Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! DieSitzung ist eröffnet.Vorweg einige Mitteilungen: In den Beirat bei der Re-gulierungsbehörde für Telekommunikation und Postmüssen nachträglich noch zwei stellvertretende Mitglie-der der Fraktion der SPD gewählt werden. Als Stellver-treter des Kollegen Ulrich Kelber wird der KollegeManfred Helmut Zöllmer und als Stellvertreter desKollegen Hubertus Heil der Kollege Dr. Hans-UlrichKrüger vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan-den? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann sind die ge-nannten Kollegen als stellvertretende Mitglieder in denBeirat der Regulierungsbehörde gewählt.Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundeneTagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ih-nen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:Deutlich erhöhter Finanzbedarf der Bundesanstalt für Ar-beit durch die unverändert hohe Arbeitslosigkeit und Äu-ßerungen des Vorstandsvorsitzenden Gerster zur Notwen-digkeit eines Bundeszuschusses
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Barbara Wittig,Dr. Dieter Wiefelspütz, Wilhelm Schmidt ,RedetFranz Müntefering und der Fraktion der SPD, den Abge-ordneten Hartmut Büttner , Dr. AngelaMerkel, Michael Glos und der Fraktion der CDU/CSU,den Abgeordneten Silke Stokar von Neuforn, Volker Beck
, Katrin Dagmar Göring-Eckardt, Krista Sager und
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowieden Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Max Stadler,Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP ein-gebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Än-derung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes
– Drucksache 15/806 –Überweisungsvorschlag:Innenausschussb) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-wurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Erneu-erbare-Energien-Gesetzes – Drucksache 1Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz undReaktorsicherheit
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
a) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-schusses
Sammelübersicht 32 zu Petitionen– Drucksache 15/829 –b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-schusses
Sammelübersicht 33 zu Petitionen– Drucksache 15/830 –c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-schusses
Sammelübersicht 34 zu Petitionen– Drucksache 15/831 –d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-schusses
Sammelübersicht 35 zu Petitionen– Drucksache 15/832 –4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Hal-tung der Bundesregierung zur Berufung des früherenBundeswirtschaftsministers Werner Müller zum Vor-standsvorsitzenden des RAG-Konzerns5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hermann Scheer,Doris Barnett, Dr. Axel Berg, weiterer Abgeordneter und derFraktion der SPD sowie der Abgeordneten Michaele Hustedt,Hans-Josef Fell, Undine Kurth , weiterer Abge-ordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-NEN: Internationale Konferenz für Erneuerbare Energienext– Drucksache 15/807 –6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hermann Scheer,Doris Barnett, Dr. Axel Berg, weiterer Abgeordneter und derFraktion der SPD sowie der Abgeordneten Michaele Hustedt,Volker Beck , Cornelia Behm, weiterer Abgeordneterund der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Ini-tiative zur Gründung einer Internationalen Agentur zur
7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter H. Carstensen
, Albert Deß, Helmut Heiderich, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Hürden für dieBiotechnik abbauen – Drucksache 15/803 –8 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderungdes Gemeindefinanzreformgesetzes – Drucksache 15/510 –atung 37. Sitzung)lussempfehlung und Bericht des Finanzausschussessschuss)cksache 15/835 –5/810 –
(7. Au– Dru
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Präsident Wolfgang ThierseBerichterstattung:Abgeordnete Horst SchildManfred Kolbeb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäߧ 96 der Geschäftsordnung– Drucksache 15/836 –Berichterstattung:Abgeordnete Dietrich AustermannCarsten SchneiderAntje HermenauDr. Günter Rexrodt9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörg van Essen,Rainer Funke, Otto Fricke, weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDP: Opferschutz bei Terrorakten im Auslandverbessern – Drucksache 15/34 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Auswärtiger AusschussInnenausschussFinanzausschussAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für TourismusAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsausschuss10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Joachim Stünker,Hermann Bachmaier, Sabine Bätzing, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten JerzyMontag, Hans-Christian Ströbele, Volker Beck , weite-rer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN: Opferentschädigung verbessern – Druck-sache 15/808 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Auswärtiger AusschussInnenausschussFinanzausschussAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für TourismusAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsausschuss11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Bosbach,Dr. Norbert Röttgen, Siegfried Kauder , wei-terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Opfer-entschädigung für deutsche Staatsangehörige, die bei vo-rübergehendem Aufenthalt im Ausland Opfer einesGewaltverbrechens werden – Drucksache 15/802 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Auswärtiger AusschussInnenausschussFinanzausschussAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für TourismusAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsausschussVon der Frist für den Beginn der Beratung soll – so-weit erforderlich – abgewichen werden.Darüber hinaus wurde vereinbart, den Tagesordnungs-punkt 17 – Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln –bereits heute nach Tagesordnungspunkt 10 – Rüs-tungsexportbericht – zu beraten. Sind Sie damit einver-standen? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so be-schlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierungdhmuHlzWwnnwdsEcwFg9EsavkEafsliDW1g
s kommt jetzt in der Politik und in der Wirtschaft glei-hermaßen darauf an, konsequent Kurs zu halten, umeiter voranzukommen. Das Gutachten hat dazu eineülle von Daten, Fakten und Analysen zusammengetra-en. Ich will zunächst nur einige Punkte herausgreifen.Erstens. Deutschland ist in der ersten Hälfte der0er-Jahre bei seinen Ausgaben für Forschung undntwicklung zurückgefallen. Das war die Zeit, meineehr geehrten Herren und Damen von der Opposition,lso von CDU/CSU und FDP, in der Sie Investitionenersprochen, aber in der Realität über Jahre hinweg ge-ürzt, gestrichen und verschoben haben.
s war die Zeit, in der Sie viel über Zukunft geredet,ber mit Ihrer Politik in Deutschland ein innovations-eindliches Klima geschaffen und damit die Zukunft un-eres Landes aufs Spiel gesetzt haben.Mit dieser Politik ist seit 1998 glücklicherweise end-ch Schluss.
iese Bundesregierung hat das Ruder herumgerissen.ir haben die Mittel für Bildung und Forschung seit998 um mehr als 25 Prozent erhöht und wir habenleichzeitig die notwendigen Reformen angepackt. Mit
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Bundesministerin Edelgard Bulmahndieser klaren Politik pro Bildung und Forschung habenwir auch in der Wirtschaft Kräfte freigesetzt und demStrukturwandel hin zur Wissensgesellschaft und zurWissenswirtschaft neuen Schwung verschafft.
Bereits im Jahr 2001 war der Anteil am Bruttoinlands-produkt, den Staat und Wirtschaft für Forschung undEntwicklung aufwenden, auf 2,5 Prozent gestiegen. DreiJahre zuvor lag der Anteil noch bei 2,2 Prozent.In einem sehr schwierigen wirtschaftlichen Umfeldhaben Bund und Unternehmen auch im vergangenenJahr die Ausgaben für Forschung und Entwicklung wei-ter ausgebaut. Es ist uns also unbeirrt von konjunkturel-len Zyklen gelungen, ein weit verbreitetes Bewusstseinfür die Bedeutung von Zukunftsinvestitionen zu schaf-fen. Das ist mir ganz besonders wichtig, weil das Be-wusstsein für die Bedeutung von Investitionen in Bil-dung und Forschung für die kommenden Jahreentscheidend ist.Das Fundament der technologischen Leistungsfä-higkeit Deutschlands wird in den Schulen und Hoch-schulen gelegt. Bildung und Forschung – das will ichhier noch einmal deutlich unterstreichen – dürfen nichtgegeneinander ausgespielt werden, so wie Sie das teil-weise immer wieder tun.
Denn Investitionen in Bildung und Forschung sind sozu-sagen die Basis unseres Forschungssystems. Das gilt fürunser Programm „Zukunft Bildung“, mit dem wir unteranderem 4 Milliarden Euro für die Schaffung von Ganz-tagsschulen zur Verfügung stellen. Das gilt auch für dasneue BAföG, mit dem wir einen Run auf unsere Hoch-schulen ausgelöst haben und mit dem wir es auch ge-schafft haben, dass der Anteil der Studienanfänger deut-lich gestiegen ist, nämlich von 28,5 Prozent auf jetzt35,6 Prozent. Damit liegen wir endlich in der Nähe jener40 Prozent, die alle vergleichbaren Industrienationen imDurchschnitt vorweisen können und die auch unser Zielsein müssen.Bildung und Forschung gehören also zusammen. Dasgilt im Übrigen auch für die berufliche Bildung. Deshalbwar es so wichtig, dass es uns gerade in den technologie-orientierten Berufen in den letzten Jahren gelungen ist,eine deutlich größere Zahl von Ausbildungsplätzen zuschaffen. Ich betone ausdrücklich, dass das auch für die-ses Jahr und die kommenden Jahre gelten muss.
Ich sage noch einmal klipp und klar: Deutschlandsteht im internationalen Wettbewerb um die bestenKöpfe, um Akademiker genauso wie um hoch qualifi-zierte Fachkräfte.
Wenn wir nicht wollen, dass der Mangel an naturwis-senschaftlich-technischem Nachwuchs schon in weni-gweagnlojenswsin–laAdDT1n–dwSEDdegndbBpdhZgWsme
Deutschland ist heute wieder der zweitgrößte Techno-gieexporteur der Welt. Hatte Mitte der 90er-Jahre nurde vierte Firma ein neues Produkt im Angebot, das aufeuen Forschungsergebnissen beruhte, drängt heutechon ein Drittel der Unternehmen mit einer Neuent-icklung auf den Markt. Deutschland verfügt inzwi-chen über die höchste Dichte innovativer Unternehmen Europa. Ein Exportvolumen von 275 Milliarden Euro das waren im Jahre 2002 rund 14 Prozent des Bruttoin-ndprodukts – und knapp 3 der insgesamt 6 Millionenrbeitsplätze des verarbeitenden Gewerbes gehen aufas Konto der forschungsintensiven Technologiegüter.ie Tendenz ist weiter steigend.Dabei ist im Übrigen viel zu wenig bekannt: Dieechnologieexporte aus den neuen Ländern stiegen seit996 durchschnittlich um 30 Prozent pro Jahr. Die tech-ologische Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft das zeigen diese Zahlen – ist gut. Das ist für uns aller-ings kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen. Wirollen im weltweiten Innovationswettlauf nicht nurchritt halten können; wir wollen vielmehr den Takt derntwicklung mitbestimmen. Das ist unser Ziel.
eshalb werden wir das Tempo des strukturellen Wan-els in den kommenden Jahren weiter beschleunigen. Zuiner Wirtschaft, die auf Wissen und Innovationen setzt,ibt es in Deutschland keine Alternative.
Die Bundesregierung ist sich ihrer daraus erwachse-en Verantwortung voll bewusst. Wir halten deshalb anem Ziel fest, das die Regierungschefs der EU in einerisher einmaligen Willenserklärung formuliert haben:is 2010 sollen mindestens 3 Prozent des Bruttoinland-rodukts in Forschung und Entwicklung investiert wer-en. Bereits in den kommenden Jahren werden wir des-alb auch bei der institutionellen Förderung wieder eineichen setzen und die Etats der großen Forschungsor-anisationen um 3 Prozent erhöhen.
Vor einer Nagelprobe stehen wir jetzt allerdings in derirtschaft. Die Fehler der Vergangenheit darf die Wirt-chaft nicht wiederholen. Erfolge auf den Innovations-ärkten werden in Unternehmen nur dann dauerhaftrwirtschaftet, wenn sie auch in konjunkturellen
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Bundesministerin Edelgard BulmahnSchwächephasen konsequent in Forschung und Entwick-lung investieren.
Untersuchungen des Zentrums für Europäische Wirt-schaftsforschung zeigen: Unternehmen, die mit Produk-ten als Erste auf dem Markt sind, aber auch Branchen,die wie zum Beispiel die deutsche Automobilindustriein überdurchschnittlichem Maße in Forschung und Ent-wicklung investieren, weisen überproportionale Arbeits-platzgewinne auf. Zwischen 1997 und 2001 sind circa92 000 zusätzliche Arbeitsplätze in F-und-E-intensivenBranchen in Deutschland entstanden. Die Wirkung, diediese Entwicklung auch auf die Zulieferindustrie hat, istungleich größer. Das heißt, unsere wirtschaftliche Ent-wicklung hängt ganz entscheidend von diesen Unterneh-men und Branchen ab. Deshalb sind günstige Rahmen-bedingungen für Forschungsinvestitionen so notwendig.Der Bericht unterstreicht ausdrücklich – das finde ichsehr erfreulich –, dass wir hier in den letzten Jahrendurch eine gezielte Neuausrichtung der Forschungspoli-tik gute Erfolge erreicht haben und dass wir in die rich-tige Richtung gegangen sind.
Wir haben seit 1998 die Projektförderung in Unter-nehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen umüber 44 Prozent – das sind rund 750 Millionen Euro –gesteigert. Projektförderung bedeutet mehr Wettbewerb.Deshalb war es so fatal, dass Sie in der ersten Hälfte der90er-Jahre die Projektförderung völlig nach unten gefah-ren haben.
Projektförderung bedeutet mehr Wettbewerb sowie eineverbesserte Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wis-senschaft. Damit bildet sie die Plattform für einen besse-ren und leistungsfähigeren Technologietransfer zwi-schen Wirtschaft und Wissenschaft. Genau das ist es,was wir in unserem Land existenziell brauchen. Hinzukommt die wichtige Initialwirkung für grundlegendeTechnologieentwicklungen in der Wirtschaft. Auf jedenstaatlich finanzierten Forschungseuro legen die geför-derten Unternehmen mindestens einen weiteren Eurodrauf. Auch dieser Zusammenhang spielt ganz offen-sichtlich eine große Rolle. Das ist effiziente Förderpoli-tik. Es ist wichtig, auch privates Forschungskapital zumobilisieren. Deshalb werden wir unsere Forschungsför-derpolitik fortsetzen und weiter ausbauen.
Die wesentlichen Impulse für wirtschaftliches Wachs-tum und neue Arbeitsplätze gehen von einer begrenztenZahl von Technologien aus. Wir konzentrieren deshalb dieForschungsförderung genau dort, wo die größte Hebelwir-kung auf Wachstum und Beschäftigung zu erwarten ist.Wir stärken deshalb mit einer hohen Priorität die Informa-tions- und Kommunikationstechnologien; denn sie sinddie Wachstumsmotoren für viele andere Branchen.
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Ich möchte kurz noch einen weiteren Punkt anreißen.ir ist es besonders wichtig, dass wir gerade die kleinennd mittleren Unternehmen motivieren konnten, wiedertärker in Forschung und Entwicklung zu investieren.ie Zahl der kleinen und mittleren Unternehmen, die aner Forschungsförderungspolitik meines Ministeriumsartizipieren, die also Forschungsförderungsmittel innspruch nehmen, ist alleine in meiner Amtszeit umber 60 Prozent gestiegen.
as war notwendig und ist richtig. Deshalb werden wiriesen Kurs fortsetzen.
Einen besonderen Akzent legen wir auf die so ge-annten Spin-offs. Allein diese technologieorientiertennternehmensgründungen schaffen rund 13 000 neuerbeitsplätze pro Jahr.Kurz gesagt, meine sehr geehrten Damen und Herren:er Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeiteigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind und gute Vor-ussetzungen für Erfolg im internationalen Wettbewerbeschaffen haben. Deshalb werden wir diese Politik auchortsetzen.Vielen Dank.
Ich erteile Kollegin Katherina Reiche, CDU/CSU-raktion, das Wort.
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Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Die technologische Leistungsfähigkeit Deutsch-lands hat weltweit einen guten Ruf; sie ist eine elemen-tare Säule unseres Wirtschaftssystems. Deshalb ist derBericht, den wir heute diskutieren, auch das Schicksals-buch unseres Wohlstandes. Daher lohnt es sich, die Ent-wicklungslinien genauer zu analysieren und daraus poli-tische Schlüsse zu ziehen.Ausgehend von einem hohen Stand an Innovations-kraft gibt es ernste Warnsignale, die deutlich machen,dass der Forschungsort Deutschland von seiner Substanzlebt. Eine Entwicklung, die bereits Mitte der 90er-Jahreeinsetzte, hat sich seit 1998 unter rot-grüner Verantwor-tung dramatisch verschlechtert. Da hilft auch keinSchönreden der Ministerin.
Dies zeigt beispielsweise die Bilanz der technologischenDienstleistungen: Wir kaufen in Deutschland mehrKnow-how ein, als wir exportieren.
Die entscheidende Vergleichsgröße dafür ist die Nega-tivbilanz der technologischen Dienstleistungen; dassind Patente, Lizenzen, Forschung und Entwicklung,EDV- und Ingenieurdienstleistungen.Laut Berechnungen der Deutschen Bundesbank beliefsich der Negativsaldo bei diesen technologischenDienstleistungen 1998 auf 2,5 Milliarden Euro, im Jahr1999 schon auf 4 Milliarden Euro, 2000 dann auf5 Milliarden Euro und 2001 schließlich auf 7,5 Milliar-den Euro. Parallel dazu gab es einen rapiden Abbau beider Beschäftigung in F-und-E-intensiven Industriezwei-gen. Besonders besorgniserregend ist hier das Nachlas-sen von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten derMittelständler. Dazu hält der Bericht lediglich lapidarfest, Klein- und Mittelbetriebe hätten sich aus F und Ezurückgezogen.Ein internationaler Vergleich der Liga ist immer wich-tig, damit man sich nicht selbst täuscht, so der Bericht.Deutschland will und muss im Technologiebereich in derWeltspitze mitspielen; sonst werden wir die Problemebei uns in Deutschland nicht lösen und die vor uns ste-henden Herausforderungen nicht bewältigen können.
Die Messlatte im internationalen Vergleich darf auchnicht nach unten gelegt werden. Unsere Konkurrentensind die USA und Großbritannien und nicht etwa dieSlowakei oder die baltischen Staaten.
Im Vergleich mit den G-7-Ländern sowie mit derSchweiz, Schweden, Finnland, Niederlande und Koreafällt Deutschland laut Bericht bei investiven Anstren-gungen zurück; auch in der Spitze – so der Bericht –sieht es nicht gut aus. Besonders im Bereich der Spitzen-technologien verlieren wir Weltmarktanteile. Wir fallenalednGdsFKfEuwRzcsdetsmBdbsDsseKmvlä
jedoch knapp 30 Prozent, in den USA 25 Prozentund selbst im rezessionsgeplagten Japan 15 Prozent.rau Bulmahn, das ist für uns ein Armutszeugnis.
Leider hat die Bundesregierung die eindeutigenennzahlen in Bezug auf die technologische Leistungs-ähigkeit Deutschlands zunehmend außer Acht gelassen.rschwerend kommt hinzu: Es fehlt eine Strategie, umnsere technologische Leistungsfähigkeit zurückzuge-innen; es fehlt ein Konzept. Deshalb gilt es jetzt dasuder herumzureißen, eine Aufbruchstimmung zu er-eugen und einen Paradigmenwechsel in zwei wesentli-hen Bereichen herbeizuführen: einmal in der Wirt-chafts- und Finanzpolitik durch steuerliche Anreize,urch eine Abgabenentlastung des Mittelstandes, durchine Senkung der Staatsquote und durch einen Bürokra-ieabbau und zum anderen im Bereich Bildung und For-chung durch eine Aufstockung der Investitionen aufindestens 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Frauulmahn, wir haben es erst dann wieder geschafft, wenneutsche Nobelpreisträger nicht mehr in Amerika le-en, forschen und dort ihre Preise bekommen,
ondern ihren Lebens- und Arbeitsschwerpunkt ineutschland haben.
Die hohe Bürokratiedichte, eine Flut zusätzlicher Vor-chriften, ungünstige steuerliche Rahmenbedingungen,chleppende Zulassungs- und Genehmigungsverfahren,in überregulierter Arbeitsmarkt, eine schwächelndeonjunktur, eine unsichere Rechtslage und Fachkräfte-angel, all das ist Ursache dafür, dass die Umsetzungon neuen Ideen in Deutschland derzeit schleppend ver-uft.
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Katherina ReicheEin Haupthemmnis für Innovation und Expansion istdie Kapitalknappheit. Im „Deutschen BiotechnologieReport 2002“ von Ernst & Young ist nachzulesen, dassder Boom in der Biotechbranche im Jahr 2001 nur durchdie Risikokapitalfinanzierung vor allem in der Start-up-Phase und in der Expansionsphase möglich war.Die Situation auf dem Risikokapitalmarkt sieht inDeutschland derzeit jedoch schlecht aus. Der Anteil ameuropäischen Risikokapitalmarkt ist von 18 Prozent auf13 Prozent gefallen, während der Anteil Großbritanniensauf 34 Prozent stieg. Wir drohen also in Europa und inder Welt den Anschluss zu verlieren. Es gibt in Deutsch-land keinen Mangel an Arbeit, sondern einen Mangel anArbeitgebern.
Wir laufen Gefahr, im Biotechnologiebereich potenzielllebensfähige Unternehmen zu verlieren ebenso wie eineganze Generation von Forschern, geistiges Eigentumund damit auch den Anschluss.Öffentlich finanzierte Forschung muss stärker an In-novationen orientiert werden. Dies geschieht am effek-tivsten, wenn ein substanzieller Anteil – das hat FrauBulmahn ausgeführt – im Wettbewerb vergeben wird.Ganz besonders wichtig ist es deshalb, auch die Ressort-forschung in den Wettbewerb einzubeziehen.
Es ist ein Unding, dass die 52 Ressortforschungseinrich-tungen des Bundes mit 12 000 Wissenschaftlern und9 000 Mitarbeitern bisher nicht einer systematischenEvaluierung unterzogen wurden.
Sowohl die Evaluation der Leibniz-Institute als auch dieProgrammförderung der Helmholtz-Zentren zeigt dies.Damit Forschungseinrichtungen im Wettbewerb uminnovative Forschungsprojekte eigenverantwortlich undflexibel agieren können, müssen sie ihre Profile selbst ge-stalten, eine autonomere Personal- und Gehaltspolitik be-treiben sowie über den Mitteleinsatz und Investitionenselbstständig entscheiden können. So müssten an dieStelle des starren BAT-Gefüges flexible, frei aushandel-bare Arbeitsverträge im Rahmen eines Wissenschafts-tarifvertrages treten. Das würde auch den Personalaus-tausch zwischen Wissenschaft und Wirtschaft erleichtern.
Es kommt außerdem darauf an, die Forschung aus denKlauen der Bürokratie zu befreien. Auch Bürokratieab-bau sorgt für mehr Freiheit der Forschung. Ich erinnerenur an das De-facto-Moratorium im Bereich Biotechno-lopahNwdsglNdehvAdIWbrRassWbrshMdrdIPgwiVes
Frau Bulmahn, es ist eben nicht damit getan, dass wiröhere Studienanfängerzahlen haben. Entscheidend istor allem, was „hinten herauskommt“, also wie vielebsolventen es schließlich gibt. Da besteht Nachholbe-arf.
n diesem Bereich kann der Bund gemeinsam mit derirtschaft und gemeinsam mit den Ländern Anstöße ge-en.Ein Letztes. 1998 – ich weiß nicht, wer sich noch da-an erinnert – hat der Exfinanzminister Lafontaine seinessort zulasten seines Kollegen im Bereich Wirtschaftusgebaut. Das BMBF musste in diesem Zuge zwei we-entliche Bereiche, nämlich den Bereich Energiefor-chung und den Bereich Technologieförderung, an dasirtschaftsministerium abgeben. Den erhofften Erfolgrachte das nicht. Es gibt eine mangelnde Koordinie-ung und eine ausgeprägte Schieflage in der Finanzaus-tattung. Frau Bulmahn, Sie sollten sich ernsthaft bemü-en, diese Kompetenz jetzt zurückzuholen und Ihrinisterium zu stärken, damit aus dem jetzigen Bil-ungsministerium auch wieder ein Technologieministe-ium wird.Deutschland besitzt nach wie vor ein immenses, voner rot-grünen Bundesregierung aber nicht genutztesnnovationspotenzial. Mit dem von mir beschriebenenaradigmenwechsel in der Wirtschafts- und Technolo-iepolitik könnte Deutschland wieder dahin kommen,ohin es gehört, nämlich als Lokomotive an die Spitzen Europa.
on Rot-Grün ist diese Initialzündung nur schwerlich zurwarten. Deshalb fordern wir Sie auf, unsere Vor-chläge umzusetzen.Vielen Dank.
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Ich erteile dem Kollegen Fritz Kuhn, Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wenn man den Bericht genau liest, dann stelltman fest, dass er, was den Technologiestandort Deutsch-land angeht, viel Licht, aber auch Schatten formuliert.
Nachdem ich Ihre Rede gehört habe, Frau Reiche, mussich sagen: Sie müssen den Bericht mit einer Spezialbrillegelesen haben. Sie haben alles Positive einfach ausgelas-sen und nur kritische Fragen formuliert.
Ich will Ihnen einmal drei Beispiele dafür nennen,was sich seit 1998 positiv verändert hat, und dannwill ich dieses 98er-Thema auch wieder verlassen.Die F-und-E-Ausgaben des Bundes, die bei Ihnen 1997und 1998 bei 8,2 Milliarden Euro lagen, haben wir imJahr 2002 auf 9,1 Milliarden Euro angehoben. Es gabjetzt einige Einsparungen; aber in den nächsten Jahrenwerden wir die F-und-E-Ausgaben des Bundes wiederanheben. Anders als bei Ihnen also Wachstum in demBereich!
Die Zahl der Inlandspatente ist gestiegen. Auch dieZahl der Studienanfänger liegt um 8 Prozent höher als1998, übrigens mit starken Zugewinnen bei den Anfän-gern in der Informatik. Wir haben also in allen Punkten,die Sie uns jetzt vorgehalten haben, deutliche Verbesse-rungen gegenüber dem erzielt, was CDU und CSU ange-richtet haben.
Frau Reiche, wenn Sie hier so fröhlich argumentieren,man solle in Deutschland jetzt endlich die im Rahmender Lissabon-Strategie vereinbarten 3 Prozent des Brut-tosozialprodukts für F-und-E-Ausgaben erreichen, dannmuss ich Ihnen Folgendes sagen: Sie verweigern sichsystematisch dem Subventionsabbau in entscheidendenBereichen,
fordern dann aber voller Vergnügen mehr für Forschungund Technik. Das geht wirklich nicht. Daraus wird keinSchuh. Sie müssen konsequent für Subventionsabbau ein-treten und dürfen nicht im Vermittlungsausschuss des Bun-desrats Ihre Zustimmung verweigern. Dann wäre Ihr Rede-beitrag ehrlich. So ist er aber einfach politisch unseriös.
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eswegen ist es des Schweißes der Edlen wert, sichirklich mit der Frage zu befassen, wie man in Deutsch-and zu mehr technologischen Innovationen kommt.
Besondere Sorgen macht uns von den Grünen zumeispiel, wie schlecht die Diffusion von I-und-K-Tech-ik in vielen Bereichen der Wirtschaft ist. Beim Hand-erk, bei den Dienstleistungen, bei den produktionsna-en Dienstleistungen und bei den Finanzdienstleistungenaben wir im EU-Bereich in den letzten Jahren so gutie kein Produktivitätswachstum, während im Vergleichazu in den USA ein Wachstum von 4 bis 5 Prozent vor-anden ist. Das wirft uns in diesen Bereichen zurück. Inen nächsten Jahren müssen wir uns mehr auf diesenunkt konzentrieren.Ich möchte ein paar Punkte nennen, die uns in derrage, wie wir zu mehr Innovationen in Deutschlandommen können, wichtig sind:Erstens. Wir brauchen massive Reformen in der Bil-ungspolitik, schon in der Grundschule und in den Kin-ergärten angefangen. Ich finde, dass das, was die KMKls Konsequenzen von PISA zustande bringt, zu langsameht.
ass die schwarz-regierten Länder aus der Bund-Län-er-Kommission aussteigen, ist in diesem Zusammen-ang kein Vorteil, sondern nichts anderes als ein Nach-il.
ir brauchen ein Bildungssystem, das Neugier, Kreati-ität, Teamfähigkeit und Methodenwissen zum Zentrumer pädagogischen Auseinandersetzung und Arbeitacht;
enn das sind die Schlüsselqualifikationen, die man fürnnovationen braucht.Beispiel Lehrerfortbildung: In den USA müssen Leh-er in fünf Jahren 50 Stunden Fortbildung nachweisen; Deutschland ist es eher ein Hobby für diejenigen, die
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Fritz Kuhnohnehin schon ambitioniert sind. Dies muss man in denLändern ändern. Ich sage deutlich: Wenn die Länder diesnicht schaffen, dann muss der Bund nachhelfen, dass siedie Veränderungen, die wir für die Förderung von Inno-vationen und die wirtschaftliche Entwicklung brauchen,vornehmen.
Zweitens: Schritt für Schritt mehr Investitionen inForschung und Entwicklung in Deutschland. Die3 Prozent, die die Ministerin genannt hat, sind eine rich-tige Zielgröße. Wir werden uns auf den Weg machen,dies auch zu finanzieren, und zwar nicht mittels höhererVerschuldung, wie Sie es propagieren, sondern systema-tisch über Subventionsabbau. Das ist nämlich der einzigerichtige Weg.Dritter Punkt. Wir brauchen mehr Fachkräfte undMenschen, die über hoch spezialisiertes Wissen verfü-gen. In den nächsten fünf bis sechs Jahren gehen inDeutschland viele in Pension bzw. in den Ruhestand, dieüber dieses Wissen verfügen. Da sage ich ganz klar anIhre Adresse, Frau Reiche: Wer wie Sie in der Zuwande-rungspolitik eine totale Verweigerungshaltung an denTag legt, der gefährdet in gewisser Weise den Innovati-onsstandort Deutschland. Sie machen hier reaktionärePolitik zulasten der Arbeitsplätze und unserer eigenenInteressen.
Es gibt Schwierigkeiten – das haben Sie angespro-chen – bei der Finanzierung von Innovationen, undzwar nicht in der Phase der Existenzgründungen, son-dern in den darauf folgenden Phasen, wenn mehr Geldbenötigt wird. Deswegen möchte ich vorschlagen, dasswir uns rasch über das hinaus, was die Mittelstandsbankin diesem Bereich tut, um die steuerlichen Rahmenbe-dingungen für innovative Betriebe kümmern. Die gene-relle Steuerpflicht für wesentliche Beteiligungen ist inder Phase ein Hindernis.
Der Verlust des Verlustvortrages bei sich schnell ändern-den Eigentümerstrukturen ist hier ein Hindernis. Auchdie Steuerpflicht für Lizenz- und Patentgebühren stellthier ein Hindernis dar. Ich rate allen in diesem Parla-ment, zu schauen, was Frankreich und England tun.
In der nächsten Zeit müssen wir neue Vorschläge ma-chen, wie Innovationen steuerlich begünstigt werdenkönnen.
– Hören Sie doch einfach in Ruhe zu. Vor allem Sie,Herr Niebel, können das eine oder andere lernen.Der nächste wichtige Punkt, den ich ansprechenmöchte, ist, dass wir Subventionen abbauen müssen.Das Festhalten an alten Subventionen ist der Feind vonnncluDAhesmgügsndzcAhwVcnitdtiKgwmsDLl
eshalb sagen wir: Förderung von Innovationen undbbau von Subventionen müssen in einem Zuge gesche-en.
Ich komme zum Schluss und möchte dabei noch aufines hinweisen: Wenn man einmal in die Wirtschaftsge-chichte schaut und untersucht, welche Gesellschaftenehr Innovationen hervorbringen, dann stellt man Fol-endes fest: Es sind in der Regel Gesellschaften, dieber klare gemeinsame Ziele verfügen, auf diese bezo-en ihre Techniken entwickeln und nicht einfach pau-chal alle Techniken fördern, die ihnen möglich erschei-en. Ich sage Ihnen: Die Propagierung von Strategiener nachhaltigen Entwicklung und von Strategien, dieum Beispiel weg vom Öl in allen Technologieberei-hen, insbesondere bei den Antriebskonzepten für dasuto, führen, wird sich auch auf das Innovationsgesche-en an Hochschulen, Forschungsstätten und in den Ent-icklungsabteilungen der Betriebe auswirken. Meinorwurf an die Opposition lautet: Sie sind bezüglich sol-her Ziele blind, deswegen haben Sie keinen klaren In-ovationsbegriff.
Ich glaube, dass die Regierung auf einem guten Wegst, vor allem wenn sie mehr für nachhaltige Entwicklungut. Dafür stehen die Grünen. Wir werden uns auch weiterafür einsetzen, Frau Reiche.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Kollegin Ulrike Flach, FDP-Frak-
on.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herruhn, ich betrachte mit großem Interesse Ihre Äußerun-en zum Thema Subventionen. Als Nordrhein-Westfälinäre ich Ihnen natürlich sehr dankbar, wenn Sie das ein-al im Detail mit Frau Höhn bereden würden. Das wäreehr hilfreich für ein Land wie NRW, das weit unter demurchschnitt liegt.
Liebe Kollegen, der Bericht zur technologischeneistungsfähigkeit ist für die Forschung und Entwick-ung in Deutschland ungefähr das, was die Hannover
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Ulrike FlachMesse für die Industrie ist: ein Spiegel der Fähigkeit einerVolkswirtschaft zu Innovationen und ihrer Wettbewerbs-fähigkeit. Da haben Sie, Frau Bulmahn, natürlich die Be-reiche aufgezählt – das nehme ich Ihnen nicht übel –, indenen Fortschritte erzielt wurden. Aber der Tenor desBerichtes insgesamt entspricht dem natürlich nicht, son-dern er enthält eher das klare und deutliche Signal:Deutschland fällt eher zurück, als dass es auf der Auf-steigerliste steht.
Der im Schnitt gute Bildungsstand der Bevölkerungist ein Plus; das sagt auch der Bericht. Aber wir alle, diewir hier sitzen, wissen doch, dass unsere Bildungsan-strengungen im internationalen Bereich alles andere alsgut dastehen.
Wir sind international nicht in der Lage, mitzuhalten.Die anhaltend schwache binnenwirtschaftliche Dynamikwird auch weiterhin zu einem Zurückfahren der F-und-E-Budgets der Unternehmen führen. Frau Bulmahn, bei40 000 Unternehmenspleiten im Jahre 2002 ist dies auchnicht verwunderlich. So sagt der Bericht eindeutig, dassjetzt die Nagelprobe Ihrer Politik bevorsteht. Ich zitiere:... Zukunftsinvestitionen in Forschung – und diesgilt parallel auch für die Bildung – sind das Letzte,was dem konjunkturellen Rotstift der Haushalts-konsolidierung zum Opfer fallen darf ...Da müssen Sie sich fragen lassen, Frau Bulmahn, obeine Nullrunde bei den großen Forschungsorganisatio-nen mit Ausnahme der DFG, ob ein Zurückfahren desHaushaltes des BMBF dem wirklich entspricht.
Wenn Sie das Ganztagsschulprogramm, das eigentlichein Familienprogramm ist und deswegen gar nicht in Ih-ren Haushalt gehört und auch nicht drinsteht, nicht im-mer hineinrechnen würden, dann hätten Sie sogar einensinkenden Haushalt.Bei der Technologieförderung sieht es noch düstereraus. Wenn Sie die Ausgaben für Technologieförderungin Ihrem Ministerium und im BMWA zusammenfassen,dann liegen Sie 2003 um 3,1 Milliarden Euro niedrigerals 1998, nach der schrecklichen 16-jährigen Zeit vonCDU/CSU und FDP.
Nach wie vor liegt die F-und-E-Intensität Deutsch-lands deutlich hinter der Schwedens, Finnlands, Japans,der USA und Koreas. Kollegin Reiche hat das eben deut-lich gemacht. Bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt lie-gen wir bei 2,5 Prozent. Sie haben das Ziel für 2010 mit3 Prozent angegeben. Ich sage Ihnen für die FDP ganzdeutlich: Natürlich teilen wir dieses Ziel. Aber wir müs-sen einen höheren Gang einlegen, wenn wir die Steige-rungsraten Schwedens mit 30 Prozent zwischen 2000und 2002, der USA mit 25 Prozent und Japans mit1ddfwaDginwterEW1vSgFzbsfblaBDuvekkagcaeSAzs
as heißt, wir zahlen immer mehr für Patente, Lizenzennd Ingenieurleistungen an das Ausland, als wir dadurchon anderen einnehmen. Auch das ist ein Zeichen fürine Schwächung der technologischen Leistungsfähig-eit.
Für junge F-und-E-Unternehmen ist die Kapital-nappheit ein großes Problem. Im Bericht wird dazuusgeführt:Der Markt für die Frühphasenfinanzierung vonjungen Technologieunternehmen ist im Jahr 2002
entwickelt sich ... zum Strukturwandelhemmnis.Da sind wir bei den Kernpunkten, Frau Bulmahn: Esibt in Deutschland nicht nur ein Defizit bei den staatli-hen Aufwendungen für F und E, sondern es gibt ebenuch strukturelle Defizite. Wir haben noch immer keinigenes Tarifrecht für die Wissenschaft. Wir unterstützenie, Frau Bulmahn, wenn es darum geht, dies zu ändern.ber fragen Sie bitte einmal Herrn Schily – er ist be-eichnenderweise heute nicht anwesend –, was er zu die-em hoch brisanten Thema sagt.
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Ulrike FlachSie versprechen landauf, landab Veränderungen; aber esbewegt sich nichts. Wir haben immer noch keine Auto-nomie der Hochschulen bei Personal-, Finanz- undGrundstücksmanagement. Wir haben ein Steuersystem,das nicht ausreichend auf KMUs der F-und-E-Brancheausgerichtet ist.In diesem Zusammenhang möchte ich – das ist ganzaktuell – kurz auf die geplante Änderung der Körper-schaftsteuer hinweisen, auf die Sie sich offensichtlichmit den Kollegen der CDU/CSU geeinigt haben. Wenndie so genannte Mehrmütterorganschaft eingeschränktwird, wären besonders Joint-Venture-Unternehmen imForschungs- und Entwicklungsbereich betroffen.
Das verunsichert die Unternehmen. Wie sollen sie in ei-ner solchen Situation investieren?Auch die wuchernde Bürokratie ist eine erheblicheBremse für Forschung und Entwicklung. Fragen Sie dieKollegin Homburger, die Ihnen einmal in der Woche er-zählt, was diese Belastung für die deutschen Unterneh-men bedeutet.
Anstatt in Forschung und Entwicklung zu investieren,befassen sich die Unternehmen damit, irgendwelche Fra-gebögen für Statistiken auszufüllen. Da gibt es einengroßen Änderungsbedarf.
Einige Worte zur Biotechnologie. Es ist ja schön, zuhören, dass die Bundesregierung endlich die von uns seitJahren geforderte Biotechnologiestrategie vorlegen will.Für die Forscher ist vor allem wichtig, dass endlich dieWidersprüche in der Regierungspolitik beseitigt werden.Deswegen ist es so interessant, was uns Kollege Kuhneben gesagt hat.
Es wäre sehr schön, wenn Frau Künast auch einmal dastäte, was uns mit schönen Worten versprochen wird.
Selbstverständlich können wir es uns nicht leisten, dassdas eine Ministerium die grüne Gentechnik unterstütztund das andere Ministerium sie verhindern will. Das istdoch die Realität in diesem Lande.Die Biopatentrichtlinie wurde eben schon angeführt;sie ist immer noch nicht umgesetzt.
Zum Thema Patente. In den nordischen Ländern,aber auch in Korea, Holland und Kanada gibt es zwei-stellige Wachstumsraten pro Jahr bei der Patentanmel-dung. Deutschland dagegen weist gegenüber 2000 nureine Steigerungsrate von 6 Prozent auf. In wichtigenStemgvRFdwKwbsgBWdBDkBkSHwP1wsuleGBuksn
Der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeituss alle Alarmglocken läuten lassen. Er ist ein wichti-es und sehr hilfreiches Dokument, dessen Aussagen wiron der FDP sehr ernst nehmen. Bisher kann ich in deregierungspolitik insgesamt keine konsistente Linie fürorschung und Entwicklung erkennen. Es geht nicht an,ass die Anstrengungen der Forschungsministerin, dieir an vielen Stellen unterstützen, immer wieder durchabinettskollegen konterkariert werden.Aber auch ihre eigenen guten Ansätze der ersten Jahreurden durch den Haushalt 2003 und durch Ihre Wort-rüche bei der Forschungsförderung verspielt. For-chungspolitik besteht aus Verlässlichkeit – das wissenerade wir – und nicht aus Vergesslichkeit, liebe Frauulmahn.
enn Sie so weitermachen, prognostiziere ich Ihnen füren Bericht 2003 einen dramatischen Absturz in vielenereichen.
as ist genau das, was dieses Land nicht vertragen kann.Priorität für Bildung und Forschung – auch angesichtsnapper Haushaltsmittel – haben Sie versprochen, Frauulmahn. Daran werden wir Sie auch weiterhin äußerstritisch messen.
Ich erteile das Wort Kollegen Franz Müntefering,
PD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Wir befinden uns in Deutschland in einer Phaseichtiger Grundsatzentscheidungen über die zukünftigeolitik für dieses Land. Der Bundeskanzler hat am4. März von dieser Stelle aus deutlich gemacht, dassir in der Koalition entschlossen sind, Deutschland wirt-chaftlich und sozial an die Spitze in Europa zu führen,nd dass wir bereit sind, die nötigen Maßnahmen einzu-iten.Ein wichtiger Punkt dabei wird sein – auch das waregenstand seiner Regierungserklärung –, dass wir denereich von Bildung und Forschung in den Mittelpunktnserer Anstrengungen stellen. Deshalb hat der Bundes-anzler zugesagt, die Etatansätze der Max-Planck-Ge-ellschaft und anderer Forschungseinrichtungen imächsten Jahr um 3 Prozent zu erhöhen.
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Franz MünteferingDas ist eine ganz wichtige Botschaft der Regierungs-erklärung vom 14. März.
Wer auch morgen und übermorgen Wohlstand habenwill, der muss heute
in Forschung und Technologie investieren. Das tun wir.Wer morgen ernten will, muss heute
säen. Wir sind dabei, dies zu tun.
Wir wissen, dass eine große Anstrengung nötig ist.Dies gilt für beide Seiten des Hauses. Ich finde, dass dieArt und Weise, in der hier manches schwarz-weiß gemaltwird, an der Realität vorbei geht. Die schlichte Wahrheitist, dass Sie von der FDP und der CDU/CSU die nötigenEntwicklungen in den 90er-Jahren verschlafen haben,
dass Sie zusammen mit Herrn Kohl im Ohrensessel ge-sessen haben und dass wir heute alle miteinander dasauszubaden haben, was Sie damals liegen gelassen ha-ben.
Aber der Blick zurück nützt ja nichts. Jetzt müssen wirnach vorne schauen. Deshalb ist es gut, dass Frau Minis-terin Bulmahn vortragen konnte, was wir zwischen 1998und 2003, also in den letzten viereinhalb Jahren, erreichthaben. Auf die Steigerung in Höhe von rund 25 Prozentim Bereich Bildung und Forschung sind wir stolz. Diesist eine der wichtigsten Leistungen dieser Koalition in ih-rer Regierungszeit.
Wir haben aufgeholt. Wir haben das Saatgut nicht mehrverfüttert.
In den nächsten Jahren wird daraus Gutes entstehen. Daswissen wir.
Wir wissen aber auch, dass Selbstzufriedenheit nichtangebracht ist und dass in den nächsten Jahren viel zutun sein wird. Hier aber schwarz-weiß zu malen ginge ander Lebenswirklichkeit vorbei. Wir wissen, dass auchannmwundadwBsqatdsggbUeuDmesmppsdwFFsdJhztedgsgu
Vor allen Dingen wissen wir, dass die Entwicklunger letzten Jahre in Deutschland nicht reicht, damit wirieder an die Spitze kommen. Deshalb muss in diesemereich ein neuer Schwerpunkt gesetzt werden. Dazuind wir entschlossen. Die Frage ist nur: Welche Konse-uenzen zieht man aus den Erkenntnissen, die man hat,us den Entwicklungen der 90er-Jahre und aus der Reali-ät, in der wir uns heute befinden?Zu den positiven Entwicklungen gehört allerdings,ass die kleinen und mittleren Unternehmen sehr vieltärker als zuvor in die Fördermaßnahmen der Bundesre-ierung und der öffentlichen Hände überhaupt einbezo-en sind. Über 66 Prozent aller an Fördermaßnahmeneteiligten Unternehmen sind heute kleine und mittlerenternehmen mit weniger als 500 Beschäftigten. Diesntspricht einer absoluten Zahl von 1 700 Unternehmennd einer Steigerung von 45 Prozent gegenüber 1998.as ist eine stolze Zahl, die ausdrückt, dass kleine undittlere Unternehmen heute viel stärker beteiligt sind.
Deshalb hat auch der Wirtschaftsminister Recht, wennr mit seiner Mittelstandsoffensive dafür sorgt, dass die-er Teil der Innovationsförderung, auch auf kleine undittlere Unternehmen bezogen, neue und zusätzliche Im-ulse bekommt. Es geht aber nicht nur um neue Arbeits-lätze. Es geht auch darum, ob wir als Gesellschaft Fort-chritt wollen und ob wir uns auch in Zukunft bemühen,as Leben mit den Möglichkeiten technologischer Ent-icklungen menschlicher und erträglicher zu machen.Deshalb hat dieses Thema auch mit der Hoffnung aufortschritt in dieser Gesellschaft zu tun. Es geht um dierage, ob wir ökonomische, ökologische und gesell-chaftspolitische Fortschritte organisieren können. Wasie Koalition aus SPD und Grünen in den letzten vierahren im Bereich der Erneuerbaren Energien geleistetat, ist gut. Es wird sich auszahlen. Es ist vernünftig be-üglich der Arbeitsplätze und der Ökologie. In der letz-n Legislaturperiode haben wir 16 Gesetze beschlossen,ie in diese Richtung gingen. Aber 14 Mal haben Sie da-egen gestimmt. Deshalb haben Sie so wenig Grund,ich über das zu erregen, was an dieser Stelle zu tun ist.
Die Frage des heutigen und des zukünftigen Um-angs mit Energie hat nicht nur größten Einfluss aufnsere Gesellschaft, sondern auch auf die Entwicklung
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Franz Münteferingder gesamten Menschheit. Deshalb fördern wir auchweiterhin die Entwicklungen im Bereich der Brennstoff-zelle. Dies ist eine große Chance für Fortschritt auf demEnergiemarkt; damit können wir ihn revolutionieren.Wir wollen die Möglichkeiten einer solchen neuen Tech-nologie nutzen und sie unterstützen.Es war diese Koalition, die das Satellitennavigations-system Galileo in Europa mit entwickelt hat. Es bieteteine große Chance für die Mobilität in unserem Landund in den anderen Ländern der Welt.
Das sind Dinge, die in die Zukunft weisen und das Le-ben menschlicher machen, weil sie den Fortschritt in un-sere Gesellschaft bringen.Wir wissen, dass technologische LeistungsfähigkeitBedingungen hat und deshalb die Frage nach der Bil-dung und Qualifizierung zentral ist. Es ist daher wich-tig, dass wir uns an dieser Stelle darüber unterhalten,was zu tun ist. Es ist soeben schon über die Frage, ob esin Deutschland Ingenieure in ausreichender Zahl gibt,gesprochen worden. Die zuständigen Verbände sagenuns, dass 70 000 bis 80 000 Ingenieure in Deutschlandfehlen. Das hängt damit zusammen, dass wir den Men-schen bisher nicht rechtzeitig gesagt haben, wo ihre Be-rufs- und Lebenschancen sind, es hängt aber auch damitzusammen, dass die Unternehmen nicht rechtzeitig dafürsorgen, dass die nötigen Ausbildungen erfolgen. Die Un-ternehmen dürfen eben nicht nur in der Welt herumrei-sen und sich die neuesten Maschinen kaufen, sondern siemüssen auch rechtzeitig dafür sorgen, dass die Men-schen in unserem Land qualifiziert werden, damit die an-stehenden Aufgaben geleistet werden können.
Bezüglich der Frage der Leistungsfähigkeit habensich die Bundesregierung und die Koalition vorgenom-men, in dieser Legislaturperiode 8,5 Milliarden Euro fürdie Ganztagsbetreuung der Kinder in Kindergärtenund Schulhorten auszugeben. Nun können Sie sagen:Damit fangen Sie aber früh an. – Genau diesen Punktaber müssen wir sehen. Wir brauchen neue Personalent-wicklungskonzeptionen in unserem Land; das ist dieSchlüsselfrage dabei, ob uns Innovationen und technolo-gische Entwicklungen gelingen. Das Problem der Bil-dung und Qualifizierung in Deutschland werden wir nurlösen können, wenn wir vorn anfangen, nämlich bei denKindern, den Schulen. Die Koalition wird einen zentra-len Beitrag für die technologische Entwicklung und da-mit für die Zukunft Deutschlands leisten.
Wir haben uns in den letzten Wochen und Monatendie Köpfe über die Alterssicherung und die Zukunft desSozialstaats heißgeredet. Unabhängig davon, ob wir 65,67 oder 69 Prozent als Rentenniveau ins Gesetz schrei-ben, bleibt die entscheidende Frage, ob Deutschland imJwiddsgdTAZinduW–srzuedtoPübg3msDdbFRdggd
Bildung und Forschung sind eine der tragenden Säulen der Agenda 2010. Wir wissen, dass wir über viele an-ere Dinge sprechen müssen, aber eben auch über Bildungnd Forschung. Auch sie gehören zur Nachhaltigkeit.enn Sie Nachhaltigkeit in Wahlkämpfen ansprechendas wissen Sie auch alle –, erhalten Sie drei kurze Klat-cher, mehr Aufmerksamkeit nicht. Diese unsere Politikichtet sich nicht nach Legislaturperioden. Sie wird sich inehn oder 20 Jahren auszahlen. Das haben wir im Blicknd dafür setzen sich Frau Bulmahn und diese Koalitionin. Das werden wir auch in Zukunft machen. Unabhängigavon, wie Sie daran herumkritteln: Wir sind mit der Be-nung von Bildung und Forschung auf dem richtigenfad und werden das in konkrete Politik umsetzen.
Es gibt in Europa eine Zahl, die uns alle bewegt undber die wir jeden Tag sprechen: 3 Prozent. Diese Zahlezieht sich auf den Stabilitäts- und Wachstumspakt. Esibt in Europa aber noch eine andere Zahl, die mitProzent zu tun hat: Bis zum Jahre 2010 wollen wirindestens 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für For-chung und Entwicklung in ganz Europa ausgeben.iese 3 Prozent sind genauso wichtig wie die 3 Prozentes Stabilitäts- und Wachstumspakts und wir werden sieeide realisieren.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Ich erteile dem Kollegen Martin Mayer, CDU/CSU-
raktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei derede von Frau Bulmahn hat man sich gefragt: Wo istenn eigentlich die Vision? Junge Menschen, die ihr zu-ehört haben, haben wohl gemerkt: Es gab eine Vergan-enheitsbewältigung, aber keinen Blick in die Zukunft,er Menschen begeistern könnte.
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Dr. Martin Mayer
Herr Müntefering, Sie haben hier in schönen Worten– Sie sind ja Meister in Worten und Sprüchen – darge-stellt, was Sie alles machen wollen. Das Drama aber ist,dass diesen Worten keine Taten folgen.
Dazu könnte man als Beispiele die Max-Planck-Gesell-schaft und die Deutsche Forschungsgemeinschaft nen-nen, denen Sie eine Erhöhung der Zuwendungen ver-sprochen haben. Dieser Haushalt aber zeugt vonKürzungen und Stagnation.
Wir diskutieren heute über einen Bericht über Innova-tionen, der von Wissenschaftlern im Auftrag der Bun-desregierung erstellt worden ist. In dem wichtigsten Teildieses Berichts, den Aussagen zu den Perspektiven derInnovationspolitik, findet sich ein eigenartiger Satz. Ichzitiere:Die Hinweise zu den Perspektiven für die Bildungs-,Forschungs- und Innovationspolitik können nichtumfassend sein, denn der Untersuchungsauftragwar begrenzt.In welcher Weise war er denn begrenzt? Wurden be-stimmte Themen zum Tabu erklärt? Es fällt jedenfallsauf, dass im Kapitel „Chemische Industrie“, die alsBranche beispielhaft aufgeführt ist, kein einziges Wortüber die grüne Gentechnik zu finden ist. Dabei könntegerade die grüne Gentechnik Deutschland dazu verhel-fen, im Bereich der Pharmazie – Deutschland war ja ein-mal die Apotheke der Welt – wieder an die Weltspitze zugelangen. Das zu verkünden wäre visionär.
Die Bundesregierung aber macht hier Konzessionen andie rot-grünen Ökofundamentalisten und behindert diegrüne Gentechnik mehr, als sie sie fördert.Frau Bulmahn hat hier von einer Förderung der Bio-wissenschaften gesprochen. Hiervon ist die grüne Gen-technik aber ausgenommen. Das ist so, als ob jemandden Motor aufheulen lässt, damit die Leute meinen, jetztstartet er richtig, er aber in Wirklichkeit die Handbremseangezogen hat. Ich finde, mit einer solchen Politik wer-den wir Deutschland nicht an die Spitze bringen.
Bei den Innovationen ist die Bundesregierung immerdann auf dem Rückzug, wenn es brenzlig wird, und be-sonders eifrig, wenn die Schlachten geschlagen sind.Das gilt aber nicht nur für die Innovationspolitik. AlsBeispiel nenne ich die rote Gentechnik. Dabei geht esdarum, bestimmte Medikamente gentechnisch herzustel-len. Solange es hier noch gewisse Unsicherheiten gab,haben die Grünen das mit aller Vehemenz bekämpft. ErstjedlikdsrbCdWmEMvRsbndfmEinudmDdIbbbDw
s ist zu befürchten, dass sich dieses Trauerspiel beimetrorapid in Nordrhein-Westfalen wiederholt.Ein weiteres Beispiel für die Innovationsfeindlichkeiton Rot-Grün ist die Verteufelung von allem, was mitadioaktivität zu tun hat.
Wenn Sie den Weg weg vom Öl wirklich ernsthaft be-chreiten wollen, dann müssen Sie nicht nur die Erneuer-aren Energien fördern – wir sind uns einig, dass diesötig ist –, sondern dann müssen Sie auch dafür sorgen,ass Deutschland seine Spitzenstellung in der Kern-usionsforschung behält, und diesen Weg mit uns ge-einsam gehen.
s ist doch bezeichnend, dass bei ITER, einem großenternationalen Projekt der Kernfusionsforschung, dasns befähigen soll, in der zweiten Hälfte dieses Jahrhun-erts auf diesem Wege Strom zu erzeugen, niemandehr an Deutschland denkt. Es traut sich niemand mehr,eutschland als Standort vorzuschlagen, weil Rot-Grüniese Technik von vornherein verteufelt.
ch finde, das ist ein Skandal.
Wir werden im gesamten Bereich der Kerntechnikald zum Entwicklungsland. Es wird in Deutschlandald niemand mehr geben, der kerntechnische Anlagenauen, betreiben oder entsorgen kann.
as müsste eigentlich allen zu denken geben.Der Bericht der Wissenschaftler zeigt eine Reihe voneiteren Mängeln auf – das Thema Bürokratieabbau
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Dr. Martin Mayer
zum Beispiel ist schon angesprochen worden –, aber dieStellungnahme der Bundesregierung ist sehr dürftig. Siebesteht vielfach aus Worthülsen, so wie die Rede der Mi-nisterin, beginnt allerdings mit einer richtigen Feststel-lung:Die technologische Leistungsfähigkeit Deutsch-lands bestimmt über die Erfolge deutscher Unter-nehmen im internationalen Technologiewettbe-werb. Sie ist die Grundlage für wirtschaftlichesWachstum und zukunftsfähige Arbeitsplätze.Dem kann ich nur zustimmen. Aber wenn man sich imUmkehrschluss die Arbeitsplatzentwicklung in Deutsch-land mit dem dramatischen Anstieg der Arbeitslosenzah-len anschaut, kann man doch nur feststellen: Diese Bun-desregierung hat in der Innovationspolitik versagt.Deshalb sage ich: Die vordringlichste Innovation, diewir in Deutschland brauchen, ist eine neue Bundesregie-rung.
Ich erteile das Wort Kollegen Hans-Josef Fell,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutsch-land ist ebenso abhängig von seiner technologischenLeistungsfähigkeit wie Saudi-Arabien vom Ölexport.Aber im Vergleich zu Saudi-Arabien haben wir einenVorteil: Die technologische Leistungsfähigkeit ist keinebegrenzte Ressource
und Deutschland hat ein hohes Niveau. Allerdings ste-hen wir unter einem hohen Wettbewerbsdruck. Dasheißt, wir müssen das hohe nationale Niveau stetig aus-bauen, um nicht überholt zu werden. Wir müssen das In-novationspotenzial dieser Gesellschaft weiter erschlie-ßen,
um den Teufelskreis aus Konjunkturschwäche, höhererArbeitslosigkeit, wachsenden Lohnnebenkosten undwiederum Konjunkturschwäche zu durchstoßen. Wennwir die technologische Leistungsfähigkeit weiter erhö-hen, können wir die Haushaltsmisere und die Arbeitslo-sigkeit erfolgreich bekämpfen. Neue Arbeitsplätze wer-den vor allem durch neue Produkte und durch dieUmsetzung von Innovationen geschaffen. Eine intelli-gente Vernetzung der Arbeit à la Hartz-Konzept ist wich-tig, funktioniert aber nur dort, wo es auch etwas zumVerteilen gibt.Wir Grüne verkennen nicht die mahnenden Worte desTechnologieberichtes. Zum Beispiel zeigt der Bericht,dass deutsche Hightech-Unternehmen Gefahr laufen, iminternationalen Wettbewerb zurückzufallen. SchlimmernKlvsmVekdSRslfdwDFWelwSühFmstnwnS–Bz
Meine Damen und Herren von Union und FDP, wirürfen nicht in Skeptizismus und Resignation verfallen,ie Sie das tun.
er Bericht zeigt auch auf, dass Deutschland eine starkeorschungslandschaft aufweist, öffentlich und privat.ir haben hier in Deutschland viele kluge Köpfe undine sehr gute Infrastruktur. Wenn es uns gelingt, brach-iegende innovative Potenziale zu erschließen, muss unsirklich nicht bange sein.Wir müssen auf drei Ebenen vorgehen. Erstens. Dertaat muss aktiv handeln. Bund und Länder müssenber eigene Haushaltsanstrengungen auf das EU-Zielinarbeiten, 3 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt fürorschung auszugeben. Um dieses Ziel zu erreichen,üssen die Forschungsausgaben von Staat und Wirt-chaft jährlich um 5 bis 6 Prozent steigen. Dies wird un-er dem Gesichtspunkt der Haushaltskonsolidierungur gelingen, wenn im Haushalt neue Prioritäten gesetzterden,
icht aber, wenn man Subventionsabbau verhindert, wieie das immer wieder getan haben.
Gestern erst.
erechtigterweise ist deswegen im Bericht zu lesen – ichitiere –:Zukunftsinvestitionen in Bildung und Forschungsind das Letzte, was dem konjunkturellen Rotstiftder Haushaltskonsolidierung zum Opfer fallen darf.
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Auch bei der Forschungsförderung selbst müssen alteZöpfe abgeschnitten werden, um Platz für neue Triebezu schaffen.
Forschungsförderung aber ist nur das eine. Darüber hi-naus muss der Staat vor allem über die neue Mittel-standsbank aktiv Innovationen fördern. Auch dies stre-ben wir durch konkrete Maßnahmen an.Zweitens. Die Rahmenbedingungen insgesamt müs-sen so zugeschnitten werden, dass Unternehmen undBanken mehr Mittel für Technologieentwicklung bereit-stellen. Unter anderem sind hierfür die steuerlichenRahmenbedingungen zu verändern.
Genau dies wird derzeit zum Beispiel in Frankreich oderGroßbritannien gemacht: Frankreich setzt mit seinem In-novationsplan vor allem auf steuerliche Anreize. Groß-britannien lockt mit umfangreichen Steuererleichterun-gen und hohen Zuschüssen gezielt innovativeUnternehmen auf die Insel. Bürokratieabbau, ein freund-liches Einwanderungsrecht, dem Sie sich immer entge-genstellen,
Abbau von Subventionen für überkommene Strukturensowie mehr Wettbewerb in leistungsgebundenen Märk-ten sind weitere Themen, die wir angehen müssen.An dieser Stelle möchte ich, wie bereits HerrMüntefering vor mir, mit dem Bereich der Erneuer-baren Energien einen Technologiebereich hervorheben,der aufgrund guter gesetzlicher Rahmenbedingungenauch in einer schwierigen Wirtschaftslage stark expan-diert und in dem Deutschland, Frau Reiche, einen echtenSpitzenplatz in der Welt einnimmt.
Aber das sehen Sie offensichtlich nicht. Das Erneuer-bare-Energien-Gesetz hat zu umfangreichen Investitio-nen, technologischen Sprüngen, zahlreichen neuen Ar-beitsplätzen und Umsatzwachstum geführt. Von dieserErfolgsgeschichte müssen wir auch für andere Technolo-giebereiche lernen, vor allem in der Frage des ökologi-schen Umbaus.Frau Flach und Herr Mayer, wir müssen jene Zu-kunftstechnologien fördern und in sie investieren, wel-che die Bürger wollen. Dazu zählt aber nicht die grüneGentechnik. Genfood lehnen 80 Prozent der Bevölke-rung ab. Was Sie fordern, sind Fehlinvestitionen in Wirt-schaftsbereiche, die weiter rückläufig sind.
Herr Mayer, in 50 Jahren kann der Energiebedarf voll-tändig über die Erneuerbaren Energien gedeckt werden.s muss endlich Schluss sein mit der unendlichen Ge-chichte der Kernfusion, die nur Luftschlösser produ-iert, aber keine Umstellung der Energieproduktion be-irkt.
Drittens. Wir brauchen eine gesamtgesellschaftlicheufbruchstimmung für die Entwicklung von Innova-ionen. Diese Aufbruchstimmung muss parteiübergrei-end von breiten gesellschaftlichen Schichten getragenerden.
abei besteht, wie ich denke, Grund zur Eile. Ichchlage daher vor, eine Task Force einzurichten, die dasiel hat, die technologische Leistungsfähigkeit Deutsch-ands sicherzustellen und auszubauen. Diese Task Force,ie nicht mit Kommissionen zu verwechseln ist, sollöglichst schnell ressortübergreifende Lösungsansätzeorlegen. Sie muss bereit sein, unkonventionelle Wegeu gehen und eng mit dem Parlament zusammenzuarbei-en.Rot-Grün hat, anders als die alte Regierung, For-chung, Entwicklung und Bildung wieder in den Mittel-unkt gerückt. Auf diesem Weg werden wir weiter aktivoranschreiten.
