eine Verordnung vorzulegen, die
die Kleingruppenhaltung von Legehennen zumindest in
absehbarer Zeit beendet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungs-
koalition, ich weise auf Art. 20 a unseres Grundgesetzes
hin – ich zitiere –:

Der Staat schützt auch in Verantwortung für die
künftigen Generationen die natürlichen Lebens-
grundlagen und die Tiere …

Sie wissen, dass Legehennen auch nach dem Verbot der
konventionellen Käfighaltung weiterhin in Käfigen,
mehrere Etagen übereinander, gehalten werden. Wissen
Sie eigentlich auch, was das für ein Huhn bedeutet? Das
bedeutet, dass ein Huhn sein Leben auf sage und
schreibe eineinhalb DIN-A-4-Blättern fristen muss. In
dieser drangvollen Enge der Käfige herrscht absoluter
Bewegungsmangel, was bei den Hennen zu erheblichen
gesundheitlichen Schäden führt. Sie können ihr arttypi-
sches Verhalten nicht ausleben. Die Folgen sind klar:
Kannibalismus und Federpicken. Diese Haltung ist nicht
tierartgerecht. Sie ist schlicht und ergreifend Tierquäle-
rei.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie passt das denn zur Ethik des Staatssekre Heinz Paula tärs? – Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Die Bewertungsergebnisse liegen doch vor!)





(A) (C)


(D)(B)


Herr Kollege Holzenkamp, ich muss immer wieder
feststellen: Hier werden mehr die Lobbyisten als die
Tiere geschützt. Dabei war bereits 1999 allen klar, dass
die Käfighaltung keine Zukunft haben wird. Die EU hat
eine entsprechende Richtlinie erlassen. Das Bundesver-
fassungsgericht hat die konventionelle Käfighaltung ver-
boten. Rheinland-Pfalz hat 2006 eine Normenkontroll-
klage gegen die Regelung zur Kleingruppenhaltung
eingereicht. Dieser wurde 2010 stattgegeben. Die Folge
war eine bemerkenswerte Vorgehensweise: Über alle
Parteigrenzen hinweg hat sich der Bundesrat auf einen
Kompromissvorschlag der Länder Niedersachsen und
Rheinland-Pfalz geeinigt. Grundlage war übrigens ein
Gutachten von KTL, einer hochanerkannten Einrich-
tung. Die Kleingruppenhaltung muss also spätestens
2023 – spät genug, wie ich finde – endlich beendet wer-
den. Jetzt müsste Frau Ministerin endlich eine Entschei-
dung treffen. Aber was tut sie? Sie verweigert sich und
blockiert. Ich kann nur feststellen: Diese Regierung ver-
weigert die Arbeit.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Und ignoriert das Parlament!)


Sie wollen doch nicht allen Ernstes behaupten, dass
die Kompetenz Ihrer Justizminister – von Frau Merk aus
Bayern, Herrn Hahn aus Hessen und Herrn Busemann
aus Niedersachsen – nicht ausreicht, die von Ihnen ange-
führten verfassungsrechtlichen Bedenken zu klären. Sie
erreichen mit Ihrer Vorgehensweise des Nichtentschei-
dens nur eines: Es wird ein totales Chaos ab April in un-
serem Land geben, einen Flickenteppich unterschied-
lichster Regelungen. Es kann doch nicht Ihr Ernst sein,
hier ein zusätzliches Bürokratiemonster zu schaffen. Das
steht im Gegensatz zu Ihrem angekündigten Bürokratie-
abbau, Herr Kollege Holzenkamp.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie sollten endlich aufhören, zu lamentieren, dass es
sich hier um einen ungerechtfertigten Eingriff ins Eigen-
tum handele. Wir wissen seit 1999, wohin die Entwick-
lung geht. Wir wissen auch, dass Planungssicherheit für
die Produzenten ein ganz entscheidendes Moment dar-
stellt.

Handeln Sie also endlich, machen Sie Nägel mit Köp-
fen, damit Klarheit herrscht! Denn die Verbraucher und
die Produzenten, die Industrie insgesamt, sind schon um
ein Vielfaches weiter als Sie. Nehmen Sie zum Beispiel
Aldi, Edeka, Dr. Oetker, Birkel usw.: Sie verwenden
keine derartigen Käfigeier mehr. Auch die Verbraucher
sagen zu über 90 Prozent, dass sie auf durch Käfighal-
tung gewonnene Eier verzichten. Handeln Sie endlich
so, wie die Kunden und die Produzenten es wollen!


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Wenn keiner es nachfragt, gibt es das auch nicht mehr! – Gegenruf des Abg. Christian Lange [Back nang] [SPD]: Deswegen ist die FDP bei 1 Prozent!)


Frau Ministerin bzw. Herr Staatssekretär, Sie wissen
doch ganz genau, was auf dem Spiel steht, dass dringen-
der Entscheidungsbedarf besteht, dass Sie endlich auch
beim Tierschutz zumindest eine Maßnahme ergreifen
müssen. Bislang sind Sie, was den Tierschutz anbelangt
– in aller Deutlichkeit gesagt –, ein Totalausfall.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Alexander Süßmair [DIE LINKE])


Nutzen Sie die Steilvorlage des Bundesrates und sor-
gen Sie dafür, dass Sie nicht nur in Ihrem Parteinamen
das Wort „christlich“ führen. Ich darf Sie daran erinnern:
Christliche Werte bedeuten den Schutz aller Geschöpfe.
An der Stelle darf ich Ihnen einfach einmal ein kurzes
Zitat aus der Bibel vorlesen – 1. Buch Mose –:


(Zuruf von der LINKEN: Nicht aus dem Parteiprogramm!)


Hiermit schließe ich meinen Bund mit euch und mit
euren Nachkommen und mit allen Lebewesen bei
euch, mit den Vögeln, dem Vieh und allen Tieren
des Feldes, mit allen Tieren der Erde …

Handeln Sie entsprechend!


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717008000

Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege

Dr. Edmund Peter Geisen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Edmund Peter Geisen (FDP):
Rede ID: ID1717008100

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine verehrten Kol-

leginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Her-
ren! Die SPD-Fraktion hat es geschafft, Herr Paula, ihr
eigenes Land zu missionieren. Aber Sie sind nicht in die
Welt hinausgezogen, um die Käfighaltung oder die
Kleingruppenhaltung zu beschränken oder zu verhin-
dern. Deswegen werden wir zu dieser Osterzeit keine
deutschen Eier auf dem Tisch haben.


(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben deutsche Bioeier!)


Vielmehr werden 50 Prozent der verarbeiteten Eier aus
dem Ausland aus Käfighaltung kommen. Das haben die
Bürger Ihnen zu verdanken.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Diese Probleme kann man nur auf europäischer oder
internationaler Ebene lösen, aber nicht so, wie Sie es ge-
tan haben und wie Sie es weiterhin tun wollen. Im Ge-
gensatz zur Opposition sind wir in der christlich-libera-
len Koalition uns einig, wenn wir feststellen: Ganz
Deutschland profitiert von einer prosperierenden Land-
wirtschaft und von den dadurch blühenden und lebendi-
gen ländlichen Räumen. Keine Landwirtschaft ohne





Dr. Edmund Peter Geisen


(A) (C)



(D)(B)


ländliche Räume und keine ländlichen Räume ohne
Landwirtschaft.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dies bestimmt auch die Zielsetzungen und die Aus-
richtung der christlich-liberalen Politik. Nicht ideologi-
sche Gefechtsdebatten führen zum Erfolg, sondern die
kontinuierliche erfolgreiche Agrarpolitik der Regie-
rungskoalition.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: FDP! Das sehen wir jede Woche!)


Im Agrarbereich ist Praktikabilität gefragt, die sich an
den Naturgegebenheiten ausrichtet. Nur eine effiziente
Landwirtschaft, die nachhaltig, standortbezogen und
umweltgerecht ist und die den bäuerlichen Unternehmen
ökonomische Erfolgschancen belässt, hat eine gute Zu-
kunft in Deutschland.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, dann gucken Sie sich mal um im Lande!)


Genau das wollen wir von der christlich-liberalen
Koalition. Deshalb haben wir in den vergangenen zwei
Jahren auf Rückendeckung für die und Stabilisierung der
Landwirtschaft gesetzt. Dies haben wir weitgehend er-
reicht, zum Beispiel mit dem Sofortprogramm, mit der
Abschaffung von Marktordnungen, durch die Stabilisie-
rung der Sozialversicherungssysteme – gestern hat die
SPD sich erneut geweigert, die Übergangsfinanzierung
mitzugestalten –


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Hört! Hört!)


oder mit dem Abbau wettbewerbsverzerrender Unter-
schiede wie beim Agrardiesel; auch dagegen haben Sie
sich immer wieder ausgesprochen.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Zu Recht!)


Wir meinen, dass ein verstärkter Flächenschutz – also
weniger Flächenverbrauch außerhalb der Landwirtschaft
– unser Ziel sein muss. Wir haben uns vorgenommen,
den Flächenverbrauch ganz gravierend zu reduzieren.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das gilt auch für die Dinge, die mit dem EEG und der
Energieversorgung zusammenhängen. Wir müssen neue
Wege gehen, was den Flächenverbrauch angeht.

Der deutschen Landwirtschaft geht es heute viel bes-
ser als in den Jahren vor der christlich-liberalen Koali-
tion.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: So ist es!)


Diese Entwicklung wollen wir von der FDP-Fraktion auf
jeden Fall mit Ministerin Aigner fortsetzen. Die Bäue-
rinnen und Bauern müssen auch künftig Freude und Er-
füllung in ihrem Beruf finden. Das nützt unserer gesam-
ten Gesellschaft. Leider wird immer wieder versucht,
den ganzen Berufsstand aufgrund von einzelbetriebli-
chen Missständen zu verunglimpfen, und es werden im-

mer wieder viel strengere Anforderungen an unsere hei-
mische Landwirtschaft gestellt als an den Rest der Welt.
Hiergegen wenden wir uns als FDP-Politiker mit aller
Macht; denn das ist Wettbewerbsverzerrung.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir sind selbstverständlich für Tierschutz, für Um-
weltschutz, für Klimaschutz, und wir sind auch für
höchste Produktqualität. Das kann gar nicht anders sein.
Alles macht aber nur Sinn, wenn wir die Anforderungen,
die wir an unsere Landwirtschaft stellen, auch an alle in
der EU in gleicher Weise stellen.


(Beifall bei der FDP)


Wir können uns nicht mehr leisten, unserer Land- und
Ernährungswirtschaft ständig neue Wettbewerbsnach-
teile aufzubürden. Damit erweisen wir uns allen einen
Bärendienst. Wir erreichen lediglich, dass wir auf Pro-
dukte anderer angewiesen sind. Damit helfen wir weder
unserer Landwirtschaft noch dem Umwelt- und Tier-
schutz – und dem Verbraucher schon gar nicht.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717008200

Herr Kollege Geisen, kommen Sie bitte zum Schluss.


Dr. Edmund Peter Geisen (FDP):
Rede ID: ID1717008300

Wir sollten auch vor Ostern mit gutem Appetit Oster-

eier essen, auch wenn sie nicht aus Deutschland kom-
men. Auch die Ostereier aus anderen Ländern sollen
schön aussehen, schön gefärbt sein und sollten uns allen
sehr gut schmecken.


(Heinz Paula [SPD]: Wenn sie tierartgerecht erzeugt sind! – Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Aber nur rote Eier im Korb!)


Ich wünsche Ihnen allen eine frohe Osterzeit.

Schönen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717008400

Jetzt hat das Wort der Kollege Friedrich Ostendorff

von Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-
nen und Kollegen! Wir stehen mitten in der gesellschaft-
lichen Debatte über die Zukunft der Landwirtschaft,
über gesunde Lebensmittel, über den verantwortungs-
vollen Umgang mit der Natur und den Ressourcen, über
den Erhalt von Landschaften und Arten, über Gentech-
nikfreiheit und über hohe Tierschutzstandards.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


All das erwarten die Menschen von einer Zukunftsland-
wirtschaft. Das hat uns auch der Charta-Prozess im letz-
ten Jahr gezeigt.





Friedrich Ostendorff


(A) (C)



(D)(B)


Leider prallt diese Debatte immer wieder an den
Mauern des Ministeriums ab. Im Agrarbericht 2011 han-
delt die Ministerin auf einem Drittel einer Seite der ins-
gesamt 108 Seiten das große Zukunftsthema ab, das die
Menschen bewegt: die Beendigung des hundertmillio-
nenfachen Leides der Nutztiere in den Agrarfabriken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So viel zum Thema Tierschutz!)


Die Menschen haben die vielen Lippenbekenntnisse und
Ankündigungen zum Tierschutz restlos satt, sie wollen
endlich Taten sehen, sie wollen Bauernhöfe statt Agrar-
fabriken, aber Sie von der Regierungskoalition werden
diese Menschen wieder enttäuschen.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider!)


Herr Müller, was bieten Sie denn an? Zum x-ten Mal
kündigen Sie an, die Haltung von Kaninchen zu regeln.
Erst heute haben Sie das wieder getan.


(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fehlanzeige!)


Auch in diesem Herbst soll einmal wieder das umgesetzt
werden, was Sie im Frühjahr angekündigt haben. Aber
die Blätter werden wohl wieder eher von den Bäumen
fallen, als dass sich für die Kaninchen etwas verbessert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Weiterhin völlig ungeregelt bleibt die Großbaustelle der
widerwärtigen Haltung von Puten – Klammer auf: drei
Putenhähne mit 20 Kilogramm Gewicht pro Quadratme-
ter Stallfläche, Klammer zu. Hier brauchen wir dringend
scharfe gesetzliche Regelungen. Doch Sie, Herr Müller,
tun nichts.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schönreden tut er!)


Völlig absurd und ein Skandal ist das Nichthandeln
von Frau Aigner bei den Legehennen. Noch im Juli 2011
wollte sie der Käfighaltung per Verordnung einen Be-
standsschutz bis 2035 geben, für ein weiteres Viertel-
jahrhundert. Diese Regelung wurde zum Glück im Bun-
desrat zu Fall gebracht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Alexander Süßmair [DIE LINKE])


Daraufhin verkündete die Ministerin beleidigt, nun gar
nichts mehr zu tun. Der vom Bundesrat beschlossene
Lindemann-Höfken-Kompromiss des Übergangs bis
2023 löste auch bei uns Grünen keine Freudenschreie
aus, aber gegenüber dem Ursprungsentwurf war er ein
klarer Fortschritt für den Tierschutz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Staatssekretär, Sie machen verfassungsrechtliche
Bedenken geltend. Ich denke, wir dürfen Ihrem Kollegen
Lindemann schon zutrauen, dass er das geprüft hat. Wir
kennen ihn hier in Berlin und wissen das einzuschätzen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Wahrheit ist es
doch so: Frau Aigner ist wieder einmal vor den Drohge-
bärden der Agrarlobby eingeknickt. Herr Staatssekretär,
wenn es hart auf hart geht, haben Sie den Tierschutz im-
mer noch hinten herunterfallen lassen. Mit uns Grünen
ist das nicht zu machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Deshalb seid ihr in der Opposition!)


Wir fordern Sie auf: Setzen Sie die Verordnung des
Bundesrates zur Legehennenhaltung unverzüglich um!
Beenden Sie hier die Anarchie, die droht! Geben Sie den
Betrieben Klarheit für ihre weitere Planung, und been-
den Sie endlich die tierschutzwidrige Käfighaltung!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Weiteres Nichthandeln ist unverantwortlich. Sie haben
die Ethik bemüht. Ich glaube, es wäre auch aus ethischen
Gründen unverantwortlich. Sprechen Sie nicht nur von
Ethik! Handeln Sie danach!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Alexander Süßmair [DIE LINKE])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717008500

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt

erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Johannes Röring
von der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Jetzt kommt wieder Qualität!)



Johannes Röring (CDU):
Rede ID: ID1717008600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau

Behm, Herr Paula, dass Sie sich in den letzten Jahren ein
gefährliches Halbwissen über Landwirtschaft angeeignet
haben, war mir bekannt. Aber dass Sie, Herr Ostendorff,
das mit Ihrer Ausbildung als Landwirt auch noch wie-
derholen, finde ich nicht okay.


(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind hier als Politikerinnen und nicht als Bäuerinnen!)


Ich hoffe, es haben viele Landwirte zugehört.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, wir haben in dieser De-
batte über einen Antrag der Grünen zum Klimaschutz zu
sprechen. Ich glaube, an diesem Antrag können wir er-
kennen, dass Künstler am Werk waren: Künstler der
grünen Schwarz-Weiß-Malerei. Sie haben im Antrag
versucht, die konventionelle Landwirtschaft für die Pro-
bleme im Klimaschutz und für die Hungerproblematik
verantwortlich zu machen, und bevorzugen darin einsei-
tig den Ökolandbau – grüne Schwarz-Weiß-Malerei
eben.

