Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die heutige Tagesordnung eintreten, möchte ich Sie bitten, mit mir gemeinsam eines Staatsmannes zu gedenken, der für sein Land Italien und für Europa in den letzten Jahrzehnten Hervorragendes geleistet hat. Aldo Moro ist von seinen terroristischen Entführern auf brutale Weise ermordet worden, nachdem er wochenlang in der Gefangenschaft seiner Mörder gelitten hat. Wir drücken unseren tiefen Abscheu über dieses schreckliche Verbrechen aus und sagen der Familie Moro, dem italienischen Parlament und dem ganzen italienischen Volk unsere herzliche Anteilnahme.
Wir, die wir in den vergangenen Jahren selbst schwerste Erfahrungen mit dem Terrorismus in unserem Lande machen mußten, wissen uns mit den Verantwortlichen und der Bevölkerung in unserem Nachbarland Italien in dem festen Willen einig, uns gegen solche Entwicklungen zur Wehr zu setzen und unseren freiheitlichen, demokratischen Staat zu verteidigen.
Aldo Moros Tod ist eine Herausforderung an alle freiheitsliebenden Demokraten in Europa. Wenn wir, die demokratischen Kräfte in unseren Ländern, zusammenstehen, werden wir der terroristischen Bedrohung durch die überlegene Kraft unserer rechtsstaatlichen Ordnung Herr werden. — Sie haben sich im Gedenken an Aldo Moro von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, nach den Toten fordern die Lebenden ihr Recht. Unsere Kollegin Frau Abgeordnete Matthäus-Maier hat am 4. Mai 1978 einer Tochter das Leben geschenkt.
Ich möchte ihr die herzlichsten Glückwünsche aussprechen. Es geschieht nicht oft, daß eine Abgeordnete des Deutschen Bundestages dem Hohen Hause auf diese Weise Anlaß zu einer Gratulation gibt. Um so mehr freuen wir uns darüber. Wir wünschen unserer Kollegin und ihrer Familie alles Gute.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll Punkt 10 der Tagesordnung betreffend Leitlinien für
die Entwicklung der Mittelmeergebiete der Gemeinschaft nebst Maßnahmen für die Landwirtschaft abgesetzt werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 2 der Tagesordnung auf: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir liegt daran, dem Bundestag über die Ergebnisse des Staatsbesuchs zu berichten, den das Staatsoberhaupt der Sowjetunion, Generalsekretär Breschnew, der sowjetische Außenminister Gromyko und andere vom 4. bis 7. Mai der Bundesrepublik Deutschland abgestattet haben.Ich hatte am 19. Januar dieses Jahres von dieser Stelle aus darauf hingewiesen, daß der Bundesminister des Auswärtigen, Herr Kollege Genscher, wie ich auch diesem Besuche große politische Bedeutung beimessen. Wir dürfen heute sagen, daß die hinter uns liegenden Gespräche diese Einschätzung voll bestätigt haben.Die deutsch-sowjetischen Beziehungen sind nicht nur für beide Staaten und ihre Menschen, sondern auch für die übrigen europäischen Nachbarn von Bedeutung.Der Generalsekretär und ich haben eine sorgfältig erarbeitete gemeinsame Deklaration unterzeichnet; ein Dokument, das die Fortschritte in der Normalisierung der Beziehungen erkennen läßt.Der Moskauer Vertrag zu Beginn dieses Jahrzehnts hatte die Grundlage für den Ausbau unseres Verhältnisses zur Sowjetunion geschaffen. Seither ist manches vorangekommen; einiges ist auch unerledigt geblieben.Die gemeinsame Deklaration vom letzten Sonnabend gibt Orientierung für die langfristige zukünftige Gestaltung unserer Beziehungen. Sie soll auf zukünftige Dauerhaftigkeit und Stabilität hinwirken. Dies beruht auf dem Bewußtsein beider Seiten, daß beide eine gemeinsame Verantwortung tragen,
Metadaten/Kopzeile:
7064 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Bundeskanzler Schmidtwelche Zusammenarbeit zur Notwendigkeit und zur Pflicht macht.Die gemeinsame Erklärung verschweigt nicht, daß es Unterschiede und daß es Grenzen gibt, die im deutsch-sowjetischen Verhältnis gegeben sind. Aber sie stellt fest, daß beide Seiten keine vernünftige Alternative zur friedlichen Zusammenarbeit der Staaten trotz der Unterschiede in mehreren Grundpositionen und trotz unterschiedlicher politischer, wirtschaftlicher und sozialer Systeme sehen.Auf dieser Erkenntnis beruht der Kernsatz der Deklaration, nämlich:Beide Seiten sind fest entschlossen, die Qualität und das Niveau ihrer Beziehungen auf allen Gebieten weiter zu erhöhen und danach zu streben, daß gute Nachbarschaft und wachsende Zusammenarbeit zum gesicherten Gut auch kornmender Generationen werden können.
Das Bekenntnis zur Entspannungspolitik und zur friedlichen Zusammenarbeit, meine Damen und Herren, das die Bundesrepublik in dieser gemeinsamen Erklärung erneuert hat, steht in voller Übereinstimmung mit der Politik, die wir in den zurückliegenden Jahren gemeinsam mit unseren Partnern im Nordatlantischen Bündnis und in der Europäischen Gemeinschaft formuliert haben.Wir halten bei allen wichtigen Schritten unserer Politik enge, um nicht zu sagen engste Fühlung mit unseren Partnern. So verstand es sich von selbst, daß ich den amerikanischen Präsidenten und ebenso den französischen Staatspräsidenten und den britischen Premierminister nach Abschluß der deutschsowjetischen Gespräche persönlich über deren Verlauf und Ergebnisse unterrichtet habe.Generalsekretär Breschnew hat unsere Gespräche zum Abschluß als „nötig, inhaltsreich und nützlich" bezeichnet. Ich habe dieser Bewertung voll beigepflichtet. Die offene und vertrauensvolle Art, in der wir über die bilateralen Beziehungen und über die internationalen Entwicklungen gesprochen haben, stellt einen Fortschritt im Umgang miteinander dar, der vor einem Jahrzehnt noch glatt für unmöglich gehalten worden wäre.
Der sowjetische Generalsekretär ist auch mit den Vorsitzenden der vier im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien zum Gespräch zusammengetroffen. Dies zeigt, daß die Sowjetunion die Pluralität unserer Staatsordnung nicht ignoriert. Ich halte es für bedeutsam und begrüße es, daß unser Verhältnis zur Sowjetunion nicht auf die Kontakte zwischen den Regierungen beschränkt bleibt.In den Gesprächen haben die Lage in Europa und die Entspannungspolitik insgesamt einen breiten Raum eingenommen. Dies entspricht der Notwendigkeit, die sich aus der Rolle der Bundesrepublik Deutschland, aus ihrem Gewicht in der westlichen Welt, aus unserer geographischen Lage und aus unserer nationalen Lage ergibt. Alle diese Faktoren zusammen und jeder einzelne von ihnen machen unsere aktive Teilnahme am Dialog mit der öst-lichen Führungsmacht unerläßlich. Wir können unsere Bemühungen, die Teilung unseres Landes für die Deutschen erträglicher zu machen, indem wir unser Verhältnis zur DDR entwickeln, nicht gegen die Sowjetunion oder an ihr vorbei betreiben.Die Gespräche und Verhandlungen haben das persönliche Engagement des Generalsekretärs Breschnew zur Entspannungspolitik und den Willen der Sowjetunion zur Fortsetzung der Entspannungspolitik nachdrücklich bestätigt, was sich in den folgenden Ergebnissen zeigt. Beide Seiten haben sich erneut zur vollen Verwirklichung aller Bestimmungen der Schlußakte von Helsinki bekannt, d. h., wir waren uns darin einig, daß wir bei der Fortführung des KSZE-Prozesses nicht hinter den in Helsinki erreichten Stand zurückfallen dürfen. Nach dem Inhalt der gemeinsamen Erklärung sollen die Ergebnisse der KSZE nicht nur der Zusammenarbeit der Staaten dienen, sondern den Menschen zugute kommen. Ich habe in diesem Zusammenhang meine Erwartung ausgedrückt, übrigens auch unsere Dankbarkeit für die bisherige Leistung auf diesem Feld, daß sich die Familienzusammenführung positiv fortentwickeln wird.Der sowjetische Generalsekretär hat darüber hinaus gemeinsam mit uns in der gemeinsamen Deklaration das Prinzip der Unteilbarkeit des Friedens und der Sicherheit in allen Teilen der Welt ausdrücklich anerkannt. Wir verstehen dies als Hinweis dafür, daß auch nach sowjetischer Ansicht der Entspannungsprozeß nicht auf das bilaterale Verhältnis zwischen den beiden Weltmächten und auf Europa beschränkt bleiben kann, sondern daß er sich zunehmend auf weitere Gebiete erstrecken soll.In meinen Gesprächen mit dem sowjetischen Generalsekretär ebenso wie in den Gesprächen von Herrn Kollegen Genscher mit Außenminister Gromyko hat natürlich Berlin eine große Rolle gespielt. Niemand, der die Berlin-Situation zu beurteilen vermag, hat erwartet, daß es während dieser deutschsowjetischen Begegnung hätte möglich gemacht werden können, die grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten in der Berlin-Frage auszuräumen und für die verschiedenen konkreten Probleme, die damit zusammenhängen, eine Lösung zu finden. Wir haben aber über beides, über die grundsätzlichen Fragen und über die hieraus in der Praxis immer wieder entstehenden Reibungen, sehr eingehend gesprochen. Ich habe besonderen Wert darauf gelegt, unseren Gesprächspartnern deutlich zu machen, daß unsere Berlin-Politik nicht darauf ausgerichtet ist, die bestehende Lage zu verändern, sondern daß wir sie erhalten und stabilisieren wollen.
Dazu gehören als wesentliche Teile die gewachsenen Bindungen und Verbindungen zwischen Berlin und der Bundesrepublik. Zwar ist Berlin kein Bestandteil, kein konstitutiver Teil der Bundesrepublik Deutschland; aber Berlin lebt nach den gleichen Grundsätzen wie wir, Berlin ist und bleibt eingebettet in dies Rechts-, Wirtschafts- und Sozialordnung der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb hat Berlin — und darauf können sich die Berliner ver-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7065
Bundeskanzler Schmidtlassen — unsere Solidarität. Wir stehen zu Berlin in fester Verbundenheit.
Zu der bestehenden Lage im Sinne des Viermächteabkommens gehören aber ebenso die Beschränkungen, die wir in unserem Verhältnis zu Berlin auf uns genommen haben und die von uns voll respektiert werden. Ich meine, Grund zu der Annahme zu haben, daß die sowjetischen Gesprächspartner unsere Berlin-Politik jetzt besser verstehen, daß einige Mißverständnisse ausgeräumt werden konnten und daß zumindest ein Stück beiderseitigen Mißtrauens tatsächlich abgebaut worden ist.Nun mag einer dazu sagen, das sei nicht viel, das sei kein meßbares Ergebnis. Ich meine, nur durch zähe und geduldige Bemühungen können Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß die Konfrontation in der Berlin-Frage dauerhaft entschärft und die noch offenen Berlin-Probleme lösbar gemacht werden.
Man muß sich von der Vorstellung trennen, daß die Sicherheit und die Lebenskraft Berlins durch bloß demonstrative Aktivitäten und Initiativen, die niemandem tatsächlichen Nutzen bringen, wirklich gestärkt werden könnten. Im Interesse Berlins muß sich eine verantwortungsbewußte Berlin-Politik an den vom Viermächteabkommen gegebenen Möglichkeiten und Grenzen orientieren.
Die Bundesregierung hat der sowjetischen Seite auch die Politik der Europäischen Gemeinschaft erläutert. Uns war es dabei wichtig, der Fehlbewertung entgegenzutreten, als wäre der Prozeß der europäischen Integration gegen die Entspannung in Europa gerichtet. Wir haben unterstrichen, daß ein zusammenwachsendes Europa, in dem Berlin seinen festen Platz hat, ein zuverlässiger, stabiler Partner der Sowjetunion im Rahmen der Entspannungspolitik sein wird. — Mir haben diese Gespräche den Eindruck vermittelt, daß die sowjetische Führung die Europäische Gemeinschaft als Realität ansieht und als Verhandlungspartner akzeptiert.Die Ergebnisse unserer intensiven Gespräche über Abrüstung und Rüstungsbegrenzung geben Anlaß zu der Hoffnung, daß von diesen Gesprächen nachhaltige Anstöße für die internationale Abrüstungsdiskussion ausgehen werden. Es ist zum erstenmal in einer zwischen Ost und West vereinbarten Erklärung die Feststellung getroffen worden, beide Seiten hielten es für wichtig, daß niemand militärische Überlegenheit anstrebe. Es ist zum erstenmal übereinstimmend zwischen Ost und West zum Ausdruck gebracht worden, daß annähernde Gleichheit und Parität zur Gewährleistung der Verteidigung ausreichen.
Hierin liegt die Anerkennung des Grundsatzes desGleichgewichts auch für den militärischen Sektor,eine Anerkennung, die aus unserer Sicht ein notwendiges Element für eine wirkungsvolle Politik der Friedenssicherung darstellt.
Zum erstenmal hat die Sowjetunion uns gegenüber die Bereitschaft bekundet, auch über die in den Verhandlungen zur Begrenzung des strategischen Wettrüstens, SALT genannt, und in den Verhandlungen in Wien nicht erfaßten Waffen der bisweilen so genannten grauen Zone, z. B. über Mittelstreckenraketen, zu verhandeln. Dies eröffnet die Aussicht, daß auch auf diesem für Europa so bedeutungsvollen Sektor Disparitäten, die bestehen, abgebaut werden können. Es würde damit einem Erfordernis entsprochen werden, auf das wir in den Gesprächen mit der sowjetischen Führung sehr sorgfältig hingewiesen haben.Alle diese neuen Akzente dürfen uns bedeutungsvoll erscheinen, weil ja der Westen davon ausgegangen ist oder war, daß die Sowjetunion die Abrüstungsdiskussion seinerzeit mit dem Ziel begonnen hat, ihr Übergewicht dort, wo es besteht, fortzuschreiben oder festzuschreiben.
Wir wissen — dies aus Erfahrung —, daß die Umsetzung, die Transponierung von Prinzipienerklärungen in praktische Politik weder etwas Selbstverständliches noch etwas ist, das sich rasch vollzieht. Dennoch stellen wir mit Befriedigung fest, daß diese Gespräche neue Anknüpfungspunkte für die Fortsetzung der Diskussion ergeben haben.Im Hinblick auf MBFR, d. h. die Wiener Verhandlungen, haben wir das Ziel bekräftigt, auf der Grundlage unverminderter Sicherheit der Beteiligten zu einer stabileren Lage auf niedrigerem militärischen Niveau zu gelangen. Wir und ebenso die Sowjetunion sind bereit, uns an Verringerungen unserer Streitkräfte zu beteiligen, und zwar gemäß den Modalitäten, die in Wien ausgehandelt und vereinbart werden. Dies entspricht im übrigen der letzten westlichen MBFR-Initiative, von der Sie wissen, daß die Bundesrepublik Deutschland und persönlich Herr Genscher und ich einen wichtigen Anteil daran hatten.Wir haben die Bedeutung der Weiterentwicklung von vertrauensbildenden Maßnahmen in Europa unterstrichen. Sie würde ein weiterer wichtiger Beitrag zum Abbau der militärischen Konfrontation in Europa sein.Auf wirtschaftlichem Gebiet hat der Besuch zu einem neuen und wichtigen Akzent und Aspekt geführt. Der Handel zwischen unseren beiden Ländern hat sich seit 1971 fast vervierfacht — insgesamt eine besonders gute Entwicklung im internationalen Vergleich. Das bedeutet keineswegs, daß damit schon sämtliche Möglichkeiten ausgeschöpft wären. Die Volkswirtschaften der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland können sich noch in sehr viel weitergehender Weise ergänzen. Beide stehen auf hoher Entwicklungsstufe. Die Sowjetunion besitzt aber Energie und Rohstoffe, die wir nicht haben. Wir hingegen können auf vielen Gebieten besonders aus-
Metadaten/Kopzeile:
7066 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Bundeskanzler Schmidtgereifte Technologien, Investitionsgüter, Verfahren anbieten. Daraus ergeben sich gute Aussichten der Zusammenarbeit, der Kooperation.Ich bin zuversichtlich, daß unsere Unternehmen diese Chance nutzen und mit dem notwendigen langen Atem an die Verwirklichung einzelner Projekte herangehen werden. Ich bin mir dabei durchaus dessen bewußt, daß die Entscheidung über ein langfristiges Engagement in der Sowjetunion unsere Unternehmensleitungen häufig vor große Probleme stellt. Daß die von sowjetischer Seite gewünschte Kompensation die Zusammenarbeit prinzipiell nicht erleichtert, ja, unter Umständen sogar für beide Partner von Nachteil sein kann, wissen wir. Wir haben dies auch den Sowjets deutlich gesagt.Es ist wichtig, daß dabei jede Seite ihre Interessen wahrnehmen kann. Z. B. liegt die Kompensation von Erdgas gegen Röhren durchaus im beiderseitigen Interesse. Aber dies ist nicht immer so. Wenn sich z. B. unsere sowjetischen Partner die Leistungen der deutschen Mittelstandsunternehmen zunutze machen wollen, so dürfen sie deren Möglichkeiten, fremde Produkte auf dem Markt zu verkaufen, nicht überfordern. Ich habe den Eindruck, daß unsere Gesprächspartner dies erkannt haben. Uns ist andererseits klar, daß wir den wirtschaftlichen Austausch mit einem hochentwickelten Industrieland — und dies ist ja die Sowjetunion — nicht auf den Import von Rohstoffen beschränken können und auch nicht beschränken wollen.Hier und an anderen Punkten hat sich gezeigt, daß die beiderseitigen Interessen miteinander in Einklang gebracht werden können. Das langfristige Wirtschaftsabkommen dokumentiert, daß beide Sei- ten bereit sind, sich auf die Interessenlage der anderen Seite einzustellen.Ich bin aber auch aus politischen Gründen froh, daß wir dieses Abkommen unterzeichnen konnten. Es zeigt — über die einzelnen Geschäftsabschlüsse hinaus — die langfristigen Aspekte für die wirtschaftliche Zusammenarbeit dieser beiden wichtigen Industrienationen Europas auf. Die Aspekte, die Perspektiven in diesem Abkommen reichen über das Ende dieses Jahrhunderts hinaus.Beide Regierungen haben klargemacht, daß sie gewillt sind, die Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen nicht von einzelnen Projekten — und seien sie noch so wichtig und noch so spektakulär — abhängig zu machen, sondern daß sie ihnen eine feste Basis auf Jahrzehnte hinaus geben wollen.Damit reicht das Wirtschaftsabkommen über die Fragen der Wirtschaft weit hinaus. Es wird hier eine Orientierung gegeben für die Entwicklung der politischen Beziehungen überhaupt, für eine langfristige friedliche Entwicklung zwischen unseren Ländern, eine friedliche Entwicklung, die voraussetzt, daß die Menschen in beiden Staaten ein dauerndes Interesse daran gewinnen, daß es den Menschen im jeweils anderen Lande auch wirtschaftlich gut gehe.Wegen dieser umfassenden Bedeutung wird die Bundesregierung das Abkommen dem Bundestage zur Zustimmung vorlegen.
Es gilt nun, den Rahmen, den dieses Abkommen geschaffen hat, mit lebendigem Inhalt zu erfüllen. Diese Aufgabe fällt in unserem Lande in erster Linie den Unternehmen und den Unternehmensleitungen zu. Aber die Gewerkschaften und die Verbände der Wirtschaft sind ebenso aufgerufen, sich um Fortschritte zu bemühen.Meine Damen und Herren, halten wir uns die zentralen Aussagen der Gemeinsamen Deklaration vor Augen! Wir haben den gemeinsamen Willen bekräftigt: erstens zu vertiefter und dauerhafter Entspannung, zweitens zu dynamischer Fortsetzung des KSZE-Prozesses, drittens zur annähernden Gleichheit und Parität im Bereiche der Rüstung, viertens zu guter Nachbarschaft und wachsender Zusammenarbeit auch kommender Generationen, fünftens zu langfristig ausgerichteter wirtschaftlicher Zusammenarbeit und sechstens zur Herstellung besseren gegenseitigen Verständnisses und größeren Vertrauens.Dieses alles zusammengenommen berechtigt die Bundesregierung zu der Feststellung: Diese deutschsowjetische Begegnung hat uns der Normalisierung unseres Verhältnisses zur Sowjetunion ein Stück nähergebracht.Der 1969 vom damaligen Bundeskanzler Brandt und dem damaligen Außenminister Scheel begonnene Weg wird fortgesetzt. Es ist der einzige Weg, der uns den Frieden sichert.
Unser heutiger Bundespräsident hat einmal gesagt, das Ziel des Friedens stehe über allen Weltanschauungen, allen Gesellschaftsordnungen, über allen Rassen und allen Religionen.Auf der Grundlage fortschreitender Integration im Westen suchen wir gegenüber unseren östlichen Nachbarn realistisch und ohne Illusionen das friedliche Nebeneinander. Wir wollen Vertrauen schaffen, und wir wollen zugleich unsere lebenswichtigen Interessen wahren. Wir haben weder die Präambel unseres Grundgesetzes geleugnet noch unsere Hoffnung auf Überwindung der deutschen Teilung im Zuge eines langen historischen Prozesses verschwiegen. Wir haben beides nicht getan.Aber wir haben auch gesagt: Deutsche und Russen, wir beide haben uns wechselseitig vieles zu geben. Keiner kann auf Kosten des anderen seinen Vorteil finden. Man kann sich auch nicht gegeneinander abschotten. Keiner lebt, keiner existiert für sich allein, sondern wir leben, wir existieren zusammen, und zwar, geographisch und geschichtlich gesehen, sehr nahe beieinander.Was zwischen Deutschen und Russen gewesen ist — das hat dieser Besuch gezeigt —, muß nicht unüberwindbare Hürde bleiben. Der Strom des geschichtlichen Miteinander darf nicht versiegen, und die Geschichte macht auch keine Schlußpunkte. Der Frieden gedeiht nicht bei Eifersucht und Neid, bei Vorurteilen, bei Ressentiment, bei Haß und Gewalt. Der Friede verlangt kompromißbereite Toleranz, diese im besten Sinne europäische Tugend, die in der
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7067
Bundeskanzler SchmidtGeschichte unseres Erdteils oft genug mit Füßen getreten worden ist. Der Friede verlangt nach dem Willen zum Ausgleich.
Wir haben auch diesmal, meine Damen und Herren, alles unserer Macht Mögliche getan, um einen ehrlichen Beitrag zum Frieden in Europa zu leisten. Die Bundesregierung weiß, daß die ganz große Mehrheit unseres Volkes diese Politik mitträgt und daß sie ihr innerlich zustimmt.Die meisten Bürger unseres Landes haben noch am eigenen Leib miterfahren, wie in diesem Jahrhundert das Deutsche Reich zerbrochen und unser Land geteilt worden ist. Wir wissen alle, worin die geschichtlichen Ursachen für die Katastrophe lagen. Wir können und wir wollen das alles nicht vergessen machen. Aber wir können uns, und wir wollen uns redlich darum bemühen, daß Deutsche und Russen aufeinander zugehen — bei allen großen Unterschieden der staatlichen und gesellschaftlichen Organisation und der geistig-politischen Grundlagen, Unterschieden, die wir nicht verkleinern.Die Jugend soll nicht wieder die Erfahrung machen, die Generationen vor ihr haben machen müssen. Deshalb betonen wir in der Deklaration unser beiderseitiges Bestreben, daß — ich wiederhole es —„gute Nachbarschaft und wachsende Zusammenarbeit zum gesicherten Gut auch kommender Generationen" werden sollen.Zur Erreichung dieses Zieles sind Besuch, Deklaration und Abkommen ein guter Beitrag. — Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Der Friede wird erst dann wirklich fest, wenn er zum Hauptorientierungspunkt und Kriterium der. Politik aller Staaten wird; wenn nicht die Angst vor dem Nachbarn, sondern das bewußte Bestreben, miteinander friedlich zusammenzuarbeiten und Vereinbarungen ohne Beeinträchtigung der Sicherheit von irgend jemandem zu treffen, das Herangehen der Regierungen an die entstandenen Probleme bestimmen wird.Dies ist ein Zitat aus der Tischrede des Generalsekretärs der KPdSU, Leonid Breschnew, vom Donnerstag der vergangenen Woche hier in Bonn.Wir, die CDU/CSU, nehmen diese Erklärung über den sowjetischen Friedenswillen und dieses Werben auch um unser Vertrauen ernst.
Die Bedeutung der Sowjetunion als Vertragspartner der Bundesrepublik Deutschland, als militärische Großmacht, als eine der vier Mächte, die fürDeutschland als Ganzes und Berlin Rechte und Verantwortlichkeiten innehaben, ist offenkundig.Deshalb — und hier stimme ich Ihnen zu, Herr Bundeskanzler, — ist es wichtig, daß zwischen den verantwortlichen Persönlichkeiten der beiden Staaten trotz der tiefen politischen Überzeugungs- und Interessengegensätze immer wieder Gespräche stattfinden. Auch hierzu sind wir bereit.Aber ein solcher Dialog kann nur dann wirklich konstruktiv und nützlich sein, wenn er offen und ehrlich geführt wird.Es liegt deshalb im nationalen Interesse der Deutschen — und ich hoffe, darin sind wir einer Meinung —, sich für nachbarschaftliche, für gutnachbarschaftliche Beziehungen mit der Sowjetunion einzusetzen.Wir sind bereit, die Sowjetunion als einen Partner zu betrachten, mit dem eine Zusammenarbeit in vielen Bereichen möglich und für beide Seiten von Vorteil ist. Wichtige Abschnitte in der Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen beweisen, daß dies immer wieder möglich war — zum Nutzen beider Völker.Allerdings — und das muß gerade in Betracht auf das deutsch-sowjetische Verhältnis deutlich hinzugefügt werden — darf ein deutsch-sowjetisches Zusammenwirken nicht zu Lasten der Lebensinteressen anderer Nachbarvölker gehen. Die großen Schicksalsschläge, die unermeßliches Leid über unsere Völker gebracht haben, lehren uns aber auch, daß es im Interesse der beiderseitigen Beziehungen liegt, wenn offen und aufrichtig auch über das gesprochen wird, was uns trennt.Dies auszusprechen und die sich daraus für die künftige Zusammenarbeit ergebenden Schwierigkeiten und Grenzen aufzuzeigen, bedeutet nicht, einen Interessengegensatz zwischen Deutschland und der Sowjetunion so stark zu betonen, daß jede Zusammenarbeit schlechthin ausgeschlossen ist oder unmöglich gemacht wird. Im Gegenteil: Es ist die Aufgabe beider Seiten, gemeinsame und parallele Interessen aufzuzeigen und auf dieser Grundlage zu versuchen, Beziehungen positiv zu gestalten.Wir, die CDU CSU, begrüßen es, daß es möglich war, beim Besuch des sowjetischen Staats- und Parteichefs Leonid Breschnew auch einen offenen Meinungsaustausch mit den Führern der Oppositionsparteien zu führen.Eine nüchterne Analyse der erzielten Ergebnisse, Herr Bundeskanzler — und damit darf ich auf Ihre Regierungserklärung eingehen —, darf sich jedoch nicht nur auf die Reden, Gespräche und die unterzeichneten Dokumente beziehen. Eine solche Analyse muß die sowjetischen Ziele, Absichten und Interessen, die auch zu diesem Staatsbesuch, zu diesem Termin geführt haben, mit einbeziehen. Dabei habe ich einige nüchterne Feststellungen zu machen.Es kam zu mehrmaligen Verschiebungen des Termins, und wir glauben, keineswegs nur aus Gründen der Gesundheit. Dann ist dieser Termin sehr kurzfristig anberaumt worden. Das erfolgte zu einem Zeitpunkt, Herr Bundeskanzler, der durch starke Diffe-
Metadaten/Kopzeile:
7068 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Dr. Kohlrenzen zwischen der Bundesregierung und den Vereinigten Staaten von Amerika geprägt war und ist. Die Politik der Menschenrechte — um nur einige Beispiele zu nennen — von Präsident Carter wurde von Ihnen persönlich, von vielen Mitgliedern Ihrer Regierung und vor allem von Ihrer eigenen Partei fortdauernd in Zweifel gezogen. Die Diskussion um die Neutronenwaffe, noch vor wenigen Wochen auch in diesem Haus, von der Führung der SPD in irreführender Weise öffentlich entfacht und durch die undurchsichtige Haltung der Bundesregierung mitgefördert, hat deutliche Meinungsverschiedenheiten in zentralen Fragen der Sicherheits- und Abrüstungspolitik zwischen Bonn und Washington offenbart. Auf den Streit in Sachen Wirtschaftspolitik zwischen Ihnen und der Administration des Präsidenten Carter will ich in diesem Zusammenhang gar nicht weiter eingehen.Dieser Besuch erfolgte auch so rechtzeitig, daß er noch vor den Gipfelkonferenzen der NATO und der westlichen Industrieländer Ende Mai und im Juli dieses Jahres stattfand. Das sind Gesichtspunkte, die den internationalen Zusammenhang deutlich machen und die auf keinen Fall vergessen werden dürfen. Ich hätte mir sehr gewünscht, Herr Bundeskanzler, wenn Sie diesen Zusammenhang hier nicht nur hergestellt, sondern auch aus Ihrer Sicht in Ihrer Regierungserklärung dokumentiert hätten.
Es gibt einen zweiten sehr wichtigen zentralen Gesichtspunkt: Der Verlauf des KSZE-Nachfolgetreffens in Belgrad hat offenkundig die Sowjetunion politisch und moralisch in die Defensive gedrängt. Die Entwicklung in Afrika, insbesondere am Horn von Afrika, hat weltweite Kritik an der sowjetischen Expansionspolitik ausgelöst.Wir haben in diesen Tagen den blutigen Umsturz und die kommunistische Machtübernahme in Afghanistan erlebt. Sie fielen zeitlich mit diesem Besuch zusammen. Es ist ein ziemlich trauriges Zeichen für den Zustand der öffentlichen Meinung bei uns im Westen, daß dieses Ereignis in Afghanistan nahezu ohne öffentliche Reaktion blieb.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Enttäuschung der sowjetischen Führung über die Stagnation der amerikanisch-sowjetischen Gespräche über die Begrenzung strategischer Rüstungen ist seit langem offenkundig. Auch die Wiener Verhandlungen über die Truppenreduzierung in Mitteleuropa verlaufen gegenwärtig durchaus nicht im Sinne Moskaus.In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu wissen, daß die Sowjetunion seit einiger Zeit bestrebt ist, der Bundesrepublik Deutschland, nicht nur im politischen Sinne, sondern auch in Fragen der Abrüstung und Rüstungsbegrenzung eine Schlüsselrolle im westlichen Bündnis zuzuweisen. Die sowjetische Führung geht dabei davon aus, daß zweiseitige Gespräche zwischen ihr und der Bundesregierung über Fragen der Sicherheit und Abrüstung ihren Eindruck auf unsere Bündnispartner im Westen nicht verfehlen werden.Ein zweiter Punkt gehört dazu. Die Sowjetunion konnte im jetzigen Zeitpunkt auf ein für sie günstiges innenpolitisches Klima in der Bundesrepublik Deutschland rechnen. Das will ich ganz nüchtern ansprechen und belegen. Die von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, mit pseudomoralischen Argumenten geführte Diskussion und Auseinandersetzung über die Neutronenwaffe war für die Sowjetunion eine außerordentlich willkommene Hilfe, die öffentliche Meinung in der Bundesrepublik und in Westeuropa gegen diese Waffe zu mobilisieren.
Sie hat — ob Sie das immer wollten oder nicht, aber das war im Gefolge Ihrer Politik die Konsequenz — auch dazu beigetragen, wieder ein Stück Mobilisierung gegen die Amerikaner in der Bundesrepublik zu erreichen.
— Das ist ein so ungewöhnlich törichter Zwischenruf, daß Sie ihn ruhig noch einmal wiederholen können.
Die CDU/CSU ist ganz gewiß nicht die Partei, die die Bevölkerung gegen die Amerikaner mobilisiert hat. Sie haben die Anti-Amerikakampagne in der Bundesrepublik jahrelang geschürt.
Auf den vorderen Bänken Ihrer Parteiführung sitzen nicht wenige, die damit in den letzten Jahren politische Geschäfte gemacht haben.
Wenn wir schon bei der Verteidigungsbereitschaft sind: Es war ja nicht zuletzt Ihre Politik — denken Sie an die Auswirkung der Diskussion um die Wehrpflichtnovelle, den Wechsel im Verteidigungsministerium, die wiederholten Vorstöße von führenden Leuten der SPD, die gemeinsame NATO-Linie in Fragen der Wiener Truppenabbauverhandlungen zu verlassen und eigene Initiativen zu ergreifen —, die der Sowjetunion — ob Sie das wollten oder nicht, aber sie tat es — das Vorhandensein eines Nährbodens für ihre gegen den Westen gerichtete Abrüstungspropaganda signalisierte. Das ist doch die Erfahrung in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Monaten.
Während die Sowjetunion in den Jahren nach 1970 in besonderer Weise stark aufgerüstet hat, vermittelte und vermittelt Westeuropa — und gerade auch die Bundesrepublik Deutschland — den Eindruck, als werde ein wesentlicher Teil der politischen Führung — auch unseres Landes — immer deutlicher davon gezeichnet, ein Nachlassen der Verteidigungsbereitschaft in Kauf zu nehmen. Auch das gehört zur Bestandsaufnahme der Gegenwart.Dafür tragen Sie, meine Damen und Herren von der SPD, wesentliche Verantwortung. Wir erleben doch mit Sorge, wie die Herren Brandt, Wehner, Bahr, Ehmke und andere erneut dabei sind, die
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7069
Dr. Kohlwichtige Diskussion über Abrüstung und Rüstungskontrolle mit einseitigen und selektiven moralischen Argumenten zu führen und damit einer wirklich ernsthaften Sachdiskussion zu entziehen.
Was Sie hier betreiben, ist doch nichts anderes als der Versuch, wie in den Jahren nach 1969 die Bürgerschaft unseres Landes zu spalten und zu polarisieren. Anfang der 70er Jahre waren alle jene, die für die Ostpolitik der Regierung waren, Freunde des Friedens, während alle Gegner und Kritiker dieser Politik in primitiver Weise als Feinde des Friedens abgestempelt wurden. Genau die gleiche Lesart soll doch jetzt im Vorfeld der Wahlen wieder praktiziert werden.
Ich kann Sie nur warnen, diese Demagogie fortzusetzen. Ich kann Sie nur warnen, weil Sie damit die Sicherheit unseres Landes nicht fördern und weil Sie damit eine Entwicklung einleiten, deren militärische und politische Folgen unübersehbar sind. Sie schaden damit wahrlich nicht der Opposition. Sie schaden allein den Interessen unseres Vaterlandes und damit auch dem westlichen Bündnis.
Auch das ist ja kein Zufall und muß angesprochen werden: Diese Kampagne liegt im Interesse sowjetischer Ideologen, und sie ist Wasser auf die Mühlen der kommunistischen Propagandisten genauso wie ,Ihre just zum Zeitpunkt des Breschnew-Besuchs in Gang gebrachte Kampagne gegen den Radikalenerlaß. Es ist doch kein Zufall, daß sich jetzt ausgerechnet Herr Brandt hinstellt und dieses Thema in dieser Form abhandelt, er, der immerhin dabeisaß, als die deutschen Ministerpräsidenten damals diese Vereinbarung mit dem Bundeskanzler trafen.
— Und unterschrieben hat. — Können Sie denn leugnen, daß hier der Zusammenhang mit den Berufsverbotskampagnen der Kommunisten unzweifelhaft hergestellt werden kann, hergestellt werden muß?In diesen internationalen und innenpolitischen Rahmen müssen wir auch den Besuch von Generalsekretär Breschnew einordnen, denn an diesen Realitäten und an den nationalen Interessen unseres Volkes müssen wir den Besuch als Ganzes und im einzelnen auch die Dokumente messen. Die Ziele deutscher Ostpolitik müssen bleiben:1. die Bewahrung unserer Freiheit, die Verwirklichung der Menschenrechte für alle Deutschen — denn dies ist der moralische Kern unserer bleibenden Forderung nach der Wiederherstellung der nationalen Einheit Deutschlands im Rahmen eines vereinigten, freien Europas —,
2. die Aufrechterhaltung und Entwicklung der Bindungen Berlins an die Bundesrepublik Deutschland — dies ist ein wichtiges Element des Viermächteabkommens über Berlin, das strikt eingehalten und voll angewendet werden muß —,
3. die Einbindung unserer Friedensbemühungen in die Politik der Europäischen Gemeinschaften und der Nordatlantischen Allianz.
4. Die Verträge mit dem Westen und dem Osten und die KSZE-Schlußakte müssen natürlich auch im deutschen Interesse in Übereinstimmung mit unserer Verfassung und im Sinne der völkerrechtlich verbrieften Menschenrechte genutzt werden.
5. Zu dieser Politik gehört unser Eintreten für eine ausgewogene Rüstungsbegrenzung und Abrüstung, die eine qualitative und quantitative Parität sowohl interkontinental wie europäisch-regional gewährleistet. Unser Ziel — Herr Bundeskanzler, an diesem Punkt stimmen wir Ihnen gern zu — bleibt ein dauerhafter Friede in Europa und weltweit. Das ist der Wille aller Deutschen. Wir sollten in der deutschen Innenpolitik damit aufhören, uns gegenseitig abzusprechen, daß wir mehr oder weniger für den Frieden seien. Wir haben gemeinsam die Lektion unserer Geschichte gelernt.
Herr Bundeskanzler, wenn wir diese Elemente, diese Grundvoraussetzungen als Maßstab an die Ergebnisse dieses Besuchs anlegen, dann sind diese Ergebnisse trotz allem recht mager. Es war — das braucht nichts Schlechtes oder Negatives zu sein — ein Besuch der Kontakte und nicht der Resultate. Aber diese Kontakte — das sage ich deutlich — sind von großer Bedeutung. So wichtig dieser Besuch für die Normalisierung der gegenseitigen Beziehungen war, so rechtfertigt er nicht die überschwengliche Kommentierung, die Sie und andere mit Ihnen vertreten haben und in diesen Besuchstagen dem deutschen Bürger gelegentlich zugemutet haben. Die nüchternere Sprache Ihrer Regierungserklärung heute gefällt mir sehr viel besser. Aber, Herr Bundeskanzler, Sie hätten dann schon ein Wort zu Ihrer These sagen sollen, daß dies ein „Ereignis von historischer Dimension" sei und daß Vertragsvereinbarungen zu verzeichnen seien, die „ohne Beispiel in der Welt" dastünden. Das sind sehr große Worte. Wir sind ja in dieser Erfahrung von Ihnen verwöhnt. Aber ich meine, in einer Regierungserklärung sollten Sie doch dem Lernbegierigen und Lernwilligen in Deutschland etwas Amtshilfe gewähren. So hoffnungslos sind ja selbst die Kollegen in der SPD nicht dran, daß sie nicht bereit wären, hier dazuzulernen.
Meine Damen und Herren, mit Interesse haben wir dagegen die Äußerung der FDP gelesen. Ich teile die Ansicht von Herrn Mischnick, daß erst die kommenden Monate und Jahre zeigen müssen, wieweit Übereinstimmung zwischen Bonn und Moskau in Tat und Wahrheit erreicht werden konnte und ob der sowjetische Partner mehr als bisher die
Metadaten/Kopzeile:
7070 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Dr. KohlWeisheit und den Willen aufbringt, den elementaren Überzeugungen, Rechten und Interessen des deutschen Volkes Rechnung zu tragen.Zusammenfassend kann man sagen: Die Schlußdokumente können nicht an ihren Worten, sondern müssen an ihren Wirkungen und Taten gemessen werden. Nicht schöne Worte schaffen jenes Vertrauen, von dem in diesen Tagen so oft die Rede war, sondern die konkreten Taten.Die Schlußdokumente sind — wie so viele deutschsowjetische Texte der letzten acht Jahre — der Versuch, die tiefgreifenden politischen Interessenunterschiede und Überzeugungsgegensätze zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland durch eine Ansammlung wohlklingender Formeln wie Entspannung, Abrüstung, Frieden, Vertrauen zu überdecken. Unsere Erfahrung, Herr Bundeskanzler, hat gerade in den letzten Jahren und gerade in der Berlin-Frage gezeigt, daß verbale Übereinstimmung noch keine Übereinstimmung in der Sache ist und daß eine solche Politik leicht zu Trugschlüssen und Illusionen führen kann. Wir werden deshalb auch weiterhin die sowjetische Entspannungsbereitschaft daran messen, wieweit ihr Taten folgen.
Prüfsteine für diesen guten Willen sind für uns1. die Bereitschaft zu realer und kontrollierter Abrüstung und damit größerer Sicherheit in Europa,2. Berlin, das für uns nicht irgendeine Stadt, sondern Herzstück der deutschen Geschichte und der deutschen Gegenwart ist,
3. die Entwicklung in Deutschland, vor allem auch an der innerdeutschen Grenze,4. die Verwirklichung der Menschenrechte und5. ein Voranschreiten bei der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wirtschaft, der Kultur und des Jugendaustausches.Es gibt keinen Zweifel, meine Damen und Herren, daß sich die Verbesserung der politischen Beziehungen zwischen den beiden Staaten und zwischen Ost und West generell am besten, am glaubwürdigsten in einer ausgewogenen Verminderung der militärischen Zerstörungskraft niederschlagen würde. Die Sowjetunion, Herr Bundeskanzler, muß wissen, daß ihre Erklärungen über Frieden und Entspannung so lange nicht überzeugend sind, solange sie den Ausbau ihrer militärischen Macht praktisch unbegrenzt fortsetzt.Wir alle in der CDU/CSU wären gern bereit, die Aufrichtigkeit der sowjetischen Friedensbeteuerungen und des Gewaltverzichts anzuerkennen. Die militärische Überlegenheit der Sowjetunion, wie sie sich vor allem in der gewaltigen Überlegenheit der Panzerwaffe und der Mittelstreckenraketen dokumentiert, steht unserem guten Willen dazu und dem anderer immer noch entgegen. Die sowjetische Überlegenheit gerade in Mitteleuropa übersteigt doch bei weitem die Verteidigungserfordernisse der Sowjetunion.Wenn die sowjetische Führung darauf verweist, daß es allein ihrer Souveränität unterliegt, ihr eigenes Sicherheitsbedürfnis zu definieren, so muß sie dieses subjektive Sicherheitsbedürfnis auch anderen, auch der Bundesrepublik Deutschland, auch dem Westen als Ganzem, selbstverständlich zugestehen.
Aber, meine Damen und Herren, gerade das tut die Sowjetunion nicht, wenn sie gleichzeitig alles versucht, unsere Antwort auf die sicherheitspolitische Herausforderung des Warschauer Pakts zu verhindern. Dazu gehört eben auf Grund unseres nationalen Sicherheitsbedürfnisses und desjenigen des Bündnisses die Weitergabe militärischer Kenntnisse und technischen Know-hows der Amerikaner an die europäischen Verbündeten; dazu gehört — ich sage es noch einmal — auch die Einführung der Neutronenwaffe.Die Sicherheit in Europa kann nur auf der Basis wechselseitig angewendeter Kriterien hergestellt werden. Nach wie vor, meine Damen und Herren — und wir haben keine Freude an dieser Feststellung, aber sie muß getroffen werden, weil sie realistisch ist —, läßt es aber der dialektische Sicherheitsbegriff der Sowjetunion nicht zu, eine Übereinstimmung herbeizuführen, um die verschiedenartigen Militär- und Rüstungspotentiale . in Ost und West wechselseitig vergleichbar und nachweisbar zu machen. Erst dann stünde einer Übereinkunft im Rahmen von SALT oder MBFR nichts mehr im Wege, weil erst dann jede Seite und auch wir sicher sein könnten, daß die andere Seite daraus keinen einseitigen Vorteil gewinnt. Wir werden uns auf keinen Fall einer sowjetischen Sicherheitsdoktrin beugen, die nur in der Aufrechterhaltung von militärischer Überlegenheit ausreichende Sicherheit findet. Wir warnen deshalb davor, die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auf die sowjetische Zusicherung zu gründen, daß militärische Gewalt in den wechselseitigen Beziehungen nicht angewandt, angedroht und manifestiert werden soll. Es geht hier vielmehr um ein wesentlich politisches Problem: Ein Partner oder Gegner kann nicht nur nach seinen Erklärungen beurteilt werden; ausschlaggebend bleibt, meine Damen und Herren, wozu er fähig ist.Aus der Erfahrung der Geschichte wissen wir, daß vereinbarter Gewaltverzicht diejenigen Bedrohungen für eine frei bestimmte Politik nicht ausschließt, die in der bloßen Existenz überlegener Militärmacht liegen. Wer sich, Herr Bundeskanzler — auch ohne daß er offen bedroht wird —, im Bewußtsein seiner eigenen militärischen Unterlegenheit kein eigenständiges, den Interessen des eigenen Landes entsprechendes Handeln mehr zutraut, wer in entscheidenden Fragen die Billigung des überlegenen Nachbarn einholen muß, um Konflikten vorzubeugen, ein solcher Staat,, meine Damen und Herren, ist auch in unserem internationalen System politisch erpreßbar.
Wir, die Bundesrepublik Deutschland, müssen deshalb alles tun, um die politische Solidarität innerhalb des Atlantischen Bündnisses überzeugend zu stärken. Wir müssen unseren eigenen Beitrag
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7071
Dr. Kohlzur westeuropäischen Verteidigung ohne Wenn und Aber leisten. Beides ist die Voraussetzung dafür, daß unsere Bundesrepublik Deutschland nicht in eine Lage gerät, in der sie politisch erpreßbar ist. Eine derartige sowjetische Einwirkung würde zu einer Beziehung führen, in ,der sich die Bundesrepublik Deutschland eine einseitige Pflicht zum Wohlverhalten gegenüber den außen- und innenpolitischen Forderungen der Sowjetunion auferlegen müßte.
Wir würden in eine Wohlverhaltensabhängigkeit geraten. Das kann und darf nicht sein!
Meine Damen und Herren, eine solche Entwicklung ist langfristig nur zu verhindern, wenn es wie in den vergangenen Jahren — auch künftig ein ausgewogenes politisches und militärisches Verhältnis zwischen NATO und Warschauer Pakt gibt, das die auf beiden Seiten vorhandenen Machtpotentiale für die Zwecke ,des militärischen Einsatzes und des politischen Drucks unbrauchbar macht. Vor allem in dieser Feststellung liegt nach wie vor die friedenswahrende Mission der NATO und unserer Bundeswehr.
Herr Bundeskanzler, in diesem Zusammenhang erfüllen uns die vorliegenden Texte mit einiger Sorge. Bekanntlich hat die Sowjetunion bei den Wiener Truppenabbauverhandlungen von Anfang an darauf gedrängt, schon in einem frühen Stadium über nationale Begrenzungen, also auch über eine Reduzierung der Bundeswehr, zu verhandeln. Die Bundesregierung und unsere Verbündeten haben sich diesen Forderungen immer widersetzt. Wir haben diese Haltung nachdrücklich unterstützt und tun es heute auch. Es war wiederum den Herren Brandt und Wehner vorbehalten, ihre Bereitschaft zu Abschwächungen der westlichen Bündnispolitik in Wien immer wieder zu signalisieren. Jetzt, Herr Bundeskanzler, erklärt sich die Bundesregierung ihrerseits in der „Deklaration" bereit, sich — ich zitiere — „mit ihren Streitkräften an Verringerungen der direkten Teilnehmer der Verhandlungen" zu beteiligen.Hinweis genug auf die Problematik dieses Satzes ist es, daß sich — Herr Breschnew war kaum abgereist — der 'Bundesaußenminister bemüht fühlte, diesen Satz öffentlich zu interpretieren.Ich will für die CDU/CSU feststellen, daß wir eine Vorreiterrolle in Abrüstungsfragen im Sinne der sowjetischen Vorstellungen strikt und entschieden ablehnen.
Dann verwundert uns eine andere. Formulierung, Herr Bundeskanzler. Sie haben sie heute sehr defensiv in Ihrer Regierungserklärung verteidigt. Wir lesen mit Erstaunen die Formulierung, „daß niemand militärische Überlegenheit anstrebt". Meine Damen und Herren, die Sowjetunion strebt nicht danach,sie hat sie bereits. Das ist ein ganz wesentlicher und entscheidender Punkt.
Herr Bundeskanzler, was soll eigentlich dieser Satz? Ich könnte Ihnen jetzt eine ganze Stunde lang Ihre eigenen Zitate zu diesem Punkt vorlesen: den Bundesverteidigungsminister Helmut Schmidt, den Bundesfinanzminister Helmut Schmidt und den Bundeskanzler Helmut Schmidt. Sie haben doch selbst immer wieder bis in die letzten Tage hinein von der bereits bestehenden militärischen Überlegenheit der Sowjetunion in Europa gesprochen. Bereits diese Überlegenheit muß uns doch gemeinsam zuviel sein, muß abgebaut werden oder von der NATO ausgeglichen werden. Die Bundesrepublik Deutschland selbst kann und will keine militärische Übermacht besitzen.Die Friedenspolitik Konrad Adenauers hat sich von Anfang an in völkerrechtlich verbindlicher Form zum Prinzip des Gewaltverzichts bekannt. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich ebenfalls unter Adenauer freiwillig Rüstungsbeschränkungen und Rüstungskontrollen unterworfen, insbesondere dem Verbot der Herstellung von Atomwaffen sowie biologischer und chemischer Waffen.Nachdem das Prinzip des Verzichts auf die Androhung oder Anwendung von Gewalt zur Lösung strittiger Fragen in der Schlußakte von Helsinki erneut feierlich bekräftigt worden ist, müssen doch nun endlich praktische Schritte getan werden, um den Frieden durch eine allgemeine und vollständige Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle unangreifbarer zu machen. Die Bundesrepublik Deutschland muß von der Sowjetunion die Bereitschaft erwarten, ihrem Gewaltverzicht endlich, jetzt und heute, konkrete und ausgewogene Abrüstungsmaßnahmen folgen zu lassen.Ein wesentlicher Prüfstein, meine Damen und Herren, für die Entspannungsbereitschaft der Sowjetunion bleibt für uns die sowjetische Politik und die der DDR gegenüber Berlin. Wir stellen auch nach diesem Besuch, Herr Bundeskanzler, keine positive Bewegung im Blick auf die Berlin-Frage fest. Das gemeinsame Schlußkommuniqué klammert im Gegensatz zur gemeinsamen Deklaration die Berlin-Frage völlig aus. Dies ist bei anderen Themen nicht der Fall.Im Abkommen über die langfristige wirtschaftliche Zusammenarbeit hat sich Moskau bereit gefunden, West-Berlin in den Text aufzunehmen. Allerdings, meine Damen und Herren, wird sich auch hier erst bei der Ausfüllung dieses Rahmenabkommens zeigen, wie konkret die Sowjetunion die Einbeziehung Berlins meint.Herr Bundeskanzler, seit drei Jahren liegen drei zweiseitige Abkommen auf dem Tisch, die auch diesmal nicht unterzeichnet werden konnten, weil sich die Sowjetunion nach wie vor strikt weigert, West-Berlin konkret einzubeziehen. Es wäre doch Ihre Aufgabe gewesen, Ihren hohen Gast darauf hinzuweisen, daß wir ein solches selektives politisches
Metadaten/Kopzeile:
7072 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Dr. KohlVerhalten auf die Dauer nicht hinnehmen und akzeptieren können.
Immer dann, meine Damen und Herren, wenn es vorrangig um sowjetische Interessen geht, ist die Sowjetunion bereit, unseren Interessen ein Stück entgegenzukommen, im anderen Falle nicht.Die sowjetische Führung muß doch wissen, daß es gerade im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit durchaus große Möglichkeiten gibt, wenn sie dort, wo es um unsere Interessen geht, größeres Entgegenkommen und größere Leistungsfähigkeit nachweisen würde.Sie, Herr Bundeskanzler, und vor allem auch Ihre politischen Freunde in der SPD sprechen dennoch von einer positiven Perspektive in der Berlin-Frage. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie uns dies heute erläutert hätten. Wir sind gerne bereit, dazuzulernen, aber Sie müssen schon deutlich machen, wo sich diese positive Entwicklung zeigt.Schon einmal sind Sie von Gesprächen aus Moskau zurückgekehrt — es war vor drei Jahren, ich erinnere mich noch gut an dieses Bild auf dem Bildschirm unmittelbar nach Ihrer Ankunft — und haben erklärt, daß jetzt alles vorangehe. Es war ein strahlender Optimismus. Es waren auch gute Wahltermine, die damals anstanden. Noch auf dem Flugplatz haben Sie davon gesprochen, es gehe jetzt nicht mehr darum — ich zitiere wörtlich — „ob Berlin in die drei Abkommen konkret einbezogen werden kann, sondern nur noch um das Wie". Nichts hat sich bis heute bewegt, Herr Bundeskanzler. Wann gab es denn einen besseren Termin, wenn nicht jetzt beim Besuch von Herrn Breschnew, um darüber zu einem Ergebnis zu kommen.
Aber das ist nur ein Teil der Realität der Bundesrepublik Deutschland und Berlins. Unmittelbar nach der Abreise von Herrn Breschnew müssen wir bereits befürchten, daß die Aktionen begonnen haben, die Position in Berlin noch weiter zu schmälern.
Wie anders sind diese unglaublichen Äußerungen und Unterstellungen von Herrn Brandt und Herrn Wehner zu verstehen, Berlin nicht zum Testfall zu machen? Für die routinemäßige Wahl des Regierenden Bürgermeisters von Berlin zum Bundesratspräsidenten kündigt Herr Wehner aus eigenen Stücken, ohne von irgend jemandem dazu aufgefordert zu sein, bereits jetzt den Protest der Sowjetunion und der DDR an,
obwohl seinerzeit die Regierenden Bürgermeister Suhr, Brandt und Schütz in genau dasselbe Amt gewählt worden waren, entsprechend den gewachsenen Bindungen zwischen Berlin und der Bundesrepublik Deutschland, wie sie auch im Viermächteabkommen akzeptiert worden sind.
Was Sie tun, Herr Wehner, ist nichts anderes als eine franko abgeschickte Einladung an Moskau und Ost-Berlin, erneut Schikanen in und um Berlin einzuleiten.
Sie provozieren und mitverantworten damit bewußt eine Verschlechterung unserer Position in Berlin. Die Warnung, Bundesbehörden nicht zum Testfall für Berlin zu machen, sind nicht nur gänzlich überflüssig, sie sind dem deutschen und dem Berliner Interesse in höchstem Maße abträglich.
Ich hätte gern von Ihnen eine Antwort gehört, Herr Bundeskanzler, wie Sie und der Herr Vizekanzler und Bundesaußenminister künftig in Gesprächen mit sowjetischen Führern oder in Gesprächen mit den drei Westalliierten mit dem Vorwurf des Herrn Wehner zurecht kommen wollen, daß Sie — ich zitiere wörtlich —, „sei es versehentlich"
— das sind die mildernden Umstände für Herrn Schmidt —, „sei es, weil man's probieren wollte" —, Sie müssen überlegen, wer das dann war — „sei es auch bewußt fehlerhaft Entscheidungen für Berlin getroffen haben",
zu denen Herr Wehner wörtlich feststellt: „Das wird allmählich abgebaut werden können." Herr Wehner, wer hat Sie eigentlich legitimiert, in dieser Weise über ein nationales Interesse der Deutschen zu reden?
Herr Bundeskanzler, zu all dem schweigen Sie
seit Tagen. Sie haben viele Tage und Stunden Gelegenheit gehabt. Ich habe gehofft, daß Sie wenigstens heute den Mut aufbringen, hier vor dem Forum des Bundestages das zu sagen, was Ihre Pflicht ist.
Aber es ist erneut das alte Lied: Aus Angst vor Ihrer eigenen Fraktion sagen Sie und tun Sie nicht das, was für unseren Staat richtig ist.
Aber ich gebe diese Frage auch gleich an den Herrn Bundesaußenminister weiter. Auch von ihm habe ich dazu bis jetzt nichts gehört. Er hat heute noch nicht gesprochen, und wir tragen natürlich in unserem Herzen die Hoffnung, daß er sprechen möge, und zwar nicht in einer indirekten Form, daß man vermuten könnte, Herr Wehner sei damit gemeint, sondern meine Hoffnung ist, Herr Kollege Genscher, daß Sie Roß und Reiter nennen; denn Sie sind persönlich angegriffen, wenn ich an jene Einrichtung eines Bundesamtes denke — ich kann das Wortgetüm nicht nachsprechen, deswegen will ich mich darauf beschränken, es nur anzudeuten —, das Sie
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7073
Dr. Kohldamals auch mit unserer Unterstützung nach Berlin gebracht haben. Herr Wehner muß doch Sie gemeint haben, wenn er davon geredet hat, daß man da etwas bewußt fehlerhaft veranstaltet hat. Oder es ist nicht so; dann soll Herr Wehner sagen, wen er meint. Aber eines, meine Damen und Herren von der SPD, geht nicht: daß Sie jetzt in Berlin bei jeder nur denkbaren Gelegenheit vor der Wahl dort vor den Bürgern die große Schau abziehen,
aber dort, wo es um die Grundbestandteile der Berlin-Politik geht,
das genaue Gegenteil unter Beweis stellen.
Herr Bundeskanzler, wir begrüßen es nachdrücklich, wenn Sie sich voll und ganz dafür einsetzen, daß möglichst viele hohe Staatsgäste nach Berlin gehen. Wir begrüßen es natürlich um so mehr, wenn das auch nach den Wahlen regelmäßig stattfindet, so daß ein kontinuierlicher Zusammenhang dieser Besuche hergestellt wird. Aber wir würden es sehr begrüßen, wenn Sie auch bei solchen Gelegenheiten, bei Besuchen hoher Staatsgäste in Berlin, deutlich das aussprächen, was auszusprechen Ihres Amtes ist und was Sie heute nicht ausgesprochen haben.Wir werden uns auch in Zukunft entschieden dagegen wehren, daß die Sowjetunion und die DDR ständig versuchen, politische Positionen, die Moskau im Viermächteabkommen nicht durchsetzen konnte, durch restriktive Auslegung, durch unvollständiges und damit falsches Zitieren des Abkommens zu erreichen.
Auch hier, Herr Wehner, sind Sie dabei, Schützenhilfe zu leisten, wenn Sie lapidar feststellen, daß Berlin — ich zitiere — „kein konstitutiver Teil" der Bundesrepublik Deutschland sei. Und genau dieses in seiner Verkürzung gefährliche Zitat haben Sie, Herr Bundeskanzler, hier heute ebenfalls verwendet, und das ist ein schlimmer Zustand!
Das Viermächteabkommen über Berlin stellt fest, Herr Bundeskanzler, daß die Westsektoren Berlins „wie bisher" kein Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland sind. Es stellt aber ebenfalls — und zwar im gleichen Satz — fest — und das ist doch ganz entscheidend —, „daß die Bindungen zwischen den Westsektoren Berlins und der Bundesrepublik Deutschland aufrechterhalten und entwickelt werden". Dieser Zusammenhang, Herr Wehner, darf doch nicht auseinandergerissen werden, wenn wir unsere Position nicht dauerhaft schwächen wollen.Wir wehren uns entschieden dagegen, daß die Sowjetunion und in ihrem Gefolge die DDR das Viermächteabkommen über Berlin als Instrument benutzen, mit dessen Hilfe sie ein Mitspracherecht in allen den Westteil von Berlin betreffenden Angelegenheiten und die Kontrolle über das Verhaltender Bundesrepublik Deutschland in Berlin zu erlangen versuchen. Wenn die Sowjetunion — dies ist einer der Prüfsteine — eine dauerhafte und ersprießliche Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern will, wird sie diese Politik aufgeben müssen. Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland, Aufgabe jeder Bundesregierung muß es sein, dafür zu sorgen, daß Freiheit, Sicherheit und Lebensfähigkeit West-Berlins nicht angetastet werden.Meine Damen und Herren, auch nach dem Berlin-Abkommen bleiben die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte in bezug auf Deutschland als Ganzes und auf ganz Berlin unverändert die Grundlage der westlichen Rechte in Berlin. Sie stehen dem deutschen Verfassungsrecht nicht entgegen, sondern schützen es. Wir werden die sowjetische Politik insbesondere auch danach beurteilen, in welchem Maße sie den erklärten Willen der Menschen in West-Berlin selbst berücksichtigt.Meine Damen und Herren, ein weiteres zentrales Thema bleibt für uns das Thema der Menschenrechte. Die Sowjetunion ist Vertragspartner der internationalen Menschenrechtspakte und Mitunterzeichnerin der KSZE-Schlußakte. Wir werden auch zukünftig die Aufrichtigkeit der sowjetischen Bereitschaft zur Zusammenarbeit daran messen, wieweit diese international verbrieften Ansprüche der einzelnen Menschen und der Völker in Deutschland und weltweit verwirklicht werden.In seiner zweiten Tischrede hat Leonid Breschnew erklärt:Freilich werden ideologische Auseinandersetzungen sowie der Kampf der Weltanschauungen fortdauern.Ich halte es für redlich, auch das hinzuzufügen: Wir werden uns in aller Offenheit und Freiheit dieser Auseinandersetzung stellen, ihr nicht ausweichen und sie auch sicherlich bestehen.Aber in dieser Rede fährt Breschnew fort, und wir werden ihm beim Wort nehmen:Aber wir sind gegen die Ausartung der Ideologie in die Macht der militärischen Stäbe und des Kampfes der Ideologien in den psychologischen Krieg. Der friedliche, ehrliche Wettbewerb der Ideen und der gesellschaftlichen Praxis — das ist unser Prinzip.Wir sind bereit, meine Damen und Herren, auf der Grundlage der Prinzipien von Helsinki auch zweiseitige Abkommen zu unterstützen, die die Freizügigkeit von Menschen, Ideen, Informationen und Meinungen in Europa fördern. In Betracht kommen für uns Abmachungen über die Verbesserung der Reisemöglichkeiten aus persönlichen, familiären und beruflichen Gründen, über die Zusammenführung getrennter Familien und die Beseitigung noch bestehender Ehehindernisse, über die Förderung des Jugendaustauschs und der sportlichen Beziehungen, über verbesserte Arbeitsmöglichkeiten für Journalisten und die internationale Verbreitung von Informationen. Wir sind bereit, die Verbesserung der kulturellen Beziehungen jederzeit zu unterstützen, weil wir eine große gemeinsame Kultur auch mit
Metadaten/Kopzeile:
7074 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Dr. Kohlden Völkern der Sowjetunion haben und weil es für uns wichtig ist, daß zu dieser Kultur Europas auch immer der Beitrag aus dem Bereich der Völker der Sowjetunion gehört.Herr Bundeskanzler, wir bejahen den Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen. Gemeinsam mit der deutschen Wirtschaft stehen wir auf einem prinzipiell positiven und realistischen Standpunkt. Wir werden unsere Aufmerksamkeit aber voll auf die Einzelheiten richten, wenn es darum geht, das Abkommen verbindlich zu konkretisieren. Bei der Durchführung des Abkommens wird es darauf ankommen, daß die Grundsätze der wirtschaftlichen und politischen Ausgewogenheit und des gegenseitigen Nutzens gewahrt werden und daß insbesondere West-Berlin konkret einbezogen wird. Ebenso darf — das ist sehr wichtig; ich hätte mir eigentlich gewünscht, Herr Bundeskanzler, daß Sie auf diese Frage heute schon eine Antwort geben — unsere enge Einbindung in die Europäische Gemeinschaft durch dieses Abkommen keinen Schaden erleiden.
Meine Damen und Herren, nach wie vor bleiben die Probleme der östlichen Devisenknappheit, der Verschuldung und der sogenannten Kompensationsgeschäfte. Die Sowjetunion ist bereits gezwungen, ihre Einfuhr zu drosseln und dringend erwünschte Projekte zurückzustellen. Im übrigen wissen gerade die Unternehmer trotz der ausgehandelten Perspektive wirtschaftlicher und technischer Zusammenarbeit in den allermeisten Fällen nicht einmal, wie sich der Handel mit der Sowjetunion in den allernächsten Jahren entwickeln wird.Deshalb warne ich vor einer Langzeitperspektive, die in Euphorie umschlägt und die dieses Abkommen nicht in der harten Alltagspraxis deutschsowjetischer Wirtschaftsbeziehungen sieht. Wir kennen alle das große wirtschaftliche Interesse der Sowjetunion an einer intensiveren Ausfüllung dieses Abkommens genauso wie an dem hochwillkommenen Technologieimport und den hochgeschätzten Möglichkeiten, ökonomische Reserven für andere Prioritäten und Ziele freizusetzen.Meine Damen und Herren, wir wissen aber .auch um das Risiko einer wachsenden Abhängigkeit, in die die deutsche Volkswirtschaft durch zu weit getriebene Kooperation auf Kompensationsbasis geraten kann. Tauschhandel und Kompensation stärken weder die Meistbegünstigung noch die Arbeitsteilung, die ja bekanntlich Eckpfeiler der freien Weltwirtschaft sind. Sie können den fairen Wettbewerb und damit auch Arbeitsplätze gefährden. Wir haben bereits einige Hinweise aus wichtigen Bereichen unserer Wirtschaft in dieser Richtung.Die Bundesregierung ist mit ihrer Unterschrift unter das langfristige Abkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit Verpflichtungen eingegangen, auf die die Sowjetunion jederzeit zurückgreifen kann, wenn ihr dies nützlich und angebracht erscheint. Deshalb und auch wegen der Bilanz, die in Zukunft aus dem Abkommen auch von Moskau gezogen werden wird, warne ich dringend vor Euphorie und empfehle sehr viel mehr Realismus in der deutschsowjetischen Zusammenarbeit im Bereich der Ökonomie. Unser Urteil entspricht mancherlei Erfahrung, und es beschränkt sich auf den wirtschaftspolitischen Aspekt.Herr Bundeskanzler, aus Gründen, die ich nicht kenne, ja, die ich nicht einmal verstehen kann, haben Sie in Ihren jüngsten Äußerungen zu den wirtschaftlichen Perspektiven — —
— Sie können natürlich alles verstehen, Herr Kollege. Das ist mir völlig klar. Sie gehören zu jenen begnadeten Gestalten in diesem Haus, die zu jedem Punkt Zwischenrufe machen — es sind nur immer die gleichen.
Herr Bundeskanzler, was war eigentlich der Grund— das war eine so bemerkenswerte Äußerung, daß sie hier diskutiert werden muß —, daß Sie den Äußerungen über die wirtschaftlichen Perspektiven in diesem Abkommen in den letzten Tagen eine Betrachtung hinzugefügt haben, die in die Geschichte und in die Politik führt? Sie haben in einer Sendung des Deutschen Fernsehens — der Text liegt mir hier vor — zwar mit Wenn und Aber und mit Ach und Krach, wie ich Ihnen gern einräume, aber in der Substanz dennoch — vor allem für die der deutschen Sprache nicht Mächtigen — eklatant deutlich gemacht, daß Sie dieses langfristige Wirtschaftsabkommen in der historischen Perspektive in der Nähe des Rückversicherungsvertrages von Otto von Bismarck sehen. Herr Bundeskanzler, angesichts der gespannten Beziehungen, die nicht zuletzt durch Ihr persönliches Wirken mit nicht wenigen in Europa entstanden sind, ist es doch Gift für unsere Beziehungen zu unseren Nachbarn, wenn auf diesen Teil der jüngsten deutschen Geschichte so ohne alles Erläuternde zurückgegriffen wird. In jeder Hauptstadt des Westens wird doch gerade in diesen Monaten immer wieder die Frage gestellt: Sind die Deutschen wirklich zuverlässige Partner? Sie können doch nicht erwarten, daß diejenigen, die eine Antwort auf diese Frage erwarten, das ganze Kompendium der deutschen Geschichte nach 1870 gegenwärtig haben. Unter dem Begriff des Rückversicherungsvertrages Otto von Bismarcks ist, wie ich wohl weiß, in der Darstellung zum Teil sehr verkürzt ein Zusammenhang sehr eigener Art entstanden. Ich kann nur sagen: Für die deutschen Interessen wäre es tödlich, wenn bei unseren westlichen Partnern, bei unseren Freunden im Bündnis der Eindruck entstünde, daß wir beginnen, eine Schaukelpolitik zwischen Ost und West zu eröffnen.
Das, was Sie noch verklausuliert haben, hat Ihr — —
— Nun, Herr Bundeskanzler, das ist nicht unerhört, sondern Sie müssen dazu Rede und Antwort stehen; denn Sie haben es doch gesagt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7075
Dr. KohlWarum rufen Sie „unerhört", wenn ich Ihnen das Zitat des Herrn Staatssekretärs Bölling vorlesen will? Das ist doch immerhin Ihr Sprachrohr — so wird jedenfalls gesagt. Das lesen doch auch andere. Sie können einem ausländischen Gast doch nicht übel nachreden, daß er einen Staatssekretär der Bundesregierung ernst nimmt. Dieser hat im „Hessischen Rundfunk" gesagt — wörtliches Zitat —:Deutsche und Russen sind aufeinander angewiesen. Das ist eine Erkenntnis, die schon der große Bismarck beherzigt hat, als er den berühmten Rückversicherungsvertrag unterschrieben hat mit der zaristischen Regierung.Meine Damen und Herren, hier geht es nicht um einen Streit um Worte. Das können Sie alles interpretieren. Was aber hier in der Tendenz angedeutet wird, ist gefährlich.Herr Bundeskanzler, ich spreche das hier nicht an, damit Sie womöglich jetzt wieder das Gefühl empfinden, Sie würden bewußt falsch interpretiert. Warum haben Sie überhaupt bei diesem Abkommen den Zusammenhang mit dem Bismarckschen Vertrag hergestellt?
Herr Bundeskanzler, das müssen wir austragen; denn es gibt nur zwei Überlegungen als Motiv für Ihr Vorgehen: Entweder — das wäre schlimm, aber immerhin entschuldbar — haben Sie die Tragweite dieses Vergleiches nicht übersehen,
oder aber, Herr Kollege Ehmke, das, was sich — im Blick auf die vorderen Bänke Ihrer Fraktion — hier bietet — ich habe das in einer Reihe von Beispielen heute angesprochen —, was Herr Wehner zu Berlin sagt, was Herr Bahr überhaupt zur Ostpolitik sagt, ist inzwischen in der SPD so weit vorgedrungen, daß es auch Teil der amtlichen Politik der Bundesregierung geworden ist.Dann, meine Damen und Herren, muß ich auch wieder die Frage an den Herrn Kollegen Genscher richten: Ist das eine Politik, die noch mit der Politik der Freien Demokratischen Partei in Übereinstimmung zu bringen ist?