Ich erteile das Wort Kollegen Helge Braun, CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Eine Firma wie Siemens erwirtschaftet dreiiertel ihres Umsatzes mit Produkten, die jünger als fünfahre sind. Ich glaube, das macht beispielhaft deutlich,ie entscheidend ständige Innovationen und Investitio-en in Forschung und Entwicklung für unser Land undnsere wirtschaftliche Zukunft sind.
Herr Fell, das Grundproblem zwischen uns scheintir zu sein, dass sich Ihre Definition von Investition undubvention offensichtlich an ideologischen Gesichts-unkten festmacht, während wir davon reden, was derirtschaft und der Gesellschaft in Deutschland nützt.
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Helge BraunSie haben das Argument der Steigerung der For-schungs- und Entwicklungsausgaben um 25 Prozentwährend Ihrer Regierungsphase so oft angesprochen,dass ich nicht umhin kann, doch noch einmal zu betonen,worum es hier wirklich geht: Es geht hier nicht um einehistorische Betrachtung der Ausgaben in Deutschland;schließlich verändert sich die Welt rasant. Zudem sindentsprechende Ausgaben in den USA – auch das ist an-gesprochen worden – in den letzten zwei Jahren um30 Prozent gestiegen, während wir nur eine Steigerungvon 6 Prozent auf die Reihe bekommen haben. Wennman sagt, das alles habe mit der Haushaltslage und derschwierigen wirtschaftlichen Zeit zu tun, muss mangleichzeitig sehen, dass die Japaner in der gleichen Zeiteine Steigerung von immerhin 15 Prozent erreicht haben– und dieses Land befindet sich nun wirklich nicht in ei-ner besseren wirtschaftlichen Lage als wir.Das alles zeigt, dass Ihre Maßnahmen, Frau Bulmahn,falsch waren, und das, was Sie in diesem Jahr getan ha-ben, war in besonderem Maße falsch. Wir haben gesterndarüber diskutiert, wie sich die Haushaltslage inDeutschland entwickelt. Es gibt ständig neue Warnzei-chen. Mit welchem Recht können Sie heute eigentlichbehaupten, dass Sie die Haushaltsmittel in den kommen-den Jahren aufstocken werden? Es gibt doch überhauptkein Licht am Horizont der schlechten Haushaltsent-wicklung, die diese Bundesregierung zu verantwortenhat.
Sie reden von einer Hebelwirkung und sagen, dass In-vestitionen in Forschung und Entwicklung uns helfen,wirtschaftliche Kraft zu entfalten. Wenn es tatsächlich soist, dass wir mit jedem Euro, den der Staat ausgibt, dieInvestitionen der Industrie und der Wirtschaft befördern,dann ist es doch erst recht notwendig, dass wir in kon-junkturell schwieriger Zeit eine wirklich große Anstren-gung unternehmen.
Der britische Physiker Michael Faraday hat es sehrschön ausgedrückt, als er auf die Frage des englischenFinanzministers, wozu seine Erfindung zu gebrauchensei, gesagt hat: „Sir, eines Tages werden Sie sie besteu-ern können.“
Gerade angesichts der schwachen Konjunktur wäre esalso richtiger gewesen, die Anstrengungen noch einmalzu intensivieren. Im Bereich der forschenden und ent-wickelnden Unternehmen können wir drei konjunktu-relle Probleme feststellen: Erstens. Die Aufzehrung derKapitaldecke der Unternehmen führt dazu, dass sie nichtgenügend Mittel haben, um im Hinblick auf neue Pro-dukte in Forschung und Entwicklung zu investieren.Zweitens. Die Risikokapitalgeber in Deutschland sind inwirtschaftlich schwieriger Zeit weniger als sonst bereit,jungen Unternehmen die Frühförderung zu geben, diesie benötigen, um Existenzen im F-Und-E-Sektor zu be-gründen. Drittens. Die anspruchsvolle Nachfrage, die esauf dem deutschen Markt immer gab, ist zusammenge-brochen. Der Run in Deutschland auf die BilligprodukteftdDkggDgükwlflssgtGstadatüledreDegwddtitShndTbPmz
Vergleicht man die Bedeutung verschiedener techno-ogieintensiver Branchen in Deutschland – auch das istchon angesprochen worden –, stellt man zahlreichetrukturelle Defizite fest. Deutschland ist nach wie vorut in den traditionellen Bereichen der Automobilindus-rie und des Maschinenbaus. Dies ist eine relativ soliderundlage für unsere Zukunft. Aber wenn wir spitzeein und unser Wohlstandsniveau in Deutschland erhal-en wollen, dann müssen wir uns darüber hinaus stärkeruf die Spitzentechnologien und die Wachstumsmärkteer Zukunft konzentrieren. Dort sieht das Bild düstererus.Bei den F-Und-E-intensiven Waren besteht ein Expor-berschuss. Aber bei den F-Und-E-intensiven Dienst-istungen sieht es wesentlich schlechter aus. Während iniesem Bereich noch 1997 Waren im Wert von umge-echnet 1 Milliarde Euro in andere europäische Staatenxportiert wurden, müssen wir heute technologischeienstleistungen in Höhe von 1,7 Milliarden Euro imngeren Bereich von F und E einkaufen. Das ist keineute Entwicklung, Frau Ministerin.
Die Branchenunterschiede zeigen sich auch bei denissenschaftlichen Publikationen. Das gute Abschnei-en Deutschlands im Science Citation Index wird wie-erum in klassischen Bereichen erwirtschaftet. Am bes-en sind unsere wissenschaftlichen Veröffentlichungenm Bauwesen. Bei Zukunftsbereichen wie Kommunika-ion oder Datenverarbeitung nimmt Deutschland keinenpitzenplatz ein. Auch da haben wir einen großen Nach-olbedarf. Die Freiheit der Wissenschaft und der Unter-ehmen müssen wir in Deutschland zurückgewinnen,amit wir in Zukunft unseren Wohlstand halten und denechnologiestandort Deutschland verbessern können.Ich selber habe Forschung an der Universität Gießenetrieben. Den Zettel mit einem Zitat, der dort an einerinnwand hing, hätte ich gerne weggenommen. Ichöchte, dass wir uns anstrengen, Deutschland wiederum Technologiestandort Nummer eins zu machen, da-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2003 3257
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Helge Braunmit dieses Zitat des Mathematikers und PhilosophenBertrand Russell keine Berechtigung mehr hat:Die Wissenschaftler bemühen sich, das Unmöglichemöglich zu machen. Die Politiker bemühen sich oft,das Mögliche unmöglich zu machen.Vielen Dank.
Dies war die erste Rede des Kollegen Helge Braun.
Unsere herzliche Gratulation!
Ich erteile das Wort dem Kollegen Swen Schulz,
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Verehrte Damen und Herren! Die technologi-sche Leistungsfähigkeit Deutschlands ist zweifelsohnenach wie vor hoch. Doch wir müssen erkennen, dass un-sere Spitzenstellung kein Naturgesetz ist. Jahr für Jahrmüssen wir an dem hohen Niveau der Leistungsfähigkeitarbeiten; denn die Konkurrenz schläft nicht.Der sehr detaillierte Bericht zur technologischen Leis-tungsfähigkeit Deutschlands hat im Wesentlichen dreizentrale Aussagen: Erstens. Wir haben seit Anfang der90er-Jahre Boden verloren. Zweitens. Die seit 1999 un-ternommenen Anstrengungen zeigen Erfolge. Drittens.Das reicht aber noch nicht aus. Wir dürfen uns nicht zu-rücklehnen, sondern müssen weiter voranschreiten.Auch und gerade in Zeiten der konjunkturellen Durst-strecke sind Zukunftsinvestitionen von größter Bedeu-tung.
Das gilt für die Wirtschaft ebenso wie für die öffentli-chen Haushalte. Es ist darum richtig, dass der Bundes-kanzler ein so klares Bekenntnis zu Investitionen in dieZukunft abgelegt hat. Die Haushaltskonsolidierung istunbestritten notwendig; denn wenn wir weiter hem-mungslos auf Pump leben, werden die kommenden Ge-nerationen noch weniger Gestaltungsmöglichkeiten ha-ben als wir. Aber genau deswegen ist Sparen keinSelbstzweck. Gerade im Hinblick auf unsere Verantwor-tung, optimale Grundlagen für die kommenden Generati-onen zu schaffen, müssen wir in Bildung, Forschung undInnovation investieren. Wir müssen für die Zukunft spa-ren, nicht an der Zukunft.
Im Technologiebericht nimmt der Bereich Bildungdiesmal zu Recht einen Schwerpunkt ein; denn schließ-lich stellt das Bildungssystem das Fundament der tech-nologischen Leistungsfähigkeit dar. Ich finde es sehrschade, dass die Opposition hierzu bislang noch weniggrdndtDBsHggNstekhassbihrdSsssteBssDwledkuSBgtieDg
ie Bachelor- und Masterstudiengänge können eineneitrag zur Attraktivitätssteigerung des Hochschulbe-uchs leisten.Der von der Bundesministerin angebotene Pakt fürochschulen ist dringend nötig, um die Studienbedin-ungen zu verbessern. Die Studienabbrecherquote mussesenkt und die Studiendauer muss gekürzt werden. Dieachwuchsarbeit ist weiter zu intensivieren. Die Hoch-chulen müssen in die Lage versetzt werden, sich ein in-rnationales Profil zu erarbeiten. Dem absehbaren Fach-räftemangel muss durch die optimale Förderung derier Geborenen, aber auch durch gezielte Zuwanderungusländischer Akademiker entgegengewirkt werden.
Wir müssen darüber hinaus unser gesamtes Bildungs-ystem auf die Erfordernisse der Wissenswirtschaft ein-tellen. Bereits in der Schule werden die Grundlagen ge-ildet. Die Menschen müssen die Chance erhalten, die innen steckenden Potenziale zu entwickeln. Die Bundes-egierung gibt bereits in Zusammenarbeit mit den Län-ern wichtige Impulse für die Qualitätssteigerung derchulbildung, etwa mit der Finanzierung von Ganztags-chulen und mit der Formulierung nationaler Bildungs-tandards.Wir müssen vor allem eines beachten: Eine Gesell-chaft, die auf die Kompetenz vieler Menschen verzich-t, weil sie aufgrund ihrer sozialen Herkunft schlechtereildungschancen erhalten, ist erstens ungerecht organi-iert und zweitens volkswirtschaftlich schlecht aufge-tellt.
er Technologiebericht hat auf diesen Missstand hinge-iesen. Während 72 Prozent der Kinder aus hoher sozia-r Herkunft den Hochschulzugang erwerben, erreichenies ganze 8 Prozent der Kinder aus unterer sozialer Her-unft. Darum sind Maßnahmen notwendig, um Kindernd Jugendliche aus so genannten bildungsfernenchichten zu fördern, statt sie frühzeitig auf ein niedrigesildungsniveau festzulegen. Die Arbeitslosen von mor-en gehen heute zur Schule. Die beste Arbeitsmarktpoli-k ist eine ausgezeichnete Bildungspolitik.
Ich hoffe, dass wir durch PISA und IGLU zu einerrnsthaften und ideologiefreien Diskussion über dieauer der gemeinsamen Schulzeit aller Kinder und Ju-endlichen kommen. Wer immer noch den gemeinsamen
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Swen Schulz
Unterricht gegen die Begabtenförderung ausspielenmöchte, dem halte ich ein Zitat aus dem Technologiebe-richt entgegen:Elitequalifikationen können nicht entstehen, wenndie frühe Förderung in der Breite versagt.
Darüber hinaus müssen wir unsere Anstrengungenforcieren, den Zugang zu Hochschulbildung zu öff-nen, damit diejenigen, die – aus welchen Gründen auchimmer – das Abitur nicht haben, über ihre beruflicheQualifikation in den Hochschulbereich gelangen undsomit ein Spitzenniveau der Bildung erreichen können.Der Technologiebericht bescheinigt uns gerade in die-sem Bereich im internationalen Vergleich eine schlechtePosition.Angesichts der skizzierten bundespolitischen Heraus-forderungen habe ich kein Verständnis dafür, dass sichdie CDU/CSU-Fraktion offenbar seit neustem gegen diegemeinsame Bildungsplanung von Bund und Ländernausspricht.
Es steht bei allen nachvollziehbaren Überlegungen zurOrganisation des Föderalismus fest, dass die Bildungeine gesamtstaatliche Herausforderung darstellt.
Bund und Länder sind zur Zusammenarbeit angehal-ten. Vor allem aber sind die Kinder und Jugendlichen da-rauf angewiesen, dass in jeder Hinsicht alles unternom-men wird, um ihren Interessen gerecht zu werden. Ichhalte es daher für grundsätzlich falsch, dass sich dieBundestagsfraktion der CDU/CSU faktisch aus der Ge-staltung der Zukunft ausklinken will. Ich setze aber da-rauf, dass die diesbezüglichen Ausführungen der Kolle-gin Reiche vorige Woche im Fachausschuss nicht mitder Fraktion abgestimmt waren und bald korrigiert wer-den.
Die Regierungskoalition hat aus der Entwicklung seitAnfang der 90er-Jahre bereits 1998 die richtigenSchlüsse gezogen und Weichenstellungen für die Zu-kunft vorgenommen. Wir alle sind jetzt aufgefordert, dasTempo zu erhöhen.Herzlichen Dank.
Auch dies war eine erste Rede im Deutschen Bundes-
tag. Herzlichen Glückwunsch, Herr Kollege Schulz!
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ie sind hier im Wort und ich gehe davon aus, dass diesin stetiger und entschlossener Anstieg wird. Was in derifriFi steht – minus 2,8 Prozent für das nächste Jahr,eil die Zuwächse im Zusammenhang mit dem Verkaufer UMTS-Lizenzen auslaufen –, werden Sie kraftvolltemmen. Sie werden Frau Bulmahn beistehen und demirtschaftsminister helfen, der hier vereinsamt in derestalt seines Staatssekretärs auf der Regierungsbankitzt.
Frau Bulmahn hat festgestellt, die Bundesregierungabe die Weichen richtig gestellt. Das fing 1998 an. Daat die Bundesregierung hier beschlossen, dass Techno-gie in den Zuständigkeitsbereich des Wirtschafts-inisters fällt. Was ist passiert? Der Mittelstand, dieuftfahrt und Energieindustrie sind an das Wirtschafts-inisterium gegangen. Die tüchtigen Beamten, die Mit-el und die Titel sind beim Wirtschaftsminister ange-ommen, aber die Begeisterung der Leitung für diese
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Dr. Heinz RiesenhuberThemen war ungemein begrenzt. Die Leidenschaft desalten Wirtschaftsministers war gedämpft. Beim neuenWirtschaftsminister wissen wir noch nicht, wie es ihmums Herz ist. Ich würde es jedenfalls gern einmal erle-ben, dass dafür gekämpft wird. Strahlkraft ist so nichtentstanden: Die Themen sind Ihnen genommen, aber an-gekommen ist nichts. Wir befinden uns in einem leerenRaum.Liebe Frau Bulmahn, Sie sind bekannt für Ihr Enga-gement bei IGLU, BAföG und PISA. Aber für einenAufbruch in die Welt der Gene, in die Welt der Compu-ter und die Welt der Quanten haben Sie nicht gesorgt.Sie verbreiten nicht gerade eine Faszination in dieserWelt.
Es ist zu Recht gesagt worden: Begeisterung und Faszi-nation machen schon die Hälfte des Erfolgs aus. Wennnicht Leidenschaft überkommt und erkennbare Freudedaran, das etwas Neues geschieht, dann sind wir alle inSchwierigkeiten.Sie haben hier im Einzelnen die angeblich richtigenWeichenstellungen aufgezählt. Aber offenbar ist die Bot-schaft nicht überall angekommen: Die Innovationsfähig-keit des Mittelstandes, die wir nun wirklich brauchen,lässt seit 1999 nach, ebenso wie die Zahl der Gründun-gen zurückgeht. Wir sind an allen Stellen in Schwierig-keiten. Die Steuerreform ist erst einmal verschoben wor-den, das betrifft die Rahmenbedingungen und nicht nurdie Programme.Herr Müntefering, ich hoffe sehr, dass Sie zu den dreiProzent Zuwachs bei der Max-Planck-Gesellschaft imnächsten Jahr stehen. Aber dass der Zweifel hieranwächst, wenn der Mittelstand erst einmal erfahren hat,dass seine Steuerreform kurzfristig verschoben wird, daskönnen Sie niemandem verübeln. Forschung lebt vomVertrauen in die Rahmenbedingungen.
Wir brauchen eine dynamische Biotechnologie; dieKollegen haben darauf hingewiesen. Gleichzeitig aberein faktisches Moratorium zu verhängen ist nicht sehrklug.
Wir brauchen die großen Flaggschiffe der Technik. Aberden Transrapid so lange zu problematisieren, dass wirdann glücklich sein können, wenn er in China fährt, istkeine besonders faszinierende Darstellung von Zu-kunftsfähigkeit und Überzeugungskraft.
Über Kerntechnik reden wir gar nicht mehr. Wir ha-ben die sicherste Kerntechnik der Welt und dann be-schließen wir, daraus auszusteigen. Wo ist eigentlichHerr Kuhn?–HskGDDedsdhbgdFgGegrskagkgddWnkZmmSFlizA
Ah, auf den letzten Bänken angekommen!
err Kuhn, ich bin etwas skeptisch gegenüber ihrer wei-en Erkenntnis, dass man sich auf bestimmte Gebieteonzentrieren sollte, die der Staat in seiner Weisheit undüte vorgibt.
er Staat weiß von Zukunft gar nichts.
er Staat erbringt schon eine großartige Leistung, wennr die Menschen nicht behindert. Der Staat sollte nichtie Zukunft bestimmen. Ältere Menschen erinnern sichicherlich noch an die großartigen Energieprogramme,ie die Bundesregierung seit 1973 aufgelegt hat. Damalsaben Sie ein Ziel von 45 Gigawatt für die Kernenergieeschlossen. Das alles ist natürlich Unsinn gewesen,ell?
Gestaltet die Zukunft offen und lasst die Menschenas machen, wozu es sie treibt. Gebt ihnen Luft undreiraum und sorgt für verantwortbare Rahmenbedin-ungen! In der damaligen Diskussion über die grüneentechnologie hat uns Herr Catenhusen bestätigt, dasss in Deutschland die beste Sicherheitsforschung auf deranzen Welt gibt. Aber dann in dieser Sache ein Morato-ium zu verhängen ist wirklich eine Perversion.
Herr Müntefering hat behauptet, dass wir in denchrecklichen 90er-Jahren die wichtigen Zeichen der Zu-unft nicht verstanden hätten. Ich sage Ihnen: Das, wasls eine moderne Forschungs- und Gründerlandschaftepriesen worden ist, ist damals entstanden. Es sindluge und herausragende Forschungsminister der Unionewesen,
ie mit technikorientierten Programmen für die Grün-ung wie TOU, wie BTU und mit dem Bio-Regio-ettbewerb eine Zukunft aufgebaut haben, die sich dy-amisch entwickelt hat. Das war eine der großen Stär-en.Ich höre mit Vergnügen, was Herr Kuhn in diesemusammenhang zu den Steuern sagt. Herr Kuhn, ichöchte über die Stichworte hinaus Konkretes hören. Sieüssen etwas bringen. Dann können wir diskutieren.prechen Sie zum Beispiel über das, was Herr Eichel anrost über die Landschaft gelegt hat, als er die Wesent-chkeitsgrenze für Beteiligungen auf 1 Prozent redu-iert hat. Damit ist die ganze Landschaft der Businessngels ins Rutschen gekommen. Sprechen Sie über die
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Dr. Heinz RiesenhuberFondsbesteuerung. Die Finanzämter können seit andert-halb Jahren keine verbindlichen Auskünfte mehr geben,weil kein Mensch weiß, was Sache ist. Da in Deutsch-land keine Fonds mehr gegründet werden, entsteht keinEigenkapital und bricht unsere Forschungslandschaftzusammen.Frau Bulmahn, Sie haben unter anderem die ehren-volle Aufgabe, die Forschungspolitik der Bundesregie-rung zu koordinieren, sie kraftvoll zu führen und mitCharme, Entschlossenheit und Nachdruck dafür zu sor-gen – es geht nicht nur um Geld –, dass auch im Finanz-minister die Flamme für die Zukunft Deutschlandsbrennt. Das wäre doch eine Aufgabe, die Ihrer Leiden-schaft wert wäre.
Kollege Riesenhuber, Sie sind zwar sehr schön in
Fahrt. Aber Sie reden bereits auf Kosten Ihres Nachfol-
gers.
Das dürfen Sie ihm aber nicht von der Redezeit abzie-
hen. Sie hätten mich rechtzeitig bremsen müssen.
Liebe Freunde, ich möchte nur noch mit guten Wün-
schen schließen.
Ich wünsche der Frau Forschungsministerin, dass sie
trotz ihrer reduzierten Zuständigkeiten so gut koordiniert
und einen so kraftvollen Führungsstil entwickelt, dass
ihr die Wissenschaft mit Begeisterung zujubelt, dass der
Mittelstand in ihr seine Vertreterin findet, dass die jun-
gen Unternehmen daran glauben, dass sie eine hervorra-
gende Ministerin ist, und dass ihr selbst die Opposition
applaudiert. Das braucht Deutschland.
Sie haben noch drei Jahre Zeit, um eine Strategie zu ent-
wickeln. Wirtschaften Sie nicht von Tag zu Tag. Machen
Sie einen großen Wurf für die Zukunft. Dann werden wir
die Regierungsverantwortung übernehmen und wirklich
etwas daraus machen.
Ich erteile das Wort Kollegen Jörg Tauss, SPD-Frak-
tion.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lie-ber Kollege Riesenhuber, ich bin zwar nicht in allenPunkten Ihrer Auffassung. Aber Sie waren noch ein For-snEerli–zkhdsrKmseznIDLDnSsdmedasnioa
Jetzt kriegen Sie sich doch wieder ein.Gestern hatten wir einen parlamentarischen Abendum nationalen Genomforschungsnetz. Von Ihnen waraum jemand anwesend, zumindest nicht diejenigen, dieeute hier geredet haben. Aber es ist auch kein Wunder,ass Sie nicht gekommen sind. Dorthin, wo Aufbruch-timmung herrscht und gesagt wird: „Wir sind auf demichtigen Weg“, gehen Sie nicht, weil das nicht in Ihronzept passt, weil Sie die Situation in unserem Landeies machen. Diese Wahrheit müssen Sie sich sagen las-en.
Frau Flach, es ist einfach die Unwahrheit, wenn Sierzählen, wir seien nicht in der Lage, international mit-uhalten. Das ist Ausdruck von Krawallopposition, abericht Ausdruck der Realität in diesem Lande.
ch zitiere aus dem Bericht:Die technologische Leistungsfähigkeit der deut-schen Wirtschaft ist ... hoch.as ist der erste Satz des Berichts zur technologischeneistungsfähigkeit.Die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung neh-men zahlenmäßig überdurchschnittlich ... zu ...as findet sich auf der ersten Seite des Berichts zur tech-ologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands.
eite 2: Pro Kopf sind wir in wissenschafts- und for-chungsintensiven Dienstleistungen vorn.Meine sehr verehrten Damen und Herren, da oben aufer Tribüne sitzen junge Menschen, für die wir im Mo-ent in allen Forschungseinrichtungen Schülerlaboreinrichten. Ich habe nichts dagegen, wenn Sie versuchen,ie Öffentlichkeit zu täuschen und uns zu beschimpfen;ber hören Sie doch auf, die Öffentlichkeit und die Wis-enschaft in dieser Form zu beschimpfen. Sie haben esicht verdient. Sie schmälern deren Leistungen, die sien diesem Land erbringen. Mit dieser Form von Krawall-pposition fügen Sie Deutschland Schaden zu; das mussn dieser Stelle gesagt werden.
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Jörg TaussMeine sehr verehrten Damen und Herren, Ihre Pole-mik richtet sich ein Stück weit gegen Sie selbst. FrauReiche, Sie haben gesagt: Andere Länder sind dynami-scher. Natürlich, auch dies steht im Technologiebericht:Erfreuliche Kursänderungen der letzten Jahre konntendie Versäumnisse der Vergangenheit noch nicht voll aus-bügeln. – An dieser Stelle ist nicht von den letzten fünfJahren die Rede, sondern von Ihrer Regierungszeit, HerrRiesenhuber, von der Zeit, in der bei Bildung und For-schung gekürzt worden ist und in der Sie diesen Etat alsSteinbruch benutzt haben.
Herr Riesenhuber, ich finde es nett, über Informa-tions- und Kommunikationstechnologie zu reden; Siewissen, das ist unser gemeinsames Hobby. Allerdingsgab es zu Ihrer Zeit im Bundestag noch keinen Zugangzum Internet; im Bundeskanzleramt fanden wir damalsRohrpost statt Internet vor.
Insofern sollten Sie nicht so tun, als ob Sie an dieserStelle die Erfinder der technologischen Bewegung wä-ren.Allerdings haben wir auch Probleme. Ich bin Ihnendankbar, dass einige von Ihnen zumindest an dieserStelle einmal auf die realen Punkte hingewiesen haben.Aus dem Technologiebericht geht deutlich hervor:Deutschland hat keine andere Chance auf hohe Ein-kommen bei hohem Beschäftigungsstand, als wei-terhin intensiv in Bildung und Wissenschaft, For-schung und Technologie zu investieren.Das ist der richtige Kernsatz aus dem Bericht: Wir habenkeine andere Chance, als diese Investitionen auch wei-terhin vorzunehmen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus diesemGrund sagen wir auch: Wir sind auf dem richtigen Weg.Aus diesem Grund kämpfen wir um unseren Haushalt.Aus diesem Grund hat es uns wehgetan, im Jahr 2003nicht an die Maßnahmen anknüpfen zu können, die wirin den vier Jahren zuvor umgesetzt haben. Das ist auchder Grund, warum der Bundeskanzler am 14. März hiergesagt hat: In den nächsten Jahren werden wir bei denWissenschaftsorganisationen wieder für Aufwuchs sor-gen. Dieses Signal brauchen wir.
In diesem Zusammenhang bitte ich Sie, dies zu wür-digen und nicht in dieser Form wahrheitswidrig zu kon-terkarieren, Herr Kollege Mayer. Sie haben behauptet,die Mittel für die Deutsche Forschungsgemeinschaftseien gekürzt worden. Entschuldigen Sie bitte, Herr Kol-lege Mayer: Sie sind älter als 15; PISA-Aufgabenstellun-gen dürften bei Ihnen nicht mehr zu wesentlichen Pro-blemen führen. Aber Zahlen müsste man lesen können;man müsste rechnen können. – Sie da hinten von derCDU/CSU können die „Bild“-Zeitung lesen, aber rech-nsdDzI1eNmWsfnlotrdinszsahbbteMhbzDWdmegzr–inhgzinuddtekI
Eines ist klar: Die technologische Leistungsfähigkeitiner Volkswirtschaft hängt davon ab, inwieweit es ihrelingt, Potenziale in Wachstum und Beschäftigung um-usetzen und den innovativen Strukturwandel zu forcie-en. Dies gilt auch für die neuen Bundesländer, wo es trotz aller Probleme, die es dort gibt – an den Ortensgesamt weniger Probleme gibt, wo wir es geschafftaben, für die Ansiedlung von Wissenschaftseinrichtun-en, für die Ansiedlung von innovativen Unternehmenu sorgen und Cluster in unterschiedlichen Bereichen zustallieren, beispielsweise in der Region Halle/Leipzignd anderswo. Darin liegt die Chance für die Zukunft,ie wir nutzen müssen, im Westen wie im Osten.Meine herzliche Bitte an Sie lautet: Begleiten Sieiesen Weg! Hören Sie auf, diesen Weg mit Unwahrhei-n zu diskreditieren! Begleiten Sie diesen Weg mitonkreten Vorschlägen! Begleiten Sie diesen Weg imnteresse unseres Landes und der Zukunft seiner jungen
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Jörg TaussGeneration! Um diese Generation geht es, nicht um IhreKrawallopposition. Es geht um die Zukunft unseresLandes und um die Zukunft der jungen Menschen, dieauf der Besuchertribüne heute in großer Zahl anwesendsind.
Nun hat Kollege Michael Kretschmer, CDU/CSU, das
Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Tauss, wir probieren es zum Ende dieser Debatte noch
einmal mit etwas Inhalt
und mit etwas konkreteren Sätzen.
Sie haben die neuen Bundesländer angesprochen.
Ich möchte darauf gern eingehen. Die Wissenschaftsin-
frastruktur in den neuen Bundesländern kann sich mitt-
lerweile sehen lassen. Sie ist in vielen Bereichen Welt-
spitze; in anderen Bereichen ist sie auf dem Weg dorthin.
Es gibt in den neuen Bundesländern aber auch große
Unterschiede zu den alten Bundesländern. Auch das zeigt
der Bericht in eindringlicher Weise. Ich möchte kurz da-
rauf eingehen. Das größte Innovationshemmnis ist nach
wie vor die Kleinteiligkeit der Unternehmensland-
schaft. Während in Deutschland auf 100 000 Einwohner
im Schnitt 376 Unternehmen mit einem Jahresumsatz
von 1 Million Euro kommen, so sind es in den neuen
Bundesländern gut 100 Firmen weniger, nämlich 270.
Die F-und-E-Aufwendungen in den neuen Bundeslän-
dern entfallen zu mehr als zwei Dritteln auf kleine und
mittlere Unternehmen. In Westdeutschland hingegen
tragen Großunternehmen mit über 500 Beschäftigten
85 Prozent aller F-und-E-Aufwendungen.
Die ostdeutschen Unternehmen haben in den letzten
Jahren einen großen Sprung gemacht. Sie haben in den
vergangenen Jahren den Export von forschungsintensi-
ven Gütern um jährlich 30 Prozent steigern können. Das
geschah aber auf einem sehr niedrigen Niveau. Laut dem
vorliegenden Bericht sind im Jahr 2001 lediglich 4,5 Pro-
zent aller in Deutschland produzierten F-und-E-intensi-
ven Waren in den neuen Bundesländern hergestellt wor-
den. Dort muss unsere Politik ansetzen: Wir brauchen in
größerer Zahl Unternehmen, die forschungsintensive
Produkte herstellen. Nur diese Unternehmen – auch das
steht in dem Bericht – wachsen statistisch schneller, sie
sind resistenter gegen Konjunkturdellen und sie garantie-
ren in der Regel höhere Einkommen.
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Wir möchten für die neuen Bundesländer drei Dinge
onkret ansprechen:
Erstens. Wir müssen es schaffen, den Innovationspro-
ess erfolgreicher Unternehmen auch nach Auslaufen
er Förderung weiter zu begleiten.
Zweitens. Wir wollen den Aufbau weiterer Netz-
erke und wir möchten, dass Netzwerke, die derzeit er-
olgreich arbeiten, weiteren finanziellen Spielraum er-
alten. Das muss möglich sein, weil nach Informationen
hres Ministeriums die Zuwachsraten bei den Inno-Re-
io-Projekten nicht so groß sind und der Mittelabfluss
ehemmt ist und deswegen finanzielle Ressourcen vor-
anden sind.
Drittens – ich komme zum Schluss –: Wir möchten
ie neuen Bundesländer mit Großforschungseinrichtun-
en und Centers of Excellence stärker fördern. Wir brau-
hen auch externe Impulse für mehr Wachstum. Das en-
ogene Potenzial, das jetzt vorhanden ist, reicht nicht
us, um den Wirtschaftsaufschwung in Gang zu setzen
nd die neuen Bundesländer tatsächlich voranzubringen.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufrucksache 15/788 an die in der Tagesordnung aufge-ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-erstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungo beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf:a) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Michael Meister, Dietrich Austermann, HeinzSeiffert, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder CDU/CSUStrikte Einhaltung des geltenden Europäi-schen Stabilitäts- und Wachstumspaktes– Drucksache 15/541 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsausschuss)
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Präsident Wolfgang Thierseb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Finanzausschusses zuder Unterrichtung durch die BundesregierungEntschließung des Europäischen Parlamentszu der jährlichen Bewertung der Durchfüh-rung der Stabilitäts- und Konvergenzpro-gramme (2002/2016 [INI])–Drucksachen 15/345 Nr. 34, 15/737 –Berichterstattung:Abgeordnete Georg FahrenschonKerstin AndreaeNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile dem KollegenOtto Bernhardt, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei die-sem Tagesordnungpunkt geht es um die Frage: Wie hal-ten wir es mit den Stabilitätskriterien? Zur Diskus-sion stehen ein Antrag meiner Fraktion, der CDU/CSU-Fraktion, und eine Beschlussempfehlung des Finanz-ausschusses. Zwischen diesen beiden Papieren bestehtein entscheidender Unterschied. Während sich Vertre-ter der Bundesregierung, beginnend beim Bundeskanz-ler, und Vertreter der Regierungsfraktionen seit Mona-ten auch in der Öffentlichkeit intensiv mit der Fragebeschäftigen: „Wie können wir die Stabilitätskriterienvor dem Hintergrund der schwierigen wirtschaftlichenLage ein bisschen aufweichen?“, ist unsere Position,die in dem Antrag auch ganz klar zum Ausdruckkommt: Wir sind dafür, dass die Stabilitätskriterienauch und gerade in einer schwierigen Zeit konsequenteingehalten werden.Wir erinnern in diesem Zusammenhang daran, dass esdie frühere CDU/CSU-FDP-Regierung war, die sich da-für eingesetzt hat, dass es zu dem Stabilitäts- undWachstumspakt kam. Wenn wir nach dem Hintergrundfragen, dann führt uns das in die Jahre 1997 und 1998zurück, als wir uns – viele erinnern sich – intensiv überdie Einführung des Euros unterhalten haben. Die Ein-führung des Euros war in Deutschland nicht unumstrit-ten und sie ist es auch heute nicht. Wir sind uns hier imHause sicherlich darüber einig, dass die Einführung desEuros ein ganz wichtiger, vielleicht sogar der wichtigsteSchritt auf dem Wege zur europäischen Integration war;denn er hat die europäische Integration unumkehrbar ge-macht.Natürlich gab es Vorbehalte in der deutschen Bevöl-kerung. Jeder, der damals für den Euro eingetreten ist– so auch ich –, hörte die Vorbehalte der Bevölkerung.Es wurde gesagt: Wir geben die stabile D-Mark auf undwir machen eine Union mit Ländern wie Spanien, Ita-lien, Frankreich und Portugal, die das Thema Preisstabi-lität nicht so ernst nehmen wie wir in Deutschland. – Wirhaben letztlich die Zustimmung auch der Fachwelt inDsssKhDdeen6sligRtendm–EsffZtotidHDnvAStricdedwtüSFmLdSKWug
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achdem wir von Ihnen die ganze Zeit, als es um dasteuervergünstigungsabbaugesetz ging, überhaupt nichtsehr gehört haben, wie überhaupt bei der Opposition anieser Stelle ein völliges Durcheinander festzustellenar.
Ich sage das, weil das unmittelbar mit dem zu tun hat,as Sie, Herr Kollege Bernhardt, eben angesprochen ha-en. Sie haben völlig richtig angefangen, indem Sieörtlich formuliert haben: „Wie halten wir es mit dentabilitätskriterien?“ Sie haben offenkundig Ihre eigeneraktion gemeint.
Das ist auch sehr schön. – Aber zunächst einmal mussan sich doch mit Ihnen beschäftigen. Es ist festzustel-en, dass Sie sich nun zum Verteidiger des Stabilitäts-nd Wachstumspaktes aufschwingen. Das finde ichut. Wenn wir an diesem Punkt wieder zusammenkä-en, wäre das ein großer Gewinn.Nur, verehrter Herr Kollege Bernhardt, ich erinneren Folgendes. Richtig, es war Theo Waigel, der den Sta-ilitäts- und Wachstumspakt gewollt hat. Aber wo warenn die Finanzpolitik dazu? Die Situation, die Sie uns998 hinterlassen haben, war so, dass wir 80 Milliardeneue Schulden hätten machen müssen, wenn wir nichtofort und intensiv eingegriffen hätten.
as heißt, Sie formulieren auf der einen Seite einennspruch, den Sie aber auf der anderen Seite nicht er-üllen.Was war denn im vergangenen Jahr? Wenn ich michecht erinnere, war Ihr gesamtes Wahlprogramm eininziges Versprechen mit der Konsequenz eines Bruchser europäischen Stabilitätskriterien, Herr Kollegeernhardt. Nichts von alledem hätte jemals umgesetzterden können.Was war denn im vergangenen Sommer Ihr Vor-chlag, als wir bezüglich des Wiederaufbaus in den voner Flutkatastrophe betroffenen Gebieten gesagt haben,ir könnten uns keine neuen Schulden leisten, dasüsse solide finanziert werden?
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Bundesminister Hans Eichel
Wo stünden wir hinsichtlich der Stabilitätskriterien dennheute, wenn wir Ihnen gefolgt wären?
Und so geht es weiter, wenn ich an die Verabschie-dung des Haushalts dieses Jahres denke. Von Ihrer Seitewaren keine Einsparungen geplant, sondern Sie haben2 Milliarden Euro zusätzliche Ausgaben vorgeschlagen.
Diese Doppelstrategie hat sich heute Nacht fortge-setzt. Deswegen finde ich es sehr mutig, dass Sie sichnach dem Vermittlungsergebnis hier hinstellen und sa-gen, wir müssten den Stabilitätspakt einhalten und insbe-sondere all das, was der Ecofin-Rat, der Rat der Wirt-schafts- und Finanzminister der EU, Deutschlandempfohlen hat, auch umsetzen. Hätten Sie sich selbstheute Nacht oder schon eher an die Empfehlungen ge-halten, verehrter Herr Kollege Bernhardt, dann stündenwir nun anders da.
Denn, meine Damen und Herren, wir wollen dochfesthalten, dass der Rat vor dem Hintergrund der An-nahme – damals übrigens noch gemeinsam mit der Euro-päischen Kommission – von 1,5 Prozent Wachstumempfohlen hat, dass alles, was wir im Herbst vorgeschla-gen haben, auch umgesetzt werden muss. Dazu gehörtauch das Gesetz zum Abbau von Steuervergünstigungen.So leicht können Sie sich da nicht herausschleichen.Heute Morgen tritt der Brandstifter von heute Nacht alsBiedermann auf.
Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.
Man konnte in diesem Zusammenhang eine span-nende Beobachtung machen, die übrigens sehr viel mehrmit Ihrem innerparteilichen Stellungskrieg zu tun hat alsmit der Finanzpolitik dieses Landes. Man konnte sehen,dass die Finanzpolitiker in den Ländern eine gänzlichandere Position bezogen haben als zum Beispiel die Fi-nanzpolitiker in Ihrer Bundestagsfraktion, soweit siesichtbar waren, zum Beispiel Herr Meister. Von dem Pa-ket, das vorgesehen war, sollen im Entstehungsjahr ge-rade einmal 30 Prozent umgesetzt werden. Das ist für dieZukunft ein dickes Problem.
Aber auch für dieses Jahr entsteht ein dickes Pro-blem. Wo ist denn Ihr Bemühen um die Kommunal-finanzen?VmmvOufIdLhNdHmKrbtmdsbmdHSA1lelhssPlgwttAgtDnS
on 6,7 Milliarden Euro Steuereinnahmen für die Kom-unen bleiben gerade 600 Millionen Euro übrig. Dasüssen Sie Frau Roth einmal erklären. Die Länder sinderantwortlich dafür, dass die Kommunalfinanzen inrdnung sind; denn die Kommunalfinanzen sind nachnserer Verfassungsordnung Bestandteil der Länder-inanzen. Wo ist denn die Verantwortung, insbesonderehrer Länder, für die Finanzen der Kommunen und fürie Investitionsfähigkeit der Kommunen in diesemande?Wenn man genauer hinsieht, kann man sagen: Sie nä-ern sich der Wirklichkeit sozusagen portionsweise.ach dem 2. Februar brauchten Sie zwei Monate, umahin zu kommen, dass wir uns auf Mehreinnahmen inöhe von 4,4 Milliarden Euro im Bereich der Unterneh-ensbesteuerung – dazu gehört übrigens nicht nur dieörperschaftsteuer – einigen konnten.Sehen wir uns einmal die Resolution an, die die Her-en Kollegen Steinbrück und Koch gemeinsam einge-racht haben. Heute Nacht haben Sie sich diese Resolu-ion nicht mehr zu Eigen gemacht. Aber in der Debatteorgen wollen Sie sich – so ist es heute Nacht verabre-et worden; darauf bin ich schon außerordentlich ge-pannt – darauf beziehen. Dann sieht die Welt wieder einisschen anders aus. Nach und nach schließen Sie sicheinen Vorschlägen an. Sie brauchen nur länger, bis Sieahin kommen.Folgender Punkt ist besonders interessant. Zwischenerrn Koch und Herrn Steinbrück wurde verabredet, dieubventionen in drei Jahren um 10 Prozent zu kürzen.ngesichts der Tatsache, dass wir die Finanzhilfen von998 bis 2003 um über 30 Prozent gekürzt haben, näm-ich von 11,4 auf 7,8 Milliarden Euro, ist dies kein sehrhrgeiziges Vorhaben. An dieser Stelle werden Sie mehreisten müssen.Sie reden immer davon, die Subventionen müsstenerunter. Im Subventionsbericht der Regierung Kohlind die Eigenheimzulage und die ermäßigten Mehrwert-teuersätze als Subventionen geführt. Genau dieseunkte waren Gegenstand des Gesetzes, das wir vorge-egt haben. Was ist Ihr Vorschlag? Sie können nicht vonenereller Subventionskürzung reden, wenn jedes Mal,enn es darauf ankommt, von Ihrer Seite Blockade be-rieben wird.Sie, Herr Kollege Bernhardt, reden davon, die Sys-eme der sozialen Sicherung reformieren zu wollen.ber heute Nacht konnte nur ein dürftiger Kompromisseschlossen werden, weil Sie nicht bereit sind, mehr zuun und Nein zu den Wünschen der Lobbyisten zu sagen.as ist die Lage, in der wir uns heute befinden: Sie ver-iedlichen die gesamte Situation.
Lassen Sie uns nicht abstrakt über den europäischentabilitäts- und Wachstumspakt reden, sondern ganz
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Bundesminister Hans Eichelkonkret ansprechen, wer was dafür tut, damit wir unse-ren Verpflichtungen nachkommen. Ob es der Haushalt,die Steuergesetze oder der Subventionsabbau sind: JedesMal bleiben Sie hinter den Notwendigkeiten zurück. Siesind, gemessen an Ihren eigenen Kriterien, nicht in derLage, die Verpflichtungen, die erfüllt werden müssen,auch nur halbwegs zu erfüllen.Sehr verehrter Herr Kollege Bernhardt, ich sage nocheinmal: Ich begrüße, dass es in dieser Nacht überhauptzu Bewegungen gekommen ist. Aber die Resolution, dieeine Protokollerklärung der Bundesregierung wird, aufdie Sie sich beziehen wollen, haben Sie einfach beiseitegeschoben, weil Sie ganz genau wissen, dass Sie undinsbesondere die Länder nicht über diesen Sommer kom-men werden, wenn Sie auf der Linie verharren, die Siebisher eingeschlagen haben.Wir wollen unsere Verpflichtungen im Rahmen des Sta-bilitäts- und Wachstumspakts erfüllen. Wir hätten es einStück leichter, wenn Sie uns damals einen anderen Bun-deshaushalt hinterlassen hätten. Die Defizite müssen wirnun aufarbeiten. Ich will meinen Blick aber nicht in dieVergangenheit richten, da es wenig Sinn macht. Herr Kol-lege Bernhardt, es kommt jetzt darauf an, dass Sie IhrerVerantwortung für die Länderhaushalte und für dieKommunalhaushalte, die Ihre Partei zumindest im Bun-desrat hat – Sie stellen dort die Mehrheit –, gerecht werden.Wir werden alles auf den Prüfstand stellen müssen.
Ich bin den Ländern entgegengekommen, indem ichgesagt habe: Ab dem Jahr 2004 – das war der Wunschder Länder – darf der Anteil des Bundes am dann nochzulässigen Defizit 45 Prozent und jener der Länder undKommunen 55 Prozent betragen. Dann müssen Sie fürdie 55 Prozent aber auch die Verantwortung überneh-men.
Sie dürfen nicht einfach nur erklären, dass Ihnen nichtpasst, was wir vorlegen, wenn Sie auf der anderen Seitekeine Vorschläge machen, wie man im gleichen Um-fang einsparen kann. Wo ist denn das Sparpaket derLänder, das Herr Stoiber Anfang dieses Jahres für alleB-Länder – so habe ich es damals verstanden – ange-kündigt hat?
Davon ist bis heute absolut nichts zu sehen. Ich kann esja verstehen. In Bayern stehen Landtagswahlen vor derTür. Da fällt es Ihnen natürlich besonders schwer, daseinzuhalten, was Sie vorher versprochen haben. Auchdas gehört zur Realität.Ich begrüße, dass die CDU-Fraktion in Baden-Württemberg Beschlüsse gefasst hat, die sich mit der Be-soldung im öffentlichen Dienst beschäftigen. Da wer-den viele andere nachziehen müssen. Aber ich sage nocheinmal: Für 55 Prozent des dann zulässigen Defizits derLänder und Kommunen haben die Länder die Verant-wzwfhvIdrwdnggdvdMdsDksPkmzdebmtiLtulagDES
ie Frage nämlich, welche Korrekturnotwendigkeitenich daraus ergeben.
arüber möchte ich heute nicht philosophieren, weil eseinen Zweck hat, jeden Tag neue Daten in die Welt zuetzen, und weil auch Ihre Fachleute sich in diesemunkt schon gewaltig und in kurzer Zeit geirrt haben.Also verlassen wir uns wie jeder seriöse Finanzpoliti-er und genau so, wie dies auch der Kollege Faltlhauseracht, auf die Daten, die uns mit der Mai-Steuerschät-ung und der November-Steuerschätzung vorgelegt wer-en. Aber dann, sehr verehrter Kollege Bernhardt, wirds nicht reichen, bei dem, was Sie heute Nacht getan ha-en, stehen zu bleiben. Sie werden im Laufe des Som-ers zu ganz grundlegenden Veränderungen ihrer Posi-on kommen müssen, weil Sie, jedenfalls über dieandesregierungen, in großem Umfang Mitverantwor-ng für die Entwicklung dieses Landes tragen. Das ver-ngt wesentlich mehr, als Sie heute Nacht an Einsichtezeigt haben.
Entschuldigung. – Der nächste Redner ist der Kollege
r. Günter Rexrodt, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herrichel, Sie haben sich eben darüber ausgelassen, dassie Probleme haben, Ihren Haushalt auf die Reihe zu be-
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Dr. Günter Rexrodtkommen, und dass seine Deckung nicht stimmt. Sie ha-ben so getan, als ob die Opposition schuld daran ist, dassdas nicht klappt. Aber das ist ja nun Ihre Aufgabe.
Die rot-grüne Koalition hat die Finanzpolitik ja im-mer als eine Monstranz vor sich hergetragen. Sie war diegroße Erfolgsstory. Das ist sie aber nicht mehr. Wenn SieIhre Rede schon so anlegen, fordere ich Sie auf, dieDinge, die zu dieser Misere geführt haben, doch einmalbeim Namen zu nennen. Aber unterlassen Sie Ihre stän-digen Ausflüchte, die Sie auch eben wieder angeführthaben. Am Anfang war also die riesengroße Schulden-summe, die Sie übernommen haben, schuld.
Dann waren es die Folgen des 11. September 2001. Nunist es die Unsicherheit im Irak. Diese Unsicherheit aufden Märkten gibt es ja, Herr Eichel.
Aber ich würde mir langsam einmal andere Erklärungenfür die konjunkturelle Misere einfallen lassen
und in der öffentlichen Argumentation nicht die ständigeÜberfrachtung bezüglich der Unsicherheit vornehmen.Es geht um Fakten.Der Kern des Übels, meine Damen und Herren, be-steht nämlich darin, dass sich unser Land und insbeson-dere die Wirtschaft in einer Vertrauenskrise befinden.Die Verbraucher sind verunsichert. Die Investoren inves-tieren nicht mehr. Deutschland ist gegenüber seinen Part-nerländern zurückgefallen. Deutschland ist Schlusslicht.Die Europäische Kommission geht davon aus, dass wirin diesem Jahr zum zweiten Mal hintereinander die Ver-schuldungskriterien von Maastricht nicht einhalten wer-den.Dies, meine Damen und Herren, ist das Ergebnis einerfalschen Politik,
einer Politik fehlerhafter Prognosen, gebrochener Ver-sprechungen, hektischer Ankündigungen und kleinkarier-ter Rückzieher, ungerechter und schwer verständlicherSteueränderungen, einer bürokratischen Rentenreformund einer nicht aus den Startlöchern kommenden Ge-sundheitsreform. Dies ist eine Politik, in der blanke Ge-werkschaftsinteressen die Notwendigkeit der Flexibili-sierung des Arbeitsmarktes überlagern.
– Das ist keine alte Mär. Das sind die Fakten, die geradeerst bei den Entscheidungen der IG Metall bestätigt wur-den. Die Hoffnung, die einige hatten, dass auch diesegroße Gewerkschaft endlich auf Reformkurs geht undsich an anderen orientiert, ist zerstört. Auch das, meineDbgndmtmDswtegdwisdhWH1EntihwHleKggEnmsSn
Die Fakten liegen auf dem Tisch. Was haben Sie dennetan? Kern Ihrer Politik war eine Politik der Bünd-isse. Es gab Bündnisse für jedes und alles. Sie könnenoch nicht bestreiten, dass dies der Kern der Politik zu-indest in der letzten Legislaturperiode war. Diese Poli-ik der Bündnisse, bei der man bei verschiedenen The-en mauscheln wollte, ist gescheitert. Nun, meineamen und Herren, ist auch noch die Finanzpolitik ge-cheitert. Das müssen Sie sich schon sagen lassen; dennir werden nicht darauf verzichten, Ihnen das vorzuhal-n.
Ich will jetzt gar nicht über die Dinge reden, die dazueführt haben, dass die rot-grüne Mehrheit hier vor rundrei Wochen einen Haushalt beschlossen hat, von demir heute wissen – das sage ich ohne jede Polemik, dasst Fakt –, dass er nicht das Papier wert ist, auf dem erteht;
enn die Voraussetzungen für die Einhaltung des Haus-alts sind nicht gegeben. Dazu bräuchten wir 1 Prozentachstum und Herr Eichel hat selbst gesagt, dass deraushalt nur dann eingehalten werden kann, wenn esProzent Wachstum gibt, es nicht zu einer signifikantenrhöhung der Arbeitslosenzahlen kommt, die Steueram-estie Geld einbringen wird und über das Steuervergüns-gungsabbaugesetz – eigentlich ist das ein Steuererhö-ungsgesetz – bestimmte Milliardenbeträge erwirtschafteterden. So wird es aber nicht kommen und deshalb ist deraushalt Makulatur.Aber worum geht es heute wirklich? Der Herr Kol-ege Bernhardt hat es auf den Punkt gebracht: Heute gehts um die Einhaltung der Verschuldungsgrenzen, derriterien von Maastricht. Herr Eichel, dazu haben Sie ei-entlich gar nichts gesagt, Sie haben nur über Ihre Nöteesprochen.
s ist nun einmal so, dass die Kriterien von Maastrichticht eingehalten werden können. Vielleicht wird esorgen besser.Ich möchte Ihnen zwei Aussagen ins Stammbuchchreiben. Die eine ist von der Bundesbank, die an ihrerpitze sozialdemokratisch besetzt ist. Sie schreibt in ei-em bemerkenswerten Papier vom Februar 2002:Nur eine klare finanzpolitische Linie, die eine aufAusgabenbegrenzung ausgerichtete ... Konsolidie-rungsperspektive aufweist, kann bei Konsumenten
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Dr. Günter Rexrodtund Investoren bestehende Befürchtungen... ausräu-men und... Vertrauen schaffen.Daneben möchte ich Ihnen die Entschließung desEuropäischen Parlaments, die heute auf der Tagesord-nung steht – ich verweise auf die Drucksache 15/737 –,nahe bringen. Darin heißt es in Ziffer 2,dass die Vorschriften des Stabilitäts- und Wachs-tumspakts... im Falle Deutschlands und Portugalsnicht streng angewendet wurden.Das Europäische Parlament warnt vor der Aufweichungder Kriterien durch Wahlkämpfe und nationale Verspre-chungen. Es fordert die Gleichbehandlung aller Staatenund durchgreifende Reformen der Sozialsysteme undeine differenzierte Lohnpolitik. Darüber hinaus fordertes einen flexiblen Arbeitsmarkt.Das alles sind Forderungen des Europäischen Parla-ments, Herr Eichel. Die rot-grüne Koalition dagegenspricht schon wieder – so steht es auch in den uns vorlie-genden Unterlagen – von Rücksicht auf die ökonomi-sche Gesamtsituation und etwaigen Sondereinflüssen.Das ist doch das Einfallstor für die Verletzung der Krite-rien von Maastricht.
Das ist der geradezu hinterhältige Versuch, das Versagender eigenen Politik als einen Schicksalsschlag darzustel-len und sich das Ganze in Brüssel noch absegnen zu las-sen.
Damit wird Deutschlands Reputation als Land derStabilität ebenso verspielt wie unsere Benchmark-Funktion auf den internationalen Kapitalmärkten. Dannsind wir nicht nur Schlusslicht und ein schlechter Verlie-rer. Wir sind sogar ein gefährlicher Verlierer, wenn esselbstverständlich wird, in der Nettoneuverschuldungüber die Kriterien von Maastricht auszuweichen. DiesenWeg gehen Sie, Herr Eichel.
Angefangen hat der Bundeskanzler damit bei derFlut. Das kann man ja noch nachvollziehen. Das will ichauch nicht kritisieren. Aber dass das Ganze System hat,sehen Sie daran, dass die deutsche Regierung, der Bun-deskanzler, bei Begegnungen mit den französischen Kol-legen immer wieder die Absolutheit der Defizitkrite-rien kritisiert und sich dabei auf Aussagen bezogen hat,die diese infrage stellen.Worauf soll denn ein Stabilitätspakt abstellen, etwaauf den guten Willen, auf die reine Hoffnung oder aufdie unbeirrbare Fortsetzung des Konsolidierungskurses,wie Sie es ausdrücken, Herr Eichel? Dann können wirgleich sagen, wir haben mit Zitronen gehandelt.3 Prozent sind 3 Prozent – ich kann mich noch entsin-nen, dass Sie so argumentiert haben. Jetzt kommt es zu-rück: 3 Prozent sind 3 Prozent. Sinn dieses Stabilitäts-paktes ist doch, dass nicht auf die politischeAlltagsrhetorik, sondern auf konkrete Zahlen und Zif-fdfwaDwDszaIVkeastitPBigD1gtg
as wissen wir doch alle. Dazu müssten Sie den gesamt-taatlichen Verschuldungsrahmen um 65 Milliarden Eurourückschrauben. Die Länder nehmen Ihnen das nichtb.Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen:hre Finanzpolitik, die Finanzpolitik von Rot-Grün – einstorzeigeprojekt –, ist im Chaos gelandet. Ihnen nimmteiner mehr ab, dass wir Stabilitätspolitik machen. Es istin gefährliches Spiel, einfach so in die Verschuldunguszuweichen. Eine Vertrauenskrise im Land istchlimm, Schlusslicht zu sein macht die Menschen be-roffen. Aber die Unglaubwürdigkeit im gesamteuropä-schen Rahmen ist zu viel, Herr Eichel. Herr Eichel, hal-en Sie im doppelten Sinne des Wortes ein: mit dieserolitik und bei den Kriterien von Maastricht.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Antje Hermenau,
ündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Obwohlch sonst um eigene Worte nicht verlegen bin, will ichern mit einem Zitat beginnen:… Sie … betreiben ein Doppelspiel: Einerseits be-kennen Sie sich zu den Kriterien und zum Fahrplanvon Maastricht. Andererseits blockieren Sie durchdie Bundesratsmehrheit die notwendige Konsoli-dierung auf der Ausgabenseite. Das wirkt sich nichtnur negativ auf den Bundeshaushalt … aus, sondernSie blockieren damit auch die Konsolidierung beiLändern und Kommunen.
as hat Theo Waigel am 30. Oktober 1996 in der33. Sitzung des Deutschen Bundestages gesagt. Damalsing es um Sozialhilferecht und das Asylbewerberleis-ungsgesetz.Heute geht es um das Steuervergünstigungsabbau-esetz. Sie stellen sich hierhin, hauen auf den Putz
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Antje Hermenauund schämen sich nicht einmal dafür, dass der Erhalt desDienstwagenprivilegs Ihr Beitrag zur Konsolidierungder deutschen Staatsfinanzen ist.
Der CDU-Antrag unterstellt, wir würden eine Auf-weichung der Maastricht-Kriterien anstreben. Das istvöllig abwegig. Wenn von Flexibilität die Rede war,dann von der so genannten eingebauten Flexibilität, dieim Maastricht-Vertrag enthalten ist, deren sich jeder be-dienen kann, der sich beeilt hat, seine Strukturrefor-men durchzuführen. Andere europäische Länder könnendas tun, denn sie haben die Strukturreformen Mitte der90er-Jahre durchgezogen und befinden sich jetzt in einergünstigen Lage. Sie können ohne ein strukturelles Defi-zit, das wie ein schwerer Rucksack auf ihnen lastet, inZeiten der Konjunktur flexibel reagieren. Wir Deutschennicht.Unser strukturelles Defizit, seit Mitte der 90er-Jahreverschleppt, drückt uns fast zu Boden
und lässt uns nur schwer Luft bekommen. Das heißt abernicht, dass man die Maastricht-Kriterien aufgeben sollte.Sie unterstellen das in Ihrem Antrag nur.Auf der einen Seite betreiben Sie eine Boykott- undBlockadepolitik und versuchen alle Maßnahmen, die wirvorschlagen, zu stoppen. Sie brüsten sich sogar noch da-mit. Auf der anderen Seite tun Sie so, als wollten Siewirklich Konsolidierung betreiben, indem Sie solche lä-cherlichen Anträge vorlegen. Ihr Antrag, den Sie von derCDU/CSU vorgelegt haben, hat eindeutig das Steuersen-kungsversprechen des Herrn Stoiber im Wahlkampf desletzten Jahres versenkt. Ich sage nur: Titanic.
Sie spielen auf Zeit. Sie wollen hier so lange boykot-tieren, bis uns die Zeit davonläuft. Schon jetzt stehen wirunter großem Druck, die Reformen durchzuziehen, weilsich alles so lang hingezogen hat, weil die Reformennicht stattgefunden haben, weil Sie sie versäumt haben.Herr Kohl wollte keinem weh tun, schon gar nicht vorder schwierigen Wahl 1998.
Ich gebe gern zu, dass Herr Lafontaine auch keinemweh tun wollte und es dadurch ebenfalls zu einer Zeit-verzögerung kam. Das geht auf unser Konto und das willich nicht beschönigen.Aber seit 1999 befindet sich diese Bundesregierungauf dem richtigen Kurs, auf dem Konsolidierungskurs.
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amals hat man es nicht geschafft, die Arbeitslosigkeitach der konjunkturellen Delle wieder abzubauen. Dasefizit ist treppchenförmig immer weiter angewachsen.
ie haben nichts dagegen unternommen, fordern aberetzt, dass wir 30 Jahre Misswirtschaft in einem Ruckbarbeiten. Das ist nicht zu schaffen.
Inzwischen ist es so weit gekommen, dass der zustän-ige EU-Kommissar Solbes die Opposition in Deutsch-nd – er hat ausdrücklich die Bundesländer und den Bun-esrat, aber auch die CDU/CSU benannt – für einenisikofaktor bei der Konsolidierung der deutschen Staats-inanzen hält. Das müssen Sie sich einmal überlegen.
ch bin mir nicht sicher, ob Herr Stoiber oder Herr Kochas wirklich gewollt und gemeint haben. Ich habe sieanchmal konstruktiver als die Bundestagsfraktion er-ebt. Ihr Herumbrüllen kann ich nur so interpretieren,ass Sie den Machtverlust immer noch nicht verwundenaben und das knappe Wahlergebnis vom letzten Jahrie ganz säuerlich gestimmt hat. Mehr erkenne ich darinicht.
Zurück zum Föderalismus. Weil sich die Länder undamit die CDU/CSU, die im Bundesrat die Mehrheit hat,o schädlich aufführen, ist in Brüssel der Eindruck ent-tanden, der deutsche Föderalismus sei kein vernünftigesystem. Indem Sie Föderalismus als Obstruktion inrüssel in Erfahrung bringen, schaden Sie im Prinzip allenjenigen aus Ihrer eigenen Partei, die versuchen, dieöderalismusdebatte pragmatisch nach vorne zu treiben.ch halte das für einen ganz fatalen politischen Kurs.ber das ist Ihnen offensichtlich egal, Sie fahren aufrash.Wir schlagen jetzt ziemlich harte Reformen vor, auchm Bereich des Arbeitsmarktes, weil genau da am
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Antje Hermenauehesten Möglichkeiten bestehen, schleunigst Verände-rungen vorzunehmen. Wir reden über moderate Lohnpo-litik, über eine größere Lohndifferenzierung nach Quali-fikation, nach Region, vielleicht auch nachUnternehmen, und wir reden auch darüber, die Anreizezur Arbeitsaufnahme zu verstärken.
Das sind alles keine schönen Entscheidungen. DieRegierung Kohl hat versucht, sie so lange wie möglichaufzuschieben, und auch Herr Lafontaine hat, wie bereitsgesagt, sich nicht bemüht, sie beschleunigt umzusetzen.Das wissen wir alle. Aber seit 1999 wurde versucht, die-sen Kurs zu fahren. Es war nicht schnell genug, das ha-ben wir längst konzediert, deshalb wird jetzt auf dieTube gedrückt. Und wer stoppt, blockiert und boykot-tiert? – Sie da drüben! Sie meinen, Sie hätten die finanz-politische Weisheit in diesem Land gepachtet. Wenn mandie Ihnen zuerkennen sollte, müssten Sie sich aber an-ders verhalten.
