Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen und begrüßeSie alle sehr herzlich zu unseren heutigen Beratungen.Wir können gleich in die Tagesordnung einsteigen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungHightech-Strategie 2020 für Deutschland– Drucksache 17/2691 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Kultur und MedienInterfraktionell wurde vereinbart, darüber eineinvier-tel Stunden zu debattieren. – Ich sehe, damit sind Sieeinverstanden. Dann können wir so verfahren.Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hatdas Wort für die Bundesregierung Frau BundesministerProfessor Dr. Annette Schavan.vTbbwgbRcbBvtissPsWztrindRedet
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-dung und Forschung:Guten Morgen, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Meine Damen und Herren! Innovationengarantieren Wettbewerbsvorteile. Das gilt für unserLand insgesamt und für die Unternehmen in Deutsch-land im Besonderen. Ein ressourcenarmes Land wieDeutschland – wir haben in diesem Hohen Hause oft da-rüber diskutiert – ist auf technologische Meisterleistun-gen angewiesen. Technologisch fortschrittliche Unter-nehmen können sich wegen des harten internationalenInnovationswettbewerbs einen Verzicht aufund Entwicklung nicht leisten.Der eigentliche Wettbewerbsvorteil derUnternehmen liegt nicht im Preis, sondern in
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Wir konsolidieren den Haushalt und geben gezielteWachstumsimpulse. Um aus Wissen und Ideen mög-lichst effizient Innovationen und wirtschaftliches Wachs-tum zu machen, brauchen wir einen klaren Fahrplan.Dieser Plan ist die Hightech-Strategie. Mit ihr setzen wirunsere nationale Innovationsstrategie der vergangenenLegislaturperiode fort. Mehr Qualität, mehr Effizienz indas Zusammenspiel von Wissenschaft, Wirtschaft undPolitik zu bringen und die Rahmenbedingungen fürInnovationen in der Wirtschaft zu verbessern – das sinddie zentralen Ziele dieser Strategie. Im nächsten Schrittwird es darauf ankommen, die Erfahrungen, die wir mitder Hightech-Strategie gemacht haben, in eine europäi-sche Innovationsstrategie einzubringen, über die derWettbewerbsfähigkeitsrat im November diskutieren undder Europäische Rat im Dezember dieses Jahres ent-scheiden wird.Neue Technologien, neue Dienstleistungen und auchgesellschaftliche Veränderungen sind die eigentlichen In-novationstreiber. In der fortgeschriebenen Hightech-Stra-tegie richten wir die Innovationspolitik noch stärker anganz konkreten Aufgaben und auch Bedürfnissen derMenschen aus. Deshalb konzentrieren wir uns auf fünfSchwerpunkte: Klima und Energie, Gesundheit, Kommu-nikation, Mobilität und Sicherheit. Das sind die Bedarfs-felder, auf denen sich die wichtigsten Menschheitsfragendes 21. Jahrhunderts entscheiden werden. Deshalb sinddas unsere Schwerpunkte in der Hightech-Strategie.Übrigens werden zu dem Instrumentenkasten, der mitder Hightech-Strategie verbunden ist, in den nächstenMonaten und Jahren auch verstärkt Bürgerdialoge ge-hören. Wir müssen reden, kommunizieren, die öffentli-che Kommunikation über die großen Zukunftsprojekte,die mit der Hightech-Strategie verbunden sind, herstel-len. Das macht moderne Innovationspolitik aus. Wir er-fahren ja im Moment an einer Reihe von Stellen inDeutschland: Zu guter Politik gehört auch gute Kommu-nikation. Deshalb gehört zu guter Forschungspolitikauch, Lust und Leidenschaft auf Zukunft, auf die großenZukunftsprojekte zu wecken.
Zu den Zukunftsprojekten, zu den Leuchttürmen ge-hört zum Beispiel die CO2-neutrale, energieeffizienteund klimaangepasste Stadt – diese Beschreibung ist et-was kompliziert –, kurz Nachhaltigkeitsstadt genannt.Sie ist nicht nur eine Vision, sie ist der Prototyp für dieZukunftsprojekte. Wichtig ist der Gesamtkontext, dieHerstellung eines systemischen Zusammenhangs. DieNachhaltigkeitsstadt steht in einem engen Zusammen-hang mit dem Fortschritt des Zukunftsprojektes „Intelli-genter Umbau der Energieversorgung“. Wo es solcheklaren inhaltlichen Schnittmengen gibt, werden wir sienutzen.Es gehört zum Markenkern der Hightech-Strategie,alle Ressorts hinter einer gemeinsamen Idee zu versam-meln. Konzeption und Umsetzung der Hightech-Strate-gie sind vom gemeinsamen Willen der ganzen Bundesre-gierung getragen. Es geht darum, Innovationen und das,was in diesem Kontext relevant ist, in das Zentrum derFtegsWhwgauFMmProbkuddInDDgswudnFWdnwsDHruum2asetid
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Guten Morgen! Sehr geehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD begrüßt, dassdie Hightech-Strategie, die wir in der Großen Koalitiongemeinsam begonnen haben, fortgesetzt wird. Ich denke,damit Deutschland Weltspitze bleibt, ist es wichtig, dasswir sehr viel Geld in den Forschungsbereich stecken. Esdarf aber nicht dabei bleiben, dass man nur Leuchttürmebaut, sondern man muss auch überprüfen: Was passiertdamit? Man darf also nicht zu viel Weihrauch über dieaktuellen Projekte gießen, ohne auch zu überprüfen: Waskonkret geschieht auf den fünf Schwerpunktfeldern, undwas versteckt sich dahinter?Eine neue Innovation hätten wir gebraucht, als vor ei-nigen Monaten der Elektromobilitätsgipfel der Bundes-regierung stattfand. Man hätte ein neues Weitwinkelob-jektiv gebraucht. Auf der Bühne drängten sich nämlichso viele Minister, dass man sie nur schwer auf ein Fotobekommen hat.
Es ist gut, dass wir für die Förderung der Elektromo-bilität eine Menge Geld ausgeben. Aber die spannendeFrage ist doch: Was passiert jetzt?
Wird das Elektroauto der Zukunft tatsächlich in Dingol-fing, Ingolstadt oder Stuttgart gebaut? Oder geht es wieim Märchen Des Kaisers neue Kleider? Durch all dieentsprechenden Kommissionen wird zusätzliche Büro-kratie geschaffen, und man hört, dass die Forschungsgel-der bisher hauptsächlich verwendet wurden, um unter-schiedliche Papiere auszutauschen. Man weiß aber nicht:Wie geht es in den Modellregionen weiter? Es ist dochwichtig, dass mit dem Geld tatsächlich etwas auf denWeg gebracht wird und dass nicht nur so getan wird, alswürde man Aktivitäten ergreifen. Das muss nachweisbargeschehen.
Die Evaluierung der Hightech-Strategie steht bisheute aus. Es ist wichtig, dass man nicht nur darüber redet,sondern auch nachprüft, ob das Ganze richtig eingesetztwird. Man sollte auch darauf verzichten, Dinosauriertech-nologie weiterhin als Brückentechnologie auszugebenund zu fördern. Die Schwerpunktsetzung, die Sie vorge-nommen haben – dass Sie wieder Klientelpolitik machenund die Atomenergie weiterhin fördern,
anstatt konsequent auf erneuerbare Energien zu setzen –,ist ein Defizit.
Frau Ministerin, ich habe sehr wohl gehört, dass Sie– wohl in Richtung Ihrer eigenen Koalition – etwas zumThWbnnbF„–lefadsASdwnuhfrKBgDznDbHPKudvDg
enn ich den Koalitionsvertrag richtig gelesen habe, ha-en Sie sich darin festgelegt. Wir haben vor einigen Mo-aten in einer Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion ge-au zu diesem Punkt nachgefragt. Denn in diesem Hauseesteht große Einigkeit darin, dass wir auch steuerlicheorschungsförderung brauchen. Ich erinnere an denDeutschland-Plan“ von Frank-Walter Steinmeier.
Das stimmt nicht. Der „Deutschland-Plan“, liebe Kol-gin, kam eindeutig vor der Bundestagswahl heraus,lls Sie sich daran erinnern.
Auch die SPD-Fraktion ist immer dafür eingetreten,ass wir kleine und mittelständische Unternehmen ent-prechend fördern.
ber wir brauchen eine punktgenaue Förderung. Diechwierigkeit auf diesem Gebiet ist, dass man nicht miter „steuerlichen Gießkanne“ alle fördern, sondern ge-ährleisten sollte, dass die Mittel punktgenau bei klei-en und mittelständischen Unternehmen ankommen.
Die spannenden Fragen sind, wie das gemacht wirdnd was dann kommt. Da das im Koalitionsvertrag steht,aben wir eine Anfrage gestellt. Die Antwort auf die An-age lautete: Daran ist derzeit nicht gedacht.
Wenn die Ministerin heute den Appell an die eigeneoalition richtet, es doch zu tun, wäre es endlich mitlick auf die staunende Öffentlichkeit an der Zeit, zu sa-en, wie sie das tun möchte und was dadurch passiert.enn das ist eine Möglichkeit, tatsächlich Bürokratie ab-ubauen und etwas für die kleinen und mittleren Unter-ehmen zu tun, um wirklich für Innovation zu sorgen.as ist die Aufgabe.Aber wir hören nichts außer Appellen. In dieser De-atte gibt es sehr viele Ankündigungen. Der Kollegeagemann wird sicherlich in seiner Rede auf einigeunkte eingehen, wie ich ihn kenne.Aber ganz wichtig ist, dass wir hier nicht gemäß Desaisers neue Kleider handeln. Bei der Elektromobilitätnd der steuerlichen Forschungsförderung scheint mirie schwarz-gelbe Koalition ganz nach diesem Märchenorzugehen. Das scheint Ihr Drehbuch zu sein. Wie beies Kaisers neue Kleider steht dann Schwarz-Gelb ir-endwann nackt da. Deswegen wäre es mit Blick auf die
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Florian Pronold
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Ästhetik gut, wenn Sie alle noch ein bisschen ins Fit-nessstudio gingen, damit die Auswirkungen auf dieWahlbevölkerung nicht allzu dramatisch sind.
Das Wichtige dabei ist jedoch nicht, dass dann dieschwarz-gelbe Koalition nackt dasteht, sondern dass dasSchwierigkeiten für die Arbeitsplätze in Deutschland mitsich bringt.
Wenn wir mit Forschung und Entwicklung nicht wei-terkommen und wenn nicht mehr gemacht wird, alsWeihrauch zu verbreiten und Leuchttürme in den Raumzu stellen, wird diese Sache schwierig für den Wirt-schaftsstandort Deutschland. Wir alle sind uns doch ei-nig, dass wir in Deutschland schneller und besser entwi-ckeln und produzieren müssen, um an der Weltspitze zubleiben. Umso wichtiger ist es, dass Sie nicht durch dasaktuelle politische Handeln Ihre Hightech-Strategie kon-terkarieren.Frau Ministerin, Sie haben gerade von der klima-gerechten Stadt gesprochen. Auch hier liegt ein wichti-ges Zukunftspotenzial. Aber was machen Sie denn prak-tisch in den Haushaltsdebatten gerade? Was ist mit derCO2-Gebäudesanierung? Sie haben angekündigt, dieMittel dafür sollten gekürzt werden. Jetzt soll das einStück weit korrigiert werden.Um eine klimagerechte Stadt zu entwickeln, brauchenwir auch einiges beim Stadtumbau. Schön ist, wenn derTitel für die Forschung aufgestockt wird. Aber was istmit der Städtebauförderung? Glauben Sie denn, dass wireine klimagerechte Stadt vernünftig hinbekommen,wenn Sie die Städtebauförderung kaputtmachen undwenn Sie den Kommunen vor allem das notwendigeGeld nehmen, um genau diese Innovation, die wir jetzterforschen, in ein paar Jahren umzusetzen? So wird dasnie etwas. So kann das nicht funktionieren.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnenund Kollegen, die Hightech-Strategie muss mehr als eineStrategie sein. Dabei darf es nicht nur um schöne haus-haltspolitische Ansätze gehen, sondern man muss das,was man sich vorgenommen hat, in praktische Politikumsetzen. Was im Haushalt im Bereich Forschung undEntwicklung gemacht wird, widerspricht fundamentalden Ansätzen, die in anderen Bereichen des Haushaltsverfolgt werden. Sie erfüllen das, was Sie im BereichForschung und Entwicklung an die Wand malen, durchIhre praktische Politik nicht mit Leben, sondern konter-karieren es.
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Im Rahmen der Maßnahmen der Hightech-Strategiewerden beispielsweise auch in meinem Wahlkreis Cott-bus/Spree-Neiße bereits jetzt 33 Projekte im BereichForschung und Entwicklung gefördert. Insgesamt erhal-ten die Träger 26 Millionen Euro. Beispielsweise wirddort an einer neuen Generation von Solarzellen gearbei-tet. Es geht im Kern auch darum, nicht nur irgendwel-chen Ideen nachzugehen, sondern wir orientieren unsganz stark an der Thematik Gesamtenergieeffizienz. Dasist auch im Rahmen der Energieforschung ein ganzwichtiger Punkt.Das Bedarfsfeld Klima und Energie hat deshalb ausforschungspolitischer Sicht einen besonders hohen Stel-lenwert;
denn gerade an dieser Stelle konzentrieren sich Techno-logieoffenheit und Nachhaltigkeit in der Forschung. Dasist aus meiner Sicht der Schlüssel für eine nachhaltigeund sichere Energieversorgung.Der Forschungsbedarf – das sagte ich bereits – ist ge-waltig. Es gibt eine ganze Reihe von Schwerpunktfel-dern, die ich aus Zeitgründen nicht alle nennen möchte.Es geht um Transport, es geht um intelligente Netze, esgeht um das Thema Fusionsforschung, und es geht umdie gezielte CO2-Vermeidung, um nur einige zu nennen.Es geht dabei nicht, wie Sie gesagt haben, Herr Pronold,um Dinosaurier, sondern es geht darum, die Modelle tat-sächlich so zu entwickeln, dass sie auch mit Blick aufdie Gesamtenergiebilanz nachhaltig sind.
Wir brauchen – das will ich an dieser Stelle hervorhe-ben – diesen Richtungswechsel tatsächlich dringend, umendlich den Innovationsrückstand in der Energiefor-schung, der ja vor allen Dingen aus den Zeiten von Rot-Grün stammt, wieder aufzuholen.
In der Energieforschung brauchen wir ein Innova-tionsniveau von etwa 1,5 Milliarden Euro. Im Koalitions-vertrag wurden für Bildung und Forschung zusätzliche In-vestitionen vereinbart. Wir haben gute Voraussetzungen,weil wir über ein breit gefächertes Forschungssystemverfügen, sodass es auch vonseiten der Wissenschaftweitere Impulse geben wird. Diese Impulse schaffendann auch Freiräume für Innovationen.Wer frühzeitig die Potenziale neuer Technologien undihre möglichen Anwendungsfelder erkennt, kann seineInnovationspolitik entsprechend ausrichten. Nur durchinnovative Ideen, eine fundierte Grundlagenforschungund die Unterstützung neuer Wege zur Entwicklung in-novativer Produkte können moderne Arbeitsplätze ent-stehen.Ich betone an dieser Stelle – damit komme ich zumSchluss –: Die Koalition setzt somit ein starkes Zeichenfükd2SdbAuDwnPgwselunSsgRgbkSDswranInsvmhis
eutschland sollte Hightech-Wachstums-Wunderlanderden.Es war in dem Konzept ziemlich deutlich zu erken-en, dass die geförderten Technologien den Globallayern unter den deutschen Unternehmen auf den Leibeschneidert worden waren. Mit öffentlichen Geldernurde klassische Industrieforschung massiv unter-tützt, obgleich das eigentlich gerade für die Liberalenine Kernaufgabe innovativer Unternehmensentwick-ng sein müsste. Mancher Lobbyist dürfte sich heuteoch die Hände reiben.Aber man ging in dieser Strategie sogar noch einenchritt weiter. Man bediente vor allem diejenigen, diechon länger der Kanzler Lieblinge gewesen sind. Soeht nämlich mindestens ein Drittel der Fördergelder inichtung Automobilindustrie, und das kann, wie wiresehen haben, sehr schnell zur Sackgasse werden.
Man wollte mit dieser Strategie nicht nur neue Märkteeherrschen. Nein, Sie wollten mit dieser Strategieünstlich neue Leitmärkte schaffen, und zwar mitteuergeldern. Insgesamt ging es um die Polepositioneutschlands im Kampf um die Exportweltmeister-chaft, wenn sich Europa laut Lissabon-Strategie zumettbewerbsfähigsten wissensbasierten Wirtschafts-um der Welt aufstellte.2006 haben Sie große Ziele verkündet: 1,5 Millioneneue Arbeitsplätze sollten entstehen. Inzwischen ist dienovationseuphorie etwas schaumgebremst. Dafürorgte eine Krise, die Quittung ungerechter Reichtums-erteilung und einseitiger Reichtumsanhäufung war.
Die riesigen Summen wurden nämlich in Finanz-arktspekulationen gepumpt, weil dort die Renditen hö-er sind als bei realen wirtschaftlichen Investitionen. Est völlig klar, dass diese Mittel dann fehlen, um den
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Dr. Petra Sitte
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längst überfälligen Umbau der ressourcenfressenden undexpansiven Wirtschaftsentwicklung zu vollziehen. Da-her ist es auch nicht verwunderlich, dass die Hightech-Strategie bis heute von dieser Logik geprägt ist. Übri-gens konnte die Bundesregierung bis heute nicht nach-weisen, wie viele Arbeitsplätze durch die Hightech-Stra-tegie entstanden sind.Die Linke hat bereits 2006 kritisiert, dass bei IhnenWachstum vor Nachhaltigkeit kommt. Trotz Konzentra-tion auf wenige Themenfelder, wie Sie vorhin ausgeführthaben, und vielversprechender Titel in der neuen Strate-gie bleibt es dabei: Technologien allein – so sehr sieauch als Hightech daherkommen mögen – lösen vieleglobale Grundkonflikte nicht.
Sie können bestenfalls befristet Symptome deckeln, unddas auch nur dann, wenn sich die betreffenden Länderdiese tollen Entwicklungen überhaupt leisten können.Ein gleichermaßen notwendiger Bestandteil einer High-tech-Strategie ist Forschung, die die sozialen, kulturellenund ökologischen Ursachen für Konflikte untersucht undgesellschaftliche Bedingungen zu deren Lösung konzi-piert. Das können und müssen Sie dann verzahnen mitAnwendungsbedingungen für Technologien in diesenLändern. Die Bedingungen unterscheiden sich eben bei-spielsweise zwischen Europa und Afrika deutlich. Die-ser Ansatz fehlt in diesem Konzept gänzlich, genausowie das gesamte Forschungsfeld nachhaltiges Wirtschaf-ten.
Dass Chancen vergeben werden – das ist vorhin ange-klungen –, zeigt sich sehr deutlich im Bereich der Ener-gieforschung. Dass Energieversorgung auf erneuerbareEnergien umgestellt und Energieeffizienz drastisch undschnell verbessert werden muss, gehört zu den Grundbe-dingungen, um den Klimawandel zu verzögern. Wieaber reagiert diese Regierung? Sie gibt für die Erfor-schung fossiler und nuklearer Energieträger 290 Millio-nen Euro aus. Für erneuerbare Energien und Effizienz-technologien stellt sie nur 190 Millionen Euro bereit.Offensichtlich haben auch hier die Energiemonopolistengewonnen. Das ist nun wahrlich keine High-PerformanceIhres Zukunftsdenkens.
Im gleichen Licht spiegelt sich das Sicherheitsfor-schungsprogramm. Ihre Logik ist: Der demokratischeVerfassungsstaat wird bedroht von Terror, Cyberkrimi-nellen und näher kommenden Kriegsherden. Vor dieserKulisse sollen Hochtechnologien zu Abwehr und Über-wachung samt daraus entstehenden neuen Märkten auf-gerüstet werden. So versprechen beispielsweise Körper-scanner zwar leichtere Kontrollen auf Flughäfen. Aberwirklich sicherer wird es in dieser Welt nicht. Ganz ab-gesehen davon, dass die Italiener gerade diese Scannerals untauglich wieder abmontieren, wissen wir doch:Viele Wege führen nach Rom.
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lich beschränkt. So gibt es in Deutschland beispielsweise46 Ministerien, die sich in irgendeiner Weise mit Ener-gieforschung auseinandersetzen. Außeruniversitäre For-schungseinrichtungen und Universitäten können ebennach Art. 91 b des Grundgesetzes nicht direkt miteinan-der kooperieren. Sie müssen mühsam bürokratische, ver-tragliche Umwege gehen. Professor Jäckle, Vizepräsi-dent der Max-Planck-Gesellschaft, appellierte unlängstan uns Parlamentarier: Wissen muss der Anwendung vo-rausgehen.Meine Damen und Herren, wir wissen, dass das Ko-operationsverbot in der Anwendung völlig unnötige Bar-rieren baut. Deshalb – lassen Sie mich das abschließendsagen – muss es endlich, auch im Interesse leistungsfähi-ger Forschung, fallen.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Krista Sager für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei demzentralen Vorhaben Ihrer Hightech-Strategie für die Ver-besserung der Rahmenbedingungen für kleine und mitt-lere Unternehmen, die hochinnovativ sind, nämlich beider steuerlichen Forschungsförderung, sind Sie kläg-lich gescheitert, und zwar an sich selber.
Die bittere Wahrheit ist ganz einfach: 1 Milliarde Euroan Steuergeschenken für Hoteliers war Ihnen schlichtwichtiger.
Da war einfach kein Geld mehr für die steuerliche For-schungsförderung übrig.Ich finde es interessant, dass eine Partei, die glaubt,sie hätte den Fortschritt geradezu gepachtet, die erste ist,die dieses Vorhaben für diese Legislaturperiode für beer-digt erklärt. Die Kollegen von der CDU tun ja wenigs-tens noch so, als wollten sie jetzt mit den Haushältern indie nächste Runde gehen. Die Ministerin selber sagt jaimmerhin noch: Wollen wir das mit der Hotelierssubven-tionierung nicht noch einmal überdenken? – Aber dieFDP hat dieses Projekt wegen der Hoteliers tatsächlichbeerdigt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, Siehaben sich die Auseinandersetzung mit den Haushälternkünstlich schwer gemacht, und zwar dadurch, dass Siedie Großkonzerne in die steuerliche Forschungsförde-rung einbeziehen wollen.DnrebctuubShkfäesaHaHhtrcDgdBdHgAwasVUbForeds
as macht die Sache extrem teuer, das bringt hohe Mit-ahmeeffekte. Die Großkonzerne profitieren von zahl-ichen Projektförderprogrammen, und sie sind Profisei der Steuergestaltung. Sie hätten hier lieber das ma-hen sollen, was die Grünen schon in der letzten Legisla-rperiode gefordert haben: Konzentration auf kleinend mittlere Unternehmen. Das ist zielgenau und ver-raucht weniger Mittel.
ie beziehen die Großkonzerne mit ein und würden des-alb die meisten Mittel für Autokonzerne und Pharma-onzerne einsetzen. Es gäbe ein starkes Nord-Süd-Ge-lle, und Ostdeutschland würden Sie dabei gar nichtrreichen.Sie sind jetzt zweimal an Ihrem Klienteldenken ge-cheitert, einmal an den Hotels und der FDP und zumnderen an den Großkonzernen.
ören Sie endlich mal auf die Grünen, dann klappt esuch mit der steuerlichen Forschungsförderung und denaushältern.
Die Expertenkommission Forschung und Innovationat mehrmals angemahnt: Wir brauchen mehr Budget-ansparenz bei der Hightech-Strategie, und wir brau-hen vor allen Dingen eine Evaluierung der Instrumente.avon ist auch nach sechs Jahren keine Rede. Im Ge-enteil: Bei Ihrer Hightech-Strategie überhaupt zu einemifferenzierten Überblick und zu einer differenziertenewertung zu kommen, wird immer schwieriger. Da-urch wird auch die qualitative Bewertung, ob dieseightech-Strategie eigentlich die Antwort auf die ökolo-ischen Herausforderungen gibt, immer schwieriger.ber Transparenz ist offensichtlich auch gar nicht ge-ollt. Wenn fast 35 Prozent der Energieforschungsmittelufgebracht werden müssen, um kerntechnische For-chungsanlagen zurückzubauen, dann ist das eine teureergangenheitsbewältigung.
ns diese Ausgaben als Zukunftsausgaben unterzuju-eln, ist schlicht eine gewaltige Mogelpackung.
Wenn 29 Prozent der Energieforschungsmittel in dieusionsforschung fließen,
bwohl wir wissen, dass sie in den nächsten 30, 40 Jah-n keinen Beitrag zur Energieversorgung leisten wird,ass sie auf zentrale, große Anlagen ausgerichtet ist, dieehr teuer sein werden, und in ein dezentrales System er-
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Krista Sager
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neuerbarer Energien mit intelligenten Netzen gar nichthineinpassen wird,
dann ist auch das keine Ausrichtung auf die ökologi-schen Herausforderungen, und es ist keine wirklicheAusrichtung dieser Strategie auf Zukunftsmärkte.
Anspruch und Wirklichkeit driften bei Ihnen fundamen-tal auseinander.
In der Forschungspolitik wollen Sie intelligente Netzeund erneuerbare Energien fördern; aber durch Ihre realePolitik der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerkeverstopfen Sie die jetzigen Netze. Das führt dazu, dassdie erneuerbaren Energien in Deutschland Marktanteileabgeben werden.
Die Expertenkommission Forschung und Innovation,die Sie selber eingesetzt haben, hat mehrfach darauf hin-gewiesen, dass wir zu wenig Dynamik bei den Spitzen-technologien und vor allen Dingen bei den wissensinten-siven Dienstleistungen haben. Die wissensintensivenDienstleistungen sind in Ihrer Hightech-Strategie aberseit Jahren vollkommen unterbelichtet. Für diesen Be-reich haben Sie in der Vergangenheit gerade einmal17,5 Millionen Euro ausgegeben. In Ihrem eigenen For-schungsbericht nimmt dieses Thema nur eine halbe Seiteein. Die wissensintensiven Dienstleistungen sind abervon entscheidender Bedeutung bei der Frage: Wie kön-nen wir in Zukunft dafür sorgen, dass die Wertschöpfungauch in Deutschland stattfindet? Technik können inzwi-schen auch die anderen, und sie können sie meistens bil-liger. In der Verbindung von komplementären wissens-intensiven Dienstleistungen mit technologischen Stärkenliegt eine ganz große Chance.
Sie wird in Deutschland aber leider nicht ergriffen, unddas ist ein mentales Problem, das sich auch in IhrerHightech-Strategie fortsetzt.
Sie sollten sich im Hinblick auf die Zukunft IhrerHightech-Strategie vielleicht einen kleinen Merkzettelmachen: Es gibt auch Innovationen ohne einen Motor. Indiese Richtung sollten Sie einmal weiterdenken.
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ber wenn sie die Hightech-Strategie dominieren undusrichten, dann haben es neue Innovationsfelder, dannaben es hochinnovative kleine Unternehmen einfachchwer. Das zeigt doch Ihre steuerliche Forschungspoli-k: Sie machen lieber überhaupt nichts, bevor Sie ir-endjemandem von den Großen einmal auf die Zeheneten, indem Sie sich auf kleine und mittlere Unterneh-en konzentrieren.
Zum Schluss möchte ich noch etwas zum 3-Prozent-iel sagen. Auch dieses Jahr werden wir das 3-Prozent-iel nicht erreichen, obwohl der Bund mehr Geld fürorschung und Entwicklung ausgibt. Das liegt daran,ass die Länder leider hinterherhinken. Das liegt aucharan, dass Sie ihnen durch Ihre Steuerpolitik die Basisr Investitionen in Frühförderung, Schule und Hoch-chule entziehen. Ich sage Ihnen eines: Wenn wir denändern die Basis für die Bildungsausgaben entziehen,ann können wir das durch die beste Hightech-Strategie Deutschland nicht kompensieren; denn die Zukunftngt bei der Bildung in den Bundesländern an.
Nun hat das Wort der Kollege Professor Dr. Heinz
iesenhuber für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Liebe Frau Sager, Sie haben mit großer Ent-chlossenheit dargestellt, was alles so schrecklich falschuft. Insbesondere klingt es bei Ihnen so, als ob wir hierinen Gegensatz zwischen großen Unternehmen einer-
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Dr. Heinz Riesenhuber
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seits und kleinen und mittleren Unternehmen anderer-seits aufbauen sollten. Wir brauchen aber alle.
Die Stärke Deutschlands besteht auf der einen Seitedarin, dass wir mit sehr großen Unternehmen erfolgreichin den Weltmärkten sind, und auf der anderen Seite da-rin, dass wir einen vielfältigen und differenzierten Mit-telstand haben. Die Strategie der letzten Jahre zeigt: Nir-gends sind so starke Steigerungen zu verzeichnen wiebeim Mittelstand, und nirgends waren wir so erfolgreichwie beim forschenden Mittelstand.Schauen Sie sich die Zahlen an – wenn auch Geldmanchmal nicht alles ist; Intelligenz ist durchaus zusätz-lich hilfreich –:
Die Mittel für die Förderung des Mittelstands sind inden letzten Jahren von 600 Millionen Euro auf 950 Mil-lionen Euro erhöht worden. Das Programm ZIM hat sichbesonders in den neuen Bundesländern bei der Zusam-menführung von unterschiedlichen alten Programmenglänzend bewährt. Es ist technologieoffen. Es ist für je-den da. Es ist breit aufgestellt. ZIM-SOLO – so heißt es,wenn Einzelprojekte gefördert werden – haben wir inden alten und neuen Bundesländern stark aufgestellt. DieDynamik hat gezündet. Der Mittelstand hat seine For-schungskapazitäten in den letzten Jahren noch stärkerausgeweitet als die großen Unternehmen. Das ist der Er-folg einer gezielten Strategie in Kooperation mit den Un-ternehmern, die allein einstehen und kämpfen für ihreSache, die Ideen und Unternehmungsgeist haben.
Da helfen wir und schaffen wir die Voraussetzungen.
Ich bin dankbar und glücklich, dass wir damit rechnenkönnen, dass Sie von der SPD uns bei der steuerlichenForschungsförderung mannhaft unterstützen werden.
Ich finde das uneingeschränkt positiv. Wir haben jetztein Jahr in dieser bürgerlichen Koalition die ZukunftDeutschlands gestaltet. Wenn wir nicht noch Aufgabenhätten, die wir erledigen müssen, könnten wir aufhören,zu regieren.
Die steuerliche Forschungsförderung ist eines der The-men. Wir arbeiten daran,
und zwar in der Form, dass die mittelständischen Unter-nehmen auf die Forschung bezogen dreimal so stark ge-fördert werden sollen wie die großen Unternehmen. Ichhssskdsmd–swgghBbEichhSs7tevdTd6BskkSningnm–raV
Ich fand es prima, dass Frau Schavan vor dem For-chungsausschuss in der letzten Diskussion zum Haushaltehr deutlich gesagt hat, dass unsere Forschungsstrategieünftig drei Säulen haben muss: die Projektförderung,ie institutionelle Förderung und die steuerliche For-chungsförderung. Daran werden wir herzlich arbeiten –it der Unterstützung unseres freundschaftlich und brü-erlich verbundenen Koalitionspartners.
Dieser klatscht mit der gleichen Begeisterung. Niemandoll daran zweifeln, dass wir das gemeinsam schaffenerden. Aber auch die Opposition ist dazu herzlich ein-eladen.Was wir in den ersten vier Jahren der Hightech-Strate-ie erreicht haben, ist ein Sprung über die Erwartungeninaus und über die Krise hinweg. Die Ausgaben desundes sind gestiegen. Wir haben die Forschungsausga-en des Bundes um ein Drittel erhöht, von 9 Milliardenuro auf 12 Milliarden Euro im Jahr. Herr Röspel, denh heute hier nicht in leiblicher Gestalt unter uns sehe,at hier in einer Debatte vor der Sommerpause daraufingewiesen, dass die Forschungsausgaben unterchröder so wunderbar gestiegen seien. Unter Schrödertiegen die Ausgaben für Forschung in sieben Jahren um00 Millionen Euro. In der letzten Legislaturperiode un-r unserer Regierung sind diese Ausgaben innerhalbon vier Jahren um 3 Milliarden Euro gestiegen.
Wir haben in der Tat den Aufbruch Deutschlands inie Wissensgesellschaft zu einem herausragendenhema gemacht. Für diese Periode haben wir für Bil-ung und Forschung einen Mittelaufwuchs von jeweilsMilliarden Euro vorgesehen. Wir investieren in dieildung, weil wir die Menschen brauchen, die For-chung können, die Wissenschaft können, die Technikönnen, die die Welt so verstehen, dass sie sie gestaltenönnen.Wir investieren in die Forschung mit dem Willen, dietärke aufzubringen, etwas zu machen, was andere nochicht können. Nur so bewahren wir unseren Wohlstand einer offenen und kompetitiven Welt. Das ist die Auf-abe, von der wir auszugehen haben.