Herr Bundeskanzler, Sie haben in vielen Dokumenten unzweideutig — das will ich ausgesprochen anerkennend positiv hervorheben — immer wieder erklärt — wie ich es jetzt auch tue —, daß die Grundentscheidung für die Bundesrepublik Deutschland, in die Europäische Gemeinschaft und in das westliche Bündnissystem einzutreten, irreversibel ist. Aber wenn das so ist: Warum bringen Sie dann solche Vergleiche, die das Mißtrauen förmlich herausfordern?Ich habe selbst im Gespräch mit dem Generalsekretär empfunden, wie in diesen Tagen einmal mehr unsere sowjetischen Gesprächspartner besonders empfindlich reagieren — aus verständlichen Gründen —, wenn wichtige Abschnitte und Kapitel der jüngsten europäischen und der deutsch-sowjetischen Geschichte angesprochen werden. Wir kommen da-bei nicht darum herum, uns dieser Last der Geschichte zu stellen. Wir kommen nicht darum herum, zu sehen, daß vieles von dem, was jetzt in der Sowjetunion in bezug auf Deutschland gedacht wird, seinen Grund in jenen Taten und in jenen Erfahrungen hat.Wir wollen doch aus der Geschichte lernen. Wir haben viel von der jungen Generation gesprochen. Wir wollen doch nach rückwärts blicken, um Konsequenzen zu ziehen, aber nach vorne handeln, damit kommenden Generationen dieses schlimme Schicksal vieler Russen und Deutscher in der Mitte dieses Jahrhunderts erspart bleibt. Deswegen — nicht, weil wir Streit wollen, Kalten Krieg wollen oder die Realität nicht sehen — müssen wir allesamt in diesen Gesprächen mit der Sowjetunion auch die geschichtliche Perspektive der Einheit der deutschen Nation ansprechen.
Ich darf ausdrücklich erklären, daß wir es begrüßen, daß der Herr Bundespräsident in seiner Rede gegenüber Herrn Breschnew noch einmal ausdrücklich bekundet hat, was für uns Deutsche die Entspannung bedeutet: die Schaffung eines Zustands in Europa, „in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt" — gemäß dem Brief zur deutschen Einheit.Ich will jetzt nicht auf jene kleinliche Reaktion in der Moskauer „Prawda" eingehen, weil das nicht dem Stil unserer Debatte hier entspricht. Es ist aber nicht ohne Interesse, daß so etwas gegenüber dem Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland möglich war.Niemand braucht zu befürchten, daß die Vertretung unseres Selbstbestimmungsrechts zu einer Bedrohung des Friedens werden könnte. Nur: Friede ist undenkbar ohne Gerechtigkeit. Wir als deutsche Patrioten wollen die Spaltung Europas und mit ihr die Spaltung und Teilung unseres Vaterlandes in Frieden überwinden, auch, wenn das lange Zeit, vielleicht sogar Generationen dauern sollte. An Drohungen und Gewalt denkt niemand.Wir verkennen nicht die realen Machtverhältnisse. Aber zur Macht der Geschichte gehört die Macht der Tatsachen und zählen nicht nur die Politik der Regierungen und die Stärke der Waffen, sondern immer auch der Wille der Völker, auch der Wille der deutschen Nation zur Einheit, der seine geschichtliche Kraft behalten wird; dessen sind wir sicher.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundestagsfraktion der SPD dankt dem Herrn Bundeskanzler für die Regierungserklärung,
in der dar- und klargelegt worden ist, was inhaltlichzu den Gesprächen, die in den ersten Tagen des Mai
Metadaten/Kopzeile:
7076 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Dr. Kohlstattgefunden haben, zu sagen ist und was auch nicht durch kleinliches Daranherumzupfen geändert oder gemindert werden kann.
In dieser Regierungserklärung sind so wesentliche Interpretationen dessen, was in der gemeinsamen Deklaration als auch in dem Abkommen über die Entwicklung und Vertiefung der langfristigen Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken auf dem Gebiet der Wirtschaft und der Industrie niedergelegt ist, enthalten, daß ein nachträgliches Daran-herumpicken, wie ich es — ich bitte um Entschuldigung — nach einem offensichtlich wohlgemeinten Ansatz leider bei meinem verehrten Herrn Vorredner habe miterleben dürfen, an der Qualität dessen, worüber hier gesprochen wurde und was auch in den Absichtserklärungen steht, nichts im Sinn der Minimierung dieser Bedeutung und der Absichtserklärungen ändert.Der Oppositionsführer hat seine Ausführungen mit einem Zitat aus einer Tischrede des Gastes aus Moskau begonnen und beteuert, er und die, für die er hier spreche, nähmen dieses ernst. Aber Dialog könne nur nützlich sein, wenn er offen und ehrlich geführt werde. Ja; einverstanden; da sind wir wieder einer Meinung, Herr Oppositionsführer. Sie haben dann betont, offen und aufrichtig müsse aber auch über das gesprochen werden, was uns trenne. Ja! Ich nehme an, Sie. haben das auch bei den Gesprächen zum Ausdruck gebracht, zu denen Sie Gelegenheit bekommen und genommen haben. Sie können jedenfalls anderen nicht Vorwürfe machen, falls Sie es nicht zum Ausdruck gebracht haben.Sie sagen, die Analyse dessen, was der Besuch bedeute und was inhaltlich herauskommen werde, dürfe sich nicht nur auf die Reden beziehen. Hier ging es dann bei Ihnen um die Deutung der mehrmaligen Verschiebung des Termins des Besuchs und um die Frage, warum er dann kurzfristig festgesetzt worden ist. Sie wollten das spannend machen, Herr Dr. Kohl. Aber das ist nun fehlgeschlagen.Wissen Sie: Hier in Bonn — und das halte ich für eine wesentliche Sache — ist nicht .die Bundesrepublik Deutschland gegen die Partner im Atlantischen Bündnis ausgespielt worden. Sondern hier haben zwei in der Regierungsverantwortung stehende Repräsentanten von Vertragspartnern, die unterschiedlichen und gegensätzlichen Verteidigungs- und militärischen Bündnissen angehören, über das gesprochen, worüber sie bilateral sprechen können. Aber schon das ist aus Ihren Reihen als etwas bezeichnet worden, was eigentlich mißbilligt werden müßte.Ich bin froh, daß Sie Wert darauf gelegt haben, während des Besuchs selber auch an Gesprächen oder ähnlichem beteiligt zu sein. Jedenfalls betone ich, daß — das ergibt sich auch aus der Regierungserklärung des Bundeskanzlers — beide Gesprächspartner die Partnerschaft des jeweils anderen in einem anderen militärischen Bündnis respektiert haben.Nun haben Sie den Versuch gemacht, das, was schließlich zur Terminfestsetzung zu sagen wäre, aufdas Verhältnis zu den Vereinigten Staaten zu übertragen und damit uns gewissermaßen nutzbar zu machen. Wir als die Koalitionsfraktionen im Bundestag, die die Regierung bei diesen Bemühungen um Entspannung stützen, und zwar vorbehaltlos stützen und nicht nur so tun, wie es gelegentlich von anderen getan wird, sollten nun plötzlich von Ihnen als Stoßkeil oder etwas Ähnliches gegen den amerikanischen Präsidenten und den amerikanischen Verbündeten in der Nordatlantischen Verteidigungsorganisation nutzbar gemacht werden. Sehr verehrter Herr Kohl, wenn Sie mit Herrn Strauß polemisieren wollen, müssen Sie es nicht auf dem Umweg über uns tun.
Das können Sie ja und werden Sie ja auch miteinander auf eine einfachere Art und Weise austragen können.Eines sage ich Ihnen hinzu, ohne jetzt wieder auf das zurückzukommen, was Sie sich dann im einzelnen der SPD anzuhängen bemüht haben: Mit Unterstellungen gegen die Sozialdemokratische Partei ist der Beitrag dieser Sozialdemokraten für die Bundesrepublik Deutschland, an der Sicherung des Friedens nach ihren Kräften teilzunehmen, nicht ungeschehen zu machen, sehr verehrter Herr Kollege Kohl.
Sie haben uns hier ein böses Wort zugeschoben, das bei Ihnen Heimstätte hat. Welche Parteiengruppierung, wenn nicht .die CDU/CSU, verwendet denn den Begriff „Feind" so sehr wie eben die hier genannte?
— Ja, sicher! Welche Parteiengruppierung sagt denn: „Freiheit oder . . .", „Freiheit statt . . ." ? Nein, Sie wollen jetzt den Spieß umkehren. Ich sage Ihnen, das ist ein Begriff aus Ihrem Arsenal und nicht aus unserem Arsenal.
Sie haben dann in Ihre Deutungen einbezogen, warum das jetzt ist und warum Herr Brandt dies und jenes tut. Wissen Sie, Wahrsagerinnen gibt es genug.
— Sie müssen sich ja auch dazwischen melden, sehrverehrter Herr. Wozu wären Sie denn sonst hier?
Interessant gar nicht, aber aufschlußreich für Ihre Art, an einem Ereignis, wie es dieses Ereignis nicht nur dem Datum nach war, sondern auch in der Bedeutung weiterwirkend bleiben wird, so herumzukratzen. Dafür ist das Ereignis zu wichtig.
Was Sie nun hier erfinden, finden und aufpicken z. B. in der Frage dessen, was an anderen Stellen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7077
Wehner„Berufsverbot" genannt wird, darüber wird ja noch zu reden sein, nur nicht, sehr verehrter Herr Kohl, im Zusammenhang mit diesem Besuch. Auch hier machen Sie eine üble Unterstellung, die eigentlich einem Mann Ihrer Bedeutung — ich meine jetzt: als Oppositionsführer —
nicht zukommt.
Sie haben gesagt, daß die Ergebnisse recht mager seien, daß der Besuch ein Ereignis der Kontakte und nicht der Resultate sei, und Sie meinten, das rechtfertige nicht die übertriebene Bewertung. Bitte, identifizieren Sie sich mit dem, was Sie hinterher gesagt haben, nämlich mit Ihrer Äußerung zu der Regierungserklärung des Bundeskanzlers, denn Sie haben gesagt, die sei viel nüchterner gewesen. Ich finde, die Regierungserklärung ist erläuternd für die politische inhaltliche Bedeutung des Ereignisses, das Anlaß dieser unserer heutigen Debatte zur Regierungserklärung ist. Die Regierungserklärung hat Satz für Satz dem entsprochen, was in der gemeinsamen Deklaration und dem Abkommen niedergelegt ist. Um so besser, wenn Sie der Meinung sind, das müsse man nicht besonders tadeln. Was Sie tadeln, sind vielleicht viele voreilige, vorschnelle und auch taktlose Äußerungen und Veröffentlichungen, die während des Besuches und nach dem Besuch von manchen Leuten immer noch für richtig gehalten worden sind.
Was soll denn das Herauspicken von Worten oder von Sätzen der einen oder der anderen?Sie haben eine Art kleinen Katalog dessen dargeboten, worauf es Ihnen ankommt, und haben damit begonnen, daß Entspannungsbereitschaft daran gemessen würde, ob den Erklärungen Taten folgten. Nun, sehr verehrter Herr Kollege, Sie werden doch hoffentlich nicht bestreiten wollen — wenn Sie es öffentlich bestreiten, so werden Sie es jedenfalls ein wenig anders, modifiziert denken —, daß Entspannungsbereitschaft und Sicherung des Friedens auch und vor allem auf Gegenseitigkeit beruhen. Da kann sich doch nicht die eine Seite auf den Standpunkt stellen, wie Sie es offenbar empfehlen: Wir wollen erst einmal abwarten, ob die andere Seite Ernst macht. Partnerschaft — in diesem Fall auch unter denen, die in einem unterschiedlichen Lager stehen und das auch gar nicht verhehlen — läßt sich nicht auf der Grundlage entwickeln: die einen warten, ob die anderen etwas tun und was sie tun, und dann melden sie sich. Sie wissen ganz genau, daß das nicht zueinander passen würde.Dann haben Sie einige schlimme Begriffe — na, mindestens dumme Begriffe — hier einzuführen versucht. Von einer „sowjetischen Sicherheitsdoktrin" haben Sie gesprochen und gewarnt, wir sollten uns ihr nicht beugen. Der Bundeskanzler hat ganz deutlich gemacht, worin die Fortschritte erkennbar sind, und zwar auf Gegenseitigkeit: in bezug auf das Aufeinanderzugehen in den Fragen der Rüstungsbegrenzung und der Truppenverminderung und auch dessen, was über Grauzonen zu sagenwäre. Wenn Sie sich ein wenig in die Sache hineinvertiefen, brauchen Sie hier darauf ja nicht unmittelbar zu sagen, Sie hätten sich entweder geirrt oder Sie hätten das der Wirkung halber anders gesagt, als Sie darüber denken. Bitte, denken Sie über diese Sache nach; es steckt eine Menge darin. Wie ich Sie kenne, nehme ich an, werden Sie auch ein wenig darüber nachdenken.Wenn Sie dann auch noch das Wort von der „Erpreßbarkeit unseres Staates" einflicken, ist das genauso, wie wenn Sie in der innenpolitischen Auseinandersetzung immer wieder mit dem Begriff des Feindverhältnisses operieren und dabei — die Tatsachen gewissermaßen umkehrend — sagen, wer ihn angeblich einführe. Sicherheitsdoktrin, der wir uns angeblich beugen, ein Staat, der damit erpreßbar wäre — das sind alles Schlagworte, Stichworte für eine Auseinandersetzung zwischen den einen, die die Verträge unter großer Geduld zustande gebracht haben, und den anderen, Sie, die sie leider hartnäckig bekämpft haben. Sie erklären heute öffentlich, wenn es darauf ankommt — Sie tun das auch, um sozusagen im Bilde zu bleiben und um den Vertragspartnern nicht völlig seltsam zu erscheinen —, Sie würden die Verträge auch einhalten, würden sich aber dann usw. Ich habe mit Ihnen nicht über Ihr Verhältnis zu Verträgen zu rechten. Aber wenn Sie dann sagen, wir sollten uns nicht einem Verhältnis aussetzen, das für uns Wohlverhalten bedingt, so sind das alles Unterstellungen, die weder mit der tatsächlichen Politik der von unserer Koalition getragenen Regierung übereinstimmen noch eigentlich auch Ihrem eigenen Verhältnis — wenn Sie Ihre eigene Rolle genau überlegten, darüber auch sprächen und sie nicht nur Deutungen überließen — entsprechen.Sie meinen nun, es sei nicht in Ordnung, wenn gesagt worden ist, daß niemand militärische Überlegenheit anstrebe, denn die andere Seite hätte sie bereits. Ihre Schlußfolgerung ist, Überlegenheit müsse abgebaut oder durch die NATO ausgeglichen werden.
— Sie nicken mit dem Kopf, was ja, wenn ich etwas selbst sage, nicht vorkommt, aber weil ich hier etwas wiedergegeben habe, was einer Ihrer Meister gesagt hat, müssen Sie natürlich nicken. Ich bitte Sie, wie wollen Sie denn als erwachsene Leute Ihre Rolle im Bündnisverhältnis, in das wir einbezogen sind und dessen loyales Glied wir sind und bleiben, wenn Sie meinen, man müsse sich von der anderen absondern,
auch mit unseren Interessen — ich meine: den Interessen unseres Volkes und des Staates Bundesrepublik Deutschland — vereinbar weiterentwickeln, wenn Sie nicht daran teilnehmen, daß man in der Frage von Rüstungsverminderung und Truppenbegrenzung aufeinander zugeht?
Sie glauben, Sie hätten einen Sonderplatz, und andere würden das für Sie besorgen.
Metadaten/Kopzeile:
7078 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
WehnerHier wurde ja auch der Ruf nach der Neutronenwaffe, wenn auch ein wenig verdeckt, schon wieder laut. Es stünde uns ganz schlecht an, wenn wir diesen Ruf übernähmen.
— Sie können nicht zuhören, wenn ein anderer redet. Sie werden irritiert. Sie könen nur zuschauen, wenn Ihre bedeutenden Leute, gleichgültig, was Sie intern über sie denken, ins Bild gesetzt werden. Das ist Ihre ganze Kunst und auch Ihre ganze Rolle.
Sie sind ja keine parlamentarische Opposition.
— Eine außerparlamentarische Opposition, die sich dieser Möglichkeiten hier bedient. Das sind Sie. Sie sind außerparlamentarische Opposition, denn Sie bringen es nicht fertig, hier Alternativen wirklich zu begründen, auch wenn die Alternativen für uns unbequem sein sollten. Das tun Sie in keiner innenpolitischen Sachfrage. Jetzt in dieser wesentlichen Frage der Beziehungen haben Sie sich zwar bemüht, auch einmal sozusagen Ihre schönere Seite zu zeigen, als der Besuch stattfand, aber nachträglich wollen Sie sich durch die Auseinandersetzung mit uns schadlos halten.
Meine Damen und Herren, der Oppositionsführer hat auch betont, daß ein wesentlicher Prüfstein für Sie Berlin sei. Ist es Ihnen eigentlich entgangen, daß in der gemeinsamen Deklaration wie auch in dem Rahmenabkommen Wirtschaft und Industrie, das langfristig ist, die Rolle Berlins ganz eindeutig und positiv zum Ausdruck gebracht worden ist? Brauchen Sie dann immer noch diesen Wetzstein statt Prüfstein, wie Sie es ausdrücken, um, bildlich gesprochen, daran Messer zu wetzen? Sie fragen, wo sich denn die positive Entwicklung in der Berlin-Frage zeige, denn es habe sich ja z. B. bezüglich der drei Abkommen nichts bewegt. Auch wir haben nie gefeiert, daß sie bisher für die andere Seite noch nicht unterzeichnungsreif sind. Das ist gar nicht zu beschönigen. Nur, welchen Sinn hat es, fortgesetzt darüber zu greinen und sich zugleich nicht auch den Dingen zuzuwenden, die außerdem gemacht werden müssen? Wir wollen es mit Geduld, aber auch mit Beharrlichkeit schließlich dazu bringen, daß Abkommen, die noch nicht unterzeichnet werden, was nicht an uns, sondern an der anderen Seite liegt, tatsächlich in absehbarer Zeit unterzeichnet werden können, statt das fortgesetzt wieder durchzuhecheln. Hier brauchen Sie uns nicht zu sagen, was Geduld und was Beharrlichkeit bedeuten.Dann haben Sie ein ganzes Register von Fragen an mich in einer Art wie an einen Delinquenten gerichtet, eingeleitet damit, Wehner habe, ohne dazu aufgefordert worden zu sein, alles mögliche angekündigt.
— Nein, so schön kann ich es gar nicht sagen, wie es mein Herr Vorredner gesagt hat. Ich würde dann auch ganz verquollen werden müssen. Sehr verehrter Herr, wenn Sie sich schon an mir reiben wollen, dann lesen Sie einiges,
und dann respektieren Sie, daß es unterschiedliche Darstellungen gibt! Ich werde Ihnen dann noch einiges über das, was mit dem Berlin-Abkommen zusammenhängt, sagen und erläutern.Ich will aber zu diesem Vertrag und zu dem, was Sie jetzt hier dazu gesagt haben, noch einmal folgendes zusammenfassend darlegen, um, sagen wir einmal, auch eine Brücke zu zeigen:Erstens. Niemand, meine Damen und Herren, kann die Tatsache aus der Welt schaffen, daß der Besuch des ersten Mannes der Sowjetunion hier ein hochrangiges Ereignis war und ist.Zweitens. Jeder muß darauf achten, daß aus den Gesprächen, die während dieses Besuchs geführt worden sind, so viel Positives wie möglich für unsere Bundesrepublik und für die Beziehungen mit unserem Vertragspartner Sowjetunion entwickelt wird.
Drittens. Die gemeinsame Deklaration und das Abkommen über die Entwicklung und Vertiefung der langfristigen Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken auf den Gebieten der Wirtschaft und der Industrie sind als Ausdruck der übereinstimmenden Auffassungen der Vertragspartner eine sorgsame Behandlung wert.
Viertens. Die Austragung unterschiedlicher Wertschätzungen der Beziehungen und der Entwicklungsfähigkeit der Absichten und Vorsätze müßte vernünftigerweise die Bemühungen um maximal positive Auswirkungen weder blockieren noch stören. Das sage ich auch an die Adresse der Opposition.Fünftens. Es gilt Gutes zu bewahren und zu sichern und dabei Besseres nicht zu verhindern, sondern möglich zu machen. Das sollte im Streit der Meinungen nicht untergehen.
Das ist ja wohl nichts, was eine über Ihre Kräfte hinausgehende Aufforderung bedeutet. 'Ich habe in der Erklärung, die das Präsidium der CDU abgegeben hat, nach einem Bericht des Herrn Dr. Kohl den Satz gelesen — betont, hervorgehoben —: Die CDU will echte Entspannung, Frieden und Zusammenarbeit. — Na gut, da finden wir uns also in einer gewissen Nachbarschaft. Aber sprechen Sie nicht jedem das Recht ab, ebenfalls echte — um dieses Wort zu gebrauchen — Entspannung, Frieden und Zusammenarbeit zu wollen! Tun Sie nicht so, als sei das Ihr Eigentum und als spielten Sie da eine Solorolle! Das ist das, was ich bei der Gelegenheit sagen wollte.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7079
WehnerIch habe gehört, heute werde Herr Strauß noch das Wort nehmen. Er hat ja, wie aus einer Bandniederschrift hervorgeht, gesagt, man sollte aus Gesprächen nicht etwas entnehmen, was die andere Seite vielleicht nicht entnimmt. Das könnte er auch Herrn Kohl gesagt haben.
Er fuhr fort:Darum ist es besser, keine eigenwilligen und einseitigen Deutungen zu geben.Aber die russisch-deutsche Geschichte hat ja nicht in den letzten Jahren begonnen, sie hat auch nicht mit Hitler begonnen, sie hat nicht mit Willy Brandt begonnen, sondern hier gibt es eine lange Serie historischer Abläufe, und man muß sich auf beiden Seiten über eine Tatsache im klaren sein — mehr kann ich nicht sagen, sehr bescheiden gemeint —: Wenn die beiden Völker zusammengearbeitet haben, sich gegenseitig respektiert haben, in Frieden zusammengelebt haben, ist es beiden gut und sehr gut gegangen. Wenn es umgekehrt war — ob die Napoleonischen Kriege, ob der Erste Weltkrieg oder der Zweite Weltkrieg —, haben beide Völker schwer darunter gelitten. Wenn es gelingt, aus dem Stadium der ehemaligen militärischen Gegnerschaft über ein Stadium einer problematischen Entspannung zu einem Stadium einer positiven Atmosphäre mit entsprechender partnerschaftlichen Kooperation zu kommen, dann hätten die Russen auch eine Menge Sorgen los — und wir auch.So also Herr Strauß.
— Ja, nun, daß Sie ihm das auch noch vorwerfen, müssen Sie dann intern oder, falls Sie einmal zur Strategiekommission zugelassen werden, dort aushalten; das ist nicht meine Sache.
Machen Sie sich nicht wichtiger, als Sie sind! Ich versuche hier nur, mit bestimmten ausgesprochenen Meinungen zu fragen und zu sagen, wie sie denn gedeutet werden sollten. Denn — hier komme ich noch einmal auf den ersten Satz Ihres Kollegen Strauß zurück — man soll Gesprächen nicht etwas entnehmen, was die andere Seite vielleicht nicht entnimmt. Das hat sich ja nicht nur auf diese Gespräche bezogen.
Ich habe wiederholt mir angesehen, was an Äußerungen und Bewertungen aus den verschiedenen Parteien gekommen ist; das ist eine ganze Menge. Fürchten Sie bitte nicht, daß ich versuchen werde, es hier sozusagen zu klassifizieren.In diesen Tagen ist der Programmtext, der Entwurf für ein Grundsatzprogramm der Christlich-Demokratischen Union herausgekommen. Darin ist — zwar nicht zum Gespräch, aber zum Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland — manches Interessanteenthalten. Ich erspare mir das. Ich muß aber, sehr verehrter Herr Dr. Kohl, auf die Anzüglichkeiten zurückkommen, die anzubringen Sie im Zusammenhang mit mir teils zugeschriebenen, teils von mir gemachten und auch interpretierten und gegen Verzerrungen verteidigten Äußerungen Berlin betreffend für richtig gehalten haben. Ich empfehle Ihnen, obwohl ich keine Abonnement- oder sonstige Werbung für eine Zeitung zu machen pflege, die „Stuttgarter Zeitung" vom 9. Mai zu lesen, die aufmacht: „Die Bonner Parteien unterstreichen ihren Willen zur Entspannung — Meinungsverschiedenheiten über Berlin-Politik bleiben nach Breschnews Besuch bestehen." Dann gibt es die Fortsetzung auf der Seite 2. Da steht sogar — hoffentlich beschweren Sie sich nicht bei denen — die Überschrift: „Wehner lobt Unions-Äußerungen." Das sind also Wiedergaben der Dinge, die Sie hier in einer von Ihnen oder Ihren Mitarbeitern — ich nehme das letztere an — sozusagen mehr oder weniger sorglos zusammengestoppelten Auswahl — auch hinsichtlich der Richtigkeit dessen, was da wiedergegeben worden ist, oder hinsichtlich dessen, wie es ein wenig frisiert worden ist — zu Berlin deutlich gemacht haben.Lassen Sie mich bitte folgendes sagen: Wenn Sie sich selber die Mühe machen, das Viermächteabkommen über Berlin vom 3. September 1971 gelegentlich doch noch einmal wieder und wieder anzusehen, wie man das tun sollte,
und wenn Sie auch die damalige Erklärung der Bundesregierung — sowohl das, was zur Einführung dazu geschrieben worden ist, als auch das, was ausdrücklich als Erklärung der Bundesregierung dazu geschrieben worden ist — in Ihrer Erinnerung auffrischen, dann werden Sie manches finden, das es Ihnen etwas schwerer machen wird, mir Vorwürfe deswegen zu machen, weil ich immer wieder dafür eintrete, dieses Vier-Mächte-Berlin-Abkommen vom 3. September 1971 wie einen kostbaren Schatz zu hüten. Denn es war ein Wunder, daß es damals zu diesem Abkommen gekommen ist.
Es wäre nichts geworden, wenn es nicht die Verträge gegeben hätte, die wir mit der UdSSR, die wir mit der Volksrepublik Polen, die wir mit der DDR und dann auch noch — das hat sich ein wenig hinausgezögert — mit der CSSR geschlossen haben. Das wissen Sie ganz genau, aber Sie tun so, als seien Sie die Hüter dieses Abkommens und vielleicht sogar die Väter.Ich würde nie mit Ihnen darüber streiten, wenn es darum ginge. Alle wollen, daß dieses Abkommen wirklich eingehalten wird. Wir sind ja keine Unterzeichner, wir sind auch keine Mitschöpfer direkt. Das ist das Abkommen der Vier Mächte, die Verantwortung tragen in Berlin, für Berlin, die — daß weiß doch jeder, und es ist wohl keine Sünde, das auszusprechen — über die Rechtsgründe ihres Dort-seins sehr unterschiedliche Auffassungen haben, sich aber dennoch im Stande erwiesen, weil sie übergeordnete Notwendigkeiten nicht mißachten
Metadaten/Kopzeile:
7080 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Wehnerwollten, jenes Abkommen damals zustande zu bringen und es auch einhalten zu lassen. Daran sind wir nun allerdings besonders stark interessiert.In der Einführung, die damals gegeben worden ist, heißt es:Diese Bindungen und die Außenvertretung — von Berlin-West also —können auch weiter ausgebaut werden mit der Eingrenzung, die sich aus den auch künftig geltenden Vorbehaltsrechten der Drei Mächte, insbesondere für Sicherheit und Status der Stadt, ergibt.Mit diesen Einschränkungen, die auch weiterhin ausschließen, daß West-Berlin durch den Bund regiert und unmittelbare Staatsgewalt der Bundesrepublik Deutschland über die drei Westsektoren ausgeübt wird, werden der Bundespräsident, der Bundeskanzler, die Bundesminister in West-Berlin tätig sein können. Daß das Plenum von Bundestag und Bundesrat und die Bundesversammlung nicht mehr in Berlin zusammentreten dürfen, ist gewiß ein westliches Zugeständnis, das nicht gering wiegt. Die Sitzungen von Fraktionen und Ausschüssen des Deutschen Bundestages, die oft als Anlaß für Spannungen und Behinderungen des Verkehrs benutzt wurden, sollen künftig in der Art, in der sie das Viermächteabkommen ausdrücklich vorsieht, unbestritten stattfinden.Da haben Sie Hinweis Nummer eins.In der Erklärung der Bundesregierung wird ausdrücklich betont:Das Viermächteabkommen hat das rechtliche Grundverhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin nicht geändert. Dieses Grundverhältnis wird nach wie vor nicht nur durch deutsches Verfassungsrecht, sondern auch durch alliierte Vorbehaltsrechte bestimmt. Das deutsche Verfassungsrecht, d. h. die einschlägigen Vorschriften des Grundgesetzes und der Berliner Verfassung, bleibt unverändert; es wird jedoch weiterhin von den alliierten Vorbehaltsrechten überlagert.Das muß man sich eben auch immer wieder in Erinnerung bringen,
statt den Leuten vorzuspielen, als sei das alles in irgendeiner Form überhaupt erst im Zusammenhang mit dem Viermächteabkommen akut geworden und mit der Art, in der wir, die wir die Bedeutung und den Wert dieses Abkommens kennen und schätzen, uns damit befassen.
Nein, alle Bundesregierungen haben diese vorrangigen alliierten Rechte stets als im Interesse der Sicherheit Berlins liegend betrachtet und respektiert.Ich zitiere weiter:In der Verantwortung, die ihnen für Berlin undseine Sicherheit obliegt, haben die Alliiertenkraft dieses Vorrangs deutsches Verfassungsrecht dergestalt suspendiert, daß Berlin nicht vollgültig in die Verfassungsorganisation des Bundes einbezogen ist und nicht vom Bund regiert wird.Ich sage das mit dieser Eindeutigkeit, damit man endlich einmal wieder Gelegenheit nimmt, wenn man es sich schon nicht selbst vornimmt, deutlich zu machen, welche Bewandtnis es tatsächlich mit diesem Abkommen hat.Es heißt weiter:Die Sicherung der lebensnotwendigen Bindungen zwischen Berlin und der Bundesrepublik Deutschland setzt eine Klarstellung voraus, wie die Drei Mächte die ihnen vorbehaltenen Rechte hinsichtlich Berlins ausüben werden. Diese Klarstellung haben die Alliierten in dem Viermächteabkommen gegeben. Die Beschränkungen, die sich daraus für die Tätigkeit des Bundes und seiner Organe in Berlin ergeben, hält die Bundesregierung für vertretbar, weil die lebenswichtigen Bindungen aufrechterhalten und entwickelt werden können.In diesem Rahmen werden Bundesorgane in Berlin in Erscheinung treten können, bleibt das geltende Verfahren für die Anwendbarkeit der Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland in Berlin (West) wie auch die Anwendung von Gesetzen durch die in seinen Angelegenheiten tätigen Verwaltungs- und Gerichtsinstanzen unverändert und wird an der Anwesenheit von Behörden und Einrichtungen des Bundes in Berlin nichts geändert.Das ist also alles klar. Dies vertrete ich uneingeschränkt. Ich warne nur immer davor, sich leichtfertig zu bewegen oder fortgesetzt Testversuche machen zu wollen, weil das dann jedesmal hinterher außerdem noch bezahlt werden muß. Ich empfehle Ihnen also, ehe Sie mich zum Prügelknaben der Nation in Berlin-Fragen machen, den Sie immer brauchen, sich wenigstens noch einmal genau an die Beziehung meiner Warnungen, meiner Mahnungen oder auch meiner Bitten zu dem zu erinnern, was dieses Abkommen tatsächlich enthält, was dadurch weiter möglich gemacht worden ist, was aber nicht noch hinzugefügt werden darf, was in dieser Beziehung Sache ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes?
Nein.Ich muß allerdings an etwas erinnern. Ich habe im „Bulletin" vom 8. September 1971 eine Rede des damaligen Bundeskanzlers gefunden.
— Ich habe schon nein gesagt, daß ich also keine Zwischenfrage zulasse, verehrter Herr. Ich nehme an, Sie haben das überhört. Sie werden es mir nachsehen, daß ich zu leise gesprochen habe.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7081
WehnerDer damalige Bundeskanzler Willy Brandt hat damals in Berlin in einer Versammlung der Betriebsräte folgendes mit Recht gesagt — der Wortlaut der ganzen Rede im „Bulletin" ist auch heute noch interessant für andere, die sich daran ergötzen oder wetzen wollen —:Hier werden sich die meisten noch erinnern an die Bemühungen von Ernst Reuter und von mir selbst, Berlin zu einem gleichgestellten Bundesland werden zu lassen, mit dem vollen Stimmrecht in Bundestag und Bundesrat. Dem standen nicht nur die übergeordneten Gesichtspunkte der Westmächte entgegen, sondern leider auch die nicht immer überzeugenden Einwände damaliger Bundesregierungen und, wenn ich mich recht erinnere, mancher Kreise in Berlin selbst.
—Wenn Sie sich hineinvertiefen wollen, werden Siebeim Quellenstudium schon darauf stoßen, daß esso ist, wie es der Bundeskanzler damals gesagt hat.
Ich mißgönne Ihnen nicht, daß Sie so tun, als gäbe es bei Ihnen nur wunderbare Sachen. Nein, das ist unsere gemeinsame Geschichte seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, in deren Verlauf auch von denen, von denen der Bundeskanzler 1971 gesprochen hat, manches anders für richtiger gehalten wurde, als es heute von den Epigonen hier für wahr gehalten werden soll bzw. für richtig gehalten wird.Dies ist —so hat der Bundeskanzler 1971 gesagt; um das Zitat zu Ende zu bringen —eine andere Lage als die der fünfziger Jahre, und es kommt wenig dabei heraus, alles noch einmal wiederaufrollen zu wollen. Ich wende mich allerdings dagegen, wenn gewisse Leute ihren Berlin-Patriotismus etwas zu spät entdecken und etwas zu auffällig zur Schau tragen.
Ich glaube, das ist nach wie vor richtig.
Ich wollte Ihnen das nur als Antwort auf den Versuch mitgeben, hier den Prügelknaben zu bekommen.Was den turnusmäßigen Wechsel im Amt des Bundesratspräsidenten betrifft, so können Sie selber nachlesen, auf welche Frage ich in bezug auf Direktwahlen zum europäischen Parlament geantwortet habe. Es ist keine Kritik an oder Herausforderung gegen irgend jemanden. Ich habe nur gesagt: Der Turnus bringt es mit sich, daß das in diese Zeit fällt. Das darf man wohl noch in unserem Land der Freiheit, sowohl der Presse als auch der Aussage eines Abgeordneten! Oder nicht?
Was ist es eigentlich wert, was Sie unter Freiheit bekanntmachen wollen?
Nein, Sie brauchen jemanden, auf den Sie einprügeln können. Was wäre sonst heute der Beitrag des Herrn Oppositionsführers zur Debatte der Regierungserklärung gewesen? So machen Sie das.Sie haben es z. B. mit der Schlußakte von Helsinki gemacht. Durch einen Antrag, über den hier abgestimmt werden mußte — Sie blieben dabei in der Minderheit —, wollten Sie erreichen, daß die Bundesregierung sie nicht unterzeichne; als Sie dann unterlagen und die Bundesregierung — zusammen mit 34 anderen Ländern; ich finde, diese Schlußakte ist ein Jahrhundertwerk — unterzeichnete, traten Sie am nächsten Tage so an, als wären Sie diejenigen, die Wechsel eintreiben könnten, als könnten Sie sie den Leuten präsentieren: jetzt aber schnell die fälligen Zahlungen!
So kann man das zwar machen, aber wirkungslos.Insofern frage ich Sie: Warum tun Sie so, als gäbe es zwischen uns Streit über die Menschenrechte? Legen Sie denn Wert darauf, in der Bundesrepublik Deutschland die einzigen zu sein, die etwas für Menschenrechte übrig haben? Wir auch! Nur wissen wir, daß das Plakatieren so gut wie nichts nützt, häufig sogar leider auch schadet.
Wir kümmern uns um die Realisierung von so vielen Menschenrechten wie möglich,
wobei es ja auch Leute gibt, die dringend der wirklichen Hilfe und nicht des ruhmredigen Plakatierens durch Sie und ihre sogenannten Vorkämpfer bedürfen.
Ich werde froh sein, wenn Sie Ihre Stellung zu den Verträgen — zum Grundlagenvertrag und den anderen Verträgen in dieser Himmelsrichtung — einmal so abgeklärt haben werden, wie Sie Ihre Stellung zu der Schlußakte, die Sie nicht hatten annehmen und durch die Bundesregierung unterzeichnen lassen wollen, inzwischen sozusagen durch einen Umkehrakt geändert haben. Sie spielen heute — so, als könne man das alles von heute auf morgen tun — die Rolle dessen, der da sagt: Wir fordern, daß Punkt 1, Punkt 2 und welche Unterpunkte noch erfüllt werden. Wenn das mit den Verträgen einmal so sein wird, werden wir das auch aushalten, manchmal mit einem leichten Schmunzeln darüber, wie Sie sich endlich dazu durchgerungen haben, zu erkennen, daß Verträge nicht nur für gelegentliche Vorlesungen oder auch Versammlungskampagnen da sind, sondern damit sie eingehalten werden. Daß Sie damals dagegen waren, das wird Ihnen ja nicht Ihr Leben lang vorgeworfen werden; Sie haben ja eine Bewährungsmöglichkeit mit der Einhaltung der Verträge; und daß Sie damals dagegen waren, schließt ja nicht aus, daß Sie sich für ihre wirkliche Durchsetzung einsetzen wollen.Insofern gibt es hier also bei allen bestehenden Differenzen darüber,. wieso der Besuch nun gerade
Metadaten/Kopzeile:
7082 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Wehnerjetzt gewesen ist, welche Hintergedanken die, die ihn organisiert haben, dabei gehabt haben mögen — Herr Kohl hat einige davon angedeutet; er muß also mit besonders durchschauenden Kräften zu tun haben; aber gleichgültig, wie das ist —, in einigen Punkten bei der Opposition das Bedürfnis, jedenfalls wenn Gesprächspartner dieser Art hier waren oder hier sind, eine einigermaßen gesprächsfähige Figur darzustellen. Das haben Sie getan, und das war, fand ich, ein ganz guter Anfang. Daß Sie dann hinterher, wenn die weg sind, ihnen nicht gleich etwas nachwerfen, verstehe ich auch. Daß Sie dann aber einen Ersatz dafür brauchen — und das sind wir, die Sozialdemokraten —, verstehe ich auch. Ich wünsche Ihnen weiter, daß Sie, wenn Sie nichts anderes fertigbringen, doch wenigstens mit der einen Seite allmählich Fortschritte machen, nämlich Fortschritte im konkreten Umgehen mit den Verträgen — nicht darin, mit ihnen nur so zu tun, als habe man auch etwas dafür getan. — Schönen Dank für Ihre Geduld.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Besuch des Generalsekretärs Breschnew in der Bundesrepublik ist sicher ein Meilenstein in dem historischen Prozeß zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland; so jedenfalls sieht der CSU-Vorsitzende Strauß die Ereignisse der letzten Woche. Mancher mag zurückhaltender urteilen, aber mit der zentralen Aussage des Präsidiums der CDU, wichtig seien nicht schöne Worte, sondern konkrete Taten, wird eine reine Banalität formuliert. Im Kontrastprogramm der Opposition kann man also zwischen demontrativ staatsmännischem Verhalten und bombastischer Plattheit wählen.
In der Beurteilung politischer Prozesse können Unterschiede, wenn nicht gar Gegensätze, kaum drastischer formuliert werden.Nun wäre dem intensiven deutsch-sowjetischen Meinungsaustausch und den unterzeichneten Dokumenten nichts weniger angemessen als eine Betrachtung nach Art des Erbsenzählers, der in seine Rechnung nur das einbezieht, was er mit den Händen greifen kann. Dem politischen Geschehen wird man nicht gerecht, wenn man nur den Ertrag des Augenblicks mißt. Die Wirkungen, die mittel- und langfristig davon ausgehen können, gehören nun einmal dazu. Da erscheint Pessimismus nicht angebracht; Zurückhaltung aber bleibt nach wie vor geboten.Die Bedeutung der Gesprächsergebnisse für die deutsche Politik liegt zunächst einmal in der sichtbar gewordenen Entschlossenheit, die Zusammenarbeit im Interesse der Sicherung des Friedens fortzusetzen und zu verstetigen. Das schließt die Bereitschaft ein, offen miteinander umzugehen und die bestehenden Meinungsverschiedenheiten fair aus-zutragen. Der Dialog hat ein Klima geschaffen, in dem gewährleistet scheint, daß auch Streitpunkte in einer Form behandelt werden können, die nicht zu einer Belastung der Beziehungen führt. Die Gespräche zwischen der Bundesregierung und dem Generalsekretär und die vorliegenden Dokumente vermitteln dem unvoreingenommen Beobachter die Überzeugung, daß auf beiden Seiten Bereitschaft und Wille vorhanden sind, zu einem partnerschaftlichen Verhältnis zu gelangen, in dem es dann auch gelingen kann, die noch nicht bereinigten Probleme vom Tisch zu bringen. Mit Schaukelpolitik hat das nun ganz und gar nichts zu tun. Unsere Verbündeten werden die hier geäußerten Zweifel der Opposition kaum teilen.Meine Damen und Herren, der Stand der Beziehungen zwichen den Staaten und ihre Entwicklung hängen ganz entscheidend davon ab, daß sich aus der Summe vielfältiger Anstrengungen eine Atmosphäre gegenseitigen Verständnisses, besser noch: des Vertrauens ergibt. Erst wenn ein Mindestmaß an Übereinstimmung gesichert ist, erhalten Worte und Absichten einen greifbaren Inhalt, führen Vereinbarungen letztlich zu ,konkreten Veränderungen. So verstanden, sind die Unterredungen zwischen den Repräsentanten der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland sowie die gemeinsamen Deklarationen und das langfristige Kooperationsabkommen von hochrangiger Bedeutung für die Entspannungspolitik in Europa und für den Ausbau der deutsch-sowjetischen Beziehungen; denn beide Seiten haben ganz offenbar im besten Sinne hinzugelernt. Vor allem haben sie die Ernsthaftigkeit und den Willen bestätigt, faktische Verbesserungen auch zugunsten der Menschen herbeizuführen. So kann der Besuch des Generalsekretärs aus der Sowjetunion in der Bundesrepublik Deutschland zu einer vertrauensbildenden Maßnahme für die Entspannungspolitik werden.Die Freien Demokraten begrüßen es ausdrücklich, daß in so dezidierter Form das gemeinsame Verlangen festgeschrieben wurde, alle Prinzipien und Bestimmungen der in Helsinki unterzeichneten Schlußakte im Interesse der Zusammenarbeit der Staaten und zum Wohle der Menschen voll wirksam werden zu lassen. Wir werden uns hüten, darüber in Euphorie auszubrechen. Wir sehen aber auch ganz klar die Bereitschaft, die ins Stocken geratenen Bemühungen um definitive Fortschritte in Fragen der Sicherheit und Zusammenarbeit wieder flottzumachen.Vor allem wird das Einvernehmen erkennbar, daß es hierbei um weit mehr geht als um die Regelung zwischenstaatlicher Prinzipien. Die Menschen und damit auch ihre Rechte und Erwartungen werden erkennbar und ausdrücklich berücksichtigt. Hier zeichnet sich eine Überwindung jenes Tiefpunkts ab, den wir nach dem enttäuschenden Ergebnis von Belgrad zu beklagen hatten. Sicherlich wird der Weg zum nächsten KSZE-Folgetreffen in zwei Jahren in Madrid nicht mühelos zu bewältigen sein, doch es ist die Hoffnung erlaubt, daß er nicht zugemauert sein wird. Dafür spricht auch das äußerst konstruktive Klima, in dem dieser Tage das europäische Parlamentariertreffen in Wien stattfand. Un-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7083
Hoppeter Beteiligung der sowjetischen Delegation wurde Übereinstimmung erzielt, daß alle Prinzipien der Schlußakte von Helsinki gleichrangig und gleichwertig zu behandeln sind.Wir sollten dabei darin einig sein, daß sich die verschiedenen Hinweise auf eine stärkere Berücksichtigung der humanitären Fragen und der Menschenrechte aber nur dann in praktische Konsequenzen umsetzen lassen, wenn keine Seite die andere damit in den Anklagezustand zu versetzen versucht.
Das Ergebnis wäre sonst nur erneute Verkrampfung. Ich gehe davon aus, daß auch die Opposition ihre Methode noch einmal überprüfen wird. Der Kollege Strauß hat hier seine Hilfestellung unüberhörbar angeboten. Er stellte vor kurzem folgendes fest:Die gegenseitige Berechenbarkeit und damit auch ein gewisses Maß an Zuverlässigkeit selbst bei unterschiedlichen Standpunkten bringt mehr Stabilität als sprunghafte Hektik, als romantische Äußerungen. Das gilt auch für den Fall, daß man die Menschenrechte dann strapaziert, wenn man politisch nicht mehr weiterweiß.Die Opposition sollte sich diese Sätze hinter den Spiegel stecken. Die alte Lehrmeinung, daß mit Deklamationen Nutzen für die Menschen gestiftet wird — vor allem auch für die Menschen im anderen deutschen Staat —, sollte endlich ad acta gelegt werden können.
Die am praktischen Erfolg orientierte nüchterne Politik der Bundesregierung hat sich als weitaus erfolgreicher erwiesen. Ich verweise nur auf die Ausführungen des Präsidenten des Deutschen Roten Kreuzes, der die beeindruckenden Zahlen über die Ausreisen von Deutschen und Deutschstämmigen aus der Sowjetunion in Erinnerung gerufen hat. Im Jahre 1970 kamen insgesamt 340. 1971 waren es 1 100. Inzwischen sind es über 9 000 jährlich, und die steigende Tendenz hält an. Dies sind Tatsachen. Sie stehen nicht im Gegensatz zu Worten und Absichten, sondern sie sind deren Ergebnis.
Meine Damen und Herren, es geht nicht darum, dokumentengläubig zu sein. Es soll uns auch niemand für vertrauensselig halten. Aber es bleibt festzuhalten: Dokumente und Deklarationen haben auch faktische Wirkung. Sie wirken auf das politische Bewußtsein ein, und sie eröffnen die Möglichkeit für bestimmte Verhaltensmuster, weil man sich auf das. geschriebene Wort und die getroffenen Vereinbarungen nun einmal berufen kann.Wer abwertend und resignierend die von den Regierungen verabschiedeten Vereinbarungen und Grundsätze als Makulatur abtut und beckmesserisch die noch vorhandene Distanz zur Realität ausmißt, vertut diese Chance.Ein grandioses Beispiel für dieses kleinmütige und fehlerhafte Verhalten hat uns die Opposition geliefert, als sie die von ihr heute so hochgehaltenen Prinzipien der Schlußakte von Helsinki zu Instrumenten. zur Durchsetzung langfristiger sowjetischer Ziele erklärte und der Bundesregierung empfahl, aus dem gemeinsamen Versuch von 35 Nationen auszusteigen, die Summe der größtmöglichen Gemeinsamkeiten zum Ausgangspunkt ihrer künftigen Politik zu machen.Wir Freien Demokraten sehen uns in der Auffassung bestätigt, daß nur ein offensives und selbstbewußtes Mitwirken im internationalen Kräftespiel dem Vaterland dient und den Menschen nutzt.
Die wachsenden Ausreisezahlen aus den Staaten Osteuropas, das Viermächteabkommen über Berlin, die praktischen Verbesserungen für die Menschen in Deutschland, sie wären ohne unsere entschlossene Einflußnahme auf die Entspannungspolitik nicht denkbar.Auch die Opposition sollte sich darauf besinnen, daß erfolgreiche Außenpolitik nur mit Gestaltungskraft, Prinzipientreue und Risikobereitschaft betrieben werden kann.
Im Unterschied zu großen Teilen der Opposition werten wir Freien Demokraten die zwischen dem Bundeskanzler und dem sowjetischen Staats- und Parteichef vereinbarten Grundsätze als ein brauchbares Instrument zur Fortentwicklung unserer verbesserungsfähigen und verbesserungsbedürftigen Wirklichkeit.
So halten wir es für bedeutungsvoll für die. Diskussion und für die Verhandlungen über Abrüstung und Rüstungsbegrenzung, daß es beide Seiten als wichtig betrachten, daß niemand militärische Überlegenheit anstrebt und daß annähernde Gleichheit und Parität zur Gewährleistung der Verteidigung als ausreichend angesehen werden.Das ist in der Tat ein neuer Akzent, daß sich Moskau bei allen Abrüstungsverhandlungen und damit auch bei den Wiener MBFR-Verhandlungen mit der annähernden Gleichheit und Parität anfreundet. Wenn der Kollege Kohl für die Opposition gerade das so kritisch, fast glossierend attakkiert, dann scheint mir die Opposition bisher übersehen zu haben, daß die Sowjetunion bislang ein Übergewicht in der militärischen Stärke verlangte. Von daher ist hier eine entscheidende Korrektur in der Grundhaltung zu erkennen.
Meine Damen und Herren, man sollte die Hoffnungen auf unmittelbare Folgewirkungen nicht zu hoch schrauben, wie überhaupt die Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet der Rüstungsbegrenzungsverhandlungen nur Impulse vermitteln kann. Entscheidungen werden natürlich nur im Rahmen des westlichen Verteidigungsbündnisses herbeige-
Metadaten/Kopzeile:
7084 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Hoppeführt. Aber es ist zu erwarten, daß die Erklärungen zur Abrüstung nicht ohne Wirkungen auf die Beziehungen zwischen dem Atlantischen Bündnis und dem Warschauer Pakt bleiben werden. Auch in der Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen wird der von Bonn aus vermittelte Anstoß sicher Beachtung finden.Letztlich aber wird es von der Sowjetunion abhängen, ob die auf Rüstungsbegrenzung und Abrüstung gerichteten Anstrengungen zum Erfolg führen und sich die Hoffnungen der Menschen in Ost und West erfüllen können. Entspannungspolitik wird auf Dauer nur dann erfolgreich sein, wenn die Abrüstungsverhandlungen konkrete Ergebnisse zeigen. Der Widerspruch zwischen Entspannungsbeteuerung und Rüstungsanstrengung muß endlich aufgelöst werden.
Zum ersten Mal in einem Ost-West-Dokument finden sich auch die Feststellung von der Unteilbarkeit des Friedens und der Sicherheit in allen Teilen der Welt und die daraus abgeleitete Aufgabenbestimmung für beide Seiten, ihre politischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten für dieses Ziel unilateral, bilateral und multilateral einzusetzen.Gewiß, ein großes Wort, das sich — blicken wir nach Afrika — noch sehr hart an den Realitäten stößt. Aber es ist nun auch von Moskau festgehalten, was wir immer betont haben, daß sich nämlich Entspannungs- und Friedenspolitik nicht auf Europa beschränken kann. Sie wird vielmehr erst dann voll ihre nutzbare Dynamik erhalten, wenn ihr Prinzip nicht nur regional, sondern global angewendet wird.Ganz unbezweifelbar wird dieser umfassende Komplex der Friedenssicherung von ökonomischen Daten und Fakten beeinflußt. Es hat deshalb eine innere Logik und stellt eine substantielle Ergänzung der politischen Gespräche zwischen Bonn und Moskau dar, daß beide Seiten zugleich ein Abkommen über die langfristige Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wirtschaft und Industrie unterzeichnet haben.Im Bonner „General-Anzeiger" fand ich den Satz: „Wer sich auf 25 Jahre zu einem kontinuierlichen, derart umfassenden Ausbau der Wirtschaftskooperation verpflichtet und dies vertraglich festschreibt, setzt auf Frieden."
In der Tat ist diese angestrebte wirtschaftliche, industrielle und technische Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion ein stabilisierendes Element für den Ausbau der bilateralen Beziehungen und für den Fortgang des multilateralen Entspannungsprozesses.Auch hier muß jedoch vor überstiegenen Erwartungen gewarnt werden. Es gibt keinen Automatismus in Fragen des Handels und der Industriekooperation. Es gibt auch keine Initialzündung per Dekret. Aber es kann ebensowenig in Frage gestellt werden, daß das ausgehandelte Abkommen nützliche Dienste gerade bei der Bewältigung jener Probleme leisten kann, die durch die unterschiedlichen Wirtschaftssysteme offenkundig sind.
Jedenfalls erlaubt der abgesteckte Rahmen ein höheres Maß an Disposition und Berücksichtigung der jeweiligen Fähigkeiten und Kapazitäten auf beiden Seiten. Die Unternehmer sind aufgefordert, die verbesserten Rahmenbedingungen für den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zu nutzen.Es wäre gut, wenn die im Kooperationsabkommen abgesprochene Intensivierung der Zusammenarbeit auf dem Energiesektor doch noch zu naheliegenden Konsequenzen führen würde. Ich denke an den sinnvollen Plan eines Energieverbundes zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland mit der Anbindung Berlins. Die Gründe für das bisherige Scheitern dieses vernünftigen Projekts sind bekannt. Aber der „Widerstand" spielt ja in der Elektrizität eine notwendige Rolle. Vielleicht öffnet er auch auf diesem komplizierten Feld des mindestens dreiseitigen Interessenausgleichs doch noch einen Ausweg.
Berlin ist angesprochen, und zwar im Sinne einer Erwartung. Sie geht allerdings weit über das Thema Energieversorgung hinaus. Noch wichtiger ist nämlich, daß nach der Absicherung Berlins durch das Viermächteabkommen und der anschließenden Phase des Interpretationsgerangels nun die Bereitschaft zur allgemeinen Beruhigung einsetzt. Weder verträgt die Entspannungspolitik demonstrative Gesten gegen Berlin, noch verträgt Berlin demonstrative Kraftproben unter Berufung auf die Entspannungspolitik.
Was Berlin braucht, ist seine selbstverständliche Einbettung in den Prozeß der Verständigung und Zusammenarbeit.Die strikt sachbezogene Behandlung sollte in Zukunft die Politik beider Seiten bestimmen. Die nichts beschönigende Art und Weise, in der dieses Thema bei den Gesprächen in Bonn und Hamburg behandelt wurde, hat sicher zur Klärung beitragen können und mag sich für die Zukunft positiv auswirken. Dann wird vielleicht doch noch der Augenblick kommen, in dem das Kernstück des Viermächteabkommens, „daß die Bindungen zwischen den Westsektoren Berlins und der Bundesrepublik Deutschland aufrechterhalten und entwickelt werden", wobei zu berücksichtigen ist, „daß diese Sektoren so wie bisher kein Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland sind und auch weiterhin nicht von ihr regiert werden", strikt eingehalten und voll angewendet wird.Meine Damen und Herren, gerade dieser Teil des Abkommens taugt wahrlich nicht für einen Parteienzank. Nur wer Aufgeregtheit liebt, kann eigentlich an dem Sinn und Zweck dieser Vereinbarung herumdeuteln.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7085
HoppeSchließlich ist die Pflege der Bindungen gerade deshalb von so vitalem nationalen Interesse, weil West-Berlin nach alliiertem Recht kein Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland ist. Diese Interessenlage ist allen Beteiligten gut vertraut. Verständlich also, daß die Regierung Brandt-Scheel dem Viermächteabkommen über Berlin in ihrer Ostpolitik eine so zentrale Bedeutung eingeräumt hat. Den damaligen Außenminister Walter Scheel hat dies veranlaßt, von einem Junktim zwischen dem Moskauer Vertrag und dem Viermächteabkommen zu sprechen. Die Regierung Schmidt-Genscher steht in der Kontinuität dieser auf Ausgleich und Entspannung gerichteten Politik. Über Bedeutung, Inhalt und Anwendung des Viermächteabkommens gibt es zwischen der Bundesregierung und dem Senat von Berlin gewiß keine Meinungsverschiedenheiten. Für die Parteien des Deutschen Bundestages sollte ebenfalls kein Anlaß bestehen, einen unnötigen Streit um diese Frage auszufechten.Wir wollen das Viermächteabkommen weder dehnen noch kürzen, und das heißt auch, daß wir über einen Routineprozeß wie die turnusmäßige Wahl des Bundesratspräsidenten nicht viele Worte zu verlieren brauchen.
Wenn Dietrich Stobbe jetzt für ein Jahr diese Position einnimmt, steht das in der Kontinuität aller vorausgegangenen Wahlen zum Bundesratspräsidenten
einschließlich der des Parteivorsitzenden der SPD, Willy Brandt, im Jahre 1957.
Also tiefer hängen, bitte!
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir ein kurzes Resümee. Der umfassende und offene Meinungsaustausch zwischen den Spitzenpolitikern der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland hat die Erwartungen, die man realistischerweise in ihn setzen konnte, erfüllt. Er hat unter anderem zu Dokumenten geführt, deren Inhalt nach dem bisherigen Stand der Diskussionen offenbar weitgehend übereinstimmend positiv eingeschätzt wird. Wir begrüßen das außerordentlich. Es ist zugleich ein Gütezeichen für solide diplomatische Vorarbeit.Was zur Gemeinsamkeit fehlt, ist die gleichgerichtete Einschätzung der aus dem Gesprächsergebnis erwachsenden Möglichkeiten. Dieser Unterschied zwischen der Opposition und der Koalition wiegt allerdings schwer. Für die Freien Demokraten bekräftige ich nachdrücklich, daß wir in dem Zuwachs an Offenheit und damit auch an Vertrauen eine qualitative Verbesserung der deutsch-sowjetischen Beziehungen und eine wichtige Voraussetzung für konkrete Schritte in der Sache sehen.Die spürbar positive Beeinflussung des Klimas dürfte nicht ohne Folgen in den übrigen Staaten Osteuropas und in der DDR bleiben. Das kann die deutsch-deutschen Beziehungen begünstigen und für die noch ausstehenden Folgevereinbarungen aus dem Grundlagenvertrag von Bedeutung sein.Wir werden uns weiterhin mit aller Kraft für jede praktische Verbesserung zugunsten der Menschen einsetzen, ohne das Erreichte preiszugeben.
Das Wort hat der Abgeordnete Strauß.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Kollege Hoppe mich — selbstverständlich richtig — zitiert und gesagt hat, ich hätte in einer Äußerung nach dem Gespräch mit dem Generalsekretär der KPdSU und nach dem Besuch von einem „Meilenstein in der Geschichte der russisch-deutschen Beziehungen" gesprochen, dann bleibe ich natürlich bei dieser Äußerung. Nur können Meilensteine Wegmarken auf einem guten Wege oder auf einem Wege ins Gegenteil sein. Ich behaupte nicht, daß darüber heute ein Urteil möglich ist, sondern daß es von dem Verhalten in den nächsten Jahren abhängen wird, auf welchem Wege der Meilenstein steht, der mit diesem Besuche von uns, von mir und anderen Sprechern, symbolisch so gekennzeichnet worden ist.Es ist keine hämische Kritik, wenn man sagt, daß die öffentlichen Verlautbarungen, die Tischreden natürlich zunächst mehr Erwartungen als Tatsachen zum Inhalt haben. Man darf weder negative noch positive Bemerkungen bei Tischreden überbewerten. Ich möchte ironisch sagen: vor der Hochzeit, während des Krieges, nach der Jagd. Das gilt auch für Tischreden.All das hat natürlich zunächst mehr Erwartungen als Tatsachen erbracht und demgemäß mehr Auslegungen als Festlegungen nach sich gezogen. Es sind hochfliegende Wort gebraucht, es sind gewagte Prognosen angestellt worden. Eines jedenfalls ist deutlich geworden, auch in der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers: daß die visionäre Phase der neuen deutschen Ostpolitik zu Ende gegangen ist, die visionäre Phase, wie sie seinerzeit, im Herbst 1969, angekündigt und mit einem schweren politischen Fehler eingeleitet worden ist, nämlich von vornherein zu erklären, man gehe von der Existenz zweier deutscher Staaten aus. Ich möchte auf diese Diskussion, die wir in diesem Hause aus anderem, aber gleich motiviertem Anlaß schon oft gehalten haben, nicht näher eingehen. Es ist auch deutlich geworden, daß die Periode der Euphorie zum Abschluß gekommen ist, daß der Übergang vom Messianismus einer Heilslehre zum Pragmatismus der Brosamen bei der deutschen Ostpolitik unvermeidlich geworden ist.Es ist heute sicherlich noch nicht möglich, eine geschichtliche Einordnung des Breschnew-Besuches vorzunehmen. Es ist wohl auch noch nicht möglich, eine zeitgeschichtliche Einordnung vorzunehmen. Seine politische Bewertung ist heute abschließend nicht möglich. Es hat ohne Zweifel neue Töne neben alten Verhärtungen gegeben. Niemand wird es als Beckmesserei bezeichnen dürfen, als kleinliche Kritiksucht oder als hämische Herabsetzung, wenn ich sage, daß uns nichts besser ansteht als die War-
Metadaten/Kopzeile:
7086 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Straußnung vor Wunschdenken. Man kann die Texte zwar durch Auslegungen verschleiern, aber man kann damit den Inhalt der Texte und die daraus entspringenden politischen Wirklichkeiten nicht verändern.Man muß bei der sowjetischen Politik — das meine ich nicht nur negativ, sondern auch sehr positiv — mit einem hohen Maß an Kontinuität, an Konsequenz und an Konstanz rechnen, mit einer Zielorientierung, die ihrerseits in der Weltpolitik keinen ebenbürtigen Partner findet. Das ist eine Tatsache, die manchmal sogar für die Kremlführung verwirrend zu sein scheint.Ich erinnere mich — das ist nicht politische oder deutschlandpolitische Archäologie —, daß wir zehn Jahre nach dem Kriege befreit aufgeatmet haben — das hat auch hier in einer Debatte seinen Niederschlag gefunden als nach der berühmten Genfer Gipfelkonferenz, bei der die Stimmführung auf der westlichen Seite bei Eisenhower, auf der östlichen Seite bei Chruschtschow und Bulganin lag, ein Kommuniqué unterschrieben worden ist, in dem sich die Sowjetunion zur Abhaltung freier Wahlen verpflichtet hat. Dann wurden die Außenminister beauftragt, den lapidaren Text dieses Kommuniqués, in dem sogar das ja heute von manchen nicht mehr in den Mund zu nehmende Wort von freien Wahlen gebraucht worden ist, im einzelnen in eine politische Prozedur umzuwandeln. Damit war Schluß, und zwar Schluß bis heute.Deshalb soll man hier nicht von vornherein einen negativen Popanz aufbauen — das ist auch nicht meine Absicht — und sagen, diese Worte seien nicht ehrlich gemeint, dahinter stecke nichts. Damit verbinde ich nur die Warnung davor, dem Wunschdenken zu verfallen, das gerade die euphorische Phase der deutschen Ostpolitik in den Jahren ab 1969 so treffend gekennzeichnet hat. Der Silberstreif muß am Horizont sichtbar und nicht am Fernrohr angebracht sein.
Auch bei uns waren aus höchstem Munde große Worte zu vernehmen. Zum Beispiel wurde gesagt, es handele sich um ein Ereignis historischer Tragweite. Es war die Rede von geschichtlichen Perspektiven für Generationen. Nun können Perspektiven so oder so sein. Es seien Vereinbarungen ohne Beispiel in der Welt erzielt worden. Das sind Erwartungen.
Hoffentlich werden sie nicht zu Selbsttäuschungen. Es wird jetzt davon abhängen, daß wir der anderen Seite durch richtiges Verhalten auf unserer Seite die Möglichkeit geben, daß die Erwartungen in Bewegungen umgesetzt werden.
Dann wird ein Urteil möglich sein, wo der Meilenstein steht, auf welcher Straße er steht.
Herr Kollege Wehner, für uns ist Berlin nach wie vor wirklich ein Prüfstein und kein Wetzstein. Wirbrauchen keinen Wetzstein. Uns genügt schon der Prüfstein. Aber wir stellen natürlich auch fest, daß die Erwartungen vor dem Besuch, als man damit rechnete, daß drei Abkommen, die wegen der Berlin-Klausel hängengeblieben waren, unterzeichnet werden würden, nicht erfüllt worden sind, da die Abkommen leider nicht unterzeichnet worden sind.Was die Erfüllung der Schlußakte der KSZE anbetrifft, so habe ich damals in meiner Rede, auf die Sie immer wieder Bezug nehmen und die Sie mir auch vorhalten, gesagt, wir wüßten ja ganz genau, daß Sie aus dem Pfad, der einmal eingeschlagen worden ist, nicht herauskommen. Ich habe im Namen der Fraktion damals sehr klar und deutlich gesagt, daß Entspannung nicht auf den geographisch kleinen, wenn auch wichtigen Raum der Konfrontation in Europa beschränkt sein dürfe, daß Entspannung auch — es ist das gute Recht der Opposition, darauf hinzuweisen, wenn die Regierung glaubt, es nicht so tun zu können — durch den Beitrag zum Frieden im Nahen und Mittleren Osten, durch den Beitrag zu einem unblutigen Nebeneinander der afrikanischen Staaten und Stämme und ihrer Richtungen führen müsse.
Wenn bei uns Außenpolitik von den Regierenden nicht manchmal mit einem so pseudoverbissenen Ernst gemacht würde, dann würde man begreifen, daß eine solche Haltung der Opposition, wie sie damals zum Ausdruck gebracht worden ist, für die Regierung ein nützliches Instrument sein kann, statt ein Objekt der Verteufelung zu werden.
Denn auch Außenpolitik in einer parlamentarischen Demokratie ist selbst bei großen Gegensätzen noch als eine kontroverse und trotzdem Konzertierte Aktion denkbar, wenn man die Funktion der Opposition für die Durchsetzung eigener, nicht immer leicht durchsetzbarer Interessen richtig einordnet, statt sie nur zu beschimpfen, wie es in dem Zusammenhang geschehen ist.
Natürlich handelt es sich bei konkreter Friedenspolitik, wie ich eben sagte, auch um die Vorgänge im Nahen, Osten. Auch hier muß ein gutes Zeichen gesetzt werden. Denn die Äußerungen des israelischen Außenministers der letzten Tage sind, wie ich sie der Presse entnommen habe, nicht die Äußerungen eines Kriegshetzers, der einen kommenden Konflikt an die Wand malt. Dazu hat Herr Moshe Dayan wohl zu viele kriegerische Konflikte in seinem Leben am eigenen Leibe erlebt und in verantwortlicher Stellung bestritten. Aber daß sich hier, nachdem man die Sowjetunion auch dort schon wieder auf den Plan gerufen hat, wo sie ursprünglich ausgeladen worden war
— mit viel Mühe —, ein Konfliktpotential aufbaut, steht doch außer jedem Zweifel. Daß dieses Konfliktpotential für unsere Sicherheit in Europa, im Mittelmeerraum, dem Meer im Süden, unserer Süd-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7087
Straußflanke, von erheblicher, lebenswichtiger Bedeutung ist, kann ja wohl bei der Wirkung moderner Waffen und der von ihnen erreichten Zusammenhänge kaum jemand bestreiten.Darum muß hier Friedenspolitik nicht nur darin bestehen, daß die NATO-Armeen auf der einen Seite und die Armeen des Warschauer Pakts auf der anderer Seite nicht aufeinander schießen. Diese Gefahr ist sowieso sehr gering. Die hat es im Laufe der letzten Jahre nie als ernsthaftes Risiko, als Pulverfaß gegeben. Vielmehr müssen die bedrohlichen, die unsere europäische Sicherheit gefährdenden Vorgänge an den Flanken Europas durch guten Willen beiderseits unter Kontrolle gebracht werden.
Auch das verstehen wir unter Friedenspolitik.Hier erwarten wir, daß ein Mann, den ich selber nie für einen Kriegshetzer oder Kriegstreiber gehalten habe und den zu treffen ich am letzten Samstag den Vorzug hatte, daß dieser Mann, der ja auch über eine Summe seines Lebens verfügt, wenn er auch der Vertreter der Kontinuität der sowjetischen Außenpolitik ist, dazu einen Beitrag leistet. Denn hier schürzt sich wieder ein Knoten zusammen, der dann hoffentlich nicht durchhauen werden muß und wie ein gordischer Knoten durchhauen werden wird.Das hat — das Thema ist ja mit Vorsicht und Delikatesse angeschnitten worden — auch etwas damit zu tun, daß die Waffenlieferungen an afrikanische Staaten, ergänzt durch Techniker, Instrukteure, militärische Sondereinheiten und zum Schluß durch kubanische Heereseinheiten, in diesem Kontinent der leidgeplagten armen Menschen im Interesse des Friedens ein Ende nehmen sollten. Selbstverständlich gilt das für alle Seiten. Aber wer damit am meisten gemeint ist, darüber braucht man ja wohl keine langen Erörterungen anzustellen.Wenn man bewegt von Menschenrechten spricht und hier auch gerade an die zum Teil noch weiß regierten südafrikanischen Staaten denkt, dann dürfte man doch nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, daß sich zur Zeit z. B. in einem zentralen afrikanischen Staat ein großes Genocidium, ein regelrechter Völkermord, nämlich in der Provinz Ogaden, vollzieht, daß der „Rote Terror" — so heißt er offiziell — in Äthiopien in großem Umfang Kindererschießungen vornimmt. Das sind doch Tatsachen, die uns als zivilisierte Mitteleuropäer zutiefst aufschrecken müßten. Hier geht es nicht nur darum, daß dieser Kontinent zu einem Spielball, einem Exerzierfeld machtpolitischer Interessen gemacht wird. Hier muß man, wenn man den Begriff „Frieden" ehrlich meint, vielmehr auch das Pulver-faß, das hier angefüllt wird, und die Menschen sehen, die Opfer solcher machtpolitischer Bewegungen sind, und zwar mit schrecklichen Folgen.
