Protokoll:
11019

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 11

  • date_rangeSitzungsnummer: 19

  • date_rangeDatum: 24. Juni 1987

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 13:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 15:23 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/19 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 19. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1987 Inhalt: Aktuelle Stunde betr. Erwägungen des Bundesministers des Innern, den mit der Todesstrafe bedrohten chilenischen Staatsbürgern die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland zu verweigern Duve SPD 1188 C Fellner CDU/CSU 1189 C Frau Olms GRÜNE 1190 C Dr. Hirsch FDP 1191B Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI . 1192A Wartenberg (Berlin) SPD 1193A Dr. Kappes CDU/CSU 1194 A Volmer GRÜNE 1195 C Schäfer, Staatsminister AA 1195 D Dr. Blens CDU/CSU 1196D Tagesordnungspunkt 1: Fragestunde — Drucksache 11/502 vom 19. Juni 1987 — Einbeziehung von Frauen in die Sportförderung der Bundeswehr MdlAnfr 60, 61 19.06.87 Drs 11/502 Frau Steinhauer SPD Antw PStSekr Würzbach BMVg 1171B ZusFr Frau Steinhauer SPD . . . 1171B, 1171D ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 1171D Verzicht auf weiterentwickelte Hubschrauber bei der Panzerabwehr MdlAnfr 62 19.06.87 Drs 11/502 Dr. Weng (Gerlingen) FDP Antw PStSekr Würzbach BMVg 1172 A ZusFr Dr. Weng (Gerlingen) FDP . . . 1172A Ausstattung der Luftwaffe mit konventionell bestückten Raketen vom Typ Pershing für Angriffsoperationen, z. B. gegen Flugplätze MdlAnfr 63 19.06.87 Drs 11/502 Dr. Mechtersheimer GRÜNE Antw PStSekr Würzbach BMVg 1172 B ZusFr Dr. Mechtersheimer GRÜNE . . 1172B ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 1172 C Unterlassung der Vorlage des Technologie-und Experimentalprogramms TECHNEX vor dem Verteidigungsausschuß des Bundestages MdlAnfr 64 19.06.87 Drs 11/502 Horn SPD Antw PStSekr Würzbach BMVg 1172 D ZusFr Horn SPD 1173 A ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 1173 B ZusFr Frau Fuchs (Verl) SPD 1173 C Ausweisung der in der Rüstungsplanung enthaltenen Programme der Bundesregierung im Wert von 50 Millionen US-Dollar MdlAnfr 65 19.06.87 Drs 11/502 Steiner SPD Antw PStSekr Würzbach BMVg 1173 D ZusFr Steiner SPD 1174 A Verwendung der zur Stärkung der Luftverteidigung eingestellten Mittel für Untersuchungen über Angriffswaffen MdlAnfr 66 19.06.87 Drs 11/502 Erler SPD II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1987 Antw PStSekr Würzbach BMVg 1174 B ZusFr Erler SPD 1174 B ZusFr Horn SPD 1174 D ZusFr Dr. Mechtersheimer GRÜNE . . 1175A ZusFr Frau Fuchs (Verl) SPD 1175 B ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 1175 C ZusFr Dr. von Bülow SPD 1175 D Nachfolge der Pershing-I a-Systeme MdlAnfr 67 19.06.87 Drs 11/502 Erler SPD Antw PStSekr Würzbach BMVg 1176A ZusFr Erler SPD 1176 A ZusFr Frau Fuchs (Verl) SPD 1176 B ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 1176 C ZusFr Dr. Mechtersheimer GRÜNE . . 1176D ZusFr Steiner SPD 1177 A ZusFr Horn SPD 1177 A Nachfolge der Pershing-I a-Systeme MdlAnfr 68 19.06.87 Drs 11/502 Zumkley SPD Antw PStSekr Würzbach BMVg 1177 B ZusFr Zumkley SPD 1177 B ZusFr Heistermann SPD 1177 C ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 1177 D ZusFr Dr. Mechtersheimer GRÜNE . . 1178A ZusFr Erler SPD 1178 A ZusFr Steiner SPD 1178 B ZusFr Gerster (Worms) SPD 1178 C Flugkörpersysteme zur Bekämpfung von stationären und mobilen Zielen aus der Luft MdlAnfr 69 19.06.87 Drs 11/502 Frau Fuchs (Verl) SPD Antw PStSekr Würzbach BMVg 1178 D ZusFr Frau Fuchs (Verl) SPD 1178 D ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 1179 A ZusFr Erler SPD 1179 B Voraussichtliche Kosten des Waffensystems Pershing I a nach 1991 MdlAnfr 71 19.06.87 Drs 11/502 Gerster (Worms) SPD Antw PStSekr Würzbach BMVg 1179 C ZusFr Gerster (Worms) SPD 1179 C ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 1179 D Lärmbelästigung im Tieffluggebiet Nr. 1 (Landkreise Cloppenburg, Vechta, Bersenbrück, Emsland, Ammerland) MdlAnfr 72 19.06.87 Drs 11/502 Graf SPD Antw PStSekr Würzbach BMVg 1180 A ZusFr Graf SPD 1180A ZusFr Grünbeck FDP 1180 C ZusFr Gerster (Worms) SPD 1180 C ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 1180D Übertragung der Aufgaben des Hauptprüfungsamtes der Deutschen Bundesbahn auf den Bundesrechnungshof MdlAnfr 1 19.06.87 Drs 11/502 Kohn FDP Antw PStSekr Dr. Schulte BMV 1181A ZusFr Kohn FDP 1181B ZusFr Dr. Weng (Gerlingen) FDP . . . 1181 C Veröffentlichung des Gutachtens über die Streckenführung der Hochleistungsstrecke München—Nürnberg MdlAnfr 2 19.06.87 Drs 11/502 Grünbeck FDP Antw PStSekr Dr. Schulte BMV 1181C ZusFr Grünbeck FDP 1181D ZusFr Amling SPD 1182 A ZusFr Frau Schmidt (Nürnberg) SPD . . 1182A Strafverfolgung der Ärzte, die gegen die vorgeschriebene Meldepflicht von Schwangerschaftsabbrüchen verstoßen haben MdlAnfr 9 19.06.87 Drs 11/502 Frau Schmidt (Nürnberg) SPD Antw PStSekr Pfeifer BMJFFG 1182 B ZusFr Frau Schmidt (Nürnberg) SPD . . 1182C Unfall im geplanten Atommüll-Endlager Gorleben MdlAnfr 10, 11 19.06.87 Drs 11/502 Dr. Hirsch FDP Antw PStSekr Grüner BMU 1183 B ZusFr Dr. Hirsch FDP 1183C, 1184B ZusFr Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 1183D, 1185A ZusFr Menzel SPD 1184A, 1184D ZusFr Frau Garbe GRÜNE 1185 C Modellvorhaben zur Gewinnung von Öl aus Klärschlamm MdlAnfr 12 19.06.87 Drs 11/502 Stiegler SPD Antw PStSekr Grüner BMU 1185 D ZusFr Stiegler SPD 1186A ZusFr Grünbeck FDP 1186 B ZusFr Frau Garbe GRÜNE 1186 C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1987 III Beseitigung von LOST-Rückständen und Kampfstoffen in Bayern MdlAnfr 13, 14 19.06.87 Drs 11/502 Vahlberg SPD Antw PStSekr Grüner BMU 1186D ZusFr Vahlberg SPD 1187A, 1187C ZusFr Amling SPD 1187B, 1188B Nächste Sitzung 1197 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 1199* A Anlage 2 Honorarregelung für DDR-Autoren und Wissenschaftler, die Bezüge aus dem Westen beziehen MdlAnfr 3, 4 19.06.87 Drs 11/502 Daweke CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Hennig BMB . . . 1199* B Anlage 3 Beschuß des bundesdeutschen Tenders „Neckar" durch ein polnisches Kriegsschiff in der Ostsee MdlAnfr 73 19.06.87 Drs 11/502 Gansel SPD SchrAntw PStSekr Würzbach BMVg . . . 1199* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1987 1171 19. Sitzung Bonn, den 24. Juni 1987 Beginn: 13.00 Uhr
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    1198 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1987 Berichtigung 17. Sitzung, Seite I rechte Spalte, vierte Zeile von unten: Statt „Frau Götte FDP" ist „Frau Dr. Götte SPD" zu lesen. Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein 24. 6. Frau Beck-Oberdorf 26. 6. Frau Beer 26. 6. Büchner (Speyer) * 24. 6. Bühler (Bruchsal) * 24. 6. Francke (Hamburg) ** 24. 6. Frau Hensel 26. 6. Hiller (Lübeck) 26. 6. Hoppe 26. 6. Frau Kelly 26. 6. Klose 26. 6. Kolbow 26. 6. Kroll-Schlüter 26. 6. Kuhlwein 26. 6. Dr. Müller * 26. 6. Frau Pack * 26. 6. Dr. Penner 26. 6. Reuschenbach 26. 6. Sauer (Salzgitter) 26. 6. Frau Verhülsdonk 26. 6. Dr. Warnke 25. 6. Würtz ** 24. 6. Frau Zutt 26. 6. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hennig auf die Fragen des Abgeordneten Daweke (CDU/CSU) (Drucksache 11/502 Fragen 3 und 4): Kann die Bundesregierung bestätigen, daß nach einem Ministerialbeschluß bei DDR-Autoren und Wissenschaftlern, die im Westen Honorare beziehen, nur über 50 v. H. dieser Bezüge persönlich verfügen dürfen und die übrigen 50 v. H. - früher jedoch nur 30 bis 40 v. H. - bei der DDR-Staatsbank in Ostmark umtauschen müssen? Falls ja, welche Maßnahmen hat die Bundesregierung dagegen unternommen? Anlagen zum Stenographischen Bericht Der Bundesregierung ist ein Beschluß, nach dem deutsche Autoren und Wissenschaftler aus der DDR 50 Prozent der im Westen in DM bezogenen Honorare in Mark der DDR umtauschen müssen, nicht bekannt. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, daß es Umtauschregelungen gibt. Nach dem Devisengesetz der DDR vom 19. 12. 1973 § 16 Abs. 3 und 4 (vgl. Anlage) kann eine sogenannte Anbietungspflicht für Devisen angeordnet werden. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Würzbach auf die Frage des Abgeordneten Gansel (SPD) (Drucksache 11/502 Frage 73): Wie hat sich der Vorfall in der Ostsee, bei dem der Tender „Neckar" der Bundesmarine bei der Beobachtung eines Ühungsschießens von Granaten eines polnischen Kriegsschiffes getroffen wurde, nach den Erkenntnissen der Bundesregierung zugetragen, und welche Konsequenzen hat die Bundesregierung daraus gezogen? Am 15. Juni 1987 beobachtete der Tender „Neckar" vor Brüsterort in internationalen Gewässern ein Flugkörperschießen der WP-Marinen. Dabei stand „Nekkar" ca. 0,5 sm südlich eines aus 4 FK-Schnellbooten und 2 FK-Korvetten bestehenden polnischen Verbandes in der Annahme, diese Einheiten wollten auf ein ca. 18 sm nördlich stehendes Ziel schießen. Tatsächlich aber eröffneten die Einheiten um 0701Z das Feuer auf eine aus Süden anfliegende Zieldrohne - Styx-Flugkörper ohne Gefechtskopf. Dabei wurde der Tender, der nunmehr in der Schußrichtung stand, mehrfach getroffen. Die Feuereröffnung bedeutet eine eklatante Mißachtung allgemeiner internationaler Sicherheitsbestimmungen. Die Bundesregierung hat am 16. Juni 1987 in unmißverständlicher Weise gegen dieses Verhalten protestiert und Aufklärung sowie Entschuldigung verlangt. Sie behält sich vor, Ansprüche geltend zu machen. Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, die rechtmäßige Beobachtung der Ausbildungstätigkeit des WP in internationalen Gewässern einzuschränken.
Gesamtes Protokol
Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101900000
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksache 11/502 —
Wir kommen zunächst zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Zur Beantwortung steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Würzbach zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 60 der Abgeordneten Frau Steinhauer auf:
Trifft es zu, wie unter Berufung auf das Bundesministerium der Verteidigung in der letzten Zeit in den Medien mehrfach gemeldet wurde, daß die Bundesregierung die Sportkompanien und Sportfördergruppen auch für Sportlerinnen öffnen will, und welche Absichten verfolgt die Bundesregierung mit diesem Vorhaben?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Peter Kurt Würzbach (CDU):
Rede ID: ID1101900100
Frau Kollegin, das Bundesministerium der Verteidigung hat zu keinem Zeitpunkt erklärt, daß die Sportlehrkompanien und die Sportfördergruppen unserer Bundeswehr nunmehr auch für Spitzensportlerinnen geöffnet werden sollten. Nur Soldaten können dort teilnehmen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101900200
Zusatzfrage, bitte schön, Frau Abgeordnete.

Waltraud Steinhauer (SPD):
Rede ID: ID1101900300
Herr Staatssekretär, dann stimmen Meldungen nicht, daß Pläne im Bundesverteidigungsministerium und in den Chefetagen der deutschen Sportführung vorliegen, daß die beiden Bundeswehrsportkompanien zukünftig auch Frauen aufnehmen sollen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, es stimmen Meldungen, daß im Bereich des Deutschen Sportbundes die erfolgreiche Arbeit, die wir dort gemeinsam mit dem Deutschen Sportbund leisten — das kann man fast an Medaillenspiegeln ablesen —, so anerkannt wird, daß der Sportbund in der Tat bedauert, daß diese Art der Unterstützung und Zusammenarbeit in der Form des Dienstes nur männlichen und nicht auch weiblichen Teilnehmern zuteil werden kann. Aber wir öffnen die Sportschulen in Sonthofen und Warendorf sowie andere an Wochenenden für
bestimmte Lehrgänge, die dort in voller Hoheit der Sportverbände durchgeführt werden, natürlich auch für weibliche Teilnehmer.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101900400
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete, bitte schön.

Waltraud Steinhauer (SPD):
Rede ID: ID1101900500
Ich darf noch einmal konkret fragen: Pläne, Frauen in die Bundeswehr aufzunehmen, die Spitzensportlerinnen sind, gibt es bei Ihnen bisher nicht?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Dies ist korrekt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101900600
Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1101900700
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin gesagt: Die Sportkompanien stehen nur den Soldaten offen. Meine Frage lautet: Wenn sich jetzt zufälligerweise einmal ein weiblicher Sanitätsoffizier als Spitzensportlerin herausstellt, darf sie dann auch teilnehmen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, unsere Ärztin ist Soldat.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101900800
Weitere Zusatzfragen werden nicht gewünscht.
Dann rufe ich die Frage 61 der Abgeordneten Frau Steinhauer auf:
Hat die Bundesregierung Pläne, in den Bundeswehr-Sportschulen in Warendorf und Sonthofen — durch die Umbenennung in Olympia-Stützpunkte — die Einbeziehung von Frauen in die Sportförderung der Bundeswehr zu ermöglichen, und auf welche Vorschläge gehen diese Überlegungen zurück?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, auch hier muß ich, wenn ich das kurz zusammenfasse, nein sagen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101900900
Zusatzfrage, bitte sehr.

Waltraud Steinhauer (SPD):
Rede ID: ID1101901000
Darf ich auch hier noch einmal konkret fragen: Die Umwandlung der Sportschulen in Olympiastützpunkte beinhaltet nicht, die Bundeswehr für Frauen zu öffnen, die Spitzensportlerinnen sind und die dort als Sportlerinnen ihren Dienst tun?



Würzbach, Parl. Staatssekretär: Auch dies ist korrekt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101901100
Eine weitere Zusatzfrage wird nicht gewünscht. Dann rufe ich die Frage 62 des Abgeordneten Dr. Weng (Gerlingen) auf:
Sieht die Bundesregierung auf Grund von neuen Waffensystemen — wie die z. B. im SPIEGEL Nr. 24 beschriebene Fog-M-Abwehrrakete — die Möglichkeit, die Erfordernisse der Panzerabwehr neu zu definieren und z. B. auf einen weiterentwickelten Panzerabwehrhubschrauber zu verzichten?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Weng, nach ersten Untersuchungen stellt sich heraus, daß die von Ihnen angesprochenen Systeme die Panzerabwehr im Verbund mit anderen Panzerabwehrsystemen verdichten und über weitere Entfernungen wohl wirkungsvoller machen können. Sie werden aber nach dem jetzigen Untersuchungsstand kaum zu einem neuen Panzerabwehrkonzept führen und stellen auf keinen Fall eine wirkungsvolle Alternative zum Panzerabwehrhubschrauber dar.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101901200
Sie wünschen eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter? — Bitte sehr.

Dr. Wolfgang Weng (FDP):
Rede ID: ID1101901300
Werden die dahin gehenden Untersuchungen denn ständig fortgesetzt, damit gegebenenfalls zu dem Zeitpunkt, da hier Entscheidungen fallen müssen, auch ein neuer Kenntnisstand bekannt ist?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ja.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101901400
Eine weitere Zusatzfrage wird nicht gewünscht. Dann kann ich die Frage 63 des Abgeordneten Dr. Mechtersheimer aufrufen:
Kann die Bundesregierung Überlegungen oder Planungen bestätigen, wonach die Bundesluftwaffe zusätzlich rund 200 konventionell bestückte Raketen für Luftangriffsoperationen z. B. gegen Flugplätze (Counter Airfield Attack) erhalten und daß es sich dabei um eine auf unter 500 Kilometer Reichweite reduzierte Version des Waffensystems Pershing handeln soll?
Herr Staatssekretär.
Herr Abgeordneter, würden Sie bitte entsprechend der Form des Hauses Ihren Platz einnehmen.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Genehmigte planerische Festlegungen, wie Sie sie in Ihrer Frage ansprechen, gibt es nicht.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101901500
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.

Dr. Alfred Mechtersheimer (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1101901600
Gibt es Überlegungen, die eine andere Qualität als planerische Festlegungen haben und zum Ziele haben, Aufgaben zu übernehmen, die bisher die Pershing I a der Luftwaffe hatte?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Es gibt in den zuständigen Bereichen — das ist einerseits die Luftwaffe und andererseits die Abteilung Rüstung; auch die Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen und industriellen Bereichen ist hier zu nennen — natürlich Überlegungen, und dies muß so sein. Aber genehmigte Planungen, zu denen diese Überlegungen geführt haben, gibt es nicht.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101901700
Weitere Zusatzfrage? — Bitte sehr, Herr Dr. Mechtersheimer.

Dr. Alfred Mechtersheimer (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1101901800
Diese Überlegungen sind offenkundig finanziell relevant und auf Umwegen finanziert. Fürchtet die Bundesregierung nicht den Vorwurf, daß ein derartiges Verfahren in der Öffentlichkeit als ein bewußtes Umgehen der anstehenden Doppel-Null-Lösung verstanden werden könnte?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Von dem, der sich sachlich informiert, der sachlich zu einem Urteil kommt und sachlich darüber redet, kann ein solcher Vorwurf nicht erhoben werden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101901900
Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1101902000
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt: Genehmigte Planungen gibt es nicht. Aber gibt es nicht Überlegungen, Studien, Hinweise mit der gleichen Zielrichtung, die aus dem Etat 14 20, Forschung und Technologieentwicklung, finanziert werden?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, zu allen Zeiten — und dies galt selbst, als Sie die Regierung stellten — wurde vorher — ich hoffe, fleißig und gründlich — überlegt, abgewogen, wurden vorher alternative Vorschläge gemacht, um dann eine vernünftige Entscheidung treffen zu können. Das ist der übliche Prozeß.

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Nur, die vernünftige Entscheidung fehlt bei Ihnen!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101902100
Weitere Zusatzfragen werden nicht gewünscht.

Erwin Horn (SPD):
Rede ID: ID1101902200

Wie will die Bundesregierung begründen, daß sie das Technologie- und Experimentalprogramm TECHNEX, das gemäß Schreiben Staatssekretärs Prof. Timmermann an den Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses vom 3. Juni 1987 mit 28 Millionen US-Dollar veranschlagt ist — entsprechend einem Wechselkurs von 2,60 DM für 1 US-Dollar (Beschaffungsvorlage ROLAND/PATRIOT, Bundesministerium der Verteidigung, Staatssekretär Dr. Rühl vom 28. November 1984, Anlage 1, Seite 3) mit einem Volumen von 72,8 Millionen DM —, dem Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages nicht im Rahmen der 50-Millionen-DM-Vorlagen vorgelegt hat?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Horn, das Technex-Programm besteht aus mehreren Einzelvorhaben, die in keinem einzigen Fall zum Vertragsabschluß von mehr als 50 Millionen DM geführt haben. Das MoU, aus dem sich die deutsche Verpflichtung zur Durchführung von Studien und Programmen wie Technex ergibt, hat dem Verteidigungsausschuß und auch dem Haushaltsausschuß mit der Beschaffungsvorlage Patriot/Roland im Jahre 1985 vorgelegen; Bedenken wurden nicht erhoben.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101902300
Zusatzfrage? — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Horn.