Auch Ihr Versuch, Keile zwischen die verschiedenen
Produktionsrichtungen zu treiben, wird keinen Erfolg





Johannes Röring


(A) (C)



(D)(B)


haben. Unserer Ministerin Frau Aigner ist es ja im
Charta-Prozess gelungen – Herr Müller wird es ihr aus-
richten –,


(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber sie hat ja keine Schlussfolgerungen aus dem Charta-Prozess gezogen!)


die Gräben zwischen diesen Produktionsrichtungen zu-
zuschütten. Wir finden das sehr gut.

Liebe Kollegen der Grünen, Sie schlagen die Schlach-
ten der Vergangenheit.


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt viele Themen, bei denen konventionell wirt-
schaftende Bauern von den ökologisch wirtschaftenden
viel lernen können; genauso gilt das umgekehrt.


(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das erzählen Sie doch mal Ihrem Unionskollegen Herrn Professor Radermacher!)


Eines ist aber Fakt – das sollten wir nicht unterschät-
zen –: Es wird in den nächsten Jahren mehr pflanzliche
Biomasse benötigt. Wenn der Ökolandbau dies nicht mit
nachhaltiger Ertragssteigerung schafft, hat er eben eine
schwierige Zukunft.


(Beifall bei Abgeordneten CDU/CSU und der FDP – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nur, wenn!)


Ihr Antrag lässt völlig außer Acht, dass Effizienzsteige-
rung und Intensivierung in der Landwirtschaft kein
Selbstzweck sind, sondern der Sicherung der Lebensmit-
telversorgung dienen. Das blenden Sie in Ihrem Antrag
schlichtweg aus.


(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Sicherung des Einkommens der Nahrungsmittelkonzerne! – Zuruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD])


Dabei wissen Sie doch – der Kollege Holzenkamp hat es
gesagt –:


(Ulrich Kelber [SPD]: Fakten ignorieren bringt nichts, Herr Röring!)


Deutschland ernährt sich nicht selber. Wir würden un-
sere Export-Import-Bilanz noch verschlechtern, wenn
wir Ihrem Antrag folgen würden. Ökolandbau bedeutet
nun einmal: auf viel Fläche wenig erzeugen. Das Gegen-
teil ist aber, wie ich glaube, in Zukunft notwendig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie werfen in Ihrem Antrag zur Klimabilanz im
Ackerbau der Landwirtschaft vor, durch den Ausstoß
von Treibhausgasen Mitverursacher des Klimawandels
zu sein. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass der Ausstoß
von Wasserdampf, Kohlendioxid, Methan und Lachgas
aus der Natur und eben auch aus der Landwirtschaft
dazu beiträgt,


(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber manchmal bringt ein Tropfen das Fass zum Überlaufen!)


dass die Erde nicht vereist, dass es einen Mantel aus
Spurengasen gibt, dass die Wärme nicht entweicht, dass
wir plus 15 und nicht minus 18 Grad auf der Erde haben.

Zusätzliche Emissionen fossiler Art, die klimarele-
vant sind, wie die Nutzung fossiler Energie zum Beispiel
für schöne Flugreisen, sind eine Hauptursache.


(Zuruf des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Nur, wenn man Ihren Antrag liest, könnte man glauben,
die moderne Landwirtschaft sei der Übeltäter.


(Zurufe der Abg. Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Ulrich Kelber [SPD])


Landwirtschaft – und das sollten alle wissen – ist der
einzige Wirtschaftszweig, der in der Lage ist, durch
Pflanzenwachstum und Humusbildung CO2 zu binden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Die bedarfsgerechte Intensivierung ist also nicht das
Problem, sondern Teil der Lösung. Wir werden gerade
wegen der vor uns liegenden Herausforderung nicht um-
hinkommen, die Leistungsfähigkeit unserer Kulturpflan-
zen zu steigern. Sonst können wir weder Teller noch
Tank bedienen. Wir wollen beides.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Anstelle von ganzheitlichen Lösungen haben Sie uns
wieder ein Instrumentarium aus der grünen Tonne gelie-
fert. Sanktionen und Abgaben sind Ihre Lösung. Damit
wollen Sie die konventionelle Landwirtschaft einseitig
belasten. Sie fordern die Abschaffung der Steuerbegüns-
tigung für Agrardiesel, der Befreiung von der Kfz-Steuer
sowie die schrittweise Aufhebung der Energiesteuer-
ermäßigung. Mit diesem steuerpolitischen Rundum-
schlag treffen Sie aber die konventionelle und die ökolo-
gische Landwirtschaft gleichermaßen; denn sie ackert
auch nicht mehr mit Ochs und Esel. Beim Agrardiesel
geht es nur um Wettbewerbsfähigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie fordern weiter eine Stickstoffüberschussabgabe,
um die Optimierung des Stickstoffeinsatzes zu erreichen.
Optimierungen werden aber nur selten durch Sanktionen
erreicht. Ohne Stickstoffdüngung – das sollten wir wis-
sen – kann keine Landwirtschaft betrieben werden, die
den Hunger der Menschen nur annähernd stillen kann.
Wir sollten uns darüber Gedanken machen, wie wir neue
Techniken zur Optimierung der Stickstoffdüngung
– Sensoren, Dosierung – fördern können. Ihr Antrag ist
der klägliche Versuch, den Ökolandbau und die konven-
tionelle Landwirtschaft über die Klimaschiene gegenei-
nander auszuspielen. Wir brauchen Lösungsansätze, die
auf Sachkunde und nicht auf Ideologie beruhen. Klima-





Johannes Röring


(A) (C)



(D)(B)


freundliche Agrarpolitik und agrarfreundliche Klima-
politik sind keine Gegensätze. Sie sollten vernünftig mit-
einander verbunden werden.

Ich komme zum Schluss. Verehrte Kolleginnen und
Kollegen von den Grünen, ich vermisse in Ihrem Antrag
einen ganz wichtigen Punkt. Das ist die Tatsache, dass
wir jeden Tag über 100 Hektar Produktionsfläche für Le-
bensmittel unwiederbringlich verlieren.


(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Das ist für mich nicht hinnehmbar.


(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann werft euch doch mal vor die Straßen, die gebaut werden sollen, und die irrsinnigen Gewerbeflächen! Da hat man nie etwas von euch, nie etwas vom Bauernverband gehört!)


Dazu sagen Sie in Ihrem Antrag überhaupt nichts. Wir
sollten gemeinsam alle Anstrengungen unternehmen, die
landwirtschaftliche Nutzfläche, Acker und Grünland,
ebenso unter Schutz zu stellen wie unseren Wald und un-
sere Feuchtgebiete. Ihr Antrag ist nicht zielführend. Des-
wegen lehnen wir ihn ab.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717008700

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/5810 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dagegen Wi-
derspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so be-
schlossen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz auf Drucksache 17/4888.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/2487
mit dem Titel „Klimabilanz im Ackerbau verbessern“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen und bei Enthaltung der SPD und der Linken an-
genommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9028 mit dem Titel
„Kleingruppenhaltung für Legehennen endgültig been-
den“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Dieser Antrag ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von
SPD, Linken und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9035
mit dem Titel „Verordnung zur Kleingruppenhaltung un-

verzüglich in Kraft setzen“. Wer stimmt für diesen An-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der An-
trag ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis abgelehnt.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 28 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan
Kühn, Sven-Christian Kindler, Dr. Anton
Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verlässliche Finanzierung des öffentlichen
Personennahverkehrs – Fortführung der
Kompensationsmittel nach dem Entflech-
tungsgesetz

– Drucksache 17/8918 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
Federführung strittig

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
derspruch? – Das ist nicht der Fall.

Dann eröffne ich die Aussprache und erteile als ers-
tem Redner das Wort dem Kollegen Stephan Kühn von
Bündnis 90/Die Grünen.


Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717008800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein leis-

tungsfähiger und hochwertiger öffentlicher Personen-
nahverkehr war noch nie so wichtig wie heute. Der
ÖPNV leistet einen unverzichtbaren Beitrag dazu, dass
Mobilität umwelt- und klimagerecht ermöglicht wird.
Der ÖPNV ist mehr als doppelt so energieeffizient wie
der Pkw-Verkehr. Der Ausbau des ÖPNV ist ein wichti-
ger Beitrag zur Verkehrssicherheit. Bus- und Bahnfahr-
ten sind 50-mal sicherer als die Fahrt im eigenen Fahr-
zeug. Die Kosten pro Personenkilometer sind im Auto
viermal höher als die im ÖPNV.

Eine aktuelle Studie, die gestern von der Allianz pro
Schiene und dem Verbraucherzentrale Bundesverband
veröffentlicht wurde, hat ergeben, dass 24 Prozent der
Deutschen ihre Mobilität aus Kostengründen einge-
schränkt haben. Mobilitätsarmut ist ein Problem. Ich
sage ganz deutlich: Soziale Teilhabe kann nur mit öffent-
lichem Verkehr gewährleistet werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


2011 nutzten in Deutschland fast 10 Milliarden Fahr-
gäste Busse und Bahnen. Die Zahl der Fahrgäste wächst
beständig. So sichert der ÖPNV in diesem Land die Ar-
beitsplätze von 240 000 Menschen.

Als Ergebnis der Föderalismusreform I fällt die Ge-
meindeverkehrsfinanzierung nach Ablauf des Jahres
2019 vollständig den Ländern zu. Die derzeitigen Fi-
nanzhilfen des Bundes in Höhe von 1,335 Milliarden
Euro für ÖPNV-Infrastrukturinvestitionen – einschließ-





Stephan Kühn


(A) (C)



(D)(B)


lich Fahrzeuge, Infrastruktur und Erhalt des Straßennet-
zes – sind nur noch bis Ende 2013 gesichert, ebenso die
Zweckbindung dafür. Im Entflechtungsgesetz wurde
verankert, dass für den Zeitraum 2014 bis 2019 zwi-
schen Bund und Ländern Einvernehmen darüber erzielt
werden soll, in welcher Höhe die Finanzmittel für den
Umweltverbund weiter erforderlich sind.

Der Bedarf ist für jeden ersichtlich; der Erhaltungs-
rückstand in der Infrastruktur wächst an. Allein für den
Substanzerhalt wären 550 Millionen Euro pro Jahr not-
wendig; den Verkehrsunternehmen fehlen aber 300 Mil-
lionen Euro.


(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schlimm!)


Der Investitionsrückstand wird mittlerweile auf 2,5 Mil-
liarden Euro beziffert.

Jetzt, wo die Spritpreise wieder auf Rekordniveau
klettern, will die Bundesregierung die Mittel für die
ÖPNV-Finanzierung zusammenstreichen und versucht,
in den Verhandlungen mit den Ländern ein lineares Ab-
schmelzen der Kompensationszahlungen nach dem Ent-
flechtungsgesetz bis 2019 auf null durchzusetzen. Man
hört auch einen anderen Vorschlag, nach dem 50 Prozent
der Mittel durchgehend bis 2019 gekürzt werden sollen.
Anstatt den positiven Trend der steigenden ÖPNV-Nut-
zung zu stützen, will sich die schwarz-gelbe Regierung
bereits vor 2019 aus der Nahverkehrsfinanzierung zu-
rückziehen.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Skandalös!)


Die Aussage der Bundesregierung, die Sicherung der
Finanzierung des ÖPNV und des kommunalen Straßen-
baus sei eine wichtige Zukunftsaufgabe, bleibt so ein
Lippenbekenntnis.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Verunsicherung
bei den Verkehrsunternehmen und den ÖPNV-Aufga-
benträgern kann sich jeder von uns in seinem Wahlkreis
anschauen. Viele notwendige und sinnvolle Ausbauvor-
haben von Stadt- und Straßenbahnen zwischen Aachen
und Görlitz, Flensburg und Freiburg liegen auf Eis, weil
den Unternehmen schlichtweg die Planungssicherheit
genommen wurde. Dabei dürfte doch weitgehende Ei-
nigkeit darin bestehen, dass der ÖPNV weiter ausgebaut
werden muss; auf seine Vorzüge habe ich eingangs hin-
gewiesen. Nur mit einem starken ÖPNV werden wir die
Klimaschutzziele im Verkehrssektor erreichen und die
Lebensqualität in unseren Städten und Gemeinden erhal-
ten können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Thomas Lutze [DIE LINKE])


Dafür brauchen wir aber eine solide und verlässliche
Finanzierungsgrundlage. Die ist zurzeit nicht gegeben.
Daher fordern wir in unserem Antrag die Bundesregie-
rung auf, mit den Ländern mindestens eine Verstetigung
der Finanzhilfen bis 2019 zu vereinbaren. Im Gegenzug
– das sage ich auch – müssen sich die Länder verpflich-

ten, diese Mittel tatsächlich für Investitionen in die Ver-
kehrsmittel des Umweltverbundes zu verwenden.


(Otto Fricke [FDP]: Und wo kommt das Geld her? – Gegenruf des Abg. Sören Bartol [SPD]: Ach, Fricke!)


Meine Damen und Herren, es geht jetzt darum, Brü-
che bei der Finanzierung von ÖPNV-Projekten zu ver-
hindern, bis 2019 die bestehenden Instrumente zu erhal-
ten, eine verlässliche Grundlage für die Finanzierung des
ÖPNV zu sichern und, wenn das gelungen ist, sich Ge-
danken darüber zu machen, wie es nach 2019 weitergeht.


(Otto Fricke [FDP]: Mehr, mehr, mehr!)


Für diese Zukunftsaufgabe schlagen wir die Einrichtung
einer Kommission vor, in der gemeinsam nach neuen
Finanzierungsinstrumenten gesucht wird. Jetzt geht es
darum, die Brücke nicht abzureißen, sondern zu erhal-
ten, im Sinne einer nachhaltigen Verkehrsinfrastruktur-
finanzierung.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Thomas Lutze [DIE LINKE])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717008900

Das Wort hat jetzt die Kollegin Antje Tillmann von

der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Antje Tillmann (CDU):
Rede ID: ID1717009000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Lieber Herr Kühn,
wir hatten eine Kommission, die sich genau mit diesem
Thema befasst hat, nämlich die Föderalismuskommis-
sion I. Das, was im Entflechtungsgesetz festgelegt wor-
den ist, entspricht genau dem über Parteigrenzen hinaus
erzielten Ergebnis der Föderalismuskommission I. Wir
wollten eine Entflechtung der Gemeinschaftsaufgaben.
Wir wollten eine klare Zuteilung der Zuständigkeiten an
die verschiedenen staatlichen Ebenen. Wir wollten – ins-
besondere im Hinblick auf die Schuldenbremse –, dass
die einzelnen staatlichen Ebenen unverflochten für ihre
eigenen Haushalte zuständig sind.


(Otto Fricke [FDP]: Genau!)


Auch Ihre Kolleginnen und Kollegen haben damals
mitgemacht. Vielleicht lag es daran, dass Ihre Finanz-
politiker beraten haben. Es ist ein deutliches Zeichen,
dass heute zwar Herr Fricke spricht, aber kein Finanz-
politiker der Opposition. Ich glaube, das zeigt sehr deut-
lich, worum es in Ihrem Antrag geht: Es geht nicht um
den ÖPNV, auch nicht um den kommunalen Straßenbau,
sondern ausschließlich um mehr Geld.


(Beifall bei der FDP)


Ich glaube, da sind die Haushaltsberatungen der bessere
Weg. Herr Fricke wird mit Sicherheit gleich darauf zu
sprechen kommen.





Antje Tillmann


(A) (C)



(D)(B)


Um Ihnen zu beweisen, dass wir den Inhalt des Ent-
flechtungsgesetzes völlig einvernehmlich in der Födera-
lismuskommission I beschlossen haben, zitiere ich zwei
Kollegen. So hat der Kollege Rainder Steenblock von
Bündnis 90/Die Grünen zum Bereich der Verkehrsfinan-
zierung ausgeführt – ich zitiere mit Genehmigung des
Präsidenten –, dass dies „regionale Themen“ seien, „die
die Länder bzw. die Kommunen von der Planung und
Verwaltung her wahrscheinlich sehr viel besser realisie-
ren können“.


(Stephan Kühn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann müssen Sie die finanziellen Möglichkeiten dafür schaffen!)