Wir haben Beispiele in Europa, ich nenne Irland oderDänemark. In Dänemark hat eine Regierung Anfangder 80er-Jahre einen sehr strengen Konsolidierungskursgefahren. Es wurde ein hartes Sparpaket verabschiedet,die Steuern wurden erhöht und man ist damit einigerma-ßen über die Runden gekommen. In den 80er-Jahre wares noch ein bisschen einfacher als heute. Auch in Irlandhat die Regierung Anfang der 80er-Jahre versucht, dieSituation des Landes zu verbessern, aber es hat an derAkzeptanz in der Bevölkerung gemangelt. Die Bevölke-rung hatte kein Vertrauen in die Maßnahmen, die ergrif-fen wurden. Ein paar Jahre später hat Irland einen zwei-ten Versuch unternommen und das Vertrauen in derBevölkerung und in der Wirtschaft errungen, indem mandeutlich stärker auf eine Reduzierung der Ausgaben ge-setzt hat, weniger auf Steuererhöhungen und Investi-tionsprogramme. Man hat also die Ausgaben gekürzt.Das machen wir seit Jahren, aber Sie machen da nichtmit. Sie machen wohlfeile Vorschläge, sind aber nicht inder Lage, sie durchzusetzen, weil sie offensichtlich nichtfunktionabel sind. Sie sprechen vollmundig von derPhrase Subventionsabbau, aber verweigern sich, dieSubventionierung der Dienstwagen abzuschaffen. Sosieht Ihre Wirtschaftspolitik konkret aus.Wenn man aus den Erfahrungen der anderen Länderhätte lernen wollen, hätte man Mitte der 90er-Jahre an-fangen müssen, nicht erst 2001 oder 2002. Das wissenSie ganz genau. Schon Mitte der 90er-Jahre lag manselbst in Boomzeiten nur knapp unter dem Maastricht-Kriterium, das 1997 eingeführt worden ist. Man brauchteschon damals immer einen großen Wirtschaftsauf-schwung, um sich halbwegs über Wasser zu halten. Dasheißt, wir schleppten auch schon damals das große struk-turelle Defizit mit uns herum. Man kann durchaus dieParallele zu 1997 ziehen; ich habe vorhin nicht umsonstHerrn Waigel zitiert. Im Jahre 1997 hatten wir ein ver-gleichbar hohes strukturelles Defizit wie jetzt immernoch. Das Problem ist, dass es nicht gelungen ist, diesesDAvp2dnahSbvnpsvLrWshrsEedkdkldLcrsdzdfudbb
Ich kann Herrn Eichel deswegen nur allzu gut verste-en, wenn er sagt, das Ergebnis, das im Bundesrat he-ausgekommen ist, sei die Tinte nicht wert, mit der es ge-chrieben worden ist.
s bringt uns diesem Ziel nämlich nicht näher. Sie habeninen Scheinantrag vorgelegt. Sie sagen, Sie wollten,ass die Maastricht-Kriterien eingehalten werden, undeiner solle daran herumschustern; gleichzeitig verhin-ern Sie aber, dass diese Kriterien eingehalten werdenönnen, und brüsten sich sogar damit. Das ist doch wirk-ich absurd!
Herr Waigel hat am 27. Juni 1997 verkündet, 1997 seias Referenzjahr. Jedes Land habe die Chance und jedesand habe die Pflicht und für jedes Land gelten die glei-hen Voraussetzungen. Für die Entscheidung zählten üb-igens Ist-Ergebnisse des Jahres 1997 und nicht Progno-en, Schätzungen oder Quartalsabrechnungen; so vielazu, angesichts der ständig wiederkehrenden Debattenu den Hilfen für die Bundesanstalt für Arbeit. Es waramals klar, dass am Jahresende abgerechnet wird. Wasür 1997 galt, gilt aber auch für 2003.Sie versuchen, eine Obstruktionspolitik zu betreiben,nd haben im ersten Vierteljahr nur versucht, uns Hin-ernisse in den Weg zu legen und uns zum Stolpern zuringen. Das ist das Einzige, was Sie auf diesem Gebietis jetzt geleistet haben. Mehr haben Sie nicht beigetra-
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Antje Hermenaugen. Nicht ein einziger Vorschlag ist von Ihnen gekom-men. Weder in den vollmundigen Reden des HerrnRexrodt habe ich einen konstruktiven Vorschlag gehört,noch in den Ausführungen der Redner von der CDU/CSU, die vorhin gesprochen haben. Sie haben nur allge-mein philosophiert, wie die Finanzpolitik aussehenkönnte, und sind nicht konkret geworden. Das möchteich hier festhalten.
– Tja, Herr Rexrodt, wenn Sie wüssten, was ich immerdenke, wenn Sie reden!
Herr Stoiber hat am 6. April, also vor einigen Tagen,gesagt, er sehe nicht ein, dass sich Bayern an möglichenStrafzahlungen beteiligt, wenn es zu einer dauerhaftenÜberschreitung der Defizitobergrenze kommt. Er seinicht bereit, denjenigen, die Reformen verweigern unddadurch die öffentliche Hand in immer höhere Neuver-schuldung treiben, auch noch die EU-Strafen wegen desjahrelangen Reformstaus zu bezahlen.
Angesichts dieser Aussage muss ich Sie fragen, wel-ches Bundesland im Jahr 2002 denn massiv dazu bei-getragen hat, dass Herr Eichel in Brüssel die bittere Bot-schaft verkünden musste, dass eine Überschreitung desMaastricht-Kriteriums absehbar sei? – Es war das Bun-desland Hessen, das eindeutig nicht von der SPD regiertist. Hessen durfte nur 0,8 Milliarden Euro Schulden ma-chen, hat aber über 2 Milliarden Euro Schulden gemacht.Die Verfehlung des Maastricht-Kriteriums geht also we-sentlich auf das Konto CDU-geführter Länder, die ihreeigenen Interessen in den Vordergrund gestellt haben.
Wenn Sie sich auf die Lösung dieser nationalen Auf-gabe nicht einlassen wollen, wenn Sie nicht in der Lagesind, zu erkennen, worum es eigentlich geht, dann müs-sen Sie sich den Vorwurf von Herrn Solbes gefallen las-sen, dass Sie das eigentliche Konsolidierungsrisiko inDeutschland sind.
Nächster Redner ist der Kollege Friedrich Merz,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Herr Bundesfinanzminister, dem sehnlichenWunsch, den Sie hier vorgetragen haben, dass Sie vonmSuvgBzDssrbsdmEediütmpVGnsBdbSaShfbtWsebbEKBW
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Damit komme ich zu Ihrem dritten großen Problem,das Sie offenkundig nicht in den Griff bekommen. Esschlägt sich in den Defizitzahlen nieder. Eines der gro-ßen Probleme der öffentlichen Haushalte – insbesonderederer, die Sie zu verantworten haben – sind die völlig ausdem Ruder laufenden Sozialausgaben. Wenn sich dasVerhältnis zwischen Investitionen und Sozialausgabenüber einen langen Zeitraum hinweg verschlechtert undes durch verweigerte Reformen bei den sozialen Siche-rungssystemen zusätzlich eine solch dramatische Ent-wicklung nimmt, wie wir sie in den letzten Jahren fest-gwsdsRksrLrRLzstEkgdFFsbmbdmSwSs–shmAmSuSgVsbWdiNDL
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Lassen Sie mich eine Schlussbemerkung machen. Wiralle sorgen uns in erheblichem Maße um die Finanzender Kommunen. Aber dass ausgerechnet Sie dies auf-greifen und wiederum mit Kritik an der Opposition ver-binden, ist schon ein starkes Stück, Herr Eichel.
Sie in Ihrer Regierungsverantwortung sind es gewesen,die den Kommunen in einem nie da gewesenen UmfangLasten aufgebürdet haben. Gleichzeitig haben Sie denKommunen immer mehr die finanziellen Mittel entzo-gen, die erforderlich sind, um diese Lasten schultern zukönnen.
Sie haben es mehrfach abgelehnt – ich will das nocheinmal festhalten, damit die Öffentlichkeit dies zurKenntnis nimmt –, die Gewerbesteuerumlage auf dasMaß zu reduzieren, das vor der Körperschaftsteuerre-form bis zum Jahre 2000 gegolten hat. Jetzt kommen Sieim Zuge Ihrer Gewerbesteuerreform mit einigen Brosa-men an und wollen über die Einbeziehung der Freiberuf-ler in die Gewerbesteuer die Situation der kommunalenFinanzen verbessern. Das ist so, als ob jemand eine Sauaus dem Dorf treibt, anschließend mit einem Kotelett inder Hand wiederkommt und dafür bei den BetroffenenLob und Anerkennung verlangt. So geht es wirklichnicht.
Dass die Kommunen in einer solchen Verfassungsind, verbindet sich eng mit Ihrer Wirtschafts- und So-zialpolitik, der hohen Arbeitslosigkeit und den völlig ausdem Ruder laufenden Sozialhilfeausgaben in den Kom-munen. Damit schließt sich wiederum der Kreis.Wenn Sie es nicht schaffen, endlich die Reformen aufden Weg zu bringen, mit denen hinsichtlich Wachstumund Beschäftigung in Deutschland wenigstens das euro-päische Mittel erreicht wird, dann werden wir uns amheutigen Tag nicht zum letzten Mal damit beschäftigen,dass dieses Land zu unser aller Sorge erneut die Krite-rien des Maastricht-Vertrages verletzen wird. DiesesProblem hat einen Namen. Der Name ist Hans Eichel.
Nächster Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Joachim Poß, SPD-Fraktion.
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as waren, wie üblich, Sprüche von Wolke sieben imolkenkuckucksheim.
Herr Merz, wenn Sie letzte Woche Donnerstag an demespräch mit Herrn Koch teilgenommen hätten – Sie ha-en es vorgezogen, sich vertreten zu lassen –,
ann hätten Sie sehr wohl zur Kenntnis nehmen können,ass sich Herr Koch längst von Ihrer Fundamentaloppo-ition verabschiedet hat. Er ist schon in der Wirklichkeitngekommen.
Wenn Sie gestern an der Sitzung des Vermittlungsaus-chusses teilgenommen hätten, dann hätten Sie zurenntnis nehmen können, dass die Ministerpräsidentenüller, Böhmer und andere ebenfalls längst in der Reali-ät dieses Landes angekommen sind. Deswegen habenir schließlich die Vereinbarung getroffen – sie wirdorgen von Ihrer Seite durch Herrn Kauder zu Protokollegeben –, neben der bereits vereinbarten Korrektur derörperschaftsteuer die steuerpolitische Agenda neu zuröffnen.Herr Koch hat keinen Zweifel daran gelassen, wieotwendig es ist, sich mit der umfassenden Sanierunger Staatsfinanzen sowohl auf der Einnahmenseite wieuch auf der Ausgabenseite zu beschäftigen. Diesenonflikt haben Sie in Ihren Reihen noch zu lösen, Herrerz. Ich wiederhole: Sie sind bisher noch nicht aufge-tellt. Sie sind bisher mit dummen Sprüchen aufgefallennd damit durchgekommen. Diese Zeit ist aber endgültigorbei.
Jetzt geht es um konkrete Alternativen. Dabei lassenie jede konkrete Festlegung vermissen. Herr Eichel hatu Recht auf den groß angekündigten Strategiegipfelingewiesen, der sechs Stunden getagt hat. Der Bergreißte, aber nicht einmal ein Mäuschen kam dabei her-us. Das ist die Realität der CDU/CSU.Wir waren uns übrigens gestern mit Herrn Koch undnderen einig darüber
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Joachim Poß– wir haben letzte Woche Donnerstag ein ausführlichesGespräch mit Herrn Koch geführt –, dass der Verfallder Körperschaftsteuer mehrere Gründe hat. Er hatkonjunkturelle Gründe; hinzu kommen die Steuersatz-senkung im Interesse der internationalen Wettbewerbs-fähigkeit, die Sie immer gefordert haben, und die Aus-schüttung der Guthaben, die sich in der Kohl-Äraangesammelt hatten.
Zu berücksichtigen sind auch die Verlustvorträge, die inIhrer Regierungszeit entstanden sind. 1995 betrugen sie250 Milliarden DM; inzwischen belaufen sie sich auf250 Milliarden Euro.
– Auch Sie, Herr Rexrodt, kommen mit solchen Sprü-chen nicht mehr durch. – Darauf müssen wir Antwortenfinden, und zwar in der nächsten Runde der Steuer-gesetzgebung. Dann können Sie sich nicht mehr davordrücken, wie das noch gestern Abend versucht wurde.Das sind die Punkte, die für die Bevölkerung, die Wirt-schaft und auch für die Planungssicherheit bezüglich In-vestitionen wichtig sind.
Diese Koalitionsregierung muss nicht von Ihnen aufdie Einhaltung des europäischen Stabilitäts- und Wachs-tumspaktes hingewiesen werden. Wir haben das nichtnötig. Wir kennen unsere rechtlichen und politischenPflichten.
Es ist unverfroren, dass sich CDU/CSU und FDP bei denThemen Haushaltskonsolidierung und Stabilitätspakt zuWort melden. Das sind schließlich Parteien, die sonstkeine Gelegenheit auslassen, Steuer- und Abgabensen-kungen sowie öffentliche Mehrausgaben zu fordern.
Ihr Vorgehen ist unverfroren. Denn solide Finanzenund Haushaltskonsolidierung sind wahrlich nicht IhreThemen. Ihre zentrale wirtschafts- und finanzpolitischeThese – das gilt für Merz, Rexrodt und andere – lautet:Steuersenkungen zu jeder Zeit, und zwar ohne Rück-sicht auf die Folgen für die öffentlichen Haushalte vonBund, Ländern und Kommunen.Ihr Credo lautete doch: Allein durch Steuersenkungenwürde der wirtschaftliche Aufschwung in Deutschlanderfolgen, auch wenn die öffentlichen Haushalte dadurchhandlungsunfähig gemacht würden. Monatelang – nichtnur im Bundestagswahlkampf – haben Sie zum Beispieldie Senkung des Einkommensteuerspitzensatzes auf un-ter 40 Prozent – bis auf 35 Prozent – und die angeblicherforderliche steuerliche Gleichstellung von Personen-und Kapitalgesellschaften versprochen.
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eswegen in aller Ruhe: Wenn wir gemeinschaftlich anem Ziel festhalten wollen, den Stabilitätspakt wirklichrnst zu nehmen, dann setzt das die Mitwirkung der Op-ositionsparteien – jedenfalls in den Landesregierungennd auf kommunaler Ebene – voraus; aber nicht, indemie weiter schwarz malen – so wie das Herr Merz ge-acht hat – oder Obstruktion betreiben. Das ist die Al-ernative. Sie sind jetzt an der Wegscheide: entwedererantwortungsvoll Politik zu machen und sich Ihrererantwortung in den von Ihnen regierten Ländern zutellen – das gilt auch für die Kommunen – oder weiterotalopposition zu betreiben. Das ist die Situation, umie es hier geht.
Wir brauchen keine Sonntagsreden, sondern konkreteorschläge. Wie wollten Sie die Flutopferhilfe finanzie-en? Sie hatten vorgeschlagen, die Schuldentilgung dafüruszusetzen und so die Neuverschuldung des Bundes zurhöhen.
ieser Vorschlag wurde von Ihnen so vehement vertre-en, dass es für uns alle überraschend war, dass Sie imrgebnis dann plötzlich doch unserem Finanzierungs-orschlag – der Verschiebung der Steuerentlastungsstufe003 um ein Jahr auf 2004 – zugestimmt haben.
Sie haben da nicht mitgemacht? Aber die Union hat daitgemacht, Herr Rexrodt.Die faktische Missachtung von Haushaltskonsolidie-ung und soliden Finanzen ist das Kennzeichen der Poli-k von CDU/CSU und FDP, und zwar bis zum heutigenage.Bei den Beratungen des Bundeshaushaltes 2003, Herraushälter Kampeter, in dem es nun wirklich nichts zuerteilen gibt, hat die Opposition immer wieder ver-ucht, Mehrausgaben in Milliardenhöhe durchzusetzen.
uch das steht in krassem Widerspruch zu Ihrer heutigenorderung nach strikter Haushaltskonsolidierung.Ich möchte jetzt nicht an all die Leidensgeschichtenrinnern. Ich habe vorhin schon das Stichwort Strategie-ipfel genannt. Immer, wenn Sie einen Anlauf unterneh-en, um sich auf konkrete Maßnahmen zu verständigen,cheitert dieser Anlauf. Auf keinen einzigen Sparvor-
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Joachim Poßschlag konnte sich die Union bis zu dieser Debatte heuteeinigen.
Das muss in der Republik nun wirklich langsam bekanntwerden.
Sie sind mit Ihrem Latein am Ende, meine Damen undHerren von der Opposition. Sie haben Ihr verbales Pul-ver verschossen. Jetzt sind Sie gefordert.
Den gestrigen Abend im Vermittlungsausschuss hatdie starke Uneinigkeit und Zerstrittenheit der Union inStrategiefragen und inhaltlichen Fragen geprägt und be-lastet.
Weil aber offensichtlich zumindest in Teilen der Unionein Umdenken und eine Annäherung an die finanziellenRealitäten und an die politischen Erfordernisse in unse-rem Land stattgefunden hat, konnte wenigstens ein ge-rade noch akzeptabler Kompromiss erzielt werden. Die-ser Kompromiss ist aus unserer Sicht akzeptabel, aber erist auch das Maximum dessen, was man gerade nochvertreten kann. Für die Kommunen bietet er unter demGesichtspunkt der Soforthilfe in diesem Jahr nichts au-ßer einer Null. Diese Nulllösung haben Sie herbeigeführtund nicht wir.
Wenn es nach uns gegangen wäre, hätten die Kommunenschon in diesem Jahr eine kräftige Entlastung erfahren.Ob die Union ernsthaft bereit ist, endlich von Ihrerbisherigen Verweigerungs- und Blockadestrategie abzu-weichen, wird sich bei den weiteren Gesetzesvorhabenzeigen. Wir treffen uns jetzt noch öfter bis hin zum Ver-mittlungsausschuss. Wir haben uns zur Weiterverfolgungunerledigter Punkte verabredet.Es wissen alle, dass Deutschland die niedrigste Steu-erquote in Europa hat und dass die Steuerbelastung mitden bereits beschlossenen Steuerreformstufen im nächs-ten Jahr und im Jahr 2005 noch weiter sinken wird. Auchsollten alle wissen, dass insbesondere auf der Ebene derLänder und Kommunen die gravierenden Finanzpro-bleme in großem Maße auf eine unzureichende Steuer-basis zurückzuführen sind. Herr Rexrodt, Folgendes willich Ihnen einmal sagen – ich hatte das Gefühl, dass dieUnionsvertreter das ähnlich gesehen haben –: Sich miteiner grundsätzlichen Erklärung, wie das Ihr Vertreter imVermittlungsausschuss gestern gemacht hat, aus jederMitverantwortung zu stehlen geht nicht. So kann manfür Deutschland keine Verantwortung tragen.
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Niemand, der in der Regierung und in den Regie-ungsfraktionen Verantwortung trägt, stellt den Stabili-äts- und Wachstumspakt infrage. Insofern entbehrt Ihreutiger Antrag jeder Grundlage.
ie Notwendigkeit einer soliden und nachhaltigen Haus-altspolitik in allen europäischen Staaten als unabding-are Voraussetzung für Wohlstand in Europa wie auchur Sicherung der gemeinsamen Währung ist unbestrit-n. Wenn die heutige Debatte überhaupt einen Sinn hat,ann den, deutlich zu machen, dass der europäische Sta-ilitäts- und Wachstumspakt auch in der derzeitigen,ng andauernden konjunkturellen Schwächephase ge-ug Spielraum für eine angemessene nationale und euro-äische Finanzpolitik lässt und auch lassen muss. Es istoch eine ökonomische Selbstverständlichkeit, dass inußergewöhnlichen Situationen die vorübergehendeinnahme eines öffentlichen Defizits von mehr alsProzent möglich sein muss. Wer das leugnet und dieinhaltung der Dreiprozentgrenze in jeder Situation,err Rexrodt – und „koste es, was es wolle“ –, fordert,er handelt konjunkturpolitisch falsch und letztlich auchesamtgesellschaftlich unvernünftig.
Im Übrigen führt genau diese starre und falsche Sicht-eise des Stabilitätspaktes dazu, dass die Akzeptanz ei-er institutionellen Obergrenze für die staatliche Kredit-ufnahme, wie sie das Dreiprozentkriterium darstellt,usgehöhlt wird. Ich bin mir sicher: Theodor Waigel, der Europa den Stabilitätspakt durchgesetzt hat, hätte dasicht anders gesehen. Der Beschluss des Finanzaus-chusses zum Thema Stabilitätspakt, Drucksache 15/737,utet wie folgt:Der Deutsche Bundestag unterstützt die Haltungder Bundesregierung, sich weiterhin für die Einhal-tung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes einzu-setzen und im Hinblick auf die ökonomische Ge-samtsituation und auf etwaige Sondereinflüsse vonseinen bestehenden Regelungen europäisch abge-stimmt sinnvoll Gebrauch zu machen.Dem ist nichts hinzuzufügen. Diese Linie ist in öko-omischer und stabilitätspolitischer Hinsicht richtig.azu gibt es keine Alternativen, jedenfalls nicht von Ih-er Seite.Danke.
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3276 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2003
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Nächster Redner ist der Kollege Hans Michelbach,
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol-legen! Herr Poß, warum lehnen Sie unseren Antrag ab?
Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunionlebt nun einmal von soliden öffentlichen Finanzen. Nurso kann die Grundlage für Vertrauen, Preisstabilität,Wachstum und Beschäftigung geschaffen werden. Hier-für wurde unter der Federführung von Theo Waigel derStabilitäts- und Wachstumspakt in der Eurozone durch-gesetzt. Er selbst und wir, seine Mitstreiter in der CDU/CSU, konnten uns damals allerdings nicht vorstellen,dass ausgerechnet unser Land einmal so massiv gegendas Defizit- und das Schuldenstandskriterium verstoßenwird.Herr Eichel, Ihr Vorgänger Theo Waigel und unseredamalige Koalition haben die Kriterien eingehalten.
Sie verletzen die Kriterien, niemand anders. Das sind dieFakten. Alles andere ist doch üble Nachrede. Sie suchendie Schuld immer bei anderen.
Tatsächlich ist Rot-Grün das finanzpolitische Risiko inDeutschland, niemand anders.
Tatsache ist, dass Brüssel ein deutsches Defizit inHöhe von 3,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes imlaufenden Jahr erwartet. Damit werden wir nach 2002die Stabilitätsregeln auch 2003 wieder deutlich brechen.Wir müssen mit mindestens 3,4 Prozent rechnen, wennnicht ein sofortiger Kurswechsel vorgenommen wird.Herr Eichel, Sie behaupten, dass daran die Länder undKommunen schuld seien. Das ist ein Märchen; denn dasFinanzierungsdefizit des Bundes einschließlich der Sozi-alversicherungen beträgt, bezogen auf die im Finanzratvereinbarte Bemessungsgröße von 45 Prozent des BIP,4,6 Prozentpunkte.Durch die Bundespolitik sind wir zu einem gesamt-staatlichen Schuldenstand von 3,4 Prozent und mehr ge-kommen; dazu trägt allein der Bund 4,6 Prozentpunktebei. Die deutliche Überschreitung der Dreiprozentgrenzeist letztendlich damit im Zusammenhang zu sehen – trotzder Verschiebebahnhöfe zulasten der Länder und Kom-munen. Diese 4,6 Prozentpunkte sind eben zu hoch, umdie Schulden bei den Ländern und Kommunen unter dieDreiprozentmarke zu senken. Es ist deutlich zu erken-nen, dass wir die Rahmenbedingungen beim Bund ver-ändern und einen Kurswechsel vornehmen müssen.BdedAEjSdMeSb2SvlsDddsCgimzwSmhmteaWvßsussMnw
ie entgegnen dem EU-Finanzkommissar Pedro Solbes,ie Schätzung berücksichtige angeblich die steuerlichenaßnahmen der Bundesregierung nur zum Teil. Das istntwaffnend. Sie haben die Steuererhöhungen, die in demteuervergünstigungsabbaugesetz vorgesehen waren,
ereits in Verbindung mit einer Defizitquote von,8 Prozent nach Brüssel gemeldet. Das heißt, Sie habenteuererhöhungen in Ihre Meldungen aufgenommen,on denen Sie genau wussten, dass die CDU/CSU sieetzten Endes nicht mitmacht, weil sie kontraproduktivind und Wachstum und Beschäftigung kosten werden.as ist die Wahrheit.
Diese Aussage ist nicht nur entwaffnend; sie zeigt,ass Sie Einnahmen aus dem Abkassiermodell zulastener Bürgerinnen und Bürger, zulasten des Mittelstandeschon veranschlagt hatten. Ich bin all denjenigen aus denDU/CSU-regierten Bundesländern und unseren Mit-liedern des Vermittlungsausschusses sehr dankbar, die Vermittlungsausschuss diese Steuererhöhungenum Scheitern gebracht haben. Ihre Geschlossenheit be-irkte eine große Leistung im Sinne der Bürger, iminne von Wachstum und Beschäftigung.
Herr Poß hat so getan, als wenn er mit diesem Ver-ittlungsergebnis gar nichts zu tun hätte. Herr Poß, ichabe heute früh gelesen, 30 der 32 Mitglieder des Ver-ittlungsausschusses, also auch solche aus der SPD, hät-en diesem Vermittlungsergebnis zugestimmt. Ich sages Ihnen deutlich: Sie können sich doch davon gar nichtbsetzen.
Es ist gut, dass es so gekommen ist. Wir haben eineertzuwachssteuer auf Immobilien, Aktien und Fondserhindert. Wir haben eine Firmenwagensteuer für Au-endienstmitarbeiter verhindert. Wir haben eine Ver-chlechterung der Abschreibungen für die Bauwirtschaftnd für die Investoren verhindert. Wir haben eine Ein-chränkung der Verlustrechnung für die mittelständi-chen Betriebe verhindert; es wäre ein Anschlag auf denittelstand gewesen, wenn er seine Verlustvorträgeicht mehr hätte verrechnen können. Außerdem habenir eine Kürzung der Eigenheimzulage verhindert. Das
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2003 3277
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Hans Michelbachhätte die Wirtschaft belastet sowie Wachstum und Be-schäftigung in Deutschland gekostet.
Die Bundesregierung handelt nicht, sofern sie nichtwie in diesem Vermittlungsverfahren dazu gezwungenwird, sondern verzögert weiter, reißt neue Löcher aufund bringt Deutschland in eine immer schwierigere wirt-schaftliche Lage. Wer Steuern erhöht, der erhöht die Ar-beitslosigkeit. Lassen Sie deshalb die Finger von IhrenAbkassiermodellen, von Ihren beabsichtigten Steuerer-höhungen. Das muss Ihnen ins Stammbuch geschriebenwerden.
Ich bin sehr dankbar, dass wir als einen der wesent-lichen Punkte eine Stabilisierung im Bereich der Körper-schaftsteuer erreicht haben. Das war sicherlich ein richti-ger Kompromiss. Erst die rot-grüne Steuerreform hat jazu diesen Verwerfungen geführt.Die Zahlen, die vom Bundesfinanzminister nachBrüssel gemeldet wurden, haben von vornherein nichtgestimmt. Es wurde nur noch getrickst, getäuscht undverschoben. Angesichts der schlechten politischen Rah-menbedingungen hat niemand 1,5 Prozent oder1,0 Prozent Wachstum als realistisch angesehen. Heutestehen wir am Rande einer Rezession und müssen unsmit 0,4 Prozent Wachstum zufrieden geben. Damit kannman nicht einverstanden sein. Gerade Deutschland musseinen finanzpolitischen Kurswechsel erzwingen.
Es muss aufgrund seiner Vorbildfunktion eine stabileGrundlage für unsere gemeinsame Währung durchsetzen.Die CDU/CSU geht – im Gegensatz zum rot-grünenFinanzdesaster – diese Herausforderungen mit einemklaren Sanierungskonzept an.
Um die Vertrauenskrise zu beseitigen und Deutschlandaus der Haushalts- und Wachstumsfalle herauszuführen,muss ein ehrliches finanzpolitisches Konzept auf denTisch, das den Bürgern zwar einiges zumutet, ihnen aberauch eine klare Zukunftsperspektive aufzeigt.Die Sicherung des Stabilitäts- und Wachstumspaktsbedarf grundlegender Wirtschafts- und Strukturrefor-men auf den Güter-, Dienstleistungs-, Kapital- und Ar-beitsmärkten.
Deutschland muss mehr dafür tun. Wir müssen erstensdie Haushaltskonsolidierung voranbringen, zweitens we-niger Staat durchsetzen
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Es bedarf einer sofortigen Haushaltskonsolidierungnd eines materiellen Budgetausgleichs beim Gesamt-taat ab 2006. Um das Ziel „weniger Staat“ zu erreichen,uss die Staatsquote bis 2010 auf 40 Prozent gesenkterden. Bei den Steuersenkungen und insgesamt bei derteuerpolitik müssen wir immer darauf achten,
ass keine Substanzbesteuerungen vorgenommen wer-en. Wir müssen das Steuereinkommen der Bürger under Betriebe nach ihren Erträgen ausrichten. Man darficht immer weitere Schnitte in die Substanz der Be-iebe vornehmen, wenn man immer neue Insolvenzenon Betrieben und den Verlust von weiteren Arbeitsplät-en vermeiden möchte.
Herr Kollege Michelbach, schauen Sie bitte einmal
uf Ihre Uhr!
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin.
Ich freue mich, dass uns heute ein Vermittlungser-
ebnis vorliegt, das für die Ziele Wachstum und Be-
chäftigung letzten Endes eine deutliche Orientierung
chafft. Wir mahnen heute noch einmal an, dass die De-
izitquote beim Stabilitätspakt eingehalten wird
nd dass wir eine neue steuerpolitische Agenda mit ei-
em klaren Sanierungsplan für Deutschland auf den Weg
ringen. Unser finanzpolitisches Konzept sieht anders
ls das von Herrn Eichel aus,
as immer nur auf Fiskalismus abzielt und die Wachs-
ms- und Beschäftigungskräfte außer Acht lässt.
Herzlichen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesineötzsch, fraktionslos.
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3278 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2003
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
wurde gerade gebeten, zu sagen, dass ich von der PDS
bin. Das tue ich gern.
Der Bundeskanzler hat den Krieg im Irak in seiner
Regierungserklärung als einen Grund dafür genannt, die
europäischen Konvergenzkriterien zu überdenken. Es ist
richtig: Der Krieg ist ein Konjunkturkiller. Klar ist, dass
der Krieg das Wirtschaftswachstum gedrosselt hat und
damit auch die Arbeitslosigkeit erhöht hat. Die öffentli-
chen Kassen werden also weiter stark belastet. Die Kos-
ten des Krieges, die auf den Steuerzahler zukommen,
sind noch gar nicht abzuschätzen.
SPD und Grüne haben sich zwar intensiv gegen die-
sen Krieg ausgesprochen; aber sie haben bis zum letzten
Tag US-Bombern Überflugrechte gewährt und deutsche
Soldaten in AWACS-Flugzeugen belassen. Damit haben
sie leider den Erwartungen der US-Regierung entspro-
chen und als logistisches Rückgrat für diesen Krieg gute
Dienste geleistet. Selbst die kleine Schweiz hat mehr
Mut bewiesen; sie hat nämlich der US-Regierung die
Überflugrechte verwehrt.
Die Bundesregierung sieht nur zwei Möglichkeiten:
Erhöhung der Steuern oder Erhöhung des Defizits. Wenn
Sie die Neuverschuldung erhöhen, wie das übrigens ge-
rade der CDU-Ministerpräsident Wulff in Niedersachsen
macht, dann bekommen Sie Ärger mit Brüssel, da die
Neuverschuldung nicht über 3 Prozent steigen darf. Da
die Bundesrepublik im Jahr 2003 einen Wert von
3,4 Prozent erreicht und damit bereits im zweiten Jahr
das Konvergenzkriterium überschreitet, ist eine weitere
Neuverschuldung mit Brüssel nicht zu machen. Offen-
sichtlich ist die EU-Kommission nicht bereit, den Irak-
krieg als Grund für eine flexiblere Gestaltung der Kon-
vergenzkriterien zu akzeptieren, was ich persönlich
übrigens für falsch halte.
Also bleibt der Bundesregierung nur die Möglichkeit
der Steuererhöhung. In der Presse war von einer Erhö-
hung der Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte zu
lesen. Das wäre aus meiner Sicht wirklich ein politischer
Skandal und ökonomischer Unsinn, ein Skandal deshalb,
weil Herr Eichel den Kapitalgesellschaften allein im Jahr
2000 fast 24 Milliarden Euro Körperschaftsteuer erlas-
sen hat. Im Vermittlungsausschuss hat sich heute Nacht
die CDU/CSU durchgesetzt. Sie hat die möglichen Ein-
nahmen aus der Körperschaftsteuer von 15 Milliarden Euro
auf 4,4 Milliarden Euro pro Jahr heruntergehandelt.
Meine Damen und Herren, ich will Ihnen einmal et-
was zur Schlusslichtdebatte sagen, die ich genauso un-
sinnig finde. Ich habe mir heute Morgen in Brüssel eine
niederländische Zeitung gekauft. Da gab es eine große
Schlagzeile: Nederland hekkensluiter in EU. – In ver-
schiedenen Ländern wird also beschworen, man sei
Schlusslicht. Ich weiß nicht, wozu das gut sein soll.
Ich finde, dass die Pläne zur Erhöhung der Mehrwert-
steuer auch deshalb ein Skandal sind, weil sich die SPD
und die Grünen weigern, Steuergerechtigkeit wieder
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Axel Schäfer
Auch das kennen wir ja schon: erst das tagtägliche„Lügen, Lügen“-Gerede nach der Wahl, jetzt neue For-mulierungen in die gleiche Richtung. Dabei geht es nichtnur um Worte, es geht auch um die Wirkung dieserWorte. Wer immer nur schlecht redet, der redet auchschlechte Situationen mit herbei.
Wer aber über deutsche Europa-Politik ernsthaft disku-tieren will, muss die europäische Sicht über Deutschlandund dabei auch die Fakten kennen.Erstens. Bundeskanzler Gerhard Schröder, Finanzmi-nister Hans Eichel und alle anderen Verantwortlichen ha-ben immer wieder deutlich gemacht, dass der Stabilitäts-pakt nicht zur Diskussion steht. Punkt. Warumdiskutieren wir heute trotzdem? Weil Sie ein Stück öf-fentliche Verunsicherung wollen – und das in Zeiten, indenen die Menschen ein besonderes Sicherheitsbedürf-nis haben. Das ist aus meiner Sicht geradezu unverant-wortlich.
Zweitens. Portugal, Frankreich und Deutschland lie-gen zurzeit über dem Referenzwert des Maastricht-Ver-trages. Die Europäische Kommission hat vorgestern dar-gelegt, dass sich die Haushaltslage der Eurostaatennoch verschlechtern und das Defizit aller EU-Staaten indiesem Jahr auf 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukteserhöhen wird. Wir haben es also mit verbundenen euro-päischen und nicht mit nationalstaatlichen Problemen zutun. Brüssel befürchtet zudem im kommenden Jahr beiItalien eine Überschreitung der Dreiprozentgrenze. InPortugal, Frankreich und Italien regieren bekanntlichchristdemokratische und konservative Parteien. Wer alsChristdemokrat – das sind Sie ja – glaubt, mit einem Fin-ger auf den sozialdemokratischen FinanzministerDeutschlands zeigen zu müssen, der sollte sich bewusstsein, dass bei ihm drei Finger automatisch auf die eige-nen Parteifreunde in der Europäischen Volkspartei zu-rückweisen.
Drittens. Wir kennen die besonderen deutschenStandortfaktoren, insbesondere die jährliche Belastungmit Transferleistungen in Höhe von 75 Milliarden. Wirwissen zugleich – auch das ist deutlich geworden –, dassDeutschland der größte Nettozahler in der EU mit allein7 Milliarden im letzten Jahr ist.Viertens. Die EU-Kommission hat das deutsche Sta-bilitätsprogramm ausdrücklich positiv bewertet undzugleich daran erinnert, dass die deutsche Volkswirt-schaft trotz ihrer Größe nach wie vor höchst anfällig fürexterne Schocks ist. Zu Beginn des Irakkonfliktes hatBrüssel – bitte vergessen Sie das nicht – erklärt, dass einKrieg grundsätzlich ein außergewöhnliches Ereignis ist.Mit anderen Worten: Es wurde ausdrücklich anerkannt,dass sich dadurch Unwägbarkeiten für Stabilität undWachstum ergeben. – Die EU ist nun einmal komplizier-ter, als viele in der Union das glauben machen wollen.Mit strammen Appellen ist es da nicht getan.sspgh1zbzbedsuGDdHethuwuaDMWzurwtimfdwswnwnswHarZ2srzZ
Es ist klar: Europa muss in seiner allseits bekanntenchwierigen Wirtschafts- und Finanzsituation gemein-am handeln, zugleich muss jedes Land seinen Ver-flichtungen nachkommen. Genau das tut die Bundesre-ierung, genau das hat Gerhard Schröder am 14. Märzier Punkt für Punkt dargelegt. Wir haben an diesem4. März eine Perspektive mit der Agenda 2010 aufge-eigt. Diese Agenda gibt es mit dem Lissabon-Prozessereits auch in Europa, der die Gemeinschaft bis 2010ur wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissens-asierten Wirtschaft der Welt machen soll, die fähig ist,in dauerhaftes Wirtschaftswachstum zu realisieren, under für einen größeren sozialen Zusammenhalt sorgenoll. Basis dafür ist die Verbesserung von Infrastrukturnd Humankapital. Diese europäischen Ziele sind auchrundlage unserer Politik. Lissabon 2010 entspricht ineutschland die Agenda 2010. Das packen wir jetzt an;amit muss aber auch Mut zur Veränderung einhergehen.Dabei wissen wir: Da die Geldpolitik komplett in denänden der EU liegt, muss die Wirtschaftspolitik besseruropäisch abgestimmt und zugleich national ausgestal-et werden. Deshalb – davon hat hier niemand geredet –at Bundeskanzler Schröder zusammen mit Tony Blairnd Jacques Chirac jetzt Maßnahmen vorgeschlagen,ie die Industrie im internationalen Wettbewerb bessernterstützt werden kann. Alle diese Initiativen wurdenuf dem EU-Gipfel im März dieses Jahres übernommen.er Tenor lautet: Die strukturelle Erneuerung undodernisierung Europas ist voranzutreiben, um so dieettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaften weiteru steigern, Beschäftigungschancen für alle zu sichernnd damit auch positive Entwicklungen im Haushaltsbe-eich zu befördern.Ich erinnere hierbei daran, dass Hemmnisse abgebauterden, mit denen die europäische Industrie unter den heu-gen Markt- und Wettbewerbsbedingungen noch lebenuss. Es werden keine unnötigen neuen Auflagen geschaf-en, den Unternehmen also keine neuen Lasten aufgebür-et. Die Märkte werden liberalisiert, also der Binnenmarktird besser gestaltet. Die Umsetzung europäischer For-chungsergebnisse wird erleichtert, die Biotechnologieird gestärkt, die Beziehungen zwischen Instituten undeuen Unternehmen werden besser verzahnt. Schließlichird die Finanzierung von Dienstleistungen, die allgemei-en wirtschaftlichen Interessen dienen, gesichert.Wenn wir heute entscheiden wollen, wohin es gehenoll, so müssen wir auch wissen, woher wir kommen,ie die Grundlagen der europäischen Finanz- undaushaltspolitik aussehen. Vor fast genau vier Jahren,m 24./25. März 1999, hat die rot-grüne Bundesregie-ung zu Beginn einer Legislaturperiode, in schwierigeneiten, auf dem Berliner Sondergipfel mit der Agenda000 die entscheidende finanzielle und haushaltstechni-che Grundlage auch für die EU-Erweiterung gelegt.Im Dezember 2002 hat diese rot-grüne Bundesregie-ung auf dem Kopenhagener EU-Gipfel wiederum – auchu Beginn einer Legislaturperiode, auch in schwierigeneiten – maßgeblich die Finanzierung für die neuen Län-
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3280 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2003
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Axel Schäfer
der auf den Weg gebracht. Gestern hat das EuropäischeParlament der Aufnahme von zehn Mitgliedstaaten zuge-stimmt. Das ist ein historischer Erfolg für uns alle. Es isteine Leistung dieser Bundesregierung, die vor der Ge-schichte Bestand hat.
„Demokratie ist eine Frage des guten Gedächtnisses“,so hat Kurt Schumacher, der frühere SPD-Fraktionsvorsit-zende im Deutschen Bundestag, einmal formuliert. Derehemalige CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende in diesemHause, Kollege Wolfgang Schäuble, erklärte am 26. März1999 in der damaligen Europadebatte zur Agenda 2000– ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –:Aber die Beschlüsse zur Agenda 2000 bleiben hin-ter den Notwendigkeiten und hinter den gestecktenErwartungen zurück.Und weiter:Weil auf dem Berliner Gipfel keine Vereinbarungüber Maßnahmen zu stärkeren nationalen Gestal-tungsmöglichkeiten erreicht worden ist ..., ist dieserGipfel gescheitert.Tatsächlich war dieser Gipfel ein großer Erfolg, derden europäischen Einigungsprozess entscheidend voran-gebracht hat. Sie haben sich bezüglich der Geschichtegeirrt. Es ist klar: Wer, wie Sie heute, am Anfang einesProzesses dessen Scheitern erklärt, wird am Ende selbstscheitern.
Wer Anfang 2003 schon erklärt, am Ende des Jahreswürden wir schlecht dastehen, der steht am Ende selbstschlecht da.Wir wollen als Deutsche in Europa gut dastehen, auchweil Europa gut für Deutschland ist. Deshalb wird dieserot-grüne Regierung ihre Politik wie 1998 bis 2002 auchin diesem Jahr für Deutschland in Europa zu einem Er-folg werden lassen.Vielen Dank.
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Patricia Lips, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Mit der Einführung des Euro im Rahmen derWirtschafts- und Währungsunion wurden strikte, für alleverbindliche Regeln festgelegt, um die Stabilität derneuen Währung zu garantieren. Gleichzeitig wurdenMöglichkeiten geschaffen, um im begründeten Bedarfs-fall ausnahmsweise und vorübergehend reagieren zukönnen. Diese Regeln haben bisher alle Bewährungspro-blfSirdzbuSrDPPdfsgzdbaSTW–
Die „Frankfurter Rundschau“ schrieb am gleichenag:„Uns ist kein Plan für eine Lockerung des europä-ischen Wachstums- und Stabilitätspaktes bekannt“,betonte eine Sprecherin des Hauses Eichel. AmVortag hatte Schröder hingegen die Debatte übereine Korrektur des Sparkurses als berechtigt be-zeichnet und eine europäische Initiative zu diesemThema angekündigt.eiter im Text:Differenzen in den Aussagen zwischen Eichel undSchröder seien nicht zu erkennen. Sie die Sprecherin –
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2003 3281
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Patricia Lipskönne sich die Sache nur so erklären, dass derKanzler missverstanden worden sei.Es ist schon ein Kreuz mit bestimmten Ämtern.
Dieses Missverständnis setzt sich mit der Regierungs-erklärung des Bundeskanzlers vom 14. März fort. Ich zi-tiere:Deshalb halten wir am Ziel der Haushaltskonsoli-dierung und am Stabilitätspakt, den wir vereinbarthaben, fest. Nur:– jetzt kommt es –Dieser Pakt darf eben nicht statisch interpretiertwerden.Sie haben Recht, Herr Schäfer: Es geht hier um die Wir-kung der Worte. Das Signal, das Sie nach draußen sen-den, ist völlig verwirrend, und das Schauspiel, das Siehier abgeliefert haben, war und ist entwürdigend.
Sind Sie sich eigentlich darüber im Klaren, dass Sie mitdiesen öffentlichen Debatten in den anderen Ländernvon Dankbarkeit über Häme über den deutschen Muster-schüler bis hin zur Ungläubigkeit über Deutschland soziemlich alles ernten, was die Diskussion in Europa nochzusätzlich anheizen wird?Die aktuelle wirtschaftliche Situation in Deutsch-land ist verheerend und nachweislich hausgemacht. Ineiner Entscheidung des Europäischen Rates wird im Ja-nuar dieses Jahres ausgeführt, dass die Überziehung desEtats und die Einnahmeausfälle in Deutschland nur zumTeil mit konjunkturellen Faktoren erklärt werden kön-nen. Ohne zu sehr ins Detail gehen zu wollen – dieseEntscheidung bewertet immerhin Ihre Politik –: Ein we-nig mehr Selbstkritik und stille Einkehr hinsichtlich Ih-rer eigenen Politik der vergangenen viereinhalb Jahre istan dieser Stelle sicher angebracht.
Frau Hermenau, Sie haben vorhin sinngemäß gesagt,dass sich dieses Land seit 1999 auf dem richtigen Wegbefindet. Der „Economist“ stellte bereits vergangenesJahr zur rot-grünen Politik fest:Durch die Konjunkturschwäche Deutschlands wirdWesteuropa im kommenden Jahr das niedrigsteWachstum einer Weltregion aufweisen. Durch dieFehler dieser Regierung zieht Deutschland zurzeitdie Wirtschaft der Europäischen Union in die Tiefe.Das ist die Antwort, die nicht nur wir Ihnen auf IhreAussage geben. Die Situation ist schlimm und bedauer-lich. Wir wünschten, sie wäre anders.
Der Generaldirektor für den Binnenmarkt in der EUsagt im aktuellen „Focus“:–scnPafhavgnnkbRsmiJvwWthEtEdhgwuEctuSSFtrmb
ines wird in der Abfolge deutlich: Nicht nur Ihre jüngs-en Äußerungen in der Presse, sondern auch die gesamtentwicklung zeigt auf, dass bei Ihnen fast schon Systemahinter steckt, das System, den Stabilitätspakt sehr be-arrlich und mit allerlei beschönigenden Redewendun-en durch neue Interpretationen im öffentlichen Be-usstsein zu entwerten, Regeln nach Kassenlage zumgehen oder Verantwortung abzuschieben. Herrichel, dies haben Sie heute wieder eindrucksvoll getan.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir brau-hen ein starkes Europa. Der Stabilitäts- und Wachs-mspakt bildet die Grundlage der finanzpolitischenolidarität und des Vertrauens nicht nur zwischen dentaaten der Eurogruppe, sondern vor allem auch auf deninanzmärkten weltweit. Die Äußerungen in Ihrem An-ag sind entweder überflüssig oder Sie wollen dochehr, als der Pakt schon heute zulässt. Genau dies ist zuefürchten.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
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– Ich sage nur noch ein paar Sätze. – Nehmen Sie uns
diese Befürchtung! Machen Sie Ihre Hausaufgaben im
Strukturbereich! Das ist das Einzige, was diesem Land
hilft. Unser Antrag wird Ihnen dabei eine psychologisch
wichtige Stütze bieten.
Vielen Dank.
Frau Kollegin Lips, dies war Ihre erste Rede hier indiesem Hohen Hause. Ich gratuliere Ihnen recht herzlichund wünsche Ihnen politisch und persönlich alles Gute.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 15/541 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Dann ist die Überweisung so beschlossen.Wir stimmen über Tagesordnungspunkt 4 b ab, überdie Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu derUnterrichtung durch die Bundesregierung über die Ent-schließung des Europäischen Parlaments zu der jährli-chen Bewertung der Durchführung der Stabilitäts- undKonvergenzprogramme, Drucksache 15/737. Der Aus-schuss empfiehlt in Kenntnis der Unterrichtung, eineEntschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen derKoalition bei Gegenstimmen der CDU/CSU und Enthal-tung der FDP angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a bis 18 d sowiedie Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf:18. a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD,des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und derFDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurÄnderung des Gesetzes zur Neuregelung desSchutzes von Verfassungsorganen des Bundes– Drucksache 15/805 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität undGeschäftsordnung
InnenausschussRechtsausschussb) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPDund des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderungdes Siebten Buches Sozialgesetzbuch und desSozialgerichtsgesetzes– Drucksache 15/812 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherungc) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-tgaewdBs
der FinanzenEntlastung der Bundesregierung für dasHaushaltsjahr 2002 – Vorlage der Haushalts-rechnung und Vermögensrechnung des Bun-des –– Drucksache 15/770 –Überweisungsvorschlag:HaushaltsausschussZP 2 a) Erste Beratung des von den AbgeordnetenBarbara Wittig, Dr. Dieter Wiefelspütz,Wilhelm Schmidt , FranzMüntefering und der Fraktion der SPD, denAbgeordneten Hartmut Büttner, Dr. AngelaMerkel, Michael Glos und der Fraktion derCDU/CSU, den Abgeordneten Silke Stokarvon Neuforn, Volker Beck , KatrinDagmar Göring-Eckardt, Krista Sager und derFraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-NEN sowie den Abgeordneten Gisela Piltz,Dr. Max Stadler, Dr. Wolfgang Gerhardt undder Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfseines Sechsten Gesetzes zur Änderung desStasi-Unterlagen-Gesetzes
– Drucksache 15/806 –Überweisungsvorschlag:Innenausschussb) Erste Beratung des von den Fraktionen derSPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-NEN eingebrachten Entwurfs eines ErstenGesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes– Drucksache 15/810 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz undReaktorsicherheit
Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitEs handelt sich um Überweisungen im vereinfach-en Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vor-eschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnungufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damitinverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Über-eisungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a bis 19 i sowieie Zusatzpunkte 3 a bis 3 d auf. Es handelt sich um dieeschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aus-prache vorgesehen ist.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2003 3283
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerWir kommen zunächst zur Abstimmung über Tages-ordnungspunkt 19 a:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines DrittenGesetzes zur Änderung des Melderechtsrah-mengesetzes– Drucksache 15/536 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-schusses
– Drucksache 15/822 –Berichterstattung:Abgeordnete Gabriele FograscherRalf GöbelSilke Stokar von NeufornGisela PiltzDer Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 15/822, den Gesetzentwurfin der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni-gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu-stimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-men? – Enthaltungen? – Damit ist das Gesetz in zweiterBeratung mit den Stimmen der Koalition und der CDU/CSU bei Enthaltung der FDP angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen – Der Gesetzent-wurf ist mit demselben Votum wie in der zweiten Bera-tung angenommen.Wir kommen nun zur Abstimmung über Tagesord-nungspunkt 19 b:Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Neuordnung des gesellschaftsrechtlichen
– Drucksache 15/371 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses
– Drucksache 15/838 –Berichterstattung:Abgeordnete Bernhard Brinkmann
Dr. Jürgen GehbHans-Christian StröbeleRainer FunkeDer Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 15/838, den Gesetzentwurfin der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni-gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu-stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt da-gegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damitiauGWwmnnfsHPtdgS
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sindeugen eines unglaublichen Skandals.
ch möchte meine Rede mit einem entsprechenden Zitateginnen:
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Rainer BrüderleEx-Wirtschaftsminister Müller hat dem Ansehender Regierung erheblichen Schaden zugefügt
und Deutschland einen schlechten Dienst erwiesen.Dies sagte der damalige Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye, der mit diesen Worten den Wechsel desEU-Kommissars Bangemann in den Verwaltungsrat ei-ner Telekommunikationsgesellschaft kommentiert hat.Bangemann war lediglich zuständig für die Deregu-lierung eines Marktes. Hier haben wir aber einenungleich dramatischeren Fall. Herr Müller hat die Ver-längerung der Steinkohlesubventionen in Brüssel per-sönlich ausgehandelt. Er hat diese Milliardensubventionan die Ruhrkohle AG auszahlen lassen.
Sein Haus sprach sich für die Fusion von Eon und Ruhr-gas – das neue Unternehmen hat einen Marktanteil von85 Prozent – entgegen der Entscheidung des Kartellamtsund entgegen der Empfehlung der Monopolkommissionaus. Die Delegation auf den Staatssekretär im Wirt-schaftsministerium wirkt vor diesem Hintergrund umsopeinlicher. Das ist die Dimension des Skandals.
Im Eilverfahren wurde die Fusion, die zu einem Un-ternehmen mit 85 Prozent Marktanteil führte, noch vorder Bundestagswahl durchgezogen. Der Eon-Vorstands-vorsitzende Hartmann ist gleichzeitig der Aufsichtsrats-vorsitzende der Ruhrkohle AG; denn über 40 Prozentder Anteile an der Ruhrkohle AG hält Eon. Ein Schelm,wer Böses dabei denkt.
Im Soldatengesetz und im Beamtenrecht gibt es Kon-kurrenzklauseln. Es gibt Tätigkeitsverbote für Beamteund Mitarbeiter oder zumindest Übergangsfristen fürden Fall, dass sie im Anschluss an ihre Tätigkeit im öf-fentlichen Dienst auf dem gleichen Feld tätig werden.Bei dem, was hier passiert, gibt es noch nicht einmaleine Schamfrist. Wie will ich das einem kritischen jun-gen Menschen erklären? Bei ihm muss doch der Ver-dacht aufkommen, hier werde quasi ein ordnungspoliti-scher Judaslohn für vorherige Entscheidungen kassiert,indem er anschließend dort Vorstandsvorsitzender wird.
Wie verkommen ist die deutsche Politik, dass in ihr soetwas möglich ist und die Regierung dazu schweigt!Wenn es um einen harmloseren Fall geht, der andere be-trifft, wird wochenlang eine Kampagne geführt. Wenn esum die eigenen Leute geht und Herr Müller dort unterge-bracht wird, herrscht Funkstille und dann ist alles inOrdnung und prima.Gemäß Umfragen aller demoskopischen Institutetrauen 50 Prozent der Bevölkerung allen Parteien nichtsRechtes mehr zu. Durch Ihr Verhalten ist wieder einStein gelegt worden, mit dem das Vertrauen in die deut-sSsshMmJwGnhidhtsgsBdgFabrkuMvSgAVoBDDmd
Es zeigt sich, wie ein Filz aus Montanmitbestimmung,ewerkschaften, Sozialdemokraten und von Subventio-en des Staates abhängigen Unternehmen
ier ein Netzwerk installiert, das eine der Ursachen dafürst, weshalb wir nicht nur im Ansehen, sondern auch beier wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht mehr frü-ere Größenordnungen erreichen können. Dies ist dieeuerste ABM-Maßnahme, die es je in Deutschland gab.
Eine solche Politik ist problematisch. Die Steinkohle-ubventionen müssten aufgrund dieses Verhaltens sofortestrichen werden. Sie werden volkswirtschaftlich un-innig verwendet. Wir haben nicht hinreichend Geld fürildung und Ähnliches; aber im Steinkohlebereich wirdie Gewährung von Subventionen verlängert. Zudemibt es einen Deal: Die Holländer, die Italiener und dieranzosen dürfen die Zahlung von Dieselsubventionenn ihre Spediteure zulasten der deutschen Spediteurezw. Brummifahrer verlängern, damit wir die Gewäh-ung der unsinnigen Steinkohlesubventionen fortführenönnen. Derjenige, der dafür die Verantwortung trägtnd ermöglicht hat, dass die Ruhrkohle AG mithilfe vonilliardensubventionen arbeiten kann, hat sich quasiorher durch die Gewährung von Subventionen für dieteinkohle seine eigenen Vorstandsbezüge gesichert.
Das ist keine Rechtsfrage; das mag rechtlich nicht an-reifbar sein.
ber dies ist ein hundsmiserabler Stil. Wie wollen wirertrauen in den Staat und in die Politik schaffen, wennberste Führungskräfte in Deutschland, Minister desundes, solch eine Verhaltensweise an den Tag legen?as ist unglaublich. Das ist ein Tiefgang, wie wir ihn ineutschland noch nie erlebt haben.
Die Regierung schweigt. Wenn ein solches Vorgehenit dem Filz aus Gewerkschaften, Mitbestimmung under Ruhrkohle zu tun hat, ist es offenbar in Ordnung. Bei
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Rainer Brüderleanderen Dingen hat man ganz schnell eine hohe Tonlageund kritisiert es.
Wenn Herr Müller Anstand hätte, würde er diese Be-rufung nicht annehmen und sagen: Das geht nicht. Sokann man nicht vorgehen. Ich kann nicht jahrelang indiesem Bereich tätig sein und für ein Mammutunterneh-men die Weichen stellen und mich dann anschließend indas offenbar selbst vorbereitete Nest setzen.
Das ist eine moralische Katastrophe. Das ist zutiefst un-anständig und hat mit Ordnungspolitik, mit derGrundausrichtung der deutschen Wirtschaftspolitik über-haupt nichts zu tun. Im Gegenteil!
Ich finde es äußerst bedauerlich. Die Regierung hatjetzt die Chance, dazu eine Erklärung abzugeben. BeimFall Bangemann haben Sie die Backen dick aufgeblasen.Bei diesem Fall ging es um vielleicht 5 Prozent von dem,was jetzt vor uns liegt. Wenn es die Roten betrifft, ist al-les in Ordnung. Wenn es um die anderen geht, ist esschändlich. Pfui Teufel!
Das Wort hat jetzt der Kollege Wilhelm Schmidt von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von Herrn
Brüderle etwas über Moral und Stilfragen zu hören ist
fast witzig. Denn Sie sind diejenigen, die uns am aller-
wenigsten belehren sollten.
Ich könnte Ihnen lange Storys über Herrn Friderichs, Herrn
Bangemann, Herrn Möllemann und Herrn Haussmann er-
zählen. Alle sind aus Ihren Reihen.
Herr Rexrodt ist sicherheitshalber gar nicht hier, damit er
auf seine intensive Verflechtung mit der Wirtschaft nicht
angesprochen werden kann. Sie sollten uns also gar
nichts erzählen.
Ferner denke ich, dass wir im Bundestag wahrhaftig
Besseres zu tun haben. Es gab gestern eine Aktuelle
Stunde der CDU/CSU. Auch die war wieder ziemlich
aufgeblasen. Zum wiederholten Male wurden Haushalts-
fragen auf den Tisch gepackt, die Sie alle längst geregelt
wissen.
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eshalb kommen Sie auf das Thema „Berufung von
errn Müller zum Vorstandsvorsitzenden der RAG“ für
ie Aktuelle Stunde.
Ich kann nur sagen: Es entlarvt Sie und stinkt ohne
nde zum Himmel. Wir haben Ihnen daher nur Folgendes
u erklären: Erstens ist der Vorgang rechtlich einwand-
rei. Zweitens, sind der Bundestag und die Bundesregie-
ung nicht die Oberaufseher deutscher Unternehmen.
rittens ist es gut, dass wir uns auch dieser Debatte wid-
en, aber nicht in dem Maße, wie Sie es wünschen;
enn Sie blasen ein parlamentarisches Instrument auf.
raußen im Land fragen die Menschen: Haben die
ichts Besseres zu tun? Wir sagen eindeutig: Ja, wir
chon, die FDP offensichtlich nicht. Da sich die CDU/
SU mit fünf Rednern beteiligt, hat offensichtlich auch
ie andere Oppositionspartei nichts Besseres zu tun.
Kehren Sie vor Ihrer eigenen Haustür! Lassen Sie die-
en Unsinn! Lassen Sie uns zu seriöser Politik, zu der
ie offensichtlich nicht fähig sind, möglichst bald zu-
ückkehren.
ann werden wir der Sache entsprechend Rechnung tra-
en.
Ihre Zwischenrufe kennen wir alle schon. Auch das
acht die Sache nicht besser. Wir werden uns dieser Ak-
uellen Stunde nicht widmen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Hartmut Schauerte von
er CDU/CSU-Fraktion.
Herr Kollege Schmidt, die Sache ist wirklich nichtitzig,
ber sie stinkt zum Himmel;
o nehme ich Ihre beiden Begriffe auf.
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Hartmut SchauerteIch wundere mich nicht, dass nur einer von Ihnen re-det. Die anderen wollten es nicht, weil es ihnen zu pein-lich ist.
Ich kann die Hoffnung nicht aufgeben, dass Sie eines Ta-ges die Messlatte gleichmäßig anlegen werden und nichtwie jetzt einmal so und einmal anders.
Deswegen darf ich noch einmal auf den Fall Bangemannabstellen:Im Jahr 1999 wollte Bangemann zur Telefónica nachSpanien. Heide Simonis, Ihre tüchtige Ministerpräsiden-tin, sah in Bangemanns Verhalten eine „Verrohung derSitten“.Manche handeln so undurchschaubar wie eh und jeund sind vor allem daran interessiert, irgendwie ir-gendetwas für sich herauszuholen.So lautet der Originalton von Heide Simonis.Ich könnte jetzt viele andere nennen, zum BeispielVerheugen: Es gab eine Sondersitzung der 15 EU-Bot-schafter, um ein Verfahren gegen Bangemann anzustren-gen, damit ihm die Pensionsansprüche aberkannt wür-den. Das war die breite Stimmungslage in der deutschenSozialdemokratie.
In der „Süddeutschen Zeitung“ von damals gab eseine schöne Zusammenfassung; dort heißt es in Bezugauf Ihre Fraktion und Partei:Empörung löste vor allem aus, dass er damit genauin jenem Bereich arbeiten wird, für den er bei derEU seit 1992 die Verantwortung hatte.
Wenn das damals galt, dann gilt das auch heute.
Ihr Minister ist aus der Veba, heute Eon, gekommen undhat vier Jahre als Minister gearbeitet, und zwar erkenn-bar monopolnah und liberalisierungsfeindlich. Die Libe-ralisierung der Elektrizitätsmärkte hat in allen Bereichenschweren Schaden genommen.
Er war sehr „nützlich“. Dann kam das Kartellverfahrenbzw. die Ministererlaubnis. Wir haben ihm schon vor derErteilung der Ministererlaubnis gesagt, er möge definitiverklären, dass er bei keinem der in diesem Verfahren Be-teiligten später in Lohn und Brot sein wird. Das habenwir ihm öffentlich hier im Haus gesagt.hkwbgdH„nmwBmBegsDvRMgecte–hGzghbe
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sage ich: Es riecht nach einer verfeinerten Art von Kor-ruption. Wenn ich brutal bin, müsste ich sagen: Dies istauf höchster Ebene korruptes Verhalten. Anders kannman das nicht bewerten.
Ich bitte Sie darum, das zu klären. Das ist noch nichtdas Ende der Debatte. Sie brauchen nicht zu glauben,dass das Thema schnell an Ihnen vorbeiginge, nur weilSie lediglich einen Redner in die Debatte schicken. DasThema bleibt. Ob sich die Ruhrkohle AG mit einer sol-chen Entscheidung einen Gefallen in Bezug auf dieDurchsetzung ihrer berechtigten Ziele getan hat, wird dieZukunft zeigen.
Es ist ein unerträglicher Vorgang.Herr Schmidt, wenn ich Ihnen das noch sagen darf:Was mich besonders stört
– nein, ganz nachdenklich –, ist, dass dieses Thema IhrePartei angeblich oder tatsächlich überhaupt nicht zu inte-ressieren scheint. In Europa sollen demnächst Kommis-sare eine Auszeit von mindestens einem Jahr nehmenmüssen. Das ist so eine Art Schamfrist. Sie müssen we-nigstens eine Kurve fahren. Warum machen wir inDeutschland nichts Vergleichbares? Warum sagen wirnicht, dass eine neue Tätigkeit in einer so unmittelbarenNähe zur vorhergehenden Tätigkeit nicht erlaubt ist? –So jemand muss auf die Wartebank.