Ich meine es nicht hämisch, wenn ich sage: Es ist natürlich leicht, Begriffe wie Entspannung, Abrüstung, Vermeidung von Kriegen, Ende des Wettrüstens, Frieden und Zusammenarbeit in den Mund zunehmen. Ich werte das auch gar nicht ab, etwa in hämischer oder lächerlich machender Weise. Es ist besser, es werden solche Worte gebraucht, als wenn die gegenteiligen Worte gebraucht werden. Denn Worte haben — da gebe ich Ihnen recht, Herr Kollege Hoppe — eine bewegende Wirkung. Schon Worte können psychologisch aufladen oder seelisch entlasten; das ist durchaus möglich. Aber hinter diesen. Worten Entspannung, Abrüstung, Vermeidung von Kriegen, Ende des Wettrüstens, Friede, Zusammenarbeit usw. muß dann auch eine konkludente Politik stehen,
die jedenfalls Annäherung an diese Ziele in sichtbaren Bewegungen ermöglicht. Ich weiß, daß auf diesem Gebiet keine Wunder möglich sind und daß hier nur ein schrittweiser Fortschritt zu erzielen ist.Wir wissen auch, daß wir in unserem Dialog mit dem maßgebenden Vertreter der Großmacht östlich unserer Nation keine unerwünschten Nebenwirkungen im Westen hervorrufen dürfen — ich werde darauf noch mit ein paar Sätzen zu sprechen kom-men müssen —, unerwünschte Nebenwirkungen, die, Herr Bundeskanzler, von Ihnen sicherlich nicht beabsichtigt sind — denn Sie sprechen ein so gutes Amerikanisch, daß wir daneben mit unserem europäischen Englisch manchmal gar nicht mehr so recht mitkommen —,
aber Nebenwirkungen, die — einmal in die Welt getreten — eine Eigengesetzlichkeit zu entfalten pflegen. Denn das Mißtrauen gegen die Deutschen ist natürlich auf mehr Seiten als nur auf einer Seite tief verwurzelt.Unserer Politik tut nicht Gefälligkeit, nicht Entspannungseuphorie, nicht Liebedienerei nach allen Seiten not. Unserer Politik tut in erster Linie Augenmaß und Berechenbarkeit not.
Bei einer deutschen Außenpolitik, die nicht den roten Faden der Berechenbarkeit
sowohl für die Freunde auf unserer Seite am Konferenztisch als auch für die Partner — ich sage nicht, Herr Wehner: Feinde — oder eventuellen Gegner auf der anderen Seite des Konferenztisches hat, wird sich zum Schluß eine Übereinstimmung aller zumindest im Mißtrauen gegen uns ergeben.Der Besuch hat seine lange Vorgeschichte. Die mehrmalige Verschiebung ist auf gesundheitliche Gründe zurückgeführt worden. Das mag richtig sein. Aber sicherlich ist der Besuch — sei es durch höhere Fügung, auch wenn man nicht an die Vorsehung glaubt, sei es durch bewußte Wahl des Zeitpunkts — in einem richtigen Abschnitt erfolgt, in dem Abschnitt, in dem es atmosphärische Störungen über dem atlantischen Bereich gab, z. B. den sinnlosen Streit um die Neutronenwaffe. Ich möchte hier jetzt zwar nicht die Diskussion des 13. April
Metadaten/Kopzeile:
7088 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Straußwiederholen, aber wenn man darüber diskutiert, ob die Strahlungswirkung bei Wegfall von Hitze und Druck die bessere Waffe ist oder ein Minimum an Strahlungswirkung bei verstärkter Hitze und verstärktem Druck, so zeugt gerade diese Diskussion von einer Perversion des Denkens.
Ich habe in jener Zeit ein hartes Wort an die Adresse der amerikanischen Politik gerichtet. Mit Bezug darauf, Herr Bundeskanzler, darf ich Ihnen für die Schützenhilfe danken, die Sie mir gewährt haben, obwohl Ihre Parteifreunde so gegen mich gewettert und mich in ihrer so beflissenen Haltung gegenüber dem amerikanischen Präsidenten der Vergiftung der deutsch-amerikanischen Beziehungen bezichtigt haben. Aber Sie sagten auf einer Tagung, zu der Sie einen der schärfsten Kritiker der heutigen amerikanischen Außenpolitik, nämlich Herrn Henry Kissinger — ich gebe zu: einen gemeinsamen Freund —, eingeladen hatten:Meine dritte Bemerkung gilt der Rolle Amerikas in der Welt . . . Das Problem ist zum ersten, daß diese Führungsrolle— der Amerikaner —ausgeübt werden muß, ohne daß sie allzu laut und allzu deutlich ausposaunt wird. Das ist sehr schwer; ich habe darin einige Erfahrungen. Immer wenn einer meint, er wisse, was richtig ist, und er sagt es den anderen, dann wird er gleich beschuldigt, er wolle dominieren oder doch einen Feldwebel spielen.Da scheint so ein kleines Trauma in der Landschaft herumzugeistern.
Auch die von mir angebotene Beförderung zumOberfeldwebel hat das anscheinend nicht abgebaut.Sie sagen dann weiter:Trotzdem ist es unvermeidlich. Man kann die Bescheidenheit nicht so weit treiben,— wer würde da bei Ihnen schon in die Versuchung verfallen? —
daß man zwar glaubt, man wisse, was richtig ist, sagt es aber lieber nicht.Dann geht es später weiter:Nun ist es nicht so, daß die USA allein alles wissen.— Da werden Sie auch nicht Widerspruch kriegen; aber es ist die Art und Weise, wie Sie das in diesem Zeitpunkt so dramatisch bis bramarbasierend sagen. —Es gibt auch in Europa eine ganze Menge Intelligenz und Erfahrung ...— Sicherlich haben Sie dabei auch an sich selbst gedacht, und nicht mit Unrecht. —
Nein, die Amerikaner selber haben ihre Führungsrolle auf dem ökonomischen Gebiet wederakzeptiert noch schon verstanden, was ja dieVoraussetzung wäre dafür, sie zu akzeptieren.Ich möchte hier in der Verlesung nicht fortfahren. Das ist die Rede, die im Bulletin vom 8. Mai 1978 abgedruckt worden ist, also in der jüngsten Ausgabe.Ich wage nicht auszudenken, was gewesen wäre, wenn ich das gesagt hätte. Sie können aber davon ausgehen, daß ich einen Teil dessen jedenfalls in meiner Ihnen gegenüber untergeordneten Rolle gedacht habe.
Ich bin dankbar dafür, daß Sie den Part dann selbst übernommen haben.Aber ohne Zweifel liegen hier atmosphärische Störungen über dem atlantischen Bereich. Ich erinnere an den sinnlosen Streit um die Neutronenwaffe.Auf der Seite der Sowjetunion besteht der wirtschaftliche Zwang zur Zusammenarbeit aus technisch-industriellen Abläufen heraus. Ich bin nicht so töricht oder so primitiv, zu sagen: „Die Sowjets stehen vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch; deswegen ist L. Breschnew gerade noch gekommen, um von uns Kredite zu bekommen, um dieses schreckliche Ereignis aufzuhalten" oder ähnlichen Blödsinn.Aber die Sowjetunion steht ohne Zweifel unter einem industriell-wirtschaftlichen Druck; denn die rasche naturwissenschaftliche Entwicklung, die technische Anwendung — d. h. die Entwicklung neuer Techniken; man sagt leider „Technologien", was ich für eine Verfremdung der deutschen Sprache halte —, die daraus entspringende Entwicklung neuer Techniken und ihr Einsatz im wirtschaftlichen Bereich, im industriellen Bereich haben Sachzwänge geschaffen, bei denen man mit einem starren, aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammenden System und seiner von Funktionären durchgesetzten Anwendung in der Gesellschaft von morgen nicht mehr zurechtkommen kann.
Das ist ohne Zweifel einer der Gründe, warum die Sowjetunion Interesse hat, mit dem Westen — hier vornehmlich mit der noch großen Industriemacht, wenn auch politischen und militärischen Mittelmacht Bundesrepublik Deutschland, aber auch mit anderen Industrienationen — zusammenzuarbeiten. Hier beginnt auch für uns die Überlegung, wo die Möglichkeiten, der Sinn, die Grenzen, Chancen und Risiken dieser Zusammenarbeit liegen.Ich spreche hier nicht — damit das nicht primitiv mißverstanden wird — einem Nein zu einer solchen Zusammenarbeit das Wort. Aber die Frage der Ausfüllung und der Konsequenzen, die sich dann aus der Ausfüllung ergeben, muß die Bundesregierung und muß selbstverständlich auch dieses Parlament einer bis ins einzelne gehenden Prüfung unterziehen.In dieser politischen Landschaft liegen die Verhandlungen über MBFR, wobei man immer mehr
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7089
Straußvon „forces reduction" und weniger von „balanced" hört. Ich glaube, Herr Bundeskanzler, wir sollten uns darin einig sein, daß man bei der Formel „annähernde Gleichheit und Parität", wie es in der Deklaration oder im Kommuniqué heißt — ich glaube, in der Deklaration —, nicht davon ausgehen kann, daß westliche Truppen qualitativ hochwertiger und technisch besser ausgerüstet sind als die Truppen des Warschauer Paktes und der Sowjetunion. Das wäre eine völlig verfehlte, hochmütige Einstellung auf unserer Seite. Die mag vielleicht den ersten Kriegsmonaten des Zweiten Weltkrieges entspringen, hat aber für die zweite Hälfte des Zweiten Weltkrieges und für die Zeit danach bestimmt keine Berechtigung mehr. Selbstverständlich ist für uns die Bundeswehr keine heilige Kuh. Sie ist auch kein Selbstzweck, sie ist auch nie als Selbstzweck geschaffen worden. Aber die annähernde Parität und Gleichheit, qualitativ und quantitativ, muß im Westen von der Gesamtheit des Bündnisses erbracht werden,
d. h., sie darf nicht durch Einflußmöglichkeiten auf die Stärke der Bundeswehr angestrebt oder durchgesetzt werden; denn der Westen muß die Parität und die Gleichheit in seiner Gesamtheit erbringen. Wenn der Westen in seiner Gesamtheit die annähernde Parität und Gleichheit erbringen muß, muß es der NATO und damit auch uns überlassen werden, wie dieses Kontingent insgesamt aufzufüllen ist.Ich bin mir der Kostspieligkeit der Bundeswehr bewußt, und militärische Rüstungen sind kein Zweck für sich selbst, sondern höchstens Mittel zu dem Zweck, in Sicherheit zu leben. Wir haben bewußt keine Nationalarmee, sondern eine Bündnisarmee aufgebaut. Unsere Armee ist als Nationalarmee überhaupt nicht einsetzbar. Das ist auch der Irrtum mancher Bundeswehrreformpläne. Ich bedaure das auch nicht; denn so ist sie konzipiert, aufgebaut, von sämtlichen Verteidigungsministern beibehalten und ausgebaut worden. Sie ist eine Bündnisarmee, und das Bündnis muß von sich aus festlegen, wie diese Last verteilt wird. Wir haben keine Lust, einen maximalen Teil der Last zu übernehmen, aber wir müssen bereit sein, wenn andere sich nicht in der Lage sehen, ihren Teil zu erfüllen, jedenfalls von unserer Seite mit gutem Beispiel die Lücke zu füllen, wenn es gewünscht wird. Darum ist die Frage der annähernden Gleichheit und Parität eine Frage der Gesamtheit des Bündnisses auf europäischem Boden und kann nicht zum Gegenstand eines vertraglichen Interventionsrechtes des Vertragspartners auf diesem Gebiet werden. Mehr nicht.
Es gibt SALT II, die Begrenzung der strategischen Rüstung. Dann gibt es, durch vier Hauptstädte ausgedrückt — Genf, Helsinki, Belgrad und Madrid —, die Themenreihe KSZE. Hier wissen die Sowjetunion und ihre Führung ganz genau, daß zwischen dem, was in der Schlußakte feierlich unterschrieben und garantiert worden ist, und dem, was in Belgrad herausgekommen ist — „Erkläret mir, Graf Oerindur, diesen Zwiespalt der Natur!" —, eine erhebliche Differenz besteht und daß alle unterzeichnendenMächte das Recht haben, auf die Einhaltung dessen, was hier von allen unterschrieben worden ist, nach normalen Maßstäben des gesunden Menschenverstandes zu drängen und daran zu erinnern.Wir sehen auch in Europa, auch wenn wir nicht für alles verantwortlich sind — es geht hier auch um unsere eigene Haut —, natürlich mit Sorge auf die Zukunft Jugoslawiens. Wir sehen nicht zuletzt mit Sorge auf die Entwicklung im Mittelmeerraum, wie erwähnt, auf die Ereignisse in Afrika.Wir wissen aber auch, daß es innere Probleme des Sowjetimperiums gibt, die eine Kooperation mit dem Westen, auch eine Kooperation mit der Bundesrepublik ratsam erscheinen lassen. Wieweit es Führungsprobleme im Kreml der Zukunft gibt, möchte ich dem Astrologen überlassen, aber auch das spielt bei einer langfristigen Prognose sicherlich eine gewisse Rolle.Ich habe von diesem Platz aus die Ehre gehabt, im Januar 1973 — vielleicht erinnern Sie sich — als Antwort auf die Regierungserklärung Willy Brandts für die Opposition, verbindlich für die Fraktion der CDU/CSU, verbindlich zu sagen: pacta sunt servanda. Davon streichen wir auch kein Jota ab. Das ist nicht eine Annäherung an die Regierungspolitik, sondern das ist die Selbstverständlichkeit, daß rechtmäßig zustande gekommene Verträge auch von denen eingehalten werden müssen, die aus gutem Grunde behaupten, sie hätten einen wirklichkeitsnäheren Anlauf, eine bessere geschichtliche Fundierung gehabt und sie hätten bei zäherer Verhandlung und klarerer Formulierung ein für beide Seiten, auf die Dauer gesehen, besseres Ergebnis erzielt.
Es geht hierbei nicht um Rechthaberei, sondern einfach darum, daß diese Verträge bestehen und daß wir, so sehr wir mit der Vorgeschichte nicht einverstanden waren und sind, so sehr wir auch an der unbefriedigenden Tatsache der Unklarheit gewisser Formulierungen, ihrer doppeldeutigen und sogar gegegensätzlichen Auslegung am Rhein und an der Moskwa mit Recht Kritik üben, uns trotzdem an diese Verträge ohne Wenn und Aber und ohne reservatium mentalis, also ohne Dolus im Hinterkopf, gebunden fühlen. Das ist auch vom Kollegen Kohl genauso wie von mir in diesen Gesprächen zum Ausdruck gebracht worden.
— Das ist nicht neu; das habe ich hier schon gesagt und auch wiederholt. — Aber wir müssen schon die Frage stellen: Was enthalten denn diese Verträge? Glauben Sie nicht, daß ich jetzt etwa auf die Einzelheiten einginge, aber die Zehn-Punkte-Entschließung vom 17. Mai 1972, die bekräftigt, daß der Moskauer Vertrag eine friedensvertragliche Regelung nicht vorwegnimmt und keine Rechtsgrundlage für die heute bestehenden Grenzen schafft, muß genauso Bestandteil einer von Regierung und Opposition gemeinsam zu tragenden Ostpolitik sein.
Sie können doch nicht leugnen, daß man bei Äußerungen sozialdemokratischer Politiker — allerdings
Metadaten/Kopzeile:
7090 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Straußwird hier selten die erste Garnitur vorgeschickt, sondern meistens die Ersatzreservisten, die dann das zum Ausdruck bringen dürfen oder müssen, was die anderen entweder denken, aber nicht zu sagen wagen oder hoffentlich auch nicht einmal denken — immer so das Gefühl hat: Möchten hätten wir schon wollen, aber dürfen haben wir uns nicht getraut; das ist so die Karl-Valentin-Komponente in dieser Art Ostpolitik.Gegen diese Entschließung vom 17. Mai 1972 ist der Vorwurf erhoben worden, sie sei ein Störfaktor. Dasselbe gilt ja auch für das Urteil des Bundesverfassunggerichts im Zusammenhang mit der bayerischen Klage gegen die Verfassungsmäßigkeit des Grundlagenvertrags. Bei aller Selbstverständlichkeit des Prinzips „pacta sunt servanda" — und wir wollen in der Opposition so seriöse Partner sein, wie wir es, auch das ist gesagt worden, in der Regierung wären, wenn wir am Tisch säßen — darf nichts darüber hinwegtäuschen, daß der Moskauer Vertrag von uns auch im Interesse der Wahrheit und der Klarheit sowie im Interesse des Wunsches, nicht durch Nebel und Rauchkerzen Verwirrung und Verärgerung zu stiften, so ausgelegt werden muß, wie es in der fast einstimmig angenommenen Entschließung des Bundestages vom 17. Mai 1972 heißt.Das braucht nicht bei jeder Gelegenheit der anderen Seite auf den Tisch gelegt zu werden, das braucht nicht offensiv oder provokativ gesagt zu werden, aber das sollte — sowohl bei uns wie bei denen, die mit uns über den Moskauer Vertrag reden — so sehr Allgemeinbewußtsein sein, daß nicht schrittweise durch die Hintertür, sozusagen schleichend, eine Aushöhlung, eine Entwertung — und das im Sinne der einseitigen Auslegung des anderen Gesprächs- bzw. Vertragspartners — erfolgen kann.Eine unserer Hauptkritiken ist doch nicht, daß wir etwa keine Verträge wollten, daß wir uns dagegen gestemmt hätten, daß wir das Rad der Geschichte zurückdrehen wollten usw.; wer kann das überhaupt als Vorwurf gegen politisch denkende Menschen, auch wenn sie in einem anderen politischen Lager stehen, erheben? Nein, unsere Sorge — ich habe sie von diesem Platz aus ein halbes dutzendmal formuliert — war die — und das ist ja doch nachweisbar —, daß ein und derselbe Wortlaut gegensätzlich zum Teil auch erheblich unterschiedlich interpretiert wird, und das ist. auf ,die Dauer nicht gut. Konrad Adenauer war der Meinung: Vertragstreue hängt auch mit klarem Vertragsinhalt zusammen.
Das ist leider versäumt worden.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt natürlich keine Alternative zur Entspannung. Aber was für ein Wort ist das? Wir sollten doch eigentlich nicht mit so primitiven — darf ich sagen, ungeistigen — Klötzen in der Landschaft herumwerfen. Das ist genau so töricht, wie wenn einer sagt: Die einzige Alternative zum Tod ist das Leben. Stimmt; wer nicht tot ist, lebt noch. Die Frage ist aber dann, w i e das Leben ausschaut. Und es kann doch nie-mand behaupten, daß die im Jahre 1969 begonnene, von mir jetzt kurz glossierte und heute noch mit einigen siegreichen Heldenmetaphern versehene Politik die einzige mögliche Form der Entspannung gewesen wäre.Niemand bestreitet doch, daß es zur Entspannung keine vernünftige Alternative gibt. Aber die Frage ist: zu welcher Entspannung?
Haben denn nicht wir uns — ich sage das nicht aus Gründen der historischen Rechtfertigung — diesem Ziel eines Abbaus der Konfrontation in vollem Bewußtsein der Unversöhnlichkeit der ideologischen Gegensätze und der wirtschaftlich-sozialen Systeme schrittweise angenähert? Aber wir sind nicht so tolpatschig hineingetaumelt, wie es .dann anschlieBend leider geschehen ist. •Es gibt keine Alternative zur Entspannung, aber die Entspannung muß auf sichererem Boden gebaut sein, und sie darf nicht auf dem Irrtum aufgebaut sein, daß der Vertragspartner an der Moskwa Formulierungen anders auslegen kann und anders auslegt, als sie am Rhein oder an der Isar ausgelegt werden.
— Die Isar fließt in einen Strom, der in das Schwarze Meer mündet, und das ist die natürliche SüdostErgänzung Bayerns.
Es mutet natürlich schon etwas zu weihrauchartig an, wenn es heißt: Keine Seite darf eine militärische Überlegenheit anstreben. - Herr Bundeskanzler, ich begrüße es, wenn die Waffen der sogenannten Grauzone wirklich in die Diskussion einbezogen werden. Man muß dann aber wissen, was man darunter versteht.
Dann, wenn darunter auch das taktische Nuklearpotential unserer normalen Streitkräfte verstanden wird, warne ich hier vor einem Paket, bei dem die eine Seite einen Teil ihrer Zerstörungskapazität aufgäbe, den sie aber vertragsgemäß sofort ersetzen kann, während wir etwas aufgäben, was man dann nicht mehr ersetzen kann. Ich hege nicht diesen Verdacht. Als Redner der Opposition möchte ich aber darauf hinweisen. Es muß doch auch einmal möglich sein, die wirkliche militärische Stärke nach normalen Maßstäben und nicht nur mit rhetorischen Phrasen zu bewerten. Seit dem Ende des Zweiten' Weltkrieges hat sich manches in der Welt geändert. Das ist zum Teil auch gut so. Die Welt von Jalta mit der Bipolarität von Washington und Moskau gibt es nicht mehr. Es sind neue Faktoren aufgetreten: die Volksrepublik China, Europa als die ewig werdende Großmacht, große Einheiten wie Brasilien.Die Beziehungen zwischen Rußland und Deutschland sind — das ist heute von anderer Seite gesagt worden — von höchster Bedeutung. An der Richtigkeit dieses Satzes kann überhaupt niemand einen Zweifel haben. Die Frage ist nur, wie diese Beziehungen ausgestaltet werden. Diese Beziehungen sind von höchster Bedeutung für beide Völker. Es
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7091
Straußstimmt: Wenn Russen und Deutsche gegeneinanderstanden, sich in Kriege gegeneinander haben verwickeln lassen oder Kriege begonnen haben, war das ein ungeheures Unglück für beide Völker. Wenn der gegenteilige Zustand bestand, war das für beide Völker ein Glück. Wenn dieser Zustand noch durch echte Partnerschaft und gerechte gegenseitige Anerkennung der nationalen Existenzrechte ergänzt würde, würde ein wahrer Frühling in Europa und in der Welt ausbrechen.
Diese guten Beziehungen müssen auch so gestaltet sein, daß die Nachbarn dazwischen und darum herum deshalb keine Sorgen zu empfinden brauchen. Die guten Beziehungen sind wichtig für Europa, für die atlantische Welt und auch für den Frieden der Welt.Ich möchte hier ganz kurz einige vergiftende Irrtümer und Propagandaparolen erwähnen. Bei dem Gespräch zwischen dem sowjetischen Ministerpräsidenten Kossygin und dem bayerischen Ministerpräsidenten, das in Gegenwart noch einiger anderer Mitglieder der bayerischen Regierung stattgefunden hat, sprach Kossygin davon, daß die Heraufbeschwörung einer Kriegsgefahr nur vor dem Hintergrund der Interessen eines militärisch-industriellen Komplexes verständlich sei. Ich weiß, dieser Terminus technicus „militärisch-industrieller Komplex" — er ist sogar schon einmal von Eisenhower erwähnt worden — wird in der Hauptsache auf die Zusammenhänge zwischen Wirtschaft und Militär in den USA angewandt. Hier könnte es eher so verstanden werden, als ob solche Zusammenhänge für die Bundesrepublik unterstellt würden. Es gibt bei uns keinen militärisch-industriellen Komplex. Wir können unsere sowjetischen Gesprächspartner von der Vorstellung völlig befreien, als ob es bei uns, in dem hochbegabten, hochentwickelten, hochintelligenten deutschen Volk, in seiner wirtschaftlichen oder militärischen Führungsschicht solche Narren gäbe, die glauben, daß durch eine gewaltsame Lösung noch irgendwelche Interessen verfolgt werden könnten. Wenn man uns schon auf Grund unserer Vergangenheit nicht traut, sollte man uns wegen unserer Leistungsfähigkeit von heute und unserer unbestrittenen sachlich-technischen Intelligenz vertrauen. Es gibt keinen militärisch-industriellen Komplex bei uns. Wenn es nach uns ginge, würden wir am liebsten bis zur Stärke einer Polizeitruppe abrüsten, wenn dies die Situation auf beiden Seiten erlaubte.
Heute ist der Krieg nicht mehr der Vater aller Dinge, wie es Heraklit nannte. Heute ist der Krieg, mit den modernen Waffen der Technik ausgetragen, das Ende aller Dinge. Wenn bei diesen Gesprächen — ich bin jetzt an der Grenze zwischen dem notwendigen Maß an Diskretion und dem notwendigen Maß an Darstellung der Probleme — von dem Unsinn, von der Verleumdung gesprochen wird, daß man die Angst vor einem sowjetischen Überfall vorschütze, umgekehrt aber eine annähernde militärische „Parität" schon deshalb brauche, um vor einer ähnlichen Gefahr aus dem Westen geschützt zu sein, so möchte ich hier doch zum Ausdruck bringen, daß es keineneinzigen Staat in der NATO gibt, dessen innere politische Struktur es erlaubte, zur Durchsetzung selbst legitimer politischer Ziele zum Gewehr oder zur Bombe zu greifen. Das ist mit dem System einer parlamentarischen Demokratie, mit dem System einer offenen, mündigen, freien Gesellschaft unvereinbar.
Weder industrielle Kapitäne, kapitalistischetycoons — oder wie immer sie heißen — noch militärische Führer könnten sich dann auch nur eine Stunde lang noch behaupten. Sie würden von den Völkern zum Teufel gejagt werden, wenn sie an einen Krieg dächten, um auf diesem Wege politische Ziele — auch das Ziel der deutschen Einheit — zu erreichen.
Man sollte in Moskau doch endlich einmal begreifen, wie ernst wir es meinen.Natürlich dürfen wir die Frage stellen: Warum ist denn die NATO gegründet worden? Die Begründung für die Errichtung der NATO ist doch nicht von deutschen Revanchisten geliefert worden, die mit dem Popanz einer sowjetischen Gefahr mehr als 500 Millionen Menschen in Europa und Amerika in den Dienst ihrer revanchistischen Politik stellen wollten. Die NATO ist doch aus der von allen europäischen und amerikanischen Partnern seinerzeit angestellten realen Einschätzung der militärischen Lage, der Potentiale und der Absichten auf beiden Seiten gegründet worden.Es liegt — und ich sage das nicht mit einem hämischen Vorwurf oder mit irgendeinem Fußtritt — wirklich an der Führung des Kreml, uns die Angst zu nehmen, die über Westeuropa immer noch wie ein lähmender Schatten liegt. Wir wollen doch alles tun, um es durch Kooperation den anderen möglich zu machen, diese Angst abzubauen. Aber wenn die objektive Notwendigkeit und die subjektive Einschätzung nicht vorhanden wären, dann gäbe es diese NATO heute überhaupt nicht mehr. Die Amerikaner würden ihre Rüstungslast doch lieber noch heute als morgen vermindern. Die übrigen europäischen Staaten haben es zum großen Teil getan. Wir würden es auch liebend gerne tun. Da muß es doch möglich sein, zu objektiven gegenseitigen Maßstäben zu kommen.Aber wie sollen wir diese Sorge verlieren — ich will nicht von „Angst" reden —, wenn wir sehen, wie im Mittelmeer der Knoten eines neuen Konflikts geschürzt wird? Wie sollen wir diese Sorge verlieren, wenn wir sehen, was auf dem afrikanischen Kontinent vor sich geht? Wie sollen wir diese Sorge verlieren — und das habe ich auch mit aller Reverenz zum Ausdruck gebracht —, wenn ein unvernünftig hoher Teil des Bruttosozialprodukts in der Sowjetunion für Rüstungszwecke in Anspruch genommen wird und darunter die Versorgung der Zivilbevölkerung in einem Ausmaß Schaden leidet, daß die Diskrepanz der Lebensverhältnisse zwischen der einen Hälfte der Welt und dem anderen Teil der Welt geradezu schreiend ins Auge springt. Sicherlich sind es auch immaterielle Werte, die den Men-
Metadaten/Kopzeile:
7092 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Straußschen zum Ruf nach der Freiheit veranlassen — Mauer, Stacheldraht, Tötungsmaschinen. Aber es sind auch materielle Werte. Das kommunistische Wirtschaftssystem kann keinen Vergleich bezüglich der Leistungsfähigkeit mit dem demokratischen Wirtschaftssystem aushalten.
Aus dem Grunde müssen wir natürlich die wirtschaftliche Zusammenarbeit auch unter gewissen Zielen und Schwerpunkten vornehmen, die dem Frieden und dem Menschen. dienen.Ich möchte hier, damit diese scharfen Worte nicht falsch verstanden werden, sagen: Ich halte Herrn Breschnew nicht für einen Kriegstreiber. Das russische Volk ist friedliebend. Das russische Volk ist genauso friedliebend wie alle anderen Völker in der Welt es sind, die durch die harte Schule von tausend Jahren europäischer Geschichte mit ihren furchtbaren Blutopfern gegangen sind. Davon können wir überzeugt sein. Gerade deshalb sollen Entwicklungen abgebaut werden — nicht nur in Europa —, die zu einem Punkt führen, dessen Überschreitung dann Gefahren heraufbeschwört, die sich der Kontrolle der politisch Verantwortlichen entziehen können. Mehr als durch Absicht sind Kriege entstanden durch Handlungen, deren nicht vorausschaubare oder aus Blindheit nicht rechtzeitig erkannte Konsequenzen alle Handelnden in den Teufelskreislauf, in den Strudel unwiderruflicher Ereignisse, hineingetrieben haben.
Das ist das echte Gespräch, um das es hier geht.Herr Bundeskanzler, ich will Sie nicht belehren, aber der Ausdruck „Rückversicherungsvertrag" ist in jeder Hinsicht unbegründet. Er ist noch schlimmer, als wenn Sie ;,Rapallo" gesagt hätten.
Schon „Rapallo" würde mißverstanden werden. Rapallo war doch gar nicht das, was es in der Legende geworden ist. Man könnte vielleicht diesen Vertrag — aber auch das wäre schon gewagt — mit dem Berliner Vertrag von 1926 vergleichen, der das Gegenstück zum Locarno-Vertrag war. Es gibt hier keine Vergleichbarkeiten. Aber der Rückversicherungsvertrag — Sie haben es zum Teil angedeutet — stammt aus einer Zeit, in der das Deutsche Reich die größte Militärmacht Europas, wahrscheinlich die größte Militärmacht der Erde war. Er stammt aus dem Alptraum Bismarcks vom Zweifrontenkrieg. Der Rückversicherungsvertrag ist geradezu das klassische Beispiel der Geheimdiplomatie, wie sie eigentlich endgültig vorbei sein sollte und wie sie sicherlich von Ihnen auch nicht betrieben wird; denn in dem Rückversicherungsvertrag war schon der Text geheim.Der Text sah vor, daß Deutschland neutral bleibt, wenn Osterreich Rußland angreift. Die Vorstellung, daß Osterreich Rußland angreifen könnte, vor 90 Jahren noch Gegenstand von Verträgen, regt sozusagen zu kulturmorphologischen Betrachtungen an.
Umgekehrt: Wenn Frankreich Deutschland angriffe,sollte Rußland neutral bleiben. Sollte DeutschlandFrankreich angreifen, brauchte Rußland nicht neutral zu sein. Sollte Rußland Osterreich angreifen, brauchte Deutschland nicht neutral zu sein. Dann gab es die ganz geheime Zusatzklausel, man habe wohlwollendes Verständnis für die russischen Balkaninteressen, auch wenn es daraum ginge, garder la clef de son empire, nämlich um den Zugriff zu den Dardanellen.Das war damals der Sinn des Rückversicherungsvertrags, der allerdings drei Jahre später geplatzt ist. Weil Kaiser Wilhelm II. ihn nicht verlängert hat, ist Bismarck gegangen. Ich wünsche ehrlich, Herr Bundeskanzler, dem von Ihnen unterschriebenen Vertrag eine längere Lebensdauer, eine bessere Auswirkung und einen versöhnenden Abschluß — im Gegensatz zum deutsch-russischen Rückversicherungsvertrag, auf den Sie sich hier vergleichend bezogen haben.
Wir werden das Wirtschaftsabkommen nach den Gesichtspunkten prüfen, die ich hier angedeutet habe, die im einzelnen zu behandeln heute aber kein Anlaß mehr ist.Wir wollen auch die Berlin-Frage nicht hochspielen. Wir wollen nicht provozieren. Aber auch für Berlin, Herr Kollege Wehner, gilt, daß die Unklarheit der Texte eine Quelle endloser Ärgernisse ist, es sei denn, man sagt: Wenn man sie nicht absichtlich so formuliert hätte, wäre der Vertrag nicht zustande gekommen. Wäre es da nicht besser gewesen, ein Jahr länger zu verhandeln und dann klare Verhältnisse zu schaffen, als einen Herd endloser Ärgernisse hervorzurufen?In seinem Interview in „Panorama" — Panorama ist ja ein Rundblickgerät — sagte der Bundeskanzler zum Stichwort Berlin:Wenn nicht wir Deutschen oder unsere Medien künstlich dafür sorgen — oder auch die Medien im anderen Teil Deutschlands künstlich dafür sorgen — es wird immer mal Zweifelsfälle und Interessenkollisionen geben, aber ich habe nach den Unterhaltungen mit dem sowjetischen Generalsekretär nicht das Gefühl, daß wir für die nächste Zeit besondere Sorgen haben müssen.Ich habe gar nicht gewußt, daß der Kollege Wehner ein Medium ist.
Ich habe immer gemeint, der Kollege Wehner ist eine Originalerscheinung sui generis und nicht ein Medium. Ich frage auch Sie, Herr Kollege Wehner: Warum müssen Sie denn den Russen sagen, wann sie sich provoziert zu fühlen haben?
Das wissen die selber ganz genau. Die wissen es, wenn sie objektiven Grund haben. Die wissen es auch, wenn sie es subjektiv spielen müssen.Und jetzt haben wir den Zustand, daß der Regierende Bürgermeister von Berlin im Turnus selbstverständlich auch Bundesratspräsident werden kann und es immer geworden ist. Warum muß man denn
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7093
Straußhier so tun, als ob die andere Seite jetzt pflichtschuldig Alarm schlagen müsse und es hoffentlich noch glimpflich mit Protesten abgehe. Wir brauchen doch nicht noch die Verletzung unserer eigenen Interessen bei diesem Vorgang den anderen in den Mund zu legen!
Ich kenne Ihre Sorgen, Herr Kollege Wehner. Über Ihren Prag-Besuch ist viel gesagt und geschrieben worden. Sie haben sich aufgeregt. Sie haben nicht gesagt, es sei falsch. Sie haben sich aufgeregt, das sei Brunnenvergiftung oder ein Schuß aus dem Hinterhalt, weil man Ihnen in den Mund gelegt hatte, es gebe Abgeordnete, die eine Zumutung für die heutige Regierung in Prag seien. Die haben Sie nicht namentlich genannt. Aber wir waren schon so oft eine Zumutung für Sie, daß wir uns alle hier in diesem Club kollegial solidarisch fühlen.
Herr Abgeordneter Strauß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Bitte.
Verehrter Herr Kollege, haben Sie irgendwo gelesen oder gehört, worauf sich diejenigen beziehen, die, ohne Namen zu nennen und ohne einen Verfasser verzeichnet zu haben, mir das unterstellen?
Wenn Sie geantwortet hätten, Herr Kollege Wehner: „Das ist frei erfunden;
daran ist kein wahres Wort!" — —
Ich sprach von der mir erkennbaren Reaktion. Aber Journalisten haben natürlich die Möglichkeit — die berechtigte Möglichkeit —, ihre Quellen zu verleugnen. Doch wissen Sie: Es gibt halt Leute mit einer einschlägigen Legende. Und wenn ich daran denke, was Sie Ihrem damaligen Kanzler und Bundesparteivorsitzenden bei Ihrem Moskau-Besuch alles angehängt haben, und wenn ich daran denke, wie Sie gegen den Chauvinismus der CDU/CSU seinerzeit in Warschau gewettert haben, dann sagt man halt: Wo Rauch ist, da ist auch ein Feuer. So atypisch ist das, was hier angeblich falsch ist, für Sie bestimmt nicht, Herr Kollege Wehner!
Lassen Sie mich zum Schluß kommen mit dem Dank für die Geduld, deren Nutznießer ich gewesen bin. Auch die Seite des Hauses, die die Regierung im Parlament vertritt, möge meinen Ausführungen entnehmen, daß wir mit großem geschichtlichen Ernst, mit tiefem sittlichen Verantwortungsbewußtsein und in einer gründlichen Kenntnis dessen, was auf dem Spiele steht, an die Prüfung dieser Probleme herangehen und in dem Sinne unserer Mitarbeit nicht aus obstruktiver oder sabotageähnlicher Opposition verweigern werden. Davon kann überhaupt keine Rede sein.
Nur eine Zielorientierung darf nicht verlorengehen: Es gibt ein russisches Volk, und es gibt ein deutsches Volk. Und bei keiner Gelegenheit — ich drücke mich mal so aus — habe ich mich anders geäußert, als daß man mit der künstlichen Legende aufhören soll, daß die Deutschen von heute aus zwei Nationen bestehen. Es gibt keine zwei deutsche Nationen,
auch wenn die Deutschen 1969, schnell vorweggenommen, in zwei Staaten eingeteilt worden sind. Es gibt nur eine deutsche Nation. Und vielleicht ist das, was ich heute sage, sozusagen nur ein Proömium, ein Vorwort zu einem Kapitel der Geschichte, das geschrieben werden muß.
Wenn Rußland, gleichgültig unter welchem System und heute unter dem Kommunistischen Machtsystem, wenn die Führer des Kreml endlich begreifen, daß eine Änderung ihrer Haltung und Politik zu Deutschland in seiner Gesamtheit eine Wende herbeiführen würde — und das meinte Herr Kollege Hoppe —, bei der wir viele Sorgen, aber auch sie viele Sorgen loshätten, wenn sie einmal über den Graben dieser Ideologie, dieser zum Teil pervertierten Geschichtsphilosophie springen könnten, wenn sie begreifen würden, daß eine gerecht behandelte freie deutsche Nation ein dankbarer, gerechter, freundschaftlich verbundener Partner sein wird, dann würden viele andere Sorgen wie Berlin in den Müllkorb der Geschichte gehören. Darauf müssen wir hinarbeiten!
Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat mit einer nüchternen und an der Zukunft orientierten Regierungserklärung das Ergebnis und den Verlauf des Besuches in Bonn und Hamburg gewürdigt. Wer sich dieser Bewertung anschließen will, kann vielleicht noch hinzufügen, daß die Erklärungen, die wir im Zusammenhang mit diesem Besuch aus den Reihen der Opposition gehört haben — und ich sage das mit großem Ernst —, und ein Teil der Erklärungen, die wir heute vernommen haben, zeigen, daß auch Besuche und Begegnungen dieser Art politische Fakten setzen können, die die innerstaatliche Diskussion und die außenpolitische Diskussion in einer positiven Weise beeinflussen.Hier ist etwas gesagt worden über die Rolle der Opposition in der Außenpolitik. Ich habe mich dazu, Herr Kollege Strauß, schon bei anderen Gelegenheiten geäußert. Die Oppositionsrolle in der Außenpolitik kann konstruktiv sein, ohne daß sie aus Akklamation besteht, und sie kann destruktiv sein,
Metadaten/Kopzeile:
7094 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Bundesminister Genscherwenn sie das verleugnet, was an der Politik einer Regierung richtig ist.Ich denke aber, daß es notwendig ist, um eine saubere Diskussionsgrundlage zu erhalten, uns zunächst mit einer Reihe von Vorwürfen auseinanderzusetzen, die gegen Erklärungen des Bundeskanzlers erhoben worden sind, weil sie nicht in dieser Form abgegeben worden sind.Wer die Hamburger Erklärung des Bundeskanzlers wirklich würdigen will und insbesondere das, was er über das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinigten Staaten gesagt hat, der muß seine Zusammenfassung der Rede mit zur Kenntnis nehmen. Der Bundeskanzler hat gesagt:Zusammengefaßt: Die Führungsrolle der Amerikaner wird von uns Deutschen anerkannt. Wir Deutschen wissen sehr gut, daß wir uns for better or for worse dieser Führung anvertrauen müssen. Wir wollen uns ihr auch anvertrauen, wir haben uns ihr seit der Luftbrücke für Berlin anvertraut. Alle haben sich daran erinnert, als wir jüngst den hier in Deutschland hochgeliebten und hochverehrten General Lucius Clay zu Grabe getragen haben. Jeder hat noch einmal daran gedacht, wie. das gewesen ist im Laufe dieser 30 Jahre. Kein Zweifel: Wir wollen die Führungsrolle Amerikas anerkennen, wir haben uns ihr 30 Jahre lang immer anvertraut. Das wird auch so bleiben.Meine Damen und Herren, das ist keine Feldwebelsprache, sondern die Sprache eines Partners, der den Größeren respektiert in seiner größeren weltpolitischen Verantwortung.
Ich denke, man sollte auch noch zur Kenntnis nehmen, daß ,der Bundeskanzler dort, wo er appelliert, die Führungsrolle wahrzunehmen, sich vor allem an den Kongreß und an den Senat gewandt hat, unterstützend für die Absichten des amerikanischen Präsidenten bei der Durchsetzung einer Energiepolitik, die nicht nur energiepolitisch, sondern auch währungspolitisch für die Bundesrepublik Deutschland und für die europäischen Partner der Vereinigten Staaten von ganz entscheidender Bedeutung ist.Meine Damen und Herren, hier ist auch die Frage aufgeworfen worden, warum denn der Bundeskanzler den Bismarckschen Rückversicherungsvertrag überhaupt in die Diskussion eingeführt habe. Man muß fairerweise die Entstehungsgeschichte dieser Diskussion sehen. In dem „Panorama" -Interview ist der Bundeskanzler gefragt worden — ich zitiere jetzt den Fragesteller —:Man sagt,so heißt die Frage an den Bundeskanzler —aus Ihrer Umgebung stamme das Wort oder stamme der Vergleich mit dem Rückversicherungsvertrag Bismarcks von 1887.Dann sagt der Fragesteller bewertend weiter:Dieser Vertrag war allerdings insofern problematisch, als er Interessen ,der Verbündeten ver-letzte und weil er eigentlich auch nicht gedachtwar, im Ernstfall eingehalten zu werden. Ist der Vergleich mit dem Rückversicherungsvertrag nicht in gewissem Sinne problematisch?Ende der Frage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Er ist in anderer Hinsicht auch noch problematisch;
— d. h er macht sich die Bedenken des Fragestellers gegen einen solchen Vergleich zu eigen, fügt jedoch ein weiteres entscheidendes Bedenken hinzu, indem er fortfährt —
denn es handelte sich ja für Bismarck darum, den Rücken freizuhalten für den Fall, daß er im Westen eine Front haben würde, im Westen von Preußen-Deutschland.
Dann kommt der Satz:
In einem anderen Sinne ist diese Parallele vielleicht doch gerechtfertigt.
Nun kommt ein Grundgedanke. Er sagt nämlich über Bismarck, nachdem er die innenpolitischen Gegensätze zwischen Sozialdemokraten und Bismarck dargelegt hat:
. . . und ein Mann, ,der gewußt hat, daß man mit dem damaligen Rußland, der heutigen Sowjetunion, in Frieden leben muß, und der sich darum bemüht hat. Dies ist der gleiche Grundgedanke, der auch diesem 25jährigen Wirtschaftsabkommen zugrunde liegt, das im Laufe des, vorigen Jahres — ich glaube, in meinem Kopf — entstanden ist, weil ich von der Überzeugung ausging, daß es auch in unserem Jahrhundert, auch im nächsten, notwendig ist, die beiden Staaten, die große mächtige Sowjetunion, aber auch die Bundesrepublik Deutschland, auf die Dauer für eine friedliche Entwicklung zu interessieren.
Das ist im Ansatz und im Inhalt das gleiche, was wir doch — hoffentlich — alle denken und was der Kollege Strauß — mit Recht, sage ich — in dem Satz artikuliert hat: Immer dann, wenn Deutsche und Russen zusammengearbeitet haben, ist es ihnen gut gegangen; wenn sie in Kriege verstrickt waren, dann war das zu beider Seiten Lasten. Dieser Ansatz liegt der Erklärung des Bundeskanzlers zugrunde.
Er hat den Rückversicherungsvertrag nicht in die öffentliche Diskussion gebracht. Er ist gefragt worden, hat geantwortet, hat die Bedenken gegen den Vergleich vorgebracht und hat schließlich unser Interesse an einer positiven Zusammenarbeit mit der Sowjetunion unterstrichen. Dazu sollten wir alle ja sagen können.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage deis Abgeordneten Dr. Kohl?
Aber selbstverständlich.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7095
Herr Bundesminister, Ihre Darstellung dieses Vorgangs zwingt zu der Frage: Würden Sie meiner Feststellung zustimmen, daß es überhaupt ,ein Fehler ist, daß die geschichtlichen Perspektiven nicht stimmen und damit auch die Vergleiche, die im Zusammenhang mit dem Bismarckschen Vertrag angestellt worden sind, notwendigerweise zu falschen Ergebnissen führen müssen?
Zweite Frage:
Stimmen Sie meiner Feststellung zu, daß es nicht klug war, diesen Vergleich aus dem Schoße der Bundesregierung nicht nur in diesem Interview, sondern bereits vorher unter die Mitbürger zu bringen?
Herr Kollege, ich kann mich bezüglich beider Fragen auf alles das beziehen, was der Bundeskanzler an Bedenken gegen den Vergleich vorgetragen oder unterstützend hinzugefügt hat.
Diese Bedenken sind klar und eindeutig und machen deutlich, warum eine solche Parallele nicht möglich ist.Der Besuch des sowjetischen Generalsekretärs und die Ergebnisse dieses Besuches, die vor allen Dingen im langfristigen Kooperationsabkommen und in der gemeinsamen Erklärung ihren Ausdruck finden, sind in der Tat ein Ereignis von erheblicher Bedeutung. Ich halte es für legitim, daß im Parlament die Frage aufgeworfen wird, warum denn der Besuch in diesem Zeitpunkt und nicht zu anderer Zeit stattgefunden hat. Aber genauso legitim ist es, zu fragen, ob die Durchführung dieses Besuches zu diesem Zeitpunkt im Interesse der Bundesrepublik Deutschland lag oder nicht. Ich sage: Er lag im Interesse unseres Landes, weil er die Möglichkeit bot, wichtige nationale Fragen und wichtige Fragen des Bündnisses mit der sowjetischen Führung verantwortlich zu erörtern.Diese verantwortliche Erörterung fand vor dem Hintergrund bevorstehender internationaler Konferenzen von außerordentlicher Bedeutung statt. Ich meine den NATO-Gipfel in Washington, ich meine die Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen, ich meine den Wirtschaftsgipfel, und ich meine auch den Europäischen Rat. Das sind vier wichtige europäische und internationale Veranstaltungen, für die wir nicht nur die Kenntnis der Auffassungen der sowjetischen Regierung in persönlichem Gespräch erwarben, sondern auch sachliche Grundpositionen einbringen, die für beide Seiten, aber natürlich vor allen Dingen für unsere Verbündeten von außerordentlichem Interesse sind.Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland und deshalb auch die Gespräche bei einem solchen Besuch finden auf der festen Basis unserer Einbindung in das westliche Bündnis und in die europäische Gemeinschaft statt. Ohne diese Einbindung wäre doch der dritte Schritt der deutschen Außenpolitik, nämlich die Entspannung und der Ausgleich mit dem Osten gar nicht möglich, wenn er nicht in einer für uns unerträglichen Lage enden sollte.
Meine Damen und Herren, deshalb kann bei unseren westlichen Verbündeten ein Mißverständnis über das, was besprochen worden ist, und über die Ziele dieses Besuchs nicht entstehen. Wer einmal die Deklaration in ihrer ganzen Tragweite erfaßt, wird das deutlich sehen.Herr Kollege Strauß hat hier in seinen Ausführungen darauf hingewiesen, daß wir die Sicherheitslage der Bundesrepublik Deutschland nicht nur nach der Stärke der NATO auf der einen Seite und nach den Kräften des Warschauer Pakts auf der anderen Seite beurteilen dürfen, d. h. nach dem Kräfteverhältnis in Europa, sondern er hat auf den Nahen Osten hingewiesen. Er hat auf die Bedeutung Chinas und auf die Entwicklung in Afrika hingewiesen. Meine Damen und Herren, genau das ist die Betrachtungsweise der Bundesregierung und ihrer Verbündeten, daß wir ,die Rahmenbedingungen um Europa herum mit einschätzen, um die Sicherheitslage beurteilen zu können. Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, daß es in einem ost-westlichen Dokument heißt:In Respektierung der Unteilbarkeit des Friedens und der Sicherheit in allen Teilen der Welt werden sie ihre politischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten für dieses Ziel unilateral, bilateral und multilateral einsetzen.Das, meine Damen und Herren, finden Sie zum ersten Mal in einem ost-westlichen Dokument. Es wird vom Tage seiner Unterzeichnung an die Abrüstungs- und Rüstungskontrolldiskussion in einer neuen Dimension beeinflussen. Das haben wir eingebracht. Ich habe überhaupt keinen Zweifel, daß diese Unteilbarkeit des Friedens mit dem Anspruch, sich entspannungsgemäß in allen Teilen der Welt bei der Eindämmung aller Konflikte zu verhalten, auch ihren Ausdruck in der Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen finden wird, ihren Ausdruck in dem finden wird, was das Bündnis bei seiner Tagung in Washington sagt. Hier wird deutlich, daß die Bundesregierung in ihren Gesprächen gerade diese Aspekte unserer gemeinsamen Sicherheit im Bündnis eingebracht hat, die übrigens auch eine Sicherheit der anderen Seite ist, indem wir zu einer Stabilisierung in der Welt beitragen.Dabei hat man sich nicht gescheut, weder wir noch die sowjetische Seite, das zu erwähnen, was uns trennt, weil wir in dieser Deklaration, die ja ganz grundsätzliche Aussagen macht, nicht den Eindruck erwecken wollten, als gäbe es keine Probleme, keine ungelösten Fragen zwischen Ost und West. Deshalb ist die nüchterne Sprache dieser Deklaration auch darin erkennbar, daß es heißt:
Metadaten/Kopzeile:
7096 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Bundesminister Genscher Sie— die Sowjetunion und die Bundesrepublik Deutschland —sehen keine vernünftige Alternative zur friedlichen Zusammenarbeit der Staaten trotz Unterschieden in mehreren Grundpositionen und unterschiedlicher politischer, wirtschaftlicher und sozialer Systeme. Sie bringen ihren Willen zum Ausdruck, den Prozeß der Entspannung auszubauen, zu vertiefen und ihn fortschreitend und dauerhaft zu machen.Meine Damen und Herren, Realpolitik ist, das Trennende nicht zu unterschlagen, aber gemeinsame Ziele dort zu verfolgen, wo sie möglich sind, und Felder der Zusammenarbeit zu suchen.
Mit dieser Deklaration ist nach meiner Überzeugung gleich zu Beginn, in Art. 1, eine gute Grundlage für die Fortsetzung der internationalen Entspannungs- und Abrüstungsdiskussion gelegt worden. Was muß das Ziel dieser Diskussion sein? Wir müssen das Vertrauen stärken, wenn wir Fundamente für konkrete Schritte auf dem Gebiet der Sicherheit und der Abrüstung haben wollen; denn Abrüstungspolitik ist Sicherheitspolitik. Hier handelt die Bundesregierung — ich sage es noch einmal — im Rahmen der NATO.Herr Kollege Strauß hat in seinen Ausführungen in bezug auf MBFR zu Recht darauf hingewiesen, daß aus diesen Beratungen nicht sozusagen Ver- handlungen über die Bundesrepublik Deutschland und über die Bundeswehr werden dürfen, daß es nicht Gegenstand dieser Verhandlungen sein kann, in welchem Ausmaß sich die Bundesrepublik Deutschland und die Bundeswehr an den Reduzierungen beteiligen. Aber es ist doch unbezweifelbar, meine Damen und Herren, daß die direkten Teilnehmer dieser Konferenz alle mit ihren Streitkräften in die Reduzierungen im Reduzierungsraum einbezogen werden, und zwar die Länder, die im Reduzierungsraum liegen, und auch die Staaten, die hier Truppen unterhalten, wie die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten.Daß es notwendig war, sicherzustellen, daß hier nicht Vereinbarungen oder Absprachen speziell über die Bundeswehr getroffen wurden, wird in der Deklaration deutlich, in der es in einem Satz heißt:Beide Seiten bestätigen erneut, daß sie dementsprechend bereit sein werden, sich mit ihren Streitkräften an Verringerungen der direkten Teilnehmer der Verhandlungen gemäß den Modalitäten, die in Wien ausgehandelt werden, zu beteiligen.Keine zweiseitige Absprache, sondern ein gemeinsames, von allen Teilnehmern getragenes Verhandlungsergebnis wird die Grundlage für die Reduzierungen sein, die die Sowjetunion durchzuführen hat, und für die Reduzierungen, die die Bundesrepublik Deutschland durchzuführen hat.Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie uns noch einmal die vom Bundeskanzler und auch vom Kollegen Hoppe schon hervorgehobenen Begriffe erwähnen und untersuchen: Beide Seiten betrachten es als wichtig, daß niemand militärische Überlegenheit anstrebt. Meine Damen und Herren, es hat eine Zeit gegeben, wo militärische Überlegenheit der östlichen Seite in Europa als Garantie für einen Friedenszustand betrachtet wurde, auch in den öffentlichen Darlegungen. Heute unterhalten wir uns nicht mehr über die Frage, ob auf militärische Überlegenheit zu verzichten ist, sondern darüber, wie man das zu bewerkstelligen hat. Hier ist ein neuer, zentraler Gedanke in die Abrüstungsdiskussion eingeflossen, der sich mit der Kraft, die ein solcher Gedanke und Begriff in einer Diskussion nun einmal hat, genauso durchsetzen wird, wie sich Begriffe durchgesetzt haben, an deren Wert man vor Helsinki gezweifelt hat und die heute die internationale und europäische Entspannungspolitik entscheidend beeinflussen.
Deshalb, meine Damen und Herren, bitte ich, über den Wert solcher Begriffe nachzudenken, auch über diejenigen, die dann folgen, wenn es z. B. heißt, die beiden Seiten, die hier zusammensaßen, gingen davon aus, daß annähernde Gleichheit und Parität zur Gewährleistung der Verteidigung ausreichten. Hier wird der Begriff der Gleichheit und der Parität erwähnt. Wir bekommen eine neue Definition der Sicherheit: Gewährleistung der Verteidigung, nicht mehr, kein Offensivpotential.Natürlich wissen wir — wir sind keine Träumer —, daß sich als Ergebnis dieser Deklaration die militärische Lage in Europa nicht von heute auf morgen in Richtung auf das Gleichgewicht verändert. Aber, meine Damen und Herren, wenn man sich einmal auf die Begriffe geeinigt hat in der unbezweifelbaren Erkenntnis, was man auf unserer Seite darunter versteht, dann ist der Ausgangspunkt da für eine konstruktive Diskussion, die uns hoffen läßt, daß wir bei den Verhandlungen in Wien jenem Grundsatz genauso Rechnung tragen, wie er für die strategischen Waffen von den Vereinigten Staaten bei den SALT-Verhandlungen akzeptiert worden ist.Der Bundeskanzler hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die FormulierungIhrer Meinung nach würden angemessene Maßnahmen der Abrüstung und Rüstungsbegrenzung im nuklearen und konventionellen Bereich, die diesem Grundsatz entsprechen, von großer Bedeutung seinzugleich den Grauzonenbereich abdeckt. Wir müssen das alles zusammensehen — konventioneller Bereich, die heutige Grauzone, strategischer Bereich —, um den Begriff des Gleichgewichts zu finden.Der Herr Kollege Strauß hat erwähnt, daß man sich jetzt natürlich nicht selbst in eine schwierige Lage begeben dürfe, indem man die eine Waffe gegen die andere stelle, so daß dann am Ende wieder ein neues Ungleichgewicht entstehe. Das war etwa die Grundlinie seiner Ausführungen.Natürlich wird das nicht geschehen: Wir wissen, daß sich hier nicht nur gleiche Waffen gegenüberstehen, sondern daß das Gleichgewicht auf Grund einer Mischung von Waffensystemen und militä-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7097
Bundesminister Genscherrischen Stärken erhalten wird. Nur, meine Damen und Herren: Unterschätzen wir nicht die Bedeutung dieser Deklaration! Machen wir uns bitte jetzt gemeinsam daran, auf der Grundlage dieser von beiden Seiten erklärten Absicht — mit Unterstützung unserer Partner im Bündnis — eine neue Phase der Abrüstungsdiskussion und Abrüstungsverhandlungen einzuleiten! Dann wollen wir nach Jahr und Tag das Ergebnis prüfen, aber nicht nach Tagen, Wochen und Monaten den Eindruck erwecken, als könne man in einer solchen Zeit etwas abbauen, was in mehr als 30 Jahren in Mitteleuropa entstanden ist. Hier ist nach unserer Überzeugung die politische und sicherheitspolitische Komponente dieser Deklaration zu sehen, die wir hoch einschätzen und die wir deshalb aus Überzeugung in, wie ich hier gar nicht verschweigen will, wirklich geduldigen Gesprächen ,und Verhandlungen in diese Deklaration hineingebracht haben.Ich möchte bei dieser Gelegenheit sagen, daß die Bundesregierung den beiden Staatssekretären des Auswärtigen Amtes, die das Wirtschaftsabkommen und diese Deklaration vorbesprochen und vorverhandelt haben, und ihren Mitarbeitern aus dem eigenen Haus und anderen Häusern für die Gründlichkeit und für die Sorgfalt dankt, die sie aufgewandt haben, um diese Formulierungen zustande zu bringen, mit denen wir jetzt international und im zweiseitigen Verhältnis arbeiten können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir finden hier das Konzept der annähernden Gleichheit und der Parität enthalten. Wir wollen damit unter Ausnutzung dieser gemeinsam ausgedrückten Absicht auch unsere Position für die Sondergeneralversammlung bestimmen. Es wird niemanden überraschen, wenn ich hier sage, daß das Verhältnis von Rüstung und Fähigkeit, den Staaten der Dritten Welt zu helfen, in den Gesprächen eine entscheidende Rolle gespielt hat. Es wird auch ein zentrales Thema für die Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen sein. Nicht ohne Grund und gewiß nicht zufällig waren es ja die ungebundenen Staaten, die Staaten der Dritten Welt, die diese Sondergeneralversammlung beantragt haben — sehr schnell mit unserer Unterstützung —, weil sie kein Interesse daran haben können, daß in einer Zeit, in der in ihren Ländern die elementarsten Bedürfnisse nicht befriedigt werden können, ihre Länder mit Waffen vollgepumpt werden und sich die Industriestaaten durch enorme Rüstungsausgaben selbst die Fähigkeit nehmen, jene Leistungen für die Dritte Welt zu erbringen, die im Interesse der Menschen dort, aber auch in unserem eigenen Interesse liegen; denn die gegenseitige Abhängigkeit wird stärker.Wir haben uns in den Gesprächen mit der sowjetischen Seite gerade im Bereich der Rüstung, Abrüstung und Rüstungsbegrenzung von der Absicht leiten lassen, einen Beitrag zur Weiterentwicklung dieser Diskussion zu leisten, einen Beitrag, der unseren konzeptionellen Grundsätzen und Formulierungen entspricht. Wir haben diese Gelegenheit genutzt, um die gemeinsamen Ziele und Positionendes Bündnisses zu erläutern und insbesondere die jüngste westliche Initiative bei MBFR zu fördern. Wir haben die Gelegenheit genutzt, um deutlich zu machen, daß die Bundesregierung in diesem zentralen Bereich der Sicherheit immer nur im Verband ihrer Bündnispartner handeln kann und wird und will. Die andere Seite hat — auch das wurde deutlich — von uns auch nichts anderes erwartet.Die Tatsache, daß wir nun eine gemeinsame konzeptionelle Aussage formuliert haben, bedeutet nicht — ich wiederhole das noch einmal —, daß wir uns im unklaren wären über die bestehenden Schwierigkeiten, die sich insbesondere beziehen auf die unterschiedliche Beurteilung der Ausgangslage, die unterschiedliche Analyse der Disparitäten und konkret die unterschiedlichen Zahlen, die in Wien für das Streitkräftepersonal auf dem Tisch liegen.
Das zeigt — das wird auch gerade angesichts der konzeptionellen Feststellungen in der Deklaration deutlich —, welche Bedeutung der Klärung der tatsächlichen militärischen Ausgangslage und der Einigung auf Ausgangszahlen zukommt. Deshalb ist die vertrauensbildende Rolle dieser Diskussion von so entscheidender Bedeutung. Wir werden noch vor der Sondergeneralversammlung weitere Gespräche auch mit Vertretern der Sowjetunion führen, um auch in der Vorbereitung dieser Versammlung Kontakte zu haben und Verständigung über Begriffe dort zu erzielen, wo das möglich ist.Wenn bei diesem Besuch viel von Vertrauen die Rede war und wenn Vertrauen eine besondere Rolle in der Abrüstungsdiskussion spielt, so gilt das gleiche auch für Berlin. Es mußte das Ziel unserer Gespräche sein, auch in bezug auf Berlin Mißtrauen abzubauen. Wir haben dabei die Auffassungen der Bundesregierung offen dargelegt. Ich freue mich, daß prominente Sprecher der Opposition die Position der Bundesregierung in der Berlin-Frage unterstützen. Wir sind der Meinung: In der Berlin-Frage ist Klarheit die Voraussetzung für Vertrauen, und ohne Vertrauen ist eine Zusammearbeit auch in diesem Bereich nicht möglich.Vertrauen in der Berlin-Frage ist um so wichtiger, als es hier Gegensätze gibt, die nicht überbrückt sind und die auch nicht das Viermächteabkommen vom 3. September 1971 überbrücken konnte. Das wissen wir alle, und das stellen wir in Rechnung. Ziel des Viermächteabkommens war es, eingebettet in den Modus vivendi in Zentraleuropa für die wichtigsten Fragen des Lebens in Berlin Regelungen zu schaffen.Der Kollege Wehner hat ja auf die Voraussetzung des Viermächteabkommens hingewiesen, nämlich den Moskauer Vertrag und alle anderen Verträge. Ich könnte noch hinzufügen, was Herr Bundestagspräsident Carstens in seiner Eigenschaft als Abgeordneter im Deutschen Bundestag einmal gesagt hat: Das, was im Viermächteabkommen erreicht wurde, war das unter den gegebenen Umständen beste Erreichbare. Das ist auch unsere Mei-7098 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag. den 11. Mai 1978Bundesminister Genschernung. Mehr war nicht erreichbar. Aber es ist viel. Wir hätten uns mehr gewünscht. Aber damit wollen wir arbeiten.Das eben genannte Ziel des Viermächteabkommens müssen wir im Auge behalten, wenn wir mit dem Abkommen umgehen. Deshalb ist es so wichtig, daß in der Deklaration mit ihren sehr kraftvollen Aussagen noch einmal zum Ausdruck gebracht worden ist, daß sich beide Seiten darüber einig sind, daß eine wesentliche Voraussetzung für eine dauerhafte Entspannung im Zentrum Europas die strikte Einhaltung und volle Anwendung des Viermächteabkommens vom 3. September ist. Zur strikten Einhaltung gehört, daß respektiert wird, was die Drei Mächte im Viermächteabkommen der Sowjetunion mitgeteilt haben, nämlich daß sie berücksichtigen, daß die Westsektoren Berlins so wie bisher kein Bestandteil — wie es dann noch in Klammern heißt: konstitutiver Teil — der Bundesrepublik Deutschland sind und auch weiterhin nicht von ihr regiert werden. Der Ausdruck „wie bisher" sollte sagen, daß rechtlich an diesem Punkt durch das Viermächteabkommen nichts Neues geschaffen wurde. Hier haben die Drei Mächte lediglich die Beschränkungen wiederholt, die sie dem Verhältnis von Berlin zur Bundesrepublik Deutschland auf Grund ihrer Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin schon lange vorher aufgelegt haben und die von allen Bundesregierungen auch davor respektiert worden sind.In ihrer Antwort auf das Schreiben der Drei Mächte, das mit dem Viermächteabkommen übermittelt wurde, hat die Bundesregierung ihrerseits bestätigt, daß sie die Ausübung der. Vorbehaltsrechte, d. h. auch die im Viermächteabkommen erwähnten Beschränkungen, auch weiterhin achten werde. Diese Haltung ist auch in diesen Gesprächen noch einmal verdeutlicht worden.Dabei wollen wir nicht übersehen, daß all das, was ich soeben zitiert habe, der Nebensatz ist. Der Hauptsatz im Viermächteabkommen lautet, daß — jetzt kommt es wörtlich — „die Bindungen zwischen den Westsektoren Berlins und der Bundesrepublik Deutschland aufrechterhalten und entwikkelt werden". Bei diesen Bindungen handelt es sich um die bestehenden, mit Zustimmung der Drei Mächte seit langem gewachsenen Bindungen zwischen Berlin und der Bundesrepublik Deutschland, die sich insbesondere auch in der Verflechtung der Rechts-, der Finanz-, der Wirtschaftsordnung usw. ausprägen. Diese Bindungen sind Teil der Realität, auf der der Modus vivendi aufbaut, der dem Viermächteabkommen, der gesamten Ostpolitik der Bundesregierung, also vor allem auch dem Moskauer Vertrag, zugrunde liegt.Das ist die Position, von der aus die Bundesregierung Politik gemacht hat, macht und machen wird. Sie wird sich dabei strikt an das Viermächteabkommen halten und es voll anwenden.Herr Kollege Kohl, um auf Ihre Frage direkt zu antworten: Deshalb konnte weder die Bundesregierung noch irgendein Mitglied der Bundesregierung gemeint sein, als es darum ging, ob es auf unsererSeite immer um ,eine strikte Einhaltung und volle Anwendung ging.
Wenn wir bewerten, was bei einem solchen Treffen und in der Entspannungspolitik möglich ist, wird es sicher darauf ankommen, daß wir uns alle verdeutlichen, was Entspannungspolitik ist. Sicher ist es nicht eine Politik, die die Welt von heute auf morgen verändert, die aus kommunistischen Staaten Demokratien macht, die aus langfristigen Zielen, von denen Herr Kollege Strauß hier gesprochen hat, plötzlich etwas gänzlich anderes macht. Entspannungspolitik kann nicht einmal dazu führen, die Ursachen der Spannungen zu beseitigen, nämlich die fundamentalen Unterschiede und Gegensätze in den Wertvorstellungen. Jedenfalls kann sie das nicht in absehbarer Zeit leisten. Sie kann auch nicht die unterschiedlichen und gegensätzlichen politischen Ziele beseitigen, die sich aus diesen Wertvorstellungen ergeben. Dieser Gegensatz der Werte und der Ziele teilt heute die Welt. Nur wer diesem Gegensatz ins Auge sieht — auch hier in Mitteleuropa —, stellt sich den Realitäten.Die Unterschiede in den Systemen in mehreren Grundpositionen — ich habe das erwähnt — sind in der Deklaration aufgeführt. Aber Entspannungspolitik hat Ziele, die sehr real und sehr wichtig sind. Sie soll die Gegensätze unter Kontrolle halten. Sie soll die Rivalität bekämpfen und auf beiden Seiten Mäßigung in der Verfolgung der eigenen Ziele bewirken, und sie soll, wo immer das möglich ist, durch Ausgleich und Kompromiß Problem nach Problem lösen, um immer mehr Felder gemeinsamer Arbeit zu schaffen und damit Vertrauen zu bilden.
Entspannungspolitik soll in den Bereichen, wo es heute schon gemeinsame Interessen gibt, diese auch entdecken und die Zusammenarbeit fördern. In unserer klein gewordenen Welt werden diese Bereiche gemeinsamer Interessen immer größer. Das wird in der Wirtschaftspolitik besonders deutlich. Alles das, was wir weltwirtschaftlich erleben, betrifft nicht nur die westlichen Industrienationen, es hat ebenso seine Auswirkungen auf die sozialistischen Staaten, möglicherweise hier und dort mit einem zeitlichen Verzug. Es hat seine Auswirkungen auf die Straßen der Dritten Welt, und nur wir alle zusammen können diese Probleme lösen.Entspannungspolitik soll schließlich die Grenzen, die Ost und West in Europa und in Deutschland trennen, durchlässiger machen und den Menschen dienen. Wir wissen als Deutsche, die gezwungen sind, in zwei Staaten zu leben, daß kein Volk mehr Interesse als unser eigenes Volk daran haben kann, daß diese Grenzen durchlässiger werden. Deshalb ringen wir so nachdrücklich darum, daß wir bei allen Verhandlungen, die dazu geeignet sind, Fortschritte machen, eine Atmosphäre des Vertrauens schaffen, in der auch die Fragen lösbar werden, die es heute noch nicht sind, auch die Fragen, die in bezug auf Berlin noch nicht gelöst worden sind und bei denen jeder in der Welt verstehen wird, daßDeutscher Bundestag 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7099Bundesminister Genscheruns das in besonderem Maße und in besonderer Weise nahegeht; denn es gilt der Satz, daß die Herzen der Deutschen in und für Berlin schlagen. Danach richten wir unsere Politik aus.Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland ist auch weiterhin aufgerufen, innerhalb der westlichen Gemeinschaft in der Entspannungspolitik mit den Staaten des Ostens eine aktive und wichtige Rolle zu spielen. Und das ist nicht nur unsere Meinung, das ist nicht nur die Meinung unserer westlichen Partner, sondern es ist ganz eindeutig auch die Meinung der Sowjetunion.Der Besuch des sowjetischen Generalsekretärs und die Art der Bewertung durch die Sowjetunion haben deutlich gemacht, wie hoch man die Bedeutung der Bundesrepublik Deutschland und der deutsch-sowjetischen Beziehungen für die Entspannungspolitik insgesamt einschätzt. Solange wir uns unserer Einbindung in das westliche Bündnis bewußt bleiben, liegt darin keine Gefahr; es liegt darin nur eine Chance. Ich denke, daß wir alle dazu aufgerufen sind, dieses Gewicht und die Chance, die dieses Gewicht bietet, zur Lösung unserer Probleme zu nutzen — im Interesse unseres ganzen Volkes.
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich unterbreche die Sitzung; sie wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt.
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 8/1773 —
Wir kommen zur Fortsetzung der Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Gallus zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 61 des Herrn Abgeordneten Schröder auf:
Ist die Bundesregierung mit mir der Auffassung, daß das Freigabeverfahren der EG für Magermilchpulver zur Verwendung als Eiweiß-Komponente in Mischfuttern zu umständlich und zu schwerfällig ist, und ist die Bundesregierung bereit, in der EG ihren Einfluß dahin gehend geltend zu machen,' daß dieses Verfahren vereinfacht und beschleunigt wird, damit die Futtermittelhersteller in die Lage versetzt werden, ihre Produktion langfristig zu planen und zu kalkulieren und auf diesem Wege gleichzeitig die Voraussetzungen für einen zügigen Abbau der Magermilchpulvervorräte geschaffen werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Schröder, nach dem Auslaufen der sogenannten Kautionsregelung erfolgt seit März 1977 der Verkauf von Magermilchpulver aus öffentlicher Lagerhaltung zur Verwendung in Schweine- und
Geflügelfutter im Wege der Dauerausschreibung. Dieses Verfahren wird ergänzt durch eine monatlich stattfindende Abgabe von Magermilchpulver zum Festpreis an die in den Einzelausschreibungen nicht zum Zuge gekommenen Bieter sowie an andere Kaufinteressenten.