Ich zitiere weiter:

Deshalb wäre es schon vernünftig, in den folgenden
Gesprächen noch einmal zu überlegen, ob diese Auf-
gabe und damit natürlich auch die Mittel, die der
Bund den Ländern dafür zur Verfügung stellt …, den
Ländern übertragen werden könnte. Diese Kompe-
tenzen können die Länder originär wahrnehmen,
und dadurch würden auch ihre Planungskapazitäten
nicht überfordert, weil sie auf diesem Gebiet häufig
schon im Wege der Auftragsverwaltung tätig sind.
Mit einer solchen Lösung könnten die Länder ihre
ureigenen Aufgaben in diesem Bereich wahrneh-
men.

Der Kollege Kröning von der SPD ist noch deutlicher
geworden.


(Otto Fricke [FDP]: Kluger Mann!)


In der Arbeitsunterlage 0009 der Kommission fasst er
korrekt zusammen:

Die dauerhaften Finanzhilfen zur sozialen Wohn-
raumförderung und zur Verbesserung der Verkehrs-
verhältnisse der Gemeinden sind Beispiele für
Fehlentwicklungen im Bereich der Finanzhilfekom-
petenz des Art. 104 a Abs. 4 GG. Diese Finanzhil-
fen, die letztlich auf entsprechende Bundesförder-
maßnahmen aus der Zeit vor der Finanzreform
1969/70 zurückgehen, haben sich zu einem stetigen
Finanztransfer entwickelt, der auf konkrete Be-
darfssituationen keine Rücksicht nimmt. Im Be-
reich des GVFG wird ein festgeschriebener Teil des
Mineralölsteueraufkommens dauerhaft nach einem

(Zahl der Kraftfahrzeuge)


Schematisch verfestigte und keiner echten Kon-
trolle unterliegende Finanztransfers wie in den
Bereichen „Soziale Wohnraumförderung“ und „Ge-
meindeverkehrsfinanzierungsgesetz“ sind zukünf-
tig zu vermeiden… Dazu bedarf es einer grundsätz-
lichen Befristung von Finanzhilfen

– ich bin gespannt, was der SPD-Kollege gleich fordert –

und einer Verstärkung der Wirksamkeitskontrolle
bezüglich der Zielerreichung, abgesichert auf Ver-
fassungsebene.

Das ist ein Originalzitat aus der Arbeitsunterlage 0009
des SPD-Kollegen Kröning. Er hatte recht, als er das ge-
schrieben hat.

Diese Zitate zeigen, dass wir uns in der Föderalismus-
kommission I einig waren, einen Ausstieg aus der
Mischfinanzierung vorzunehmen. Lieber Kollege Kühn,
das ist nichts, was FDP und CDU/CSU zusammen be-
schlossen hätten; das ist etwas, was die Große Koalition
zusammen beschlossen hat. Ich weiß, dass die Kollegin-
nen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen den Er-
gebnissen der FöKo I ebenfalls zugestimmt hätten, wenn
der Bildungsbereich nicht gewesen wäre. Sie waren in
diesem Bereich, gerade auch was das Gemeindever-
kehrsfinanzierungsgesetz anbelangt, mit uns einer Mei-
nung.


(Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!)


Nun ist festgelegt worden, dass die Länder bis Ende
2013 Kompensationszahlungen in Höhe des Durch-
schnitts der Finanzierungsanteile des Bundes im Refe-
renzzeitraum 2000 bis 2008 erhalten. Dieser Zeitraum ist
deswegen gewählt worden, weil in dieser Zeit besonders
hohe Bundesfördermittel gewährt worden sind; es sind
im Durchschnitt 1,335 Milliarden Euro. Es ist aber
gleichzeitig festgelegt worden, dass ab 2014 die bishe-
rige bereichsspezifische Zweckbindung wegfällt. Das ist
also genau das Gegenteil von dem, was Sie heute for-
dern. Es ist einvernehmlich festgelegt worden, weil wir
der Meinung waren, dass die Länder vor Ort sehr viel
besser entscheiden können, für welchen Bereich sie
diese Mittel brauchen. In die Aufhebung der Zweckbin-
dung sind auch andere Mischfinanzierungen aufgenom-
men worden, nämlich in den Bereichen Ausbau und
Neubau von Hochschulen, Bildungsplanung, Finanzhilfe
für Investitionen zur Verbesserung der Verkehrsverhält-
nisse sowie Wohnraumförderung; hier geht es insgesamt
um eine Summe von 2,6 Milliarden Euro. Genau deswe-
gen haben sich die Länder bereit erklärt, der Finanzie-
rungszusage zuzustimmen. Sie erreichen dadurch näm-
lich mehr Flexibilität.

Hierzu hat der Bund rechtzeitig vor Ende des 31. De-
zember 2013 die Verhandlungen mit den Ländern aufge-
nommen, und zwar unter Federführung des BMF – wes-
halb wir das in der Arbeitsgruppe Finanzen beraten –,
unter Hinzunahme des BMVBS, des Beauftragten der
Bundesregierung für die Neuen Länder und des Bil-
dungsministeriums. Die Gespräche dauern an; sie sind
auf Wunsch der Länder noch einmal verschoben worden.


(Stephan Kühn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil kein gescheites Angebot gemacht wurde!)


Aber ich kann im Moment nicht erkennen, dass Zeit-
druck bestünde; denn die Haushaltsberatungen 2013 fan-
gen gerade erst an. Wir sollten diese Gespräche abwar-
ten.


(Stephan Kühn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen doch, wie lange die Vorlaufzeiten für Investitionen sind!)






Antje Tillmann


(A) (C)



(D)(B)


Ich habe im Vermittlungsausschuss noch nie den Ein-
druck gehabt, dass die Länder nicht Manns bzw. Frau ge-
nug gewesen wären, ihre Interessen zu vertreten.


(Otto Fricke [FDP]: Im Gegenteil!)


Ich habe eher die Sorge, dass das Ergebnis zu unseren
Lasten ausgeht, als dass die Länder ihre Interessen nicht
durchsetzen.


(Beifall bei der FDP)


Sie haben gesagt, der öffentliche Personennahverkehr
könne aus finanzieller Not einige Projekte nicht umset-
zen. Das ist nicht der Fall. Die Bundesregierung gibt an,
dass die Länder die vom Bund zur Verfügung gestellten
Mittel bei weitem nicht vollständig abgerufen haben.
Mehr als ein Viertel an Ausgabenresten hat sich in der
Zeit von 2007 bis 2010 angesammelt. Als Haushälter
sehe ich ehrlich gesagt nicht ein, warum ich diese
25 Prozent den Ländern weiterhin zur Verfügung stellen
soll, wenn sie sowieso nicht abgerufen werden. Über
diese Zahl wird man in den Beratungen nachdenken
müssen. Ich bin mir sicher, dass wir eine Lösung finden
werden; aber es wird keine Lösung sein, mit der wir die
Ergebnisse der Föderalismuskommission I rückabwi-
ckeln.


(Stephan Kühn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat auch niemand gefordert!)


– Doch, das verlangen Sie. Sie verlangen, dass wir eine
Zweckbindung festlegen. Sie verlangen vom Bund eine
dauerhafte Finanzierung von Aufgaben, die eindeutig
Länderaufgaben sind.

Wir haben gemeinsam mit den Ländern Schulden-
bremsen ausgehandelt. Wir sind zuständig für die Ver-
schuldung des Bundes, und dafür übernehmen wir auch
die Verantwortung. Die Länder sind für ihre Verschul-
dung zuständig. Der Bürger hat ein Recht darauf, erken-
nen zu können, wer seine Aufgaben erfüllt oder auch
nicht erfüllt. Deshalb ist im Entflechtungsgesetz klar ge-
regelt, dass wir Transparenz in den Haushalten wollen.
Mischfinanzierungen bringen immer zusätzliche Kosten
mit sich und haben noch nie dazu geführt, dass Haus-
haltsklarheit und Haushaltswahrheit eingehalten wurden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Die Verhandlungen sind auf einem guten Weg. Ich bin
sicher, dass das BMF mit den Ländern sehr kollegial um-
gehen wird. Es kann auch gar nicht gegen die Länder
entscheiden. Herr Kampeter lächelt freundlich; ich sehe,
dass seine Liebe auch den Haushalten der Länder gilt.


(Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär: Wie Deutschland insgesamt, Frau Kollegin!)


Gegenüber der Europäischen Union müssen wir die
Schuldenbremse natürlich gemeinsam einhalten. Ich
weiß, dass er alleine in die Verhandlungen mit den Län-
dern geht.


(Stephan Kühn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Arme!)


Es besteht zum jetzigen Zeitpunkt auch keine Notwen-
digkeit, einzusteigen.

Wir werden Ihrem Antrag nicht zustimmen. Sollten
Sie den Eindruck haben, dass Gefahr im Verzug ist: Die
Haushaltsberatungen stehen Ihnen offen, um die von Ih-
nen beantragten 1,335 Milliarden Euro in den Haushalt
einzustellen. Wir werden die Beratungen abwarten und
insbesondere die Schuldenbremse des Bundes im Blick
behalten. Das fällt nämlich in unsere Zuständigkeit; das
ist unsere Verpflichtung, unsere Verantwortung. Als Be-
richterstatter meiner Fraktion zum Thema Schulden-
bremse stelle ich fest: Das ist unser Anliegen für die
nächsten Jahre. Wir sind es kommenden Generationen
schuldig, dass mit Geld vernünftig umgegangen wird,
und zwar unabhängig davon, wo es eingesetzt wird.
Wenn Geld nicht gebraucht wird, sollte man es auch
nicht ausgeben.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717009100

Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege

Sören Bartol.


(Beifall bei der SPD)



Sören Bartol (SPD):
Rede ID: ID1717009200

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Ich meine, bei den Verhandlungen um die soge-
nannten Entflechtungsmittel sollte es um mehr gehen als
darum, wer finanzpolitisch am längeren Hebel sitzt.


(Otto Fricke [FDP]: Aha!)


Leider ist mein Eindruck bisher ein anderer. Wenn das
Bundesfinanzministerium die Mittel tatsächlich auf null
abschmelzen will,


(Otto Fricke [FDP]: Muss!)


dann ist das ein Pokerspiel, aber kein Beitrag zu einer
ernsthaften Verhandlung im Sinne der Sache, und weit
von dem entfernt, was für eine funktionsfähige kommu-
nale Verkehrsinfrastruktur notwendig ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Bedarf für die kommunale Verkehrsinfrastruktur
übersteigt die Mittel schon heute. 1,9 Milliarden Euro
wären für Kommunalstraßen und ÖPNV-Infrastruktur
jährlich erforderlich.


(Antje Tillmann [CDU/CSU]: Warum werden sie dann nicht abgerufen?)


Das ist deutlich mehr als die 1,3 Milliarden Euro, die der
Bund den Ländern bis 2013 zahlt. Damit wächst der In-
vestitionsstau schon jetzt Jahr für Jahr. Das Gutachten
der Länder für die Verkehrsministerkonferenz zeigt das
seriös, und ich glaube, dass das bisher niemand bezwei-
felt hat.

Auch wenn mit der Föderalismusreform der Rückzug
des Bundes aus der Finanzierung der kommunalen Ver-





Sören Bartol


(A) (C)



(D)(B)


kehrsinfrastruktur beschlossen wurde – ob das sinnvoll
ist oder nicht, sei jetzt dahingestellt –, ist der Bund nach
dem Entflechtungsgesetz bis Ende 2019 zu Kompensa-
tionszahlungen verpflichtet. Für die Zeit von 2014 bis
2019 ist lediglich zu überprüfen, ob die Zahlungen noch
angemessen und erforderlich sind. Ich nehme an, dass
sich unter uns kaum eine Abgeordnete oder ein Abge-
ordneter finden wird, die bzw. der, wenn sie den Zustand
der Straßen oder Busbahnhöfe zu Hause in den Wahl-
kreisen vor Augen haben, diese Erforderlichkeit nicht
seht.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das stimmt!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP und
von der Union, Sie hatten im Koalitionsvertrag die Neu-
festsetzung der Mittel zur Mitte der Legislaturperiode
angekündigt. Auch wenn wir optimistisch davon ausge-
hen, dass die Legislaturperiode vier Jahre hat: Sie sind
im Verzug.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Wohl wahr!)


Umso unverständlicher ist es, dass die Bundesregierung
mit einer Position in die Verhandlungen gestartet ist, die
den Ländern keine andere Wahl ließ, als den für Dezem-
ber 2011 angesetzten Verhandlungstermin platzen zu las-
sen. Hoffen wir, dass das nächste Verhandlungsangebot
näher an der Realität ist.


(Otto Fricke [FDP]: Ja, ja! Mehr Geld!)


Ich frage mich die ganze Zeit: Wo ist eigentlich bei all
dem der zuständige Bundesverkehrsminister? Wo ist
Peter Ramsauers Gestaltungswille, wenn es um die Zu-
kunft kommunaler Verkehrsinfrastruktur geht?


(Otto Fricke [FDP]: Heißt auch mehr Geld!)


Wo sind seine Vorschläge für die Finanzierung dieser
zentralen Aufgabe der Daseinsvorsorge ab 2019, wenn
nicht nur die Kompensationsmittel auslaufen, sondern
auch das Bundesprogramm für ÖPNV-Großvorhaben?


(Otto Fricke [FDP]: Heißt auch mehr Geld!)


Der Bundesverkehrsminister konstatiert zwar, dass
die GVFG-Bundesprogrammmittel schon jetzt über-
bucht sind. Konsequenzen daraus zieht er aber in keiner
Weise. Die jährlich 330 Millionen Euro reichen doch
hinten und vorne nicht, wenn 1,7 Milliarden Euro allein
durch laufende Vorhaben gebunden sind. Zu den knap-
pen Mitteln kommt noch die Unsicherheit, was ab 2019
sein wird. Die Folge: Die finanziell ohnehin klammen
Kommunen lassen lieber die Finger davon, dringend
notwendige Infrastrukturprojekte in Angriff zu nehmen.
Nicht ohne Grund schlagen die Bürgermeister aus dem
Ruhrgebiet Alarm. Ihnen steht doch das Wasser bis zum
Halse.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: So ist es! Traurig, aber wahr!)


In dieser Situation benötigten wir einen Bundesver-
kehrsminister, der sich für einen leistungsfähigen öffent-
lichen Personenverkehr in Ballungsräumen wie im länd-

lichen Raum sowie für ein funktionsfähiges kommunales
und regionales Straßennetz starkmacht. Wir benötigten
einen Bundesverkehrsminister, der die Sicherung nach-
haltiger Daseinsvorsorge als vorrangiges Ziel einer inte-
grierten Verkehrs-, Stadt- und Raumentwicklungspolitik
begreift. Das ist ein Ziel, für das auch der Bund weiter-
hin Mitverantwortung übernehmen muss, gerade ange-
sichts der wachsenden Herausforderung des demografi-
schen, wirtschaftsstrukturellen und des Klimawandels
sowie natürlich der knappen Ressourcen. Wir benötigten
auch Verkehrspolitiker der Koalitionsfraktionen, die das
Thema im Deutschen Bundestag nicht einfach in den Fi-
nanzausschuss abschieben, weil sie ihre eigene Machtlo-
sigkeit verschleiern wollen. Ich stelle fest: Kraftloser
Bundesverkehrsminister Ramsauer im Kabinett, der sich
für nicht zuständig hält, trifft auf kraftlose Verkehrspoli-
tiker der Koalition im Bundestag, die sich ebenso für
nicht zuständig halten.


(Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Das wäre immer noch besser als eine kraftlose Ministerpräsidentin!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
trotzdem setze ich auf Ihre kurzfristige Einsicht. Stim-
men Sie doch einer Überweisung des vorliegenden An-
trags in Federführung des Verkehrsausschusses zu. Stel-
len Sie sich doch den Problemen bei der Finanzierung
der kommunalen Verkehrsinfrastruktur. Dort, wo Städte
boomen, stellen sich die Aufgaben anders als dort, wo
periphere ländliche Regionen, zunehmend aber auch
Städte von Bevölkerungsrückgang, Arbeitsplatzabbau
und sinkender Wirtschaftskraft betroffen sind. Klar ist,
dass die Kommunen in ihrer gegenwärtigen finanziellen
Lage nicht in der Lage sind, diese Herausforderung zu
bewältigen.

Statt finanzpolitischem Hickhack fordern wir deshalb
ein klares Bekenntnis zur Mitverantwortung des Bundes
für die kommunale Verkehrsinfrastruktur.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es ist höchste Zeit für einen Investitionspakt von Bund
und Ländern für den ÖPNV und die Kommunalstraßen.


(Otto Fricke [FDP]: Mehr! Mehr! Mehr!)