Messen Sie das einmal am Erfolg! Wir sind immeroch führend in der Umwelttechnik: 16 Prozent Welt-arktanteil.
Wir sind an der Spitze, jawohl! Wir werden weiter da-n arbeiten. – Frau Präsidentin, wenn Sie mir noch eineiertelstunde zusätzlich geben,
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Dr. Heinz Riesenhuber
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dann erkläre ich dem Kollegen das im Einzelnen. Das istein Angebot, keine Drohung, Herr Kollege.
Wir müssen doch einmal anerkennen, wo wir stehenin der Lasertechnik, in der Automobilindustrie, im Ma-schinenbau, in der Chemie! Die Voraussetzungen sindgut.Die Hightech-Strategie ist ein vernünftiger Ansatz.Frau Sager, die Konzentration auf die fünf globalenHerausforderungen, die hier mehrfach zitiert wordensind, hat ihren Sinn. Bei der Vielfalt und Fülle von Wis-senschaft, die überall entsteht, ist nicht alles gleicherma-ßen zu fördern. Der Markt regelt vieles. Dafür gibt es un-sere technologieoffenen Programme und sicherlich baldauch die steuerliche Forschungsförderung. Es geht da-rum, das auf Ziele und Problemlösungen hin auszurich-ten, sodass wir das mitgestalten, was ich immer als einAnliegen der Grünen für die künftige Welt verstandenhabe: eine humane Welt, in der wir langfristig leben kön-nen, in der wir nachhaltig Wirklichkeit gestalten, in derwir verantwortlich mit begrenzten Ressourcen umgehenund in der wir Frieden dadurch garantieren, dass wirdurch eine offene und starke Entwicklung unserer Tech-nik und unserer Gesellschaft allen Völkern und Men-schen in der Welt Chancen geben. Das ist die Aufgabe,an der wir arbeiten.Nun gibt es verschiedene Zukunftsprojekte. Wirwerden sie noch im Einzelnen zu definieren haben. Vielesind schon genannt worden, etwa die nachhaltige Stadtoder die Elektromobilität. Ich fand es auch prima, dasshier gesagt wurde: Man soll im Alter ein selbstbestimm-tes Leben führen können. Gell?
Freunde, wir alle werden mal alt werden. Das Alter be-ginnt jeweils 15 Jahre nach dem Zeitpunkt, an dem ichgerade stehe.
Klug zu überlegen, wie das Ganze anzulegen ist, nichtnur im Pharmabereich, nicht nur in der Medizintechnik,sondern auch bei der sozialen Teilhabe, in den Infra-strukturen – wo es zum Beispiel in dem Projekt„1 000 Wohnungen mit innovativer Technik“ darumgeht, auch im hohen Alter ein Leben in Menschlichkeit,Selbstbestimmung und mit Freude an sinnerfüllten Tä-tigkeiten möglich zu machen –, das ist eine der Aufga-ben, für die die Strategie aufgelegt wurde.
Wir haben durchaus noch dicke Bretter zu bohren,aber unsere Stärken sind die brüderliche Verbundenheit,die Eintracht und die Standfestigkeit unserer Bundes-regierung,
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Was daraus entstehen kann, ist eine Zukunft, in derir erfolgreich sind. Es geht darum, die Zukunft zu er-nden, für uns und für andere, indem wir einen Beitragisten zu einer nachhaltigen Entwicklung unserer Erde,ei der die Menschen mit Freude in die Zukunft gehennd sich nicht immer nur verhaken, wie das in den Ta-esdebatten des Deutschen Bundestages mitunter derall ist. Es gilt, in einem gemeinsamen Geist Zukunft zuestalten – mit fröhlicher Zuversicht, wie sie dieser Re-ierung in hervorragender Weise zu eigen ist.
Nun hat das Wort die Kollegin Andrea Wicklein für
ie SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Lieber Professor Riesenhuber, ich bewunderere schauspielerischen Talente wirklich sehr. Wir disku-eren jedoch heute über sehr ernsthafte Fragen, nämlichber folgende zentralen Fragen für die Entwicklung un-eres Landes: Kann Deutschland auch in Zukunft seinenchnologischen Vorsprung halten? Können wir die He-usforderungen meistern, denen sich eine Industrie-ation wie Deutschland zukünftig stellen muss?Die Hightech-Strategie betrachtet diese Fragen ausrschungspolitischer Sicht. Wirklich spannend wird esber erst dort, wo die Erkenntnisse der Forschung tat-ächlich Eingang in den Wertschöpfungsprozess finden.irtschaftspolitisch geht es um die richtigen Rahmen-edingungen, damit dieser Transfer von Forschung inie Wirtschaft gelingt.Worauf kommt es an? Was fehlt aus unserer Sicht aner Strategie der Bundesregierung, und was muss stärkerewichtet werden? Für uns Sozialdemokraten ist klar:ie Zukunftsfähigkeit deutscher Unternehmen wird da-n gemessen, ob es gelingt, immer wieder neue innova-ve Produkte zu entwickeln. Ihre Produktivität darf also
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Andrea Wicklein
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nicht nur daran gemessen werden, ob möglichst vieleArbeitsplätze freigesetzt werden, vielmehr bemisst sichErfolg heute daran, wie effizient man mit den immerknapper werdenden Ressourcen umgeht und wie manmit weniger Energie, auf weniger Fläche und mit weni-ger Rohstoffen produziert.Vor dem Hintergrund der sich verschiebenden Kräfte-verhältnisse auf dem globalen Markt müssen wir dietechnologische Führerschaft bei der Lösung dieser Auf-gaben verteidigen. China wird nach Prognosen derWeltbank schon in 17 Jahren die USA als größte Wirt-schaftsnation der Welt überholen. Indien, Brasilien undRussland werden in 40 Jahren Deutschland an Wirt-schaftskraft um ein Vielfaches übertreffen. Der Aufhol-prozess der Schwellenländer verläuft in einem rasantenTempo, weil sie massiv in Forschung, Innovation unddie Ausbildung ihrer Menschen investieren. Dem müs-sen wir etwas entgegensetzen.Der Erfolg des Hightechstandortes Deutschland wirddavon abhängen, ob es uns gelingt, Innovationspolitikaus einem Guss zu machen, wie es uns die Experten des„Gutachtens zu Forschung, Innovation und technologi-scher Leistungsfähigkeit Deutschlands“ mit auf den Weggegeben haben. Hightech ist kein Selbstzweck. EineHightech-Strategie braucht klar abgesteckte Ziele. Lei-der fehlen diese in Ihrer Strategie. Ein klares Ziel könntesein, die Führerschaft in der Effizienzrevolution zu über-nehmen, wie es Frank-Walter Steinmeier ausgedrückthat.
Dazu müssen aber Voraussetzungen geschaffen werden.Eine ganz besondere Bedeutung kommt dabei demUmgang mit dem demografischen Wandel zu. Dazuhaben Sie, Frau Ministerin, nichts gesagt. Wo sind dennIhre Strategien zum Umgang mit der zunehmendenÜberalterung und dem daraus resultierenden Fachkräfte-mangel? Es macht meiner Meinung nach keinen Sinn,eine Hightech-Strategie zu entwickeln, ohne diesen we-sentlichen Fakt zu berücksichtigen. Natürlich ist dieNachwuchssicherung die Voraussetzung für unsere tech-nologische Leistungsfähigkeit. Aber so, wie wir unsereAnstrengungen verstärken müssen, jungen Menschentechnologieaffine Bildung schmackhaft zu machen, somüssen wir gleichzeitig die Erfahrungen der Älteren nut-zen und alles dafür tun, dass diese auch zukünftig Leis-tungsträger unserer Gesellschaft sein können.
Die SPD-Fraktion hat deshalb gefordert, in den Haushalt2011 des Bundeswirtschaftsministeriums einen eigenenTitel zur Bewältigung des demografischen Wandels inder Wirtschaft aufzunehmen. Die Koalitionsfraktionenhaben diesen Antrag leider abgelehnt.Eine weitere wesentliche Herausforderung mit erheb-licher Tragweite für die Wirtschaft ist der zunehmendeRohstoffmangel und der immer schärfer werdende Kon-kurrenzkampf darum. China schränkt aktuell den Exportvon Spezialrohstoffen, den sogenannten seltenen Erden,ein, die für wichtige Hochtechnologiebranchen unent-behrlich sind, und auf dem afrikanischen Kontinent istddatewmHwuluvdruMhwFgmaasredSwdfüKsfüdliwgututemPdHhddg
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Dr. Peter Röhlinger
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und unserem Land ginge es nicht so gut.
Ich kann mich gut erinnern, dass es im Jahre 1990 soschien – das wurde uns glauben gemacht –, als befändenwir uns an einem Übergang zur Informations- undDienstleistungsgesellschaft. Die Realität sieht Gott seiDank anders aus. Die Bundesrepublik Deutschland, imHerzen von Europa gelegen, ist eine starke Industriena-tion. Wir sind Jobmotor geworden. Wir sind mit derKrise schneller fertig geworden als andere Länder. Dabeiist festzuhalten: Die Bruttowertschöpfung in diesemLand liegt zu 25 Prozent in der materiellen Produktionund zu 25 Prozent in der Dienstleistungswirtschaft. Dasist ein gesundes Verhältnis und ein gutes Zeichen für diehohe Disponibilität unseres Landes in den vergangenenJahren.Da wir gerade über Disponibilität sprechen, möchteich noch auf eines hinweisen: Die Kraft, derer es be-durfte, diese Situation zu meistern, wurde aus der hohenBildung und der Motivation der Bürger geschöpft. Diesgilt auch für die neuen Bundesländer; das wird häufigunterschätzt. Auch die Bürger der DDR waren gebildet.Wir waren nicht nur gebildet, sondern obendrein auchnoch geschult: Wir haben mit einem hohen Abstrak-tionsvermögen auf Durchzug geschaltet, wenn die Rot-lichtbestrahlung angestellt wurde; aber wenn es um wis-senschaftliche Fakten ging, haben wir sehr aufmerksamzugehört und es uns gut gemerkt.Wie ist der gegenwärtige Stand?
Führende Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Wirt-schaft haben sich im Jahr 2010 in der ForschungsunionWirtschaft–Wissenschaft zusammengetan. Erst gesternkonnten wir die Vorstellung der Ergebnisse der Exper-tenkommission Forschung und Innovation, EFI, erleben.Nun sind beide Gremien heute in den Reden nicht so gutweggekommen. Mein Eindruck ist: Es war eine klugeEntscheidung der vorhergehenden Regierungen, sich desRates von Experten zu bedienen.
– Liebe Frau Sager, wir bedienen uns, um so gut aus derKrise herauszukommen, natürlich auch der Leistungenvorhergehender Regierungen.
Es wäre doch töricht, so zu tun, als hätte das die bürgerli-che Koalition allein geschafft. Sie dürfen davon ausge-hen, dass wir die Chancen, die wir jetzt haben, mit be-sonderer Vehemenz nutzen.In der Forschung gibt es sehr positive Entwicklungen.Allein die Wirtschaft hat ihre Aufwendungen für For-schung und Entwicklung in den letzten fünf Jahren von1,7 Prozent auf 1,9 Prozent des Bruttoinlandsproduktserhöht. In Zahlen ausgedrückt bedeutet das: Die Wirt-sahdmunIclidDksStewESIctiGvZ–dswddb
h bin so weit optimistisch, dass dies unter der christ-ch-liberalen Regierung besonders gut gelingen wird.
Das Wort hat nun der Kollege Klaus Hagemann für
ie SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenamen und Herren! Herr Professor Riesenhuber, ichann nicht so wie Sie in lyrischer Perfektion und epi-cher Breite schildern, worum es geht, und nicht – wieie es getan haben – Wunsch und Wolke darstellen.
In einem Punkt hat die Kollegin Sitte recht: Die High-ch-Strategie, über die wir beraten, ist eine Weiterent-icklung der rot-grünen Forschungspolitik unterdelgard Bulmahn und Bundeskanzler Gerhardchröder. Frau Sitte, da haben Sie völlig recht.
h bin dankbar, dass wir in der Zeit der Großen Koali-on die Strategie weiterentwickeln konnten, hier mehreld zur Verfügung stellen und entsprechende Konzepteorlegen konnten.
uvor hatte Herr Rüttgers, bis 1998 Forschungsminister da muss ich mich an die jetzige Koalition wenden –,ie Mittel für Bildung und Forschung deutlich abge-enkt. Erst unter Edelgard Bulmahn konnten die Gelderieder aufgestockt werden;
as sei hier deutlich herausgestellt. Dadurch konnten wirie Lissabon-Strategie umsetzen.
Der Spitzencluster-Wettbewerb, die Zusammenar-eit von Universitäten mit anderen Hochschulen sowie
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Klaus Hagemann
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Forschungseinrichtungen und der Wirtschaft, ist ein Er-folg. Hier steht genügend Geld zur Verfügung; da mussetwas Positives herauskommen. Ich kann das in meinerRegion, im Rhein-Neckar-Raum, immer wieder be-obachten. Die Exzellenzinitiative hat frischen Wind indie Universitäten gebracht; das sagen die Universitätenselbst. Auch das ist sicherlich positiv herauszustellen.Auch diese Initiative wurde von Edelgard Bulmahn an-gestoßen.Es gibt aber auch eine Menge Schatten – auch daraufmöchte ich jetzt hinweisen –: Beim Vollzug, HerrMeinhardt, ist es oft so, dass es nicht ordentlich organi-siert wird. Es werden zu viele Erwartungen geweckt. Eswird zu viel Luft hineingeblasen. So haben Sie, FrauMinisterin, im Jahr 2006, als die Hightech-Strategie ge-startet wurde, gesagt: 1,5 Millionen Arbeitsplätze sindzu erwarten. – Wir haben nachgefragt, wie es damit aus-sieht, und haben erfahren, dass sich die Zahl der Arbeits-plätze im forschungsnahen Bereich in einer Größenord-nung zwischen 10 und 100, aber nicht von 1 Millionbewegt. Eine etwas geringere Prognose wäre sinnvollgewesen. Wir erwarten, dass in wenigen Monaten– wenn der Vollzug beendet sein wird – durch die Eva-luation nachgewiesen wird, wo die 1,5 Millionen Ar-beitsplätze entstanden sind.Herr Riesenhuber hat gesagt: Wir brauchen sie alle,große und kleine Betriebe. Das ist richtig. Das ZIM, einordentliches Programm, wurde von der Großen Koali-tion gestartet. Aber wir haben auch ein anderes Pro-gramm gestartet, nämlich die Forschungsprämie, FrauMinisterin Professor Schavan. Es wurden von Ihnengroße Erwartungen geweckt.
– Es war ein Flop, Herr Meinhardt, völlig richtig. –100 Millionen Euro wurden gefordert, ganze 14 Millio-nen Euro sind abgeflossen. Das ganze Projekt ist zwi-schenzeitlich beerdigt worden. Es wurde falsch angegan-gen. Daran möchte ich erinnern.
An dieser Stelle sei noch das Technikum erwähnt. Auchdas ist eingestellt worden.Zur Elektromobilität. Die ökonomische Wirkung derKonjunkturpakete wurde bereits deutlich dargestellt.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, es warsinnvoll, dass Konjunkturpakete geschnürt wurden, auchfür Elektromobilität. 70 Millionen Euro wurden imKonjunkturprogramm I veranschlagt.
Im Konjunkturpaket II waren es 500 Millionen Euro. Siewaren immer gegen Konjunkturprogramme. Wir habendas in der Großen Koalition auf den Weg gebracht.Im schwarz-gelben Koalitionsvertrag steht, dass dieWerkstoff- und Materialforschung ausgebaut werdensoll. Im Haushaltsansatz für das nächste Jahr ist vorgese-hen, dass die Projektmittel heruntergefahren werden.Hfo–kdkdguzztesvfevdfu5ngvuhhunInhSrusAHIhPlabPIhdDE
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wichtigsten Akteure des Innovationsgeschehens inDeutschland setzen eine gemeinsame Strategie um, unddas mit einem Mitteleinsatz wie nie zuvor. Seit 2005 hatder Bund die Forschungs- und Entwicklungsausgabenum sage und schreibe 33 Prozent erhöht. Auch die Wirt-schaft zieht mit. Sie hat ihren Anteil trotz Wirtschafts-krise um 20 Prozent erhöht. Das ist entscheidend. Wirmüssen die Wirtschaft mit im Boot haben, wenn aus derHightech-Strategie letztendlich Wohlstand für Deutsch-land entstehen soll.Eine erfolgreiche Hightech-Strategie braucht zudemeine breite gesellschaftliche Grundlage. Wir kommenauch deswegen schneller als fast alle anderen Industrie-staaten auf der Welt aus der Wirtschaftskrise heraus,weil wir in Deutschland eine Infrastruktur haben, diestimmt, und einen Geist haben, der stimmt. Das Land derTüftler und Techniker hat eine Infrastruktur, um die esweltweit beneidet wird. Bei uns gibt es ordentliche Stra-ßen, Häfen, Flughäfen, Stromnetze und Schienennetze.Unser Rechtsstaat und unsere parlamentarische Demo-kratie bieten ein hohes Maß an Verlässlichkeit. For-schung und Innovation können in Deutschland gedeihen,weil man dem Land, den Menschen und den Institutio-nen vertrauen kann.
Widersprüchlichkeit, Beliebigkeit und Wankelmütig-keit hingegen machen dieses Vertrauen kaputt. Es istkaum zu glauben: Grüne fordern seit Jahrzehnten vehe-ment, dass mehr Verkehr auf die Schiene kommt. Wennes aber ernst wird, stehen sie in der ersten Reihe, umBahnstrecken und Bahnhöfe zu verhindern.
Die Grünen sind auch im Jahr 2010 nicht über ihren his-torischen Ursprung als Antibewegung hinausgekommen.Die SPD ist 15 Jahre für Stuttgart 21 – auch hier, imDeutschen Bundestag –, aber wackelt wie ein Fähnchenim Wind, sobald der erste Widerstand auftaucht.
Sie reden von der Energiewende, kritisieren aber denzwingend notwendigen Ausbau der Stromnetze. Wirbrauchen für den Transport von Wind- und Sonnenener-gie 3 500 Kilometer Hochspannungsleitungen. Ohne Lei-tungen gibt es keine Energiewende. Der Strom kommteben nicht aus der Steckdose. Wir brauchen in diesem Zu-sammenhang Infrastruktur in großen Dimensionen.
60 Prozent der Deutschen würden nach Umfragengerne in Bayern leben.
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ie waren praktisch gegen alles, was den heutigen Wohl-tand Bayerns begründet. Sie waren gegen den Rhein-ain-Donau-Kanal,
egen den Schnellen Brüter in Garching,
egen den neuen Flughafen in München,
egen den Ausbau der Autobahnen,
egen die Forschungsneutronenquelle, gegen Wasser-raftwerke usw. Sie waren immer dagegen.Wir werden die Hightech-Strategie nur dann zu einemachhaltigen Erfolg führen, wenn wir die Forschungser-ebnisse und die Innovationen auch verwerten können.
azu bedarf es aber der Bereitschaft, langfristige unduch große Projekte zu stemmen. Dazu bedarf es der Be-itschaft zum Risiko. Wir brauchen eine Risikokultur.ukunftsverweigerung, Irrationalität und Antistimmungringen uns keinen Zentimeter weiter.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Pronold?
Später.
Wir brauchen Visionen, die zeigen, wofür wir stehen.eswegen fokussieren wir die Hightech-Strategie auf dielobalen Herausforderungen. Die großen Fragen derenschheitsgeschichte erfordern Visionen: Klima, Ener-ie, Gesundheit und Ernährung, Mobilität, Sicherheitnd Kommunikation. Allein in der Gesundheitsfor-chung geben wir zwischen 2011 und 2014 ganze 6 Mil-arden Euro im Kampf gegen Krebs, Herzinfarkt, Alz-eimer und andere Krankheiten aus.
Die Verbesserungsvorschläge zur Strategie aus demFI-Gutachten beziehen sich vor allem auf die stärkereerwertung von Forschungsergebnissen durch die Wirt-chaft. Das nehmen wir sehr ernst. Deswegen haben wir
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Albert Rupprecht
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das Programm zur Validierungsförderung gestartet. HerrHagemann, da Sie gesagt haben, dass man nichts davonhört: Es ist existent und mit Mitteln ausgestattet.
Wir schaffen neue Technologiecampus.Wir haben erste Verbesserungen bei der Wagniskapi-talfinanzierung beschlossen. Weitere Schritte müssenfolgen. Im Übrigen war dies eines der Themen, bei de-nen die Sozialdemokraten in der Großen Koalition mas-siv geblockt haben.
Nach wie vor gilt die Vereinbarung, die im Koalitions-vertrag steht – Frau Ministerin Schavan hat es angespro-chen –, dass wir in dieser Legislaturperiode in die steuer-liche Forschungsförderung einsteigen wollen.Die Hightech-Strategie wird von der Fachwelt hochgelobt. Sie ist ein historischer Meilenstein der For-schungspolitik in unserem Land. Sie wird sich aber nurdann voll entfalten können, wenn es eine Bereitschaftzum Risiko, eine Risikokultur in Deutschland gibt.Herzlichen Dank.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin
Krista Sager.
Sehr geehrter Herr Kollege, ich finde es bemerkens-
wert, dass Sie die Diskussion über die Hightech-Strate-
gie dazu nutzen, Ihre Verärgerung über die Stuttgarter
Bürgerinnen und Bürger zum Ausdruck zu bringen.
Sie tun auch noch so, als wären diese Bürgerinnen und
Bürger von den Grünen ferngesteuert.
In Stuttgart geht es offenkundig nicht um einen Techno-
logiestreit, sondern um das Misstrauen gegenüber der
Politik. Es ist offensichtlich so, dass die Bürgerinnen
und Bürger darüber nachdenken, dass die Bahn ihre Ver-
pflichtungen im ländlichen Raum zunehmend weniger
wahrnimmt,
dass viele Strecken, die die Menschen für ihre Mobilität
brauchen, immer schlechter oder stillgelegt werden und
gleichzeitig an einer Stelle ein Großprojekt gebaut wird,
das immer teurer wird. Die Bürgerinnen und Bürger fra-
gen nach Kosten und Nutzen.
Als Hamburgerin weiß ich, dass ein Volksentscheid
nicht immer das Ergebnis hat, das sich eine Regierung
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Im Übrigen sind gerade in Niedersachsen oft CDU-
berbürgermeister an der Spitze der Gegenbewegung,
enn es um Trassenführung von Stromleitungen geht.
ir Grünen haben gesagt, dass wir das Geld ausgeben
ollten, um neue Trassen, neue Netze unterirdisch zu
erlegen, weil das auf mehr Akzeptanz bei den Bürge-
nnen und Bürger stößt.
Wenn Sie meinen, immer noch so tun zu können, als
ären die Grünen die Zukunftsverweigerer,
aben Sie offensichtlich nicht mitbekommen, dass die
on Ihnen selbst eingesetzte Expertenkommission „For-
chung und Innovation“ Solartechnologie zu den neuen
pitzentechnologien zählt. Sie sind mit der Verlängerung
er Laufzeiten von Atomkraftwerke gerade dabei, den
rneuerbaren Energien in Deutschland die Marktchan-
en zu nehmen, weil Sie mit Atomstrom die Netze ver-
topfen und den Spitzentechnologien mit großer Zukunft
as Leben schwer machen.
Herr Kollege Rupprecht, bitte.
Frau Kollegin Sager, wir nehmen jede Frau, jedenann, jedes Kind, jeden Jugendlichen und jeden Rent-er, der in Stuttgart Sorge hat, sehr ernst. Deswegen su-hen und führen wir das Gespräch. Das, was Sie geradeargestellt haben, war überhaupt nicht die Aussage mei-er Rede. Die Aussage meiner Rede war, dass sich dierünen nach jahrzehntelanger Auseinandersetzung nichteiterentwickelt haben und nach wie vor die Partei sind,ie letztendlich Deutschland blockiert, Großprojekteerhindert und nicht die Bereitschaft zum Risiko hat.
Wir werden, ob im Energiebereich, im Verkehrsbe-ich oder wo auch immer, allein durch ungefährlicheezentrale Kleinprojekte die Probleme dieser Welt nichtsen. Wenn wir technologischen Fortschritt wollen,enn wir die Probleme der Welt lösen wollen, dannraucht es Dezentralität, Kleinstrukturiertheit, Subsidia-tät, aber auch die Kraft der Langfristigkeit, es braucht
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7026 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010
Albert Rupprecht
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die Großprojekte. Überregionale Schienenverkehrs-stränge sind Großprojekte. Stromleitungen durch dasLand sind Großprojekte. Kernfusion ist ein Großprojekt.Dem, der wie Ihre Kollegin Hinz sagt, dass Kernfusionim nächsten Jahr nichts bringt, sage ich: Okay, vielleichtbringt es in den nächsten drei, vier Jahren noch nichts.Meine kleine Tochter ist anderthalb Jahre alt. Ichmöchte, dass meine Tochter noch mit 60 Jahren von derPolitik, die wir heute, im Jahr 2010, machen, profitiert.Meine Aussage ist: Die Grünen sind ein Wolf im Schafs-pelz, der sich in den letzten 30 Jahren nicht von der An-tibewegung wegentwickelt hat, sondern immer nochdem alten Geist frönt.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Axel
Knoerig für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Mit der heutigen Diskussion über die
Hightech-Strategie der Bundesregierung wollen wir dar-
stellen, wie sich die Rahmenbedingungen für Innovatio-
nen weiter verbessern. Innovationen haben keinen
Selbstzweck. Sie sollen den Menschen nutzen. Das ge-
schieht dadurch, dass vorhandene Produkte verbessert
oder neue entwickelt werden. Eine gute Forschungs- und
Innovationspolitik ist der Garant für neue Wertschöp-
fungsketten in unserer Volkswirtschaft. Doch dafür
braucht man einen langen Atem.
Kurzfristige Effekte können in bis zu drei Jahren er-
zielt werden, beispielsweise durch Forschungs- und Ent-
wicklungskooperationen und die Bildung von regionalen
Wirtschafts- und Forschungsnetzwerken. Mittelfristige
Effekte treten nach bis zu sechs Jahren auf; sie zeigen
sich in der kommerziellen Verwertung von Produkten
oder der Bildung strategischer Allianzen von Unterneh-
mungen. Bis zu zehn Jahre brauchen wir, um technische
Veränderungen auf Zukunftsmärkten spürbar durchzu-
setzen. Die Hightech-Strategie der Bundesregierung ist
auf dieses lange Zeitfenster ausgerichtet.
Das dokumentiert eindrucksvoll der Innovations-
report des Deutschen Industrie- und Handelskammerta-
ges aus dem Jahre 2009. Dieser belegt, dass 30 Prozent
der deutschen Unternehmen Innovationen auf eine ver-
besserte Forschungs- und Innovationspolitik zurück-
führen. Frau Ministerin, sehr geehrte Frau Professor
Schavan, das ist Ihr Verdienst und sehr wohl auch das
Verdienst Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im
Ministerium.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen die
Leistungen der Praktiker nicht verschweigen, zum Bei-
spiel die der Techniker, der Chemielaboranten, der Mit-
arbeiter in den Forschungseinrichtungen, den Hochschu-
len, den Universitäten und den Unternehmen. Auch
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Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:Beratung der Großen Anfrage der AbgeordnetenGarrelt Duin, Hubertus Heil , DorisBarnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder SPDÖkonomische Wirkung der Konjunkturpakete– Drucksachen 17/1616, 17/2568 –Interfraktionell wurde vereinbart, darüber eineinvier-tel Stunden zu debattieren. – Ich sehe, damit sind Sieeinverstanden. Dann können wir so verfahren.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-ner dem Kollegen Wolfgang Tiefensee für die SPD-Fraktion das Wort.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Die ökonomische Wirkung der Konjunkturpakete istatemberaubend gut. Die ökonomische Wirkung der Re-gierungsarbeit von Schwarz-Gelb ist atemberaubendschlecht.
Wir diskutieren in einer sehr schwierigen Phase. Esist an der Zeit, dass wir mit dem Vorurteil aufräumen,Schwarz-Gelb und speziell die FDP mit dem Wirt-schaftsminister, Herrn Brüderle, stünden für eine strate-gische Wirtschaftspolitik und würden den aktuellen Er-fordernissen entsprechend handeln. Vor allen Dingenmüssen wir mit dem Vorurteil aufräumen, Schwarz-Gelbund speziell die FDP stünden für den Mittelstand und fürdie Kommunen. Das ist falsch, und das muss geradege-rückt werden.
Wir erleben einen konjunkturellen Aufschwung. DasIWF prognostiziert 3,3 Prozent Wachstum des BIP. Dasist nicht zu erwarten gewesen. Das ist grandios. Aberwas erleben wir? Wir erleben, dass sich der Wirtschafts-minister mit diesen Federn schmückt. Er sagt zum Bei-spiel, diese Wirtschaftsentwicklung sei exportgetrie-ben, das könne unmöglich etwas mit der SPD zu tunhaben.
Sehr verehrter Herr Minister – lieber Herr Staatssekretär,bitte richten Sie es ihm aus –,
wie kann man sich in dieser Art und Weise irren und Ur-sache und Wirkung verwechseln? Gerade durch dieKonjunkturpakete, gerade durch unser beherztes Han-deln ist dieser Aufschwung möglich gewesen, der so-wohl exportgetrieben ist als auch im Inland stattfindet.Das ist die Wirkung der Konjunkturpakete und der se-gdDsDatuePdsrusWDtegIcdTBspgMIckswhnsimbtewMbkDWGismwZs
as Schlimme ist, dass die schwarz-gelbe Koalition undpeziell der Wirtschaftsminister keine Strategie haben.eshalb geht es nicht nur darum, rückwärts, sondernuch nach vorn zu schauen.Ich will Folgendes in Erinnerung rufen: Die Konjunk-rpakete und der Schirm über die Finanzwelt sind inine Strategie eingebettet. Ich darf an den „Deutschland-lan“ von Frank-Walter Steinmeier erinnern. Es gibt iniesem Hause von Schwarz-Gelb und speziell vom Wirt-chaftsminister nichts Vergleichbares. Es wird nur he-mgedoktert.In seiner Regierungserklärung sagte der Herr Wirt-chaftsminister im April: Wir erleben in Deutschland einirtschaftswachstum und beobachten ein Jobwunder. –as sind die Ausführungen unseres Wirtschaftsminis-rs. Er beobachtet. Er greift nicht ein, wo er beherzt ein-reifen müsste, sondern steht daneben und beobachtet.h will das an einigen Beispielen deutlich machen.Erstens. Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm ister wesentliche Baustein im Konjunkturpaket und derreiber für das Wirtschaftswachstum. Was macht dieundesregierung, und wogegen stemmt sich der Wirt-chaftsminister nicht? Dieses CO2-Gebäudesanierungs-rogramm wird massiv gekürzt. Das ist eine Politik ge-en den Mittelstand. Ich wünsche mir, dass derittelstand aufwacht und sagt: Halt, so geht das nicht.
h sage in allem Ernst: Wenn wir bei diesem Programmürzen – es hilft auch nicht, es jetzt zwangsweise ein bis-chen aufzustocken – und es nicht verstetigen, werdenir nicht nur die negativen Entwicklungen beim Klimaaben, werden wir nicht nur die erneuerbaren Energienicht vorantreiben, sondern vor allem dem Mittelstandchaden.Zweitens. Auf der gleichen Linie liegt Ihr Vorgehen Bereich der Städtebauförderung. Auch die Städte-auförderung ist Wirtschaftsförderung pur für den Mit-lstand. Aber was macht Schwarz-Gelb? Die Förderungird auf die Hälfte gekürzt – sowohl jetzt als auch in derittelfristplanung. Durch eine solche Politik werden Ar-eitsplätze vernichtet und die Wirtschaft belastet. Das isteine kluge Wirtschaftspolitik.
Drittens. Schauen Sie sich das Kurzarbeitergeld an.as ist der eigentliche Grund, das Fundament für denirtschaftsaufschwung. Was erleben wir bei Schwarz-elb? Was erleben wir beim Wirtschaftsminister? Erstt er dagegen; er will sich nicht einmischen und trittassiv gegen den Mindestlohn auf. Jetzt aber, da esohlfeil ist, fordert er einen Lohnzuwachs. Die ganzeeit herrscht Ruhe; er verschränkt seine Arme undchaut zu. Aber dann, wenn es ihn eigentlich überhaupt
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7028 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010
Wolfgang Tiefensee
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nichts angeht, kommt er aus der Deckung und fordert et-was zulasten Dritter. Das ist schlechte Wirtschaftspoli-tik. Herr Brüderle, kümmern Sie sich um die Arbeits-plätze, wie wir das mit dem Konjunkturpaket gemachthaben.