Erwin Horn (SPD):
Rede ID: ID1101902400
Schönen Dank. — Herr Staatssekretär, ist es, wenn ein Programm die 50-Millionen-DMGrenze überschreitet, nicht notwendig, dieses Programm dann jeweils dem Fachausschuß, also dem Verteidigungsausschuß, und dem Haushaltsausschuß vorzulegen, und streiten Sie ab, daß es ein in sich geschlossenes, abgestimmtes Programm gibt, das diese vorhin genannte Grenze überschreitet?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der erste Punkt ist völlig unstrittig: Wenn etwas über 50 Millionen DM hinausgeht, haben wir dies entsprechend einem jahrelang geübten Verfahren vorzulegen. Dies haben wir in allen Einzelfällen getan.
Nicht richtig ist die im zweiten Teil Ihrer Frage getroffene Feststellung, daß es sich hier um ein kompaktes, als ein Programm zu bezeichnendes Vorhaben handelt. Vielmehr handelt es sich hier um viele kleine Maßnahmen, die die Summe von 50 Millionen DM jeweils nicht überschreiten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101902500
Zusatzfrage?

Erwin Horn (SPD):
Rede ID: ID1101902600
Ja. — Herr Staatssekretär, kann es nicht auch so sein, daß Einzelprogramme dem gleichen Ziel dienen und als Komplementärelemente für e i n zu entwickelndes Programm in den Vorlauf der Entwicklung gegeben sind?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Horn, lassen Sie mich einen Vergleich zu Beschaffungsvorhaben, wo dies ja meist stattfindet, anstellen: Auch hier dienen Funkgeräte, Elektronik, Hydraulik und Munition einem Waffensystem. Dennoch legen wir die Dinge für die Beschaffung einzeln vor. Genauso ist es hier in aller Sachlichkeit geschehen.
Ich habe, Herr Horn, die Niederschrift eines Rundfunkinterviews, das Sie gegeben haben, gelesen. Wenn ich hier die gleiche Sprache spräche, dann würde der Präsident mich auffordern, hier nicht so zu sprechen. Aber ich nehme einmal Ihre Vokabeln: Hier bestand seitens der Regierung nicht einmal die Absicht, unsere beiden Ausschüsse, Verteidigungsausschuß und Haushaltsausschuß, zu leimen oder anzuschmieren, wie Sie gesagt haben. In aller Sachlichkeit, mit der üblichen Gepflogenheit hat diese Regierung — wie die vorherige — dieses Programm verabschiedet.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101902700
Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1101902800
Herr Staatssekretär, ich will das in eine Frage kleiden: Die Vorlage, von der Sie sprechen, hat in einem Umfang von ungefähr 60 Seiten den zuständigen Berichterstattern vorgelegen, und zwar mir. Nur habe ich damals gefragt, was dies soll. Darauf wurde mir gesagt, dies sind Begleitentwicklungen, die für Roland notwendig sind. Da wir nun nicht immer so blauäugig sind und sicherlich in vieler Hinsicht auch wissen, wie was läuft, darf ich Sie fragen: Wäre es nicht richtig und korrekt gewesen, wenn Sie das Parlament — dem Sie sonst so vieles erzählen — auch darauf hingewiesen hätten, daß das nicht für Roland an sich gedacht sei, sondern für diejenigen Zwecke, die jetzt im nachhinein von uns herausgegrabbelt worden sind?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben überhaupt nichts verheimlicht; Sie hatten da nichts herauszugrabbeln. Es ist Ihnen gemeinsam mit den 40 oder 60 Seiten, die Sie zitieren, auch das MoU über die Verabredung von Minister Weinberger auf der einen Seite und Minister Wörner auf der anderen Seite über die Verwendung der in diesem Fall 50 Millionen Dollar, die wir sonst an die Amerikaner noch hätten zahlen müssen, ausdrücklich zugeleitet worden. Das war ein Papier von einer Seite.

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Eine von 40! Ich weiß das!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101902900
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Fuchs, bitte sehr.

Katrin Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1101903000
Herr Staatssekretär, ist es nicht richtig, daß wir jetzt über ein Technex-Programm zu reden haben, für das Mittel aus dem Patriot-Vorhaben vorgesehen sind, und daß da für dieses Programm bereits 28 Millionen Dollar aufgeteilt worden sind, wie in dem Schreiben des Ministers der Verteidigung an den Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses erwähnt wurde, und ist es nicht richtig, daß 28 Millionen Dollar zu dem damaligen Wechselkurs, als das alles vereinbart wurde, ca. 72 Millionen DM sind, und ist es nicht zusätzlich richtig, daß wir über die Verwendung dieser Mittel und über dieses Programm überhaupt nicht informiert worden sind, und wäre es dann nicht richtig, daß der Verteidigungsausschuß oder der Haushaltsausschuß davon in Kenntnis gesetzt worden wäre?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Beide Ausschüsse sind in der Art, die ich eben auf Fragen des Kollegen Klejdzinski geschildert habe, darüber in Kenntnis gesetzt worden, daß wir den Amerikanern 50 Millionen Dollar nicht zahlen müssen, wenn wir diese Mittel gemeinsamen Forschungen und Programmen — niedergelegt in einem anderen Kapitel — zuführen. Dies ist geschehen. Der Brief, den Sie ansprechen, den der Kollege Zimmermann unserem Kollegen Horn zu diesem Komplex geschrieben hat, ist von vorn bis hinten korrekt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101903100
Danke schön. Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Ich rufe die Frage 65 des Abgeordneten Steiner auf :
Stimmt die Bundesregierung mir zu, daß, wenn sie sich verpflichtet, ich zitiere „in ihrer Rüstungsplanung enthaltene Programme im Wert von 50 Millionen US-Dollar auszuweisen", sie diese Programme auch tatsächlich ausweisen muß?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Steiner, die Bundesregierung hat sich in dem Abkommen für Roland/Patriot verpflichtet, in ihrer Rüstungsplanung enthaltene Programme im Wert von 50 Millionen amerikanischen Dollar auszuweisen, die der Unterstützung gemeinsam vereinbarter deutschamerikanischer Vorhaben zur Stärkung des Luftverteidigungspotentials der NATO in Mitteleuropa dienen. Dies ist im Rahmen des Forschungs- und Technologiekonzepts, das Bestandteil der Rüstungsplanung ist, auch geschehen.




Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101903200
Zusatzfrage, bitte sehr, Herr Abgeordneter Steiner.

Heinz-Alfred Steiner (SPD):
Rede ID: ID1101903300
Herr Staatssekretär, wo sind denn diese Programme ausgewiesen, und zwar so ausgewiesen, daß sie der parlamentarischen Kontrolle zugänglich sind?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Wir haben im Rahmen des Technologiekonzepts und der Rüstungsplanung dem Ausschuß vorgetragen, und wir haben im Rahmen der geheimen Erläuterung, die Sie kennen, zum Haushaltsplan der Geheimschutzstelle in Kenntnis der Obleute aller Fraktionen das, was im Kapitel 1420, Titel 551 11 geschrieben ist, am 30. September 1986 zugeleitet.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101903400
Weitere Zusatzfrage, bitte sehr.

Heinz-Alfred Steiner (SPD):
Rede ID: ID1101903500
Herr Staatssekretär, es geht ja auch hier wieder um eine Summe, bei der wir wissen, daß es hier eine Mitteilungs- oder Unterrichtungspflicht der Bundesregierung gibt. Wenn Sie sich jetzt auf das beziehen, was Sie gerade gesagt haben, darf ich Sie fragen, ob Sie damit unterstellen, daß Sie Ihrer Unterrichtungspflicht dann in dem Maße nachgekommen sind, wie es allgemein üblich ist?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Dies ist richtig.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101903600
Weitere Zusatzfragen werden zu dieser Frage nicht gewünscht.
Ich rufe die Frage 66 des Abgeordneten Erler auf:
Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß eine Verschleierung vorliegt, wenn im Beschaffungsprogramm für die Flugabwehrsysteme ROLAND/PATRIOT offiziell Mittel für „Maßnahmen zur Stärkung der Luftverteidigung" eingestellt werden, die dann im Rahmen des TECHNEX-Programms zu Untersuchungen für Angriffswaffen — Boden-Boden-Flugkörper für „Offensive Counter Air" — verwendet werden?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Erler, die Mittel für Patriot/Roland — in diesem Fall Roland/ Patriot — sind bei dem Beschaffungstitel für Munition und Feldzeugwesen veranschlagt, wohingegen die Ausgaben für das Technex-Programm ausschließlich bei Kapitel 1420, Titel 55111, nämlich Wehrtechnische Entwicklung und Erprobung, geleistet werden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101903700
Zusatzfrage, bitte sehr.

Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1101903800
Herr Staatssekretär, Sie haben ja soeben nicht in Abrede gestellt, daß in diesem TechnexProgramm auch Boden-Boden-Flugkörper im Zusammenhang mit „Offensive Counter Air" geplant sind. Würden Sie meine Befürchtung teilen, daß eine solche Entwicklung nicht im Sinn der wünschenswerten Stabilität ist, da die Entwicklung solcher Systeme auch zu Präemptionszwecken führen kann?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist nichts geplant. Es wird dort in der Vorstudie untersucht, um später eine Planungsentscheidung auf vernünftiger, abgewogener Basis zu haben. Ich teile Ihre Befürchtung in dem Zusammenhang, die Sie aussprechen, nicht. Wir haben seit vielen Jahren, seit über
einem Jahrzehnt beispielsweise im Rahmen auch einer erweiterten Luftverteidigung die Möglichkeit, im Augenblick durch bemannte Systeme — das sind die Tornados — Flugzeuge der anderen Seite davon abzuhalten, überhaupt aufzusteigen, um dann hier bei uns etwas zu zerstören. Wenn diese jetzt in Auftrag gegebenen Untersuchungen ergeben könnten, daß diese Aufgabe, die im Augenblick von bemannten Flugzeugen, die diesen Auftrag haben, eine feindliche Luftwaffe gar nicht erst aufsteigen zu lassen, wahrgenommen wird, durch unbemannte, automatisch fliegende, nicht nukleare, sondern konventionelle Systeme erreicht werden kann, dann wäre dies ein Ergebnis, das für eine mögliche Entscheidung von hoher Bedeutung sein kann.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101903900
Weitere Zusatzfrage, bitte sehr.

Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1101904000
Herr Staatssekretär, es ist ja bekannt, daß in Rüstungsfragen die andere Seite jeweils bereits auch auf Planungen reagiert. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wo eigentlich der Unterschied zwischen einer Verstärkung der Luftabwehr und der Bildung eines umfassenden Luftangriffskonzepts besteht. Gerade im Zusammenhang mit den geplanten Fähigkeiten im Rahmen von Technex, der neuen Systeme, die da, wie Sie sagen, geplant werden, besteht ja die Gefahr, daß neben der Möglichkeit der Abwehr des Luftangriffs mit Flugzeugen nun auch eine Raketenabwehr und ein Raketenangriff auf interessante gegnerische Ziele möglich sind. Sehen Sie nicht die Gefahr, daß hier doch deutlich eine Verschiebung zugunsten eines Luftangriffskonzepts geplant wird?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Gefahr sehe ich nicht. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn wir uns in diesem Haus einig wären, daß es nicht einmal gedankliche Ansätze gibt, eine solche Kapazität auch nur herstellen zu wollen. Sie kennen die Ausrüstung und Ausstattung, abgesehen von den Einsatzgrundsätzen der Luftwaffe und der NATO, und Sie wissen, daß wir dies weder wollen noch können. Aber wozu wir verpflichtet sind, ist, die Luftverteidigungsfähigkeit so herzustellen, daß sie glaubwürdig ist, daß sie funktioniert und daß sie dann hoffentlich entsprechende Verhaltensweisen bis in den rüstungskontrollpolitischen Bereich hinein bei der Sowjetunion zeitigt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101904100
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Horn.

Erwin Horn (SPD):
Rede ID: ID1101904200
Herr Staatssekretär, bei Rüstungskontroll- und Abrüstungsfragen spielt eine zentrale Frage eine bedeutende Rolle, und zwar die Frage der Verifikationsmöglichkeiten. Sehen Sie nicht, daß durch die Erstellung von Raketensystemen dieser Art die Verifikationsprobleme enorm erschwert werden und damit eine enorme Erschwerung gerade in dem für uns nötigen Rüstungskontroll- und Abrüstungsprozeß initiiert wird?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich sehe — da stimme ich Ihnen zu — die ausdrückliche Notwendigkeit, daß solche Systeme, sollten sie, welche auch immer, eingeführt werden, verifizierbar sind



Parl. Staatssekretär Würzbach
und daß man mit der anderen Seite hier auch unter der Überschrift Verifikation zu technisch nachrüstbaren Verabredungen kommt. Andererseits bitte ich nicht zu übersehen, daß solche pflichtgemäßen Untersuchungen, die wir zeitgemäß anzustellen haben, natürlich auch ihre positive Auswirkung auf den in Gang gekommenen Rüstungskontroll- und Abrüstungsdialog haben.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101904300
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Mechtersheimer.

Dr. Alfred Mechtersheimer (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1101904400
Herr Staatssekretär, gehen Sie davon aus, daß in absehbarer Zeit eine entsprechende Vorlage des Ministeriums für ein BodenBoden-System, einen Boden-Boden-Flugkörper vorliegt?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich gehe davon aus, daß, wenn diese Studien — es wird noch einige Zeit brauchen, bis die Ergebnisse vorliegen — ausgewertet sind, . . .

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101904500
Herr Abgeordneter, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich an die Usancen des Hauses halten und stehenbleiben würden.

(Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Entschuldigen Sie! Ich bin zum erstenmal bei einer Fragestunde, Herr Präsident! Seien Sie nicht so oberlehrerhaft!)

Würzbach, Parl. Staatssekretär:... wir in dem üblichen Verfahren den dafür zuständigen Gremien unsere Entscheidung vortragen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101904600
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Fuchs (Verl).

Katrin Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1101904700
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie dem Kollegen Erler gesagt haben, daß ein Konzept, das Raketenabwehr und Luftangriff beinhaltet, nicht besteht? Wie verstehe ich dann die Antwort vor dem Hintergrund, daß doch wohl in der Planung ist, die Patriot auf PAC One, PAC Two und PAC Three mit einer deutlichen Raketenabwehr zu erweitern, und daß gleichzeitig unser Verteidigungsminister plant, auch Offensive-Counter-Air-Projekte einzurichten, die im Zug seiner sogenannten erweiterten Luftabwehr Systeme, Flugzeuge, Raketen vor dem Abheben am Boden im Warschauer Pakt zerstören können müssen? Ist das keine Angriffsoption, gekoppelt mit einer Raketenabwehr, die deutlich offensiv wirken muß?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, Sie haben mich bei meiner Antwort auf die Frage des Kollegen Erler richtig verstanden — ich wiederhole —, daß das, was wir heute haben, von Ihrer Regierung damals in Auftrag gegeben und seit einigen Jahren eingeführt, uns mit bemannten Flugzeugen, dem Tornado, in die Lage versetzt, mit all den damit verbundenen Unwägbarkeiten, Flugzeuge des Warschauer Paktes am Starten in Richtung auf uns, militärische Lasten — sprich: Bomben — über unsere Städte fliegend, zu hindern und daß es eine Möglichkeit ist, die mit untersucht wird, ob an Stelle dieser vorhandenen Kapazitäten unbemannte, automatische — ich füge
noch einmal hinzu — konventionelle Systeme treten können.

(Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Automatische? Das ist interessant!)

Dies ist korrekt, aber keinen Schritt in Richtung eines Luftangriffs. Dies ist, finde ich, wie bisher — das haben Sie jahrelang mitgetragen — ein Bestandteil der erweiterten Luftverteidigung.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101904800
Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1101904900
Herr Staatssekretär, auch wenn Sie das noch mehrfach wiederholen: Eine Boden-Boden- Luftrakete ist nach meiner Einschätzung keine erweiterte Luftverteidigung. Ich bitte Sie! Ich frage Sie: Sind Sie mit mir nicht der Auffassung, daß eine Boden-Boden-Rakete im Grunde genommen eine Angriffswaffe ist, mit der etwas angegriffen werden kann?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die NATO, in ihr die Bundeswehr, wird niemals als erster eine Waffe, welche Waffe auch immer, einsetzen. Wenn der Warschauer Pakt uns aber angegriffen hat, dann muß er wissen, daß wir uns wehren wollen und wehren können. Im Interesse unserer Bevölkerung, die dann angegriffen ist, muß es doch wohl liegen, bevor feindliche Bomberverbände, uns gewaltig überlegen, über unser Land, unsere Städte, unsere Menschen und unsere Häuser fliegen, sie daran zu hindern, dieses zu tun. Ich will hinzufügen: Mich wundert es sehr, daß dieses Konzept, 20 Jahre in der gleichen Form gültig, bis vor einigen Jahren von Ihnen mitgetragen, hier in dieser Form auf einmal von Ihnen in Frage gestellt zu werden scheint.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101905000
Zusatzfrage des Abgeordneten von Bülow.

Dr. Andreas von Bülow (SPD):
Rede ID: ID1101905100
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie fragen: Ist mit dieser Überlegung, in eine Konventionalisierung der Pershing la einzutreten, eine Entnuklearisierung dieser Waffensysteme beabsichtigt? Für den Fall, daß es nicht beabsichtigt ist: Wie sinnvoll ist es eigentlich, bei einem angenommenen konventionellen Angriff von der anderen Seite diese Waffensysteme zuerst konventionell zu verschießen und sie dann nuklear nicht mehr zur Verfügung zu haben?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege von Bülow, Sie haben eine Verbindung zwischen den in Auftrag gegebenen technischen Programmen und Untersuchungen zu dem System Pershing I a hergestellt, die wir in der Form nicht sehen. Hier soll mit dem Technex-Programm insgesamt untersucht werden, welche Möglichkeiten es technisch, taktisch, finanziell gibt, um auf dem Gebiet der konventionellen ballistischen Systeme uns möglicherweise die entsprechenden Fertigkeiten zu geben. Das hat nichts mit dem Pershing-I-a-System zu tun.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101905200
Herr Abgeordneter, Ihnen steht nur eine Zusatzfrage zur Verfügung. Es tut



Vizepräsident Cronenberg
mir leid, ich kann Ihnen keine weitere Zusatzfrage genehmigen.
Wir kommen dann zur Beantwortung der Frage 67 des Abgeordneten Erler.
Bleibt die Bundesregierung bei ihrer Antwort vom 5. Dezember 1986 auf die Fragen 84 his 86 von Dr. Klejdzinski (Drucksache 10/6746) — ich zitiere: „Eine Entscheidung über eine Nachfolge für die Pershing I a-Systeme der Bundeswehr steht derzeit nicht an"?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Erler, meine Antwort ist ein Ja.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101905300
Zusatzfrage.

Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1101905400
Herr Staatssekretär, wie können Sie dieses Ja mit der Information vereinbaren, daß es am 24. Juli 1985 eine Weisung des Staatssekretärs Dr. Rühl zur Ausarbeitung einer Taktischen Forderung für ein Nachfolgesystem „Pershing I a" gegeben hat, ein Zeitpunkt, der eindeutig vor Ihrer Antwort auf die Frage des Abgeordneten Klejdzinski liegt.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Das kann ich damit vereinbaren, daß die Frage damals lautete und Ihre jetzt hier lautet, ob „derzeit" etwas ansteht. Dies ist nicht der Fall, Herr Kollege.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101905500
Weitere Zusatzfrage.

Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1101905600
Herr Staatssekretär, „derzeit" heißt ja wohl, ob eine Erneuerung bzw. ein Nachfolgesystem in der Planung ist. Können Sie, wenn bereits vorher eine Taktische Forderung abgegeben worden ist, es als eine glaubwürdige Antwort ansehen, dann zu behaupten, daß so etwas nicht anstünde?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, eine Taktische Forderung hat einen jahresmäßigen Vorlauf von — je komplexer und komplizierter ein System ist — in der Tat ein, zwei, nicht selten von drei, vier Jahren. Wenn diese nach den vielen Instanzen, durch die sie marschieren muß, und nach der Breite, in der sie koordiniert werden muß, vorliegt, dann wird sie über die Inspekteure, über die Abteilungsleiter auf die Ebene der Staatssekretäre in den Führungsstab möglicherweise noch viele Male zurückgegeben, bevor sie dann als eine wirkliche Taktische Forderung mit den Unterschriften der Minister einem Staatssekretär zur Genehmigung vorgelegt wird und eine Planungsentscheidung darstellt. Wir sind noch weit in der Vorphase.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101905700
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Fuchs.