Für den Bund heißt das: Er muss den Ländern bis 2019
weiter angemessene Mittel gewähren und ihnen bis da-
hin Planungssicherheit geben. Im Gegenzug müssen sich
die Länder nachprüfbar zu einer zweckgebundenen Ver-
wendung verpflichten. Konstruktionsfehler der ehemali-
gen Gemeindeverkehrsfinanzierung müssen endlich kor-
rigiert werden. Neben Neuinvestitionen müssen auch
Erhaltungsinvestitionen förderfähig werden. Bei Neuin-
vestitionen müssen ausreichend Rücklagen für den Er-
halt gebildet werden.

Zudem brauchen wir zügig klare Perspektiven für die
Zeit nach 2019. Die Föderalismusreform bedeutet nicht
nur, dass die Verantwortung an die Länder übergeht, son-
dern dass die Länder bei der anstehenden Neuordnung
des bundesstaatlichen Finanzausgleichs auch ausrei-





Sören Bartol


(A) (C)



(D)(B)


chend Mittel für diese Aufgaben erhalten und sie den
Kommunen zur Verfügung stellen.


(Otto Fricke [FDP]: Noch mehr Geld ausgeben!)


Der Komplettrückzug des Bundes aus der Verantwor-
tung für die ÖPNV-Infrastruktur gehört noch einmal
gründlich auf den Prüfstand. Das ist eine Aufgabe, der
sich der Bundesverkehrsminister endlich einmal stellen
sollte.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Thomas Lutze [DIE LINKE] – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Wir brauchen einen neuen Bundesverkehrsminister!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717009300

Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege

Otto Fricke.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Otto Fricke (FDP):
Rede ID: ID1717009400

Geschätzter Herr Vizepräsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Das ist wieder ein Antrag der Grü-
nen – so einen hatten wir schon gestern; dazu hat der
Kollege Kampeter eine feurige Rede gehalten –, der auf
nichts anderes als auf eine Forderung hinausläuft: Mehr
Geld! Mehr Geld! Mehr Geld!


(Stephan Kühn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben nicht mehr Geld gefordert!)


Zu der Frage, wer das bezahlen soll, sagt dieser Antrag
nichts.


(Sören Bartol [SPD]: Otto, nimm doch deine Hotelsteuer!)


Für die Zuschauer und Zuhörer sage ich: Sie sollen es
bezahlen.

Es geht um den öffentlichen Personennahverkehr und
seine Finanzierung. Wir alle wissen und wir alle wollen,
dass es an dieser Stelle einen Zuschuss gibt. Es ist klar,
dass wir den öffentlichen Personennahverkehr nicht zu
100 Prozent durch diejenigen, die ihn nutzen, finanzie-
ren können. Wir wissen, dass das nicht geht.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das ist ja schon mal was!)


Jetzt kommt die Frage: Wie bekommen wir das hin, und
wessen Aufgabe ist das? Spontan sagt jeder – das sagen
die Grünen und auch die SPD; der Kollege Bartol hat
das gerade deutlich gesagt; ich habe jetzt auch verstan-
den, warum der Kollege Bartol den Haushaltsausschuss
verlassen hat –, das solle der Bund bezahlen, der Bund
mache nichts mehr, er kürze die Ausgaben.

Was ist Fakt? Ist das wirklich so? Das Regionalisie-
rungsgesetz sieht Leistungen des Bundes für den öffent-
lichen Personennahverkehr in Höhe von 7 Milliar-

den Euro vor, die aus dem Bundeshaushalt zu
finanzieren sind. Ändert sich daran etwas? Fahren wir
die Zahlen herunter? Nein, im Gegenteil: Wir erhöhen
die Ausgaben sogar um 1,5 Prozent pro Jahr. Das ist,
wenn ich das richtig sehe, ein ganz schöner Batzen Geld.
Das entspricht übrigens einem Mehrwertsteuerpunkt;
das sage ich nur, damit die Bürger wissen, was das heißt.
Für das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, das bis
2019 bestehen bleibt, sind ebenfalls entsprechende Mit-
tel vorgesehen: jährlich 335 Millionen Euro aus dem
Haushalt des Bundes.

Jetzt könnte man als Nächstes sagen: Wir müssen das
Entflechtungsgesetz ändern. Wir haben im Rahmen der
Föderalismuskommission gesagt – die Kollegin
Tillmann hat das deutlich gemacht –: Das ist des Bundes
Aufgabe – das muss der Bund finanzieren. Das ist der
Länder Aufgabe – das müssen die Länder mit ihren
Kommunen finanzieren. Jetzt kommen Sie daher und sa-
gen: Nein, das machen wir anders. Den öffentlichen Per-
sonennahverkehr soll der Bund finanzieren, aber die
Länder sollen entscheiden.


(Sören Bartol [SPD]: Das hat keiner gesagt! Ich habe gesagt: Zweckbindung!)


Dazu sage ich ganz klar: Das machen wir nicht. Wir hal-
ten uns an das, was im Rahmen der Föderalismuskom-
mission beschlossen wurde. Wir halten uns an das, was
kluge Sozialdemokraten, kluge Freidemokraten, kluge
Christdemokraten und eigentlich auch die Grünen ge-
meinsam beschlossen haben. Das aufzukündigen, wäre
eine Veräppelung der Bürger.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Stephan Kühn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Korrektur eines Fehlers!)


Es kommt noch etwas anderes hinzu – das möchte ich
erklären, weil das nicht das tägliche Geschäft aller ist –:
Die meisten Bürger meinen – das bekomme ich in Ge-
sprächen mit –, dass der Bund die meisten Steuereinnah-
men, das meiste Geld bekommt. Sie glauben, dass der
Bund 80 bis 90 Prozent der Steuereinnahmen erhält. Die
Einnahmen aus der Mehrwertsteuer und der Einkom-
mensteuer, alles fließt an den Bund. Jetzt fragen Sie sich
selber einmal, ob das, was ich sage, stimmt. Ich richte
diese Frage auch an die Opposition. Sie gerieren sich
hier als Freunde der Kommunen, indem Sie sagen: Wir
tun etwas für den ÖPNV. – Wer hat denn mehr Steuer-
einnahmen, Herr Kollege Bartol, Herr Kollege Kühn?
Hat der Bund mehr Steuereinnahmen, oder haben Län-
der und Kommunen mehr Steuereinnahmen? Fakt ist:
Länder und Kommunen haben mehr Steuereinnahmen.
Das ist die Überraschung. Länder und Kommunen erhal-
ten 52,5 Prozent aller Steuereinnahmen. Das heißt, jedes
Mal, wenn Sie als Bürger 1 Euro Steuern bezahlen, ge-
hen 52 Cent davon an die Länder und Kommunen. An
den Bund fließen 43 Cent, der Rest geht nach Europa.
Jetzt sagen Sie: Der Bund soll noch mehr tun.

Wir gehen noch einen Schritt weiter, weil es so be-
liebt ist, zu Hause, im Wahlkreis zu sagen: Ich tue etwas
für die Gemeinde, ich tue etwas fürs Land, im Gegensatz





Otto Fricke


(A) (C)



(D)(B)


zu denen in Berlin, im Gegensatz zum Bund. – Wir ha-
ben auch hier eine Verantwortung.


(Sören Bartol [SPD]: Wir sind ja noch kommunal verankert im Gegensatz zu euch! Splitterpartei!)


– Ja, jetzt kommen Sie wieder mit der kommunalen Ver-
ankerung. Glauben Sie, ich bin nicht kommunal veran-
kert? Glauben Sie, irgendjemand hier hat seinen Wahl-
kreis nicht im Auge?


(Sören Bartol [SPD]: Ihr habt keinen Wahlkreis! Ihr seid irgendwo da oben!)


Trotzdem haben wir als Bundestagsabgeordnete die Auf-
gabe, den Bürgern klar zu sagen: Ihr müsst für die schö-
nen Dinge, die gefordert werden, bezahlen.

Nach den aktuellen Zahlen der Monate Januar und
Februar


(Florian Pronold [SPD]: Reden Sie doch mal zum Thema, statt allgemeine Steuervorlesungen zu halten!)


haben die Länder in diesem Zeitraum mehr Steuern ein-
genommen als der Bund, und Sie sagen, der Bund solle
noch mehr bezahlen, ohne etwas zur Finanzierung zu sa-
gen. Jetzt komme ich zu der für mich größten Schweine-
rei dieser Woche: Anfang dieser Woche haben Grüne
und Sozialdemokraten gesagt, dass der Finanzminister
bzw. die Koalition in diesem Land nicht genug spart.
Heute hingegen fordern Sie Mehrausgaben in Milliar-
denhöhe. Das ist scheinheilig. Das hilft den Kommunen
und dem öffentlichen Personennahverkehr in keiner
Weise.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Sören Bartol [SPD]: Das ist doch eine Frage der Prioritätensetzung! Denk doch mal an eure Mövenpick-Hotelsteuer! – Florian Pronold [SPD]: Es waren doch die eigenen schwarzgelben Haushaltspolitiker, die das Schäuble vorgeworfen haben! – Weitere Zurufe von der SPD)


– Ja, anscheinend habe ich Sie doch getroffen.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Sie doch selber! – Florian Pronold [SPD]: Schwarzgelbe Haushälter haben das dem Finanzminister vorgeworfen!)


– Es ist schade, dass man draußen nicht mitbekommt,
wie sehr Sie sich gerade darüber aufregen. – Es bleibt
dabei: Sie als Opposition können nicht auf der einen
Seite sagen, dass Sie für die schönen Dinge der Welt zu-
ständig sind, aber auf der anderen Seite den Bürgern
nicht sagen, woher das Geld kommen soll.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Wir freuen uns über eine Rede, die so schlecht ist!)


Jetzt zum Abschluss zu der Frage, warum der Bund
zu seinen Finanzierungsfähigkeiten beim öffentlichen
Personennahverkehr steht. Wir werden den öffentlichen
Personennahverkehr in Zukunft noch mehr benötigen als
bisher. Das ist gar keine Frage. Wir werden aber darüber

sprechen müssen, welchen öffentlichen Personennahver-
kehr wir brauchen, wo wir ihn brauchen und welche Li-
nien effizient sind. Es geht auch um den Unterschied
zwischen städtischen und ländlichen Bereichen. Ich habe
während meines Studiums in Freiburg einen guten öf-
fentlichen Personennahverkehr erlebt. Ich sehe aber
auch, wie sinnlos es teilweise auf dem Land ist, wenn
man dort Buslinien nur aus traditionellen Gründen er-
hält,


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Stephan Kühn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schülerverkehr!)


ohne sich zu überlegen, ob es nicht moderne Möglich-
keiten des öffentlichen Personennahverkehrs gibt, statt
mit großen leeren Bussen durch die Gegend zu fahren,
wofür andere zahlen müssen. Ich weiß nicht, wo Sie le-
ben, aber ich sehe das täglich.


(Florian Pronold [SPD]: Sie sollen nicht mit dem Dienstwagen fahren, sondern mit dem Bus! – Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Wollen Sie die älteren Leute abhängen?)


Eines wird diese Koalition nicht machen: Sie wird
Vereinbarungen der Föderalismusreform nicht brechen.
Sie wird vor allen Dingen Ihrem Antrag nicht zustim-
men. Sie legen gern einen Antrag vor und fordern mehr
Geld für alle, wissen aber nicht, woher es kommen soll.
Sie stehen nicht auf der Schuldenbremse, sondern Sie
stehen, so wie in Nordrhein-Westfalen, auf dem Gas-
pedal und fahren damit vor die Wand.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Ich würde sagen: Es wird Zeit, dass die FDP mal wieder Bus fährt! Demnächst ist es so weit!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717009500

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat

jetzt das Wort der Kollege Thomas Lutze von der Frak-
tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Thomas Lutze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717009600

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!

Herr Fricke, ich lade Sie gerne ein und übernehme auch
die Fahrtkosten. Zeigen Sie mir den Überlandbus, der
sinnlos durch die Welt fährt. Ich nehme das dann gerne
zur Kenntnis. Ich kenne kaum noch eine Verkehrsverbin-
dung auf dem Land, die funktioniert.

Sie haben einen zweiten sachlichen Fehler gemacht.
Die Regionalisierungsmittel, die ohne Zweifel steigen,
werden hauptsächlich dem Regionalverkehr bei der
Deutschen Bahn und den Privatbahnen zuteil.


(Otto Fricke [FDP]: Ist das kein Personennahverkehr?)


In der heutigen Debatte und in dem Antrag der Grünen
geht es hauptsächlich um den Stadtverkehr. Für diesen





Thomas Lutze


(A) (C)



(D)(B)


sollen die Regionalisierungsmittel eigentlich nicht ver-
wendet werden.


(Otto Fricke [FDP]: Vielleicht bei Ihnen!)


Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen bestä-
tigt: Immer mehr Menschen nutzen regelmäßig den öf-
fentlichen Personennahverkehr. Ich glaube, da sind wir
uns alle einig. Genau gesagt: Im Jahr 2011 fuhren
9,7 Milliarden Menschen mit Bussen und Bahnen. Dies
ist eine Steigerung von 0,7 Prozent im Vergleich zum
Vorjahr. Im Fortschrittsbericht zur nationalen Nachhal-
tigkeitsstrategie steht ganz deutlich, dass der ÖPNV un-
erlässlich für den nachhaltigen Verkehr in Deutschland
ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Über die Frage der zukünftigen Finanzierung der öf-
fentlichen Verkehrsmittel wird jedoch wieder nur in klei-
nen Verhandlungsrunden im stillen Kämmerlein gespro-
chen. Die vom Bund gewährten Finanzmittel verlieren
ab 2014 ihre Zweckbindung, werden dann kontinuierlich
heruntergefahren, und ab 2020 gibt es überhaupt kein
Geld mehr für den Nahverkehr. Das ist kontraproduktiv
und steht im völligen Widerspruch zur Studie des Ver-
bandes Deutscher Verkehrsunternehmen, die dem öffent-
lichen Nahverkehr eine dramatische Unterfinanzierung
attestiert.

Von den benötigten 550 Millionen Euro für Erhal-
tungsinvestitionen können derzeit lediglich 220 Millio-
nen Euro von den kommunalen Verkehrsunternehmen
aufgebracht werden. Hinzu kommt ein Investitionsstau
– auch das ist hier schon gesagt worden – in Höhe von
2,5 Milliarden Euro. Dieses Geld wird für notwendige
Sanierungsarbeiten dringend benötigt. Schon jetzt spricht
man vielerorts von einem Erhaltungsrückstand. Die Fol-
gen sind oder werden sein: Betriebseinschränkungen oder
im schlimmsten Fall sogar Betriebseinstellungen.

Erklären Sie bitte dem Stadtrat in Bochum, wie er die
anstehende Renovierung seiner drei U-Bahn-Linien
finanzieren soll.


(Otto Fricke [FDP]: Indem er nicht für Millionen ein Steinkohlekraftwerk kauft!)


– Jetzt vergleichen Sie bitte nicht wieder Äpfel mit Bir-
nen. – Erklären Sie, wie die Renovierung der U-Bahn
finanziert werden soll. Erklären Sie dem Stadtrat meiner
Heimatstadt Saarbrücken, wie der geplante Ausbau der
Saarbahn – ursprünglich sollte ein Netz von Linien ent-
stehen – zukünftig finanziert werden soll. Das hat in der
Vergangenheit dankenswerterweise der Bund mit über-
nommen. Wenn sich der Bund dort komplett zurück-
zieht, wird es keine weiteren Investitionen in diesem Be-
reich geben.

Sowohl mittel- als auch langfristig gibt es einen wei-
terhin steigenden Finanzbedarf für den Aus- und Neubau
des ÖPNV-Netzes. In vielen Städten wird die Verkehrs-
leistung weiter zunehmen. Das Leistungs- und Nachfra-

gewachstum macht eine Weiterentwicklung des beste-
henden Angebots auch in Anbetracht des Klimawandels
und der Ressourcenknappheit dringend nötig.


(Beifall bei der LINKEN)


Was passiert, wenn die Kraftstoffpreise weiter so stei-
gen, ist, glaube ich, auch allen klar: Die Busse und Bah-
nen werden sich füllen.

Wir, die Linken, können nicht nachvollziehen, warum
die Finanzhilfen stetig gekürzt werden, obwohl der
ÖPNV weiter ausgebaut wird und der Finanzierungs-
rückstand bis Ende 2019 noch lange nicht abgebaut sein
wird. Deshalb fordern wir, die Finanzierung für Investi-
tionen und den Betrieb des öffentlichen Verkehrs als
wichtigen Bestandteil der Daseinsvorsorge auszuweiten.