Es gibt eine weitere Baustelle, nämlich die Förde-rung der neuen Technologien. Schauen Sie sich dieElektromobilität an. Das ist das Zukunftsthema. Auchhier können in hohem Maße Arbeitsplätze entstehen.Was macht Schwarz-Gelb? Was macht der Wirtschafts-minister? Er zeigt keine Perspektive auf, er kürzt bzw.lässt zu, dass gekürzt wird, in der Hoffnung darauf, dassmit dem Geld, das die Stromkonzerne zur Verfügungstellen, vielleicht eine geringfügige Aufstockung mög-lich ist.Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dieserArt des Zuschauens, des Gewährenlassens und des Ein-greifens an den falschen Stellen können wir keine Wirt-schaftspolitik machen. Nehmen Sie die unsinnigen Teiledieses unsäglichen Wirtschaftsbeschleunigungsgesetzeszurück, und konzentrieren Sie sich darauf, die gute Ar-beit, die in den Konjunkturpaketen zum Ausdruckkommt, zu verstetigen und sie den modernen Erforder-nissen anzupassen. Um es mit einem Satz zu sagen: Hö-ren Sie auf, von Ihrer Wirtschaftskompetenz und vonIhrer Mittelstandsfreundlichkeit zu schwadronieren, son-dern schauen Sie sich ab, wie man Konzepte macht,nämlich bei der Sozialdemokratie.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Lena Strothmann
für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer vonuns hätte vor einem Jahr erwartet, dass wir in Deutsch-land ein Wirtschaftswachstum von circa 3 Prozent errei-chen und dass die Arbeitslosenzahl auf 3 Millionen undbald sogar auf unter 3 Millionen sinkt? Deutschlandsteht gut da. Die Wirtschaft wächst, der Arbeitsmarkt er-holt sich, und auch die Haushaltskonsolidierung ist wie-der auf einem guten Weg. Wir haben in der Krise dieKonjunkturpakete beschlossen; sie zeigen jetzt ihre öko-nomische Wirkung. Aber wer A sagt, muss auch B sa-gen. Wir haben dafür zusätzliche Schulden gemacht, unddie müssen wir nun abbauen.Wir haben die Krise dank der Konjunkturpakete, aberauch dank des politischen Geschicks unserer KanzlerinAngela Merkel gemeistert.
ndere europäische Staaten wie Frankreich beneidenns, weil wir alles richtig gemacht haben. Ich habe inen vergangenen Wochen mit französischen Handwer-ern gesprochen, die mir das bestätigt haben.Aber auch die Handwerkskammer in meinem Wahl-reis Bielefeld liefert den Beweis für den Erfolg. Wir ha-en in diesem Herbst hervorragende Ergebnisse in denonjunkturumfragen erzielt. Das sind die besten Da-n seit der Wiedervereinigung – und das bei fast allenewerken.
as Handwerk in Ostwestfalen-Lippe entwickelt sichank der Konjunkturpakete und der sich daraus entwi-kelnden Wachstumskräfte zur Jobmaschine.
ie bereits positive Entwicklung im Frühjahr wurde imerbst nochmals übertroffen. Dies gilt für ganz NRW,r den ländlichen Raum und das Ruhrgebiet.Ein Zeichen des Erfolges ist aber auch die Ausbil-ungsquote im Bund. Betriebe – gerade im Handwerk –ilden aus, wenn die Auftragslage stimmt, und sietimmt wieder. Es wird wieder mehr ausgebildet. Es gibteine Lehrstellenlücke im Handwerk, und wir erwarten diesem Jahr 160 000 neue Ausbildungsplätze.
as sind gute Nachrichten auch für unsere jungen Men-chen.Deutschland war von der Krise besonders betroffen:ückgänge beim Export, Einbrüche beim Umsatz undrohender Arbeitsplatzabbau. Wir haben darauf schnellnd zielführend reagiert und mit den Konjunkturpaketenie richtigen Maßnahmen auf den Weg gebracht. Der Er-lg gibt uns recht.
Die Kurzarbeit bewahrte uns vor hoher Arbeitslosig-eit. Unsere Betriebe konnten im Vorfeld des sich ab-eichnenden Fachkräftemangels ihre gut ausgebildetenachkräfte halten.Die Einführung der Abwrackprämie und die Kfz-teuerbefreiung führten zu einem Boom. Viele haben ge-de diese Maßnahme abgelehnt, da im Anschluss derntergang der deutschen Kfz-Branche und gähnendeeere in den Werkstätten orakelt wurde. Aber nichts vonlledem ist eingetreten. Die Sorge war unberechtigt. Dieutomobilindustrie meldet gute Verkaufszahlen, und dieandwerker berichten von ausgelasteten Werkstätten.
Die Verdopplung des Steuerbonus für Handwerker-istungen hatte sogar Mehrfacheffekte: Davon hat nichtur der Handwerker durch mehr Aufträge profitiert, son-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7029
Lena Strothmann
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dern vor allen Dingen der private Auftraggeber. Nicht zuvergessen ist auch die Bekämpfung der Schwarzarbeit.Besonders richtig und wichtig war die Aufstockungder Fördermittel für energetische Gebäudesanierungund energieeffizientes Bauen. Das ist ein enormer Bei-trag zum Klimaschutz und meiner Ansicht nach keineSubvention. Nicht zu vergessen: Für jeden Euro Förder-mittel werden weitere 12 Euro privat investiert, wie dasBauministerium bestätigt.
Insgesamt bedeutet das die Sicherung von 290 000 Ar-beitsplätzen – eine wahre Erfolgsstory.Ähnlich nachhaltig wirken die zusätzlichen Investitio-nen der öffentlichen Hand in Infrastruktur. Damit wurdedie Auftragslage im Baugewerbe stabilisiert. Die Locke-rung der Vergabebestimmungen für öffentliche Aufträgehat viele Investitionen zeitlich beschleunigt.Auch Bielefeld hat in besonderer Weise davon profi-tiert. Viele Pläne für notwendige Investitionen waren be-reits vorbereitet,
weil die Stadt seit 2001 die Sanierung ihrer Schulen sys-tematisch durchgeführt hat. Wo andere Kommunen nochdebattierten, wurde dank der Konjunkturpakete in Biele-feld längst gearbeitet, renoviert und investiert.
Die Konjunkturpakte haben aber nicht nur eine wirt-schaftliche, sondern auch eine psychologische Bedeu-tung.
In weiten Teilen der Bevölkerung war die Krise über-haupt nicht spürbar, und die Menschen in unserem Landhaben weiter konsumiert. Dieses besonnene Verhaltender Menschen und die Konjunkturpakete haben Schlim-meres verhindert. Jetzt ist der Aufschwung da.
Wir haben aber auch immer gesagt, dass wir rechtzei-tig die Exit-Strategie einleiten müssen. Jetzt müssen wiraus Teilen der Konjunkturpakete aussteigen.
Es muss klar sein: Eine zeitweilige Konjunkturhilfe darfkeine Dauersubvention werden. Erfolgreiche Maßnah-men, die wir bereits vor der Krise durchgeführt haben,wollen wir natürlich fortführen. Gerade Elemente mithohem Nachhaltigkeitspotenzial wollen wir beibehal-ten. Dazu gehören die zukunftsgerichteten Maßnahmenin unserem Energiekonzept. Ich nenne nur das Gebäude-sanierungsprogramm als Baustein.HvfosSDShD–mjunbdeininESddWue1dDudBßFgKmgwrhhXis
ier werden ökonomische und ökologische Ansprücheereint. Wer also eine Fortführung der Konjunkturpaketerdert, kann sich unserem Energiekonzept gerne an-chließen.Herzlichen Dank.
Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Michael
chlecht das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!as Konjunkturpaket I im Jahre 2008 war ein schlechtercherz. Es hat nämlich überhaupt nichts gebracht. Dannat die damalige Bundesregierung aufgrund massivenrucks von außen, gerade auch von den Gewerkschaften ich habe das damals noch von der anderen Seite ausiterlebt –, Ende 2008/Anfang 2009 ein zweites Kon-nkturpaket aufgelegt, das man zwar in der Tat so nen-en konnte, aber in seiner Bedeutung außerordentlichegrenzt war.Für dieses zweite Konjunkturpaket waren 25 Milliar-en Euro pro Jahr vorgesehen, von denen aber geradeinmal 9 Milliarden Euro sinnvoll ausgegeben wurden,dem Länder und Kommunen besser ausgestattet undvestive Impulse gegeben wurden. Rund 10 Milliardenuro des Konjunkturpaketes II wurden vor allem fürteuersenkungen verpulvert. Der Konjunktur hat das iner Tat kaum etwas gebracht. Es war jedoch außeror-entlich profitabel und lukrativ für Besserverdienende.ährend Geringverdiener durch das Konjunkturpaketm gerade einmal 150 Millionen Euro entlastet wurden,ntfiel auf die Spitzenverdiener das Zehnfache, nämlich,5 Milliarden Euro. Das war nicht nur ungerecht, son-ern auch ökonomischer Schwachsinn.
enn bekanntermaßen tragen Menschen mit geringennd mittleren Einkommen ihr Geld fast vollständig inie Geschäfte und konsumieren. Reiche tragen es auf dieank, zocken oder verzocken es. Dies ist bekannterma-en einer der Gründe für die schwere Wirtschafts- undinanzkrise, die wir erlebt haben und deren Auswirkun-en noch längst nicht überwunden sind.Nun will die Bundesregierung aus diesem zaghaftenonjunkturpaket wieder aussteigen. Mehr noch: Sie willit einem 80-Milliarden-Euro-Kürzungsprogramm, be-innend mit dem nächsten Jahr, die wirtschaftliche Ent-icklung strangulieren. Herr Brüderle sagt in seinereinland-pfälzischen Fröhlichkeit natürlich: Das ist über-aupt kein Problem. Wir haben ja einen AufschwungXL. – Das Wort von einem neuen Wirtschaftswundert, glaube ich, auch schon gefallen. Die wirtschaftliche)
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Michael Schlecht
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Lage ist jedoch höchst wackelig und in keiner Weise sorisikolos, wie es hier immer dargestellt wird. Das Plusim ersten Halbjahr 2010 ging zu einem Drittel auf denLageraufbau zurück. Herr Tiefensee, die Bedeutung desauch von Ihnen als so glorreich geschilderten Konjunk-turpaketes ist – um das zu relativieren – außerordentlichminimal. Wie gesagt, der Lageraufbau hatte im erstenHalbjahr dieses Jahres eine viel größere Wirkung.Der Rest kommt ein ganz kleines bisschen aus demKonjunkturpaket. Entscheidend ist aber in der Tat – hiermuss ich fast Herrn Brüderle gegen Sie verteidigen, HerrTiefensee – der Export; das hat Herr Brüderle schonrichtig beobachtet. Dass der Export so gut läuft, hängtaber vor allen Dingen mit den Konjunkturpaketen derChinesen und der US-Amerikaner zusammen.
Die Chinesen haben 14 Prozent ihres Bruttoinlandspro-duktes in die Konjunktur investiert, die US-Amerikaner7 Prozent. Bei uns bewegte sich das Konjunkturpaket ineiner Größenordnung von gerade einmal 2 bis 2,5 Pro-zent. Die wirtschaftliche Verbesserung, die zurzeit zuverzeichnen ist, ist kein Resultat der Konjunkturpaketein Deutschland, sondern vor allen Dingen ein Resultatder Konjunkturpakete der Chinesen und der US-Ameri-kaner; das muss man sehr deutlich sehen.
Es ist eigentlich eine Schande für ein Land wie Deutsch-land, das nicht gerade arm ist, dass man im Grunde ge-nommen versucht, von den Konjunkturpaketen andererLänder zu profitieren. Nein, hier müsste etwas ganz an-deres gemacht werden.Als Risikoszenario kommt hinzu, dass in Europa aufmassiven Druck der Bundesregierung – die Kanzlerinbrüstet sich immer damit – viele Länder, Griechenland,Portugal, Spanien usw., gezwungen werden, große Kür-zungspakete aufzulegen. Europa ist aber der Hauptab-satzmarkt für deutsche Exporte. Wenn die Länder, dieeine große Bedeutung für unseren Export haben, ihreWirtschaft strangulieren, dann wird das erhebliche Aus-wirkungen auf die deutschen Exporte haben. Das birgtenorme Risiken, genauso wie die wirtschaftliche Ent-wicklung in China und den USA; denn die dortigen gi-gantischen Konjunkturprogramme können nicht unend-lich fortgesetzt werden. Deshalb wird das Wachstumwieder zurückgehen. Das ist bei allen, die sich gutachter-lich äußern, vollkommen unbestritten. Ob es zu einemneuen Einbruch kommt, ist in der Tat offen. Aber es be-stehen Risiken. Man muss diese Risiken sehen und ihnenauch begegnen. Das findet momentan überhaupt nichtstatt. Die Risiken werden von der Regierung komplettnegiert. Ich habe auch von Ihnen von der SPD nichts ge-hört, das man im Fokus haben müsste. Wirtschaftsminis-ter Brüderle hat in seiner altbekannten Fröhlichkeit über-haupt keinen Blick dafür.Es ist zumindest vollkommen klar – das ist auch dasVotum vieler anderer, die sich damit befassen –: Es istviel zu früh, das Ende der Krise auszurufen. Wir müssenvielmehr wachsam sein und müssten eigentlich eineganz andere Politik einleiten. Zum Ende einer Krise ge-hört nämlich ein selbsttragender Aufschwung mit einerdinruDWgsbsictrdsdnLcgImtusDZcaWEsm–dtiin3dvdKsm3Sdsh
ir wollen, dass in Zukunft jedes Jahr 30 Milliardenuro mehr in Erziehung und Bildung fließen, damit un-ere Kinder, und zwar alle Kinder, endlich wieder opti-ale Chancen haben.
Dass in Berlin Probleme bestehen, hat damit zu tun,ass Sie dafür verantwortlich sind, dass auf bundespoli-scher Ebene
den letzten zehn Jahren Reichen und Vermögenden00 Milliarden Euro geschenkt worden sind. Sie wissenoch auch, dass über die Finanzausstattung der Länderom Bund entschieden wird. Dort ist stranguliert wor-en, und das ist der Skandal.
Wir wollen natürlich auch, dass in den Ländern undommunen jedes Jahr 50 Milliarden Euro mehr für denozial-ökologischen Umbau ausgegeben werden. Esuss endlich Schluss damit sein, dass in vielen Städten0-km/h-Schilder aufgestellt werden, weil die Löcher imtraßenbelag mittlerweile zu groß sind. Es muss Schlussamit sein, dass Deutschland von unten, von der Kanali-ation her, verrottet, weil die Stadtkämmerer kein Geldaben.
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Michael Schlecht
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All das würde 2 Millionen Arbeitsplätze bringen, wasdringend notwendig ist, weil die von Ihnen immer sofröhlich verkündeten Arbeitslosenzahlen natürlich ge-türkt sind. Die stimmen nicht.
Wir haben mindestens 4 oder 5 Millionen Arbeitslose,wenn man realistisch rechnet. Die sogenannte stille Re-serve rechne ich Ihnen hier, weil ich heute großzügigbin, gar nicht vor.All das ist auch finanzierbar. Wir brauchen eine mas-sive Umsteuerung in der Steuerpolitik. Ich sage Ihnennur eine entscheidende Hausnummer: Wir müssenReiche und Vermögende, die zehn Jahre „gepampert“worden sind, endlich wieder stärker zur Kasse bitten.Wir wollen die Wiedereinführung der Vermögensteuervor allen Dingen bei Millionären und Milliardären. Es istmöglich, mit einer 5-prozentigen Besteuerung mindes-tens 80 Milliarden Euro jährliche Mehreinnahmen zu er-zielen. Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich Ihnen wei-tere steuerpolitische Maßnahmen darlegen, mit denenman endlich zu einer Sanierung, zu einer deutlich besse-ren finanziellen Ausstattung der öffentlichen Hand kom-men könnte.Ich danke Ihnen.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Martin Lindner
für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wennman meinem Vorredner von der Linken zugehört hat,hätte man eigentlich zu dem Ergebnis kommen müssen,wir hätten nicht ein Wachstum, sondern eine Rezessionvon 3 Prozent. Lieber Kollege Schlecht, das Einzige,was noch gefehlt hätte, wäre, dass Sie uns hätten weis-machen wollen, dass unser Wirtschaftswachstum vonknapp 3 Prozent auf Konjunkturprogramme in Nordko-rea und Venezuela zurückgeht.
Wir sind hier auf richtigem Kurs; das muss ich auchdem Kollegen Tiefensee sagen. Ein Wachstum von3 Prozent,
ein Sinken der Arbeitslosigkeit auf etwa 3 Millionen –das ist dank einer vernünftigen, liberal-konservativenPolitik dieser Bundesregierung erfolgt.
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as zeigt sich bei der Arbeitslosigkeit und an der wach-enden Wirtschaft.Das Entscheidende bei den Konjunkturprogramment, dass diese Bundesregierung nicht auf interventionis-sche Strohfeuer setzt, sondern auf eine nachhaltige För-erung, auf Investitionen in Bildung, Wissenschaft undorschung.
uch unter Berücksichtigung des Konsolidierungs-wangs, insbesondere der Schuldenbremse, haben wirier maßgebende Entscheidungen getroffen, in die Zu-unft dieses Landes, in die Zukunft unserer nachfolgen-en Generationen zu investieren. Das ist tatsächlichinnvolle langfristige Konjunkturpolitik und kein einma-ges Strohfeuer.Weiterhin setzen wir auf antizyklische Fiskalpolitik.auerhafte staatliche Subventionen verzerren den Wett-ewerb, verursachen hohe Kosten und stehen effizientenarktmechanismen im Wege. In dieser Phase ist es rich-g und vernünftig, auf die Stabilisierung unserertaatsfinanzen zu setzen. Bei allen Umfragen, bei allenrhebungen in der deutschen Wirtschaft wurden in dentzten Monaten, im letzten Jahr die hohe staatliche Ver-chuldung und die Gefahren, die sich daraus für die ge-amte Euro-Zone entwickelt haben, als zentrales Pro-lem identifiziert.
s ist richtig, dass wir hier trotz der Schwerpunktsetzun-en bei Bildung und Forschung einen klaren Blick aufie Rückführung der staatlichen Defizite gerichtet ha-en.
Der Staatssekretär hört selbstverständlich zu.
r sitzt da und ist völlig gespannt, was ihm sein liberaleroalitionspartner so zu erzählen hat.
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Dr. Martin Lindner
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Wir sind uns auch völlig einig: Wir sind eine ge-schlossene Bundesregierung, die in den letzten Monatengezeigt hat, was geht.
Wir haben in den letzten Wochen so viel angeschoben,wie Sie in Ihrer gesamten rot-grünen Bundesregierungs-zeit insgesamt nicht angeschoben haben:
Wir haben die Staatsfinanzen stabilisiert, Hartz IV refor-miert, ein Energiekonzept auf den Tisch gelegt,
die Bundeswehrreform angeschoben. Sie hätten sichdoch nicht träumen lassen, dass wir all das innerhalb vonWochen auf den Weg bringen.Meine Damen und Herren, es war richtig und ver-nünftig, die Konjunkturprogramme so anzulegen, dasssie Impulse setzen, aber dass sie in den nächsten ein,zwei Jahren auch sanft wieder auslaufen. Herr Tiefensee,da besteht der gravierende Unterschied zwischen uns.Konjunkturpakete können und müssen im Einzelfallsinnvoll eingesetzt werden. Da sind wir nicht ideolo-gisch und sagen nicht: Auch in solch dramatischen Pha-sen, wie wir sie gerade in den letzten Jahren hatten,spielt der Staat keine Rolle. – Er spielt eine Rolle. Wenner sie langfristig ausfüllt, ist das auch sinnvoll. Der Un-terschied zwischen Ihnen und uns hat sich in Ihrer Redegezeigt. Sie haben gefragt, warum dieses oder jenes Pro-gramm nicht fortgeführt wird. Wir müssen in einer Phaseder wirtschaftlichen Erholung – ich gebe den Vorred-nern recht, dass sie noch nicht zu Ende ist – die Ressour-cen ausschöpfen, um in späteren Abschwungphasen übergenug Mittel zu verfügen, um wieder anzuschieben.Aber wir können solche Programme nicht ad infinitumfortsetzen, wie Sie sich das wünschen, so sinnvoll dieProgramme im Einzelnen auch sein mögen. Langfristi-ges Ziel muss sein, durch gescheite Rahmenbedingun-gen dafür zu sorgen, dass sich dieser Aufschwung, dersich am Ende dieses Jahres so drastisch zeigt, in dennächsten Jahren verstetigt und solide fortsetzt.Meine Damen und Herren, die Verstetigung des Auf-schwungs und die Kräftigung der Wirtschaft sind auchfür das Gedeihen des Sozialstaats entscheidend. Hiermüssen wir Grundlagen erwirtschaften, die wir im An-schluss wieder verteilen können. Bei Ihnen – das ist auchbei meinem Vorredner wieder deutlich geworden – istdie Reihenfolge umgekehrt. Für uns kommt zuerst dieökonomische, dann die soziale Leistungsfähigkeit. BeiIhnen scheint das jedes Mal umgekehrt zu sein.Wir haben noch einiges vor. Wir brauchen eine steu-erliche Systematisierung. Das ist selbstverständlich. Hiergeht es nicht darum, im Einzelfall riesige Entlastungenzu erreichen. Vielmehr geht es darum, einzelne Steuern,beispielsweise die Gewerbesteuer, zu betrachten und zuüberlegen, ob man sie nicht durch andere, sinnvollereSteuern ersetzen kann,dnSKDKSpsPtiFaMgHliehgwdsegtufrhuAKSUinmbSdAd
ie zu einem solideren Aufkommen gerade der Kommu-en beitragen, aber zu einer Vereinfachung der gesamtenteuersystematik führen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Tiefensee?
Ja. – Herr Tiefensee, bitte.
Vielen Dank für die Möglichkeit, zu fragen. – Herr
r. Lindner, Sie haben die einzelnen Programme des
onjunkturpaketes in die Nähe von Strohfeuern gerückt.
ie haben deutlich gemacht, dass nach Ihrer Wirtschafts-
olitik diese Programme endlich seien, und haben ge-
agt, man müsse zu einer Kontinuität außerhalb dieser
rogramme kommen, wenngleich die Programme wich-
g und gut seien.
Bei der energetischen Gebäudesanierung ist das
inanzvolumen auf zunächst 400 Millionen Euro, dann
uf 900 Millionen Euro gekürzt worden. Staatssekretär
ücke spricht davon, dass in diesem Jahr und in den fol-
enden Jahren jeweils 3 Milliarden Euro nötig seien.
err Bundesminister Röttgen spricht davon, dass 2 Mil-
arden Euro nötig seien. Ich frage Sie: Sind Sie mit mir
iner Meinung, dass genau das, was ich angesprochen
abe, nötig ist, nämlich dass diese Programme nicht ab-
ebrochen werden, wie Sie es wollen, sondern verstetigt
erden?
Kollege Tiefensee, ich sehe eine ganze Reihe von an-eren Feldern, in denen es ebenfalls durchaus wün-chenswert wäre, mehr Mittel einzusetzen. Bei der steu-rlichen Forschungsförderung beispielsweise habe ichanz persönlich den Eindruck, dass man da noch etwasn könnte. Ich glaube auch, dass wir bezüglich der In-astruktur des Staates noch mehr machen könnten. Wiraben eine ganze Reihe von Ideen, die – da werden wirns relativ schnell einig sein – durchaus sinnvoll sind.ber wir haben andererseits den Druck der notwendigenonsolidierung der Staatsfinanzen. Die Einführung derchuldenbremse haben nicht allein die FDP und dienion beschlossen, sondern auch die SPD,
einer Zeit, in der Sie noch nicht in einer Art Populis-us light wie ein Rohr im Winde durch die Gegend trie-en, sondern noch Verantwortung getragen haben. Wennie jetzt an unserer Stelle wären, würden Sie nicht an-ers handeln.
uch Sie müssten sich ebenso wie wir den Zwängen undem Druck der Haushaltskonsolidierung beugen.
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Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie ma-chen noch mehr Schulden!)Natürlich wollen wir die Programme fortsetzen. Es ist janicht so, dass diese Programme auslaufen. Wir haben4,9 Milliarden Euro für die Umweltprämie vorgesehen,
3,1 Milliarden Euro für Zukunftsinvestitionen in denKommunen und Ländern, 1,3 Milliarden Euro zusätzli-che Investitionen des Bundes. Das haben wir doch alles,und es läuft auch weiter. Wir sind hier aber nicht in einerArt Wüsch-dir-was-Kino, in dem jeder sein Lieblings-programm bekommt.
Meine Damen und Herren, ich war bei der steuerli-chen Systematisierung stehen geblieben, die ein dringen-des Erfordernis ist; die Verknappung und Konzentrationvon Regeln ist ein weiteres Erfordernis. Wir müssen ins-besondere mehr für unsere Exportwirtschaft tun, auchweil wir wissen, dass wir uns im Export in den nächstenJahren großen Herausforderungen zu stellen haben; dieAmerikaner wie auch die Chinesen und andere werdenmit Macht auf den Markt drängen. Wir müssen der Ex-portwirtschaft helfen, ihre Spitzentechnologieprodukte,zum Beispiel im Maschinenbau, noch leichter und besserins Ausland verkaufen zu können.Wir brauchen Verfahrensbeschleunigung. Wir le-ben in einem Lande, in dem es nicht nur 12- bis 15-jäh-rige Planfeststellungsverfahren und Raumordnungsver-fahren für Infrastrukturprojekte gibt. In diesem Landmuss man teilweise auch drei Jahre auf einen ersten Ter-min beim Verwaltungsgericht warten. Das schädigt undhemmt die Wirtschaft.
– Wenn Sie hier schon wieder „Stuttgart 21“ dazwi-schenrufen: Natürlich brauchen wir auch Infrastruktur.Seit ich denken kann, hat es Demonstrationen gegen je-des Infrastrukturprojekt gegeben. Ich bin in Münchenaufgewachsen. Gegen den Flughafen waren damalsmehr als 50 000 auf der Straße. Ebenso war man gegendie Startbahn West, gegen Mutlangen. Sie waren immerdabei.
– Wackersdorf. – Es spielt gar keine Rolle;
wenn es um Kraftwerke, Autobahnen, Flughäfen usw.geht, finden sich in diesem Land immer genug, die sichirgendwie dagegen positionieren. Wir brauchen dieseProjekte aber trotzdem. Wenn dieses Land eine Zukunfthaben will, werden wir solche Projekte auch zukünftigrealisieren müssen. Es gilt, auch in solchen Fragen Ver-läcz–skbvepwlalaGDsS–F–T–AADd
Sie betreiben Ideologie! Sie suggerieren den Men-chen, dass es möglich sei, hier in Deutschland Kern-raftwerke abzuschalten mit der Folge, dass es das Pro-lem nicht mehr gibt
öllig ignorierend, dass um uns herum Kernkraftwerkerhalten und sogar neue gebaut werden. Da ist es dochure Ideologie, zu sagen: Wir schalten Biblis und Neckar-estheim ab,
ssen zu, dass in Frankreich die Kraftwerke laufen, undssen die ausländischen Kernkraftwerksbetreiber dieewinne machen.
as ist Ihre Politik. Sie betreiben das Geschäft ausländi-cher Kraftwerksbetreiber. Wir betreiben Politik iminne des deutschen Verbrauchers.
Niemand tut das. Es gibt eine Vorrangeinspeisung,rau Kollegin, und das wissen Sie genau.
Ja, jetzt sind wir endlich wieder da! Jetzt kommt dierinitas der Teufelei: Rüstungslobby, Atomlobby undwas habe ich vergessen? –
utolobby. Zum Schluss kommt noch der Satan selbst:ckermann.
as ist Ihre einfache Welt, aber so einfach ist die Welt daraußen nicht.
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Dr. Martin Lindner
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Weiterhin bedarf es sinnvoller Anreize, in Arbeit zukommen und nicht in Sozialsysteme; auch das haben wirgezeigt. Es war richtig und wichtig, dass sich diese Ko-alition gestern Abend darauf geeinigt hat, die Zuver-dienstmöglichkeiten im Hartz-IV-Bezug zu erweiternund die Regelsätze nicht dramatisch zu erhöhen.
Auch das ist ein Unterschied. Wir wollen, dass die Leutein Arbeit kommen. Wir wollen sie nicht dauerhaft ali-mentieren. Sie stellen sich ja eine Art Daueralimentationvor.
Das ist purer Populismus. Von den Parteien, die Hartz IVeingeführt haben, hört man jetzt das lauteste Geschrei.Legen wir einmal Ihre Zahlen zugrunde: Sie fordern420 Euro Mindestregelsatz – davon brauche ich garnicht zu reden – und gleichzeitig 7,50 Euro bzw.8,50 Euro Mindestlohn. Rechnen Sie sich das doch ein-mal aus! Eine Familie mit zwei Kindern im Hartz-IV-Bezug steht dann dauerhaft finanziell besser da als eineFamilie, in der man arbeiten geht. Das ist purer Populis-mus. Den machen wir nicht mit. Das unterscheidet uns.
Das haben die Menschen gewählt, und das bekommensie jetzt auch; ganz klar.
– Sie können sich die Umfragen täglich im Badezimmeroder Schlafzimmer aufhängen; entscheidend in Deutsch-land – das muss ich Ihnen ganz klar sagen – sind Wahlenund nicht Umfragen. Wir haben einen Regierungsauftragfür vier Jahre. Den werden wir wahrnehmen. Danach– das kann ich Ihnen schon jetzt versprechen – werdenwir auch wiedergewählt.Die größte Herausforderung ist, für eine Integrationauch der ausländischen Zuwanderer in den Arbeits-markt zu sorgen. Es wird wirklich eine der großen He-rausforderungen für diese Koalition sein, in den nächs-ten Jahren dafür zu sorgen, dass wir nicht Zuwanderungin die Sozialsysteme, sondern Zuwanderung in den Ar-beitsmarkt bekommen.
Herr Kollege.
Wir brauchen Fachkräfte aus dem Ausland – dazu
werden wir große Anstrengungen unternehmen – sowie
eine vernünftige Lohn- und Gehaltspolitik. Es hat sich
nämlich gezeigt, dass wir durch moderate Lohnerhöhun-
gen in der Vergangenheit im verarbeitenden Gewerbe in-
nerhalb der Europäischen Union wettbewerbsfähig ge-
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Das Wort hat nun die Kollegin Kerstin Andreae,
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ge-chätzter Herr Staatssekretär, schön, dass Sie zuhören.evor ich zu meiner Rede komme, möchte ich auf Stutt-art 21 eingehen, weil auch Sie, Herr Lindner, Stuttgart 21ngesprochen haben. Seit Tagen hören wir ja von Ihnenieses Lamento: Dagegen sein wäre das Einzige, wasir könnten.
h sage Ihnen eines: Man kann auch für etwas sein, in-em man gegen etwas ist.
atürlich sind wir dagegen, 10 Milliarden Euro in derrde zu verbuddeln. Natürlich sind wir für eine zu-unftsfähige Verkehrsinfrastruktur. Natürlich sind wirafür, dass die 10 Milliarden Euro sinnvoll eingesetzterden. Aber diskreditieren Sie nicht Zehntausende vonenschen, die auf Demonstrationen gehen und sagen:ieses Projekt ist falsch. Wir wollen etwas anderes. –as ist keine Dagegen-Haltung, sondern es ist ein Ein-eten für eine zukunftsfähige, moderne Politik. Seienie da vorsichtig!
Die Konjunkturpakete – wir haben sie in weiten Tei-n positiv begleitet, auch wenn wir herbe Kritik an Ein-elmaßnahmen hatten – waren eine teure Angelegenheit:00 Milliarden Euro. Wir haben heute mit enormen Ver-chuldungsproblemen zu tun. Vor allem gibt es Risikenus Bankenrettung und Unternehmensbürgschaften, dieoch nicht richtig dargestellt sind.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7035
Kerstin Andreae
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Wir haben uns nicht grundsätzlich gegen Konjunktur-programme gestellt, aber wir haben immer gesagt: Kon-junkturpolitische Maßnahmen müssen eine doppelteRendite haben. Sie müssen die konjunkturelle Lage sta-bilisieren bzw. verbessern, aber sie müssen vor allem da-hin gehend wirken, dass hin zu mehr Nachhaltigkeitumgesteuert wird. Durch sie muss die Möglichkeit eröff-net werden, einen neuen Pfad einzuschlagen. Dieserneue Pfad heißt Ökologisierung und Modernisierung derWirtschaft hin zu Zukunftstechnologien, hin zu Zu-kunftsmärkten. Wir müssen anerkennen, dass wir aufeinem begrenzten Planeten mit begrenzten Ressourcenleben. Deswegen ist es so wichtig, dass wir Konjunktur-politik immer unter der Maßgabe der Ökologie diskutie-ren. Das haben Sie in weiten Teilen nicht gemacht. Daskritisieren wir an den Konjunkturprogrammen, die Sieaufgelegt haben.China ist zwar kein Vorzeigemodell für uns, hat aberin seinen Konjunkturprogrammen einen Schwerpunktauf Ökologie gelegt, deutlich stärker als Deutschland.Warum hat man das dort gemacht? Man hat es deswegengemacht, weil das wirtschaftspolitisch langfristig mehrErfolg nach sich zieht. Hier haben Sie eine enormeChance verpasst.