Katrin Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1101905800
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß der Bundessicherheitsrat zugestimmt hat, ein Technologie- und Experimentalprogramm für einen konventionellen Gefechtskopf und dessen Integration in ein Nachfolgesystem Pershing I a zu veranlassen und die erforderlichen Haushaltsmittel bis maximal 100 Millionen DM für die Jahre 1986 bis 1988 auszuweisen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, Sie werden verstehen — und täte ich etwas anderes, müßten Sie mich gar rügen — , daß ich nicht in einer öffentlichen Fragestunde über Beschlußfassungen des Bundessicherheitsrates, das eines der verschlossensten Gremien zu Zeiten aller Bundesregierungen gewesen ist, hier berichte.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101905900
Das ist nur sehr zu unterstreichen, Herr Staatssekretär. — Herr Abgeordneter Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1101906000
Herr Staatssekretär, da Sie mir damals die Antwort gegeben haben, derzeit stehe so etwas nicht an, gleichzeitig aber wissen, daß im Hause Überlegungen im Gange sind, eine Taktische Forderung aufzustellen — beziehungsweise: Die Taktische Forderung war auch schon ziemlich konkret, nur haben noch die jeweiligen Unterschriften gefehlt — : Halten Sie es im Interesse der Zusammenarbeit der Regierung auf der einen Seite und der Unterrichtungspflicht des Parlaments auf der anderen Seite für angemessen, obwohl Sie wissen, daß die Taktische Forderung bei Ihnen im Entstehen ist, darauf zu antworten, daß Sie gegenwärtig in keiner Weise so etwas überlegen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir beide sprechen in großer Klarheit auch der Begriffe die deutsche Sprache. Jetzt fragen Sie nach „überlegen". Ihre Frage aber spricht über Entscheidungen. Das sind doch zwei verschiedene Dinge!
Ich verlange natürlich von den Stäben, von den Abteilungen und von möglichst vielen, die uns dabei helfen können, zu überlegen und mir die Überlegungen zuzuleiten. Und dann werden wir, je gründlicher überlegt ist, je abgeschlossener überlegt ist, entscheiden. Überlegt wird jetzt — entschieden noch nicht.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101906100
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Mechtersheimer.

Dr. Alfred Mechtersheimer (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1101906200
Herr Staatssekretär, schließen Sie aus, daß der Hersteller dieser von Ihnen gedachten neuen Boden-Boden-Rakete derselbe sein könnte wie der Hersteller von Pershing I und II, nämlich Martin-Marietta?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Mechtersheimer, über Vergabe an bestimmte Firmen muß dann, wenn die Überlegungen zu Entscheidungen geführt haben, auch nachgedacht werden, aber nicht umgekehrt in der Reihenfolge, wie Sie sie implizieren.

Dr. Alfred Mechtersheimer (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1101906300
Herr Präsident! Darf ich darauf bestehen, daß die Frage beantwortet wird. Ich habe gefragt, ob der Staatssekretär das ausschließt oder nicht.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101906400
Es steht im Ermessen des Staatssekretärs, eine solche Antwort zu geben.

(Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Ich möchte es trotzdem anmerken!)

Der Staatssekretär ist ja überhaupt nicht in der Lage, mit Verlaub zu sagen, etwas auszuschließen, was überhaupt noch gar nicht zur Entscheidung ansteht. Insofern ist Ihre Frage nicht berechtigt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Steiner.




Heinz-Alfred Steiner (SPD):
Rede ID: ID1101906500
Herr Staatssekretär, mußten Sie bei der Anfrage des Kollegen Dr. Klejdzinski nicht davon ausgehen, daß er von diesen Überlegungen, von denen Sie sprachen, Kenntnis erhalten hatte? Und meinen Sie nicht, daß es im Umgang miteinander redlicher gewesen wäre, dann zumindest darauf hinzuweisen, was überlegt worden ist?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, daß der Kollege Klejdzinski — und wenn ich die anderen Fragen sehe, nicht nur er — über detaillierte, teilweise den Wortlaut wiedergebende Kenntnisse der bei uns veranlaßten und laufenden Dinge verfügt, dies habe ich sehr wohl gesehen, und dies ist ja auch kein neuer Vorgang. Aber das, was ich auf die konkreten Fragen konkret geantwortet habe, ist korrekt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101906600
Zusatzfrage des Abgeordneten Horn.

Erwin Horn (SPD):
Rede ID: ID1101906700
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie vorhin richtig verstanden habe, dann führten Sie aus, daß es keine Weisung zur Ausarbeitung einer Taktischen Forderung für ein Nachfolgesystem Pershing I a gibt. Meine Frage: Sind Sie bereit, die volle politische Verantwortung zu übernehmen, wenn diese Aussage, die Sie gemacht haben, nicht zutreffend ist?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Horn, die Aussage in der ersten Hälfte Ihrer Frage habe ich so nicht getroffen. Ich weiß nicht, wo Sie sie gehört haben wollen. Ich habe das nicht gesagt. Im Gegenteil: Ich habe die Notwendigkeit von Überlegungen und Untersuchungen, die in eine Taktische Forderung einmünden, hier ausdrücklich beschrieben.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101906800
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Ich rufe die Frage 68 des Abgeordneten Zumkley auf:
Hat die Bundesregierung veranlaßt, daß eine Taktische Forderung (TaF) für ein Nachfolgesystem Pershing la erarbeitet wird?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Zumkley: ja. Die Bundesregierung hat auch in diesem Fall pflichtgemäß und rechtzeitig die zwingend notwendigen Schritte veranlaßt, die erforderlich sind, um eine solche Entscheidung vorzubereiten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101906900
Eine Zusatzfrage.

Peter Zumkley (SPD):
Rede ID: ID1101907000
Herr Staatssekretär, soll dieses Nachfolgesystem Pershing I a sowohl mit atomarem Gefechtskopf als auch mit konventionellem Gefechtskopf ausgerüstet sein?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir drehen uns jetzt ein paar Fragen zurück. Wenn die Untersuchungsergebnisse vorliegen, müssen Auswertungen vorgenommen werden. Dann muß vor dem Hintergrund des militärisch Notwendigen, aber auch vor dem Hintergrund des bis dahin erreichten rüstungskontrollpolitischen Abrüstungsfortgangs eine Entscheidung getroffen werden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101907100
Weitere Zusatzfrage? — Bitte schön, Herr Abgeordneter Zumkley.

Peter Zumkley (SPD):
Rede ID: ID1101907200
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß man bei einer Mischung von konventionellen und nuklearen Waffensystemen oder Gefechtsköpfen erreichen würde, daß der Warschauer Pakt nicht mehr unterscheiden könnte, mit welchen Waffen er zu rechnen hat, und er dann Gegenmaßnahmen trifft? Wie paßt das zu der beabsichtigten, nun zum Glück vereinbarten doppelten Null-Lösung?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich hoffe, daß die Null-Lösung 1 und weitere Null-Lösungen wirklich zustande kommen. Noch haben wir darüber nur geredet, aber ich verweise, Herr Kollege Zumkley, auf das — ich glaube, es war der Kollege Horn, der vorhin nach den Verifikationsmöglichkeiten fragte — , was ich dazu gesagt habe. Das ist ein Aspekt, der dabei auch beachtet werden muß.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101907300
Weitere Zusatzfrage? —Bitte schön.

Dieter Heistermann (SPD):
Rede ID: ID1101907400
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort bezüglich der Prüfung, ob ein konventioneller oder atomarer Sprengkopf verwandt werden soll, entnehmen, daß Sie nach wie vor die atomare Komponente bei diesen Waffensystemen konsequent verfolgen, oder tendiert die Bundesregierung mehr dahin, auf diesen Weg zu verzichten, sprich: darauf zu verzichten, atomare Sprengköpfe für jedes Waffensystem, was der Bundesrepublik gehört, einzuplanen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, dies dürfen Sie der Antwort nicht entnehmen. Ich will hier nicht die ganze Geschichte noch einmal wiederholen. Nach gründlichen Planungen, Studien und Untersuchungen werden wir, wenn die Ergebnisse vorliegen, zu einer rundum abgewogenen Entscheidung kommen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101907500
Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1101907600
Herr Staatssekretär, da Sie jetzt zugegeben haben, daß Sie eine Taktische Forderung für ein Nachfolgesystem Pershing I a haben erarbeiten lassen, kann ich davon ausgehen, daß diesem Auftrag vorher eine Entscheidung im Planungsstab vorausgegangen ist, daß man dieses erarbeitet. Darf ich Sie in diesem Zusammenhang fragen: Ist es nicht im allgemeinen üblich, daß irgendwann nach der Taktischen Forderung die MTZ, die militärisch-technische Zielwertbeschreibung oder -feststellung, erfolgt und daß dann in der Regel irgendwann einmal die Frage der Beschaffung folgt?
Würzbach, Parl. Staatssekretär; Herr Kollege, die Geschichte geht noch viel weiter zurück. Es ist Ihr Bundeskanzler Helmut Schmidt gewesen, der den Verteidigungsminister Apel bereits im April 1982 beauftragte, in Amerika erste Gespräche darüber zu führen, wie man dieses Pershing-I-a-System — ein altes System; es hat eine Technologie von Mitte der fünfziger Jahre — möglicherweise bis wann in Dienst halten kann oder modernisiert und wie man dies technisch tun kann. In diesem Zusammenhang sind noch von



Parl. Staatssekretär Würzbach
Ihrer Regierung im Jahre 1982 weitere Gespräche geführt worden. Völlig klar ist: Je näher der Zeitraum kommt, wo dieses System nicht mehr in Dienst gehalten werden kann, müssen sich die Aufträge, die Untersuchungen, die technischen Forderungen und all das, was dem noch folgt, verdichten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101907700
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Mechtersheimer.

Dr. Alfred Mechtersheimer (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1101907800
Habe ich Sie vorhin richtig verstanden, daß Sie meinten, eine derartige Boden-Boden-Rakete sei deshalb nicht als Angriffswaffe gefährlich, weil man sie nur im Falle eines Angriffs des Warschauer Paktes einsetzen würde? Haben Sie dabei auch bedacht, daß es durchaus möglich ist, daß man in einer Krise überhaupt nicht feststellen kann, welche Seite der Angreifer ist, und daß unter diesem Aspekt eine solche Waffe in jedem Fall destabilisierend und kriegstreibend sein könnte?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn Sie meine Ausführungen so auffassen, dann haben Sie mich nicht richtig verstanden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101907900
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Erler.

Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1101908000
Herr Staatssekretär, würden Sie einräumen, daß es einen Zusammenhang zwischen dem Technex-Programm und damit den doch relativ weit zurückreichenden Plänen zur Weiterentwicklung der Pershing I a und dem Versuch der Bundesregierung gibt, die Pershing-I-a-Systeme als Drittstaatensysteme aus der jetzt möglichen historischen Chance einer doppelten Null-Lösung auszuklammern?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, den Zusammenhang würde ich nicht herstellen wollen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101908100
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Steiner.

Heinz-Alfred Steiner (SPD):
Rede ID: ID1101908200
Herr Staatssekretär, ich möchte doch noch einmal nachhaken. Sie kennen sicherlich genausogut wie wir die Vorschläge, die jetzt im abrüstungspolitischen Bereich auf dem Tisch liegen. Hielten Sie es aus politischen Gründen nicht für vertretbar, diese Überlegungen, die Sie jetzt forcieren, so lange zu den Akten zu legen, bis die Verhandlungen im Mittelstreckenbereich zu Ende geführt sind?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist sicher ein weiter Weg, die Verbindung zwischen Ihrer Frage und der Eingangsfrage herzustellen. Aber ich sehe gleichwohl den Zusammenhang und will darauf gerne antworten.
Ich denke mir, daß wir durch die Diskussionen vorher über den Entscheidungszeitpunkt, aber auch auf Grund der planerischen Überlegungen, was geschehen soll, wenn dieses System irgendwann außer Dienst gestellt werden muß, der anderen Seite, der Sowjetunion, dem Warschauer Pakt, auch Impulse, Anreize geben, die rüstungskontrollpolitischen Elemente, an denen uns liegt, entsprechend in Bewegung zu bringen. Die andere Seite kann sehen — das
ist im Kalender ablesbar; das kann sie wie wir — , daß dieses System in ein paar Jahren außer Dienst gestellt werden muß. Wenn auf Grund unserer Überlegungen Bewegung in die Rüstungskontrollpolitik käme, kann ein Verzicht auf die Verwirklichung unserer Pläne nicht ausgeschlossen werden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101908300
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Gerster (Worms).

Florian Gerster (SPD):
Rede ID: ID1101908400
Herr Staatssekretär, ist es aus Ihrer Sicht in jedem Fall zwingend, daß es ein Nachfolgesystem für Pershing I a geben muß? Eben sind Sie gefragt worden, ob Sie die Pläne zu den Akten legen wollen. Darf ich anders fragen: Sind Sie in der grundsätzlichen Frage ergebnisoffen, ob es unabhängig von weiteren rüstungskontrollpolitischen Erfolgen überhaupt ein Nachfolgemodell geben muß? Sind Sie in dieser Frage wenigstens ergebnisoffen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Die ganze Diskussion — nicht nur diese hier — hat deutlich gezeigt, daß wir nach Vorliegen verschiedener begründeter, geeigneter Alternativen eine Entscheidung treffen werden. Eine davon ist die, die Sie ansprechen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101908500
Nun kommen wir zur Beantwortung der Frage 69 der Abgeordneten Frau Fuchs (Verl) :
Bleibt die Bundesregierung hinsichtlich meiner Frage 46 vom 3. Dezember 1986 (Drucksache 10/6368) bei der Antwort, daß diese „Aussage von Bundesminister Dr. Wörner keinen Bezug zu irgendwelchen bestimmten Flugkörpersystemen" habe, „sondern ... lediglich allgemein Möglichkeiten einer Bekämpfung aus der Luft von stationären oder mobilen Zielen" aufzeigen solle, oder handelt es sich hier anstelle „allgemeiner Möglichkeiten einer Bekämpfung aus der Luft" doch um spezifische Untersuchungen über Waffenbehälter für konventionelle Gefechtsköpfe, konventionelle Submunition und neues Startgerät für ballistische Boden-Boden-Flugkörpersysteme?
Herr Staatssekretär!
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Fuchs, ich sehe keinen Widerspruch, wie Sie ihn in der Frage deutlich werden lassen. Wir führen allgemeine, breit angelegte Versuche auf verschiedenen Gebieten und eben nicht nur solche Versuche durch, die sich speziell auf ein bestimmtes System konzentrieren.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101908600
Eine Zusatzfrage, bitte sehr, Frau Kollegin.

Katrin Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1101908700
Herr Staatssekretär, darf ich Sie vielleicht auf einen Widerspruch aufmerksam machen: Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß der Verteidigungsminister auf meine damalige Frage geantwortet hat, daß über allgemeine Möglichkeiten einer Bekämpfung von stationären oder mobilen Zielen nachgedacht werde. Dazu steht im Widerspruch, was in dem Brief an den Ausschußvorsitzenden ausgeführt ist, wo es heißt, es gehe beim Technex-Programm um die Erarbeitung — jetzt wörtlich — der Entscheidungsgrundlagen zur Konzipierung ballistischer Systeme für FOFA, OCA — Offensive Counter Air —, also um bodengestützte ballistische Systeme. Darf ich Sie fragen, ob Sie in diesen beiden Antworten auf meine Fragen einen Widerspruch sehen?



Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich sehe keinen Widerspruch, wenngleich ich weiß, daß die Formulierung der erweiterten Luftverteidigung eine solche ist — das macht auch die Fragestunde deutlich — , der sich nicht alle anschließen wollen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101908800
Obgleich das zwei Fragen waren, werden wir selbstverständlich eine zweite Zusatzfrage zulassen. Bitte!

Katrin Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1101908900
Ich bedanke mich für die Großzügigkeit, Herr Präsident. — Herr Staatssekretär, da Sie keinen Widerspruch sehen, gehe ich davon aus, daß die Planungen stattfinden und daß ich auch keinen Widerspruch mehr zu entdecken brauche. Deswegen frage ich Sie jetzt, in welcher Anzahl, mit welcher Reichweite und für welche Ziele denn ballistische Raketensysteme im Rahmen von OCA vorgesehen sind.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, um hinten anzufangen: Über die Ziele haben wir geredet. Es sind beispielsweise Flugplätze. Über Zahl und Reichweite werden wir dann entscheiden, wenn uns die Planungen vorliegen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101909000
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1101909100
Herr Staatssekretär, Sie verstehen das Spiel ja ausgezeichnet, indem Sie nämlich sagen: bestimmte Systeme nicht. Darf ich Sie dann fragen: Meinen Sie, wenn Sie von Systemen reden, namentlich benannte Systeme, oder meinen Sie den ganzen Bereich der Raketensysteme?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie beherrschen doch die Terminologie und die Verteidigungssprache der Bundeswehr und der NATO wie ich. Wenn wir allgemein von Systemen reden, so sind dies Waffen- und Trägersysteme, und dann, wenn wir eine Spezialdiskussion führen, ist das System ein bestimmtes. Ich habe das ganz bewußt breit angelegt, denn wir sind hier in den Entscheidungsmöglichkeiten vollständig offen und warten auf die entsprechenden Vorlagen, um uns dann möglicherweise in dem breiten Systembereich auf Einzelsysteme zu konzentrieren. Dabei sind wir noch nicht.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101909200
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. — Doch, Herr Kollege Erler? — Bitte schön.

Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1101909300
Herr Staatssekretär, könnte es sein, daß es sich bei dem ballistischen Raketensystem, um das es in dem von Frau Fuchs eben zitierten Brief von Staatssekretär Timmermann geht, um Modifikationen des Pershing-II-Flugkörpers handelt, oder stehen diese Flugkörper in keinem Zusammenhang damit?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich finde, es steht einer solchen Sache nicht an, wenn wir zu spekulieren beginnen, um was es sich handeln könnte, vielleicht handeln könnte oder auf keinen Fall handelt. Wir sollten hier offen sein

(Erler [SPD]: Die Möglichkeit haben Sie ja jetzt!)

und die Dinge auswerten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101909400
Nunmehr teile ich dem Haus mit, daß Frage 70 der Abgeordneten Frau Fuchs (Verl) in den Bereich des Auswärtigen Amtes verwiesen wird, so daß wir zur Beantwortung der Frage 71 des Abgeordneten Gerster (Worms) kommen:
Von welchen logistischen Maßnahmen und jährlichen Kostenansätzen für das Waffensystem Pershing Ia geht die Bundesregierung aus, falls sie dieses über das Jahr 1991 hinaus einsatzbereit halten will?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gerster, logistische Maßnahmen und in Verbindung damit Kostenangaben für eine Indiensthaltung über den Zeitpunkt, nach dem Sie fragen, hinaus wurden und werden nicht ermittelt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101909500
Eine Zusatzfrage, bitte schön.

Florian Gerster (SPD):
Rede ID: ID1101909600
Herr Staatssekretär, welche jährlichen Betriebskosten für das gegenwärtige Waffensystem Pershing I a entstehen zur Zeit?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, dies müßte ich den entsprechenden Unterlagen entnehmen, die auch Sie im Haushaltsplan haben; aber ich will da gerne helfen.

Florian Gerster (SPD):
Rede ID: ID1101909700
Können Sie eine ungefähre Größe angeben?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Das sollte ich bei einer solchen Sache nicht tun. Ich liebe da die klaren Fakten. Aber das liegt dem Ausschuß vor.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101909800
Herr Abgeordneter Klejdzinski, bitte.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1101909900
Herr Staatssekretär, wenn es zutrifft, daß Sie die Systeme — hier: Pershing — nicht über 1991 hinaus halten wollen — Sie setzen ja in Ihrer langfristigen Finanzplanung keine Kostenansätze dafür ein —, darf ich Sie fragen, warum die Bundesregierung unbedingt an diesen Systemen festhalten will. Könnte man sie nicht besser in die Abrüstungsverhandlungen einbringen, wenn man sowieso nicht glaubt, über 1991 hinaus an ihnen festhalten zu müssen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, diese Frage ist im Zusammenhang mit Frage 70, die das Auswärtige Amt übernommen hat, zu beantworten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101910000
Genau, dies ist richtig. Ich bitte um Verständnis dafür, daß keine Antwort gegeben wird.
Ich rufe Frage 72 des Abgeordneten Graf auf:
Trifft es zu, daß der Lärm im Tieffluggebiet Nr. 1 (Landkreise Cloppenburg, Vechta, Bersenbrück, Emsland und Ammerland) insbesondere an Schönwettertagen zu unverhältnismäßig hohen Lärmbelastungen durch den Tiefflug führt, daß allein an zwei Tagen im April dieses Jahres durch die Skyguard-Überwachung 273 Tiefflüge über einem Dorf in der Tiefflugregion Nr. 1 festgestellt wurden, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um kurzfristig Maßnahmen zu ergreifen, die zu einer deutlich merkbaren Verringerung des Tieffluges in der Tiefflugregion Nr. 1 führen?



Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Graf, es trifft nicht — wie Sie in Ihrer Frage feststellen — zu, daß an zwei Tagen im April 273 Tiefflüge über einem Ort — wie Sie sagen — im Tieffluggebiet 250 Fuß in der Area 1 durch Skyguard-Überwachung festgestellt worden sind. Die genannte Zahl von Tiefflügen, von Skyguard erfaßt, verteilt sich auf ein Gebiet von 1 250 km2.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101910100
Eine Zusatzfrage? — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Graf.