(Beifall bei der LINKEN)


Dazu müssen die ÖPNV-Investitionsmittel auch nach
2013 nicht nur verstetigt werden, wie es die Grünen for-
dern, sondern entsprechend dem Bedarf auf 1,9 Milliar-
den Euro erhöht werden. Diese Forderung bestätigt im
Übrigen auch der Deutsche Städtetag, bekanntlich keine
linke Vorfeldorganisation.

Fazit: Egal wie Sie die Förderung in Zukunft nennen,
egal ob es mehrere Fördertöpfe oder nur einen Förder-
topf gibt, Deutschland braucht dringend einen neuen
Konsens zur Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs
in den Städten, Kommunen und Regionen.

Herzlichen Dank und Glück auf!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717009700

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/8918 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist
jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der
FDP wünschen Federführung beim Finanzausschuss, die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung
beim Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.

Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen. Wer stimmt
für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt.

Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und der FDP abstimmen. Wer
stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Christel
Humme, Caren Marks, Petra Crone, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Entgeltgleichheit zwischen Männern und
Frauen gesetzlich durchsetzen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Monika
Lazar, Kerstin Andreae, Ekin Deligöz, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Frauen verdienen mehr – Gleichstellung ist
Innovationspolitik

– Drucksachen 17/5038, 17/4852, 17/5821 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Nadine Schön (St. Wendel)

Christel Humme
Nicole Bracht-Bendt
Yvonne Ploetz
Monika Lazar

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es
Widerspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall.

Dann eröffne ich die Aussprache und erteile als erster
Rednerin der Kollegin Nadine Schön von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! „Wieso nimmt die ihr rotes Handtäschchen
mit ans Rednerpult?“, werden sich viele fragen. Diese
rote Handtasche ist ein Symbol. Sie ist das allgemeine
Symbol des Equal Pay Day. Sie ist das Symbol des heu-
tigen Tages.

Was soll uns diese Tasche sagen? Sie soll uns erstens
sagen: Auch heute, 2012, gibt es einen Entgeltunter-
schied zwischen Frauen und Männern von 23 Prozent;
im ländlichen Raum, aus dem ich selbst komme, ist die
Lohnlücke noch 10 Prozent größer. Sie soll uns zum
Zweiten sagen: Dieser Entgeltunterschied, der Gender
Pay Gap, entwickelt sich später, im Alter, zu einem Gen-
der Pension Gap, zu einem Unterschied in der Rente von
sage und schreibe 59 Prozent.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Tut mal was dagegen!)


Sie soll uns drittens sagen: Europaweit ist Deutschland
mit dieser Lohnlücke führend, und zwar führend im ne-
gativen Sinn. Nur in Österreich und Tschechien gibt es
eine noch größere Entgeltungleichheit als bei uns.
Schließlich soll sie uns sagen: Tut etwas dagegen!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, über 770 Gruppen in
ganz Deutschland führen heute, am Equal Pay Day, unter

Federführung von „Business and Professional Women –
Germany“ und mit finanzieller Förderung des Bundes-
gleichstellungsministeriums Aktionen zum Thema Ent-
geltgleichheit durch. Das ist eine großartige Leistung.


(Caren Marks [SPD]: Ist das zu beklagen?)


Deshalb will ich mich ganz am Anfang bei allen herzlich
bedanken, die heute diese Aktionen durchführen und für
dieses wichtige Thema werben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Aktionen informieren heute über die Gründe und
Ursachen der Lohnlücke. Auch für uns zur Erinnerung:
Der größte Teil der Lohnlücke von 23 Prozent hat objek-
tive Gründe. Frauen fehlen in bestimmten Berufen, in
bestimmten Branchen und auf den höheren Stufen der
Karriereleiter, Frauen sind im Schnitt schlechter qualifi-
ziert als Männer – noch! –, und Frauen haben außerdem
mehr und längere Erwerbsunterbrechungen.

Rechnet man diese objektiven Gründen aus den
23 Prozent heraus, dann müssen wir immer noch die so-
genannte bereinigte Entgeltlücke von 8 Prozent feststel-
len. Diese ist mit objektiven Gründen eben nicht zu
rechtfertigen. Hier müssen wir subjektive Gründe anneh-
men und auch davon ausgehen, dass es sich um Diskri-
minierung handelt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Caren Marks [SPD]: Das ist so! – Christel Humme [SPD]: Das andere ist auch Diskriminierung!)


Problematisch sind aber eben nicht nur diese 8 Pro-
zent, sondern auch die 23 Prozent, und zwar nicht zuletzt
deshalb – ich habe es erwähnt –, weil sich das im Alter
zu einer Rentenlücke von mehr als 54 Prozent aus-
wächst. Dann fehlt das Geld wirklich. Deshalb begnügen
sich die Aktivistinnen und Aktivisten heute eben nicht
damit, zu erklären und zu informieren, sondern sie sagen
auch: Tut etwas dagegen! – Tun wir also etwas dagegen.


(Beifall der Abg. Katharina Landgraf [CDU/ CSU] – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, tut etwas dagegen!)


Dieser Appell der Aktionen – Tut etwas dagegen! –
hat viele Adressaten. In diesem Jahr geht er vor allem an
die Tarifparteien und an diejenigen, die in die Lohnfin-
dung involviert sind. Es geht hier um die Frage: Wie
können Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei der indivi-
duellen Lohnfindung und Gewerkschaften und Unter-
nehmen, wenn sie Tarifverträge verhandeln,


(Caren Marks [SPD]: Und Politik?)


darauf achten, dass hier keine geschlechtsspezifischen
Unterschiede gemacht werden? Hier muss man sich als
Tarifpartei ganz bewusst die Fragen stellen: Was ist ei-
gentlich eine angemessene Bezahlung? Wie werden wir
eigentlich frauenspezifischen Tätigkeiten gerecht? Le-
gen wir faire und vergleichbare Kriterien an? Die Tarif-
parteien haben hier eine ganz besondere Verantwortung.





Nadine Schön (St. Wendel)



(A) (C)



(D)(B)


Liebe Frau Kollegin, Sie haben gerade „Politik“ da-
zwischengerufen. Dazu komme ich ganz sicher noch.
Mich hat es aber schon gewundert, dass Sie die Tarifpar-
teien in Ihrem Antrag so kleinreden. Ich bin der Mei-
nung, wir können den Tarifparteien schon zutrauen, dass
sie hier ganz aktiv etwas zur Beseitigung der Entgeltun-
gleichheit beitragen. Dass Sie den Glauben schon aufge-
geben haben, finde ich wirklich schade.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Der zweite Adressat des Appells ist die Gesellschaft;
das sind wir alle. Wenn es nämlich so ist, dass der größte
Teil der Lohnlücke – man spricht von etwa 18 Prozent –
deshalb entsteht, weil Frauen häufiger und auch länger
ihre Arbeitszeit unterbrechen,


(Christel Humme [SPD]: Auch das ist Diskriminierung!)


dann sind wir alle gefragt. Obwohl die Unterbrechung an
sich ja nicht negativ ist und obwohl die Entscheidungen
sehr oft einvernehmlich zwischen den beiden Partnern
gefällt werden, bringen sie meist negative Konsequen-
zen mit sich, nämlich einen schlechteren Lohn beim
Wiedereinstieg. Diese negativen Konsequenzen trägt al-
lein die Frau.

Das heißt für uns und unsere Gesellschaft, dass wir
diese Erwerbsunterbrechungen möglichst auf beide Part-
ner aufteilen müssen, damit beide die Konsequenzen tra-
gen. Mit dem Ausbau der Kitabetreuung, mit den Part-
nermonaten und mit dem Elterngeld unterstützen wir
von politischer Seite die Familien, die genau das wollen.
Ich kenne das aus meinem Freundeskreis und aus meiner
Umgebung: Gerade für junge Paare ist es heute selbst-
verständlich, dass man die sehr wichtige, aber eben un-
bezahlte Familienarbeit und die bezahlte Erwerbsarbeit
untereinander aufteilt. Das ist eine Form der Partner-
schaft, die in Zukunft dazu beitragen wird, dass es weni-
ger Erwerbsunterbrechungen geben wird. Das bringt
auch etwas für die Schließung der Lohnlücke.

Gefragt sind auch die Unternehmen. Der Appell an
die Unternehmen lautet: Seid sensibel für Entgeltun-
gleichheit in eurem Betrieb. Das Bundesfamilienminis-
terium bietet ja das Logib-D-Verfahren an. Das ist ein
wirklich gutes Tool, mit dem man herausfinden kann, ob
Entgeltunterschiede im Betrieb bestehen und wo die Ur-
sachen liegen. Das kann ich wirklich nur jedem Unter-
nehmen empfehlen.

Sie von der Opposition wollen hier ja ein gutes Stück
weiter gehen und diese Überprüfung zur Pflicht machen.
Anschließend sollen die Daten – anonymisiert –, einer
staatlichen Stelle vorgelegt und von NGOs und Interes-
sengruppen geprüft werden. Dann soll bei jedem einzel-
nen Unternehmen geprüft werden, ob es irgendwo in
seiner Mitarbeiterschaft eine ungerechtfertigte Entgel-
tungleichheit gibt.


(Christel Humme [SPD]: Das wäre doch endlich ein Fortschritt!)


– Ganz ehrlich, liebe Frau Humme: Ich weiß, Sie haben
ein gutes Ziel vor Augen, das ich auch unterstütze. Aber

das, was Sie vorschlagen, ist wirklich ein Bürokratie-
monster.


(Christel Humme [SPD]: So ein Quatsch! Denken Sie an das Bildungsund Teilhabepaket! Das ist viel bürokratischer!)


Sie glauben doch wirklich nicht, dass die Sensibilität
für dieses Thema in den Unternehmen wächst, wenn der
staatliche „Big Brother“ in einem riesenbürokratischen
Verfahren kommt und alle Lohnabschlüsse überprüft.
Das muss man sich einmal genau anschauen.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo sind die Vorschläge der Koalition?)


Ich bin der Meinung, damit kommen Sie keinen
Schritt weiter. Sie schaffen Bürokratie. Sie schaffen auch
Abwehrhaltungen in den Unternehmen, und das ist ge-
nau das, was wir nicht brauchen. Vielmehr brauchen wir
auch in den Unternehmen Sensibilität für dieses kom-
plexe Thema, und deshalb müssen wir diesen Vorschlag
leider ablehnen.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Macht doch bessere Vorschläge! Wo sind denn Ihre Vorschläge?)


Der Staat und die Politik können aber einiges machen.
Sie können Rahmenbedingungen ändern


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Genau das machen wir jetzt!)


und viele Dinge anstoßen, die dazu beitragen, dass die
Entgeltlücke geschlossen wird. Ich habe das Stichwort
Erwerbsunterbrechungen erwähnt. Hierzu gibt es gute
Programme des Ministeriums, etwa „Perspektive Wie-
dereinstieg“, „Familienbewusste Arbeitszeiten“ oder ge-
nerell das Elterngeld, und auch bei den steuerlichen Rah-
menbedingungen kann man etwas tun.

Die Politik kann nachhelfen – Sie kennen meine Posi-
tion an dieser Stelle –, dass zumindest in den Füh-
rungsetagen deutscher börsennotierter Konzerne mehr
Frauen vertreten sind, und ich glaube schon, dass wir
eine gesetzliche Regelung brauchen, um mehr Frauen in
Führungspositionen zu bringen. Ich bin der Meinung,
dass diese Regelung bei Vorständen flexibel, aber bei
Aufsichtsräten fest gelten sollte und dass mehr Frauen in
Führungspositionen zu mehr Entgeltgleichheit führen
werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch der Staat kann mit gutem Beispiel vorangehen.
Er kann beispielsweise in seinen eigenen Behörden dafür
sorgen, dass die Entgeltlücke nicht so groß ist. Darüber
hinaus kann der Staat auf allen Ebenen mit den gesell-
schaftlichen Gruppen dafür sorgen, dass das Thema eine
Relevanz erhält. Bewusstseinsbildung bringt hier sehr
viel, und deshalb begrüße ich das Projekt mit den Land-
frauen sehr; denn es greift das wichtige Thema der Ent-
geltungleichheit im ländlichen Raum auf. Als Vertreterin
des ländlichen Raums weiß ich schließlich, wie wichtig
das ist.





Nadine Schön (St. Wendel)



(A) (C)



(D)(B)


All diese Initiativen seitens Staat, Gesellschaft, Unter-
nehmen und Tarifparteien werden gemeinsam dazu bei-
tragen, dass der Entgeltunterschied schrumpfen wird,
und das muss unser aller erklärtes Ziel sein. Denn, liebe
Kolleginnen und Kollegen, Gleichstellungspolitik ist
nichts, was wir nur für uns Frauen machen. Gleichstel-
lungspolitik hat auch, aber nicht nur etwas mit gerechten
Chancen zu tun. Nein, Gleichstellungspolitik hat auch
etwas mit der Innovationsfähigkeit, mit dem Wachstum
und mit der Lebensqualität einer Gesellschaft zu tun


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit Gerechtigkeit!)


Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, tun wir
nicht nur etwas für die Frauen, wenn wir uns für die Be-
seitigung der Lohnlücke einsetzen. Wir tun etwas für
ganz Deutschland.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber was tun Sie denn? – Beate MüllerGemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ohne die Ministerin!)


Denken Sie heute daran, und denken Sie auch immer da-
ran, wenn Sie eine rote Handtasche sehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717009800

Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Caren

Marks das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Caren Marks (SPD):
Rede ID: ID1717009900

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die meis-
ten von uns kommen gerade von der Kundgebung am
Brandenburger Tor. Bei gutem Wetter war sie gut be-
sucht, und das war gut.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Obwohl der Anlass kein erfreulicher ist, ist es richtig
und notwendig, Flagge zu zeigen. Aber ich muss ganz
ehrlich sagen: Ich möchte da nicht noch in 20 Jahren ste-
hen und dafür streiten, was uns zusteht.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sowohl der Deutsche Gewerkschaftsbund als auch
der Deutsche Frauenrat hatten zu dieser Kundgebung un-
ter dem Motto „Recht auf Mehr“ aufgerufen. Recht ha-
ben Sie mit „Recht auf Mehr“, nämlich dem Recht auf
gleiche Bezahlung für Frauen und Männer in unserem
Land.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen über-
haupt nicht darüber streiten, ob eine Lohnlücke von
21,6 oder 22 oder 23 Prozent besteht. Fest steht: In kei-

nem anderen OECD-Land klafft diese Lücke so weit
auseinander wie in unserem Land.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Peinlich!)


In Vollzeit arbeitende Frauen verdienen laut OECD-
Studie – Herr Staatssekretär, auch Sie könnten etwas ler-
nen –


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


bis zu 21,6 Prozent weniger als Männer. Der Durch-
schnitt liegt in der OECD bei 16 Prozent. Dies wurde
uns erst letzte Woche wieder bescheinigt. Auch im euro-
päischen Vergleich liegt Deutschland am unteren Ende
der Skala. Damit gehören wir leider zu den Spitzenrei-
tern bei der Diskriminierung von Frauen. Dieses Ergeb-
nis ist nicht nur bitter. Es ist schlicht beschämend!


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist vor allem nicht hinnehmbar. Wir haben es hier
mit einem „Prinzip ohne Praxis“ zu tun. Obwohl näm-
lich nach geltender Rechtslage die unterschiedliche Ent-
lohnung von Arbeit aufgrund des Geschlechts sowohl
nach nationalen als auch nach europarechtlichen Re-
gelungen definitiv verboten ist, werden Frauen weiter
diskriminiert. Der jährlich stattfindende Equal Pay Day
macht dies öffentlichkeitswirksam zum Thema. Meine
Geduld, die Geduld der Frauen in diesem Land und die
Geduld der gesamten SPD-Bundestagsfraktion sind zu
Recht am Ende.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unsere auch! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Auch die der übrigen Engagierten!)


– Und die der übrigen Engagierten natürlich auch.


(Beifall bei der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Jetzt kann ich auch klatschen!)


Es ist höchste Zeit, zu handeln. Handeln müsste drin-
gend diese Bundesregierung. Handeln muss dieses Par-
lament.

Aber wie bei der Quote und wie bei vielen anderen
Themen: Bundesministerin Schröder verschließt die Au-
gen vor der Realität.


(Zuruf von der SPD: Wo ist sie denn?)


Aber die Augen zu schließen, verändert nicht die Reali-
tät. Das ist ein Spiel, von dem kleine Kinder überzeugt
sind, dass es funktioniert: Ich schließe die Augen, und
keiner sieht mich. Auch die vorhandenen Probleme sieht
man dann nicht mehr.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es soll sich alles schön von alleine regeln. Frauen brau-
chen keine Quoten. Wer gut ist, kommt alleine in die
Führungsetagen.