Sie haben für die Abwrackprämie 5 Milliarden Euroin die Hand genommen, ohne damit ökologische Len-kungswirkungen zu verbinden. Sie hätten diese Prämiedoch auf verbrauchsarme Autos ausrichten können.Beim Kurzarbeitergeld hatten Sie am Anfang einekluge Idee, als Sie sagten: Wir verbinden Kurzarbeit mitQualifizierung. Dies haben Sie dann irgendwannklammheimlich einkassiert. Damit haben Sie eineenorme Chance verpasst, während der Zeit der Kurz-arbeit Qualifizierung in den Vordergrund zu stellen. Da-mit hätten Sie einen Teil dazu beitragen können, dieWirtschaft auf einen neuen Pfad auszurichten und neueTechnologien zu implementieren. Dieses Vorhaben ha-ben Sie einkassiert. Auch hier haben Sie eine Chanceverpasst.
Jetzt geht es um die Frage: Führen wir diese Konjunk-turprogramme fort? Ich bitte wirklich darum, dass wirdas sehr intensiv diskutieren. Wir können die Konjunk-turprogramme nicht einfach fortsetzen. Das macht kei-nen Sinn, und das können wir uns auch nicht leisten. Wirbrauchen jetzt strukturelle Veränderungen. Wir brauchenStrukturprogramme und keine Konjunkturprogramme.Wir müssen die Möglichkeiten nutzen, die wir haben,um an ganz entscheidenden Stellschrauben zu drehenund tatsächlich strukturelle Veränderungen in der Wirt-schaft zu bewirken. Ich will Ihnen im Einzelnen sagen,wie Sie das tun könnten.Sie, Herr Lindner, sagten ja, Sie hätten umfangreicheProgramme aufgelegt und sich gute Ideen einfallen las-sen. Ich frage mich: Was haben Sie denn gemacht? Siehaben das Wachstumsbeschleunigungsgesetz auf denWeg gebracht. Das finden die Leute nicht wirklich toll.Das haben wir im Einzelnen diskutiert. Sie haben denAsbUbsSgbDlowv–eeuzzrePdzägShwleknm
ie sehen es deswegen anders, weil Sie mit Ihrem Ener-iekonzept zu einer Deindustrialisierung Deutschlandseitragen, weil die Produzenten erneuerbarer Energieneutschland verlassen werden – entsprechende Anlagenhnen sich nämlich hier nicht mehr –,
eil Sie die Monopolgewinne der großen Atomkonzerneerstetigen und den Wettbewerb kaputtmachen.
Herr Lindner, ich würde Ihnen als Vertreter der FDPmpfehlen, erstens ganz vorsichtig sein, über Spenden-mpfänger zu reden,
nd zweitens ganz vorsichtig zu sein, über Lobbypolitiku reden. Sie können den Anspruch, Wettbewerbsparteiu sein – ich weiß nicht, warum Sie den jemals für sichklamiert haben –, völlig einsammeln. Sie sind eineartei der Konzerne, der Atomlobby,
er Pharma- und der Hotellobby. Sie haben keine Politikugunsten des Wettbewerbs gemacht.
Ich sage Ihnen, an welcher Stelle Sie strukturelle Ver-nderungen vornehmen müssen: beim Fachkräfteman-el.
ie haben den Fachkräftemangel zwar angesprochen; esandelt sich dabei aber um ein weites Feld. Verbindenir es doch einmal mit dem Thema Kurzarbeit. Dertzte Tag der Kurzarbeit ist auch der erste Tag des Fach-räftemangels. Sie müssen anerkennen, dass die Unter-ehmen durch den Fachkräftemangel keine Möglichkeitehr haben, offenen Stellen zu besetzen.
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7036 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010
Kerstin Andreae
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Wir brauchen ein langfristiges Konzept. Was machenwir mit der Bildung? Was machen wir mit den Menschen,die keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben? Was machenwir mit den älteren Beschäftigten? Was machen wir mitden Ressourcen, die wir hier im Land haben? Was machenwir ganz konkret für die IT-Firma, die gern einen indi-schen Programmierer einstellen würde, es aber nicht kann,weil sie keine 66 000 Euro für sein Jahresgehalt bezahlenkann? Dazu sagen wir: Senkung der Einkommens-schwelle für Hochqualifizierte auf 40 000 Euro! In die-sem Punkt sehen wir uns im wunderbaren Einklang mitder FDP.
Diese Senkung wurde im Sommer sowohl von HerrnBrüderle als auch von Herrn Lindner gefordert. Wir ha-ben sie am Mittwoch im Wirtschaftsausschuss und imInnenausschuss gefordert. Wer aber hat sie abgelehnt?Die FDP. Ankündigungspolitik, sonst nichts.
Ich möchte ein weiteres Beispiel für Ihre Ankündi-gungspolitik nennen: Die kleinen und mittleren Unter-nehmen ächzen unter den bürokratischen Belastungen.Was aber machen Sie? Sie wollten eigentlich den Nor-menkontrollrat stärken. Sie wollten den Normenkon-trollrat – Fahne hoch – schon in Oppositionszeiten im-mer stärken. Man wollte herausfinden, wie hoch dieBelastungen für die Unternehmen sind. Wir haben unsgesagt, dies jetzt gemeinsam mit Ihnen anzugehen. Sie inder Regierung und wir in der Opposition hätten die Stär-kung des Normenkontrollrats auf den Weg bringen kön-nen. Der Gesetzentwurf ist aber in der Versenkung ver-schwunden.Was ist noch in der Versenkung verschwunden? Auchdas Entflechtungsgesetz ist in der Versenkung ver-schwunden. Ich frage deshalb: Wie gehen wir eigentlichmit monopolistischen Strukturen um? Haben wir einscharfes Schwert, angesichts dessen wir sagen können:Ja, wir wollen in diesem Bereich mehr Wettbewerb undwerden ihn einfordern? Minister Brüderle sagt, das In-strument der Entflechtung sei grundsätzlich in Ordnung.Aber das Gesetz verschimmelt in der Schublade. Das istAnkündigungspolitik.
Bei der Umsatzsteuer-Strukturreform haben Sie mitder 1 Milliarde Euro einen ordnungspolitischen Sünden-fall begangen, Stichwort Hotellobby. Grundsätzlich hät-ten Sie an die komplizierte Umsatzsteuer herangehenkönnen. Was aber ist passiert? Eingesammelt, Ankündi-gungspolitik. Stellen Sie sich also nicht hierhin und be-haupten, Sie würden große Programme machen. DieserAufschwung geht nicht auf Ihre Kappe. Die schwarz-gelbe Wirtschaftspolitik berauscht sich an Wachstums-zahlen, Sie tun aber nichts für positive strukturelle Ver-änderungen.räAavWUmnlebwCLnhsGaSLabbsleS–gRdgh
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!assen Sie mich kurz auf das replizieren, was von mei-en Vorrednern gesagt worden ist. Herr Tiefensee, Sieaben mich ein bisschen enttäuscht – bei mir stehen Sieonst immer hoch im Kurs –: Sie sollten eine Rede zurroßen Anfrage, die Sie gestellt haben, halten, habenber völlig am Thema vorbeigeredet.
Bei Ihnen, Herr Schlecht, möchte ich Nachsicht üben.ie sind erst seit einem Jahr im Deutschen Bundestag.
ärm erzeugen und keine Substanz haben bringt unsber nicht weiter. Es wäre also auch bei Ihnen ange-racht, sich ein bisschen mehr in die Materie zu bege-en.Verehrte Frau Kollegin Andreae, Sie haben selbst ge-agt, dass Sie die Konjunkturprogramme in weiten Tei-n positiv begleitet haben. Bei der Abstimmung warenie aber dagegen.
Ja, das haben Sie nebenbei erwähnt. – Es stünde Ihnenut an, sich einmal vom Chefberater von BMW undewe, Herrn Joschka Fischer, dem früheren Vorsitzen-en Ihrer Fraktion, beraten zu lassen, der seine Meinun-en vielleicht in der Zwischenzeit geändert hat, um über-aupt in solch eine Position zu kommen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7037
Ernst Hinsken
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Ich meine schon, dass wir stolz sein können, weil wirallen Unkenrufen zum Trotz die zwei größten Krisen derNachkriegszeit bewältigt haben. Wir sind besser durchdie Krise gekommen, als wir befürchtet hatten. Ein wei-terer erfreulicher Aspekt kommt hinzu: Die Konjunk-turerholung festigt sich zunehmend. Dazu haben geradedie zwei Konjunkturprogramme einen wichtigen Beitraggeleistet. Herr Schlecht, die Programme haben ebenauch die Binnenkonjunktur angekurbelt.Ich möchte der Vollständigkeit wegen darauf verwei-sen, dass wir zusammen mit der SPD in der Großen Ko-alition die Weichen richtig gestellt haben.
Warum werden wir denn momentan weltweit gelobt,etwa vom Internationalen Währungsfonds und von derEU-Kommission? Warum werden wir momentan welt-weit um dieses Jobwunder beneidet? Warum werden wirweltweit an verschiedener Stelle immer wieder gefragt,wie wir Deutsche das gemacht haben? Warum wird unsweltweit nachgeeifert? Weil die Bundesregierung unterAngela Merkel auf diesem Gebiet hervorragende Politikbetrieben hat. Das soll nicht unter den Tisch gekehrtwerden, sondern das verdient Anerkennung. Wir allesollten stolz darauf sein.
Die Konjunkturprogramme hatten ein Gesamtvolu-men von 23,5 Milliarden Euro. Herr Schlecht, jetzt pas-sen Sie einmal gut auf:
Erstens. Die Wiedereinführung der degressiven Ab-schreibung für Maschinen für die Jahre 2009 und 2010sowie die Ausweitung der steuerlichen Absetzbarkeitvon Handwerksleistungen für Privathaushalte mit einemVolumen von circa 5 Milliarden Euro waren die richti-gen Maßnahmen für Handwerk und Mittelstand. Es wargoldrichtig, denn dadurch wurde die Investitionsbereit-schaft der mittelständischen Unternehmen erhöht. Daswollten wir; zu guter Letzt haben wir es erreicht.Zweitens – dies wurde vor allen Dingen von FrauKollegin Andreae angesprochen –: die Abwrackprä-mie. Dafür haben wir wiederum 5 Milliarden Euro zurVerfügung gestellt. Auch die Abwrackprämie war rich-tig.
Das kann man erst jetzt, im Nachhinein betrachtet, dop-pelt und dreifach feststellen.Drittens: die Bereitstellung von weiteren 10 Milliar-den Euro für Zukunftsinvestitionen in den Jahren 2009und 2010. Damit gelang der große Wurf. Bei diesemKonjunkturprogramm bilden die Investitionen in Bil-dung und Forschung das Herzstück. Es handelt sich umdas größte Investitionsprogramm für Bildung, das es jein Deutschland gegeben hat.
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Kollege Lämmel, ich bedanke mich für den Beifall. Icheiß, dass die Bürger in Ihrem Wahlkreis davon profi-ert haben.
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7038 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010
Ernst Hinsken
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Dadurch wurde verhindert, dass die großen Bereichebeispielsweise in den Grenzregionen durch die Krise inMitleidenschaft gezogen wurden.Schlicht auf den Nenner gebracht: Es waren Glücks-griffe für die ganze Nation. Das Machbare wurde getan.Gerade durch die Konjunkturprogramme wurden zweiFliegen mit einer Klappe geschlagen. Zum einen konn-ten sinnvolle Projekte in Angriff genommen werden, diedringend der Verwirklichung bedurften. Zum anderenkonnten Arbeitsplätze vor Ort geschaffen bzw. gehaltenwerden. In meinem Heimatland Bayern beispielsweiselaufen die Konjunkturprogramme bestens. Ich war vorOrt und werde demnächst wieder vor Ort sein, Herr Lan-desgruppenvorsitzender Dr. Friedrich, um mit den Men-schen zu reden, um zu erfahren, woran es mangelt.
Ich möchte mich bei der Bundesregierung und bei derStaatsregierung dafür bedanken, dass unbürokratisch ge-handelt wurde und dass man schnelle Entscheidungenherbeiführen konnte, die uns Gott sei Dank in die Vor-derhand gebracht haben.
Herr Kollege, –
Ich weiß Bescheid, Herr Präsident.
– das wäre ein hervorragender Schlusssatz gewesen.
Ich komme zum Schluss. – Insgesamt gesehen wur-
den die richtigen Weichenstellungen vorgenommen, die
richtigen Programme aufgelegt und richtige Politik ge-
macht. Der Wille zum Erfolg ist da. Das sind die Zauber-
worte der Gegenwart und der Zukunft. Wenn wir das
berücksichtigen, wie es die Antwort der Bundesregie-
rung auf die Große Anfrage vorsieht, dann bin ich der
festen Überzeugung, dass wir den Mitbürgerinnen und
Mitbürgern die Ängste nehmen können, den Arbeitsplatz
eines Tages zu verlieren.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort erhält der Kollege Garrelt Duin für die
SPD-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnenund Kollegen! Lieber Kollege Hinsken, ich bin Ihnendankbar, dass Sie mit deutlicher Euphorie noch einmaldarauf hingewiesen haben, dass wir gemeinsam in derGg–nbshWbKulisanzEdlawBhMkBmlonesBcgdfrfricSgVnqngDn
Was wir dringend brauchen, sind Investitionen. Icheue mich, dass der Kollege Döring anwesend ist, weilh auf ihn Bezug nehmen will. Sie haben noch imommer ein sogenanntes Investitionsbeschleunigungs-esetz angekündigt. Im internationalen Vergleich und imergleich mit seinen europäischen Nachbarn und Part-ern hat Deutschland eine der niedrigsten Investitions-uoten. Das muss uns über das Ende dieses Jahres hi-aus mit Sorge erfüllen. Dazu haben Sie, Herr Döring,esagt:Wir müssen jetzt schnell ein umfassendes Gesetzes-paket schnüren, um die wirtschaftliche Erholung zusichern, Investitionen zu erleichtern …as haben Sie im Juni eingefordert. Jetzt sind vier Mo-ate herum, aber passiert ist nichts. Es kommt nichts.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7039
Garrelt Duin
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Ich zeige Ihnen einmal eine Darstellung der Arbeits-planung des Bundeswirtschaftsministeriums; FrauAndreae hat zu Recht darauf hingewiesen.
Hier stehen fünf Punkte. Zwei davon sind internationaleZwangsvereinbarungen, die man mitmacht. Dann stehtda das ERP-Wirtschaftsplangesetz; auch das ist Stan-dard. Aus diesem Ministerium kommt nichts an Initiati-ven, auch nicht das, was Sie von der Koalition selbst for-dern, obwohl das für den Standort Deutschland wichtigwäre. Es passiert einfach viel zu wenig.
Deswegen sind wir in dieser Debatte herausgefordert,auf das hinzuweisen, was man tun kann.Herr Hintze, es gibt eine Reihe von guten Elementen,die Begleitmaßnahmen der Konjunkturpakete waren. Dasie nicht der europäischen Reglementierung unterliegenund dementsprechend nicht zum Ende dieses Jahres aus-laufen müssen, könnten sie fortgeführt werden. Warumtun Sie im Bereich der Bürgschaftsbanken nichts, um dieEigenkompetenz der Bürgschaftsbanken beizubehalten?Das würde den KMUs helfen. Warum denken Sie nichtdarüber nach, wie wir die Laufzeit der Vereinfachungs-regelung beim Vergaberecht verlängern können? Warumwird nicht darüber nachgedacht, wie wir die Mittel, diewir für den Ausbau der Breitbandnetze zur Verfügunggestellt haben – das wäre im Interesse der Kommunen –,weiterhin ausreichen können? Warum wird die auch vonIhnen, Frau Strothmann, gelobte Verbesserung der steu-erlichen Absetzbarkeit von Handwerksleistungen nichtfortgeführt? Warum wird darüber nicht gesprochen?All diese Elemente haben sich bewährt. Dabei geht esnicht um ein neues Programm mit einem Volumen von100 Milliarden Euro, wie die Linkspartei es fordert, son-dern schlichtweg darum, aus ordnungspolitischen Grün-den die Dinge fortzuführen, die sich in den letzten zweiJahren bewährt haben.Verschließen Sie doch nicht die Augen. Sagen Siedoch nicht einfach: Wir machen jetzt eine Exit-Strategie;das muss jetzt alles zu Ende sein, weil die Krise vorbeiist. Schauen Sie sich die Dinge an, die gut funktionierthaben, die gut für die Kommunen sowie die kleinen undmittelständischen Unternehmen waren. Führen Sie diesefort, und beenden Sie sie nicht zum Ende dieses Jahres!
Über das CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist schongesprochen worden. Deswegen will ich diesen Punktüberspringen.Herr Hinsken, weil Sie die regionale Wirtschaftsför-derung erwähnt haben, möchte ich auf dieses Thema zu-rückkommen. Ich halte das ebenso wie Sie – ich weiß,dass Sie so denken – für ein ganz entscheidendes Instru-ment. Wenn wir uns die Zahlen des Wirtschaftsministe-riums anschauen, dann wissen wir, dass wir mit demInstrument der GRW-Förderung in den Bereichen Be-schäftigung und Lohnentwicklung, in all den Bereichen,die für die Binnennachfrage von großer Bedeutung sind,hSRkIdcebmkWamKDksdqwrewwNdDTDCS
ir unterstützen Sie, Herr Hinsken. Ich hoffe, dass auchlle anderen das begreifen.Ich komme zum Schluss. Herr Brüderle hat gesagt,an könnte jetzt aus allem aussteigen, was durch dieonjunkturpakete auf den Weg gebracht wurde.
enn – so war sein Bild – wenn es nicht mehr regnet,önne man den Regenschirm zuspannen. Das ist einchönes Bild. Herr Brüderle nutzt gerne schöne Bilder;as möchte ich gar nicht kritisieren. Er betätigt sich jauasi als konjunkturpolitischer Wetterfrosch, um dieeitere Entwicklung vorherzusagen.
Aber das können Sie jetzt nicht mehr weiter ausfüh-
n.
Unsere Botschaft ist: Werfen Sie den Schirm nicht
eg, sondern lassen Sie uns die Dinge nutzen, die gut
aren und die wir weiterführen können, ohne weitere
euverschuldung zu verursachen, um für die mittelstän-
ischen Unternehmen etwas zu tun.
enn sie tragen diesen Aufschwung. Deswegen ist nicht
atenlosigkeit gefordert, sondern Engagement – hier in
eutschland, aber auch auf der europäischen Ebene.
Herzlichen Dank.
Dr. Matthias Heider ist der nächste Redner für die
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ehr geehrte Damen und Herren! Wir hatten befürchtet,
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7040 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010
Dr. Matthias Heider
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Herr Duin, dass die Große Anfrage der SPD offenbar nurdarauf abzielt, noch ein paar Fleißkärtchen für die dama-lige Regierungsbeteiligung einzuheimsen. Aber dass Siehier heute Morgen die Leistungen der Arbeitnehmer undder Unternehmer in der Krise in Zweifel ziehen, dass Sieden Aufschwung kleinreden, überrascht uns dann doch.
Sie werden in den nationalen Parlamenten Europas un-glaubliches Staunen für solche Reden, wie Sie sie heutegehalten haben, ernten.Liest man die Große Anfrage der SPD, ereilt einensehr schnell die Erkenntnis, dass die Zeit über dieGrundlage Ihrer Anfrage bereits hinweggegangen ist. ImMai dieses Jahres, als Sie Ihre Anfrage formuliert haben,sprachen Sie von einem prognostizierten leichtenWachstum für 2010. Die Dynamik hat Sie überholt. Ichgebe zu: Die heute vorliegenden Schätzungen von rund3,5 Prozent Wirtschaftswachstum übertreffen unsereErwartungen. Aber sie verdeutlichen die zentrale Er-kenntnis: Konjunktur und Wirtschaftswachstum kannman nicht im Parlament beschließen.Politik hingegen kann in der wirtschaftlichen KriseFolgendes leisten: Sie kann Risiken aus dem konjunktu-rellen Fahrwasser ziehen, die gesamtwirtschaftliche Ak-tivität stimulieren und die Wettbewerbsfähigkeit der Un-ternehmen fördern. Diese Aspekte zusammen schaffenein Gegengewicht zum konjunkturellen Abschwung.Wir, die Regierungskoalition, werden dafür sorgen, dassein innovations- und investitionsfreundliches Klima ge-schaffen wird, das über den Tag hinaus seine Wirkungzeigen wird.
Die Bundesregierung führt in ihrer Antwort zu Rechtdie großen Erfolge der einzelnen Maßnahmen auf: Um-welt- bzw. Abwrackprämie, Verlängerung der Kurzar-beiterregelung, Vereinfachung des Vergaberechts. Alldas ist schon genannt worden. Ich betone, dass die Ko-alition der Vorgängerregierung kluge Entscheidungengetroffen hat, von denen Beschäftigte und Unternehmer,von denen wir alle heute profitieren. Zur Wahrheit ge-hört aber auch, dass die jetzige Regierung diese Politikklug fortgesetzt hat. Mit dem Wachstumsbeschleuni-gungsgesetz hat die christlich-liberale Koalition Fami-lien und Unternehmen mit einem Bündel von Maßnah-men um zusätzliche 8,5 Milliarden Euro entlastet.
Auch das hat dazu beigetragen, dass der aktuelle Kon-sumindex der GfK das höchste Ergebnis seit Mai 2008ausweist.Neben dem Export, der dieses Jahr um rund 16 Pro-zent steigen wird, steigt erfreulicherweise auch die hei-mische Nachfrage. Auch die aktuellen Lohnabschlüsselassen die Hoffnung zu, dass sich dieser Trend verstetigt.Eine echte Trendwende erkennen wir auch bei den In-vestitionen. Zu Beginn des Jahres hat noch niemandddnksdWsfosruuFEihSredsueAHzromsDhMdEUtesWsdtiewsDncEDz
lle Konjunkturpakete helfen nichts, meine Damen underren von der Opposition, wenn man sich bei einer soentralen Frage wie der Sicherung der Stabilität des Eu-s in die Büsche schlägt.In der Krise war es wichtig, dass wir den Unterneh-en mit rund 10 Milliarden Euro im Rahmen von Bürg-chaften und Krediten unter die Arme gegriffen haben.er Deutschlandfonds mit seinen Förderprogrammenat Tausenden von Unternehmen geholfen. Nicht großeillionenbeträge waren hier ausschlaggebend, sondernie Breitenwirkung. Zahllose Darlehen zwischen 20 000uro und 100 000 Euro haben vielen mittelständischennternehmen in der Krise Luft zum Atmen gegeben.Jetzt aber müssen wir umschwenken, von einem ret-nden Feuerwehreinsatz zu einer substanziellen Wirt-chaftsförderung; ab heute geht es wieder um denirtschaftsstandort Deutschland. Ein hervorragendes In-trument dafür ist die Forschungs- und Entwicklungsför-erung, zum Beispiel im Rahmen des Zentralen Innova-onsprogramms für den Mittelstand.Die Projektförderung des ZIM ist auf die Innovations-ntwicklung mittelständischer Betriebe ausgerichtet, dieeniger in großen Forschungsabteilungen stattfindet,ondern eher in anwendungsspezifischen Projekten.eswegen ist es gut und richtig, dass die Finanzplanungicht nur eine Verstetigung, sondern sogar eine Aufsto-kung der ZIM-Mittel auf deutlich über 500 Millionenuro vorsieht.
as ist kluge Strukturpolitik, so wie wir sie verstehen.Die SPD fordert jetzt in breitem Umfang weitere Stüt-ungsmaßnahmen über 2010 hinaus. Wo das sinnvoll er-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7041
Dr. Matthias Heider
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scheint, handelt die Bundesregierung. Wo die staatlichenEingriffe jedoch eine dauerhafte Verzerrung des Wettbe-werbs bedeuten, müssen wir sie jetzt, in der Auf-schwungphase, abbauen.
So wie das Pendel in Zeiten der Krise in Richtung Aus-gabenpolitik schlägt, so gehört das Zurückpendeln zueiner Konsolidierungspolitik. Dies leistet die Regierungs-koalition mit dem Haushalt 2011 und einem Zukunftspa-ket. Dies dient der Festigung unseres Wirtschaftsstandor-tes. Ich darf sagen: Ich sehe die Bundesregierung imGegensatz zu Ihnen auf einem guten Weg.Vielen Dank.
Das Wort erhält nun der Kollege Klaus Barthel für die
SPD-Fraktion.
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich will auf unsere Große Anfrage und dieAntwort der Bundesregierung eingehen. Viele der Fra-gen, die wir uns sehr gut überlegt haben, bleiben unbe-antwortet. Ihre Antworten sind mit Worten wie „dürfte“,„könnte“, „sollte“ usw. bestückt, und Ihre Lieblingsfor-mulierung lautet: „Die Bundesregierung geht davon aus…“. Es wurde die Chance vertan, das Konjunkturpaketim Hinblick auf die Wirkungen einzelner Maßnahmenzu durchleuchten. Das kann mit Unfähigkeit zu tun ha-ben, das kann aber auch Absicht sein. Denn Ihr Interessedaran, dass man sich das Konjunkturpaket genauer an-schaut, dürfte durchaus gebremst sein.Wenn man zum Beispiel danach fragt, was die Steu-erermäßigung für die Hotellerie im Verhältnis von Kos-ten und Nutzen bringt, stellt man fest: Es bleibt nicht vielübrig. Sinnvolle Maßnahmen wie die Städtebauförde-rung werden gestrichen, obwohl jeder Euro, den derStaat hierfür zur Verfügung gestellt hat, Investitionen inHöhe von 8 Euro nach sich gezogen hat. Das ist span-nend.Ich kann gut verstehen, dass sich Herr Ramsauer fol-gendermaßen zur Halbierung der Mittel für die Städte-bauförderung äußert – ich zitiere aus einer Ausgabe derBayerischen Staatszeitung von vor einer Woche; liebeKolleginnen und Kollegen von der Koalition, insbeson-dere von der CSU, hören Sie bitte zu –: Insofern bin ichüber jede Stimme eines Bundestagsabgeordneten wie derdes Nürnberger Abgeordneten Michael Frieser
froh, der diese Kürzung nicht hinnehmen will, betontRamsauer. Er werde sich dafür einsetzen, dass noch ein-mal verhandelt wird.
Dabei geht es um sinnvolle Maßnahmen, die gewirkthaben. Aber genau so etwas wird in der Antwort auf dieAvdweteeVFabeuLDmkindMisfoWzMgSrüdABvGDtoremp
rau Merkel warnt im Handelsblatt vor Lohndumpingus China in der Europäischen Union. Man muss dieeiden Herrschaften fragen – inhaltlich sind wir uns jainig –, was sie tun. Sie müssen endlich wieder Ordnungnd Fairness am Arbeitsmarkt durchsetzen, damit dieöhne steigen können.
enn mit Leiharbeit, mit Befristungen, mit Minijobs,it Ausweitung von Prekarität und mit Niedriglohnann dieses Ziel nicht erreicht werden. Deswegen muss der Koalition jetzt endlich die Frage entschieden wer-en: Wollen Sie zum Beispiel in der Zeitarbeit einenindestlohn, oder wollen Sie Equal Pay? Das Ergebnist: Sie blockieren sich, und es kommt gar nichts. Wirrdern, dass in der Leiharbeit beides kommt.
Gestern wurden Fragen der Mindestlöhne und deseiterbildungssektors hier diskutiert. Ich nenne ergän-end die Post und viele andere Bereiche. Wenn es keineindestlöhne gibt, dann werden Sie das Lohnniveau ins-esamt nicht erhöhen können. Ganz im Gegenteil: Dertrudel geht immer weiter nach unten.
Bei der Kurzarbeit ist der entscheidende Punkt – da-ber ist heute noch gar nicht viel geredet worden – gutokumentiert, nämlich dass sie ein riesiger Erfolg war.ber entscheidend ist doch, dass Kurzarbeit nur auf derasis von geordneten Verhältnissen in den Betrieben,on Normalarbeitsverhältnissen, von Betriebsräten, vonewerkschaften und von Mitbestimmung funktioniert.as funktioniert eben nicht im gesamten prekären Sek-r.Das führt im Ergebnis dazu, dass nur die Kernsekto-n – das war uns wichtig; das ist überhaupt nicht zuindern – davon profitiert haben, während der gesamterekäre Bereich davon aber nicht profitiert hat.
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7042 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010
Klaus Barthel
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Zum Beispiel sind die Auswirkungen auf die Ge-schlechter sehr unterschiedlich. Frauen haben von diesenMaßnahmen kaum profitiert. Das war zu weniger als30 Prozent der Fall, während zu mehr als 70 Prozent dieMänner davon profitiert haben.Wir beklagen den Erfolg der Kurzarbeit nicht, aber esgibt noch etwas nachzuarbeiten. Das muss bei solch ei-ner Evaluation auch erwähnt werden. Bei der Fortset-zung dieser Programme muss es in Zukunft um Qualitätund weniger um Quantität gehen. Es muss um Industrie-politik gehen. Auf Ihre Positionen hierzu bin ich sehr ge-spannt; denn die Bundesregierung antwortet auf kon-krete Fragen ausweichend, zum Beispiel auf die Fragen,wie es mit dem Breitbandausbau oder mit den Netzen imBereich der Energiepolitik weitergehen soll. Dabei for-dert die Europäische Kommission, dass 1 Billion Euro inEuropa investiert wird.Die Bundesregierung weicht auch der Antwort auf dieFrage aus, wie es mit der Mobilität weitergehen soll.Mehr noch: Bei der Mobilität werden der Bahn jährlich500 Millionen Euro entzogen, die sie eigentlich für In-vestitionen braucht. In keinem dieser Bereiche sagenSie, wie es weitergehen soll.
Vielmehr ist von „könnte“, „müsste“ und „sollte“ dieRede.Nun zur Weiterentwicklung der Dienstleistungswirt-schaft bzw. zum Abbau von Prekarität. Sie finden zumBeispiel eine Analyse der ILO, der Internationalen Ar-beitsorganisation, die ich hier zitieren will:Die Uno-Organisation empfiehlt den Regierungeneine stärkere Konzentration auf die Arbeitsmärkteauch deshalb,– bitte hören Sie genau zu –weil sie einen weltweiten Vertrauensverlust in dieRegierungen und die politischen Systeme als Folgeder Arbeitslosigkeit beobachtet. „Der soziale Zu-sammenhalt steht auf dem Spiel“, heißt es in demBericht. In drei Vierteln der 82 Staaten, in denen esentsprechende Umfragen gab, haben die Menschenden Eindruck, dass Lebensstandard und Lebensqua-lität sinken.Die Bundesrepublik Deutschland gehört dazu.
Sie müssen den Kommunen jetzt auch einmal erklä-ren, wie Sie die öffentlichen Investitionen verstetigenwollen, während sie gleichzeitig ausbluten.
Herr Kollege.
Vorletzter Satz. – Wir haben beim Konjunkturpro-
gramm gesehen, dass die Angabe darüber, welcher Be-
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Sie hatten vor geraumer Zeit einen vorletzten Satz an-
ekündigt.
Es waren viele Kommas dazwischen.