Wenngleich dieses Verfahren bei seiner Einführung nicht die uneingeschränkte Zustimmung der Bundesregierung und anderer Mitgliedstaaten fand, kann nach Ablauf von 13 Monaten und einer entsprechenden Anzahl von Einzelausschreibungen doch festgestellt werden, daß es in organisatorischer Hinsicht funktioniert. Es muß allerdings eingeräumt werden, daß bei dem offensichtlich von Ihnen angesprochenen Verkauf von Magermilchpulver im Rahmen der 14. Einzelausschreibung und dem anschließenden Verkauf zum Festpreis Probleme aufgetreten sind.
Insgesamt gesehen stellen jedoch diese sich ergänzenden Maßnahmen einerseits eine kontinuierliche Versorgung dieses Marktsektors sicher, während andererseits der Kommission der EG der erforderliche Handlungsspielraum zur Verhinderung spekulativer Magermilchpulververkäufe verbleibt.
Allerdings hat die Bundesregierung zur Verbesserung des Verfahrens in der Bundesrepublik Deutschland wiederholt die Einführung eines Währungskoeffizenten gefordert, damit der Absatz von Magermilchpulver in allen Mitgliedstaaten zu den gleichen preislichen Bedingungen im Verhältnis zum jeweiligen Sojapreis erfolgen kann.
Zusatzfrage, Herr Kollege.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, welche Chance räumen Sie dieser Forderung der Bundesregierung ein, einen Währungskorrekturfaktor oder Währungskoeffizienten, wie Sie es nannten, einzuführen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin der Auffassung, daß wir die Forderung so lange erheben müssen, bis wir damit in Brüssel Erfolg haben. Über die Chancen kann ich hier keine Auskunft geben.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da in zahlreichen Artikeln zu diesem Thema immer wieder herausgestellt worden ist, daß die Altbestände, die weggeräumt werden sollen, überwiegend in Norddeutschland liegen: Kann man nicht erreichen, daß die Magermilchpulverbestände in Zukunft besser verteilt gelagert werden, damit alle Futtermittelhersteller mit etwa den gleichen Frachtraten dieses Pulver beziehen können?Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin Ihnen für diese Anregung dankbar. Ich werde das prüfen lassen und Sie schriftlich in Kenntnis setzen, inwieweit diese Möglichkeiten bestehen.
Metadaten/Kopzeile:
7100 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Herr Kollege Kiechle, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, beschränkt sich die Bemühung der Bundesregierung in Brüssel darauf, die Frage immer wieder aufzuwerfen — wie Sie eben sagten —, oder können Sie dem Hohen Hause mitteilen, daß sie mit Nachdruck die von Ihnen offensichtlich als richtig erkannte Zielsetzung verfolgen wird?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir werfen diese Frage nicht nur auf, sondern wir verfolgen sie mit großem Nachdruck und mit entsprechenden Anträgen. Wir können aber über unsere eigenen Anträge in Brüssel nicht allein beschließen.
Zusatzfrage, Herr Kollege Susset.
Herr Staatssekretär, wird diese Forderung seitens der Bundesregierung jetzt auch bei den Beratungen über die Preise, wo es auch ein großes Paket auf- und zuzuschnüren gilt, mit eingebunden?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie wissen, daß die Frage des Magermilchpulvers in das Paket eingebunden ist. Diese Einbindung erfolgte im Zusammenhang mit der Frage der Aussetzung der Intervention für Magermilch insgesamt.
Was bei den Verhandlungen herauskommen wird, kann ich im Augenblick — da die Verhandlungen noch andauern — nicht sagen.
Die Fragen 62 und 63 hat der Fragesteller, Herr Abgeordneter Oostergetelo, zurückgezogen.
Ich rufe .die Frage 64 des Abgeordneten Susset auf:
Hat sich die Bundesregierung über den Inhalt der Schrift „Der Grüne Moloch" eine Meinung gebildet, und wenn ja, teilt sie meine Auffassung, daß er geeignet ist, die Verbraucher in der Bundesrepublik Deutschland irrezuführen und das gute Verhältnis zwischen Verbrauchern und Landwirtschaft zu belasten?
Die folgende Frage steht in einem gewissen Zusammenhang mit der eben aufgerufenen. Herr Staatssekretär, wollen Sie beide Fragen gemeinsam beantworten, wenn der Fragesteller einverstanden ist?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Ja.
Dann rufe ich auch die Frage 65 des Abgeordneten Susset auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, ob der Verfasser der Schrift „Der Grüne Moloch" Beamter des höheren Dienstes bei der hessischen Landesregierung ist, und ist die Bundesregierung bei der hessischen Landesregierung vorstellig geworden, damit gegebenenfalls die erforderlichen rechtlichen Schritte eingeleitet werden?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Susset, die Bundesregierung glaubt nicht, daß das bestehende gute Verhältnis zwischen Erzeugern und
Verbrauchern durch die Veröffentlichung der Schrift „Der Grüne Moloch" beeinträchtigt worden ist, weil sich deren Inhalt und Sprache selbst disqualifizieren. Der Bundesregierung ist bekannt, daß der Verfasser der genannten Schrift Beamter des höheren Dienstes in der hessischen Ministerialverwaltung ist. Es ist daher nicht Sache der Bundesregierung, darüber zu befinden, ob die Aktivitäten des betreffenden Beamten mit den Verpflichtungen im Einklang stehen, die sich für ihn aus dem Beamtenrecht ergehen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung den Wahrheitsgehalt dieses Pamphlets, beispielsweise der Ausführungen auf Seite 4, die lauten:
Die freie und soziale Marktwirtschaft ist im Bereich der Landwirtschaft außer Kraft gesetzt worden. Sie ist nicht mehr frei, da durch einträchtiges Handeln von Gesetzgeber, Bürokratie und Verbandslobby ein Netz von Reglements geschaffen worden ist, das von der Produktion bis zum Absatz bzw. der Vernichtung, vom Milchgeld bis zum Altersruhegeld, von der Steuerbefreiung bis zur staatlichen Verbandsfinanzierung alles regelt, was nur regelbar ist.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung hat offiziell dazu in der Beantwortung keine Stellung bezogen.
Ich kann aber meine Meinung dazu sagen. Ich bin der Auffassung, daß dies keine objektive Darstellung der Situation in der Landwirtschaft vor dem Hintergrund der freien Marktwirtschaft ist. Ich muß aber einräumen, ,daß mit den Marktordnungen der EG unsere ordnungspolitischen Vorstellungen von einer freien sozialen Marktwirtschaftteilweise aufgehoben sind.
Eine weitere Zusatzfrage.
Wie beurteilen Sie dann die weiteren Äußerungen, daß durch die Rechnungseinheiten der EG und, als natürliches Zubrot für die deutsche Landwirtschaft, den sogenannten Grenzausgleich für die Bundesrepublik alles vernebelt wird, wo doch die Bundesregierung und besonders Herr Minister Ertl immer wieder darauf hinweisen, daß der Ausgleich unbedingt notwendig — —
Herr Kollege, ich bitte um Verständnis: das Fragezeichen war schon fällig. Bitte, Herr Staatssekretär.Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Haltung der Bundesregierung zum Grenzausgleich ist der deutschen Öffentlichkeit bekannt und wird derzeit von meinem Minister bei' den Verhandlungen in Brüssel dementsprechend vertreten. Ich bedaure 'sehr, daß der Verfasser dieser Schrift sich
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7101
Parl. Staatssekretär Gallusüber die Wirkungen des Grenzausgleichs und dessen Notwendigkeit, solange wir keine einheitliche Währung in Europa haben, anscheinend nicht im klaren ist.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat der Verfasser dieser Schrift, der ja nach Ihrer soeben getanen Äußerung höherer Beamter der hessischen Landesregierung ist,
nach Ihrer Meinung und nach Meinung der Bundesregierung die einem Beamten, auch ,einem Ruhestandsbeamten, zumutbare Sorgfaltspflicht bei der Behandlung dieses schwierigen Themas nicht sträflich verletzt?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, dies dürfte eine Rechtsfrage sein, die allein vom Beamteerecht her zu entscheiden ist.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Gedenkt die Bundesregierung ob dieser schwierigen und doch auch die europäische Einigung tangierenden schädlichen Aussagen nicht doch noch einmal bei der hessischen Landesregierung vorstellig zu werden?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat durch mein Ministerium mit allen ihren Äußerungen laufend klargestellt, wie sie die Gesamtsituation der europäischen Agrarpolitik einschließlich des Grenzausgleichs sieht. Einer zusätzlichen Darstellung bedarf es 'deshalb nicht. Ich vermute, daß die hessische Landesregierung von sich aus auf diese Frage und die Veröffentlichung dieser Broschüre zurückkommen wird. Auf der anderen Seite haben wir nach unserer Verfassung Meinungsfreiheit, und niemand kann daran gehindert werden, alles, was er sagen zu müssen glaubt, schwarz auf weiß den Bürgern dieses Volkes darzulegen.
Herr Kollege, Sie haben Ihre Zusatzfragen gestellt. Jetzt kommt der Kollege Bayha.
Herr Staatssekretär, können Sie ausschließen, daß diese Broschüre „Der Grüne Moloch" direkt oder indirekt mit öffentlichen Mitteln bezuschußt worden ist? Die gleiche Fragestelle ich in bezug auf den Verbraucherschutzverband Hessen e. V.
Herr Kollege, ich bitte um Verständnis, Ihre Zusatzfrage schließt nicht unmittelbar an die eingereichten Fragen an. Herr Staatssekretär, es liegt bei Ihnen, ob Sie antworten wollen. Ich gebe daher zunächst einmal dem Kollegen Kunz die Möglichkeit einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, wer an der Spitze dieses Verbandes steht, der hier als Verbraucherschutzverband firmiert und als Herausgeber in Frage kommt, und in welchem Verhältnis der Leiter oder die Leiterin zum öffentlichen Dienst steht?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Nach Auskunft aus dem Landwirtschaftsministerium in Wiesbaden besteht dieser Verein zwei bis zweieinhalb Jahre. Die 1. Vorsitzende ist Frau Ingeborg Malz. Weiter sind im Vorstand Herr Hardinghaus und Herr Günter Kunz. Herr Kunz ist der Verfasser von „Der Grüne Moloch".
Herr Abgeordneter Gansel.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung nach dem ersten eindrucksvollen Zitat des Kollegen Susset bereit, die Schrift „Der Grüne Moloch" allen Mitgliedern dieses Hauses zur Verfügung zu stellen, damit sie sich selbst ausführlich informieren können?
Herr
Kollege, auch hierzu muß ich sagen: Diese Frage steht nicht in dem erforderlichen unmittelbaren Zusammenhang mit der eingereichten Frage.
Herr Abgeordneter Kiechle, Sie haben das Wort zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat sich die Bundesregierung angesichts der in vier parlamentarischen Anfragen zur Sprache kommenden Materie wenigstens erkundigt, ob öffentliche Gelder in dieses ominöse Machwerk geflossen sind?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist nicht unsere Aufgabe, dies festzustellen. Dies ist eine Frage, die im hessischen Landtag gestellt werden müßte.
Meine Herren, ich bitte um Verständnis. Sie haben jetzt noch vier Zusatzfragen zu dem gleichen Komplex, Herr Kollege Kiechle. Ich schlage vor, daß ich erst Ihre beiden Fragen aufrufe. Jeder der Kollegen, einschließlich des Kollegen Gansel, kann dann noch zwei Zusatzfragen stellen.
— Sie wollen zu Frage 65 eine Zusatzfrage stellen? Nachdem ich Ihre Zusatzfrage vorhin nicht zugelassen habe: Bitte!
Da ist der rechtliche Zusammenhang gegeben. — Herr Staatssekretär, muß man Angehöriger des Justizministerium sein, um zu wissen, daß die Kritik eines Ruhestandsbeamten am Verbandslobbyismus oder die Zweifel eines Ruhestandsbeamten daran, ob die freie Marktwirtschaft unbedingt auch sozial sein müsse, nicht mit dem Beamtenrecht kollidiert?
Metadaten/Kopzeile:
7102 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Herr Kollege Gansel, Sie haben wieder Pech. Ich kann auch bei dieser Frage keinen unmittelbaren Zusammenhang mit der eingereichten Frage sehen.
Herr Kollege Kiechle, sind Sie damit einverstanden, daß die Fragen 66 und 67 gemeinsam beantwortet werden?
— Nein, Sie haben vier Zusatzfragen; das habe ich Ihnen schon gesagt. —
Ich rufe jetzt also die Fragen 66 und 67 des Kollegen Kiechle auf:
Hat sich die Bundesregierung mit dem Inhalt und vor allem dem Wahrheitsgehalt der vom Verbrauchersdiutzverband Hessen e. V. herausgegebenen Schrift „Der Grüne Moloch" befaßt bzw. wird sie das noch tun, und wenn ja, sieht sie einen Anlaß, etwas dagegen zu unternehmen?
Teilt die Bundesregierung gebenenfalls meine Auffassung, daß durch die Broschüre „Der Grüne Moloch" nicht nur die deutschen Landwirte erheblich verunglimpft werden, sondern auch die staatliche Agrarpolitik in unangemessener Weise diskriminiert wird, und wenn ja, welche Folgerungen zieht sie daraus?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kiechle, die genannte Schrift ist von der Bundesregierung geprüft worden. Dabei wurde festgestellt, daß sie an Unsachlichkeit und an fachlicher Unkenntnis kaum noch zu überbieten ist. Die Bundesregierung zieht daraus den Schluß, daß dem Verfasser und dem Herausgeber an einer Pflege des Dialogs zwischen Erzeugern und Verbrauchern nicht gelegen sein kann. Sie sieht daher keine Veranlassung, inhaltlich Stellung zu nehmen. Sie wird vielmehr — wie bisher — an ihrer Politik des Ausgleichs zwischen Erzeugern und Verbrauchern festhalten und sich weiterhin um eine sachliche Information der Bevölkerung bemühen.
Der „Verbraucherschutzverband Hessen e. V." disqualifiziert sich durch eine derartige Schrift selbst. Besondere Schlußfolgerungen werden deshalb und aus den bei der Beantwortung der ersten- Frage genannten Gründen nicht gezogen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kiechle.
Herr Staatssekretär, bezieht sich die Feststellung, die ich ausdrücklich begrüßen möchte, daß sich das ganze Pamphlet selbst disqualifiziert, und zwar in einer Form, daß Sie noch nicht einmal zu dem Inhalt Stellung nehmen wollen, auf alle Passagen, auf alle Nummern, Ziffern und Kapitel dieser ominösen Schrift?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das bezieht sich auf all jene Passagen, die nach Auffassung meines Hauses nicht den Realitäten unserer agrarpolitischen Situation und dem Verhältnis zwischen Erzeugern und Verbrauchern entsprechen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Da Sie hiermit einschränken, Herr Staatssekretär, andererseits aber trotz der vier gestellten Fragen zu erkennen geben, daß sie zum sachlichen Inhalt nicht detailliert Stellung nehmen wollen
— oder können —, möchte ich meine Frage so formulieren: Können Sie mir wenigstens sagen, welche der Passagen bzw. Kapitel sich in Ihrem Sinne selbst disqualifizieren und es nicht wert sind, daß man sich von seiten der Bundesregierung mit ihnen befaßt?
Herr Kollege, der Herr Staatssekretär wird in der Lage sein, die Zusatzfrage, die sich im Rahmen der Frage hält, zu beantworten.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich möchte mich in meiner Antwort darauf beschränken, daß ich auf Seite 19 Bezug nehme, wo es heißt, daß angeblich in den Nahrungsmitteln in erster Linie Gift enthalten sei. Ich möchte hier klarstellen, daß wir in der letzten Legislaturperiode in diesem Hohen Hause eine ganze Reihe von Gesetzen, die die Bundesregierung vorgelegt hat, verabschiedet haben, nach denen der Verbraucher die Sicherheit haben kann, daß die deutschen Nahrungsmittel gesund sind und entsprechend geprüft werden. Ich erinnere an die Verabschiedung von Gesetzen und Verordnungen auf den Gebieten des Lebensmittelrechts, des Tierarzneimittelrechts, des Futtermittelrechts, des Fütterungsarzneimittelrechts usw. Ich glaube, daß wir hier alles getan haben, um dem deutschen Verbraucher die Sicherheit zu geben, daß er gesunde Nahrungsmittel bekommt.
Meine Damen und Herren, ich will nicht in das Fragerecht eingreifen, sondern nur sagen: Hoffentlich geht es hier nicht nach der allgemeinen Lebenserfahrung, daß die Schrift erst durch die Fragestunde und die Zusatzfragen bekannt wird. Das ist jedenfalls die allgemeine Lebenserfahrung.
Bitte, Herr Kollege Kiechle, Sie haben noch zwei Zusatzfragen.
Ich bin natürlich dankbar dafür, daß auch der Herr Präsident feststellt, sie sollte nicht weiter bekannt werden.
Da Sie aber einen Teil angesprochen haben, Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, ob Sie zwei bestimmte Passagen ähnlich beurteilen, nämlich die von dem „50-Milliarden-Ding" — ohne das jetzt ausführlich zitieren zu wollen — und auf Seite 11 die Behauptung, daß die Trinkwasserverknappung oder -verschlechterung und die gesundheitsschädlichen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7103
KiechleWirkungen vieler Nahrungsmittel einschließlich des Wassers sozusagen staatlich subventioniert würden und von der Landwirtschaft verursacht seien. Unterliegen diese beiden Passagen auch der von Ihnen anfangs gegebenen Beurteilung?Gallus, Parl. Staatssekretär: Ja. Zu den 50 Milliarden möchte ich sagen: Es ist unwahr, wenn man die Rechnung auf diese Weise aufmacht. Ich glaube, jeder kann mit verfolgen, was im Augenblick in Brüssel geschieht. Die Bundesrepublik Deutschland hat einen Selbstversorgungsgrad bei Nahrungsmitteln aus eigener Scholle von 68 %, einschließlich der importierten Futtermittel von 85 %. Trotzdem sind wir der. größte Nahrungsmittelimporteur der Welt. Andererseits kann man der Landwirtschaft nicht global den Vorwurf machen, dadurch, daß sie intensiv wirtschafte, verseuche sie das Grundwasser zu Trinkzwecken.
Letzte Zusatzfrage des Abgeordneten Kiechle.
Herr Staatssekretär, ich möchte es Ihnen einfach machen und Sie deshalb fragen: Sind Sie bereit, mir schriftlich — aufgegliedert und detailliert — mitzuteilen, was an der Schrift wahr ist?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich will es versuchen. Ich hoffe, daß es gelingt.
Ich
fürchte, das wird kein Beitrag zur Verwaltungsvereinfachung sein.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, sich öffentlich vom Inhalt dieser Schrift zu distanzieren, damit keine irrigen Meinungen in der Öffentlichkeit hängenbleiben?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, daß ich das durch die Beantwortung der vier Fragen zur Genüge und einwandfrei getan habe, ohne mich mit dem Inhalt im einzelnen auseinanderzusetzen.
Letzte Zusatzfrage des Abgeordneten Susset.
Herr Staatssekretär, könnten Sie mir dann vielleicht auch schriftlich mitteilen — weil ich nicht annehmen kann, daß Sie die Unterlagen alle dabei haben —, ob es, Tatsache ist, daß 1 480 Gesetze und 2 280 Verordnungen die europäischen Marktordnungen regeln?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Das wird vielleicht die einzige Wahrheit sein, die in der Broschüre steht.
Nach dem, was ich hier in den letzten sieben Jahren als Mitglied dieses Hohen Hauses erlebt habe
und was hier von seiten der EG an Verordnungen durchgelaufen ist, kann ich an dem Wahrheitsgehalt dieser Zahlen kaum zweifeln.
Letzte Frage des Kollegen Gansel.
Herr Staatssekretär, geben Sie der deutschen Landwirtschaft als Grundlage der Existenz vieler Erzeuger und Verbraucher auch in Zukunft eine Chance, wenn „Der Grüne Moloch" eine größere Verbreitung erfährt?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Ja, ich bin der Auffassung, das kommt ganz auf die Sachlage an. Den Erfindern dieser Schrift wäre es zu wünschen, daß diese wieder im Untergrund verschwände.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatsminister Wischnewski zur Verfügung. Frage 91 hat der Herr Abgeordnete Lemmrich eingereicht:
Was hat den Bundeskanzler bei seiner Rede vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarates am 27. April 1978 in Straßburg veranlaßt, zwar die Bemühungen des früheren SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher um ein vereintes Europa zu würdigen — obwohl die SPD am 15. Juni 1950 im Deutschen Bundestag gegen den Beitritt zum Europarat stimmte —, nicht aber Konrad Adenauer zu erwähnen, unter dessen Verantwortung als Bundeskanzler die Bundesrepublik Deutschland Mitglied in allen auf die europäische Einheit gerichteten Institutionen wurde?
Herr Staatsminister.
Ihre Frage beantworte ich wie folgt:Der Bundeskanzler hat bei seinem Aufenthalt in Straßburg am 27. April 1978 zwei Reden gehalten. In seiner Rede anläßlich der Entgegennahme des Louise-Weiss-Preises hat er, wie auch sonst häufig bei anderen Anlässen, das Wirken Konrad Adenauers ausdrücklich gewürdigt.
Falsch ist der von Ihnen suggerierte Eindruck, als habe sich die SPD-Fraktion 1950 gegen den Beitritt zum Europarat schlechthin oder gar gegen das Zusammenwachsen Europas gewandt. Wogegen sie sich aussprach, war, daß Deutschland mit einem Minderstatus, d. h. als Mitglied zweiter Klasse, in den Europarat eintreten sollte, und zwar gleichzeitig mit dem Saarland; beide sollten als assoziierte Mitglieder und nicht als Vollmitglieder dem Europarat angehören. Das Votum der SPD-Fraktion erfolgte auch aus europapolitischer Verantwortung, von der Kurt Schumacher in der Debatte über den deutschen Beitritt zum Europarat sagte:Nun ist es sozialdemokratische Politik, ein politisch und psychologisch starkes Europa zu schaffen.
Metadaten/Kopzeile:
7104 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Staatsminister WischnewskiDaß es dann schon 1951 zur Vollmitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland im Europarat kam, ist nicht zuletzt der Opposition der SPD gegen einen minderen deutschen Status zu verdanken.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, vielleicht könnten Sie mir den Wortlaut der Rede des Herrn Bundeskanzlers vor der Parlamentarischen Versammlung zuleiten. Im Bulletin ist sie noch nicht erschienen. Nachdem ich diese Rede vom ersten bis zum letzten Moment angehört habe, konnte ich von einer Würdigung der Persönlichkeit und des Wirkens von Altkanzler Adenauer nichts darin finden.
Herr Staatsminister.
Wischnewski, Staatsminister: Herr Kollege Lemmrich, ich habe ausdrücklich — und ich muß annehmen, daß Sie das nicht hören wollten — von zwei Reden des Herrn Bundeskanzlers in Straßburg gesprochen und habe ausdrücklich darauf hingewiesen, daß er anläßlich der Rede, die er bei der Entgegennahme des Louise-Weiss-Preises gehalten hat, die Tätigkeit des früheren Bundeskanzlers Konrad Adenauer gewürdigt hat. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Präsident, das ist natürlich schwierig, denn die Frage war klar: Parlamentarische Versammlung.
Herr Kollege, es ist nicht möglich, Kommentare abzugeben.
Ich weiß das, Herr Präsident.
Ich stelle die zweite Frage: Herr Staatsminister, wie hat sich denn dann die SPD bei der Vorlage am 15. Juni 1950 hier konkret verhalten?
Wischnewski, Staatsminister: Ich habe eine ausführliche Aussage zu der Haltung gemacht, die die Sozialdemokratische Partei Deutschlands damals eingenommen hat. Sie wollte nicht, daß die Bundesrepublik Deutschland Mitglied des Europarates minderen Rechts wird. Um das zu verhindern, hat sie sich so verhalten.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Marquardt.
Herr Staatsminister, Sie teilen also meine Auffassung, daß die Kollegen der CDU/ CSU, wenn sie wie viele ausländische Parlamentarier auch an der Preisverleihung teilgenommen
hätten, die Würdigung Konrad Adenauers durch Kanzler Schmidt hätten miterleben können?
Wischnewski, Staatsminister: Ich teile Ihre Auffassung im vollen Umfange.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, daß der Bundeskanzler den Nachfahren Konrad Adenauers wiederholt öffentlich empfohlen hat, sie mögen sich an der Weitsicht dieses Kanzlers ein Beispiel nehmen?
Herr Kollege, ich kann die Zusatzfrage nicht zulassen, weil sie nicht im Zusammenhang mit der ursprünglich eingereichten Frage steht.
Damit ist die Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatsminister Dr. von Dohnanyi zur Verfügung.
Die Fragen 92 und 93 des Abgeordneten Jäger werden gemäß der bisherigen Praxis nach Abs. 2 Nr. 2 der Richtlinien für die Fragestunde für unzulässig erklärt.
Ich rufe die Frage 46 des Abgeordneten Helmrich auf:
Ist die Bundesregierung bereit, deutschen Staatsangehörigen durch eine Versicherung nicht gedeckte unmittelbare und mittelbare Schäden zu ersetzen, die ihnen in Italien durch Terroranschläge wegen Vorgängen in der Bundesrepublik Deutschland entstanden sind?
Bitte, Herr Staatsminister.
Für das Territorium der Bundesrepublik Deutschland hat die Bundesregierung im Zusammenhang mit der vom Kabinett am 3. Mai 1978 verabschiedeten Vorlage über die Staatshaftung auch für Tumultschäden einen verbesserten Schutz des Bürgers vorgeschlagen. Die Bundesrepublik Deutschland kann aber dem einzelnen Bürger das Risiko derartiger Schäden im Ausland nicht abnehmen. Hier zu helfen wird nur durch den Abschluß einer entsprechenden Versicherung möglich sein.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß gerade für derartige Schäden, die durch Tumulte entstehen, bei sämtlichen Versicherungen in aller Regel ein Haftungsausschluß vorgesehen ist?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, das ist bekannt. Es wird dann wohl darauf ankommen, daß die Reiseunternehmen mit den Versicherern
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7105
Staatsminister Dr. von Dohnanyiüber diese Fragen verhandeln. Ich unterstreiche jedoch, daß es kaum möglich sein wird, daß die Bundesrepublik Deutschland eine Haftung für derartige Schäden übernimmt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Soweit es sich bisher übersehen läßt, ist die Anzahl derartiger Schäden und deren Umfang äußerst gering. Sieht die Bundesregierung wegen des relativ geringen Umfangs, der jedoch für den einzelnen geradezu zu einer Existenzgefährdung führen kann — wie in dem von mir herangezogenen Fall —, gleichwohl keine Möglichkeit, zu helfen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung sieht natürlich die Probleme, die für den einzelnen entstanden sind. Aber ich möchte doch darauf hinweisen, daß es hier um eine grundsätzliche Fragestellung geht und daß man keine Ausnahme für einen Einzelfall machen kann, ohne Gefahr zu laufen, daß auf diese Weise am Ende auch von anderen in anderer Beziehung Ansprüche erhoben werden könnten.
Herr Abgeordneter Hasinger, eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, da Sie vorhin auf einen Versicherungschutz abgestellt haben: Kann die Bundesregierung eine Genehmigung derartiger Tarife, die Leistungen für Tumultschäden beinhalten müßten, durch das zuständige Amt in Berlin in Aussicht stellen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Das kann ich im Augenblick nicht übersehen. Die Frage müßte wohl auch in erster Linie an das zuständige Ressort, das Bundeswirtschaftsministerium, gerichtet werden. Ich kann das jedenfalls im Augenblick von dieser Stelle aus nicht beantworten.
Ich rufe die Frage 47 des Abgeordneten Helmrich auf:
Welche diplomatischen Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um gegebenenfalls die italienische Regierung zu veranlassen, solche Schäden zu ersetzen?
Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Der Bundesregierung liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß in Italien staatliche Haftungsfälle eingetreten wären, in denen sich der Geschädigte vergeblich an den italienischen Staat gewandt und dann einer Unterstützung in Form diplomatischer Schritte der Bundesregierung bedurft hätte. Im übrigen gilt das zuvor zu Ihrer Frage 46 Gesagte.
Eine Zusatzfrage.
Besteht die Möglichkeit, daß sich die Haltung der Bundesregierung, wie sie bisher vorgetragen worden ist, eventuell ändert, in-
dem bei derartigen Schäden das Veranlasserprinzip stärker hervorgehoben wird?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich würde meinen, daß ich gerade das Verursacher-
oder Veranlasserprinzip hier vertreten habe.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Ich vermag nicht. einzusehen, inwiefern — —
Herr Kollege, ich bitte um Verständnis. Sie müssen fragen.
Entschuldigen Sie. — Herr Staatsminister, ich bitte Sie, mir die Frage zu beantworten, inwiefern Sie das Veranlasserprinzip hier vertreten, wenn Sie sagen, eine Haftung käme nicht in Betracht, andererseits diese Schäden aber durch politische Vorgänge innerhalb der Bundesrepublik entstanden sind, so daß hier die Veranlassung innerhalb der Bundesrepublik, speziell durch die Selbstmorde in Stammheim, gegeben worden ist.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, Veranlasserprinzip und Verursacherprinzip können ja nicht bis zum Sündenfall zurückverfolgt werden. Wenn man das Verursacherprinzip richtig versteht, dann wird die Kausalkette an der Stelle unterbrochen, wo die Ursache für den Schaden gesetzt worden ist. Die Ursache für den Schaden ist hier ohne Zweifel durch die Vorgänge auf italienischem Territorium gesetzt worden. Deswegen beziehe ich mich in der Beantwortung auch Ihrer Zusatzfrage auf meine Antwort zu Ihrer Frage 47.
Ich rufe die Frage 77 des Herrn Abgeordneten Berger auf:Betrachtet die Bundesregierung den Export von in Deutschland hergestelltem Wehrmaterial, zum Beispiel von U-Booten oder Fregatten, als eine von außen gesteuerte Aufrüstung und ein Geschäft mit dem Tod und der Zukunft armer Völker, das diese um ihre Chance zum wirtschaftlichen Aufbau bringt?Herr Staatsminister.Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung will sich kein Urteil über die Verwendung öffentlicher Mittel durch andere Staaten anmaßen. Allerdings ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die zunehmenden Waffenkäufe durch Entwicklungsländer häufig nicht im Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung dieser Länder sind. Es geht hier weder allein um eine Außensteuerung noch immer allein um Entscheidungen der Entwicklungsländer. Hier besteht vielmehr ein internationaler Zusammenhang, den es durch weltweite Ini-
Metadaten/Kopzeile:
7106 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Staatsminister Dr. von Dohnanyitiativen zur Rüstungskontrolle und Abrüstung zu durchbrechen gilt.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, sind Sie mit mir der Auffassung, daß eine solche pauschale Behauptung, wie sie in meiner Frage enthalten war, kein Beitrag dazu sein kann, eine weltweite Stabilisierung zu erzielen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich halte die Frage so, wie Sie sie gestellt haben, in der Tat für eine verkürzte Darstellung der Zusammenhänge. Ich glaube, meine Antwort hat deutlich gemacht, daß wir in diesem Sinne Ihrer Frage natürlich mit Nein zu antworten haben.
Ich rufe die Frage 78 des Herrn Abgeordneten Berger auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß erst ein stärkerer Druck der Öffentlichkeit sie und andere Regierungen dazu zwingen könnte, auf die drängenden Probleme der Rüstungskontrolle intensiver zu reagieren?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung ist in den Bereichen der Rüstungskontrolle und Abrüstung von sich aus initiativ. Allerdings begrüßen wir jedes öffentliche Engagement für Rüstungskontrolle in der Welt.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, sind Sie mit mir der Auffassung, daß ein Druck der öffentlichen Meinung im Hinblick auf mehr Rüstungskontrolle dann, wenn das eigentliche Ziel, nämlich die Stabilisierung des Friedens, dabei aus den Augen verlorenzugehen droht, auch ein Beitrag zu weniger Frieden sein könnte?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, natürlich kann man jede theoretische Frage wiederum theoretisch beantworten. Praktisch ist es im Augenblick so, daß wir einen eskalierenden Rüstungswettlauf in der Welt haben, der sich, wie ich in der vorangegangenen Antwort festzustellen versucht habe, entgegen den Interessen vieler Entwicklungsländer auch in die Entwicklungsländer erstreckt. Insofern ist in dieser Situation, in der wir uns befinden, jedes öffentliche Engagement für ein Stoppen, für ein Brechen dieses sich eskalierenden Rüstungswettlaufs ein Beitrag zum Frieden.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, sehen Sie eine Chance dafür, ein solches öffentliches Engagement auch in den Ländern unserer östlichen Verhandlungspartner bei den einzelnen Gesprächen der Rüstungskontrollpolitik zu erzielen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ,der Herr Bundeskanzler hat heute morgen zu dieser Frage hier gesprochen. Die Debatte hat gezeigt, daß dies auch das Ziel unserer Gespräche mit Vertretern Osteuropas und der Sowjetunion ist.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatsminister, habe ich Ihre Antworten richtig verstanden, wenn ich sie so interpretiere, daß die Haltung der Bundesregierung in dieser Frage dergestalt war, daß es völlig abwegig ist, einen Druck auf die Bundesregierung zu einer intensiveren Beschäftigung mit diesen Fragen ausüben zu wollen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung engagiert sich für Rüstungskontrolle und Abrüstung. Aber nichts ist so gut, daß es nicht auch besser werden könnte.
Die Fragen 94 und 95 des Abgeordneten Werner werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 96 des Abgeordneten Biechele auf:
Sind nach dem Wissensstand der Bundesregierung neueste Presseinformationen zutreffend, daß 17 Fässer mit dem hochgiftigen Bleitetraäthyl in dem vor Otranto an der italienischen Adriaküste gesunkenen jugoslawischen Frachter „Cavtat" zurückbleiben müssen, daß 81 Fässer mit diesem Gift bereits leck und ausgelaufen waren, bevor sie geborgen werden konnten, und daß 14 weitere Fässer so kaputt waren, daß sie jetzt keinen Tropfen Gift mehr enthielten, und welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus diesem Sachverhalt, falls diese Informationen zutreffen ?
Ich frage den Fragesteller, ob eine gemeinsame Beantwortung mit Frage 97 möglich ist. — Er ist einverstanden.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Präsident, ich hatte eine gemeinsame Beantwortung der Fragen 96 und 97 vorgesehen.
Dann rufe ich auch die Frage 97 des Abgeordneten Biechele auf:Sieht sich die Bundesregierung in der Lage, ihre Antwort zu diesem Sachverhalt weiterhin zu vertreten, die mir Frau Staatsminister Dr. Hamm-Brücher in ihrem Schreiben vom 19. April 1978 auf meine beiden entsprechenden Anfragen gegeben hat , und welche Möglichkeiten sieht sie gegebenenfalls, neue und schwerwiegende Umweltgefahren auch für deutsche Urlauber an der italienischen Adriaküste abzuwehren?Der Fragesteller darf vier Zusatzfragen stellen.Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung hat über die Botschaft in Rom die italienische Regierung um Auskunft gebeten, ob die von Ihnen zitierten Pressemeldungen sachlich zutreffen. Das zuständige italienische Handelsmarineministerium hat versichert, daß die Bergungsaktion abgeschlossen und der Gefahrenherd beseitigt sei. Die bisher durchgeführten chemischen Untersuchungen, die noch fortgeführt würden, hätten bestätigt, daß
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7107
Staatsminister Dr. von Dohnanyikeine Gefährdung für Mensch und Umwelt bestehe. Dennoch werde sich das Handelsmarineministerium wegen der neuen Pressemeldungen nochmals bei den Verantwortlichen vergewissern.Frau Hamm-Brücher hat also seinerzeit, wie aus dem Schreiben vom 19. April 1978 hervorgeht, genau den Sachverhalt mitgeteilt, der der Bundesregierung vom italienischen Handelsministerium über unsere Botschaft in Rom zur Kenntnis gebracht worden war.
Zusatzfrage.
Hat also die Bundesregierung bis zur Stunde keine Gelegenheit gehabt, sich verbindlich darüber zu informieren, ob die Informationen, die in dieser Nummer des „Stern" mitgeteilt worden sind, zutreffen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung beschäftigt keine Taucher. Wir sind also nicht selber getaucht. Aber wir haben den Weg eingeschlagen, der uns möglich ist. Wir haben nämlich die zuständigen italienischen Stellen sofort gefragt. Wie ich Ihnen berichtet habe, erwarten wir von diesen Stellen eine entsprechende Antwort.
Bitte, Herr Kollege.
Sieht die Bundesregierung also Veranlassung oder sieht sie keine Veranlassung, Urlauber vor einem Badeurlaub an der Adria zu warnen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich wiederhole: Wir haben bisher eine verbindliche Auskunft, daß die Gefahrenquellen beseitigt seien. Wir haben uns auf Grund der Pressemitteilungen bemüht, aufzuklären, ob diese Information stimmt. Wir warten auf eine Aufklärung. Wir werden zu diesem Zeitpunkt keine weitere Stellungnahme abgeben.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wird die Bundesregierung, wenn sie diese Informationen erhalten hat, darum besorgt sein, daß sie im erforderlichen Umfang bekannt werden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Sicherlich, Herr Kollege. Wir fragen ja in Italien nach, weil diese Veröffentlichungen erfolgt sind. Wir fragen nicht, weil wir dort etwa selber schwimmen gehen wollten, sondern selbstverständlich wegen der Bevölkerung.
— Wir gehen aber auch nicht baden, Herr Kollege.
Sie haben eine letzte Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist abzusehen, daß die von der italienischen Regierung zugesagten Informationen bald gegeben werden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Davon gehen wir aus, Herr Kollege.
Herr Staatsminister, Sie können sicher sein, daß viele Urlauber dankbar sind, wenn sie recht bald eine Stellungnahme dazu bekommen.
Die Frage 98 des Abgeordneten Dr. Voss wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 99 des Abgeordneten Dr. Voss ist unzulässig, auch wenn der Fragesteller um schriftliche Beantwortung gebeten hat.
Die Frage 100 des Abgeordneten Spranger wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 101 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu tun, daß polnische Dienststellen und in Übereinstimmung mit ihnen polnische und deutsche Reisebüros entgegen den deutsch-polnischen Vereinbarungen die Eintragung der deutschen Geburtsorte vor dem 8. Mai 1945 in polnischer Sprache fordern und ausschließlich nur in urkundenfälschender Fassung anerkennen?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Wie ich in meiner Antwort auf die Frage des Abgeordneten Biehle am 13. April 1978 ausgeführt habe, sind mir bisher keine Fälle vorgelegt worden, in denen die polnischen Konsularbehörden die deutsche Bezeichnung des Geburtsortes in Pässen von Personen, die vor dem 8. Mai 1945 in den Oder/Neiße-Gebieten geboren sind, beanstandet haben. Die Bundesregierung sähe nur dann einen Anlaß zum Tätigwerden in Richtung auf die von Ihnen gestellte Frage, Herr Kollege, wenn ihr derartige Fälle vorgelegt werden sollten.
Herr Kollege, bitte.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, auch den Reiseunternehmen die Auskunft zu erteilen, daß auf Grund unserer Richtlinien Geburtsorte bis zum 8. Mai 1945 in deutscher Sprache und Geburtsorte nach dem 8. Mai 1945 in polnischer Sprache und in Klammern in deutscher Sprache angegeben werden sollen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die von der Bundesregierung in dieser Beziehung gegebenen Richtlinien werden selbstverständlich auch den Reiseunternehmen zur Verfügung gestellt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Wie erklärt sich aber die Bundesregierung, daß diesbezüglich Absprachen
Metadaten/Kopzeile:
7108 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Dr. Hupkazwischen der polnischen Regierung und der deutschen Regierung mit verbindlichem Charakter bis heute nicht möglich waren?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, ich habe soeben gesagt: Mir sind Fälle, wie sie hier beschrieben worden sind, bisher nicht vorgelegt worden. Wenn sie vorgelegt werden sollten, werden wir uns selbstverständlich darum bemühen.
Herr Abgeordneter Gansel, Zusatzfrage.
Herr Minister, teilt die Bundesregierung meine Auffassung, die im Gegensatz zu der in der Frage gebrauchten Formulierung „urkundenfälschender Fassung" steht, daß sich die Betroffenen, wenn es zu solchen Eintragungen polnischer Namen gekommen sein sollte, nicht der Urkundenfälschung schuldig gemacht haben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich gehe hier an sich davon aus, daß ich Antworten zu geben und nicht Fragen zu stellen habe; dies betrifft ja die Fragestellung. Ich möchte infolgedessen die Stellung der Frage und ihre Formulierung hier nicht qualifizieren.
Ich rufe die Frage 102 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Was haben die Überprüfungen der Urteilsbegründung im Spionageprozeß Helge Berger und die danach angestellten eigenen Überprüfungen des Auswärtigen Amtes im Sinne der Ausführungen von Frau Staatsminister Dr. Hamm-Brücher in der Fragestunde vom 23. Februar 1978 mit Bezug auf das derzeitige Wissen des Vertragspartners über die Einzelheiten des jeweiligen Verhandlungsrahmens der deutschen Delegation vor und während der Verhandlungen ergeben, nachdem das Auswärtige Amt die schriftliche Urteilsbegründung der Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 2. November 1977 am 21. Februar 1978 erhalten hat?
Bitte.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Überprüfung der Urteilsbegründung des Oberlandesgerichts Düsseldorf hat nichts Neues ergeben.
Bitte.
Herr Staatsminister, hat die inzwischen mögliche pflichtgemäße Überprüfung des Prozeßverlaufs und der inneramtlichen Vorgänge durch das Auswärtige Amt widerlegt oder bestätigt, was die „Stuttgarter Zeitung" und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 29. Oktober 1977 aus der Verhandlung berichteten, daß nämlich die Gegenseite sofort „bis ins letzte Detail über alle Absichten" und alle „wesentlichen Einzelheiten" aller deutschen Beurteilungen jedes Verhandlungstages unterrichtet war?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, ich hatte früher wiederholt Gelegenheit, auf Ihre gleichgerichteten Fragen zu antworten. Ich habe soeben gesagt — ich wiederhole die Antwort —: Die Überprüfung der Urteilsbegründung des Oberlandesgerichts Düsseldorf hat nichts Neues ergeben.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, da Sie dieser klaren Frage ausweichen, frage ich weiter: Ist durch die Untersuchungen des Gerichts und des Amtes geklärt worden, warum die deutschen inneramtlichen Protokollaufzeichnungen über jeden Tag der Verhandlungen mit der polnischen Delegation dem ganzen Ostblock sofort zugänglich waren, während sie dem Deutschen Bundestag und dem Auswärtigen Ausschuß, den Abgeordneten beim Zustimmungsgesetz bis heute vorenthalten worden sind?
Qualifizierungen der Antwort des Herrn Staatsministers lasse ich nicht zu, aber die Frage. — Bitte.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, Sie nehmen hier auf einen breiten Sachzusammenhang Bezug, der hier so nicht zur Diskussion gestanden hat und nicht zur Diskussion steht. Ich wiederhole die Antwort — die Antwort bezieht sich auf einen konkreten Zusammenhang —: Die Überprüfung der Urteilsbegründung des Oberlandesgerichts Düsseldorf hat nichts Neues ergeben.
Herr Abgeordneter Jäger, Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, sind Sie bereit, den Mitgliedern des Auswärtigen Ausschusses die Texte der einschlägigen Urteile im Fall Berger zur Verfügung zu stellen, damit diese Frage von uns an Hand der Wortlaute geprüft werden kann?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich sehe, Herr Kollege Jäger, hier kein Hindernis, daß Sie zu Urteilen und Urteilsbegründungen Zugang haben, zu denen Sie als Abgeordneter oder zu denen der Ausschuß Zugang haben könnte. Die Bundesregierung ist natürlich nicht ihrerseits befugt, Unterlagen weiterzugeben, die in der Jurisdiktion der Rechtsprechung liegen. Aber der Zugang ist den Abgeordneten im Ausschuß sicherlich möglich.
Ich rufe die Frage 103 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:Wie viele jener 8 000 bis 10 000 Deutschen, für die der Bundeskanzler beim Warschauer Besuch im November 1977 durch eine Härteliste mit über 2 300 Vorgängen bei den zuständigen polnischen Stellen wegen der seit vielen Jahren anhängigen, aber entgegen der rechtsverbindlichen Information zur Familienzusammenführung von 1970 und entgegen den Rechtsverpflichtungen von Artikel 12 Abs. 2 des Politischen Menschenrechtspaktes nicht genehmigten Ausreiseanträge interveniert hatte oder intervenieren ließ, sind inzwischen in der Bundesrepublik Deutschland auf Grund polnischer Ausreisegenehmigungen eingetroffen, und ist die offizielle Intervention des Bundeskanzlers von der VR Polen inzwischen beantwortet worden?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die am 2. Dezember 1977 übergebene Liste enthielt 2061 Fälle von ausreisewilligen Deutschen aus Polen; das dürfte etwa 6 000 bis 7 000 Personen insgesamt entsprechen. Von diesen sind bis zum 5. Mai 1978 480 Fälle, also etwa 1 500 Personen, unserer Botschaft als gelöst bekanntgeworden. Wieviel von diesen ca. 1 500 Personen, denen die Botschaft einen Ein-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7109
Staatsminister Dr. von Dohnanyireisesichtvermerk erteilt hat, inzwischen tatsächlich in der Bundesrepublik Deutschland eingetroffen sind, vermag die Bundesregierung noch nicht festzustellen, da sich nicht alle Einreisenden immer sofort im zentralen Auffanglager in Friedland melden und dann dort auch namentlich erfaßt werden' können.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, meinen Sie, daß jetzt, nachdem der Herr Bundeskanzler nach sechs Monaten sieht, daß äußerstenfalls etwa ein Fünftel der sorgfältig von ihm ausgewählten, seit sieben und mehr Jahren auf die Ausreise wartenden Härtefälle als gelöst betrachtet werden können, während zu vier Fünfteln nicht einmal eine Antwort erfolgte, er noch sagen könnte „Ich kann keinen Satz anders formulieren, als Herr Gierek es getan hat"?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, die Bundesregierung erwartet selbstverständlich, daß die polnischen Behörden in absehbarer Zeit eine weitere Anzahl dieser Fälle lösen werden. Wir werden nicht zögern, wie in der Vergangenheit diese Erwartung auch der polnischen Seite zu verdeutlichen, sobald uns dies notwendig und zweckmäßig erscheint.
Im Augenblick können wir auf den bisherigen Ablauf der Dinge verweisen, wie ich das eben getan habe.
Zusatzfrage.
Befürchten Sie nicht, Herr Staatsminister, daß für die ausstehenden Härtefälle, also für 5 000 Menschen, und für die weiteren ca. 260 000 unerledigten Ausreisebewerber neue hohe deutsche Zahlungen von Polen gefordert werden, oder wissen Sie, ob solche von der polnischen Presse bereits angekündigten Forderungen schon gestellt sind?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf: Ich fürchte das nicht, es sei denn, daß Sie zu häufig auf solche Möglichkeiten hinweisen.
Zusatzfrage, Herr Kollege Hupka.
Herr Staatsminister, wenn wir die Zahlen zugrunde legen, dann hat es ein halbes Jahr gebraucht, daß 1 500 von 7 000 Personen — und das waren Härtefälle — hierher kommen können. Müssen wir mit weiteren anderthalb Jahren rechnen, bevor die. anderen Härtefälle, die der Bundeskanzler in Warschau vorgelegt hat, gelöst werden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, ich kann hier im Augenblick natürlich keine Zusage über den Zeitablauf und über Fristen machen. Aber ich wiederhole, was ich Herrn Kollegen Czaja eben geantwortet habe: Die Bundesregierung wird sich bemühen, die polnische Seite auf den zügigen Ablauf gerade dieser in der Härteliste angegebenen Fälle hinzuweisen. Ich hoffe, daß es dann schneller gehen wird, als es bisher gegangen ist.
Herr Abgeordneter Jäger, eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß die zum Teil erschütternden menschlichen Schicksale, mit denen wir ja nun auch als Abgeordnete bekannt werden, wenn wir mit diesen Aussiedlern zusammentreffen, die Bundesregierung veranlassen sollten, ihre Bemühungen zur Lösung dieser Fälle noch erheblich zu verstärken?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Jäger, ich teile Ihre Auffassung über das Schicksal dieser Menschen. Ich teile nicht Ihre Auffassung über die Möglichkeit, unsere Anstrengungen noch wesentlich zu verstärken. Wir haben eine Menge getan. Wenn man auf die Statistik der letzten Jahre schaut, sieht man ja auch die Fortschritte, die wir gemacht haben. Sie lassen sich ja zahlenmäßig und quantitativ nachweisen. Ich glaube nicht, daß wir unsere Anstrengungen noch wesentlich verstärken könnten.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Müller.
Herr Staatsminister, darf ich Sie fragen, was Sie unter „zügig" verstehen: ein halbes Jahr oder ein Jahr oder was?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe gerade Ihrem Nachbarn, Herrn Hupka, gesagt, daß ich nicht imstande bin, hier Daten oder Fristen zu nennen. Auch Ihre geschickte Rückfrage kann mich dazu nicht veranlassen.
Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister, für die Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts.Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Buschfort zur Verfügung.Die Frage 68 des Herrn Abgeordneten Cronenberg wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 69 des Herrn Abgeordneten Müller auf:Inwieweit stimmt der Hinweis in der Zeitschrift „Arbeit und Sozialpolitik", Nr. 4/1978, S. 146, wonach sich das Defizit der Bundesanstalt für Arbeit in 1979 auf annähernd vier Milliarden
Metadaten/Kopzeile:
7110 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenD-Mark „summiert", während eine Beitragserhöhung um 0,5 Prozent nur 2,4 Milliarden D-Mark einbringen würde, und welche Konsequenzen gedenkt die Bundesregierung gegebenenfalls daraus zu ziehen?
Herr Kollege Müller, zu Ihrer Frage kann ich mich zunächst auf meine Antwort auf die Fragen des Herrn Kollegen Stutzer vom 15. März und 26. April 1978 und die sich damals in diesem Hause anschließende Erörterung der Finanzentwicklung der Bundesanstalt für Arbeit beziehen.
Exakte Aussagen über die Höhe eines Defizits im Haushalt 1979 lassen sich auch heute noch nicht machen. Zur annähernden Höhe des Defizits läßt sich heute folgendes sagen. Wie Sie wissen, wurde nach dem mit dem Bundeshaushalt 1978 vorgelegten Finanzplan ,des Bundes mit einem Zuschußbedarf der Bundesanstalt für Arbeit von 1,2 Milliarden DM für 1979 gerechnet. Für diese Annahmen wurde für 1979 ein Rückgang der Arbeitslosigkeit unterstellt. Nach den der veränderten Arbeitsmarktlage angepaßten Schätzungen des Jahreswirtschaftsberichts 1978 wird man aber mit einem entsprechend höheren Finanzbedarf der Bundesanstalt rechnen müssen. Dessen genaue Höhe hängt entscheidend von der tatsächlichen Einnahmen- und Ausgabenentwicklung im laufenden Haushaltsjahr und von den Ausgabebeschlüssen der Selbstverwaltungsorgane der Bundesanstalt für Arbeit ab. Dabei ist zu berücksichtigen, daß gerade die arbeitsmarktpolitischen Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz zum Teil sogenannte Kann-Leistungen sind, deren Umfang allein von den Selbstverwaltungsorganen bestimmt wird. Dazu gehören insbesondere die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, für die der Haushaltsplan 1978 der Bundesanstalt z. B. 1 Milliarde DM vorsieht.
Hieraus folgt, daß eine gesicherte Einschätzung der Einnahmen- und Ausgabenentwicklung der Bundesanstalt für Arbeit erst im Herbst dieses Jahres erfolgen kann und dann für die Aufstellung des Haushalts 1979 und des dann gegebenenfalls erforderlichen Mittelbedarfs die geeignete Grundlage zu bilden hat. Ich kann auf Ihre hypothetische Frage bestätigen, daß eine Beitragserhöhung von 0,5 % zu Mehreinpahmen von rund 2,5 Milliarden DM im Jahre 1979 führen würde. Ich füge jedoch hinzu, daß es innerhalb der Bundesregierung zu einem derartigen Schritt derzeit weder Veranlassung noch entsprechende Überlegungen gibt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie bleiben also — Sie haben das wieder betont — bei Ihrer Aussage aus der letzten Fragestunde auf eine Frage meines Kollegen Stutzer. Auf die Frage, ob sowohl für 1979 als auch für 1980 eine Beitragserhöhung in der Arbeitslosenversicherung ausgeschlossen ist, sagten Sie: Ich halte es derzeit nicht für denkbar, den Arbeitslosenversicherungsbeitrag zu erhöhen. Nun frage ich: Ergibt sich das auch, wenn diese Voraussage zutrifft?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müller, ich kann nur bestätigen, daß das, was ich damals sagte, heute noch zutrifft.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie fragen, in welche Richtung die Überlegungen gehen, wenn das in der Tat eintritt: in Richtung Arbeitsmarktabgabe oder in Richtung Bundeszuschüsse?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müller, der Haushaltsplan wird im Herbst dieses Jahres aufgestellt. Wir können Ihnen derzeit noch nichts Endgültiges über Einnahmen und Ausgaben sagen. Jedenfalls wird ein Haushaltsplan vorgelegt werden, der Einnahmen und Ausgaben in Übereinstimmung bringt. Unabhängig davon darf ich persönlich sagen, daß ich sehr wohl für eine Arbeitsmarktabgabe wäre; aber diese Frage steht hier jetzt nicht zur Diskussion.
Ich rufe die Frage 70 des Herrn Abgeordneten Höpfinger auf:Wird die Bundesregierung die Forderung des Verbands der Heimkehrer e. V., Kriegsgefangenenjahre in der Form in die Rentenversicherung einzubeziehen, daß neben der Anrechnung als Ersatzzeit die Rentengewährung um die Jahre der Kriegsgefangenschaft vorgezogen werden soll, aufgreifen, und, wenn nein, warum nicht?Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Höpfinger, schon bei den Vorarbeiten zum Rentenreformgesetz und bei der parlamentarischen Beratung über die Einführung der flexiblen Altersgrenze ist die Frage einer besonderen Altersgrenze für bestimmte Personengruppen eingehend erörtert worden. In diesem Zusammenhang hat der Bundesregierung und dem zuständigen Ausschuß des Deutschen Bundestages auch der Personenkreis der Spätheimkehrer vor Augen gestanden. Als Ergebnis dieser Beratungen wurde folgendes festgestellt. Eine auf bestimmte Gruppen abgestellte Regelung hätte sehr schwierige Abgrenzungsprobleme geschaffen. Wahrscheinlich hätte sie auch bei anderen nicht berücksichtigten Gruppen die Forderung nach Gleichbehandlung hervorgerufen. Daher hat sich der Gesetzgeber für eine allgemeine Regelung zugunsten der Personen entschieden, die objektiv in ihrer Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt, d. h. schwerbehindert, berufsunfähig oder erwerbsunfähig sind. Die Forderung des Verbandes der Heimkehrer, die Altersgrenze für das Altersruhegeld für Heimkehrer unabhängig hiervon herabzusetzen, vermag die Bundesregierung deshalb nicht aufzugreifen.In der gegenwärtigen Situation kommen finanzielle Erwägungen hinzu. Die Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherung ist jetzt und in der absehbaren Zukunft dergestalt, daß Mehraufwendungen, wie sie durch eine Herabsetzung der Altersgrenze für Heimkehrer verursacht würden, nicht vertretbar sind.Wenn Sie gestatten, Herr Kollege, würde ich Ihre zweite Frage gern gleich im Anschluß hieran beantworten.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7111
Herr Kollege Höpfinger, sind Sie damit einverstanden? — Dann rufe ich zusätzlich Ihre Frage 71 auf:
Unter welchen Voraussetzungen hält die Bundesregierung die für Kriegsgefangene getroffene Rentenregelung in anderen EG-
Staaten für auf das System unserer Sozialversicherung anwendbar?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Zu Ihrer zweiten Frage bemerke ich folgendes: Wie sich bereits aus der Beantwortung der ersten Frage ergibt, stellen die deutschen Vorschriften über eine vorzeitige Gewährung des Altersruhegeldes nicht darauf ab, ob der Versicherte einem bestimmten Personenkreis angehört, sondern darauf, ob er in seiner Erwerbsfähigkeit in objektiv feststellbarer Weise erheblich beeinträchtigt ist. Sofern andere Rechtsordnungen bestimmten Personenkreisen unabhängig von einer Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit die Möglichkeit zu einem früheren Bezug des Altersruhegeldes verschaffen, würde die Bundesregierung die Übertragung derartiger Regelungen auf die deutsche gesetzliche Rentenversicherung für problematisch halten.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist ,der Verband der Heimkehrer mit seinem Anliegen an die Bundesregierung herangetreten, und wie hat die Bundesregierung dem Verband geantwortet?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Höpfinger, der Verband der Heimkehrer ist mit diesen Anliegen schon häufig an die Bundesregierung herangetreten. Wir haben diese Fragen auch intensiv beraten und gewürdigt. Auch der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung hat sich im Zusammenhang mit mehreren Rentenanpassungsgesetzen mit diesen Fragen beschäftigt.
Dieses Anliegen des Spätheimkehrerverbandes war auch Bestandteil der Erörterung des Berichtes über sogenannte Unzulänglichkeiten in der Rentenversicherung. Ich darf es wiederholen: Wir haben uns sozialpolitisch für eine Regelung zugunsten der Erwerbsgeminderten entschieden; in der derzeitigen Finanzlage ist eine Aufnahme der Forderung des Spätheimkehrerverbandes auch nicht möglich.
Sie haben, wie ich höre, keine weiteren Zusatzfragen. Dann rufe ich Frage 72 des Herrn Abgeordneten Dr. Kunz auf:
Welche Lösungsmöglichkeiten beabsichtigt die Bundesregierung vorzuschlagen, uni ungerechte Nachteile, die zu einer ungleichen Behandlung von Rentnern führen, zu beseitigen, nachdem sie in ihrem Bericht vom 2. Januar 1975 selbst feststellt, daß es Versicherte mit Kriegsdienst- und Kriegsgefangenenzeiten gibt, bei denen die Vorschriften über die Bewertung der Ersatzzeiten zu — zum Teil nicht unerheblichen — Nachteilen führen?
Bitte.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kunz, die Bundesregierung hat wiederholt darauf hingewiesen, daß die ehemaligen Kriegsteilnehmer
und Kriegsgefangenen durch die geltenden Vorschriften über die Bewertung der Ersatzzeiten grundsätzlich nicht benachteiligt werden. Das schließt allerdings nicht aus, daß im Hinblick darauf, daß es sich bei der Regelung der Bewertung der Ersatzzeiten um eine pauschale Regelung handelt, in Einzelfällen nicht so günstige Ergebnisse eintreten. Um diese Einzelfälle geht es wohl.
Die Bundesregierung weist im übrigen auf die zur Zeit gegebene und in der absehbaren Zukunft zu erwartende Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherung hin. Danach ist sie nicht in der Lage, Vorschlage zu Rechtsänderungen zu machen, die zu einem ins Gewicht fallenden Mehraufwand führen würden. Dies gilt leider auch für Rechtsänderungen, die zu Leistungsverbesserungen für ehemalige Kriegsteilnehmer und Kriegsgetangene führen würden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, fühlt sich die Bundesregierung den Versicherten mit Kriegsdienst- und Kriegsgefangenenzeiten nicht in besonderem Maße verpflichtet, nachdem dieser Versichertenkreis in außergewöhnlichem Maße persönliche Opfer und zum Teil Fronarbeit fur unser Volk hat erbringen müssen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bewerte dies schon als ein besonderes Anliegen. Aus dieser Überlegung heraus haben schon die bisherigen Rentengesetze die Ersatzzeitenregelung zugunsten der Kriegsteilnehmer in einer Form getroffen, die wir nun heute kennen und bei der im allgemeinen keine Benachteiligungen eintreten.
Das schließt allerdings nicht aus, daß in Einzelfällen doch Benachteiligungen eintreten; aber das ist der Nachteil pauschalierter Regelungen. Sicherlich möchte man das eine oder das andere gern besser gestalten und dabei mehr auf den Einzelfall eingehen. Aber hier muß man hinzufügen: Derzeit sind solche Überlegungen nicht hilfreich, weil die Finanzdecke dafür nicht vorhanden ist.
Sie Nahen eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sollte die Bundesregierung, da es sich nur um Einzelfälle handelt, nicht doch versuchen, gerade im Hinblick auf diese Einzelfälle, bei denen man vielleicht schon durch eine kleine Verbesserung die Möglichkeit schaffen könnte, dem Anliegen gerecht zu werden, dem Parlament Vorschläge zu unterbreiten?Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kunz, wenn Sie Einzelfälle im Bereich der Kriegsopfer oder der Kriegsgefangenen regeln, muß man davon ausgehen, daß auch andere Personenkreise, z. B. Verfolgte des Nationalsozialismus oder auch Vertriebene und Flüchtlinge die gleichen Forderun-
Metadaten/Kopzeile:
7112 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Parl. Staatssekretär Buschfortgen erheben werden. Hier würden wir dann vor Fragen gestellt werden, die wir auch finanziell nicht lösen können.
Meine
Damen und Herren, der Herr Abgeordnete Hasinger hat zwei Fragen eingebracht. Ich weiß nicht, Herr Kollege, ob Sie mit einer gemeinsamen Beantwortung einverstanden sind.
— Herr Staatssekretär, Sie hätten also die Möglichkeit, die Fragen gemeinsam zu beantworten, und Sie, Herr Kollege Hasinger, haben danach vier Zusatzfragen.
Ich rufe also die Fragen 73 und 74 des Kollegen Hasinger gemeinsam auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß — wie der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Farthmann meint — inzwischen etwa 1/4 aller Rentner höhere Renteneinkünfte hat als das Nettoeinkommen der vergleichbaren Arbeitnehmer?
Beabsichtigt die Bundesregierung — wie dies der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Farthmann für notwendig hält —, zu prüfen, ob künftig nicht die Anpassung von laufenden Renten und von Renten, „die von jetzt ab erworben werden", unterschiedlich geregelt werden soll?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung kann derzeit Informationen nicht bestätigen, nach denen ein Viertel aller Rentner — gemessen am Nettoeinkommen vergleichbarer Arbeitnehmer — höhere Renteneinkommen bezieht. Zur Beurteilung dieses Sachverhalts mangelt es noch immer an aussagekräftigen Statistiken, insbesondere über die Rentenkumulation. Die Bundesregierung erwartet, daß die Ergebnisse der Transfer-Enquete-Kommission in nächster Zeit diese Zusammenhänge aufhellen können.
Zu Ihrer zweiten Frage bemerke ich: Mir ist der Zusammenhang, in dem Herr Minister Farthmann die von Ihnen zitierten Äußerungen getan haben soll, nicht bekannt. Eine unterschiedliche Anpassung der bereits laufenden Renten und der künftig zugehenden Renten wäre nicht nur unter sozialpolitischen, sondern auch unter rechtlichen Gesichtspunkten problematisch. Die Bundesregierung hat daher keine in die Richtung Ihrer Frage zielenden Absichten.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, könnte es nach Kenntnis der Bundesregierung vielleicht sein, daß sich Herr Minister Farthmann bei seiner Behauptung auf statistische Erhebungen des Landes Nordrhein-Westfalen oder einer nordrhein-westfälischen Versicherungsanstalt gestützt hat?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Ich kann nur wiederholen: Ich weiß nicht, worauf Herr Minister Farthmann seine Äußerungen bezieht. Es dürften sicher beachtliche Gruppierungen vorkommen, die über mehr als eine Rente verfügen. Hier brauchte man nur den Bereich des öffentlichen Dienstes als
Beispiel zu erwähnen. Allein dieser Personenkreis dürfte schon nennenswert sein.
Ich kann aber nicht sagen, ob Herr Minister Farthmann Unterlagen, bezogen auf das Land NordrheinWestfalen, hat. Von daher kann ich Ihre Frage nicht beantworten.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sehen Sie nicht ein gefährliches Aufputschen der aktiven Generation gegen die Rentner in den von mir in der Fragestellung zitierten Äußerungen des nordrhein-westfälischen Ministers, insbesondere wenn man auch berücksichtigt, daß er im gleichen Zusammenhang gesagt hat:
Ich kann es mir nicht denken, daß es im Sinne einer sinnvollen Renten- und Sozialpolitik liegt, daß eine finanzielle Belohnung für denjenigen eintritt, der aus der Leistungsgemeinschaft ausscheidet.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube nicht, daß dies die Absicht von Minister Farthmann ist. Ich glaube auch nicht, daß dies dadurch hervorgerufen wird.
Ich vertrete die Auffassung — ich darf das wohl auch für das Ministerium sagen —, daß wir davon ausgehen müssen, daß die Bürger im Alter ihren bis dahin erworbenen Lebensstandard beibehalten können. Wenn wir uns auf eine solche Form verständigen, muß man natürlich die Diskussion zulassen, ob in den Bereichen, in denen im Alter das bisherige Einkommen beachtlich überschritten wird, etwas verändert werden sollte.
Herr
Kollege, Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, sehen Sie vielleicht eine Möglichkeit, daß die Bundesregierung mit dem Land Nordrhein-Westfalen in Verbindung tritt, um eine Abstimmung zwischen der Auffassung der Bundesregierung und der Regierung dieses größten Bundeslandes über wichtigste Zukunftsfragen der Rentenversicherung herbeizuführen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, natürlich werden wir die Fragen, die die Rentenversicherung betreffen, auch mit den Ländern erörtern, soweit deren Sachverstand dienlich ist.
Ich glaube aber, daß es hier weniger um die Einbeziehung des Landes Nordrhein-Westfalen geht, sondern daß es um eine Erklärung geht, wie Herr Minister Farthmann seine Äußerung verstanden wissen wollte. Ich sehe in dieser Hinsicht keine Aufgabe der Bundesregierung.
HerrKollege, Sie haben eine letzte Zusatzfrage.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7113
Herr Staatssekretär, da Sie sich bezüglich meiner zweiten Frage nicht darüber informiert gezeigt haben, in welchem Zusammenhang Herr Minister Farthmann diese Äußerung gemacht hat: Wären Sie damit einverstanden, daß ich Ihnen das Plenarprotokoll des nordrhein-westfälischen Landtags vom 12. April 1978 übersende?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Ja, gern.
Herr Abgeordneter Müller, Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie Fälle nennen, in denen — wie Herr Farthmann gesagt hat — die Rente höher ist als das Nettoeinkommen der vergleichbaren Arbeitnehmer? Ich denke z. B. an höher verdienende Arbeitnehmer, bei denen dieser Effekt durch die Steuerprogression eintritt und an solche Arbeitnehmer, die — Sie haben den Fall selbst genannt — durch die Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst auf 75 % ihres letzten Einkommens kommen, sowie an andere Fälle.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müller, ich fürchte, wir kommen hier in eine Sach- und Fachdiskussion, die man draußen dann kaum mehr verstehen würde.
Aus der Rentenleistung wird man kaum ein Einkommen erzielen können, das das vorausgegangene Nettoeinkommen übersteigt. Wir wissen alle, daß es nicht nur Renten gibt, sondern auch Zusatzversorgungen, betriebliche Altersversorgung sowie noch einige andere kumulative Einkommen. Natürlich gibt es Fälle, in denen das spätere Einkommen höher ist als das vorausgegangene Nettoeinkommen.
Hier verfügen wir eben nicht über gesicherte Erkenntnisse. Es wäre gut, wenn wir die Behandlung dieser Fragen zurückstellten, bis die Ergebnisse der Beratungen der Transfer-Enquete-Kommission vorliegen.
Noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Müller.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Meinung von Minister Farthmann — ich darf zitieren , „daß wir die Rentenformel . . . überprüfen müssen"?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich weiß nicht, ob Herr Farthmann das so gesagt hat. Ich weise darauf hin, daß wir uns gerade im Ausschuß eingehend über diese Fragen unterhalten haben. Ich brauche diesen Beratungen eigentlich nichts hinzuzufügen.
Herr Abgeordneter Dr. Steger.
Herr Staatssekretär, würden Sie bestätigen, daß die sehr unterschiedlichen Rentenhöhen letztlich doch nur Ausdruck der sehr unterschiedlichen Einkommensverteilung sind, daß man, wenn man die Renten näher aneinander heranführen wollte, dies auch bei den Einkommen tun müßte und daß derartige Diskussionsansätze bislang von der Opposition immer als sozialistische Gleichmacherei verunglimpft worden sind?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Steger, zunächst einmal gehe ich davon aus, daß wir in der Rentenversicherung die Prinzipien der Leistungshöhe und der Leistungsdauer haben und diese zu einem Rentenergebnis führen.
Sicherlich haben Sie recht, daß der Abstand zwischen niedrigen und hohen Einkommen früher wesentlich schlechter als heute war und sich dadurch große Differenzen ergaben. Es wäre schon angemessen, hier für ein wenig mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Einen ersten Schritt haben wir mit der Rente nach Mindesteinkommen getan. Es ließe sich natürlich sehr vieles noch viel besser machen. Aber dafür steht zur Zeit nicht das notwendige Geld zur Verfügung.
Eine Zusatzfrage der Frau Kollegin Pieser. Dann gehen wir zur nächsten Frage über.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß bis zum Zeitpunkt einer Überprüfung von Kumulierungseffekten gewisser Renten und Altersversorgungsleistungen davon ausgegangen werden muß, daß diese jeweiligen Versorgungsleistungen auf Grund von Rechts- oder tarifrechtlichen Ansprüche legitim sind?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Davon gehe ich aus.
Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung beantwortet.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verteidigung auf. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. von Bülow zur Verfügung.Der Herr Abgeordnete Schmidt hat die zwei von ihm eingereichten Fragen — 75 und 76 — zurückgezogen.Der Herr Abgeordnete Wohlrabe hat soeben gebeten, daß die zwei von ihm eingereichten Fragen —81 und 82 — schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Daher rufe ich jetzt die zwei Fragen des Herrn Abgeordneten Dr. Wernitz — 79 und 80 — auf:Was tut die Bundesregierung im Rahmen ihrer Verantwortung zur raschen und unbürokratischen Regulierung des Sachschadens in Millionenhöhe , der am 3. Mai 1978 gegen 16.45 Uhr durch mehrere militärische Tiefflieger im Bereich der Stadt Rain am Lech/Bayern an Privathäusern, Fabriken und landwirtschaftlichen Gebäuden verursacht worden ist, und welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um derartige katastro-
Metadaten/Kopzeile:
7114 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausenphenähnliche Auswirkungen des militärischen Tiefflugbetriebs in Zukunft zu verhindern?Wird die Bundesregierung den Rainer Vorfall insbesondere zum Anlaß nehmen, die Kontrollmechanismen im Tiefflugbetrieb technisch und personell zu verstärken und darüber hinaus bei den Tieffluggebieten ein alternierendes System einzuführen, um die Belastungen der Bevölkerung dieser Regionen künftighin etwas erträglicher zu gestalten?