Caren Marks


(A) (C)



(D)(B)


Frau Schröder sieht die Quote gar als eine Diskrimi-
nierung; so in der letzten Woche zu lesen. Heutige Män-
ner – so die Ministerin – sollen nicht ausbaden müssen,
was Generationen von Männern falsch gemacht haben. –
Man reiche mir ein Taschentuch.


(Christel Humme [SPD]: Ein Taschentuch reicht da nicht!)


Sie spricht gar von einer „Kollektivhaftung“. – All dies
ist eine mehr als absurde Argumentation von einer
Ministerin, die bis heute nicht verstanden hat, für wen
sie eigentlich in diesem Land Politik machen muss.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich denke, ich kann im Namen aller Frauen sagen:


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Und engagierten Männer!)


Besten Dank, Frau Schröder! Sie können gehen!


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nach einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung for-
dern 87 Prozent der Befragten gleichen Lohn für gleiche
Arbeit. So sieht die Realität aus, eine Realität, die Frau
Schröder, aber auch die gesamte Bundesregierung end-
lich zur Kenntnis nehmen sollten.

Fordert eine Frau heute gleiches Entgelt für gleiche
Arbeit ein, so muss sie das alleine durchsetzen, indivi-
duell gegenüber ihrem Arbeitgeber. Hier hat das All-
gemeine Gleichbehandlungsgesetz keine wirkliche Ver-
besserung gebracht. Es fehlt in unserem Land ein
Instrument, das die Durchsetzung des Prinzips der glei-
chen Bezahlung ermöglicht. Und deswegen arbeiten wir,
die SPD-Bundestagsfraktion, an einem entsprechenden
Gesetz, einem Equal-Pay-Gesetz.


(Beifall bei der SPD)


Damit wollen wir die Unternehmen in diesem Land
verpflichten, endlich für diskriminierungsfreie Entgelt-
systeme zu sorgen. Dabei gilt für uns natürlich, Frau
Schön: so wenig Staat und Bürokratie wie möglich, so
viel wie notwendig, um diesem Gesetz zur Wirksamkeit
zu verhelfen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Mit diesem Gesetz wollen wir notwendige Transpa-
renz bei Entlohnungsstrukturen herstellen; denn nir-
gendwo wird aus der Bezahlung so ein Geheimnis ge-
macht wie in Deutschland. Mehr Transparenz – davon
bin ich fest überzeugt – wird die versteckten Möglich-
keiten der Diskriminierung abbauen. Das ist dringend
notwendig.


(Beifall bei der SPD)


Natürlich muss das Gesetz einen Weg zur Kontrolle
und Durchsetzbarkeit vorgeben. Aber all dies ist mach-
bar, wenn gewollt. Wir, die SPD-Bundestagsfraktion,

wollen dies gesetzlich ermöglichen. Im Mai wird unser
Gesetzentwurf eingebracht. Seitens der Bundesregierung
hingegen ist für die Frauen in unserem Land nichts ge-
wollt. Ein deutlicheres Zeichen als die Debatte am Inter-
nationalen Frauentag in der letzten Sitzungswoche
konnte es kaum geben.

Natürlich wird ein Gesetz zur Herstellung von Ent-
geltgleichheit nicht all die Probleme lösen, die struktu-
rell bedingt sind. Ehegattensplitting und Minijobs, all
das muss dringend reformiert werden. Aber auch der
Ausbau der Betreuungsangebote muss schneller voran-
gehen.

Ein gutes und wirksames Instrument zur Eindäm-
mung der Entgeltunterschiede ist auch der gesetzliche
Mindestlohn, den diese Bundesregierung, auch die Ar-
beitsministerin Frau von der Leyen, nach wie vor nicht
einführen will. Erst letzte Woche konnten wir in dem
neuesten Report des Instituts Arbeit und Qualifikation
der Uni Duisburg-Essen nachlesen, dass bei der Einfüh-
rung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro
jede vierte Frau Anspruch auf eine Lohnerhöhung hätte.
Damit wäre schon ein guter Anfang gemacht, Frau
Schröder und Frau von der Leyen. Es wäre schön, wenn
beide heute anwesend wären, aber die Staatssekretäre
können es ihnen ausrichten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese Ergebnisse haben deutlich gemacht, dass
Frauen sehr viel häufiger von besonders niedrigen Stun-
denlöhnen betroffen sind. Knapp 5 Prozent der weibli-
chen Beschäftigten arbeiteten 2010 für Stundenlöhne un-
ter 5 Euro und 15 Prozent für unter 7 Euro. Ich frage die
schwarz-gelbe Bundesregierung: Wie lange will ein
wirtschaftlich gut aufgestelltes Land wie Deutschland
dies seinen Arbeitnehmerinnen noch zumuten? Hier sind
wir, hier ist die Bundesregierung, hier ist der Gesetzge-
ber gefordert.

Wenn diese Bundesregierung für Frauen nicht tätig
werden will, dann wird es die SPD-Bundestagsfraktion,
und ich weiß, dass die anderen Oppositionsfraktionen
dies auch wollen. Wir werden Ihnen gesetzliche Lösun-
gen vorlegen, eine nach der anderen. Denn ich will wie
die anderen Frauen und viele Männer an unserer Seite
nicht noch in 20 Jahren am Brandenburger Tor für Lohn-
gleichheit streiten müssen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717010000

Für die FDP-Fraktion hat jetzt die Kollegin Nicole

Bracht-Bendt das Wort.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)



Nicole Bracht-Bendt (FDP):
Rede ID: ID1717010100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich
komme gerade vom Infostand der FDP-Fraktion zum
Equal Pay Day zurück.


(Zurufe von der SPD: Oh! – Christel Humme [SPD]: Wo haben Sie den versteckt?)


Eine Frau fragte mich, warum es trotz eines Verbots
im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz von 2006 in
Deutschland immer noch so eine große Lohnlücke gibt
und warum die Bundesregierung hier nicht mit einem
Gesetz zu einem flächendeckenden Mindestlohn einen
Riegel vorschiebt. Genau das ist der Vorschlag von SPD-
Fraktion und Bündnis 90/Die Grünen. Die FDP-Fraktion
lehnt das aus mehreren Gründen ab.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie überraschend!)


– Hören Sie zu! – Die Lohnfindung ist Sache der Tarif-
partner; einen solch massiven Eingriff in die Tarif-
autonomie, wie Sie es mit einer gesetzlichen Regelung
vorschlagen, lehnen wir ab.


(Christel Humme [SPD]: Dahinter verstecken Sie sich immer, wenn Sie keine Lösung haben!)


Außerdem wollen wir kein neues bürokratisches Re-
gelwerk, mit dem Sie nahezu allen Betrieben neue
Regeln und Berichtspflichten aufbürden wollen. Wir als
FDP-Fraktion wollen mehr Transparenz bei den Gehalts-
strukturen.


(Christel Humme [SPD]: Wie wollen Sie das hinkriegen?)


Wir setzen auf die anonyme Offenlegung von Gehältern,
um die Ursachen ungerechter Bezahlung auszumachen
und abzubauen. Es gibt also dasselbe Ziel; nur die Wege
sind unterschiedlich.

Wir alle kennen die Fakten: Bei gleicher Qualifika-
tion und vergleichbarer Tätigkeit liegt der Verdienstun-
terschied zwischen Männern und Frauen bei 8 Prozent.
Dennoch sind auch die durchschnittlich 23 Prozent, von
denen so oft die Rede ist, Realität.

Das hat vor allem strukturelle Gründe. Wir müssen
sehen, dass sich junge Frauen in Deutschland deutlich
häufiger als in anderen Ländern nach der Geburt eines
Kindes aus dem Beruf zurückziehen und ausschließlich
der Familie widmen.


(Zuruf von der SPD: Warum denn? – Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Das ist doch kein Argument!)


Das passiert freiwillig, und ich bin froh, dass der Gesetz-
geber keine Lufthoheit über unseren Kinderbetten hat.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der SPD – Zuruf von der SPD: Ich dachte, die FDP wäre da schon weiter!)


– Sie können ruhig lachen. – Den Frauen muss klar sein,
dass jedes Jahr, das sie aus dem Beruf aussteigen, Ein-
schnitte in ihrem Portemonnaie bedeutet. Das gilt nicht
nur für die Zeit, bis sie wieder in den Beruf einsteigen,
sondern auch für die Rentenzeit. Hier müssen wir anset-
zen, Ursachen ausloten und Lösungen entwickeln.


(Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717010200

Frau Kollegin.


Nicole Bracht-Bendt (FDP):
Rede ID: ID1717010300

Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Eine Minute haben Sie noch!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717010400

Keine Zwischenfrage, gut.


Nicole Bracht-Bendt (FDP):
Rede ID: ID1717010500

Daher müssen wir in Deutschland noch mehr für die

bessere Vereinbarung von Familie und Beruf tun. Die
Koalition hat hierzu schon einiges auf den Weg gebracht,
zum Beispiel Initiativen für familienbewusste Arbeits-
zeiten für Männer und Frauen, den Ausbau der Kinder-
betreuung und Programme zur Erleichterung des Wie-
dereinstiegs.


(Karin Roth dachte, das wäre nicht notwendig? Nach einer Studie der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft, vbw, ist die Entgeltlücke bei jungen Frauen ohne Kinder oder mit einer nur kurzen Babypause statistisch kaum mehr nachweisbar. Das ist erfreulich, aber noch kein Grund zur Entwarnung. Die Einkommensschere öffnet sich also vor allem bei älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Ursache hierfür ist in erster Linie die Berufswahl von Mädchen und Frauen. Noch heute wählt ein Drittel aller weiblichen Auszubildenden aus fünf verschiedenen Ausbildungsberufen, die ihnen wenige Aufstiegschancen bieten. Insgesamt gibt es aber rund 350 Ausbildungsberufe. Deshalb müssen wir Jungen und Mädchen animieren, aus der vollen Bandbreite zu schöpfen und auch für ihr Geschlecht untypische Berufe zu wählen. – Es wäre schön, wenn Sie einmal zuhören würden. Manchmal lernen auch Sie noch etwas. – Viele Mädchen haben Interesse am technischen und naturwissenschaftlichen Bereich. Das wollen und müssen wir fördern. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe für Schule, Elternhaus und Politik. Für mich liegt der Schlüssel für mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Transparenz der Gehaltsstrukturen, der Berufswahl sowie der optimalen Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen und Männer. Dann werden Nicole Bracht-Bendt solche Aktionen wie die der FDP-Fraktion heute bald nicht mehr nötig sein. Herzlichen Dank. Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der Kollegin Deligöz von Bündnis 90/Die Grünen. Liebe Frau Kollegin Bracht-Bendt, ich wollte Ihnen eigentlich eine Frage stellen. Da Sie sie aber nicht zugelassen haben, habe ich mich für eine Kurzintervention entschieden. Im Moment geht über Timeline von Twitter die Meldung, dass innerhalb Ihrer Fraktion die Meinung vertreten wird, der heutige Tag sei ein sinnloser Aktionstag für Frauen. Angesichts dessen, dass heute Tausende Frauen und Männer auf die Straße gehen, weil sie sich ungerecht behandelt fühlen, weil Frauen, statistisch gesehen, bis zum heutigen Tag arbeiten müssen, um bei gleicher Arbeit genauso viel zu verdienen wie die Männer allein im letzten Jahr, und weil unsere Verfassung uns den Auftrag gibt, etwas gegen diese Ungerechtigkeit zu tun, möchte ich von Ihnen wissen, wie Ihre Position zu dem ist, was im Moment aus Ihrer Fraktion verlautet. (Otto Fricke [FDP]: Sagen Sie die Namen! Von wem denn?)


(Unruhe bei der SPD)





(A) (C)


(D)(B)


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717010600
Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717010700

Wie können Sie als Fraktion, die die Regierung trägt,
vertreten, dass die Ministerin lieber draußen die Medien-
vertreter anlächelt, anstatt die halbe Stunde hier im Ple-
num zu sitzen, mit uns zu debattieren und ein klares
Wort zu äußern? Ich nenne das Wegducken vor der Ver-
antwortung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717010800

Zur Erwiderung, Frau Bracht-Bendt.


Nicole Bracht-Bendt (FDP):
Rede ID: ID1717010900

Ich weiß nicht, auf wen Sie anspielen und wer sich so

geäußert haben soll. Wir waren heute mit einem Stand an
der Friedrichstraße vertreten und haben uns mit dem Ta-
gesthema befasst. Wir haben uns als Fraktion für diesen
Standort entschieden. Ich denke, das ist unsere Entschei-
dung für die Frauen und Männer in unserem Land.

Danke.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717011000

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort die Kol-

legin Yvonne Ploetz.


(Beifall bei der LINKEN)



Yvonne Ploetz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717011100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Heute ist der 23. März. Von
Anfang letzten Jahres bis heute müssen Frauen arbeiten,
um den gleichen Lohn zu bekommen, den die Männer
allein im letzten Jahr verdient haben. Das ist ein sagen-
hafter Lohnunterschied von 23 Prozent, wie wir heute
bereits gehört haben. Dabei sollte es doch heute hier und
jetzt eine Selbstverständlichkeit sein, dass Frauen den
gleichen Lohn für die gleiche Arbeit bekommen. Ihnen
stehen die ganzen 100 Prozent zu.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In Deutschland haben wir seit Jahren dieses enorme
Lohngefälle. Nirgendwo in Europa geht die Lohnschere
derart weit auseinander wie bei uns in Deutschland,
nicht in Griechenland, nicht in Frankreich, nicht in Bul-
garien und auch nicht in der Slowakei. Da muss man
sich wirklich die Frage stellen, wie ernst Sie es als Re-
gierung mit der Gleichstellung von Mann und Frau mei-
nen.

In diesem Zusammenhang stellte die taz Jana Weber
vor. Jana und ihr Partner sind als freiberufliche Schau-
spielerin und Schauspieler unterwegs, an Theatern in der
ganzen Republik, von Düsseldorf bis Leipzig, von Ham-
burg bis Passau, oft zur selben Zeit im selben Stück. Im-
mer ärgert sich Jana über ihre Verträge. Während ihr
Partner 250 Euro für eine Vorstellung bekommt, erhält
sie nur 200 Euro, und das nur, weil sie eine Frau ist. Da-
mit muss jetzt endlich Schluss sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Leider ist das deutscher Alltag, egal ob eine Frau
Schauspielerin, Schreinerin oder Managerin ist. Das ist
wirklich eine ganz bittere Bilanz. Das ist die bittere Bi-
lanz einer Regierung, die die Mehrheit der Gesellschaft
noch immer wie eine Minderheit behandelt.

Dabei haben Sie sich als Regierung vorgenommen,
den Lohnunterschied bis 2020 auf 10 Prozent zu redu-
zieren. Ich kann Ihnen schon heute sagen: Sie werden
das nicht erreichen, wenn Sie weiterhin an Ihrem Frei-
willigkeits- und Selbstverpflichtungskurs festhalten.


(Holger Krestel [FDP]: Wir brauchen mehr Zwang!)


Sie werden nicht darum herumkommen, ein echtes
Gleichstellungsgesetz zu initiieren, mit dem Sie die Be-
triebe dazu verpflichten, gleiche Löhne für gleiche Ar-
beit auszuzahlen.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Caren Marks [SPD])


Wenn man sich das Ganze genau anschaut, sieht man,
dass die Probleme tatsächlich noch tiefer liegen. Lohn-
diskriminierungen häufen sich im Laufe eines Frauenle-
bens an. Nimmt man das gesamte Erwerbsleben vom
Schulabschluss bis zur Rente in den Blick, dann erkennt
man, dass der Lohnunterschied nicht 23 Prozent, son-
dern annähernd 50 Prozent beträgt. Schuld daran sind





Yvonne Ploetz


(A) (C)



(D)(B)


Niedriglöhne, unfreiwillige Teilzeitarbeit, Minijobs,
Pausen, um die Kinder zu erziehen oder um Angehörige
zu pflegen, fehlende Aufstiegschancen und das gerin-
gere Gehalt. All das kommt in vielen Frauenleben zu-
sammen und endet in einer Rentenlücke von knapp
59 Prozent.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Unglaublich!)


Auch das gehört zur Wahrheit und somit zu dieser De-
batte.


(Beifall bei der LINKEN)


An dieser Situation ändert sich schon seit Jahren
überhaupt nichts. Stattdessen finde ich, wenn ich mir die
Homepage equalpayday.de anschaue, ein Zitat unserer
Frauenministerin – ich zitiere –:

Verdienen Sie mehr? Diese Frage kann frau sich ru-
hig öfter stellen!

Ich persönlich finde, dass dieses Zitat gerade aus dem
Munde der Ministerin, die daran schuld ist, dass wir
heute schon wieder den Equal Pay Day feiern müssen,
wirklich eine Unverschämtheit ist.