Ja. Wir werden das im Protokoll präzise so festhalten,
m möglichen präjudizierenden Wirkungen entgegenzu-
eten.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
ollege Dieter Jasper für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damennd Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Ökono-ische Wirkung der Konjunkturpakete“, das ist dashema heute. Zur Erinnerung: Was war die Ausgangssi-ation? In der schwersten Wirtschafts- und Finanzkriseer Bundesrepublik Deutschland hat die unionsgeführteundesregierung zwei Konjunkturpakete aufgelegt,it denen geholfen werden sollte, die Folgen dieserrise abzumildern. Das Bruttoinlandsprodukt – auch dasur Erinnerung – ist um 4,9 Prozent eingebrochen. Dieirtschaft hatte die schwerste Rezession der Nach-riegsgeschichte zu bewältigen.Durch das Konjunkturpaket I aus dem Jahre 2008,Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung“ ge-annt, werden Investitionen und Aufträge von Unterneh-en, privaten Haushalten und Kommunen in einer Grö-enordnung von rund 50 Milliarden Euro gefördert. Dasonjunkturpaket II aus dem Jahre 2009, „Pakt für Be-chäftigung und Stabilität in Deutschland“ genannt, um-sst weitere Maßnahmen mit einem Umfang von weite-n 50 Milliarden Euro. Wichtige Impulse zur Stützunger Binnenkonjunktur und zur nachhaltigen Stärkunges Landes wurden gesetzt.Wie stehen wir heute da? Erneut waren es die kleinennd mittelständischen Unternehmen und ihre Mitarbei-r, die sich in dieser Zeit als Rückgrat der deutschen
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7043
Dr. Dieter Jasper
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Wirtschaft und als stabilisierender Faktor erwiesen ha-ben. Gestärkt durch die Maßnahmen der beschriebenenKonjunkturprogramme konnte ein Weg aus der Krise ge-funden werden.Deutschland weist im laufenden Jahr ein Wirtschafts-wachstum von 3,3 Prozent auf. Die größte Volkswirt-schaft des Euro-Raums lässt alle anderen klassischeneuropäischen Industriestaaten hinter sich. Dies ist insbe-sondere durch den unerwartet kräftigen Anstieg der Auf-tragszahlen in der Industrie begründet, dem Herzen derdeutschen Wirtschaft. Zum sechsten Mal innerhalb vonacht Monaten ist die Zahl der Auftragseingänge gegen-über dem Vormonat gestiegen.Vor allem durch die verbesserte Kurzarbeiterregelungwurde den Unternehmen und ihren Mitarbeitern Sicher-heit und Stabilität gegeben. Die Unternehmer konntenihre Mitarbeiter in den Krisenjahren weiter beschäftigen,Entlassungen wurden vermieden, und besonders dasZiel, die Fachkräfte zu binden, konnte erreicht werden.Das ist gerade bei der jetzt zu verzeichnenden konjunk-turellen Erholung von besonderer Bedeutung. Hinzu ka-men zahlreiche Neueinstellungen. Somit haben wirheute eine historisch niedrige Arbeitslosenquote von7,2 Prozent.Auch die Geldwertstabilität ist gegeben. Die Infla-tionsrate, der „Taschendieb des kleinen Mannes“, wie siegenannt wird, liegt bei rund 1 Prozent. Die Lage im Fi-nanzsektor hat sich entspannt. Das Kredit- und Bürg-schaftsprogramm im Rahmen des WirtschaftsfondsDeutschland hat dazu beigetragen, dass die Kreditver-sorgung auch in der Krise sichergestellt wurde.
In einzelnen Branchen sind natürlich Liquiditätspro-bleme zu beobachten, aber ich kann nicht erkennen, dasses eine allgemeine Kreditklemme gibt, wie in vielen Me-dien propagiert wird.Durch diesen Dreiklang aus gutem Wachstum, niedri-gen Arbeitslosenzahlen und geringer Inflation zeigt sich,dass die Maßnahmen zur Finanzmarktstabilisierung undzur Konjunkturstützung offensichtlich gegriffen haben.Diesen Erfolg kann die unionsgeführte Bundesregierungdeutlich für sich verbuchen. In schwierigen Zeiten ist esgelungen, richtige und zukunftsweisende Entscheidun-gen zu treffen.
Welche Handlungsoptionen haben wir? Wir habendie schlimmsten Folgen der Wirtschafts- und Finanz-krise überwunden, aber es wird noch einige Zeit dauern,bis die Euro-Zone wieder das Vorkrisenniveau erreichthat. Viele dauerhafte steuerliche Entlastungen für privateHaushalte und Unternehmen werden auch zukünftigWachstum und Beschäftigung sichern. Hier sei exempla-risch die verbesserte Absetzbarkeit von Handwerks-dienstleistungen oder die Erhöhung der Kinderfreibe-träge genannt. Andere Maßnahmen waren schon imVorfeld befristet angelegt und nur als vorübergehendeSdMWmdw1wmrefiismzASDlekbddzcsSFmdindABcbShABk
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7044 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010
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Danke für die Frage. Ich habe es ja gerade darzustel-
len versucht. Für mich ist es so, dass die beste Gewähr
für eine prosperierende Wirtschaft solide Staatsfinanzen
sind. All das, was gerade von Ihrer Seite immer wieder
gefordert wird, ist nicht finanzierbar. Dafür wären Kre-
dite erforderlich. Unser Weg muss es aber sein, die
Staatsfinanzen zu regulieren. Wir müssen konsolidieren,
damit die Dinge, die wir uns leisten wollen, auch finan-
zierbar sind. Wir müssen sparen. Das ist für mich der
einzig richtige Weg.
Welches Fazit ist trotz allem zu ziehen? Die ökono-
mischen Wirkungen der Konjunkturpakete sind grund-
sätzlich positiv. Die staatlichen Maßnahmen haben dazu
beigetragen, dass sich unsere Wirtschaft erholt hat und
wir auf einem guten Weg sind, unsere alte Stärke wieder
zu erreichen. Wir besitzen eine hohe Wettbewerbsfähig-
keit auf europäischer und auf internationaler Ebene.
Kritische Punkte sind, wie angemerkt, die Finanzie-
rung dieser Konjunkturpakete durch Kredite ebenso wie
die jetzt lauter werdenden Forderungen nach Verlänge-
rung und Ausbau staatlicher Unterstützungen. Der Staat
hat in der Krise Sicherheit und Vertrauen geschaffen und
in schwierigen Zeiten Rückhalt gegeben. Jetzt sind die
Unternehmer und ihre Mitarbeiter grundsätzlich wieder
in der Lage, ihre erfolgreiche Arbeit selbstständig fort-
zusetzen und den weiteren Weg aus der Krise eigenver-
antwortlich zu gehen.
Eine prosperierende Wirtschaft ist die entscheidende
Voraussetzung für Wohlstand und soziale Gerechtigkeit.
In diesem Sinne wird die CDU/CSU gemeinsam mit den
Kollegen von der FDP eine erfolgreiche Wirtschaftspoli-
tik für die Menschen in unserem Lande machen.
Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Kultur und Medien
– zu dem Antrag der Abgeordneten Christoph
Poland, Rita Pawelski, Wolfgang Börnsen
, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordne-
ten Helga Daub, Reiner Deutschmann, Patrick
Meinhardt, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Kulturtourismus in Deutschland stärken
– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Schmidt
, Heinz Paula, Sören Bartol, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
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richts des Ausschusses für Kultur und Medien
zu der Unterrichtung
Grünbuch
Erschließung des Potenzials der Kultur- und
Kreativindustrien
KOM(2010) 183 endg.: Ratsdok. 9073/10
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesre-
gierung gemäß Artikel 23 Absatz 2 des
Grundgesetzes
– Drucksachen 17/2071 Nr. A.39, 17/2941 –
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Dazu höre
h keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst der
ollegin Rita Pawelski für die CDU/CSU-Fraktion das
ort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Touris-us in Deutschland boomt. In diesem Jahr sind bislangehr Reisende in unser Land gekommen als vor der Fi-anz- und Wirtschaftskrise. 15 Millionen ausländischeäste besuchten uns in den ersten sieben Monaten diesesahres. Das sind 11,4 Prozent mehr als 2009. Viele die-er Menschen kommen zu uns und in unsere Städte, umnsere einzigartige Kultur kennenzulernen.Im Bereich Kulturtourismus gab es eine Steigerungs-te von über 30 Prozent. Ich denke, das ist eine sehrute Nachricht für unser Land,
eil es im Ausland immer beliebter wird, und für die Ar-eitsplätze im gesamten Tourismusgewerbe. Das istuch eine gute Nachricht für unsere Städte, die mit ihrerinzigartigkeit im kulturellen Bereich werben.Gerade Städtetouren werden immer beliebter. Im ers-n Halbjahr stieg die Zahl der Übernachtungen umtolze 9 Prozent. So könnte man jetzt sagen: „Es läuftoch alles wunderbar“, aber wir wissen, dass Tourismusine flüchtige und sensible Sache ist. Vor jeder Planungder Buchung eines Urlaubs müssen sich die Anbieter
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7045
Rita Pawelski
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aufs Neue einem harten Wettbewerb stellen. Der Urlau-ber vergleicht; er prüft Angebote und Leistung. Darumist es nicht gottgegeben, dass der Tourismusboom inDeutschland anhält. Er muss jedes Jahr, jeden Tag undjede Stunde neu erkämpft werden. Daher halte ich nichtsvon einer Bettensteuer, die einige Städte derzeit anstre-ben.
Sie ist völlig kontraproduktiv, wenn sie lediglich dazudient, das Stadtsäckel zu füllen, aber nicht in touristischeProjekte investiert wird; denn das merken die Gäste. Siefühlen sich abgezockt und suchen im nächsten Urlaubein anderes Domizil, vielleicht in einem anderen Land.Die Bettensteuer wird damit begründet, dass man da-mit den reduzierten Mehrwertsteuersatz für Hotelüber-nachtungen kompensieren wolle. So ganz stimmt dasnicht; denn in Wahrheit würden die Städte mit ihrerneuen Steuer erheblich mehr einnehmen, als sie verlie-ren. In Köln zum Beispiel verspricht man sich durch dieneue Steuer Mehreinnahmen in Höhe von 20 MillionenEuro. Die Ausfälle durch die Steuersenkung für Hotelsbetragen aber nur 19 Millionen Euro, und dies nicht fürKöln, sondern für alle Städte und Kommunen inDeutschland zusammen. Man könnte deshalb auf denGedanken kommen, dass irgendjemand im Mathematik-unterricht nicht aufgepasst hat. Man könnte es auch alsmoderne Piraterie bezeichnen.Ich gebe zu, dass ich die Reduzierung des Mehrwert-steuersatzes im Hotelgewerbe anfangs sehr kritisch gese-hen habe. Wahr ist aber, dass die zusätzlichen Mittel vonden Hoteliers nicht in die eigene Tasche gesteckt, son-dern in Projekte des Tourismus bzw. des Kulturtouris-mus investiert werden.Laut einer Umfrage des Hotel- und Gaststättenverban-des DEHOGA geben die Hotels 717 Millionen Euro fürInvestitionen aus. Sie schaffen über 5 700 neue Arbeits-plätze. Sie senken zum Teil die Übernachtungspreise underhöhen die Löhne der Beschäftigten. Kurzum – wir ha-ben gerade über den konjunkturellen Aufschwung ge-sprochen –: Auch die Hotels tragen zum Aufschwung inunserem Land bei.Ich erinnere daran, dass der Tourismusbereich derdrittstärkste Arbeitsmarkt in unserem Land ist. Darumkann ich den Städten nur raten: Bedenken Sie bei IhrerEntscheidung die Konsequenzen einer Bettensteuer.Meiner Ansicht nach ist das der falsche Weg; denn wirsollten unsere Gäste nicht mit neuen Steuern und Abga-ben abschrecken.
Nein, wir müssen sie weiterhin für unsere schönen Land-schaften und unsere Kultur begeistern. Wir müssen siefür unsere Theater, Opern, unsere Schlösser und Burgensowie unsere 12 000 Schaufeste und Volksfeste begeis-tern. Wir müssen ihnen Lust auf mehr Deutschland ma-chen. Wir alle wollen doch, dass sie bei uns bleiben. Wirwollen doch, dass sie wiederkommen. Wir wollen, dasssEnrenSzemTbgliimägEghügdgDcDKKnLWfoInambd
s gibt Informationsdefizite, vor allem in Marketingfra-en, und es bestehen ganz konkrete Vermarktungs-emmnisse. Wir werden das ändern.Ich freue mich daher sehr, dass mein Angebot zurberfraktionellen Zusammenarbeit in dieser Frage auf-egriffen wurde und wir heute einen Antrag verabschie-en, der von fast allen Fraktionen dieses Hauses getra-en wird. Kultur verbindet auch parteiübergreifend.
as ist doch eigentlich schön.
Mit unserem gemeinsamen Antrag stellen wir die Wei-hen richtig. Wir wollen, dass Kulturtourismus ineutschland noch erfolgreicher wird. Bund, Länder undommunen werden ein gemeinsames Konzept für denulturtourismus entwickeln. Darum kann ich es gar nichtachvollziehen – das sage ich ganz ehrlich –, dass sich dieänder 2011 aus der Inlandsvermarktung verabschieden.ir wollen Landesgrenzen mit einer einheitlichen Platt-rm für kulturtouristisches Marketing überwinden. Dasternetangebot der DZT soll zu einer Onlineanlaufstelleusgebaut werden. Kulturcluster sind zu fördern.
Frau Kollegin!
Ich komme gleich zum Schluss. – Es soll einen regel-
äßigen Wettbewerb „Kulturregion Deutschland“ ge-
en. Die Informationen über Fördermöglichkeiten wer-
en noch intensiver dargestellt.
Frau Kollegin!
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7046 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010
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Ich bin sicher: Unser Antrag wird positive Effekte ha-
ben. Aber der schönste Effekt ist: Wir werden dem Aus-
land zeigen, dass wir ein modernes, offenes Land sind, –
Frau Kollegin!
– mit vielen sympathischen, gastfreundlichen, offenen
Menschen.
Danke für Ihre Geduld, Frau Präsidentin.
Ich hatte gar keine Geduld.
Die nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Schmidt
für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Kollegin Pawelski, auch uns wäre es lieber, dass
die Kommunen in einer Situation wären, in der sie keine
Bettensteuer fordern müssten. Das setzt aber voraus,
dass diese Bundesregierung und die sie tragenden Koali-
tionsfraktionen alles dafür tun, dass unsere Kommunen
auf sichere finanzielle Füße gestellt werden. Sie schimp-
fen über die Bettensteuer und entlasten gleichzeitig die
Hoteliers um 1 Milliarde Euro, die dann den Kommunen
fehlt.
Sie machen es sich zu einfach. Sie betreiben Klientel-
politik zulasten der Kommunen.
Das führt dazu, dass Kommunen manchmal Schritte ge-
hen müssen, die sie selber nicht gut finden. Auch das ge-
hört zur Wahrheit.
Die zur Abstimmung stehende Initiative zum Kultur-
tourismus ist, wie ich meine, ein konsequenter Schritt
nach den Anträgen von SPD und Grünen sowie der Gro-
ßen Koalition in den letzten Legislaturperioden. Ich bin
sehr froh darüber, dass wir in den Diskussionen, die wir
in den letzten Wochen geführt haben, deutlich machen
konnten, dass die Förderung des Kulturtourismus mehr
ist, als nur das Potenzial für Wachstum und Beschäfti-
gung zu entfalten. Kultur hat einen Eigenwert auch jen-
seits der ökonomischen Verwertung. Ich bin davon über-
zeugt, dass sie nur dann ein Gewinn für den Tourismus
ist, wenn wir sie in ihrer gesamten Breite und Vielfalt
–
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h kenne bessere Seiten an Ihnen.
Herr Kollege, viele hier im Saal haben gefordert, dassei einer Reform der Mehrwertsteuer auch die Reduzie-ng der Mehrwertsteuersätze für das Hotel- und Gast-tättengewerbe in Betracht gezogen werden müsse. Ichabe – auch im Wahlkampf – immer gesagt: Dem werdeh nur zustimmen, wenn es gleichzeitig eine Reduzie-ng der Mehrwertsteuersätze für Medikamente und me-izinische Produkte gibt; denn das gehört dazu.
Deswegen müssen wir uns, auch im Hinblick auf das,as jetzt auf europäischer Ebene angegangen wird, fra-en: Wie können wir eine sinnvolle Reform der Mehr-ertsteuersätze auf den Weg bringen? Zum Beispiel gehts dabei auch um die Forderung, Mehrwertsteuersätzer die Produkte zu reduzieren, die Kinder betreffen, undieles andere mehr. Das gehört in einen Zusammenhang.ie aber haben eine ganz spezielle Klientel bedient, dieie im Wahlkampf unterstützt hat. Das haben Sie nochingeschränkt gemacht – es kann keiner von Ihnen sa-en, dass das eine glückliche Lösung ist –, weil Sie ge-erkt haben, dass es zu teuer wird, wenn Sie noch füreitere Bereiche Senkungen der Mehrwertsteuersätzeornehmen. Das ist Klientelpolitik und hat nichts mitersprechungen und Wahlkampfaussagen zu tun, dieich grundsätzlich auf das Problem der Mehrwertsteuer-ätze beziehen. Insofern bleibe ich – wie Sie mir das un-rstellen – redlich.Ich wünsche mir, dass Sie auch bei anderen Produk-n fragen, was eigentlich den Menschen in diesem Landutzt. Wenn sich am Schluss einer Mehrwertsteuerre-rm herausstellt, dass für Familien alles teurer wird, an-ererseits aber bestimmte Interessen bedient werden,ann ist sie nicht gut.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7047
Ulla Schmidt
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So viel zu dieser Frage.Ich möchte auf unsere jetzige Diskussion zurückkom-men. In unserem gemeinsamen Antrag fordern wir dieBundesregierung auf – ich zitiere –,… das baukulturelle Erbe durch das UNESCO-Welterbeprogramm … zu erhalten und zu nutzen,um die gewachsenen Identitäten von historischenStädten und Kulturlandschaften zu bewahren, zuentwickeln …Und wir fordern dazu auf, das bauhistorische Erbe inhistorischen Stadt- und Ortskernen zu fördern.Gleichzeitig beschließen Sie Kürzungen beimUNESCO-Welterbeprogramm, bei der Städtebauförde-rung und beim Denkmalschutz. Es kann doch nicht sein,dass unsere Forderungen, die wir gemeinsam beschlie-ßen, schon Makulatur sind, ehe sie überhaupt den Bun-destag verlassen haben.
Ich weiß sehr wohl – auch aus den Debatten dieserWoche –, dass von Ihren Fraktionen ein Antrag einge-bracht wurde, die Kürzungen zu reduzieren. Aber Faktbleibt doch, dass für die Städtebauförderung 120 Millio-nen Euro weniger zur Verfügung stehen, als es noch imRahmen des Haushaltes 2009, der von einem sozialde-mokratischen Minister verantwortet wurde, der Fall war,und es ist Fakt, dass für das UNESCO-Welterbepro-gramm 6 Millionen Euro weniger zur Verfügung stehen.Jeder und jede in diesem Raum weiß, dass im schlimms-ten Fall diese 120 Millionen Euro nur ein Drittel der Kür-zungen sind, die tatsächlich auf die Städte zukommen;denn gleichzeitig fallen die Kofinanzierungen der Länderund Kommunen weg. Jeder weiß, dass privates – auchfinanzielles – Engagement oft daran geknüpft wird, wieviel vonseiten der Kommunen, der Länder oder des Bun-des gegeben wird.Angesichts dessen appelliere ich hier an Sie: LassenSie uns gemeinsam dafür sorgen, dass diese Entschei-dung in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschus-ses rückgängig gemacht wird. Ich sage Ihnen hier unsereUnterstützung auch im Hinblick auf die Diskussionenmit unseren Haushältern zu. Herr Hagemann – er sitzt imMoment hinter mir – wird dies mittragen.
– Man muss überlegen, woher man es nimmt.
– Herr Fricke, Sie haben dem Haushaltsausschuss langegenug vorgesessen. Wir sagen: Man muss Ausschau hal-ten, wo man in den Haushalten sinnvoll sparen kann.Man kann aber nicht beschließen, etwas Bestimmtes zufördern und auszubauen, und gleichzeitig weniger Gelddafür zur Verfügung stellen. Das verträgt sich nicht. EsisbwinlebkwbmteHnagKülaked„mpsmdwsteGreeMSvwtuNzuegdrasgdz
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7048 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010
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Vielen Dank.
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem
Kollegen Otto Fricke.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Kollegin
Schmidt, es ist immer sehr schön, zu sagen: Dafür muss
man doch Geld finden; dafür sollte man doch Geld ha-
ben; da sollte man nicht so eine ökonomistische Sicht
haben. – Ich darf Sie auf ein paar Fakten aufmerksam
machen. Wenn Sie aus Ihrer politischen Sicht sagen:
„Die Mehrwertsteuer für das Hotelgewerbe zu ermäßi-
gen, war falsch“, dann ist das Ihr Recht. Wenn Sie sagen:
„Das hat die Kommunen zu viel gekostet“, dann ist das
ebenfalls Ihr Recht.
Wenn Sie aber gleichzeitig sagen: „Ich verlange eine re-
duzierte Mehrwertsteuer bei Medikamenten“, was eine
Überlegung wert ist, dann hätten Sie aber auch auf Fol-
gendes hinweisen müssen: Den Kommunen würde damit
mindestens das Vierfache, eher das Sechsfache von dem
weggenommen, was eine Mehrwertsteuerabsenkung für
das Hotelgewerbe zur Folge hat. Das hätte der Fairness
halber dazugesagt werden müssen.
Wenn Sie sagen, die Kommunen müssten mehr Geld
für die Städtebauförderung bekommen, dann sage ich Ih-
nen: Das würde auch ich mir wünschen. Ebenso würde
ich mir wünschen, dass wir noch Abermillionen für Kul-
tur, den Humus unserer Gesellschaft, ausgeben könnten.
Darüber hinaus würde ich mir wünschen, dass wir für
Bildungspolitik mehr Geld zur Verfügung hätten. Das
kann aber nicht dazu führen, dass Sie sagen, man müsse
eben eine Lösung finden. So können Sie keine konkrete
Politik machen.
Der Kollege Hagemann, der im Haushaltsausschuss im-
mer hart streitet, weiß genau, dass das mit Blick auf die
Schuldenbremse konkret gefasst werden muss. Es kann
nicht sein, dass ein Teil des Parlamentes dafür zuständig
ist, Forderungen zu stellen, während der andere Teil für
die Kärrnerarbeit zuständig ist und entscheiden muss,
woher das Geld genommen werden soll.
Ich hätte mir gewünscht, dass Sie das konkret gefasst
hätten.
Frau Schmidt zur Erwiderung.
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eswegen bleibe ich dabei: Wenn Sie so vieles für wün-
chenswert, aber nicht umsetzbar halten, ist es umso
chlimmer, dass Sie für eine kleine Klientelgruppe
Milliarde Euro zur Verfügung stellen, die Sie für an-
ere wichtige Dinge – für Bildung, Städtebauförderung,
as Programm „Soziale Stadt“, kulturelle Bildung –
icht haben. Da beißt die Maus keinen Faden ab: Das
leibt Klientelpolitik, und es war unredlich, das zu Be-
inn des Jahres zu beschließen.
Die Kollegin Helga Daub hat jetzt das Wort für die
DP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin-en! Als ich heute in diesen Saal gekommen bin, bin ichavon ausgegangen, dass der Kulturtourismus sich nichtazu anbieten würde, sich parteipolitisch zu beharken.ie letzten Minuten konnten einen vom Gegenteil über-eugen.
ber gut, wenn es denn sein muss.Gleichwohl bin ich froh, dass wir jetzt etwas vorlie-en haben, was wir gemeinsam erreicht haben. Das zeigtoch, dass man bei gewissen Punkten über Parteigrenzeninweg gut zusammenarbeiten kann. Schließlich ist Kul-rtourismus ein wichtiges Thema. Ich freue mich ganzesonders, dass wir die Initiative gemeinsam mit derPD und mit den Grünen bei Enthaltung der Linken be-chließen konnten. Das ist ein schöner Erfolg für denulturtourismus in Deutschland.Wir nehmen hier übrigens eine Spitzenposition inuropa ein, denn wir liegen – hinter Frankreich – anweiter Stelle. Der Städtetourismus boomt; Frauawelski hat das vorhin schon angesprochen. Gerade daegt ein großes Potenzial für den Kulturtourismus. Aberas Bessere ist der Feind des Guten. Das heißt, wir müs-en uns weiterhin anstrengen, Konkurrenzen, Hemm-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7049
Helga Daub
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nisse und strukturelle Probleme schnellstmöglich abzu-bauen.Kultur und Touristik – das ist mittlerweile eine Sym-biose, ohne dass sich, wie es früher oft der Fall war, denKulturschaffenden alleine bei dem Gedanken an eineVermarktung durch den Tourismus die Schneidezähnekräuseln. Mit „Vermarktung“ meine ich an dieser Stelleallerdings Teilhabe, die Möglichkeit, die Kultur breitenSchichten zu öffnen und zur Verfügung zu stellen. Da-rauf gründet sich unsere Forderung an die Bundesregie-rung, der Empfehlung der Enquete-Kommission „Kulturin Deutschland“ zu folgen und die Schaffung einer Platt-form für strategisches kulturpolitisches Marketing vonBund und Ländern unter Einbeziehung der Dachver-bände aus Kunst, Kultur und Tourismus zu prüfen.
Ziel muss sein, das kulturelle und nicht zuletzt das wirt-schaftliche Potenzial besser auszuschöpfen. Außerdemhat Kulturtourismus durchaus auch eine soziale Kompo-nente; das sollten wir nicht vergessen.Daher sollte die Bundesregierung auch das Gesprächmit den Ländern und den Kommunen aufnehmen. Ichbin genauso enttäuscht darüber, Frau Pawelski, dass dieLänder sich ab 2011 aus der Inlandsfinanzierung zurück-ziehen. Wenn sie es denn täten, um ihrerseits Kultur-arbeit zu betreiben, wäre das nicht so schlimm. Die Er-fahrungen weisen aber in eine andere Richtung. Es ist zubefürchten, dass die Mittel im allgemeinen Haushalt ver-schwinden, und das wäre schade.
Das Gespräch muss gesucht werden. Selbstverständlichmuss das alles unter Wahrung der Interessen der Kom-munen und auch der Länder geschehen.Wir haben in dem zusammengeführten Antrag – Siealle haben ihn gelesen – viele, aber allesamt umsetzbareForderungen in Bezug auf Strategie, Barrierefreiheit,Marketing und verbesserte Zusammenarbeit zusammen-gestellt. Highlights wie „RUHR.2010“ – das war nunwirklich ein Highlight – haben gezeigt, wie man so et-was machen kann. Ich freue mich, dass wir diesmal ge-meinsam vorgehen. Wir sind auf einem guten Weg. Ichhoffe, wir gehen diesen Weg weiter – für unser Land unddie vielen Menschen, die unser schönes Land besuchen.Danke.
Luc Jochimsen hat jetzt das Wort für die Fraktion Die
Linke.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen!Ein Gespenst geht um in Europa, seit der US-Öko-nom Richard Florida vorgerechnet hat, dass nur dieSssmnngKzlateHHAssdTDppdgnKbgmsDsbazvBimzzs
Ich habe den Künstlerprotest ganz bewusst an den Be-inn dieser Rede gesetzt, damit wir im Parlament heuteicht nur, wie so oft, das Wunder der prosperierendenultur- und Kreativwirtschaft, den Städtetourismus-oom, beschwören. Die arbeitsmarkt- und beschäfti-ungspolitische Bedeutung ist unstrittig, aber Kultur istehr als eine Ware. Sie ist ein öffentliches Gut und we-entliches Moment von Lebensqualität.
avon sollten wir ausgehen, wenn wir über Kulturwirt-chaft und über Kulturtourismus reden. Wir müssen da-ei auch die soziale Seite und die Lage der Kreativen be-chten.Gerade dieser soziale Aspekt fehlt in dem nunmehrusammengeführten Antrag zum Kulturtourismus, deron den Fraktionen der CDU/CSU, FDP, SPD undündnis 90/Die Grünen getragen wird. Die Linke hatte Kulturausschuss mehrfach versucht, diesen Mangelu beheben und zu erreichen, dass wenigstens noch ein,wei Sätze zur sozialen Lage der Kreativen und Kultur-chaffenden eingefügt werden – leider vergeblich. Des-
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7050 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010
Dr. Lukrezia Jochimsen
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wegen – weil das fehlt – stimmen wir nicht zu, sondernwerden uns bei der Abstimmung enthalten.Wir sind dafür, den Kulturtourismus besser zu för-dern, und können viele Forderungen unterschreiben.Aber wer Kulturtourismus fördern will, muss auch undgerade gute Arbeitsbedingungen für die betroffenen Be-rufsgruppen schaffen und dafür sorgen, dass die kultu-relle Infrastruktur in den Ländern und Kommunen in ih-rer Vielfalt erhalten bleibt. Sie ist nämlich die Basis fürden Kulturtourismus.
Deshalb ist wichtig, dass sich das Parlament heute mitder Entschließung zum Grünbuch „Erschließung desPotenzials der Kultur- und Kreativindustrien“ der Euro-päischen Kommission äußert. Darin heißt es:Die Attraktivität der Branche der Kultur- und Krea-tivwirtschaft kann auf Dauer nur gewährleistet wer-den, wenn die Einkommen der Künstlerinnen undKünstler und künstlerisch Kreativen angemessensind.Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen, dass dieseheute nicht angemessen sind und dass die Tendenz eherdahin geht, dass sie immer geringer werden, als dass sieangemessener werden. Insofern müssen wir stärker alsbisher an die Kreativen, die durch ihre Kultur unsereStädte attraktiv machen, denken.Deswegen stimmen wir der Entschließung ohne Wennund Aber zu; beim Antrag enthalten wir uns.Vielen Dank.
Jetzt spricht der Kollege Markus Tressel für
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich freue mich, dass wir heute wieder über das ThemaKulturtourismus diskutieren. Er ist wichtig für die kultu-relle und touristische Entwicklung Deutschlands. Des-halb freue ich mich ganz besonders, dass wir heute aufeiner weitgehend gemeinsamen Basis diskutieren kön-nen. Das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich beto-nen.
In einem Punkt waren wir uns ja auch schon im Fe-bruar einig: Deutschland muss die Synergien von Touris-mus und Kultur stärker nutzen. Das ist nicht nur ökono-misch folgerichtig, sondern auch kulturell. Deshalb – daskann ich für meine Fraktion sagen – haben wir uns, ge-meinsam auch mit den Sozialdemokraten, bemüht, dieinterfraktionellen Verhandlungen über einen gemeinsa-men Antrag positiv abzuschließen. Ich glaube, man kannmit Blick auf das heute vorliegende Papier sagen: DasEaawdggBmIcsSsLruDgsbwbParidsualesevstezAicpemnwssVAliu
llerdings, liebe Kolleginnen und Kollegen, befürchteh, dass das trotz dieses Antrages an einigen Stellenassieren wird.Die Kollegin Schmidt hat in diesem Zusammenhanginen Bereich angesprochen, auf den auch ich eingehenöchte: das UNESCO-Welterbeprogramm. Wir könnenicht auf der einen Seite im Antrag festschreiben, dassir unsere Welterbestätten ausbauen bzw. entsprechendchützen wollen, und auf der anderen Seite zugleich die-es wichtige Programm auslaufen lassen. Eine solcheorgehensweise läuft einer zentralen Forderung diesesntrages zuwider. Das finde ich außerordentlich schade.
Wir brauchen also – das zeigt dieses Beispiel – deut-ch mehr Konsequenz in der finanziellen Absicherungnserer kulturellen Schätze. Hier sind wir an einem zen-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7051
Markus Tressel
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tralen Punkt: Ohne diese Schätze und auch ohne ihrePflege gibt es keinen Kulturtourismus. Dass dieser zumErliegen kommt, wäre genau das Gegenteil von dem,was wir uns alle gemeinsam wünschen.Die Kreativwirtschaft wächst und wächst. Ihr weitererAusbau darf nicht an finanziellen Engpässen scheitern,weil sie für den Kulturtourismus wichtig ist. Deswegenist es an dieser Stelle wichtig, bestehende Förderinstru-mente der EU oder anderer offensiver an die Akteure he-ranzutragen. Wir freuen uns darüber, dass wir das in demgemeinsamen Antrag verankern konnten und damit eineBresche dafür schlagen konnten, dass die Arbeit dortverbessert werden kann.Summa summarum: Wir haben festgestellt, dass ge-meinsam vieles besser geht, auch wenn es an einigen Stel-len noch mehr Klarheit bräuchte. Ich glaube, mit dem Er-gebnis der gemeinsamen Arbeit können wir trotzdemzufrieden sein. Hier geht es um ein Zeichen an die Länderund Kommunen. Kulturtourismus ist eine Chance. Aus-gaben in diesem Bereich lohnen sich, Einsparungen rä-chen sich. Nach diesem Prinzip sollten wir auch im Bundhandeln.Vielen Dank.
Christoph Poland hat jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vorab: Wir
haben einen gemeinsamen Antrag auf den Tisch gelegt,
der in sehr guten Verhandlungen zwischen CSU, CDU,
FDP, SPD und Grünen verhandelt worden ist. Auch Herr
Tressel hat dies betont. Aber, Frau Jochimsen, es geht
hier nicht um Kultursozialismus.
Wir mussten schon in den Antragsberatungen feststellen:
Sie sind bei Kultur immer nur dann dabei, wenn andere
dafür zahlen.
Noch heute ist wahr, was Adenauer einmal gesagt hat:
Alles, was die Sozialisten vom Geld verstehen, ist die
Tatsache, dass sie es von anderen haben wollen.