Gestatten Sie, daß ich die beiden Fragen im Zusammenhang beantworte?
Der Fragesteller ist damit einverstanden. Bitte.
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Wernitz, die Bundesregierung hat im Zusammenhang mit dem in der Stadt Rain am Lech aufgetretenen Sachschaden umgehend Ermittlungen aufgenommen. Sie haben ergeben, daß diese Schäden durch Flugzeuge des Jagdgeschwaders 74 entstanden sind. Maschinen des Typs Phantom haben am 3. Mai 1978 um 16.44 Uhr die Stadt Rain überflogen. Nach Aussagen der Besatzungen soll die für diesen Flugzeugtyp für Tiefflug festgelegte Mindestflughöhe von 240 m nicht unterschritten worden sein.
Die Bundesregierung hat veranlaßt, daß die entstandenen Schäden rasch und unbürokratisch beglichen werden. Hierzu wurde die Wehrbereichsverwaltung VI in München eingeschaltet, die die erforderlichen Schritte bereits eingeleitet hat. Die geschädigten Bürger können davon ausgehen, daß entstandene Schäden binnen kurzem beglichen werden.
Über Maßnahmen zur Verhinderung einer Wiederholung des bedauerlichen Vorfalls von Rain am Lech kann erst nach Abschluß der laufenden Untersuchung und Klärung der Ursachen entschieden werden.
Zu Ihrer zweiten Frage, Herr Kollege Wernitz:
Militärische Übungsflüge werden in niedrigen Höhenbereichen durchgeführt, da nur dort die Möglichkeit gegeben ist, der gegnerischen Radarerfassung im Ernstfall zu entgehen.
Ohne einen überdimensionalen Aufwand zu betreiben, wird es keine Möglichkeit geben, militärische Tiefflüge zu kontrollieren. Um jedoch die Lärmbelastung der Bevölkerung so niedrig wie möglich zu halten, werden Tiefflüge ohne Bindung an zentral festgelegte Strecken nahezu über der gesamten Bundesrepublik Deutschland durchgeführt. Damit werden Lärmkonzentrationen — soweit überhaupt möglich — vermieden.
In Zusammenarbeit mit den Landesregierungen wurden für Tiefflüge unterhalb der gesetzlichen Mindestflughöhe von 150 m bestimmte Gebiete ausgewiesen, die durch eine relativ geringe Bevölkerungsdichte gekennzeichnet sind.
Ich darf hierzu darauf hinweisen, daß sich die Bundesrepublik Deutschland •im Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut verpflichtet hat, Übungsgebiete bereitzustellen, in denen auch unterhalb der gesetzlichen Mindestflughöhe von 150 m derzeit bis zu einer Mindesthöhe von 75 m geflogen werden darf. Die deutsche Luftwaffe verzichtet jedoch mit Ausnahme von Manövern auf Tiefflüge in diesen Gebieten.
Eine laufende Verlagerung dieser Gebiete im Sinne eines alternierenden Systems ist nur in Zusammenarbeit mit den Landesregierungen möglich, die dann entsprechende andere Gebiete anbieten müßten.
Herr Kollege, Sie haben eine Zusatzfrage. Bitte.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie es sich, daß es von Mittwoch bis Freitag gedauert hat, bis der Neuburger Standort der Luftwaffe bereit war, sich zu diesen Flügen zu bekennen?
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin an den Sachverhalt zunächst mit der gleichen Verwunderung herangegangen, die Ihre Zusatzfrage kennzeichnet. Ich mußte dann aber zur Kenntnis nehmen, daß es sehr schwierig ist, festzustellen, welche Flugzeuge über welche Gebiete im Tiefflug geflogen sind, und vor allem, daß ein bestimmtes Flugzeug für einen bestimmten am Boden entstandenen Schaden verantwortlich zu machen ist; denn der Flugzeugführer hat keinerlei Ahnung davon, daß infolge des Düsenantriebs seines Flugzeugs Schaden entstanden ist.
Es kommt hinzu, daß das um 16.44 Uhr geschah. Der Feierabend war nahe. Es folgte ein Feiertag, an dem nicht geflogen wurde. Es war deshalb außerordentlich schwierig, diese Ermittlungen anzustellen. Sie wissen ja auch, daß eine große Anzahl von Luftwaffen über unseren Boden fliegt.
Vor allem haben die Beobachtungen der Zeugen, was den Flugzeugtyp angeht, sich als falsch erwiesen. Diese Angaben führten zunächst in die Irre. Erst weiteres Nachfragen hat zu der Feststellung geführt, daß ein völlig anderer Flugzeugtyp beteiligt gewiesen ist.
Herr Kollege, Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie im Hinblick auf die künftige Entwicklung im Tiefflugbetrieb die verschiedenen Verlautbarungen aus dem Bereich der Luftwaffe, wonach die bisherigen Ermittlungen ergeben haben, daß sich die beiden Flugzeugführer korrekt an die geltenden Bestimmungen gehalten hätten und daß weder leichte noch grobe Fahrlässigkeit vorgekommen sei?Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann die Äußerungen noch nicht voll interpretieren. Sie gehen darauf zurück, daß die Flugzeugführer ausgesagt haben, sie hätten die Mindestflughöhe von 240 m nicht unterschritten und ihres Wissens auch nicht die Schallmauer durchbrochen —
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7115
Parl. Staatssekretär Dr. von Büloweine Tatsache, die der Flugzeugführer selbst nicht feststellen kann, es sei denn, er schaut auf seinen Geschwindigkeitsmesser. Es gibt außerdem Zeugenaussagen, die dahin gehen, daß die Aussagen der Flugzeugbesatzungen, die Höhe betreffend, korrekt seien.Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen. Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wäre es angesichts der Tatsache, daß die Bevölkerung selbst glatt überfordert ist, hier entsprechend präzise Hinweise zu geben, über das, was Sie in Ihrer Hauptantwort gesagt haben, hinaus nicht doch erwägenswert, das Personal und das technische Gerät der Kontrolltrupps zu verstärken? Nur so kann nämlich eine Verbesserung der Situation in der Zukunft erreicht werden.
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Es gibt nur in der Regie des Heeres Meßtrupps, die vor allen Dingen die Flughöhe feststellen können. Diese Einheiten werden im Rahmen der Flugüberwachung eingesetzt. Es ist aber völlig ausgeschlossen, die Bundesrepublik mit einem Koordinatensystem in bezug auf die Nachmessung von Flughöhen und Fluggeschwindigkeiten zu überziehen. Diesen Kostenaufwand können wir uns zur Zeit nicht leisten.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie nach Abschluß der Ermittlungen in diesem bisher wohl schwersten Schadensfall durch Tiefflugbetrieb bereit, die allen Kollegen des Hauses unter dem Datum vom 5. April 1978 zum Thema Fluglärm zur Verfügung gestellte Informationsunterlage zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren?
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir sind selbstverständlich dazu bereit und wollen auch aus diesem Vorfall lernen. Wenn sich aus den Untersuchungen, die offensichtlich auf Grund der verschiedenen Angaben und Feststellungen sehr kompliziert sind, entsprechende Hinweise ergeben, sind wir ohne weiteres bereit, Korrekturen an unserer bisherigen Haltung und Einstellung vorzunehmen und dies auch hier mitzuteilen.
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen. Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lemmrich.
Herr Staatssekretär, würden Sie bereit sein, in die Überprüfung der Tiefflüge nicht nur die Tieffluggebiete — Rain am Lech gehört nicht zu einem Tieffluggebiet —, sondern auch die Anflugbereiche zu den Militärflughäfen — Rain gehört zum Anflugbereich des Militärflughafens Neuburg — einzubeziehen?
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: In eine generelle Überprüfung oder in die Untersuchung dieses Falles? Ich habe Ihre Frage nicht genau verstanden.
In die generelle Anweisung, die Höhen auch bei Anflügen einzuhalten und nicht nur die Tieffluggebiete einzubeziehen. Es ist ja schon wiederholt etwas passiert. Nach einer bestimmten Zeit müssen die Flieger wieder ermahnt werden.
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, Sie tun den Piloten der Luftwaffe Unrecht, wenn Sie ihnen unterstellen, daß sie in großer Zahl die Flugbestimmungen vor allen Dingen die Flugsicherheitsbestimmungen, mißachteten. Die Luftwaffe steht angesichts der dichten Besiedlung dieses Landes, der zahlreichen Erholungsgebiete, die in diesem Lande ausgewiesen sind, und des gewaltigen zivilen Flugzeugaufkommens vor der ungeheuren Schwierigkeit, überhaupt noch Gebiete zu finden, in denen geübt werden kann. Das ist eine generelle Problematik, die hinter fast allen Klagen über Fluglärm steckt. Ich stehe in Korrespondenz mit zahlreichen Bürgermeistern und Abgeordneten in diesem Hause über Anflugverfahren. Wo immer es die Luftwaffe einrichten kann, den Anflug so zu legen, daß die Zivilbevölkerung nur minimal belastet wird, wird sie das tun. Ich bin gern bereit, in diesem Fall das entsprechende Verfahren zu eröffnen und mit Ihnen gemeinsam zu überlegen, wie man hier zu Verbesserungen kommen kann.
Herr Abgeordneter Jens, Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, meinen Sie nicht, daß es auf Grund dieser Erfahrung notwendig ist — die Flughöhe wurde offensichtlich eingehalten, die Schallgrenze wurde nicht durchstoßen —, daß die Flugzeuge in Zukunft mindestens 50 Meter höher fliegen als bisher und daß sie vielleicht auch abends — —
Herr Kollege, bitte belassen Sie es bei einer Zusatzfrage. Sie können nämlich noch eine zweite Frage stellen. Bitte!
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Es ist nicht sicher, daß diese Flugzeuge nicht doch die Schallgrenze durchstoßen haben. Die einzig obskure Beobachtung dabei ist, daß man bisher nur einen Knall festgestellt hat, obwohl es zwei hätten sein müssen. Aber dies wird die nähere Untersuchung ergeben. Die Sachverständigen — ich bin keiner, wie Sie sich vorstellen können — haben mir mitgeteilt, daß eine Veränderung der Höhe um 50 Meter, wenn die Schallgrenze durchstoßen wird, keinen Einfluß auf das hat, was dann geschieht.
Herr Abgeordneter Lemmrich, wollen Sie noch eine Zusatzfrage stellen? Es folgt dann noch der Herr Abgeordnete Jens. Wir schaffen es damit, daß alle von
Metadaten/Kopzeile:
7116 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausenanwesenden Kollegen gestellten Fragen beantwortet werden können.
Herr Staatssekretär, meinen Sie nicht, daß dem Ansehen der Bundeswehr mehr gedient wäre, wenn der Kommodore das Durchbrechen der Schallmauer nicht bestritten hätte, sondern als Akt der Höflichkeit zu den Betroffenen gekommen wäre und sein Bedauern darüber ausgesprochen hätte?
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Dies war auch Gegenstand der Besprechung, die ich geführt habe. Aber Sie können einem Mann, der unter Strafandrohung eine Aussage macht und der eine lange Erfahrung als guter Pilot und als guter Führer seiner Einheit hat, nicht unterstellen, daß er dies getan hat.
Herr Abgeordneter Jens, letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß die Piloten von Militärmaschinen unter Umständen auch Industrieanlagen als Anflugziel benutzen und daß dies unterbunden werden müßte?
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Es gibt keine Festlegung von Zielen für die Luftwaffe zum Anfliegen bestimmter Einrichtungen. Es kann aber durchaus sein, daß z. B. eine Aufklärungseinheit eine bestimmte Industrieanlage übungshalber fotografiert und deshalb dieses Ziel unmittelbar anfliegt. Das kann passieren.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie auf. Zur Beantwortung ,der eingereichten Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Stahl zur Verfügung.
Der Abgeordnete Stockleben hat mich gebeten, die von ihm eingereichte Frage 83 möge schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 84 des Herrn Abgeordneten Dr. Steger auf und hoffe, daß wir auch die Fragen des Herrn Abgeordneten Dr. Laufs noch beantworten können:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß US-Firmen, die mit ausländischen Firmen Gespräche über Brüterentwicklung, Wiederaufarbeitung oder Plutonium-Verarbeitung führen wollen, dazu die Erlaubnis staatlicher Stellen einholen und auch diese Stellen über die Gespräche informieren müssen, und plant die Bundesregierung eine ähnliche Regelung für die Bundesrepublik Deutschland?
Bitte!
Herr Kollege Steger, der Bundesregierung ist nicht bekannt, daß amerikanische Firmen für Gespräche über die genannten Themen der Erlaubnis amerikanischer staatlicher Stellen bedürfen. Die Bundesregierung sieht auch
keinen Anlaß, über das geltende Außenwirtschaftsrecht hinaus Gespräche deutscher Unternehmen auf den in der Frage erwähnten Gebieten von einer staatlichen Erlaubnis abhängig zu machen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat es denn sonstige Erschwernisse in der deutschamerikanischen Zusammenarbeit auf dem hier in Frage stehenden Gebiet der nuklearen Kooperation für friedliche Zwecke durch die neue Energiepolitik des amerikanischen Präsidenten gegeben?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Steger, die Frage ist nicht mit Ja oder Nein zu beantworten. Im Schnellbrüterbereich sind z. B. Gespräche mit den USA über den Umfang der auszutauschenden. Kenntnisse im Gange, die durch die Entscheidung der US-Administration erforderlich geworden sind, die Kommerzialisierung des Schnellen Brüters auf unbestimmte Zeit aufzuschieben. Die Zusammenarbeit mit den USA im Bereich der Behandlung und Beseitigung radioaktiver Abfälle beschränkt sich gegenwärtig auf Themen, die eine Wiederaufbereitung abgebrannter Elemente nicht voraussetzen.
Keine weiteren Zusatzfragen, — Ich rufe Frage 85 des Herrn Abgeordneten Grunenberg auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 86 des Herrn Abgeordneten Dr. Laufs auf:
Welchen Umfang hat z. Z. die nationale Uranreserve, die im Rahmen des Devisenausgleichs angekauft wurde, differenziert nach angereichertem Uran, Natururan und Ansprüchen im Rahmen von Verträgen?
Herr Staatssekretär, wollen Sie beide Fragen gemeinsam beantworten?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Das wäre mir am liebsten.
Bitte! Dann rufe ich auch noch Frage 87 des Abgeordneten Dr. Laufs auf:Aus welchen Gründen hat die Bundesregierung bis heute noch nicht das Natururan angekauft, das notwendig ist, um die im Rahmen der Anreicherungsverträge abgeschlossenen Liefermengen auch zu beziehen?Sie haben dann vier Zusatzfragen.Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Laufs, Ihre Fragen beantworte ich wie folgt:Die Bundesregierung verfügt über Vorräte an angereichertem Uran von rund 400 Tonnen, die, im Rahmen der Devisenausgleichsabkommen mit den USA beschafft wurden. Diese Vorräte, die in der Bundesrepublik Deutschland lagern, entsprechen einer Natururanmenge von rund 2 500 Tonnen.Darüber hinaus besteht ein Anspruch auf Lieferung einer weiteren Menge von rund 70 Tonnen angereichertem Uran mit einem Natururaninhalt von
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7117
Parl. Staatssekretär Stahlrund 400 Tonnen und einem Trennarbeitsinhalt von zirka 300 Tonnen UTA, deren Auslieferung gemäß den bestehenden Verträgen frühestens Mitte 1979 erfolgen kann.Die bestehenden Anreicherungsverträge sehen eine Erfüllung für die restlichen noch nicht in der Bundesrepublik Deutschland lagernden Mengen erst ab Mitte 1979 vor. Darüber hinaus sind auch die für den Ankauf des dafür benötigten Natururans erforderlichen Mittel erst dann verfügbar.
Herr Kollege, Sie haben jetzt vier Zusatzfragen. Bitte!
Herr Staatssekretär, ist nach Auffassung der Bundesregierung diese bestehende nationale Uranreserve ausreichend für die erforderliche Vorsorge gegenüber weiteren denkbaren außenpolitischen Erschwernissen bei der Uranversorgung der Bundesrepublik Deutschland?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Mengen reichen aus, um den derzeitigen Bedarf etwa anderthalb Jahre und den Bedarf von 1981 etwa ein Jahr zu decken. Es wäre aber zu überlegen, die Vorräte zu erweitern.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung den Wert der nationalen Uranreserve im Hinblick auf die Tatsache, daß andere europäische Länder diese im Notfall ebenfalls beanspruchen können?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung vertritt die Meinung wie ich eben darstellte —, daß es sicherlich zweckmäßig wäre, größere Vorräte zu haben. Es hat keinerlei Gespräche gegeben, anderen Ländern Vorräte zur Verfügung zu stellen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, bestehen nach Auffassung der Bundesregierung nicht doch Zugriffsmöglichkeiten der Mitglieder von Euratom auf diese deutschen, nationalen Reserven?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es dürfte Ihnen bekannt sein, daß zwischen der Bundesregierung und Euratom sowie der Europäischen Gemeinschaft insgesamt ein gutes Verhältnis besteht. Wenn eine schwierige Lage in Europa auftreten würde, wäre es sicherlich möglich, sich zwischen den Staaten zu arrangieren, um in dem einen oder anderen Fall dem anderen, der es nötig hätte, hilfreich zur Seite zu stehen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Die Bundesregierung sieht also keine Schwierigkeiten, die Anreicherung von Reaktoruran im erforderlichen Ausmaß langfristig sicherzustellen, insbesondere auch im Hinblick auf den amerikanischen Non Proliferation Act?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Laufs, der Bundeskanzler hat in einer Regierungserklärung zu diesem Thema die Position der Bundesregierung sehr klar dargestellt. Ich sehe mich nicht veranlaßt, irgendwelche Zusätze zu machen.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Herr Staatssekretär, damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie beantwortet. Ich danke Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf. Zur Beantwortung der Fragen stand der Herr Parlamentarische Staatssekretär Engholm zur Verfügung. Nachdem der Herr Abgeordnete Lattmann um schriftliche Beantwortung der von ihm eingereichten Frage 88 und auch der Herr Abgeordnete Kroll-Schlüter um schriftliche Beantwortung der beiden von ihm eingereichten Fragen 89 und 90 gebeten haben — die Antworten werden als Anlagen abgedruckt —, ist die Fragestunde abgeschlossen. Sämtliche Fragen, die von den anwesenden Mitgliedern des Hauses gestellt wurden, konnten beantwortet werden.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Große Anfrage .der Abgeordneten Dr. Abelein, Dr. Marx, Baron von Wrangel, Jäger , Böhm (Melsungen), Ernesti, Wohlrabe und der Fraktion der CDU/CSU
Zu den Folgevereinbarungen gemäß Artikel 7 des Grundlagenvertrages
— Drucksache 8/1338, 8/1553 —
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Abelein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute ist ein denkwürdiger Tag; denn es jährt sich zum fünften Mal der Tag, an dem der Grundlagenvertrag mit der DDR in diesem Hause ratifiziert wurde. Es ist also eine gute Gelegenheit, im Rahmen einer Aussprache über die Folgeverträge nach fünf Jahren gleichzeitig eine gewisse Bilanz dieses Grundlagenvertrages über die Entwicklung der Beziehungen zur DDR zu ziehen.Wir erinnern uns daran: Der Grundlagenvertrag enthält gleichsam zwei Teile: einen Teil, in dem die Wünsche der DDR erfüllt werden, und einen anderen Teil, der nach der Aussage der Bundesregierung die eigentlichen Gegenleistungen enthalten sollte, nämlich die Folgeverträge, die in Art. 7 erwähnt sind. Wir haben uns daran ,gewöhnt, daß die Bundesregierung von den Leistungen, die uns gegenüber zu erbringen sind, immer in der Form von Inaussichtstellungen spricht.
Metadaten/Kopzeile:
7118 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Dr. AbeleinAber welches sind denn nun die Realitäten? Von all den vielen angekündigten Folgeverträgen sind bisher drei abgeschlossen worden. Eine denkbar bescheidende Bilanz. Eine ganze Reihe von Gründen ist dafür angeführt worden, wieso es nicht gelungen ist, mehr zustande zu bringen. Es wird gesagt, es gebe teilweise Meinungsverschiedenheiten über Einzelheiten der Verträge. Staatsangehörigkeitsfragen und Schwierigkeiten bei der Einbeziehung Berlins stünden dem entgegen.Damit habe ich im übrigen ein Stichwort geliefert, das bei den Folgeverträgen nicht völlig ausgeklammert werden darf, gerade wegen der Bedeutung Berlins innerhalb der Folgeverträge, wegen der Bedeutung dieser Stadt für das Nichtzustandekommen der Folgeverträge. Gestatten Sie mir dazu noch einige Worte, obwohl dazu heute vormittag schon einiges Wichtige gesagt wurde. Ich möchte mich hier jetzt gar nicht groß mit Theorien und Interpretationen aufhalten, sondern nur kurz einmal die Ereignisse nur der letzten Wochen im Zusammenhang mit Berlin darstellen.Am 15. Januar 1978 Zurückweisung des CDU-Vorsitzenden und Oppositionsführers im Deutschen Bundestag, Helmut Kohl, am Bahnhof Friedrichstraße. 17. Januar 1978: Protest gegen die Fraktionssitzung der CDU im Deutschen Reichstag. 18. Januar: Eindringen von bewaffneten DDR-Grenzsoldaten bei Groß-Ziehten auf West-Berliner Gebiet. 21. Januar: Die „Prawda" bezeichnet die vom 24. bis 27. Januar in West-Berlinstattfindenden Tagungen von drei Ausschüssen des Europäischen Parlaments als illegal. 25. Januar: Als Mitglieder des Europäischen Parlaments den Reichstag betreten, patrouillieren demonstrativ sowjetische Soldaten vor dem Eingang des Tagungsgebäudes. 15. Januar: Anhalten und Durchsuchen eines Interzonenzuges durch DDR-Soldaten bei Magdeburg. 30. Januar 1978: Radio Moskau protestiert gegen die westdeutsche Präsenz auf der Landwirtschaftsausstellung „Grüne Woche" in West-Berlin. 15. Februar 1978: Protest des Botschafters Abrassimow — besser würde man wohl sagen: des sowjetischen Statthalters in der DDR — gegen die Ernennung des australischen Botschafters in der Bundesrepublik. Deutschland zum Leiter der Militärmission Australiens in Berlin. 11. März 1978: Protest der „Iswestja" gegen den Besuch von Haig bei einer Veranstaltung der amerikanischen Handelskammer in West-Berlin. 3. April: Eine sowjetische Militärpatrouille behindert die Wagenkontrolle von Bundespräsident Scheel. 5. April 1978: Angehörige einer sowjetischen Militärpatrouille fotografieren Plakate des Kommunistischen Bundes Westdeutschland in Schöneberg und reißen sie anschließend ab. 11. April 1978: Das SED-Organ „Neues Deutschland" kritisiert verstärkte Aktivitäten von Gremien der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Gemeinschaft in West-Berlin usw.Wenn ich die letzten Jahre anführe, gibt es eine kontinuierliche Aufzeichnung von Drohungen, Nadelstichen, Protesten gegen fast jede Lebensäußerung des freien Berlins von sowjetischer Seite. Jetzt plötzlich ist angeblich der große Durchbrucherreicht worden. Wir werden das ja sehen. Wir halten es für zum Minimum der diplomatischen Courtoisie gehörend, daß wenigstens nicht in dem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang des Besuchs von Breschnew diese Dinge hier fortgesetzt werden. Aber nichts deutet darauf hin, daß diese Entwicklung in einem angemessenen und wahrscheinlich sehr kurzen Zeitraum nach dem Besuch von Breschnew nicht weitergehen wird.Gut, wir anerkennen auch hier eine Reihe von Verbesserungen, die erzielt wurden — das haben wir immer getan —: Verbesserungen auf dem Gebiet der Verkehrsanbindung West-Berlins mit der Bundesrepublik Deutschland.
Aber gleichzeitig ist das doch zur Quelle enormer Deviseneinnahmen für die DDR gemacht worden. Diese Dinge müssen auch herausgestellt werden. Das ist doch nicht nur eine Konzession der DDR, gemacht auf Grund einer vorzüglichen Politik, sondern das ist eine Geschäft, das wir unterschreiben.
Gleichzeitig bringt es — das muß doch hinzugefügt werden — jedes Jahr Deviseneinnahmen von Hunderten von Millionen DM in die Kassen der DDR.
.
Leider deutet nichts darauf hin, auch nicht der Besuch von Breschnew, daß sich die Zielsetzung der Sowjetunion und der DDR, nämlich West-Berlin aus den Bindungen zur Bundesrepublik Deutschland herauszulösen, in der Zwischenzeit geändert hat. Die Formel „strikte und volle Anwendung des Berlin-Abkommens" besagt doch im Grunde gar nichts. Sie besagt doch nur, daß alle an ihren jeweiligen Standpunkten, die sie von Anfang an, schon vor Abschluß des Abkommens, eingenommen haben, festhalten. Daran ändert sich auch in Zukunft nichts.Wir hören gern von jeder Bereitschaft, diese Dinge einvernehmlich zu klären. Aber eines ist für uns jedenfalls keine Ausgangsbasis — darüber gibt es große Meinungsverschiedenheiten auch noch in diesem Haus —: daß Berlin kein Testfall sein dürfe. Dies gilt für uns nicht. Berlin ist geradezu d e r Testfall der Ost-West-Beziehungen, der Testfall der innerdeutschen Beziehungen überhaupt. Am Fall Berlin zeigt sich immer wie an einem äußerst sensiblen Gradmesser, wie es um diese Beziehungen steht. Und es steht leider, wie die Fakten zeigen, nicht gut.Meine Damen und Herren, üblicherweise wird ein Abkommen zwischen den Beteiligten geschlossen, wenn man sich über den Inhalt einig geworden ist. Die Ost-West-Beziehungen sind dadurch gekennzeichnet, daß Abkommen abgeschlossen werden, wenn man sich über die Dinge nicht einig geworden ist.
Ein Abkommen wird abgeschlossen, obwohl sich alle Beteiligten darüber im klaren sind, daß man
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7119
Dr. Abeleindamit unterschiedliche Vorstellungen verbindet. Der eigentliche Inhalt des Abkommens wird dann der weiteren politischen Entwicklung überlassen. Das ist keine sehr vornehme Art der Rechtspraxis und sicher kein Symbol für eine sehr weit fortgeschrittene, zivilisierte Rechtsgesellschaft. Aber es ist nun einmal so.Von dieser Bundesregierung wird das vornehm umschrieben, indem sie formuliert, die Verträge müßten mit Leben ausgefüllt werden. Aber daraus ergibt sich eine ganz bestimmte Verpflichtung für diese Bundesregierung, nämlich dafür zu sorgen, daß der Inhalt, den Sie und, wie ich hoffe, wir alle gemeinsam mit einem solchen Abkommen verbinden, nachher auch politisch durchgesetzt wird,
damit nicht durch eine ständig wiederholte Praxis von seiten der Sowjets, die von der Bundesregierung und vielleicht auch von einem oder anderen der westlichen Alliierten schüchtern hingenommen wird, so etwas wie eine normative Kraft des Faktischen entsteht.Schon im vergangenen Jahrhundert hat Ihering in einem kleinen Büchlein unter dem Titel „Kampf ums Recht" sehr bedeutende Aussagen gemacht. Er schrieb, das Recht erlange letztlich nur dann Gültigkeit, wenn darum gekämpft werde. Genau den Vorwurf machen wir dieser Bundesregierung: daß sie in Berlin nicht nachhaltig genug um die eigenen Rechtspositionen, hinter der die politischen Positionen ganz Deutschlands stehen, kämpft.Heute ist es ja nicht einmal mehr möglich, daß diese Bundesregierung eine harmlose Stiftung wie die Deutsche Nationalstiftung, eine Kulturinstitution, in West-Berlin plaziert, während wir doch vor vielen Jahren erlebt haben, daß solche Institutionen ohne derartige Verträge in Berlin völlig unproblematisch gegründet werden konnten. Erinnert sei an das Bundeskartellamt, an das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen, das Bundesgesundheitsamt, die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und vieles andere mehr.Die Bundesregierung zitiert immer die Passagen aus dem Viermächteabkommen, die eigentlich auch von der Sowjetunion immer zitiert werden. Aber es gibt hier noch einen ganz anderen Inhalt, nämlich daß die Bindungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin nicht nur aufrechterhalten, sondern weiterentwickelt werden. Dies ist der eigentliche Inhalt, der von uns vertreten werden muß, der für uns maßgeblich ist.Es ist immer davon die Rede, die Realitäten des Zweiten Weltkriegs müßten anerkannt werden. So sagte auch Breschnew wieder bei diesem Besuch. Zu diesen Realitäten gehört aber doch auch die Zugehörigkeit West-Berlins zur Bundesrepublik Deutschland, wenn auch ausgestattet mit ,einigen Besonderheiten, einer Üerlagerung durch Drei- bzw. Vier-Mächte-Recht. Zu den Realitäten des Zweiten Weltkriegs gehören jedoch auch die gewachsenen Bindungen, die aufrechterhalten werden sollen. Berlin gehört zum Rechtssystem, zum politischen System, zum Wirtschafts-, Währungs- undGesellschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland. Diese Realitäten müssen herausgestellt werden, auch wenn wir zugeben: Die Situation Berlins ist kompliziert, sie ist ärgerlich, sie ist letztlich unnatürlich, sie ist anormal. Sie ist auch kein Dauerzustand, aber dieser Zustand kann nicht dadurch beseitigt werden, daß — entsprechend den sowjetischen Zielsetzungen; ich erinnere an Falin — West-Berlin dann letztlich im sowjetischen Einflußbereich aufgeht. Dieser anormale Zustand ist für uns ein Symbol für den annormalen Zustand ganz Deutschlands. Berlin ist für uns das Zeichen dafür, daß Deutschland immer noch gespalten ist. Berlin ist für uns das Zeichen für das Ziel der Wiederherstellung der staatlichen Einheit, für die gesamte deutsche Nation.
Berlin ist für uns die Hauptstadt der deutschen Nation und die Hauptstadt eines wiedervereinigten deutschen Staates. Daraus gewinnt Berlin sein Selbstverständnis. Das ist für uns der Angelpunkt jeglicher Berlin-Politik. In diesem Sinne erwarten wir auch, daß die Bundesregierung die Praxis der Sitzungen, der Staatsbesuche und der Errichtung von Institutionen der Bundesregierung, der Bundesrepublik in West-Berlin fortsetzt.Lassen Sie mich, weil ich dabei bin, diese Dinge zu sagen, wenigstens eine Bemerkung noch zu Ost-Berlin machen. Der Viermächtestatus gilt für ganz Berlin,
auch für Ost-Berlin. Wenn die Bundesregierung solche Sätze schon nicht sagt, ist es, meine ich, für einen Sprecher der Opposition angebracht, darauf hinzuweisen, daß auch das zu den unerledigten Realitäten des Zweiten Weltkrieges gehört, an die wir immer erinnern werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einiges zu den Folgeverträgen sagen. Die Bilanz ist, wie gesagt, denkbar bescheiden. Abgeschlossen wurde ein Abkommen über den Transfer von Unterhaltszahlungen und den Transfer aus Guthaben in bestimmten Fällen. Daß die Bundesregierung es zugelassen hat, dieses Abkommen in zwei Unterabkommen aufzuspalten, war, wie sich jetzt zeigt, ein schwerer Fehler. Der Vorteil — rein finanziell — des einen Abkommens ist der DDR zugute gekommen, das andere Abkommen liegt praktisch fest; nichts läuft hier weiter.Das haben wir vorhergesagt. Ich erinnere an zurückliegende Debatten in den zurückliegenden Jahren. Das war eigentlich auch konsequent. Denn wenn im Verhältnis 1:1 umgetauscht wird, was an Guthaben und Verpflichtungen vorhanden ist, dann kann man davon ausgehen, daß die einen bèi einem Wertverlust von etwa 66 % den Umtausch eben nicht vollziehen werden, während die anderen ihr Geld möglichst rasch heraushaben wollen. Da die DDR das auch wußte, hat sie die Dinge miteinander in einer Zug-um-Zug-Klausel gekoppelt und außerdem noch einen Plafond festgelegt. Transferobergrenze: 31 Millionen DM. Darüber läuft nichts. Darauf haben
Metadaten/Kopzeile:
7120 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Dr. Abeleinwir hingewiesen, darauf ist es doch zurückzuführen, daß jetzt eine ganze Reihe von Guthaben blockiert sind.Was erklärt die Bundesregierung? Sie erklärt, sie sei bemüht, die Verhandlungen mit der DDR zu diesem Punkt wieder aufzunehmen, die Probleme bei der Sperrguthabenvereinbarung zu beseitigen sowie den Transfer weiterer Zahlungstatbestände zu regeln. Na ja, wir sind ja bei dieser Bundesregierung manchmal bereits damit zufrieden, wenn sie sich bemüht. Aber es wäre besser gewesen, Sie hätten solide Verträge gemacht. Dann hätten Sie diesen Arger nicht gehabt. Sagen Sie bitte nicht, das sei nicht vorherzusehen gewesen! Das haben wir Ihnen ganz genau gesagt. Man braucht in diesen Fragen nicht einmal Fachmann zu sein. Man braucht nur die Zeitungen zu lesen und ein Konto auf einer Bank zu haben, dann kann man diese Dinge im vorhinein genau beurteilen.
Gesundheitsabkommen: Wir begrüßen auch das Gesundheitsabkommen. Es ist sicher nicht nachteilig; es bringt einige Vorteile mit sich. Eine Reihe von Dingen, die längst praktiziert wurden, sind nun auch noch in diesem Abkommen festgehalten worden. Einiges, was wir eigentlich gewünscht hätten, stand nicht drin, nämlich die Möglichkeit des Bezugs von sogenannten Westmedikamenten für die Bewohner der DDR. Das wäre ein Fortschritt gewesen, damit nicht nur die oberen Funktionäre der DDR in Sonderkliniken in den Genuß jeder Art von medizinischer Behandlung kommen können, sondern die große Masse der Bevölkerung in der DDR.
Im übrigen besteht der Inhalt in Selbstverständlichkeiten.
Herr Kollege, die Geschäftsordnung läßt Zwischenfragen bei der Begründung einer Großen Anfrage nicht zu.
Das dritte und letzte Abkommen, das die Bundesregierung mit der DDR im Rahmen der Folgeabkommen gemäß Art. 7 geschlossen hat, ist das Post- und Fernmeldeabkommen. Es ist sicher zu begrüßen. Irgendein Durchbruch ist überhaupt nicht erfolgt. Die Dinge sind ja vorher auch schon gemacht worden. Die Regelungen des Internationalen Post- und Fernmeldevereins sind nun noch adaptiert und übertragen worden auf die innerdeutschen Beziehungen. Das halten wir für gut.Aber das, um was es eigentlich wirklich gegangen wäre, nämlich die Beseitigung der restriktiven Zollbestimmungen, die gerade den Postverkehr tangieren, ist nicht geregelt worden. Zeitungen, Presseerzeugnisse, Jahrbücher und dergleichen, Schallplatten, Tonbänder, Literatur, sonstige Druckerzeugnisse, deren Inhalt „gegen die Erhaltung des Friedens gerichtet " sind, können eben nicht frei geliefert werden. In der Postzeitungsliste der DDR für den Bezugvon Zeitungen über die Post sind überhaupt keine nichtkommunistischen Zeitungen aufgeführt.Zum Fernmeldeverkehr: Wir anerkennen, daß hier einiges passiert ist, was wir sehr begrüßen. Aber es ist natürlich auch einiges passiert in den Devisenkassen der DDR. Was wir uns hier zusätzlich wünschen ist, daß die Gebühren angeglichen werden an die Gebühren, die sonst im Telefonverkehr Deutschlands üblich sind. Im übrigen: Die Vollautomatisierung ist zwar weitgehend vorangetrieben worden, sie ist aber nicht zum ursprünglich vorgesehenen Zeitpunkt in Gang gesetzt worden. Letztlich ist sie immer noch nicht völlig herbeigeführt worden.Zu den Sportbeziehungen: Hier ist doch kein Erfolg zu verzeichnen. Ich möchte nur die Zahlen angeben. 1977 gab es 21 Wettkämpfe auf bilateraler Ebene zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland; 1978 waren es 25 Wettkämpfe, zu denen noch vier Trainingslehrgänge kommen. Dabei haben wir 48 000 Sportvereine bei uns und 8 000 bis 9 000 Sportvereine in der DDR.Es handelte sich hauptsächlich um Begegnungen von Spitzensportlern. Wir würden uns wünschen, daß die Sportbeziehungen zu einem Mittel menschlicher Beziehungen werden, daß auch Vereine, die nicht gerade internationale Bedeutung haben, eingeladen werden, hauptsächlich im Bereich der Grenzlinie zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR.
Das gilt eigentlich für alle Folgeverträge, und es kommt im übrigen auch in der Antwort der Bundesregierung zum Ausdruck: Die Bilanz ist dürftig, fast kläglich.Bei den Wirtschaftsbeziehungen ist genau das gleiche zu sagen. Sie sind von 1976 auf 1977 rückläufig gewesen. Der kumulierte Aktivsaldo liegt in einer Größenordnung von 3 Milliarden DM. Der Markt der 80er Jahre, die große Entlastung für die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland, eine Entlastung unseres Arbeitsmarkts — nichts von alledem ist eingetreten.Wie ist die Situation der Bevölkerung in der DDR. Hat sie sich gebessert? Nach all dem, was man hört und erfährt, offensichtlich nicht. Es hat sich drüben für die Bevölkerung durch die Politik dieser Bundesregierung nichts Entscheidendes geändert. Die greifbaren Vorteile für die Menschen, die in der DDR leben, sind ausgeblieben. Sie sind weiter eingemauert, sie bleiben eingemauert. Auf sie wird weiter geschossen, wenn sie von einem Teil Deutschlands in den anderen gehen wollen. Sie sind dem totalitären Dauerdruck des politischen Regimes weiter unterworfen. Sicher dürfen mehr Westdeutsche in die DDR reisen. Das macht unseren Landsleuten in der DDR nur noch schmerzlicher bewußt, daß s i e nicht reisen dürfen, daß sie eingeschlossen sind. Wir dürfen auch unser Geld mitnehmen, wir dürfen es sogar drüben lassen. Das macht es unseren Landsleuten drüben in der DDR nur noch schmerzhafter bewußt, daß sie alle diese Dinge nicht kaufen können.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7121
Dr. AbeleinEs gibt verschiedene Klassen von Menschen drüben, Funktionäre und solche, die Bekannte und Verwandte im Westen haben und andere, die diese nicht haben. Damit auch die große Masse am Luxus teilnehmen kann, werden jetzt Exquisitläden und Delikatläden errichtet. Ich finde, diese Worte sind sehr bezeichnend für den Zustand dort drüben. Für das, was bei uns jeder, auch jeder Arbeitslose, in jedem Geschäft kaufen kann, muß man drüben in einen Delikatladen gehen, und selbst ein gut Verdienender ist nicht in der Lage, sich diese Dinge ohne entsprechende Einschränkungen zu kaufen. Deswegen kam es jetzt drüben in der DDR zu den Tumulten.Die Diskrepanz zwischen der Bevölkerung und dem politischen Regime in der DDR wird immer größer, und dazu hat vielleicht paradoxerweise — ich sage „paradoxerweise", weil ich weitgehend wenigstens einen guten Willen und die Bemühungen eines großen Teils der Bundesregierung anerkenne — diese Politik beigetragen; denn die Enttäuschungen über die tatsächlichen Ergebnisse der Politik der letzten Jahre führen zu den Einzelaktionen, wie sie sich um die Namen Bahro, Havemann, Nitsche und viele andere ranken, diesen Bürgerrechtsbewegungen, die — völlig unkoordiniert und sicher nicht organisiert — Ausdruck einer weit verbreiteten Unruhe und Unzufriedenheit der Bevölkerung in der DDR sind.Auch die Menschen drüben, die völlig orthodox sind, auch die Dümmsten, müssen sich allmählich die Frage stellen: Wie falsch muß eigentlich das Wirtschaftssystem des Marxismus/Leninismus sein, wenn es mit zunehmendem Abstand hinter dem angeblich von schweren Krisen geschüttelten westlichen Kapitalismus hinterherhinkt? Das geht tief, das rührt an das Selbstverständnis der DDR. Von einem eigenen Staatsbewußtsein der Menschen in der DDR kann ohnehin nicht die Rede sein. Das entdeckt jeder, der die Möglichkeit hat, unkontrolliert, unbeobachtet mit ihnen zu sprechen. Das Staatsbewußtsein der Bevölkerung der DDR existiert nur in den Papieren des Kanzleramtes der Bundesrepublik Deutschland und sonst nirgendwo. Eine politische Realität ist es jedenfalls nicht.Die DDR ist im übrigen auch, wenn sie überhaupt ein Staat ist, ein Staat auf Abruf. Ich kenne kaum einen zweiten Staat auf dieser Welt, der vom Willen einer anderen Macht derart abhängig ist wie die DDR. Das ist zugegebenermaßen eine kräftige Basis; denn die Sowjetunion ist eine Weltmacht. Wir nehmen es auch ernst, wenn Breschnew sagt, die Sowjetunion lasse ihre Verbündeten nicht fallen. Aber nirgendwo steht mit absoluter Sicherheit geschrieben, daß die DDR in aller Zukunft und immer ein Verbündeter der Sowjetunion sein wird. Wenn man sich die sogenannten Ressourcen, Braunkohle, Kali und Kalk, vor Augen hält, so steigen die wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den nächsten Jahren. Es gibt überhaupt keine Programme, wie die Grundlagen der DDR-Wirtschaft ersetzt werden können. In 15 bis 20 Jahren muß sich die DDR fragen, ob sie vielleicht ausgepowert, für die Sowjetunion nicht mehr von dem gegenwärtigen Interesse ist.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang zwei Sätze in bezug auf die DDR im Hinblick auf dieSowjetunion sagen. Die Sowjetunion wird eines Tages einsehen, einsehen müssen, wie sehr sie der Rüstungswettlauf, der immer größer werdende wirtschaftliche Abstand und Rückstand gegenüber dem Westen und die deutsche Spaltung — die der Sowjetunion genauso viel Ärger und Sorgen bereitet wie uns — belasten. Daß — wie man bei uns immer hört — die Zeit für die Sowjetunion arbeite, ist in meinen Augen ein großer Irrtum.
Die Zeit arbeitet überhaupt nicht für die Sowjetunion, und ein Teil der großen, sichtbaren Nervosität der Führer der Sowjetunion rührt daher, daß sie das Gefühl haben, die Zeit arbeitet gegen sie.Meine Damen und Herren, daraus ergeben sich, auch im Hinblick auf die deutsche Situation, eine Reihe von Schlußfolgerungen.Wir sind sehr für Gespräche, für Verhandlungen und für Geschäfte, am besten Geschäfte mit der DDR, auch politische Geschäfte. Ein Geschäft liegt immer dann vor, wenn Leistung und Gegenleistung einander entsprechen. Das wollen wir.
Wir wollen einiges von Honecker; Honecker will unser Geld. Das braucht er ja, um die schlimmsten Auswüchse seiner Mißwirtschaft wenigstens zu kaschieren. Wir sind bereit, das Geld zu geben, aber dafür wollen wir einige Leistungen haben. Wir wollen keine Maximalforderungen stellen — das haben wir immer gesagt; das haben Sie absichtlich mißverstanden —, aber wir wollen, daß diese Bundesregierung den Spielraum auslotet. Hier ist einiges drin! Das fordern wir von seiten der Bundesregierung.
In der Berlin-Frage — ich habe es bereits gesagt verlangen wir Festigkeit. Festigkeit ist das, was auf die Dauer honoriert wird, denn die Sowjetunion wird einsehen müssen, daß die deutsche Spaltung für sie keinen dauernden Vorteil bedeutet. Wir können zu diesem Erkenntnisprozeß dadurch beitragen, daß wir der Sowjetunion bedeuten: Wir sind sehr für gute Beziehungen auch zur Sowjetunion, aber nicht auf der Grundlage der deutschen Spaltung. Die deutsche Spaltung ist etwas, was wir jetzt nicht hinnehmen und nie hinnehmen werden. Das muß ein wichtiges politisches Datum für die Sowjetunion sein.Ein Wort zum Schluß. Wir müssen den internationalen Zusammenhang der deutschen Frage wiederherstellen. Die Spaltung Deutschlands ist ein schwerwiegender Störungsfaktor, der gegen die Entspannung gerichtet ist. Wir müssen unsere Freunde auf dieser Welt bemühen, damit sie sich für dieses Problem wieder interessieren und engagieren. Wir haben diesen Zug der Deutschlandpolitik allzu leichtfertig in den Sackbahnhof Pankow stellen lassen. Wir müssen bei diesem Problem wieder das Netz der internationalen Beziehungen bemühen. Gerade die ständige Erwähnung Chinas durch die Sowjetunion zeigt — lassen Sie mich das noch sagen —,
Metadaten/Kopzeile:
7122 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Dr. Abeleindaß die Sowjetunion im Grunde genauso denkt wie wir. Wir sind der Meinung, es gibt Mittel und Wege, in der Deutschlandfrage zu Lösungen zu kommen, und wir sind bereit, diese Wege — gemeinsam mit anderen, auf einer möglichst breiten politischen Basis — zu suchen und zu beschreiten.
Meine Damen und Herren, wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mattick.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß gestehen, daß ich — soweit mir Zeit blieb — lange überlegt habe, was ich jetzt auf diese Rede sagen soll. Es war eine einzige große Anklage.
Da war nicht ein Wort der Anerkennung, und da habe ich mir überlegt: Wen haben Sie eigentlich angeklagt?
Nun war heute morgen die Rede von dem, wie der Kanzler Bismarck mit der damaligen russischen Regierung Sicherheitspolitik ausgehandelt hat. Ich habe jetzt, glaube ich, den Schuldigen gefunden, den Sie angeklagt haben. Es ist der Generalstab der kaiserlichen Armee, weil dieser mit Zustimmung des Kaisers Herrn Lenin 1917 durch Europa nach Rußland fahren ließ. Denn das ganze Unheil kommt, scheint mir, daher, und Ihre Anklage geht so weit zurück.
— Phantasie? In der Tat lassen Sie, Herr Professor Abelein, bei Ihrer Betrachtung doch völlig außer acht, warum es zu dem heutigen Zustand gekommen ist. Sonst könnten Sie doch eine solche Rede gar nicht halten.Ich will gar nicht mehr vom Krieg anfangen davon, wer die Schuld hat, davon, wie es gekommen ist —, aber ich will dort anfangen, wo unsere heutigen Partner und Freunde mit gehandelt haben. Das war 1944, als sie in Jalta Deutschland unter sich aufteilten. Das Vertrauensverhältnis, das Roosevelt damals mit der Sowjetunion auch für die Friedenspolitik glaubte aufrechterhalten zu können, hat dazu geführt, daß Berlin eingekreist wurde. Dadurch entstand eine Geographie, die von der Geschichte einmal mit Hohnlachen betrachtet werden wird. Drei Großmächte haben sich durch die Aufteilung Restdeutschlands in vier Teile und Berlin der vierten Macht in die Hände gegeben. Durch diese Aufteilung und die Einkreisung Berlins durch die Sowjetische Siegermacht kommt alles Übel, was wir heute in bezug auf Berlin erleben. Das ist unbestreitbar.Die Westmächte haben sich von Anbeginn ihrer Besatzungspolitik — um das auch noch einmal zu sagen — streng an die festgelegte Demarkationslinie gehalten. Sie haben kein einziges Mal dasRecht auf Mitbestimmung im Ostsektor Berlins wahrgenommen. Daher gibt es auch Probleme im Zusammenhang mit den Protesten, die die Alliierten erheben, wenn im Ostsektor die Armee marschiert oder wenn die Ost-Berliner an der Volkskammerwahl teilnehmen dürfen. Das haben die Westmächte 1945 und danach verschenkt. Denken Sie an die Urabstimmung der SPD. Damals haben sie uns nicht geholfen, daß wir im Ostsektor wählen konnten. Denken Sie an den 17. Juni 1953. Denken Sie an die Mauer. Niemals haben die Westmächte einen Schritt getan, um ihren eigentlichen Anspruch auf Mitsprache auch in Ost-Berlin wahrzunehmen. Das ist ein Fakt, Herr Professor, mit 'dem man rechnen muß. Wir in Berlin mußten unser Verhältnis zur Bundesrepublik in Abhängigkeit davon gestalten, daß die sowjetische Macht die Umgebung Berlins besetzt. hatte und mit der Gründung der DDR Berlin in die DDR eingebettet wurde. Wir sind damit in einer Abhängigkeit, die es nicht noch einmal gibt.Davon müssen Sie ausgehen. Sie müssen überlegen, was dadurch alles geschehen ist. Denken wir an die Währungsreform. Dazu ist mir gestern von einem Mann eine Frage gestellt worden, der über Erinnerungen an die Währungsreform etwas schreiben will. Bei diesem Gespräch fiel mir ein, warum wir in Berlin darum gekämpft haben, daß Berlin unbedingt an die westdeutsche Währung angeschlossen wurde. Ich darf Sie erinnern, daß es die Idee gab, eine Bären-Mark zu gründen, um nicht von der Ost-Mark abhängig zu werden, aber auch nicht an die D-Mark gebunden zu sein; denn damals hatten die Sowjets mit der Blockade gedroht. Es war Ihr Professor Friedensburg, der diese Idee hatte, daß sich Berlin auf seinem Gebiet währungsmäßig selbständig machen könnte. Ich erinnere nur daran, damit man sich einmal überlegt, welche Auseinandersetzungen wir in Berlin führen mußten bis zum Bau der Mauer.
Sie haben einen Katalog aufgezählt, was es bis zum Bau der Mauer schon alles gab, Herr Professor Abelein. Dann war das alles vorbei. Gehen Sie Ihren Katalog noch einmal durch, was es bis zum Bau der Mauer schon alles gab. Die Mauer war die Antwort der Sowjetunion. Sie wurde von den drei Westmächten und der Regierung Adenauer hingenommen. Die Sowjetunion mußte einen Ausweg suchen, damit die Bevölkerung der DDR nicht auswanderte. Die Westmächte waren zufrieden, daß sie den Ausweg gesucht hat.Dann legte die Mauer bis zum Jahre 1969 alles still. Sie beendete alles. Erst die sozialliberale Koalition hat die Mauer geöffnet.
Nun verstehe ich nicht, warum Sie das alles beiseite schieben und all das, was wir getan haben, um den Zustand der Jahre 1961 bis 1969 zu überwinden, Mist sein soll. Sie haben nämlich eine Idealvorstellung. Die Wirklichkeit ist anders, Herr Professor Abelein, und das wissen Sie doch ganz genau. Wenn Sie Schritt für Schritt verfolgen, was wir getan haben und was wir gegenüber dem Zustand zwischen 1961 und 1969 erreicht haben, dann wer-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7123
Mattickden Sie sehen, daß Ihre große Anklage eigentlich eine Beleidigung ist.
Sie ist eine tiefe Beleidigung, wenn man den Weg verfolgt, den Berlin hinter sich hat. Berlin hatte dabei die Unterstützung jeder Bundesregierung. Das ist unbestritten. Aber aus welcher Lage heraus sind wir seit 1945 in einen Zustand gekommen, der die Viermächtevereinbarung ermöglicht hat, die Viermächtevereinbarung, in der die Sowjetunion erstmalig unterschrieben hat, daß die Westmächte zu Recht in West-Berlin sind und daß West-Berlin den Zusammenhang mit der Bundesrepublik hat, der festgelegt ist. Dies hatten wir vorher nicht, Herr Professor Abelein.Deswegen muß ich Ihnen sagen: Wenn Sie sich den heutigen inneren Zustand und die Entwicklung dieser Stadt Berlin ansehen, dann ist es doch wohl unbestreitbar, daß — wenn man den Zeitraum nimmt, der uns geblieben ist — nach der Viermächtevereinbarung eine Veränderung eingetreten ist, die man sukzessiv weiterentwickeln muß.Und dies macht man nicht, indem man dauernd von Berlin-Krisen redet. Es steht immer noch das Wort des Kollegen Marx vom 19. März 1977 im Raum: „Die nächste Berlin-Krise kommt bestimmt." Damit lockt man keine Investitionen in die Stadt.
Da sagt sich jeder: Was sollen wir denn da,
wenn schon die Politiker sagen: Die nächste Berlin-Krise kommt bestimmt.Die nächste Berlin-Krise ist nicht gekommen.
Wir werden die nächste Krise verhindern und den Prozeß um Berlin weiterführen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kunz ?
Einen kleinen Moment! — Wenn Sie sich nicht vor Augen halten, was Sie selber nicht erreicht haben und wo Sie stehengeblieben sind, als Ihre Regierung abgetreten ist, und dann einen Katalog der Beziehungen zur DDR und der Beziehungen zwischen den Menschen der beiden Teile Deutschlands aufmachen, denn muß ich Ihnen sagen: Aus meiner Sicht — und auch ich habe einige Erfahrungen; ich habe immer in Berlin gelebt und habe immer Beziehungen zu Ost-Berlinern gehabt hat sich so viel verändert, daß selbst die Bürger in der DDR aus unserem Bemühen wissen, daß sich auch ihre Lage verbessert hat. Sie haben recht mit dem Hinweis auf das, was alles noch schlecht ist. Aber wenn Sie den Prozeß sehen, Herr Professor Abelein, dann müssen Sie sich vor Augen halten, was war,
was ist und wie wir diese Entwicklung weiterführen können.
Bitte, Herr Kollege.
Herr Kollege Mattick, darf ich Sie fragen, ob es Ihrer Ansicht nach die Investitionsförderung für Berlin belebt, wenn ein maßgeblicher Mann der Koalition den Eindruck erweckt, als wenn wegen einer bestimmten eindeutigen Auslegung des Viermächteabkommens weitere hektische Schritte zu erwarten sind.
Sie unterstellen hier etwas, was nicht stimmt. Das wissen Sie doch.
Es geht um eine offene Diskussion über die Fragen: Was ist in der Politik Machtposition? Was ist Ausschöpfung der Möglichkeiten? Und was ist eigene Disziplinierung vor Fehlschritten, die zu Schwierigkeiten führen können, die man sich ersparen soll?
Und ersparen soll man sich Schwierigkeiten, die uns nichts nutzen und die den Alliierten unangenehm sind und bei denen uns die Alliierten wieder sagen müssen: Das geht nicht.Ich denke folgendes dabei — auch das will ich Ihnen ganz offen sagen —: Sie haben das Verhältnis zwischen der Sowjetunion und ,der DDR angesprochen. Richtig ist, daß die Abhängigkeit groß ist.
— Nein. Total ist sie nicht. Sie müssen auch wissen, daß die Abhängigkeit dazu führt, daß die Führung der DDR die sowjetische Führung gerade in der Berlin-Frage nicht in Ruhe läßt. Für Herrn Honecker und die Führung der SED ist Berlin doch die entscheidende Belastung ihres politischen Daseins. Wer sich nicht vor Augen hält, daß in diesem Zusammenhang die Position der Sowjetunion uns gegenüber unter einem gewissen Zwang steht, der begreift nicht, was es für die DDR bedeutet, daß es West-Berlin gibt; der begreift auch nicht, unter welchen Zwängen — das mächtige Rußland durch die Krisensituation der DDR steht.Daher sage ich Ihnen sehr nüchtern: Unsere Politik um Berlin muß so sein, daß die Bürger in ,der DDR unsere Sympathie und wir ihre haben. Sie muß auch so sein, daß zwar der Rechtsstandpunkt wahrgenommen wird, aber daß wir nicht so viel darüber reden, wo die Grenze der Provokation ist, und daß wir nicht versuchen, sie ein ganz klein wenig zu überschreiten.Wir sollten das ehrlich erfassen und einander nichts vormachen. Heute vormittag wurde das deutsche Problem — ich glaube von Herrn Strauß — auch als Aufgabe von Generationen angesehen. Wir müssen mit den Generationen rechnen und heute eine Politik betreiben, die die Entwicklung, die ab 1969 angestrebt worden und angelaufen ist, fortsetzt: nämlich daß Berlin eine Stadt wird, in der sich jeder wohlfühlt, .die viele Besucher empfangen kann,
Metadaten/Kopzeile:
7124 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Mattickdie, weil Vertrauen besteht, Investitionen erhält und die gleichzeitig ein Zeichen dafür ist, daß die deutsche Frage in eine Zukunft eingebettet ist, an der wir alle gestaltend mitwirken wollen.Lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen zu der allgemeinen Situation machen. Ich glaube — das ist eigentlich in diesen Tagen in Wien wieder bewiesen worden —, wir müssen Berlin und die deutsche Frage in einem internationalen Kontext sehen. Wir können keine eigenen Wege gehen, die von dieser Gemeinsamkeit wegführen. Nur in wirklicher Gemeinsamkeit sind wir in der Lage, Schritt für Schritt weiterzukommen.Wir waren in diesen Tagen in Wien und haben auf der Konferenz dort über die KSZE gesprochen. Nun war Belgrad, wie man sagt, eine Enttäuschung. Für mich war es das nicht so sehr, weil ich nicht mehr erwartet hatte. Auf der Wiener Konferenz haben die Parlamentarier aus allen Ländern, die zu den Teilnehmern der KSZE gehörten, u. a. folgendes beschlossen:Die Konferenz ruft zu geeigneten Initiativen der Parlamente und Regierungen der Teilnehmerstaaten der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa auf, insbesondere um a) menschliche Kontakte sicherzustellen, daß Gesuche betreffend Kontakte und regelmäßige Begegnungen auf der Grundlage familiärer Bindungen, Familienzusammenführung und Eheschließung zwischen Bürgern verschiedener Staaten in positivem und humanitärem Geiste so rasch wie möglich gelöst werden und daß die Gesuchsteller und ihre Familienmitglieder weiterhin dieselben Rechte, z. B. hinsichtlich ihres rechtlichen, sozialen und beruflichen Status genießen und denselben Verpflichtungen unterliegen . . .Möglichkeiten für umfassende Reisen ihrer Bürger aus persönlichen oder beruflichen Gründen durch Verringerung der Erfordernisse für Reisedokumente sowie, wo sie bestehen, für Ausreise- und Einreisevisa weiterzuentwickeln.Das ist übrigens in bezug auf die Visaerteilung auch eine Mahnung an uns. Alle 35 Staaten haben diesen Beschluß gefaßt und haben sich vorgenommen — so heißt es in dieser Schlußakte —, „in ihren Parlamenten und aus ihren Parlamenten heraus dafür zu sorgen, daß diese Politik weiterentwickelt wird".Sie werden sagen: Das steht schon seit Helsinki fest. Aber hier ist eine neue Verpflichtung entstanden und eine neue Dimension der Auseinandersetzung um diese Probleme eingeleitet worden.Ich wollte aber noch etwas anderes sagen. Ich habe jetzt die dritte Konferenz mitgemacht: Helsinki, Belgrad, Wien. Vielleicht wird Ihr Kollege Sie auch unterrichtet haben. Ich glaube, das, was ich hier sage, würde er genauso sagen können. Es hat sich unter den Parlamentariern eine Atmosphäre entwikkelt, die mit der von Helsinki unvergleichlich ist, weil man sich eben bei den Begegnungen allmählich kennenlernt, Gedanken äußert und sich auch in Gesprächen darauf einläßt, wirklich Probleme zu behandeln, wie es zwischen Ost und West bei der letzten Konferenz zwischen Ost und West der Fall war. Die acht Länder tragen Differenzen untereinander auch öffentlich aus. In den Ausschüssen kämpft einer wie der andere um die Bewertung von Symptomen. Allmählich entwickelt sich auf diese Weise eine Gemeinschaft, die die Vorgänge im Zusammenhang mit der KSZE weiterverfolgen wird. In den Parlamenten werden sich weitere Bestrebungen ergeben, die uns helfen, diesen Prozeß weiterzuentwickeln.Ich möchte zu Ihrer Entschließung sagen: Ich bedaure, daß Sie diese Entschließung vorgelegt haben, weil auch sie im Grunde keine positiven Elemente enthält. Wir werden diese Entschließung ablehnen. Das wollte ich Ihnen nur mitteilen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jäger .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei den Beratungen über den Grundlagenvertrag hier im Deutschen Bundestag vor fünf Jahren ist dem Art. 7 dieses Vertrages und seiner Verpflichtung für beide Vertragspartner, Folgeabkommen miteinander abzuschließen, die den praktischen Anliegen der Menschen in unserem geteilten Vaterland zugute kommen sollten, gerade von den Vertretern der Koalition ganz besonderes Gewicht beigemessen worden. Er wurde als „Kernstück" des Grundlagenvertrages bezeichnet, als die „Hauptgegenleistung" der DDR, als „Ausdrucksform der weiteren Normalisierung", wie sich Bundesminister Franke ausdrückte, die sich zwischen den beiden Staaten in Deutschland entwickeln sollte. Ein Kollege von der FDP nannte den Art. 7 sogar ein „weitgespanntes Programm zum Wohle der Menschen diesseits und jenseits der Elbe".Wie mit so manchen anderen weitgespannten Programmen ist die SPD/FDP-Koalition auch mit den Folgeabkommen zu Art. 7 des Grundlagenvertrages nach einigen bescheidenen Anfangsschritten sehr bald auf der Strecke geblieben.
Heute, fast fünf Jahre nach dem Inkrafttreten des Grundlagenvertrages, sind von den elf Punkten des Zusatzprotokolls zu Art. 7 fünf überhaupt noch nicht erledigt und vier der restlichen sechs erst zu geringfügigen Teilen.
Meine Damen und Herren, das ist doch nichts anderes als eine zutiefst enttäuschende Bilanz.
Meine. Damen und Herren, nicht nur enttäuschend, geradezu deprimierend sind doch die weiteren Aussichten bezüglich der Regelung der noch offenen Punkte. Dafür rufe ich keinen geringeren zum Zeugen an als den zuständigen Bundesminister, der hier unter uns ist, Herrn Minister Franke, der erst vor wenigen Tagen in einem Rundfunkinterview auf
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7125
Jäger
die Frage seines Gesprächspartners, mit welchen Folgeabkommen in absehbarer Zeit wohl überhaupt zu rechnen sei, nichts anderes zu antworten wußte, als neben einer Aufzählung der bestehenden Verhandlungsgegenstände zu sagen: Das ist sehr schwierig. Mehr, meine Damen und Herren, kann uns die Bundesregierung in diesem Punkt nicht sagen, und sie hat ja auch in ihren Antworten auf meine Mündlichen Anfragen nichts anderes gesagt, was uns mit Veranlassung gab, diese Große Anfrage einzubringen. Das heißt doch nichts anderes als: Die Bundesregierung muß zugeben, daß die Zukunftschancen für die Weiterentwicklung der Folgeabkommen nach Art. 7 des Grundlagenvertrages düster, problematisch, ja, in manchen Bereichen beinahe aussichtslos sind. Das sind Feststellungen im Jahre 1978, fünf Jahre nach Ratifizierung des Grundlagenvertrages und ein Armutszeugnis für Ihre Politik, meine Damen und Herren.
Das ist um so merkwürdiger, als Ihnen in den letzten Jahren eine Reihe anderer internationaler Instrumente zu Hilfe gekommen ist. Ich meine die KSZE-Schlußakte von Helsinki im Sommer 1975, und ich meine die UN-Menschenrechtspakte, die 1976 in Kraft getreten sind und die im Gegensatz zur KSZE- Schlußakte für die DDR auch völkerrechtliche Verbindlichkeit erlangt haben.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu der KSZE-Schlußakte noch einmal ein kurzes Wort zu dem sagen, was heute morgen von Vertretern der Koalition dazu gesagt worden ist. Wir haben doch im Sommer 1975 die KSZE-Schlußakte so, wie sie vorlag, nicht deswegen zur Ablehnung empfohlen, weil wir die menschenrechtlichen Bestimmungen darin für schlecht gehalten haben, sondern weil wir die Bundesregierung auffordern wollten, weiterzuverhandeln, bis die Verbesserungen durchgesetzt sind, die nach unserer Meinung in diesem Werk noch nicht enthalten gewesen sind.
Wenn wir uns heute auf diese Schlußakte von Helsinki berufen, dann tun wir doch nichts anderes,
als was die selbstverständliche Pflicht und Aufgabe jeder Opposition in diesem Hause ist. Und ich unterstelle, Herr Kollege Wehner, daß jede andere Opposition, wenn sie Opposition wäre, genauso verantwortlich handeln würde, wie wir das in dem Zusammenhang tun.
Meine Damen und Herren, die DDR ist also nicht bloß durch den Grundlagenvertrag in der Pflicht, sie ist doppelt und dreifach in der Pflicht durch die Menschenrechtspakte und durch die Schlußakte von Helsinki. Das beste Beispiel dafür ist der Informationsaustausch, der im Zusatzprotokoll zu Art. 7 in Ziff. 10 geregelt worden ist, ein für die Menscheneminent wichtiger Bereich. Ich darf mit Ihrer Genehmigung, Frau Präsidentin, zitieren:Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik werden Verhandlungen mit dem Ziel führen, den gegenseitigen Bezug von Büchern, Zeitschriften, Rundfunk- und Fernsehproduktionen zu erweitern.Ähnliches, nur noch ausführlicher und umfassender, steht in der Schlußakte von Helsinki in Korb III unter Ziff. 2 a. Und noch weit darüber hinaus geht der UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte, denn er sagt ausdrücklich in seinem Art. 19:Jedermann hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen Informationen und Gedankengut jeder Art in Wort, Schrift oder Druck, durch Kunstwerke oder andere Mittel eigener Wahl sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben.Meine Damen und Herren, das ist eine klare verbindliche Pflicht für den Vertragspartner DDR. Trotzdem muß die Bundesregierung in der Antwort auf unsere Große Anfrage zugeben, daß in diesem Bereich die Verhandlungen noch nicht einmal in der Sache in Gang gekommen sind. Meine Damen und Herren, eine solche Feststellung im Jahre 1978 ist angesichts dieser umfassenden Instrumente, die der Bundesregierung zur Verfügung stehen, in unseren Augen ein Offenbarungseid für ihre Verhandlungskunst.
Dabei gibt die Bundesregierung in der von mir schon angesprochenen Antwort ebenfalls bekannt, daß im Jahr 1976 der Betrag, für den die DDR Zeitschriften aus der Bundesrepublik Deutschland bezog, immerhin 12,7 Millionen Rechnungseinheiten betrug. Aber das waren ganz offenkundig keine anderen als die Parteizeitungen der DKP und ihrer Hilfs- und Nebenorganisationen; nur die können drüben an den Kiosken verkauft werden. Ich meine, wenn auch nur die Summe, die die Bundesregierung hier genannt hat, dazu verwendet werden könnte, zu einem echten Zeitungsaustausch zu kommen, wie er in Art. 7 in Verbindung mit Ziffer 10 des Zusatzprotokolls vereinbart ist, dann wäre das ein Schritt, den wir nicht gering achten, sondern als einen ordentlichen Anfang betrachten würden. Wir sind jedoch dagegen, daß wie bisher kommunistische Propaganda in der Bundesrepublik Deutschland mit diesem Geld unterstützt wird.
Ein weiterer Punkt, den wir mit großer Sorge sehen, sind die Vereinbarungen über die Regelungen des Rechtsverkehrs zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. Hier ist es vor allem die Frage der Staatsangehörigkeit, die nach Auskunft der Bundesregierung bisher alles blockiert hat. Auch hier gibt es noch keinerlei Vereinbarung; man ist noch immer im Anfangsstadium der sachlichen Verhandlungen. Die DDR verlangt als Voraussetzung für jede Regelung die Übernahme ihrer Rechts-
Metadaten/Kopzeile:
7126 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Jäger
auffassung zur Staatsangehörigkeit. Das ist für uns deswegen so bedrückend, weil sich hieran doch zeigt, daß eine der entscheidenden Grundkonstruktionen des Grundlagenvertrages nicht tragfähig ist, nämlich jene Grundkonstruktion, die der Chefunterhändler, Herr Bahr, damals eingeführt hat, als man sich mit der Aufnahme des Grunddissenses in die Präambel zum Grundlagenvertrag sozusagen gegenseitig bescheinigte: Wir klammern diese Dinge aus und regeln trotzdem die übrigen Fragen, kommen trotzdem zu einer Normalisierung im Rahmen des Möglichen.Wenn das richtig, wenn diese Grundkonstruktion tragfähig gewesen wäre, hätte die DDR jetzt bei der Frage des Rechtsverkehrs erklären müssen: Wir klammern die Staatsangehörigkeitsfrage aus — sie ist im Grundlagenvertrag nicht geregelt —, und wir kommen unbeschadet der Meinungsverschiedenheiten, die wir haben, zu tragfähigen Regelungen für die Menschen, wie es in dem Zusatzprotokoll zum Grundlagenvertrag ausdrücklich heißt. Statt dessen macht die DDR das Umgekehrte: Sie verlangt die Übernahme ihrer Position durch uns. Damit wird doch sichtbar, daß Egon Bahr 1972 mit seiner Verhandlungskonstruktion gescheitert ist. Wir klagen deshalb nicht die Verhandlungsführer von heute an, die sich in den Gesprächen über den Rechtsverkehr schwer tun, sondern unser Vorwurf bei dieser Frage richtet sich gegen Herrn Bahr und seine fehlerhafte und verhängnisvolle Konstruktion im Grundlagenvertrag.
Ein dritter und letzter Punkt. Ein besonders bedrückendes Kapitel — der Kollege Professor Abelein hat das ja bereits angesprochen — ist die Frage des nichtkommerziellen Zahlungsverkehrs zwischen uns und der DDR. Die Teilregelung von 1974 — das hat Professor Abelein deutlich gemacht — ist ganz und gar unbefriedigend. 15 000 Deutsche in der Bundesrepublik Deutschland, die im sogenannten Wartezimmer sitzen — wie das heute im Fachjargon heißt —, darunter eine große Zahl alter Menschen, Rentner, Personen mit geringem Einkommen, die zum Teil auf diese Beträge angewiesen sind, erhalten nicht einmal die bescheidene Summe von 200 DM monatlich, den Höchstbetrag, auf den mit dem damaligen Transferabkommen die Zahlungen aus den Sperrkonten der DDR begrenzt wurden. Dabei muß berücksichtigt werden, daß das in Jahren passiert, in denen aus den Kassen der Bundesrepublik Deutschland Millionen und Abermillionen an die DDR fließen. Diese Rentner und alten Menschen müssen sich doch von unserem Parlament und der Regierung verschaukelt vorkommen, wenn sie auf 200 DM im Monat warten müssen, während der Bundesfinanzminister Monat für Monat Millionenbeträge an die DDR überweist.