(Beifall bei der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wir brauchen eine neue Ministerin! Da führt kein Weg dran vorbei! Es nützt nichts!)


Dabei gibt es doch zahlreiche Lösungsvorschläge, wie
man den Equal Pay Day viel früher im Jahr oder besten-
falls gar nicht haben könnte:

Erstens. Streiten Sie mit uns doch endlich gegen Hun-
gerlöhne, gegen die Armutsfalle Minijobs und gegen Ar-
mut trotz Arbeit. Jede Frau und jeder Mann muss für
eine Stunde Erwerbsarbeit mindestens 10 Euro bekom-
men.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens. Stellen Sie sich doch endlich an die Seite
der Alleinerziehenden und ihrer Kinder im Land. Wir
haben in Deutschland eine ganz enorm hohe Kinder- und
Jugendarmutsquote. Das liegt oftmals daran, dass die
Mütter in einer sehr prekären Situation leben. Nur einige
Vorschläge: Sie könnten ein Programm für gute Arbeit
für Alleinerziehende auflegen. Sie müssen die Kinderbe-
treuung modernisieren und ausbauen. Nur so geht die
Gleichung „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ auf.
Nur so hat jeder Wahlfreiheit.


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens. Es fehlt Transparenz. In Norwegen und
Schweden gibt es sogenannte öffentliche Verdienstlisten.
Dort kann jeder nachlesen, was der Kollege verdient,
was der Chef verdient und was der Nachbar verdient.
Genau so etwas würde den Frauen in Deutschland wirk-
lich helfen, Gehaltsforderungen zu stellen und Gehalts-
verhandlungen zu führen. Das würde uns allen in
Deutschland gut zu Gesicht stehen.


(Beifall bei der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da hat die FDP Angst vor!)


– Genau. Wie vor allem, was gesetzlich geregelt wird.

Von alledem geschieht nichts. Stattdessen glänzen Sie
mit Initiativen, die für die Frauenbewegung ein richtiger
Ausfall sind. Das Stichwort Logib-D ist schon gefal-
len. Viele kennen es sicherlich nicht. Das ist ein Sam-
melsurium von Excel-Tabellen, PDFs und Download-
möglichkeiten im Internet. Damit soll Unternehmen
geholfen werden, sich mit der Entgeltungleichheit im ei-
genen Betrieb auseinanderzusetzen – natürlich, wie im-
mer, freiwillig und natürlich, wie immer, völlig erfolgs-
frei.

Mit solchen freiwilligen Instrumenten beweist die
Frauenministerin, die nicht hier ist, eigentlich nur eines:
Ihr fehlt nicht nur der politische Biss. Sie ist frauenpoli-
tisch ganz und gar zahnlos.

Um auf Frau Schröders Frage, ob Frauen mehr ver-
dienen, zu antworten: Natürlich verdienen Frauen mehr
– mehr Geld, mehr Anerkennung und mehr Aufstiegs-
chancen. Eine Frauenministerin fehlt uns ganz. Wir ha-
ben ein Recht auf mehr.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Und wir haben das Recht auf eine andere Ministerin!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717011200

Das Wort hat die Kollegin Monika Lazar von Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717011300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Frauen verdienen mehr“ – so heißt der grüne Antrag,
den wir heute unter anderem beraten. Es wurde von den
Vorrednerinnen schon gesagt: Das Thema begleitet uns
schon seit Jahren, und seit Jahren ändert sich nichts.

In der taz von gestern war zu lesen – ich zitiere –:

Lang und ruhig verläuft die Linie, die den Ver-
dienstunterschied von Frauen und Männern im Ver-
lauf der Jahre anzeigt. 1995 lag sie bei 21 Prozent,
1999 taucht sie mal kurz unter 20 Prozent, dann er-
höht sie sich auf 23 Prozent – und da bleibt sie bis
heute.

Nach Angaben der OECD gibt es kein anderes euro-
päisches Land, wo das Lohngefälle so groß ist wie in
Deutschland. Vollzeitbeschäftigte Frauen verdienen hier-
zulande im Schnitt immer noch 21,6 Prozent weniger als
Männer. Die Gehaltsunterschiede nehmen mit dem Alter
zu und schwanken in den einzelnen Berufsfeldern sehr.

Manche Gründe für dieses Lohngefälle liegen in der
Berufs- und Branchenwahl – das wurde vorhin schon an-
gesprochen –, aber auch in den ungleich verteilten Ar-
beitsplatzanforderungen hinsichtlich Führung und Quali-
fikation. Junge Frauen wählen ihre Ausbildung immer





Monika Lazar


(A) (C)



(D)(B)


noch aus einem sehr schmalen Spektrum von sogenann-
ten Frauenberufen. Es wäre besser, wenn sie ihre Berufs-
möglichkeiten breiter ausschöpften. Wir werden in ei-
nem Monat den Girls’ Day haben, an dem unsere
Bundestagsfraktion junge Frauen empfängt und mit ih-
nen diskutiert.

Aber es gibt Unterschiede, die nicht erklärbar sind.
Laut WSI beträgt der Gehaltsunterschied zum Beispiel
bei Informatikerinnen und Informatikern 4 Prozent, aber
bei Physikerinnen und Physikern 24 Prozent; das ist ein-
fach nicht zu verstehen.

Über die geschlechtergerechten Besetzungen von
Aufsichtsräten und Vorständen haben wir hier schon
häufig gesprochen. Es gibt auch gute Vorschläge der Op-
position hierzu. Auch wir Grüne haben Anträge und Ge-
setzentwürfe eingebracht. Der Aufstieg in Führungsposi-
tionen ist für Frauen immer noch viel zu schwierig. Es
macht mich wütend, dass Frauen in Führungsetagen
– das hat das DIW kürzlich veröffentlicht – durch-
schnittlich 1 000 Euro brutto weniger als Männer verdie-
nen. Ich finde, das ist ein furchtbarer Skandal.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Komplizierter wird es, wenn wir uns die unmittelbare
Diskriminierung anschauen. Da besteht ein Unterschied
von immer noch 8 Prozent. Das darf es in einem moder-
nen Land wirklich nicht geben.

Wir Grüne haben vor zwei Wochen hier unseren An-
trag zum Thema Entgeltgleichheit eingebracht. Wir for-
dern ein Entgeltgleichheitsgesetz. Die Tarifverträge
müssen dahin gehend überprüft werden, ob sie diskrimi-
nierende Passagen enthalten. Wir wollen, dass mit einem
analytischen Bewertungssystem geprüft wird, weil das
summarische Verfahren, das das Ministerium vorschlägt,
nicht ausreicht.

Wir wollen, dass die entsprechenden Kompetenzen
bei der Antidiskriminierungsstelle angesiedelt sind. Frau
Lüders hat soeben auf der Veranstaltung am Brandenbur-
ger Tor gesagt, dass sie diese Aufgaben gern überneh-
men will. Das ist wichtig. Diese Stelle muss natürlich
auch personell und finanziell besser ausgestattet werden.
Die Koalition hingegen nimmt der Antidiskriminie-
rungsstelle Geld weg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Wir brauchen endlich ein Verbandsklagerecht für An-
tidiskriminierungsverbände, Gewerkschaften, Betriebs-
und Personalräte und Mitarbeitervertretungen. Weiterhin
müssen ein gesetzlicher Mindestlohn und mehr bran-
chen- und regionalspezifische Mindestlöhne eingeführt
werden.

Ich verstehe die Gleichstellung von Frauen und Män-
nern als eine zentrale Gerechtigkeitsfrage. Gleiche
Chancen und Rechte auf dem Arbeitsmarkt gehören
dazu. Wir haben in den letzten Wochen sehr viel zum
Thema Gleichstellung diskutiert. Wir kommen gerade
von der Kundgebung des DGB und des Deutschen Frau-
enrats am Brandenburger Tor. Es waren fast alle Fraktio-

nen vertreten. Die FDP hat gefehlt. Ich frage mich, wa-
rum Sie zwei Straßenecken weiter stehen, allein im
Schatten,


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben sich an den Schatten gewöhnt!)


und warum Sie sich nicht unserer Kundgebung ange-
schlossen haben. Selbst die Frauenunion war da und hat
eine Rednerin gestellt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Wir haben dort mitbekommen, dass die Einschätzun-
gen im Grunde genommen gleich sind. Ich frage mich
allerdings, warum die Konsequenzen immer noch nicht
gezogen werden. Wir von der Opposition machen Vor-
schläge. Wir vermissen aber immer noch die Vorschläge
der Koalition und der Bundesregierung. Sie können sich
gerne an unseren Vorschlägen bedienen, aber – darin
sind wir uns alle einig – wir wollen nicht noch Jahre
oder Jahrzehnte diskutieren. Deshalb meine Aufforde-
rung: Tun Sie endlich etwas, damit Entgeltgleichheit in
diesem Land endlich umgesetzt wird!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717011400

Jetzt hat die Kollegin Katharina Landgraf von der

CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katharina Landgraf (CDU):
Rede ID: ID1717011500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am heuti-

gen Tag der gleichen Entlohnung, Equal Pay Day, wird
viel über die Ursachen des Lohnabstandes zwischen
Männern und Frauen gesprochen; das haben bereits
meine Vorredner ausführlich dargelegt.


(Caren Marks [SPD]: Vorrednerinnen!)


– Vorrednerinnen, Sie haben recht. –

Die Anträge, über die wir heute debattieren, sind aber
bereits über ein Jahr alt: Der von der SPD stammt von
März 2011 und der von den Grünen von Februar 2011.
Dabei ist doch inzwischen, wie ich bei meiner Vorberei-
tung festgestellt habe, einiges passiert.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was denn?)


Wir versuchen nämlich zusammen mit den Akteuren aus
der Wirtschaft, die Ursachen der Entgeltungleichheit mit
konkreten Maßnahmen zu bekämpfen.


(Kerstin Tack [SPD]: Das reicht aber nicht! – Caren Marks [SPD]: Versucht und gescheitert!)


– Es ist ein Anfang. – Durch Verbesserung der Rahmen-
bedingungen wollen wir die Karrierechancen von Frauen
und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern.
Ich möchte hier nur kurz die Initiative für familienbe-





Katharina Landgraf


(A) (C)



(D)(B)


wusste Arbeitszeiten, das Programm „Perspektive Wie-
dereinstieg“, den Girls’ Day, die MINT-Initiativen, den
stetigen Ausbau der Kinderbetreuung und die Partner-
monate beim Elterngeld erwähnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das alles wird dazu beitragen, das Berufswahlverfahren
zu beeinflussen und Erwerbsunterbrechungen zu ver-
mindern.


(Caren Marks [SPD]: Und im Himmel ist Jahrmarkt!)


Das sind nämlich zwei Hauptursachen – das haben Sie
selbst angeführt, Frau Marks – für den Gehaltsunter-
schied zwischen Männern und Frauen.

Gerade bei der Berufswahl stehen den Frauen doch
jetzt alle Wege offen. Die typischen Frauenberufe wie
Krankenschwester und Altenpflegerin möchte ich ein-
mal bewusst ausklammern. Wir dürfen nämlich nicht
dulden, dass der Dienst am Menschen schlechter bezahlt
wird als der Dienst an Maschinen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich meine vielmehr andere Berufsfelder wie das Finanz-
wesen. Dort wählen Frauen zum Beispiel noch immer
überwiegend den Beruf der Buchhalterin, der nur halb so
gut bezahlt wird wie der des kaufmännischen Leiters.
Hier ist offensichtlich noch Aufklärungsarbeit zu leisten.


(Caren Marks [SPD]: Bei der Bundesregierung, ja!)


Ein weiterer Teil der Gesamtstrategie ist die schon er-
wähnte Einführung von Logib-D, „Lohngleichheit im
Betrieb – Deutschland“. Die Teilnahme ist freiwillig und
kostenlos. Daher würde es mich freuen, wenn noch mehr
Unternehmen als bisher ihre Lohnstruktur überprüfen
würden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In diesem Zusammenhang müssen wir uns überlegen, ob
sich vielleicht nicht auch der öffentliche Dienst einer
solchen Überprüfung stellen sollte.


(Christel Humme [SPD]: Fangen wir beim Ministerium einmal an!)


Denn auch dort kann von einer gleichen Bezahlung von
Männern und Frauen nicht die Rede sein. Beamtinnen
und Richterinnen verdienen rund 20 Prozent weniger als
ihre Kollegen. Besonders krass sind die Unterschiede im
mittleren und im höheren Dienst. Häufig dient der Hin-
weis auf die hohe Teilzeitquote der Frauen zur Erklä-
rung. Das Argument zieht aber nicht; denn auch vollzeit-
beschäftigte Frauen erhalten im Schnitt erheblich
weniger Besoldung als Männer.


(Caren Marks [SPD]: Das nennt man Diskriminierung!)


Das liegt daran, dass Frauen in Leitungspositionen nied-
riger eingruppiert werden als ihre Kollegen. Auch das ist
ein unhaltbarer Zustand.


(Beifall bei der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Diskriminierung ist das!)


– Da sind wir uns einig.

Anstoß zum Wandel könnte ein Gleichstellungsindex
geben. Das ist ein Ranking, durch das ermittelt wird,
welche Behörde die geringste Lohnlücke zwischen Män-
nern und Frauen aufweist. Für die Behörden, die die obe-
ren Plätze einnehmen, ist es eine vortreffliche Werbung,
und für die Behörden, die die unteren Plätze einnehmen,
wäre es sicherlich ein großer Anreiz, sich an die Spitze
zu arbeiten. Gewinner sind, auf längere Sicht gesehen,
auf jeden Fall die Frauen.

So groß die Gehaltslücke zwischen Männern und
Frauen auch ist: Es gibt Licht am Ende des Tunnels. Seit
2008 ist die Lohnkluft von 28 Prozent auf 23 Prozent ge-
fallen. Das ist nicht viel, aber wenigstens etwas. Gleich-
zeitig ist der Verdienst der Frauen in dieser Zeit um rund
400 Euro gestiegen, während die Männer durchschnitt-
lich nur rund 60 Euro mehr verdienen. Die Lücke
schließt sich also langsam, aber stetig.


(Caren Marks [SPD]: Ja, in 100 Jahren haben wir es geschafft!)


Dennoch bleibt ein erhebliches Verdienstgefälle zwi-
schen Frauen und Männern bestehen.

Allerdings muss man auch sagen, dass sich Frauen
eher mit ihrer Lage abfinden


(Caren Marks [SPD]: Wir nicht!)


und offensichtlich mehr Angst vor Veränderungen ha-
ben. So wechseln zum Beispiel Männer erheblich öfter
den Arbeitsplatz, um durch eine berufliche Veränderung
Aussicht auf ein besseres Gehalt zu bekommen. Ein Lö-
sungsansatz wäre, am Selbstvertrauen und Verhand-
lungsgeschick der Frauen zu arbeiten. Daran mangelt es
den meisten Frauen gewaltig. Das ist auch ein Problem
der jüngeren.


(Kerstin Tack [SPD]: Ach Quatsch! Also, diese Nummer „Frauen sind zu blöd“ kann es echt nicht bringen!)


– Das ist nicht blöd.

Ich möchte ein Zitat von Frau Marie von Ebner-
Eschenbach anführen:

Wenn es einen Glauben gibt, der Berge versetzen
kann, so ist es der Glaube an die eigene Kraft.

Das sollten sich die Frauen wirklich hinter den Spiegel
klemmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das heißt, die Frauen sind selbst daran schuld, oder wie?)


– Das heißt nicht, sie sind selbst daran schuld, sondern:
Wir alle sollten ihnen helfen, Selbstvertrauen zu finden.

Eine aktuelle Umfrage unter Studenten hat ergeben,
dass die besten Studentinnen im Vergleich zu den nur
durchschnittlichen männlichen Studenten quer durch alle





Katharina Landgraf


(A) (C)



(D)(B)


Studienfächer geringere Gehaltserwartungen zum Be-
rufseinstieg haben.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Ja, weil sie einfach wissen, was los ist!)


Das ist eine verzerrte Wahrnehmung der eigenen Fähig-
keiten. Man kann es als „typisch weiblich“ bezeichnen.
So sind Frauen, im Gegensatz zu Männern, dafür be-
kannt, das eigene Licht eher unter den Scheffel zu stel-
len, als mit ihren guten Leistungen hausieren zu gehen.
Wer beim Gehaltspoker allerdings zu wenig fordert, ver-
kauft sich unter Wert, und das hinterlässt beim zukünfti-
gen Arbeitgeber keinen guten Eindruck.


(Christel Humme [SPD]: Das ist aber traurig!)