Ich werde Ihnen in meiner Rede einige Beispiele nen-
nen, die zeigen, wie Kulturtouristen auch durch die Ho-
telförderung angelockt werden, weil nämlich Hotels,
wenn sie klug sind, die Kostenersparnis an Touristen
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tellen Sie sich also bitte nicht hierhin und beklagen,
ass es keine gemeinsamen Anträge gibt. Sie schließen
ns grundsätzlich von fraktionsübergreifenden Anträ-
en aus – da können wir machen, was wir wollen –,
gal ob wir übereinstimmen oder nicht. Selbst wenn wir
nträge einbringen und Sie sie inhaltlich übernehmen
nd zu sogenannten interfraktionellen Anträgen machen,
erden wir ausgeschlossen. Sagen Sie also bitte nicht, es
abe keine Gemeinsamkeit gegeben; denn nach Ihrer
nsicht darf es überhaupt keine Gemeinsamkeit mit der
inksfraktion geben.
Frau Jochimsen, inhaltlich gibt es durchaus einigebereinstimmungen. Aber Sie haben sich von den Ver-andlungen selbst ausgeschlossen, indem Sie darauf be-tanden haben, dass es bei einem solchen Antrag immerm soziale Dinge gehen müsse.
ber das ist nicht der Inhalt dieses Antrags. Deswegenibt es keine gemeinsame Verhandlungsbasis.
Ich möchte Ihnen einige Beispiele aus meinem Wahl-reis nennen, die zeigen, wie man mit degressiver Förde-ng leben kann. Mit einer Anschubfinanzierung dertadt entstand der Ueckermünder Musiksommer auf
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Christoph Poland
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dem Ueckermünder Marktplatz; dies ist eine schöne Sa-che. Nach zwei Jahren hat sich das allein getragen. DieUnternehmen der Stadt zahlen die Ausgaben aus eigenerTasche, weil sie merken, dass diese touristische Attrak-tion ihnen nutzt.Ich nenne ferner das Kulturzentrum Alte Kachelofen-fabrik in Neustrelitz. Jedes Jahr wird das dazugehörigeKino von Bernd Neumann mit einem Preis ausgezeich-net. Das angeschlossene Öko-Hotel strahlt weit über dieGrenzen der Stadt hinaus. Oder nehmen Sie die Aktion„Mecklenburgische Seenplatte wasserREICH – barriere-ARM“. Hier weisen wir Multiplikatoren darauf hin– dies haben wir auch in dem Antrag festgehalten –, wiewir dem Ruf nach Barrierefreiheit gerecht werden.Für den Kulturtourismus gilt: Großstädte und Klein-städte sowie ländliche Räume profitieren von der zuneh-menden Nachfrage. Ich habe hierzu ein Beispiel für Ber-lin herausgesucht. Letztens hat die Zeitung Die Welt vonwunderbaren Zahlen berichtet: Allein im Jahr 2008 hatder Tourismus in Berlin 9 Milliarden Euro Umsatz er-zielt. Ein großer Teil der Besucher reist wegen der Kul-tur, der Theater, der Konzerte, der Schlösser und der Mu-seen hierher.
– Sicher auch wegen des Bundestages und des schönenRegierungsviertels. – Von den 9 Milliarden Euro ver-bleibt 1 Milliarde Euro im Stadtsäckel. Berlin hat einenKulturetat von 370 Millionen Euro. Unter dem Strichmuss die Stadt Berlin also nichts draufzahlen: Die Kulturrechnet sich von alleine.Sie haben schon im Zusammenhang mit unserem An-trag zur Kultur- und Kreativwirtschaft erfahren, dass dieKultur ein zuverlässiger Jobmotor ist. Ich will nur zweiZahlen nennen: Die Zahl der Arbeitsplätze ist hier in denletzten zehn Jahren um 3 Prozent gestiegen. WenigeBranchen sind so erfolgreich wie die Kulturwirtschaft.825 000 Beschäftigte werden zu diesem Bereich gezählt.Frau Jochimsen, die Beschäftigten können sich von ihrerArbeit ernähren; die meisten werden nicht schlecht be-zahlt. Die Kultur- und Kreativwirtschaft zieht mit derChemiewirtschaft gleich und übertrumpft die Automo-bilwirtschaft. Auch der Kulturtourismus profitiert vonder Kreativwirtschaft.Ich möchte einen Punkt aus dem Antrag hervorheben,der uns sehr wichtig war: bürgerschaftliches Engage-ment. Es gibt zwei Säulen, die den Kulturtourismus imWesentlichen tragen: die Wirtschaft sowie das bürger-schaftliche Engagement bzw. das Ehrenamt.Seit dem Jahr 2000 steigt die Zahl der Kulturreisen;das haben wir heute schon gehört. Laut World TravelMonitor ist die Zahl der Kulturreisen nach Deutschlandum 30 Prozent gestiegen. Es ist kein Wunder, dass daskulturelle Deutschland so beliebt ist. Ich weise in diesemZusammenhang nur auf die 33 UNESCO-Welterbestät-ten hin; wir haben vorhin davon gehört. Wir können vonder Küste bis zum Bodensee gehen, von der StralsunderAltstadt bis zur Klosterinsel Reichenau: Überall kom-men Menschen in unsere romantischen Städte und in dieseKDk–ndinmmosteCsSs2mwwdssRDtiDsimregzWaKdtu
Richtig! Danke für den Tipp. Ich wollte eigentlich garicht so heimatnah argumentieren. – Mein Beispiel istas Hans-Fallada-Haus in Carwitz. Nach der Aufnahmes Blaubuch haben sich dort Sponsoren und Unterneh-er gefunden, die die Einrichtung des Originalesszim-ers des Dichters Hans Fallada bezahlt haben. Das ginghne irgendwelches Geld von öffentlichen Stellen.Ich selbst lebe Kulturtourismus. Ich mache auch Ge-chenkreisen. Zum Beispiel fahre ich mit meinem Thea-rförderverein übernächste Woche für drei Tage nachhemnitz. Ich verschenke Reisen und fahre selber bei-pielsweise zu den Störtebeker-Festspielen oder zu denchlossgartenfestspielen. Oder nehmen Sie die Passions-piele in Oberammergau – ich war in diesem Jahr dort –:,5 Millionen Euro der Einnahmen bleiben in der Ge-einde. Die Friseure haben auch noch Hochkonjunktur,eil sie jetzt die Haare – die vielen „Jesus-Frisuren“erden nicht mehr benötigt – abschneiden. Wir habenie Nibelungen-Festspiele in Worms, die Musikfest-piele in Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Hol-tein und auf Usedom sowie das Weltmusikfestival inudolstadt.Ich möchte mit Augustinus enden:Die Welt ist ein Buch. Wer nie reist, sieht nur eineSeite davon.as ist ein guter Leitspruch für den Kulturtourismus.Vielen Dank.
Reiner Deutschmann hat das Wort für die FDP-Frak-
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenamen und Herren! Die Prognosen der Wirtschaftswei-en sagen der deutschen Wirtschaft in diesem und auch nächsten Jahr solide Wachstumszahlen voraus, wäh-nd andere Länder noch in starkem Maße mit den Fol-en der Wirtschafts- und Finanzkrise kämpfen. Gleich-eitig sinkt die Arbeitslosenquote auf den niedrigstenert seit Anfang der 90er-Jahre.Wenn man sich die Gründe für diesen Aufschwungnsieht, dann erkennt man, dass auch die Kultur- undreativwirtschaft zu diesem Erfolg beiträgt. Selbst iner jüngsten Wirtschaftskrise sank der Umsatz der Kul-r- und Kreativindustrie vergleichsweise nur leicht um
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7053
Reiner Deutschmann
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3,5 Prozent, während der Rückgang in der Gesamtwirt-schaft 8,5 Prozent betrug.
Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigtenist im letzten Jahr sogar um rund 24 000 auf 787 000 ge-stiegen.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich auch die Eu-ropäische Union der Erschließung dieses Potenzials an-nimmt. Schließlich arbeiten in der EU über 5 MillionenMenschen in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Damitleisten sie einen Beitrag zum EU-Bruttoinlandsproduktvon circa 2,6 Prozent.
Die Kultur- und Kreativindustrie hilft beim Struktur-wandel. Dort, wo alte Industrien niedergehen, blühenneue kreative Unternehmen auf. Das Ruhrgebiet als Kul-turhauptstadt – RUHR.2010 – zeigt, wie auch Kulturhelfen kann, den notwendigen Strukturwandel zu bewäl-tigen. Wir stehen in einem weltweiten Wettbewerb. GuteIdeen zu haben, war immer ein Standortvorteil Deutsch-lands. Aufstrebende Länder wie China und Indien haben,was Kreativität und Innovation angeht, inzwischen im-mer öfter die Nase vorn. Hier muss Europa wieder auf-schließen.
Das Grünbuch der Europäischen Union zur Erschlie-ßung des Potenzials der Kultur- und Kreativindustriendient der Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbe-dingungen. Ziel ist es, wichtige Triebkräfte zu unterstüt-zen und gleichzeitig Hemmnisse abzubauen. Das betrifftden Ausbau der Infrastruktur, zum Beispiel durch flä-chendeckende Versorgung mit Breitbandinternet sowohlim ländlichen als auch im städtischen Raum, genausowie die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle.
Hier leistet das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativ-wirtschaft des Bundes mit seinen acht Regionalbüroseine sehr wichtige Arbeit.Wir unterstützen mit unserem Entschließungsantragvom 7. Juli ausdrücklich die Initiative der EU-Kommis-sion. Das Potenzial der Kultur- und Kreativindustrien isteinfach zu groß und zu wichtig, als dass man diese Ent-wicklung dem Zufall überlassen sollte. Wir brauchenvielmehr einen systematischen Ansatz, um das Wachs-tum dieses Wirtschaftszweiges weiter zu befördern.Ohne Frage: Kreativität hängt auch immer von guterBildung ab. Das betrifft nicht nur die Naturwissenschaf-ten, sondern genauso den kulturellen Bereich. Auch hierist die Ebene der Europäischen Union noch stärker ge-fordert. Ohne Kreativität gibt es keine Innovationen, undohne Innovationen gibt es kein Wirtschaftswachstum.dgsKFkeDC„AmnsnsceDmhesztuKAfüEmpZ
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geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN„Kinder, Küche und Karriere“ – Vereinbar-keit für Frauen und Männer besser möglichmachen– Drucksache 17/3203 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Arbeit und SozialesEs ist verabredet, hierzu eine halbe Stunde zu debat-tieren. – Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch.Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeJörn Wunderlich für die Fraktion Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ein Intro zur Kinderbetreuung lasse ich ein-mal weg. Die Grünen werden da gleich sicher entspre-chende Ausführungen zu ihrem Antrag machen, welcherim Übrigen eine schöne Ergänzung unseres Antrags ist.
In unserem Antrag geht es darum, Rahmenbedingun-gen mit dem Ziel zu schaffen, Elternschaft lebbar zu ma-chen und den Bedürfnissen junger Familien besser zuentsprechen. Es geht um den Kündigungsschutz und umbessere Möglichkeiten des beruflichen Wiedereinstiegsmit anschließender Rücksicht auf die familiäre Situation.Weil im Regelfall alle Kinder mit sechs Jahren einge-schult sind, fordern wir, den Kündigungsschutz entspre-chend zu erweitern. Das ist der Kern unserer Aussagezum Kündigungsschutz.
Ich muss betonen, dass es nicht um eine sechsjährigeAuszeit geht, erst recht nicht nur von Müttern; wir redenvon Eltern. Dass die Berufsrückkehr ein wesentlicherPunkt ist, haben wir im Ausschuss schon mehrfach fest-gestellt. Es geht um eine entsprechende Qualifizierungfür den Wiedereinstieg in den Beruf. Wir alle wissendoch, dass der Wiedereinstieg, beispielsweise nach einerdreijährigen Pause, ausgesprochen schwierig ist.Die Förderung der Berufsrückkehr ist ein wesentli-cher Punkt unseres Antrags. Im Ausschuss ist schon vorlanger Zeit übereinstimmend festgestellt worden, dassdies der Knackpunkt ist, der geregelt werden muss. Des-halb soll der Anspruch auf berufliche Weiterbildungs-maßnahmen begründet werden. Darüber hinaus sollenEltern, welche Elternzeit nehmen, bei kurzer Vertre-tungszeit bevorzugt berücksichtigt werden, um den Kon-takt zum Betrieb aufrechtzuerhalten.Probleme mit dem Mehrschichtbetrieb greifen wir inunserem Antrag ebenfalls auf. Dazu – jetzt wird es inte-ressant – hat die CDU/CSU, namentlich Frau Dr. EvaMöllring, schon vor über anderthalb Jahren im Aus-schuss ausgeführt – ich zitiere –:ZaDsswbn–ddzaeIcsDgkDbegwKDmtinfrgzg
Getan hat sich allerdings in dieser Hinsicht nicht viel.ie Linke fordert deshalb erneut einen gesetzlichen An-pruch auf Teilzeit bzw. auf Normalschichtbetrieb. Die-en Problemen ist man seit Jahren noch nicht gerechtorden. Man kann doch nicht nur auf freiwillige Verein-arungen zwischen Betriebsrat, Belegschaft und Unter-ehmer setzen.
Nein, das kann man nicht, Frau Gruß. Sie verstehenas nicht. – Es gibt sicherlich etliche Betriebe, welcheas schon umsetzen, auch in Kenntnis der Tatsache, dassufriedene Arbeitnehmer einen geringeren Krankenstandufweisen und am Ende einer solchen Personalpolitikine sogenannte Win-Win-Situation steht.
h spreche von den Unternehmen, die einen Mehr-chichtbetrieb ohne Rücksicht auf Familien durchführen.as sind die Fälle, die einer gesetzlichen Regelung zu-eführt werden müssen.
Bereits vor über zwei Jahren haben wir von der Lin-en ähnliche Forderungen an die Regierung gestellt.iese wurden abgelehnt. Das Ergebnis Ihrer Politik isteschämend, wie wir alle dem Familienmonitoring 2010ntnehmen können. Diesbezüglich verhält sich die Re-ierung wie auch sonst. Am vorletzten Montag hattenir im Familienausschuss ein Expertengespräch zuminder- und Jugendbericht. Das Fazit der Experten war:ie Kinderarmut steigt seit Jahren, und die Regierungacht im Grunde nichts dagegen. – Bei der Arbeitssitua-on der Alleinerziehenden ist es ähnlich.Wir zeigen in unserem Antrag die flankierenden Maß-ahmen auf, die erforderlich sind, um eine familien-eundliche Politik in diesem Land zu betreiben. Unseht es um eine Politik für Familien, bei der der so oftitierte Dreiklang stimmt und nicht in einer schwarz-elben Kakofonie endet.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7055
Jörn Wunderlich
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Wir haben keine Erkenntnisprobleme. Die Regierunghat Umsetzungsprobleme. Das ist erstaunlich; denn siehat keine Umsetzungsprobleme, wenn es darum geht,das Elterngeld für Hartz-IV-Eltern anzurechnen; wirkonnten der heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitungentnehmen, dass die Argen schon entsprechende Be-scheide verschicken. Außerdem hat sie keine Umset-zungsprobleme, wenn es darum geht, Wasserwerfer ge-gen Kinder einzusetzen.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Dorothee Bär hat das Wort für die CDU/CSU-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für uns alsCDU/CSU-Bundestagsfraktion gemeinsam mit unseremKoalitionspartner, der FDP-Fraktion, ist der zentraleSchwerpunkt unserer Familienpolitik die nachhaltige Fa-milienpolitik, die wir seit einiger Zeit machen.
– Ich möchte jetzt nichts Beleidigendes sagen. Diejeni-gen, die es merken können, merken es auch, Herr Kol-lege Wunderlich.
Das kann natürlich nur im Zusammenspiel von fami-lienfreundlichen Arbeitsbedingungen und einer qualita-tiv guten sowie natürlich auch – das ist uns besonderswichtig – einer bedarfsgerechten Kinderbetreuung gelin-gen. Ich denke, darin stimmen wir mit den Antragsstel-lern überein. Wir alle wissen, dass junge Paare heutzu-tage verstärkt beides möchten. Sie möchten eine Familiegründen, Kinder bekommen und, wenn möglich, im Be-rufsleben – das gilt für beide – tätig sein. Deswegen hatdie unionsgeführte Bundesregierung bereits in der letz-ten Legislaturperiode den Anstoß für den massiven Aus-bau der Kinderbetreuungsplätze gegeben.An dieser Stelle unterscheiden wir uns nun in unserenAnsichten. Denn anders als die beiden Antragsteller sindwir fest davon überzeugt, dass das angestrebte Ausbau-ziel erreicht werden wird. Wir arbeiten die ganze Zeitdaran. Wenn man sich beispielsweise den ersten Evalua-tionsbericht zum KiföG anschaut, sieht man, dass unsdieser in unserer Zuversicht bestätigt. Deswegen kannich nicht verstehen, warum hier von den beiden Fraktio-nen, die Anträge gestellt haben, so viel Schwarzmalereibetrieben wird.–adWsDWEPPwliswvfüaD–VddbmelibHhtumaaEihlebkFshd
ie ist es denn in Ihrem Heimatland?Wir müssen konstatieren, dass die Vereinbarkeit vonrwerbsarbeit und Familie kein rein frauenspezifischeshänomen ist, auch wenn die Frauen die entsprechendenrobleme immer noch am drängendsten spüren. Elternollen neben dem Ausbau der Kinderbetreuung – natür-ch müssen Plätze vorhanden sein und muss die Qualitättimmen – vor allem in den ersten Jahren eines – dasird in Umfragen immer wieder bestätigt –: Sie wolleniel Zeit mit ihren Kindern verbringen. Das gilt nicht nurr Mütter, sondern, Gott sei Dank, im besonderen Maßeuch sehr stark für Väter.
as war ja nicht immer so.
Ja, das ist doch wunderbar. Ich freue mich, wenn Vätererantwortung übernehmen; Zeit ist nun einmal die mo-erne Leitwährung.
Dieser Bewusstseinswandel konnte sich nur langsamurchsetzen, weil vor allem viele Männer immer nocherufliche Nachteile fürchten, wenn sie sich für ihre Fa-ilie mehr Zeit nehmen wollen. Deswegen brauchen wirine Arbeitswelt, die den Müttern und den Vätern fami-enfreundliche Möglichkeiten bietet. Wir brauchen un-edingt auch einen Bewusstseinswandel in folgenderinsicht: Es sollen nicht ausschließlich diejenigen in hö-ere Positionen befördert werden, deren berufliche Leis-ng nach der Anwesenheit bemessen wird. Ich sprecheich gegen eine reine Anwesenheitskultur insofern aus,ls es nicht von großer Bedeutung sein sollte, dassbends um 22 Uhr in den Büros noch das Licht brennt.s darf nicht sein, dass diejenigen, die um 17 oder 18 Uhrr Kind aus einer Krippe, aus dem Kindergarten abho-n, bei Beförderungen übergangen werden. Diesem Pro-lem müssen wir uns stellen, darum müssen wir unsümmern. Es geht nicht nur darum, Vereinbarkeit vonamilie und Beruf herzustellen, sondern es geht auchehr stark darum, Vereinbarkeit von Familie und Karriereerzustellen. Das ist gerade für Frauen noch ganz beson-ers schwierig.
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7056 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010
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Frau Bär, würden Sie eine Zwischenfrage der Kolle-
gin Dittrich zulassen?
Nein. – Wir brauchen auch kein Gegeneinander als
Folge staatlichen Zwangs, wie er sich teilweise aus Ihren
Anträgen ergeben würde. Da ist die Linke wieder einmal
ganz vorne mit dabei, indem sie sagt, der Staat müsse je-
den strangulieren und immer alles regulieren. Wenn man
diesen Zwang einführen würde, würde man ganz be-
wusst in Kauf nehmen, dass am Ende weniger Arbeits-
plätze zur Verfügung stehen als vorher.
Es muss doch jedem klar sein, dass es viel wichtiger
ist, für beide Seiten diesen Nutzen herauszuarbeiten. Für
eine Firma ist es natürlich viel besser, wenn die Mitar-
beiter motiviert sind. Denn diejenigen, die zum Beispiel
zu Hause kleine Kinder haben, verrichten ihre Arbeit
wesentlich glücklicher, weil sie wissen, dass sie einen
Chef oder – das wäre auch einmal schön – eine Chefin
haben, der oder die sich kümmert und sagt: Ich akzep-
tiere das, du kannst selbstverständlich um 17 Uhr gehen;
denn ich weiß, du erledigst dieselbe Arbeit wie die, die
länger bleiben. – Wenn ich diesen Firmen sagen würde,
dass wir diesen staatlichen Zwang einführen, würde ich
genau das Gegenteil erreichen. Da tragen auch die Tarif-
partner Verantwortung. Das haben die Grünen, Gott sei
Dank, in ihrem Antrag erkannt.
Wir haben schon einiges getan. Mit der „Allianz für
die Familie“ und dem Unternehmensprogramm „Er-
folgsfaktor Familie“ hat das Familienministerium ge-
meinsam mit den Spitzenverbänden der deutschen Wirt-
schaft und den Gewerkschaften ein ganz konkret und
praxisnah arbeitendes Forum geschaffen. Ergänzt wird
das Ganze durch die „Lokalen Bündnisse für Familie“,
in denen sich die Akteure vor Ort ebenfalls um familien-
freundliche Arbeitsbedingungen kümmern.
Alle Beteiligten sind sich darin einig, dass sich Fami-
lienbewusstsein in Unternehmen nicht nur für die Fami-
lien auszahlt, sondern auch für die Betriebe selbst. Das
ist auch ein Wettbewerbsvorteil. Diejenigen Unterneh-
mer, die ganz bewusst auf Familien und Eltern junger
Kinder setzen, wissen, was für ein wahnsinniges Organi-
sationstalent sie sich damit zusätzlich einkaufen. Das
muss ein großer Vorteil und darf kein Nachteil sein. Hier
müssen auch die Kommunen mit ins Boot geholt wer-
den. Denn dieses Thema betrifft nicht nur den Bund und
die Länder, sondern auch die Kommunen. In den Kom-
munen müssen allerdings die richtigen Prioritäten ge-
setzt werden.
Frau Kollegin Ernstberger, manche Kommunen in
Oberfranken, zum Beispiel Gemeinden mit 1 000 Ein-
wohnern, schaffen es, von 6 Uhr früh bis 22 Uhr abends
Kindergartenplätze anzubieten, weil es dem Bürgermeis-
ter vor Ort wichtig ist und die richtigen Rahmenbedin-
gungen gesetzt werden. Die Vereinbarkeit von Familie
und Erwerbsarbeit ist von elementarer Bedeutung. In
dem gerade geschilderten Fall hat der Freistaat Bayern
übrigens unbürokratisch gehandelt und die Kommune
unterstützt. Das meine ich, wenn ich sage, dass wir ein
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Zu Ihrer Information: An einer Verbesserung der Ver-inbarkeit von Familie und Beruf haben sich ganze Ge-erationen die Zähne ausgebissen. Meine sind, wie Sieehen können, noch drin.
er Verwirklichung Ihres Anspruchs stehen nicht nureinharte Unternehmensinteressen, sondern obendreinuch eingefahrene Rollenbilder entgegen. In Ihrem An-ag finde ich dazu gerade einmal drei Forderungen.rmselig ist das.Ich stimme Ihnen zu: Ein umfassender Kündigungs-chutz ist super. Aber er sollte, bitte schön, für alle El-rn gelten. Was, so frage ich Sie, nützt Eltern der vonnen geforderte Kündigungsschutz bis zur Vollendunges sechsten Lebensjahres des Kindes, wenn sie keinenicheren Job haben?
ie Hälfte der im letzten Jahr neu geschlossenen Ar-eitsverträge war befristet.
rauen und junge Männer sind hiervon überdurch-chnittlich betroffen.
ir fordern deshalb: Schluss mit der sachgrundlosenefristung!
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Gabriele Hiller-Ohm
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Mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag in der Taschekönnen sich viele junge Männer und Frauen leichter fürKinder und Karriere entscheiden.Außerdem befinden sich Frauen, darunter zahlloseMütter, zunehmend in prekären Beschäftigungsverhält-nissen. Inzwischen haben fast 5 Millionen Frauen einenMinijob. Insgesamt ein Drittel aller erwerbstätigenFrauen arbeitet für einen Niedriglohn.
Eine Familie ernähren kann man davon nicht; das leuch-tet allen ein.
Über 600 000 Familien sind auf aufstockende Sozialleis-tungen angewiesen. Davon sind fast 40 Prozent Alleiner-ziehende. Meine Damen und Herren, das ist beschä-mend.
Wir fordern existenzsichernde Löhne und einen gesetzli-chen Mindestlohn, um diese Schieflage auf dem Arbeits-markt zu überwinden.
Warum schreiben Sie zu diesem Thema nichts in IhremAntrag?
– Bitte?
Frau Hiller-Ohm, möchten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Kurth zulassen?
Auf gar keinen Fall.
– Herr Kollege, Sie haben doch gar keinen Antrag einge-
bracht. Warum wollen Sie dann eine Frage stellen?
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ich fürchte,
mit Ihrer Forderung nach einem Kündigungsschutz für
Eltern kleiner Kinder bis zur Vollendung ihres sechsten
Lebensjahres erreichen Sie genau das Gegenteil von
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amit werden alte Rollenmuster zementiert. Wir fordern
in Entgeltgleichheitsgesetz, um diesen unhaltbaren Zu-
tand zu überwinden. Davon finde ich in Ihrem Antrag
ichts.
Außerdem sind wir Politikerinnen und Politiker in
und, Ländern und Kommunen gefordert, die Grundla-
en für einen gleichberechtigten Zugang zur Arbeitswelt
u schaffen. Meine Partei setzt sich seit Jahren für ver-
esserte Betreuungsstrukturen ein.
Wir haben das Recht auf einen Kinderbetreuungsplatz
b dem ersten Lebensjahr durchgefochten. Wir wollen
ieses Recht zu einem Recht auf Ganztagsbetreuung
usweiten, für Alleinerziehende ab sofort.
Wir haben ein 4-Milliarden-Euro-Programm zum Aus-
au der Ganztagsschulen auf den Weg gebracht. Diese
nstrengungen müssen wir gerade jetzt fortsetzen. Sie
on der FDP sollten sich dem anschließen.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.
Ihr Antrag, Kolleginnen und Kollegen der Linken,
ird seinem Titel, dem wichtigen Thema „Arbeit famili-
nfreundlich gestalten“, nicht gerecht. Das ist eigentlich
chade.
Miriam Gruß hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion.
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7058 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Ich freue mich, auch in dieser Woche wiederüber Themen debattieren zu dürfen, die uns gerade alschristlich-liberaler Koalition sehr am Herzen liegen. DieVereinbarkeit von Beruf und Familie spielt auch in unse-rer Koalition eine ganz große Rolle.
Im Gegensatz zu Ihnen von der SPD tun wir sehr viel da-für. Sie hätten in den letzten elf Jahren Ihrer Regierungs-beteiligung die Chance dazu gehabt, haben aber wenig indieser Richtung unternommen.
Wir hingegen setzen auf den klassischen Dreiklang.Die Familien brauchen Zeit, Geld und Infrastruktur. Wirwissen, dass wir einen anderen Ansatz haben, den Fami-lien das zu geben, was sie brauchen.Sie nehmen den Familien erst einmal das Geld weg,schicken es durch einen gigantischen Umverteilungsme-chanismus und geben es großgönnerhaft wieder aus.
Sie versuchen bei jeder Gelegenheit, Ihren ständigenForderungen nach einem Mindestlohn Gehör zu ver-schaffen. Aber ein Mindestlohn bringt nichts, wenn dieFamilien danach keinen Arbeitsplatz mehr haben, weilein Mindestlohn eingeführt wurde.
Aber wir als schwarz-gelbe Koalition verzeichneneine Arbeitslosigkeit, die so niedrig wie nirgendwo sonstin Europa ist. Wir haben einen wirtschaftlichen Auf-schwung, der international spitze ist.
Durch Ihre Regierungsbeteiligungen in den letztenJahren haben wir ein Gebilde bekommen, das europa-weit auch spitze ist. Wir geben unheimlich viel Geld fürdie Familien aus, stellen aber fest, dass es nicht zielge-nau ankommt. Deswegen setzen wir weiterhin darauf,dass die familienpolitischen Leistungen evaluiert werdenmüssen, um zu erreichen, dass sie tatsächlich bei den Fa-milien ankommen.
Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie funktioniertheutzutage doch schon in den meisten Unternehmen.Wir kennen viele Unternehmen, in denen das bereits ge-lebt wird. Das ist nicht nur bei Großkonzernen, die ichausdrücklich loben möchte, der Fall, wie bei der Deut-sdlinmrueanmDte–WgruzWmWFAbIcsruksHFdFWBeresh
Ich weiß nicht, in welcher Welt Sie leben, aber in derelt, in der ich lebe, funktioniert es und wird es bereitselebt.
Ein weiteres Merkmal dieser schwarz-gelben Regie-ng ist es, insbesondere auch die Männer ins Blickfeldu nehmen.
ir wollen nicht sagen, dass Frauen keine Förderungehr bräuchten. Wir wissen um die Entgeltungleichheit.ir wissen auch um einen möglichen Karriereknick beirauen, wenn sie beispielsweise ein Kind bekommen.ber wir wollen auch bewusst Männern die Chance ge-en, Familienzeit zu nehmen.
h weiß, wovon ich rede. Bei mir zu Hause ist es bei-pielsweise inzwischen so: Mein Mann ist aus dem Be-f ausgestiegen, und wir leben das Modell. – Von daherann ich Ihnen nur sagen: Es wird in Deutschland inzwi-chen gelebt.
ier bringen neue Gesetze nichts, sondern wir brauchenamilienfreundlichkeit, die gelebt wird. Darauf setztiese schwarz-gelbe Regierungskoalition.
Die Infrastruktur ist natürlich wichtig. Wir wissen, dieamilien müssen entsprechende Möglichkeiten haben.ir als Staat sorgen auch für diese Möglichkeiten. Frauär hat bereits darauf hingewiesen, dass wir es in Bay-rn bereits bis 2012 schaffen, dass es einen durchsetzba-n Rechtsanspruch geben wird. Auch diese Koalitionetzt darauf, dass wir die Infrastruktur verbessern.Gerade heute können Sie vom Familienministeriumören, dass wir 4 000 neue Erzieherstellen schaffen. Ge-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7059
Miriam Gruß
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rade in sozialen Brennpunkten wollen wir den Betreu-ungsschlüssel verbessern, weil wir als schwarz-gelbeKoalition wissen: Die Infrastruktur ist das eine, die Qua-lität ist das andere. – Ein besonderer Ausdruck von Qua-lität ist natürlich ein besserer Betreuungsschlüssel. Da-rauf setzen wir, und dafür nehmen wir auch Geld in dieHand.
Ganz nebenbei sind wir die erste Koalition, die dieBildung massiv fördert: angefangen bei der frühkindli-chen Bildung bis hin zur weiterführenden Bildung undzu den Hochschulen. Wir nehmen dafür insgesamt12 Milliarden Euro in die Hand und sind damit bei denBildungsausgaben zum ersten Mal spitze in Europa. Wirwollen die OECD-Bedingungen hier erfüllen, und wirwerden sie auch erfüllen. Wir sagen: Auch in Zeitensparsamer Haushalte investieren wir da, wo es nötig unddringend geboten ist, also da, wo sich jeder Cent, denwir ausgeben, später tausendfach auszahlt.Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie haben ander Stelle nichts zu bieten.
Wir handeln, und wir investieren insbesondere in dieBildung und in die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.Damit sind wir spitze.Vielen Dank.
Jetzt hat Katja Dörner für Bündnis 90/Die Grünen das
Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! DieBundesfamilienministerin, die heute leider nicht hier ist,hat im August den schönen Satz „Zeit ist die Leitwäh-rung moderner Familienpolitik“ geprägt.
Ich finde diesen Satz richtig. Das Problem ist nur undFakt ist auch: Diese Bundesregierung ist ausgesprochengeizig, wenn es um diese Leitwährung geht.
Ich nenne Ihnen ein Beispiel: das Teilelterngeld.Wenn heute beide frischgebackenen Elternteile nach derGeburt eines Kindes in Teilzeit arbeiten, dann verlängertsich der Bezugszeitraum des Elterngeldes eben geradenicht. Verglichen mit einem Paar, bei dem ein Elternteilzu Hause bleibt und der andere weiter Vollzeit arbeitet,bekommen diese Eltern insgesamt also weniger Eltern-guwfaeseMwsekBGsnIcnedliDgKsdadgeSindhb
Diese richtige Idee hatte die Ministerin ja auch schoninmal, aber wie fast alle anderen familienpolitischenaßnahmen, die groß im Koalitionsvertrag angekündigtaren, ist auch das auf den Sankt-Nimmerleins-Tag ver-choben worden. Damit die Ministerin mit „mehr Ver-inbarkeit“ einmal ernst machen könnte, dürfte sie ebeneine Ankündigungsministerin bleiben.
