Rede von
Ellen
Olms
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)
Sehr geehrte Damen und Herren! Ich will meinen Beitrag mit einer Frage beginnen — gerade auch im Hinblick auf die heutige Kabinettsentscheidung —: Kann in einem Unrechtsregime Recht gesprochen werden? Diese Frage läßt sich gerade auch aus dem historischen Kontext heraus eindeutig mit Nein beantworten.
Das Nein muß aber um so klarer formuliert werden, wenn wir uns vergegenwärtigen, wie die zwölf Männer und zwei Frauen durch die Folterung zu Geständnissen gezwungen wurden und daß sie jahrelang unter grausamen Haftbedingungen auf ihr schon vorgezeichnetes Todesurteil warten.
Uns liegen Briefe vor, die ganz eindeutig beweisen, daß gefoltert wird und wie unmenschlich die Haftbedingungen sind.
Für Innenminister Zimmermann sind die 14 Chilenen Terroristen und Mörder, die die Sicherheitslage der Bundesrepublik beeinträchtigen könnten. Zynisch und menschenverachtend wollen das Bundesministerium des Innern und auch Außenminister Genscher das Ende der juristischen Verfahren in Chile abwarten, obwohl wir genau wissen, wie schnell in Chile Todesurteile vollstreckt werden können, obwohl auch hinlänglich bekannt ist, daß in Chile politische Gefangene, wie z. B. Victor Sunica, im Gefängnis kaltblütig umgebracht wurden. Aber nicht nur in den Gefängnissen ist es so. Wie die Berichte vom 17. Juni zeigen, wurden zwölf Personen, die als Mitglieder der Patriotischen Front bezeichnet werden, vom Geheimdienst und von Militärs in einem Vorort von Santiago erschossen.
Hat Dr. Geißler in seiner Rede vom 2. April hier in diesem Hause nicht die besondere Situation des Widerstands gekennzeichnet, indem er ausführte, daß sich der gewaltsame Widerstand z. B. in Nazi-Deutschland, in der Sowjetunion und in Chile aus der Unmöglichkeit einer friedlichen und rechtsstaatlichen Veränderung der Verhältnisse legitimiere? Wenn das so ist, gibt die Bundesregierung mit ihrer Einreiseverweigerung im nachhinein Freisler recht und verurteilt von Stauffenberg zum zweitenmal. Ertrinkenden wird hier der Rettungsring verweigert! Dies haben das EG-Parlament mit seiner Aufforderung an die Mitgliedstaaten, den 14 Chilenen ein Visum zu erteilen, sowie die Bundesländer Bremen, Hessen und Hamburg mit ihrer Aufnahmebereitschaft bekundet.
Oder will Innenminister Zimmermann die chilenische Militärjunta nicht brüskieren, wo sich doch unlängst zwei Generäle, der oberste Polizist Rudolfo Stange und der Chef der Luftwaffe Fernando Mattei, in der Bundesrepublik aufgehalten haben und sich, wie bekannt wurde, nach der Lieferung von gepan-
Deutscher Bundestag — 11 Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Juni 1987 1191
Frau Olms
zerten Polizeihubschraubern und nach Ausbildungsmöglichkeiten für chilenische Polizisten erkundigt haben?
Bedenkenswert ist auch in diesem Zusammenhang, daß sich die Bundesrepublik gerade auf Betreiben des CSU-regierten Bundeslandes Bayern lange Zeit gesperrt hat, die Anti-Folter-Konvention mit zu unterzeichnen. Und noch etwas: Mit der Haltung des Bundesministeriums des Innern wird der Schutzgedanke des Asylrechts ad absurdum geführt, denn wenn Verfolgte — z. B. bedingt durch Visumsverweigerung — in einem Aufnahmeland nicht Zuflucht finden können, erübrigt sich das Grundrecht auf Asyl.
Wenn sich das Bundesministerium die Argumentation der Verfolger, daß es sich um einen kriminellen Charakter der Tatvorwürfe handelt, zu eigen macht, so sieht Zimmermann keinen Unterschied mehr zwischen Demokratie und Diktatur — so wenig wie zwischen Militärherrschaft und Widerstandsrecht. Damit stellt sich Zimmermann in eine Reihe mit Pinochet und zeigt, daß er bereit ist, über Leichen zu gehen.
Das bedeutet weiter, daß dieser Bundeskanzler und sein Kabinett im Ernstfall den Interessen einer faschistischen Diktatur näherstehen als den Menschenrechten.