Günter Graf (SPD):
Rede ID: ID1101910200
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, wieviel Prozent des gesamten Tiefflugaufkommens in der Bundesrepublik im Tieffluggebiet Nr. 1 abgewikkelt wird?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Wir haben sieben Tieffluggebiete, und die Verteilung ist in etwa ausgewogen. Da gibt es gelegentlich zeitliche Schwerpunkte — das hängt mit der Wetterlage, das hängt auch mit Manöverschwerpunkten zusammen —, aber in etwa ist das wie auch in anderen Gebieten ausgewogen. Sie wissen — Sie fragen am Schluß Ihrer Frage danach — , daß wir in den letzten Jahren erhebliche Reduzierungen erreicht haben. Eine Zahl möchte ich Ihnen nennen: 1983 sind wir noch 74 000 Stunden Tiefflug über Deutschland geflogen; wir fliegen jetzt noch 25 000 Stunden. Sie sehen, das ist eine gewaltige Reduzierung.
Ich weiß, daß die Menschen in einem Gebiet, für das Sie fragen, dies subjektiv nicht so sehr registrieren, daß nicht mehr zwölf Flugzeuge am Tag, sondern vielleicht nur noch fünf oder sechs fliegen. Auch die fünf oder sechs ärgern sie, beeinträchtigen sie, machen Lärm. Dies sehen wir. Wir haben oft darüber diskutiert, daß dies leider in diesem reduzierten Maß notwendig ist.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101910300
Weitere Zusatzfrage, bitte sehr, Herr Abgeordneter Graf.

Günter Graf (SPD):
Rede ID: ID1101910400
Herr Staatssekretär, liegen Ihnen nicht Erhebungen vor, die eindeutig belegen, daß der Fluglärm in dieser Region erheblich zugenommen hat und dies dazu geführt hat, daß Urlauber den Urlaubsgebieten in dieser Region fernbleiben, und ist es nicht so, daß Erhebungen in Schulen angestellt wurden, die eindeutig belegen, daß Unterrichtsausfälle durch 15 Unterbrechungen — in einer Stunde an einer Schule — eingetreten sind?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es gibt zuweilen Konzentrationen. Davon sprach ich. Wenn fünf Tage lang das Wetter das Fliegen nicht zuläßt, wird man dann fliegen, wenn das Wetter es zuläßt. Dies gleicht sich irgendwann einmal aus.
Wir haben hier viele Male, eigentlich in jeder Fragestunde, über Tiefflug und Bedingungen und Möglichkeiten der Verlagerung ins Ausland, in größere Höhen, weg von den Städten, weg von den Krankenhäusern, von den Altenheimen, den Kurorten geredet. Täten wir dies — das sind in der Summe 20 000, 30 000 ähnliche Orte von den Alpen bis zur Nordsee oder Ostsee, die diesen Anspruch mit gleich gewichtigen Gründen anmelden — , dann würden wir uns auf kleine, schmale Schneisen zubewegen, und dies wäre
über das Jahr für die Bevölkerung dort unerträglich. Deswegen haben wir das entzerrt, soweit das geht.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101910500
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Grünbeck.

Josef Grünbeck (FDP):
Rede ID: ID1101910600
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung die sogenannte 49er Lösung aufgegeben, und ergäbe diese nicht eine sinnvollere Verteilung des Fluglärms?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Grünbeck, dies war ein Modell, das wir im Verteidigungsministerium um einer gerechteren Verteilung willen entwickelt haben. Sie wissen, daß wir schon in den ersten Gesprächen mit den Landesregierungen — dies kann man nicht den Ländern überstülpen, sondern das muß im Einvernehmen geschehen — nicht weitergekommen sind. Wir sind aber mit zwei Ländern im Gespräch. Wir wollen den Ländern anheimstellen, im Bereich ihres Bundeslandes das dort liegende Tieffluggebiet gewissermaßen rotieren zu lassen. Dies wäre ein Aufleben jenes Gedankens regional in zunächst diesen beiden Bundesländern. Die Gespräche laufen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101910700
Zusatzfrage des Abgeordneten Gerster (Worms).

Florian Gerster (SPD):
Rede ID: ID1101910800
Herr Staatssekretär, das ursprüngliche Rotationsmodell sah vor, die sieben Tieffluggebiete in 49 Areas aufzuteilen, unter denen dann jeweils abgewechselt wird. Ist dieses ursprüngliche Rotationsmodell nur vorläufig aufgegeben worden, oder ist es auf Dauer aufgegeben worden, und wenn ja, ist Ihnen bekannt, daß innerhalb der Union betroffene Abgeordnete aus entsprechenden Regionen, zum Teil auch mit prominenten Namen, unverändert öffentlich für das Rotationsmodell eintreten?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Dies ist mir bekannt. Wenn wir hier mit den Ländern zu einer anderen Verabredung kommen, sind wir sehr offen. Die Bundesregierung würde dies sofort wieder auf den Tisch legen als ein Modell, über das zu sprechen ist. Dies muß aber im Konsens, im Einvernehmen mit den Ländern geschehen, und hier ist außer bei zweien, die beginnen zu prüfen, ob sie das in eigener Hoheit machen, im Augenblick kein Fortschritt zu sehen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101910900
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1101911000
Herr Staatssekretär, Sie haben unlängst erklärt, daß Sie das 49er Modell nicht mehr verfolgten, weil es politisch nicht durchsetzbar sei. Halten Sie es dann für fair, von der Rechtsgrundlage her, die sicherlich nicht die Länder zu verantworten haben, zu sagen, ein Land soll dieses auf das eigene Gebiet verteilen, insbesondere wenn man davon ausgehen muß, daß einzelne Bundesländer mehr als ein Tieffluggebiet haben?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben ein föderatives System. Wir alle wollen es beibehalten, hoffe ich. Wenn ein Bundesland, in dessen Grenzen — in einer bestimmten Region — seit 30 Jah-



P
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1101911100
Nein, das darfst du nicht. — Im Gegenteil, wir werden unseren Teil dazu beitragen, um eine solche Sache, wenn sie realisiert werden soll, durchzusetzen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101911200
Weitere Zusatzfragen werden nicht gewünscht. Herr Staatssekretär, ich bedanke mich für Ihre Bemühungen.
Frage 73 des Abgeordneten Gansel soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Schulte zur Verfügung.
Ich rufe Frage 1 des Abgeordneten Kohn auf:
Wann wird die Bundesregierung die Aufgaben des Hauptprüfungsamtes der Deutschen Bundesbahn auf den Bundesrechnungshof übertragen?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1101911300
Herr Kollege Kohn, es ist gegenwärtig nicht abzusehen, ob es zu einer Neuregelung kommen wird.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101911400
Zusatzfrage, bitte sehr, Herr Abgeordneter Kohn.

Roland Kohn (FDP):
Rede ID: ID1101911500
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß sich beim Hearing des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages im März 1986 alle Sachverständigen — mit Ausnahme des Präsidenten des Hauptprüfungsamtes und einer berufsständischen Interessengruppe — für die Abschaffung des Hauptprüfungsamtes und die Überführung seiner Aufgaben an den Bundesrechnungshof ausgesprochen haben?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie wissen, daß es Gespräche darüber gegeben hat. Sie wissen auch, daß es verschiedene Modelle gibt, wie man dies ändern könnte. Die Aufgabe bleibt allemal. Sie selbst waren bei Gesprächen dabei. Eine Entscheidung ist noch nicht gefallen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101911600
Zusatzfrage des Abgeordneten Kohn, bitte sehr.

Roland Kohn (FDP):
Rede ID: ID1101911700
Herr Staatssekretär, ist es zutreffend, daß im Hause des Bundesverkehrsministers gegenwärtig Überlegungen der Art angestellt werden, die Stelle des demnächst in Pension gehenden Präsidenten des Hauptprüfungsamtes mit einem vorzuschlagenden Kandidaten wieder zu besetzen und damit Fakten zu schaffen und das Hauptprüfungsamt der Deutschen Bundesbahn auf Dauer zu zementieren?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Solche Überlegungen sind mir nicht bekannt. Ich bin aber gerne bereit, dem Gedanken nachzugehen und mit Ihnen darüber zu sprechen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101911800
Zusatzfrage des Abgeordneten Weng.

Dr. Wolfgang Weng (FDP):
Rede ID: ID1101911900
Herr Staatssekretär, in Kenntnis der Beschlußlage des Deutschen Bundestages und von Ausschüssen des Deutschen Bundestages, zustandegekommen in vergangenen Wahlperioden, frage ich Sie: Ist die Regierung nicht der Auffassung, daß es eine gewisse Mißachtung der Meinung des Parlaments ist, wenn sie hier nicht tätig wird, sondern die Dinge auf sich beruhen läßt?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Bundesminister für Verkehr mit seinen Mitarbeitern hat erst jüngst mit Abgeordneten des Verkehrsausschusses über dieses Thema und auch über die mögliche Art der Ausgestaltung gesprochen, so daß man sicherlich nicht sagen kann, die Bundesregierung mißachte das Parlament. Eine Entscheidung ist dabei allerdings nicht gefallen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101912000
Weitere Zusatzfragen werden nicht erbeten.
Ich rufe Frage 2 des Abgeordneten Grünbeck auf:
Ist die Bundesregierung bereit, das in der „Augsburger Allgemeinen" vom 10. Juni 1987 angeführte Gutachten über die künftige Streckenführung der Hochleistungsstrecke München—Nürnberg (über Augsburg bzw. Ingolstadt) in seinem vollen Wortlaut offenzulegen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Grünbeck, meine Antwort lautet ja.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101912100
Zusatzfrage, bitte schön.

Josef Grünbeck (FDP):
Rede ID: ID1101912200
Herr Staatssekretär, könnten Sie sagen, wann dieses Gutachten zugänglich ist und welche Kriterien für die Bundesregierung entscheidend sein werden, also insbesondere Aspekte des Naturschutzes oder der mit der Entfernung verbundenen Investitionskosten oder der Auslastung bei der Strekkenführung von München nach Nürnberg?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Grünbeck, erstens muß ich sagen, daß das Gutachten in diesen Tagen in Druck ist. Wenn es gedruckt ist, wird es zugänglich gemacht werden.
Zweitens. Die Bayerische Staatsregierung ist bereits über die Ergebnisse informiert. Ihr liegt das vollständige Gutachten allerdings noch nicht vor. Sie wird innerhalb von sechs Monaten ein Anhörungsverfahren durchführen und selber Stellung nehmen.
Im übrigen muß ich darauf verweisen, daß es in diesem Gutachten eine ganze Reihe von Kriterien gibt. Sie zu gewichten wird dann unsere gemeinsame Aufgabe sein.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101912300
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön, Herr Abgeordneter Grünbeck.

Josef Grünbeck (FDP):
Rede ID: ID1101912400
Herr Staatssekretär, können Sie heute schon Aussagen darüber machen, bis wann mit einer Entscheidung über die endgültige Streckenführung zu rechnen ist und wann das Projekt realisierbar wird?
1182 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Miittwoch, den 24. Juni 1987
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Grünbeck, ich kann nur sagen, daß diese Strecke im Bundesverkehrswegeplan in der obersten Kategorie ist.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101912500
Zusatzfrage des Abgeordneten Amling.

Max Amling (SPD):
Rede ID: ID1101912600
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, wann die von Ihnen angekündigte Gewichtung stattfindet, wann auch wir hier in Bonn uns über die Ergebnisse des Gutachtens unterhalten können?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe gesagt, daß zuerst die Bayerische Staatsregierung ein Anhörungsverfahren durchführen wird. Dies soll innerhalb von sechs Monaten geschehen. Nach der Stellungnahme der Bayerischen Staatsregierung wird es sicherlich möglich sein, in dem Ausschuß, dem Sie angehören, darüber zu diskutieren.

(Amling [SPD]: Danke schön!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101912700
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Schmidt (Nürnberg).

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1101912800
Herr Staatssekretär, es stehen im Bundesgebiet noch andere Hochleistungsstrecken zur Debatte. Läuft die Strecke Nürnberg—München, egal, ob über Augsburg oder Ingolstadt, Gefahr, in Konkurrenz zu solchen anderen Hochleistungsstrecken zu treten, und besteht, wenn sich dieses zu lange hinzieht, die Gefahr, daß andere den Vorrang bekommen und diese Strecke derzeit überhaupt nicht gebaut wird?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Ich sehe diese Gefahr im Augenblick nicht, aber es wird sicherlich zu überlegen sein, wann welche Strecke baureif ist und wann die Finanzmittel dafür zur Verfügung stehen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101912900
Herr Staatssekretär, damit kann ich Sie entlassen. Ich bedanke mich bei Ihnen.
Den Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen rufe ich nicht auf, weil der Abgeordnete Daweke um schriftliche Beantwortung seiner Fragen 3 und 4 gebeten hat. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Somit rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf. Zur Beantwortung steht uns der Staatssekretär Pfeifer zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 9 der Abgeordneten Frau Schmidt (Nürnberg) auf:
Worauf stützt die Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ihre Feststellung, daß Ärzte ihrer gesetzlichen Meldepflicht über durchgeführte nicht rechtswidrige Schwangerschaftsabbrüche nicht nachgekommen seien, und in wie vielen Fällen ist gegebenenfalls eine solche Ordnungswidrigkeit mit den im Gesetz vorgesehenen Geldbußen geahndet worden?

Anton Pfeifer (CDU):
Rede ID: ID1101913000
Herr Präsident! Frau Kollegin Schmidt! Seit dem 1. Januar 1984 ist der Kassenärztlichen Bundesvereinigung die Erfassung der ambulanten und belegärztlich abgerechneten Schwangerschaftsabbrüche möglich. In den Jahren 1984 bis 1986 wurden allein bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung mehr Schwangerschaftsabbrüche abgerechnet, als insgesamt dem Statistischen Bundesamt gemeldet wurden.
Im einzelnen nenne ich folgende Zahlen: 1984 wurden bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung 91 884 Schwangerschaftsabbrüche abgerechnet; gemeldet wurden dem Statistischen Bundesamt 86 298, davon 56,5 % ambulant. 1985 standen 92 789 bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung abgerechneten Schwangerschaftsabbrüchen 83 538 dem Statistischen Bundesamt gemeldete gegenüber. 1986 wurden 90 387 Schwangerschaftsabbrüche abgerechnet und 84 274 gemeldet. Weitere Angaben enthält meine Antwort vom 11. Juni 1986 auf zwei schriftliche Anfragen des Herrn Kollegen Geis.
Bußgeldverfahren konnten bisher nicht eingeleitet werden, weil die Meldung der Ärzte anonym erfolgt und dem Statistischen Bundesamt damit nicht bekannt wird, wer seiner Meldepflicht nicht nachkommt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101913100
Eine Zusatzfrage, bitte sehr, Frau Abgeordnete.

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1101913200
Herr Staatssekretär; der derzeitige § 218 des Strafgesetzbuches sieht die Meldepflicht und ebenfalls die Bußgelder für eine Ordnungswidrigkeit vor. Ich möchte Sie fragen, wie die Ausführungsbestimmungen derzeit aussehen. Sowohl der Gesetzgeber, zu dem ich damals nicht gehört habe, als auch die Bundesregierung, die darauf zu achten hat, daß ein Gesetz auch eingehalten wird, haben sich wohl etwas dabei gedacht. Ich frage weiter, inwieweit man jetzt neue gesetzliche Vorschriften braucht, wenn man die alten bisher überhaupt nicht ausgeschöpft hat.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Schmidt, die dargestellten Zahlen ergeben, daß dieser Meldepflicht nicht in einer befriedigenden Weise nachgekommen wird. Schon in den vergangenen Jahren ist von der Bundesregierung zusammen mit der Bundesärztekammer immer wieder auf diese Meldepflicht hingewiesen worden. Dennoch wird diese Meldepflicht in vielen Fällen nicht erfüllt, und deshalb soll nach einer Vereinbarung der Koalitionsparteien über die Verbesserung der Beratung im Rahmen des § 218 des Strafgesetzbuches geregelt werden, daß die ärztlichen Honorarforderungen von den Krankenkassen nur dann erfüllt werden, wenn der abrechnende Arzt seiner gesetzlichen Meldepflicht an das Statistische Bundesamt genügt hat. Ich denke, daß es möglich sein muß, im Rahmen der anstehenden gesetzlichen Überlegungen hier eine Regelung zu finden, die zu befriedigenderen Ergebnissen führt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101913300
Eine weitere Zusatzfrage, bitte sehr, Frau Abgeordnete.

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1101913400
Herr Staatssekretär, geben Sie mir eventuell recht, daß zuerst versucht werden sollte, bestehenden Gesetzesvorschriften Geltung zu verschaffen, bevor man neue gesetzliche Vorschriften einführt, und geben Sie mir weiterhin recht,



Frau Schmidt (Nürnberg)

daß die Anonymität der Ärzte und gegebenenfalls auch der betroffenen Frauen durch eine Regelung, wie Sie sie ansprechen, nicht mehr gegeben wäre?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Zur ersten Teilfrage, Frau Kollegin, möchte ich sagen, daß ich den Hinweis auf die gemeinsamen Bemühungen mit der Bundesärztekammer insbesondere deshalb gegeben habe, um deutlich zu machen, daß versucht worden ist, mit der geltenden Bestimmung auszukommen, aber daß das eben nicht gelungen ist.
Was den zweiten Teil Ihrer Frage angeht: Die Anonymität wollen wir in jedem Fall wie bisher wahren.

(Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Beider Gruppen?)

— Wollen wir in jedem Fall wie bisher wahren.

(Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Der Ärzte und der Schwangeren?)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101913500
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor, so daß ich mich bei Herrn Staatssekretär Pfeifer bedanken kann.
Wir kommen zum Bereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 10 des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch auf:
Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Unfall vom 12. Mai 1987 im Schacht i des geplanten Atommull-Endlagers Gorleben?

Martin Grüner (FDP):
Rede ID: ID1101913600
Herr Kollege, die Bundesregierung hat ihre Auffassung zu dem Unfall in der Sitzung des Umweltausschusses am 3. Juni 1987 sowie in den Antworten auf mehrere mündliche und schriftliche Anfragen dargelegt. Die von den zuständigen Stellen geführten Ermittlungen der Unfallursachen sind noch nicht abgeschlossen. Damit liegen auch neuere Erkenntnisse derzeit nicht vor.
Die Abteufarbeiten in Gorleben ruhen bis zum Abschluß der Untersuchungen. Mit einer Wiederaufnahme wird innerhalb der nächsten sechs Monate gerechnet.
Die mit dem Unfall in Zusammenhang stehenden Probleme sind rein bergmännischer Natur. Sie sind nur mit dem Abteufvorgang verbunden und stellen die Eignungshöffigkeit des Salzstockes Gorleben als mögliches Endlager für radioaktive Abfälle nicht in Frage. Die Bundesregierung geht damit, wie übrigens auch die niedersächsische Landesregierung, unverändert von der Eignungshöffigkeit des Salzstockes Gorleben aus.
Die Bundesregierung sieht damit keine Notwendigkeit, wegen des Unfalls vom 12. Mai 1987 Folgerungen für ihr Entsorgungskonzept zu ziehen.
Selbstverständlich wird die Bundesregierung darauf hinwirken, daß die Unfallursachen in allen Einzelheiten aufgeklärt werden und die Ergebnisse bei den
weiteren Arbeiten, insbesondere auch beim Abteufen des Schachtes Gorleben 2, berücksichtigt werden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101913700
Der Abgeordnete wünscht eine Zusatzfrage.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1101913800
Herr Staatssekretär, wenn Sie sagen, es handele sich um ein rein bergmännisches Problem, das für die Eignungshöffigkeit des Salzstocks als Endlager daher keine Bedeutung habe: Ist es denn nicht so, daß die Eignungsfähigkeit dieses Salzstockes eben bergmännischer Natur ist, und können Sie uns sagen, worauf Ihrer Meinung nach dieser Unfall zurückzuführen ist, nachdem ja schon Wissenschaftler vorher gewarnt hatten, daß ein solches Ereignis eintreten könnte?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nach derzeitiger Kenntnis, Herr Kollege, ist der Unfall am Schacht des Erkundungsbergwerks auf den in einer Teufe von ca. 230 m in einer ca. 10 m mächtigen Schicht herrschenden Gebirgsdruck, nicht aber auf grundsätzliche geologische Probleme des Salzstocks zurückzuführen. Das ist die Auskunft, die alle Sachverständigen geben. Es ist also die Frage des Zugangs zur Erschließung des Salzstocks betroffen. Bei erfolgreicher Abteufung ist nach Meinung des Bergwerksachverständigen der Zugang zu einem erschlossenen Salzstock herzustellen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101913900
Das befriedigt den Abgeordneten Hirsch offensichtlich nicht, und er will eine weitere Zusatzfrage stellen.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1101914000
Das kann auch nicht befriedigen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1101914100
Mit welcher Verzögerung rechnen Sie denn dann eigentlich durch diesen Unfall?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Wie ich in meiner Antwort eben schon sagte, rechnen wir im Augenblick mit einer Verzögerung von sechs Monaten.
Ich habe bei der Eignungshöffigkeit des Salzstocks Gorleben von der „möglichen Eignung" gesprochen; denn es ist ja zutreffend und allgemein bekannt, daß es darum geht, die angenommene Eignung durch Erbohren dieses Salzstockes in concreto daraufhin zu überprüfen, ob sie tatsächlich vorliegt. Das ist das Ziel des Verfahrens.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101914200
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1101914300
Herr Staatssekretär, ist in Ihre Überlegungen eigentlich auch eingegangen, daß schon vor zwei, drei Jahren bei den Salzspiegelbohrungen erstaunlich andere fließende Bewegungen festgestellt worden sind, so daß damals schon der Eindruck entstanden ist, daß die Wahl falsch gewesen sei?



Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, wir sind der Meinung, daß diese Wahl richtig war. Man muß natürlich unterscheiden: Es gibt Probleme, die beim Vorstoß zum Salzstock jetzt entstanden sind, und es gibt eine Auseinandersetzung um die Frage, ob man an der richtigen Stelle heruntergegangen ist, ob man die richtige Technik gewählt hat. Das wird ja auch in den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren geprüft.
Davon zu trennen ist die Frage, ob sich die Erwartung erfüllt, wenn der Salzstock erreicht ist und man in ihn eindringt, daß dieser Salzstock völlig von der Biosphäre abgeschlossen ist und sich damit zur Ablagerung hochradioaktiver Stoffe eignet. Das ist ja das Problem, das zu lösen ist.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101914400
Zusatzfrage des Abgeordneten Menzel.

Heinz Menzel (SPD):
Rede ID: ID1101914500
Herr Staatssekretär, wenn bei dem hohen Stand der bergbaulichen Technik schon diese Probleme offensichtlich nicht zu bewältigen sind, sieht sich dann die Bundesregierung nicht zumindest veranlaßt, zu untersuchen, ob nicht andere Standorte auf ihre Eignung hin zu prüfen sind?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich bin der Meinung, Herr Kollege, daß die im Augenblick angenommene Verzögerung von sechs Monaten durch diesen bedauerlichen Bergwerksunfall keine Veranlassung geben kann, nach anderen Möglichkeiten zu suchen, sondern daß wir weiter darauf bauen können, daß dieser Schacht niedergebracht wird und sich dann der zweite Teil, nämlich die Überprüfung, ob dieser Salzstock tatsächlich — wie wir annehmen — sich für die Endlagerung eignet, in der konkreten Erschließung dieses Salzstockes bestätigt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101914600
Zusatzfragen sind nicht gewünscht, so daß ich die Frage 11 von Dr. Hirsch aufrufen kann:
Ist der Bundesregierung eine funktionierende Endlagerstätte
bekannt, die unseren Sicherheitsvorstellungen entspricht?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung verfolgt bei der Endlagerung radioaktiver Abfälle deren Ausschluß aus der Biosphäre durch Verbringung in tiefe geologische Formationen. Die von anderen Ländern praktizierte oberflächennahe Lagerung oder die Versenkung von schwach radioaktiven Abfällen im Meer spielen in unserem Endlagerkonzept keine Rolle.
Der Bundesregierung ist in der westlichen Welt kein in Betrieb befindliches Endlager für hochradioaktive Stoffe bekannt. Unseres Wissens wird in der DDR, in der Nähe von Morsleben, ein Endlager für radioaktive Abfälle in einem Salzstock betrieben. Jedoch reichen unsere Kenntnisse über dieses Lager nicht aus, um einen Vergleich mit den deutschen Sicherheitsvorstellungen vorzunehmen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101914700
Zusatzfrage, bitte sehr.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1101914800
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie erst einmal fragen, ob ich Sie richtig verstanden
habe: Das, was Sie sagen, heißt also, daß nach über 20jähriger Betriebszeit von Kernkraftwerken nach Kenntnis der Bundesregierung nirgendwo in der westlichen Welt ein funktionierendes Endlager besteht, das die Sicherheitsanforderungen der Bundesrepublik erfüllen würde, d. h. den dauernden Abschluß von strahlender Materie aus der Biosphäre? Ist das richtig?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ein funktionierendes Endlager besteht nach unserer Kenntnis nirgends in der Welt wie auch bei uns nicht, sondern es sind Konzepte vorhanden. Unser Konzept haben wir hier eben gerade noch einmal erörtert.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101914900
Weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1101915000
Nachdem eine solche Erklärung zum erstenmal im Deutschen Bundestag abgegeben worden ist,

(Zustimmung bei der SPD und den GRÜNEN)

muß ich Sie fragen: Halten Sie es dann nicht für geradezu abenteuerlich, unter diesen Umständen anzunehmen, daß Sie eine solche Welterstaufführung ausgerechnet in einem Salzstock finden werden, dessen Erkundung Sie noch nicht einmal haben beginnen können?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, ich halte eine solche Frage nicht für zulässig. Wir sind der Meinung, daß wir in der Konzeption dieses Endlagers und in der konkreten Vorbereitung weiter gediehen sind als alle diejenigen Länder, die wesentlich größere Mengen an hochradioaktivem Abfall aus den uns bekannten verschiedenen Gründen tatsächlich produzieren.

(Dr. Hirsch [FDP]: Und das beruhigt Sie?) — Das beruhigt mich nicht.


(Frau Unruh [GRÜNE]: Arrogant ist so was!)

Richtig ist, daß wir uns darüber im klaren sind, daß die Erforschung eines Endlagers und der Beginn dieser Arbeiten bei uns und weltweit sehr viel früher hätten erfolgen müssen, als das geschehen ist. Aber die Intensität unserer Bemühungen nun zum Gegenstand einer Kritik zu machen, würde ich trotzdem nicht für berechtigt halten.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101915100
Zusatzfrage des Abgeordneten Menzel.

Heinz Menzel (SPD):
Rede ID: ID1101915200
Herr Staatssekretär, nachdem Sie hier erklärt haben, daß Ihnen ein Lager, ein Endlager, das unseren Sicherheitsvorstellungen entspricht, in der ganzen Welt nicht bekannt ist, und weiter erklärt haben, daß Sie nicht wissen, noch nicht sagen können, ob der Salzstock in Gorleben diesen Anforderungen gerecht wird: Hält die Bundesregierung es dann für verantwortbar, Anlagen weiter betreiben und neu ans Netz gehen zu lassen, die solches Material, das abgelagert werden soll, produzieren oder abwerfen?



Grüner, Parl. Staatssekretär: Ja, Herr Kollege. Das ist das Entsorgungskonzept, das die Bundesregierung, die früheren Bundesregierungen in Übereinstimmung mit den Landesregierungen für vertretbar gehalten haben. Das ist ja keine neue, sondern eine altbekannte Aussage. Wir sind der Meinung, daß die Zwischenlagermöglichkeiten, die technisch entwikkelt worden sind, die höchsten Ansprüchen genügen, uns ausreichend Zeit geben, dieses Endlagerkonzept tatsächlich zu realisieren. Das ist eine Erwartung, die wir haben. Aber ich betone noch einmal: Ein Endlager besteht erst dann, wenn wir in diesen Salzstock in Gorleben hochradioaktive Stoffe tatsächlich einlagern können, und davon sind wir noch weit entfernt. Aber auch das ist keine neue Mitteilung, sondern ständig Gegenstand der politischen Diskussion über die friedliche Nutzung der Kernenergie in diesem Hause und außerhalb dieses Hauses gewesen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Armutszeugnis!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101915300
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1101915400
Herr Staatssekretär, würden Sie mir, da Sie mir kürzlich schon haben bestätigen müssen, daß Sie keinen Universitätsgeologen nennen können, der die Wahl dieses Salzstocks nach wie vor unterstützt, jetzt auch bestätigen, daß sich alle drei Universitätsgeologen, die sich mit der Geologie des Salzstocks intensiv beschäftigt haben, nämlich Grimmel (Hamburg), Duphorn (Kiel) und Herrmann (Göttingen), dezidiert dagegen ausgesprochen haben, würden Sie mir weiter zugeben, daß der Begriff „Eignungshöffigkeit" abenteuerliche Semantik ist, und würden Sie mir schließlich zugeben, daß das ursprüngliche Vier-Barrieren-Konzept am Falle Gorleben insofern schon längst gescheitert ist, als zwei Barrieren schon gar nicht mehr existieren?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101915500
Nach unserer Geschäftsordnung steht dem Abgeordneten sinnvollerweise eine Zusatzfrage zu.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Ich weiß!)

Das ist nicht so gemeint, daß Sie das alles in einen Satz, Herr Abgeordneter Dr. Lippelt, kleiden müssen.
Herr Staatssekretär, Sie haben die Möglichkeit, die Frage zu beantworten.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann nur noch einmal das, was ich Ihnen schon schriftlich mitgeteilt habe, betonen: daß wir an dem hier eingesetzten Sachverstand keinen Zweifel haben, daß die Wissenschaftler, auf die Sie sich berufen, in dieser Form, wie Sie das hier soeben angedeutet haben, nicht argumentiert haben und daß ich bei dem Wort „Eignungshöffigkeit" auf eine in der Bergmannssprache übliche Formulierung zurückgegriffen, aber um der Deutlichkeit willen im Klartext auch hinzugefügt habe, daß wir nicht wissen, ob die Geeignetkeit des Lagers für den vorgesehenen Zweck, nämlich Einlagerung hochradioaktiver Abfälle, in Wirklichkeit gegeben ist. Denn alle Wissenschaftler haben uns gesagt: Das kann man erst vor Ort feststellen. Deshalb
wird ja dieses Lager untersucht und im Augenblick daran gearbeitet, zu diesem Lager vorzudringen.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Aber das Vier-Barrieren-Konzept gibt es nicht mehr!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101915600
Frau Abgeordnete Garbe, Sie haben die Möglichkeit einer Zusatzfrage.

Charlotte Garbe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1101915700
Herr Staatssekretär, habe ich Sie jetzt richtig verstanden, daß allein die Zwischenlager als notwendiger Entsorgungsnachweis für den Betrieb der Atomkraftwerke gelten?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Im Zusammenhang mit einer technologisch machbaren Gesamtkonzeption für ein Endlager, das wir in Gorleben erschließen wollen. Nur in diesem Zusammenhang ist die Endlagerung und damit der geschlossene Kreislauf nach dem Atomgesetz von den beteiligten Bundes- und Landesregierungen und vom Deutschen Bundestag als gegeben angesehen worden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101915800
Entschuldigen Sie bitte, Frau Garbe, Ihnen steht nur eine Zusatzfrage zu. Ich muß auch darauf aufmerksam machen — und bitte, das auch ernst zu nehmen —, daß der Sachzusammenhang zur ursprünglichen Frage noch in etwa gewährleistet sein muß — bei aller Großzügigkeit.
Herr Staatssekretär, der Abgeordnete Stiegler, der zwischendurch um schriftliche Beantwortung gebeten hatte, ist inzwischen im Saal. Ich nehme an, daß Sie nichts dagegen einzuwenden haben und präpariert sind, die Frage zu beantworten. Ich rufe also die Frage 12 des Abgeordneten Stiegler auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Entwicklung von Prof. Ernst Bayer, durch welche 01 aus Klärschlamm produziert werden kann (vgl. Süddeutsche Zeitung vom 11. Juni 1987), und welche Möglichkeiten sieht sie, Modellvorhaben einzelner Gemeinden zur Klärschlammbeseitigung nach dieser Niedertemperaturmethode zu fördern?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das Tübinger Verfahren von Professor Bayer ist der Bundesregierung bekannt und wird mit Interesse verfolgt. Durch thermische Prozesse werden dabei organische Substanzen, wie vorentwässerter Klärschlamm oder die organische Hausmüllfraktion, zu Öl und Pyrolysekoks konvertiert. Das gewonnene Öl soll entweder als Brennstoff oder als Chemierohstoff eingesetzt werden. Beim Pyrolysekoks wird derzeit geprüft, ob er sich für die Herstellung von Aktivkohle eignet.
Das Verfahren verspricht Vorteile wie Einsparung von Deponievolumen, Nutzung des Energiepotentials der organischen Stoffe und beim Klärschlamm den Verzicht auf die aufwendige Faulung. Dem stehen jedoch auch Nachteile gegenüber. Das Verfahren kann nur in größeren zentralen Anlagen eingesetzt werden; die Verwertung bzw. Vermarktung der Pyrolyseprodukte und die Emissionsverhältnisse, also Abluft und Abwasser, sowie das noch nicht bekannte Verhalten von Schadstoffen — Schwermetalle und organische Schadstoffe — sind noch nicht hinreichend überprüft.
Im Umweltbundesamt werden derzeit Gespräche mit Anlagenherstellern über Möglichkeiten der För-



Parl. Staatssekretär Grüner
derung einer Pilotanlage in der Bundesrepublik Deutschland geführt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101915900
Zusatzfrage, bitte sehr, Herr Abgeordneter Stiegler.

Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1101916000
Herr Staatssekretär, würden sie z. B. einen Modellversuch unterstützen, den in der Oberpfalz der regionale Zweckverband Regionale Entwicklung und Energie durchführen könnte und bei dem man dann das Verfahren und die einzelnen Komponenten daraufhin untersuchen könnte, ob sie umweltverträglich sind und ob das Konzept das hergibt, was es herzugeben verspricht?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Wie gesagt, unter der Voraussetzung, daß sich dieses Projekt als Pilotprojekt eignet, was noch geprüft wird — ich habe auf die Voraussetzungen gerade hingewiesen — , ist es durchaus denkbar, daß ein solcher Standort, wenn die entsprechenden Anlagenbetreiber vorhanden sind, in Frage kommt. Aber das steht nicht in erster Linie zur Diskussion, sondern zunächst muß geprüft werden, ob dieses Pilotprojekt oder dieses Verfahren überhaupt diese Vorteile bietet oder nicht mit Nachteilen erkauft werden müßte, die seine Förderung als Pilotprojekt nicht rechtfertigen.
Aber ich unterstreiche noch einmal, daß das mit großem Interesse von der Bundesregierung verfolgt wird und daß, wie gesagt, das Bundesumweltamt in Gesprächen mit Anlagenbetreibern und Herstellern ist, die auch über die Möglichkeiten der Förderung eines solchen Projektes sprechen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101916100
Weitere Zusatzfrage, bitte sehr, Herr Abgeordneter Stiegler.

Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1101916200
Welcher Zeithorizont ist denn für die Prüfung ins Auge gefaßt, und würden Sie veranlassen, daß mich das Umweltbundesamt über den Stand der Prüfungen und über die Ansprechpartner jetzt informiert, die man hier hat, wenn man regional etwas unternehmen will?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das werde ich sehr gerne veranlassen, Herr Kollege Stiegler. Ich glaube, daß ich Ihnen die entsprechenden Unterlagen direkt zuleiten kann. Aber es steht natürlich auch nichts entgegen, daß Sie mit den Sachbearbeitern im Umweltbundesamt, wenn Sie daran interessiert sind, ein klärendes Gespräch führen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101916300
Zusatzfrage des Abgeordneten Grünbeck.

Josef Grünbeck (FDP):
Rede ID: ID1101916400
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß ein von ihr gefördertes Projekt in Aalen in einem Jahr bei einer Verfügbarkeit von 95 % nach einem Schlußgutachten des Technischen Überwachungsvereins Bayern technisch reif und einsatzfähig ist — was allerdings im Gegensatz zu einer Außerung des Umweltbundesamtes steht, wonach noch Zweifel — aber welche, wissen wir leider nicht — anzumelden wären — , und wäre es auf Grund dieser langfristigen und von der Bundesregierung geförderten Entwicklung jetzt nicht eigentlich höchste Eisenbahn, zwei oder drei Pilotprojekte in der Praxis
durchzuführen, die belegen könnten, ob dieses Verfahren praktikabel ist oder nicht, und wird dies nicht oft durch die Länder boykottiert oder blockiert, weil sie über ihre Zuschußregelungen den Zweckverbänden vor Ort die Entscheidung im Grunde genommen nicht frei überlassen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich möchte mich jetzt zu diesem Projekt, das Sie ansprechen, nicht konkret äußern. Aber es ist der Grundsatz, daß Pilotprojekte nur dann gefördert werden, wenn neue technische Verfahren, die bei anderen geförderten Pilotprojekten in dieser Form nicht vorhanden sind, Aussichten auf neue Lösungen ermöglichen. Ich gehe davon aus, daß das hier diskutierte Bayer-Verfahren andere Vorteile — möglicherweise auch andere Nachteile — als das von Ihnen genannte Verfahren hat. Wir wollen in möglichst breiter Form alle technischen Möglichkeiten durch Förderung nutzen, selbstverständlich dann auch mit dem Ziel, aus diesen Pilotprojekten Ergebnisse zu ziehen, die sich eignen, allgemein für die Umsetzung zur Bewältigung unserer Deponieprobleme empfohlen zu werden.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101916500
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Garbe.

Charlotte Garbe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1101916600
Herr Staatssekretär, ist Ihnen schon bekannt, welche Art Restabfälle bei diesem Verfahren anfallen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, Frau Kollegin. Das ist mir nicht bekannt. Aber ich habe auf die noch nicht untersuchten Probleme bei diesem Bayer-Verfahren und darauf hingewiesen, daß gerade die Frage der Schadstoffe, die dabei entstehen, und der Fähigkeit, sie zu bewältigen, eine entscheidende Voraussetzung dafür ist, daß ein solches Pilotprojekt unterstützt wird. Sollten sich die Probleme als unlösbar erweisen — was wir nach dem derzeitigen Stand nicht annehmen — , käme ein Pilotprojekt und dessen Förderung natürlich nicht in Frage.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101916700
Weitere Zusatzfragen liegen mir nicht vor. So kann ich die Frage 13 des Abgeordneten Vahlberg aufrufen:
Wie beurteilt die Bundesregierung — unter Berücksichtigung von Artikel 84 Abs. 3 GG — die Tatsache, daß die Bohr- und Sprenggesellschaft R. KG zumindest in den Jahren 1976 bis 1982 über 1 500 Fässer mit LOST-Rückständen im Auftrag und mit Wissen des Bayerischen Staatsministers des Innern auf ihrem Sprengplatz Ingolstadt (Depot Prinz Karl) in Öfen verbrannt hat, ohne daß jemals ein immissionsschutzrechtliches Verfahren (§ 4 ff. BImSchG) für diese Anlage und diesen Betrieb seitens des bayerischen Innenministers eingeleitet (oder die Bundesregierung informiert) wurde, und kann sie ausschließen, daß jetzt und in Zukunft bei weiteren Aktionen zur Vernichtung von Kampfmitteln (etwa aus den Kampfstoff-Funden auf dem Bunkergelände bei Mühldorf) in gleicher Weise wie bisher und ohne Information der örtlichen Behörden und Rettungsdienste über die Existenz der Anlage verfahren wird?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nach Auskunft des Bayerischen Staatsministeriums des Innern wird auf dem von Ihnen genannten Gelände bei Ingolstadt bereits seit unmittelbar nach Kriegsende eine Anlage zur Vernichtung von Kampfstoffen betrieben. Für diese Anlagearten bestand seinerzeit kein besonderes Genehmigungserfordernis. Erst 1960 wurden sie in



Parl. Staatssekretär Grüner
den Katalog der genehmigungsbedürftigen Anlagen nach § 16 der Gewerbeordnung aufgenommen. Die Anlage bedurfte als Altanlage nach § 16 Abs. 4 Satz 2 der Gewerbeordnung nur einer Anzeige durch den Betreiber. Eine Vernichtung von Kampfstoffen aus dem Bunkergebäude bei Mühldorf in der genannten Anlage ist nicht beabsichtigt. Andere KampfstoffFunde sind in Bayern nicht bekannt. Darüber hinaus ist vorgesehen, die Kampfmittelbeseitigungsanlage der Bundeswehr in Munster so zu erweitern, daß die Bundeswehr den Bundesländern im Wege der Amtshilfe bei der Beseitigung von Kampfstoffen helfen kann.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101916800
Zusatzfrage des Abgeordneten Vahlberg, bitte schön.

Jürgen Vahlberg (SPD):
Rede ID: ID1101916900
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß die Bayerische Staatsregierung bzw. der Innenminister dieses Landes die Angehörigen von Rettungs- und Sanitätsdiensten, die Behörden und die Anwohner nicht über die Verbrennung der in Rede stehenden Kampfstoffe informiert hat, so daß keinerlei Präventivmaßnahmen ergriffen werden konnten und das Sanitätspersonal, wenn es zu einem Unfall gekommen wäre, natürlich Gefahr gelaufen wäre, Schädigungen davonzutragen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich würde, wenn Sie einverstanden sind, auf Ihre Frage gern durch Beantwortung Ihrer Frage 14 antworten, weil hier ein unmittelbarer Zusammenhang besteht.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101917000
Ich würde, vorausgesetzt, daß Sie einverstanden sind, zunächst eine Zusatzfrage des Abgeordneten Amling zulassen, damit wir in der Abwicklung vernünftig vorankommen. Bitte schön.