Herr Kollege Schauerte, die Zeit ist abgelaufen.
Ich komme zum Schluss. – Mindestens das wäre nö-
tig. Denken Sie einmal darüber nach.
Wir denken über Corporate Governance, über Trans-
parenz, über eine neue Unternehmenskultur nach und
dann kommen Sie hier mit einer Parteibuchwirtschaft
und einer Klüngelwirtschaft, die alles platt macht. Es ist
peinlich, peinlich, peinlich!
Das Wort hat die Kollegin Michaele Hustedt, Bündnis 90/
Die Grünen.
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Ich komme gleich noch zu Ihnen, Herr Schauerte.Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir disku-ieren hier, ob es verwerflich ist, dass der ehemaligeirtschaftsminister jetzt Chef der RAG wird. In der Tatind die Grünen in solchen Dingen moralisch sehr rigide.ch persönlich zum Beispiel achte sehr penibel darauf,ass ich an meinem Engagement für Erneuerbare Ener-ien nichts, aber auch gar nichts verdiene. Weder sitzech in Aufsichtsräten noch investiere ich zum Beispiel inindparks oder dergleichen mehr, obwohl viele aufich zukommen.
Ich weiß. Deswegen diskutiere ich gern über solcheinge. Immerhin ist gerade das Verhältnis zwischen Ener-iewirtschaft und Politik
och aus der Monopolzeit
ußerordentlich problematisch – da stimme ich Ihnenu – und sie sind außerordentlich eng verwoben.Allerdings diskutiere ich nicht mit der FDP in solchiner Aktuellen Stunde über eine solche Vorlage. Sieeinen scheinheilige Krokodilstränen und zetteln hierine verlogene Debatte an.
und bei der SPD)s sind doch Sie, die in der Theorie immer ideologischordern, wir brauchen fließende Übergänge zwischenirtschaft und Politik, einen Austausch der Eliten. Unds sind Sie, die das nicht nur fordern, sondern in hohemaße auch praktizieren.Sie haben den Namen Bangemann schon selbst inspiel gebracht, wohl wissend, dass dies das beste Bei-piel ist. Der kurzfristige Wechsel von der EU-Kommis-ion zur spanischen Firma Teléfonica war seinerzeit einiesenskandal.Ich möchte weitere Beispiele nennen. Sie kennenoch bestimmt den Nachwuchsstar und Hoffnungsträgerer FDP in Nordrhein-Westfalen, Andreas Reichel, da-als Mitglied des Landtags von Nordrhein-Westfalen.ch frage Sie: Wo ist der gelandet, nachdem die FDPicht mehr in den Landtag gekommen war?
r ist Pressesprecher bei der RAG geworden. Und wasat er – das unterscheidet ihn von Frau Röstel – außer-
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Michaele Hustedtdem gemacht? Gleichzeitig war er Schatzmeister beiHerrn Möllemann.
Inzwischen ist er zurückgetreten wegen der illegalenFinanzgeschäfte von Möllemann.Ein anderes Beispiel: Ihr Bundestagskollege Rexrodtsitzt in sieben Aufsichtsräten. Unter anderem ist er Teil-haber der PR-Agentur WMP Wirtschaft, Medien undPolitik, bei der er pro Jahr rund 740 000 DM, etwa dieHälfte in Euro, verdient.
Wen berät diese Firma? Sie berät zum Beispiel Firmenwie Eon und BP. Erinnern wir uns an die Debatte überdie Eon-Ruhrgas-Fusion im Wirtschaftsausschuss, HerrBrüderle. Damals sind die Grünen aufgestanden und ha-ben gesagt: Wir wollen über diese weit reichende Ange-legenheit diskutieren. Ich bin persönlich auf Sie zuge-gangen. Daraufhin hat Herr Rexrodt, der an der Beratungvon Eon verdient, während er gleichzeitig Mitglied desBundestages ist, eingegriffen und jede Diskussion imWirtschaftsausschuss unterbunden.
Öffentlich hat er sich dann geäußert, dass er die Fusionvon Eon und Ruhrgas voll unterstützt.
So ist die Realität: Sie bekleiden die Posten nicht nachei-nander, sondern gleichzeitig – und beginnen dann hiereine so scheinheilige Debatte.
Jetzt einmal – Herr Schauerte weiß schon, was nunkommt – zur CDU:
Wie war das denn da? Ich weiß, dass Sie, HerrSchauerte, dieser Fusion kritisch gegenübergestandenhaben. Aber auch Sie haben einen Maulkorb verpasst be-kommen, nämlich von Ihrem Kollegen Wissmann. HerrWissmann ist, wie Sie wissen, Teilhaber einer Kanzlei,die BP vertritt. BP wiederum hat an der Fusion von Eonund Ruhrgas mit verdient, weil sie die Aral-Tankstellenbekommen hat.Deshalb sage ich: Die Debatte, die Sie hier führen, isthochgradig scheinheilig.
Einen Anlass für eine Aktuelle Stunde bietet das Ganzein keinem Fall.FLcIRInzdhzhs–gvGsusmZw2pfheDMvwew
Das Wort hat jetzt die Kollegin Gudrun Kopp von der
DP-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Herren und Damen!iebe Kollegin Hustedt, Sie haben lange über alle mögli-hen Sachverhalte referiert, ohne sie korrekt zu schildern.ch erinnere Sie zum Beispiel daran, dass der Kollegeexrodt nicht Mitglied des Wirtschaftsausschusses ist.
n die Debatte eingegriffen hat er seinerzeit bestimmticht.Liebe Frau Hustedt, Sie haben es versäumt, sich klaru der Frage zu äußern, wie die Grünen dazu stehen,ass Herr Müller zur RAG wechselt. Weil Sie es damitaben bewenden lassen, Ihre persönliche Befindlichkeitu äußern, will ich Ihnen ein bisschen auf die Sprüngeelfen: Ihr Kollege Hubert Ulrich, mittelstandspoliti-cher Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, hat sichich meine, es war in der „Süddeutschen Zeitung“ –anz klar gegen diese neue Jobvermittlung zugunstenon Herrn Müller gewandt.
enau das ist Gegenstand der heutigen Debatte. Die Prä-enz hier im Plenum zeigt, wie sehr das Thema die SPDnd die Grünen interessiert. Das finde ich mehr als be-chämend.
Im Kern geht es um die Frage: Wem nützt diese No-inierung von Herrn Müller als Chef der RAG? In demusammenhang ist es natürlich interessant, zu wissen,ie es mit der Steinkohlesubvention weitergeht.,6 Milliarden Euro allein in diesem Jahr sind kein Pap-enstiel; das ist eine Subventionierung von derzeit unge-ähr 80 000 Euro pro Arbeitsplatz. Die Bundesregierungat absolut keinen Plan. Sie weiß noch nicht einmal, wies nach dem Jahr 2005 weitergehen soll.
as ist mehr als unverantwortlich. Wer glaubt, dass Herrüller als RAG-Chef ein Konzept zum Abbau von Sub-entionen vorlegen wird, der wird eines Besseren belehrterden. Sie spielen sich einander die Bälle zu, von derinen wie der anderen Richtung. Genau das ist es, womitir unsere Zukunft verspielen.
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Gudrun KoppAngesichts des Ministerentscheids des vergangenenJahres, an dem Herr Müller ganz entscheidend mitge-wirkt hat, kann ich aus heutiger Sicht nur sagen – das istmeine Überzeugung –: Wir sollten auf Ministerent-scheide verzichten
und solche Eingriffe in das Marktgeschehen nicht längerzulassen. Dafür gibt es das Bundeskartellamt, das ja sei-nen Aufsichtspflichten auch hervorragend gerecht wird.Dort sollte man tätig werden. Das Instrument des Minis-terentscheids ermöglicht, dass die Politik direkt aufMarktentscheidungen einwirken kann. Ich bin davonüberzeugt, das es besser wäre, wenn man dies abschaffenwürde.Zu einem weiteren Punkt: Denken Sie einmal zurück,wofür sich Herr Müller als Minister eingesetzt hat! Erhat auf EU-Ebene in Brüssel immer dafür gekämpft– das hat Rainer Brüderle eben richtig gesagt –, dass dieSubventionen auch weiterhin gezahlt werden dürfen. ImGegenzug wurden – das war eine der Auswirkungen –Frankreich und Italien Sonderregelungen bei der Mine-ralölsteuer zugestanden.
Darüber hinaus war Herr Müller verantwortlich fürweitere Subventionen. Ich erinnere nur an das Erneuer-bare-Energien-Gesetz, mit dem er ein weiteres riesen-großes Subventionsfass aufgemacht hat. Diese Zusam-menhänge muss man sehen.
Ich glaube nicht, dass er nun in der Lage sein wird, Sub-ventionen abzubauen und sich auf neue Herausforderun-gen einzustellen, die ein zukunftsfähiges Wirtschaftenermöglichen. Das hat direkte Auswirkungen auf die Po-litik, beeinflusst unseren Haushalt und wird uns zumNachteil gereichen. Herr Müller ist eben kein „Mann füralle Fälle“, wie das neulich eine Zeitung getitelt hat. Je-denfalls ist er kein Mann für den Bergbau. Herr Müllerist ein Mann mit Vergangenheit und verkörpert die Ver-gangenheit noch heute.Ich glaube, dass der Tatbestand seiner Berufung fürdie Politik insgesamt ein weiteres Maluszeichen ist. Ichgebe Herrn Brüderle wie auch den Vorrednern von derCDU/CSU-Fraktion völlig Recht: Wir alle nehmen soSchaden. Ich kann deswegen an den Bundeskanzler, demnachgesagt wird, ein besonders gutes Verhältnis zuHerrn Müller zu haben, nur appellieren, Herrn Müller zuraten, davon abzusehen, diese Position für sich zu rekla-mieren. Dies würde Schaden vermeiden helfen. Ich kannnur hoffen, dass es demnächst zu einem radikalen Sub-ventionsabbau kommen wird.
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Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer
on der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Per se ist ein Wechsel von der Politik in die Wirt-chaft oder umgekehrt nicht schlecht. Mehr noch: Wirrauchen in Deutschland dringend eine gegenseitige Be-ruchtung und einen Austausch zwischen Politik undirtschaft. Wohin es führt, wenn der wirtschaftlicheachverstand in der Politik zu kurz kommt, sieht manindrucksvoll an dem Kurs der rot-grünen Bundesregie-ung: Mit einer Mischung aus Murks und Marx und demerumdoktern an Symptomen, ohne eine klare wirt-chaftspolitische Linie, führen Sie Deutschland nicht nurußenpolitisch, sondern auch wirtschaftlich ins Abseits.
Wirtschaftspolitische Kompetenz, Erfahrung oder garührungserfahrung? – Fehlanzeige auf der ganzen Linie!ompetenz – dieses Wort muss man in diesem Fall innführungszeichen setzen – beschränkt sich bei Ihnenuf die Beteiligung von Gewerkschaftsfunktionären.irtschaftlicher Sachverstand und frisches Blut sind hierberfällig.Herr Müller verfügt ohne Zweifel über einen gewis-en Erfahrungsschatz in Politik und Wirtschaft. Er kannilowatt und Kilowattstunde unterscheiden, vielleichtuch Bilanzen lesen und er weiß, wie Politik funktio-iert. Das ist gut und das kritisiere ich nicht – im Gegen-eil. Es hat aber doch ein sehr starkes Gschmäckle, wiean es im Schwäbischen sagen würde, wenn jemand,er die Rahmenbedingungen bis vor wenigen Monatenenn nicht gesetzt, so doch zumindest politisch zu ver-ntworten hatte – Eon und der Zusammenhang mit derohleförderung wurden genannt –, ein paar Monate spä-er an die Spitze gerade des Unternehmens berufen wird,as der größte Profiteur der gesamten Aktivitäten im Mi-isterium war.
Es mag sein, dass dies keine Rechtsfrage ist: zumin-est aber moralisch wäre es dringend geboten, zu sagen,ass man ein solches Amt nicht antritt. In jedem Unter-ehmen gibt es Konkurrenzausschlussklauseln, die so et-as verbieten. Wenn jemand in einem Unternehmen dernergieversorgung als Vorstand tätig war, kann er nichthne Weiteres ein halbes Jahr später in einem Konkur-enzunternehmen die gleiche Vorstandstätigkeit ausüben.as gebietet das Recht; vor allem aber gebietet dies aucher moralische Anstand.
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Dr. Joachim PfeifferNeben diesem moralischen Aspekt stellt sich für dieRuhrkohle Aktiengesellschaft allerdings auch die Frage,ob Herr Müller der richtige Mann ist. Mit stetig wach-sender Tendenz werden bereits heute zwei Drittel desUmsatzes der RAG in den Geschäftsfeldern Chemie undImmobilien erwirtschaftet. Nur ein Drittel des Umsatzeswird im Geschäftsfeld Kohle und Bergbau im weiterenSinne erwirtschaftet. Hier stellt sich doch zu Recht dieFrage, ob der andere einschlägige Kandidat, der jetztschon für den größeren Geschäftsbereich verantwortlichist, nicht die bessere Wahl für die Ruhrkohle Aktienge-sellschaft gewesen wäre.
Das muss das Unternehmen aber selbst entscheiden.Auch der nächste Punkt sollte Sie interessieren; ermuss ausgeräumt und geklärt werden. Es liegt doch dieVermutung nahe, dass dieser Deal von langer Hand aus-geheckt und vorbereitet wurde. Kann es nicht sein, dassdie SPD über ihre fünfte Kolonne – die Gewerkschaften –und die Montanmitbestimmung hier ihre Finger im Spielhatte und jetzt ihr parteipolitisch motiviertes Süppchenkochen will?
– Frau Kumpf, Sie gehören auch zu der Spezies, die au-ßer ihrer Gewerkschaftserfahrung wenig in den Bundes-tag einzubringen hat.Es ist doch auffällig, wie offensichtlich die Gewerk-schaften den Herrn Müller hier auf den Thron gehobenhaben. Dies muss geklärt werden. Es ist Ihre und nichtunsere Aufgabe, dies zu tun. Dem können Sie nicht aus-weichen, indem Sie sich nicht an der Debatte beteiligenund indem Sie versuchen, diesem Thema aus dem Wegzu gehen.
Abschließend fordere ich die Bundesregierung auf– Frau Kopp hat es bereits angesprochen –, schnellst-möglich ernsthafte Verhandlungen über den Anschlussan den Kohlekompromiss über das Jahr 2005 hinaus zuführen und diesem Haus endlich einmal Vorschläge zuunterbreiten.
Die Beschäftigten der RAG haben Anspruch auf Pla-nungssicherheit – nicht nur Herr Müller, der diese in Formeines Fünfjahresvertrages als Vorstandsvorsitzender er-hält. Die Kumpels, die in diesem Bereich beschäftigt sind,haben Anspruch auf eine verlässliche Perspektive. SiemrcsdrWseWudwtisteewhwdisdDesDMw
Das Wort hat jetzt der Kollege Hans Michelbach von
er CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Es gibt keinen Zweifel: Die Berufung des früherenirtschaftsministers Werner Müller zum neuen Vor-tandschef des Chemie- und Bergbaukonzerns RAG istin schlimmer Bärendienst für die gesamte deutscheirtschaft
nd zeugt von Unsensibilität. Das Verflechtungskartell,as zu dieser Berufung beigetragen hat, muss aufgelösterden. Personeller Austausch von Wirtschaft und Poli-k? – Ja, aber keine undurchsichtige Kungelei. Wir müs-en daran interessiert sein, dass diejenigen aus dem Un-rnehmertum, aus dem Mittelstand, die sich politischngagieren, ihre Aktivitäten so durchsichtig gestalten,ie wir das mit der Veröffentlichung im Bundestags-andbuch machen. Ein Deckmantel an Verflechtungen,ie er bei Herrn Werner Müller zu beobachten ist, kannagegen nicht gutgeheißen werden.Diese heutige Debatte
t wichtig und notwendig. Wir brauchen Sauberkeit iner Wirtschaft und in der Politik.
arauf haben unsere Bürger Anspruch. Dies darf nichtinfach abgetan werden; denn der Bürger und die mittel-tändischen Betriebe zahlen sonst die Zeche.
ie unternehmerische Ethik – Vorbild für die sozialearktwirtschaft – wird durch solche Vorgänge schwer-iegend beschädigt.
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3292 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2003
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Hans MichelbachNatürlich ist es in Ordnung, wenn sich jemand aus derPolitik ehrenamtlich engagiert. Das Engagement mussnur bekannt gemacht werden.
Ganz anders aber war es bei diesem Verflechtungskar-tell. Als Mittelständler bin ich über diese unsaubere Pos-tenschieberei zutiefst betroffen. Dem Unternehmertumwird nachhaltiger Schaden zugefügt. Alle Kräfte diesesHauses sollten daran interessiert sein, dass diese Sachenaufgedeckt, beim Namen genannt und rückgängig ge-macht werden. Deshalb bin ich für die heutige Gelegen-heit ausgesprochen dankbar.Anlass, kritische Fragen zu stellen, gibt es genug: HatHerr Müller seinen neuen Chefsessel durch eine Schmie-renkomödie erreicht? Ist es inzwischen so weit gekom-men, dass in Deutschland Mitglieder der Bundesregie-rung käuflich sind? Hat sich Herr Müller einenwohldotierten Arbeitsplatz in der Energieindustrie schonzu seiner Zeit als Bundeswirtschaftsminister durch Will-fährigkeit gesichert?
Ist Müllers neue Position ein Dankeschön aus der Ener-giebranche an den ehemaligen Bundeswirtschaftsminis-ter, weil er ihnen seinerzeit gefällig war?
– Herr Schmidt, Sie fordern Beweise. Solche Fragenwerden doch noch erlaubt sein. Darauf erwarten wirAntworten.
Wenn Sie es ehrlich meinen, dann schlage ich Ihnen vor,diese Fragen dem Bundeskanzleramt zu stellen. Die Mi-nistererlaubnis, die von BundeswirtschaftsministerMüller erteilt wurde, stinkt geradezu zum Himmel.Diese Sache, die wie geschaffen ist für ein Drehbuchzum Thema Genossenfilz und Gewerkschaftskungelei ineiner Konzernwirtschaft, muss geklärt werden. Sonst er-hält unser Land den Geschmack einer Bananenrepublik.Das können wir nicht dulden, daran können wir kein In-teresse haben.
Ich kann deutlich sagen: Bundeskanzler Schröder undBundeswirtschaftsminister Clement tragen daran eineklare Mitschuld. Sie haben dieses Verflechtungskartellgutgeheißen und unterstützt. Die Paten hierfür sitzen imBundeskanzleramt. Das zeigt das wahre Gesicht dieserRegierung. Die Reaktion der SPD zeigt, dass Sie betrof-fen sind und zunächst einmal keine Klärung wollen. Dashabe ich auch früher schon festgestellt, als der Bundes-kanzler bei der 60-Millionen-Abfindung von Herrn EsservhifztDdliDckudKnrmgKUwBwgRJdvsngmKskddcg
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Rolf Bietmann von
er CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen undollegen! Vor wenigen Wochen verkündete ausgerech-et die IG Bergbau-Chemie-Energie als erste die Nach-icht, man habe mit dem ehemaligen Bundeswirtschafts-inister einen geeigneten Vorstandsvorsitzendenefunden. Die erstaunte Öffentlichkeit musste zurenntnis nehmen, dass in einem der größten deutschennternehmen nicht die Eigentümerseite, sondern die Ge-erkschaften den Vorstandsvorsitzenden proklamieren.Wirft aber der geneigte Betrachter einen genauerenlick auf die Eigentümerseite, dann schlägt bei Kenntnisirtschaftlicher Zusammenhänge sein Erstaunen in fra-endes Entsetzen um; denn mit RWE und Eon hat dieAG genau die Eigentümer, die in den zurückliegendenahren den größten energiewirtschaftlichen Milliarden-eal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschlanderabredet haben. Dieser Milliardendeal war von der Zu-timmung eben des Ministeriums abhängig, dessen Mi-ister heute an die Spitze des durch die Zustimmung neuestalteten RAG-Konzerns rückt.Es ist unbestreitbar völlig unvertretbar, dass ein ehe-aliger Bundeswirtschaftsminister die Führung einesonzerns übernimmt, der in der jetzigen Struktur miteiner neuen Tochter Degussa nur deshalb zustande ge-ommen ist, weil im Interesse der heutigen Eigentümeres Unternehmens eine Ministererlaubnis erteilt wurde,ie alle Bedenken der Kartellbehörde und der Verbrau-herverbände hinsichtlich einer Monopolbildung im Ener-iemarkt in den Wind geschlagen hat.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2003 3293
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Dr. Rolf Bietmann– Das ist ein politisch skandalöser Fall, Frau Hustedt.Die Politik – das sage ich an die Grünen gerichtet –nimmt schweren Schaden, wenn in den deutschen Me-dien der Eindruck kommentiert wird, die Amtshandlungder Erteilung der Ministererlaubnis könnte in einem Zu-sammenhang mit der Berufung des Ministers zum Vor-standsvorsitzenden des von der Entscheidung betroffe-nen Konzerns stehen. Dieser Vorgang wird das Vertrauenin die Politik, insbesondere aber das Vertrauen in die rot-grüne Bundesregierung, weiter schwer erschüttern.Lassen Sie mich noch etwas ausführen. Der KollegeSchauerte hat auf die im Beamtenrecht vorgesehene Re-gelung hingewiesen, dass innerhalb von fünf Jahrennach dem Ausscheiden aus dem Beamtenverhältniskeine Tätigkeiten aufgenommen werden dürfen, diemöglicherweise zu Interessenkollisionen führen. FürMinister gilt zwar das Ministergesetz, das keine entspre-chende Regelung beinhaltet. Aber eigentlich müsstengerade für die Spitzenstaatsdiener solche Interessen-kollisionen ausgeschlossen werden. Was für den ein-fachen deutschen Beamten gilt, muss erst recht für dieMinister gelten.
Wenn man sich dann gut meinend fragt, ob es einenzwingenden sachlichen Grund für die Berufung vonHerrn Müller gibt, dann stößt man auf die Begründung,er sei ein ausgewiesener Energieexperte. Diese Begrün-dung ist aber absolut untauglich;
denn ein Blick auf die Ausrichtung der RAG zeigt, dass75 Prozent des Umsatzes der neu gestalteten RAG nichtsmehr mit Energie zu tun haben, weil der Schwerpunktdieses Konzerns auf der Chemie und – man höre undstaune – auf Immobilien liegt. Mir ist aber von den Qua-litäten des Herrn Müller im Immobiliensektor oder in derChemie wahrhaft nichts bekannt.Einzig richtig an dem Erklärungsversuch ist die Tatsa-che, dass Herr Müller – damit kommen wir zur Politik –aus Treue gegenüber der ihn berufenden Gewerkschaftund sicherlich auch der nordrhein-westfälischen SPD al-les daransetzen wird, den defizitären Bereich der Stein-kohle über das Jahr 2005 hinaus durch milliarden-schwere Subventionen zulasten der Steuerzahlerkünstlich am Leben zu halten. Diese Subventionspolitikist gesamtwirtschaftlich nicht vertretbar und schädigtden Standort Deutschland dauerhaft.
Aber so zynisch es auch klingen mag: Hier schließtsich wieder der Kreis. Denn letztlich zahlt der Steuerzah-ler den Preis für einen politisch gewollten gigantischenWirtschafts- und wohl auch Personaldeal.CDU und CSU – da können Sie noch so viel kritisie-ren – fordern die Bundesregierung auf, diesen Vorgangwirklich schonungslos offen zu legen und dem Deut-schen Bundestag Auskunft über erkennbare Interessen-kollisionen eines früheren Mitglieds der rot-grünen Bun-dSdmdShhsKEsthuFhhFzsuKgSazwudMnLuBOvnvBh
Sehen Sie sich an, was die Kollegin Hustedt und derollege Schmidt hier vorgetragen haben: Man zeigt mitmpörung auf einen Fall, den man für besonderschlimm hält, und rechtfertigt damit das eigene Verhal-en. Das ist der Vorgang, der hier heute stattgefundenat. Darf ich also davon ausgehen, dass Frau Hustedtnd auch Herr Schmidt der Meinung sind, weil es denall Bangemann gibt, den sie als so schlimm bezeichnetaben, dürfe man sich gleichermaßen wie die FDP ver-alten?
rau Hustedt, ich rate Ihnen dringend, das, was Sie hierur WMP vorgetragen haben, sofort wieder zu verges-en. Denn der Medienberater der Länder Brandenburgnd Berlin, Mitarbeiter von WMP, ist jemand, der aufosten des Berliner Senats und der Berliner Bürgerroßzügige PR für Berlin und Brandenburg macht. Wennie schon solche Gesellschaften nennen, dann sollten Sieuch nicht vergessen, dass einer Ihrer schönen Abendeum EEG von einer Rechtsanwaltskanzlei gesponsertorden ist.
Ich finde außerdem, dass wir über die Fusion von Eonnd Ruhrgas in diesem Zusammenhang gar nicht unbe-ingt reden sollten; das ist bei der Sache mit Herrnüller jetzt gar nicht so sehr die Frage. Wir reden dannämlich über den falschen Verursacher des Ganzen.ange bevor der Antrag beim Bundeswirtschaftsministernd beim Bundeskartellamt eingegangen war, hat derundeskanzler auf einer Betriebsräteversammlung imktober 2001 öffentlich gesagt, er sei für eine Fusionon Eon und Ruhrgas. Die Begründung, die man dafürennen kann, ist durchaus diskutabel. Sie ist unabhängigon der Diskussion über die Märkte im innerdeutschenereich, die Hartmut Schauerte und Hans Michelbachier vorgetragen haben. Der Punkt ist: Diesen Fall hat
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Kurt-Dieter Grillnicht irgendeine anonyme SPD zu verantworten; die Sa-che hat einen Namen und der heißt Gerhard Schröder.Werner Müller ist ein Protegé des Bundeskanzlers.
Man könnte sich noch darüber unterhalten, ob WernerMüller an dieser Stelle richtig ist, wenn er eine Erfolgs-bilanz als Manager und Politiker vorzulegen hätte.
Aber Herr Müller ist – das ist das Erste – Anfang der90er-Jahre aus dem Vorstand der VKA mit einer Millio-nenabfindung entlassen worden, weil die Veba keinenBedarf mehr für einen Manager von der Qualität desHerrn Müller hatte.
Das Zweite ist, dass sich Herr Müller, wie die Zeitun-gen hier und da berichteten, selber als Nachfolger vonHerrn Harig, von Herrn Goll und anderen ins Gesprächhat bringen lassen.Und schließlich – das ist das Dritte – sollte man sicheinmal die Erfolgsbilanz von Werner Müller in seinemAmt ansehen: Die 4,6 Millionen Arbeitslosen sind dieFolge nicht irgendeiner Wirtschaftspolitik in diesemLande, sondern sind die Folge seiner Wirtschaftspoli-tik.
Wo sind denn, so könnte man noch fragen – ich habe dasin diesem Hause oft genug getan –, die Konzepte seinerEnergiepolitik? Fragmente hat er vorgelegt und für das,was er draußen vertreten hat, hat er in diesem Hausekeine Mehrheit auf dieser Seite des Hauses gehabt. Rotund Grün haben die energiepolitischen Ansichten diesesMannes nie mitgetragen.
Wo also ist der Erfolg des Wirtschaftsministers Müller,der ihn berechtigen würde, in eine leitende Funktion ein-zutreten?Ein Letztes – es ist ja schon eine Reihe von Argumen-ten dazu vorgetragen worden –: Es gibt die gute Regel,wonach ehemalige Minister nicht in den Ausschuss ge-hen sollten, für den sie als Minister sozusagen zuständigwaren, um die Beamten, die ehemaligen Mitarbeiter,nicht in Verlegenheit zu bringen. Jetzt geht ein Mann andie Spitze eines Konzerns, der auch mit Beamten ver-handeln muss, die vorher im Ministerium seine Unterge-benen waren. Wie sollen so objektive und faire Verhand-lungen zustande kommen? Hier werden doch Menschendurch Personalauswahl unter Druck gesetzt.Ich möchte gar nicht herumstänkern, sondern lediglichfeststellen: Das Ergebnis des hier zur Diskussion stehen-den Deals ist, dass der RAG und damit auch der deut-schen Steinkohle – die hier vertretenen Anliegen sinddurchaus berechtigt – und den Kumpels der schlechtesteanAhfrBNmnKsitZdkndKfhamntds
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Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-MerkDas Gesetz wird nach 17 Jahren Stillstand in derKrankenpflegeausbildung von vielen, die in der Pflegeaktiv sind und die sich mit der Situation in der Pflegeauseinander setzen, für dringend erforderlich gehalten.Es ist auch deutlich geworden, dass es in dieser Zeit Ent-wicklungen in den Pflegewissenschaften gegeben hat.Diese sind wie der Aspekt der Eigenständigkeit derPflege in das Gesetzgebungsverfahren eingeflossen.Mit der Novellierung der Krankenpflegeausbildungwollen wir langfristig Bedingungen dafür schaffen, dasserstens auch in Zukunft eine qualitativ hochwertige pfle-gerische Versorgung unter veränderten Rahmenbedingun-gen sichergestellt ist. Wir wollen zweitens, dass der Pfle-geberuf für junge Menschen attraktiver wird und dadurcheinem allgemeinen Fachkräftemangel vorgebeugt wird. Esherrscht schon heute in einigen Gebieten ein großer Fach-kräftemangel. Dies hängt auch damit zusammen, dass die-ser Beruf gesellschaftlich nicht ausreichend gewürdigtund nicht für attraktiv gehalten wird. Mit der neuen an-spruchsvollen Ausbildung, die wir nun festlegen, sind wirauf dem richtigen Weg. Wir wollen drittens ein erweitertesVerständnis der Pflege in der Ausbildung schaffen. Auchdiesem Belang wird der Gesetzentwurf gerecht.Die Anhörung im Februar dieses Jahres hat gezeigt,dass alle Sachverständigen die Novellierung der Kran-kenpflegeausbildung für dringend notwendig erachten.Wir waren uns nach dieser Anhörung sowohl im Mi-nisterium als auch im Fachausschuss über die wesentli-chen Inhalte des Gesetzes einig:Erstens. Es bleibt bei zwei Berufsbildern für dieKranken- und Kinderkrankenpflege. Allerdings enthältdie Ausbildung künftig weitgehend gemeinsame Ausbil-dungsanteile. Den besonderen Erfordernissen einer kind-gerechten Versorgung tragen wir durch die Spezialisie-rung in der zweiten Phase Rechnung.Zweitens. Die neuen Berufsbezeichnungen „Gesund-heits- und Krankenpfleger/in“ sowie „Gesundheits- undKinderkrankenpfleger/in“ unterstreichen bereits sprach-lich den erweiterten Ansatz in der Krankenpflege.Drittens. Die Ausbildungsziele werden den neuen An-forderungen angepasst. Dabei wird der eigenständigeAufgabenbereich der Pflege hervorgehoben. Es wirdklargestellt, dass die Pflege nicht auf den kurativen As-pekt beschränkt ist. Krankenpflege beinhaltet fortanauch präventive, rehabilitative und palliative Maßnah-men. Krankenpflege unterliegt so einem umfassendenAnsatz. Es handelt sich um eine qualitativ hochwertige,anspruchsvolle Ausbildung, die in aller Regel von sehrengagierten Menschen gewählt wird. Dem wollen wirdurch die Ausbildungsneuordnung mehr Raum geben.
Viertens. Die praktische Ausbildung findet nicht mehrnur in Krankenhäusern, sondern auch in geeigneten am-bulanten oder stationären Pflege- oder Rehaeinrichtungenstatt. Auch dies ist wichtig, denn gerade die ambulantenEinrichtungen sollen sich in Zukunft mehr entfalten kön-nen. Deswegen sollen sie auch für die Ausbildung zurVerfügung stehen.fddSdTeMsbgtrtdtIdsKlmldddssdlwndhzwdhtGmerZda
n den Ausschussberatungen wurden entsprechende Än-erungen des Gesetzentwurfes vorgeschlagen, die diesicherstellen. Ich appelliere daher an dieser Stelle an dierankenhäuser und deren Ausbildungsbereitschaft: Stel-en Sie ein bedarfsgerechtes Ausbildungsangebot sicher.Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns ge-einsam sehr wachsam sein, denn gerade im Moment er-eben wir – dies wird uns auch aus der Praxis berichtet –,ass Ausbildungskapazitäten teilweise verringert wer-en. Wir sollten uns gemeinsam dafür stark machen, dassie Kapazitäten ausgeweitet werden. Durch die gemein-amen Finanzierungspools und die Überleitungsvor-chriften müssen wir jetzt die klare Botschaft vermitteln,ass es unser Wunsch ist, dass in Zukunft mehr und qua-itativ hochwertig ausgebildet wird.
Die Erfahrungen mit der integrierten Ausbildung, wieir sie heute beschließen, könnten gemeinsam mit dereuen bundeseinheitlichen Altenpflegeausbildung unden zur Erprobung generalistischer Ausbildungen vor-andenen Modellklauseln auch die Grundlage dafür sein,u einem späteren Zeitpunkt verantwortlich über dieeitere Entwicklung der Pflegeberufe zu entscheiden.Wir sind uns einig, dass es dringend notwendig ist,ie Ausbildung der Pflegekräfte zu modernisieren. Wiraben beim Thema Ausbildungsnovellierung einen brei-en Konsens erreicht. Es hat sich ausgezahlt, dass deresetzentwurf in enger Abstimmung mit Verbänden undit den Bundesländern erarbeitet wurde. Wir schaffen ininem wichtigen Bereich einen modernen Ausbildungs-ahmen und auch eine vernünftige Finanzierung für dieukunft. Lassen Sie uns gemeinsam dafür werben, dassie Fachkräfte, die in der Pflege eine gute Arbeit leisten,uch in Zukunft eine Chance haben.Vielen Dank.
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Das Wort hat jetzt die Kollegin Monika Brüning von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Das Gesetz über die Berufein der Krankenpflege, das wir heute in abschließenderLesung beraten, ist angesichts der steigenden Lebenser-wartung der Bevölkerung und der veränderten gesell-schaftlichen Rahmenbedingungen von zentraler Bedeu-tung. Die Pflege kranker und schwacher Menschen istelementarer Bestandteil jeder sozialen Gesellschaft. Dasberufliche Pflegen ist somit nicht nur ein Beruf, sondernauch ein gesellschaftlicher Auftrag. Dieser Auftrag er-gibt sich aus der Verpflichtung zur Fürsorge für Hilfsbe-dürftige und ist Ausfluss des im Grundgesetz veranker-ten Sozialstaatsprinzips.Die Krankenpflege blickt auf eine lange Traditionzurück. Schon im alten Griechenland gab es Heilpläne,die Elemente der heutigen Krankenpflege enthielten.Eine ganz besondere Bedeutung für die Entwicklung derabendländischen Pflege und insbesondere der Kranken-pflege hat das mit der Entstehung des Christentums ver-bundene Ideal der Nächstenliebe. Dieser Nächstenliebeentsprang die praktische Karitas, der Dienst am Men-schen, eine wichtige Grundlage der Krankenpflege, dieheute aufgrund von Finanzmangel leider häufig vernach-lässigt wird.Die organisierte Krankenpflege in Krankenhäusernhat ihren Ursprung im frühen Mittelalter. Bereits vorüber 500 Jahren, im Jahre 1452, entstand die erste deut-sche Hebammenordnung zur Festschreibung einer Aus-bildung im Kranken- und Pflegebereich. Im Jahre 1782wurde in Deutschland die erste Krankenpflegeschule,damals Krankenwärterschule genannt, gegründet. Zu-nächst bildete sie nur Männer aus. Ab 1801 existierteeine weitere Schule für Frauen. Damals herrschte eingroßer Mangel an ausgebildetem Pflegepersonal; dennimmer mehr Menschen ließen sich im Krankenhaus be-handeln.Auch heute konstatieren wir in Deutschland einenMangel im Pflegebereich, der angesichts von drohendenNullrunden, die mittlerweile Gott sei Dank zurückge-nommen wurden, hoffentlich bald etwas abgeschwächtwird.
In Deutschland benötigt ein stetig steigender Bevölke-rungsanteil professionelle Pflege. Ende 1999 waren über2 Millionen Menschen im Sinne des Krankenpflegege-setzes pflegebedürftig. Davon wurde knapp die Hälfte– immerhin über 1 Million Menschen – von Fachkräftender Krankenpflege versorgt.Der Bedarf an qualifizierten Pflegekräften wird inden kommenden Jahren stark ansteigen. Für 2020 pro-gnostiziert das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschungeinen Anstieg der Zahl pflegebedürftiger Menschen auf3,3 Millionen und für 2050 auf sogar 4,7 Millionen. DasbvkgdsPBrraRtrDdvadEMimesBfwwBespAntetiskinwdDrdedn
Außerdem muss ein höherer Anteil junger Menschenür den Pflegeberuf geworben werden. Nur so kann derachsende Bedarf an Pflegekräften gedeckt werden. Dasird jedoch nur möglich sein, wenn die Attraktivität deserufsbildes erhöht wird.Das Krankenpflegegesetz von 1985 ist nicht mehr ge-ignet, diese gravierenden Probleme zu lösen. Es ent-pricht nicht mehr den Erfordernissen, die der demogra-hische Wandel an die Krankenpflege stellt. Auch dasufgabenspektrum im Pflegebereich hat deutlich zuge-ommen. Schließlich haben sich die medizinischen undchnischen Möglichkeiten weiterentwickelt.Das mittlerweile 18 Jahre alte Gesetz soll nun endgül-g den neueren Anforderungen angepasst werden. Insbe-ondere die Finanzierung der Ausbildung neuer Fach-räfte stellt ein Problem dar. Der Faktor Ausbildung ist den vergangenen Jahren mehr und mehr zum Wettbe-erbsnachteil der ausbildenden Krankenhäuser gewor-en.
ie CDU/CSU-Fraktion unterstützt daher die Einfüh-ung der Fondsfinanzierung.Die Ausbildungsstätten befinden sich überwiegend iner Trägerschaft von Krankenhäusern. Die Finanzierunginer Krankenpflegeschule erfolgte bisher anteilig ausem Budget des jeweiligen Krankenhauses. Nach dereuen Regelung erhalten die ausbildenden Schulen nun-
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Monika Brüningmehr gesonderte Zahlungen aus dem so genannten Aus-gleichsfonds, an dem sich alle Häuser beteiligen müssen.Wir begrüßen sehr, dass auf unseren Hinweis hin auchdie Finanzierung der Ausbildung in den Krankenhäusernfür die Zeit bis 2005 gesichert wurde. Dies geschiehtdurch die gleichzeitige Änderung der Bundespflegesatz-verordnung und des Krankenhausentgeltgesetzes. Ohnediese Änderungen wären die Folgen dramatisch gewe-sen. In den Jahren 2003 und 2004 wären mit hoherWahrscheinlichkeit weniger neue Ausbildungsplätze be-reitgestellt worden.Eine große Errungenschaft in unserem Sozialstaat istdie Möglichkeit, sich als Pflegebedürftiger in den ge-wohnten vier Wänden pflegen zu lassen. Wie Sie allewissen, wird diese Möglichkeit vermehrt in Anspruchgenommen. Daher ist es richtig und wichtig, dass dieAusbildung teilweise auch im ambulanten Bereichstattfindet. Einen wesentlichen Punkt in diesem Zusam-menhang hat die rot-grüne Mehrheit aber nicht aufge-griffen: die Einbeziehung ambulanter Dienste in die Fi-nanzierung der Krankenpflegeausbildung.
Wo bleibt die Beteiligung derjenigen an den Kosten derAusbildung, die vom Einsatz der Krankenpflegeschüle-rinnen und -schüler in ihren Einrichtungen direkt profi-tieren? Ich habe auf diesen Punkt bereits in der erstenLesung im Dezember 2002 und in den Ausschusssitzun-gen hingewiesen. Leider ist insoweit kein Fortschritt zuerkennen.Das geltende Gesetz über die Krankenpflegeausbil-dung ist seit knapp 18 Jahren in Kraft. Die verstricheneZeit hat viele Veränderungen mit sich gebracht. Ichbitte Sie alle daher, mit weiteren Anpassungen diesesGesetzes an die Realitäten im Krankenpflegebereichnicht noch einmal 18 Jahre zu warten; denn die Kranken-pflege unterliegt einem ständigen Wandel. Die nächstenHerausforderungen stehen schon vor der Tür. Es ist ins-besondere erforderlich, eine bedarfsgerechte Steuerungin den Berufen sicherzustellen und damit eine gute unddem aktuellen medizinischen Stand entsprechende Be-treuung der Kranken und Pflegebedürftigen zu gewähr-leisten. Diese Steuerung muss zeitnah geschehen.So sollten beispielsweise die operativen technischenAssistenten möglichst bald eine staatlich anerkannte Be-rufsbezeichnung erhalten und sollte die entsprechendeAusbildung gesetzlich geregelt werden.
Aufgrund der sich ständig erweiternden pflegerischenund medizinischen Erkenntnisse ist auch über eine stär-kere wissenschaftliche Ausrichtung der Pflegeberufenachzudenken. Die Pflegeausbildungen können nichtnoch weitere Jahrzehnte außerhalb des öffentlichenSchul- und Hochschulwesens oder ohne klare Anbin-dung daran fortgeführt werden. Darüber hinaus sindauch die Pflegeberufe in größere gesellschaftliche Zu-sammenhänge zu stellen.APSgBAlnaAEgtKwbniddrdbBemuMwIwNstkbgßBKzds
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Fraktionsübergreifend bestand große Einigkeit, was jaleider hier nur zu selten vorkommt.
– Natürlich gibt es ab und zu auch andere Gesetze; dasweiß auch ich. – Die Anhörung zu diesem Gesetzent-wurf hat gezeigt, dass es dringenden Handlungsbedarfgibt.Auf die Finanzierung und andere Dinge, bei denendieses Gesetz ganz klar Lücken offen lässt, möchte ichjetzt gar nicht näher eingehen. Aber, liebe Frau Brüning,auch Sie wissen, dass viele dieser Dinge eigentlich in dieKompetenz der Länder fallen. So hoffe ich, dass wirauch in diesem Punkte weiter vorankommen.
Wir legen dafür hier den Grundstein, die Gesprächemüssen dann aber weitergehen.Pflegen kann jeder – das hört man leider immer nochallzu oft in unserer Gesellschaft. Dagegen käme wohlkeiner auf die Idee, zu sagen, Haare schneiden oder einAuto reparieren könne jeder. Dabei reduziert sich dasVerständnis des Wortes „Pflege“ in der Gesellschaft lei-der häufig immer noch nur auf Pflege im letzten Ab-schnitt des Lebens, nämlich die Altenpflege. Ich glaubedeshalb, dass wir dringend einen Bewusstseinswandelbezüglich des Wortes „Pflege“ herbeiführen müssen,denn dabei geht es um mehr als nur um zielbestimmteErhaltung körperlicher Funktionen. Pflege umfasst vielepsychische und soziale Elemente und sollte deshalbganzheitlich als ein Beruf verstanden werden, der sichum Menschen in verschiedenen Lagen kümmert.Angesichts des Personalmangels, der in der Kranken-pflege herrscht – das ist ein Berufszweig mit einer Ar-beitslosenquote von gerade einmal 2,5 Prozent, Tendenzfallend –, ist es heute besonders wichtig, dass wir den ho-hen Arbeitsbelastungen in diesem Beruf – da ist wiederumdie Tendenz steigend, man braucht nur an die DRGs oderazslirUsdwswBwsniDwgiAincnrGatimrckoddzMvumwwgtvlF
Das Wort hat der Kollege Detlef Parr von der FDP-raktion.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es istwirklich erfreulich, dass es in diesen gesundheitspoli-tisch sehr stürmischen Zeiten ein Thema gibt, das nichtstreitig ist. Auch wir begrüßen, dass es mit dem Kran-kenpflegegesetz zu einer Modernisierung der Kranken-pflegeausbildung kommt. Das war lange überfällig. Kol-legin Selg hat das gerade sehr plastisch dargestellt.Das Gesetz ist ein Schritt in die richtige Richtung. DieQualität der Ausbildung wird steigen. Das werden wirdurch unser Abstimmungsverhalten unterstützen; wirstimmen dem Gesetz zu. Die fachlichen Kompetenzenwerden auf gesundheitsfördernde, präventive, rehabilita-tive und palliative Inhalte ausgeweitet. Vor allem durchdie Ausdehnung der praktischen Ausbildung im ambu-lanten Bereich wird den modernen Herausforderungenan die Krankenpflege Rechnung getragen.Ein Problem gibt es allerdings. Mit der Zusammen-führung der Krankenpflege- und der Kinderkrankenpfle-geausbildung in den ersten Ausbildungsjahren – hiermuss konsequenterweise auch die Altenpflegeausbil-dung mit einbezogen werden – wird der Weg in eine ein-heitliche Grundausbildung für die Pflegeberufe einge-schlagen. In der Anhörung ist die berechtigte Frageaufgeworfen worden, inwieweit damit den diversifizier-ten Anforderungen an die einzelnen Berufsbilder Rech-nung getragen wird. Die Fachverbände sind hier sehr un-terschiedlicher Meinung. Ich finde, wir sollten den heuteeingeschlagenen Weg auf jeden Fall nach einem be-stimmten Erfahrungszeitraum kritisch überprüfen.Ein weiteres Manko des Gesetzentwurfes ist bereitsangesprochen worden, nämlich die Regelung derFinanzierung des entstehenden Mehraufwandes. Vor al-lem die Ausbildung in ambulanten Einrichtungen außer-halb der Krankenhäuser muss von diesen selbst geschul-tert werden. Der Gesetzentwurf sieht eine Anhebung desStellenschlüssels vor, der die Krankenkassen mit100 Millionen Euro zusätzlich belastet. Die Kranken-häuser bezweifeln, dass diese Summe reichen wird. Wirkönnen nur hoffen, dass diese neuen finanziellen und lo-gistischen Belastungen sie nicht dazu veranlassen, sichaus der Krankenpflegeausbildung immer stärker zurück-zuziehen. Auch diese Entwicklung müssen wir sorgfältigverfolgen und zu gegebener Zeit wieder auf den Prüf-stand stellen. Eine bessere Ausbildung nutzt wenig,wenn Ausbildungsplätze gestrichen werden.Es ist auch stark zu bezweifeln, liebe Kolleginnen undKollegen von Rot-Grün, ob Sie mit dem Gesetz IhreZielvorgabe einer Steigerung der Attraktivität der Pfle-geberufe erreichen werden. Das verlangt nämlich mehrals eine Ausbildungsreform oder eine Namensänderungvon der heute offensichtlich nicht mehr geliebten Be-zeichnung „Schwester“ hin zu „Pflegerin“ und auchmehr als einen zusätzlich eingebrachten Entschließungs-antrag, der beabsichtigt, die akademische Weiterqualifi-zierung zu fördern. Es verlangt vor allem, Frau Staats-sekretärin – da reichen Appelle nicht aus –, dieArbeitsbedingungen für die Pflegeberufe und die medi-zinischen Berufe in den Krankenhäusern zu verbessern.Qualifikation ist das eine, die Stationen mit ausreichendPlqutvslsdfKLwdgtjeDsGewVrIasuhGffu–d–s
Schon im Hinblick auf den demographischen Fak-or werden Pflegekräfte in Zukunft mehr gebraucht denn; Frau Staatssekretärin hat schon darauf hingewiesen.ie Herausforderungen, die sich aus dem demographi-chen Faktor ergeben, sind so groß, dass sie durch diesesesetz wohl kaum gemeistert werden können. Es bedarfines grundlegend neuen Reformkurses. Sonst laufenir in einen Pflegenotstand und nicht zuletzt in einenersorgungsnotstand, dessen Dramatik wir alle nicht igno-ieren sollten.
ch hoffe, Frau Staatssekretärin, dass Sie dies bei Ihrerngekündigten Gesundheitsreform mit bedenken.Wenn man auf die Ergebnisse der Rürup-Kommis-ion, die gestern vorgestellt wurden, schaut
nd wenn man die persönliche Bewertung der Gesund-eitsministerin hört, dann muss man sagen, dass nichtsutes zu erwarten ist. Mit dem Y-Modell wird der Öf-entlichkeit ein X für ein U vorgemacht,
rei nach Goethes Faust: Da steh ich nun, ich armer Tor,nd bin so klug als wie zuvor.
Herr Kirschner, es fehlt allen Beteiligten offensichtlicher Mut
darin müssten wir uns eigentlich einig sein –, an-telle eines Sammelsuriums von faulen professoralen
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Detlef ParrKompromissformeln eine wirklich nachhaltige und insich geschlossene Konzeption vorzulegen.
Meine Damen und Herren von Rot-Grün, mit einem sol-chen Verhalten wird seit Jahren Chance um Chance ver-spielt. Es muss endlich eine klare, grundsätzliche Kurs-entscheidung geben.
Man darf sich nicht mit dem Y-Modell aus der Verant-wortung stehlen. Es darf sich niemand mehr in diesemHause vor klaren und reformfreudigen Positionen drü-cken.
Ich hoffe, dass die Diskussion im Mai/Juni zu einemguten Ergebnis führen wird, das genauso gut ist wie dasGesetz, das wir heute verabschieden. Es wäre schön, Siewürden häufiger Gesetzentwürfe einbringen, denen wirzustimmen können.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Auch ich und mitmir meine Fraktion sind natürlich froh, dass wir heutedie Neuordnung der Krankenpflegeberufe beschließen.Mit dieser Neuordnung beschreiten wir – das wurdeschon gesagt – einen Weg zu mehr Qualität und zu derunbedingt notwendigen Anpassung der Krankenpflege-ausbildung an die heutige Pflegewirklichkeit. Dies istangesichts der immensen Bedeutung, die der Gesund-heits- und Krankenpflege in unserer Gesellschaft zu-kommt, von besonderer Dringlichkeit. Ich sage auch: Esist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.Ich möchte zu Beginn einen Dank an all jene ausspre-chen, die sich in besonderer Weise für diese Neuordnungeingesetzt haben, die den großen Abstimmungsbedarf,den wir gemeinsam zu schultern hatten, stets mit Weit-sicht vorbereitet und realisiert haben und die stets dasZiel im Auge hatten, eine praktikable Novellierung derKrankenpflegeberufe auf den Tisch zu legen.Wir wollten – darauf konzentrierte sich unser gemein-sames Handeln – mehr berufliche Handlungskompetenzim Sinne von prozesshafter und zielgerichteter Pflege,mBenzaGi–gzuvvawDtbwKiAgBwrzKndnDNcWkamkznd–Tkg
Vielen Dank, Herr Kollege Parr.Lassen Sie mich ein paar wichtige Punkte der Reformenauer betrachten. Zunächst etwas zum Ausbildungs-iel und zur Neufassung: Der neue Ansatz in der Pflegenterstreicht, wie schon Frau Selg sagte, den präventi-en, gesundheitsfördernden, rehabilitativen und palliati-en Anspruch als wichtige Aspekte einer ganzheitlichusgerichteten Pflege. Wichtige Erkenntnisse der Pflege-issenschaft haben Einzug in die Ausbildung gehalten.er eigenständige Bereich der Pflege wird explizit be-ont.Damit wird nicht nur den stark veränderten Rahmen-edingungen in der Pflege Rechnung getragen. Vielmehrird damit auch das eigene Berufsverständnis vielerrankenpflegerinnen und Krankenpfleger umgesetzt, diehre Aufgabe längst nicht mehr allein auf den kurativenspekt begrenzt sehen. Krankenpflegerinnen und -pfle-er nehmen schon jetzt ihre Rolle zum Beispiel alserater und Anleiter von Patienten und Angehörigenahr. Sie sind Organisator bei der Gestaltung der pflege-ischen Arbeit und des gesamten pflegerischen Pro-esses.Die neue Berufsbezeichnung „Gesundheits- undrankenpfleger“ macht diese Neuausrichtung, so mei-en wir, auch nach außen hin deutlich. Ich hoffe sehr,ass sich diese Bezeichnung, auch wenn sie zugegebe-ermaßen ziemlich lang ist, schnell durchsetzen wird.enn ich bin sicher, dass es damit leichter sein wird, dieeuausrichtung nach allen Seiten hin deutlich zu ma-hen.
ir brauchen selbstbewusste Gesundheits- und Kran-enpflegerinnen und -pfleger, die ihren Beruf eigenver-ntwortlich, selbstständig und in guter Zusammenarbeitit einem oftmals multiprofessionellen Team ausführenönnen. Dafür soll die Ausbildung den Weg bereiten.Ich halte es für gut und richtig, dass wir weiterhinwei Berufsbilder mit unterschiedlichen Berufsbezeich-ungen für die allgemeine Krankenpflege und die Kin-erkrankenpflege haben. Die Ausbildung sieht künftig darauf wurde schon hingewiesen – einen gemeinsameneil mit anschließender Differenzierungsphase vor. Soönnen wir weiterhin den ganz speziellen Anforderun-en, die an die zukünftigen Gesundheits- und Kinder-
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Dr. Margrit Spielmannkrankenpflegerinnen und -pfleger gestellt werden, ge-recht werden.Ich halte die Aufrechterhaltung der Differenzierungder Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger gerade vordem Hintergrund unserer Forderung nach einer guten,kindgerechten medizinischen Betreuung im ambulanten,im rehabilitativen, aber auch im palliativen Bereich fürbesonders wichtig. Die Pflege und Versorgung krankerKinder bedarf einer speziellen Ausbildung.
Sie bedarf aber auch vor dem Hintergrund unseres An-trages im vergangenen Jahr in Zukunft unserer Aufmerk-samkeit und der Formulierung entsprechender gesund-heitspolitischer Ziele zur Verbesserung der Versorgungvon Kindern und Jugendlichen auf den unterschiedlichs-ten Ebenen.Im vorliegenden Gesetzentwurf, Herr Parr, sindModellklauseln vorgesehen, sodass generalistischeAusbildungsmodelle durchaus erprobt werden könnenund auch sollen. An weitergehende Reformen der Pfle-geberufe gerade auch im Hinblick auf eine europarecht-liche Angleichung ist damit sehr wohl gedacht. Wir kön-nen diese Reformen somit in Angriff nehmen, solltenaber zunächst ausreichend Erfahrungen mit diesem Ge-setz sammeln und vor allen Dingen die Neuregelungenim Altenpflegegesetz genauer betrachten.Durch die Novellierung der Krankenpflegeaus-bildung wird vorgesehen – auch dies sagte die Staats-sekretärin schon sehr differenziert –, dass ein Teil derAusbildung außerhalb des Krankenhauses in ambu-lanten, teilstationären und stationären Pflegeeinrichtun-gen oder in Rehabilitationseinrichtungen durchgeführtwird. Damit wird für die angehenden Gesundheits- undKrankenpflegerinnen und -pfleger die Möglichkeit ge-schaffen, während ihrer Ausbildung umfassende Kennt-nisse und Erfahrungen sowohl in der Prävention undder Rehabilitation als auch in der palliativen Medizin zusammeln.Der ganzheitliche Ansatz der Pflege wird mit demAusbildungseinsatz in den unterschiedlichsten Gesund-heitseinrichtungen unterstrichen. Hier, so meine ich, be-darf es sicher eines guten Abstimmungsprozesses zwi-schen allen an der Ausbildung Beteiligten. Pflege leistetdamit – ich denke, das ist etwas ganz Wichtiges – einenwesentlichen Beitrag zur Vernetzung von Gesundheits-einrichtungen. Der Ausbildungseinsatz im ambulantenBereich ist auch deshalb so immens wichtig, da wir indiesem Bereich weiterhin einen steigenden Bedarf anprofessionellen Gesundheits- und Krankenpflegern ha-ben. Viele Menschen in diesem Land könnten heute ohneprofessionelle Unterstützung durch Krankenpflegerin-nen oder Krankenpfleger nicht mehr in den eigenen vierWänden wohnen. Die ambulanten Pflegedienste leistendort einen unermesslich großen Beitrag zur Erhaltungder Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Angehöri-gen. Das möchte ich hier noch einmal betonen und ihnenunsere Hochachtung dafür aussprechen.
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Weiterhin sollte durch ergänzende Bildungsangeboteie Chance eröffnet werden, die Fachhochschulreifeährend der Ausbildung zu erwerben. Das ist übrigensuch ein ausdrücklicher Wunsch der Pflegeverbände.Die beste Gewähr – das haben wir vielleicht alle amigenen Leib gespürt – und sozusagen das Fundamentür eine erfolgreiche pflegerische Versorgung ist eineute qualifizierte Ausbildung. Ich bin zuversichtlich,ass die Novellierung, die wir heute besprechen, genauazu beitragen wird. Packen wir es an! Ich hoffe, wir tuns gemeinsam. Herzlichen Dank für den konstruktivenialog zu diesem Gesetz.Vielen Dank.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
erner Lensing, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Wer von Ihnen kennt nicht die viel zitierte undem Philosophen Arthur Schopenhauer zugeschriebeneussage und korrekte Feststellung:Die Gesundheit ist zwar nicht alles, aber ohne Ge-sundheit ist alles nichts.Ich denke, vor dem Hintergrund dieser Lebenserfah-ung offenbart sich die besondere Aufgabe derjenigen,ie sich um Kranke und Schwache sorgen. Diese han-eln zumindest nicht nur aus beruflichen Gründen, son-ern vornehmlich aus Gründen der eigenen Berufung.Schon deswegen haben diese unsere volle Aufmerk-amkeit und Unterstützung bei der Vorbereitung undusbildung ihrer schwierigen Tätigkeit verdient. Infol-edessen muss es eine zwingende und unverwechselbareufgabe der Politik sein, einen eigenen Anteil zu einerualitätsverbesserung der Ausbildung sowie zu eineresteigerten Attraktivität der pflegerischen Berufe ein-ubringen.Daher teile ich die Auffassung vieler, nach der dasrankenpflegerecht an die veränderten Verhältnissenzupassen ist. Das gilt besonders mit Blick auf dieatsache, Pflegeleistungen nicht mehr nur auf die
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Werner LensingKrankenhäuser zu konzentrieren, sondern zunehmendauch auf den ambulanten Bereich und die häuslichePflege auszudehnen.
Ich befürworte die Differenzierung der Pflege-ausbildung in einen allgemeinen Teil und in eine Diffe-renzierungsphase, in der die praktische und schulischeAusbildung auf die Abschlüsse in den einzelnen Berufs-feldern hin spezialisiert wird. Das ist heute schon zuRecht angeklungen.Dies darf aber nicht zu einer generalisierten Ausbil-dung führen, im Gegenteil: Auf eine Basisausbildung,welche die Pflege von Menschen aller Altersklassen undVersorgungsbereiche umfasst, sollten Stufen folgen, dieein solides Wissen – natürlich auf dem Stand der neues-ten Forschung – in den speziellen Fachbereichen vermit-teln. Wir begrüßen seitens der CDU/CSU, dass an demGrundsatz festgehalten wird, die Ausbildung praxisnahdurchzuführen.Als richtungsweisend erachte ich persönlich die Eta-blierung einer gegebenenfalls theoriegeminderten, ver-kürzten Ausbildungsform in der Krankenpflege. Hät-ten wir für unsere dualen Ausbildungsberufe einmodulares System, könnten wir etwa 100 000 mehrpraktisch begabten Jugendlichen einen Ausbildungsplatzverschaffen.Die Ausbildung in den Gesundheitsberufen ist selbst-verständlich eine berufliche Ausbildung. Die Standardsder Ausbildung an Krankenpflegeschulen sollten des-halb auch den Anforderungen entsprechen, die an die be-rufliche Bildung gestellt werden, unter anderem im Hin-blick auf die Einbeziehung allgemeinbildender Fächerund der Sprachen. Das gilt nicht zuletzt für alle Lehre-rinnen und Lehrer, die nach der Rahmenverordnungder Kultusministerkonferenz und nach den Prüfungsord-nungen für Lehrer in den einzelnen Ländern auszubildensind. Ein wesentlicher Punkt sollte dabei sein, dass derallgemein bildende und der fachtheoretische Unterrichtdurch Lehrkräfte mit Universitätsabschluss der entspre-chenden Fachrichtung zu sichern sind.Überdies erscheint es sinnvoll, Ausbildungsver-bünde herzustellen, in denen eine Krankenpflegeschulefür mehrere Krankenhäuser zuständig ist, die dann auchdie praktische Ausbildung übernehmen. Die Zentralisie-rung der schulischen Ausbildung könnte dazu beitragen,Schulgrößen zu schaffen, die den effizienten und sinn-vollen Einsatz von Lehrkräften zulassen. Bekanntlich ar-beiten größere Schulen wirtschaftlicher. Die Zuständig-keit solcher Schulen für mehrere Krankenhäuser kanndurch eine Rotation der Auszubildenden Probleme ver-meiden helfen, die sich in der praktischen Ausbildungaus der zunehmenden Spezialisierung der Krankenhäu-ser ergeben könnten. In den neuen Bundesländern sindsolche zentralen Ausbildungsverbünde in der Praxis be-reits erprobt.Frau Staatssekretärin, ich möchte auch erwähnen, wowir bei aller Übereinstimmung auch Nachteile erkennen.Ich frage daher: Wieso sollte ein junger Mensch mitHauptschulabschluss in Anlehnung an den anerkanntenWzKksZZwKbaeeelgedlrfkulEhddKDeasdwhrmussi
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-esregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes überie Berufe in der Krankenpflege sowie zur Änderung desrankenhausfinanzierungsgesetzes, Drucksache 15/13.er Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherungmpfiehlt unter Nummer 1 seiner Beschlussempfehlunguf Drucksache 15/804, den Gesetzentwurf in der Aus-chussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, dieem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmenollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-altungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-atung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenom-en.Dritte Beratungnd Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-etzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wertimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfst mit demselben Stimmenergebnis angenommen.