— Herr Kollege Kreutzmann, regen Sie sich nicht auf. Allein über 100 000 Anträge liegen zur Erledigung vor, die nicht beschieden werden können. Es wäre allerhöchste Zeit, daß Sie Ihre Aufforderungennicht an die Opposition richten, die die Pflicht hat, diese Dinge anzumahnen, sondern an die Bundesregierung, die die Pflicht hat, diese Dinge endlich einer vernünftigen Regelung zuzuführen.
Wir fordern deswegen die Erhöhung des Höchstbetrages von 200 DM im Monat, der auch den heutigen Lebensverhältnissen nicht mehr angemessen ist. Wir fordern zum zweiten die Erweiterung des Kreises der Transferberechtigten. Schließlich — das ist das allerwichtigste; ich wiederhole es — fordern wir, daß die Gegenseitigkeitsklausel fallen muß, die bisher die eigentliche Hauptursache jener miserablen Situation gewesen ist, wegen derer so viele Menschen nicht zu Zahlungen aus ihrem Eigentum drüben in der DDR gelangen können.Meine Damen und Herren, kein anderes Beispiel zeigt so deutlich wie dieses, wie falsch das ist, Herr Minister Franke, was Sie in der letzten Bundestagsdebatte hier von diesem Pult aus sagten, als Sie davon sprachen, daß die Politik der Bundesregierung einen Interessenausgleich nach dem Prinzip des Gebens und Nehmens praktiziere. Das stimmt höchstens in einer Richtung, Herr Minister Franke: Die Gebenden sind wir, und die nehmende Seite ist die DDR.Die Bundesregierung ist heute naturgemäß nicht mehr in der Lage, die von ihr selbst und von ihrem deutschlandpolitischen Chefideologen Egon Bahr verschuldeten schweren Mängel des Grundlagenvertrages einseitig zu korrigieren. Es ist daher ihre Aufgabe, die in der KSZE-Schlußakte von Helsinki und in den Menschenrechtspakten der Vereinten Nationen zusätzlich vorhandenen Verhandlungsinstrumente wirkungsvoll einzusetzen.Dazu gehört aber vor allem der Verzicht auf die notorische Leisetreterei gegenüber den SED-Machthabern, die vor allem der Herr Kollege Wehner in letzter Zeit bei dieser Bundesregierung als Praxis ihrer Verhandlungstätigkeit durchgesetzt hat. Diese Leisetreterei bringt nichts, aber sie hindert die Bundesregierung an der wirkungsvollen Vertretung unserer deutschen Interessen. Ihr Gegenteil ist nicht etwa, wie die Koalitionsparteien uns immer wieder unterstellen, lautstarkes Imponiergehabe oder gar Säbelrasseln, sondern das unbeirrbare, zähe und unermüdliche Einfordern vertraglicher Verpflichtungen vom Vertragspartner, gleichgültig, ob dem das angenehm ist oder nicht.Diese Haltung ist die Alternative der Union bei den Verhandlungen mit kommunistischen Politikern. Sie ist von dem Vorsitzenden der beiden Unionsparteien beim Besuch Breschnews ja erst kürzlich praktiziert worden.
Herr Breschnew hat sie verstanden und hat sie gewürdigt. Es wäre an der Zeit, meine Damen und Herren von der Bundesregierung und von der Koalition, daß diese Alternative endlich auch von der Bundesregierung und auch der DDR gegenüber praktiziert wird, wenn es um die Erfüllung des
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7127
Jäger
Grundlagenvertrages geht. Nutznießer davon wären die Menschen in unserem geteilten Vaterland.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ludewig.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die grundsätzliche Zielsetzung der Deutschlandpolitik ist unverändert das, was die Bundesregierung in ihrer Antwort geschrieben hat. Ich wiederhole vier Punkte:1. Die Bundesregierung hält an dem Ziel fest, einen Zustand des Friedens in Europa zu erreichen, in, dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt.2. Die Deutschlandpolitik der Bundesregierung geht von der Tatsache aus, daß das deutsche Volk heute in zwei voneinander unabhängigen Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung lebt.3. Verbesserungen der Beziehungen zwischen den beiden Staaten im Interesse des Friedens und zum Nutzen der Menschen werden auf dem Verhandlungsweg angestrebt.4. Gegensätze und Unterschiede zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik bestehen weiter; aber in vielen Bereichen ist eine Zusammenarbeit bei gegenseitiger Respektierung der beiderseitigen Interessen möglich.Unsere Diskussion zu diesem Thema steht aktuell unter den Auswirkungen, Ergebnissen und der Kenntnis des Besuchs des sowjetischen Partei- und Staatsführers Breschnew und unter dessen Auswirkungen auf die deutsch-deutschen Beziehungen. Unzweifelhaft hat dieser Besuch auch Ausstrahlungen auf die deutsch-deutschen Beziehungen. Das ergibt sich u. a. aus der Tatsache, daß sofort nach Abschluß des Besuchs in Bonn und Hamburg der sowjetische Außenminister Gromyko in Ost-Berlin war, und aus dem Echo in den DDR-Nachrichtenmedien. Die durch die Gespräche Breschnews in der Bundesrepublik erzielten allgemeinen atmosphärischen Verbesserungen im deutsch-sowjetischen Verhältnis lassen uns hoffen, daß daraus auch neue Impulse für die deutsch-deutschen Beziehungen entstehen.Die Einbettung der Deutschlandpolitik in die internationale Entspannungspolitik ist für uns eine Selbstverständlichkeit. Die Freien Demokraten haben die Deutschlandpolitik immer auch als einen deutschen Beitrag zur Entspannung verstanden. Wir haben uns in enger Abstimmung mit unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft und im Atlantischen Bündnis an die Durchführung dieser Aufgabe gemacht.Nachdem 1977 als ein Jahr der gründlichen Bestandaufnahme und der Vorbereitung neuer Gesprächsrunden gestaltet wurde, ist nunmehr der Zeitpunkt gekommen, im Rahmen der Klimaverbesserung durch den Breschnew-Besuch auch den deutsch-deutschen Dialog mit mehr Kontinuität zuerfüllen und die noch in der Beratung stehenden Folgeverträge unter Dach und Fach zu bekommen.Ich nenne als Beispiel die geplanten Abkommen zur Zusammenarbeit auf den Gebieten der Kultur, der Wissenschaft und Technik, des Rechtsverkehrs, des Gesundheitswesens und des Umweltschutzes. Hier stimmt hoffnungsvoll besonders die folgende Passage aus der von Bundeskanzler Schmidt und Generalsekretär Breschnew unterzeichneten gemeinsamen Deklaration in Ziffer II:Beide Seiten setzen sich dafür ein, daß alle Prinzipien und Bestimmungen der in Helsinki unterzeichneten Schlußakte der KSZE im Verhältnis zwischen allen Teilnehmerstaaten und in ganz Europa volle Wirksamkeit erlangen — im Interesse der Zusammenarbeit der Staaten und zum Wohle der Menschen.Gerade durch diese letzte Hervorhebung wird deutlich, daß die Sowjetunion die Verwirklichung der Prinzipien der Schlußakte der KSZE von Helsinki jetzt nicht mehr nur im Interesse der Zusammenarbeit der Staaten, sondern ausdrücklich zum Wohle der Menschen akzeptiert. Dies ist ein gegenüber der Sowjetunion und der DDR berufungsfähiger Satz. Gerade die Folgeverträge zum Grundlagenvertrag sollten, eingebettet in die allgemeinen Entspannungsbemühungen, zum Wohle unserer Mitbürger in der DDR geschlossen werden.Ich will einige Beispiele nennen; es sind Einzelbeispiele der auf der Basis des Grundlagenvertrags, der Zusatzprotokolle und der Bereitschaft zum Abschluß von Folgeverträgen eingeleiteten Maßnahmen. Wir begrüßen die bisher in mühsamer politischer Kleinarbeit erzielten Verhandlungserfolge:Erstens das erweiterte Post- und Fernmeldeabkommen vom 30. März 1976. Hier wurde durch einen Briefwechsel am 19. Oktober 1977 über die Neufestsetzung der Pauschale und die Schaltung weiterer Fernsprechleitungen eine erhebliche Verbesserung des Post- und Fernmeldeverkehrs erzielt. Die Postlaufzeiten haben sich verkürzt, und die Zahlen. der angemeldeten Verluste und Zurückweisungen haben sich verringert. Der Förderung des Zusammenhalts der Menschen, einer Grundvoraussetzung für jede spätere Wiedererlangung der nationalen Einheit, dienen vor allen Dingen die Verbesserungen im Fernsprechverkehr. Bis Ende 1977 waren bereits 821 Fernsprechleitungen geschaltet. Es ist damit zu rechnen, daß bis zum Jahr 1982 die Voraussetzungen dafür geschaffen sind, fast die ganze DDR im Selbstwählfernsprechverkehr zu erreichen.Zweitens das Abkommen auf dem Gebiet das Gesundheitswesens: Dieses als erstes Folgeabkommen zum Grundlagenvertrag schon 1974 abgeschlossene und 1976 in Kraft getretenen Abkommen erscheint besonders erwähnenswert, weil danach seit dem 1. Januar 1976 Reisende Anspruch auf kostenlose medizinische Hilfe bei Unfall bzw. bei Krankheit im jeweils anderen deutschen Staat haben. Dadurch hat der Reiseverkehr zwischen den beiden Teilen Deutschlands als besonders wichtige Komponente in der Erhaltung des Zusammengehörigkeitsgefühls der
Metadaten/Kopzeile:
7128 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
LudewigMenschen eine soziale Absicherung erhalten, die vorher gefehlt hat.Drittens Verkehrserleichterung: Die durch den Verkehrsvertrag vom 26. Mai 1972 und den Grundlagenvertrag erzielten Reiseerleichterungen sind bekannt. Ich darf noch einmal unterstreichen, wie wichtig es für die Menschen in unserem geteilten Vaterland ist, daß sie nunmehr in alle Teile der DDR reisen können, daß der Grenzübergang frei gewählt werden kann, daß nicht nur der Besuch von Verwandten, sondern auch von Bekannten möglich ist, daß Touristenreisen durch die Öffnung neuer Straßenübergänge und die Zulassung des Pkw-Verkehrs und daß der grenznahe Verkehr sprunghaft zugenommen haben. Ich sage das nicht nur, weil ich es gehört habe, sondern ich sage Ihnen das, weil ich aus dem zonengrenznahen Raum komme und weil das für mich tägliches Erlebnis ist.Das alles sind nur einige wenige Beispiele für die Erfolge, die auf dem Gebiet der Folgevereinbarungen zum Grundlagenvertrag von der Bundesregierung in schwierigsten Verhandlungen in den letzten Jahren erzielt werden konnten.Auch die Tätigkeit der Grenzkommission ist zu nennen, die nunmehr nach fünfjähriger Tätigkeit ihre erste Zielsetzung, nämlich Überprüfung und Erneuerung der Grenzmarkierung, beinahe erreicht hat.Viel wichtiger aber ist die zweite Zielsetzung der Grenzkommission, auf die gerade meine Partei von Anfang an entscheidendes Gewicht gelegt hat, nämlich die Aufgabe, an der Lösung sonstiger, mit dem Grenzverlauf zusammenhängender Probleme mitzuwirken. Ich nenne insbesondere Energieversorgung, Schadensbekämpfung und Wasserwirtschaft, wobei gerade bei wasserwirtschaftlichen Maßnahmen an Grenzgewässern konkrete Verhandlungsergebnisse erzielt wurden.In unserer Debatte über die Lage der Nation am 9. März hatte ich einige Zahlen zum innerdeutschen Handel zusammengetragen — ein außerordentlich wichtiger Bereich in dem, was wir hier erzielt haben.Wir sollten hier in der Debatte natürlich nicht alles das wiederholen, was Sie gefragt haben, sehr verehrte Damen und Herren von der Opposition, und was die Bundesregierung ganz ausführlich geantwortet hat. Natürlich, Herr Abelein, kann man immer schon alles gesagt haben, wie Sie vorhin sagten: Sie hätten dieses und Sie hätten jenes vorausgesagt. Sie brauchen dann nur eine große Liste von schwarzseherischen Voraussagen zu machen, irgend etwas davon mag dann schon zutreffen, wird auch immer zutreffen,
weil ja nichts vollkommen ist. Aber bitte, nehmen Sie doch einmal den Unterschied zwischen dem Stand 1969 und dem heutigen Tag. Was haben wir in dieser Zeit nicht alles erreicht! An welchem hoffnungslosen Punkt standen wir, als der letzte CDU-Bundeskanzler die Regierung abgegeben und als die sozialliberale Koalition in diesem Staat die Weichen gestellt hat? Es ist natürlich Ihre Aufgabe als Opposition, zu drängen, zu fragen, zu bohren. Sie hätten Ihre Aufgabe ja geradezu verfehlt, wenn Sie das nicht täten.
Aber der Unterschied zwischen dem, was der letzte CDU-Bundeskanzler hinterlassen hat, und dem, was wir heute erreicht haben, ist doch weiß Gott eklatant. Da muß man sich möglicherweise doch fragen, ob das, was Sie fragen, und das, was Sie als Alternative bzw. als Konsequenz dahintersetzen, nämlich der Bundesregierung und den Regierungsfraktionen vorzuwerfen, sie hätten nichts oder zuwenig getan, wirklich angebracht ist.Die Freien Demokraten jedenfalls sind sich des großen Fortschritts seit 1969 sehr wohl bewußt. Heute fahren wir dorthin, wohin wir 1969 mit Kerzen im Fenster nur noch gedacht haben!In dem Unterschied steckt eine ganze Menge Arbeit. Diese Arbeit ist in der Zwischenzeit geleistet worden. Für diese Arbeit bedanken wir uns, und wir meinen, daß diese Arbeit intensiv zur Regelung der noch ausstehenden Probleme fortgesetzt werden muß. Das wollen wir Freien Demokraten tun.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Franke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst unterstreichen, daß die Bundesregierung die Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU zu den Folgevereinbarungen gemäß Art. 7 .des Grundlagenvertrags ausdrücklich begrüßt. Dies verdient nicht allein deshalb Beachtung, weil es keineswegs der Normalfall ist, daß eine Große Anfrage .der parlamentarischen Opposition der Regierung ausgesprochen — wie man so sagt — in dien Kram paßt. Aus solchen Gründen werden Große Anfragen in der Regel auch überhaupt nicht gestellt. Wenn ich mich so an die Oppositionszeit meiner eigenen Fraktion erinnere, war das Einbringen einer Großen Anfrage eigentlich immer der Versuch, der Regierung gewisse Schwierigkeiten zu bereiten.Aber ich habe gesagt: Wir haben diese Große Anfrage ausdrücklich begrüßt, weil auch sie wieder die Möglichkeit gibt, das deutlich zu machen und an die Öffentlichkeit zu bringen, was Sie unterschlagen wollen, was Sie ignorieren wollen. Wir wollen der Aufgabe gerecht werden, im Interesse unseres Volkes das Mögliche in dieser Zeit zu machen, und wir wollen nicht das Unmögliche fordern.Daneben gibt es aber noch mindestens zwei weitere sachliche Gründe, die erklären, warum die Bundesregierung ,die Große Anfrage ausdrücklich begrüßt: einmal deswegen, weil die Anfrage über die 1977 Wahrgenommenen Bilanzierungs- und Erörterungsmöglichkeiten hinaus eine weitere Möglich-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7129
Bundesminister Frankekeit bietet, den gegenwärtigen Stand der Verwirklichung der Ziele des Grundlagenvertrags darzustellen, gewissermaßen am Leitfaden der Folgevereinbarungen gemäß Art. 7 dieses Vertrags. In die Reihe der Rechenschaftslegungen und Überprüfungen des Jahres 1977 möchte ich auch die Große Anfrage stellen, deren Beantwortung durch die Bundesregierung uns hier beschäftigt.Wer außerhalb Bonns mit ,den Bürgern über Themen der Deutschlandpolitik spricht und diskutiert, wird immer wieder feststellen, wie sehr gerade in diesem Bereich Aufklärung und Information not tut, wie sehr und wie oft der Wissens- und Informationsstand hinter der tatsächlichen Entwicklung, welche die innerdeutschen Beziehungen in den 70er Jahren genommen haben, zurückgeblieben ist. Allzu oft verstellen Emotionen, Halbwissen und Vorurteile den Blick sowohl auf die reale Lage und die eingetretenen Veränderungen als auch auf die tatsächlichen Möglichkeiten der weiteren Entwicklung. Deswegen, wie gesagt, bietet die Antwort auf die Große Anfrage der Bundesregierung willkommene Gelegenheit, in der relativen Ausführlichkeit einer Bundestagsdrucksache anhand der Systematik des Art. 7 des Grundlagenvertrags die innerdeutschen Beziehungen in ihren Hauptgegenständen ein weiteres Mal aufzurollen.Je variabler und vielfältiger das Informationsmaterial ist, das der Öffentlichkeit über die innendeutschen Beziehungen zur Verfügung steht, desto mehr ist zu hoffen, daß immer mehr Bürger die innerdeutsche Problematik nicht nur als gelegentliche Zuschauer betrachten, sondern sie wahrhaftig auch in ihren Fortschritten, aber auch in ihren Rückschlägen und Schwierigkeiten mitdenken. Nur ein informiertes Mitdenken solidarischer Bürger sichert der Deutschlandpolitik jenen Rückhalt, dessen sie auf ihrem langen und mühsamen Weg bedarf. Tugenden wie Geduld, Zähigkeit, Mäßigung und langer Atem, wie es einmal jemand aus Ihren Reihen, der von der Thematik etwas verstand und heute noch versteht, hinzufügte, sind gefragt und sind nicht selbstverständlich. Sie müssen erarbeitet und in ihrer Notwendigkeit begreiflich gemacht werden, bevor man sie mit Aussicht auf Erfolg fordern kann. Um .das nebenbei auch zu sagen: Wer hier neben kritischen auch selbstkritische Töne durchhört, der hört durchaus richtig.Der zweite Grund, aus dem die Bundesregierung die Große Anfrage der Opposition begrüßt, ist, daß die Anfrage, wenn ich es so sagen darf, von dieser Opposition kommt, d. h. von einer Richtung dieses Hauses, die 1973 den Grundlagenvertrag fast geschlossen abgelehnt hat, die in denersten Jahren nach Inkrafttreten des Vertrages die darauf aufbauende Deutschlandpolitik als in Ansatz und Durchführung falsch verurteilt und die schon mehrmals als Scheitern dieser Politik proklamiert hat. Übrigens ist das fast tägliche Echo: daß diese Politik gescheitert sei, daß es Rinnsale seien und nun nichts mehr davon übrig sei. Aber auch Sie haben allmählich gemerkt, daß das niemand mehr hören will, weil millionenfache Beteiligung an den Ergebnissen dieser Politik ein anderes Zeugnis ablegt und die Menschen draußen auch bereit sind, sich daran zu erinnern.
Jetzt ist in der Begründung zur Großen Anfrage zwar von einer Sackgasse die Rede; aber darüber will ich nicht rechten. Das ist Ihre Sache. Es mag in der Oppositionsfraktion Kräfte geben, die wirklich und wahrhaftig eine von Grund auf andere Deutschlandpolitik, eine andere weltpolitische Einordnung der nationalen Frage, was vor allem das Verhältnis zu den Westmächten betrifft, und eine andere Priorität sowie davon abgeleitet auch eine andere Methode des Umgangs mit Ost-Berlin wollen. Ansätze zu einer solchen Politik, einer eindeutigen und klar abhebbaren Alternative zur jetzigen Deutschlandpolitik sind im deutschlandpolitischen Grundsatzpapier der CSU vom 23. Februar erkennbar geworden.Die Große Anfrage, um die es heute geht, hat jedoch aus meiner Sicht den Vorteil, daß sie den Grundlagenvertrag ernst nimmt und die Bundesregierung von daher befragt. Die Kollegen der CDU/ CSU-Fraktion, die diese Anfrage fromuliert haben, lassen sich ersichtlich auf die mannigfachen Einzelheiten der innerdeutschen Beziehungen ein, und diesen Ansatz beim Praktischen kann man nur begrüßen.Mit Recht weisen die Fragesteller auf die große Bedeutung hin, welche die Bundesregierung in den Debatten der Jahre 1972/73 dem Art. 7 des Grundlagenvertrages beigemessen habe. An dieser Auffassung hat sich in der Tat bis heute nichts geändert. Dieser Artikel definiert, was inhaltlich unter innerdeutscher Normalisierung vorzustellen ist. Damit es noch einmal deutlich wird, zitiere ich ihn im Wortlaut, damit dieser Artikel nicht im Zusammenhang mit irgendeiner legendären Vorstellung bemüht wird. Es heißt da:Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik erklären ihre Bereitschaft, im Zuge der Normalisierung ihrer Beziehungen praktische und humanitäre Fragen zu regeln. Sie werden Abkommen schließen, um auf der Grundlage dieses Vertrages und zum beiderseitigen Vorteil die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wirtschaft, der Wissenschaft und Technik, des Verkehrs, des Rechtsverkehrs, des Post- und Fernmeldewesens, des Gesundheitswesens, der Kultur, des Sports, des Umweltschutzes und auf anderen Gebieten zu entwickeln und zu fördern.Das ist die Bezugsquelle in Art. 7. Ein Kernstück des Grundlagenvertrages ist dieser Artikel insofern, als er durch materielle Aussagen die' Besonderheit der innerdeutschen Beziehungen unterstreicht. Abgesehen davon spiegelt er die Überzeugung wider, die der damalige Bundeskanzler Brandt schon im März 1970 bei dem denkwürdigen Treffen mit dem Ministerratsvorsitzenden der DDR Stoph in Erfurt geäußert hat: Zur Normalisierung der Beziehungen genügen nicht allein förmliche Dokumente, die Menchen hüben und drüben müssen von der Normalisierung etwas haben. So sagte Willy Brandt damals,
Metadaten/Kopzeile:
7130 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Bundesminister Frankeund der Art. 7 trägt wesentlich dazu bei, daß der Grundlagenvertrag in diesem Sinne nicht nur ein förmliches Dokument ist, gleichsam ohne materielles Fundament.Allerdings wäre es ganz und gar unpolitischer Formalismus, bei der Bilanzierung des Art. 7 gewissermaßen mit dem festen Datum des 21. Juli 1973 zu beginnen, an dem Tag also, da der Grundlagenvertrag in Kraft trat. Der Weg zum Grundlagenvertrag führte über mehrere Stationen, darunter über die Postvereinbarung vom 30. September 1971 und über den Verkehrsvertrag vom 26. Mai 1972. Beide Vereinbarungen haben wesentliche Voraussetzungen für das heutige Niveau der innerdeutschen Kommunikation geschaffen.Wie wichtig der Verkehrsvertrag von 1972 war, geht u. a. auch daraus hervor, daß seine Regelungen in vielen Punkten die Empfehlungen der KSZE von 1975 im bilateralen Verhältnis zur DDR bereits verwirklicht haben. Aber auch der Grundlagenvertrag selbst war mit Verbesserungen verbunden, die bei einer allzu formalen Bilanz im Zusammenhang mit dem Art. 7 und dem Zusatzprotokoll außer Betracht bleiben müßten. Ich nenne hier den Briefwechsel über Arbeitsmöglichkeiten für Journalisten, dessen Vollzug ungeachtet gelegentlicher Kollisionen den innerdeutschen Austausch von Informationen und Meinungen unverkennbar gefördert hat — trotz all dieser Dinge, die wir ja gar nicht verniedlichen und gar nicht ignorieren, sondern die für uns auch ein Stein des Anstoßes sind. Hier geht es aber darum, festzustellen, daß diese Lösung, diese Regelung insgesamt dazu beigetragen hat, in unserem Interesse weitgehend eine Forderung zu erfüllen.Auch der grenznahe Verkehr wäre hier zu nennen, obgleich ich nicht verhehlen möchte, daß der Zuspruch, den er hier in der Bundesrepublik bei den rund 6 500 000 Einreiseberechtigten findet, nicht ganz so rege ist, wie ich mir das einmal vorgestellt habe.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich dazu bitte von dieser Stelle aus noch eine Anmerkung machen. Ich habe fast den Eindruck, daß diese geringe Annahme der Möglichkeiten der Reisen im kleinen Grenzverkehr mit darauf zurückzuführen ist, daß sich fast 20 Jahre lang eine absolute Trennung der Familien ergeben hatte
und dadurch eine Entfremdung eingetreten war, die man nicht beliebig aus der Welt schaffen kann. Da zeigt sich vielmehr, wie die Zeit in der Tat nicht für uns gearbeitet hat, wie es auch schon einmal der Bundeskanzler Kiesinger sagte, als er damals den Zeitfaktor mit zur Grundlage seiner Beurteilung der aktuellen Situation machte.Es ist wahr — und darum redet auch die Antwort auf die Große Anfrage nicht herum —, daß auf einer ganzen Reihe von Gebieten die gemeinsamen Vorsätze des Art. 7 noch nicht realisiert sind. Abkommen über Kultur und Rechtshilfe stehen vorläufig ganz in den Sternen. In anderen Bereichen — wie bei Wissenschaft und Technik — ist der Verhandlungsabschluß zeitlich nicht absehbar. In wiederanderen Bereichen — wie beim nichtkommerziellen Zahlungs- und Verrechnungsverkehr — haben wir zwar erste Vereinbarungen, aber sie sind ungenügend und nicht ausreichend, so daß wir um weitere Abreden bemüht sind.Sehen Sie, Herr Kollege Jäger, das trifft genau den Punkt, den Sie vorhin kritisiert haben. Ich werde Ihnen doch nicht Munition liefern und sagen, dann und dann werden die Verträge abgeschlossen; dann stimmt es nicht, und dann kommen Sie wieder an und sagen, diese Regierung ist unfähig. Wir nehmen uns den langen Atem und schließen nur Verträge ab und treffen nur Vereinbarungen, die in der Tat einen Ausgleich der Interessen bringen
und nicht nur einseitige Vorteile bewirken. Wer aufdiese Karte setzt, braucht gar nicht erst anzufangen;
Sie brauchen doch nur darauf zurückzublicken, welche Erfahrungen sie in 20 Jahren gesammelt haben. Am Ende war nichts, und wir haben erst wieder anfangen müssen.Zahlenvergleiche mit der Zeit vor 1961 sind völlig abwegig, weil die damaligen Ergebnisse unter anderen Bedingungen zustande gekommen sind. Trotzdem wäre es falsch und ginge an der heutigen Wirklichkeit — knapp fünf Jahre nach Inkrafttreten des Grundlagenvertrages — vorbei, wenn wir unseren Blick nur auf das Unfertige und das Unzulängliche richteten, hingegen die realen Verbesserungen gegenüber der damals leider auch sehr realen Ausgangsbasis keines Blickes würdigten.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger ?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte.
Herr Bundesminister, würden Sie mir wenigstens darin zustimmen, daß nach fünf Jahren die Weigerung der DDR, überhaupt in sachliche Verhandlungen über bestimmte der noch ausstehenden Folgeabkommen einzutreten, mit dem Text des Art. 7, den Sie uns soeben vorgelesen haben, nichts mehr zu tun hat, sondern daß hier seitens der DDR eine Verweigerung der Vertragserfüllung vorliegt?Franke, Bundesminister: Herr Kollege Jäger, ich bin gerade dabei, zu versuchen, Ihnen klarzumachen, daß diese Zeitspanne von fünf Jahren im Grunde genommen überhaupt kein Zeitfaktor ist, wenn es darum geht, so schwierige Probleme wie die, mit denen wir es hier zu tun haben, zu lösen. Ich weiß nichts davon, daß sich die DDR generell weigert. Wir brauchen nur — das haben wir in den vielen Jahren auch schon erfahren — manchmal länger Zeit, bis wir zu einem Konsens kommen; denn es dauert eine gewisse Zeit, bis wir uns über das angesprochene Thema verhandlungsmäßig un-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7131
Bundesminister Franketerhalten können. Und da wird jetzt der lange Atem wichtig. Einmal geht es Ihnen zu langsam, und wenn wir dann zu schnell sind, dann sagen Sie wieder: Jetzt habt ihr euch überschlagen und habt schludrige Verträge zustande gebracht. Man kann sagen, daß Sie, so, wie es Ihnen in den Kram paßt, zu den Dingen Stellung nehmen.Ich stelle hiermit noch einmal fest: Die DDR hat ihre Position, ihre Grundauffassung. Wir gehen immer davon aus, daß das eine staatliche Ordnung ist, die sich von unserer in elementaren Fragen grundlegend unterscheidet. Da zu einem Kompromiß zu kommen, erfordert in der Tat politische Fähigkeiten und Gaben. Die Politik, so heißt es, ist die Kunst des Möglichen und nicht das Fordern des Unmöglichen, wie Sie es uns hier immer weismachen wollen.Diese unsere Politik hat gewiß ihre Rückschläge, Krisen und Schwierigkeiten gehabt und wird sie wohl auch weiterhin haben. Die Schwierigkeiten sind, wie es in der Antwort der Bundesregierung heißt, tägliche Erfahrung der innerdeutschen politischen Praxis. Ich wiederhole: Die Schwierigkeiten sind tägliche Erfahrung der innerdeutschen politischen Praxis. Wenn Sie es noch einmal hören wollen, wiederhole ich es noch einmal.Orientieren Sie sich bitte daran, daß wir keiner Illusion nachlaufen, sondern daß uns das bewußt war. Aber gerade darum haben wir uns dieser schwierigen Aufgabe gestellt. Über ihre objektiven Ursachen habe ich vorhin schon gesprochen. Es gibt aber auch subjektive Faktoren auf unserer Seite, die zumindest für die Bundesregierung die Bewältigung der Schwierigkeiten erschweren.Darum möchte ich auch von dieser Stelle noch einmal an die Bevölkerung der Bundesrepublik appellieren, mitzuhelfen bei der Bewältigung von Problemen der Deutschlandpolitik, die erreichten Verbesserungen konsequent zu nutzen und nicht gegenüber dem Wünschenswerten abzuwerten sowie die Verhandlungen mit der DDR nüchtern zu beurteilen und nicht durch eine Überschätzung der Position der Bundesrepublik Deutschland zu erschweren.Die Grundkonstellation innerdeutscher Vertragsverhandlungen ist zur Genüge bekannt. Während sich die Bundesregierung um eine Zunahme der Kontakte und um eine Verbesserung der Zusammenarbeit bemüht, nimmt die Regierung der DDR häufig eine mehr auf Abgrenzung bedachte Position ein. Auch das ist keine Überraschung. Das ist Ihnen wie uns bekannt. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß wir das nicht ignorieren, sondern daß wir uns mit Geduld und Zähigkeit immer wieder bemühen. Da keiner dem anderen seinen Willen aufzwingen kann, muß ein Kompromiß gefunden werden, was bedeutet, daß selbstverständlich nicht alle Wünsche und Begehren der Bundesrepublik verwirklicht werden können.Dies einzusehen fällt vielen Bürgern in der Bundesrepublik sichtlich schwer — auch manchem, der es auf Grund seiner besonderen Kenntnisse wissen müßte. Es besteht häufig die Neigung, die Verhandlungsposition der Bundesrepublik gegenüber der DDR zu überschätzen. Um es ganz klar zu sagen: Die Bundesrepublik Deutschland ist — statistisch gesehen — größer und wirtschaftlich leistungsfähiger als die DDR. Aber deswegen kann sie der DDR doch nicht diktieren; denn die DDR ist als Staat ebenso unabhängig von der Bundesrepublik wie diese von der DDR. Gerade zu diesem Punkt haben wir bei der Anhörung vor dem Innerdeutschen Ausschuß im letzten September sehr Bedenkenswertes vernommen.Die Bundesregierung hat es also einerseits mit der DDR zu tun, die häufig genug auf Abgrenzung aus ist, und andererseits mit den Wünschen und Erwartungen unserer Bürger, die die Aktionsfähigkeit der Bundesregierung unrichtig einschätzen oder auch überschätzen.Nun zu einigen Einzelfragen und da zunächst zum innerdeutschen Handel: In den zehn Jahren von 1968 bis 1977 hat sich der Umsatz des innerdeutschen Handels verdreifacht.
Herr Bundesminister, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte diesen Gedanken zu Ende führen. Bitte melden Sie sich dann noch einmal, Herr Kollege Jäger.
Ich wiederhole: In den zehn Jahren von 1968 bis 1977 hat sich der Umsatz des innerdeutschen Handels verdreifacht. Er ist in absoluten Zahlen in diesem Zeitraum von 2,9 Milliarden auf 8,7 Milliarden Verrechnungseinheiten gestiegen. Ich finde diese Entwicklung sehr erfreulich, einmal wegen des materiell-ökonomischen Vorteils, der für beide Seiten dabei heraussieht, für die DDR ebenso wie für die auf unserer Seite beteiligten Firmen. Zum anderen ist das erreichte Volumen des innerdeutschen Handels auch deswegen positiv zu bewerten, weil der Austausch von Gütern immer ein Element enthält, das über die Sphäre des Materiell-Ökonomischen hinausreicht.
So manche Betrachtung, die hierzulande zum innerdeutschen Handel und seinen Regularien angestellt wird, übersieht leicht den Anteil, den West-Berlin dabei innehat. Deswegen sei hier vermerkt, daß dieser Anteil Ende 1977 22,3 %betrug. Mit anderen Worten, West-Berlin ist mit fast einem Viertel am Umsatz des innerdeutschen Handels beteiligt.
Insgesamt ist zu sagen, daß die Konditionen und Regularien des innerdeutschen Handels einen Interessenausgleich mit der DDR zum Ausdruck bringen, bei dem auf unserer Seite auch Rechtspositionen sowie politische, Berlin- und ökonomische Interessen im Spiele sind.
— Bitte.
Zwischenfrage, bitte schön.
Metadaten/Kopzeile:
7132 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Herr Bundesminister, Sie sprachen vorhin davon, daß wir der DDR als einem von uns unabhängigen Staat unseren Willen nicht aufzwingen können. Wir fordern aber nichts anderes, als daß die DDR eingegangene vertragliche Verpflichtungen erfüllt. Sind Sie denn der Meinung, daß es ein Aufzwingen-Wollen unserer Vorstellungen ist, wenn wir von der DDR nichts anderes verlangen als die Erfüllung dessen, was sie vertraglich mit der Bundesregierung vereinbart hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Jäger, wir sind täglich dabei, und wir kommen auch zu Ergebnissen. Wir haben Unzulänglichkeiten, die in der ersten Zeit das ganze Geschehen belasteten, ausräumen können, aber nicht, indem wir kategorische Forderungen anmeldeten, sondern indem wir in der Sache noch einmal sehr eindeutig argumentiert haben und in der Tat die Mißstände ausräumen konnten. Dies wird immer diese Art der Politik bestimmen. Auch daran müssen Sie sich gewöhnen. Sie kennen das ja. Warum stellen Sie eigentlich diese Fragen, als sei das eine völlig neue Entwicklung?
Was den Verkehr betrifft, so hat die Opposition durchaus recht, wenn sie in Erinnerung bringt, daß zwischen der Bundesrepublik und der DDR noch kein Luftverkehrsabkommen besteht, ja nicht einmal diesbezügliche Verhandlungen aufgenommen worden sind. Ein solches Abkommen müßte bekanntlich mit einer befriedigenden Lösung der Luftverkehrsprobleme von Berlin einhergehen. Eine solche Lösung, die eine Einigung der vier Siegermächte erfordert, ist nicht in Sicht.Seit dem Grundlagenvertrag ist jedoch mit der DDR eine Reihe von Abmachungen über die technische Verbesserung der Verkehrswege von und nach Berlin getroffen worden, nachdem die Modalitäten des Verkehrsablaufs im Transitabkommen von 1971 vereinbart worden sind.So gehen, einer Absprache von Ende 1975 gemäß, die Bauarbeiten für die Grunderneuerung der Autobahn Helmstedt — Berlin planmäßig voran. Bis Ende 1977 war die Fahrbahn in Richtung Bundesgebiet zwischen Berliner Ring und Marienborn fast durchgehend erneuert. Die Bauarbeiten auf der Richtungsfahrbahn nach Berlin sind weit fortgeschritten. Der sechsspurige Ausbau des Berliner Rings ist in vollem Gange. Aufgenommen wurde ebenfalls der Ende 1977 ergänzend vereinbarte sechsspurige Ausbau des 1,2 km langen Autobahnabschnitts zwischen Grenze und Abfertigungsanlage Marienborn.Der Personenreiseverkehr zwischen den beiden deutschen Staaten zieht nach wie vor die größte öffentliche Aufmerksamkeit auf sich. Die Zahl der Reisen aus dem Bundesgebiet und Berlin nach Berlin (Ost) und in die DDR lag 1977 bei 7,7 Millionen, in umgekehrter Richtung waren es gut 1,3 Millionen.Die Aufgabe der Gegenwart ist die Nutzung und Sicherung der bestehenden Möglichkeiten sowiederen Erweiterung. Unsere diesbezüglichen Wünsche sind der DDR bekannt. Sie finden leider dort eine Grenze, wo die DDR ihre innere Festigkeit tangiert sieht.Bei dem umfangreichen Personenreiseverkehr ist das als erstes Folgeabkommen zum Grundlagenvertrag geschlossene Gesundheitsabkommen von 1974 von großer politischer Bedeutung. Es gibt jedem Einreisenden aus dem jeweils anderen Staat einen Rechtsanspruch auf kostenfreie ambulante und stationäre medizinische Hilfe bei akuten Erkrankungen. Spezialbehandlungen und Spezialkuren werden in steigendem Maße von Patienten aus beiden deutschen Staaten wahrgenommen. Das ist für die Betroffenen eine oft entscheidende humanitäre Hilfe.In puncto nichtkommerzieller Zahlungsverkehr — ich sagte es schon — haben wir seit 1974 zwar eine vorläufige Lösung, aber sie bleibt doch erheblich hinter den Erfordernissen zurück. Darin sind wir uns durchaus einig, und wir haben die Dinge ja überhaupt nicht beschönigt. Wir haben in unserer ausführlichen Antwort auf Ihre Große Anfrage auch die Problembereiche angesprochen. Nehmen Sie das doch bitte so ernsthaft zur Kenntnis, wie es gemeint ist, um gemeinsam bemüht zu sein, die doch wohl unumstrittene Zielsetzung erreichen zu können.Ich möchte von hier aus die Verantwortlichen in der DDR noch einmal an die Mahnung des Bundeskanzlers vor zwei Monaten erinnern, sie sollten sich endlich einen Ruck geben. Es geht um die Überweisungen von Guthaben alter Menschen aus der DDR in die Bundesrepublik, also um ein humanitäres Problem, das finanziell durchaus darstellbar ist.
Die freiere Bewegung von Meinungen und Informationen gehört erklärtermaßen zum Entspannungsprozeß in Europa. Als die innerdeutsche Entspannungspolitik der sozialliberalen Koalition Ende 1969 begann, waren 34 Telefonleitungen zwischen dem östlichen und dem westlichen Deutschland in Betrieb, natürlich handvermittelt. Ende 1977 waren 821 Leitungen geschaltet, davon immerhin so viele automatisch, daß 85 % aller vom Bundesgebiet und von West-Berlin abgehenden Gespräche von den Teilnehmern direkt hergestellt wurden. Ich meine, auch angesichts der Tatsache, daß heute im Durchschnitt täglich weit über 30 000 Telefongespräche allein in West-Ost-Richtung geführt werden, kann man ohne Übertreibung von einer qualitativ veränderten Situation sprechen. Dies ist tatsächlich freiere Bewegung von Informationen und Meinungen.Aufs Ganze gesehen hat unsere Politik Erfolge gebracht. Das spürt jeder, der Augen und Ohren im Kopfe hat. Das Interesse der Deutschen aneinander, ihr Wissen voneinander und ihr Sich-Austauschen miteinander haben im Vergleich zu den 60er Jahren zugenommen und steigen weiter.Meine Damen und Herren, damit Sie das auch noch hören: Zu den Folgevereinbarungen oder zu
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7133
Bundesminister Frankeden Absichten des Grundlagenvertrages gehörte es auch, Heiraten und Verlöbnisse junger Menschen zu ermöglichen. Von den ca. 5 000 Einzelfällen im Durchschnitt pro Jahr der Übersiedlungen aus der DDR in den Bereich der Bundesrepublik sind allein ca. 1 000 junge Menschen, die die Absicht haben, hier die Ehe einzugehen; die Motivation der Ausreiseerlaubnis ist damit begründet. Merken Sie sich doch bitte einmal die Zahl und ignorieren Sie das nicht! Sagen Sie nicht immer nur etwas über die „Bild"-Zeitung, wenn es mal einem Ministerpräsidenten, der Filbinger heißt, zufällig gelungen war, im Zuge dieser Maßnahmen auch jemanden freizubekommen, um den wir uns bemüht haben, und er dann so tut, als sei das sein Einfluß gewesen! Nehmen Sie mal auch die viel größere Zahl zur Kenntnis, um zu sehen, daß sich da etwas bewegt hat! Sicherlich, das reicht uns noch nicht; aber es sind Ansätze da. Verkennen Sie das doch bitte nicht! Genau das haben wir so gewollt und beabsichtigt. Gleichwohl habe ich auf der anderen Seite vor falschen Erwartungen von Anbeginn an gewarnt und muß es auch weiterhin tun.Die Trennung in zwei Staaten und gegensätzliche Gesellschaftsordnungen — ich wiederhole damit einen Gedanken aus der Vorbemerkung zur Antwort auf die Große Anfrage der Opposition von 1974 — mittels einer grausamen Grenze ging der Vertragspolitik voraus und wird durch die Vertragspolitik nicht aufgehoben. Anderslautende Erwartungen verkennen das Wesen der Vertragspolitik und werden ihrer Zielsetzung nicht gerecht. Diese nämlich ist und bleibt darauf gerichtet, zwischen den beiden Staaten auf deutschem Boden zum Wohle aller Menschen, aller Deutschen zu praktischen Verbesserungen zu gelangen.Dabei haben wir — auch das sei erwähnt — kein Folgeabkommen nach Art. 7 abgeschlossen, ohne die Einbeziehung Berlins sicherzustellen. Das gilt für das Gesundheitsabkommen, für die Vereinbarungen über den Transfer von Unterhaltszahlungen, für die Vereinbarungen über den Transfer von Guthaben in bestimmten Fällen, für das Post- und Fernmeldeabkommen und auch für das mit Unterstützung der Bundesregierung vereinbarte Sportprotokoll zwischen dem Deutschen Sportbund und dem Deutschen Turn- und Sportbund. Wer uns damals beim Abschluß des Grundlagenvertrages vorwarf, daß „nur" die Kann-Bestimmung aus dem Viermächteabkommen hinsichtlich der Einbeziehung Berlins vereinbart wurde, der muß zur Kenntnis nehmen, daß es kein Abkommen, keine Vereinbarung ohne Einbeziehung Berlins gibt. Und wenn die Verhandlungen und die Gespräche noch so lange dauern: wir lassen uns dadurch nicht treiben. Wir haben Zeit genug, um das auszuhandeln, was uns gemeinsam bewegen sollte.Die Bundesregierung hat nie Zweifel darüber aufkommen lassen, daß sie bei jedem Abkommen mit der DDR, soweit nach dessen Inhalt Berlin einbezogen werden kann, auf der Einbeziehung Berlins bestehen und gegebenenfalls, wenn die DDR eine Einbeziehung Berlins verweigert, das entsprechende Abkommen nicht abschließen wird. Wir verhandeln dann weiter, und es gibt Bewegungen. Wirhaben es im Laufe der Jahre erlebt, daß Grundvoraussetzungen, die die DDR zunächst gesetzt hatte, ausgeräumt und doch noch Ergebnisse gezeitigt wurden.Die Bundesregierung wird nüchtern und beharrlich an den innerdeutschen Beziehungen weiterarbeiten und wird sich auch durch Störungen, Stillstände oder Rückschläge darin nicht beirren lassen. Sie ist sich bewußt, daß ein nachbarschaftliches Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten für die Stabilität des Friedens in Europa unerläßlich ist, und gerade deshalb ist sie bereit, den Kurs der Vertragspolitik gegenüber der DDR fortzusetzen. Entscheidend ist, daß die beiden deutschen Staaten das Angebot nutzen, das die europäische Entspannungspolitik ihnen bietet, das Angebot nämlich, vernünftige Beziehungen zueinander zu entwickeln und dadurch den Interessen der Menschen in beiden Staaten zu entsprechen.
Das Wort hat der Abgeordnete von Wrangel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bundesminister, Sie haben eine Darstellung gegeben, von der ich sagen möchte, daß sie die Beurteilung durch die Sprecher der CDU/CSU voll und ganz bestätigt. Es ist richtig — dies ist vom Kollegen Abelein und vom Kollegen Jäger gesagt worden —, wir begrüßen es, daß es gelungen ist, hier und da an der Peripherie Folgeverträge zu vereinbaren. Aber wir müssen in diesem Augenblick feststellen, daß in wesentlichen, entscheidenden Elementen die Erwartungen nicht erfüllt worden sind, die weiland geweckt wurden.
Ich möchte die Bundesregierung auffordern, Herr Bundesminister, mit der bedrückenden Begriffsverwirrung, die um sich gegriffen hat, Schluß zu machen.
Man kann doch nicht ernsthaft immerzu den Begriff „Normalisierung" strapazieren, wenn sich der Gesprächspartner permanent anormal verhält.
Dann kann von „Normalisierung" wohl keine Rede sein.
Ich möchte schließlich sagen, Herr Kollege Mattick: wir sollten auch keine Geschichtsklitterung betreiben. Sie wissen doch genau so gut wie ich — Sie sind länger als ich im Deutschen Bundestag —, daß es zur Zeit von CDU/CSU-Regierungen Rentnerreisen und Passierscheinregelungen gegeben hat, und Sie können nicht behaupten, zur Zeit von CDU/ CSU-Regierungen habe es nichts gegeben, wie es auch Bundesminister Franke gesagt hat.
Metadaten/Kopzeile:
7134 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mattick?
Herr Kollege von Wrangel, können Sie sich entsinnen, welche Auseinandersetzungen der Regierende Bürgermeister Brandt bei dem Versuch der ersten Passierscheinregelung mit der Regierung hatte, mit welchen Schwierigkeiten wir kämpfen mußten, bevor die Bundesregierung zugestimmt hat, daß diese Passierscheinregelung in Berlin abgeschlossen wurde, daß es dann noch einmal funktioniert hat und daß es beim drittenmal dann ganz gescheitert ist, weil die Bundesregierung Schwierigkeiten und Belastungen sah, die nicht zu tragen waren? Haben Sie das vergessen?
Herr Kollege Mattick, ich habe das nicht vergessen, nur, dies ist schon wieder eine Geschichtsklitterung. Es hat damals eine Fülle von Diskussionen zwischen dem Berliner Senat und der Bundesregierung gegeben. Der entscheidende Schritt, dies herbeizuführen, ist aber von der damaligen Bundesregierung gemacht worden. Ich bedaure, daß Herr Kollege Bundesminister a. D. Dr. Schröder nicht im Raum ist. Er könnte dies im einzelnen bestätigen und wird dies sicherlich auch tun.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung versucht — ich habe ein gewisses Verständnis dafür —, immer wieder in diesen Debatten, die wir führen, folgendes zu tun: Sie sagt, es gebe zu ihrer Politik keine Alternative, oder sie sagt, die Opposition habe keine Alternative. Dies ist fast ein Ritual, das hier abgewickelt wird. Ich möchte mich deshalb zu diesen Fragen einmal äußern.
Zunächst einmal stelle ich fest: Eine Politik zu betreiben, die eine Alternative ausschließt, ist und bleibt ein politisches Armutszeugnis.
Sie sollten sich nicht in eine solche Zwangsjacke begeben, denn in einer solchen Zwangsjacke schaden Sie ja doch den innerdeutschen Beziehungen eminent.
Wenn nun die Opposition, wie das hier geschehen ist und noch geschehen wird, eine berechtigte Kritik an dieser — ich sage ausdrücklich — verfahrenen Situation übt, denn wir könnten durchaus länger darüber reden, ob man z. B. nach der Verdoppelung des Zwangsumtausches zur Geschäftsgrundlage zurückgekehrt ist oder nicht, dann stellt man uns die Gegenfrage, ob denn die CDU/CSU eine Alternative anbietet. Ich meine, es ist nötig, zu sagen, daß dies im Grunde genommen nichts anderes ist als ein dialektischer Trick, denn die Bundesregierung hat doch die Pflicht, angesichts der verfahrenen Situation methodisch und in der Sache einen Weg zu weisen, wie man aus der Stagnation herauskommen kann..Im übrigen ist es einfach nicht wahr, wenn Koalition und Bundesregierung — Kollege Jäger, Siesagten vorhin: „Wie eine Gebetsmühle" ; ich nehme jetzt diesen Begriff auf — wie eine Gebetsmühle behaupten, wir, die CDU/CSU, hätten keine Alternativkonzeption vorgelegt. Darf ich Sie daran erinnern, meine Damen und Herren, daß es ein sehr konkretes bis ins einzelne gehende Aktionspapier zur Deutschlandpolitik im Jahre 1976 gegeben hat. Nur hat die Bundesregierung dies nicht zur Kenntnis genommen.
Ich meine, gerade unter diesem Gesichtspunkt ist es nicht richtig, wenn Sie dieses Gerede von der angeblich mangelnden Alternative immer wiederholen.Meine Damen und Herren, wir täuschen uns nicht, wir sind keine politischen Träumer wie z. B. Egon Bahr. Wir wissen aber auch ganz genau, daß durch solche Verträge natürlich Fakten geschaffen worden sind. Wir sagen auch nicht, man könne die deutschlandpolitische Landschaft von heute auf morgen völlig verändern. Nur, durch eine zähe, geduldige und offensive Deutschlandpolitik könnten wir die Landschaft mittelfristig sehr wohl zugunsten des ganzen deutschen Volkes verändern.Ich darf ein paar Bemerkungen zum Methodischen machen. Warum eigentlich kommen Sie nicht der Aufforderung der CDU/CSU nach, endlich Verhandlungen zu führen, die gebündelt sind? Warum zersplittern Sie sich in den Verhandlungen? Warum gibt es nach wie vor — ich denke jetzt an das Bundeskanzleramt und an Ihr Haus, Herr Bundesminister Francke — diese zu Lasten der innerdeutschen Beziehungen furchtbaren Kompetenzverwirrungen? Warum verzichten Sie eigentlich darauf, Vereinbarungen im humanitären Bereich mit wirtschaftlichen und finanzpolitischen Vereinbarungen zu synchronisieren? Das sind immer wieder Auforderungen von unserer Seite an Ihre Adresse. Sie kommen diesen Aufforderungen nicht nach.Wir müssen auch klipp und klar sagen, daß sich jede Art der Vertrauensseligkeit — das zeigen doch die letzten fünf Jahre — insbesondere in den innerdeutschen Verhandlungen nicht ausgezahlt hat.
Wenn bei der anderen Seite immer wieder die Hoffnung geweckt wird — das geschieht leider laufend —, daß man durch eine restriktive Haltung einseitige materielle Vorteile erlangen kann, dann wird natürlich die Begehrlichkeit in schlimmer Weise geweckt.Ich möchte betonen, daß die innerdeutschen Beziehungen auch nicht zu bloßen Fachfragen reduziert werden dürfen. Die Verschüttung des Sonderverhältnisses der beiden Staaten in Deutschland ist ein erklärtes politisches Ziel der DDR. Aus diesem Grunde muß der spezifisch deutschlandpolitische Aspekt gerade auch im internationalen Bereich viel stärker in den Mittelpunkt gerückt werden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7135
Baron von WrangelIch möchte zur Sache ausdrücklich sagen, daß wir dafür eintreten, in Folgeverträgen mehr Freiraum für die Menschen zu schaffen, daß für uns — das haben wir immer wieder, auch heute, in vielen Beiträgen gesagt — Berlin der Angelpunkt für jede Art der Ost-West-Entspannung bleibt. Wir müssen aber feststellen, daß es keine Art der Normalisierung angesichts einer zunehmend unmenschlicheren Demarkationslinie in Deutschland gibt. Wir treten seit vielen Jahren für die Herabsetzung des Reisealters ein, aber auch für die Möglichkeit, daß junge Menschen zwischen den beiden Teilen Deutschlands reisen können.Warum eigentlich kommen Sie auch nicht auf unsere Vorschläge zurück, die Sie doch einmal selber so lebhaft getragen haben, z. B. einen innerdeutschen Redneraustausch durchzuführen?
Das wäre doch eine interessante Sache. Aber offenkundig kommen Sie nicht einmal auf diesem bescheidenen Gebiet einen Minischritt weiter.
Die Bundesregierung und die Koalition haben den Grundlagenvertrag mit der Aussicht auf Folgeverträge vereinbart und dabei — ich sagte es schon — ungewöhnlich hohe Erwartungen erweckt. Sie vergleichen dies mit unserer Politik. Die CDU/CSU hat doch solche Erwartungen niemals erweckt. Darin liegt doch auch ein eminent politisch-historischer Unterschied.
Gerade weil Sie, Herr Bundesminister Franke, hier erklärt haben, daß Sie selbstkritisch sind, möchte ich Sie auffordern, endlich den Mut zu haben, eine nüchterne Bilanz zu ziehen, auch wenn diese Bilanz innenpolitisch für Sie schmerzlich sein wird. Nur dann, meine Damen und Herren— damit will ich schließen —,
finden wir möglicherweise — dies hat z. B. Herr Kollege Abelein am Schluß seiner letzten Rede in der deutschlandpolitischen Debatte gesagt —, nur dann finden Sie und wir vielleicht alle eine Deutschlandpolitik aus einem Guß, die dann möglicherweise eines Tages auch von diesem ganzen Hause getragen werden könnte.
Das Wort hat der Herr Ab-. geordnete Büchler.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte ein paar Bemerkungen zu dem zu machen, was Sie, Herr von Wrangel, gesagt haben. — Ich wäre Ihnen dankbar, wenn ich Sie ansprechen könnte, Herr von Wrangel, um ein paar Bemerkungen zu Ihren Auslassungen zu machen.
— Nichts dagegen? Ich glaube es auch. Aber Sie haben eben nicht zugehört.Ich möchte hier nur einiges ansprechen. Es muß Sie hart treffen, wenn wir von der Tatsache sprechen, daß Sie in der Deutschlandpolitik keine Alternative haben. Wir meinen das vielleicht gar nicht so, weil wir ja wissen, daß Sie nicht nur keine Alternative haben, sondern daß Sie im Gegenteil zehn Alternativen haben, nämlich zehn verschiedene, von jedem, der sich zur Deutschlandpolitik äußert, eine andere Alternative.
— Nein, ich werde darauf noch zu sprechen kommen, weil ich heute genau das behandeln möchte.Sie führten weiter aus, daß unsere Deutschlandpolitik steckengeblieben sei. Das Gegenteil hat Minister Franke heute dargelegt. Er hat Punkt für Punkt erklärt, wie sich die Situation in der Deutschlandpolitik, im deutschen Raum, Schritt für Schritt verbessert hat. Ich meine, es ist richtiger, und wir kommen der Wahrheit näher, wenn wir hier feststellen, daß Ihre Deutschlandpolitik 1961 steckengeblieben ist. Das ist wohl die Tatsache, um die es geht.Ich möchte Ihnen auch nicht zu nahe treten. Sie haben eine ganze Reihe von Punkten als neues Konzept, als Konzept der Union dargelegt. Viele Punkte — ich habe sie hier — sind von unserer praktischen Politik ohne Zweifel abgeschrieben. Aber Patentrezepte, mit denen Sie schon damals, als Sie in der Regierung waren, nicht weitergekommen sind, werden wir — dafür werden Sie Verständnis haben — sicherlich auch nicht übernehmen können.
— Ich habe es nur gesagt. Die haben Sie angeboten.Sie sagten, es wäre scmerzlich für uns, Bilanz zu ziehen. Wir haben überhaupt keine Sorge, in der Deutschlandpolitik Bilanz zu ziehen. Sie ist auf keinen Fall schmerzlich, sondern genau das Gegenteil. Ich glaube, wir können stolz auf das sein, was in den letzten Jahren seit 1969 erreicht worden ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe nicht allzuviel Zeit zur Verfügung. Ich kann deshalb nicht auf alle Einzelheiten eingehen, vieles auch nicht einmal stichwortartig behandeln. Ich darf deshalb darauf hinweisen, daß die Bundesregierung in ihrer Antwort auf Ihre Anfrage eine Dokumentation — so möchte ich sie bezeichnen — über die Folgevereinbarungen vorgelegt hat, die sehr lobenswert ist und alles zusammenfaßt, was auf diesem Gebiet jeder einzelne, der sich mit dieser Materie beschäftigt, wissen sollte. Das sollte aber nicht nur derjenige, der sich damit beschäftigt, sondern die gesamte Bevölkerung zur Kenntnis nehmen. Ich kann also mit gutem Gewissen auf manches Detail verzichten und sie unerwähnt lassen.Mir geht es heute um drei Punkte, zu denen ich etwas sagen möchte. Erstens. Von welchen Grundsätzen oder Prinzipien geht die Vertragspolitik zur DDR aus? Zweitens. Welche Bedeutung haben die
Metadaten/Kopzeile:
7136 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Büchler
Folgeverträge? Drittens. Welche Ergebnisse brachten die Folgeverträge? — Zu dieser dritten Frage werden noch weitere Kollegen Stellung nehmen.Eingangs möchte ich mit Genugtuung feststellen, daß die Opposition in ihrer Großen Anfrage zu diesem Thema anerkennt — ich darf das wörtliche Zitat bringen —, „daß einige dieser Folgevereinbarungen als Erfüllung des Auftrags des Grundlagenvertrags und seines Zusatzprotokolls betrachtet werden können".Dieselbe CSU — jetzt komme ich gleich auf die zehn verschiedenen Konzeptionen, die Sie haben, Herr von Wrangel —, die diese Große Anfrage mitformuliert hat, stellt zur gleichen Zeit in ihrem deutschlandpolitischen Grundsatzpapier fest — ich darf wieder mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren —:Die CSU würde es sehr begrüßen, wenn auf dem Gebiet der im Zusatzprotokoll zum Grundlagenvertrag verbindlich vorgesehenen Folgevereinbarungen endlich erkennbare Fortschritte erzielt werden könnten.Dies ist die Meinung der CSU. Sie, Herr von Wrangel, haben heute die Vorredner aufgeführt, die genau dies nicht behauptet haben sollen. Also was gilt jetzt? Da ist ein Widerspruch, so meine ich, der sich nicht ohne weiteres ausräumen läßt.Auch die Opposition müßte endlich merken, daß solche kontroversen, sich absolut widersprechenden Feststellungen ihre Politik unglaubwürdig machen. Deswegen fällt es mir auch schwer, mich über die Erkenntnis der Opposition zu freuen — so wahr sie auch ist —, daß für die Verwirklichung der Folgeabkommen geraume Zeit erforderlich sei und Ergebnisse nicht über Nacht erzielt werden können. Aber lassen wir das.Bedauerlich ist für uns allerdings die Tatsache, daß solche absoluten Widersprüche nicht gerade helfen, mit Ihnen zu diskutieren, sich offensiv auseinanderzusetzen und eventuell auch zu versuchen, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Dies ist angesichts der Widersprüche, die hier deutlich werden, praktisch unmöglich.Ich darf ein paar Grundsätze unserer Deutschlandpolitik nennen.Erstens. Die Deutschlandpolitik der Koalition geht von der Existenz zweier deutscher Staaten aus.Zweitens. Die Deutschlandpolitik hat es mit zwei unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen zu tun.Drittens. Die Grenze in Deutschland und Berlin trennt zwei Interessensphären, die in zwei unterschiedliche Bündnissysteme eingebunden sind.Viertens. Gegensätze und Unterschiede sind jetzt nicht aufhebbar. Aber — das ist, so meine ich, bedeutend — es existieren genügend gemeinsame Interessen.Fünftens. Eine Verbesserung der Beziehungen im Interesse der Menschen und des Friedens ist nur auf dem Verhandlungsweg möglich.Man darf ganz nüchtern feststellen, daß ohne diese grundlegenden Überlegungen kein Grundlagenvertrag und somit auch keine Folgeverträge existieren würden; Folgeverträge — um das auch einmal zu sagen —, die als konkrete Ausgestaltung des Grundlagenvertrags zu verstehen sind, als bedeutende Erleichterung und Verbesserung, Fortschritte und Hilfen für die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. Manchmal darf man den Eindruck haben — das mag Ihnen zugestanden sein —, daß auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, dies anfangen zu begreifen. Allerdings hat Herr Dr. Abelein heute in seinen Eingangsbemerkungen wieder das Gegenteil bewiesen.Ich darf den Kollegen Dr. Marx zitieren, der am 24. Januar in diesem Hause über die Entspannung folgendes gesagt hat:Sie darf nicht Wünsche an die Stelle von Realitäten, nicht Hoffnungen an die Stelle von Tatsachen, nicht Illusionen an die Stelle notwendiger Einsichten setzen. Wenn es Spannungen zwischen zwei Seiten gibt, so müssen eben beide bestrebt sein, sie in einem gegenseitig kontrollierten, vergleichbaren Ausmaß und Rhythmus abzubauen.Genau dies wäre eine Basis einer realistischen Politik. Genauso realistisch betrachten wir die Dinge, und genauso realistisch praktiziert die Bundesregierung ihre Deutschlandpolitik. Leider stimmen die Worte, die hier von Herrn Marx gesprochen worden sind, nicht mit dem überein, was Sie dann sagen, wenn es um konkrete Fragen der Politik und vor allem der Deutschlandpolitik geht. Dann steht entweder Ihr hartes Nein entgegen, oder Sie sind nicht zu konstruktiver Mitarbeit bereit.Ich meine, daß den Bürgerinnen und Bürgern die solide und auf kleinen Fortschritten basierende Politik dieser Bundesregierung lieber, sicherer ist als große Worte ohne Verwirklichungschance, wie man sie von Ihrer Seite immer wieder hört. Der Volksmund sagt zu Recht: Der Spatz in der Hand ist mir lieber als die Taube auf dem Dach. Wenn Sie nun sagen, daß das ein hinkender Vergleich ist, dann gebe ich Ihnen recht. Denn die Bundesregierung hat seit 1969 mehr erreicht, als das Bild als solches aussagt. Haben wir doch in relativ kurzer Zeit für die Menschen in beiden Teilen Deutschlands, für die Erhaltung des Friedens und die Einheit der Nation mehr erreicht, als man sich noch vor zehn Jahren träumen ließ. Dies ist, wenn man sich an die Jahre zuvor erinnert, eine Tatsache.Deshalb muß der Appell der Bundesregierung an die Bevölkerung unterstützt werden, bei der Bewältigung von Problemen der Deutschlandpolitik mitzuhelfen, die erreichten Verbesserungen konsequent zu nutzen und — was mir wichtig erscheint — nicht ein negatives Einzelbeispiel, persönlich erlebt oder vom Nachbarn erfahren, als Maßstab für die gesamte Deutschlandpolitik anzuwenden. Wir alle erfahren in unseren Wahlkreisen immer wieder von solchen Einzelbeispielen. Oft genug gelingt es mit Hilfe des Innerdeutschen Ministeriums, die
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7137
Büchler
Schwierigkeiten zu überwinden. Ich darf an dieser Stelle auch einmal Herrn Minister Franke und allen, die ihn dabei unterstützen und ihm helfen, für diese lautlose und gerade deswegen so effektive Arbeit recht herzlich danken.
Denn dies ist Arbeit im Interesse von Einzelschicksalen.Um nur ein Beispiel zu nennen — Minister Franke hat es schon erwähnt —: Wenn in den letzten drei Jahren pro Jahr 1 000 Verlobte für immer zusammenkommen konnten, dann empfinde ich das als eine großartige Sache, weil es eben vorher nicht möglich war und weil die Verwirklichung von Glück durch Politik auch für den Politiker zur Sonnenseite seiner Arbeit gehört.Nun möchte ich nicht mißverstanden werden: Deutschlandpolitik ist nicht nur von eitel Sonnenschein beherrscht. Hier geht es um einen Interessenausgleich zwischen einem parlamentarisch verfaßten Staatswesen und einem kommunistisch regierten Staat. Sicher sind einige Abkommen noch im Verhandlungsstadium; in manchen Bereichen stagnieren die Verhandlungen sogar.Im Rechtsverkehr ist insoweit ein Fortschritt zu verzeichnen, als der wechselseitige Rechtshilfeverkehr auf vertragloser Basis wieder aufgenommen wurde. Das größte Hindernis — Sie wissen es —, hier zu Vereinbarungen zu kommen, sind die unterschiedlichen Rechtsordnungen der beiden deutschen Staaten.Bedauerlich ist, daß die kulturellen Beziehungen unterentwickelt sind. Aber solange die DDR in einer nicht zu rechtfertigenden Art und Weise die Herausgabe von Kulturgütern der Stiftung Preußischer Kulturbesitz verlangt, werden diese Verhandlungen eben stagnieren. Andererseits haben wir erst kürzlich bei einem Besuch der Stiftung in Berlin gehört, daß die Zusammenarbeit auf verschiedenen Gebieten möglich ist, wie in letzter Zeit überhaupt manches — wir lesen es ja in den Zeitungen — auf dem kulturellen Sektor wesentlich besser geworden ist.Den mehr oder weniger negativen Bereichen der Folgeverträge steht eine erfreuliche Bilanz anderer Folgeverträge gegenüber. Millionen Bürger spüren in ihrem persönlichen Lebensbereich die Verbesserungen, die durch die Bundesregierung geschaffen wurden. 7,7 Millionen Reisen aus der Bundesrepublik und Berlin in die DDR und nach Berlin (Ost) haben 1977 stattgefunden, 41 500 Deutsche unterhalb des Rentenalters sind von drüben zu uns gekommen, und wir verzeichnen gerade im ersten Quartal dieses Jahres eine enorme Steigerung des Reiseverkehrs.Das sind Begegnungen, deren Wert für die Deutschlandpolitik nicht unterschätzt werden darf. Aber mit den verbesserten Reisemöglichkeiten, mit den millionenfachen Besuchen war es dringlich, daß man auf dem Gebiet des Gesundheitswesens zu vertraglichen Regelungen kam. Der Folgevertrag auf diesem Gebiet war und ist ein großer Fortschritt in den innerdeutschen Beziehungen und funktioniertreibungslos. Es ist ein beruhigendes Gefühl für die Reisenden, zu wissen, daß sie Anspruch auf Versorgung haben und sie auch bekommen, daß die Rückführung mit dem Krankenwagen möglich ist. Wie Sie wissen, geht das Abkommen weit über diese beiden genannten Punkte hinaus.Herr Dr. Abelein, ich möchte Sie ansprechen, weil Sie gerade an dieser Stelle von den Kleinigkeiten gesprochen haben, von der Nicht-Versorgung der DDR-Bevölkerung mit westlichen Medikamenten. Wissen Sie denn nicht, daß genau 138 000 Bürger aus Berlin diese Möglichkeit wahrgenommen haben und Medizin mit von West-Berlin in den Osten genommen haben? Dies ist doch auch eine Tatsache.
— Sie können nicht einmal so und dann wieder anders argumentieren. Das führt zu nichts.Den Begegnungen der Deutschen und den Kontakten der Menschen in beiden Teilen Deutschlands dienen auch die Vereinbarungen auf dem Post- und Fernmeldegebiet. Wenn heute vom Bundesgebiet aus ca. 70 % der Ortsnetze in der DDR und von Berlin aus mehr als 90 % der Ortsnetze in der DDR angewählt werden können, ist das ein bedeutsamer Fortschritt. Wie Sie wissen, geht es weiter.
— Dann möchte ich Sie, Herr Jäger, und die gesamte Opposition fragen: Wieviel Leitungen wurden denn während Ihrer Regierungszeit geschaltet? Das ist die Gegenfrage, die dann gestellt werden muß.
Es wäre sowieso an der Zeit, daß nach jahrelangen Angriffen von Ihrer Seite bis hin zu Unterstellungen, die Sie hier immer wieder eingebracht haben, die Opposition dem Bundestag einmal eine Bilanz ihrer Deutschlandpolitik vorlegt, von mir aus getrennt nach Regierungszeit und Oppositionsjahren. Die staunende Öffentlichkeit, falls es überhaupt noch Teile der Bevölkerung gibt, die nicht Bescheid wissen, würde dann hören, daß Ihre Regierungsbilanz gleich Null ist. Selbst um dieses Null zu erreichen, bräuchten Sie einen sehr guten Redner. Ihre Regierungsbilanz von damals ist gleich Null, und Ihre Oppositionsbilanz ist: Kein Konzept. Das und nichts anderes ist die Wirklichkeit.Die übergroße Mehrheit der Bevölkerung, die dies weiß, vertraut unserer Deutschlandpolitik, weil es ganz einfach zur Politik des Interessenausgleichs keine vernünftige und gangbare Alternative gibt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lintner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Büchler, ich habe eigentlich gedacht, daß dieses Gerede, die Opposition habe keine Alternativen, spätestens heute morgen sein Ende gefunden hat; denn dort hat Franz
Metadaten/Kopzeile:
7138 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
LintnerJosef Strauß überzeugend dargelegt, daß es natürlich zur Politik der Entspannung keine Alternative gibt, daß es aber viele Arten von Politik gibt, um Entspannung zu erreichen, und daß wir zu dieser Ihrer Politik nicht ja sagen können und wir sehr viel anderes hier anzubieten hätten.Im übrigen bin ich durchaus nicht darüber erstaunt, daß Ihnen das deutschlandpolitische Papier der CSU dauernd ein Dorn im Auge ist; denn es ist klar in der Diktion und auch fest in den Grundsätzen, was man von Papieren Ihrer Partei z. B. nicht dauernd behaupten kann.
Der Katalog der in Art. 7 des Grundlagenvertrags und in der dazu gehörigen Anlage angesprochenen Folgeverträge umfaßt praktisch alle Lebensbereiche. Deshalb ist die Anfrage und die Antwort geeignet, eine Gesamtbilanz der bisherigen Deutschlandpolitik der Regierung vorzunehmen, und diese Bilanz fällt denkbar negativ aus. Die Bundesregierung hat zwar eine recht wortreiche Antwort vorgelegt; aber das Fazit ist eigentlich kurz zusammenzufassen. Es lautet nämlich: Stagnation auf allen Ebenen. Legt man sogar noch die Euphorien und den hohen Erwartungshorizont, den die SPD und FDP früher in diesem Hause und kor allem in der Öffentlichkeit erzeugt hatten, als Maßstab an, so müßte man statt des Wortes Stagnation eigentlich das Wort Regression gebrauchen. Man ist heute am Ende einer 1969 beschrittenen Sackgasse angelangt. Die Antwort der Bundesregierung muß daher als ein Dokument der Rat- und Hilflosigkeit bezeichnet werden. Sie kann auch nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich praktisch seit 1974 im innerdeutschen Verhältnis nichts Wesentliches mehr getan hat. Im- Grunde genommen ist die DDR lediglich dort, wo sie Aussicht hat, Devisen aus der Bundeskasse holen zu können, überhaupt noch zu Verhandlungen bereit. Am liebsten würde die Bundesregierung — ich nehme an: auch die SPD-Fraktion — wohl dem Vorschlag Ihres Hauptgeschäftsführers Egon Bahr folgen, der vor kurzem geäußert hat, daß es nicht sinnvoll sei, das Thema der deutschen Einheit auf die Tagesordnung der Politik zu setzen.