Max Amling (SPD):
Rede ID: ID1101917100
Herr Staatssekretär, ich frage Sie, wie die Bundesregierung die Tatsache beurteilt, daß der Innenminister des Landes Bayern über Jahre hin von der nicht genehmigten Anlage gewußt und ihre Existenz nicht nur toleriert, sondern durch Aufträge an die Firma Röhrl sogar für ihre Benutzung gesorgt hat.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nach Auskunft des Bayerischen Staatsministeriums des Innern ist die Vernichtung der Kampfstoffe nach Beteiligung sachverständiger Stellen und unter Einhaltung strenger Sicherheitsvorkehrungen erfolgt. Die Tatsache, daß die Bayerische Staatsregierung diese Aufträge zur Beseitigung der Kampfstoffe vergeben hat, deutet darauf hin, daß die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen in jeder Hinsicht beachtet wurden — so wie mir das vom Bayerischen Staatsministerium mitgeteilt worden ist.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101917200
Zur Geschäftslage: Sie beantworten jetzt die Frage 14, und dem Abgeordneten Vahlberg stehen dann noch drei Zusatzfragen zur Verfügung. Ich rufe also die Frage 14 des Abgeordneten Vahlberg auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung ein Verfahren zur Beseitigung von LOST, das darin besteht, diesen Kampfstoff in einfachen, im Freien stehenden Öfen in unmittelbarer Nähe einer Ortschaft (Katharinenberg) zu verbrennen, angesichts des hohen Technologie- und Sicherheitsaufwandes, den der Leiter der Kampfstoffvernichtungsanlage Munster des Bundes für nötig erachtet (vgl. seine Aussage in einem Beitrag des Bayerischen Fernsehens in der Sendung „Zeitspiegel" vom 9. Juni 1987), und sieht sie in dem von der Fa. R. KG praktizierten und von der Bayerischen Regierung gebilligten Verfahren nicht eine akute Gefährdung der Bevölkerung der umliegenden Ortschaften auf Grund des durch den Verbrennungsvorgang in hohem Maße freigesetzten Kampfstoffs (vgl. Aussage von Prof. Nik. Kehr, ebd.)?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung sieht sich außerstande, heute ein technisches Verfahren zur Beseitigung von Kampfstoffen zu beurteilen, das vor Jahren praktiziert wurde, also heute nicht mehr praktiziert wird. Welche Emissionen bei dem damaligen Beseitigungsverfahren entstanden sind und ob sie nach Art und Menge geeignet waren, schädliche Umwelteinwirkungen zu verursachen, läßt sich nachträglich nicht mehr feststellen.
Nach Auskunft des Bayerischen Staatsministeriums des Innern ist die Vernichtung der Kampfstoffe nach Beteiligung sachverständiger Stellen und unter Einhaltung strenger Sicherheitsvorkehrungen erfolgt.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101917300
Zusatzfrage, bitte schön, Herr Abgeordneter.

Jürgen Vahlberg (SPD):
Rede ID: ID1101917400
Warum hält der Leiter der Kampfstoffvernichtungsanlage Munster ein technisch äußerst aufwendiges Verfahren für erforderlich, um diese Kampfstoffe zu vernichten, wenn andererseits das bayerische Innenministerium der Ansicht ist, Lost sei gefahrlos in einem Ofen zu verbrennen? Wenn das bayerische Innenministerium recht hat, daß es gefahrlos zu verbrennen ist, wieso setzt die Bundesregierung dann so viel Geld und Energie ein, um, wie in Munster z. B., solche Kampfstoffe technisch aufwendig zu verbrennen? Wie ist das miteinander vereinbar, Herr Staatssekretär?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist nicht miteinander vereinbar, wenn Sie hier unterstellen, dieser Kampfstoff werde heute noch verbrannt.

(Vahlberg [SPD]: Er ist verbrannt worden!) — Er ist bis 1982 verbrannt worden.

Allerdings müssen hier sehr viele Einschränkungen gemacht werden, auch über die Art der dort verbrannten Stoffe. Ich würde aber bitten, das bayerische Innenministerium selbst noch einmal detailliert zu fra- gen. Entscheidend ist, daß die bayerische Regierung uns mitteilt, daß seit 1982 dies nicht mehr geschieht, daß auch kein weiterer Kampfstoff ansteht. Wenn allerdings eine Kampfstoffvernichtung stattfinden muß, dann wären die Bundesregierung, der Bund heute zur Übernahme des Materials nach Munster in der Lage. Ab 1990 wird in Munster nämlich eine ausreichend dimensionierte Anlage bestehen, die in der Vergangenheit nicht bestanden hat. Diese Situation hat offenbar dazu geführt, daß in Bayern von diesen Möglichkeiten der Beseitigung von Kampfstoffen oder von mit Kampfstoffen infizierten Gegenständen Gebrauch gemacht worden ist, wobei ich der Klarstellung halber noch einmal betone, daß das nach Mitteilung des In-



Parl. Staatssekretär Grüner
nenministeriums in Bayern ein in 1982 abgeschlossener Vorgang war, der unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen vollzogen worden ist, und daß das heute nicht mehr stattfindet.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101917500
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Vahlberg.

Jürgen Vahlberg (SPD):
Rede ID: ID1101917600
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung in der Zeit bis 1982 denn informiert worden, wie es nach dem Grundgesetz hätte geschehen müssen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin nicht der Meinung, daß es eine solche Informationspflicht nach dem Grundgesetz gegeben hat. Ich kann auch nicht die Frage beantworten, ob wir darüber informiert waren. Ich werde dieser Frage sehr gerne nachgehen und Ihnen darauf eine Antwort geben.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101917700
Nun steht Ihnen noch eine Zusatzfrage zu.

Jürgen Vahlberg (SPD):
Rede ID: ID1101917800
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung ausschließen, daß die Beteiligten an der Verbrennung und die Bewohner der in der Winddrift liegenden Ortschaften bis 1982, also bis zu dem Zeitpunkt, wo verbrannt worden ist, Schädigungen erfahren haben? Können Sie dies ausschließen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann nur noch einmal mitteilen, daß wir nachträglich nichts mehr feststellen können,

(Vahlberg [SPD]: Aber Lost ist Lost, heute wie damals!)

daß keinerlei Schädigungen bekannt geworden sind — jedenfalls nicht uns, nicht dem bayerischen Innenministerium und offensichtlich auch nicht Ihnen — , so daß im Grunde genommen mit einer gewissen inneren Beruhigung festgestellt werden kann, daß bei diesem Verfahren, das heute sicher so nicht mehr praktiziert würde, weil ab 1990 bessere und zweckmäßigere Anlagen zur Verfügung stehen, offenbar auch auf Grund der strengen Sicherheitsvorkehrungen, die getroffen worden sind, nichts passiert ist.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101917900
Bevor wir die Fragestunde beenden, gebe ich dem Abgeordneten Amling noch die Möglichkeit, eine Zusatzfrage zu stellen.

Max Amling (SPD):
Rede ID: ID1101918000
Danke schön, Herr Präsident.
Herr Staatssekretär, zählt der Bundesminister neben dem erwähnten Lost auch das ebenfalls auf dem Bunkergelände in Mühldorf liegende Clark I und II zu den Giftstoffen, und kann er, wenn er dieses tut, erklären, warum die bayerische Landesregierung nur von einem „Reizstoff" spricht, obwohl Clark nachweislich Arsenverbindungen enthält?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das in einem Stollenbauwerk bei Mühldorf lagernde Clarkgemisch wird nach Mitteilung des Innenministeriums von Bayern zur Zeit entsorgt und im Einvernehmen mit den bayerischen und hessischen Umweltschutzbehörden in die Untertagedeponie Herfa-Neurode in Hessen verbracht.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1101918100
Herr Staatssekretär, ich bedanke mich und schließe die Fragestunde.
Bevor wir mit der Aktuellen Stunde beginnen, muß der Wechsel im Präsidium vollzogen werden.

(V o r s i t z: Vizepräsident Frau Renger)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1101918200
Meine Damen und Herren! Die Fraktion der SPD hat gemäß Nummer i c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde verlangt zu dem Thema:
Erwägungen des Bundesministers des Innern, den mit der Todesstrafe bedrohten chilenischen Staatsbürgern die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland zu verweigern
Interfraktionell ist Einvernehmen darüber erzielt worden, die Dauer der Aktuellen Stunde auf 35 Minuten zu beschränken. Dagegen kein Widerspruch? — Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort hat der Abgeordnete Duve.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1101918300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Entscheidung des Kabinetts von heute morgen ist keine. Das ist keine Entscheidung, sondern es ist der Schwebezustand, der vorher auch schon bestanden hat; der vielleicht sogar besser gewesen wäre als das, was seit der Erklärung des Innenministeriums von der letzten Woche nun in der Öffentlichkeit ist und was gestern im Innenausschuß verhandelt worden ist, wo sehr deutlich die Haltung des Innenministeriums und seiner Mitarbeiter gegenüber dieser Frage zum Ausdruck kam.
Ich glaube, wir alle müssen ein wenig nachdenken und zurückschauen. Ich selber und viele hier im Raum haben ihre Kindheit in einer Diktatur verbracht. Ich erinnere mich an die erste Radioansage, die ich als Kind gehört habe. Ich hörte den Radiosprecher sagen, auf den Führer sei ein Attentat verübt worden. Ich erinnere mich sehr genau: Ich hielt damals diese Täter des 20. Juli für gemeine Verbrecher. Als Kind war ich besonders empört. Ich wußte es nicht besser — heute wissen wir es besser.
Pinochet ist — daran muß man immer wieder erinnern — durch Verfassungsbruch, durch Mord an die Macht gekommen. Wir alle hoffen, daß es heute Wege gibt, die Diktatur in Chile ohne Gewalt zu beenden, das Land friedlich in die Demokratie zurückzuführen. Dabei wollen wir — und ich hoffe, alle Parteien dieses Hauses — mithelfen. Aber in Chile herrscht immer noch illegale und illegitime Gewalt; noch regieren die chilenischen Verfassungsfeinde im öffentlichen Dienst und in nichtöffentlichen Diensten.
Ich halte die Bereitschaft des MIR, Gewalt anzuwenden, für einen falschen Weg und — angesichts der tatsächlichen politischen Situation in diesem Land — für einen gefährlichen Weg; aber ich halte auch MIR-Angehörige, die von der Geheimpolizei gefoltert worden sind — und darüber besteht überhaupt kein Zweifel, Herr Innenminister — , für politische Gefangene, auch wenn chilenische Behörden und wenn das Bundesinnenministerium gestern in der Ausschußsitzung sie zu gemeinen Verbrechern stempeln wollten.



Duve
Sich für eine Aufnahme dieser Menschen einzusetzen, heißt nicht, ihre Taten billigen, die ihnen bisher noch nicht nachgewiesen worden sind, heißt jedoch, zunächst zu fragen: Wo sind die Beweise, wo ist das rechtsstaatliche Verfahren, wo sind schriftliche Argumente? Es gibt bisher überhaupt keine. Ich verweise hier auf den Bericht unseres Kollegen aus dem britischen Oberhaus, von Lord Grifford, vom 31. März 1987. Dieser Bericht im Auftrag beider britischen Häuser macht sehr deutlich, daß es bei den Gefangenen in Chile immer wieder zu durch Folter erpreßten angeblichen Geständnissen kommt.
Meine Damen und Herren! Wir sollten uns selber nicht in die innerchilenische Gewaltdiskussion einmischen — sie wird von seiten des Diktators geführt —; wir sollten sie auch nicht in unsere Reihen hereintragen. Ich sage das an die Adresse der CDU, die das gestern in der Ausschußsitzung mehrfach versucht hat. Wir können aber auch nicht zulassen, daß Minister Zimmermann die chilenischen Menschenrechtsorganisationen als Belastungszeugen gegen die 14 Häftlinge benutzt.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Herr Minister, das Schweigen dieser beiden Organisationen hat etwas mit ihrer prekären Situation im Lande zu tun. Ich bitte Sie wirklich, künftig in Ihren Erklärungen dieses Schweigen nicht als Rechtfertigung für die Haltung Ihres Hauses heranzuziehen. Das ist nicht gut, das ist bisher auch nicht geschehen.
Ich darf noch einmal erinnern: Als im Sommer 1986 der Anführer der rechtsgerichteten Aufständischen aus Angola, Jonas Savimbi, in Washington bei Präsident Reagan weilte, erhoben sich über 1 000 Prominente, die zu einem Festbankett eingeladen waren, zu einer stehenden Ovation. Savimbi ist in den Augen der Regierung von Angola ein gemeiner Verbrecher — in deren Augen! Der Präsident der Vereinigten Staaten finanziert und feiert Contras, die gegen die Regierung von Nicaragua kämpfen, die Frauen und Kinder dabei ebenso umbringen wie Soldaten des jungen Staates. In den Augen der Regierung von Nicaragua sind es Verbrecher. Wir sollten, Herr Minister Zimmermann, dieses Verbrecherargument nicht so leichtfertig übernehmen.
Vor einiger Zeit, im April, gelang es, Aussagen der Vierzehn aus dem Gefängnis herauszuschmuggeln. Ich zitiere hier, was Carlos Garcia Herrera gesagt hat:
Meine Familie ist mit dem Tode bedroht worden, wenn sie nicht bereit wäre, das zu bestätigen, was ich unter Folter während meiner Vernehmung durch die Geheimpolizei ausgesagt habe.
Er hat also auch noch die Aussagen seiner Familienangehörigen in seiner eigenen herausgeschmuggelten Aussage qualifiziert. Ich habe keinerlei Anlaß, an dieser Aussage zu zweifeln. Ich habe mehrere Gefangene selber besucht. Ich habe auch Frau Dr. Brinkmann in Valdivia besucht; sie ist ohne jeden Zweifel gefoltert worden.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Wir dürfen der Diktatur niemals das Argument schenken, das demokratische Bonn glaube an die angeblichen Beweise der chilenischen Geheimpolizei.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das heißt: Wir müssen die Menschen einreisen lassen, weil sie vom Tode bedroht sind, sogar dann, wenn sich die eine oder andere Anschuldigung nicht aus der Welt räumen läßt. Demokraten sind keine Komplizen von Pinochet, Demokraten sind Kämpfer für eine Verfassung, die die Todesstrafe abgeschafft hat.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1101918400
Das Wort hat der Abgeordnete Fellner.

Hermann Fellner (CSU):
Rede ID: ID1101918500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich genauso nüchtern und ernst für meine Fraktion einige Anmerkungen zum im Rede stehenden Sachverhalt machen. Vierzehn chilenische Bürger, denen dort die Verurteilung zu Freiheitsstrafen oder gar zum Tode droht, bemühen sich, in die Bundesrepublik Deutschland zu kommen. Es mag dahingestellt werden, ob die gesetzlichen Bestimmungen in Chile dies überhaupt, ob sie es vor einer Verurteilung und ob sie es auch bei einer Verurteilung zum Tode zulassen würden. In einer Diktatur ist ja wohl alles möglich.
Wir haben hier zu befinden, ob es nach den Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland möglich oder gar geboten ist, die Betroffenen aufzunehmen. Maßgeblich für die Beantwortung dieser Frage ist der § 22 des Ausländergesetzes, der es ermöglicht, Ausländer aus humanitären Gründen aufzunehmen. Die Innenminister der Länder haben sich auf der Innenministerkonferenz vom Februar 1975 zu einer Fortsetzung der humanitären Hilfsaktion zugunsten chilenischer Staatsangehöriger bereit erklärt. Diese Aktion war die Reaktion auf die Menschenrechtsverletzungen in Chile und sollte den demokratischen Widerstand stützen. Das sehen wir auch heute noch so.
Es wurden damals noch einmal die Kriterien bestätigt, nach denen eine Aufnahme erfolgen soll. Danach werden grundsätzlich nicht aufgenommen: Kriminelle und politische Gewalttäter, Personen, die hinreichend verdächtigt sind, Täter oder Beteiligte eines kriminellen oder politischen Gewaltdelikts zu sein, und schließlich Personen, die befürchten lassen, daß sie unsere Rechtsordnung verletzen oder die innere Sicherheit gefährden könnten.
Nach den damaligen und jetzt noch gültigen Kriterien ist bei der letztgenannten Personengruppe zusätzlich abzuwägen, inwieweit Bedenken hinter allgemeinen humanitären Erwägungen zurückzutreten haben. Insbesondere bei Angehörigen oder Funktionsträgern extremistischer Parteien führte dies immer dazu, daß der humanitäre Aspekt überwog. Nach diesen Kriterien wurde nach unserer Einschätzung auch bei der bisherigen Bewertung dieses Vorgangs verfahren.
Wir erlauben uns diese Bewertung deshalb, weil wir beurteilen können, wie frühere Regierungen jeweils solche Fälle beurteilt haben. So hat der Parlamentarische Staatssekretär von Schoeler beispielsweise im



Fellner
Jahre 1977 die Aufnahme von Personen abgelehnt. Eine beispielsweise, die wegen ihrer Mitgliedschaft in MIR verhaftet wurde, weil sie bisweilen als Bote oder bei der Anmietung von Häusern tätig war. Eine andere, die als Linkssympathisant wegen Verletzung des Waffenkontrollgesetzes zu zehn Jahren Haft verurteilt worden war. Beispielsweise auch eine Person aus Argentinien, die wegen ihrer Aktivitäten für das „Revolutionäre Volksheer" zu mehr als fünf Jahren Haft verurteilt worden war.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Ich meine, an denselben Kriterien ist auch die Aufnahme der Personen zu messen, um die es heute geht. Die Schuldvorwürfe — ich sage ausdrücklich: Schuldvorwürfe — lauten Beteiligung an Banküberfällen, bei denen zwei zivile Wachbeamte und ein Polizist getötet wurden, Beteiligung an Anschlägen, bei denen Polizisten erschossen wurden, Beteiligung an einem Mordversuch am Präsidenten des Obersten Gerichtshofs, Beteiligung an der Ermordung eines Generals. Hinzu kommt eine Vielzahl von Raub- und Waffendelikten.
Im übrigen kann man auch davon ausgehen, daß die betreffenden Personen nahezu ausnahmslos Mitglied der MIR sind. Daß die MIR, Herr Kollege Duve, eine Terrororganisation ist und nicht zur demokratischen Opposition zählen kann, ist allen bekannt. Ich fände es jedenfalls fatal, wenn man die MIR dazu zählen würde.
Bei all diesen Delikten handelt es sich um Schuldvorwürfe, die zum Teil durch Verurteilungen bestätigt wurden, nach den Auskünften der Botschaft aber in keinem Falle rechtskräftig sind.
Das Innenministerium hat zu Recht versucht, sich für jeden Einzelfall aus allen zugänglichen Quellen, also im wesentlichen durch Berichte unserer Botschaft, durch Informationen von Anwälten und von in Chile tätigen Menschenrechtsorganisationen, ein eigenes Bild zu machen. Es ist ganz selbstverständlich, daß jeder Fall einzeln gesehen werden muß. Es ist genauso selbstverständlich, daß wir uns nicht nach dem richten können, was die chilenische Regierung oder Justiz sagt. Wir können aber auch nicht das als bare Münze nehmen, was die Betroffenen selber über ihre Unschuld sagen. Nicht einmal Schuldgeständnisse der Betroffenen wären ein Kriterium, weil die Gefahr der Folterung natürlich besteht. Allerdings liegen solche Geständnisse hier nicht vor. Die Schuldvorwürfe werden jeweils anderweitig begründet.
Nach unserer Ansicht stellt sich das BMI nach allen vorliegenden Erkenntnissen zu Recht auf den Standpunkt, daß eine Einreise der Betroffenen nach derzeitiger Sachlage nicht zulässig wäre. Auch auf der Suche nach entlastenden Erkenntnissen ist man bisher nicht fündig geworden. Der Botschafter teilte diese Ansicht im übrigen Anfang Mai. Er teilte mit: Der Botschaft sind bisher keine entlastenden Erkenntnisse bekanntgeworden. Sie teilt die Auffassung des BMI hinsichtlich des kriminellen Charakters der gegen die 14 erhobenen Tatvorwürfe.
Wir sind also der Meinung, daß nach jetziger Sachlage richtig entschieden wurde, soweit man diese Beurteilung durch das Innenministerium als aktuelle
Entscheidung ansehen kann. Wir werden weiter nach Erkenntnissen suchen. Wenn solche Erkenntnisse vorliegen, kann eine Entscheidung, bezogen auf den Einzelfall, selbstverständlich auch anders aussehen.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1101918600
Das Wort hat Frau Abgeordnete Olms.