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerUnter Nummer 2 seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 5/804 empfiehlt der Ausschuss, eine Ent-schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluss-empfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition beiEnthaltung der CDU/CSU und der FDP angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:a) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Michael Meister, Heinz Seiffert, VeronikaBellmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der CDU/CSUAbschluss der europäischen Übernahmericht-linie anstreben– Drucksache 15/539 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
RechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsausschussb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Finanzausschusses zuder Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Richtlinie des EuropäischenParlaments und des Rates betreffend Über-nahmeangeboteKOM 534 endg.; Ratsdok. 12846/02– Drucksachen 15/339 Nr. 2.7, 15/606 –Berichterstattung:Abgeordnete Reinhard Schulz
Leo DautzenbergNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeLeo Dautzenberg, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DieSchaffung eines gemeinsamen europäischen Kapital-marktes ist in diesem Hause und auch in anderen euro-päischen Parlamenten ein fraktionsübergreifendes Ziel.Nur wenn wir dieses Ziel erreichen, können wir das Po-tenzial der Wirtschafts- und Währungsunion voll aus-schöpfen und damit die Dynamik der europäischen undvor allem der deutschen Wirtschaft stärken.Uns allen ist klar, dass die Beseitigung von privat-rechtlichen Übernahmehindernissen ein wesentlicherTeil dieser Bemühungen zur Vervollständigung des EU-Binnenmarktes ist. Der neudeutsche Begriff des so ge-nannten „level playing field“ beschreibt den Zustand, dermit Blick auf das europäische Übernahmerecht unserZiel sein muss: gleiche Bedingungen für grenzüber-schreitende Unternehmensübernahmen und Fusionen inEuropa, unabhängig vom Herkunftsland der beteiligtenUnternehmen. Schlussendlich muss die Entscheidungüber ein Übernahmeangebot immer von den Anteilseig-nvggMentVpnDspgsARsshcRsÜUBzidgDFAuisgmsngdsnsR
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Wir würden uns jedoch freuen, wenn Sie diesbezüglichhellseherische Fähigkeiten gezeigt haben und es zu einerVerkürzung des Zeitraums kommt.Unser Antrag unterstützt in diesem Punkt die Positiondes Europäischen Parlaments. Mit ihm erhöhen wir denDruck auf alle Seiten – insbesondere auf die Kommis-sion –, sich stärker hin zu einem echten „level playingfield“ zu bewegen.Der zweite Grund, der gegen die Empfehlung vonSPD und Grünen, aber für unseren Antrag spricht, be-steht darin, dass unser Papier auch auf Punkte eingeht,die jenseits der Problematik des „level playing field“ zukritisieren und zu klären sind. Dementsprechend sindwir der Auffassung, dass ein Beschluss des DeutschenBundestages die Bundesregierung in ihrem berechtigtenAnliegen unterstützen muss, europäische Unternehmenvor Übernahmen aus solchen Drittstaaten zu schützen,die ein weit weniger liberales Übernahmerecht haben,abDsÜzslntshwgEEvRsgdkdliRsanPlasFtidericSL
ie Richtlinie darf nur bei Unternehmen aus den Dritt-taaten Anwendung finden, die sich reziprok auch fürbernahmewünsche aus der EU öffnen. Diese Rezipro-ität muss schon deswegen gegeben sein, damit es nichto weit kommt, dass für unsere Unternehmen die Richt-inie gilt, die Unternehmen aus den Drittstaaten abericht diese Übernahmevoraussetzungen haben. Im An-rag von Rot-Grün ist zu diesem Punkt nichts zu finden,odass die Bundesregierung bei den anstehenden Ver-andlungen auf EU-Ebene bisher nicht ihr volles Ge-icht einbringen konnte, da ihr die Unterstützung desesamten Hauses in diesem Punkt fehlt.
benso wenig beziehen sich SPD und Grüne in ihrermpfehlung auf sonstige strittige Detailfragen. Aberielleicht haben Sie bei Abfassung des Antrags denichtlinienentwurf noch nicht richtig gelesen. So ist bei-pielsweise die von der Kommission vorgeschlagene Re-elung über die Bestimmung der bei grenzüberschreiten-en Übernahmen zuständigen Aufsichtsbehörde viel zuompliziert. Hier gilt es, eine Regelung zu finden, nacher das Unternehmen des Ziellandes der Aufsicht unter-egt.Darüber hinaus ist die Preisreferenzperiode, die in derichtlinie vorgesehen ist, viel zu lang. Es kann nichtein, dass Durchschnittspreise für eine zu lange Zeit-chse ermittelt werden, wodurch gewisse Gegebenheitenicht widergespiegelt werden. Wenn wir die momentanehase betrachten, dann wissen wir, dass eine viel zunge Referenzperiode für bestimmte Übernahmenchädlich wäre.Diese Liste der Detailfragen ließe sich bis hin zurrage des Squeeze-out, also der Abfindung von Kleinak-onären, zu der Sie nichts gesagt haben, fortsetzen. Vonaher ist unser Antrag, der bei diesen Verhandlungenine Grundlage und Unterstützung für die Bundesregie-ung darstellt, weiter gehend und konkreter. Deshalb darfh Sie bitten, unserem Antrag zuzustimmen.Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Reinhard Schultz,
PD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ieber Leo Dautzenberg, ich habe dich sehr wohl ver-
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Reinhard Schultz
standen. Das Wichtigste an deiner Botschaft war, dasswir auch vor dem Hintergrund globaler Entwicklungenund unabhängig davon, dass es zwei verschiedene Textezur Abstimmung gibt, beim europäischen Übernahme-recht – ein wichtiges Thema – relativ nah beieinandersind; dies war bereits im Ausschuss erkennbar. Insoferndenke ich, dass das, was der Bundestag mit seinem Ge-wicht in die Waagschale wirft, in der Sache Unterstüt-zung findet. Das wird auf der europäischen Ebene auchso ankommen.Natürlich bedeutet die Richtlinie im Hinblick aufmögliche feindliche Übernahmen einen großen Fort-schritt. Die Regelungen zu öffentlichen Übernahmean-geboten, wesentlichen Dingen des Minderheitenschutzesund grundsätzlichen Fragen der Objektivierung der Be-wertung von Minderheitenanteilen stellen positive An-sätze dar. Die Bundesregierung hat sich in diesen Fragengut positioniert.Wir sind nicht grundsätzlich gegen grenzüberschrei-tende Übernahmen.
Wir sind im Gegenteil dafür, dass die Übernahme vonUnternehmen, also der Kauf und Verkauf von Unterneh-men und Unternehmensanteilen, erleichtert wird. Dashaben wir durch ein modernes Unternehmensteuerrecht,durch das der steuerfreie Übergang einer Unternehmens-beteiligung auf ein anderes Unternehmen ermöglichtwird, nachgewiesen.Es stellt sich letztendlich die Frage, wie dies im inter-nationalen Verkehr gestaltet wird. Es geht nicht darum,wie man die Änderungen der Beherrschungs- undMachtverhältnisse, die mit einer Veränderung der An-teilsmehrheit verbunden sind, politisch bewertet, son-dern es geht darum, ob Minderheitsaktionäre generellgeschädigt werden oder ob durch die mangelnde Trans-parenz ein weiterer politischer Schaden entsteht. Inso-fern geht es uns nicht um die Verteidigung von Besitz-ständen, die sich in Unternehmenssatzungen und vonmir aus auch in das Aktienrecht oder in andere Rechts-felder eingeschlichen haben. Uns geht es ausschließlichdarum, dass man vernünftig bewertet, wie Unterneh-mensübergänge zustande kommen.Dabei sind natürlich auch Rechtsgüter gegeneinanderabzuwägen. Wenn ein bisheriger Mehrheitsaktionärseine Mehrheit verkauft und sich auf eine qualifizierteMinderheitsposition zurückzieht – „qualifiziert“ heißt,dass er aus guten Gründen selbst Unternehmer bleibt –,kann ein Vertrag darüber abgeschlossen werden, wie dieneue Mehrheit mit ihrer Mehrheit umzugehen hat undwelche Sonderrechte die Minderheit hat. Dies ist ein völ-lig freier Vertrag, der, wenn Restriktionen damit verbun-den sind, in der Regel sogar Einfluss auf den Kaufpreishat, der für die Mehrheitsbeteiligung zu entrichten ist.Man kann nicht einfach blind sagen, dass jede Art einerStimmrechtsbeschränkung, einer Beschränkung desMehrheitsstimmrechts usw. immer automatisch damitverbunden ist, dass der freie Kapitalverkehr, die Nieder-lassungsfreiheit oder was auch immer beschränkt ist;dduZaMvgDzbzsBgliMüEwgnnÜsEnic–füAEesknelifleleHDdKsmti
Natürlich hat es welche gegeben, aber es waren keineeindlichen Übernahmen. Die großen Unternehmens-bergänge, die zum Beispiel deutsche Unternehmen inmerika zustande gebracht haben, waren vielleicht imrgebnis für einige Beteiligte nicht sehr freundlich – ichrinnere an das Beispiel Chrysler –, aber es waren freund-chaftlich ausgehandelte Übergänge. Dazu bedurfte eseiner Verteidigungsmechanismen. Eine feindliche Über-ahme gegen den Willen des Managements ist in den Ver-inigten Staaten praktisch nicht möglich.Ein europäisches Übernahmerecht aber, das letztend-ch für alle und international gilt, wäre ein Einfallstorür diejenigen, die sich außerhalb der EU hinter nationa-m Recht verschanzt haben, um hier beliebig einzufal-n. Insofern, lieber Herr Dautzenberg, ist natürlich derinweis völlig richtig, dass wir Reziprozität brauchen.ies darf aber nicht nur bilateral der Fall sein; dafür istas Thema zu komplex. Bevor eine solche Richtlinie inraft gesetzt wird, brauchen wir nicht nur auf europäi-cher Ebene, sondern auch auf globaler Ebene eine Har-onisierung des Übernahmerechts zwischen den wich-gsten Industriestaaten innerhalb der OECD.
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Reinhard Schultz
Das sind die Gründe, weswegen wir die Übernahme-richtlinie in der jetzigen Fassung nicht mittragen und unsauch gegen diesen Punkt besonders wehren. Wir könnenuns nicht auf sämtliche Details einlassen; denn das be-deutete für unseren Standort ein hohes Risiko.Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Andreas
Pinkwart, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Ausführungen meiner Vorredner haben gezeigt, dass das
Thema Übernahme in der Darstellung immer mit Angst
und Schrecken verbunden ist. Dies gilt besonders in ei-
ner Situation, in der wir feststellen müssen, dass gerade
deutsche Unternehmen erheblich unterbewertet sind.
Dies stellt im Moment das wesentliche Übernahmepro-
blem dar. Ich habe große Zweifel, ob das, was gestern im
Vermittlungsausschuss vereinbart worden ist, einen Bei-
trag dazu leisten kann, dass dieses Problem entschärft
wird. Im Gegenteil: Man muss befürchten, dass die deut-
schen Kapitalgesellschaften dadurch weiteren Schaden
nehmen und sich deren Unterbewertung fortsetzt.
Ansonsten aber haben Übernahmen nicht nur negative
Folgen, sondern können in positiver Hinsicht – wenn
wir unsere Unternehmen hinreichend wettbewerbsfähig
machen, können wir das so interpretieren – neue Unter-
nehmenskonzepte, neue Ideen und frisches Kapital für
die Unternehmen bedeuten. Damit wird im Ergebnis eine
Stärkung des Finanzplatzes erreicht. Hiervon können
nicht nur die Unternehmensleitung und die Aktionäre
der beteiligten Unternehmen, sondern natürlich auch die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Unternehmen
profitieren.
Deshalb wäre es unserer Ansicht nach falsch, Über-
nahmen staatlich zu regulieren oder gar rechtliche
Rahmenbedingungen zur Abwehr von Übernahmen,
Mehrfachstimmrechte oder Stimmrechtsbeschränkungen
einzuführen; denn dies beeinträchtigt einen funktionie-
renden Finanzplatz. Aus diesem Grunde haben wir in der
vorvergangenen Legislaturperiode mit dem KonTraG
von 1997 konsequenterweise die Mehrfachstimmrechte
beseitigt. Im Kontext der anstehenden Liberalisierung
auf diesem Gebiet in Europa ist es deshalb nur kon-
sequent, darauf hinzuwirken, dass bei Schaffung eines
einheitlichen europäischen Rahmens im Bereich der Un-
ternehmensübernahmen auch in anderen Ländern beste-
hende Mehrfachstimmrechte unterbunden werden.
Das Gleiche gilt auch für die Reziprozität, die selbst-
verständlich sein sollte, wenn in Europa ein einheitliches
und sehr liberales Übernahmerecht ermöglicht werden
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as heißt, der deutsche Aktienmarkt ist – das gilt auchür die anderen europäischen Aktienmärkte – nicht sotabil wie die US-amerikanischen Märkte. Das hat seineründe.
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass dies schon ein-al anders war, was die wenigsten wissen. 1914 beispiels-eise hatte Deutschland mehr börsenorientierte Unter-ehmen als die USA. Durch die Weltkriege ist zwar sehriel Schaden entstanden, aber das gilt für ganz Europa.ir müssen daran arbeiten, dass sich die gegenwärtige Si-ation wieder bessert. Die großen Probleme vor allem derleinen und mittleren Unternehmen liegen schließlich vorllem in der Kapitalbeschaffung. Bundesdeutsche Unter-ehmen sind heute zu einem großen Teil kreditfinanziert,ngelsächsische Unternehmen hingegen aktienfinanziert.ir müssen die Aktienfinanzierung fördern.
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Hubert UlrichDiese hängt im starken Maße mit der Freizügigkeit, zu-mindest innerhalb der Europäischen Union, zusammen.Wie bereits von allen anderen Rednern angesprochenwurde, ist die Reziprozität sehr wichtig. Die US-ameri-kanischen Märkte sind völlig abgeschottet. Es geht nichtan, dass die europäischen Staaten ihre Märkte nach au-ßen öffnen, während andere Staaten das unterlassen. Wiewir innerhalb Europas vorgehen, ist aber eine andereFrage, um die es heute im Rahmen der europäischenÜbernahmerichtlinie geht. Dabei vertreten die einzelnenNationalstaaten ihre speziellen Interessen.Was unser VW-Gesetz ist, sind in anderen Staaten dieDoppelstimmrechte. Dabei muss stark differenziertwerden. Zum Beispiel dürfen die Mehrfachstimmrechtein den skandinavischen Ländern nicht mit dem in Frank-reich bestehenden Doppelstimmrecht gleichgesetzt wer-den. Letzteres bedeutet nur, dass derjenige, der seine Ak-tien länger als zwölf Monate hält, ein Doppelstimmrechterhält. Damit wird das Zocken an den Aktienmärkten einwenig eingeschränkt.In Skandinavien – die Familie Wallenberg ist ein be-kanntes Beispiel – gibt es ein bis zu 40faches Stimm-recht. Das geht nicht an. Aber soweit mir bekannt ist, hatdie Europäische Union diese skandinavischen Mehrfach-stimmrechte inzwischen unterbunden. Um diese kann esdeshalb nicht mehr gehen.Wir werden uns aber auch in Zukunft nur schwer ge-gen die Einführung dieser EU-Richtlinie wehren können.Ich nenne nur das Stichwort „Goldene Aktien“, die esheute noch in vielen europäischen Staaten gibt. In dennächsten Jahren werden aber 99 Prozent dieser Aktienverschwinden. Sie werden von der Kommission nurnoch in einem sehr engen Rahmen zugelassen werden,zum Beispiel aus Gründen der nationalen Sicherheit.Auch unser VW-Gesetz wird – das dürfte Ihnen bekanntsein – seit mehreren Wochen von der EuropäischenKommission beklagt. Auch das wird fallen.
Da müssen wir uns etwas einfallen lassen. Insofern wer-den wir uns in Deutschland Gedanken machen müssen,wie wir unser Aktienrecht europäischem Niveau anglei-chen. In diesem Zusammenhang muss man durchausüber das französische System mit Doppelstimmrechtennachdenken. Denn dieses System scheint von der Kom-mission akzeptiert zu werden. Das wäre ein gewisser Er-satz für das heutige VW-Gesetz.Was mich aber am Antrag der CDU/CSU-Fraktiongewundert hat – das möchte ich schon einmal anspre-chen –, ist der vorletzte Punkt. Da geht es um die so ge-nannte Preisreferenzperiode. Wenn ich ernst nehme,was hier steht, dann fordert die CDU/CSU, dass eineÜbernahme zum geringsten Preis erfolgen soll, wenn eszu einer feindlichen Übernahme kommt.
– Doch, das steht da drin. Gerade die Preisreferenz-periode bedeutet ja, dass derjenige, der sich in ein ande-revtsSgadnsnRglnfVddumuCgaesndÜrWmlAzMMz
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär bei
er Bundesministerin der Justiz, Alfred Hartenbach.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnennd Kollegen! Ich begrüße es, dass der Finanzausschussehrheitlich die Forderung der Bundesregierung stützt,nd empfinde es als erfreulich, dass der Antrag derDU/CSU zumindest Flankenschutz gewährt.
In ihren zentralen Forderungen stimmen beide Vorla-en überein. Die künftige Übernahmerichtlinie mussuch und gerade im Hinblick auf die Mehrstimmrechtein einheitliches Level Playing Field für Übernahmenchaffen. Was meinen wir mit diesem Begriff? Es darficht sein, dass die Spielregeln für eine Übernahme inen verschiedenen Staaten unterschiedlich bleiben.
Diesem Ziel wurde der Kommissionsentwurf zurbernahmerichtlinie vom vergangenen Herbst nicht ge-echt. Seine Umsetzung würde ungleiche Ausgangs- undettbewerbsbedingungen für Unternehmensübernah-en in Europa schaffen. Durch die vorgesehene Rege-ung würden deutsche Unternehmen zum Verzicht aufbwehrmöglichkeiten gegen feindliche Übernahmen ge-wungen, während zugleich den Unternehmen andereritgliedstaaten weiterhin gestattet wäre, sich durchehrstimmrechte effektiv gegen solche Übernahmen ab-uschotten.
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Parl. Staatssekretär Alfred HartenbachDie Bundesregierung setzt sich bei den Verhandlun-gen daher primär für eine echte europäische Harmoni-sierung ein. Auch Mehrstimmrechte müssen im Über-nahmefall außer Kraft gesetzt werden können. Zugleichsollte die Liberalisierung innerhalb von Europa aber Bie-tern aus Drittstaaten, die selbst über wirkungsvolle Ab-wehrinstrumente verfügen, nicht zugute kommen. Esgeht also auch um ein internationales Level PlayingField.Unseren Bemühungen war leider nicht sofort Erfolgbeschieden. Inzwischen hat die amtierende griechischePräsidentschaft aber erfreulicherweise den Gedanken ei-ner echten Harmonisierung aufgegriffen und in einemneuen Vorschlag die Berücksichtigung der Mehrstimm-rechte vorgeschlagen. Auch andere Mitgliedstaaten be-grüßen diesen Vorschlag der Präsidentschaft genausowie wir. Auch die Kommission und maßgebliche Stim-men im Europäischen Parlament stützen diesen griechi-schen Vorschlag.Auf deutlichen Widerstand stößt der neue Ansatz al-lerdings bei den skandinavischen Ländern, weil geradedort Mehrstimmrechte weit verbreitet sind. Nun hat al-lerdings die Präsidentschaft angesichts der im Übrigengroßen Zustimmung erkennen lassen, dass sie gewillt ist,ihrem Vorschlag zum Erfolg zu verhelfen. Das ist für dieBeratungen in Brüssel nützlich. Allerdings weiß heutenoch niemand, wie das Ergebnis sein wird. Sollte dievon uns angestrebte europäische Harmonisierung nichterreichbar sein, dann muss es den Mitgliedstaaten auchin Zukunft gestattet werden, ihre jeweiligen Abwehr-möglichkeiten beizubehalten. Für Deutschland hießedas: Es bleibt bei den bisherigen Regelungen des Wert-papiererwerbs- und Übernahmegesetzes, also bei derMöglichkeit für die Vorstände und die Aufsichtsräte, Ab-wehrmaßnahmen zu ergreifen.An dieser Stelle möchte ich dem Berichterstatter zurÜbernahmerichtlinie im Europäischen Parlament, demKollegen Lehne, sehr herzlich für seine konstruktive Zu-sammenarbeit danken.
Wir haben in vielen, wenn auch nicht in allen Fragenübereinstimmende Vorstellungen. Auch Ihnen, meinelieben Kolleginnen und Kollegen aus dem Finanzaus-schuss, danke ich und bitte um weitere Unterstützungunserer Linie.Herr Kollege Dautzenberg, Sie haben eben dasVW-Gesetz angesprochen. Mit Blick auf unser nationa-les Recht denke ich übrigens nicht, dass wir das VW-Ge-setz in einen Zusammenhang mit der Diskussion überdie Übernahmerichtlinie bringen sollten. Die Kommis-sion stellt dieses Gesetz mit ihrem Abmahnschreibenvom März dieses Jahres infrage – Herr Dautzenberg, Siehaben das schon herausgearbeitet –, weil es angeblichprimäres EU-Recht, die Regeln der Kapitalverkehrsfrei-heit, verletze. Das ist aber nicht die Intention des VW-Gesetzes. Es geht dort vielmehr um eine nur aus der His-torie verständliche Ordnung der Eigentumsverhältnisseund Verantwortlichkeiten aus der Zeit der Privatisierungder Gesellschaft. Die Belegschaft hatte nach dem KriegdJdrwSSdIBvwCWzsdrfhsesvhgSeDsmgÜwedundWmdÜVn
Natürlich ist es noch immer schmerzhaft, wenn ein alt-ingesessenes deutsches Unternehmen durch eine auslän-ische Firma übernommen wird. Aber daran werden wirns in Zukunft vermutlich gewöhnen müssen, und zwaricht nur – das ist hier schon mehrfach angesprochen wor-en – auf europäischer Ebene. Entscheidend für unsereirtschaft und den Standort Deutschland ist dann nichtehr, in wessen Hand sich ein Unternehmen befindet, son-ern allein die Tatsache, wie viele Arbeitsplätze durch einebernahme gesichert bzw. geschaffen werden können.or diesem Hintergrund sollten auch die Widersacher ei-er Verordnung keine Angst vor einer diesbezüglichen
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Stefan Müller
Neuregelung haben; denn wenn wir es schaffen, denWirtschaftsstandort Deutschland in Zukunft attraktiverzu gestalten, dann sehe ich in dieser neuen Richtlinieauch für unsere Unternehmen mehr Chancen als Risikenauf dem europäischen Markt.Ebenso muss es unser gemeinsames Ziel sein, dieseRichtlinie so schnell wie möglich in Kraft zu setzen undzu einer tragfähigen gemeinsamen Lösung zu kommen.
Ich habe mir noch einmal angeschaut, wie lange wir inEuropa schon über diese Richtlinie diskutieren. Bereitsin den 80er-Jahren gab es die ersten Vorschläge für eineHarmonisierung der einzelnen Rechtsvorschriften; da-mals wurden die ersten Vorstöße gewagt, um zu einerVereinheitlichung zu kommen. Letztlich hat es nun biszum Oktober letzten Jahres gebraucht, bis von der Euro-päischen Kommission ein neuer Entwurf vorgelegt wer-den konnte.Dieser Entwurf stellt für die deutsche Seite sicherlicheine Verbesserung gegenüber den bisherigen Richtlinienund Vorschlägen dar, ist aber gleichwohl noch nicht be-friedigend. Insbesondere in Bezug auf Art. 11, der dieUnwirksamkeit der Beschränkung der Übertragung vonWertpapieren und Stimmrechten vorsieht, haben wirmeiner Meinung nach noch erheblichen Diskussionsbe-darf; denn solange in anderen Ländern die Möglichkeitbesteht, sich gegen Übernahmen abzuschotten, kannauch von der deutschen Wirtschaft nicht verlangt wer-den, keine geeigneten Gegenmaßnahmen einzuleiten.Allein der Grundsatz der Waffengleichheit gebietet es,allen Unternehmen in Europa die gleichen Chancen zubieten.
Die Kollegen in Brüssel haben immer noch mit erhebli-chem Widerstand insbesondere aus den drei skandinavi-schen Ländern zu kämpfen, denen auch die Einbeziehungihrer Mehrfachstimmrechte in die Durchbrechungsregeldeutlich zu weit geht und die bereits erheblichen Wider-stand angekündigt haben. Auch Frankreich versucht,seine nationalen Regelungen der doppelten Stimmrechtenicht dieser Regelung zu unterwerfen. Ich gebe die Hoff-nung nicht auf, dass wir trotz dieser Widerstände undMeinungsverschiedenheiten zu einem einheitlichenStandard in Europa kommen können.In diesem Prozess muss selbstverständlich auch ge-würdigt werden, dass die Bundesrepublik Deutschlanddie von mir schon angesprochenen Vorleistungen bereitserbracht hat. Uns muss auch von daher daran gelegensein, auf ein zeitnahes Auslaufen von Sonderregelungenim Ausland hinzuwirken.
Ich stelle hier deutlich fest: Es ist für deutsche Unter-nehmen nicht hinzunehmen, wenn die skandinavischenLänder sowie Frankreich und die Niederlande durchMehrfachstimmrechte bzw. Stiftungszertifikate eine ein-heitliche Regelung zulasten der deutschen Unternehmenunterlaufen. Besonders vor diesem Hintergrund halte iches für außerordentlich wichtig, noch vor Ablauf der vor-gSlisvsnvgdbggmKzahgzicÜnsDrsddaMUBimteimin1DdKÜplesmcdv
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Die Möglichkeiten der Abwehr feindlicher Übernah-men sollen bei Skandinaviern und Deutschen entfallen.Franzosen und Niederländer sollen Mehrfachstimm-rechte und Stiftungslösungen, also ihre nationalen Ab-wehrinstrumente, behalten.Auch der zweite Anlauf von EU-Kommissar Bolkesteinschafft keine fairen Wettbewerbsbedingungen, nichtinnerhalb der EU und schon gar nicht gegenüber ameri-kanischen Unternehmen. Gerade in den USA gibt es eineVielzahl von Instrumenten zur Abwehr feindlicher Über-nahmen. In den Vereinigten Staaten wird dem Leitungs-organ der Zielgesellschaft ein weiter Spielraum für Ab-wehrmaßnahmen eingeräumt. Diese variieren vonBundesstaat zu Bundesstaat zum Teil sehr stark. Das isteine weitere Hürde für übernahmewillige Dritte. Tatsa-ctdVbtfmÜshsGAsdgnMdDruuawuAteÜstmgkpspsrnaaaUGgtfwl
Nicht zuletzt aus diesem Grund enthält das deutschebernahmerecht einen Zustimmungsvorbehalt des Auf-ichtsrats bei Verteidigungsmaßnahmen. Mit einer Über-ragung des Entscheidungsrechts über Abwehrmaßnah-en auf die Hauptversammlung würde eine Gegenwehrefährlich eingeschränkt. Anders gesagt: Wer zu spätommt, den bestraft Herr Bolkestein.Der Brüsseler Entwurf greift mit seiner Stillhalte-flicht in gewachsene und zu Recht bestehende Mitbe-timmungsstrukturen ein. Das müssen wir uns einmalraktisch vorstellen. Da muss ein Unternehmen Tau-ende Aktionäre innerhalb kürzester Zeit zusammen-ufen, um deutlich zu machen, dass man feindlich über-ommen werden kann. Die praktischen Probleme sowieuch die verheerende Wirkung in der Öffentlichkeit unduf dem Kapitalmarkt können wir uns alle wohl leichtusmalen.Unser nationales deutsches Übernahmerecht ist gut.nsere Verteidigungsrechte sind richtig. Es gibt keinenrund, das zu ändern. Ebenso wirkungsvolle Verteidi-ungsmöglichkeiten haben in anderen EU-Staaten Tradi-ion. Warum sollten sie alle so einfach über Bord gewor-en werden?Fragen wir uns weiter: Warum sollen wir denn be-ährte industrielle Beziehungen in Deutschland der neo-iberalen Ideologie eines EU-Kommissars opfern?
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Hans-Jürgen UhlMeine Damen und Herren, wir führen hier keineakademische Diskussion über abstrakte Modellvorstel-lungen. Es geht um konkrete Gefahren für deutsche undeuropäische Unternehmen und damit um die Frage, obbetriebswirtschaftliche Notwendigkeiten auch künftigmit einer sozialen Verpflichtung für Beschäftigung undStandortregionen verknüpft werden. Ich frage: Wollenwir das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes – Eigen-tum verpflichtet – weiterhin ernst nehmen oder wollenwir eine Unkultur des Heuerns und Feuerns wie in denUSA? Das sind zwei verschiedene Welten mit unter-schiedlichen historischen Bezügen. Das Sozialstaats-modell Europa ist es wert, meine ich, verteidigt zu wer-den.
Weil wir jene Unkultur in Europa nicht wollen, muss dieChance für eine Balance zwischen Kapital- und Arbeit-nehmerinteressen auch weiterhin gewahrt bleiben.Fakt ist: Große deutsche Industriekonzerne sind po-tenzielle Übernahmekandidaten. Das wird deutlich,wenn wir uns den Börsenwert anschauen. Der Börsen-wert von Daimler-Chrysler, BMW und Volkswagen mitzusammen weit über 1 Million Beschäftigten und mitvielen Standorten in der ganzen Welt liegt unter demBörsenwert des Handyherstellers Nokia.
Das zeigt: Da stimmt die Welt nicht. Die Börsenkapitali-sierung von Toyota liegt auch weit über dem gemeinsa-men Wert der drei deutschen Automobilkonzerne.
Deshalb dürfen wir es nicht allein den Kapitalmärktenüberlassen, Entscheidungen über die Zukunft von Indus-triestandorten in Deutschland und Europa und damitüber das Schicksal von Millionen von Beschäftigten undihren Familien zu treffen.Für uns gilt: Industriepolitik ist Standortpolitik, Be-schäftigungspolitik und auch Sozialpolitik. Deshalb– Herr Ulrich, das sage ich auch an Ihre Adresse – wer-den wir auch das VW-Gesetz verteidigen. Es wird nichtfallen. Es muss verteidigt werden, weil es vernünftigist.
Weder Frankreich noch die USA kämen auf die Idee,ihre nationalen industriepolitischen Positionen aufzuge-ben. Warum sollten wir das tun? Die volkswirtschaft-liche Bedeutung und die Vernunft fordern, dass unseregroßen Industrieunternehmen auch weiterhin ausDeutschland und nicht aus Detroit, New York oder Tokiogesteuert werden.
Darum gehe ich davon aus, dass sich die Bundesregie-rung bei der kommenden Tagung des Rates deutlich füreine Lösung stark machen wird, die unsere deutschenulHwDfvsagpÜsdWpmCAkS
Herr Kollege Uhl, das war Ihre erste Rede in diesemohen Hause. Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich undünsche Ihnen persönlich und politisch alles Gute.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufrucksache 15/539 an die in der Tagesordnung aufge-ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-erstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungo beschlossen.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Finanz-usschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesre-ierung über den Vorschlag für eine Richtlinie des Euro-äischen Parlaments und des Rates betreffendbernahmeangebote, Drucksache 15/606. Der Aus-chuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung durchie Bundesregierung eine Entschließung anzunehmen.er stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-robe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung istit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen derDU/CSU und der FDP angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf:a) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPDund des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENBundeseinheitliche Praxis bei der Einbürge-rung von Unionsbürgern herstellen – Hinder-nisse beseitigen– Drucksache 15/762 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
RechtsausschussAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionb) Beratung des Antrags der Abgeordneten ErnstBurgbacher, Gisela Piltz, Dr. Max Stadler, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der FDPUmsetzung der deutsch-französischen Initia-tive zur Gewährung einer doppelten Staats-angehörigkeit– Drucksache 15/362 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
RechtsausschussAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höreeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollegeebastian Edathy, SPD-Fraktion.
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3312 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2003
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Für die heutige Debatte gibt es einen einfachen und zu-gleich gewichtigen Grund: Als Bundesparlament habenwir neben der Schaffung von Bundesrecht auch die Auf-gabe, auf seine einheitliche Umsetzung zu achten. Insbe-sondere dann, wenn die Ausführung geltenden Rechtesmit erheblichen Folgen für Bürgerinnen und Bürger ver-bunden ist, müssen, egal ob in Kiel oder München, glei-che Kriterien gelten.Im Rahmen der Reform des deutschen Staatsangehö-rigkeitsrechtes im Jahre 1999 hat der Bundestag nichtzuletzt einen wesentlichen Beitrag zur Förderung desKerngedankens der Europäischen Union, nämlich zumErreichen des Ziels einer weitgehenden rechtlichenGleichstellung geleistet. Im Ausländerrecht ist seitdemFolgendes festgeschrieben: Wir verzichten bei der Ein-bürgerung von Staatsangehörigen anderer EU-Län-der auf die Abgabe ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit,wenn in dieser Hinsicht seitens des Herkunftslandesebenso verfahren wird.
Dieser Wille des Gesetzgebers findet sich auch in derGesetzesbegründung, in der festgehalten wird, es gebe indiesen Fällen einfehlendes öffentliches Interesse an der Vermeidungvon Mehrstaatigkeit.Wörtlich heißt es dort weiter:Bei Ausländern, die Staatsangehörige eines anderenMitgliedstaats der Europäischen Union sind, be-steht bereits eine weitgehende Inländergleichbe-handlung. Das Interesse am Erwerb der deutschenStaatsangehörigkeit unter Aufgabe der bisherigenist daher für EU-Ausländer gering, woraus sehrniedrige Einbürgerungsquoten resultieren. Im Hin-blick auf das Ziel der europäischen Integration sollder Anreiz zum Erwerb der deutschen Staatsange-hörigkeit dadurch verstärkt werden, dass derGrundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeitnicht gilt, wenn Gegenseitigkeit besteht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist doch ganzeindeutig: Wer das Zusammenwachsen Europas beför-dern will und zudem will, dass auf Dauer in Deutschlandlebende EU-Bürger unbürokratisch die Möglichkeit zurrechtlichen Gleichstellung erhalten sollen, der muss siein der Gemeinschaft der deutschen Staatsbürger will-kommen heißen, ohne ihnen den Verzicht auf die bishe-rige Staatsangehörigkeit abzuverlangen.
Das ist, wenn ihr Herkunftsstaat mit deutschen Staatsan-gehörigen ebenso verfährt, nicht nur so gewollt, sonderngeltendes Recht.Freilich – das ist der Grund für diese Debatte –scheint das Wissen um diese Tatsachen in manchen, vorallem wohl süddeutschen Amtsstuben noch nicht hinrei-chend verbreitet zu sein.
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inbürgerungswilligen EU-Bürgern die Beibehaltung ih-er Staatsangehörigkeit verweigert worden. Dies ist nichtur völlig unverständlich, sondern ein Unding.
Inzwischen liegen zahlreiche Fälle unzutreffenderuslegungen des § 87 Abs. 2 des geltenden Ausländer-esetzes vor, in dem genau diese Hinnahme von Mehr-taatigkeit bei EU-Bürgern, mit deren Ländern Gegen-eitigkeit für deutsche Staatsangehörige besteht, geregeltt. Dies hat nicht zuletzt zu diplomatischen Beschwer-en seitens einiger Herkunftstaaten geführt. Deshalb istn dieser Stelle im Deutschen Bundestag die Anmah-ung einer einheitlichen Anwendung des Bundesrech-es durch die Behörden der Bundesländer dringend ge-oten.
s ist nicht akzeptabel, dass Antragsteller in ein anderesundesland ziehen müssen, um einen vom Bundesge-etzgeber eingeräumten Anspruch geltend machen zuönnen.
o hat in der letzten Woche der Bayerische Verwaltungs-erichthof entscheiden müssen, dass ein griechischerU-Bürger mit seinem Begehren, bei der Einbürgerungeine griechische Staatsangehörigkeit beibehalten zuönnen, Recht hatte. Dies war ihm zuvor von bayeri-chen Behörden verweigert worden.
Eigentlich könnte man sagen, die Staatsregierung inünchen sollte froh sein über jeden, der freiwillig einayer werden will. Aber ganz im Ernst: Man kann dochohl mindestens erwarten, dass geltendes deutschesecht auch in Bayern zur Anwendung kommt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf Bundesebene ister Weg zu einer menschennahen Einbürgerungspolitikicht mit dem Beschluss des neuen Staatsangehörig-eitsrechts beendet worden.
is Ende des letzten Jahres galt aus deutscher Sicht dieechselseitige Hinnahme von Mehrstaatigkeit innerhalber Europäischen Union für Griechenland, Großbritan-ien, Irland und Portugal sowie eingeschränkt für dieiederlande.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2003 3313
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Sebastian EdathyIn der deutsch-französischen Erklärung zum40. Jahrestag des Élysée-Vertrages Anfang dieses Jahreshaben Staatspräsident Chirac und BundeskanzlerSchröder unter anderem erklärt: „Wir müssen unserenBürgerinnen und Bürgern auch die Staatsbürgerschaftbeider Länder ermöglichen, soweit sie das wünschen.“Aus diesem Grund ist die SPD-Bundestagsfraktionder Bundesregierung dankbar, dass sie das vor 40 Jahrenentstandene Europaratsübereinkommen über die Verrin-gerung der Mehrstaatigkeit aufgekündigt hat. Seitdembesteht die wechselseitige Möglichkeit des Beibehaltsder bisherigen Staatsangehörigkeit
auch mit Blick auf Frankreich, Belgien, Italien undSchweden. Derzeit erfüllen nur noch fünf der 14 anderenEU-Mitgliedstaaten die entsprechenden Voraussetzun-gen nicht. Dies sind Dänemark, Finnland, Luxemburg,Österreich und Spanien.
Ich hoffe namens meiner Fraktion, dass bald auch in die-sen fünf Ländern bei dortigen Einbürgerungen von Deut-schen die Möglichkeit zur Beibehaltung der deutschenStaatsangehörigkeit geschaffen wird und damit umge-kehrt auch bei uns.Es war übrigens – das sage ich an die Reihen derCDU/CSU-Fraktion gewandt – der CDU-AbgeordneteHerbert Czaja, der vor 50 Jahren in einer Bundestagsde-batte Folgendes beklagte:Eine doppelte Staatsangehörigkeit, etwa die deut-sche und die österreichische, ist unmöglich. ... Unddas in der Zeit des Sich-Näherkommens der euro-päischen Völker!Eine noch immer durchaus aktuelle Aussage!1953 sagte Carlo Schmid in derselben Debatte für dieSPD-Fraktion:Wenn wir ein enges, ein etatistisches, nur vomStaate aus gesehenes Staatsangehörigkeitsrecht ha-ben, werden wir versucht sein, auch in den Bezie-hungen von Staat zu Staat und von Volk zu Volkexklusiv zu denken. Haben wir aber ein individua-listisches, das heißt weltbürgerliches Staatsangehö-rigkeitsrecht, dann werden wir auch in den Bezie-hungen von Staat zu Staat leichter gesinnt sein,weltbürgerlich zu denken.
Und fängt nicht jedes weltbürgerliche Denken – unddas heißt doch auf unserem Kontinent: europäi-sches Denken – damit an, dass man es für möglichhält, dass einer mehrere Staatsangehörigkeiten be-sitzen kann?Meine Damen und Herren, Carlo Schmid hatte Recht.Genau davon, von der Orientierung am Menschen, istdpglssBrvuvnbwta–gWmAFuu–km–sLMZaausgdL
Mit dem vorliegenden Antrag der Koalition bekräfti-en und fordern wir zweierlei:Erstens. Wir fordern Bundesregierung und Bundes-änder auf, dafür zu sorgen, dass die zuständigen deut-chen Verwaltungsstellen auf der Grundlage der Gegen-eitigkeit bei der Einbürgerung von Unionsbürgern dereibehaltung der bisherigen Staatsangehörigkeit unbü-okratisch zustimmen, so wie das im Ausländergesetzorgesehen ist.Zweitens. Im Staatsangehörigkeitgesetz – auch das istns sehr wichtig – ist die Möglichkeit vorgesehen, dasson unseren Behörden deutschen Bürgern, die sich in ei-em anderen Land einbürgern lassen wollen, die Bei-ehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit gestatteterden kann. Unser Antrag fordert, dass diese Beibehal-ungsgenehmigung bei der Einbürgerung Deutscher innderen EU-Staaten generell ermöglicht wird.
Herr Geis, ich wundere mich, dass Sie einen so pro-ressiven Vorschlag machen, aber ich werde Sie beimort nehmen. Ich lade alle herzlich ein, diese Debatteiteinander zu führen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, 1913 hat der SPD-bgeordnete Otto Landsberg im Reichstag folgenderage gestellt: „Sind denn die Menschen der Gesetzend der Verträge wegen da oder umgekehrt die Gesetzend Verträge der Menschen wegen?“
Das ist keine Phrase, das ist Bestandteil einer demo-ratischen und menschennahen Politik, Herr Geis. Wirachen Gesetze für die Menschen.
Selbst für Herrn Grindel, auch wenn es manchmalchwer fällt.Die Antwort der Koalition auf die Frage von Ottoandsberg ist eindeutig: Für uns steht der Mensch imittelpunkt. Ich würde es begrüßen, wenn sich imuge der anstehenden Beratungen im Innenausschussuch die zwei übrigen Fraktionen dem Antrag der Ko-lition anschließen würden. Denn hier geht es nichtm eine Frage, die wir zum Gegenstand von Parteien-treit machen sollten. Hier geht es darum, als Gesetz-eber deutlich zu machen, dass Deutschland ein mo-ernes, ein liberales und nicht zuletzt ein europäischesand ist.
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3314 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2003
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Sebastian EdathyIch hätte eigentlich noch zwei Minuten Redezeit. FrauPräsidentin, vielleicht kann mir diese Zeit bei der nächs-ten Rede angerechnet werden.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Herr Kollege Edathy, das wird nicht funktionieren.
Ich denke aber, die Kolleginnen und Kollegen sind dank-
bar, wenn ein Thema in kürzerer Zeit abgehandelt wird.
Nächster Redner ist der Kollege Reinhard Grindel,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Das Staatsbürgerschaftsrecht ist keine kleineMünze. Es ist in einer Demokratie wichtig, dass klar ab-grenzbar ist, wer zum Staatsvolk gehört und wer nicht.Dass unser Staatsangehörigkeitsrecht so kompliziert istund dass jede zweite Einbürgerung mittlerweile unterHinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft erfolgt– das bedeutet, es gibt nur eine halbe Hinwendung zuunserem Staatswesen –,
bleibt ein großes Problem und zeigt, wie richtig es warund ist, dass CDU und CSU das rot-grüne Staatsbürger-schaftsrecht abgelehnt haben.
Otto Schily hat bei der Verabschiedung des neuenStaatsangehörigkeitsrechts 1999 – Herr Edathy, Ihre Zi-tate reichen sehr weit zurück; deshalb zitiere ich eineAussage, die erst vier Jahre zurückliegt – beteuert: DieHerbeiführung möglichst vieler doppelter Staatsbürger-schaften ist nicht unser Ziel. – Die Wirklichkeit siehtheute anders aus.CDU und CSU haben damals auch die doppelteStaatsbürgerschaft für EU-Bürger kritisch gesehen, weilmehrere Pässe eben nicht Ausdruck für besondere euro-päische Integration sind. Wenn das richtig wäre, HerrEdathy, dann wäre Otto von Habsburg, der drei Staatsan-gehörigkeiten besitzt, auch ein dreimal so guter Europäerwie Joschka Fischer. – Ich wundere mich, dass jetzt nichtder Zwischenruf von den Grünen kommt: Da haben Sievöllig Recht. – Eine doppelte Staatsbürgerschaft schafftdoppelte Loyalitäten. Das wollen wir nicht.
Eine verbesserte EU-Staatsbürgerschaft könnte in die-ser Frage Klarheit schaffen. Wir werden abwarten, wel-ches Ergebnis die Beratungen im Konvent hervorbrin-gen.Nun zu den beiden vorliegenden Anträgen im Einzel-nen.fdkDmosddAGleleseLuDermWGgzpnennWTggMhpIckMgc
Man muss sich doch folgende Fragen stellen: Was istach der Osterweiterung?
as ist zum Beispiel im Falle eines EU-Beitritts derürkei? Wer so freigebig mit der Staatsbürgerschaft um-eht, der hat nicht begriffen, dass Integration etwas mitemeinsamer Sprache, mit schulischem und kulturellemiteinander und mit der Achtung von Gesetzen zu tunat, aber nicht – das wäre viel zu billig – mit dem Dop-elpass.
ntegration ist viel mehr, Herr Edathy.
Es muss auch erlaubt sein, darauf hinzuweisen, wel-he Konsequenzen der Doppelpass im Bereich der Be-ämpfung von Kriminalität hätte. Ein Angehöriger derafia, der den Doppelpass besitzt, kann eben nicht ab-eschoben werden. Für Ihren Antrag werden sich die Si-herheitsbehörden schwer bedanken.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2003 3315
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Reinhard GrindelIn Ziffer 3 des Antrages von SPD und Grünen wirdvon falschen Voraussetzungen ausgegangen. Fünf EU-Staaten, nämlich Spanien, Finnland, Dänemark, Öster-reich und Luxemburg, lassen Mehrstaatigkeit grundsätz-lich nicht zu. Da läuft Ihr Antrag sozusagen wegen Un-möglichkeit ins Leere.Ich will aber auch sagen – denn Sie, Herr Edathy, ha-ben das angesprochen –, dass wir als CDU/CSU nichtbereit sind, auf die Beibehaltungsgenehmigung zu ver-zichten, weil es im Falle der Annahme einer neuenStaatsangehörigkeit schon richtig ist, den deutschenStaatsbürger an seine Bindungen an Deutschland zu er-innern.Problematisch ist in diesem Zusammenhang übrigensschon, dass es nach Ihrer Auffassung zwar den deutsch-französischen Doppelpass geben soll, es aber wegender geschilderten Rechtslage keinen Doppelpass im Hin-blick auf Österreich, Spanien oder Dänemark gebenkann. Hier schaffen Sie Europäer erster und zweiter Ord-nung. Genau das sollte man nicht tun. Deshalb ist esrichtig, auf eine einheitliche EU-Staatsbürgerschaft zuwarten.
Herr Kollege Grindel, darf ich Sie einmal unterbre-
chen: Der Herr Kollege Edathy möchte eine Zwischen-
frage stellen.
Ich möchte im Zusammenhang vortragen.
Was steckt also in Wahrheit hinter dem Antrag von
SPD und Grünen? Es geht Ihnen nicht um Integration.
Es geht Ihnen schon gar nicht um Europa. Es geht Ihnen
darum, mit allen Mitteln sicherzustellen und alle Hebel
in Bewegung zu setzen, dass es künftig wieder mehr in
der Wahlkasse klingelt.
Weil Ihnen die alten sozialdemokratischen Wähler weg-
laufen, weil Fritz, Willi und Jupp längst CDU wählen,
sollen das jetzt Pierre, Pjotr und Hassan ausgleichen. Mit
uns ist das nicht zu machen!
Das Wort hat die Parlamentarische StaatssekretärinMarieluise Beck.Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-linge und Integration:Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich erinnere mich noch an die Zeiten, in denen wir hierdpuSbAsIssnggLwcdGwsuFTEggvnbenzgvöz–MkaIhtebkB
nd Herr Stoiber aus Bayern äußerte, die doppeltetaatsbürgerschaft sei gefährlicher als die RAF.Nun kann man drei Jahre nach der Reform des Staats-ürgerschaftsrechts vielleicht feststellen, dass dasbendland und auch Deutschland nicht untergegangenind.
ch hatte eigentlich gehofft, dass wir heute etwas gelas-ener über diesen Sachverhalt sprechen können. Aber escheint immer noch so zu sein, dass Sie sich – im Südenoch mehr –, wenn es um europapolitische Offenheiteht, ungeheuerlich schwer tun. Ich bin da allerdingsanz ruhig. Ich gehe davon aus, dass die Gerichte denändern Baden-Württemberg und Bayern schon zeigenerden, was Bundestreue bedeutet. Ich bin mir ganz si-her: Da die Rechtslage so eindeutig ist, wird die Fragees Doppelpasses für EU-Bürger auf dem Prinzip deregenseitigkeit, wenn sie nicht politisch entschiedenird, eben durch die Gerichte geklärt. Das ist nichtchön für die Politik. Aber das scheint in diesem Fall un-mgänglich zu sein.
Nun zu dem großen Popanz, den Sie in Bezug auf dierage der Mehrstaatigkeit aufbauen. Wir haben in derat in den Jahren 2000 und 2001 eine hohe Zahl voninbürgerungen unter Hinnahme von Mehrstaatigkeitehabt, und zwar bei etwa 40 Prozent der Einbürgerun-en. Das hatte damit zu tun, dass wir Einbürgerungenon Kindern im Alter von null bis zehn Jahren vorge-ommen haben, dass wir viele Altfälle aufgearbeitet ha-en und dass wir gerade in den Jahren 2000 und 2001ine große Zahl von anerkannten Asylbewerbern, denenicht zugemutet wird, zu dem Konsulat ihrer Verfolgeru gehen und dort ihre Staatsbürgerschaft aufzukündi-en, eingebürgert haben, sodass man sagen kann: Füriele Menschen ist hier in Deutschland die Tür dafür ge-ffnet worden, nicht nur Bewohner, sondern auch Bürgeru sein.
Das hat sehr viel mit der Frage der Hinnahme vonehrstaatigkeit zu tun; ich habe Ihnen das gerade er-lärt. Zum Glück sind es auch immer wieder Anwälteus der Union, gerade aus Ihren Reihen, gewesen, dieraner vertreten und gesagt haben: Könnt ihr uns nichtelfen? Seit fünf oder sieben Jahren betreuen sie Klien-n, die vergeblich versuchen, aus der iranischen Staats-ürgerschaft entlassen zu werden. Jeder weiß, dass eseine Entlassung geben wird. Trotzdem trietzten dieehörden diese Menschen weiter und aufgrund der
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3316 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2003
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Parl. Staatssekretärin Marieluise BeckHalsstarrigkeit der Behörden gab es keine Einbürgerungin Deutschland.
– Diese Menschen sind auch so genannte Doppelstaater.Sie haben offensichtlich Probleme, sich mit modernenEntwicklungen auseinander zu setzen. In Deutschlandgibt es inzwischen 700 000 Kinder aus binationalen Fa-milien, die Doppelstaater sind, weil sie in Deutschlandgeboren wurden. Die Anzahl dieser Kinder wächst Jahrfür Jahr, weil die Anzahl der binationalen Verbindungenwächst. Die Menschen sind nämlich deutlich kosmopoli-tischer als Sie von der Union. Sie scheren sich überhauptnicht um die von Ihnen aufgeworfenen Loyalitätsfragen.Die Grenzen sind nicht nur für die Waren, sondernauch für die Menschen offen. Die Zahl der Menschen,die grenzüberschreitende Verbindungen eingehen, Ehenschließen und Kinder bekommen, nimmt zu. Alle Kinderaus diesen Verbindungen haben einen Doppelpass. Ichhalte es für irrwitzig, davon zu sprechen, dass diese Kin-der nur eine halbe Hinwendung zu Deutschland hättenund nur halb loyal sein könnten. Was Sie sagen, ist ein-fach Unsinn.
Ich möchte einen weiteren Punkt aufgreifen. DieDoppelbödigkeit, die in dieser Debatte zum Ausdruckkommt, ärgert mich ausgesprochen stark. Bitte gehen Sieeinmal darauf ein, weshalb Sie 1,2 Millionen Spätaus-siedlern die deutsche Staatsbürgerschaft unter Beibehal-tung ihrer russischen oder polnischen Staatsbürgerschaftermöglicht haben.
Ich habe damit nie ein Problem gehabt. Sie müssen nurbeides mit gleicher Elle messen:
Bei dem einen von geteilter Loyalität zu sprechen undbei dem anderen nicht, geht nicht.
Hier geht es um einen deutsch-französischen Vor-schlag. In Deutschland leben 112 000 Franzosen und150 000 Deutsche leben in Frankreich. Das ist ein StückGgWEeSphsbwFHSurG4sDSw–kvhn–vdRiw
ines fernen Tages werden wir dann vielleicht einmaline europäische Staatsbürgerschaft haben.
Die rechtlichen Grundlagen sind nach der Reform destaatsbürgerschaftsrechts eindeutig: Innerhalb der Euro-äischen Union ist bei Gegenseitigkeit Mehrstaatigkeitinzunehmen. Bayern und Baden-Württemberg werdenich gegen solche Entwicklungen noch einige Zeit sträu-en können. Da Deutschland aber ein Rechtsstaat ist,ird das sicherlich bald ein Ende haben.
Nächster Redner ist der Kollege Ernst Burgbacher,
DP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Frau Staatssekretärin Beck, ich beginne da, woie aufgehört haben. Es ist völlig richtig – darauf zieltnser Antrag –: Wir wollen die doppelte Staatsangehö-igkeit für Deutsche und Franzosen. Das, was in deremeinsamen deutsch-französischen Erklärung zum0. Jahrestag des Élysée-Vertrags stand, soll umge-etzt werden. Ich zitiere:Wir müssen unseren Bürgerinnen und Bürgern auchdie Staatsbürgerschaft beider Länder ermöglichen.as heißt, dass es heute noch nicht so ist. Herr Edathy,ie müssen den bestehenden Rechtszustand korrektahrnehmen.
Seither ist überhaupt nichts geändert worden.Die Bundesrepublik Deutschland hat den Vertrag ge-ündigt – das ist völlig richtig –, allerdings schon langeorher. Frankreich – ich habe mich bei der Botschafteute noch einmal erkundigt – hat diesen Vertrag nochicht gekündigt.
Nein. – Deshalb gilt er für Frankreich formal nach wieor.Der gegenwärtige Zustand ist wie folgt: Einige Län-er akzeptieren das, gewähren aber keinen einklagbarenechtsanspruch auf die Doppelstaatsangehörigkeit. Dasst zum Beispiel bei Frankreich der Fall. Deshalb haltenir es für richtig, hier einen rechtlich einwandfreien Zu-
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Ernst Burgbacherstand herzustellen. Darum geht es uns mit unserem An-trag.
Ich sage auch ganz deutlich an die Kollegen von CDU/CSU gerichtet: Wir wollen, dass Deutsche und Franzosenbeide Staatsangehörigkeiten bekommen können
– Frau Staatssekretärin, Sie haben die Zahlen genannt,wie viele im jeweils anderen Land leben –; denn das istbedeutsam für die deutsch-französische Freundschaftund das wollen wir auch dokumentieren.Herr Edathy, wir lehnen Ihren Antrag gar nicht vonvornherein ab. Wir werden ihn im Ausschuss sehr offendiskutieren. Wir haben im Grunde das gleiche Ziel, ha-ben aber unterschiedliche Ansichten hinsichtlich des au-genblicklich herrschenden Rechtszustands. Wir solltenim Ausschuss ganz sachlich und ohne große Polemik
darangehen, die geltende Rechtslage zu klären.Im Staatsangehörigkeitsrecht, dem die FDP zuge-stimmt hat, steht sehr deutlich: Hinnahme doppelterStaatsangehörigkeit auf Gegenseitigkeit. Gegenseitig-keit kann aber nicht heißen, dass dies in dem einen Landgeduldet wird und in dem anderen nicht.
Gegenseitigkeit muss ein rechtlich einwandfreier Zu-stand sein. Darauf legen wir Wert.Meine Damen und Herren, ich bitte Sie und auch dieKolleginnen und Kollegen von der Union ganz herzlich,keinen falschen Zungenschlag in die Diskussion zu brin-gen. Wir sind in Europa zum Glück ein ganzes Stückweiter. In der europäischen Verfassung haben wir bereitsdie europäische Staatsangehörigkeit verankert. Ange-sichts der engen Beziehungen zwischen Deutschlandund Frankreich halte ich es für eine Selbstverständlich-keit, dass der Franzose, der bei uns lebt, die deutscheStaatsangehörigkeit und damit auch das Wahlrecht be-kommt und umgekehrt für den Deutschen in Frankreichdas Gleiche gilt.Wir sollten hier keine alten Diskussionen und Vorur-teile aus der Schublade holen, sondern offen darangehen,die rechtlichen Voraussetzungen zu prüfen. Ich denke,dass wir am Schluss zu einer gemeinsamen Lösung imSinne der Menschen in unserem Land kommen können.Herzlichen Dank.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Norbert Geis, CDU/CSU-Fraktion.
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abei machen wir nicht mit, weil wir der Meinung sind,
ass die Staatsangehörigkeit Ausdruck einer besonderen
indung des einzelnen Mitgliedes des jeweiligen Volkes
u seinem Staat ist. Deswegen gibt es die Staatsangehö-
igkeit überhaupt. Es gibt eine Loyalität des Staatsbür-
ers gegenüber seiner Staatsregierung, gegenüber sei-
em Staat.
Herr Kollege Geis, gestatten Sie eine Zwischenfrage
es Kollegen Edathy?
Bitte sehr.
Herr Kollege Geis, sind Sie bereit, zur Kenntnis zuehmen, dass Gegenstand des vorliegenden Antrages vonPD und Bündnis 90/Die Grünen im ersten Punkt ist, dassir die Wahrung geltenden Rechtes im Verwaltungsvoll-ug der Länder sichern wollen? Es geht um nicht mehr
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Sebastian Edathyund nicht weniger, als § 87 Abs. 2 des Ausländergesetzes,der beschlossen ist, auch mit Leben zu füllen.Sind Sie außerdem bereit, zur Kenntnis zu nehmen,dass wir im zweiten Punkt etwas fordern, das gerade beiCDU und CSU auf Sympathie stoßen müsste? Wir wollennämlich verstärkt darauf achten, dass Deutsche, die sichin anderen EU-Staaten, die bislang nicht die Mehrstaatig-keit akzeptieren, einbürgern lassen wollen, jedenfallsnicht aufgrund deutscher Verwaltungsentscheidungen ge-zwungen werden, die deutsche Staatsangehörigkeit auf-zugeben.
Dann hätten Sie eigentlich einen Vorschlag für eineentsprechende Gesetzesänderung vorlegen müssen, be-vor Sie Ihren Antrag gestellt haben. Sie können diesenAntrag doch nicht losgelöst sehen von Ihrer übrigenPolitik im Bereich der Staatsangehörigkeit und des Aus-länderrechts.
Es gibt genug Beispiele dafür, dass Sie die doppelteStaatsangehörigkeit nicht nur erleichtern, sondern prinzi-piell ermöglichen wollen. Sie wollen prinzipiell jedem,der nach Deutschland kommt, die doppelte Staatsange-hörigkeit anbieten.
Sie können diesen Antrag nicht von Ihrer Politik loslö-sen. Wenn Sie mir das nicht abnehmen, bitte ich Sie: Le-sen Sie Ihren Koalitionsvertrag vom 22. Oktober 1998!
Lesen Sie Ihren ersten Entwurf zum Staatsangehörig-keitsrecht und lesen Sie die Begründung des Antrages,über den wir heute debattieren! Dann werden Sie mirRecht geben müssen. Es ist so; das halten wir fest. Aberwir wollen das nicht.
– Ich weiß ja, dass Sie sich jetzt dagegen wehren. Aberverhalten Sie sich doch danach. Sie wollen im Prinzipnicht nur die Erleichterung der doppelten Staatsangehö-rigkeit, sondern Sie wollen sie generell ermöglichen. Da-gegen wehren wir uns, weil wir glauben, dass das mitdem deutschen Staatsangehörigkeitsrecht und mit unse-rem Demokratieverständnis nicht vereinbar ist.
Demokratie setzt das Volk voraus. Demokratie istnicht die Herrschaft der Bevölkerung, sondern die Herr-schaft des Volkes.
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ie doppelte Staatsangehörigkeit schafft nun einmaloyalitätskonflikte. Die Aufspaltung in Nur-Deutsche,ie auf Gedeih und Verderb mit Deutschland und mitem Schicksal des deutschen Volkes verbunden sind,nd in Auch-Deutsche mit einer zweiten Staatsangehö-igkeit, die gehen können, wenn es brenzlig wird, hältuf Dauer kein Volk und keine Gesellschaft aus. Deswe-en müssen wir daran festhalten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kommeuf das zurück, was Herr Burgbacher gesagt hat. Wirind für die Durchsetzung des § 87 Abs. 2 Ausländer-esetz. § 87 Abs. 2 Ausländergesetz ist aber eine Aus-ahme von der Regel. § 85 ist die Regel, die besagt, dasserjenige, der die deutsche Staatsangehörigkeit anstrebt,ie nur erlangen kann, wenn er die alte Staatsangehörig-eit, seine Herkunftsstaatsangehörigkeit, aufgibt.
87 macht davon eine Ausnahme; das ist richtig. In § 87bs. 2 heißt es: Ein EU-Bürger kann die deutschetaatsangehörigkeit erwerben und seine alte Staatsange-örigkeit beibehalten, wenn Gegenseitigkeit verbürgt ist.
iese Gegenseitigkeit haben wir im Verhältnis voneutschland zu anderen EU-Ländern noch nicht. Unteregenseitigkeit verstehe ich Gleichwertigkeit. Daseißt, dass ein Deutscher, der im Ausland die ausländi-che Staatsangehörigkeit anstrebt, dort genauso schwereder leichte Voraussetzungen haben muss wie ein Aus-änder in Deutschland. Das ist aber nicht der Fall. Ineutschland ist es so, dass, wenn alle gesetzlichen Vor-ussetzungen erfüllt sind, ein Anspruch auf Einbürge-ung besteht.
n allen anderen EU-Ländern wird eine Ermessensent-cheidung getroffen. Das ist ein wesentlicher Unter-chied. In manchen Ländern, zum Beispiel in Frank-eich, besteht noch nicht einmal die Möglichkeit,
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Norbert GeisRechtsmittel einzulegen, wenn die Ermessensentschei-dung abschlägig ist.Aus diesem Grund sind wir der Meinung, dass eineGegenseitigkeit noch nicht gegeben ist. Es muss unserBestreben sein, zu dieser Gegenseitigkeit zu kommen.Dazu müssen bilaterale Verträge geschlossen werdenund § 25 des Staatsangehörigkeitsrechts, der vorsieht,dass derjenige die deutsche Staatsangehörigkeit verliert,der eine fremde Staatsangehörigkeit annimmt, muss ge-ändert werden.
Das alles ist bis jetzt noch nicht geschehen. Deswegenist die Haltung von Bayern und Baden-Württemberg völ-lig korrekt und rechtens.Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/762 und 15/362 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Rainer Funke, Rainer Brüderle, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Statistiken reduzieren – Unternehmen entlas-
ten – Bürokratie abbauen
– Drucksache 15/752 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Innenausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
FDP fünf Minuten Redezeit erhalten soll. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin
Birgit Homburger, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir haben heute erneut die Möglichkeit, über einen An-trag zum Bürokratieabbau zu debattieren. Dieser wirdheute von der FDP-Bundestagsfraktion eingebracht.