Es ist absolut richtig: Für eine gute Vereinbarkeit voneruf und Familie braucht man Zeit, Infrastruktur undeld.Thema Infrastruktur. Beim Ausbau der Kindertages-tätten und der Ganztagsschulen sind wir eben nochicht so weit gekommen, wie hier immer postuliert wird.h fordere die Bundesregierung auch an dieser Stelle er-eut auf, endlich eine solide und ordentliche Bedarfs-rhebung zu machen.Frau Bär, es geht nicht darum, dass wir nicht glauben,ass man das bis 2013 für 35 Prozent der Kinder tatsäch-ch schaffen kann.
as haben wir nie gesagt. Wir haben immer gesagt: Wirehen davon aus, dass es auch mehr als 35 Prozent derinder sein können. Darüber machen Sie sich offen-ichtlich keine Gedanken;
enn es ist kein Geld dafür da, falls es für mehr Kinderls für diese 35 Prozent einen Bedarf gibt. Das ist ebenas, was wir kritisieren. Deshalb und doch nicht auf-rund dessen, was Sie hier gesagt haben, brauchen wirine Bedarfserhebung.
chon heute, im Oktober 2010, ist das Sondervermögen NRW überzeichnet.Ich stimme meinen Vorrednern auch völlig zu, dass esringend notwendig ist, endlich den Rechtsanspruch da-in gehend zu erweitern, dass er auch für die Ganztags-etreuung gilt.
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7060 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010
Katja Dörner
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Eltern brauchen, bezogen auf ihren Arbeitsplatz,mehr Verlässlichkeit und Planungssicherheit. Nach derElternzeit in erzwungener Teilzeit und auf einer wenigqualifizierten Stelle stecken zu bleiben, das ist ein realerErfahrungswert vieler junger Eltern, insbesondere vonMüttern. Deshalb ist es absolut überfällig, das Recht aufTeilzeit, das wir heute schon im Teilzeit- und Befris-tungsgesetz verankert haben, um ein Rückkehrrecht aufeine Vollzeittätigkeit zu ergänzen.
Den Vorschlag der Linken, den Kündigungsschutz aufden Zeitraum bis zur Vollendung des sechsten Lebens-jahres eines Kindes auszuweiten, müssen wir aus unsererSicht durchaus kritisch diskutieren; denn wir wollennicht, dass es letztlich dazu kommt, dass junge Elterneher weniger eingestellt werden. Ich glaube, das ist einProblem, das man ernsthaft diskutieren muss. Wenn esdazu käme, dann ist eben niemandem gedient.Ich denke, wir müssen tatsächlich noch grundlegen-der ansetzen; das ist schon angesprochen worden. Wennwir zur Kenntnis nehmen, dass mehr als die Hälfte derLeiharbeiter und Leiharbeiterinnen Menschen unter36 Jahre sind, und wenn wir wissen, dass zwei Drittelder Leute um die 30 sich von einem befristeten Job zumnächsten hangeln, dann sehen wir, dass die Herausforde-rungen an die Politik deutlich größer sind als das, wasdie Regierungskoalition sich anzupacken traut.
Die Forderungen, die aktuell im Ausschuss für Arbeitund Soziales diskutiert werden, nämlich die sachgrund-lose Befristung und die Befristung auf Probe abzuschaf-fen, halte ich – auch im Zusammenhang mit unsererheutigen Debatte – für ausgesprochen wichtig und viel-versprechend.
Ich bin gespannt auf die Beratungen in den Ausschüs-sen. Ich hoffe doch, dass die Bundesregierung endlichvon der reinen Ankündigungspolitik wegkommt undsich aufmacht, tatsächlich Maßnahmen zu ergreifen.Vielen Dank.
Jetzt hat Nadine Schön für die CDU/CSU-Fraktiondas Wort.
Nadine Schön (CDU/CSU):Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Vier von fünf Arbeitnehmern können sichvufrhtiDShFbaFaZvdDfrtedMeglikgtrdbaIcwncKuFunhMoaawgd
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7061
Nadine Schön
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Hören Sie auf mit den Kassandrarufen! Das bringt kei-nem etwas. Das Ziel ist klar. Der Weg ist klar. Die Situa-tion wird von Monat zu Monat besser. Liebe Kollegen,ich glaube, darauf können wir stolz sein.
Allein mit einer guten Betreuungsinfrastruktur ist esallerdings nicht getan. Echte Familienfreundlichkeit gehtdarüber hinaus. Echte Familienfreundlichkeit bedeutet,die individuelle Situation des Arbeitnehmers in denBlick zu nehmen. Dazu gehört, dass Babypausen undPflegezeiten gemeinsam organisiert werden. Dazu gehö-ren Fortbildungsangebote während der Elternzeit undHilfen beim Wiedereinstig. Dazu gehören auch bisherunübliche Arbeitszeitmodelle wie die 30- oder 35-Stun-den-Woche. Hier ist Kreativität von Unternehmen undMitarbeitern gefragt.Meine Kollegin Dorothee Bär hat bereits auf das Un-ternehmensnetzwerk „Erfolgsfaktor Familie“ hingewie-sen. Darin gibt es kreative Ansätze von Telearbeit biszum Eltern-Kind-Büro, die übrigens auch in unserenMinisterien intensiv umgesetzt werden. Maßgeblichsind, denke ich, die Kreativität und Kompetenzen derMenschen und die Initiativen in den Betrieben. Sozialis-tisch anmutende Zwänge wie ein sechsjähriges Kündi-gungsverbot brauchen wir nicht, liebe Kollegen der Lin-ken.
Es ist wichtig, dass wir die Strukturen ändern. Nochviel wichtiger ist aber, dass sich in den Köpfen etwas än-dert. Solange in unseren Betrieben noch eine Anwesen-heitskultur vorherrscht und man ab einer gewissenEbene schief angeschaut wird, wenn man um 17 Uhr dasBüro verlässt, solange Elternzeit von Männern belächeltwird, so lange wird sich nichts Entscheidendes ändern.Hier lohnt sich ein Blick über die Grenze, um zu se-hen, was möglich ist. Versuchen Sie einmal, in Norwe-gen um 18 Uhr ein Meeting zu vereinbaren. KeineChance: Um 17 Uhr fällt dort der Hammer. Dann wirdder PC heruntergefahren, und dann werden erst einmaldie Kinder von der Kita abgeholt. Es ist aber durchausüblich, den Laptop um 22 Uhr wieder einzuschalten. Dasist uns noch ziemlich fremd, aber ich denke, es ist eingutes Beispiel. Familienfreundlicher als unser System istdas allemal. Wir können uns dort ruhig etwas abschauen.Familienfreundlichkeit muss vorgelebt werden. Vorein paar Tagen habe ich mit einem jungen Mann gespro-chen, dessen Chef ein halbes Jahr Elternzeit nimmt. Alsseine Freundin davon erfahren hat, wollte sie wissen, obauch er sich das vorstellen kann. Er hat erzählt, dass erzuerst geschluckt hat. Dann hat er aber erlebt, dass seinChef die Elternzeit als bereichernd empfunden hat unddass es kein Problem mit der weiteren Berufskarrieregab. Dann ist ihm die Antwort nicht mehr schwergefal-len.trmddIchkJdKFanDRbsreBgkvvsZNdrewnmArimmIcweFdVteg
Nicht dass Sie denken, Sie könnten jetzt schon gehen.
etzt hat nämlich Stefan Schwartze für die SPD-Fraktion
as Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebeolleginnen und Kollegen! Bei der Vereinbarkeit vonamilie und Beruf ist in den letzten Jahren das eine oderndere erreicht worden. Immer mehr Menschen erken-en, wie wichtig das Thema für unsere Gesellschaft ist.afür waren viele Entscheidungen grundlegend: derechtsanspruch auf die Betreuung ab dem ersten Le-ensjahr und das Elterngeld, das dazu geführt hat, dassich jetzt ein Viertel der Väter Zeit für die Betreuung ih-r Kinder nimmt. Damit wurde die partnerschaftlicheetreuung massiv gestärkt.In manchen Chefetagen hat sich auch die Einstellungeändert, aber hauptsächlich deswegen, um den Fach-räftebedarf zu sichern. Bis zur wirklichen Vereinbarkeiton Familie und Beruf liegt aber noch ein weiter Wegor uns.Unser Ziel ist es, dass Paare sich wirklich partner-chaftlich um Erziehung oder Pflege kümmern. Unseriel ist es, dass arbeitende Mütter und betreuende Väterormalität werden.Wer wissen will, wie die Lebenswirklichkeit aussieht,er muss nur einmal mit den Menschen in den Betriebenden. Wie ist die Reaktion des direkten Vorgesetzten,enn sie ihm erklären: „Das Projekt kann ich nicht über-ehmen; ich gehe in Elternzeit“? Wer hat sich schon ein-al mit dem Chef darüber unterhalten, dass er flexiblererbeitszeiten braucht, weil er pflegebedürftige Angehö-ge zu Hause hat? Haben Sie den Kollegen schon ein-al erklärt, dass Sie dienstags immer vertreten werdenüssen, weil Sie das Kind vom Sport abholen müssen?h glaube, bei diesen Fragen erfährt man ganz schnell,ie die Lebenswirklichkeit in den Betrieben aussieht,ine Lebenswirklichkeit, unter der ganz besondersrauen zu leiden haben. Sie werden in Teilzeitarbeit ge-rängt und verlieren dadurch jede Aufstiegsperspektive.iele finden nach der Erziehung der Kinder keinen fes-n Arbeitsplatz mehr und landen in prekärer Beschäfti-ung. Das ist auch ein wesentlicher Grund dafür, dass
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7062 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010
Stefan Schwartze
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Frauen im Schnitt 23 Prozent weniger verdienen alsMänner.Ganz wichtig für die Vereinbarkeit von Familie undBeruf ist der Ausbau der Kinderbetreuung. Aber eben-falls ganz wichtig ist es, die Zeit zu haben, sich um pfle-gebedürftige Angehörige zu kümmern.
Die Pflege von Angehörigen beansprucht die Menschenoft viel mehr als die Kinderbetreuung. Auch für diePflege gilt es bei diesem Thema Antworten zu finden.Das ist ein Bereich, der uns in den vorliegenden Anträ-gen noch nicht deutlich genug herausgestellt ist und überden wir in den Ausschussberatungen weiter diskutierenwerden. Wir warten auf das angekündigte Eckpunktepa-pier der Ministerin Schröder zur Pflegezeit. Auch hier istes bisher bei der Ankündigung geblieben. Alles, was bis-her dazu aus dem Ministerium zu hören war, ist mehr alsenttäuschend.Wir brauchen für die Vereinbarkeit von Familie undBeruf flexiblere Arbeitszeiten. Wir brauchen eine ausrei-chende Infrastruktur, die den Eltern eine wirkliche Wahl-freiheit gibt und die den Rechtsanspruch auf Betreuungwirklich umsetzt. Die Partnermonate beim Elterngeldsind auszubauen, und der doppelte Anspruchsverbrauchbei gleichzeitiger Elternteilzeit ist abzuschaffen.
Hier wird stattdessen das Elterngeld für ALG-II-Emp-fänger gestrichen. – Das sind nur einige Punkte.Unser Ziel ist es, die alte Rollenverteilung zwischenMann und Frau zu überwinden.
Wir brauchen echte Partnerschaftlichkeit sowie Zeit fürKinder und Pflege. Wir scheitern, wenn Schwarz-Gelbdas alte Rollenbild durch die Einführung des Betreu-ungsgeldes zementiert.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/3189 und 17/3203 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
ist das so beschlossen.
Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 31 sowie Zu-
satzpunkte 9 und 10 auf:
31 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und der FDP
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7063
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dung. Wir würdigen diese und nehmen sie als ein Zei-chen Serbiens auf dem Weg zu Europa, das wir aus-drücklich begrüßen.
Wir können aber auch, liebe Kolleginnen und Kolle-gen, an diesem Beispiel erstmals – ich sage bewusst„erstmals“ – Handlungsfähigkeit der EuropäischenUnion in außerpolitischen Dingen konstatieren. Eineübereinstimmende gemeinsame Aktion von Außen-minister Westerwelle, Herrn Feith und Frau Ashton hatdazu geführt, dass Serbien diesen wichtigen Schritt ge-gangen ist. Ich möchte dem Außenminister ganz, ganzherzlich für diese Initiative danken.
Meine Damen und Herren, es gibt eine weitere guteNachricht aus Serbien, die viele von uns nicht wahrneh-men: Serbien hat eine außerordentlich effiziente Admi-nistration und ist besser als viele andere Länder in derLage, den Beitrittsprozess schnell und effizient abzu-wickeln. Das ist nicht überall der Fall. Auch das nehmenwir sehr, sehr gern zur Kenntnis.Nachdem nun Serbien diesen Schritt gemacht hat, istes an uns, an den Europäern, auch einen weiteren Schrittzu gehen. Deshalb haben wir diesen Antrag gestellt. DieAnträge der Kolleginnen und Kollegen der anderenFraktionen haben denselben Sinn.Wir müssen dazu sehr deutlich sagen: Es handelt sichum ein schrittweises Vorgehen. Jetzt geht es um den ers-ten Schritt, nämlich die Weiterleitung an die EuropäischeKommission. Dann kommt der zweite Schritt, nämlichdie Beimessung eines Kandidatenstatus für Serbien. Unddann kommt der dritte Schritt, die Aufnahme von Bei-trittsverhandlungen. Die beiden anderen Schritte liegenjetzt noch vor uns, zuerst muss der Europäische Rat denersten Schritt gehen.Bei diesem Prozess wird die Europäische Union ganzgenau hinschauen. Die Europäische Union und wir alle,meine Damen und Herren, werden genauer hinschauenals bei früheren Beitrittsprozessen. Das mag nicht ge-recht sein; aber wir müssen aus den Beitrittsprozessenlernen. Wir möchten unter allen Umständen vermeiden,dass Probleme wie die, die wir mit Zypern, zum Teil mitRumänien und Bulgarien, aber auch in Bezug auf denGrenzkonflikt zwischen Slowenien und Kroatien hatten,noch einmal auftreten.
Wir möchten vermeiden, dass ungelöste Probleme in dieEU hineingetragen werden. Deshalb werden wir genauerhinschauen. Jeder in Serbien, Herr Botschafter, muss dasverstehen, so schmerzhaft es eventuell auch sein mag.Meine Damen und Herren, mit unserem Antrag bür-den wir Serbien keine neuen Bedingungen auf. Die Be-dingungen sind klar. Außenminister Westerwelle hat essehr deutlich gesagt: Die Grenzen des Balkans sind ge-zogen. Damit ist ein Datum gesetzt, über das wir nichthinweggehen wollen und können. Wir wollen es auchnicht, wir wollen das als Datum sehen. Serbien ist will-kBdgfomhnBszBtrteSbbaistrvliDkhbhzGIcmabmSakafe
Frau Beck – ich schätze Sie außerordentlich; wir ar-eiten sehr eng zusammen –, im Antrag der Grünen kannan ein häufiges Phänomen entdecken: Ganz egal, wasie machen, es muss der Name Bosnien-Herzegowinauftauchen.
Herr Kollege Stinner, könnten Sie Ihre Sympathieer-lärungen für eine einzelne Kollegin – sie finden leiderußerhalb Ihrer Redezeit statt – vielleicht einem vertie-nden privaten Gespräch anvertrauen?
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7064 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010
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Ja, das mache ich ausführlich, Herr Präsident.
Lassen Sie mich abschließend sagen, dass wir aus
Gründen der Nichtfokussierung auch diesen Antrag ab-
lehnen müssen. Ich fordere Sie auf und wünsche mir,
dass Sie dem sehr guten Antrag der Union und der FDP
heute zustimmen. Wir sind uns alle einig. Lassen Sie uns
das gemeinsam zum Ausdruck bringen. Dann geht vom
heutigen Nachmittag eine gute Botschaft aus.
Schönen Dank.
Nun hat der Kollege Günter Gloser für die SPD-Frak-
tion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Serbiens Wunsch, auf dem Weg zu einer Voll-mitgliedschaft in der Europäischen Union voranzukom-men, hat – dieses Signal der SPD-Fraktion, sehr geehrterHerr Botschafter, können Sie aufnehmen – unsere volleUnterstützung. Die Europäische Union hat auf ihremWestbalkan-Gipfel in Thessaloniki 2003 allen Staatendes westlichen Balkans eine europäische Perspektiveversprochen. Serbien hat seither in der Tat eine bemer-kenswerte Entwicklung gezeigt, die unsere Anerken-nung verdient.Die nationalistische Politik Milosevićs und derenVollstrecker Karadzić und Mladić haben tiefe Spuren inSerbien, aber auch in den Nachbarländern hinterlassen.Unsere Politik muss darauf abzielen, die vorhandenenWunden zu heilen und alles zu tun, damit sich solcheTragödien nicht wiederholen.Was aber ist die richtige Politik gegenüber Serbien?Ich will Ihnen dazu zwei Beispiele nennen.Erstens. Richtige und erfolgreiche Politik der Euro-päischen Union war es, im Jahre 2008 das Stabilisie-rungs- und Assoziierungsabkommen gegen starke Be-denken einiger, wenn auch weniger EU-Mitgliedstaatenzu unterzeichnen; denn damit wurde zwei Wochen vorden serbischen Wahlen ein klares Zeichen für einen eu-ropäischen Kurs Serbiens gesetzt. Die Wählerinnen undWähler in Serbien haben das verstanden und ihrerseitseine proeuropäische Regierung gewählt. Im Dezem-ber 2009 hat die Regierung in Belgrad einen Antrag aufEU-Mitgliedschaft gestellt. Diese Entwicklung zeigt,dass die Entscheidung von 2008 kein gefährliches Ein-knicken der Europäischen Union war, sondern das rich-tige Zeichen zur richtigen Zeit. Das ist auch ein Belegdafür, dass die Europäische Union als Ganzes hand-lungsfähig sein kann, wenn es darauf ankommt.Zweitens. Der Internationale Gerichtshof hat in einemGutachten festgestellt, dass die Unabhängigkeitserklä-rung des Kosovo nicht gegen internationales Recht ver-stößt. Serbien wollte daraufhin zunächst im Rahmen derVereinten Nationen Neuverhandlungen über den Statusdes Kosovo fordern. Die Europäische Union hat aber er-redisisps–ngmmregtiUddgtaSbastosGslädcazgESadDFdkdfüMssndte
Meine Damen und Herren, sprechen wir noch einmaleutlich von den Interessen der Europäischen Union undeutschlands in diesem Fall. Unser erstes Interesse istrieden und Sicherheit in unserer Nachbarschaft. Weilie Länder des westlichen Balkans inzwischen eine En-lave mitten in der Europäischen Union bilden und weilort noch vor kurzem blutige Kriege stattfanden, gilt dasr Serbien und seine Nachbarn in ganz besonderemaße.Wenn es um die Nachbarschaft von Serbien und Ko-ovo geht, sollte der Vorschlag des ehemaligen Bot-chafters Ischinger aufgegriffen werden. Ischinger erin-erte an den Grundlagenvertrag zwischen den beideneutschen Staaten von 1972. Dieser hatte seinerzeit mit-n im Kalten Krieg eine pragmatische und wirksame
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Günter Gloser
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Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutsch-land und der DDR möglich gemacht. Das sollte in naherZukunft in ähnlicher Weise auch für Serbien und Kosovomöglich sein.Wir haben ein großes Interesse an einer positivenwirtschaftlichen, aber auch gesellschaftlichen Entwick-lung in Serbien und der Region. Dort liegt nicht nur einbedeutendes Potenzial für die deutsche und die europäi-sche Wirtschaft. Besonders für das soziale Gefüge Euro-pas ist es von entscheidender Bedeutung, dass das ekla-tante Wohlstandsgefälle in Europa durch nachholendeEntwicklung gerade in Südosteuropa gemildert wird.Welche weiteren Mittel stehen uns zur Verfügung, umpositiv auf diese Entwicklung einzuwirken? Neben derDiplomatie und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit istes vor allem die Zusammenarbeit der Zivilgesellschaf-ten, die wir aktiv fördern müssen. Leider sollen an man-cher Stelle im Auswärtigen Amt Bereiche, die mit Kri-senprävention, kulturellem Austausch und Förderungvon zivilgesellschaftlichen Kontakten zu tun haben, eherreduziert als konzeptionell ausgebaut werden. Wir brau-chen mehr Jugendaustausch, mehr Studienstipendienund mehr Deutschunterricht in den zukünftigen EU-Mit-gliedstaaten. Wir brauchen auch mehr Kulturprojekte,die dem Austausch zwischen Deutschland und Südosteu-ropa Tiefe und den Beziehungen Belastbarkeit verleihen.Das wäre eine Aufgabe für das Auswärtige Amt: dieEntwicklung eines Konzeptes für einen neuen Stabili-tätspakt der Zivilgesellschaften in Südosteuropa.
Viele Vereine, Stiftungen, aber auch private Initiati-ven sind auf diesem Feld schon tätig. Unterstützen wirsie, ermutigen wir sie und binden wir sie ein in eine Stra-tegie für den gemeinsamen europäischen Weg Serbiensund der südosteuropäischen Staaten!Meine Damen und Herren, zum Schluss noch ein Zi-tat aus dem neuen Buch des britischen Historikers Timo-thy Garton Ash. Ursprünglich stammen diese Sätze ausder Schlussbetrachtung zu einem Aufsatz, den er im Jahr2000 geschrieben hat; jetzt hat er sie in einer Nachbe-merkung zu dem Buch aktualisiert. Ash sagt – ich zi-tiere; damit kein Missverständnis entsteht –:Ich stimme denen zu, die sagen, wir in Europa soll-ten uns das strategische Ziel setzen, alle Staaten deswestlichen Balkans einschließlich Serbiens undMontenegros bis zum 28. Juni 2014 zu Mitgliedernder Europäischen Union zu machen, dem hunderts-ten Jahrestag der Ermordung Erzherzog FranzFerdinands in Sarajevo, die das Fass zum Überlau-fen brachte und den Ersten Weltkrieg auslöste. Eswird sich zeigen, ob das heutige Europa zu einersolchen historischen Vorstellungskraft und strategi-schen Risikobereitschaft fähig ist.Dieses strategische Ziel – wenn auch vielleicht nichtmit dem im Zitat genannten Datum – hat sich die Euro-päische Union und haben sich viele Völker auf demwestlichen Balkan zu eigen gemacht. Wir sollten diesesstrategische Ziel unterstützen, auch wenn das ZieldatumhkCMtahkAHhMAUstrdDfrEeenStissktrreBDnstin
Roderich Kiesewetter ist der nächste Redner für die
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!eine sehr geehrten Damen und Herren! Unser Bundes-g hat schon eine beeindruckende Gabe, wesentlicheistorische Ereignisse mit aktuellen Debatten zu ver-nüpfen.
m 8. Oktober 1912 – Herr Sarrazin, Sie als angehenderistoriker werden das wissen –
at das Osmanische Reich eine Kriegserklärung vonontenegro erhalten. Der erste Balkankrieg brach aus.m 8. Oktober 1991 hat das kroatische Parlament seinenabhängigkeit von Jugoslawien erklärt. Heute, 19 Jahrepäter, debattieren wir über die Weiterleitung des Bei-ittsantrags Serbiens.Wir als Regierungsfraktion sprechen uns eindeutig fürie EU-Perspektive des westlichen Balkans aus.
aran arbeiten wir. Das ist ganz entscheidend für eineiedliche Zukunft.Wir haben in den letzten Jahren sehr viel Mut bei derrweiterung bewiesen. Jetzt ist eine gewisse Müdigkeitingetreten. Der Mut wurde sicherlich auch in Teilennttäuscht, weil 2007 zwei Staaten die Beitrittskriterienicht eingehalten haben; wir waren nicht kritisch genug.Jetzt steht an, dass wir den Prozess der Aufnahmeerbiens in die Europäische Union aufmerksam und kri-sch begleiten. Es geht noch nicht um die Aufnahme,ondern es geht darum, dass die Europäische Kommis-ion darüber berät und den Ratschlag abgibt. In dennappen und wohlformulierten Punkten unseres An-ags, der sich weitestgehend mit den Anträgen der ande-n Fraktionen deckt, machen wir deutlich: Vor einemeitritt, auch schon vor dem Avis, müssen bestimmteinge geklärt werden.Wir als Europäer brauchen eine ganz klare Sicht auchach außen. Wir haben uns jetzt lange mit der Wirt-chaftskrise und mit unserer Binnenkonstitution beschäf-gt. Wir sprechen heute nicht ohne Grund über die Auf-ahme Serbiens. Das ist ein Recht, das uns mit dem
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7066 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010
Roderich Kiesewetter
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Lissabon-Vertrag eingeräumt worden ist. Da können wirals Parlament etwas bewegen. Auch das ist ein Fort-schritt in der parlamentarischen Demokratie, den wir be-grüßen müssen.
Es gibt Fortschritte. Serbien hat in beeindruckenderWeise deutlich gemacht, dass es bereit ist, mit dem Ko-sovo über den Bereich nördlich des Ibar zu sprechen.Ich will ein paar weitere Meilensteine nennen. Warumsollte Serbien in die Europäische Union? Es ist klar: Eshat europäische Wurzeln. Es gehört zu Europa. Es sindauch nicht nur die wirtschaftliche Kraft und die Verwal-tungseffizienz, die mitgebracht werden – das wurdeschon angesprochen –; ein demokratisch verfasstes Ser-bien wird eine Bereicherung für Europa sein und wird imHinblick auf das, was es historisch verursacht hat, aus-gleichend wirken.Im Dezember 2009 wurde die Bahnlinie von Belgradnach Mostar eröffnet; Kooperation von Serbien. ImMärz hat das Parlament von Serbien die Schuld beimMassaker von Srebrenica anerkannt. Am 11. Juli nahmTadic an dem Gedenken in Srebrenica teil, was eine sehrgroße Geste war. Am 9. September wurde glasklar, dassSerbien mit den Staaten der Europäischen Union die An-erkennung des Kosovos, zumindest des Gutachtens, teilt.Das sind entscheidende Fortschritte, die wir fördern soll-ten, indem wir sagen: Über den Antrag muss in positiverWeise entschieden werden. – Wenn uns das gelingt, istdas auch ein Zeichen unseres Parlaments.
Natürlich sind Hinderungsgründe vorhanden. Es gibtStolpersteine. Aber wir sind auch dazu da, Serbien zuhelfen und zu begleiten. Die Stolpersteine liegen in derBekämpfung der organisierten Kriminalität, in der Ver-waltungsreform, sicherlich auch im Selbstverständnisdes Parlaments Serbiens; in Klammern: Rücktrittserklä-rungen. Da gibt es noch viel zu tun. Wir müssen unserer-seits aber auch darauf achten, dass die Mittel, die die EUfür die Aufnahme bereitstellt, besser abfließen. Es gibtzurzeit ein Aufnahmeproblem. Dem könnten wir mitTwinning-Projekten sicherlich begegnen.Die Reise unseres Außenministers war Balsam undein Heilmittel für die Perzeption im Balkan. Unseredeutsche Außenpolitik hat wieder aktiv Bewegung in dieBalkanpolitik gebracht. Dafür müssen wir dem Außen-minister dankbar sein. Ich habe bei meinen Besuchen imFrühjahr und in der letzten Woche in Albanien erlebt,welche Auswirkungen dieser Besuch gehabt hat.Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Visa-erleichterungen
für Bosnien und Albanien noch in diesem Jahr in Krafttreten. Die Bedingungen sind eingehalten. Damit schaf-fen wir eine Perspektive für die Region und auch An-reize.DsDingmwBswamvSkIn4asSshnsakwaCbdmFuedwg
er entscheidende Punkt ist, dass wir auch Anreizechaffen, die das begleiten.
eutschland ist ein souveräner Staat und verfolgt eineteressengeleitete werteorientierte Außenpolitik. Ichlaube, dass wir hier Lösungen aufzeigen können.Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sieich abschließend noch einen Punkt ansprechen. Wennir gemeinsam im Parlament für die Weiterleitung dieseseitrittsantrags stimmen, ist damit noch lange nicht ge-agt, dass Serbien bald Mitglied der Europäischen Unionird. Wir brauchen eine Gesamtperspektive. Diese mussus einem Geben und Nehmen bestehen. Das bedeutet,it kritischem Blick Serbiens Verhältnis zum Kosovo zuerfolgen. Das bedeutet aber auch, Segregations- oder gareparationsbemühungen der Republika Srpska zu be-ämpfen. Das bedeutet auch Zusammenarbeit mit demternationalen Gerichtshof. Natürlich hat Serbien bereits2 der 44 angeklagten Kriegsverbrecher ausgeliefert,ber bezüglich der kritischen Fälle Mladić und Hadzić be-tehen noch Schwierigkeiten. Wir wissen nicht, wie daschicksal dieser beiden Herren ist, aber wir wissen, dassie das Schicksal von Millionen beeinflusst haben. Des-alb wollen wir hier Klarheit. Darauf haben wir auch ei-en Anspruch. Das wird der Schlüssel für den Beitrittein.Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Serbien istuf dem halben Weg zwischen Vergangenheit und Zu-unft. Mit der Annahme des vorliegenden Antrags habenir als Parlament es in der Hand, den weiteren Prozessufmerksam und kritisch zu begleiten, mit Sticks andarrots bzw. Zuckerbrot und Peitsche. Aber auch Ser-ien selbst hat es in der Hand. Ich glaube, wir habeneutlich gemacht, in welche Richtung der Weg gehenuss.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun der Kollege Thomas Nord für die
raktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damennd Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr ge-hrter Herr Botschafter! Ich teile – das wird vielleichten einen oder anderen überraschen – vieles von dem,as Herr Kiesewetter hier über die historische Situationesagt hat.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7067
Thomas Nord
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– Gerade in Geschichtsfragen kann man, wie Sie wissen,sehr unterschiedlicher Meinung sein. In dieser sind wiroffensichtlich gemeinsam einer Meinung.
Die Einleitung von Beitrittsverhandlungen zwischenSerbien und der EU bietet auch aus unserer Sicht einehistorische Chance, einen sehr alten Konflikt, der vielLeid verursacht hat, dauerhaft zu beenden. Daher ist dieLinke für die Weiterleitung des Beitrittsantrags Serbiensan die Europäische Kommission. Wir wollen, dass sichdie Bundesregierung dafür im Rat und bei den übrigenMitgliedsländern einsetzt.
Wie die SPD wollen wir, dass bei den Beitrittsver-handlungen mit Serbien ausschließlich die Kopenhage-ner Kriterien gelten und keine weiteren Bedingungen ge-stellt werden. Die Anträge der Koalitionsfraktionen undder Grünen aber lassen erkennen, dass dies für Serbiennicht so gelten soll. Auch der Antrag der SPD bleibt hierleider unklar.Es entspricht nicht unserer Auffassung, dass die Auf-nahme von Beitrittsverhandlungen mit Serbien mit derAnerkennung des Kosovos als unabhängiger Staat ver-knüpft werden darf. Wir halten trotz des Gutachtens desInternationalen Gerichtshofes die Unabhängigkeitserklä-rung des Kosovos für nicht mit dem Völkerrecht verein-bar,
weil sie letztlich dazu beiträgt, einseitige Grenzverände-rungen zu legitimieren.
Mit dem zentralen Satz des Gutachtens, das Völker-recht enthalte kein Verbot von Unabhängigkeitserklärun-gen und das Kosovo habe deshalb nicht gegen allgemei-nes internationales Recht verstoßen, wurde aus unsererSicht die Büchse der Pandora geöffnet. Wer solche Aus-sagen begrüßt, darf sich über die Sprüche von MiloradDodik und anderen Nationalisten nicht wundern. DerAußenminister wird noch oft und nicht nur auf dem Bal-kan erklären müssen, warum für diese nicht gilt, was fürden Kosovo rechtens sein soll.
Wir unterstützen die Forderung – das schließt gut an –,dass Serbien uneingeschränkt mit dem InternationalenStrafgerichtshof zusammenarbeiten soll. Gleichwohl leh-nen wir die Verknüpfung dieser Forderung mit der Ent-scheidung über die Weiterleitung des Beitrittsantrags ab.Die jetzige serbische Regierung unternimmt großeAnstrengungen für eine Annäherung an die EuropäischeUUgewsmmürupdSeemKDreNsbDlesliKstubcVinnSb
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7068 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010
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Nun hat die Kollegin Beck für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch wir Grüne begrüßen, dass Serbien die Tür in die
Europäische Union noch ein Stückchen weiter aufge-
macht worden ist. Wir erkennen die Schritte Serbiens an:
die Srebrenica-Resolution im serbischen Parlament, die
wirklich mit einem Risiko behaftet war, den Besuch von
Präsident Tadic in Srebrenica in diesem Sommer – auch
ich bin dort gewesen – und das Einlenken bei der UN-
Resolution zum Kosovo. Zu diesem Erfolg hat der deut-
sche Außenminister beigetragen. Ich hoffe, dass er dran-
bleiben wird; denn es ist vollkommen klar, dass die
Steine nur zu einem kleinen Teil aus dem Weg geräumt
worden sind. Es werden noch viele Steine auftauchen.