Machen wir also die Frauen stark und selbstbewusst,
und jammern wir nicht herum. Das sollte auch im Inte-
resse der Arbeitgeber liegen; denn die Wirtschaft benö-
tigt, wie wir alle wissen, dringend gut ausgebildete
Frauen. Demzufolge suchen künftige Arbeitgeber bereits
an den Unis nach den besten Nachwuchskräften.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sind denn Ihre Konsequenzen?)


Auf Bewerbungsmessen sollten verstärkt Coachings
für Frauen angeboten werden, in denen die eigene Posi-
tion für künftige Gehaltsverhandlungen gestärkt werden
kann. Eine Unterstützung von Frauen bei individuellen
Lohnverhandlungen über Mentoring-Programme, Frauen-
lohnspiegel und anderes wird vom Familienministerium
bereits koordiniert.

Aber auch bei Tarifverhandlungen der Gewerkschaf-
ten müssen Frauen intensiver mitwirken. Ich erinnere
daran, dass unser neuer Bundespräsident Gauck heute
auch auf die Gewerkschaften hingewiesen hat. Frauen
sollten sich hier aktiver als bisher einbringen.


(Caren Marks [SPD]: Aber eine Ministerin könnte auch aktiv werden!)


Ich bin überzeugt: Das ist der richtige Weg. Selbstbe-
wusste und geschickt verhandelnde Frauen lassen sich
nicht mit einem Gehalt abspeisen, das geringer ist als
das, das ihre männlichen Konkurrenten schon lange be-
kommen – und genau das ist es, was ihnen zusteht. Das
sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Leider ist es noch
nicht so weit. Arbeiten wir daran, dass es in unserem
Land selbstverständlich wird!

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717011600

Das Wort hat jetzt die Kollegin Christel Humme von

der SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1717011700

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!

Frau Schön, Ihrem roten Täschchen möchte ich gerne et-
was entgegenhalten: Ich zeige Ihnen hier eine Lohntüte,
in der mehr drin ist. Die Frauen fordern 23 Prozent mehr

Lohn. Das bringen wir nur – davon sind wir Sozialdemo-
kratinnen und Sozialdemokraten überzeugt – mit einer
gesetzlichen Regelung zustande. Darum haben wir die-
sen Antrag gestellt.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kollegen, 101 – 23 – 59,6: Wenn das die Maße
eines Topmodels wären, würden Sie sicher etwas ge-
nauer hinsehen. Aber leider sind das die nüchternen Zah-
len zur Situation von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Seit
101 Jahren, Frau Bracht-Bendt –


(Zuruf der Abg. Nicole Bracht-Bendt [FDP])


– Sie erinnern sich, wunderbar –, seit dem ersten Interna-
tionalen Frauentag, gibt es die Forderung „Gleicher
Lohn für gleiche Arbeit“. So viel zu Ihrer Überzeugung,
das alles gehe freiwillig.

Wir haben heute gehört, dass die Lohnlücke 23 Pro-
zent beträgt. Sie stagniert seit 15 Jahren auf dieser
Ebene. Was viel schlimmer ist: Seit fünf Jahren gibt es in
Westdeutschland eine Lohnlücke in Höhe von 25 Pro-
zent. Das zeigt ganz deutlich, dass die Freiwilligkeit
überhaupt nicht greift.

Frau Schön, wenn Sie sagen, die Diskriminierung be-
stehe in einer Entgeltlücke zwischen Frauen und Män-
nern von 8 Prozent, so stimme ich Ihnen zu. Aber auch
in den übrigen Bereichen, in den Strukturen, findet Dis-
kriminierung statt.


(Nadine Schön [St. Wendel] [CDU/CSU]: Das sage ich ja! Das habe ich nicht in Zweifel gezogen!)


Darum darf man an dieser Stelle nichts, aber auch gar
nichts beschönigen, Frau Schön.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Rentenlücke beträgt – das haben einige schon ge-
sagt – 59,6 Prozent. Das heißt, Frauen erhalten schon
heute etwa 60 Prozent, also fast zwei Drittel, weniger
Rente als die Männer. Lohndiskriminierung ist für viele
Frauen ein direkter Weg in die Altersarmut. Wollen Sie
das noch länger hinnehmen? Ich sage Ihnen: Wir wollen
es nicht! Wir wollen eine gesetzliche Regelung. Diese
Regelung ist uns in diesem Moment viel zu wichtig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir haben dazu beim letzten Equal Pay Day vor ei-
nem Jahr einen Antrag vorgelegt. Dieser Antrag ist mitt-
lerweile im Ausschuss diskutiert worden. Die Regie-
rungsfraktionen haben ihn dort abgelehnt. Gleichzeitig
haben Sie ein Geheimnis daraus gemacht, wie Sie die
Lohnungerechtigkeit konkret beseitigen wollen; das ha-
ben Sie auch im Ausschuss in keiner Weise offengelegt.

Frau Landgraf, glauben Sie denn wirklich, dass es
reicht – genau so äußern sich immer Frau Schröder und
die Kanzlerin Merkel –, den Frauen zu sagen: „Seid mu-
tiger, geht zum Chef und fordert mehr Lohn!“?





Christel Humme


(A) (C)



(D)(B)



(Caren Marks [SPD]: Traumtänzerin!)


Was ist denn das für eine Forderung? Das reicht meiner
Ansicht nach überhaupt nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Frau Schön, glauben Sie denn wirklich, dass es aus-
reicht, darauf zu hoffen, dass die Unternehmen das
Lohnanalyseverfahren Logib-D, das das Ministerium
über das Internet zur Verfügung stellt, herunterladen und
anwenden? Frau Landgraf, Sie haben gesagt, auch der
öffentliche Dienst sei wichtig. Fangen wir doch einmal
an, Herr Kues. Schöne Grüße an die Frau Ministerin, die
heute nicht da ist!


(Markus Grübel [CDU/CSU]: Die verdient mehr als er!)


Fangen wir endlich an. Wenden Sie das Lohnanalysever-
fahren selber einmal in Ihrem Ministerium an und prüfen
Sie, ob Sie diskriminierend oder nicht diskriminierend
entlohnen. Das wäre doch ein gutes Vorbild, oder etwa
nicht?


(Beifall bei der SPD)


Nur auf Freiwilligkeit zu setzen, nützt nichts.

Glauben Sie wirklich, dass es reicht, zu fordern:
„Mehr Männer in die Kitas“? Glauben Sie wirklich,
dann ändere sich plötzlich das Berufswahlverhalten von
Männern und Frauen? Sie vernachlässigen dabei völlig
die Lohnstruktur. Ich glaube, das Prinzip Hoffnung wird
überhaupt nicht funktionieren.

Weil wir eben nicht auf das Prinzip Hoffnung setzen,
sondern auf Tatsachen und auf Veränderungen, sind wir
der festen Überzeugung: Es geht nicht anders. Wir brau-
chen gesetzliche Regelungen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Darum haben wir diesen Antrag gestellt. Ich sage Ihnen:
Wir werden Ihnen auch ein Gesetz vorlegen.


(Beifall bei der SPD – Caren Marks [SPD]: Jawoll!)


Bei der Veranstaltung zum Equal Pay Day am Bran-
denburger Tor, wo viele von uns waren – Sie von der
FDP waren leider überhaupt nicht anwesend,


(Zuruf von der FDP: Wir waren in der Friedrichstraße!)


die CDU/CSU war nur mit wenigen Personen vertre-
ten –, haben wir viel Rückenwind für unsere Forderung
bekommen. Alle Redner – bis auf eine Rednerin von der
CDU – haben genau das gefordert: eine gesetzliche Re-
gelung.

Wir haben mittlerweile auch Rückenwind aus den
Ländern. Baden-Württemberg wird in der nächsten Wo-
che im Bundesrat eine Initiative zu einem Entgeltgleich-
heitsgesetz einbringen. Wir haben sogar Rückenwind
aus Hessen – man glaubt es nicht –, und zwar von der

CDU. Dort hat sich das Sozialministerium auf den Weg
gemacht und bringt in die nächste Gleichstellungs- und
Frauenministerkonferenz den Antrag ein, den Entwurf
eines Gesetzes zur Schaffung von Entgeltgleichheit zu
beraten.

Last, but not least möchte ich sagen: Ich habe mich
über einen ganz bestimmten Rückenwind besonders ge-
freut, nämlich über den aus Europa vom letzten Diens-
tag.


(Unruhe bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Wahrscheinlich unterhalten sich die Männer da hinten
gerade über Topmodelmaße;


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Das ist Diskriminierung von Männern! Das bringt Sie nicht weiter! – Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: War das männerfeindlich!)


sie hören zumindest nicht zu. – 72 Prozent der Abgeord-
neten im Europäischen Parlament haben gesetzliche Re-
gelungen gefordert, und zwar nicht nur im Hinblick auf
die Quote, sondern auch auf die Beseitigung der Lohn-
ungleichheit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717011800

Kommen Sie bitte zum Schluss.


Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1717011900

Ja. – Ich sage zur FDP: Von den deutschen FDP-Ab-

geordneten im Europäischen Parlament, zwölf an der
Zahl,


(Caren Marks [SPD]: Zwölf zu viel!)


haben acht zugestimmt, zwei haben sich enthalten, und
nur zwei waren dagegen. Ich rate Ihnen von der FDP:
Tauschen Sie sich doch einmal mit Ihren europäischen
Kollegen ein bisschen aus. Dann kommen Sie auch hier
in unserem Parlament zu den richtigen Schlüssen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717012000

Frau Kollegin, bitte. Sie haben Ihre Zeit weit überzo-

gen.


Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1717012100

Ich komme zum Schluss. – Sie, die Regierung, haben

sich heute mit Ihrer Nichtpolitik zur Schaffung von
Gleichstellung völlig isoliert.


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Sie haben sich isoliert mit Ihren Sprüchen!)


Ich sage Ihnen: Wir werden Ihnen ein Gesetz präsentie-
ren.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717012200

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat

nun der Kollege Jörg von Polheim für die FDP-Fraktion
das Wort.


(Beifall bei der FDP)



Jörg von Polheim (FDP):
Rede ID: ID1717012300

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vor wenigen Stunden hat an selber Stelle der neue Bun-
despräsident Dr. Gauck darauf hingewiesen, dass Frei-
heit immer wieder neu erkämpft und entdeckt werden
muss. Heute möchte ich mich hier als typischer Mittel-
ständler für die Freiheit von staatlicher Gängelung und
die Förderung der unternehmerischen Handlungsfreiheit
einsetzen.


(Caren Marks [SPD]: Und für die Diskriminierung von Frauen aussprechen! Super! Herzlichen Dank!)


– Sie haben eine sehr einseitige Sichtweise.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Nein!)


– Doch!


(Caren Marks [SPD]: Erfahrung!)


Als Rückgrat unserer Gesellschaft muss der Mittel-
stand in seiner Wettbewerbsfähigkeit gestärkt und darf er
nicht durch komplizierte und überflüssige Regeln belas-
tet werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Einen Tunnelblick haben Sie!)


Der Antrag der SPD zur Durchsetzung eines Entgelt-
gleichheitsgesetzes widerspricht dem Gedanken der
Freiheit grundlegend.


(Caren Marks [SPD]: Art. 3! Zählt für Sie nicht, oder was? – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn für eine Vorstellung von Freiheit? – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gleichstellung der Geschlechter!)


– Ich möchte Ihnen einmal sagen: Nicht wer am lautes-
ten brüllt, hat am meisten recht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Nein, aber Sie müssen es verstehen!)


Die Forderung der SPD nach Erstellung von betriebli-
chen Entgeltberichten und der Einrichtung einer zentra-
len behördlichen Prüfungsstelle löst das Problem der
faktischen Diskriminierung von Frauen nicht. Im Gegen-
teil: Es wird nur verlagert, nämlich weg von einer kon-
struktiven gesellschaftspolitischen Debatte über die Auf-
sprengung traditioneller Rollenbilder hin zur staatlichen
Reglementierung und zu gesetzlichen Zwangsmaßnah-
men.


(Beifall des Abg. Florian Toncar [FDP])


Man erhöht mit dieser Regelung nur das Frustpotenzial
im Zusammenhang mit staatlich verordneter Bürokratie.
Wir Liberalen lehnen diese staatliche Bevormundung ab.

Wir treten für Chancengleichheit und für transparente
Gehaltsstrukturen bei Männern und Frauen ein, für wel-
che die Qualifikation entscheidend ist. Es mangelt auch
nicht an einer Rechtsgrundlage zur Entgeltgleichheit.
Denn das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz legt be-
reits eindeutig und umfassend fest, dass für gleiche Ar-
beit gleicher Lohn zu zahlen ist. Woran es mangelt, ist
die Umsetzung dieser gesetzlichen Regelung.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben! Was machen Sie da? – Gegenruf der Abg. Nicole Bracht-Bendt [FDP]: Lassen Sie ihn mal ausreden!)


– Das Ausredenlassen fällt aber schwer. – Hierzu haben
wir Liberale schon verschiedene Vorschläge gemacht. So
fordern wir unter anderem flexible Teilzeitmodelle, die
für Frauen und Männer gleichermaßen attraktiv sind.
Damit könnte die Entgeltungleichheit zwischen den Ge-
schlechtern endlich beseitigt werden. Gerade auch in
Führungs- und Leitungspositionen sind diese Arbeits-
zeitmodelle wichtig, um mehr Wahlfreiheit im Hinblick
auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bzw. Pflege
und Beruf zu ermöglichen.

Der aktuelle Familienbericht des Bundesfamilienmi-
nisteriums greift diese Problematik auf und verweist auf
ein neues Politikfeld, nämlich die Zeitpolitik. Deren Ziel
ist es, eine stärkere Angleichung der durchschnittlichen
wöchentlichen Arbeitszeit und der Lebensarbeitszeit von
Frauen und Männern zu erreichen. Dies kann zum Bei-
spiel durch stärkere Inanspruchnahme der Elternzeit
durch Väter geschehen. Die Partnermonate des Eltern-
geldes sind ein besonders wichtiger Baustein der Politik
der christlich-liberalen Koalition zur Überwindung der
Entgeltungleichheit.


(Caren Marks [SPD]: Das haben wir in der Großen Koalition gemacht, Herr Kollege!)


Zudem haben wir mit dem Aktionsprogramm „Per-
spektive Wiedereinstieg“ die Ein- und Aufstiegschancen
von Frauen nach einer familienbedingten Erwerbsunter-
brechung deutlich verbessert.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Gleichstellung von Frauen und Männern in der
Arbeitswelt voranzutreiben, ist ein wichtiges Ziel. Wir
haben sehr wohl erkannt, dass die Erwerbstätigkeit der
Frauen seit Jahren kontinuierlich zunimmt. Doch eine
tatsächliche Gleichstellung von Frauen in der Arbeits-
welt ist noch nicht erreicht; das wissen wir. Dabei wird
deutlich, dass die faktische Gleichstellung und die
Schaffung von Chancengleichheit für Frauen und Män-
ner Aufgabe aller verantwortlichen gesellschaftlichen
Akteure ist, nicht allein die der Politik.

Ich begrüße daher den Vorschlag, lokale Kooperatio-
nen von kleinen und mittelständischen Unternehmen zu
fördern, um gemeinsame überbetriebliche Betreuungs-
möglichkeiten für Kinder einzurichten.





Jörg von Polheim


(A) (C)



(D)(B)



(Mechthild Rawert [SPD]: Das ist aber etwas anderes als Entgeltgleichheit! Da ist jetzt was durcheinandergegangen!)


Damit können wir unbürokratisch und ohne staatlichen
Zwang eine verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Fa-
milie ermöglichen und vermeiden so die von Ihnen, von
der SPD, geforderten staatlichen Zwangsmaßnahmen.


(Caren Marks [SPD]: TÜV sind auch staatliche Zwangsmaßnahmen!)


Entgeltgleichheit ist kein rechtliches Problem, sondern
eines der Nutzung der vorhandenen Möglichkeiten.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wün-
sche allen ein schönes Wochenende.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Jetzt wissen wir, warum es gut ist, wenn die FDP am Sonntag aus dem ersten Landesparlament fliegt!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717012400

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktion der SPD
mit dem Titel „Entgeltgleichheit zwischen Männern und

Frauen gesetzlich durchsetzen“. Der Ausschuss emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/5821, den Antrag der Fraktion der SPD
auf Drucksache 17/5038 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
von SPD und Grünen bei Enthaltung der Linken ange-
nommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 17/4852 mit dem Titel „Frauen ver-
dienen mehr – Gleichstellung ist Innovationspolitik“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Grünen bei Enthaltung von SPD und Lin-
ken angenommen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 28. März 2012, 13 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.