Im Statistischen Bundesamt sind 2 800 Mitarbeiterbeschäftigt, die jährlich circa 350 Bundesstatistiken er-sEFdkDDTgfVtedmwdmzdtäugABEdülaguwdGSde
ür jede einzelne Statistik gibt es darüber hinaus – auchas muss man wissen – eine eigene Rechtsgrundlage. Daann ich nur sagen: Willkommen im Bürokratietollhauseutschland!
eswegen hat die FDP-Bundestagsfraktion dieseshema aufgegriffen.Wir haben, wie Sie wissen, auch eine Initiative dazuestartet und eine Homepage unter www.wirmachensein-acher.de eingerichtet.
iele Bürgerinnen und Bürger haben uns hier in den letz-n Wochen und Monaten Vorschläge unterbreitet. Eineser Themen, das immer wieder genannt wurde – dasuss man zur Kenntnis nehmen –, war das Statistikun-esen in Deutschland. Es ist also vollkommen richtig,ass wir das Thema aufgegriffen haben, uns vorgenom-en haben, mit diesem Antrag die Zahl der Statistikenu reduzieren, und
ie Bundesregierung aufgefordert haben, entsprechendtig zu werden.
An Ihrer Stelle würde ich mich darüber nicht aufregennd ständig Zurufe machen; denn es ist kein unanständi-es Anliegen.
uch Ihr Minister Clement hat ganz klar gesagt, dass erürokratie abbauen will.
r hat im vergangenen Jahr vollmundig angekündigt,ass er die Pflichten zum Abfassen statistischer Berichteberprüfen wolle und die Wirtschaft davon spürbar ent-sten wolle. Es hieß, er wolle dazu ein Sofortpro-ramm vorlegen. Das Anliegen kann also gar nicht sonanständig sein, wenn Herr Clement das Gleiche willie die FDP. Doch bei einem Sofortprogramm gehen wiravon aus, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-rün, dass es sofort ausgearbeitet wird. Bis jetzt habenie aber noch nichts vorgelegt. Deswegen fordern wirie Bundesregierung auf, dem Deutschen Bundestagndlich eine entsprechende Vorlage zu unterbreiten.
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3320 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2003
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Birgit Homburger62 jährliche und unterjährliche Erhebungen richtensich an die Unternehmen. Besonders für kleine und mitt-lere Unternehmen bedeuten statistische Erhebungen einebesondere Kostenbelastung. Die Aufstellungen vonMonats-, Vierteljahres- und Jahresstatistiken werdenvon den Unternehmen, die zu diesen Auskünften ver-pflichtet sind, als sehr belastend empfunden. Gut jedesdritte Unternehmen empfindet die hieraus resultierendeBelastung als hoch oder sehr hoch.
Insbesondere die mittleren Unternehmen fühlen sichin erster Linie durch die Pflichten zur Berichterstattungfür die amtliche Statistik belastet. Allein bei den Lohn-und Gehaltskosten werden vier Erhebungen durchge-führt. Das muss man sich einmal vorstellen! Dazu zählendie Kostenstrukturerhebung, die Verdiensterhebung, dieArbeitskostenerhebung und die Gehalts- und Lohnstruk-turerhebung. Immer wieder kommt es dabei zu Doppel-erhebungen. Häufig werden Daten abgefragt, die denUnternehmen gar nicht vorliegen und die sie mit sehrviel Aufwand ermitteln müssen. Wenn den Firmen dabeiaber ein Fehler unterläuft und sie die gesetzlichen oderdie von den Behörden gesetzten Fristen nicht einhalten,riskieren sie nach § 23 des Bundesstatistikgesetzes einBußgeld.Hier muss ich Ihnen sagen: Wir befinden uns in einerSituation, in der wir gerade die kleinen und mittleren Be-triebe von dieser Vielzahl an Doppelerhebungen undteilweise auch unsinnigen Erhebungen entlasten müssen.Wir müssen ihnen Zeit zurückgeben, damit sie andereDinge für ihre Betriebe tun können, die dringend not-wendig sind.
Ich kann Ihnen ein Beispiel nennen: Die Bäcker er-zählen mir, dass eine Erhebung vorgenommen wird. Indieser wird abgefragt, wie viel Öl für die Öfen und wieviel weißes und dunkles Mehl verbraucht und wie vieleBrötchen und Brote damit gebacken werden.
– Genau, Herr Kuhn; es wird auch abgefragt, wie vielesüße Teilchen und Kuchen damit gebacken werden. – Ichfrage mich, wofür das alles abgefragt wird. Wenn dasniemand erklären kann, dann – das muss ich Ihnen ganzklar sagen – sollten wir in der Politik gemeinsam agierenund dafür sorgen, dass das abgeschafft wird und die Un-ternehmen von einem solchen Unsinn entlastet werden.
Im Übrigen ist der Aufwand auch für die Behördengroß. Deswegen sagen wir ganz klar: Die Bundesregie-rung muss endlich aufhören, immer nur davon zu reden,dass sie hier etwas tun will. Sie muss endlich handeln.Sie muss Maßnahmen dafür ergreifen, dass Doppelerhe-bungen unter allen Umständen vermieden werden, undsie muss prüfen, ob Vollerhebungen zu Stichprobenerhe-bungen gemacht werden können. Außerdem sollte dar-auf geachtet werden, dass die Grenzen für unterjährigeBmadsgkSSrmSis–STEFrSvMksftPdmmslsbWwmnjltIkB
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, ichann Ihnen nur sagen: Nehmen Sie die Chance wahr, dieie durch den Antrag der FDP erhalten! Tun Sie das, wasie genauso wie wir für richtig halten – jedenfalls erklä-en Sie das in der Presse –: Entlasten Sie die kleinen undittleren Betriebe von Bürokratie!Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Sigrid
karpelis-Sperk, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Statistikt weder in der Politik noch in der Öffentlichkeit noch das habe ich gerade von einem Kollegen gehört – imtudium an den Universitäten ein besonders beliebteshema. Vielen erscheint sie nur als eine kostspieligerbsenzählerei auf Kosten der Steuerzahler und als einolterinstrument von Zahlenfetischisten und grauen Her-en mit Ärmelschonern, die hinter noch grauerenchreibtischen sitzen. Noch viel schlimmer ist das durchiele Bonmots zum Ausdruck gebrachte und verbreiteteisstrauen bezüglich des Wahrheitsgehalts von Statisti-en, so zum Beispiel in dem berühmten Churchill-Aus-pruch, dass er nur an Statistiken glaubt, die er selbst ge-älscht habe.Frau Kollegin, das Überraschende ist, dass Statistikenrotzdem sehr gefragt sind. Laut Johann Hahlen, demräsidenten des Statistischen Bundesamtes, hat beson-ers die Nachfrage aus der Wirtschaft und von Unterneh-en nach Daten seines Amtes lawinenartig zugenom-en. Das hat einen guten Grund: Trotz aller Vorurteileind Statistiken ein Schlüsselinstrument für die Wil-ensbildung in der Politik, der Wirtschaft und der Ge-ellschaft; denn nur aufgrund einer zuverlässigen Daten-asis kann der wirtschaftliche und gesellschaftlicheandel erfasst und von Ökonomen und Gesellschafts-issenschaftlern in Wissenschaft, Unternehmen und Ad-inistration analysiert werden.Ohne zuverlässige Informationen können keine ratio-alen Entscheidungen getroffen werden. Das dürfen wiretzt beim Finanzsystem und aufgrund einiger fürchter-icher Fehlentscheidungen auf den europäischen und in-ernationalen Kapitalmärkten feststellen. Dies wissennvestmentgesellschaften, Banken, multinationale Öl-onzerne und Produzenten von Konsumgütern. Die IT-ranche hat das für ihren Bereich auf die treffliche For-
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Dr. Sigrid Skarpelis-Sperkmel gebracht: Garbage in, Garbage out. Auf Deutschheißt das: Wenn ich mein System nur mit Informations-mist füttere, kann als Ergebnis auch nur Mist heraus-kommen.Nur die Politik in Deutschland hat das fast zwei Jahr-zehnte unter Ihrer Amtszeit anders gesehen. Die deutscheStatistik ist in punkto Aktualität weit hinter die USA undleider auch deutlich hinter die EU-Partnerländer zurück-gefallen. Als wir die Regierung übernommen haben, wares doch nachgerade peinlich, dass die Bundesbank unddie Europäische Zentralbank von der deutschen Politikmit deutlichen Mahnungen eine Verbesserung der Daten-basis eingeklagt haben und die europäischen Finanzmi-nister, der Ecofin-Rat, am 29. September 2000 einen Ak-tionsplan mit detaillierten Angaben beschließen mussten,welche Staaten in welchem Bereich nun endlich ihre Sta-tistiken zu verbessern und anzupassen hätten. Seither gibtes vierteljährlich einen Bericht darüber, welche Staatenihre Hausaufgaben gemacht haben und welche nicht.Dieser europäische Aktionsplan war und ist wichtig,weileine genauere und innovative Erfassung und Ana-lyse des rapiden gesellschaftlichen Wandels durchein enges Zusammenwirken von unabhängiger Wis-senschaft und unabhängiger Statistik die Politikzielgenauer machen. Nur so können die komplexenWechselwirkungen zwischen Bevölkerungsent-wicklung, Strukturänderungen der Wirtschaft, Aus-bildungssystem, Beschäftigung und sozialer Siche-rung richtig verstanden und aufbereitet werden, umdarauf erfolgreiche Politik aufzubauen.So die Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn.Fehlen nämlich zuverlässige Daten, so kommt es zu ei-ner erheblichen Erhöhung der Unsicherheit. Das kannfür alle, die Entscheidungen fällen müssen, sehr teuerwerden.Die Enquete-Kommission „Globalisierung derWeltwirtschaft“ hat zum Beispiel in ihrem Schlussbe-richt im Juni 2002 parteiübergreifend und einstimmig,liebe Frau Kollegin, also mit Zustimmung der FDP-Ver-treter, das unzureichende Datenmaterial bei der staatli-chen Erfassung der Globalisierung beklagt:Die Enquete-Kommission hat ... immer wieder fest-stellen müssen, dass wichtige Daten zur Beurtei-lung von Globalisierungstatbeständen und -trendsnicht in der notwendigen Form zur Verfügung stan-den. Zwar gibt es eine Fülle von statistischen Da-ten, die von vielen nationalen, internationalen undsupranationalen Stellen veröffentlicht werden, aberallzu häufig sind sie nicht ausreichend aussagekräf-tig. … Für manche Fragen fehlen Daten völlig, an-dere Daten weisen Mängel in der Tiefengliederungauf.Außerdem sollten wir nicht vergessen, dass in einemdemokratischen Staat eine allgemein zugängliche Infor-mationsquelle wie die amtliche Statistik, die allen um-sonst zur Verfügung steht, ein öffentliches Gut ist:zgQsnbsDgSKwDnDaoEdcRa–EdszHeteDBBrddslau
uverlässig und grundsätzlich kostenlos für jeden Bür-er, jedes Unternehmen und die Wissenschaft. Dessenualität und Zuverlässigkeit als Informationsinstrumentind für Politik, Wirtschaft, Verbände und jeden einzel-en Bürger zentral.Die britische Regierung hat deswegen in einem vieleachteten Grünbuch festgestellt, die amtliche Statistikei „a matter of trust“, also eine Frage des Vertrauens.amit dieses Vertrauen erhalten bleibt und das Datenan-ebot aktuell und zuverlässig ist, muss sich die amtlichetatistik in ihrem Angebot – jetzt kommen wir zumernpunkt – kontinuierlich an gesellschaftliche undirtschaftliche Veränderungen anpassen.
as haben Sie in Ihrer Regierungszeit versäumt, was Ih-en international bestätigt worden ist.
Es ist doch einfach blamabel, wenn einem Land wieeutschland gesagt werden muss, es möge seine Haus-ufgaben machen und bitte das Niveau von Portugalder Griechenland anstreben.
s ist doch absurd, wenn die Deutsche Bundesbank undie Europäische Zentralbank anmahnen, die entspre-henden Daten zu liefern. Wir müssen die Fehler Ihreregierungszeit ausbügeln und uns dafür noch Vorwürfenhören.
Herr Schauerte, das gehört sich nicht. Sie haben in dernquete-Kommission den Beschluss mitgetragen, ausem ich Ihnen vorgelesen habe.Sprechen wir nun über die Belastungen. Wenn statisti-che Erhebungen gemacht werden, hat man zwei, sichum Teil widersprechende Anforderungen unter einenut zu bringen. Die amtliche Statistik muss möglichstffizient sein und die Befragten möglichst gering belas-n; darin sind wir alle einer Meinung.
ie Statistik muss sich zudem an den Bedürfnissen derenutzer orientieren. Das ist nicht neu. Die rot-grüneundesregierung hat sich seit ihrer Amtsübernahme da-um bemüht, die Statistik zu reformieren und den Anfor-erungen der Zeit anzupassen. Sie hat also jene Schritte,ie in dem Antrag der FDP unter dem marktschreieri-chen Titel „Statistiken reduzieren – Unternehmen ent-sten – Bürokratie abbauen“ gefordert werden, längstnternommen.
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Dr. Sigrid Skarpelis-SperkWas ist bisher auf Initiative der Bundesregierung er-folgt? Erstens. Sie hat längst – und zwar sofort nach ihremAmtsantritt – grundsätzliche Überlegungen angestellt,wie die informationelle Infrastruktur in Deutschlandverbessert werden kann. Dazu hatte die Forschungsminis-terin eine eigene Kommission eingerichtet, die ihren Be-richt am 31. März 2001 übergeben hat.Zweitens. Zusätzlich hat im Juni 2002 der StatistischeBeirat – das grundsätzlich berufene Gremium von Nut-zern, Befragten und Produzenten der Bundesstatistik –der Bundesregierung einen Bericht mit dem Titel „Emp-fehlungen zur Weiterentwicklung der amtlichen Statis-tik“ vorgelegt. In dem Bericht stellte der Beirat fest, dassbereits die Hälfte der 38 Empfehlungen aus dem Jahre1999 umgesetzt war. Darunter fallen Maßnahmen zur ra-tionelleren Gestaltung der statistischen Arbeit und Ver-besserung der Rahmenbedingungen, zur Einschränkungund Einstellung bestehender Statistiken sowie Prüfauf-träge zu Berichtssystemen. Sehr geehrte Frau Kollegin,dem Bericht zufolge ist alles, was Sie fordern, bereitsumgesetzt worden.
Weitere 17 Empfehlungen waren noch in Bearbei-tung. Alles zusammengenommen ist also weit mehr er-folgt, als mit den im FDP-Antrag erwähnten, in den ver-gangenen fünf Jahren abgeschafften neun Statistikensuggeriert wird. Frau Kollegin, Sie sind in der Statistiknicht auf der Höhe der Zeit!Nimmt man die Statistikbereinigungsgesetze des letz-ten Jahrzehnts, die Tests mit der bundeseinheitlichenWirtschaftsnummer für Unternehmen, Betriebe undsonstige wirtschaftlich Tätige sowie das Kernprojekt„Vereinfachung der amtlichen Statistik“ aus dem imFebruar 2003 von der Bundesregierung beschlossenenMasterplan Bürokratieabbau hinzu, so fragt man sichnach dem Sinn des von der FDP eingebrachten Antragsund der darin aufgelisteten Forderungen.
Viel wichtiger wäre es, sich auch in den Bundesländerngemeinsam mit uns für die Verabschiedung des Verwal-tungsdatenverwendungsgesetzes – das ist ein schreck-lich langer Name für ein Gesetz – einzusetzen.
Denn damit könnte ein gewaltiger Schritt zur Entlastungder Befragten – auch der kleinen und mittleren Unter-nehmen – erfolgen. Stattdessen gibt es ein dauerndesHickhack mit den Bundesländern. Ich habe übrigens ei-nen wunderschönen Brief aus dem Land Baden-Württemberg gelesen, in dem der zuständige Ministerangeordnet hat: Diese Statistik darf nicht geändert wer-den; diese Änderung darf nicht vorgenommen werdenund an dieser Stelle gibt es ein Problem.Die Bundesregierung ist insofern nicht an den Verzö-gerungen schuld. Das stelle ich nachdrücklich fest. Esgibt eine Fülle von Verzögerungen für die Reduzierungvon Statistiken, für die Entlastung der Unternehmen undfabsdgHSte5gsSBAdWFaisdDKagdhmrswtviblhmjBd
ie bei der Erneuerung der Statistik in der kommendenissens- und Informationsgesellschaft auftreten. DieDP vergisst, dass Wissen nicht eine Quantité néglige-ble ist, sondern zu einem Produktionsfaktor avanciertst. In den Punkten, in denen der Antrag vernünftige Vor-chläge enthält, sind diese nichts Neues und das meisteavon ist schon auf den Weg gebracht worden.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Alexander
obrindt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebeolleginnen und Kollegen! Wenn Sie am Wochenendelle wieder in ihren Wahlkreis gehen und mit den Bür-ern und den Unternehmern reden, dann stellen Sie fest,ass neben der berechtigten allgemeinen Unzufrieden-eit über diese Bundesregierung ein weiteres Thema im-er wieder artikuliert wird, nämlich das Übermaß an bü-okratischen Regelungen und im besonderen die Flut antatistischen Meldungen. Es geht dabei inzwischen umeit mehr als um die faktische Bewältigung dieser Sta-istiken, die immer auch mit finanziellen Belastungenerbunden sind. Nein, die statistische Auskunftspflichtn Deutschland hat sich zu einem psychologischen Pro-lem entwickelt.Viele Betriebe sehen darin eine unzumutbare Gänge-ung durch den Staat, die die Unternehmen – ich sprecheier in erster Linie von den mittelständischen Unterneh-en – Zeit und Geld kostet, was angesichts trüber Kon-unkturprognosen oft sogar für den Fortbestand einesetriebes entscheidend sein kann. Allein die Tatsache,ass sich der Deutsche Bundestag mit Bürokratieabbau
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Alexander Dobrindtund der Reduzierung von Statistiken beschäftigt, löst beieiner Reihe von Unternehmen reine Angstschweißreakti-onen aus. Das muss uns auch nicht verwundern; denn indem Maße, in dem wir zum wirtschaftlichen Schlusslichtin Europa geworden sind, haben wir uns zum Weltmeis-ter der bürokratischen Hürden hochgearbeitet.Über 85 000 Gesetze, Verordnungen und Einzelvor-schriften gibt es inzwischen in Deutschland. Diese Bun-desregierung hat in den letzten Jahren maßgeblich dazubeigetragen, dass es noch mehr und nicht weniger ge-worden sind.
Die Zahlen sprechen für sich: 400 neue Gesetze,1 300 Rechtsverordnungen. Wenn man von der Einberu-fung einer weiteren Kommission spricht, dann schauenSie sich einmal die Reaktion der Menschen an, die Sieerleben werden.Aber immerhin: Das Problem ist zum Teil erkanntworden und Minister Clement hat bei der Aussprachezur Regierungserklärung am 30. Oktober letzten Jahresverkündet:Wir müssen den Prozess der Überwindung vonÜberbürokratie in Deutschland wirklich mit neuenIdeen voranbringen. Der Wettbewerb der Ideen isteröffnet.Wir von der Union haben inzwischen eine ganzeReihe von Ideen und zentralen Themen angesprochen,wie zum Beispiel die verstärkte Befristung von Geset-zen, die Einführung von Experimentier- und Öffnungs-klauseln und die Einberufung eines Parlamentsausschus-ses, der die spezifische Aufgabe hat,
Bürokratieabschätzungen abzugeben und an den sichBürger und Unternehmen wenden können, um auf nichthinnehmbare bürokratische Gesetzesfolgen hinzuweisen.
Aber die Bürgerbeteiligung ist beim Thema Büro-kratieabbau bei den Regierungsfraktionen gar nicht soerwünscht. Anders ist es auch nicht zu erklären, dass inder letzten Version ihres Koalitionsvertrags genau diesesThema herausgestrichen worden ist.In Bayern sind inzwischen Hunderte von Unterneh-men und Bürgern dem Aufruf der Staatsregierung ge-folgt und haben sich aktiv dem Thema Bürokratieabbaugewidmet. 700 Praxisvorschläge sind bisher erarbeitetworden. Das zentrale Ergebnis steht fest: In Deutschlandgehen viel zu viele produktive Energien durch übermä-ßige Bürokratie verloren.
Das sind Energien, die wir dringend bräuchten, umdie Wachstumskräfte in Deutschland wieder sprießen zulassen. Bringen Sie doch endlich ein Bürokratiewu-cherabbaugesetz in den Bundestag ein. Das wäre derrichtige Schritt. Das wäre ein entscheidender Beitrag,ubhvpIsAdRSwwBgSbdKgtnkdnlnmudlfbgG1hzssgg–laAle
Die Bundesregierung – ich komme schon zu Ihnen –at im letzten Jahr einen Masterplan für Bürokratieabbauersprochen. Inzwischen hat das Bundeskabinett Eck-unkte daraus verabschiedet. Auf der Internetseite desnnenministeriums lässt sich lesen, dass an dem umfas-enden Sofortprogramm fünf Ministerien beteiligt sind.nschließend ist zu lesen:Um Wachstum und Beschäftigung in Deutschlandzu fördern, wird die Bundesregierung Bürokratieweiterhin konsequent abbauen.Solche Ankündigungen treiben dem Mittelstand unden Menschen in Deutschland, wie so oft während Ihreregierungszeit, den Angstschweiß ins Gesicht. Wennie damit ausdrücken wollen, dass Sie so weitermachenie bisher, dann scheinen Sie auch das Problem nichtirklich verstanden zu haben. Wenn Sie Wachstum undeschäftigung in Deutschland fördern wollen, dann er-reifen Sie endlich die notwendigen Maßnahmen. Hebenie das Kündigungsschutzgesetz für Neueinstellungenei Betrieben mit unter 20 Beschäftigten auf, lassen Sieie betrieblichen Bündnisse für Arbeit zu, stellen Sie dieleinbetriebe von statistischen Auskunftspflichten weit-ehend frei.Ich kann auch aus persönlichen Erfahrungen berich-en. Vier Statistiken müssen parallel in meinem Unter-ehmen erfasst werden. Wenn man an geeigneter Stelleritische Anmerkungen dazu macht, dann bekommt manie Antwort zu hören, dass man froh sein müsse, dass esicht noch mehr seien. Wenn auch noch ein kleiner Feh-er vorhanden ist, dann wird man aufgefordert, das beimächsten Mal gefälligst richtig zu machen. So geht manit Menschen bei uns um, die Arbeitsplätze schaffennd für Beschäftigung sorgen.
Derjenige, der Bürokratie schafft, muss sie auch wie-er abbauen. Deswegen sind Sie aufgefordert, hier end-ich tätig zu werden. Wie sieht es denn mit dem Zeitplanür den Masterplan Bürokratieabbau aus? Am 26. Fe-ruar dieses Jahres war der Beginn des Sofortpro-ramms. Es wurde anschließend eine entsprechendeeschäftsstelle im Innenministerium eingerichtet. Am. April dieses Jahres sind angeblich – darüber hätte icheute gerne etwas gehört – mindestens drei Vorhabenum Bürokratieabbau je Ressort genannt worden. An-chließend fand die erste Sitzung des Staatssekretäraus-chusses statt. Wir hätten auch hier gerne etwas darüberehört, was das ist und was dieser Ausschuss tut. Das Er-ebnis scheint eher dürftig zu sein.Die Belastungen des Mittelstandes mit Vorschriften angefangen mit Brüssel bis hin zu den Kommunen –ssen den Firmen immer weniger Luft zum Atmen.lle 15 Minuten geht in der Bundesrepublik Deutsch-and ein Unternehmen in die Insolvenz. Wenn Sie nichtndlich die dringendsten Maßnahmen ergreifen, wird
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Alexander Dobrindtder Mittelstand, das Rückgrat unserer Wirtschaft, zu-sammenbrechen.
Ich darf abschließend nochmals WirtschaftsministerClement zitieren. Er hat am 30. Oktober letzten Jahresgesagt: „Was geht, ist eine deutliche Reduzierung statis-tischer Meldungen.“ Legen Sie los. Wir werden Sie da-ran nicht hindern.Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Fritz Kuhn.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man den FDP-Antrag liest – um an die Ausführun-
gen meines Vorredners anzuknüpfen –, dann stellt man
fest, dass es dort um etwas anderes geht als das, wovon
Sie, lieber Kollege, gesprochen haben. Es geht um das
Statistikwesen in Deutschland und dessen Auswirkun-
gen auf die Wirtschaftsbetriebe. Ihre Rede wäre vor drei
Wochen angemessen gewesen; denn damals ging es ge-
nerell um Bürokratieabbau. Aber das schadet ja nichts.
Vielleicht haben Sie Ihre damalige Rede recycelt.
Ich halte es für nicht zielführend, wenn die Opposi-
tion ständig sagt, wir machten alles falsch, während die
Regierung das Gegenteil behauptet. Bei nüchterner Be-
trachtung stellt man fest, dass es um einen klassischen
Zielkonflikt geht. Wir, die Politiker, sowie viele Unter-
nehmer und Vertreter der Unternehmensverbände wollen
qualifiziertes Datenmaterial zur Begleitung und Beurtei-
lung dessen, was wirtschaftlich und wirtschaftspolitisch
richtig ist. Wir brauchen verlässliche Konjunkturdaten;
deshalb ist es schlecht, wenn es statistische Fehlerquel-
len gibt oder wenn die Daten unzureichend sind. Das ist
die eine Seite. Auf der anderen Seite nervt es viele Be-
triebe in Deutschland – es geht um eine beträchtliche
Zahl –, wenn sie regelmäßig Fragen beantworten und bei
Fehlern mit den von Ihnen geschilderten Sanktionen
rechnen müssen. Zum Teil sind die Fragen schwer zu be-
antworten. Man weiß ja aus eigener Lebenserfahrung,
dass es einen ärgert, wenn einem eine Frage gestellt
wird, die man nicht beantworten kann. Außerdem entste-
hen den Betrieben aufgrund der statistischen Erhebun-
gen Kosten und Zeitverluste. Das ist der Zielkonflikt.
Nun versucht die Regierung – ein entsprechender Ge-
setzentwurf liegt bereits auf dem Tisch; über ihn wird
noch im Ausschuss beraten werden –, ein anderes Ver-
fahren zu finden, in dessen Rahmen weniger Primärda-
ten und mehr Sekundärdaten, so genannte Verwaltungs-
daten, erhoben werden, sodass man qualifizierte
Informationen für die Konjunkturstatistiken hat und die
Wirtschaft weniger nerven muss. Wir machen das auch.
Das einzige Problem ist jetzt noch die Auseinanderset-
zung mit den Ländern über die Kostenverteilung. Diese
wird noch einmal überprüft und gemeinsam mit den
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Zum Abschluss möchte ich noch etwas an die Adresse
er FDP sagen. Wenn man eine schlechte Strategie ge-
ählt hat – ich war zwölf Jahre lang Vorsitzender einer
ppositionsfraktion; deswegen verstehe ich etwas von
em Geschäft –, dann ist man leicht versucht, folgender-
aßen vorzugehen: Man schaut, was die Regierung oh-
ehin schon macht, stellt dann schnell einen Antrag und
agt, es müsse endlich etwas geschehen. Das ist eine
eschäftigungstherapie, mit der Sie öffentlich Ein-
ruck machen wollen. Das ist aber nur hohler Wind und
ringt in der Sache überhaupt nichts.
So verhält es sich auch mit Ihrem Antrag. Alle, die et-
as davon verstehen, wissen, dass sich die Regierung
ieses Themas angenommen hat und es längst vielfältige
espräche zwischen Bundes- und Landesstatistikern
ibt. Aber Sie tun so, als hätten Sie alles neu erfunden,
nd stellen einen Antrag. Da Sie offenbar so viel Zeit ha-
en, Frau Homburger, kann ich das ja verstehen. Ich
ann aber nicht verstehen, warum Sie das ganze Haus
it solchen überflüssigen Anträgen aufhalten. Diese
rage ist bisher nicht beantwortet.
Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Kollege Schauerte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-ge Kuhn, wie unnütz hier die Zeit verbracht wird,ängt von jedem Debattenredner selbst ab. Sie hätten aushrer Redezeit etwas machen können.
Ich bin für jede Gelegenheit dankbar, über diesesichtige, aber auch ärgerliche Thema zu sprechen. Da-ei gibt es für mich keine erste und zweite Vaterschaft.ir alle wissen, dass es im Hinblick auf die Statistikenie auf die Bürokratie insgesamt ein dickes Problemibt. Ich erinnere nur daran, dass der Bundeskanzler ineiner ersten Regierungserklärung den Bürokratieabbauu einem seiner zentralen Anliegen gemacht hat. Das Er-ebnis war das Gegenteil. Ich füge hinzu: mea culpa;uch in unserer Regierungszeit ist der Bürokratieabbau
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Hartmut Schauerteüberhaupt nicht ausreichend gelungen. Niemand von unshat Veranlassung, zufrieden zu sein.Aber das Problem ist eher größer als kleiner gewor-den. Ich verdeutliche dies an wenigen Zahlen, damit manein Gefühl für dieses Problem bekommt: In der 8. Wahl-periode wurden 237 Gesetze verabschiedet, in der9. Wahlperiode 97, in der 10. Wahlperiode 256, in der11. Wahlperiode 293. Dann kam die Wiedervereinigungmit dem unvermeidlich hohen Anpassungsbedarf. In der12. Wahlperiode schnellte die Zahl auf 460 hoch, in der13. Wahlperiode sank die Zahl wieder auf 400. Dannkam Ihre erste Regierungsperiode, in der Sie die Zahlder Gesetze auf den absoluten Spitzenwert von 489 er-höhten.
Es ist aber nicht nur die Zahl der Gesetze, sondern essind auch die damit einhergehenden Belastungen gestie-gen, obwohl wir alle davon reden, dass hier eine Redu-zierung notwendig ist. Das kann uns nicht zufrieden stel-len.
Daher haben wir auch ein paar Probleme damit, jetztIhren Ankündigungen Glauben zu schenken. Unserebesten Wünsche, Hoffnungen und Gebete begleiten Sie.Wir möchten, dass auf diesem Gebiet etwas passiert. ImMoment stellen Sie auf Bundesebene die Regierung.
– Ja, das wird nicht mehr lange dauern. – Sie sind gegen-über der europäischen Ebene sprachfähig, was bei die-sem Thema nicht zu unterschätzen ist. Hier sind wir alsOpposition fast einflusslos; wir können kaum etwas ge-stalten. Aber wir haben eine Mitverantwortung in denLändern. Hier könnte doch eine große Koalition zumwirksamen Abbau der Bürokratie zustande kommen.Wer hindert uns denn daran, dieses Thema wirklich ernstzu nehmen?Dass die Bürokratie eine unerträgliche Belastung dar-stellt, die sich auf vieles wie Mehltau legt, dass wir bei je-der Angstsituation in Deutschland einen unglaublichenzusätzlichen Wust an neuer Bürokratie produzieren, ohneirgendwo etwas wegzunehmen, kann uns doch nicht zu-frieden machen. Wenn wir nur einmal nachvollziehen,was bei irgendwelchen Lebensmittelskandalen – ichdenke hier nur an die BSE-Krise – und Gesundheitspro-blemen an neuer Bürokratie entsteht und was wir in derFinanzwirtschaft an neuen Bürokratien aufbauen, wennes eine große Pleite im Land gibt – das reicht bis hin zuBasel II und den damit zusammenhängenden Konse-quenzen –, dann können wir uns doch nicht gemütlichzurücklehnen.Insofern macht es überhaupt keinen Sinn, zu fragen,wie man überhaupt einen solchen Antrag stellen könne.Sie hätten den Antrag stellen können, wir hätten ihn stel-len können, die FDP hat ihn stellen können. Wir müssendas Thema ernst nehmen.–fdugzjeter–nmw1aftewMuSdeWmGWwbgvghdimSsRg
Nein, es fehlt noch der nötige Nachdruck.Ich schildere Ihnen ein paar Ansätze, die heute nochehlen. Die CDC/CSU-Fraktion hat ein Programm mitem Titel „Bürokratie abbauen – nicht reden, handelnnd den mutigen Wurf wagen“ verabschiedet. In ihmeht es darum, geltende Vorschriften auf den Prüfstandu stellen. In Zukunft muss geregelt sein, dass man fürde neue Vorschrift die Abschaffung zweier Vorschrif-n vorschlägt. Dies führt zu einem hohen Disziplinie-ungserfolg bei jedem, der ein neues Gesetz will.
Wir können auch drei nehmen, wenn Ihnen das zu we-ig ist. Ich will nur, dass wir an dieser Stelle irgendetwasachen.
Ich nenne Ihnen noch eine willkürliche Zahl: Wirollen, dass alle Verordnungen, die vor dem 1. Januar980 erlassen wurden, zum 31. Dezember 2004 ersatzlosußer Kraft treten. Wissen Sie was? Würde man so ver-ahren, würde in Deutschland nichts passieren. Sie müss-n schon beweisen, dass das Gegenteil der Fall ist.Beispielsweise hat das Saarland in diesem Bereichirklich große Erfolge erzielt. Die neue Regierung voninisterpräsident Müller hat dieses Problem angepacktnd ist bisher weitergekommen, als man gedacht hat.chicken Sie Ihre Mitarbeiter einmal dorthin, um sichas anzuschauen! Warum macht man auf der Bundes-bene nicht etwas Ähnliches?Verfallsautomatismus:Alle Verwaltungsvorschriften sind künftig fünfJahre nach ihrem In-Kraft-Treten daraufhin zuüberprüfen, ob sie weiterhin Bestand haben sollen.ir müssen entsprechende Selbstbindungen des Parla-ents, des Gesetzgebers beschließen, damit auf diesemebiet wirklich einmal etwas passiert.
ir sind zu bequem, wir lassen die Dinge laufen undundern uns dann.Stichwort Genehmigungsverfahren: Was passierteim Richterrecht? Um dort zu fundamentalen Änderun-en zu kommen, müssen wir gemeinsam einen Ansatzerfolgen. Vernünftige Menschen dürften darüber ei-entlich keinen ideologischen Streit führen. Anders ver-ält es sich, wenn man sagt: Dieser Staat ist neugierig;ieser Staat will immer mehr wissen; dieser Staat willmer mehr planen. Das war der Ansatz von Fraukarpelis-Sperk, die im Grunde genommen die Auffas-ung vertreten hat, wir brauchten von allem mehr, bis zuregierungsübernahme von Rot-Grün habe es zu wenigegeben. Das war ihr Vorwurf, ein ganz interessanter
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Hartmut SchauerteBeitrag zum Thema Entbürokratisierung. Dann habenSie ausgerechnet Griechenland als Beispiel genannt. Siemöchten nicht, dass zu diesem Land ein Vergleich gezo-gen wird, was ich bei Ihnen persönlich gar nicht ver-stehe. Das ist doch in Ordnung, es ist keine Diskriminie-rung anderer Länder!Wir können heute feststellen, dass diejenigen Länder,die weniger Bürokratie haben, arbeitsmarktpolitisch,wirtschaftspolitisch und wachstumsmäßig erfolgreicherals diejenigen sind, die viel Bürokratie haben.
Gerade deswegen sollten wir uns mit diesen Länderneinmal vergleichen und uns die Fragen stellen: Warumfunktioniert es denn da und warum ist es bei uns so kom-pliziert? Ich will das nicht vertiefen.Uns in der Union wäre sehr lieb, wenn diese kleineDebatte dazu beitragen würde, dass wir anfangen, diesesThema wirklich ernst zu nehmen. Wir haben bei keinemThema in der Vergangenheit so viel gelogen wie bei demdes Bürokratieabbaus. Wir alle haben darüber geredet;aber wir alle sind die Lösung dieses Problems nichtwirklich konsequent angegangen und wir alle habennicht mutig in die Strukturen eingegriffen, weil wir Poli-tiker uns diesbezüglich fast ohnmächtig fühlten. Ichmöchte nicht, dass das so weitergeht.Ich will, dass wir gemeinsam mit den Beamtenappa-raten diesen Moloch ausdünnen, um die Bürokratieschlanker, effektiver und beherrschbarer zu machen.Fangen Sie damit an! Unsere Gebete, unsere Hoffnungenund unsere besten Wünsche begleiten Sie. Wir werdenSie nicht stören. Aber seien Sie einmal ein bisschen mu-tig!Herzlichen Dank.
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/752 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstan-
den? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung auch
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Margrit Wetzel, Klaus Brandner, Doris
Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Thea
Dückert, Volker Beck , Hans-Josef Fell,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Nutzung von Geoinformationen in Deutsch-
land voranbringen
– Drucksache 15/809 –
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2003 3327
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Dr. Margrit Wetzel– Danke für die Unterstützung. Sie gilt den Mitarbeite-rinnen und Mitarbeitern der Ministerien.Nun zum Blick nach vorn; denn wir als Parlamentwollen ja unterstützen. Bund, Länder und Kommunensind die größten Halter und Erheber unterschiedlichsterGeodaten. Nutzer oder Anwender orientieren sich aberweder an Ländergrenzen noch am föderalen System oderan der kommunalen Selbstverwaltung. Nutzer erwartenTransparenz, schnellen, einfachen und preiswerten Zu-gang zu allen Daten, die zudem kompatibel, miteinanderverknüpfbar und für vielseitige Nutzungen verfügbarsein sollen. Weil wir immer wieder feststellen, dass dasleider noch nicht umfassend möglich ist, sondern insbe-sondere die unterschiedlichen Zuständigkeiten zu Stol-persteinen werden, bitten wir die Bundesregierung, unseinen Bericht darüber zu geben, welche Probleme bei derKoordination des Geoinformationsmarkts auf Bundes-und Länderebene noch bestehen.Wir wollen Transparenz und einfache Weitergabe vonDaten möglich machen. Das Informationsfreiheitsgesetz,das wir so bald wie möglich in den Bundestag einbrin-gen wollen, aber auch E-Pricing-Modelle mit einheitli-chen Abgaberegelungen sollen die Eintrittsbarrierenbeim Geoinformationsmarkt senken. Möglicherweisekann es über das Internet sogar zu einer unentgeltlichenGrundversorgung mit Geodaten kommen; das wollenwir zumindest gern geprüft wissen.Sicherlich besteht auch Konsens darüber, dass in dasNotfallvorsorgeinformationssystem, dessen Geofachda-ten überwiegend von den Ländern erfasst werden, allenotwendigen und wichtigen Daten einfach und schnelleingebracht werden und sowohl Bundes- als auch Län-derbehörden zur Verfügung stehen müssen.Wir nehmen die Aktivitäten auf der Arbeitsebene vonBund und Ländern, die die Entwicklung des Geodaten-markts voranbringen, mit großer Zufriedenheit zurKenntnis und bitten deshalb die Bundesregierung, dieseBemühungen durch die Einladung der Länder zu einerstrategischen GDI-Deutschland-Konferenz zu unterstüt-zen.Die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft – das hatauch die vom Bundeswirtschaftsminister in Auftrag ge-gebene Studie gezeigt – kann intensiviert werden undNutzen für alle Beteiligten bringen. Dies sollte zum ei-nen durch Public Private Partnership geschehen, in dersich Kreativität, Flexibilität und Marktnähe der kleinenund mittleren Unternehmen voll entfalten können. Zumanderen wird – davon gehen wir aus – der wechselseitigeAustausch des IMAGI mit der Wirtschaft in einem Kura-torium neue Impulse und Transparenz für beide Seitenbringen und dazu führen, dass Angebot, Nachfrage undEntwicklung des Geoinformationsmarkts noch besser anden Bedürfnissen der Anwender und den Möglichkeitender Anbieter ausgerichtet werden.Die Benennung eines Government-to-Business-Mo-derators als zentralen Ansprechpartner des Bundes fürVerwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft, der auch dienationalen Interessen Deutschlands in der Geoinformati-onswirtschaft vertritt, halten wir für hilfreich. In diesemZvdKfmshSvaustAluWadPHsfgDEfhDmrHlgnpwDnzhw
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Vera Dominke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!eit gestern liegt uns der Antrag von Rot-Grün „Nutzungon Geoinformationen in Deutschland voranbringen“uf dem Tisch. Ein hehres Ziel, ein Ziel, dem auch wirns verpflichtet fühlen, ein Ziel, dessen parlamentari-che Behandlung die Fraktion der CDU/CSU in der letz-en Legislaturperiode vor drei Jahren mit ihrer Großennfrage „Nutzung der Geoinformationen in Deutsch-and“ angeschoben hat.Worum geht es dabei? Geoinformationen sind orts-nd raumbezogene Daten, die heute auf allen Ebenen, inirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung, und in unserller täglichem Leben von Bedeutung sind: ob Radwan-erkarte oder Raumplanung, ob Navigationssystem imKW oder Landesverteidigung, ob Naturschutz oderochwasserkatastrophe – in nahezu allen Bereichen ba-ieren die entscheidenden Daten und Systeme auf Geoin-ormationen. In der Geoinformation steckt ein gewalti-es wirtschaftliches Potenzial, das darauf wartet, ineutschland stärker als bisher aktiviert zu werden.Vor zwei Jahren hatte die CDU/CSU-Fraktion einenntschließungsantrag eingebracht, der konkrete und ziel-ührende Maßnahmen hierzu beinhaltete. Rot-Grün ver-inderte die Verabschiedung dieses Antrages.
er Parlamentarische Staatssekretär Körper sprach da-als mit großen Worten davon, wofür die Bundesregie-ung alles sorgen werde.
eute, gerade einmal zwei Jahre später, scheint urplötz-ich die Untätigkeit der Bundesregierung so dramatischeworden zu sein, dass sich die Koalitionsfraktionen ge-ötigt sehen, in nur zwei Tagen einen Eilantrag durchzu-eitschen, in dem die Bundesregierung aufgefordertird, tätig zu werden.
as tut auch Not. Wurde vor zwei Jahren von Rot-Grünoch begrüßt, dass der IMAGI die Konzeption eines effi-ienten Geodatenmanagements des Bundes erarbeitetabe und gegenwärtig mit dessen Umsetzung befasst sei,ird in dem heute vorliegenden Antrag als deutlicher
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Vera DominkeFortschritt festgestellt, dass der IMAGI die bereits exis-tierende Konzeption für das Datenmanagement zu einerKonzeption der Dateninfrastruktur weiterentwickelt undeine Strategie für die Umsetzung beschlossen hat. Vonder vor zwei Jahren bevorstehenden tatsächlichen Um-setzung ist heute nicht mehr die Rede.Um zu allen Positionen dieses Antrages etwas zu sa-gen, reicht die Redezeit leider nicht aus. Aber auf einigePunkte will ich hier doch noch kurz hinweisen:An mehreren Stellen dieses Antrages schimmertdurch, dass an der Länderkompetenz für das amtlicheVermessungswesen gerüttelt werden soll. Das ist mit unsnicht zu machen.
Die Forderung nach Einsetzung eines Kuratoriums,um die Wirtschaft stärker einzubeziehen, erscheint äu-ßerst unausgegoren. Was soll ein solches Kuratoriumtun? Wer soll ihm angehören? Welche Kompetenzensind ihm zugedacht? Sinnvoller wäre es zum Beispiel,den IMAGI zu einer Arbeitsgruppe umzugestalten, in dieWissenschaft, Wirtschaft und, viel stärker als bisher, dieLänder integriert werden, statt eine zusätzliche dritte In-stitution einzurichten.
Statt die Benennung eines G2B-Moderators zu for-dern, wie es im Antrag steht – wer weiß schon, was dasist? –, sollte besser die Forderung, die auch der Dachver-band DDGI stellt, nach einem hochrangigen Beauftrag-ten umgesetzt werden.
– Das steht im Antrag noch nicht drin.Was ist mit der „partnerschaftlichen Zusammenarbeitmit KMU im Bereich des Vertriebsstrukturenaufbaus“gemeint? Was steckt in Wirklichkeit dahinter?Schließlich ein letztes Beispiel für die Unausgegoren-heit dieses Antrages. Im Forderungskatalog für die Bun-desregierung erscheint die baldige Verabschiedung einesInformationsfreiheitsgesetzes. Meine Damen und Her-ren, seit wann verabschiedet die Bundesregierung Ge-setze? Das fällt noch immer in die Kompetenz diesesHauses.
Es liegt auf der Hand, dass dieser Antrag in keinerWeise beschlussreif ist. Er bedarf der gründlichen Bera-tung im Fachausschuss. Das Thema ist viel zu wichtigund zu bedeutsam, um es in einer Hopplahopp-Aktiondurchzupeitschen. Verehrte Kolleginnen und Kollegenauf der linken Seite des Hauses, warum eigentlich dieseEile? Was treibt Sie zu solcher Hektik? Warum fürchtenSie die Diskussion im Ausschuss? Honi soit qui mal ypense.Wir beantragen Ausschussüberweisung, um im Fach-ausschuss mit der gebotenen Gründlichkeit eine rundeSache zu erarbeiten, die die Geoinformationen inDFilsReblzzsagoksmrdGsBUslMgSldigVdGEKstwGz
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Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ulrike Flach.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vor-
liegende Antrag enthält eine Reihe von richtigen und
sinnvollen Aussagen und Forderungen,
denen natürlich auch die FDP zustimmen kann, zumal
wir in der Vergangenheit eine ganze Reihe von entspre-
chenden Anträgen zu diesem Thema gestellt haben, die
von Ihnen – so ähnlich konnte es Frau Dominke bei An-
trägen der CDU/CSU-Fraktion erleben – natürlich global
abgelehnt wurden.
Frau Dr. Wetzel, ich schätze Ihr Engagement auf die-
sem Gebiet. Wir wollen alle gemeinsam zum Erfolg
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Liegt es wirklich daran, dass sich die Länder nach wievor nicht bewegen? Warum müssen wir uns immer wie-der mit Forderungen dieser Art auseinander setzen? Icherwarte von Herrn Körper, dass er uns einmal sagt, wo-ran es hapert.
Wer ist denn wirklich schuld? Ich erwarte natürlich mitSpannung, was Sie uns gleich erzählen werden.Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass Sie das Anträge-schreiben lassen und dass Sie handeln. Denn natürlichsind wir mit Ihnen der Meinung, dass wir Geoinformati-onen brauchen – und das schnell.
Für die Bundesregierung spricht jetzt der Parlamenta-
rische Staatssekretär Körper. Er kann dann gleich auf
Ihre Fragen antworten.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ichglaube, in dem vorliegenden Antrag wird ein guter Über-blick über die zahlreichen Maßnahmen der Bundesregie-rung gegeben, die seit der letzten Entschließung in die-sem Zusammenhang im Geoinformationswesen erreichtwurden. In ihm wird der Entwicklungsstand der ange-strebten und teilweise im Aufbau befindlichen Geoda-teninfrastruktur sehr deutlich aufgezeigt. Die Geodaten-iFmrgrMdmh„ndizraiwnGgusurdtd–Szoordmtwavsldfw
Ich finde es sehr erfreulich, dass das aufgebauteetainformationssystem für Geodatenbestände des Bun-es nach einem erfolgreichen Probelauf schon im Som-er dieses Jahres in den Wirkbetrieb gehen wird. Schoneute ist dieses Metainformationssystem, in dem manDaten über Daten“ erhält, für jedermann über das Inter-et verfügbar. Dies ist eine sachdienliche Maßnahme,ie wir durchgeführt haben. Im Augenblick ist dies nochn eingeschränkter Form möglich. Deshalb ist schon derweite Schritt in Angriff genommen worden: In Koope-ation mit einigen Ländern wird eine Verknüpfung deruf Landes- und kommunaler Ebene vorhandenen Meta-nformationssysteme entwickelt und erprobt. Dies ist eineiterer, konkreter Schritt.Bei der Harmonisierung und Optimierung der admi-istrativen Vorgaben für den Bezug und die Abgabe voneodaten wurde ebenfalls ein großer Schritt nach vorneetan. Die Rahmenrichtlinie des IMAGI für „Entgeltend Abgabebedingungen für Geodaten“ wurde verab-chiedet. Sie ist im Januar dieses Jahres in Kraft getretennd gilt für alle Bundesbehörden. Darin wird unter ande-em eine Kategorisierung von Geodaten vorgenommen,ie nach Grundversorgung, Standardversorgung und auf-raggeberspezifischer Versorgung gegliedert wird.Verbunden sind diese Kategorien mit einer Festlegunger Entgelte.
Frau Flach, wenn Sie etwas fragen wollen, dann stellenie eine Zwischenfrage! – Jeder Nutzer kann dem der-eit erstellten Geodatenkatalog des Bundes entnehmen,b die für ihn interessanten Geodaten kostenfrei sindder mit welchen Kosten er beim Bezug der Geodaten zuechnen hat.Zur Förderung und Weiterentwicklung der Anwen-erfreundlichkeit der Geodateninfrastruktur Deutschlandöchte ich hervorheben, dass ganz intensiv an der Fer-igstellung des Internetportals GeoPortal.Bund gearbeitetird. Auch der weit größere, erweiterte Teil des Portals,us dem nicht nur Metadaten, sondern auch Geodatenerfügbar sind, soll noch im Herbst öffentlich verfügbarein. Schon im Sommer dieses Jahres wird auch das On-inebestellsystem des Geodatenzentrums des Bundes,as der Öffentlichkeit auf der CeBIT vorgestellt wurde,reigegeben werden. Sie sehen, es geht voran und esird konkret gehandelt. Das ist gut so.
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Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf KörperEs gibt noch andere Initiativen und Entscheidungen,auf die ich jetzt nicht näher eingehen möchte. Den For-derungskatalog aus dem Antrag möchte ich insbesonderedazu nutzen, um auf die Verbesserungsfähigkeit der Ko-ordinierung des Geoinformationssystems beim Aufbauder Geodateninfrastruktur hinzuweisen. Ich halte die la-pidare, fast polemische Bemerkung der CDU-Kolleginzu den Zuständigkeiten von Bund und Ländernschlichtweg für falsch.
Für die Zwischenfrage des Kollegen Reichenbach binich sehr dankbar: Ein Geodateninformationssystem istnur so gut wie die Daten, mit denen es unterfüttert wird.Dafür sind auch die Länder zuständig. Es darf nicht derBeliebigkeit der Länder überlassen bleiben, welche In-formationen hinzukommen. Es geht in der Tat um eineverbesserte Koordinierung. Das ist der Kern dieses An-trages, den wir umsetzen wollen.
Ich will nicht über Schuld oder Nichtschuld sprechen.Das wäre völliger Käse. Ich will die Verantwortlichkei-ten benennen, die es in diesem Zusammenhang gibt. Ichwill nicht den Eindruck erwecken, dass es falsche Ver-antwortlichkeiten gibt. Die Länder sind mit im Boot undhaben es mit in der Hand, ob es funktioniert oder nicht.Der Bund hat seine Hausaufgaben erledigt. Wir werdendiese wichtigen Zugangsmöglichkeiten weiterentwi-ckeln.
Dafür brauchen wir die Mitarbeit aller und keine polemi-schen Bemerkungen.Vielen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Marion Seib.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenKolleginnen und Kollegen! Wer oder was hat Sie, ge-ehrte Damen und Herren von Rot-Grün, eigentlich auf-geweckt? Der Weckvorgang hat Sie offensichtlich so er-schreckt, dass Sie glatt vergessen haben, dass wichtigeThemen von nationaler Bedeutung zuerst im zuständigenAusschuss diskutiert werden müssen.
Oder ist Ihnen vielleicht gar nicht mehr bewusst, welcherAusschuss für das Thema Geodaten zuständig ist? Woll-ten Sie dem Wirtschaftsausschuss oder dem Innenaus-schuss das Thema nicht anvertrauen, sodass Sie sofortmit Hektik im Bundestag einen Antrag einbringen muss-ten?fHKDkdudEfJDvdrAtdsgVKprVhzvpmAV„bDBdrtwGhvupsZ
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– Drucksache 15/811 –
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
einen Widerspruch, dann verfahren wir auch so.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
er Abgeordnete Hermann Scheer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die bei-en Anträge stehen in einem gedanklichen Zusammen-ang, wie sich unschwer feststellen lässt. Ich möchte so-ohl dazu, welchen Sinn die Konferenz hat, als auch zuRENA, der Internationalen Agentur zur Förderung derrneuerbaren Energien, einige begründende Worte sa-en. Ich möchte auch sagen, warum wir vonseiten desarlaments die Initiativen unterstützen und vorantreibenollten.1992, als die Agenda 21 verabschiedet worden ist,ehlte in diesem berühmten und ansonsten sehr wichti-en und guten Dokument die Bezugnahme auf das Welt-nergieproblem, obwohl es das Schlüsselproblem für dieeltökologie und für die Entwicklung vieler Länder vonntscheidender Bedeutung ist. Bekanntlich geht ohnenergie nichts. Es ist unvorstellbar und auch vom Poten-ial her unmöglich, die Energieversorgung, wie sie heuteominant ist und bei der die Industrieländer die meistenergie verbrauchen, auf die ganze Welt zu übertragen.Zehn Jahre später wurde auf der Rio-plus-10-Konfe-enz in Johannesburg dieser Mangel der Agenda 21 beho-en. Es bildete sich sogar eine andere Art der Koalitioner Willigen, eine Gruppe von Ländern – inzwischenind es über 100 –, die gesagt haben: Wir müssen hier so-ar mehr tun, als in dem Schlussdokument von Johan-esburg vereinbart wurde. Aber die Situation ist nun ein-al so: Auch wenn der Geist inzwischen willigereworden ist, sind die Initiativen, bezogen auf die inter-ationale Situation, noch weitgehend schwach. Weltweitächst der Energiebedarf immer noch wesentlich schnel-er als der Zuwachs der Nutzung Erneuerbarer Energien,bwohl es zwei objektive Grenzen des herkömmlichennergieeinsatzes gibt, die mit der Reservelage und miter Belastbarkeit der Ökosphäre zusammenhängen.Deswegen wird diese Konferenz im Wesentlichenier Aufgaben haben:Erstens. Das Zutrauen in die weit unterschätztenöglichkeiten der Erneuerbaren Energien muss gestärkterden.
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Dr. Hermann ScheerZweitens. Es darf nicht nur darüber diskutiert werden,welche Nachteile finanzieller oder ökonomischer Art– vermeintliche ökonomische Belastungen – es unmög-lich machen würden, beschleunigt Erneuerbare Energieneinzuführen. Gesprochen werden muss auch über dieökonomischen Vorteile umfassender Art, damit sie denEntscheidungsträgern und den Gesellschaften dieserWelt klar werden. Angesichts der extremen Energieim-portabhängigkeit von Drittweltländern, die sich diese garnicht mehr leisten können, muss neben dem umweltpoli-tischen Aspekt auch über den entwicklungspolitischenAspekt gesprochen werden.
Drittens. Da, wo Initiativen stattgefunden haben,müssen die Erfolge der Politik einem Vergleich unterzo-gen werden, damit im Sinne eines produktiven Weltföde-ralismus der eine vom anderen die guten Ansätze lernenkann.Viertens. Es muss darüber gesprochen werden, wasaus eigener Kraft realisiert werden kann. Denn es ist un-denkbar, die Weltenergieversorgung nur mit den her-kömmlichen Methoden gesonderter Förderprogrammeoder Subventionen auf Erneuerbare Energien umzustel-len, was das eigentliche Ziel ist. Die Wirtschaftsordnun-gen müssen sich darauf entsprechend einrichten, geradewenn sie die Vorteile erkennen.Was die Einrichtung einer Internationalen Agentur fürErneuerbare Energien angeht, so ist dafür ein zwingen-des Erfordernis gegeben, das international bisher nochnicht ausreichend erkannt worden ist. UN-Organisatio-nen haben viele Aufträge, aber sie sind nicht auf dieseFrage spezialisiert, auch nicht von ihrem Statut her. Esgibt im internationalen Institutionensystem eine Reihevon Regierungsorganisationen, die sich mit der Energie-versorgung beschäftigen, etwa die Internationale Atom-energieagentur, die sich die Atomenergieförderung zurAufgabe gemacht hat, oder die Internationale Energie-agentur, deren eigentliche Aufgabe die Sicherheit derVersorgung mit fossilen Energien ist. Eine Regierungs-organisation – nur um diese geht es mir; Nichtregie-rungsorganisationen für erneuerbare Energien gibt eskontinental und weltweit – für diesen speziellen Bereichgibt es aber noch nicht.Es ist ein nicht mehr tragbarer Zustand, dass sich derFörderung der Energien, auf denen die Hoffnung derWelt liegt und liegen muss, keine institutionelle Kraftwidmet, die dies vorantreibt. Mit der Einrichtung einersolchen Agentur geht es zunächst einmal darum, die „in-stitutionelle Waffengleichheit“, um den Begriff hier ein-mal zu benutzen, herzustellen. Eine Agentur, die von ih-ren Statuten her auf Erneuerbare Energien konzentriertist, wäre weltweit ebenso ein Signal, wie es in den 50er-Jahren, als man die Weltenergiezukunft noch bei derAtomenergie suchte, die 1957 gegründete InternationaleAtomenergieagentur war. Wer die Notwendigkeit einerIRENA bestreitet, müsste konsequenterweise – das mussman allen sagen – gleichzeitig die Forderung erheben,die Internationale Atomenergieagentur aufzulösen,zptsEdwwAdrMElbtibrdswShMmtMa1bgsswidgVEsmt
umindest soweit es um ihr technisches Entwicklungs-rogramm geht. Wir leisten jährlich einen Mitgliedsbei-rag in Höhe von 25 Millionen Euro. Die Hälfte des ge-amten Budgets der IAEA geht in die technischenntwicklungsprogramme, also in die Ausbildung undas Training von Wissenschaftlern und Experten – welt-eit, bis nach Afrika, obwohl dort nie ein solches Kraft-erk stehen wird –, welche sich der Förderung dertomenergie widmen.Eine solche Agentur muss wesentlich dazu beitragen,ass das überwunden wird, was eine weltweite Einfüh-ung Erneuerbarer Energien hauptsächlich verhindert.an braucht für eine weltweite Einführung Erneuerbarernergien aufgrund ihres dezentralen Charakters näm-ich viele Menschen, die damit umzugehen gelernt ha-en. Es muss die Ausbildung von Ingenieuren, Architek-en, Handwerkern und Wissenschaftlern – das, was mannternational die „human capacity“ nennt – vorangetrie-en werden. Das ist eine globale Ausbildungsaufgabe.Es geht nicht um Projektförderung oder die Finanzie-ung; dafür gibt es schon Institutionen. Es geht darum,ass man subsidiär dort tätig wird, wo bisher nichts ge-chehen ist. Es gibt zwar hier und dort Initiativen, aberenn man die globale Landkarte betrachtet, ist in dieserchlüsselfrage eigentlich bisher noch nicht viel gesche-en. Deshalb bedürfen wir einer solchen Initialzündung.it dieser deutschen, aber weltweit angelegten Initiativeachen wir einen großen Schritt nach vorne. Sie ist in-ernational angelegt. Alle Länder sind eingeladen, dortitglied zu werden, auch wenn dem am Anfang nichtlle folgen werden. Bei der IAEA waren es am Anfang7 Mitglieder, nun sind es 130. Diese Entwicklung wirdei der Agentur für Erneuerbare Energien mindestensenauso positiv sein.Danke schön.
Das Wort hat die Abgeordnete Kristina Köhler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die ent-cheidende Frage in der heutigen Debatte ist nicht, ob esinnvoll ist, den Transfer Erneuerbarer Energien in Ent-icklungs- und Schwellenländer zu fördern. Natürlichst das sinnvoll;
enn die Sicherstellung einer Versorgung mit nachhalti-er Energie in diesen Ländern ist eine der grundlegendenoraussetzungen für deren wirtschaftliche und sozialentwicklung, für Armutsbekämpfung und Friedens-icherung sowie für die Erschließung künftiger Export-ärkte, wovon nicht zuletzt die westlichen Industriena-ionen profitieren werden. Die entscheidende Frage ist
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3334 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2003
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Kristina Köhler
vielmehr, mit welchen Instrumenten und mit welchenKosten-Nutzen-Relationen wir das tun wollen.
Wir müssen also die verschiedenen Instrumente mit-einander vergleichen und gegeneinander abwägen. Ge-nau das vermisse ich in Ihrem Antrag. Wenn es Ihnentatsächlich um Klimaschutz, Ressourcenschonung, Ar-mutsbekämpfung und eine langfristige Energieversor-gung gehen würde, wie Sie in Ihrem Antrag schreiben,dann würde sich die von Ihnen geplante Agentur nichtausschließlich dem Transfer Erneuerbarer Energien wid-men.
Der Aufbau einer Versorgung mit Erneuerbaren Energienist Teil eines nachhaltigen Energieversorgungskonzeptes,aber eben nicht mehr als ein Teil. Die einseitige Ausrich-tung auf Erneuerbare Energien ist der falsche Weg, umeine nachhaltige Energieversorgung sicherzustellen.
Was ist beispielsweise mit den immensen CO2-Ein-sparpotenzialen, die durch die Weiterentwicklung fossi-ler Technologien erreicht werden können, was teilweisewesentlich kostengünstiger ist als der Ausbau bei denErneuerbaren Energien? Wollen Sie dies den Entwick-lungsländern vorenthalten?
Was ist mit den konventionellen Energien, die Ressour-cen schonend und wirtschaftlich eingesetzt werden kön-nen, was in den Entwicklungsländern sehr sinnvoll seinkönnte? Davon ist in Ihrem Antrag kein Wort zu finden.Wirtschaftlichkeit und Kosteneffizienz gehören auchzu einer nachhaltigen Energiepolitik und dürfen nichthinter ideologischen Scheuklappen und einer unkriti-schen Euphorie für Erneuerbare Energien verschwinden.
Wirtschaftlichkeit und Kosteneffizienz werden wiraber nur mit einem Energiemix erreichen sowie mit eineran Effizienzgesichtspunkten orientierten Förderung Er-neuerbarer Energien. Wir wollen doch nicht auf interna-tionaler Ebene die Fehler wiederholen, die wir inDeutschland mit unserer Subventionspolitik beispiels-weise bei der Windenergie machen. Diese Art der Sub-ventionspolitik ist kein Exportschlager.
Neben einer differenzierten Betrachtungsweise ver-misse ich bei Ihnen auch eine realistische Bestandsauf-nahme. Eine Initiative zur Gründung einer internationa-len Agentur zur Förderung Erneuerbarer Energien ist janun kein sonderlich origineller Gedanke.