Andere Äußerungen anderer Mitglieder Ihrer Fraktion, der SPD sind noch wesentlich destruktiver; denn sie laufen den deutschen Interessen noch mehr zuwider und fordern im Grunde genommen die Sowjets zu einer noch kompromißloseren Haltung auf. Ich denke hier z. B. an die Äußerung des Vorsitzenden der SPD-Fraktion in bezug auf Berlin. Fügt man als Erinnerungsanmerkung noch jene Passage aus der Regierungserklärung des damaligen Bundeskanzlers Brandt vom 28. Oktober 1969 hinzu, die besagt, daß es kein ein für allemal gegebenes Recht auf Wiedervereinigung gebe, so schließt sich der Bogen sozialliberaler Deutschlandpolitik. Am Ende wird selbst der Wille zur Wiedervereinigung in Frage gestellt, und dementsprechend verhält sich die Regierungskoalition im Grunde genommen auch: Sie spricht nämlich in der Öffentlichkeit weder im Inland noch im Ausland davon.Die Hilflosigkeit der Bundesregierung kommt aber auch unmittelbar in der Antwort selbst zum Ausdruck, nämlich dort, wo sie den Bürgern in der Bundesrepublik die Lehre erteilt, die Position der Bundesregierung nicht durch Überschätzung zu erschweren. Ich fürchte, hier bahnt sich so etwas wie eine neue Schwarzer-Peter-Runde an. Unser Volk ist schuld, wenn nichts mehr geht, nicht aber diese Bundesregierung. Im Grunde genommen ist die Bundesregierung auch unfähig, meine ich, die Interessen der Bundesrepublik gegenüber den SED-Machthabern wirkungsvoll zu vertreten; denn auch in der Deutschlandpolitik ist ein Grunddissens innerhalb dieser Koalition vorhanden.
Ich meine jene in der SPD, die einer Politik des Arrangements mit den kommunistischen Parteien das Wort reden. Wortführer dieser Richtung scheint seit neuestem der Bundesbildungsminister Schmude zu sein, der sibyllinisch von einer völlig „neuartigen Antwort" auf die deutsche Frage spricht, die — so wörtlich — „von manchen überkommenen Vorstellungen abweichen wird".
Seit gestern nachmittag ist dies nach den Antworten der Bundesregierung in der Fragestunde sogar Meinung dieser Bundesregierung. Man muß feststellen, ,daß die Bundesregierung hier ,den Weg dubioser Unklarheiten fortsetzt und sich sogar noch dem Verdacht aussetzt, von der Verfassung vorgeschriebene, also überhaupt nicht zur Disposition stehende Positionen endgültig aufgeben zu wollen.
Die Antwort der Bundesregierung zeigt im übrigen, daß sie keinerlei Lehren aus der Stagnation der letzten Jahre gezogen hat. Sie gibt sich z. B. hinsichtlich der wirtschaftlichen Beziehungen zur DDR weiterhin völlig unpolitisch. Mit einseitigen Zahlendarstellungen will sie über das extreme Mißverhältnis zwischen Geben seitens der Bundesrepublik und „Geben" seitens der DDR hinwegtäuschen. Z. B. ist die Steigerung des Volumens des Handels mit der DDR, das hier so herausgestellt worden ist, keineswegs so sensationell, wie dies die Bundesregierung glaubhaft machen möchte; denn die Bundesregierung — und so vorhin auch Sie, Herr Bundesminister — benutzt hier zu Täuschungszwecken die Zahlen des Jahres 1968, um verschweigen zu können, daß sich seit 1970 z. B. der Handel noch nicht einmal verdoppelt hat und daß er seit 1976 praktisch stagniert. Im übrigen ist auch der Handel mit den anderen Ostblockländern — hier darf ich nur an die Feststellungen des Bundeskanzlers von heute morgen erinnern; er hat darauf hingewiesen, der Handel mit der Sowjetunion habe sich seit 1970 vervierfacht — sehr viel stärker gestiegen und hat sich besser entwickelt als der Handel mit der DDR.Dabei hat sich in den letzten Jahren auch die Struktur der Wirtschaftsbeziehungen mit der DDR verschlechtert, werden doch, wie ich glaube feststellen zu müssen, in zunehmendem Maße Steinzeit-praktiken eingeführt, wie etwa das Ansteigen des
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7139
Lintnersogenannten Tauschhandels in der Form von Kompensationsgeschäften zeigt.Man fragt sich, meine Damen und Herren: Warum nimmt eigentlich die Bundesregierung die SED-Führung nicht beim Wort und stellt einen politischen Gesamtzusammenhang zwischen den rund 7 Milliarden DM aus .den Taschen ,des deutschen Steuerzahlers und der Frage nach der Herstellung weiterer menschlicher Erleichterungen und vor allem auch der Einhaltung von internationalen Verträgen seitens der DDR-Führung her?
Man könnte sich dabei sogar auf Bekundungen eben dieser Führung berufen, die in einem Kommentar im „Neuen Deutschland" am 29. März dieses Jahres immerhin geäußert hat, ,daß sich — so wörtlich — „der wirtschaftliche Austausch entsprechend den Prinzipien der friedlichen Koexistenz, wie sie in der Schlußakte von Helsinki verankert sind", entwickelt habe. Hier bietet doch im Grunde genommen die SED-Führung geradezu eine Verknüpfung von wirtschaftlichen und finanziellen Leistungen der Bundesrepublik mit den Ergebnissen etwa ,der KSZE an.
Hier ließe sich doch ohne weiteres die Forderung erheben, daß die DDR-Führung Menschen- und Bürgerrechte mehr als bisher repektieren müsse,
um eben dem selbst herausgestellten Zusammenhang gerecht werden zu können.
Doch die Bundesregierung nimmt es, meine Damen und Herren, sogar hin, daß das SED-Regime in seinen widerwärtigen und abscheulichen Schießbefehl noch folgenden Satz eingefügt hat — ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin —:Befindet sich eine flüchtende Person bereits auf bundesdeutschem Gebiet und sind keine westdeutschen Sicherheitsorgane in der Nähe, so ist die Person nach Möglichkeit anzuschießen und sofort zu bergen.
Eindrucksvoller, glaube ich, kann doch die Deutschlandpolitik der Bonner Regierung gar nicht widerlegt werden.Die Bundesregierung nimmt es aber z. B. auch hin, daß in der DDR praktisch kein einziger Ausreiseantrag, den deutsche Bürger in Mitteldeutschland gemäß den Vereinbarungen mit der Bundesrepublik Deutschland an die dortigen Behörden richten, sanktionslos bleibt. Viele müssen ihre berufliche Existenz aufs Spiel setzen und häufig auch ihre Freiheit opfern, obwohl sie hierbei nur ein ihnen gegebenes Menschenrecht in Anspruch nehmen. Die Bundesregierung schweigt hierzu, und ich halte das angesichts der im Grundgesetz verankerten Verpflichtung dieser Regierung, für das Wohl aller Deutschen einzutreten, für einen unwürdigen Sachverhalt.Auch im Bereich des so oft zitierten und so hervorgehobenen Umweltschutzes ist ja, Herr Bundesminister, bei weitem noch nicht alles geregelt. Das Ergebnis kann deshalb keineswegs so erfreulich genannt werden; ich würde es eher als sehr mager bezeichnen.Meine Damen und Herren, es klingt auch unwürdig, wenn die Bundesregierung angesichts dieser Sachverhalte — und die Aufzählung ließe sich beinahe beliebig fortsetzen — in ihrer Antwort von „spürbaren Fortschritten", von lediglich „einzelnen negativen Beispielen", von „Unsachlichkeit" ihrer Kritiker oder gar von einem „positiven Gesamturteil" spricht. Unter dem Strich einer solchen Bilanz müßte ein ganz anderer Satz stehen: Diese Politik ist gescheitert.
Mit diesem geschönten Druckwerk, meine Damen und Herren, und den kritiklosen Darlegungen hat die Bundesregierung weder sich noch der Bundesrepublik Deutschland noch den Deutschen in der Zone einen Gefallen erwiesen.Die im einzelnen in Art. 7 des Grundlagenvertrages aufgezählten Bereiche hätten es geradezu nahegelegt, gegenüber den DDR-Machthabern nachhaltig auf die Gemeinsamkeit der deutschen Nation hinzuweisen. Die Bundesregierung könnte sich dabei — was für sie von Vorteil wäre — auch der fast hundertprozentigen Unterstützung seitens der Bevölkerung, der Deutschen in der DDR, gewiß sein, die bis heute ihrerseits dem SED-Regime die Gefolgschaft bei seiner künstlichen Konstruktion einer sozialistischen Nation verweigert haben.Es wäre deshalb Aufgabe eben dieser Bundesregierung gewesen, auch an diesem Punkt das Anliegen der Brüder und Schwestern in Mitteldeutschland aufzugreifen und so gemeinsam mit der Bevölkerung in der Zone die DDR-Führung zu veranlassen, die Unveränderlichkeit der gemeinsamen Nation endlich einzusehen.
Auch darauf hat die Bundesregierung in' ihrer Antwort verzichtet. Sie droht damit in einem langfristigen historischen Prozeß, nämlich dem Prozeß der Erhaltung der deutschen Nation und der Wiederherstellung der staatlichen Einheit für immer in die Defensive zu geraten.Mit der in der Deutschlandpolitik gezeigten Realitätsferne und mit der Fortsetzung dieser Politik durch die Bundesregierung droht das einst durch Propaganda überzogene Werk der Verständigung mit dem Osten bestenfalls zu einer geschichtlichen Marginalie zu werden.Die Opposition in diesem Hause muß daher feststellen, daß die Bundesregierung nach wie vor nicht bereit ist, aus den von ihr begangenen Fehlern und den Fehlentwicklungen zu lernen, und daß sie — wie ihre Antwort auf die Große Anfrage der Opposition zeigt — nicht in der Lage ist, den wichtigsten Interessen des deutschen Volkes in der Deutschlandpolitik Rechnung zu tragen.
Metadaten/Kopzeile:
7140 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Das Wort hat Herr Bundesminister Franke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Ausführungen können nicht unwidersprochen hingenommen werden. Darum gleich einige Richtigstellungen: Ihr Urteil über unsere Politik steht Ihnen frei. Es wäre für Sie auch unerträglich, wenn Sie zugestehen müßten, daß da Erfolge erwirkt wurden. Das werden die Beteiligten viel besser beurteilen können.
Ich finde, es ist immer wieder schlimm, wenn Sie darauf abheben, daß angeblich Euphorie und übersteigerte Erwartungen bei der Bundesregierung Pate gestanden hätten, als es darum ging, diese Politik einzuleiten. Machen Sie sich doch bitte einmal die Mühe — wenn Sie es selber nicht lesen wollen, geben Sie dem. Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages den Auftrag —, die Reden, die hier von Anbeginn zu diesem Thema gehalten wurden, durchzusehen. Da werden Sie sehen, daß wir uns immer darüber im klaren waren, daß wir uns auf einen steinigen, langen Weg begeben und daß wir große Geduld brauchen würden, um überhaupt voranzukommen.
— Ja, Sie dürfen auch lesen, wenn Sie hier in dieser Weise kritisieren wollen. Ich habe Ihnen eben Quellen gewiesen und Ihnen empfohlen, nicht Parteiarchive, sondern die wissenschaftliche Abteilung des Hauses zu bemühen, damit Sie das nachprüfen können, was ich gesagt habe.
Wir haben uns dieser Aufgabe gestellt, selbst, wenn wir nur millimeterweise vorankommen und die Ergebnisse nur so viel wie das Schwarze unter den Fingernägeln ausmachen würden. Dies können Sie doch nicht leugnen. Aber davon wollen Sie nichts wissen.
Sie wollen Ihre Legende stützen. Sie haben Hoffnungen und Erwartungen hochstilisiert, die wir immer wieder als nicht erreichbar zurückgewiesen haben. Darum gab es auch heute wieder den Tenor in unseren Aussagen, daß Wünschbares und Machbares zweierlei sind. Aber das wollen Sie nicht hören. Sie wollen uns immer wieder zu übersteigerten Forderungen verleiten.
Ich finde, es ist auch nicht sehr korrekt, Herr Kollege, daß Sie, als Sie eben hier von den Handelszahlen sprachen, sagten, ich hätte hier getäuscht. Sie haben wohl meine Ausführungen nicht gehört. Ich muß sie darum wörtlich wiederholen. Ich weiß schon, warum ich jedes Wort, das ich Ihnen hier sage, aufschreibe: weil Sie nicht bereit sind, korrekt zuzuhören. Ich habe gesagt:
In den zehn Jahren von 1968 bis 1977
— das sind die Zahlen, die vorliegen —
hat sich der Umsatz des innerdeutschen Handels verdreifacht. In absoluten Zahlen: Er ist in diesem Zeitraum von 2,9 Milliarden Verrechnungseinheiten auf 8,7 Milliarden Verrechnungseinheiten gestiegen.
Dies zur Klarstellung.
Weiter sprachen Sie hier von einem Untätigsein der Bundesregierung gegenüber den Bemühungen von DDR-Bürgern, ausreisen zu können, bzw. davon, daß diese Menschen dort drüben zum Teil Schikanen erleiden müssen. Auch wir beklagen das. Wir haben oft genug versucht, jene, die da meinen, dadurch, daß sie hier lamentieren, drüben eine Behörde bewegen zu können, dazu zu bringen, davon Abstand zu nehmen. Dies geschah nicht. Wir haben ausreichende Dokumentationen von Betroffenen, die sich darüber beklagen, daß sie in dieser Weise hier mißbräuchlich für Propagandazwecke benutzt wurden und das sachliche Anliegen, ausreisen zu können, dadurch zum Teil sehr erschwert wurde. Aber wir bemühen uns um jeden, der dort 'rauskommen kann.
Ein Wort zu der letzten Ungeheuerlichkeit, die Sie hier verbreitet haben. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie uns die Quelle angäben, aus der Sie die Nachricht von dem angeblich so erweiterten Schießbefehl haben. Wir haben uns um diese Klärung sehr bemüht. Es gibt keine Stelle in der Bundesrepublik Deutschland, die das auch nur andeutungsweise bestätigen kann. Es gibt nur die Presseerklärung, die Herr Präsident Jaeger zu diesem Thema von sich gegeben hat. Wir haben alle Quellen, die es zu diesem Thema geben kann, befragt. Weder vom Bundesgrenzschutz noch vom Bundesinnenministerium, noch von einer anderen Stelle, die über Informationen verfügen kann, gibt es auch nur einen Hinweis, daß so etwas existiert.
Ich denke, von solchen Aussagen sollten Sie angesichts des Bemühens, in den Problemen, die zwischen den beiden Staaten liegen, zu Lösungen zu kommen, Abstand nehmen. Denn dadurch, daß Sie hier einen Buhmann aufbauen, der in dieser Dimension und so nicht existiert, wird nichts besser.
Auch uns paßt vieles von dem, was dort ist, nicht. Deshalb bemühen wir uns ja, durch sachliche Verhandlungen und Vereinbarungen zu Veränderungen zu kommen. Viele Tausende können erfreulicherweise daran schon teilhaben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Straßmeir.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister, Ihre Intervention war aufschlußreich — allerdings nur in der Weise, daß Sie die Ausführungen des Kollegen Lintner in bezug auf die von ihm vorgebrachten Zahlen und Daten bestätigt haben. Im übrigen wird, glaube ich, die Qualität Ihrer Politik nicht besser, wenn Sie immer den gleichen bekannten Sachverhalt mit mehr oder minder großer Lautstärke wiederholen.
Nach dem Grundlagenvertrag wollen die Bundesrepublik Deutschland und die DDR normale gutnachbarliche Beziehungen entwickeln, und sie verpflich-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7141
Straßmeirten sich in Art. 7 desselben Vertrags, praktische und humanitäre Fragen zu lösen. Zugleich wurde Einvernehmen darüber erzielt, daß die Ausdehnung dieser Regelungen und Abkommen auf Berlin in Übereinstimmung mit dem Viermächteabkommen jeweils vereinbart werden kann. Die Interessen Berlins werden, so heißt es, durch die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Ost-Berlin wahrgenommen. So weit, so gut — wenn es das Wörtchen „kann" nicht gäbe. Die Bundesregierung glaubte zumindest damals, daß es mit dem deutsch-sowjetischen Vertrag, mit dem Viermächteabkommen über Berlin und den deutsch-deutschen Verträgen gelingen könnte, die Politik in und um Berlin in eine krisenfreie, ruhigere Phase zu steuern.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Wirklichkeit hat oftmals ganz andere Ergebnisse gezeitigt. Heute, fünf Jahre nach dem Abschluß des Grundlagenvertrages, scheitert der Abschluß einer Reihe wichtiger Folgeverträge eben an der nach wie vor unvermindert andauernden Auseinandersetzung um Berlin.
In ihrer Antwort auf die Große Anfrage der CDU/ CSU-Fraktion hat die Bundesregierung versichert:In keiner der noch laufenden Verhandlungen über den Abschluß von Folgevereinbarungen zum Grundlagenvertrag ist ein Abkommen so weit fertiggestellt, daß seinem Abschluß nur noch das Fehlen einer Vereinbarung über die Einbeziehung Berlins entgegensteht.Bei der Darstellung des Einzelsachverhalts, der Sachgebiete, stößt man allerdings sehr schnell und unmißverständlich auf das Pudels Kern. Bei dem Abkommen über Wissenschaft und Technik verweist die Bundesregierung auf die Weigerung der DDR, Berlin einzubeziehen, und sie verweist zugleich auf den Zusammenhang mit dem noch ausstehenden entsprechenden Vertrag mit der Sowjetunion.
Das gleiche gilt aber doch, wie jedermann weiß, auch für die Abkommen über den Rechtsverkehr, das Kulturabkommen und das Umweltschutzabkommen. Dies sind doch nahezu die gleichen Felder, in denen sich auch die Sowjetunion hartnäckig weigert, Verträge mit der Bundesrepublik Deutschland unter Einschluß Berlin abzuschließen.Die Sowjetunion und die DDR verfolgen nach wie vor gemeinsam abgestimmt und vertragswidrig eine Politik der Diskriminierung des freien Teils von Berlin.
Dies ist auch durch den Staatsbesuch von Breschnew hart unterstrichen worden. Niemand in diesem Saal einschließlich der Koalition und der Bundesregierung glaubt doch, daß, nachdem die Verträge mit der Sowjetunion nicht zustande gekommen sind, ausgerechnet die DDR nun in absehbarer Zeit bereit sein wird,
die gleichen Materien mit uns vertraglich einwandfrei, wozu sie sich verpflichtet hat, zu lösen. Breschnew äußerte zwar, daß West-Berlin kein weißer Fleck auf der Karte der Entspannung bleiben dürfe. Nach der Praxis der sowjetischen und der sowjetdeutschen Berlin-Politik muß man jedoch vielmehr zu dem Eindruck gelangen, daß nach ihren Intentionen Berlin eines Tages ein roter Fleck auf der Landkarte werden soll.Berlin, meine Damen und Herren, ist für die Opposition — ich sage dies ganz bewußt — wie auch für die Bundesregierung eine Frage von vitaler Bedeutung. Berlin ist für die Politik der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Verbündeten nicht nur ein Prüfstein für die Entspannungspolitik, sondern auch ein Prüfstein für die Qualität, wie wir sie unter rechtem Verständnis dessen, was wahre Entspannung ist, verstehen müssen.
Die Entwicklung normaler gutnachbarlicher Beziehungen wird vornehmlich dadurch bestimmt, daß sich die DDR in bezug auf Berlin endlich entschließt, vertragskonform zu handeln. Die sowjetische Kraftfeldtheorie, wonach Berlin auf die Dauer seinem „natürlichen" — sprich: kommunistischen — Umfeld erliegen wird, bleibt abwegige Spekulation. Die beim Herrn Bundespräsidenten gebildete Berlin-Kommission aller Parteien sollte auch in der DDR als ein Signal begriffen werden, daß es keine Chance gibt, Berlin wirtschaftlich oder finanziell abzuschnüren oder auszutrocknen.
Eine Nebenbemerkung: Für die Entgleisung des Berliner Senators Riebschläger, der die Ergebnisse der Kommission etwas voreilig und vielleicht etwas naßforsch als „abenteuerlich" bezeichnet hat, möchte ich mich als Berliner Abgeordneter auch vor diesem Hause für alle Berliner in aller Form entschuldigen.
Die Bundesregierung, meine Damen und Herren, ist allerdings ihrerseits verpflichtet, der DDR zu verdeutlichen, daß die Ziele des Grundlagenvertrages unerfüllt bleiben, solange die DDR im Benehmen mit der Sowjetunion ihre Politik fortsetzt, Berlin über die Aushöhlung und Revision des Viermächteabkommens vom Bund zu trennen.Die gemeinsame Dokumentation der DDR und der Sowjetunion über angebliche Vertragsverletzungen des Viermächteabkommens durch die Bundesrepublik Deutschland definiert Berlin als eine selbständige politische Einheit und spricht vom vierseitigen Abkommen über West-Berlin. Meine Damen und Herren, ich glaube schon, daß die Bundesregierung gut beraten, ja sogar verpflichtet wäre, gegen die Dokumentation, die sich sicher später als ein politisches Aufrechnungspotential erweisen wird, wenigstens eine Rechtsverwahrung zu bewirken; und dies um so mehr, weil etwa zum gleichen Zeitpunkt der Sowjetbotschafter in Ost-Berlin, Abrassimow, vor dem Verein der Auslandspresse die klassische Formulierung gebraucht:
Metadaten/Kopzeile:
7142 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
StraßmeirDie korrekte Behandlung Berlins durch die Sowjetunion wird schon dadurch ersichtlich, daß es keine westlichen Einsprüche und Proteste gegen die sowjetische Politik gibt.
Hinnehmen, Lavieren und in jedem Falle Zahlen sind ungeeignete Mittel, die DDR davon zu überzeugen, daß die Bundesregierung gewillt ist — jetzt hören Sie bitte genau zu —, ihre vertraglichen Rechte zu wahren und künftig die Beziehungen nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit von Leistung und Gegenleistung zu gestalten. Das wollen wir mit Ihnen gemeinsam erreichen.
Die Bundesregierung hat beispielsweise dargelegt, daß sie in Verfolgung des Art. 7 des Grundlagenvertrages in den Verkehrsverhandlungen mit der DDR die Grunderneuerung der Transitautobahn Berlin — Helmstedt vereinbart hat. Die Kostenbeteiligung des Bundes beträgt zirka 260 Millionen DM. Ausgelassen dabei wurde — dies ist ein bezeichnender Hinweis, wie die Verträge und Vereinbarungen gemacht wurden — doch jegliche Vereinbarung über die der finanziellen Leistung entsprechende Qualität der Bauausführung. Also Zahlung ohne Gewährleistung!Ich sage das nicht, Herr Bundesminister, um nachzukarten. Wir sind wieder in Verkehrsverhandlungen. An steht u. a. auch eine Autobahnverbindung von Berlin nach Hamburg. Ich will mich nicht darüber äußern, daß es offenbar noch immer keine Konzeption der Bundesregierung gibt, wie man eigentlich in diese Verhandlungen mit der DDR hineingeht. Aber ich möchte schon heute darauf aufmerksam machen, daß sich ein solcher Fehler, daß es nämlich keine Vereinbarung über die Gewährleistung der Standards gibt, nicht noch einmal wiederholen darf.
Ein anderer Punkt: Die DDR hat trotz des Viermächteabkommens, des Grundlagenvertrages und der Verkehrsverträge zu keinem Zeitpunkt davon Abstand genommen, die empfindlichen Transitwege von und nach Berlin als Mittel der politischen Pression zu mißbrauchen. Störungen, Behinderungen und Sperrungen in massiver Form werden mit unterschiedlichen Argumenten begründet. Einmal war es die Maul- und Klauenseuche, dann war es die Suche nach Deserteuren. Aber es gab auch unverhüllte Drohungen, z. B. die Sperrung anläßlich der Errichtung des Umweltbundesamtes oder die Zurückweisung bei der Sternfahrt der Jungen Union nach Berlin. Im Jahre 1977 und am Beginn des Jahres 1978 nahmen die Behinderungen auf der Autobahn unerträgliche Formen an. Die ungerechtfertigten Verdachtskontrollen der Volkspolizei wegen angeblichen Verdachts des Mißbrauchs der Transitwege, also Personenkontrollen und Durchsuchungen der Fahrzeuge, überstiegen im Januar des Jahres das Dreißigfache des monatlichen Durchschnitts in all den zurückliegenden Jahren. Die Intervention von Staatsminister Wischnewski blieb ebenso erfolgloswie der Protest von Staatssekretär Gaus und der Protest in der Transitkommission.
— Ich komme gleich darauf. — Wir haben die Bundesregierung immer wieder darauf hingewiesen, daß die Transitkommission gar nicht in der Lage sein kann, Vorgänge mit gewollt politischem Hintergrund befriedigend zu regeln. Störungen des Transitverkehrs stellen einen unmittelbaren Angriff auf den Kern des Viermächteabkommens und der deutsch-deutschen Verkehrsvereinbarungen dar.
Wir fordern deshalb die Bundesregierung heute erneut auf, endlich ein Instrumentarium abgestufter Maßnahmen zu entwickeln, um den künftigen Behinderungen des Berlin-Verkehrs wirksam begegnen zu können.
Jetzt komme ich zu Ihnen, Herr Dr. Kreutzmann. In der Zwischenzeit ist die Zahl der ungerechtfertigten Verdachtskontrollen der Volkspolizei wieder erheblich zurückgegangen. War dies ein Erfolg der Bundesregierung auf Grund standhaften Handelns und Verhandelns? Die Entgegnung der Bundesregierung auf die Vertragsverletzung war doch die Einsetzung einer interministeriellen Arbeitsgruppe aus der Verpflichtung des Art. 17 des Transitabkommens. Diese Arbeitsgruppe hat die verfassungsrechtlich durchaus problematische Aufgabe, Möglichkeiten zur Verhinderung von Fluchthilfe zu erarbeiten. Wir haben bereits an anderer Stelle darüber gesprochen. Wir haben unsere Einstellung zur Fluchthilfe deutlich gemacht. Wir sehen also auch hier ein erneutes Nachgeben auf Druck, und vielleicht kommt noch hinzu, daß gezahlt wird. Die Bundesregierung hat, trotz wiederholter Anmahnungen bis heute nicht dargelegt, weshalb sie der ungerechtfertigten Forderung der DDR, 80 Millionen DM überzahlter Transitpauschale nicht vereinbarungsgemäß zu verrechnen, nachgekommen ist oder nachkommen wird. Im Jahre 1975 wurde die Transitpauschale mit jährlich 400 Millionen DM vereinbart. Zugleich wurde festgelegt, daß in den Jahren 1978 und 1979 eine entsprechende Kürzung oder Aufstockung des Pauschalbetrages stattzufinden habe, wenn das tatsächliche Verkehrsaufkommen gegenüber dem vorausgeschätzten in den Jahren 1976 und 1977 um mehr als 6,25 % abweicht. Nach den Feststellungen der Bundesregierung beträgt die Abweichung im Minderaufkommen mehr als 6,25 %,
so daß sich die Verpflichtung der Bundesregierunggegenüber der DDR in den Jahren 1978 und 1979 umjeweils 40 Millionen DM verringerte. Die DDR be-streitet diesen Vorgang. Die Bundesregierung mußnun endlich darüber Auskunft geben, weshalb das1975 angekündigte und gepriesene einheitliche neueZählverfahren zu so unterschiedlichen Ergebnissengeführt hat. Sie muß darlegen, wie sie den strittigen,vertraglich nicht gerechtfertigten Betrag von 80 Mil-lionen DM vor dem Bundestag und dem deutschenSteuerzahler vertreten will. Sie muß auch darlegen,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7143
Straßmeirwie sie sicherstellen wird, daß die Bundesrepublik künftig nicht erneut durch fehlerhafte Vereinbarungen finanziell geschädigt wird.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, ich habe deutlich gemacht, daß die Christlich-Demokratische Union, daß die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bereit ist, mit Ihnen gemeinsam an der Entwicklung der deutsch-deutschen Beziehungen zu arbeiten, allerdings nur nach dem Prinzip der Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung. Ich bitte Sie, Herr Bundesminister — und dies sei mein letzter Satz —, zur Kenntnis zu nehmen, daß es die Aufgabe der Opposition ist, die Regierung kritisch zu begleiten; auch dies ist nach unserer Auffassung ein Dienst an den Menschen in beiden Teilen unseres Landes.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schulze .
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich würde zu Beginn gern drei Vorbemerkungen machen.
Erstens würde ich an das kleine Häuflein der rechten Opposition die Frage stellen, ob Ihnen eigentlich noch immer nicht aufgefallen ist,
daß Sie mit Ihrem Stil der deutschlandpolitischen Debatte
— ja, Sie zwingen uns so 'ne ulkige Debatte hier auf —
keinen Hund hinter dem Ofen vorholen,
noch nicht einmal Ihre führenden Leute aus der Fraktionsspitze.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger?
Ich gestatte im Moment keine Zwischenfrage.
Ich finde, dies sollte Ihnen erst einmal zu denken geben.
Eine zweite Vorbemerkung: Der Kollege Abelein sprach von der medizinischen Versorgung der DDR-Bürger. Der Kollege Büchler hat das hier auch anklingen lassen. Ich will nur noch einmal folgenden Hinweis geben: Es gibt in Berlin die Deutsche Ärztegemeinschaft für medizinische Zusammenarbeit, die eine großartige Versorgung der DDR-Bürger mit Medikamenten, und zwar mit West-Medikamenten, übernimmt. Es wäre vielleicht ganz gut,
wenn die Fraktionskollegen der CDU dort einmal vorbeiguckten und sich informierten.
Eine dritte Vorbemerkung; ist an den Kollegen
Straßmeir gerichtet: Ich halte das nicht für legitim, Herr Kollege Straßmeir, wie Sie hier das Thema Transitverkehr und Kontrollen behandelt haben.
Erstens. Das Verkehrsaufkommen auf der Straße Berlin—Helmstedt ist zu 70 % Transitverkehr zwischen Berlin und West-Deutschland. Insofern, so finde ich, muß man es ein bißchen anders bewerten, wenn man über Zahlungen redet.
— Auch über Zahlungen, Herr Kollege Straßmeir.
Zweitens finde ich, daß es auch nicht legitim ist, so über die verstärkten Kontrollen der Organe der DDR im Transitverkehr zu reden, denn Sie wissen genau, welche Gefahr für die Stadt gerade im Hinblick auf die Transitwege besteht, wenn diese Transitwege durch kommerzielle Fluchthilfeunternehmen benutzt werden, die mit kriminellen Mitteln arbeiten. Hier ist doch die Freiheit Berlin, der Zugang nach Berlin
und die Versorgung Berlins gefährdet. Dies, so finde ich, muß noch einmal klargemacht werden, denn — —
— Ja, wir können es ja bei Gelegenheit auch differenzierter behandeln.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Straßmeir?
Ja, eine Frage des Herrn Kollegen Straßmeir immer.
Herr Kollege Schulze, ist Ihnen entgangen, daß ich ausschließlich über die Kontrollen gesprochen habe, die ungerechtfertigt stattgefunden haben, und nicht von den Dingen, die Sie hier eben behandelt haben?
Herr Kollege Straßmeir, ich gehe davon aus, daß. Sie das Transitabkommen und auch die Voraussetzungen gelesen haben, die dort aufgezählt sind, unter denen die DDR diese Maßnahmen vornehmen kann.
— Sicher, „in begründeten Verdachtsfällen", aber Herr Kollege Jäger, wir haben doch im Ausschuß genau erörtert, welche Schwierigkeiten wir dort haben, wie Leute hin und her geschleust worden sind, zum Teil unter Anwendung krimineller Methoden.
Metadaten/Kopzeile:
7144 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Schulze
Dies war doch der Punkt. Ich bin froh, daß es dem Staatsminister Wischnewski und anderen gelungen ist, diesbezüglich dahin gehend verhandelt zu haben, daß es im Moment jedenfalls keine Gefährdung auf den Transitwegen gibt. Dieser Bereich ist nun einmal für die Stadt — das habe ich schon gesagt — lebenswichtig.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal zur Berlin- und Deutschlandpolitik zurückkommen. Sie hat in unserer Vorstellung die Aufgabe, den Frieden zu sichern und die Entspannung zwischen den Staaten in Ost und West herbeizuführen. Entspannung und Gleichgewicht sind wesentliche Voraussetzungen für ein freies Leben der Bürger Berlins und wesentliche Voraussetzungen für die Lebensfähigkeit der Stadt. Wir Berliner Sozialdemokraten bekennen uns zu der Berlin- und Deutschlandpolitik der Bundesregierung. Sie hat die Lebensfähigkeit der Stadt gesichert. Diese beruht auf zwei Säulen: 1. auf der obersten Verantwortung der drei alliierten Schutzmächte und ihren sich auch auf die Zufahrtswege erstreckenden Sicherheitsgarantien und 2. auf den engen politischen, rechtlichen, finanziellen und wirtschaftlichen Bindungen zur Bundesrepublik Deutschland. Dem wird mit dem Viermächteabkommen über Berlin vom September 1971 entsprochen. Der Status der Stadt ist also eindeutig gesichert und geregelt. Darüber bedarf es eigentlich keiner Diskussion. Daher auch meine Frage an die Kollegen der Opposition, welchen Sinn solch eine Debatte mit einer solchen Akzentverschiebung hier eigentlich haben soll.Mit dem Bau der Mauer am 13. August — dies ist heute vormittag schon einmal erörtert worden — wurde nun auch sichtbar, daß nicht nur mitten durch Deutschland, sondern auch mitten durch Berlin die Grenze zwischen zwei Blöcken in Europa vorhanden ist, eine Grenze, die auch die Interessenssphären von zwei Machtblöcken teilt. Politisch hat sich der Mauerbau in zwei Richtungen ausgewirkt. Einmal, meine ich, wurde für jeden erkennbar, daß es für die Stadt lebensnotwendig ist, die Bindungen zum Bund aufrechtzuerhalten. Zum anderen wurde erkennbar, daß die unmittelbare Konfrontation dieser Blöcke im Raum Berlin einen gefährlichen Krisenherd darstellt und daß gerade Berlin nicht die Konfrontation gebrauchen kann, sondern daß Berlin die Entspannung notwendig hat. Aus dieser Erkenntnis heraus hat die sozialliberale Bundesregierung 1969 die Entspannungspolitik eingeleitet, die sich in den Verträgen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion und der Volksrepublik Polen von 1970 manifestierte. Ein wesentliches Resultat dieser Verträge ist die neue Politik mit dem Viermächteabkommen vom 3. September 1971. Dieses Abkommen hat sich nach unserer Auffassung bewährt. Es hat Berlin eine sichere Zukunftsperspektive gegeben. Es hat die Lebensfähigkeit der Stadt gestärkt und die Voraussetzungen für eine günstige Entwicklung von Wirtschaft, Kunst und Kultur verbessert. Im Interesse der Stadt ist es zu begrüßen, daß in der am 6. Mai vom Bundeskanzler Schmidt und vom Generalsekretär Breschnew unterzeichneten gemeinsamen Deklaration beide Seiten noch einmal ihre Auffassung bekräftigten, daß die strikte Einhaltung undvolle Anwendung des Viermächteabkommens eine wesentliche Voraussetzung für eine Verbesserung der Beziehungen zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik Deutschland bleibt.Wir Berliner Sozialdemokraten danken an dieser Stelle der Bundesregierung, daß sie wie bisher konsequent die Position Berlins vertreten und verdeutlicht hat, daß Berlin Prüfstein der Entspannungspolitik ist,
daß Berlin der Prüfstein der Entspannungspolitik auch weiterhin sein wird und daß ohne Berlin keine Entspannungspolitik möglich ist. Es sei hier nur noch einmal kurz erwähnt, weil sehr viel Negatives gesagt worden ist, daß seit Abschluß des Viermächteabkommens — ich will die Frage an die Opposition nicht weiter stellen, wie viele Abkommen sie ohne Berlin-Einbeziehung geschlossen hat — 27 Verträge mit osteuropäischen Staaten geschlossen worden sind, in denen Berlin einbezogen ist. Es sind 27, wobei wir wissen: drei Verträge zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion sind unterschriftsreif, aber die Sowjetunion weigert sich noch, sie zu unterschreiben.
— Sie sollten zuhören, Herr Kollege. — Ich halte das nicht für gut. Ich habe die Hoffnung, daß die Sowjetunion darangeht, ihre Position an dieser Stelle zu korrigieren.Aber es gibt auch Anlaß zu Optimismus. In der vergangenen Woche ist die Stadt in das Wirtschaftsabkommen mit der Sowjetunion mit einbezogen worden. Das ist für Berlin ein wesentlicher Punkt.
Seit Abschluß des Viermächteabkommens und mit der Vertragspolitik der Bundesregierung hat es unbestreitbare Verbesserungen gegeben. Die Opposition hat dies nur an einigen Stellen gemerkt. Ich erinnere an die Verbesserungen mit dem Transitabkommen in Verbindung mit dem Verkehrsabkommen. Die Verbesserungen sind für die Stadt von entscheidender Bedeutung. Sie bedeuten für die Menschen, die dort leben, Freiheit.An dieser Stelle sei noch einmal an den Kompromiß des Viermächteabkommens erinnert. Einerseits haben die Drei Mächte den besatzungsrechtlichen Status der Westsektoren bekräftigt. Aber sie haben auch erklärt, daß die Bindungen zwischen den Westsektoren Berlins und der Bundesrepublik aufrechterhalten und entwickelt werden, wobei sie berücksichtigen, daß diese Sektoren wie bisher kein Bestandteil — kein konstitutiver Teil — der Bundesrepublik sind und auch weiterhin von ihr nicht regiert werden. Andererseits hat die Sowjetunion den freien Zugang von und nach Berlin garantiert.Mit dem Viermächteabkommen hat die UdSSR also nichts Neues erhalten. Das Verlangen der Drei Mächte war die Anerkennung des gewachsenen Zustands, d. h. der bestehenden, Bindungen, und außer-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7145
Schulze
dem die Gewährung eines freien, ungehinderten und unkontrollierten Zugangs von und nach Berlin. Beides wurde erreicht.Die Erfülllung des sowjetischen Interesses schuf also keinen neuen Zustand, während der Westen — dies ist wichtig — von der UdSSR etwas qualitativ Neues erhielt, nämlich den freien und ungehinderten Zugang von und nach Berlin. Bis dahin hatten nämlich die Drei Mächte kein völkerrechtliches Instrumentarium, um den freien, ungehinderten und unkontrollierten Zugang für Zivilpersonen durchzusetzen.Ich finde, hier muß man sehen, wer denn nun wirklich etwas hingegeben hat. Hier muß man auch sehen, daß die DDR etwas hingegeben hat. Sie hat nämlich einen Teil ihrer Hoheit hingegeben, und zwar auf den Transitwegen und im Reise- und Besucherverkehr.Ein wichtiges Ergebnis des Viermächteabkommens ist das Transitabkommen zwischen der Bundesrepublik und der DDR. Es ermöglicht den schnellen und in hohem Maße unkomplizierten Zugang. Ich sagte schon: Davon hängt die Lebensfähigkeit dieser Stadt sehr wesentlich ab.Für die Versorgung der Stadt besonders wichtig ist das Verplombungsabkommen. Für den Transport von Versorgungs- und Wirtschaftsgütern werden verplombte Lkw's benutzt — das hängt mit den kommerziellen Fluchthilfeunternehmen zusammen —, die schnell abgefertigt und somit schnell am Bestimmungsort sind. Das ist bei zu transportierenden Frischgütern besonders vorteilhaft. Im letzten Jahr wurden davon bei 823 000 Durchfahrten knapp 8,5 Millionen t Güter befördert.Ein weiteres positives Ergebnis für die Entspannungspolitik ist der Reise- und Besucherverkehr. Im letzten Jahr gab es 3,4 Millionen Besuche von West-Berlinern in Ost-Berlin und der DDR.Weiter: Die Telefonverbindungen, die wir inzwischen wieder haben, werden als Selbstverständlichkeit hingenommen. Wir hatten fast 20 Jahre keine Telefonverbindung mehr zwischen beiden Teilen der Stadt. Dies dürfte einigen wohl noch in Erinnerung sein. Heute haben wir täglich 20 000 Telefongespräche, und diese Zahl wird noch steigen.Hier gäbe es noch eine ganze Menge weiterer Punkte aufzuzählen. Ich nenne die Nordautobahn, die Verhandlungen um die Spandauer Schleuse — Sie sagen immer, es gehe nicht weiter —, die Verhandlungen um das Südgelände, das Gesundheitsabkommen. Und es gibt andere Dinge, die der Stadt sehr dienlich sind.
— Herr Kollege Jäger, Sie können sich hierzu noch melden.Sichtbarer Ausdruck für die Entspannungspolitik sind, meine ich, auch die vielfältigen Veranstaltungen, die wir in der Stadt haben. Denken Sie an die Grüne Woche — vielleicht haben Sie sie besucht —, denken Sie an die Messen, Kongresse und Ausstellungen. Denken Sie z. B. an die Filmfestspiele oder an die demnächst stattfindende Schwimmweltmeisterschaft.Um diese positiven Entwicklungen fortzusetzen, ist es notwendig, daß die Entspannungspolitik fortgesetzt und aus dem parteipolitischen Gezänk herausgehalten wird. Ich sage dies hier ganz ausdrücklich an die Adresse der Opposition, die von Anfang an gegen diese Politik war
und heute die offenkundigen Ergebnisse für Berlin und für die Berliner ignoriert.
— Ich komme zum Schluß, Frau Präsidentin.Uns geht es darum, daß die von der CDU/CSU bekämpfte Entspannungspolitik der Bundesrepublik fortgesetzt wird, weil sie für die Stadt wichtig ist. Die Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und der Regierung der DDR sind Ausdruck unseres Willens, die Entspannungspolitik weiterzuentwickeln. Für uns Sozialdemokraten gibt es zu dieser Politik keine Alternative,
um die Lage der Menschen in der geteilten Stadt zu verbessern. Wir arbeiten dafür, Berlin an der Entspannung zwischen Ost und West teilhaben zu lassen und die Entspannung für die Lebensfähigkeit der Stadt zu nutzen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gradl.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Während dies hohen sowjetischen Besuches vor wenigen Tagen ist in Reden, Gesprächen und Erklärungen wohl kein politischer Begriff so häufig gebraucht worden wie der der Entspannung. Die weltweite Wirklichkeit, wie sie sich heute darstellt, zeigt ein genau entgegengesetztes Bild.
Zahl und Intensität der Spannungskomplexe haben beängstigend zugenommen.
Um so mehr besteht Anlaß, im Bereich unserer besonderen Verantwortung auf Entspannung bedacht zu sein. Denn die aufgezwungene Spaltung eines großen Volkes mit alter Geschichte ist ohnehin ein schwerer Spannungsherd,
auch wenn Vernunft versucht, ihn unter Kontrolle zu halten.
Latente Spannung ist auch Spannung. Die Ereignisse des 17. Juni 1953, die sich in diesem Jahr zum
Metadaten/Kopzeile:
7146 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Dr. Gradl25. Male jähren, sollten Lehre, Mahnung und Warnung sein. Solange die deutsche Spaltung andauert, ist für die innerdeutsche Entspannung der Freiraum menschlicher Existenz, menschlicher Begegnung, menschlichen Miteinanders beiderseits der Teilungslinie und über sie hinweg von entscheidender Bedeutung. Diesen Freiraum zu erweitern und auszufüllen, ist doch der eigentliche Sinn der offiziellen Bereitschaftserklärungen des Art. 7 des Grundvertrages und für uns, so möchte ich sagen, der Sinn des Grundvertrages überhaupt.In dem Zusatzprotokoll zu Art. 7 stehen Handel und Wirtschaft als Punkt 1 an der Spitze. Das entspricht und entsprach dem besonderen Interesse der DDR. Tatsächlich haben sich die ökonomischen Beziehungen erheblich erweitert, wobei wir aber nicht zu verstecken brauchen, daß diese Erweiterung nicht zuletzt den bundesdeutschen Finanzhilfen und den für die DDR von uns offengehaltenen Vorteilen des europäischen Marktes zu verdanken ist.Die meisten anderen Bereiche, auf die sich der Grundvertrag allgemein und Art. 7 besonders bezieht, bleiben demgegenüber weit zurück. Aber die sind gerade unser Interesse; denn hier geht es doch vornehmlich darum, den Menschen das Zueinander und Miteinander unmittelbar zu ermöglichen und leicht zu machen.In der Ratifizierungsdebatte vor jetzt fünf Jahren habe ich im Hinblick auf die ungenügende Verbindlichkeit und die fehlende Präzision zumal ,des Art. 7 von dieser Stelle aus gesagt, der Vertrag sei in allem, was die menschlichen Begegnungen angehe, ein Torso. Die Antwort der Bundesregierung beweist, daß er auch nach fünf Jahren noch ein Torso ist. Gerade für die Bereiche, die menschlich vorrangig sind, fällt die Antwort der Bundesregierung am unbefriedigendsten aus. Nehmen wir ein paar Beispiele.Kulturelle Zusammenarbeit: bisher noch nicht gelungen, Stagnation in den Kulturverhandlungen zu überwinden; so wörtlich.Wissenschaft und Technik: bisher kein Abkommen, wichtige Fragen noch offen einschließlich Einbeziehung Berlins.Erweiterung des gegenseitigen Bezugs von Zeitschriften und Büchern: Verhandlungen bisher in der Sache noch nicht in Gang gekommen.Sportbeziehungen: Begegnungen auf einen kleinen Kreis von Hochleistungssportlern begrenzt. — Anders ausgedrückt: Der normale breite Sportverkehr liegt praktisch völlig still.Meine verehrten Kollegen, wenn man an einem praktischen Beispiel demonstrieren will, wie die Wirklichkeit in absolutem Gegensatz zu dem steht, was man eigentlich nach Art. 7 des Grundvertrags zu diesem Thema erwarten könnte, dann muß man wissen, daß vor kurzem der Vizepräsident des Turn-und Sportbundes der DDR, Günter Heinze, folgendes gesagt hat: Im Rahmen sportlicher Begegnungen der Bezirke, Kreise und Sportgemeinschaften mit entsprechenden Partnern in sozialistischen Ländern, insbesondere Polen, der Tschechoslowakei und derUdSSR, sind — man höre — jährlich über 5 000 Delegationen mit rund 100 000 Sportlern beteiligt.Im Jahre 1977 sah der entsprechende innerdeutsche Verkehr so aus: 62 Begegnungen mit 633 Teilnehmern.
Dies ist ein überhaupt nicht zu überbietendes Sichtbarmachen der Wirklichkeit auf diesem Feld.
Der Antwort der Bundesregierung ist anzumerken, wie glücklich sie ist, wenigstens im Reiseverkehr positiver berichten zu können. Die Reiseziffern von West nach Ost sind in der Tat erfreulich. Wenigstens auf diese Weise und — darauf ist eben von meinem Vorredner mit Recht hingewiesen worden — zusammen mit dem Fernsprechverkehr, der wieder möglich geworden ist, wird wenigstens ein Teil der menschlichen Not aus der Spaltung genommen. Aber von Ost nach West ist seit 1972/73, vom Fernsprechverkehr abgesehen, überhaupt kein Fortschritt gemacht worden. Das Rentenalter ist nach wie vor, wie wir alle wissen, die verbindliche Reisegrenze. Die Rentnerreisen haben ursprünglich auch gar nichts mit dem Grundvertrag zu tun gehabt, wie jedermann weiß. Über die Reisen in Sonderfällen unterhalb des Rentenalters heißt es in der Antwort der Bundesregierung wörtlich: „Allein im abgelaufenen Jahr 1977 konnten von dieser Möglichkeit 41 500 Deutsche aus der DDR Gebrauch machen." Dieses Wort „allein" als positive Hervorhebung dieser Zahl ist eine Selbsttäuschung. Es hätte gesagt werden müssen: nur eine verschwindend kleine Zahl; denn wenn man unter Berücksichtigung der verschiedenen Bevölkerungsgrößen und nach Abzug der Rentnerreisen abtastet, wie etwa ein normaler Reiseverkehr sein müßte, dann müßte die entsprechende Zahl von Ost nach West neben den Rentnerreisen mindestens 800 000 gegenüber jetzt 41 500 im Jahr betragen.
Die miserable Bilanz des Art. 7 des Grundvertrages spiegelt wider, wie desolat die menschenrechtliche Situation in der DDR überhaupt ist. Dies ist immerhin ein Gebiet in der Mitte Europas. Es kann aber nicht — da liegt der eigentliche Grund unserer Entrüstung — der Sinn der Unterschrift der Bundesrepublik Deutschland unter den Grundvertrag gewesen sein, mit der vertraglichen Respektierung der Unabhängigkeit und Selbständigkeit und mit der Garantie unverletzlicher Grenzen und des Gewaltverzichts nun erst recht die Isolierung und Entmündigung in der DDR wider alle Menschenwürde zu konservieren.-
Genau dies ist geschehen. Oder ist die Grenze freier von Brutalität geworden? Ist der Reiseverkehr für DDR-Bürger in die Bundesrepublik freier geworden? Sind mittlerweile kulturelle, wissenschaftliche, sportliche Begegnungen in der Breite möglich geworden? Ist von Schriftstellern und Künstlern der Druck der mannigfaltigen Zensur genommen worden? Ist der selbständigen Meinungsbildung und kritischen Meinungsäußerung der DDR-Bürger mehr
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7147
Dr. GradlRaum gegeben worden? Haben die in allen Lebensbereichen üblichen Kontrollen nachgelassen? Haben entstellende und primitive Information und Propaganda nachgelassen? Nichts davon ist geschehen.Wir haben als Partner der DDR — wir werden immer wieder darauf hinweisen — im Grundvertrag und in den Menschenrechtskonventionen der Vereinten Nationen von 1966 ein Recht, auf mehr Verwirklichung der Menschenrechte in der DDR zu bestehen und die Verantwortlichen zur Rede zu stellen. Welchen Sinn sollte sonst die beiderseitige Verpflichtung des Art. 2 des Grundvertrages zur Wahrung der Menschenrechte haben? Auch mit dem Leitprinzip des Art. 1, der guten Partnerschaft, kann nicht nur gemeint sein, daß man nicht Gewalt und Feindschaft gegeneinander üben will oder daß man, was in Mitteleuropa selbstverständlich ist, bei offiziellen Begegnungen korrekt und höflich miteinander umgeht. Damit ist doch vielmehr das Verhältnis der Menschen zueinander gemeint. Nichts zeigt sich davon.Natürlich dürfen wir in unseren Erwartungen nicht — das ist heute betont worden — die machtpolitische Einbindung der DDR in den sowjetischen Block und seine Interessen übersehen. Auch die ideologische Fixierung auf sowjetische Orthodoxie, die Selbsterhaltungsangst der Kader des Systems dürfen wir nicht übersehen. Aber, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien und der Regierung, in den Grenzen realistischer Zumutung muß die DDR bedrängt werden, stetig, eindringlich und öffentlich. Man stelle sich nur vor, die DDR wäre uns gegenüber in einer vergleichbaren Situation, sie hätte so viele positive Argumente auf ihrer Seite, und wir wären in einer vergleichbar schlechten Lage wie sie! Was würde sie aus dieser Position machen?! Vielleicht sollten wir darüber nachdenken.Offensichtlich wagt die DDR nicht, ihr System den Menschenrechten im ganzen auszusetzen. Also muß man zunächst einmal auf das ausgehen, was ihr trotzdem zugemutet werden kann und zugemutet werden muß. Aber die innere Bewegung in der DDR scheint auf seiten der Bundesregierung zu dem Schluß zu führen, die Labilität mache Ost-Berlin unbeweglich, und dies müsse man verstehen und beachten. So hört man es jedensfalls aus dem ganzen publizistischen Umkreis dieser Bundesregierung — und nicht nur aus dem publizistischen.Nun habe ich selber von realistisch Zumutbarem gesprochen. Aber, verehrte Kollegen, so paradox ist die Situation: Mit zuviel Rücksicht erspart man der DDR die Anstrengung, sich zu konstruktivem Verhalten durchzuringen, und genau das müssen wir erreichen.
Tatsächlich ist doch die Unzufriedenheit der Menschen drüben nicht die Ursache, sondern die Folge der Immobilität des Systems; sie ist die Folge des starren Festhaltens der Machthabenden an ideologischen Zwängen, an Beengungen und Bedrückungen.Es ist wirklich an der Zeit, daß die DDR-Führung den Menschen ihres Machtbereichs endlich zuversichtlicher stimmende Zeichen gibt. Eine erste Herabsetzung des Reisealters um 20 Jahre sowie Kultur-und Sportaustausch in der Breite wären solche Zeichen. Aber in Wirklichkeit wird den Menschen drüben zugemutet, jetzt bald 30 Jahre DDR so zu feiern, als ob es auch weiterhin nur ein Leben hinter Wachtürmen und unter physischem und psychischem Zwang, unter Geheimpolizei und Indoktrination gäbe, als ob es keinen Grundvertrag, keine UN-Charta, keine Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen, keinen humanitären Teil der Deklaration von Helsinki gäbe. Das kann auf die Dauer nicht gutgehen. Gerade dann, wenn man explosive Ausbrüche nicht will — und da stimmen wir mit der Aussage der Bundesregierung in der Erklärung zur Lage der Nation völlig überein —, muß man vorbeugend auf Korrekturen des Systems in Richtung Menschenwürde drängen. Anders ist fundierte Entspannung in der Mitte Europas nicht zu gewinnen.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen und zusammenfassen. Die heutigen Schwierigkeiten der DDR sind originär DDR-bedingt. Ihre Ursachen — die Isolierung, die Bürokratisierung, die Zwänge und die Entmutigungen, die den Menschen jetzt schon seit Jahrzehnten auferlegt worden sind — sind nicht von uns geschaffen. Die Verantwortung für all das trägt die DDR-Führung. Von ihr muß auch die Wandlung kommen. Man kann sie nicht wegen ihrer selbstverschuldeten Schwierigkeiten unter Naturschutz stellen,
und man darf nicht Menschenwürde und Menschenrecht ihrer ideologisch-klassenkämpferischen Willkür überlassen.Die Bundesrepublik Deutschland hat — das sei abschließend noch einmal betont — ihren Beitrag zur DDR-Stabilität nolens volens längst geleistet und leistet ihn weiter. Ich denke dabei an ihre Verpflichtungen aus dem Grundvertrag von der Achtung der Selbständigkeit und territorialen Integrität bis hin zum Verzicht auf jegliche Art von Gewalt. Die Bundesregierung leistet darüber hinaus Stabilisierungshilfe durch wirtschaftliche Großzügigkeit und noch mehr durch ein, wie ich meine, überhöhtes Maß an politischer Zurückhaltung.
Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien sind von der Wirklichkeit herausgefordert, unsere legitimen menschlichen Ansprüche auf Völkerrecht und Grundvertrag offen und deutlich, fest und nachhaltig geltend zu machen. Aus menschlichen Gründen und auf Grund der Verbundenheit unseres Volkes dürfen wir uns, gerade wenn wir die Spaltung Deutschlands noch auf ungewisse Zeit zu ertragen haben, beim Thema „Menschenrecht in der DDR" durch keine unangebrachte, durch keine falsche Rücksicht behindern .lassen, sondern müssen politisch offensiv sein.
Heute vormittag ist uns eine Politik des Plakatierens und der Demonstration vorgeworfen worden.
Metadaten/Kopzeile:
7148 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Dr. GradlDazu sage ich schlicht: Dies ist absolut falsch. Verehrte Kollegen, der Weg, den wir für richtig halten, liegt genau in der Mitte zwischen Plakatieren und Demonstrieren einerseits und allzu rücksichtsvollem Schweigen andererseits.
Wir meinen den Weg intensiver, offener und öffentlicher Argumentation gegenüber der DDR, den Weg moralischen Drucks, und dazu fordern wir die Bundesregierung und das Regierungslager im ganzen auf.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jaeger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, zu so später Stunde noch eine Rede zu halten. Aber ich muß doch den Eindruck vermeiden, daß das, was mein Freund Eduard Lintner eben hier gesagt hat und was auch ich in einer Presseerklärung erwähnt habe, nicht substantiiert sei. Der Herr Bundesminister Franke war sehr erstaunt über die Behauptung, daß im Schießbefehl der DDR auch der Satz enthalten sei, daß auch eine Person, die sich bereits auf bundesdeutschem Gebiet befinde, angeschossen werden solle.
Die Quelle kann ich Ihnen nennen. Im ,,Fränkischen Tag" vom 12. April 1978 ist ein Bericht über die Oberfränkische Ausstellung 1978 in Kronach wiedergegeben. Dort ist eine DDR-Plakattafel photographisch reproduziert, die folgenden Wortlaut hat:
Auf Deserteure ist das Feuer sofort zu eröffnen, das heißt ohne Anruf und Warnschuß. Auf Flüchtlinge, die sich der Festnahme durch Flucht in die Bundesrepublik zu entziehen versuchen, dürfen nach einem Warnschuß gezielte Schüsse abgegeben werden. Befindet sich eine flüchtende Person bereits auf bundesdeutschem Gebiet und sind keine westdeutschen Sicherheitsorgane in der Nähe, so ist die Person nach Möglichkeit anzuschießen und sofort zu bergen.
Befindet sich ein Flüchtling kurz vor dem Grenzübertritt in die Bundesrepublik und es werden westdeutsche Sicherheitsorgane festgestellt, so ist die Person zu erschießen und anschließend sofort zu bergen, damit eine westdeutsche Propaganda nicht möglich ist.
Es freut mich, daß die Opposition besser informiert ist als die Regierung. Ich glaube, die Opposition könnte auch besser regieren als die jetzige Regierung.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Franke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe Veranlassung, die Pressemitteilung vom 10. Mai 1978, die Herr Dr. Jaeger herausgegeben hat, noch einmal zu zitieren und auf seine Ausführungen zu antworten. Da heißt es iii den letzten Zeilen:
Der Schießbefehl wurde verschärft. Heute sind die Grenztruppen der NVA angewiesen, sogar . . .
Dazu habe ich hier erklärt und wiederhole es: Der Bundesregierung ist davon nichts bekannt. Die Praxis der letzten Jahre gibt auch keinen Anlaß zu derartigen Schlüssen oder Vermutungen. In dieser Presseerklärung ist der Eindruck erweckt worden, als handle es sich um eine neue Verschärfung an den Grenzen. Diese alten Dinge im Zusammenhang mit dem Schießbefehl haben wir gemeinsam behandelt und immer wieder zurückgewiesen. Wir haben in der Praxis der letzten Jahre von dieser Verschärfung oder der Anwendung einer angeblichen Anweisung dieser Art keinerlei Kenntnis erlangt.
Meine Damen und Herren, zur allgemeinen Aussprache liegt mir keine Wortmeldung mehr vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir haben einen Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/1787 vorliegen. Wird von der antragstellenden Fraktion das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann hat Herr Abgeordneter Hoppe das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für die Koalition habe ich die Ablehnung des Entschließungsantrags zu begründen. Zustimmen kann diesem vorgelegten Entschließungsantrag eigentlich nur, wer den Salto mortale zur üblichen Bewegungsform der Politik machen will. Es ist ein Antrag des totalen Widerspruchs. Zunächst soll feierlich die Beerdigung der Vertragspolitik verkündet werden und just anschließend soll unter Berufung auf den Grundlagenvertrag für normale Beziehungen gesorgt werden. Die Opposition muß sich endlich einmal entscheiden, ob sie nun mit dem Grundlagenvertrag oder gegen den Grundlagenvertrag Politik machen will.
Das eine tun und das andere nicht lassen, ist ein Ding der Unmöglichkeit.
Im übrigen, meine Damen und Herren, spricht es der Wirklichkeit hohn, wenn die Opposition uns weismachen will, die Vertragspolitik im innerdeutschen Verhältnis habe sich nicht bewährt.Was soll eigentlich der Hinweis, daß Berlin in alle Verträge und Vereinbarungen einbezogen werden soll? Die CDU/CSU war, was die Außenvertretung Berlins betrifft, kein guter Sachwalter dieser Politik.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7149
HoppeErst im Zuge einer realistischen Entspannungspolitik konnte ein steter Wandel zum Besseren durchgesetzt werden. Für uns, meine Damen und Herren, gilt der Grundsatz, daß der Einheit und dem Zusammenhalt der Nation am besten gedient wird, wenn das Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen gestärkt wird.Es wäre gut, wenn bei diesem zweifellos noch immer schwierigen Unterfangen endlich auch einmal die Opposition nicht nur mit abgestandenen Vorwürfen, sondern mit der Bereitschaft zur grundsätzlichen Zusammenarbeit aufwarten würde.
Der Entschließungsantrag, über den wir hier abstimmen, ist weder vom Geist der Zusammenarbeit noch von alternativen Ideen und. Vorschlägen geprägt. Deshalb kann er nur der Ablehnung verfallen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag. Wer ihm seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das. Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen nun zu Punkt 4 der Tagesordnung:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen zu dem Antrag der Abgeordneten Böhm (Melsungen), Dr. Marx und der Fraktion der CDU/CSU
Beschwerdestelle für den innerdeutschen Reise- und Postverkehr
— Drucksachen 8/1070, 8/1710 — Berichterstatter:
Abgeordneter Schulze Abgeordneter Lintner
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Zur Aussprache hat das Wort der Herr Abgeordnete Böhm.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bedauert, daß SPD und FDP in diesem Hause nicht bereit sind, dem Antrag der CDU/CSU auf Einrichtung einer Beschwerdestelle für den innerdeutschen Reise- und Postverkehr zu entsprechen.
Ziel des am 21. Oktober 1977 vorgelegten Antrags war und ist es, einen konstruktiven Beitrag der Opposition zur Organisation der innerdeutschen Beziehungen zu leisten und dazu beizutragen, daß eine Verbesserung des Alltags in den innerdeutschen Beziehungen erreicht wird.
Durch die Institutionalisierung der Beschwerdemöglichkeiten wäre nach unserer Auffassung ein wichtiges Instrument bei der Praktizierung der mit
der DDR geschlossenen Abkommen geschaffen, das den betroffenen Bürgern dienen, deren Mitarbeit fördern und der Bundesregierung eine ständige und aktuelle Ubersicht über Behinderungen und Schikanen im innerdeutschen Reise- und Postverkehr ermöglichen würde.
Gerade die Zusammenarbeit mit den betroffenen Bürgern, die endlich eine einprägsame Adresse für ihre Sorgen und Probleme erhalten würden, die sie im Zusammenhang mit den innerdeutschen Kontakten immer wieder haben, würde das notwendige Vertrauen schaffen, daß allen Beschwerden und Anregungen gründlich nachgegangen wird und diese gegenüber der DDR mit Nachdruck vertreten werden.
Die DDR müßte erkennen, daß alle ihre Schikanen, Behinderungen und Nadelstiche sorgfältig registriert und zur Kenntnis genommen und als Vertragsverletzungen gewertet würden. Die Versuche der DDR, durch hohe Kosten auf der einen Seite und Willkür und persönliche Verunglimpfung auf der anderen Seite ständig künstlich neue Schranken gegen den innerdeutschen Reiseverkehr zu errichten, würden erschwert.
Sicher ist auch Ihnen, meine Damen und Herren der Koalitionsfraktionen, die Stellungnahme z. B. des ADAC zu unserer Initiative zugegangen, die für sich und in diesem Fall für uns spricht und aus der ich zitieren darf:
Dem ADAC gehen zahlreiche Beschwerden über Schikanen und Behinderungen im Reiseverkehr auf den Transitstrecken aus dem Kreis der Mitglieder zu. Wir haben diese Beschwerden regelmäßig sowohl an den Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen als auch an den Beauftragten für den Transitverkehr im Bundesministerium für Verkehr weitergeleitet. Zugleich stehen wir aber immer wieder vor der schwierigen Aufgabe, den Beschwerdeführern eine zufriedenstellende Antwort über den weiteren Verbleib bzw. Erfolg ihrer Eingaben geben zu können.
Soweit dieses Zitat, das für sich spricht und auf das ich hier mit dem Hinweis zu sprechen komme, daß von gesellschaftlichen Organisationen in der Bundesrepublik Deutschland diese Initiative der CDU/ CSU als notwendig eingestuft wird.
Die Bemühungen der CDU/CSU, mit der Beschwerdestelle ein praktikables Instrument für die Organisation der innerdeutschen Beziehungen auf unserer Seite zu schaffen, gehen auf Anregungen zurück, die aus Berlin kommen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schulze?
Ja. Bitte.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß diese Eingabe des Bonner ADAC in-
Metadaten/Kopzeile:
7150 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Schulze
haltlich von der Zentralstelle des ADAC überhaupt nicht geteilt wird? Wenn Ihnen das nicht bekannt sein sollte, leite ich Ihnen gern das Schreiben des ADAC München zu.
Herr Kollege, ich würde mich wundern, wenn eine Zentrale hier eine andere Stellungnahme abgeben würde als die Stelle, die offenbar hier in Bonn ständig schlechte Erfahrungen im Umgang mit dem innerdeutschen Ministerium gehabt hat.
Ich sagte eben, daß die Anregungen für diesen Antrag aus Berlin kommen. Dort, in Berlin, wurde auf Antrag der CDU-Fraktion des Abgeordnetenhauses vom 21. Juni 1972 eine Zentralstelle für Ost-West-Fragen errichtet, die Beschwerden im Zusammenhang mit dem Post- und Reiseverkehr sammelt und zugleich für die Beratung und Betreuung der Bevölkerung in allen mit dem West-Ost-WestReiseverkehr zusammenhängenden Fragen zur Verfügung steht.In dem Bemühen, Argumente gegen die Vorschläge der CDU zur Einrichtung einer solchen Beschwerdestelle auch in Bonn zusammenzutragen, kam es in den letzten Monaten aus den Reihen der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen zu einer solchen Fülle von Widersprüchlichkeiten, daß man sie heute bei der Schlußberatung über den Antrag als geradezu grotesk bezeichnen muß. Nachdem der Berliner Senator für Inneres, Peter Ulrich, am 22. Septèmber 1977 unter Hinweis auf die zentrale Melde-, Beratungs- und Beschwerdestelle in Berlin den Vorsitzenden der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin, Lummer, darauf hingewiesen hatte, daß sich eine ähnliche Stelle beim Bundesministerium für Verkehr in Bonn befinde und zwischen diesen Stellen ein ständiger reibungsloser Informationsaustausch herrsche, erklärte am 10. Oktober 1977 der Staatsminister beim Bundeskanzler, Hans-Jürgen Wischnewski, ebenfalls gegenüber dem Vorsitzenden der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Lummer, eine solche Beschwerdestelle wäre nicht geeignet, der Bundesregierung zusätzliche Informationen zu übermitteln, ja, sie würde möglicherweise dazu führen, daß die Bundesregierung von manchem Abkommensverstoß keine Mitteilung erhielte und ihn deshalb nicht gegenüber der DDR ansprechen könnte. Offenbar war dem Staatsminister die Existenz der Beschwerdestelle beim Bundesminister für Verkehr überhaupt nicht bekannt. Wenn Sie aber selbst dem Staatsminister im Bundeskanzleramt bisher verborgen blieb, woher soll sie dann der Bürger kennen?
Doch die Verwirrung geht weiter. Während der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen, Egon Franke, in seinen Ausführungen zum Antrag der CDU/CSU-Fraktion im Plenum des Bundestages am 25. November 1977 mit keinem einzigen Wort das ihm unterstellte Gesamtdeutsche Institut als Beschwerdestelle erwähnte, erklärte der Sprecher der FDP-Fraktion, der Kollege Hoppe, hier im Plenum, eben dieses Gesamtdeutsche Institut sammle alleBeschwerdefälle und dokumentiere sie. Aus diesem Grunde sei der Antrag der Opposition überflüssig. Auch die Tageszeitung „Die Welt" teilte am 12. Dezember 1977 der staunenden Öffentlichkeit mit, daß das Gesamtdeutsche Institut in Bonn schon seit mehreren Monaten als Anlaufstelle für Beschwerden von innerdeutschen Reisenden tätig sei, was allerdings der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt geblieben sei.
Dennoch könnten sich die Bediensteten im Gesamtdeutschen Institut über mangelnde Arbeit nicht beklagen, denn mehr als 3 000 Beschwerden seien dort seit Übertragung dieser Aufgabe aus dem innerdeutschen Ministerium bisher beantwortet worden.
Dieses Gesamtdeutsche Institut also, das zentral Beschwerden sammelt und damit etwas tut, was nach Angaben von Staatsminister Wischnewski gegenüber dem Berliner CDU-Fraktionsvorsitzenden Lummer für die innerdeutsche Politik nicht geeignet und geradezu schädlich ist, ist hinsichtlich seiner Funktion als zentrale Beschwerdestelle so gut getarnt, daß selbst der verantwortliche Minister Egon Franke diese Aufgabe bei ihm bisher noch nicht entdeckt hat.
Auch in den Publikationen des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen ist von irgendeiner Beschwerdestelle keine Rede. Die offizielle Broschüre „Reisen nach und von West-Berlin" bringt für Beschwerden die Anschriften von drei verschiedenen Ministerien, an die sich der Bürger wenden soll oder kann, wenn er sich durch Maßnahmen der DDR-Behörden beschwert fühlen sollte. Die Informationsbroschüre „Reisen in die DDR" bringt keinen einzigen Hinweis auf eine solche Beschwerdemöglichkeit. Eine andere offizielle Broschüre, die den Titel „77 praktische Tips" trägt, die auch vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen herausgegeben wird und sich an Reisende wendet, die „in die DDR fahren oder aus der DDR in die Bundesrepublik kommen, gibt sogar fünf Anschriften bekannt, bei denen die Bürger Auskünfte zu Fragen der innerdeutschen Beziehungen erhalten. Darunter taucht dann auch das Gesamtdeutsche Institut als Beschwerdemöglichkeit auf.