Insofern sollte sich das Außenministerium eher auf eine
Art Pendeldiplomatie einstellen statt auf einen einmali-
gen Besuch.
Die Differenz, die wir haben, ist, dass es in der Au-
ßenpolitik eine Unsitte gibt, nämlich unangenehme
Wahrheiten unter den Teppich zu kehren, wenn politi-
sche Entscheidungen getroffen worden sind. Noch ein-
mal: Wir halten es politisch für richtig, Serbien die Tür
in die Europäische Union zu öffnen. Aber wir sollten
nicht darüber hinweggehen, dass sich Serge Brammertz
inzwischen wieder deutlich kritischer über eine weniger
gute Zusammenarbeit mit der serbischen Regierung äu-
ßert, um die beiden letzten großen Kriegsverbrecher,
nämlich Mladić und Hadzić, zu fassen. Man muss sagen,
dass ein Staat, der in die Europäische Union will, doch
nicht über Jahre hinweg behaupten kann – Serbien hat
7,5 Millionen Einwohner! –, dass er nicht in der Lage ist,
diese beiden Kriegsverbrecher zu finden. Das stellt die
Reife des Justizwesens und der Polizei dieses Landes in-
frage.
Ich möchte Sie auch daran erinnern, dass der serbi-
sche Arbeitsminister Rasim Ljajić vom Vorsitz des Na-
tionalkomitees für Zusammenarbeit mit Den Haag zu-
rückgetreten ist, weil er selbst nicht mehr von der
Ernsthaftigkeit des Bemühens der serbischen Regierung
überzeugt war, die Kriegsverbrecher Mladić und Hadzić
zu finden.
All das sollten wir durchaus ansprechen, auch wenn
wir die Tür aufmachen wollen. Das schadet gar nicht.
Wie gesagt: Es ist nicht besonders hilfreich, das unter
den Teppich zu kehren.
Jetzt zum Kosovo. Man kann sich nicht darauf ausru-
hen, dass die Regierung in Belgrad Minister Westerwelle
zugesagt hat: „Wir arbeiten an einer Lösung des Pro-
blems mit.“ Am 3. Oktober, also kurze Zeit nach dem
Besuch von Westerwelle, ist der serbische Patriarch
Irinej als Erzbischof von Pec eingeführt worden. Die ge-
samte serbische Regierung war bei diesem Festakt anwe-
send. Was hat sie dort formuliert? Sie hat dort ihre For-
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Ein Satz noch. – Wenn jetzt Frankreich aus innenpoli-
schen Gründen die Visumliberalisierungen für Bosnien
nd Albanien blockiert, obwohl die EU-Kommission
stgestellt hat, dass alle Forderungen erfüllt worden
ind, ist das ein politischer Skandal, gegen den sich
eutschland mit aller Deutlichkeit wenden muss.
Schönen Dank.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
ollege Florian Hahn für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!erbien ist ein fester Bestandteil der europäischen Kul-r- und Staatengemeinschaft. Die Entwicklungen inerbien haben dadurch nicht nur unmittelbare Auswir-ungen auf die Länder in Südosteuropa, sondern auchirekte Rückwirkungen auf die Länder der Europäischennion, damit auch auf Deutschland. Daher ist es richtignd wichtig, dass sich Deutschland intensiv um seineeziehungen zu Serbien kümmert.Es ist gleichermaßen bedeutsam, dass Deutschlandeinen Einfluss nutzt, um vielfache positive Entwicklun-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7069
Florian Hahn
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gen in Serbien politisch wie wirtschaftlich zu unterstüt-zen. Dies gilt insbesondere für den Freistaat Bayern, deraufgrund seiner geografischen Lage und seines politi-schen und wirtschaftlichen Gewichts ein besonderesInteresse an den Entwicklungen in Südosteuropa,insbesondere in Serbien, hat. So wurde anlässlich des40-jährigen Bestehens der Ständigen Kommission Bay-ern-Serbien erst am vergangenen Montag zwischen demMinisterpräsidenten Horst Seehofer und dem serbischenPräsidenten Boris Tadic eine noch intensivere Zusam-menarbeit vereinbart.Mit unserer Aufforderung an die Bundesregierung, inder nächsten Sitzung des Rates für eine Weiterleitungdes Beitrittsgesuchs Serbiens an die Europäische Kom-mission zu stimmen, bleiben wir unseren Aussagen vonThessaloniki treu, dass grundsätzlich jedes Land der Re-gion des westlichen Balkans die Perspektive eines Bei-tritts zur Europäischen Union hat.Kroatien hat die Chance ergriffen und sich demNATO- und dem EU-Beitrittsprozess unterzogen, imHinblick auf die NATO bereits erfolgreich. Ich sagedeshalb „unterzogen“, weil wir aus den Erweiterungs-erfahrungen, insbesondere aus den Fällen Rumänien undBulgarien, gelernt haben. Wir haben den Erweiterungs-prozess durch die Einführung von Benchmarks an-spruchsvoller gestaltet – manche sagen auch: verschärft –,weil wir uns eben nicht mehr nur mit Erfolgen auf demPapier bzw. mündlichen Zusagen zufriedengeben woll-ten, sondern nur mit konkret verwirklichten, nachprüfba-ren Fortschritten. Unsere klare Aussage in diesem Zu-sammenhang war und ist: Die Beitrittskriterien müssenunsererseits klar definiert und von Beitrittsländern strikterfüllt werden. Es gibt keine politischen Rabatte, aberauch keine politisch motivierten Sanktionen. So begrüßeich ausdrücklich die Resolution der UNO-Vollversamm-lung vom 10. September dieses Jahres, in der zu einemDialog zwischen Serbien und dem Kosovo aufgerufenwird.Die von Serbien selbst eingebrachte Resolution befür-wortet Verhandlungen – nicht über den staatsrechtlichenStatus des Kosovo, der für Deutschland und für die aller-meisten Staaten inzwischen feststeht – über praktischeFragen des Zusammenlebens. Wir alle können nachvoll-ziehen, dass diese Resolution in Serbien selbst auch aufWiderspruch stößt. Hier gilt es, Überzeugungsarbeit zuleisten. Hier gilt es, den Menschen in Serbien deutlich zumachen, dass nur ein friedliches Miteinander das Landals einen gleichberechtigten Partner in Europa sichtbarund verankert sein lässt.
Die Resolution ist ein klares Signal, dass Serbien aufKooperation setzt und auf dem Weg in die Integration indie EU ist. Ich möchte Minister Guido Westerwelle aus-drücklich danken. Seine Gespräche haben Serbien vonden Vorteilen eines proeuropäischen Kurses überzeugenkönnen.
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In diesem Sinne bitte ich Sie um die Zustimmung undünsche dem serbischen Volk auf seinem Weg in dieuropäische Staatengemeinschaft Glück und Gottes Se-en.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag derraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache7/3190 mit dem Titel „Beitrittsantrag der Republik Ser-ien zur Prüfung an Europäische Kommission weiterlei-n“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage-en? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag mit dentimmen der Mehrheit der Koalition angenommen.Zusatzpunkt 9. Hier geht es um die Abstimmung überen Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/3175it dem Titel „Glaubhafte Unterstützung für Serbienseitrittsantrag zur Europäischen Union“. Wer möchteiesem Antrag zustimmen? – Wer stimmt dagegen? –er enthält sich? – Dieser Antrag ist mit Mehrheit abge-hnt.Wir kommen zum Zusatzpunkt 10. Hier geht es umen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aufrucksache 17/3204 mit dem Titel „Serbiens Beitrittsge-uch an die Europäische Kommission weiterleiten – Ge-amte Region im Blick behalten“. Wer stimmt für diesenntrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –uch dieser Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
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7070 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 32 a und 32 bsowie den Zusatzpunkt 11 auf:32 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten KerstinMüller , Katja Keul, Ute Koczy, weitererAbgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN10 Jahre UN-Resolution 1325 – Frauen, Frie-den, Sicherheit – Nationaler Aktionsplan füreine gezielte Umsetzung– Drucksache 17/2484 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
VerteidigungsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionb) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD10 Jahre UN-Resolution 1325 „Frauen, Frie-den und Sicherheit“– Drucksache 17/3176 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
VerteidigungsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten CorneliaMöhring, Jan van Aken, Agnes Alpers, weitererAbgeordneter und der Fraktion DIE LINKEVerpflichtung zur UN-Resolution 1325„Frauen, Frieden und Sicherheit“ einhalten –Auf Gewalt in internationalen Konflikten ver-zichten– Drucksache 17/3205 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
VerteidigungsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächstdie Kollegin Kerstin Müller für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ende Juli wurden in der kongolesischen Provinz Nord-Kivu innerhalb von vier Tagen 242 Frauen und Kindervon FDLR und Mai-Mai-Milizen vergewaltigt. Im Laufedes August kam es sogar zu weiteren 260 Vergewalti-gungen. Dennoch schritten die UNO-Blauhelmsoldaten,dnTgUMdSasFzwnsvwZdmezowrelusaRAtistrvrecFmnedgnsausczava
Wir müssen dafür sorgen, dass die Verantwortlichen,um Beispiel im Fall Kongo, von der kongolesischender der internationalen Justiz zur Rechenschaft gezogenerden. Genau das will man mit der Resolution 1325 er-ichen. Deshalb ist es so entscheidend, dass diese Reso-tion und die Folgeresolutionen endlich zentraler Be-tandteil der internationalen Politik werden. Davon kannuch zehn Jahre nach ihrer Verabschiedung leider keineede sein.Sicherlich, es hat einige Verbesserungen gegeben.uf internationaler Ebene hat die Geschlechterperspek-ve in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Bei-piele dafür sind die Einsetzung der UN-Sonderbeauf-agten – das erwähnte ich eben – und die Einrichtungon UNWomen, die neue Einheit für Geschlechterge-chtigkeit. Auch in der Europäischen Union hat es Wei-henstellungen für eine stärker geschlechtersensibleriedens- und Sicherheitspolitik gegeben.Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wirit der Umsetzung der Resolution 1325 auf globaler undationaler Ebene noch ganz am Anfang stehen. Nochinmal: Solche UN-Resolutionen leben davon, dass wir,ie einzelnen Mitgliedstaaten, sie umsetzen. Dafür tra-en wir die Verantwortung. Wir müssen diese Resolutio-en mit Leben füllen und dafür sorgen, dass sie nicht be-chriebenes Papier bleiben.Diese Resolution ist aus meiner Sicht ein Meilensteinuf dem Weg zu einer geschlechtersensiblen Friedens-nd Sicherheitspolitik; denn zum ersten Mal in der Ge-chichte der UNO gibt es eine völkerrechtlich verbindli-he Vorgabe zur Beteiligung von Frauen an Friedenspro-essen. Kofi Annan hat die Mitgliedstaaten bereits 2005ufgefordert, nationale Aktionspläne zu ihrer Umsetzungorzulegen. Schweden ist 2006 vorangeschritten. Sogarfrikanische Länder wie Liberia und die Elfenbeinküste
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010 7071
Kerstin Müller
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haben eigene nationale Aktionspläne. Insgesamt gilt dasaber nur für 19 Staaten. Das ist eine blamable Zahl, wennman bedenkt, dass die UNO 192 Mitgliedstaaten hat.Ich finde es sehr bedauerlich, dass auch die Bundes-regierung bisher keinen nationalen Aktionsplan vorge-legt hat.
Sie alle wissen, dass ich schon seit einigen Jahrendafür streite, dass wir einen solchen nationalen Aktions-plan bekommen. Ich glaube, dass nicht nur die skandina-vischen Länder, sondern dass auch Länder wie Deutsch-land in einer solchen Frage vorangehen müssen. DieBundeskanzlerin streitet für einen deutschen Sitz im Si-cherheitsrat, und auf jeder internationalen Veranstaltungwird die Fahne des Multilateralismus hochgehalten. Da-her kann es nicht sein, dass wir uns bei so einer zentralenResolution immer noch weigern, einen nationalen Ak-tionsplan vorzulegen.
Frau Kollegin.
Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Wir brauchen einen solchen nationalen Aktionsplan,
damit diese Resolution mit Leben gefüllt wird.
Noch ein letzter Satz. Ein solcher nationaler Aktions-
plan bedeutet auch nicht mehr Bürokratie. Wir brauchen
messbar formulierte Ziele, Fortschrittsberichte, Zeitvor-
gaben. Die UNO und die EU haben diesbezüglich Indi-
katoren beschlossen. Ich freue mich, dass die SPD in-
zwischen für einen nationalen Aktionsplan ist. Ich würde
mir sehr wünschen – die Resolution wird jetzt zehn Jahre
alt; es wird viele Veranstaltungen dazu geben –, dass
auch die Koalitionsfraktionen sich dazu durchringen und
wir in Deutschland einen nationalen Aktionsplan be-
kommen und so unseren Teil dazu beitragen, diese Reso-
lution mit Leben zu füllen.
Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Mißfelder für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Die Kollegin Müller hat zu Recht auf die grund-sätzliche Bedeutung der UNO-Resolution hingewiesen.Auch wir unterstützen sie sehr deutlich. Auch wir mei-nen, dass sie in der täglichen Außenpolitik mit Leben ge-füllt werden muss. Ich glaube, dass wir Parlamentarierbei unseren Gesprächen hier in Deutschland, wenn aus-lädswwsTisnvvmhdsneiskcHKdlägwgvhmggddwsAMnmShresBgMGwis
Nahezu jede internationale Organisation hat auf dieissstände in der Zeit der Taliban-Herrschaft in Afgha-istan hingewiesen. Als die Taliban 1996 in Kabul ein-arschiert sind, haben sie verboten, dass Mädchen zurchule gehen, dass junge Frauen an die Universität ge-en. Damals, im Jahre 1996 und in den folgenden Jah-n, gab es 4 000 Studenten in ganz Afghanistan. Zu die-er Zeit hatte keine einzige Frau Zugang zu universitärerildung. Daher ist es beachtlich, dass von den heute ins-esamt 50 000 jungen Menschen in Afghanistan, die dieöglichkeit haben, unter dem Schutz der internationalenemeinschaft zu studieren, immerhin 7 000 Frauen sind;ünschenswert wären natürlich mehr. Ein Garant dafürt die Bundeswehr mit ihrem Einsatz in Afghanistan.
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7072 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010
Philipp Mißfelder
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Eine Geschichte aus Afghanistan ging in den vergan-genen Wochen um die Welt. Robina Jalali, die bei denOlympischen Spielen in Peking als Sprinterin eineenorme Leistung vollbracht hat, ist jetzt auch zur Wahlfür das Parlament in Afghanistan angetreten. So eine Si-tuation wäre zu Zeiten der Taliban-Herrschaft nichtmöglich gewesen.Es ist leider immer noch nicht klar, ob sie dem Parla-ment letztendlich angehören wird oder nicht. Leider istdie Situation so, dass man ihr nicht nur im Wahlkampfviel Glück und Erfolg wünschen musste, sondern auchjetzt bei der Auszählung; so bedauerlich das auch ist.Die Perspektive, dass Frauen in Afghanistan überhauptin politische Verantwortung kommen können, sollten wirunterstützen, und wir sollten im Hinblick auf die weite-ren Debatten hier in diesem Haus das Thema Afghanis-tan nicht unter den Tisch fallen lassen.
Herr Kollege Mißfelder, wollen Sie eine Zwischen-
frage der Kollegin Müller beantworten?
Ja, natürlich gerne.
Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Herr Kollege Mißfelder, da Sie über Afghanistan
sprechen, würde ich gerne eine Nachfrage stellen. Im
Juni dieses Jahres fand dort die Jirga statt. Über
20 Prozent der mehr als 1 600 Teilnehmer waren Frauen;
fast 400 Delegierte waren also Frauen. Allerdings kamen
sie mit ihren Anliegen nicht zu Wort. Im Anschluss gab
es einen Aufruf von zehn afghanischen Frauenorganisa-
tionen. Sie haben darauf hingewiesen, dass sie sich
große Sorgen um die Friedensverhandlungen, die jetzt
mit den Taliban geführt werden, machen und dass sie
nicht bereit sind, hinzunehmen, dass die Rechte, die sie
in den letzten zehn Jahren mühsam erkämpft haben, jetzt
zugunsten eines möglichen sogenannten Friedensvertra-
ges mit den Taliban oder gar mit Hekmatjar aufgegeben
werden.
Ich frage Sie: Sind auch Sie der Meinung, dass die in-
ternationale Gemeinschaft und auch die Bundesregie-
rung gegenüber der Karzai-Regierung deutlich machen
müssen, dass die Frauen- und Menschenrechte bei die-
sen Verhandlungen nicht zu kurz kommen dürfen, dass
sie nicht verhandelbar sind?
Frau Kollegin Müller, herzlichen Dank für Ihre Frage.
– Ich glaube, ich kann Einigkeit feststellen, dass eine der
roten Linien in den Verhandlungen mit den sogenannten
moderaten Taliban – was auch immer das bedeuten soll –
ganz klar ist, dass die Frauenrechte geschützt werden
müssen, zumindest diejenigen, die schon erkämpft wor-
den sind.
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Bei meinem letzten Besuch in Sarajevo im Jahr 1996habe ich mit vom Krieg sehr schwer traumatisiertenFrauen gesprochen. Sie waren Opfer von Gewalt, auchvon schwerer sexualisierter Gewalt.Nach meiner Wahrnehmung liegt das Trauma diesesKrieges immer noch über dem ganzen Land und insbe-sondere über dieser Stadt.Ich sage Ihnen auch: 8 der 14 Wahllokale, die ich dortbesucht habe, waren von Frauen geleitet. Insbesonderedie jungen unter diesen Frauen waren unglaublich toughund ganz fest entschlossen, eine Zukunft in einer Demo-kratie zu haben. Das ist ein gutes Beispiel für die ver-schiedenen Aspekte dieser UN-Resolution 1325, derenVerabschiedung sich am 31. Oktober zum zehnten Maljährt.Die SPD-Fraktion hat das zum Anlass genommen,dies einerseits in der heutigen Debatte zu würdigen undandererseits unsere Forderungen bezüglich der Weiter-entwicklung und der Umsetzung dieser wichtigen Reso-lution zur Diskussion zu stellen.Ich gebe unumwunden zu, dass ich es bedauerlichfinde, dass zumindest bisher kein Antrag von der Koali-tion vorliegt, an dem man auch sehen könnte, in welcheRichtung Sie sich entwickeln wollen. Ich gebe auch zu,dass ich es peinlich finde, dass eine Resolution, die di-rekt etwas mit den Menschenrechten zu tun hat, demAuswärtigen Ausschuss zur federführenden Bearbeitungüberwiesen wird. Ich weiß nicht, woran das liegt. Viel-leicht können Sie mir das erklären. Vielleicht liegt es jaauch an der AG „Menschenrechte“ in der Union und de-ren Qualität.
Grundsätzlich halte ich die Resolution für einen wich-tigen Meilenstein für eine geschlechterbewusste und ge-schlechtersensible Friedens- und Sicherheitspolitik. Dasist auf zwei Ebenen der Fall. Einerseits stärkt sie die Be-deutung von Frauen als Akteure für Frieden, Sicherheitund Entwicklung. Andererseits vergisst sie auch nicht,dass Frauen als Opfer von sexueller Gewalt in Kriegs-und Krisensituationen besonderer Berücksichtigung, be-sonderer Behandlung und besonderen Schutzes bedür-fen.In den letzten zwei Jahren sind zur Resolution 1325noch drei notwendige ergänzende Resolutionen hinzuge-kommen. Die Resolution 1820 aus dem Jahr 2008 betontnoch einmal die Bedeutung der sexuellen Gewalt undstellt fest, dass sie eine Bedrohung für den Frieden undfür die Sicherheit der Nationen sowie der internationalenGemeinschaft darstellt. Die Resolution 1888 aus demJahre 2009 sieht in der Konsequenz konkrete Maßnah-men zur Bekämpfung von sexueller Gewalt vor. Die Re-solution 1889, die ebenfalls aus dem Jahr 2009 stammt,wiederholt den Anspruch auf eine stärkere Beteiligungvon Frauen an politischen Prozessen. Ich hoffe, dass da-mit die Rolle und Bedeutung der Frauen für Frieden undSicherheit in Konflikten noch weiter ins Bewusstsein derinternationalen Akteure gerückt sind.UaimtesussUKdtatiUJMkKtedghogsfristiFzntiMBzs5flwutidrüSdKSKbwc
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7074 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Oktober 2010
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mer häufiger und brutaler angewandt wird. Werden dieVergewaltigungen massenhaft und strategisch eingesetzt,dann werden die soziale Textur, die Infrastrukturen unddie reproduktiven Ressourcen einer Gesellschaft zumeistfür mehrere Generationen zerstört.Ein gutes Beispiel dafür, wie lange man diese Pro-zesse mit sich herumträgt und wie schwer sie die Betrof-fenen belasten, sind die sogenannten Trostfrauen. Die ja-panische Armee hat koreanische Frauen zu Tausendenversklavt und massenhaft vergewaltigt. Bis heute gibt eskeine Anerkennung ihres erlittenen Unrechts durch eineEntschuldigung oder eine wirkliche Wiedergutmachung.Sie müssen noch immer darauf warten. Irgendwann erle-digen sich solche Dinge biologisch; aber das ist nichtdas, worauf wir warten sollten. Ich denke, man muss hierwirklich etwas tun.
Vergessen dürfen wir auch nicht, dass Frauen nicht nurin akuten Konfliktsituationen Opfer werden. Häufig gehtihr Elend auf der Flucht, in Flüchtlingslagern und in derLangzeitfolge in einer von Gewalt zerfressenen Gesell-schaft weiter. Deswegen wollen wir umfassende Ansätzeund ein an Langfristigkeit orientiertes Maßnahmenpaket,und deswegen wollen wir einen nationalen Aktionsplan.
Ich bedauere, dass es so lange gedauert hat, bis wir zudiesem Beschluss gekommen sind. Ich denke aber, dassdas dringend notwendig war, um zu sehen, wie die ein-zelnen Länder diese wichtige Resolution umsetzen. Ver-gleichbarkeit ist hier ein wichtiges Stichwort. All diePunkte, die uns hier beschäftigen, müssen zusammenge-führt werden; denn ich denke, es muss ein gemeinsamesVorgehen gegen die weltweite Seuche der sexualisiertenGewalt gegen Frauen geben.Ich danke Ihnen, dass Sie mir so lange zugehört ha-ben, und dem Herrn Präsidenten danke ich, dass er michso lange hat reden lassen.
Wie schön, dass das endlich auch einmal ins Protokoll
kommt.
Nun hat die Kollegin Marina Schuster für die FDP-
Fraktion das Wort.
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Interessant finde ich die Wende, die die SPD inner-halb von zwei Jahren gemacht hat.
Ich kann mich noch gut erinnern: Der letzte Bericht derBundesregierung zu dieser Resolution ist aus dem Jahre2007. Wir haben diesen Bericht damals im AuswärtigenAusschuss – Kerstin Müller kann sich erinnern; er warauch damals, unter einem SPD-Kanzler, schon federfüh-rend im Auswärtigen Ausschuss – diskutiert. Da war vonder SPD noch nichts davon zu hören, dass man eine na-tionale Umsetzungsstrategie, einen Aktionsplan fordert.
Ich kann mich deswegen sehr gut an die Diskussion erin-nern, weil man, wenn man diesen Bericht gelesen hat,nur feststellen konnte: Es fehlte damals wirklich der roteFaden. Ich frage mich nämlich, wie eine Veranstaltungder finnischen Gleichstellungsministerin mit einem Kul-turmanagementkurs in der Türkei zusammenpasst undwas das mit der UN-Resolution zu tun hat.
Ich freue mich auf den neuen, bald erscheinenden Be-richt. Ich freue mich auf die Prioritäten und vor allemauf den Ausblick, was die zukünftigen Maßnahmen an-geht. Fakt ist: Wir müssen international mehr für dieUmsetzung tun. Wir müssen es international gemeinsambündeln, vor allem auch innerhalb der EuropäischenUnion. Wir brauchen neben der Schulung des Personalseine bessere Einbindung von Frauen. Eines ist mir be-sonders wichtig: Wir brauchen die Bereitschaft, den Wil-len und die Unterstützung der jeweiligen Konfliktländer,dies auch durchzusetzen. Darauf müssen wir bei den Ge-sprächen vor Ort immer wieder hinwirken, so schwierigdas auch ist. Ich warne davor, zu meinen, dass man miteiner deutschen Monitoringstelle, wie es die Grünen for-dern, groß vorwärtskommen würde. Es braucht interna-tionale Anstrengungen. Das ist langwierig und auch zäh.Aber diesen Weg müssen wir weitergehen.
Das Wort erhält nun die Kollegin Kathrin Vogler,
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine lieben Kollegen und Kollegin-nen! Ich bin ganz besonders erfreut, dass sich zu diesemThema überwiegend männliche Kollegen im Plenum be-finden.
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Frauen und Mädchen werden nicht erst in Kriegen zupfern. Häusliche Gewalt und sexuelle Misshandlungind weltweit für viel zu viele bitterer Alltag. Wie wirerade in sehr drastischen Beispielen gehört haben, wirdexuelle Gewalt im Krieg oder Bürgerkrieg aber auch alsaffe eingesetzt. Die Kollegin Müller hat das sehr ein-ringlich mit deutlichen Beispielen geschildert. Verge-altigung und Zwangsprostitution sollen die Gegnerin-en und Gegner demütigen und die Kampfmoral derruppe heben. Auch dann, wenn die Waffen endlichchweigen, ist für viele Frauen noch lange nicht Frieden.ir wissen, dass in Nachkriegsgesellschaften Gewaltegen Frauen geradezu allgegenwärtig ist. Es ist daserdienst von mutigen Frauen wie Monika Hauser vonedica Mondiale, die ich an dieser Stelle ausdrücklichrwähnen möchte, dass diese Verbrechen nicht längernter den Teppich gekehrt werden.
Die Überlebenden haben ein Recht auf unsere Solida-tät. Ihr Leid darf nicht missbraucht werden, um erneuteewalt zu rechtfertigen. Blut kann nämlich nicht mitlut abgewaschen werden.Die UN-Resolution 1325 verpflichtet uns, Frauen undädchen besonders vor Gewalt und Krieg zu schützen.ir macht es Sorgen, dass diese Pflicht immer öfter alsorwand für neue Gewaltanwendung und Militärein-ätze missbraucht wird. Der wirksamste Schutz vor Ge-alt ist und bleibt die Vorbeugung und damit die Verhin-erung von Krieg. Dafür tut diese Bundesregierung vielu wenig.
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Kathrin Vogler
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In Ihrem Haushaltsplanentwurf kürzen Sie die Mittelfür die zivile Krisenprävention um bis zu 30 Prozent,während die Ausgaben für die Bundeswehr um weitere400 Millionen Euro steigen sollen. Das ist doch Wahn-sinn. Das kann man nicht mehr rechtfertigen.
Frau Schuster, Sie haben gerade den Bericht der Bundes-regierung zur Umsetzung der Resolution 1325 von 2007kritisiert. Aber im aktuellen Bericht der Regierung zurzivilen Krisenprävention findet sich zum Thema Ge-schlechtergerechtigkeit nur Politlyrik. Das ist die Sachenicht wert.
Frauenorganisationen fordern zum zehnten Jahrestagder Resolution, dass wir endlich ernst machen und kon-kret werden sollen: mit einem Aktionsplan, klaren Zeit-vorgaben und den entsprechenden personellen undfinanziellen Mitteln. Das mit dem Argument der Büro-kratisierung abzubügeln, finde ich unredlich, HerrMißfelder.
Deshalb haben wir als Linke diese Forderung in unseremAntrag aufgegriffen. Wir wollen, dass die Bundesrepu-blik Deutschland in internationalen Konflikten grund-sätzlich auf militärische Gewalt verzichtet und konse-quent auf zivile Konfliktbearbeitung setzt.
Aus meinen eigenen Erfahrungen mit dem ZivilenFriedensdienst in Palästina und Israel weiß ich, dass Pro-jekte, die die Sicht der Frauen ausblenden, wenig Er-folgsaussichten haben. Deshalb ist es wichtig, dass wirdie Frauen- und Friedensorganisationen hier und in denKonfliktregionen aktiv beteiligen und ihre Kreativität,ihre soziale Fantasie und ihre Erfahrungen noch stärkerals bisher einbeziehen.
Frau Kollegin!
Ich komme zum Schluss. – Die irrwitzige Vorstellung,
dass man nur genügend Frauen zum Militär holen
müsste, um den Krieg zu humanisieren, lehnen wir als
Linke allerdings ab. Krieg lässt sich nicht humanisieren.
Wir sollten ihn alle gemeinsam abschaffen.
Ich danke Ihnen.
Peter Beyer ist der letzte Redner zu diesem Tagesord-
nungspunkt für die CDU/CSU-Fraktion.
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Nun ist es aber nicht so, als gäbe es nichts zu verbes-sern. Deutschland ist auf einem guten Weg, den Forde-rungskatalog der UN-Resolution 1325 weiter auszubauenund zu vertiefen. Die Anforderungen an die Menschen-rechtspolitik müssen in einer diffus gewordenen Umweltjedoch noch steigen. Die Beobachtungs- und Dokumen-tationsmöglichkeiten bei Menschenrechtsverletzungen,die Zusammenarbeit mit internationalen Menschen-rechtsorganisationen sowie das Anreiz- und Sanktions-instrumentarium der freiheitlichen Staaten und auch derinternationalen Institutionen wie der UN selbst müssenan die weltpolitische Situation zu Beginn des 21. Jahr-hunderts angepasst werden. Es gilt, ihre Wirkung zu ver-feinern und zu verstärken.Für uns Deutsche ist es eine ethische Pflicht, bei derSo hat sich Slobodan Milosević viele Jahre lang an derMacht gehalten, und Sie sind darauf hereingefallen. IhrHerr Gysi hat den Massenmörder Milosević einst vorlaufender Kamera hofiert, als sich die internationaleStaatengemeinschaft schon längst von diesem abge-wandt hatte. Die Widersprüche in Ihrer Menschenrechts-politik kann dieser Antrag jedenfalls nicht kaschieren.
Damit keine Zweifel aufkommen – Herr Präsident,ich komme zum Schluss –: Die internationale Stärkungder Frauenrechte ist für die Arbeit der Bundesregierungauch mit Blick auf die Vernetzung der Ministerien unter-einander von besonderer Bedeutung; denn Menschen-rechte sind kein Luxus für gute Zeiten, sondern der KernFormulierung und Durchsetzung einer weltweiten Men-schenrechtspolitik eine leitende Rolle zu übernehmen.Dieser besonderen Bedeutung werden die drei vorliegen-den Anträge nicht gerecht. Die Grünen jedenfalls sind,zumindest was die Forderung nach einem nationalen Ak-tionsplan angeht, konsequent. Es ist ihre alte Forderung.Anders verhält es sich bei der SPD. Als Sie noch in derRegierungsverantwortung waren, hat Ihr AußenministerSteinmeier keinen nationalen Aktionsplan zur Resolu-tion 1325 installiert, geschweige denn auch nur für erfor-derlich gehalten.
Steinmeier hatte recht; denn das bestehende Bündel anMaßnahmen greift.Der Antrag der Linken fällt noch weiter ab. Sie brin-gen Ihre übliche Litanei und sprechen von Verquickungzivilen Engagements und militärischer Einsätze. Vorhinhaben wir an dieser Stelle über die EU-Perspektive Ser-biens debattiert. Wenn es nach Ihnen gegangen wäre,wäre Slobodan Milosević noch heute am Ruder.
Ich zitiere aus einer großen deutschen Tageszeitung vom8. Oktober 2000 – das war heute vor genau zehn Jahren –:Auf Zeit spielen, bluffen, sich diplomatisch geben unddann wieder mit rücksichtsloser Brutalität zuschlagen. –uadsDodeEWsW
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
uf den Drucksachen 17/2484, 17/3176 und 17/3205 an
ie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
chlagen. Ich nehme an, Sie sind damit einverstanden. –
as ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
rdnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf Mittwoch, den 27. Oktober 2010, 13 Uhr,
in. Dann werden wir mit einer Regierungserklärung zu
uropa beginnen.
Ich wünsche Ihnen ein schönes, offenkundig sonniges
ochenende. Das gilt auch den Besucherinnen und Be-
uchern. Genießen Sie Berlin! Die Stadt ist bei diesem
etter noch attraktiver als ohnehin. Alles Gute!
Die Sitzung ist geschlossen.