Es gibt weltweit sehr viele Institutionen und Projekte,die sich dieser Frage widmen. Ich möchte Ihnen nur fünfdavon nennen: Es gibt erstens das Deutsche Windener-gATgDdsdeüvdndsdvDIZtüeisszbdBbUveinjewTSgahpus
ieser Meinung ist übrigens auch das Darmstädter Öko-nstitut.
ugegeben: Eine neue Agentur zu schaffen lässt sich na-rlich sehr viel publikumswirksamer inszenieren, alsine Institution auszubauen, die es bereits gibt. IRENAt ja auch ein sehr schöner Name. Wir sollten uns vonchönen Namen aber nicht zu viel versprechen. Dieseigt ebenfalls die vor allen Dingen durch Wohlklangeeindruckende Task Force Erneuerbare Energien,ie 2001 von der G 8 auf der Weltenergiekonferenz inuenos Aires initiiert wurde. Damals wurde ein Finanz-edarf bis zum Jahre 2020 von mehreren 100 MilliardenS-Dollar veranschlagt. Schauen wir in den Koalitions-ertrag, stellen wir fest, dass Sie für den Ausbau Erneu-rbarer Energien und die Steigerung der Energieeffizienz den Entwicklungsländern in den nächsten fünf Jahrenweils 500 Millionen Euro veranschlagen. Dies ist nunirklich nur ein äußerst kleiner Bruchteil der von derask Force Erneuerbare Energien veranschlagtenumme. An dieser Stelle zeigt sich, wie weit der rot-rüne Anspruch und die finanzielle Wirklichkeit ausein-nder klaffen.
Wenn Nachhaltigkeit mehr sein soll als eine Wort-ülse, dann müssen wir die umwelt- und entwicklungs-olitischen Instrumente einer Kosten-Nutzen-Analysenterziehen. Einer solchen Analyse hält IRENA nichttand.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2003 3335
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Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Michaele Hustedt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Vor-
bereitungen für die Internationale Konferenz für Erneu-
erbare Energien, zu der Bundeskanzler Schröder in Jo-
hannesburg eingeladen hat, laufen auf Hochtouren. Über
100 Länder haben schon signalisiert, dass sie dabei sein
wollen. Mit ihnen zusammen werden wir die Agenda
dieser internationalen Konferenz festlegen.
Ich glaube, das ist ein bedeutender Hoffnungsschim-
mer. Wenn wir in die Zeit nach dem großen Aufbruch in
Rio zurückblicken, stellen wir fest, dass die Umweltkon-
ferenzen deutlich an Dynamik verloren haben. Nunmehr
haben wir einen neuen Ansatz gewählt, indem wir sagen:
Lasst uns diejenigen zusammensuchen, die nicht immer
über die Lasten klagen, wenn es um den Klimaschutz
geht, sondern die sich – zum Beispiel für die wirtschaft-
liche Entwicklung – auch etwas davon versprechen.
Bundeskanzler Schröder hat der Staatengemeinschaft
diesen Ansatz angeboten. Dieser wird auch aufgegriffen,
aber leider nicht von Ihnen. Ich finde es sehr bedauerlich
und schade, dass Sie sich an der IRENA abgekämpft
– dazu sage ich gleich noch etwas –, zur Konferenz aber
kein einziges Wort gesagt haben.
Ich möchte Sie ausdrücklich dazu einladen, dass wir als
Parlament diese Konferenz gemeinsam begrüßen, auf
den Weg bringen und positiv begleiten.
Mit dieser Konferenz wollen wir zeigen, dass sich
Klimaschutz auch wirtschaftlich lohnt und er eine
Chance für die wirtschaftliche Entwicklung bietet. Er
bietet die Chance, vom Öl wegzukommen; das ist aktuell
eine sehr wichtige Diskussion. Wir müssen die Abhän-
gigkeit von krisengeschüttelten Regionen überwinden.
Im „long run“ wollen wir erst 50 Prozent und dann
100 Prozent der Bevölkerung mit Strom, Wärme und
Treibstoff von heimischen Erneuerbaren Energieträgern
versorgen. Wir wollen auch aufzeigen, dass die Erneuer-
baren Energien ein großes Potenzial zur Bekämpfung
der Armut haben. Viele Menschen in der Welt sind eben
noch nicht an große Energieversorgungssysteme ange-
schlossen. Die dezentralen Erneuerbaren Energien bieten
eine gute Chance, diese Menschen preiswert in den Ge-
nuss von Strom und Wärme kommen zu lassen.
Wir hoffen, dass diese Konferenz eine Aufbruchstim-
mung initiiert, damit die Staaten zusammenarbeiten und
Bremser keine Chance mehr haben, um so den Klima-
schutz voranzutreiben.
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ine entsprechende Institution für die fossilen Energien
falls Sie das nicht wissen – gibt es doch längst.
Die IRENA soll in bilateralen Gesprächen gegründet
erden. Wir werden versuchen, möglichst viele Staaten
avon zu überzeugen, diese internationale Agentur mit
ns zusammen zu gründen. Sie soll vor allen Dingen
azu dienen, den Technologie- und den Know-how-
ransfer zu organisieren. Hermann Scheer hat eben
ollkommen richtig gesagt, dass es einen großen Unter-
chied macht, ob man große Kraftwerke baut oder de-
entral Erneuerbare Energien einsetzen möchte. Es
edarf umfassender Schulungsprogramme für die Men-
chen vor Ort, damit sie eine Biogasanlage auch fahren
önnen; denn so einfach ist das nicht.
Die IRENA soll darüber hinaus dazu dienen, den
rive, der von dieser Konferenz ausgeht, kontinuierlich
eiterzutragen, damit auf diese Weise neue Impulse und
ebatten über die richtigen Instrumente angeregt wer-
en. Es ist nun nicht mehr die Zeit, darüber zu diskutie-
en, ob wir eine IRENA brauchen, sondern es ist Zeit,
ie Ärmel hochzukrempeln, um mit den Ländern der
elt, die mit uns gemeinsam vorangehen wollen, diese
nstitution zu gründen.
Danke.
Es spricht jetzt die Abgeordnete Angelika
runkhorst.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-egen! Im Sinne einer guten internationalen Politikkoor-inierung bestehen bei der FDP gegen die Internationaleonferenz zur Förderung Erneuerbarer Energien, die fürächstes Jahr in Bonn geplant ist, prinzipiell keine Be-enken. Ich muss allerdings dazu sagen, dass uns dieile und die Kombination mit dem Antrag zur IRENA,er Internationalen Agentur zur Förderung Erneuerbarernergien, stutzig macht. Wir fragen uns in diesem Zu-ammenhang: Gibt es nicht schon genügend außerparla-entarische Gremien in Deutschland, deren Bedeutung
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3336 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2003
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Angelika Brunkhorstoftmals wirklich fragwürdig ist? Die FDP kritisiert, dassunter dieser Regierung verstärkt eine Entparlamentari-sierung politisch wichtiger Entscheidungsbereiche statt-findet.
Die Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen derSPD und des Bündnisses 90/Die Grünen haben uns alsomit der IRENA noch kurz vor Ostern ein Kaninchen ausdem Hut gezaubert. Das stellt sich für uns so dar: Wirmüssen noch schnell einen Antrag machen, damit wirdas Parlament im Boot haben und frei nach dem Mär-chen vom Hasen und dem listigen Igel sagen können:Wir sind schon hier. Ich meine, es mangelt Ihnen an dergebotenen Sorgfalt.
Erstens. Die Einrichtung dieser Internationalen Agen-tur ist präjudizierend für ähnliche Einrichtungen in ande-ren Politikbereichen.
Eine Gründung ist mit erheblichem Finanzbedarf ver-bunden, und zwar bei einem ständig sinkenden Umwelt-budget.Zweitens. Die Frage, ob man die IRENA überhauptbraucht oder ob diese Funktion nicht von dem ohnehingeplanten Begleitkreis für die internationale Konferenzin Bonn übernommen werden kann, stellt sich hier ganzdringend. Da die Kollegin von Bündnis 90/Die Grünen,Frau Hustedt, eben erklärt hat, IRENA sei so wichtig,frage ich mich: Warum wurde der Antrag nicht dem übli-chen Beratungsverfahren im Umweltausschuss unterzo-gen?Drittens. Eine Spezialagentur für spezifische Energie-arten leidet aus Sicht der Liberalen an demselben Man-gel wie das EEG insgesamt: Es werden selektiv einzelneEnergieformen bevorzugt. Dies führt zu einer Ungleich-behandlung der Energieträger, die wir uns angesichts deranstehenden Probleme der globalen Klima- und Energie-politik nicht leisten können.Lassen Sie mich das präzisieren: Zum einen wissenwir nicht, was IRENA eigentlich kosten soll. Das wollenSie der Regierung überlassen. Dieses Vorgehen ist nichtrechtmäßig. Ich denke, wenn der Bundestag über dieEinrichtung der Agentur abstimmen soll, müssen Siedem Parlament einen bezifferbaren Vorschlag machen.
Zum anderen ist der Antrag, wie ich meine, parlamenta-risch unangemessen, weil Sie es ohne weiteres der Re-gierung überlassen wollen, die Agentur einzusetzen.Eine weitere Spezifizierung findet nicht statt.
ImaKbCisdeAe–EnOgDüggBSIinvksicFAdisw
Ich glaube schon. Es hat durchaus mit nachhaltigennergien zu tun. Es geht darum, die Versorgung mitachhaltigen Energien auf internationaler Ebene – ob insteuropa oder in Entwicklungsländern – mit vernünfti-en Konzepten umzusetzen.
arum geht es.
Das bedeutet eigentlich, dass Sie, wenn Sie das EEGberarbeiten wollen, den nachhaltigen Energien eineroße Priorität einräumen wollen. Aus Ihren Ausführun-en geht das aber nicht hervor.Ich verstehe auch Ihre Äußerung nicht, Fraurunkhorst, dass das Parlament nicht beteiligt werde.chließlich können wir die Agentur gar nicht einsetzen.ch denke, dass es richtig ist, einen Antrag einzubringen, dem die Regierung aufgefordert wird, dies zu tun. Da-on sollten wir nicht abrücken. Eine Entpolitisierungann ich nicht erkennen; denn die Parlamentarier sindehr wohl an der Vorbereitung beteiligt. Insofern weißh nicht, worin die Entpolitisierung bestehen soll.Ich möchte noch einige Ausführungen machen. Dieörderung regenerativer Energien ist untrennbar mit derrmutsbekämpfung verknüpft. Wir, die Industrielän-er, tragen dabei eine große Verantwortung. Deswegent es notwendig, dass wir uns gemeinsam mit den Ent-icklungsländern an einen Tisch setzen.
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Anke HartnagelDie Notwendigkeit gemeinsamen Handelns der Welt-gemeinschaft wurde gerade in Johannesburg wiederdeutlich. Bundeskanzler Schröder hat dort zu einer inter-nationalen Konferenz nach Deutschland eingeladen.Schon im kommenden Frühjahr – ich begrüße es, dass esso schnell geht – wird diese Konferenz stattfinden. Dasheißt, diese Bundesregierung nimmt ihre Verantwortungwahr.
Die deutschen Erfolge bei der Förderung ErneuerbarerEnergien sind nicht ohne Grund auf dem JohannesburgerGipfel als weltweit beispielhaft bewertet worden.Zur Konferenz: Wichtig für das Parlament ist – ichhabe das eben bereits ausgeführt –, dass neben der Deut-schen Energie-Agentur, deutschen Organisationen undUnternehmen, die auf dem Gebiet der ErneuerbarenEnergien tätig sind, Umweltschutzverbänden und Organi-sationen der Entwicklungszusammenarbeit auch die Par-lamentarierinnen und Parlamentarier aller Fraktionen indie weitere Vorbereitung der Konferenz einbezogen wer-den. Wir Parlamentarierinnen und Parlamentarier habenalso die Möglichkeit der kritischen und konstruktiven Be-gleitung zur Vorbereitung der Konferenz. Nutzen wirdiese Chance, liebe Kolleginnen und Kollegen, anstattuns zu beklagen, dass wir nicht beteiligt würden!
Mit dieser Konferenz geben wir einen internationalenAnstoß zum weltweiten Ausbau der Erneuerbaren Ener-gien. Zukunftsenergien sind das Mittel, Armut zu be-kämpfen und gleichzeitig Klima und Umwelt zu schüt-zen. Denn eines muss uns allen klar sein: ZweiMilliarden Menschen haben derzeit keinen Zugang zuEnergie. Das muss man sich vorstellen. Dieser Zugangist aber unerlässlich für den wirtschaftlichen Fortschritt,die Entwicklung eines Gesundheitswesens und eines Bil-dungssystems, kurz gesagt: für die Bekämpfung der Ar-mut. Erst wenn es den Entwicklungsländern gelingt, ihreheimische Erneuerbare Energie zu nutzen, werden Sieaus der Energie- und damit aus der Armutsfalle heraus-kommen. Um auch dies klar zu sagen: Atomenergiekann hierbei nicht die Lösung sein.
Auch fossile Energien sind keine Alternative. Wiesich die Abhängigkeit gerade vom Öl auswirkt, könnenwir momentan täglich am Fernseher verfolgen. Wenn dieWeltgemeinschaft die globale Energiewende mit allenihr zur Verfügung stehenden Mitteln einleitet, könnenKonflikte um erschöpfliche – sprich: fossile – Energie-träger vermieden werden. Das verdeutlicht: ErneuerbareEnergien haben eine friedenstiftende Wirkung.
Lassen Sie mich noch einen Punkt unterstreichen. Eskann nicht darum gehen, dass die Industrieländer denEntwicklungsländern ihre Technologien aufdrängen. WirkKwGwfLrtgedBVuwuSuIMiBgufAgkwgSggwmmbbV
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ralf Brauksiepe.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!it zunehmendem Abstand zur Kioto-Konferenz wirdmmer deutlicher, wie bedeutsam die damals gefassteneschlüsse waren, die ganz wesentlich von der damali-en Bundesumweltministerin Angela Merkel geprägtnd initiiert worden sind.
In der Kontinuität dieser Politik sind wir auch heuteest entschlossen, die vorhandenen Potenziale für denusbau Erneuerbarer Energien weltweit zu nutzen. An-esichts von zwei Milliarden Menschen, die weltweiteinen regelmäßigen Zugang zu Energie haben, habenir dazu gar keine Alternative. Deswegen, Frau Kolle-in Hustedt, ist der Begriff der „Waffengleichheit“, denie hier eingeführt haben, der völlig falsche Ansatz. Eseht nicht darum, die einen Energieträger als Waffe ge-en die anderen einzusetzen. Wir brauchen sie alle, wennir zwei Milliarden Menschen ohne Zugang zu Energieit Energie versorgen wollen. Das ist unser Ansatz.
Dabei ist es notwendig, mit dem gebotenen Augen-aß vorzugehen. Ich verstehe, dass Sie uns nicht glau-en, aber ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen, waseispielsweise die Europäische Kommission in derorbereitung des Johannesburg-Gipfels im letzten Jahr
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Dr. Ralf Brauksiepevöllig zu Recht festgestellt hat. Dort heißt es, dass – ichzitiere –der erwartete Anstieg des Energieverbrauchs in denEntwicklungsländern nicht hauptsächlich durch dieerneuerbaren Energien abgedeckt werden kann, diefür viele dieser Länder derzeit unerschwinglichsind.Deswegen ist es so notwendig, sämtliche Maßnahmenzur Steigerung der Energieeffizienz bei allen Energie-trägern weltweit entschlossen zu nutzen.Zur Vollständigkeit dieser Situationsbeschreibung ge-hört eben auch, dass die fossilen Energieträger, die invielen Entwicklungsländern unter günstigen geologi-schen Rahmenbedingungen reichlich vorhanden sind,bei der Energieversorgung der Menschen gerade auch inden Entwicklungsländern eine unverzichtbare Rollespielen und auch in Zukunft spielen werden. Deswegenkann es nicht darum gehen, eine ideologisch geprägteDebatte über Wert oder Unwert einzelner Energieträgerzu führen.
Entscheidend ist doch vielmehr, dass die Energieversor-gung einer weiterhin wachsenden Weltbevölkerung aufNachhaltigkeit aufgebaut wird. Nachhaltigkeit ist aberkein Synonym für Erneuerbare Energien. Auch hier ver-weise ich Sie auf das, was die Europäische Kommission,die Sie in Ihre Planungen einbeziehen wollen, dazu fest-gestellt hat: Die traditionelle Form des Einsatzes von Bio-masse in weiten Teilen Afrikas ist eben nicht nachhaltig.Ähnliches kann man über die Wasserkraft sagen. Außer-dem wird kein verantwortlicher Politiker ernsthaft denVersuch unternehmen wollen, den Entwicklungslän-dern, die sich selbst preiswert mit fossilen Energieträ-gern versorgen können, die Nutzung der vorhandenenPotenziale auszureden. Es geht hier also auch um dieEntwicklung und Verbreitung von Technologien für einemöglichst saubere Nutzung von Kohle, Öl und Gas.Frau Kollegin Hartnagel, Sie waren in der letzten Le-gislaturperiode ja noch nicht Mitglied des AwZ. Deshalbsage ich Ihnen: Der AwZ hat zum Beispiel Anhörungenzum Thema Megacities durchgeführt, die ein immergrößer werdendes Problem in den Entwicklungsländernsind. Man wird nicht alle Megacities nur mit Erneuerba-ren Energien versorgen können. Hier braucht man einensinnvollen Energiemix. Genau um den geht es uns.
Jetzt komme ich auf die für das nächste Jahr geplanteinternationale Konferenz für Erneuerbare Energien zusprechen. Frau Kollegin Hustedt, in meiner Fraktion sindfast fünfmal so viele Abgeordnete wie in Ihrer. Deswe-gen muss nicht jeder von uns – ich bitte um Ihr Verständ-nis – das gesamte Thema abarbeiten. Ich möchte Ihnennur so viel dazu sagen: Wir unterstützen grundsätzlichdiese Konferenz und sind auch bereit, in dem von Ihnenangeregten nationalen Begleitkomitee engagiert mitzuar-bcdas–bpDBBdfi–BsKfKDhldKnSsdgBbsugwh3llb5DdwE
as begann ja mit dem von Ihnen gerühmten Besuch desundeskanzlers in Johannesburg. Der wahlkämpfendeundeskanzler hat seine damalige Rede ganz bewusst ineutscher Sprache gehalten, obwohl Deutsch keine Kon-erenzsprache war. Er hat dies nicht getan, weil er nichtn der Lage gewesen wäre – das war nicht das Problem, einen fünfminütigen englischsprachigen Text vomlatt abzulesen. Er hat das vielmehr getan, weil sicheine Rede nicht in erster Linie an die Teilnehmer deronferenz in Johannesburg, sondern an die deutsche Öf-entlichkeit gerichtet hat. Die Art und Weise, wie Sielimapolitik betreiben, ist das Problem.
aher müssen wir Ihren Antrag ablehnen, in dem Sie be-aupten – ich weiß, das tut weh –, dass der Bundeskanz-er mit dieser Art des Auftretens großen Anklang gefun-en hätte. Seine Art hat auf die Teilnehmer dieseronferenz eher abstoßend gewirkt. Für uns ist es auchicht akzeptabel – um es ganz deutlich zu sagen –, dassie versuchen, durch die Schaffung oder die Nutzungolcher internationalen Ereignisse davon abzulenken,ass Sie Ihre Hausaufgaben nicht erledigen.
Zum Abschluss möchte ich Ihnen ein paar einschlä-ige und beeindruckende Zahlen zu den Ausgaben desundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenar-eit und Entwicklung im Bereich der bilateralen techni-chen und finanziellen Zusammenarbeit im Jahr 1998nd – damit Sie vergleichen und sehen können, wohin eseht – im Jahr 2003 nennen. Die Ausgaben für den Um-elt- und Ressourcenschutz im Entwicklungshilfehaus-alt betrugen 1998 420 Millionen Euro, 2003 nur noch72 Millionen Euro. Für Bildung wurden 1998 146 Mil-ionen Euro ausgegeben. 2003 sind es nur noch 111 Mil-ionen Euro. Die Ausgaben für die Bevölkerungspolitiketrugen 1998 69 Millionen Euro, 2003 nur noch8 Millionen Euro.
ie Ausgaben für Energieerzeugung und -versorgung iner Entwicklungszusammenarbeit – das ist ein ganzichtiger Kernbereich – betrugen 1998 133 Millionenuro. Im Haushalt 2003 sind nur noch 72 Millionen
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Dr. Ralf BrauksiepeEuro eingestellt. Das ist die bittere Realität Ihrer Politik.Wir werden es nicht zulassen, dass Sie von diesem Ver-sagen durch internationale Konferenzen und festlicheEmpfänge ablenken. Nicht Reden, sondern Handeln istgefragt. Darauf kommt es an und daran werden wir Siemessen.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 15/807 mit dem Titel „Internationale Konfe-
renz für Erneuerbare Energien“. Wer stimmt für diesen
Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-
gen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen
worden.
Abstimmung über den Antrag der Fraktionen von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 15/811
mit dem Titel „Initiative zur Gründung einer Internatio-
nalen Agentur zur Förderung der Erneuerbaren Ener-
gien“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt da-
gegen? –
Enthaltungen? – Auch dieser Antrag ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen worden.
Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter H.
Carstensen , Albert Deß, Helmut
Heiderich, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU
Hürden für die Biotechnik abbauen
– Drucksache 15/803 –
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Wider-
spruch erhebt sich dagegen nicht. Dann verfahren wir so.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Abgeordnete Helmut Heiderich.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Zu Beginn der heutigen Plenarsitzung hat der Bun-destag über die technologische Leistungsfähigkeit unse-res Landes debattiert. Dabei sind von führendenPersonen der rot-grünen Koalition deutliche und hehreWorte vorgetragen worden. Zwei Beispiele: „Aus unse-rem Land muss mehr an technologischen Innovationenkommen“, äußerte Ex-Grünen-Chef Kuhn. „Wir wissen,dass Technologie in großem Stil gekauft werden muss,weil wir sie nicht mehr selbst haben“, sagte SPD-Frakti-onschef Müntefering. Seine Folgerung lautete: „EinebngaDsgNazhTdddtBLJuDwbDlt7ns2g–MdrrSsKtArtsMsDbte
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– Verehrte Frau Höfken, interessanterweise hat das sogarIhr Kollege Trittin festgestellt und bestätigt. Wie ich ei-ner Meldung des VWD vom 24. März dieses Jahres ent-nehme – sie ist also ganz aktuell –, hat er Folgendes ge-sagt – ich zitiere –:Auch für die EU-weite Regelung von Schädendurch gentechnisch veränderte Organismen
sei von deutscher Seite kein Bedarf. In Deutschland… sei dieser Bereich durch die zivilrechtliche Haf-tung geregelt.
Also, auch Herr Trittin hat gelegentlich einmal Recht.Ich glaube, dort hat er eine richtige Äußerung getroffen.Ich meine, an dieser Stelle eine neue Diskussion undeine Verzögerungsdebatte zu eröffnen würde Deutsch-land und die Europäische Union von ihren selbst ge-steckten Zielen für den Zeitraum bis 2010 vollends ab-bringen.Wo heute Forschung und Entwicklung verschwinden– dessen müssen wir uns doch immer bewusst sein –,verschwinden morgen auch die Arbeitsplätze.
Ich meine, Sie müssten aus Erfahrung klug gewordensein.Es kann auch nicht hingenommen werden – ich greifeein tagesaktuelles Thema auf –, was die – ich sage dasganz bewusst – Krawallorganisation Greenpeace vor-gestern wieder angestellt hat. Erstmals hat dasRobert Koch-Institut nach ausführlicher wissenschaftli-cher und rechtlicher Prüfung den Versuchsanbau einespilzresistenten GVO-Weizens genehmigt, und das – bittehören Sie gut zu! – für ein Areal von zehn mal 19,5 Me-tern; das entspricht der Größe eines Vorgartens. So vielist vom großflächigen Programm des Kanzlers von derEXPO 2000 offensichtlich übrig geblieben. Damals warvRchpuDggnGümvIInSkdhgGzsnu––nsHandSLsdrn
reenpeace hat sein eigenes Rechtsverständnis, welchesber dem des Deutschen Bundestages steht! Greenpeaceeint aus diesem Verständnis heraus, man könne Feldererwüsten und das Eigentum anderer Leute beschädigen.ch glaube, das kann so nicht hingenommen werden.
ch fordere auch von Ihnen, von den Fraktionen der Grü-en, der SPD, aber auch von der Bundesregierung, dassie sich von diesem Handeln deutlich distanzieren undlar sagen, dass es in Deutschland nicht so weitergehenarf.Man darf nicht immer wieder das Argument hervor-olen – es kam heute Morgen vom Kollegen Fell, dererade gegangen ist –, die Bevölkerung wolle keineentechnik und deswegen brauche man sie nicht weiter-uentwickeln. Dies ist falsch, weil wir seit Jahren Tau-ende Tonnen an gentechnisch erzeugten Futtermittelnach Deutschland importieren und in der Landwirtschaftnd in der Industrie einsetzen.
Ich habe Sie akustisch leider nicht verstehen können.
Verbraucher haben die bestellt – richtig –,
ämlich Verbraucher, die als Landwirte diese Mittel ein-etzen; ich komme gleich noch darauf zurück. Verehrtererr Kollege, Sie werden heute kaum noch einen Käseus dem Regal nehmen können, der nicht mit gentech-isch hergestelltem Lab erzeugt worden ist; Sie wissenas alles.
ie wissen, dass Produkte der Gentechnik längst imande vorhanden sind. Sie behaupten aber immer, dasei etwas, was man in diesem Land nicht einführenürfe.Durch das Moratorium, das durch Ihre Bundesregie-ung mit verursacht ist, haben die Bürger bis heute kei-erlei praktischen Vergleich zwischen Produktlinien un-
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Helmut Heiderichterschiedlicher Art. Deswegen kann man mit diesemArgument im Prinzip gar nicht kommen.Obwohl dieser Vergleich bis heute nicht möglich ist,zeigen die Umfragen aus neuester Zeit, dass die Akzep-tanz der Gentechnik zunehmend größer wird. Das zei-gen nicht nur die Umfragen in Deutschland; das zeigenauch Umfragen in der EU im Übrigen. Sie kennen dieletzte Allensbach-Studie zu diesem Thema. Auch in dergrünen Gentechnik – das ist darin ausdrücklich abgefragtworden – sehen die Menschen inzwischen mehr Vorteileals Nachteile.Wir sind deshalb als Entscheidungsträger aufgeru-fen, dem aktuellen Argument des EU-Forschungskom-missars Busquin vom vergangenen Freitag zu folgen.Busquin hat das folgendermaßen formuliert – ich zi-tiere –:Neue gentechnische Verfahren bieten ein immergrößeres Potenzial für die umweltfreundliche, ver-braucherorientierte Sortenzüchtung.Diesem Argument braucht man nichts hinzuzufügen.In den 90er-Jahren – ich will noch einmal daran erin-nern – haben wir mit dem Bio-Regio-Wettbewerb einetolle Aufholjagd geschafft: Neue Unternehmen entstan-den, Netzwerke wurden geknüpft, private und öffentli-che Forschungsaktivitäten waren weltweit an der Spitzedabei. Auch hierbei lässt es die Bundesregierung anFortsetzung fehlen. Insbesondere fehlt es an Konzepten,um die bisher erreichten Erfolge zu verstetigen und denSpitzenleistungen, die in einzelnen Regionen erreichtworden sind, auch international das Mithalten im Wett-bewerb zu ermöglichen.Dies ist nicht nur eine Frage des Geldes, das ist aucheine Frage der Konzeption und es ist eine Frage desSichkümmerns um die Probleme. Ich möchte Sie vonhier aus dazu aufrufen: Suchen Sie jetzt nicht wiedernach Ausreden, um Entwicklungen zu verhindern, füh-ren Sie nicht wieder Diskussionen auf grundsätzlichenideologischen Ebenen, sondern handeln Sie, um die vonuns und von Ihnen selbst gesteckten Ziele der europäi-schen Agenda 2010 – das Wort ist inzwischen Mode ge-worden – zu erreichen,
damit wir Zukunftsentwicklung und Arbeitsplätze beiuns im Lande schaffen und von den Entwicklungen inanderen Regionen des Erdballs nicht weiter abgehängtwerden! Meine Damen und Herren, ich hoffe, Sie stim-men dementsprechend unserem Antrag zu.Vielen Dank.
Für die Bundesregierung hat jetzt der Parlamentari-
sche Staatssekretär Matthias Berninger das Wort.
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Ich bin froh darüber, dass wir in der erweiterten Euro-äischen Union einen Binnenmarkt von beinahe eineralben Milliarde Menschen haben, die es sich nicht ge-allen lassen, dass irgendwelche großtechnologischennternehmen ihnen Dinge vorsetzen, sondern die alserbraucherinnen und Verbraucher ihren klaren Willenum Ausdruck bringen. – Das also führte vor einigenahren zu dem Moratorium.Im Übrigen ist es nur ein De-facto-Moratorium, weilie Kommission rein rechtlich jederzeit die Möglichkeitätte, es zu umgehen. Sie ist aber klug beraten, es nichtu tun. Sie weiß, dass die Bürgerinnen und Bürger in Eu-opa als Verbraucherinnen und Verbraucher überhauptein Interesse daran haben, dass große multinationaleonzerne ihre Belange in den Vordergrund schieben.
Ein zweiter wichtiger Punkt: Sie haben gesagt, diekzeptanz für die grüne Gentechnik werde größer. Einlick in die Reihen der Union macht zweierlei deutlich:ie Akzeptanz ist nicht so besonders groß, denn es istaum jemand da.
emerkenswerter ist aber, dass sich die Kolleginnen undollegen aus dem Agrarausschuss verstecken. Ich sucheie hier vergeblich.
Die von der Union. – Ich weiß auch, warum sie sicherstecken: Weil die Position, die die Union in ihremntrag formuliert, nicht einmal vom Deutschen Bauern-erband getragen wird.
Die Schleusen für die grüne Gentechnik zu öffnenürde bedeuten, dass man die Interessen derjenigen
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Parl. Staatssekretär Matthias BerningerLandwirte, die gentechnikfrei produzieren wollen – dieMehrheit der Bäuerinnen und Bauern in Deutschlandwollen gentechnikfrei produzieren –, den Interessen der-jenigen opfert, die sagen, dass sie das Neue einmal aus-probieren wollen. Die Bundesregierung setzt auf Wahl-freiheit.
Um Wahlfreiheit sicherzustellen, muss man aber geradebei der Einführung der Gentechnik dafür Sorge tragen,dass diejenigen, die sich für gentechnikfreien Anbau ent-scheiden, das auch tun können, ohne wirtschaftlichenSchaden zu erleiden.
Nehmen Sie die große Gruppe der Landwirte, dieheute beispielsweise Raps anbaut, welcher dann nachherin Margarine verarbeitet wird. Große Konzerne wie Uni-lever zum Beispiel haben sich ja entschieden, gentech-nikfreie Margarine auf den Markt zu bringen. Wenn in ei-ner Region, die für Unilever produziert, jemand damitanfangen würde, gentechnisch veränderten Raps in gro-ßem Stil anzubauen, weil er wie der Kollege von derUnion der Meinung ist, man müsse jetzt einmal richtigloslegen, haben alle anderen ein massives wirtschaftli-ches Problem. Das ist der Grund, warum Bundesministe-rin Künast sehr klar sagt: Die Fragen, wie die Koexistenzvon gentechnikfreier und auf Gentechnik basierenderProduktion verbindlich geregelt wird und wie klar doku-mentiert wird, wo gentechnisch veränderte Organismenangebaut werden, sind so wichtig und zentral, dass sieerst geklärt werden müssen, bevor man das Moratoriumaufhebt.
Diese Auffassung wird von vielen europäischen Regie-rungen geteilt.Ich will noch eines hinzufügen: Hierbei handelt essich nicht, wie Sie meinen, um eine Verzögerungstaktik;vielmehr hat die Bundesregierung ihre Hausaufgabenbezüglich der Frage, wie Koexistenz realisiert werdenkann, gemacht. Wir haben uns im Gegensatz zu Ihnenmassiv dafür eingesetzt, dass klare Kennzeichnungs-regeln eingeführt werden. Ich freue mich, wenn sich Eu-ropäisches Parlament und Kommission auf klare Grenz-werte für die Kennzeichnung gentechnisch veränderterOrganismen verständigen.Dazu noch eine Bemerkung: Als wir die Kennzeich-nungspflicht eingeführt haben, sagte die Gentechnik-lobby, das sei kein Problem, und forderte, alle gentech-nikfreien Produkte zu kennzeichnen, die gentechnischproduzierten sollten stattdessen einfach so auf den Marktkommen. Sie wäre also damit einverstanden gewesen,alle gentechnikfreien Produkte zu kennzeichnen.
bbsgDhsuttduRhuchrdtaDGtsislKHdfSgdv
nd widerspricht den Verbraucherrechten und auch demecht auf Wahlfreiheit. Das ist der Grund, warum wirier eine Regelung vonseiten der Kommission erwartennd gemeinsam mit der Kommission für eine einheitli-he europäische Regelung eintreten.Egal, was wir machen und wie wir handeln, immer er-ebt die Opposition die Forderung nach einheitlichen eu-opäischen Regelungen. In ihrem Antrag zur Freigabeer Gentechnik heißt es dann aber plötzlich: Subsidiari-ät sei nötig, wir sollten einmal Tempo machen und nichtuf europäische Regelungen warten.
iese Doppelzüngigkeit kritisiere ich. Sie ist auch derrund dafür, warum ich glaube, dass Sie mit Ihrer Poli-ik nicht die Interessen der bäuerlichen Landwirtschaft,ondern die Interessen einer Agrarindustrie vertreten, dien großen Strukturen organisiert ist. Sie werden Ver-tändnis dafür haben, dass wir ein solches Vorgehen ab-ehnen.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Christel Happach-
asan.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!err Kollege Berninger, Sie haben, wie ich meine, anen Problemen Deutschlands vorbei- und ausschließlichür eine rot-grüne Klientel geredet.
ie verspielen mit Beiträgen wie dem, den Sie gerade ab-egeben haben, Deutschlands Zukunft.Ich will das durchaus näher begründen: Deutschlandroht gemeinsam mit elf anderen Ländern eine Klageor dem Europäischen Gerichtshof, wenn nicht umge-
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Dr. Christel Happach-Kasanhend die EU-Richtlinie über die Freisetzung von gen-technisch veränderten Organismen umgesetzt wird. Solautete eine Meldung von heute. Schade, dass Sie nichtnäher darauf eingegangen sind. Auch wenn dies nichtdas erste Klageverfahren wäre, stellt sich für mich dieFrage, welchen Sinn es macht, diese Klage abzuwarten,statt endlich die Richtlinie umzusetzen. Die Bundesre-gierung konnte in ihrer Antwort auf meine Kleine An-frage keine einzige Schädigung von Mensch oder Um-welt durch transgene Pflanzen benennen. Sie haben dieAntwort unterschrieben, Kollege Berninger. Die grüneGentechnik führt somit nicht zu Gesundheits- oder Um-weltschäden. Das ist eine gute Nachricht, wenn auchnicht für Rot-Grün. Schließlich werden in sieben Län-dern auf fast 60 Millionen Hektar transgene Pflanzen an-gebaut. Es gibt somit ausreichende und offensichtlichgute Erfahrungen im Umgang mit transgenen Pflanzen.
Der Anbau von goldenem Reis in Asien kann helfen,Menschen vor Erblindung zu schützen.
Goldener Reis ist eine transgene Sorte. Es gibt somitsehr gute Gründe, den Anbau von transgenen Pflanzenzu fördern, statt ihn zu verhindern.
In der Öffentlichkeit – auch dazu hätte ich Ausführun-gen von einem Vertreter der Bundesregierung erwartet –setzt sich allmählich die Meinung durch, dass gentech-nisch veränderte Pflanzen kein erhöhtes Risiko bedeu-ten. Auch der äußerst diskrete Umgang der Bundesregie-rung mit den Ergebnissen einer Allensbach-Studie, dieEnde 2001 veröffentlich wurde und dies belegt, kann da-ran nichts ändern. Es gibt somit auch eine öffentlicheAkzeptanz für einen verantwortungsvollen Umgang mittransgenen Pflanzen.Der Zickzackkurs der Bundesregierung bei der grü-nen Gentechnik ist nicht zu übersehen. Schröder wollteden kritischen Dialog, herausgekommen ist eine Funda-mentalopposition. Aber inzwischen plant MinisterinKünast den geordneten Rückzug. Die Forderung nachNulltoleranz für zufällige Beimischungen wird von ihrnicht aufrechterhalten. Gut so! Der Schwellenwert von0,9 Prozent ist akzeptiert. Nun will die Ministerin überHaftungsregelungen eine neue Hürde aufbauen.Dabei ist Deutschland auch in dieser Frage kein rechts-freier Raum. Kollege Heiderich hat darauf hingewiesen.Es wird zu prüfen sein, inwieweit unterschiedliche Züch-tungsmethoden unterschiedliche rechtliche Regelungenerfordern. Ministerin Künast hat im „Spiegel“ erklärt,dass Verbraucher, die sich für gentechnikfreie Lebensmit-tel entscheiden, auf keinen Fall mehr zahlen sollen – einetolle Forderung. Dabei weiß sie genau, dass schon jetztdas Gegenteil gilt. GVO-freies Soja kostet pro Tonne zwi-schen 5 und 25 Euro mehr als anderes Soja, so die Ant-wort der Bundesregierung auf meine Anfrage. Trotzdemsagt Ministerin Künast im „Spiegel“ solchen Unsinn.
dTAGBnpinTpGsEkddDlusdHSnKbsimaWDMin
ämpfen Sie für Arbeitsplätze in unserem Land!
Mit Ihrer Politik kann es nicht gelingen, Arbeitsplätze
ei uns zu erhalten. Die SPD wird sich entscheiden müs-
en, ob sie ihre Politik an den Interessen der Menschen
Lande oder an denen ihres grünen Koalitionspartners
usrichtet.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Matthias
eisheit.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!er vorliegende Antrag ist von der Überschrift her eineogelpackung; denn in der Überschrift steht Biotechnik,m Antrag selber ist ausschließlich von grüner Gentech-ik die Rede.
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Matthias Weisheit– Doch, natürlich, aber Biotechnik ist sehr viel weiterge-hend als grüne Gentechnik. Sie hätten anstandshalberdoch wenigstens hineinschreiben können, um was es Ih-nen geht. Weil Sie das nicht getan haben, ist es eine Mo-gelpackung.Sie haben mit dem Lab und den Fermenten ein bio-technologisches Beispiel gebracht, Herr Heiderich; dafürwar ich Ihnen richtig dankbar. Das ruft in der Tat in derBevölkerung keine Probleme hervor. Aber bei dem, wasan Saatgut und Pflanzen auf den Acker kommt, sieht esschon anders aus. Europaweite Umfragen zeigen, dassdie Skepsis und die Ablehnung der grünen Gentechnikim Vergleich zur Befürwortung weit überwiegen.
Ich komme zum nächsten Punkt. Die zur Verabschie-dung anstehende EU-Kennzeichnungs- und Rückver-folgbarkeitsverordnung ist ein wichtiger Fortschritt,weil sie eine Kennzeichnung auch für gentechnisch ver-änderte Futtermittel vorschreibt. Vom In-Kraft-Tretendieser Verordnung hängt die von Ihnen, Frau Happach-Kasan, angemahnte Umsetzung der EU-Freisetzungs-richtlinie ab, die im Vergleich zur alten, bereits abgelös-ten Regelung hinsichtlich der Monitoring-Anforderun-gen einen erhöhten Sicherheitsstandard bietet. Sobalddie EU-Rückverfolgbarkeitsverordnung steht, werdenwir diese Richtlinie umsetzen. Es sind zwar noch klei-nere Auseinandersetzungen mit dem Parlament zu er-warten. Aber ich hoffe, dass die noch offenen Fragen ge-löst werden können. Anschließend, wenn also dieseVoraussetzungen erfüllt sind, und nicht vorher kann mandie Richtlinie umsetzen und das De-facto-Moratoriumaufheben.Lassen Sie mich noch etwas zur Haftungsfrage sa-gen. Die in Ihrem Antrag vertretene Ansicht, dass sichdas Haftungsrisiko nur auf wirtschaftliche Schäden be-schränkt und dass die Frage des Haftungsrisikos bei unsgelöst sei, kann ich nicht teilen. Die Zulassungsverfah-ren dienen dazu, Schäden für die menschliche Gesund-heit und für die Umwelt zu vermeiden. Man kann sieaber nicht völlig ausschließen.Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den vomBundestag in Auftrag gegebenen Bericht des Büros fürTechnikfolgenabschätzung „Risikoabschätzung undNachzulassungsmonitoring transgener Pflanzen“ vomNovember 2000. Darin heißt es, dass es sich bei denUmweltwirkungen von Freisetzungen um „unspezifischebiologische Phänomene handelt, die von einer Vielzahlwechselwirkender Faktoren abhängig sind und die trotzteilweise jahrzehntelanger Forschung in vielen Aspektennur unvollständig verstanden sind“.
Wenn dem so ist, dann ist die Frage nach der Haftungnicht ganz so einfach zu beantworten.sHusSrwWmEdolgSngLbmeauneuu–k–wAesKbAsbswdvdO
Ich habe doch gesagt, dass man sie jetzt umsetzenann.
Doch, wir werden sie umsetzen; Sie werden sich nochundern.
uch steht noch die Klärung von Fragen bezüglich Ko-xistenz und Haftung aus. Es geht nicht nur um Rechts-icherheit für die Gentechnikbranche, sondern auch umlarheit und Rechtssicherheit für Bauern und Ver-raucher.Mich wundert es schon, dass auf dem vorliegendenntrag die Namen aller CDU/CSU-Verbraucherschützertehen, die ansonsten sehr kritisch sind, was den Ver-raucherschutz angeht. In diesem Zusammenhang habenie ihre Vorbehalte wohl völlig vergessen.Es muss klar sein: Wenn ich als Verbraucher – auselchem Grund auch immer – keine gentechnisch verän-erten Produkte haben will, dann muss ich mich darauferlassen können, dass in dem Lebensmittel, in dem Pro-ukt, das ich einkaufe, kein gentechnisch veränderterrganismus enthalten ist.
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Matthias Weisheit
– Natürlich beinhalten solche Produkte zugegebenerma-ßen gentechnisch veränderte Organismen bis zu demfestgelegten Grenzwert von 0,9 Prozent. Auf genau dieseArgumentation konnte man warten: Ein bisschen lasstihr ja zu; dann könnt ihr es ja ganz zulassen. Das ist dieStrategie, die einmal ein Konzern gefahren hat: Sie woll-ten sich auf die Gentechnik einlassen und haben ver-sucht, solche Produkte zu verkaufen. Das ist ihnen nichtgelungen. Deshalb haben sie dies schnell wieder einge-stellt.Durch die Hintertür geht das nicht. Für den Verbrau-cher muss klar sein, welche Produkte er kauft.
Mich wundert es, wie gesagt, dass die Namen aller Ver-braucherschützer der CDU/CSU auf dem Antrag stehen.Dass Ihr Name, Herr Heiderich, darauf steht, hat michnatürlich nicht gewundert.Es bleibt noch ein Punkt, der mich angesichts IhrerForderungen etwas stutzig gemacht hat: die klare Unter-stützung der Biotechbranche. Zunächst einmal ist daswieder eine Mogelpackung. Nach Lesen des Antragesstellt sich die klare politische Unterstützung der grünenGentechnikbranche bzw. von ein paar Saatgutherstellernheraus, die sich darauf spezialisiert haben. Dies zu tun,so meine ich, ist weder Sache einer Regierung noch Sa-che des Parlamentes. Wenn wir die richtigen Rahmen-bedingungen schaffen – wir sind gerade dabei –, dannmuss die Branche selber für Akzeptanz sorgen. Das istwohl der richtige Weg.
Wenn Sie die Unterstützung so verstehen sollten– auch das könnte man herauslesen –, dass die Regie-rung zur Werbeagentur für diese Branche werden soll,
dann wäre das schon aus sachlichen Gründen ein Grundgenug, Ihren Antrag abzulehnen.Ich hätte noch eine Redezeit von zwei Minuten. Ichverzichte darauf, weil ich den vorliegenden Antrag vonvornherein für nicht beratungswürdig gehalten habe. Wirmüssen aber darüber beraten.Ich danke für die Aufmerksamkeit und verschenke dierestlichen zwei Minuten meiner Redezeit.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/803 mit dem
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Ich halte das für eine schwierige Materie. Eine schwie-ige Materie muss man hier nicht echauffiert oder sonstie vortragen.
s geht vielmehr darum, die Fakten darzustellen.
m Übrigen: Wenn die Kollegin Interesse hätte, dannürde sie zuhören und nicht telefonieren. Das ist ja auchin Problem.Bei aller somit gebotenen Vorsicht dürfte Deutschlandach meiner Einschätzung aber um einiges hinter denSA, Russland, Frankreich und wohl auch Großbritan-ien liegen. Das schließt nicht aus, dass hier auch nochndere Länder zu nennen wären, deren Statistiken sichber einer vergleichenden Betrachtung gänzlich entzie-en.
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Parl. Staatssekretär Gerd Andres
– Stimmt, Herr Kollege Polenz.Hauptempfänger deutscher Rüstungsgüter sind in al-lererster Linie unsere EU- und NATO-Partner. Mehr als80 Prozent des Gesamtwertes der erteilten Genehmigun-gen entfallen auf Ausfuhren in EU-, NATO- und gleich-gestellte Länder. Dies lässt zum einen die grundsätzlichrestriktive Genehmigungspolitik gegenüber den anderenLändern erkennen. Zum anderen wird dadurch aber auchdie Einbindung Deutschlands in partnerschaftliche Ko-operationen deutlich, was sich insbesondere an dem ho-hen Wert für Sammelausfuhrgenehmigungen ablesenlässt.Wie gesagt, die Berufung auf Statistiken ist nie ganzunproblematisch. Der Rüstungsexportbericht, den ich Ih-nen hier kurz vorgestellt habe, zeigt nach meiner Über-zeugung aber durchaus, dass die Bundesregierung eineüberlegte und äußerst zurückhaltende Exportkontrollpo-litik betrieben und damit die Vorgaben der von ihr ge-schaffenen politischen Grundsätze erfüllt hat. Dass siedamit auch ihre aus der Kooperation mit anderen Län-dern erwachsenen Verpflichtungen zu berücksichtigenhatte, habe ich bereits erwähnt.Meine Damen und Herren, wir sind gut beraten, wennwir diese Politik auch in Zukunft mit Augenmaß fortset-zen. Genau das werden wir auch tun.Ich danke Ihnen herzlich.
Das Wort hat der Kollege Erich Fritz von der CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Herr Staatssekretär, Sie haben gerade die BegriffeAktualität und Transparenz benutzt. Aktuell ist dieserBericht nun wirklich nicht. Er war im Mai im Ministe-rium fertig. Im Juni konnten wir die Zahlen von SIPRIlesen; da war schon klar, dass Deutschland im Jahr 2001mit Ausfuhren in Höhe von 675 Millionen US-Dollar derfünftgrößte Rüstungsexporteur gewesen ist. Im Dezemberhaben wir dann den Bericht der Bundesregierung bekom-men. Seit dem 18. Dezember liegt er jetzt dem Bundestagvor. Dieser Rüstungsexportbericht 2001 kommt alsoschon sehr spät, noch später als die ersten beiden Be-richte, die auch schon spät vorgelegt wurden. Woranmag das gelegen haben? Der eigentliche Vorlageterminwäre zur Zeit der Bundestagswahl gewesen. Das passtevielleicht nicht ganz gut. Rot-Grün konnte und wollteden Wählern und Wählerinnen wahrscheinlich nicht soeinfach sagen, dass das, was sie zur Rüstungsexportpoli-tik versprochen hatten, in ihrer Regierungszeit nicht um-gesetzt wurde. Es wird weiter gemacht wie bisher, was janichts anderes belegt, als dass auch in der VergangenheitiugaSdgpwVwwlUitvsgBfTtgivzPKgndwgagetwsdRasegWUAEzLiWg
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Wir sind der Meinung, dass wir in der Rüstungsex-portkontrollpolitik vor allen Dingen gegenüber der Öf-fentlichkeit klarstellen müssen: Es ist ein Politikbereich,in dem sich Außenpolitik, nationale Interessen undBündnisinteressen mit wirtschaftlichen Interessen ver-binden, die wirtschaftlichen Interessen aber nicht imVordergrund stehen dürfen. Aber vom Umsatz her, der indiesem Bereich erzielt wird, und dessen Bedeutung fürdie Außenwirtschaft kann wirklich niemand behaupten,dass wir darauf abstellen würden. Sie aber stellen immereine überhöhte Moral auf, der Sie regelmäßig nicht ge-recht werden. Das ist kein guter Weg, weil Sie auf dieseWeise falsche Signale geben.atedndaieCaWggcRietdDBfedsAzasEFhMEmsBIevaKETkz
Das Wort hat jetzt der Kollege Winfried Nachtwei
om Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirlle empfinden sicher Freude und Erleichterung über denollaps des Saddam-Hussein-Regimes und über dasnde der Kämpfe um Bagdad. Angesichts der vielenausenden Verletzten und Toten, die diese Invasion ge-ostet hat, und angesichts der vielen frühen Fehler, dieum Wachsen dieses Regimes und zur Katastrophe die-
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Winfried Nachtweises Krieges beigetragen haben, ist die Freude für vieleaber durch Zorn getrübt.Der Angriff auf den Irak wurde mit seiner Kriegspoli-tik und seinem Streben nach Massenvernichtungswaffenbegründet. Doch woher hatte der Irak diese Fähigkeiten?Der Irak konnte seine zerstörerischen Fähigkeiten nuraufbauen, weil ihm in den 80er-Jahren Staaten in Ostund West, von der Sowjetunion über die USA undFrankreich bis zur Bundesrepublik, entscheidend dabeihalfen. Wenn wir Krisen- und Kriegsvorbeugung heuteernst nehmen, müssen wir auch eine restriktive Rüs-tungsexportpolitik betreiben. Das ist kein Moralismus,sondern ein weitsichtiger Realismus.
Angesichts der engen europäischen und transatlanti-schen Verflechtungen wird die internationale Exportkon-trolle immer wichtiger. Sie von der Opposition drängelnimmer wieder – heute haben Sie das natürlich nicht ge-tan –, wir müssten die Regeln für die deutschen Rüs-tungsexporte lockern, um kooperationsfähig zu sein. Dasführt in die falsche Richtung.
In einem größeren und zusammenwachsenden Europabrauchen wir eine europäische Rüstungsexportpolitik,die sich am Anspruch der gemeinsamen Außen- und Si-cherheitspolitik, der Kriegsverhütung, orientiert.
Herr Kollege Nachtwei, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Polenz?
Er ist doch gleich an der Reihe, seine Rede zu halten.
In die kann er alles, was er sagen möchte, hineinpacken.
Es wird keine Zwischenfrage zugelassen.
Wie die so genannten Denial-Konsultationen zeigen,gibt es durchaus Staaten, die mit bestimmten Exportge-nehmigungen noch zurückhaltender als die Bundesrepu-blik umgehen. Mit den überarbeiteten politischen Grund-sätzen haben wir einen guten Rahmen für dieRüstungsexporte geschaffen.Als Parlamentarier nehmen wir zur Kenntnis, dasssich das Export- und Genehmigungsvolumen im Be-richtszeitraum in der bisherigen Bandbreite bewegt. Beider tatsächlichen Ausfuhr von Kriegswaffen haben wirescERgUtLsMfrRIadKsHtbkgg4daElvtsfdtGAdBddgAdRe
Ein anderes Beispiel sind die Kleinwaffen. Es ist aus-esprochen zu begrüßen, dass die Bundesregierung00 000 ausgemusterte G-3-Gewehre der Bundeswehr inen nächsten Jahren zerstören wird. Beunruhigend istber der deutliche Anstieg der Exporte von Kleinwaffen.s wirkt für mich auch nicht beruhigend, dass ein erheb-icher Teil der Handfeuerwaffen in die USA, die Heimaton Michael Moore, geht.
Eine restriktive und transparente Rüstungsexportpoli-ik braucht einen wirksamen Rechtsrahmen. Heute ist eso, dass im Außenwirtschaftsgesetz und im Kriegswaf-enkontrollgesetz unterschiedliche Genehmigungsstan-ards stehen. Die Ausfuhr von Kriegswaffen ist verbo-en, es sei denn, es gibt dafür eine ausdrücklicheenehmigung. Nach dem Außenwirtschaftsgesetz ist dieusfuhr von Rüstungsgütern, die nicht als Kriegswaffenefiniert sind, jedoch grundsätzlich zu genehmigen. Dieundesregierung muss häufig vor Gericht nachweisen,ass der beantragte Export zu einer konkreten Störunges Zusammenlebens der Völker führt oder die auswärti-en Beziehungen erheblich stört. Diese Praxis ist unsereruffassung nach untragbar. Die Freiheit des Handelsarf nicht für Rüstungsgüter gelten. Wir brauchen eineegelung, wonach jegliche Ausfuhr von Rüstungsgüterniner Genehmigung bedarf.
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Winfried NachtweiLassen Sie mich zum Schluss noch auf das bisher vor-liegende Format der deutschen Rüstungsexportberichteeingehen. Hier hat sich in den vergangenen Jahren si-cherlich einiges verbessert. Aus bündnisgrüner Sicht istder Informationsgehalt des Berichts jedoch immer nochverbesserungsfähig. Unser Ziel ist es, dass sich der deut-sche Exportbericht mindestens an den jeweils transpa-rentesten Beispielen anderer EU- oder NATO-Partnernanlehnt.Vor dem Hintergrund der Weiterverbreitung von Mas-senvernichtungswaffen wird es zunehmend wichtiger,dass künftige Rüstungsexportberichte verstärkt auf denBereich von Dual-Use-Exporten eingehen. RestriktiveRüstungsexportkontrolle, vertragsgestützte Abrüstungs-und Rüstungskontrolle sowie Nichtverbreitung sind zen-trale Elemente einer vorbeugenden und gemeinsamenSicherheitspolitik. Sie angesichts des abschreckendenBeispiels des Irakkriegs zu stärken ist das Gebot derStunde.Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Harald Leibrecht von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren!Im internationalen Rüstungshandel der 90er-Jahre... spielen Deutschland und die deutsche Industrienur eine marginale Rolle ... Anders als die öffentli-che Diskussion oft nahe legt, gilt dies insbesonderefür den Export konventioneller Waffensysteme inEntwicklungsländer.Zu diesem Ergebnis kam die Stiftung Wissenschaft undPolitik im Juni 2001. Diese Aussage hat natürlich unver-ändert Gültigkeit. Das wird seitens der FDP ausdrück-lich begrüßt.
Wir waren und sind der Auffassung, dass Rüstungsex-porte weltweit reduziert und Rüstungsexportkontrollenauf regionaler und internationaler Ebene konsequentausgebaut werden müssen.Wir reden heute über den Rüstungsexportbericht2001. Herr Andres, besonders aktuell ist er nicht; das ha-ben wir schon gehört. Die gerade zitierte Aussage derStiftung Wissenschaft und Politik bezog sich auf die90er-Jahre, also auf die Zeit, als Deutschland noch vonCDU/CSU und der FDP regiert wurde. Wir alle könnenuns noch sehr gut daran erinnern, wie es damals vonsei-ten der SPD und der Grünen massive Kritik ob der ex-tensiven Rüstungsexportbewilligungen der Bundesregie-rung gab.Was hat sich seither geändert?GsRRDldbddndhhTKünudcsAdkvsdbadfAilslMRepTe
ibt es unter Rot-Grün weniger Rüstungsexporte? Es hatich zwar etwas geändert, aber es gibt nicht wenigerüstungsexporte. Geändert hat sich vor allem, dass dieüstungsexportpolitik von Rot-Grün inkonsequent ist.adurch kommt es immer wieder zu größeren außenpo-itischen Irritationen.Man könnte bei der Rüstungsexportpolitik der Bun-esregierung durchaus den Eindruck bekommen, dassei Kaufanfragen seitens der NATO-Partner ein beson-ers strenger Maßstab angelegt wird. Ich erinnere nur anie türkische Anfrage zum Kampfpanzer Leopard 2, dieach langem Hin und Her letztendlich zur Ablehnungurch die Bundesregierung führte. Demgegenüber er-ielt die Republik Korea Rüstungsgüter in Milliarden-öhe. Ich möchte hier nur am Rande anmerken, dass dieürkei damals mit Nebelwurfkörpern und anderenleinteilen abgespeist wurde. Ich glaube, das sagt vielber das Verständnis dieser Regierung von NATO-Part-erschaft aus.
In diesem Zusammenhang kann auch die obskure Artnd Weise der Lieferung der „Patriot“-Raketen, die aufem Weg nach Israel einen Umweg über Holland ma-hen mussten, nicht mehr verwundern.Rüstungsexporte werden auf absehbare Zeit weitertattfinden. Das ist uns klar; davon bin ich überzeugt.ber natürlich bin ich darüber nicht erfreut.Deutschland muss und wird auf diesem Pfad unverän-ert eine marginale Rolle spielen. Das ist aber beileibeein rot-grünes Verdienst. Wäre diese Bundesregierungerantwortungsbewusst, hätte sie längst eine engere Zu-ammenarbeit mit allen EU-Partnern auf den Gebietener Rüstungsentwicklung, der Rüstungsproduktion,eim Rüstungsexport, bei der Rüstungskontrolle wieuch bei der Abrüstung angestrebt.Herr Andres, Sie haben vorhin zu Recht bemängelt,ass es viel zu wenig Zusammenarbeit und gemeinsamormulierte Kriterien gibt.
ber Sie stellen schließlich die Regierung. Sie könnennsofern Abhilfe schaffen und das Thema mit Ihren Kol-egen in anderen EU-Staaten erörtern.
Rüstung muss in ihrer Gesamtheit gesehen werdentatt in einzelnen Teilen. Ich glaube, dass auch Deutsch-and hierbei zu Kompromissen bereit sein muss. Alsitglied der EU muss Deutschland eine europäischeüstungsindustrie anstreben und als Grundlage hierfürinheitliche europäische Kriterien für den Rüstungsex-ort schaffen. Es reicht nicht, wenn die Regierung beimhema Rüstungsexport den Mund voll nimmt, aber nichtntsprechend handelt.
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Harald LeibrechtDie Bundesregierung muss sich auch den Vorwurf der„taz“ gefallen lassen, die am 4. Februar feststellte: „Derdeutsche Rüstungsexport boomt weiter.“ Diese Aussagewie auch der Bericht, dessen Lektüre ich empfehle, ma-chen deutlich, wie sehr die Wähler in diesem Bereichvon der rot-grünen Regierung enttäuscht sind.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Johannes Pflug von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich hatte ursprünglich geglaubt, der vorliegendeBericht sei ziemlich unstrittig. Ich habe mich aber einesBesseren belehren lassen müssen. Der Kollege Fritz hatangemahnt, dass dieser Bericht zu spät kommt.
Zugegeben, Herr Kollege Fritz, er kommt relativ spät.Aber ich habe mich bei dieser Gelegenheit gefragt, wannwir wohl den ersten Bericht der Regierung Kohl zu ihrenRüstungsmaßnahmen vorgelegt bekommen. Darauf war-ten wir bis heute.
Im Übrigen diskutieren wir die Berichte – derzeit liegtuns der dritte Bericht vor – nur deshalb, weil wir damalsaufgrund des Antrags der Türkei auf Panzerlieferung dieKonsequenzen gezogen haben, dass dafür politischeGrundsätze formuliert werden müssen. Das haben wirauch getan.
– Aber sie sind dann, wie ich meine, durchaus vernünftigüberarbeitet worden. Herr Kollege Fritz, auch Sie hätten1992, als Ihre Regierung Panzer nach Saudi-Arabien ge-liefert hat, einen guten Anlass gehabt, die Grundsätze zuüberarbeiten. Es hätte sich sicherlich eine spannendeDiskussion ergeben, wenn uns daraufhin ein Rüstungs-bericht vorgelegt worden wäre.
Es wäre gut, wenn er uns jetzt noch nachgeliefert würde.Ich kann Ihnen für die Koalition versichern, dass wir so-gar noch heute, nach elf Jahren, über diesen Bericht dis-kutieren würden.
Man muss das schon richtig würdigen. Auch dass derKollege Leibrecht von der FDP plötzlich die „taz“ zi-twumBsubswprdfIRhmbvBbshsftsRButecnRzkTdsdwEtrbalesf
ntgegen der in solchen Debatten immer wieder vorge-agenen Kritik – gerade vonseiten der Opposition – ha-en sich die Richtlinien nach unserer Auffassung durch-us bewährt.Ich möchte noch einmal daran erinnern, dass dertzte Bericht in der Folge der Aussprachen in den zu-tändigen Ausschüssen verbessert wurde. Zusätzliche In-ormationen wurden damals aufgenommen. So wird zum
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Johannes PflugBeispiel über eine Strafverfolgungsstatistik, über militä-rische Ausrüstungshilfen, die andere Länder erhielten,sowie über neu abgeschlossene regierungsamtliche Ko-operationen im Rüstungsbereich mit deutscher Beteili-gung berichtet. Ebenfalls neu ist im Rüstungsexportbe-richt ein Kapitel über die Genehmigungspolitik bei derAusfuhr von Kleinwaffen.Ich will Ihnen ersparen, die Zahlen noch einmal auf-zulisten. Der Staatssekretär hat das gemacht. Ich haltefest, dass aus unserer Sicht gerade die neuen Kriterienbeachtet worden sind und dieses auch für das Parlamentein wesentlicher Fortschritt ist.Der Rüstungsexportbericht belegt, dass die Bundesre-gierung entsprechend ihrem Bekenntnis in ihren politi-schen Grundsätzen eine restriktive Exportkontrollpolitikbetrieben hat. Herr Andres hat darauf aufmerksam ge-macht. Sie verfolgt gleichzeitig eine Politik, die dem Ge-danken der Kooperation, insbesondere mit unseren euro-päischen Nachbarn, Rechnung trägt. Deshalb findetdiese Politik auch unsere volle Zustimmung.
Das Wort hat jetzt der Kollege Ruprecht Polenz von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Siemich zwei kurze Vorbemerkungen machen. Herr KollegePflug, ich teile Ihre Leidenschaft für rückwärts gewandteDebatten nicht. Wir sollten uns doch einig sein, dass wirgemeinsam den Wunsch haben, über die nächsten Be-richte zeitnäher zu diskutieren. Das sollte machbar sein.
Die zweite Vorbemerkung: Ich würde gerne sehen,dass ein Wunsch der Kirchen bei der Erstellung derkünftigen Berichte aufgegriffen wird. Die haben vorge-schlagen, dass bei Rüstungsexporten außerhalb derNATO in dem Bericht die zugrunde liegenden außen-und sicherheitspolitischen Gesichtspunkte erläutert wer-den sollten. Das wäre auch ein Beitrag zu etwas mehrTransparenz.