Ellen Olms (GRÜNE):
Rede ID: ID1101918700
Sehr geehrte Damen und Herren! Ich will meinen Beitrag mit einer Frage beginnen — gerade auch im Hinblick auf die heutige Kabinettsentscheidung —: Kann in einem Unrechtsregime Recht gesprochen werden? Diese Frage läßt sich gerade auch aus dem historischen Kontext heraus eindeutig mit Nein beantworten.
Das Nein muß aber um so klarer formuliert werden, wenn wir uns vergegenwärtigen, wie die zwölf Männer und zwei Frauen durch die Folterung zu Geständnissen gezwungen wurden und daß sie jahrelang unter grausamen Haftbedingungen auf ihr schon vorgezeichnetes Todesurteil warten.
Uns liegen Briefe vor, die ganz eindeutig beweisen, daß gefoltert wird und wie unmenschlich die Haftbedingungen sind.
Für Innenminister Zimmermann sind die 14 Chilenen Terroristen und Mörder, die die Sicherheitslage der Bundesrepublik beeinträchtigen könnten. Zynisch und menschenverachtend wollen das Bundesministerium des Innern und auch Außenminister Genscher das Ende der juristischen Verfahren in Chile abwarten, obwohl wir genau wissen, wie schnell in Chile Todesurteile vollstreckt werden können, obwohl auch hinlänglich bekannt ist, daß in Chile politische Gefangene, wie z. B. Victor Sunica, im Gefängnis kaltblütig umgebracht wurden. Aber nicht nur in den Gefängnissen ist es so. Wie die Berichte vom 17. Juni zeigen, wurden zwölf Personen, die als Mitglieder der Patriotischen Front bezeichnet werden, vom Geheimdienst und von Militärs in einem Vorort von Santiago erschossen.
Hat Dr. Geißler in seiner Rede vom 2. April hier in diesem Hause nicht die besondere Situation des Widerstands gekennzeichnet, indem er ausführte, daß sich der gewaltsame Widerstand z. B. in Nazi-Deutschland, in der Sowjetunion und in Chile aus der Unmöglichkeit einer friedlichen und rechtsstaatlichen Veränderung der Verhältnisse legitimiere? Wenn das so ist, gibt die Bundesregierung mit ihrer Einreiseverweigerung im nachhinein Freisler recht und verurteilt von Stauffenberg zum zweitenmal. Ertrinkenden wird hier der Rettungsring verweigert! Dies haben das EG-Parlament mit seiner Aufforderung an die Mitgliedstaaten, den 14 Chilenen ein Visum zu erteilen, sowie die Bundesländer Bremen, Hessen und Hamburg mit ihrer Aufnahmebereitschaft bekundet.
Oder will Innenminister Zimmermann die chilenische Militärjunta nicht brüskieren, wo sich doch unlängst zwei Generäle, der oberste Polizist Rudolfo Stange und der Chef der Luftwaffe Fernando Mattei, in der Bundesrepublik aufgehalten haben und sich, wie bekannt wurde, nach der Lieferung von gepan-
Deutscher Bundestag — 11 Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1987 1191
Frau Olms
zerten Polizeihubschraubern und nach Ausbildungsmöglichkeiten für chilenische Polizisten erkundigt haben?
Bedenkenswert ist auch in diesem Zusammenhang, daß sich die Bundesrepublik gerade auf Betreiben des CSU-regierten Bundeslandes Bayern lange Zeit gesperrt hat, die Anti-Folter-Konvention mit zu unterzeichnen. Und noch etwas: Mit der Haltung des Bundesministeriums des Innern wird der Schutzgedanke des Asylrechts ad absurdum geführt, denn wenn Verfolgte — z. B. bedingt durch Visumsverweigerung — in einem Aufnahmeland nicht Zuflucht finden können, erübrigt sich das Grundrecht auf Asyl.
Wenn sich das Bundesministerium die Argumentation der Verfolger, daß es sich um einen kriminellen Charakter der Tatvorwürfe handelt, zu eigen macht, so sieht Zimmermann keinen Unterschied mehr zwischen Demokratie und Diktatur — so wenig wie zwischen Militärherrschaft und Widerstandsrecht. Damit stellt sich Zimmermann in eine Reihe mit Pinochet und zeigt, daß er bereit ist, über Leichen zu gehen.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Das bedeutet weiter, daß dieser Bundeskanzler und sein Kabinett im Ernstfall den Interessen einer faschistischen Diktatur näherstehen als den Menschenrechten.

(Beifall bei den GRÜNEN — Widerspruch bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1101918800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1101918900
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, daß die Ausfälle, die wir eben gehört haben, eine Zurückweisung verdienen, die nicht weiter begründet zu werden braucht.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir führen diese Debatte in einer unbefriedigenden Lage. Die Kürze der Redezeit macht es nicht möglich, auch nur andeutungsweise die politischen oder sachlichen Wertungen darzustellen, die diese 14 Chilenen den einen als Freiheitskämpfer und den anderen als Kriminelle oder Terroristen erscheinen lassen. Der Ernst des Gegenstandes verbietet jeden rhetorischen Schnörkel. Wir wollen das Schicksal dieser 14 Menschen — unabhängig davon, ob sie schuldig sind oder nicht — nicht zum Werkzeug einer innenpolitischen Auseinandersetzung machen.
Jeder sollte sorgfältig prüfen, welche Wirkung seine Erklärungen auf die in Chile anhängigen Strafverfahren haben. Es wird ja immer wieder leichtfertigerweise fälschlich behauptet, eine Übernahmeerklärung würde ausreichen, um diese Menschen freizubekommen. In Wirklichkeit ist dieses Dekret, von dem wir reden, auf Menschen gemünzt, die zu einer Freiheitsstrafe verurteilt sind oder sich in Haft befinden. Es ist vor vier Jahren einmal und bisher zum letztenmal angewendet worden. Jeder, der diese Menschen freibekommen will, muß zunächst einmal — wenn sie zum Tode verurteilt werden sollten — erreichen, daß das Regime sie begnadigt und die Strafe in eine Freiheitsstrafe umwandelt. Ich frage mich also, welche Bemerkungen hier es erleichtern, daß die Machthaber in Chile im Falle einer Verurteilung einer solchen Umwandlung zustimmen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Die Innenminister von Bund und Ländern haben bestimmte Kriterien aufgestellt. Sie haben 1975 übereinstimmend gesagt, daß keine kriminellen oder politischen Gewalttäter aufgenommen werden sollen. Diese Abgrenzung schließt pauschale Wertungen aus und erfordert die Prüfung der Einzelfälle. Das ist früher auch geschehen. Es sind einzelne Personen in der Bundesrepublik aufgenommen worden. Sicherheitsprobleme für die Bundesrepublik haben sich daraus nicht ergeben.
Bei den nun vorliegenden 14 Fällen handelt es sich um Mitglieder einer revolutionären Organisation, denen in der Tat schwerste Straftaten vorgeworfen werden, die uns, wenn sie belegt werden sollten, nicht nur an die Täter, sondern auch an die Opfer denken lassen müssen. Zweifellos gibt es auch in Diktaturen kriminelles Unrecht, das nicht durch politische Verbrämung weggewischt werden kann. Aber keiner der hier in Rede stehenden Angeklagten ist bisher rechtskräftig verurteilt worden. Für sie gilt die Unschuldsvermutung, erst recht, wenn sie in einer Diktatur vor Gericht stehen

(Beifall bei der FDP, der SPD, den GRÜNEN und Abgeordneten der CDU/CSU)

und wenn die Vorwürfe oder Verurteilungen in einem
Verfahren zustande kommen sollten, das in krassem
Widerspruch zu rechtsstaatlichen Grundsätzen steht.
Da wird der Vorwurf erhoben, daß die Angeklagten gefoltert worden sein sollen. Der Außenminister hat mit Recht darauf hingewiesen, daß der Vorwurf der Folterung in Chile ernst zu nehmen sei. Wenn die Angeklagten gefoltert worden sein sollten, kann ernsthaft von einem hinreichenden Tatverdacht nicht gesprochen werden.
Es fällt weiter auf, daß sich die Angeklagten zwischen vier und sieben Jahren in Untersuchungshaft befinden. Das spricht nicht gerade dafür, daß den chilenischen Strafverfolgungsbehörden oder Gerichten bisher eindeutige Beweise für die Beteiligung an den vorgeworfenen Straftaten vorliegen. Ich frage mich also, wie irgend jemand hier in diesem Hause oder in der Bundesregierung schneller als selbst die chilenischen Gerichte zu der Überzeugung kommen kann, daß es sich wirklich um Straftäter handelt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es kann so sein, aber wir wissen es nicht.

Das Europäische Parlament hat zu einer Aktion aufgerufen. Es haben sich eine Reihe von Mitgliedstaaten, jedenfalls in sechs Fällen, bereit erklärt, Chilenen aufzunehmen. Man muß fragen: Auf Grund welcher Erkenntnisse sind die Einzelfallprüfungen zu diesem Ergebnis gekommen? Man muß die Bundesregierung auffordern, das festzustellen und nach Möglichkeit eine gemeinsame internationale Haltung herbeizuführen.



Dr. Hirsch
Wir haben den Eindruck, daß die Lage dieser vierzehn Menschen durch die hektische politische Diskussion in der Bundesrepublik nicht erleichtert worden ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der Außenminister hat zweifellos recht, wenn er mahnt, die schwierige Menschenrechtslage in Chile mit großer Sorgfalt zu würdigen und dabei an die Kampagne der Bundesrepublik zur Abschaffung der Todesstrafe anzuknüpfen. Wir halten eine Einzelfallprüfung für unerläßlich. Wir appellieren an alle Beteiligten, den innenpolitischen Streit zu beenden, und wir bitten die Bundesregierung in ihrer Gesamtheit, in Abstimmung mit den anderen europäischen Staaten alles zu tun, diesen Menschen zu helfen, wenn und soweit das rechtlich und politisch irgend zu verantworten ist.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1101919000
Das Wort hat der Bundesminister des Innern, Dr. Zimmermann.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1101919100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sind erstmals im Oktober 1986 mit dieser Sache befaßt worden. Damals hat sich eine Vereinigung der Familienangehörigen der politischen Gefangenen an verschiedene Stellen in der Bundesrepublik Deutschland gewandt.

(Volmer [GRÜNE]: Schon im September haben wir im Plenum darüber debattiert!)

Der Hintergrund für die Bemühungen der genannten Vereinigung ist im chilenischen Rechtssystem zu suchen. Das Dekret kam mehrfach zur Sprache, es trägt die Nummer 504. Seit dem Jahre 1975 ist es nach diesem Dekret möglich, freiheitsentziehende und -beschränkende Maßnahmen, die auf einem rechtskräftigen Urteil eines Militärgerichts beruhen, nach einem komplizierten Verfahren in eine Ausweisung umzuwandeln. Dieses Dekret gilt ausdrücklich nur für rechtskräftige Freiheitsstrafen, nicht für Todesstrafen, wie gerade zutreffend erwähnt worden ist.
Im Oktober vergangenen Jahres ging ein Schreiben des Hessischen Ministers des Innern und Ministerpräsidenten ein mit dem Angebot, die genannten 14 in Hessen aufzunehmen. In den letzten Tagen haben auch Bremen und das Saarland entsprechende Angebote übermittelt.
Seit dem hessischen Angebot ist geprüft worden, ob gemäß § 22 Ausländergesetz eine Übernahme aus humanitären Gründen möglich ist. Die Prüfung hat sich auf alle Tatbestände erstreckt wie auch in früheren Jahren. Ein Beispiel — Staatssekretär von Schoeler und Zustimmung durch Minister Baum — ist erwähnt worden. Es hat sich damals um eine ganze Reihe von Fällen gehandelt, wo Freiheitsstrafen ausgesprochen worden waren.
Die vorhandenen Sicherheitsbedenken müssen mit den humanitären Gesichtspunkten abgewogen werden.
Die Vereinigung der Familienangehörigen der politischen Gefangenen, die ich zuerst erwähnt habe, hat zusammen mit der chilenischen Menschenrechtsorganisation CODEPU die politische und rechtliche Situation in Chile, die Lebensläufe der Gefangenen dargestellt und über schwere Folterungen und Mißhandlungen berichtet. Aber auch diese Darstellung allein erweckt nicht den Eindruck, daß es sich nur um politisch Verfolgte handelt. Es wird eingeräumt, daß, wie es heißt, auch militärisch gegen die chilenische Diktatur gekämpft, d. h. Gewalt angewendet worden ist. Nicht wenige der Häftlinge bekennen sich ausdrücklich zur MIR, von der bekannt ist, daß sie jede evolutionäre gewaltlose demokratische Entwicklung strikt ablehnt. Alle demokratischen Parteien Chiles sind der Auffassung, daß es sich bei MIR um eine revolutionäre, militant-systemverändernde Bürgerkriegsorganisation handelt.

(Duve [SPD]: Was heißt denn ,,systemverändernd"? — Weitere Zurufe von der SPD)

— Ich habe zitiert: die demokratischen Parteien Chiles, zu denen die MIR nicht gehört.
Die anderen Quellen, aus denen unsere Erkenntnisse stammen, sind wie ich meine, sorgfältige Berichte der Botschaft in Santiago, die es seit Oktober letzten Jahres fortlaufend gibt. Die Botschaft stützt sich in diesen Berichten auf Gespräche mit den Anwälten der Betroffenen, mit Repräsentanten der chilenischen Organisationen und auch auf Gespräche mit den Vertretern der Familienangehörigen der Gefangenen.
Nach den dort gewonnenen Erkenntnissen werden den Beteiligten schwere kriminelle und terroristische Handlungen vorgeworfen. Sie werden — mit einer Ausnahme — alle beschuldigt, Morde verübt zu haben oder an Tötungsdelikten beteiligt gewesen zu sein.
In Chile — das mag hier einmal erwähnt werden — sind in den letzten drei Jahren bei Terroranschlägen 280 Menschen getötet worden, darunter 48 Soldaten und Polizisten. Ungefähr die Hälfte dieser Zahl wird der MIR und die andere Hälfte der FPMR, einer Guerilla-Organisation, die als bewaffneter Arm der chilenischen KP gilt zugeschrieben.

(Bindig [SPD]: Wie viele Opfer der Diktatur hat es gegeben?)

Ich sage nicht, daß wir die gegen die 14 erhobenen Vorwürfe und die behaupteten Sachverhalte als erwiesen ansehen. Alle 14 befinden sich im Zustand der Anklage; keiner ist rechtskräftig verurteilt. Wir werden alle Quellen ausschöpfen, die wir eröffnen können, um ein wirkliches Bild der Lage zu gewinnen.
Einer der 14 war 1973 in Chile bereits zu fünf Jahren Haft wegen Herstellung von Sprengstoff verurteilt worden. Er wurde vorzeitig aus der Haft entlassen. Die Stadt Göttingen hatte eine Aufnahmezusage gegeben. Er reiste hier ein. Er wurde als Asylant in Zirndorf anerkannt. Er hat hier Kontakte zu Linksextremisten gehabt, ging über die CSSR nach Kuba, erhielt dort eine Guerilla-Ausbildung und ist in sein Heimatland zurückgekehrt, um, wie er selbst sagt, seinen Kampf fortzusetzen. Das gilt auch für eine Reihe von anderen, die in Frankreich, in Belgien und in Österreich gewesen sind und dann wieder zurückgekehrt sind. Das heißt: Die Bundesrepublik Deutschland muß abwä-



Bundesminister Dr. Zimmermann
gen, ob unter Sicherheitsgesichtspunkten eine Übernahmegarantie verantwortet werden kann. Wir werden alle entlastenden Tatsachen erheblichen Gewichts berücksichtigen.
Ich wiederhole: Wir haben noch kein rechtskräftiges Urteil. Den Häftlingen droht zur Zeit keine unmittelbare und unbedingte Gefahr. Die Voraussetzungen des Dekrets, das ich zitiert habe, sind noch nicht gegeben. Zu welchen Urteilen es kommen wird, bleibt abzuwarten. Erst dann kann die Bundesregierung entscheiden.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Skandal!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1101919200
Das Wort hat der Abgeordnete Wartenberg.

Gerd Wartenberg (SPD):
Rede ID: ID1101919300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Hirsch, ich stimme Ihnen zu, daß solche schwierigen Menschenrechtsfälle möglichst aus einer häßlichen innenpolitischen Kontroverse herausgehalten werden sollen. Bloß — das ist ein negatives Markenzeichen der innenpolitischen Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland — , im Augenblick spricht leider nichts dafür.
Mit den Äußerungen, die Bundesinnenminister Zimmermann am Montag vor einer Woche gemacht hat, hat die Bundesrepublik Deutschland gerade bei dieser komplizierten Menschenrechtsfrage ein Klima der Unerbittlichkeit und der Verhärtung in der innenpolitischen Diskussion erreicht. Das ist die Schwierigkeit bei allen schwierigen Menschenrechtsfragen:

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Erst einmal wird das Klima verdorben, und dann werden diejenigen, die sich für diese 14 vom Tode bedrohten Menschen einsetzen, gleich in die Nähe von Menschen gerückt, die Terroristen unterstützen. Das heißt: Erst einmal wird alles vorgetragen, was negativ ist, was gegen Hilfeleistungen spricht. Hier besteht übrigens ein eklatanter Unterschied zu anderen europäischen Ländern. Ich werde gleich noch einmal darauf eingehen.
Ich meine, es muß unter Demokraten ein guter Grundsatz sein, daß Menschen, wenn sie von der Todesstrafe bedroht sind, bei uns auch dann Asyl bekommen, wenn man die Ziele, die diese Menschen gegen ein diktatorisches Regime verfolgen, nicht voll teilt.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich glaube, das ist der Grundsatz, der immer wieder in die Diskussion gebracht werden muß, wenn man das Asylrecht gegenüber vom Tode Bedrohten ausschöpfen will.
Wir Sozialdemokraten teilen nicht die Ziele der MIR. Das ist eine Organisation, die fraglos im Kampf gegen das Pinochet-Regime auch Gewalt bejaht. Trotzdem sind die Anschuldigungen, die die Anklagebehörden in Chile den Inhaftierten vorwerfen, mit aller Vorsicht zu bewerten. Wir wissen, daß es für die
Angeklagten in Chile kein faires Verfahren gibt, wir wissen, daß Geständnisse erpreßt werden.
Wir müssen auch in diesem Zusammenhang — Sie haben es wieder in negativem Zusammenhang erwähnt — die Praxis der Bundesrepublik Deutschland bei der Aufnahme von Angehörigen von MIR untersuchen. Der frühere Parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium Jürgen Schmude hat darauf hingewiesen, daß in der Zeit von 1974 bis 1976 Angehörige der MIR von der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen worden sind. Das Interessante ist, daß von all denen, die damals aufgenommen worden sind, keiner in der Bundesrepublik Deutschland in irgendeiner Weise auffällig geworden ist. Weil es auch damals schon Widerstände gab, diese aufzunehmen, ist das nachgeprüft worden.
Das heißt, solche Menschen agieren innerhalb einer Diktatur anders als innerhalb des Rahmens eines freiheitlichen Rechtsstaates. Da gibt es offensichtlich sehr große Unterschiede. Ich glaube, das muß man in die Überlegungen mit einbeziehen. Diese Erfahrungen, die in den 70er Jahren auch mit MIR-Angehörigen, die hier Asyl bekommen haben, gemacht worden sind, sollten uns eigentlich erst einmal dazu verleiten, solchen schwierigen Menschenrechtsfragen positiv gegenüberzustehen und nicht von vornherein erst einmal ein Klima zu schaffen, das eigentlich davon ausgeht, man könne gar nicht helfen, es sei letzten Endes unmöglich.
Ein weiterer Punkt ist wichtig. Die Bundesrepublik Deutschland unterschreibt in vielen Resolutionen auf der Ebene der internationalen Politik, daß sie die Todesstrafe ächtet und daß sie für die Abschaffung der Todesstrafe in der Welt ist. Aber die Haltung der Bundesrepublik Deutschland kann sich nicht nur daran messen lassen, ob man Resolutionen unterschreibt, sondern muß sich daran messen lassen, ob man in Todesgefahr Befindlichen dann auch hilft und bereit ist, ihnen auch unter schwierigen Umständen Asyl zu gewähren. Erst danach wird sich die Bewertung der Politik eines Landes richten.
Inzwischen haben sich viele Bundesländer — nicht nur Nordrhein-Westfalen und das Saarland, die anderen drei sind genannt worden — bereit erklärt, die Aufnahme nach einer Sicherheitsüberprüfung zu akzeptieren. Aber sie haben erstmal positiv gesagt, sie seien bereit aufzunehmen — das ist das entscheidende — , und nicht von vornherein abgewehrt.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU)

Es ist auch etwas beschämend, wenn Länder wie Belgien, Frankreich und die Niederlande von vornherein positiv sagen, sie seien bereit, diese Leute aufzunehmen, während die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch diesen Innenminister, immer erst einmal abwehrend ist.
Ich will auf einen anderen konkreten Fall hinweisen. Als in der Bundesrepublik im Fall Altun noch über seine Auslieferung gestritten wurde, bevor er dann zu Tode kam, war Frankreich schon durch ein Angebot des französischen Ministerpräsidenten bereit, unbesehen der Vorwürfe, die die Türkei Altun gegenüber erhoben hatten, ihm Asyl zu gewähren. Ich



Wartenberg (Berlin)

finde, wir sollten in der Bundesrepublik alles daransetzen, daß auch in Deutschland eine Haltung bei Menschenrechtsfragen eingehalten und überhaupt erst einmal erkämpft wird, die sich mit Frankreich und anderen Staaten vergleichen läßt.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1101919400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kappes.

Dr. Franz-Hermann Kappes (CDU):
Rede ID: ID1101919500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als ich dem Herrn Kollegen Duve vorhin zuhörte, habe ich mich gefragt, ob ich gestern in der richtigen Innenausschußsitzung war. Als ich Frau Olms hörte, fragte ich mich, ob man das, was da gesagt wurde, überhaupt ernst nehmen kann. Der Innenminister selbst nimmt es anscheinend nicht ernst; er ist auch gar nicht weiter darauf eingegangen. Dem Herrn Wartenberg möchte ich zumindest vorhalten: Sein Anliegen, in Menschenrechtsfragen einen anderen Umgang zu pflegen, ist gut, aber ich weiß nicht, ob Sie selber, Herr Kollege Wartenberg, einen guten Beitrag dazu geleistet haben.

(Duve [SPD]: Nun warten wir mal auf Ihren Beitrag!)

Wir weisen zurück, daß Sie hier zum Teil versuchen
— Frau Olms vor allen Dingen — , den Innenminister so in die Gegend der Diktatur des Herrn Pinochet zu rücken.

(Zuruf von der SPD: Da gehört er hin!)