Der Bericht hat ja eine recht gemischte Presse bekom-men. Man musste bis Dezember zurückgehen, um sichdas Presseecho anzuschauen. Der „Stern“ hat geschrie-ben: „Die rot-grüne Bundesregierung von KanzlerGerhard Schröder hat im Jahr 2001 den Waffenexportspürbar erleichtert.“ Das „Handelsblatt“ hatte dieSchlagzeile: „Rot-Grün auf Zickzackkurs – 34 Rüs-tungsexporte nach Taiwan.“ Die „Frankfurter Rund-schau“ hat geschrieben: „Weniger Kriegswaffen expor-tiert.“tsgsgblsKQlsdkzwrsGramgdhddpoisIVtpkzdZ
Die Schlagzeilen spiegeln die Wirklichkeit. Die Rüs-ungsexportpolitik der Bundesregierung ist keineswegso klar und stringent, wie es die Vorredner hier gern dar-estellt hätten.
Ich meine auch, dass wir jetzt nicht künstlich Unter-chiede herbeireden sollten, die es in der Sache nichtibt. Deshalb will ich doch festhalten: Wir haben einereite Übereinstimmung im Bundestag, dass Deutsch-and eine restriktive Rüstungsexportpolitik betreibenoll.
Die vorhin nicht zugelassene Zwischenfrage, Herrollege Nachtwei, wäre gewesen, dass Sie bitte eineuelle für Forderungen der Union hätten benennen sol-en, die Restriktionen zu lockern. Die hätten Sie wahr-cheinlich nicht benennen können,
enn dem Rüstungsexportbericht liegt der Verhaltens-odex der Europäischen Union zur Waffenausfuhrugrunde. Dieser Kodex stammt vom 8. Juni 1998 undurde von der damaligen CDU/CSU-geführten Bundes-egierung maßgeblich mit herbeigeführt. Der europäi-che Code of Conduct ist dann durch die politischenrundsätze ergänzt worden, auf die Sie von der Regie-ungsseite alle so stolz sind. Unklar bleibt allerdingsuch bei der Lektüre des Berichts, ob sich für die Geneh-igungspraxis aus diesen politischen Grundsätzen ir-endetwas konkret ergeben hat, was sich nicht auch ausem europäischen Verhaltenskodex sowieso ergebenätte. Es gibt dazu im Bericht keine Angaben.Nur an einer Stelle wird auf die besondere Bedeutunges Punktes III.7 der Grundsätze hingewiesen. Nachem 11. September sei deutlich geworden, dass bei Ex-ortentscheidungen auch berücksichtigt werden müsse,b das Empfängerland bisher den Terrorismus oder dienternationale Kriminalität unterstützt habe. Wenn demo sei, dürfe in solche Länder nicht exportiert werden.ch bin ziemlich sicher, dass das auch die europäischenerhaltenskodizes nicht erlauben.
Falls die politischen Grundsätze der Bundesregierungatsächlich etwas anderes bewirken würden, als der euro-äische Verhaltenskodex sowieso vorschreibt, dannönnte es – damit möchte ich mich jetzt auseinander set-en – Probleme mit dem Ziel geben, die Rüstungspolitiker Europäer stärker als bisher zu koordinieren. Diesesiel ist sinnvoll; denn die Leistungs- und Wettbewerbs-
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Ruprecht Polenzfähigkeit der europäischen Rüstungsindustrie lässt sichnur so erhalten und verbessern. Wir brauchen mehr Ko-operation, Zusammenschlüsse und Fusionen innerhalbder europäischen Rüstungsindustrie. Das bedeutet,dass die Konzerne umgebaut werden müssen. Bisher hatman in Projekten gedacht und die Aufgaben auf Firmenin verschiedenen Ländern verteilt.In Zukunft wird man innerhalb der länderübergreifen-den Konzerne Strukturen verändern und Kompetenzzen-tren schaffen, in denen bestimmte Fähigkeiten – zumBeispiel die Mikroelektronik oder die Stealth-Technik –gebündelt werden. Die Zulieferung erfolgt dann inner-halb europäischer Firmen und nicht mehr zwischen euro-päischen Ländern. Es wird nur der Firmenstandort – da-rauf kommt es mir an – diese Umstrukturierungüberleben, der zulieferfähig ist. In Zukunft wird es alsokonzerninterne Zulieferungen von Rüstungsgütern nachGroßbritannien, Spanien oder Frankreich geben. DieEntscheidung über eine eventuelle Ausfuhr in Drittlän-der wird dann in diesen Ländern getroffen, und zwar imRahmen des europäischen Code of Conduct und nichtnach den politischen Grundsätzen der Bundesregierung.
Eine europäische Verteidigungsunion und ein europäi-scher Beschaffungsmarkt sind nur machbar, wenn einTeil der nationalen Souveränität im Vertrauen auf gleichgerichtete Interessen innerhalb Europas aufgegeben wirdund wenn es einen europäischen Binnenmarkt für Rüs-tungsgüter gibt. Daran wird kein Weg vorbeigehen.
Nur dieser Weg wird dazu führen, dass Europa für seineVerteidigung auch die Basis einer leistungsfähigenRüstungsindustrie erhalten kann, dass wir in Europaschrittweise unnötige Doppel- und Dreifachstrukturenim Verteidigungsbereich zugunsten gemeinsamer Ein-richtungen aufgeben können, dass angesichts knapperKassen die Haushalte entlastet werden können und dassder europäische Pfeiler innerhalb der NATO tragfähigerund belastbarer gestaltet werden kann. Das bedeutet aberfür die Rüstungsindustrie und die Rüstungsexportpolitikden Verzicht auf einen deutschen Sonderweg innerhalbEuropas.Wir brauchen – damit komme ich zum letzten Punkt –auch mehr Stetigkeit in der Rüstungsexportpolitiknach dem Motto: Wer A sagt, muss auch B sagen. Wenndie Ausfuhr von Rüstungsgütern in ein Drittland geneh-migt worden ist, dann müssen damit grundsätzlich auchdie späteren Lieferungen von Ersatzteilen und notwendi-gem Zubehör genehmigt werden. Denn welche Folgenhat es, wenn das anders gehandhabt wird, weil zum Bei-spiel das Bestimmungsland Jahre später auf einmal zueiner Krisenregion gehört? Gerade das ist ja der Fall, fürden das betreffende Land mit der Waffenbeschaffungvorsorgen wollte. Wenn dann die Ersatzteile nicht gelie-fert werden können, dann wird sich künftig nicht nur dasbetreffende Land andere Lieferanten suchen. Das wirdsich auch bei anderen Interessenten herumsprechen, diesRvmDVpwhdGdgdRgpgsedbmRaawDfvsAk
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Wir empfinden Genugtuung, weil wir gleich dreimalpositive Wirkung erzielen: Wir stellen auf dem schwieri-gen Sektor der Arzneimittel in Deutschland Transparenzher, wir bewirken eine Qualitätsverbesserung und wirkönnen mit der Positivliste letztendlich auch Geld spa-ren.
Diese Genugtuung empfindet sicherlich auch jemand,der heute hier nicht anwesend ist, sondern sich wahr-scheinlich in Heidelberg aufhält. Es handelt sich umProfessor Ulrich Schwabe, der für die Kommissionverantwortlich war. Es ist ihm sicherlich sehr wichtig,dass sein Lebenswerk jetzt mit dieser Positivliste ge-krönt wird. Wir haben natürlich nicht vergessen, KollegeZöller, dass Sie von der CDU/CSU mit Herrn Seehoferan der Spitze Professor Schwabes Lebenswerk seinerzeitzerstört haben.
Professor Schwabe hatte die Positivliste 1995 fertig.
Sie haben seinerzeit einen Rechtsbruch begangen.
Obwohl die Positivliste beschlossen war, haben Sie siedurch den Staatssekretär schreddern lassen.
Diese geschredderte Positivliste haben Sie seinerzeit– diese makabre Geschichte zeigt auch Ihr Parlamenta-rismusverständnis – dem Geschäftsführer eines Pharma-verbandes als Geburtstagsgeschenk übergeben. Das waram 15. Mai 1995. Diesen Tag sollte man nicht vergessen.Wir haben Anlass, Professor Schwabe für seine Kom-missionsarbeit zu danken. Er hat es in einer Zeit, in derwir in diesem Parlament mit Kommissionen nicht durch-gehend positive Erfahrungen machen, erreicht, dass dieKsDmtmstmNeltsIsgItDlene
a die Kommission nicht unbedingt homogen zusam-engesetzt ist, spricht dies für den verantwortlichen Lei-er dieser Kommission, für Professor Schwabe, der esit seiner fachlichen Kompetenz und seiner hohen per-önlichen Integrität fertig gebracht hat, dass diese Posi-ivliste einstimmig auf den Weg gebracht worden ist. Da-it bekommt sie Gewicht und dem Anliegen wirdachdruck verliehen.
Es gibt eine weitere große Gruppe, die das Einbringenines Gesetzentwurfs, der die Einführung einer Positiv-iste vorsieht, in den Deutschen Bundestag mit Genug-uung zur Kenntnis nimmt, nämlich die deutsche Ärzte-chaft.
ch darf in Erinnerung rufen, dass die deutsche Ärzte-chaft auf mehreren Ärztetagen seit 1999 die Positivlisteefordert hat.
ch zitiere aus dem Beschluss des 102. Deutschen Ärzte-ages 1999:Die Delegierten des 102. Deutschen Ärztetages un-terstützen eine am jeweiligen aktuellen Wissens-stand orientierte Liste verordnungsfähiger Arznei-mittel als ein wirkungsvolles Mittel zur rationellenArzneitherapie.Begründung:Eine derartige, von einer unabhängigen Kommis-sion zu erarbeitende Liste trägt zu einer Arzneimit-telverordnung bei, die allen Patienten eine an denMaßstäben von Notwendigkeit, Sicherheit und Kos-tenbewusstsein orientierte Therapie garantiert.Eine derartige Positivliste führt zudem zur besserenAbstimmung zwischen stationärer und ambulanterArzneimitteltherapie.
iese Forderung zieht sich wie ein rotes Band bis zumtzten Ärztetag. Ich bin froh darüber, dass wir damit ei-em wichtigen Anliegen der Ärzteschaft in Deutschlandndlich Rechnung tragen können.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2003 3355
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Ich möchte aus einem Urteil des Bundesverfassungs-gerichts zitieren:Die durch Information bewirkte Transparenz dientdamit zugleich der Qualität und Vielfalt der Pro-dukte und einer am Nachfrageverhalten orientiertenPreisbildung von Seiten der Anbieter.Ist der Markt unübersichtlich und fallen – wie imSystem der gesetzlichen Krankenversicherung –Nachfrage, Anspruchsberechtigung und Kostentra-gung auseinander, kann ein – an den Regeln desMarktes gemessen – rationales Verhalten der betei-ligten Personen auch dadurch bewirkt werden, dassdie Angebotsvielfalt strukturiert wird, indem dieKlassifizierung in identische, teilidentische odervom Nutzen her ähnliche Produkte erkennbar wird.Dann ermöglicht ein Preisvergleich, der auf eineStandardmenge bezogen wird, eine Entscheidungunter Berücksichtigung der Kosten-Nutzen-Rela-tion.
Die Orientierung an den Bedingungen des Preis-wettbewerbs ist der vom Gesetzgeber vorgeseheneWeg, um den Gesetzesadressaten die Beachtung desihnen rechtlich vorgegebenen Grundsatzes derWirtschaftlichkeit zu ermöglichen. Dies dient dazu,das Leistungssystem der Krankenversicherungfunktionsfähig zu halten.Weiter heißt es:Die Berufsfreiheit der Pharmaunternehmen wirdnicht berührt.Ich habe aus dem Urteil des Bundesverfassungsge-richts zur Festsetzung von Festbeträgen für Arznei-mittel zitiert. Ich sage ganz deutlich: Das Bundesverfas-sungsgericht hat uns das Gebot auferlegt, Transparenz inDeutschland herzustellen und die Qualität erfassbar undnachvollziehbar zu machen. In diesem Urteil des Bun-desverfassungsgerichts steht ganz deutlich, dass im Inte-resse der Funktionsfähigkeit des solidarischen Systemsfür die Krankenkassen ein Wirtschaftlichkeitsgebot be-steht. Diesem Gebot haben wir uns zu stellen.
Zusammengefasst: Ich glaube, wir schaffen damitendlich Transparenz in Deutschland. Die Anzahl derArzneimittel in Deutschland soll von 40 000 auf 20 000zurückgehen. Damit sorgen wir für einen überschauba-ren Bereich.
Ich kann dieses Gejammer und Getöse nicht mehr hören;schließlich sind wir mit diesen 20 000 Arzneimitteln inEuropa nach wie vor an der oberen Grenze. Ich möchteab3Agwhdmmr1ldiDübdhAicgbdwcSg
Zur Qualität: Der Nutzen von Arzneimitteln ist an-and kontrollierter Studien zweifelsfrei belegt. Wir sinden Menschen angesichts der schwierigen Situationangelnder Transparenz Hilfe schuldig. Allem Gejam-er zum Trotz wird es dabei bleiben, dass wir Geld spa-en werden.
,7 Milliarden Euro werden ersetzt. Wir wissen natür-ich, dass ein Substitutionseffekt da ist,
ass auch andere Arzneimittel verordnet werden. Aberch denke, man kann sich auf die Fachleute verlassen.ie Fachleute sagen: Netto bleiben 800 Millionen Eurobrig. Das ist ein Betrag, den wir zu berücksichtigen ha-en. Es geht nicht nur um Transparenz und Qualität, son-ern auch um einen wirtschaftlichen Effekt.
Wegen der medizinischen Notwendigkeit, der Sicher-eit und der günstigen Kosten ist es wichtig, dass wir dierzneimittel-Positivliste jetzt auf den Weg bringen. Esst ein guter Weg, der auch rechtlich sauber und abgesi-hert ist. Wenn alle dem Gebot des Bundesverfassungs-erichts folgen würden, dann hätten wir auch keine Pro-leme im Land.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wolf Bauer von
er CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Esäre jetzt natürlich ganz reizvoll, wie in der vorigen Wo-he auch, auf die SPD einzugehen, aber, Herrchmidbauer, nur eine Bemerkung dazu: Ich habe immeredacht, dass wir Politik für Bürger machen. Seit wann
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Dr. Wolf Bauermachen wir denn Politik, um Lebenswerke zu voll-enden? Das ist wirklich etwas Neues.
Sie wissen genauso wie ich, dass die frühere Gesund-heitsministerin Andrea Fischer mit der Einführung derPositivliste gescheitert ist. Sie hat nachher zwar dieGrundlage dafür geschaffen, aber mit der Einschrän-kung, dass eine Positivliste im Bundesrat zustimmungs-bedürftig ist.Nun gibt es eine Rechtsförmlichkeitsprüfung desBundesjustizministeriums. Sie bestätigt letztlich auch,dass die Zustimmung des Bundesrats notwendig ist.Wenn Sie uns jetzt Rechtsbruch vorwerfen, dann ist dasschon interessant; denn Ihre Gesundheitsministerin willmit einem Trick versuchen, am Bundesrat vorbeizukom-men. Wenn überhaupt, dann ist das der Rechtsbruch.
Aber lassen wir es einmal dahingestellt sein, ob diefragwürdige Konstruktion, die jetzt vorgesehen ist, je-mals Gesetz wird. Viel interessanter ist, was die Bundes-gesundheitsministerin eigentlich damit erreichen will.Mittlerweile wird zugegeben – ursprünglich war dasnicht so –, dass es nicht nur um Qualitätssteigerung,sondern auch um Kostendämpfung geht. Das ist auch inOrdnung; wir haben nichts dagegen. Nur ist das Instru-ment der Positivliste – wie übrigens alle anderen Instru-mente, die Sie bisher vorgestellt haben – völlig un-brauchbar.
Es ist völlig uninteressant, wie viele Medikamenteletztlich auf dem Markt sind; wichtig ist nur, dass wirdem Arzt die Möglichkeit geben, das einzusetzen, wasfür die Therapie seines Patienten letztlich das Richtigeist.
Besser, als es in der gestrigen Ausgabe der „FAZ“zum Thema Positivliste formuliert worden ist, kann manes gar nicht formulieren – das erinnert an das, was Siezum Lebenswerk gesagt haben, Herr Schmidbauer –:Herzensangelegenheiten … vernebeln die Sinneund verschleiern den Blick auf die Realität.
Wir könnten noch lange über die Zahlen und das Ein-sparvolumen streiten, das erreicht werden soll. Da esein schöner Abend ist, will ich davon absehen. Nur nochso viel – das ist vielleicht ganz interessant –: Nach mei-nen Informationen soll bei einer Anhörung des BMGSam 17. März 2003 der neue Abteilungsleiter FranzKnieps gesagt haben, dass jedwede wirtschaftliche Be-trachtungsweise der Positivliste weitgehend Spekulationist.
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oll dann etwa auf Spatzen nur noch mit Kanonen ge-chossen werden? Ist das eine sinnvolle Gesundheitspo-tik? Induzierte Substitutionseffekte, die der Erkran-ungsschwere nicht angemessen sind, sind alsualitätsverschlechterung und nicht als Qualitätsverbes-erung anzusehen.
Zweitens steht fest, dass die Nebenwirkungen einesrzneimittels mit der Stärke seiner Wirkstoffe überpro-ortional steigen.
ch weiß nicht, warum Sie das wollen. Das kann dochuch nicht Sinn und Zweck der Sache sein.Drittens steht fest, dass Ärzte und Patienten in alleregel auf teurere Medikamente ausweichen und dass esnter dem Strich keine Ersparnis gibt. Was da mögli-herweise an zusätzlichen Kosten auf uns zukommt, istar nicht bekannt. Offensichtlich soll es auch gar nichtekannt gemacht werden.ch will Ihnen damit nur sagen: Das Problem – ich habes eben schon einmal angesprochen – kann relativ ein-ach gelöst werden. Warum soll der Arzt nicht entschei-en, welches Medikament für seinen Patienten das rich-ge und sinnvollste ist? So einfach ist das letztendlich.
Ihr Gesetzentwurf ist übrigens auch ein typisches Bei-piel dafür, was die SPD unter Stärkung der Patienten-echte versteht. Wir können hier einmal demonstrieren,ass genau das Gegenteil der Fall ist. Arzt und Patientüssen die Entscheidungsfreiheit hinsichtlich einer The-apie haben, denn die, welche für den einen Patientenine zweckmäßige therapeutische Alternative ist, kannür einen anderen, Herr Schmidbauer, zum Beispiel einllergiebedingtes Risiko beinhalten, das bis hin zum al-rgischen Schock führen kann. Man muss doch einfacherücksichtigen, dass man nicht alles per Listenmedizinegeln kann.
Mehr als bedenklich ist auch, dass über eine solchomplizierte Materie nicht Spezialisten, sondern dem-
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Dr. Wolf Bauernächst Parlamentarier entscheiden müssen. Es handeltsich ja hier um ein Gesetz, das letztendlich vom Parla-ment beschlossen werden muss. Das ist eine sehr frag-würdige Konstruktion. Sie wissen doch genau wie wirauch, dass sehr viele Facharztgruppen dagegen Sturmlaufen: Nehmen Sie die Internisten, Diabetologen, Kin-derärzte, Dermatologen, Orthopäden usw.
Sie tun das zu Recht, denn sie befürchten, dass sie ihrePatienten nicht mehr optimal und individuell versorgenkönnen. Durch die Ausgrenzung von Arzneimitteln wer-den insbesondere chronisch Kranke betroffen, die ihreArzneimittel dann aus eigener Tasche bezahlen müssen.
Wollen die Koalitionsfraktionen wirklich, dass unsereGKV-Versicherten immer mehr zu Patienten zweiterKlasse werden? Offensichtlich wird das angestrebt.
In der „Ärzte Zeitung“ von heute wird nicht nur ganzspeziell davor gewarnt, einen Wirkstoff wie zum Bei-spiel Benfotiamin für Diabetiker auszugrenzen, sondernes wird auch ganz allgemein gesagt – ich zitiere –:Es sei ein Rückschritt in der Diabetesbehandlungzu erwarten, wenn die Positivliste Wirklichkeitwerde …Weil wir gerade bei den Antidiabetica sind, lassen Siemich noch auf Folgendes hinweisen: Acarbose – be-kannter unter dem speziellen Namen Glucobay – wirdim Entwurf der Positivliste von 2001 noch aufgeführt.Seit April 2002 wird es in den jeweiligen Entwürfennicht mehr aufgeführt, obwohl sich die Aufnahmekrite-rien im Gesetz in der Zwischenzeit nicht verändert ha-ben. Interessanterweise ist allerdings die Acarbosebe-handlung wichtiger Bestandteil aller existierendenLeitlinien zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2.Also auch das stimmt nicht überein.
Interessanterweise werden Patienten, die Acarbose ver-ordnet bekommen, nicht von Disease-Management-Programmen ausgeschlossen. Auf der einen Seite wol-len Sie zwar diese Disease-Management-Programme,
auf der anderen Seite konterkarieren Sie sie aber mit derPositivliste. An diesem Beispiel ist auch zu erkennen,dass die Positivliste und Disease-Management-Pro-gramme nicht aufeinander abgestimmt sind. Die Kompa-tibilität ist nicht gewährleistet.Das Durcheinander wird komplett, wenn demnächstnoch das Zentrum für Qualität in der Medizin hinzu-kommt. Man kann sich hier wirklich des Eindrucks nichterwehren, dass auch in diesem Bereich im Gesundheits-mdFvRmbGimuhtubnsWnsetmusKDwdtlAIZHrbkllPs
elche Institutionen haben wir bereits und welche sollenoch kommen, immer vorausgesetzt, dass Rot-Grün miteiner Regulierungswut so weitermacht? Es beginnt mitiner Ethikkommission, dann haben wir ein Bundesinsti-ut für Arzneimittel und Medizinprodukte, das Arznei-ittel zulässt; wir haben den Bundesausschuss der Ärztend Krankenkassen; wir haben die Arzneimittelkommis-ion der deutschen Ärzteschaft und letztendlich eineommission, die die Negativliste aufstellt.
ie letztgenannte Kommission soll jetzt umgewandelterden in ein Institut für Arzneimittelverordnung, dasie Positivliste herausgibt.Das Deutsche Institut für Medizinische Dokumenta-ion und Information wird die Positivliste erarbeiten. Al-ein dieser Bürokratismus wird 540 000 Euro kosten.uch das ist letztlich kein Einsparpotenzial.
ch will gar nicht davon sprechen, dass demnächst dasentrum für Qualität in der Medizin hinzukommen soll.Meine Damen, meine Herren von der linken Seite desauses, der Masterplan Bürokratieabbau dieser Bundes-egierung lässt bei all dem, was wir hier zu erwarten ha-en, grüßen!
Nicht zuletzt aus dieser Auflistung ist unschwer zu er-ennen, dass eine zeitnahe Aktualisierung der Positiv-iste mehr als problematisch ist. Nicht alle gerade zuge-assenen patentgeschützten Arzneimittel sind auf derositivliste zu finden. Ich sage es noch einmal: Zugelas-en sind sie, aber aufgeführt nicht. Das BMGS führt
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Dr. Wolf Bauerdamit das bewährte Zulassungsinstrumentarium, ja dieExistenzberechtigung seiner eigenen Behörde, nämlichdes BfArM, ad absurdum.
Es ließe sich auch zu diesem Bereich noch viel sagen.Ich möchte nur darauf hinweisen, dass die Positivliste– das wird von vielen bestätigt – Arbeitsplätze gefährdetund wahrscheinlich zum Arbeitsplatzabbau führenwird. Sie müssen daran denken, dass vor allem mittel-ständische Betriebe betroffen sind,
weil sie durch eine eingeschränkte Produktpalette beson-ders darunter leiden.Ich komme nun noch zu den Alternativen. Zuvörderstbrauchen wir endlich das Gesamtkonzept für dieGesundheitspolitik, das wir seit Jahren immer wiedereingefordert haben. Das ist Aufgabe der Regierungsko-alition bzw. der Bundesregierung selbst. Nun ist ange-kündigt, dass es demnächst kommen wird – ich hoffe,bald.
Es macht auch keinen Sinn, dass permanent Struktu-ren zerschlagen werden, ohne dass man weiß, was mandagegengesetzt haben will. Ich denke dabei zum Beispielan das Budgetaufhebungsgesetz, das zwar durchgeboxtworden ist, bei dem aber keiner die Folgen kannte. DasGanze ist ins Gegenteil umgeschlagen.Wenn ich von bewährten Strukturen spreche, dannmeine ich natürlich auch die Negativliste. Wir könnendoch mit der Negativliste alle Probleme lösen, die insHaus stehen,
und wir können sie damit effektiver lösen.So bleibt mir nur, noch einmal auf die „FAZ“ vom9. April zurückzukommen, in der es heißt – da kann ichnur beipflichten –: Das gesamte Gesetz gehört in denSchredder und nicht ins Parlament.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgitt Bender von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit derPositivliste werden die in Deutschland auf dem Marktbefindlichen 40 000 Arzneimittel auf die reduziert, diewirksam und zweckmäßig einsetzbar sind und deswegenauf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung ver-ordnet werden dürfen. Es handelt sich um ein Instru-mmrIeWdSkrstäVÄSgwtenmssguhnPsEbickdWdGrf
ir sind nicht mehr im Jahre 1995. Das Schreddern magamals für Sie wichtig gewesen sein, aber heute solltenie das mit etwas kühlerem Kopf betrachten.
Herr Kollege Bauer, die Positivliste ist nun geradeein Beispiel für die von Ihnen immer wieder beschwo-ene Staatsmedizin,
ondern sorgt schlicht und ergreifend für mehr Rationali-t im Leistungsgeschehen.
ielleicht sollte es Ihnen zu denken geben, dass dierzte dafür sind.
ie hören doch sonst so gerne auf die Leistungserbrin-er.Im Übrigen stimmt auch Ihr Einwand nicht, allesürde teurer, weil immer nur nach teureren Medikamen-n gegriffen würde, wenn ein bestimmter Wirkstofficht mehr auf der Positivliste zu finden sei. Woher neh-en Sie das? Auf der Positivliste befinden sich Wirk-toffe nicht nur mit einem breiten Wirkungsspektrum,ondern auch unterschiedlicher Preisklassen. Es gibt so-ar ein Nebeneinander der klassischen Schulmedizinnd der alternativen Arzneimittel. Das heißt, hier beste-en therapeutische Alternativen. Es gibt überhaupt kei-en Anlass, anzunehmen, dass ausgerechnet durch dieositivliste alles teurer würde. Im Gegenteil, wir ver-prechen uns davon Einsparungen.Dementsprechend befürchtet die Pharmaindustrieinbußen. Wahr ist, dass einige Betriebe tatsächlich Ein-ußen erleiden werden; das ist nicht zu bestreiten. Aberh erinnere auch daran, dass die gesetzliche Kranken-asse natürlich kein Instrument der Wirtschaftsförderungarstellt.
ir sollten uns aber auch vor Augen halten, dass der Wi-erstand der Pharmaindustrie gegen die Positivliste imrunde genommen kurzsichtig ist; denn eine Verbesse-ung der Arzneimittelqualität in Deutschland ist wichtigür die internationale Wettbewerbsfähigkeit.
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Birgitt BenderWas ist in Deutschland in den letzten Jahrzehnten pas-siert? Deutschland war einmal berühmt dafür, die Apo-theke der Welt zu sein. Aber in den letzten 20 Jahren hatdie deutsche Arzneimittelindustrie stark an Boden verlo-ren. Warum? Weil auf dem deutschen Markt alles absetz-bar war und deswegen der Impuls für Innovationenfehlte. Selbst eine vom VFA in Auftrag gegebene Studiezeigt, dass von den fünf Ländern, die deutlich höhereForschungsaktivitäten als Deutschland zeigen, drei Län-der eine Marktregulierung durch eine Positivliste ken-nen. Es geht also nicht darum, die Pharmaindustrie vondieser Positivliste zu verschonen. Es liegt eher in ihremeigenen längerfristigen Interesse, dass dafür gesorgtwird, dass Qualität den Markt in Deutschland bestimmt.Auch die Versicherten und die Patientinnen und Patien-ten haben daran ein großes Interesse.
Wir folgen dem Beispiel dieser drei Länder und darü-ber hinaus dem Beispiel von Belgien, Finnland, Frank-reich, Griechenland, Italien, Österreich, Portugal, Spa-nien und der Schweiz. Ich kann mir nicht vorstellen, dassdieser Weg so katastrophal sein soll, wie von der Oppo-sition behauptet.Ich will hervorheben – das ist ein wichtiger Punkt –,dass die Positivliste auch die Therapievielfalt sichert.Sowohl die Arzneimittel der Schulmedizin als auch diealternativen Arzneimittel finden sich auf dieser Liste. Ichwill deutlich sagen, dass die Polemik gegen die angebli-che Schamanenmedizin – entsprechende Briefe habenuns dieser Tage erreicht – völlig fehl am Platz ist. Dieje-nigen, die solche Briefe schreiben, sollten sich vor Au-gen halten, dass diese Mittel von großen Teilen der Be-völkerung gewünscht und angewandt werden und dasssie in der Regel preiswerter und ärmer an Nebenwirkun-gen sind. Ich sage aber auch deutlich: Sie wirken.Lassen Sie mich an dieser Stelle noch bemerken, dassder Vorschlag der Rürup-Kommission, nicht rezept-pflichtige Arzneimittel künftig von der Erstattung aus-zunehmen bzw. mit 100 Prozent Zuzahlung zu belegen,keine gute Idee ist. Allein die Frage, was gefährlich ist,entscheidet über die Rezeptpflicht. Das gehört zum Ge-fahrenabwehrrecht. Vielmehr entscheidet die Frage, wasvon Nutzen ist, darüber, ob die Kosten für ein Arzneimit-tel von der Krankenkasse getragen werden. Deswegensollten wir hier keine Änderung vornehmen.Das Nebeneinander verschiedener Therapieansätzeauch im Arzneimittelbereich schafft produktive Konkur-renz. Die Opposition behauptet doch immer, sie sei fürWettbewerb. Genau den gibt es hier. Deswegen ist diePositivliste ein wichtiger Baustein zur Verbesserung derLeistungen unseres Gesundheitswesens.
Der Kollege Dr. Dieter Thomae hat wegen der ver-
schobenen Debatte gebeten, seine Rede zu Protokoll ge-
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chließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
urfs auf Drucksache 15/800 an den in der Tagesord-
ung aufgeführten Ausschuss vorgeschlagen. Gibt es
azu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
ann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der
§§ 1360, 1360 a BGB
– Drucksache 15/403 –
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
einen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Als erste Rednerin hat die Kollegin Sabine Bätzing
on der SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Bei allem gebührenden Respekt vor der Geset-esinitiative des Bundesrates muss ich heute leider fest-tellen: Aus dem Süden gibt es nichts Neues. So hat derns vorliegende Gesetzentwurf, der auf Initiative von Ba-en-Württemberg eingebracht wurde, denselben Wort-aut wie ein Gesetzentwurf aus der 14. Legislaturperiode,er der Diskontinuität verfiel. Hoffnungen, dass es sichierbei um eine echte Verbesserung der Rechtsstellungon Ehepaaren handeln würde, müssen – leider – begra-en werden.Aber lassen Sie mich von vorne anfangen: Vor demintergrund des erforderlichen Bürokratieabbaus under von uns allen kritisierten Paragraphendichte liegt esn der Verantwortung der Gesetzgeber, kritisch zu prü-en, ob ein neues Gesetz überhaupt erforderlich ist.on daher überlegt man zunächst immer: Welches Zieloll das neue Gesetz verfolgen? Diese Frage habe auchh mir gestellt.Zugegeben, der erste flüchtige Blick in den Gesetz-ntwurf kann einem die Realität verklären. So könntean meinen, dass mit diesem Gesetz wirklich etwas zurerbesserung der Rechtsstellung des haushaltsfüh-enden Ehegatten im Verhältnis zum erwerbstätigenartner getan wird, soll doch jedem Ehegatten einRecht auf angemessene Teilhabe an den Einkünften, dieem Unterhalt zu dienen bestimmt sind“, zuerkannt wer-en und ist doch daneben ein Anspruch auf Erteilung deruskunft über die Einkommens- und Vermögenssitua-ion vorgesehen. Klingt plausibel! So plausibel, dassan Hoffnung schöpfen kann für die Ehen, in denen derrwerbstätige Partner bisher auf dem Portemonnaie sitztnd es nur widerwillig öffnet? – Nein, nicht wirklich.enn bei genauerem Vergleich erkennt man, dass genauiese Möglichkeiten, wie sie hier gefordert werden, be-eits bestehen. Sie sind überflüssig. Anlage 2
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Sabine BätzingDie §§ 1360 und 1360 a BGB legen bereits ausdrück-lich fest, dass die Ehegatten einander zum Unterhalt ver-pflichtet sind.
Darüber hinaus besagt sogar die ständige Rechtspre-chung dazu, dass der angemessene Unterhalt der Familiealles umfasst, was nach den Verhältnissen der Ehegattenerforderlich ist, um die Kosten des Haushaltes zu bestrei-ten und die persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten zubefriedigen, sogar einschließlich eines Taschengeldes.Die Rechtsstellung der Eheleute wird durch den Gesetz-entwurf also de facto nicht verbessert. Auch die Umbe-nennung des Auskunftsanspruches führt zu keiner ech-ten Verbesserung der bestehenden Rechtslage.
Ändert man also nur die Verpackung und gibt demKind einen anderen Namen oder was bringt der Gesetz-entwurf den Ehepartnern wirklich? „Partner“ ist in die-sem Zusammenhang ein gutes Stichwort. Denn benötigteine Partnerschaft, eine intakte Ehe – nur über diesesprechen wir bei den Regelungen der §§ 1360 ff. BGB –zusätzliche Regelungen und Eingriffe vom Staat? Trauenwir unseren Ehepaaren nicht mehr zu, ihre persönlichenAngelegenheiten – dazu zähle ich auch die familiären Fi-nanzverhandlungen – in eigener Verantwortung mit demnötigen Vertrauen und Respekt in ihren eigenen vierWänden zu führen?
Ich gebe – wenn auch ungern – zu, dass es immernoch Ehen gibt, in denen den Frauen zu Monatsbeginndas knapp bemessene Haushaltsgeld auf dem Küchen-tisch abgezählt wird. Wenn es hoch kommt, gibt es dazuvielleicht noch ein Taschengeld. Zweifelsohne entsprichtdies nicht der modernen Auffassung von einer partner-schaftlichen Beziehung. Aber werden wir diese Fami-liensituation durch neue Paragraphen verändern können,neue Paragraphen, die – ich betone es noch einmal – in-haltlich nichts Neues konkret regeln, sondern nur etwasklarstellen? Pure Worthülsen sollen also plötzlich denAlleinverdienern die Spendierhosen überstülpen. Ent-schuldigen Sie, meine Damen und Herren, aber daranhabe ich große Zweifel.
Noch mehr Zweifel an dem Entwurf kommen jedochauf, wenn man dessen Begründung und die anschlie-ßende Erläuterung zu den Auswirkungen des Gesetzesauf die Länderhaushalte liest. So wird in der Begrün-dung gesagt, dass die Ehepartner durch die Gesetzesän-derung dazu ermutigt würden, vor Gericht ihren Ehepart-ner zum Beispiel auf Kontenauskunft zu verklagen, dader Anspruch nun im Gesetz klargestellt sei. Wir habenvorhin von Vertrauen und Respekt in einer intakten Ehegesprochen. Halten Sie es für wahrscheinlich, dass maneine Auskunft von seinem Ehepartner vor Gericht ein-klagt? – Nein. Selbst der Bundesrat als Gesetzesinitiatorglaubt daran in letzter Instanz nicht. In der Begründungist er von seiner eigenen Argumentation noch halbwegsüargslefVhwAslslClB§lWaFGvmmVdmvhDddfMaewn
ber Regelungen mit alleinig klarstellendem Charakterollten sich in unser bewährtes System einfügen.Partnerschaft, Vertrauen und Respekt sind die Grund-agen einer intakten Familie. Davon lebt eine Ehe. Sindie nicht vorhanden, helfen auch keine Paragraphen undeeren Worthülsen.Danke schön.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ute Granold von der
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren Kol-egen! Der über das Land Baden-Württemberg und denundesrat eingebrachte Gesetzentwurf zur Änderung der§ 1360 und 1360 a BGB trägt dem Gedanken der ehe-ichen Teilhabe am Familienunterhalt in verbessertereise Rechnung und stärkt so die Ehe in ihrem Wesenls gleichberechtigte Partnerschaft zwischen Mann undrau, verfassungsrechtlich geschützt in den Art. 6 und 3rundgesetz.Der Gesetzgeber hat bewusst auf ein Leitbild der Eheerzichtet und es den Eheleuten überlassen, eine ange-essene Regelung für das partnerschaftliche Zusam-enleben zu finden. So ist es nur natürlich, dass eineielzahl von Lebensformen in unserer sich stetig wan-elnden Gesellschaft mittlerweile Realität ist.Die Erwerbstätigkeit beider Ehepartner ist heute einehrheitlich gewählter Lebensentwurf. Neben Doppel-erdiener- und Zuverdienerehen – in der Regel arbeitenier die teilzeitbeschäftigten Ehefrauen mit – sind einrittel der Ehen so genannte Haushaltsführungsehen, inenen nur ein Ehepartner – in 80 Prozent der Fälle ist eser Mann – erwerbstätig ist. Den Familien- und Haus-rauen – natürlich auch den in diesem Beruf arbeitendenännern, aber auch den Teilzeiterwerbstätigen – stehtufgrund der derzeitigen Gesetzeslage ein Anspruch aufin angemessenes Wirtschaftsgeld in eigenständiger Ver-altung, bemessen nach den ehelichen Lebensverhält-issen, zu. Aus der Verpflichtung zur ehelichen Lebens-
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Ute Granoldgemeinschaft leitet sich, von der Rechtsprechunganerkannt, ein Informationsanspruch in groben Zügenüber den wesentlichen Bestand des Vermögens und derEinkünfte ab.Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteilvom 28. Februar 2002 zum nachehelichen Ehegattenun-terhalt festgestellt – ich zitiere –:Kindererziehung und Haushaltsführung stehengleichwertig neben der Beschaffung des Einkom-mens. Daraus erfolgt der Anspruch auf gleiche Teil-habe am gemeinsam Erwirtschafteten während undnach der Ehe.
Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2Grundgesetz schützt die Ehe als Lebensgemein-schaft gleichberechtigter Partner.Kommen den Ehegatten gleiches Recht und gleicheVerantwortung bei der Ausgestaltung ihres Ehe-und Familienlebens zu, so sind auch die Leistun-gen, die sie jeweils im Rahmen der von ihnen in ge-meinsamer Entscheidung getroffenen Arbeits- undAufgabenzuweisungen erbringen, als gleichwertiganzusehen; so haben beide Ehegatten grundsätzlichauch Anspruch auf gleiche Teilhabe am gemeinsamErwirtschafteten, das ihnen zu gleichen Teilen zu-zuordnen ist. Dies gilt nicht nur für die Zeit des Be-stehens der Ehe, sondern entfaltet seine Wirkungauch nach Trennung und Scheidung der Ehe.Die Konsequenz hieraus für den Gesetzgeber ist, washeute Gegenstand der Beratung ist. Was für Trennungund Scheidung bereits gesetzlich geregelt ist, muss auchwährend der Ehe gelten: Auskunftspflicht beider Part-ner über ihr Einkommen, um ihnen gleichberechtigt eineÜbersicht über ihre finanzielle Situation zu ermöglichen.Transparenz in finanziellen Angelegenheiten ist ein klei-ner Schritt zu mehr Partnerschaftlichkeit in der Ehe. Da-mit wird ein Signal gesetzt, das gesellschaftspolitischvonnöten ist.Wer moniert, dass solche Selbstverständlichkeitennicht in gesetzliche Regelungen aufgenommen werdensollen, muss sich fragen, warum andere Selbstverständ-lichkeiten, etwa dass Ehefrauen in der Ehe nicht verge-waltigt werden dürfen, vor noch nicht allzu langer Zeitin das Strafgesetzbuch aufgenommen wurden.Die Erfahrung der Fachverbände in ihrer alltäglichenBeratungspraxis zeigt, dass die Familien- und Haus-frauen über die finanziellen Verhältnisse oft nicht odernur unzureichend informiert sind, was sich im Übrigenbei späteren Trennungen in sich mittlerweile häufendenAuskunftsklagen bei Familiengerichten bestätigt. Nochgravierender ist, dass in nicht wenigen Fällen unzurei-chende finanzielle Mittel zur Haushaltsführung und zumpersönlichen Bedarf zur Verfügung stehen.Gerade vor dem Hintergrund der Gleichwertigkeitvon Familien- bzw. Hausfrauen und erwerbstätigenEhegatten müsste zumindest die Klarstellung einerSelbstverständlichkeit hier ohne Debatte möglich sein,nämlich das Recht auf angemessene Teilhabe an denEssggbnrPbBTVEGLdDGdgmbtägRhvEWbwGGvnsFtsBzl
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Derorgelegte Gesetzentwurf bezieht sich auf Ehen, in de-en eine traditionelle Rollenteilung zwischen den Ge-chlechtern besteht: Der Mann verdient das Geld, dierau bleibt zu Hause. Der Entwurf zielt darauf ab, die Si-uation der nicht erwerbstätigen Ehegatten zu verbes-ern. Zu 75 Prozent sind das die Frauen.Erfreulicherweise – da gebe ich Ihnen Recht, Frauätzing – hat sich innerhalb der letzten Jahre einigesum Positiven verändert; denn zunehmend teilen vor al-em jüngere Paare gleichberechtigt ihre Aufgaben und
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Irmingard Schewe-Gerigkihr Einkommen – aber eben nur die jüngeren. Dennochist heute noch in 27 Prozent der Ehen nur ein Ehegatteerwerbstätig, in der Regel der Mann. 1997, als der Ge-setzentwurf geschrieben wurde, waren es noch 31 Pro-zent. Aber auch wenn dieser Trend anhält, müssen wiralles dafür tun, den partnerschaftlichen Umgang derEhegatten miteinander zu stärken. Sehr verehrte Kolle-ginnen und Kollegen, hier haben wir ein gemeinsamesZiel. Jedoch bin ich mir nicht sicher, ob der von Ihnenvorgeschlagene Weg auch zielführend ist.Obwohl Ehefrauen seit 1977 das Recht haben, ohneZustimmung des Ehemannes berufstätig zu sein, über-nimmt noch immer fast jede dritte Ehefrau ausschließ-lich Hausarbeit und Kindererziehung. In Zahlen ausge-drückt sind das in der Bundesrepublik Deutschlandknapp 4 Millionen Frauen. Dies tun viele allerdingsnicht freiwillig; denn Untersuchungen haben gezeigt,dass 70 Prozent der nicht erwerbstätigen Mütter gerneneben der Kindererziehung weiterhin ihrem Beruf nach-gehen würden.
In vielen Familien ist durch diese Aufgabenteilungauch die Dominanz in den Familien klar festgeschrieben,ganz nach dem Motto: Wer das Geld hat, hat das Sagen.Fakt ist, dass jede zweite Hausfrau mit ihrer finanziellenBeteiligung nicht zufrieden ist. Hier setzt der vorlie-gende Gesetzentwurf an: Er will Hausfrauen in Finanz-fragen rechtlich besser stellen. Frauen sollen ein Teilha-berecht an den Einkünften des Ehegatten sowie einenAnspruch auf Auskunft über den Verdienst des Partnershaben.Durch das vorgesehene Teilhaberecht würde der nichterwerbstätigen Ehegattin signalisiert, dass sie für ihrenpersönlichen Bedarf nicht nur Bittstellerin für ein Ta-schengeld ist, das ihr der Ehemann großzügig überlässt,sondern dass ihr selbstverständlich der angemessene Teilder Einkünfte zusteht. Problematisch könnte in diesemZusammenhang jedoch die rechtliche Stellung gegen-über Gläubigern werden. Denn wird der Ehefrau einsymbolisches Teilhaberecht eingeräumt, würde es künf-tig Gläubigern der Ehefrau erleichtert, den Unterhaltsan-spruch zu pfänden. Das müssen wir eingehend prüfen,wenn wir eine tatsächliche Verbesserung für die Frauenerreichen wollen.Das zweite Element des Entwurfs, das Auskunfts-anspruchsrecht der nicht verdienenden Ehegattin,schätze ich als Vorteil für die Frauen ein. Derzeit exis-tiert ein allgemeiner Informationsanspruch über das Ein-kommen und das Vermögen des Ehemannes. Der Ehe-mann kann aber darauf verweisen, dass sein Geld seineSache sei. Mit der Einführung eines echten Auskunftsan-spruchs soll dieses Informationsdefizit der nicht verdie-nenden Ehefrau aufgehoben werden. Eine getrennt le-bende oder geschiedene Ehegattin besitzt dieses Rechtund ich sehe nicht ein, weshalb eine Ehefrau wenigerRechte haben sollte.
xhAhHAwkEdbwSsEdluIsrnlenimbFsÄPhveicHdsizbasüZBs
Das Wort hat die Kollegin Sibylle Laurischk von der
DP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ge-etzentwurf des Bundesrates enthält eine klarstellendenderung der §§ 1360 und 1360 a BGB, der zufolge dieosition des nicht erwerbstätigen Ehegatten als haus-altsführender oder lediglich hinzuverdienender Partnererbessert und gestärkt werden soll. In der Regel handelts sich dabei um Ehefrauen, wobei nicht zu verkennenst, dass angesichts einer sich ändernden gesellschaftli-hen Haltung zur Ehe auch zunehmend Männer denaushalt führen oder lediglich hinzuverdienen, währendie Ehefrau Hauptverdienerin ist. Aufgrund einer sichtändig verschärfenden Arbeitsmarktsituation wird diesn Zukunft noch häufiger der Fall sein, zumal Frauen inunehmendem Maße gut ausgebildet sind.In § 1353 BGB steht die Definition der ehelichen Le-ensgemeinschaft, worin auch die wechselseitige Ver-ntwortung festgelegt ist. Daraus ist seitens der Recht-prechung ein Auskunftsanspruch auf Unterrichtungber die wechselseitige Einkommenssituation in grobenügen definiert worden. Im Unterschied hierzu gibt dasürgerliche Gesetzbuch den getrennt lebenden oder ge-chiedenen Ehegatten einen Auskunftsanspruch im
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Sibylle LaurischkDetail, der einklagbar und durchsetzbar ist. Die Aus-kunftsrechte von getrennt lebenden und geschiedenenEhegatten sind also rechtlich stärker normiert.Man kann zu Recht große Zweifel haben, ob ein Aus-kunftsanspruch unter Ehegatten, wie im Bundesratsent-wurf vorgeschlagen, in der Rechtspraxis umzusetzen ist.Ein Ehepartner, der Informationen über das Einkommenseines Partners haben will, würde sich im Interesse desRechtsfriedens sehr überlegen, ob er oder sie zur Durch-setzung eines Auskunftsanspruchs den anderen tatsäch-lich verklagen will. Es bleibt also die Frage zu stellen,wo die Bedeutung der Gesetzesvorlage liegt und obdiese rechtspolitisch klug ist.
Wenn die Zielsetzung tatsächlich die ist, Ehepartnerndie wechselseitigen Auskunftsklagen schmackhaft zumachen, ist eine Ergänzung der §§ 1360 und 1360 aBGB kritisch zu beurteilen.
Es kann nicht Aufgabe des Gesetzgebers sein, Eheleute,die grundsätzlich zu vertrauensvollem und solidarischemHandeln aufgerufen sind, miteinander in Streit zu füh-ren. Sollte aber Zielsetzung sein, ein Signal zu setzen,das die Eheleute in gemeinsamer Verantwortung umset-zen müssen, dann ist die vom Bundesrat vorgeschlageneErgänzung der § § 1360 und 1360 a BGB möglicher-weise sinnvoll.Die gesellschaftliche Realität sieht mittlerweile soaus, dass immer weniger Ehen geschlossen werden undEhen immer häufiger geschieden werden. Außerdem istdie demographische Entwicklung in Deutschland ein-deutig so, dass immer weniger Kinder geboren werden.Frauen werden zunehmend älter, bis sie sich erstmalsentschließen, ein Kind zu bekommen. 40 Prozent derAkademikerinnen in Deutschland haben keine Kinder.Diese demographisch problematische Entwicklunghängt auch damit zusammen, dass die so genannte Haus-frauen- und Hinzuverdienerehe für Frauen an Bedeutungverliert. Die Ehe bietet zunehmend nicht mehr den trag-fähigen Boden, um Kinder zu erziehen, ohne die Dop-pelbelastung der Berufstätigkeit auf sich zu nehmen,weil die Entscheidung zu einer solchen Familienführungden Frauen – aber nicht nur ihnen – schwer fällt. Dabeiist sicherlich auch von erheblicher Bedeutung, dassFrauen eine Entscheidungsbasis für die Wahl brauchen,Hausfrau oder eine nur in geringem Umfang berufstätigeFrau und Mutter sein zu wollen.Aber auch in einer ganz anderen familiären Situationbrauchen sie klare Informationsmöglichkeiten hin-sichtlich ihrer Unterhaltsansprüche, nämlich um die Ent-scheidung treffen zu können, wenn sie wegen der Ver-sorgung alter Eltern oder sonstiger hilfsbedürftigerFamilienmitglieder zu Hause bleiben wollen.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
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Das Wort hat der Kollege Joachim Stünker von der
PD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Wir beschäftigen uns heute mit einem Gesetz-ntwurf des Bundesrates, der von Baden-Württembergingebracht worden ist. Dieser stimmt mit dem Gesetz-ntwurf überein, mit dem wir uns am 13. Oktober 2000,lso noch in der letzten Wahlperiode, in erster Lesungeschäftigt haben. Damals herrschte Übereinstimmungarüber – das war in allen Reden nachzulesen; ich habeir die Mühe gemacht –, dass niemand diesen Entwurfeiterverfolgen wollte. Der Entwurf war damals bereitsn erster Lesung durchgefallen – und das, wie ich meine,u Recht.
Seinerzeit hat die von uns allen sehr geschätzte Kolle-in Margot von Renesse, die in ihrer zwölfjährigen Mit-liedschaft im Deutschen Bundestag, was die Gleichstel-ung von Mann und Frau angeht, sehr segensreichewirkt hat, folgende Überschrift gefunden: Man will et-as für Frauen tun. Aber man will in Wirklichkeit nur soun, als ob man etwas täte.
Man will das klarstellen, was schon lange geltendesecht ist. Das ist in den Reden heute Abend auch wiedereutlich geworden, es sei denn, ich bin intellektuell nichtn der Lage gewesen, diesen zu folgen. All das, was vor-etragen wurde, ist schon heute geltendes Recht, gel-ende Rechtsprechung und in einer intakten Ehe keinroblem. Von daher stellt sich die Frage, warum man mit
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Joachim Stünkereinem neuen Satz 3 im § 1360 BGB bestehendes Rechtnoch einmal klarstellen muss.
Eine solche Gesetzgebung ist letzten Endes unsinnig
und für das juristische Handwerk absolut fatal.
Es stellt sich die Frage nach der praktischen Rele-vanz einer solchen Klarstellung, die laut der Begrün-dung in das Gesetz hineingeschrieben werden soll. Fra-gen wir also, ob es in der Lebenswirklichkeit praktischeGründe dafür gibt! Laut einer repräsentativen Umfragedes Forsa-Instituts, die im Auftrag der Zeitschrift „Frauim Spiegel“ durchgeführt wurde, wirtschaften nur noch16 Prozent der deutschen Frauen mit Haushaltsgeld undlediglich 12 Prozent erhalten Taschengeld. In der Mehr-zahl der Partnerschaften sind die Haushaltsfinanzenmittlerweile ein Gemeinschaftsthema geworden.
85 Prozent der Frauen treffen gemeinsam mit ihremPartner Entscheidungen über Anschaffungen,
83 Prozent der Frauen sind über den Verdienst des Man-nes im Bilde und 61 Prozent müssen keine Rechenschaftdarüber ablegen, wofür sie Geld ausgeben. Das ist diemoderne Ehe.
Sie haben heute ein tradiertes und überkommenes Bildvon der Ehe dargestellt, wie es der Wirklichkeit im21. Jahrhundert letzten Endes nicht mehr entspricht.
Denjenigen, die immer nach Entbürokratisierung ru-fen, sage ich Folgendes: Wir als Gesetzgeber sollten unswirklich davor hüten, mit gesetzgeberischen Maßnah-men in die durch Art. 6 Grundgesetz geschützte Privat-heit der intakten Ehe – darum geht es hier – hineinzure-gieren.
Herr Kollege Stünker, erlauben Sie eine Zwischen-
frage der Kollegin Lenke?
Nein. – Lassen Sie mich zum Abschluss noch zwei
Dinge dazu sagen:
Erste Anmerkung: Frau Ministerin, wenn Sie Ihren
Gedanken, eine Klarstellung im § 1360 BGB vorzuneh-
men, logisch zu Ende denken, dann müssten Sie konse-
quenterweise zu der Meinung kommen, auch das eheli-
che Güterrecht entsprechend ändern zu wollen. Ihrer
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ür diese haben wir das alles im Gesetz geregelt.
Mit dem Vorschlag, den Sie hier vorlegen, geben Sie
en Frauen Steine statt Brot.
ie tun genau das, was Frau von Renesse gesagt hat: Sie
un so, als würden Sie etwas tun. In Wirklichkeit ist das
in retardierter Vorschlag.
Schönen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Norbert Röttgen
on der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beiem vorliegenden Gesetzentwurf zum Familienrecht, derom Bundesrat in den Bundestag eingebracht worden istnd auf eine Initiative des Landes Baden-Württembergurückgeht, geht es um eine gesellschaftspolitischerage. Es geht um die Gesellschaftspolitik, weil dieseresetzentwurf die wirtschaftliche und finanzielle Aner-ennung der Haushaltstätigkeit in der Ehe und damit iner Regel auch in der Familie beinhaltet. Diese Tätigkeitird in vier von fünf Fällen von der Ehefrau geleistet;ie Ehemänner sind immer noch in der Minderheit.
Das Interessante und ein wenig auch das Erschre-kende an dieser Debatte ist, dass es offensichtlich Un-erschiede in der Beurteilung der sozialen Wirklichkeitibt.
ir haben auch heute wieder unverbindliche Schönwet-erreden über die Partnerschaft, den Wert der Haushalts-ätigkeit und die Anerkennung, die ihr zukommt, gehört.
uch Sie haben heute wieder eine solche Rede auf teil-eise sehr bescheidenem Niveau gehalten, wie ich sagenuss.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2003 3365
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Dr. Norbert RöttgenFrau Bätzing hat gerühmt, dass die Ehefrau in der Wirk-lichkeit sogar ein Taschengeld bekommen könne. Welcheine Großtat im 21. Jahrhundert! Der Kollege Stünkerhat erklärt, wir hätten nur noch moderne Ehen, in deralle gleichberechtigt partizipieren, alles sei bestens, esgebe überhaupt keine Defizite in der Anerkennung unddaher auch keinen Handlungsbedarf. Das bestätigt imGrunde nur meine generelle These, dass die eigentlichstrukturkonservative Fraktion auf der linken Seite diesesHauses angesiedelt ist. Sie sind die Status-quo-Partei.
Wir haben uns überlegt: Lohnt es sich überhaupt, hierdarüber zu reden? Wir waren der Auffassung, dass es gutist, heute darüber zu debattieren. Ich wusste aber garnicht, wie gut das ist. Frau Schewe-Gerigk, ich teilenicht alles, was Sie gesagt haben.
Dies gilt insbesondere für die Tatsache – ich will es ein-mal freundlich formulieren –, dass Sie sich ein Urteildarüber anmaßen, wie andere ihre Ehe führen sollen. Ichführe keine Alleinverdienerehe. Aber in der Familie mei-ner Frau gibt es ein solches Modell. Meine Schwägerinhat sich als promovierte Akademikerin aus freier Wahldafür entschieden und sagt: Wir haben vier Kinder unddas ist es, was ich mir wünsche. Ich finde, keiner solltesich das Recht herausnehmen, darüber ein Urteil zu spre-chen. Überlassen Sie diese autonome Entscheidung denEhepartnern!
Das hat mich an Ihrem Beitrag gestört. Aber ich glaube,dass sich das nicht unbedingt im Gesetzentwurf auswir-ken muss; denn er gilt nur für diejenigen, die sich füreine solche Lebensweise entscheiden.Es gibt eine Diskrepanz zwischen den unverbindli-chen Reden und der sozialen, wirtschaftlichen und finan-ziellen Wirklichkeit; das ist überhaupt nicht zu bestrei-ten. Reden Sie einmal mit Anwälten für Familienrecht!Sie werden Ihnen bestätigen, dass Ehefrauen quer durchalle Bevölkerungsschichten oft noch nicht einmal wis-sen, was ihr Ehemann im Monat verdient. In den Bera-tungen vor der Scheidung werden die Ehefrauen gefragt,ob sie die Steuererklärung nicht unterschrieben hätten,weil man dann die Höhe des Verdienstes hätte sehenmüssen. Die Antwort ist dann, dass sie die Steuererklä-rung ohne hinzuschauen unterschrieben hätten. Das istdie Wirklichkeit, nicht nur, aber auch in Deutschland.Dass Sie in der SPD generationen- und geschlechtsüber-greifend davor die Augen verschließen, ist eine erschre-ckende Tatsache; das muss ich schon sagen.
In dieser Sache hat es übrigens eine rechtliche Verän-derung gegeben. Die Kollegin Granold hat aus der Ent-s2dujdsrWuEMlnngnbAAwdBdnLdasghkBWddAw1
nd im Grunde genommen genau das beschlossen, wasetzt im Gesetzentwurf steht. Das sollten Sie sich einmalurchlesen. Das Bundesverfassungsgericht ist also miteiner Wertung auf der Seite des Bundesrates.Das Verdienstvolle des Gesetzentwurfs des Bundes-ates ist, dass die Ebene der schönen und folgenlosenorte verlassen und das Mittel des Rechts gewählt wird,m der Anerkennung Ausdruck zu geben. Das ist dasntscheidende, das ist die wesentliche Veränderung. Dieöglichkeiten des Gesetzgebers, auf die soziale Wirk-ichkeit und das Bewusstsein einzuwirken und Anerken-ung zu verschaffen, sind begrenzt. Es ist die privatauto-ome Entscheidung der Eheleute, wie sie ihre Eheestalten. Man kann gesellschaftliche Anerkennungicht rechtlich erzwingen. Aber das, was der Gesetzge-er kann, nämlich mit der Ausdrucksform des Rechtsnerkennung zu verschaffen, sollte er tun. Das ist unsereuffassung. Darum befürworten wir diesen Gesetzent-urf.
Wir appellieren an die einzige Fraktion dieses Hauses,ie den Gesetzentwurf ablehnt, sich konstruktiv an dereratung zu beteiligen. Verweigern Sie bitte nicht nureswegen die Unterstützung, weil Sie diesen Entwurficht eingebracht haben.
assen Sie uns hier zusammenarbeiten! Ich freue micharüber – das will ich hier zum Ausdruck bringen –, dasslle anderen Fraktionen diesem Gesetzentwurf grund-ätzlich – über Details muss geredet werden – positivegenüberstehen. Das ist ein gutes Signal. Es stimmtoffnungsvoll, dass am Ende ein gutes Ergebnis heraus-ommt.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt die Justizministerin des Landesaden-Württemberg, Corinna Werwigk-Hertneck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ginge mitiesem Gesetzentwurf, wenn er Gesetz würde, ein Ruckurch die Machos oder handelt es sich dabei um „einert Gedichtvortrag zum Muttertag“,
ie es Margot von Renesse in der Bundestagsdebatte am3. Oktober 2000 formuliert hat? Ich habe das Protokoll
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Ministerin Corinna Werwigk-Hertneck
auch gelesen, Herr Stünker. Darin steht etwas völlig an-deres, als Sie ausgeführt haben.
Ich nehme es jungen Frauen nicht übel, wenn sie denidealen Traum der partnerschaftlichen Ehe postulieren.Aber ich bin doch etwas verwirrt, was die SPD zu die-sem Thema wirklich meint; denn ich habe auch die Stel-lungnahme der Bundesregierung aus diesem Jahr sorg-fältig gelesen, aus der ein anderes Ehebild hervorgeht.Danach muss sich diese Regelung – also der Gesetzes-vorschlag des Bundesrates – nämlich in ein „bewährtesSystem des Familienunterhaltes einfügen. In diesemSystem stehen sich die Ehegatten nicht mit individual-rechtlichen, auf die persönliche Nutzenmehrung gerich-teten Ansprüchen gegenüber, sondern sie stellen ihrepersönlichen Interessen hinter die Verwirklichung dergemeinsamen und partnerschaftlich bestimmten Zieleder Familie zurück“,
und zwar in der Regel auf Kosten der Frauen!Ich war 20 Jahre lang Fachanwältin für Familienrechtund habe selbst Beratungen durchgeführt. Was Sie sag-ten, Herr Dr. Röttgen, ist völlig richtig. Die Anwaltschaftkann die genannten Beispiele bestätigen.Das Bundesverfassungsgericht hat deswegen in Über-einstimmung mit der vorherigen Rechtsprechung eineangemessene Teilhabe gefordert; insofern haben SieRecht, Herr Stünker. Aber wie wird eine solche Teilhabeerreicht? Es gibt keinen Auskunftsanspruch. Auch wennzum Beispiel eine Professorenfrau, die zwar ihren Mannliebt und gerne mit ihm Weltreisen macht, aber immernoch mit 500 Euro Taschen- bzw. Haushaltsgeld aus-kommen muss, selbst wenn die Kinder bereits das Stu-dium abgeschlossen haben, zaghaft nachfragt, wie vielihr Mann verdient, dann ist es wichtig, dass er seine Ge-haltsabrechnung vorzeigt.
Mit der im vorliegenden Gesetzentwurf getroffenenKlarstellung und der Bezugnahme auf § 1605 BGB wirddiese Auskunftspflicht geregelt. Sicherlich fällt es vie-len Männern schwer, ihre Verhältnisse offen zu legen.
Darauf hat übrigens auch eine sehr alte ehemalige Bun-destagsabgeordnete, Frau Dr. Diemer-Nicolaus, hinge-wiesen, als sie hörte, dass ich diesen Gesetzentwurf er-neut auf die Tagesordnung des Bundesrates setzen ließ.Sie hat mir erzählt: Frau Kollegin, ich habe es schon1957 versucht, aber die Männer wollten den Frauen da-mals noch keine Einsicht in die Unterlagen gewähren.ehgElzdesmdADlnwEdrpfGddm–sewwnaiote
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
urfs auf Drucksache 15/403 an die in der Tagesord-
ung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
nderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann
st die Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
rdnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
ages auf morgen, Freitag, den 11. April 2003, 9 Uhr,
in.
Die Sitzung ist geschlossen.