— Da gehört er eben nicht hin! Dagegen verwahren wir uns hier.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Ich nehme deshalb die Gelegenheit wahr, hier noch einmal für die CDU/CSU-Fraktion ausdrücklich zu erklären: Wir wissen sehr wohl, daß es seit dem blutigen Militärputsch 1973 in Chile keine unabhängigen Gerichte gibt, daß Grundrechte dort außer Kraft gesetzt sind, daß es dort Folter und willkürliche Verhaftungen gibt, und daß sich die Junta schwerer Verletzungen der Menschenrechte schuldig macht. Und wir sind auch diejenigen, die oft genug erklärt haben, daß wir an der Seite unserer eigenen politischen Freunde und all derjenigen stehen, die sich dort darum bemühen, mit friedlichen Mitteln für die Wiederherstellung von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten einzutreten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, auch in Diktaturen gibt es Straftaten verschiedener Art. Der Herr Kollege Hirsch hat mit Recht darauf hingewiesen, daß es erstens nicht ausreicht, einfach zu sagen: „Und das habe ich aus politischen Motiven gemacht. " Das muß dann im Einzelfall geprüft werden.
Zweitens steht fest, daß politische Begründungen nicht ausreichen, Gewalt gegen Menschen oder gar Morde zu rechtfertigen. Das kann nicht so sein! Ich bin der Auffassung: Solche Taten müssen bestraft werden.

(Duve [SPD]: Auch in Nicaragua!)

Es geht nur darum, wie das geschieht, ob ein rechtsstaatliches Verfahren angewandt worden ist, ob das Verfahren unseren Anforderungen entsprechen kann. Sie können nicht einfach ganz pauschal sagen, daß das selbstverständlich nicht der Fall sei,

(Duve [SPD]: Nicht pauschal!)

sondern das muß man im Einzelfall mit den zuständigen Organisationen, mit der Staatsanwaltschaft und mit den Anwälten prüfen. Man kann nicht in Übereile, wie sie hier stattgefunden hat und stattfindet, fordern: Laßt die 14 Leute einfach rein. Man muß sich doch ganz konkret fragen, was da geschehen ist: Da sind ein Parkwächter, Bankangestellte, Polizisten ermordet worden.

(Duve [SPD]: Behauptet das Militär!)

Denken Sie auch an die Familien! Sie können doch nicht einfach ohne nähere Prüfung sagen: Die 14 nehmen wir selbstverständlich hier herein, und die können dann frei bei uns herumlaufen.
Und ich will Ihnen als einer, der ein Gegner der Todesstrafe ist, sagen: Auch soweit wir dazu kommen, daß eine Verurteilung zum Tode in einem rechtsstaatlich akzeptablen Verfahren erfolgt ist, werden wir vielleicht doch zu anderen Ergebnissen kommen. Das wird man dann im Einzelfall prüfen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Dann sind sie schon aufgehängt!)

Aber da belastet und beunruhigt mich auch, daß wir unsere eigenen Täter hier vielleicht lebenslänglich oder 15 Jahre hinter Gittern sitzen haben und andere, die woanders zum Tode verurteilt worden sind, hier frei herumlaufen. Darüber muß man, finde ich, auch einmal nachdenken.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Ablenken!)

Als Letztes: Die Eile, die Sie an den Tag legen, ist mir unverständlich. Wenn Sie wirklich eine Prüfung der Fälle wollen, können Sie doch nicht einfach sagen: Laßt die erst mal herein.

(Duve [SPD]: Wir sind doch seit fast einem Jahr daran! Die Eile kommt durch die Erklärung des Innenministers!)

Sie nutzen damit Ihrem eigentlichen Anliegen überhaupt nicht, sondern Sie schaden ihm.

(Bindig [SPD]: Kaltherziges Bürokratengerede!)

— Was ist „Bürokratengerede " ? Das, was Sie gerade gefragt haben?

(Bindig [SPD]: Kaltherziges Gerede, was Sie bringen!)

— Nein. Sind Sie der Meinung, daß man einfach ungeprüft, ohne daß man die näheren Einzelheiten kennt, auf die Schnelle Mörder

(Duve [SPD]: Das läuft seit fast einem Jahr! Reden Sie doch nicht von schnell! — Zuruf von den GRÜNEN: Wie können Sie behaupten, es seien Mörder, wenn Sie es nicht wissen?)




Dr. Kappes
— nein: Menschen, denen man vorwirft, Morde begangen zu haben — Sie haben Recht, daß Sie mich in dem Fall korrigieren — aufnehmen sollte?
Ich will nur darauf hinweisen: Es besteht hier eigentlich keine Eilbedürftigkeit. Ich verstehe nicht, warum Sie so auf Eile drängen.

(Duve [SPD]: Es geht um die Erklärung des Innenministers von letzter Woche!)

— Nein.
Es wurde mit Recht hier auch darauf hingewiesen, daß nach dem chilenischen Recht zunächst einmal eine rechtskräftige Verurteilung notwendig ist. Und dann sollten wir uns wirklich die Fälle im einzelnen ansehen und im Einzelfall zu der einen oder anderen Entscheidung kommen.

(Volmer [GRÜNE]: Innerhalb von fünf Tagen muß nach chilenischem Recht die Exekution erfolgen! Innerhalb von fünf Tagen werden die dann umgebracht!)

— Das wurde auch vorhin behauptet. Nach meiner Kenntnis wurden seit 1982 — das ist schlimm genug; ich will jetzt nicht die Zahl nennen; die ist sehr niedrig — nur wenige Hinrichtungen in Chile nach Todesurteilen durchgeführt. Eine ist schon zuviel. Aber es ist eben nicht so, daß das so drängend wäre, daß das heute entschieden werden müßte.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Diktatur!)

Ich habe den Verdacht, daß Sie sich wenig um die Einzelheiten kümmern wollen, sondern daß Sie ganz pauschal, ohne näher hinzusehen und ohne Notwendigkeit zur Eile, einfach verlangen, daß wir 14 Leute reinlassen, die unter schwerstem Verdacht stehen, die zum Teil auch selber Mitwirkungen zugegeben haben.

(Duve [SPD]: Wem gegenüber?)

— In den eigenen Aussagen. Es steht ja in den Papieren drin, daß sie zum Teil sagen: wir haben nur Schmiere gestanden. — Das wäre bei uns mindestens eine Beteiligung.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Bei uns gibt es sogar die Celler Bombe!)

— Frau Kollegin, die Celler Bome haben Sie jetzt oft genug gebracht.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Das ist genau dasselbe! Die bringe ich so lange, wie es mir paßt!)

Das sind bei uns Beihilfe- oder Mittätersachverhalte. Ich sage ja nicht, daß wir mit der Prüfung schon fertig seien.
Die Bundesregierung hat jedenfalls — und damit komme ich zum Schluß — , wie ich finde, heute einen vernünftigen Beschluß gefaßt. Sie prüft das unter Einbeziehung der Menschenrechtsorganisationen, der Anwälte und auch der Vorwürfe, die dort erhoben worden sind, näher. Wir werden dann in Ruhe sicher auch zu vernünftigen Ergebnissen kommen. Nur, so wie Sie das hier machen, ist es nicht gut!

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1101919600
Das Wort hat der Abgeordnete Volmer.

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1101919700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nur ganz kurz zum Herrn Vorredner. Zur Sachlage, wie die Gefangenensetzung zustande kam: Es gibt keine gesetzliche Grundlage, alles ist nur auf dem Hintergrund von Dekreten durch die chilenische Regierung geschehen. Die Dekrete, die der Festsetzung zugrunde liegen, sind erst nach der Gefangennahme erlassen worden.
Es gab selbst bei dem sogenannten Verfahren der militärischen Prozesse Fehler; denn die vorgeschriebenen öffentlichen Verhöre fanden gar nicht statt. Die Belastung beruht nur auf ungeprüften Berichten der Geheimpolizei. Die Verteidigung hatte bis jetzt nicht die Möglichkeit der Akteneinsicht. Sie konnte nicht einmal Stellungnahmen abgeben.

(Zuruf des Abg. Fellner [CDU/CSU])

So gibt es also nicht den geringsten Nachweis für irgendeine Tatbeteiligung der Leute. Es wurde noch nicht einmal nachgewiesen, daß sie am Tatort waren. Trotzdem werden sie zum Teil sieben Jahre festgehalten. Und Sie sagen auch noch, das sei ein Verfahren, das man abwarten wolle.
Die Bundesregierung sagt, sie wolle die Chancen für die Umwandlung eines eventuellen Todesurteils in eine Freiheitsstrafe verbessern, so daß hier Asyl gewährt werden könnte.
Aber die Frage ist: Arbeitet die Bundesregierung denn an einer Verbesserung der Chancen für diese Gefangenen mit? Die Länder haben dies getan. Aber die unverantwortlichen Äußerungen des Bundesministers Zimmermann wirken faktisch — da nehme ich die Schlußpassage der Kollegin Olms auf — wie ein internationales Kronzeugentum für die chilenische Staatsanwaltschaft. Herr Hirsch, ich gebe Ihnen recht: Jeder sollte sich seine Äußerung sehr genau überlegen. Aber diese Mahnung müssen Sie in erster Linie an den Innenminister richten.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1101919800
Das Wort hat der Herr Staatsminister Schäfer.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1101919900
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit der Machtergreifung von General Pinochet vor 14 Jahren wird das Leben in Chile von zunehmender politischer Polarisierung und einem hohem Maß gewaltsamer politischer Auseinandersetzung geprägt. Die vom Militärregime ausgehende regierungsamtliche Repression erzeugt auf den entgegengesetzten Flügeln der politischen Skala harte und blutige Gegengewalt.
Zwischen beiden Extremen bemühen sich die Parteien des demokratischen Spektrums, sich zu organisieren und zu formieren, um sich für den Tag vorzubereiten, an dem an die Stelle des militärisch verfaßten Staates wieder ein demokratisches Gemeinwesen treten kann.



Staatsminister Schäfer
Diese Parteien haben in den vergangenen Jahren machmal am politischen Abgrund gestanden. Noch im vergangenen Jahr, nach Verhängung des Kriegsrechts, drohte ihnen das Schicksal, zwischen Rechts und Links zerrieben zu werden.
Wir Deutschen sind dem chilenischen Volk in alter Freundschaft verbunden. Zwischen beiden Völkern gibt es alte, historisch gewachsene Verbindungen. Gerade weil wir uns Chile so verbunden fühlen, können wir nicht zu dem schweigen, was heute Chiles politische Realität ist. Dies verbietet uns auch unsere eigene Werteordnung, wie sie das Grundgesetz verkörpert.
Wir können deshalb auch nicht schweigen zur Anwendung von Gewalt und zur Unterdrückung politisch Andersdenkender. Wir haben uns daher immer wieder allein und mit unseren europäischen Partnern zu Wort gemeldet, wo es darum ging, demokratischen Strukturen und Menschenrechten den Weg zu bahnen.
Wir haben dies getan gegenüber Vertretern der Regierung selbst, aber auch im Dialog mit den politischen Kräften, die für einen demokratischen Prozeß und für die Rückkehr zu Rechtsstaatlichkeit und Demokratie eintreten, und werden dies auch weiterhin tun.
Dieses Engagement zeigte sich auch in unserem Eintreten für solche Inhaftierte, denen von der chilenischen Anklagebehörde schwere Verbrechen wie Mord und Raub zur Last gelegt werden, die sie in Verfolgung ihrer politischen Ziele, nämlich dem gewaltsamen Sturz der Militärdiktatur, begangen haben sollen. Zu diesem Personenkreis gehören auch die 14 Männer und Frauen, die im Mittelpunkt der heutigen Debatte stehen. Gegen vier von ihnen haben bereits erstinstanzliche Verfahren vor dem Militärgerichtshof stattgefunden, die mit einem Todesurteil abgeschlossen worden sind. Gegen dieses Urteil läuft Berufung. Das Gerichtssystem ist dreistufig.
Bei den anderen zehn befinden sich die Verfahren seit vier bis sieben Jahren im Ermittlungszustand.
Die deutsche Botschaft in Santiago de Chile steht auf ausdrückliche Weisung des Bundesaußenministers wegen der 14 seit geraumer Zeit mit chilenischen Menschenrechtsorganisationen und der Delegation des Internationalen Roten Kreuzes in Santiago und den Anwälten und Familienangehörigen der Inhaftierten in Verbindung.
Auf der Basis von Angeboten der Bundesländer Hessen und Hamburg hat schon im Dezember 1986 unsere Botschaft die chilenischen Behörden über die Aufnahmebereitschaft dieser Bundesländer in Kenntnis gesetzt. Dies geschah, um durch die Bekundung des Interesses eines fremden Staates am Schicksal der Inhaftierten eine Schutzwirkung gegen die mögliche Verhängung der Todesstrafe zu erzeugen.
Die Angebote der Bundesländer, zu denen in den vergangenen Tagen auch noch Bremen und das Saarland getreten sind, stützen sich innerstaatlich auf das sogenannte Chile-Kontingent, gegenüber Chile auf die Bestimmungen des Dekrets Nr. 504, das die Ausreise Verurteilter auf Grund präsidentieller Entscheidungen ermöglicht, wenn rechtskräftige Urteile vorliegen. Das ist in keinem Fall gegeben. Für eine abschließende Entscheidung besteht derzeit keine Notwendigkeit.
Die Bundesregierung — dies sei ergänzend vermerkt — hat sich auch im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit durch gemeinsame Demarchen der Zwölf in Santiago um die Inhaftierten bemüht, als dreien von ihnen ein Standgerichtsverfahren mit summarischer Verhandlung und schnellem Urteilsvollzug drohte. Das Ergebnis der Demarche war eine Abwendung der drohenden Schnellverfahren mit der Gefahr umgehender Strafvollstreckung.
Die politischen Strafprozesse in Chile, meine Damen und Herren, finden vor Militärgerichten statt. Verfahren dieser Art vor den Zivilgerichten gehen in letzter Zeit zahlenmäßig zurück, vor dem Militärgerichten nehmen sie zu. Kritisiert wurden die Anwendung von Folter bei den Ermittlungen, fehlende Unabhängigkeit der Militärrichter und die eingeschränkte Öffentlichkeit.
Auch die Verfahren gegen die 14 Inhaftierten sind Militärgerichtsverfahren. Die Beschuldigten bestreiten weitgehend die ihnen zur Last gelegten Taten. Im Raum steht außerdem der Vorwurf der Häftlinge, von Anwälten und Familienangehörigen, daß gefoltert worden sei und daß Aussagen unter dem Einfluß der Folter erzwungen worden seien. Der Vorwurf der Folter muß angesichts der bekannten Folterpraxis chilenischer Sicherheitsorgane sehr ernst genommen werden. Dies relativiert zumindest die Aussagekraft der gegen die Beschuldigten erhobenen strafrechtlichen Vorwürfe.
Visazusagen für alle oder einzelne der Betroffenen liegen bisher aus Österreich, Frankreich, Belgien und Peru vor. Die Bundesrepublik Deutschland wird sich bei den nach Vorliegen rechtskräftiger Urteile zu treffenden Entscheidungen für die einzelnen Fälle von den Wertvorstellungen des Grundgesetzes und von dem in unserer Verfassung ausgesprochenen Verbot der Todesstrafe leiten lassen.
Das ist der Hintergrund, vor dem das Kabinett seine heutige Entscheidung getroffen hat. Die Bundesregierung wird weiter prüfen, inwieweit eine Inaussichtstellung der Aufnahme sinnvoll ist bzw. ob sie die Chilenen nach dem Ergehen solcher rechtskräftigen Urteile aus humanitären Gründen aufnehmen kann.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Frau Unruh [GRÜNE]: Ihr prüft so lange, bis sie alle aufgehängt sind!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1101920000
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Blens.

Dr. Heribert Blens (CDU):
Rede ID: ID1101920100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich die Position meiner Fraktion noch einmal kurz zusammenfassen.
Als erstes: Es gibt keinen Grund, über die Aufnahme der 14 Chilenen sofort und pauschal zu entscheiden.

(Schily [GRÜNE]: Warum haben die Österreicher das denn gemacht?)




Dr. Blens
Es gibt noch keine rechtskräftigen Urteile. Das Dekret 504, das die Ausreise verurteilter Chilenen unter Umständen ermöglicht, setzt eine rechtskräftige Verurteilung voraus. Es kann zur Zeit überhaupt noch nicht zum Zuge kommen.
Zweitens. Über alle Fälle muß einzeln nach gründlicher, sorgfältiger Prüfung entschieden werden. Dabei ist von den Grundsätzen auszugehen, die von der Regierung der sozialliberalen Koalition 1975 formuliert worden sind, wonach Kriminelle und politische Gewalttäter grundsätzlich nicht aufgenommen werden sollen. Dieser Grundsatz muß jedenfalls dann gelten, wenn, wie es den 14 Chilenen zum Teil vorgeworfen wird, Unbeteiligte und für das System nicht verantwortliche Leute wie Fahrer, Wachleute von Banken, Parkwächter, Wachsoldaten an einem Ehrenmal und andere ermordet werden.
Dabei ist für mich nicht einmal der Gesichtspunkt der Sicherheit der Bundesrepublik, sondern etwas ganz anderes maßgebend: Wenn wir Leute aufnehmen, die in anderen Ländern aus politischen Motiven Unbeteiligte ermorden, dann wird Mord als Mittel politischer Auseinandersetzung zum risikolosen Geschäft. Und wer politisch motivierten Mord an unbeteiligten Dritten zum risikolosen Geschäft macht, der leistet dem wahllosen Mord als Mittel der Politik Vorschub. Auch dieser Verantwortung, meine Damen und Herren, müssen wir uns bei der Entscheidung bewußt sein.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Deshalb muß in jedem einzelnen der 14 Fälle geprüft werden, ob es sich tatsächlich um Gewalttäter handelt. Dabei ist meines Erachtens einerseits sowohl die Tatsache, daß die MIR eine Organisation ist, die Terror bewußt einsetzt und die bereits seit 1967 Terror anwendet, als Chile noch eine rechtsstaatliche Demokratie war, als auch die Tatsache zu berücksichtigen, daß die beiden großen Menschenrechtsorganisationen in Chile es abgelehnt haben, sich in den 14 Fällen zu engagieren.

(Duve [SPD]: Das ist eine Unverschämtheit, Herr Blens! Sie haben es nicht abgelehnt, sondern sie können es gar nicht! Sprechen Sie einmal mit Bischof Tapia! Es gibt einen Grund dafür, eine Ablehnung jedenfalls ist das nicht! Wir waren in der Diskussion schon weiter! Es ist unglaublich, was Sie jetzt hier machen! — Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

— Auf der anderen Seite muß auch die Tatsache berücksichtigt werden, daß ein Teil der Angeklagten, Herr Duve, behauptet, durch Folter zu belastenden Aussagen gepreßt worden zu sein. Diese Behauptung kann angesichts der Praktiken der chilenischen Diktatur nicht einfach als unglaubwürdig vom Tisch gewischt werden. Sie muß ernstgenommen werden und muß bei der Entscheidung angemessen berücksichtigt werden.
Demgegenüber — da bin ich anderer Meinung als Sie, Herr Wartenberg — kann die Tatsache, daß die
Todesstrafe droht, für sich allein — ich sage noch einmal: für sich allein — kein Grund für eine Aufnahme bei uns sein. Sowenig erträglich es ist, daß Menschen, aus welchen Gründen auch immer, mit dem Tod bestraft werden — jedenfalls ist es für mich unerträglich —, so unerträglich ist der Gedanke, daß Leute, die in Chile unbeteiligte kleine Leute ermordet und den Opfern und deren Angehörigen Leid und Schmerz zugefügt haben, bei uns als freie Leute herumlaufen; denn das wäre die Konsequenz.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Mein Gott! Das will ein Spitzenpolitiker sein!)

Auch in der Diktatur — da unterstreiche ich das, was der Herr Hirsch wiederholt gesagt hat — bleibt der Mord an Unbeteiligten Mord, auch in der Diktatur bleibt kriminelles Unrecht kriminelles Unrecht. Daran gibt es nichts zu ändern.
Das Ziel unserer Politik — um das als letztes zu sagen — gegenüber Chile ist die Beseitigung der Diktatur durch die Wiederherstellung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Wer wie die MIR in Chile wahllos Terror ausübt, der gibt dem diktatorischen System den willkommenen Anlaß, die Diktatur unter dem Vorwand aufrechtzuerhalten, sie sei zum Schutz des Volkes vor Terroristen erforderlich.

(Bindig [SPD]: Das sind die Opfer der Diktatur!)

Der revolutionäre Terror der MIR ist der Feind aller Demokraten in Chile, die den Übergang zur Demokratie, zur Rechtsstaatlichkeit mit friedlichen Mitteln evolutionär erreichen wollen.

(Duve [SPD]: Seien Sie vorsichtig mit dem, was Sie sagen!)

— Herr Duve, ich weiß, was ich da sage.

(Schily [GRÜNE]: Um so schlimmer!)

Ich weiß aus Chile und von Leuten, die in Chile versuchen und dafür mit friedlichen Mitteln kämpfen, daß dort die Demokratie wiederhergestellt wird, daß sie derselben Meinung sind. — Auch dieser Verantwortung für die Demokraten in Chile müssen wir uns bewußt sein, wenn wir hier entscheiden.
Ich sage noch einmal: Die Entscheidung kann nur eine Entscheidung in jedem Einzelfall sein.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1101920200
Die Aktuelle Stunde ist beendet. Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 25. Juni 1987, 8.15 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.