Einem solchen Wirwarr, meine Damen und Herren, der offensichtlich nicht einmal von den Politikern der Regierung und der Koalition übersehen werden kann, sieht sich der Bürger gegenwärtig gegenüber. Ziel unseres Antrages war und ist es deshalb, Klarheit, Übersichtlichkeit und Durchschaubarkeit für die Bürger zu schaffen und sie dazu aufzurufen, aktiv an der Gestaltung der innerdeutschen Beziehungen und an der Abwehr von Schikanen mitzuwirken. Bundesregierung und Koalitionsfraktionen haben sich dagegen mit Ausreden zur Wehr
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7151
Böhm
gesetzt, die deshalb so unglaubwürdig sind, weil versucht wurde, den CDU-Vorschlag mit einander ausschließenden Argumenten zurückzuweisen. Entweder gibt es eine zentrale Beschwerdestelle; dann frage ich, warum der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen sie uns hier im Hause verschweigt und sie vor der Öffentlichkeit versteckt, während der Kollege Hoppe von der FDP sie hoch lobt. Oder es gibt keine zentrale Beschwerdestelle, und zwar deshalb nicht, weil, wie es der Herr Staatsminister Wischnewski im Kanzleramt sagt, eine solche Stelle nicht geeignet, ja sogar hinderlich für die innerdeutsche Politik sei.Bei den Beratungen über unseren Antrag in den Ausschüssen herrschte wenigstens in einem Punkt Einmütigkeit, nämlich darüber, daß die Öffentlichkeit über die sich heute bietenden Beschwerdemöglichkeiten wirksamer unterichtet werden sollte als bisher. Die Bundesregierung, so hieß es in dem Bericht der Kollegen Schulze und Lintner, der uns heute vorliegt, habe zugesagt, dem im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch Rechnung zu tragen.Diese Möglichkeiten wiederum scheinen sehr beschränkt zu sein. Im April 1978, also vor wenigen Tagen, wurde die zehnte Auflage des offiziellen Merkblatts „Reisen in die DDR" vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen herausgegeben, die nunmehr an die Stelle der neunten Auflage tritt, die vom Oktober 1977 stammt. Man sollte annehmen, daß die in den letzten Monaten geführte Diskussion über die Beschwerdestelle wenigstens dazu geführt habe, die Bürger in der neuen Auflage dieses Merkblattes auf die Möglichkeit und die Notwendigkeit der Beschwerde im Einzelfall hinzuweisen. Nichts dergleichen ist geschehen. Kein Wort von Beschwerdemöglichkeiten oder Adressen ist in diesem neuen Merkblatt zu finden.Sie werden deswegen Verständnis dafür haben, meine Damen und Herren, daß wir dem Versprechen der Bundesregierung, das sie in den Ausschußberatungen abgegeben hat, angesichts dieser Praxis keine Glaubwürdigkeit zumessen können. Vielmehr stehen wir vor der Frage, ob der von mir dargestellte allgemeine Zustand der Beschwerdemöglichkeiten auf die mangelhafte Fähigkeit der Verantwortlichen zurückzuführen ist, die organisatorischen und verwaltungsmäßigen Voraussetzungen für eine Erfassung aller Beschwerden zu schaffen und zu gestalten und somit das Problem insgesamt in den Griff zu nehmen, oder aber auf den mangelnden Willen der Bundesregierung, den Bürgern Beschwerdemöglichkeiten im Rahmen des innerdeutschen Reise- und Postverkehrs und der sonstigen innerdeutschen Beziehungen zu schaffen. Wer sich durch Beschwerden der Bürger in seinen Wunschvorstellungen über den Lauf der politischen Entwicklung gestört fühlt, wer es deshalb bewußt hinnimmt, bei vielen Bürgern auch weiterhin Unkenntnis über Beschwerdemöglichkeiten zu lassen, und deshalb darauf verzichtet, den Bürgern das Instrument einer Beschwerdestelle anzubieten, setzt sich damit dem Verdacht aus, den Schikanen der kommunistischen Machthaber nicht mit allen erdenklichen Mitteln entgegentreten und mit Schweigen darüber hinweggehen zu wollen.
Mit Rücksicht auf solche möglichen Empfindlichkeiten bei Ihnen haben wir während der Ausschußberatungen mehrfach erklärt, daß es uns nicht auf die Bezeichnung Beschwerdestelle ankommt, sondern daß wir auch bereit seien, diese institutionalisierte Beschwerdemöglichkeit entsprechend der allgemeinen Aufgabenstellung, die sie nach unserem Willen haben soll, auch z. B. „Beratungs- und Informationsstelle für den innerdeutschen Reise- und Postverkehr" zu benennen. Aber leider waren Sie auch unter dieser Bezeichnung nicht bereit, diesen Schritt mit uns gemeinsam zu gehen.Meine Damen und Herren, für Fortschritte auf dem Gebiet der menschlichen Kontakte zwischen den Bürgern der Bundesrepublik Deutschland und der DDR sind von unserer Seite hohe Preise gezahlt worden. Nicht durch die Verträge, sondern allein gegen D-Mark hat sich die DDR zu bescheidenen menschlichen Erleichterungen bereit erklärt, und zwar D-Mark aus den Kassen der öffentlichen Hand in der Bundesrepublik Deutschland und D-Mark aus dem Portemonnaie der Bürger, die in die DDR reisen. Diesen geschröpften Bürgern sollte Gelegenheit gegeben werden, über die bestehenden Möglichkeiten hinaus ihre Sorgen, ihre Probleme und ihre Nöte und alles das, was sie bei der praktischen Ausgestaltung innerdeutscher Beziehungen bedrückt, den politisch Verantwortlichen auf einfache, durchschaubare Art und Weise mitzuteilen, damit diese Bürger die Gewißheit erhalten, daß von den politisch Verantwortlichen alles erdenklich Mögliche getan wird, um das menschliche Miteinander in Deutschland zu fördern.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Augstein.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Opposition beantragt also, eine Beschwerdestelle für den innerdeutschen Reise- und Postverkehr beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen einzurichten. Sie begründet ihren Antrag damit, daß bei dieser Beschwerdestelle alle Behinderungen im Reise- und Postverkehr erfaßt werden sollen, um sie in Verhandlungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR einzubringen und auf ihre Abstellung hinzuwirken. Das klingt recht fürsorglich und bürgernah, wäre es nicht, wie es Kollege Hoppe bei der ersten Behandlung des Antrags hier im Bundestag am 25. November vorigen Jahres nannte, „reine Windbeutelei", und würden damit nicht, wie Kollege Mattick damals treffend vermerkte, „offene Türen" eingerannt. Diese Einschätzung des Oppositionsantrags durch die beiden Kollegen hat sich bei der weiteren Beratung in den Parlamentsausschüssen vollauf bestätigt.Mit dem Antrag bezweckt die Opposition nichts anderes, als in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, als gäbe es — im Gegensatz zum reibungslos verlaufenden Verkehr — unzählige Behin-
Metadaten/Kopzeile:
7152 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Augsteinderungen im innerdeutschen Reise- und Postverkehr, als gäbe es überhaupt keine Instanz, wo man sich darüber beschweren könnte, und als täte die Bundesregierung aber auch rein gar nichts, um diesen Behinderungen entgegenzutreten. Suggeriert man der Öffentlichkeit soviel Negatives auf einmal, so offenbar das Kalkül der Opposition, dann wird schoneiniges davon haften bleiben. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, übersehen dabei, daß Sie unis, der Koalition, damit die Chance einräumen, nicht nur aufzuzeigen, sondern auch zu beweisen, wie wenig seriös Sie mit der Öffentlichkeit umgehen und daß Sie in Ihrem kleinkarierten Parteiinteresse vor nichts zurückschrecken.Zunächst zu den Größenordnungen, um die es hier eigentlich geht — ,gegenüber Ihrem Kolossalgemälde von den zahllosen Behinderungen. Im Transitverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin gibt es seit Inkrafttreten des Transitabkommens im Sommer 1972 jeden Monat mehr als eine Million Reisende. Von diesen monatlich über eine Million Transitreisenden berichten durchschnittlich ganze 50 über Besonderheiten, sei es bei der Abfertigung oder während der Durchfahrt durch die DDR. Häufigste Ursachen sind dabei — wie hinterher festgestellt wurde — Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung der DDR oder gegen die dortigen Strafgesetze.In ,der Größenordnung nicht anders sind die Zahlen im innerdeutschen Postverkehr. Im Jahre 1977 wurden 25 bis 30 Millionen Pakete und Päckchen von hier nach drüben gesandt. Dabei gehen von 10 000 Päckchen und Paketen ganze sechs verloren und 15 werden zurückgewiesen. Diese Zurückweisungen und Verluste sind in aller Regel darauf zurückzuführen, daß die Absender hier in der Bundesrepublik Gegenstände oder Druckschriften mitschicken, deren Einfuhr in die DDR leider beschränkt oder verboten ist.Wie diese Größenordnungen ausweisen, ist also nichts, aber auch gar nichts dran an dem Eindruck, den ,die Opposition der Öffentlichkeit suggerieren möchte, dem Eindruck nämlich, es gäbe unzählige Behinderungen, wenngleich wir natürlich darin übereinstimmen, daß jedes einzelne Vorkommnis, soweit ungerechtfertigt, noch zuviel ist.Ebenso irreführend ist es, wenn die Opposition ihren Antrag damit begründet, daß unsere Bevölkerung gar nicht so recht wisse, wo man sich eigentlich über Behinderungen beschweren könne. Das zeigt eigentlich nur, wie wenig Volksvertreter der CDU/CSU mit dem Volk zu tun haben
Ich komme gleich zu Ihrem „dummen Zeug" : die Mitbürger, die von solchen Beschwernissen im Reise- und Postverkehr betroffen sind, tun einfach das Nächstliegende: Ereignisse im Reiseverkehr melden sie in der Regel an den Grenzübergangsstellen bei Zoll, Bundesgrenzschutz, Bayerischer Grenzpolizei und Berliner Polizei. Gehen Pakete oder Päckchen verloren, so wendet man sich an sein Postamt, dort gibt es Formulare für sogenannteNachforschungsanträge. Wird das Paket oder Päckchen nicht aufgefunden, so leistet die Bundespost Schadensersatz. Auf diese Weise werden übrigens mehr als 90 % der Verluste geregelt. Einig sind wir unis natürlich mit der Opposition wieder darüber, daß es besser überhaupt keine Zurückweisungen oder Verluste im Postverkehr gäbe.Wie gesagt, gehen die Leute, die sich beschwert fühlen, zu ihrem Postamt oder zu den Beamten der Grenzübergangsstellen. Man wendet sich aber auch an die Bundesministerien für innerdeutsche Beziehungen, für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen, für Finanzen und an das Bundesministerium des Innern, an das Gesamtdeutsche Institut und die Ständige Vertretung.Auf all ,diese zahlreichen Beschwerdemöglichkeiten wird in Merkblättern und Broschüren hingewiesen, die vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen und vom Gesamtdeutschen Institut in Millionenauflagen vertrieben werden und für jeden Inrteressierten zu erreichen sind. Wo der Hinweis auf solche Beschwerdemöglichkeiten fehlt, wird das so bald wie möglich in den Neuauflagen nachgeholt.
— Auch der Hinweis auf die zentrale Beschwerdestelle in Berlin geht fehl, Herr Kollege. Wie Kollege Hoppe bei der ersten Diskussion über ihren Antrag erwähnte, liegen die Verhältnisse in Berlin ganz anders. — Wenn die CDU/CSU schließlich mit dem Antrag auf Einrichtung einer Beschwerdestelle den Eindruck zu ,erwecken sucht, als gehe die Regierung den einzelnen Beschwerden nicht hinreichend nach, so 'ist das einfach nicht wahr. Alle Beschwerden, Eingaben und Informationen werden ausgewertet und für Verhandlungen und Gespräche mit der DDR aufbereitet.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege Augstein, ist Ihnen nicht bekannt, daß die Bundesregierung schon in verschiedenen Fällen zu Anfragen der Opposition erklärt hat, über Beanstandungen dieser und anderer Art habe man keine genaue Kenntnis, weil für eine Statistik zur Erfassung von Beschwerden keine Möglichkeit bestehe? Widerlegt nicht allein dies schon Ihre Behauptung, daß die Beschwerdestelle überflüssig und unnötig sei?
Das vermag ich nicht einzusehen. Die Logik leuchtet mir nicht ein, was daran — selbst wenn ich Ihnen folgen würde — eine Statistik ändern würde.Ich darf fortfahren. Erst einmal generell: Alle Beschwerden, Eingaben und Informationen werden ausgewertet und für Verhandlungen und Gespräche mit der DDR aufbereitet. Es wird auch dafür gesorgt, daß jeder Einzelfall, in dem Hilfe möglich ist, auf der dafür vorgesehenen Ebene gegenüber der Regierung der DDR angesprochen wird. Einzelfälle
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7153
Augsteinaus dem Bereich des Berlin-Verkehrs werden in der Transitkommission vorgebracht, Anliegen aus dem Wechselverkehr zwischen der Bundesrepublik und der DDR in der Verkehrskommission und über die Ständige Vertretung, Fälle aus dem grenznahen Verkehr in den Expertengesprächen mit der DDR und über die Ständige Vertretung, Probleme aus dem Bereich des Postverkehrs über die Ständige Vertretung oder in Gesprächen mit der Deutschen Post der DDR.Frau Präsident, meine Damen und Herren, ich durfte Ihnen die Größenordnungen aufzeigen, um die es hier geht, das zahlenmäßige Verhältnis zwischen dem meist reibungslos verlaufenden Reise- und Postverkehr und den auftretenden Behinderungen. Ich durfte Ihnen die Vielzahl und Vielfalt von Beschwerdemöglichkeiten aufzählen, die den Bundesbürgern im Falle von Behinderungen offenstehen. Schließlich durfte ich dartun, daß die Bundesregierung bemüht ist, jeder einzelnen Behinderung nachzugehen und auf ihre Abstellung hinzuwirken.Es sah auch zunächst so aus, als ob sich die Opposition dieser Argumentation nicht verschließen würde. Sie hat in der Tat während der Beratungen ihren Standpunkt mehrmals geändert. Bei der Begründung des Antrages im Bundestag am 25. November vergangenen Jahres hatte es zunächst noch den Anschein, als ob die Beschwerdestelle an die Stelle aller anderen Beschwerdeinstanzen treten sollte.
— Herr Jäger , ich darf darauf folgendes erwidern. Ihr Kollege Böhme — das können Sie im Protokoll nachsehen — hat eigentlich acht Hinweise darauf gegeben, daß er dies meinte. Sie waren der einzige, der seinen „Fauxpas" erkannt und daraufhin eine Zwischenfrage gestellt hat. Das können Sie im Protokoll nachlesen.Die erste Lösung war also: Beschwerdestelle an Stelle aller anderen Beschwerdeinstanzen. Diese Lösung wurde dann bei der Beratung im Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen dahin variiert, daß die Beschwerdestelle lediglich neben die jetzt schon vorhandenen Beschwerdemöglichkeiten treten sollte, also als zusätzliche Instanz mit zusätzlicher Bürokratie — so ganz im Sinne Ihres kürzlichen Kongresses gegen Verbürokratisierung. Und schließlich, wiederum im Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen, schien man sich damit begnügen zu wollen — das ist auch heute wieder angeklungen —, durch verstärkte Öffentlichkeitsarbeit besser bekanntzumachen, wo man überall Beschwerden über Behinderungen im innerdeutschen Reise- und Postverkehr anbringen könne.
Insgesamt drängt sich der Eindruck auf, daß die Opposition ihren eigenen Antrag nicht nur mit nichtstichhaltigen Gründen verfolgt, sondern auch recht halbherzig für ihn eintritt.
Gleichwohl kann sie sich nicht dazu durchringen, den Antrag zurückzuziehen oder doch wenigstens abzuändern und konsequenterweise bei den Haushaltsberatungen für 1979 auf verstärkte Mittel für diese Öffentlichkeitsarbeit zu drängen. So bleibt uns, der Koalition, nur die Erklärung, daß es Ihnen einzig und allein um einen Schauantrag zu tun ist,
der idemonstrieren soll, wie sich die Union um die Dinge kümmert, während die Bundesregierung die Hände in den Schoß legt und Willkürakte der DDR hinnimmt. Dies aber, Frau Präsident und meine Damen und Herren, ist objektiv unrichtig, dient lediglich unnötiger Konfrontation und hilft keinem einzigen Mitbürger bei Behinderungen im innerdeutschen Reise- und Postverkehr weiter. Folglich ist der Antrag politisch und auch sonst in jeder Hinsicht völlig nutzlos. Die Sozialdemokraten und die Freien Demokraten werden ihn deshalb ablehnen.
Wird das Wort noch gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses, den Antrag abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Die Beschlußempfehlung ist angenommen.Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zu Punkt 5 der Tagesordnung:Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, FDP zu den dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgerichta) Verfassungsbeschwerden der Firma B. Braun Melsungen AG, gesetzlich vertreten durch den Vorstand, dieser vertreten durch Ludwig Georg Braun, Sprecher des Vorstands, und Dr. Joachim Schnell, stellvertretender Sprecher des Vorstands, Karl-Braun-Straße 1, Melsungen,und 8 weiterer Beschwerdeführerinnengegen §§ 1, 7 Abs. 1, §§ 27, 29, 31 und 33 des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer vom 4. Mai 1976 (BGBl. I S. 1153)Az. 1 BvR 532/77b) Verfasungsbesçhwerden des Verbandes Metallindustrieller Arbeitgeberverbände Nordrhein-Westfalen e. V., vertreten durch den Vorsitzenden Dr. Neumann und den Hauptgeschäftsführer Dr. Krause, Uerdinger Straße 58-62, Düsseldorf 30,und 29 weiterer Arbeitgebervereinigungen gegen das genannte GesetzAz. 1 BvR 533/77— Drucksache 8/1655 —Zur Begründung, Herr Abgeordneter Porzner.
Metadaten/Kopzeile:
7154 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Frau Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht räumt dem Deutschen Bundestag das Recht ein, den Verfahren über die Verfassungsmäßigkeit von Bundesgesetzen beizutreten, und zwar zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens. Zu diesem Recht gehört, daß der Deutsche Bundestag bei Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Anträge stellen und darlegen kann, daß ein von ihm beschlossenes Gesetz mit dem Grundgesetz in Übereinstimmung steht.
Ich will jetzt nicht in die Unart verfallen und auf die Antwort eingehen, die der Redner der Opposition auf meine Begründung hin schon im voraus schriftlich hat verteilen lassen. Ich will nur folgendes kurz dazu sagen, Herr Dr. Jenninger: Sie bezeichnen dieses Verfahren als undemokratisch. Dazu möchte ich genauso kurz anworten: Es ist nicht undemokratisch und schon gar nicht verfassungswidrig, wenn Abgeordnete des Bundestages, d. h. wenn der Deutsche Bundestag, bekräftigt, daß er ein von allen Fraktionen dieses Hauses beschlossenes Gesetz für verfassungsgemäß hält und daß er sich beim Verfassungsgericht dafür einsetzt.
Uns ist bewußt, daß dieser Weg vom Bundestag zum erstenmal begangen wird, aber die Bedeutung der Mitbestimmung in großen Unternehmungen rechtfertigt das auch.
Wir bestreiten auch nicht, daß wir hinsichtlich des Verfahrens unsere Meinung geändert haben. Wir hielten nämlich im Herbst einen Beitritt zum Verfahren vor dem Verfassungsgericht nicht für erforderlich, aber inzwischen hat sich einiges in der Bundesrepublik geändert. Erstens. Der Wirtschaftsrat der CDU und ihm nahestehende Kreise haben ihre Angriffe auf das Mitbestimmungsgesetz als ein angeblich verfassungswidriges Gesetz verschärft und öffentlich den Eindruck erweckt, Mitbestimmung sei illegitim. Die Verteufelung — wir nehmen das sehr ernst — des Mitbestimmungsgesetzes als Ermächtigungsgesetz für Fremdbestimmung durch den Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion, Herrn von Bismarck, wirkt offensichtlich weiter.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Bismarck?
Frau Präsident, bei der Begründung möchte ich keine Zwischenfrage zulassen, weil ich mich gern an die Geschäftsordnung halten möchte.
Zweitens. Obwohl 157 Abgeordnete der CDU/CSU am 18. März 1976 dem Gesetz zugestimmt haben, hat niemand von Ihnen — von einer Ausnahme abgesehen: Herr Blüm — öffentlich diese Angriffe auf das Mitbestimmungsgesetz abgewehrt und das Gesetz verteidigt. Dazu war niemand bereit.
Wir haben deswegen Zweifel, ob Sie noch zum Mitbestimmungsgesetz stehen, das Sie mit uns beschlossen haben. Diese Entwicklung macht es notwendig, daß der Deutsche Bundestag das weitere Schicksal des Mitbestimmungsgesetzes aktiv verfolgt und vor dem Verfassungsgericht für das Gesetz eintritt.
Daß die Opposition schon vor Wochen angekündigt hat, sie werde gegen den Verfahrensbeitritt stimmen, kann sie nicht überzeugend begründen. Herr Kollege Franke aus Osnabrück hat in der Sitzung vom 18. März 1976 die Zustimmung der CDU/ CSU-Fraktion ausdrücklich mit der Beseitigung angeblich verfassungswidriger Bestimmungen des Regierungsentwurfs durch die Ausschußberatung begründet und die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zusammen mit mit 156 seiner Fraktionskollegen bejaht.
— Das stimmt.
Ich fordere Sie auf: Stimmen Sie diesem Antrag zu, stimmen Sie zu, daß der Bundestag auch dem Verfassungsgericht gegenüber die Haltung einnimmt, die Sie selbst im Bundestag eingenommen haben. Andernfalls erwecken Sie den Eindruck, als ob die damalige Zustimmung ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl nur taktisch bestimmt war.
Heutzutage ist es Mode geworden, daß Reformgesetze von Belang mit der Behauptung, sie seien verfassungswidrig, zum Gegenstand von Verfassungsprozessen gemacht werden.
Ich will das jetzt nicht weiter werten. Ich will nur soviel sagen: Es ist aus den Reihen der Opposition gesagt worden, es könne doch nicht negativ beurteilt werden, daß sich jemand ans Verfassungsgericht wendet, um die Verfassungsgemäßheit einer Bestimmung prüfen zu lassen oder die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen oder einzelner Teile von Gesetzen feststellen zu lassen.
Ich kehre das um und sage: Dann kann es ja wohl auch nicht gegen das Gesetz und gegen die Verfassung verstoßen oder gar undemokratisch sein, Herr Dr. Jenninger, wenn der Deutsche Bundestag beim Verfassungsgericht darlegt, daß und warum er das Mitbestimmungsgesetz für verfassungsgemäß hält.
Ich bitte Sie, dem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jenninger.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der Koalition, über den wir heute debattieren, ist in
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7155
Dr. Jenningerder Geschichte des Deutschen Bundestages ein absolutes Novum. Dieser Antrag bzw. das, was er bezweckt, ist — um es vorweg zu sagen — aus der Sicht meiner Fraktion überflüssig, schädlich, intolerant und auch undemokratisch.
— Ich werde das gleich begründen, Herr Wehner.Meine Fraktion wird deshalb diesem Antrag nicht zustimmen.
Meine •Damen und Herren, wir denken nicht daran, wegen eines ungelenken Kniefalls gegenüber dem Deutschen Gewerkschaftsbund
mit einer guten und sinnvollen Tradition dieses Hauses zu brechen und einem Verfahren in Karlsruhe beizutreten, das den Deutschen Bundestag rechtlich in keiner Weise tangiert.
Um das gleich klarzustellen: Mit diesem Antrag steht nicht die Frage der Mitbestimmung erneut auf dem parlamentarischen Prüfstand; hier geht es nicht noch einmal um das Für und Wider des sogenannten Mitbestimmungsgesetzes. Hierüber hat der Deutsche Bundestag am 18. März 1976 abschließend entschieden, und eine große Mehrheit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat dem Gesetz zugestimmt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Friedrich?
Nein, Frau Präsidentin.Eine große Mehrheit unserer Fraktion hat dem Gesetz zugestimmt, insbesondere nachdem es uns gelungen war, den Gesetzentwurf wesentlich zu verbessern.
— Meine Damen und Herren, Sie können nicht bestreiten, daß dies geschehen ist. Das Ausmaß Ihrer Einsichtsfähigkeit ist gelegentlich zwar sehr begrenzt, aber gelegentlich haben Sie auch „lucida intervalla" aufzuweisen.Diese Zustimmung zählt, und das ist auch durch noch soviel Gerede und durch noch soviel Presseerklärungen nicht aus der Welt zu schaffen, um so mehr, als wir im Gegensatz zu Ihnen in diesem Haus einmal gefaßte Beschlüsse nicht von heute auf morgen ins Gegenteil verkehren. Dazu komme ich gleich noch.Die eigentliche und entscheidende Frage, die sich mit dem heutigen Koalitionsantrag stellt, ist: Wie soll sich das Verfassungsorgan Bundestag gegenüber Verfassungsbeschwerden einzelner Bürger oder privatrechtlicher Vereinigungen gegen Gesetze verhalten? Dazu vertritt meine Fraktion ganz grundsätzlich und völlig unabhängig davon, welche Gesetze von welchen Bürgern oder privatrechtlichen Vereinigungen angegriffen wurden, die Auffassung, daß der Bundestag allenfalls solchen Verfahren des Bundesverfassungsgerichts beitreten oder eine Stellungsnahme abgeben sollte, in denen Rechte und Pflichten des Parlaments, seiner Fraktionen oder einzelner Mitglieder dieses Hauses tangiert sind.
Diesem allein vernünftigen Grundsatz entspricht auch voll und ganz die bisherige in diesem Haus gemeinsam geübte Praxis. Bis zum heutigen Tage ist der Deutsche Bundestag noch nie einem Verfahren über eine Verfassungsbeschwerde beigetreten. Auch von seinem Recht, wenigstens eine Stellungnahme abzugeben, hat dieses Parlament in seiner bisherigen Geschichte lediglich in zwei Fällen Gebrauch gemacht. Dabei ging es in einem Fall um eine Verfassungsbeschwerde gegen das Abgeordnetengesetz und in einem anderen Fall um eine solche gegen einen Beschluß des Bundestages, die Immunität eines Kollegen zum Zweck der Strafverfolgung nicht aufzuheben. Beides waren also eindeutig Klagen von Bürgern in unmittelbar das Haus betreffenden Angelegenheiten.Das Mitbestimmungsgesetz tangiert aber dieses Haus rechtlich ebensowenig wie die zahllosen anderen Gesetze und Beschlüsse des Deutschen Bundestages, gegen die Verfassungsbeschwerden erhoben worden sind, denen der Bundestag ausnahmslos durch ausdrücklichen Beschluß nicht beigetreten ist. Das Mitbestimmungsgesetz richtet sich, wie wir wissen, ausschließlich an die Adresse der deutschen Wirtschaft und mutet dieser zum Wohl, zum Vorteil der Arbeitnehmer einschneidende Veränderungen in der Zusammensetzung ihrer Führungsstruktur zu. Wenn aber der Gesetzgeber aus höherrangigem Interesse bestimmten Gruppen unserer Gesellschaft solche Beschränkungen der bisherigen Rechte und Befugnisse zumutet, dann sollte, meine Damen und Herren von der sozialliberalen Koalition, dieser gleiche Gesetzgeber — gewissermaßen als der Verursacher — dem Versuch der Betroffenen, die für sie nachteiligen Gesetzmaßnahmen durch unabhängigen Richterspruch doch noch abzuwenden, mit mehr Toleranz, mit Gelassenheit und auch mit der notwendigen Zurückhaltung begegnen.
Die Verfassung ist auch zum Schutze der Arbeitgeber und der Anteilseigner an Industriebetrieben geschaffen. Ich weiß, daß das einigen von Ihnen nicht paßt; aber so ist das.
Es ist in unserer rechtsstaatlichen Demokratie das gute Recht eines jeden Bürgers, sich zur Abwehr staatlicher Angriffe auf die Verfassung zu berufen und auch ein ihn unmittelbar betreffendes Gesetz vom Bundesverfassungsgericht auf seine Verfassungsmäßigkeit hin überprüfen zu lassen. Nachdem es dem Deutschen 'Bundestag bisher auch stets gelungen ist, die notwendige Toleranz und Gelassenheit gegenüber solchen Verfassungsbeschwerden
Metadaten/Kopzeile:
7156 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Dr. Jenningeraufzubringen, fragt man sich, warum nun plötzlich dieser heutige Antrag gestellt wird.
— Herr Wehner, was ist das für ein Demokratieverständnis,
das Sie hier praktizieren? Was ist das für ein Verständnis unserer Verfassung? Warum wollen Sie den Pfad der rechtspolitischen Tugend verlassen?
Das besondere Interesse an dem Mitbestimmungsgesetz und die Sorge um dieses Gesetz sind es sicherlich nicht; denn warum haben Sie am 15. Dezember 1977 den Verfahrensbeitritt oder wenigstens eine Stellungnahme nicht gefordert? Ich nehme nicht an, daß Sie geschlafen haben.
An diesem Tag hatte sich nämlich der Deutsche Bundestag auf Veranlassung des Bundesverfassungsgerichts mit dieser Frage zu befassen. Damals haben Sie einen solchen Schritt aber nicht gefordert, sondern im Gegenteil sowohl im Rechtsausschuß — und hier gleich zweimal — als auch danach im Plenum einstimmig gegen einen Verfahrensbeitritt gestimmt.
Dies geschah, wie ich annehme, aus denselben guten Gründen heraus, aus denen wir heute Ihren Antrag ablehnen und an dem gemeinsamen Beschluß aller Fraktionen dieses Hauses vom 15. Dezember 1977 festhalten werden.Was hat sich denn seit diesem Tag verändert? Herr Kollege Porzner, Sie haben hier den Kollegen von Bismarck zitieren wollen; ich sage „zitieren wollen", weil das, was Sie gesagt haben, nicht wahr ist.
Herr Kollege von Bismarck hat dies, was Sie ihm unterstellt haben, niemals gesagt und auch niemals gefordert. Ich bitte Sie, dies richtigzustellen.Seit diesem Tag hat sich nichts ereignet, was die erstaunliche Kehrtwendung der Koalitionsfraktionen in dieser Frage plausibel macht. Das Mitbestimmungsgesetz ist nicht mehr gefährdet, als es im Dezember 1977 war, im Gegenteil, die Bundesregierung hat ja dem Verfassungsgericht mittlerweile umfangreiche, von ihr in Auftrag gegebene Gutachten vorgelegt, in denen die Verfassungsmäßigkeit des Mitbestimmungsgesetzes bejaht wird.Geändert hat sich allenfalls, wenn ich das anmerken darf, die Haltung der Gewerkschaften gegenüber der gegenwärtigen Regierung und den sie tragenden Parteien. Dies hat aber mit dem Karlsruher Verfahren um das Mitbestimmungsgesetz recht wenig zu tun. Ich fürchte allerdings, daß dies gleichwohl der eigentliche Grund des heutigen Antrages und des plötzlichen Sinneswandels der Koalition ist. Meine Damen und Herren, die Parteinahme in einem die Gewerkschaften unmittelbar interessierendenRechtsstreit soll ganz offenkundig die Gunst des Deutschen Gewerkschaftsbundes erhalten, die wegen der politischen Hilflosigkeit gegenüber Arbeitslosigkeit und Rentensanierung zunehmend schwindet.
Aber, meine Damen und Herren, diese Hoffnung trügt. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß sich die deutschen Gewerkschaften durch eine derartige billige Pflichtübung von der entschiedenen Vertretung der Interessen ihrer Mitglieder abhalten lassen werden.
Lassen Sie mich, Herr Wehner, abschließend zu der Verfassungsbeschwerde der Firma Braun und des Verbandes Metallindustrieller Arbeitgeberverbände Nordrhein-Westfalen noch folgendes sagen: Die Koalition hat wiederholt erfahren müssen, daß das, was sie als politisch Gewolltes hier in Gesetzesform in diesem Hause gegen unseren Widerstand verabschiedet hat, einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht standgehalten hat. Die Mitbestimmung haben auch wir gewollt, und wir wollen sie auch heute noch. Wir sind doch aber nicht so vermessen, deshalb etwa Zweifel anderer an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes für völlig abwegig zu halten.
Herr Kollege Porzner, bei der zweiten und der dritten Lesung damals haben Sprecher der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion auf verfassungsrechtliche Bedenken ausdrücklich hingewiesen.
Es hat Kollegen meiner Fraktion gegeben — und das kann man ja auch sagen —, die dem Gesetz wegen dieser rechtlichen Bedenken nicht zugestimmt haben.Mit den genannten Verfassungsbeschwerden aber ist doch keine Welt zusammengebrochen. Wir haben — offenbar ganz im Gegensatz zu vielen anderen — nicht von allen von der Mitbestimmung betroffenen Firmen erwartet, daß sie unserem politischen Willen zuliebe wie selbstverständlich von einer ja keineswegs offenkundig unbegründeten Verfassungsbeschwerde Abstand nehmen. Diese Klage ist doch kein Unheil. Sie wird in bezug auf das Mitbestimmungsgesetz ein Mehr an Rechtssicherheit, ein Mehr an Rechtsklarheit für alle Beteiligten bringen. Wenn ich daran denke, in welch unterschiedlicher Weise zwischen den Koalitionsparteien und auch innerhalb der Bundesregierung einzelne Bestimmungen dieses Gesetzes ausgelegt wurden
und noch werden, so kann hier verbindliche Klarheit wirklich nicht schaden. Dem Bundesverfassungsgericht — im Gegensatz zu Ihnen — trauen wir zu, daß es auch ohne Hilfe des Bundestages ein gerechtes Urteil fällen wird.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7157
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spitzmüller.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wenn ich mir die Rede des Kollegen Jenninger jetzt angehört habe, kann ich eigentlich nur feststellen,
daß in der zweiten und dritten Lesung des Mitbestimmungsgesetzes, nämlich schon am 18. März 1976, der Kollege Franke aus Osnabrück bereits beinahe die Begründung dafür vorweggeliefert hat, daß die Koalitionsfraktionen heute diesen Antrag zur Abstimmung stellen. Er hat nämlich gesagt — das können Sie nachlesen —, daß einige Kollegen seiner Fraktion wegen der nicht durchgängig geregelten Urwahl nicht zustimmen könnten, und er hat ausgeführt, daß andere wegen nicht ausgeräumter Zweifel an der endgültigen Verfassungsmäßigkeit nicht zustimmen würden. Diese Kritik hat sich seit damals auf seiten der Opposition nicht verringert. Im Gegenteil. Inzwischen hat sich der Druck innerhalb der eigenen Reihen noch verstärkt, der Druck von denjenigen in der Opposition, die das Gesetz ablehnen, ohne daß — dies ist das Entscheidende, Herr Kollege Jenninger — ihnen von den Abgeordneten der Opposition, die dem Mitbestimmungsgesetz seinerzeit zugestimmt haben — und das war die große Mehrheit der CDU/CSU —, die Haltung der Fraktion noch einmal laut und unüberhörbar ins Gedächtnis gerufen worden wäre.
Ich möchte mit Genehmigung der Frau Präsidentin einige Zitate aus den letzten Monaten anführen. Herr Schröder , Vorsitzender der Vereinigung der leitenden Angestellten, hat am 17. Oktober 1977 im „Handelsblatt" das Wahlverfahren so kommentiert — ich zitiere —:
Vielmehr ist ein Weg beschritten worden, der Demokraten im Gewande mächtiger Gewerkschaftsfunktionäre Tür und Tor öffnet und dazu führt, daß der Belegschaft externe Vorstände aufgenötigt werden.
Das sind dann aber jene externen Vorstände, die von der Mehrheit der CDU/CSU mit getragen worden sind. Niemand hat sich laut und vernehmlich gegen diese Meinung eines Einzelgängers gestellt.
Herr Professor Dr. Biedenkopf — nicht irgend jemand, sondern ein Prominenter aus der CDU/CSU
— hat in einem Interview mit dem Sender Freies Berlin am 15. April dieses Jahres behauptet, daß die Verfassungsklage bei vielen Gewerkschaftern dazu geführt habe, sich nicht mehr an der Konzertierten Aktion zu beteiligen und sich aus Bindungen zu lösen, die sie schon lange als Belastung empfunden hätten.
— Sie wissen, daß dies eine Erklärung ist und deshalb keine Zwischenfragen gestellt werden können.
Es steht dem Abgeordneten frei, eine Frage zuzulassen.
Herr Kollege, die beiden Vorredner haben keine Fragen zugelassen. Ich bitte um Verständnis, daß ich mich auch daran halte.
Noch immer haben wir das schlimme Wort des damaligen Geschäftsführers des CDU-Wirtschaftsrates, Haimo George, im Ohr,. der von einem Ermächtigungsgesetz zur Fremdbestimmung gesprochen hatte. Allerdings bezog sich dieses Wort damals auf den Gesetzentwurf, nicht auf das Gesetz, nachdem es einige beachtliche Veränderungen — auch mit unserer Mithilfe — im Ausschuß erfahren hatte. Ich habe heute erfahren, daß der Kollege von Bismarck dieses Wort nicht vertieft hat, sondern einiges Bereinigende dazu gesagt hat. Ich stelle dies hier ausdrücklich fest, nachdem wir mit Herrn von Bismarck ein Gespräch darüber hatten.Meine Damen und Herren, solche Stimmen aus den Reihen der Opposition, wie ich sie zitiert habe, machen es nun aber einfach notwendig, zu verdeutlichen, daß der Deutsche Bundestag und die in ihm vertretenen Fraktionen nach wie vor von der Verfassungsmäßigkeit des verabschiedeten Gesetzes überzeugt sind. Wer heute anderer Meinung ist als damals, mag dies bei der Abstimmung zeigen. Die Koalitionsfraktionen jedenfalls wollen mit der Entscheidung, die heute zu treffen ist, klarmachen, daß sie nach wie vor zu diesem bedeutsamen Gesetz stehen, das unserer Wirtschaftsordnung eine der modernsten Mitbestimmungsregelungen der Welt gegeben hat.
— Herr Kollege, der Sie aus Melsungen sind, selbstverständlich stellt die FDP das Recht der Betroffenen, die Verfassungsmäßigkeit des Mitbestimmungsgesetzes durch das Verfassungsgericht überprüfen zu lassen, nicht in Frage. Ebensowenig läßt sich die FDP-Fraktion aber auch ihr Recht bestreiten, dem Verfahren betreffend die Beschwerde über das Mitbestimmungsgesetz beizutreten und ihren Standpunkt, daß die Neuregelungen verfassungskonform sind, vor dem Verfassungsgericht zu vertreten.
Eines aber — dies geht an die Adresse des Kollegen Jenninger und des Kollegen Dr. Blüm — ist in meinen Augen schlechthin Demagogie. Sie, Herr Kollege Jenninger, haben heute teilweise wiederholt, was Sie bereits in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 11. März dieses Jahres gesagt haben: Dieser Antrag der Koalitionsfraktionen sei eine völlig überflüssige, schädliche, undemokratische und eine dem Rechtsstaatsprinzip hohnsprechende Be-
Metadaten/Kopzeile:
7158 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Spitzmüllereinflussung des Karlsruher Verfahrens und eine Einschüchterung rechtsuchender Bürger.
Herr Dr. Blüm hat diesen ungeheuerlichen Vorwurf gegenüber der „Wirtschaftswoche" noch bekräftigt. Diese Aussagen sind in meinen Augen ebenso zynisch wie falsch, denn das Bundesverfassungsgerichtsgesetz sieht bei Verfassungsbeschwerden die Möglichkeit des Verfahrensbeitritts des Bundestages als Verfassungsorgan ausdrücklich vor. Herr Kollege Jenninger, was das Bundesverfassungsgerichtsgesetz ausdrücklich zuläßt, kann nicht überflüssig, nicht schädlich und schon gar nicht undemokratisch sein.
Es kann auch nicht als hohnsprechende Beeinflussung deklariert werden.
Wer hier, Herr Kollege Jenninger, wie Sie, von einem Abweichen vom Pfade der rechtspolitischen Tugend spricht, zeigt, welche Bedeutung er Bestimmungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes beimißt. Herr Kollege Jenninger, ob der Bundestag berührt oder nicht berührt ist, läßt sich doch aus dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz ablesen. § 74 sagt ausdrücklich, daß wir berührt sind. Sonst könnten wir diesen Antrag gar nicht stellen.
Deshalb, Herr Kollege Jenninger, frage ich Sie: Sind Sie angesichts dieser eindeutigen Rechtslage wirklich der eben zitierten Meinung? Ich habe ,den Eindruck und möchte zu Ihrer Entlastung annehmen, daß Ihnen diese Rechtslage immer noch nicht voll gegenwärtig ist.Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion stimmt dem Antrag auf der Drucksache 8/1655 zu.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Blüm.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Mit diesem Antrag, über den wir hier beraten, wird nicht entschieden, ob dieses Parlament für oder gegen die Mitbestimmung ist.
Der Antrag, der hier zur Debatte steht, soll auch nicht klären, was der Bundestag von der Mitbestimmungsklage der Arbeitgeber hält. Zur Debatte steht einzig und allein das Verhalten des Parlaments bei Verfassungsklagen von Bürgern. Das ist der Punkt, über den wir heute diskutieren.
Es sind drei Gesichtspunkte, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, über die wir uns hier unterhalten sollten: erstens über die Gewaltenteilung — auch über den ungeschriebenen Teil der Gewaltenteilung —, zweitens über unser Verständnis von Toleranz und vielleicht auch noch kurz über politische Redlichkeit.Zunächst zum Thema Gewaltenteilung: Meine Damen und Herren, das Parlament hat eine Aufgabe, und das Bundesverfassungsgericht hat eine andere. Das Parlament macht Gesetze, und das Bundesverfassungsgericht überprüft sie, wenn sie von Bürgern in Zweifel gezogen werden. Diese simple Arbeitsteilung ist die Elementarform der Gewaltenteilung.
Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei, zu dieser Gewaltenteilung zählen nicht nur die verbrieften Rechte, die juristisch fixierten Pflichten, sondern in unserem Verständnis auch der nicht formulierte Teil eines politischen Taktes des Parlaments, eines institutionellen Fair play, nämlich die Zurückhaltung, wenn Bürger vor dem Verfassungsgericht klagen.
Bis zum heutigen Tag ist das Parlament in seiner langen Praxis in keinem einzigen Fall einem Verfahren über eine Verfassungsbeschwerde von Bürgern, natürlichen oder juristischen Personen oder Personenvereinigungen beigetreten.Der große sozialdemokratische Rechtspolitiker — ich sage das voller Respekt — Adolf Arndt, eine Leitfigur Ihrer Rechtspolitik, hat sich immer dagegen gewehrt, daß sich der Bundestag in Verfassungsbeschwerden von Bürgern einmischt.
Hier steht nicht eine Klage zur Diskussion, in der die Fraktionen Kontrahenten vor dem Verfassungsgericht sind. Hier steht nicht ein Streit zwischen Verfassungsorganen zur Diskussion. Hier stehen auch nicht die Rechte dieses Hohen Hauses zur Diskussion. Hier stehen lediglich das Recht des Bürgers, vor dem Verfassungsgericht zu klagen, und das Verhalten des Hohen Hauses dabei zur Diskussion.Ich finde, die bisher geübte Enthaltsamkeit ist ein Stück praktizierter Gewaltenteilung. Die Zurückhaltung würde auch den Eindruck einer etablierten Übermacht der Verfassungsorgane gegenüber dem Rechtsbegehren des einzelnen vermeiden. Auch das, meine ich, gehört zur politischen Konvention.
Wir sollten eine öffentliche Meinung unterstützen und stärken, die gegen jede Form von Gewaltenvermischung empfindlich ist. Je stärker diese allgemeine Achtung ist, um so weniger muß mit Sanktionen gearbeitet werden.
Und je größer die Selbstverständlichkeiten der Gewaltenteilung sind, um so unwichtiger werden die Regeln.Der Bundestag hat zur Mitbestimmung gesprochen. Wir haben ausführlich diskutiert. Die Motive zur Mitbestimmung sind bekannt. Ich kann mir nicht vorstellen, welche neuen Gründe dieses Haus vor
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7159
Dr. Blümdem Verfassungsgericht vortragen könnte. Deshalb empfiehlt es sich, in großer, souveräner Gelassenheit dieses Hauses dem Spruch des Verfassungsgerichts entgegenzusehen.Und nun zu dem Thema Toleranz. Toleranz gegenüber der Verfassungsbeschwerde der Arbeitgeber wird gerade von denen verlangt, die sie nicht billigen. Freiheit ist die Freiheit der Andersdenkenden. Das ist die Elementarformel der Toleranz von Rosa Luxemburg.
— Sie sollten nicht lachen, Herr Kollege Wehner, wenn ich Rosa Luxemburg zitiere.
— Der Unterschied ist: Ich ertrage Ihre Zwischenrufe; ich billige sie nicht. Wenn ich sie billigen würde, wäre das Dummheit. Da ich sie aber nur ertrage, ist es Toleranz.
Ertragen, was sowieso gebilligt wird, ist nichts anderes als eine Form von Zustimmung. Ertragen, was uns gleichgültig läßt, ist eine Form von Desinteresse. Toleranz als hohe Anstrengung der Duldsamkeit wird wichtig und politisch fruchtbar erst, wo ertragen wird, was nicht gebilligt wird — solange es rechtlich zulässig ist.
Hier findet keine Debatte über Mitbestimmung statt. Verwechseln Sie nicht die Schlachtfelder! Hier findet eine Debatte über Toleranz statt.
Und deshalb streite ich für das Recht der Arbeitgeber, vor dem Verfassungsgericht zu klagen, und gegen die Einmischung des Bundestags, auch wenn ich die Verfassungsklage der Arbeitgeber nicht billige.
Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zur politischen Redlichkeit machen.
Die Verfassungsklage hat einen merkwürdigen Gang genommen. Am 29. Juni 1977 haben die Arbeitgeber geklagt. Am 15. Dezember hat dieses Haus den Beitritt zum Verfahren über die Verfassungsbeschwerde einstimmig abgelehnt. Im März widerruft die SPD diese ihre Einstellung. Und jetzt im Mai beraten wir über diesen Antrag.Die einzige Linie, die bei dieser Bewegung erkennbar wird, ist eine krumme Linie. Denn wenn mit der Ablehnung eines Verfahrensbeitritts eine Bewertung des Beschwerdeinhalts verbunden wäre, dann hätten Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei, im Dezember die Klage der Arbeitgeber für richtig und im Mai für unrichtig befunden. Soviel Wankelmut traue selbst ich Ihnen nicht zu.Es muß andere Gründe für das Hin und Her geben. Und bei diesen anderen Gründen muß auf einen weiteren Termin in meiner Liste aufmerksam gemacht werden. Wir schreiben heute den 11. Mai. In zehn Tagen beginnt der Kongreß des Deutschen Gewerkschaftsbundes.Arbeitslosigkeit und Abbau des Rentensystems haben die Beziehungen zwischen SPD und DGB dem Gefrierpunkt genähert. Ich habe Verständnis dafür, daß die SPD dem DGB-Kongreß mit gemischten Gefühlen entgegensieht. Denn wenn die Delegierten diese SPD-geführte Regierung genauso behandeln, wie sie früher CDU/CSU-geführte Regierungen in vergleichbaren Situationen, aber bei weit geringerem Anlaß behandelt haben, dann stehen Ihnen unfreundliche Tage ins Haus.
Aber in der Erfindung von Scheingefechten war die Generalstabsleitung der SPD noch nie zu überbieten. Deshalb hat ihre Nebelwerferkompanie heute hier ein Scheingefecht oder ein Gefecht auf einem Schlachtfeld veranstaltet, auf dem gar kein Krieg stattfindet; denn es wird heute nicht über Mitbestimmung diskutiert, sondern man versucht, ein kostenloses und folgenloses Gastgeschenk für den DGB-Kongreß zu liefern.
Meine Damen und Herren, das erinnert mich an eine Kraftprobe, die nichts bewirkt, nichts bewegt. Das erinnert an eine Varietévorstellung eines Gewichthebers, der schweißtriefend die Hantel zur Strecke bringt und beifallumrauscht die Bühne verläßt. Anschließend kommt der schmächtige Hausmeister und räumt die Hantel weg; sie war aus Pappe.
So ähnlich ist Ihre Kraftprobe.
— Sie schon, Herr Wehner!
— Sie nehme ich schon als Gegner ernst.
— Vielleicht darf ich mit Ihrer gütigen Erlaubnis noch ein paar Worte an die Adresse Ihres Koalitionspartners sagen.Ich habe bisher zur FDP noch nichts gesagt. Halten Sie das nicht für eine Unhöflichkeit. Aber in diesem Stück spielt die FDP wie so oft in der Nebenrolle eine Doppelrolle. Auf der Koalitionsbühne heißt der Text „In Treue fest" ; hinter den Kulissen erzählen Sie Ihren Souffleuren, Sie hätten mit dem ganzen Stück nichts zu tun. Sie kassieren doppelten Eintritt, von der SPD und von den Unternehmern.
Diese Darstellungskunst ist unüberbietbar. Sie hatsich schon immer am schönsten in Stücken wie „Für
Metadaten/Kopzeile:
7160 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Dr. Blümjeden etwas" oder „Wie es euch gefällt" entfaltet. Darüber muß heute hier auch gesprochen werden.Wir sollten bei der guten Tradition dieses Hauses bleiben, bei der Achtung vor der Praxis der Gewaltenteilung und der Toleranz. Toleranz und Achtung vor der Gewaltenteilung sind kein Monopolanspruch der CDU/CSU-Fraktion, sondern es sollte das Gemeingut aller Fraktionen bleiben. Deshalb sollten wir an dem Verfahrenskonsens in Sachen Verfassungsbeschwerde aus Achtung vor dem Bürger und seinen Rechten festhalten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jahn .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gut kann es um Sie nicht bestellt sein, wenn Sie auch noch den Ruf von Herrn Blüm hier aufs Spiel setzen müssen, indem Sie ihn eine weitere Runde eröffnen lassen.
Wir haben von dem Recht Gebrauch gemacht, eine Entscheidung — darüber rechte ich mit Ihnen nicht einen Augenblick —, die getroffen worden war, zu überdenken und sie heute zu berichtigen. Dieses ist in Ordnung. Sie sollten einmal darüber nachdenken, ob die Art, wie von Ihrer Seite die Debatte über das von einem großen Teil von Ihnen mitverabschiedete Mitbestimmungsgesetz geführt worden ist, nicht auch ein Grund dafür gewesen ist, hier deutlich zu machen, wie sich das Parlament eigentlich nach der Verabschiedung des Gesetzes zu seiner eigenen Entscheidung stellt.
Herr Blüm hat hier hehre Begriffe ins Gefecht geführt.
Aber, Herr Blüm, mit Gewaltenteilung hat das, worüber wir hier zu entscheiden haben, nun wirklich überhaupt nichts zu tun.
Gewaltenteilung bedeutet doch nicht, daß das Parlament, wenn eine seiner Entscheidungen kritisiert wird, gefälligst den Mund zu halten hat.
So wie der einzelne Bürger das unbezweifelbare
Recht hat, seine Auffassung vor dem Bundesverfassungsgericht darzulegen, hat auch dieses Parla-
ment das Recht, seine Auffassung vor dem Bundesverfassungsgericht darzulegen.
Dies hat mit der Gewaltenteilung überhaupt nichts zu tun. Bringen Sie doch nicht mit falschen Begriffen hier einen Dreh in die Debatte, der doch nur von Ihren eigenen Schwierigkeiten ablenken soll.
Darüber hinaus hat das Parlament ebenso wie diejenigen, die ihre Auffassung als Bürger vor dem Verfassungsgericht darlegen, das Recht, dem Gericht gegenüber dadurch in einer sehr grundlegenden Frage eine Hilfestellung zu geben, daß es die Auseinandersetzung über diese Frage vor dem Gericht und nicht nur in diesem Hause mit denjenigen fortführt, die ihre Einwendungen gegen das Gesetz geltend machen wollen.
Herr Blüm hat hier erklärt, heute gehe es nicht um eine Entscheidung für oder gegen die Mitbestimmung. Darüber will ich mit Ihnen nicht streiten. Um eines geht es aber ganz bestimmt, um eine Klärung der Frage, ob dieses Parlament zu dem Wort steht: das es selbst gesprochen hat. Darüber möchten wir keinen Zweifel lassen.
Die Zustimmung zu unserem Antrag bedeutet ein klares Ja zu der Entscheidung, die wir einmal getroffen haben, und das heißt, wir bleiben dabei, unser Wort auch dann zu vertreten, wenn es nachträglich in den Streit geraten ist.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 8/1655 . Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die große Mehrheit.Meine Damen und Herren, ich rufe jetzt Punkt 6 der Tagesordnung auf:a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes— Drucksache 8/1409 —aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung—Drucksache 8/1788 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Waigel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7161
Vizepräsident Frau Rengerbb) Beschlußempfehlung und Bericht desFinanzausschusses
— Drucksachen 8/1765, 8/1781 — Berichterstatter:Abgeordneter Dr. von WartenbergAbgeordneter Kühbacher
b) Zweite Beratung des von den Abgeordneten Dr. Warnke, Böhm , Dr. Sprung, Dr. von Wartenberg, Glos, Dr. Köhler (Wolfsburg), Dr. Kunz (Weiden), Lintner, Röhner, Sauer (Salzgitter), Schröder (Lüneburg), Dr. Waigel, Lemmrich und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes und des Zonenrandförderungsgesetzes— Drucksache 8/1527 —aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/1788 — Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Waigelbb) Beschlußempfehlung und Bericht desFinanzausschusses
— Drucksachen 8/1765, 8/1781 — Berichterstatter:Abgeordneter Dr. von WartenbergAbgeordneter Kühlbacher
Ich eröffne die Debatte. Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Wartenberg.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das uns vorliegende Investitionszulagengesetz geht auf die Ankündigung in der Regierungserklärung zurück, ein Gesamtkonzept zur Verbesserung der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit bei kleinen und mittleren Unternehmungen vorzulegen und eine regionalpolitische Anpassung an den 6. Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" vorzunehmen. Wie Sie dem Bericht entnehmen können, halten alle drei Fraktionen des Hauses diese Ziele für notwendig, sie werden unterstützt. Aber wir von der Opposition üben Kritik daran, daß manches von dem, was notwendig ist, nur halbherzig, nur zaghaft in Gang gesetzt wird.Wir haben bei der Einbringung des Gesetzes am 23. Februar dieses Jahres durch einen eigenen Gesetzentwurf schon auf die notwendigen regionalpolitischen mittelstandsfördernden Alternativen aufmerksam gemacht. Bei der Debatte über den Antrag betreffend Förderung von Forschung und Entwicklung haben wir auf die Einseitigkeit des Programms der Bundesregierung hingewiesen. Die Beratungen in den Ausschüssen, vor allem manche einstimmigen Empfehlungen der mitberatenden Ausschüsse, auch die Eingaben der Betroffenen haben diese Kritik bestätigt. Es war keine vernichtende, keine verneinende Kritik, sondern es wurden konstruktive Alternativen aufgeführt, die leider abgelehnt wurden.Erlauben Sie mir, zu dem regionalpolitischen Teil noch einmal die Begründung vorzubringen. Wie Sie wissen, hat die CDU/CSU eine Erhöhung der Investitionszulage für die Fördergebiete von 7,5 auf 10 % vorgeschlagen. Wir haben vorgeschlagen, die Ersatzbeschaffungen für Umstellungs- und Rationalisierungsinvestitionen in den Förderkatalog aufzunehmen, die Abschreibungen im Zonenrandgebiet zu verbessern und den Mittelstandseffekt mit einzubauen, weil wir in der Strukturpolitik klare Präferenzen für notwendig halten. Wir halten diese klaren Präferenzen für notwendig nicht nur, weil im Grundgesetz gleiche Lebensbedingungen gefordert werden, nicht nur, weil die Arbeitslosigkeit in den strukturschwachen Gebieten besonders hoch ist, nicht nur, weil die Ausbildungsplätze dort nicht vorhanden sind und die jungen Leute abwandern, die Jugendarbeitslosigkeit in diesen Gebieten besonders hoch ist, weil die Facharbeiter dort nicht unterkommen, sondern wir halten die Präferenzen deshalb für notwendig, weil deutlich wird, daß der Abstand zwischen den Fördergebieten und dem übrigen Bundesgebiet nicht kleiner wird, sondern eher größer zu werden scheint. Das ist gewiß auch eine Folge des Gegeneinanders der Gemeinschaftsaufgabe auf der einen Seite und der Länderprogramme mit unterschiedlichem Umfang und anderen Maßstäben auf der anderen Seite. Wir sind überzeugt davon, daß die Positionen langfristig erst verändert werden können, wenn in der Regionalhilfe überall gleiche Maßstäbe gelten.Wir haben auch ausdrücklich darüber debattiert — wir sind uns der Problematik bewußt —, ob sich auf Grund der Entwicklung die Strukturpolitik überhaupt lohnt. Wir wissen, daß alle strukturpolitischen Hilfen — seien es nun direkte Subventionen oder indirekte Hilfen über Steuererleichterungen — volkswirtschaftlich gesehen nur flankierende Maßnahmen sein können. Wir wissen auch, daß wir gegen nüchterne wirtschaftliche Überlegungen nicht gegenanfördern können. Man sollte immer beachten, daß ein Investitionszuschuß, wie er geplant ist, oder eine Steuererleichterung niemals allein investitionsentscheidend sein kann. Im Gegenteil: Ein zu hoher Investitionszuschuß müßte auf unsere Bedenken stoßen und von uns aus ordnungspolitischen Gründen wiederum abgelehnt werden, weil einfach die Gefahren einer Investitionslenkung aufträten.Investitionszuschüsse, strukturpolitische Hilfen sollen anregen, sollen vorhandene strukturpolitische Nachteile ausgleichen, sollen gewünschte Strukturen unterstützen. Wer also, wie die SPD und FDP, in den Ausschußberatungen gegen eine Erhöhung der Investitionszulage gestimmt hat, kann das sauber nur begründen mit der marktwirtschaftlichen, ordnungspolitischen Argumentation und nicht mit haushaltspolitischen Bedenken; denn angenommen, dieses Instrument ist wirklich richtig, die Investitio-
Metadaten/Kopzeile:
7162 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Dr. von Wartenbergnen werden durch dieses Gesetz initiiert, dann fließen doch die Kosten, d. h. die Steuermindereinnahmen, über den Multiplikator, über den Akzelerator, über mehr Nachfrage, über mehr Investitionen, über mehr Steuereinnahmen wieder zurück. Die Kosten für ein Investitionszulagengesetz könnten unter dieser Prämisse also gar nicht hoch genug sein. Daher ist es eine unlogische Argumentation, aus diesem Grunde die Erhöhung von 7,5 auf 10 % abzulehnen.Umgekehrt wissen wir auch, daß eine Investitionszulage zu niedrig sein kann. Sie hat dann nichts mit der Investitionsentscheidung zu tun, sondern wird nur als ein Mitnahmeeffekt in die Investitionsplanung als Erleichterung eingebaut. Strukturpolitisch gesehen ist das Ergebnis dann, daß man dieses Geld hätte sparen können. Inzwischen vorgelegte Untersuchungen weisen auf diese Gefahren hin.Ich bin der festen Überzeugung, daß sich die Investitionszulage bewährt hat; man sieht das an der Entwicklung 1973/74, als die förderungswürdigen Investitionen in den Fördergebieten stärker gestiegen sind als im übrigen Bundesgebiet. Aber dennoch konnte diese Investitionszulage den schweren Einbruch von 1975 nicht verhindern. Deshalb fordern wir aus struktur- und aus konjunkturpolitischen Gründen diese Erhöhung der Investitionszulage.Meine Damen und Herren, wer die Investitionsneigung in den Fördergebieten verbessern will, muß die Liquidität und die Rentabilität der Unternehmen dort fördern. Die Investitionszulage verbessert die Rentabilität und die Liquidität, also müssen wir die Investitionszulage verbessern. Wer in der Überwindung der gegenwärtigen Rezession nicht nur ein kurzfristiges, konjunkturelles Problem sieht, sondern eine langfristige, wachstumspolitische Aufgabe, der sollte sich wirklich ernsthaft Gedanken über die Verbesserung dieser regionalpolitischen Komponente des Gesetzes machen.Wir haben den Eindruck, es werden heute nur Lippenbekenntnisse abgegeben. Wir hatten die Investitionszulagenerhöhung für die gesamten Fördergebiete vorgeschlagen. Sie haben das mit dem Hinweis abgelehnt, daß dies eine Verteilung nach dem Gießkannenprinzip zur Folge hätte. Sie hatten mit angeregt, diese Investitionszulagenerhöhung auf das Zonenrandgebiet alleine zu konzentrieren. Wir haben diesen Antrag gestellt, aber mit einer Enthaltung von Ihnen wurde das abgelehnt, obwohl dieser Gedanke mit von Ihnen geboren wurde, obwohl gerade das Zonenrandgebiet von Auszehrung geplagt ist.Wir haben auch andere Anträge gestellt, um die regionalpolitische Bedeutung und die mittelstandspolitischen Belange der Strukturförderung stärker zu berücksichtigen. Ich erwähnte bereits die Einbeziehung der Ersatzinvestitionen bei Rationalisierung und Umstellung. Wir waren der Meinung, durch die Ersatzinvestitionen werde ein Eintritt für den technischen Fortschritt geschaffen. Sie sagten, dies führe nicht zu neuen Arbeitsplätzen. Dies ist ja gar nicht das Problem in den strukturschwachen Gebieten, im Zonenrandgebiet. Es kommt dort darauf an, die Arbeitsplätze, die vorhanden sind, zu erhalten.
Wir hatten zweitens angeregt, die Förderschwelle von 50 auf 30 % herabzusetzen. Die Wirtschaftskraft der betreffenden Region, des betreffenden Gebietes wird doch auch dann gestärkt — das bezeichnet man als Primäreffekt —, wenn der Anteil der Erstellung von Gütern, die ihrer Art nach regelmäßig überregional abgesetzt werden, nicht über 50 % beträgt. Eine Reduzierung auf 30 % käme insbesondere dem Handwerk, dem mittelständischen Bereich zugute und würde wie ein Fahrstuhl wirken, der dem kleinen Betrieb die Förderung gibt, um eben überregional abzusetzen. Das hätte zudem eine starke psychologische Bedeutung. Aber wenn man nur materialistisch Wirtschaftspolitik betreibt, vergißt man diese psychologischen Bedeutungen und Fundamente unserer Marktwirtschaft.Sie haben drittens unsere Vorschläge abgelehnt, die dahin gingen, die Verlagerung von Betrieben innerhalb der Fördergebiete mit der Errichtung eines Betriebes gleichzusetzen, auch wenn dort innerstädtische Notwendigkeiten vorliegen, einem Vorschlag des Wirtschaftsausschusses folgend. Sie haben die Kumulationsmöglichkeiten im Zonenrandgebiet abgelehnt, haben es abgelehnt, dort die Gebietszulage mit der Forschungszulage zu vereinheitlichen. Daß Sie das abgelehnt haben, zeigt, meine Damen und Herren, daß Sie sich in die Struktur dieses Gebietes, insbesondere des Zonenrandgebietes, Herr Kühbacher, überhaupt nicht einfinden können, daß Sie überhaupt nicht bereit sind, irgendwelche Präferenzen für diese Gebiete einzuräumen.
— Ich sage das als Hannoveraner, aus einem Gebiet welches nicht Fördergebiet ist. Es hat mich sehr gewundert, daß Sie als Braunschweiger als Bewohner des Zonenrandgebietes diese Notwendigkeiten der Präferenzen überhaupt nicht erkannt haben. Es ist nur ein schwacher Trost für uns, daß Sie den Abschreibungsverbesserungen für unbewegliche Wirtschaftsgüter, die wir vorgeschlagen haben, zugestimmt haben.Zusammengefaßt: Diesen ersten Teil der regionalpolitischen Komponente dieses Gesetzespaktes müßten wir ablehnen, weil er die Notwendigkeiten überhaupt nicht erkennt.Nun war Ihr Anliegen im zweiten Teil, die Investitionszulage für Forschung und Entwicklung und die Investitionszulage im Bereich der Energieeinsparung und -verteilung zu erhöhen und zu verbessern. Wir halten diesen Schritt für einen Schritt in die richtige Richtung. Aber, meine Damen und Herren, Sie müssen sich selbst fragen, ob dies nicht auch wieder ein zu kleiner Schritt ist. Der Bundesrat hat ausführliche Vorschläge gemacht, denen wir nicht überall gefolgt sind, die aber doch bedenkenswert sind. Die Fachverbände, zum Teil unsere parallel arbeitenden Fachausschüsse haben einstimmig ein deutliches Mehr in diesem Bereich gefordert. Die SPD/FDP hat doch nicht nur aus haushaltspolitischen Überlegungen heraus diese Erhöhungen abgelehnt, sondern einfach deshalb, weil Sie eben für die direkte Förderung eintreten und wir für die indi-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7163
Dr. von Wartenbergrekte Förderung uns stärker einsetzen. Sie wollen mit der direkten Förderung doch einen indirekten Weg der Investitionslenkung finden.
Wir haben als CDU/CSU einen Antrag des Bundesrates übernommen, quasi als Testfall den preiswertesten Antrag, der dort zur Debatte stand. Es ging um die Erhöhung der Investitionszulage für Forschung und Entwicklung, die von 7,5 auf 15 % bis zu 500 000 DM erhöht werden soll; diese Grenze soll auf 1 Million DM erhöht werden. Wir sind grundsätzlich nicht gegen die Einführung einer Staffelung. Wir begrüßen sie als eine mittelstandspolitische Variante. Aber wenn man bedenkt, daß in diesen Betrag bereits Gebäude einbezogen werden, wenn man bedenkt, daß im Bereich der doch sehr forschungsintensiven chemischen Industrie bereits die abschreibungsfähigen Anschaffungs- und Wiederherstellungskosten für einen Forschungsarbeitsplatz zwischen 300- und 500 000 DM betragen, dann sind 500 000 DM einfach zu wenig. Das ist die Begründung für die Erhöhung. Die Stimulierung der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit erfordert eben eine Anhebung der Fördermaßnahmen auf ein Niveau, das als Anreiz gilt.Im Bereich der Forschung und Entwicklung gilt dies um so mehr, als wir das größte Problem in diesem Bereich doch noch gar nicht gelöst haben. Bisher werden nur Investitionen für die Forschung steuerlich erleichtert. Es müßten — das wissen wir doch alle — aber auch die Personalkosten in der Forschungsförderung mit berücksichtigt werden. Wir kennen die Schwierigkeiten; darüber brauchen wir nicht zu streiten. Es gibt Abgrenzungsschwierigkeiten. Wir wollen keine allgemeine Förderung bei den Personalkosten haben. Wir wissen aber auch, daß wir hier in den nächsten Monaten eine Lösung bringen müssen.Die erhebliche Kürzung der steuerlichen Forschungshilfen des Jahres 1973 hat sich eben als zu kurzsichtig erwiesen. Jetzt drängt es, einfach deshalb, weil man über eine Förderung mit einem bestimmten Betrag in diesem Bereich wesentlich mehr erreichen kann, als wenn es um den investiven Bereich geht.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, abschließend noch zwei Punkte anzusprechen.Das Gesetz sieht eine Zulage für energiesparende Maßnahmen vor, vor allem für die verstärkte Eigennutzung vorhandener Energiequellen. Wir sind der Meinung, daß dies auch für Wasserkraftwerke gilt; denn die Wasserkraftenergie kann ohne den Bau von Wasserkraftwerken überhaupt nicht genutzt werden. Daß es sich hierbei um eine sehr saubere, sehr sichere ' Energiequelle handelt, brauche ich Ihnen nicht näher zu erläutern. Sie haben die Einbeziehung in die Förderung abgelehnt, weil Sie meinten, es bestehe eine Doppelförderung, und zwar auf Grund der Steuererleichterung nach der Wasserkraftverordnung des Jahres 1944. Die Steuervergünstigung gleicht Belastungen des hohen Kapitaleinsatzes in den ersten 20 Betriebsjahren aus. Sie ha-ben versucht, für die Bundesregierung eine Vergleichsrechnung vorzulegen, die die Doppelförderung mit beinhaltet. Diese Vergleichsrechnung besagt im Ergebnis, daß die abgezinste Summe der steuerlichen Vergünstigung in 20 Jahren in der gleichen Größenordnung wie die Investitionszulage von 7,5 % der Investitionssumme liegen dürfte. Wissen Sie, dieses Ergebnis ist mir zu zufällig. Man kann die Weitsicht der Verfasser der Verordnung des Jahres 1944 nur loben, die genau auf Punkt und Komma die gleiche Entlastung ausgerechnet haben, wie sie eine Investitionsförderung von 7,5 % im Jahre 1978 ausmacht. Es ist einfach zu häufig dargestellt worden, ,daß in diesem Papier die Annahmen der Vergleichsrechnung letzten Endes das Ergebnis bringen, das man vorher als Wille hineingegeben hat.Zweitens komme ich zur Berlin-Förderung. Wir haben beim Paket der Berlin-Förderung — ich brauche die einzelnen Positionen nicht aufzuzählen —nach Beratung mit dem Berliner Senat, der Bundesregierung, der Industrie- und Handelskammer Berlin und in den Fraktionen dieses Hauses einmütig einige Dinge verbessern können. Ich habe mit Interesse die Presseerklärung von Herrn Huonker am Montag dieser Woche zur Kenntnis genommen, wonach er weitere Steuererleichterungen bzw. besondere Zuschüsse über dieses Gesetz hinaus verwirklicht sehen möchte. Herr Huonker, Sie haben nur das aufgeführt, was wir vor 14 Tagen gemeinsam beschlossen haben.
Wenn Sie weitere steuerliche Maßnahmen fordern, dann kann ich Ihnen nur empfehlen, sich den Anträgen der Berliner Kollegen betreffend Altbausanierung und Forschung und Entwicklung anzuschließen.
Meine Damen und Herren, das Investitionszulagengesetz ist ein Gesetz, das in die richtige Richtung geht. Wir werden diesen Weg mitgehen. Wir meinen aber, daß in den angeschnittenen Punkten Verbesserungen notwendig sind und die Anträge begründet werden müssen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Huonker.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr von Wartenberg, ich will jetzt mit Ihnen nicht über das streiten, was in meiner Presseerklärung in punkto Berlin-Förderung steht. Wenn Sie die Presseerklärung genau lesen, werden Sie feststellen, daß keine Rede davon ist, daß wir mehr als das, was jetzt gemacht worden ist, für Berlin tun wollen.
Im übrigen scheuen wir natürlich keinen Wettbewerb, auch nicht den Wettbewerb mit der CDU/CSU, wenn es darum geht, das zu tun, was für die
Metadaten/Kopzeile:
7164 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
HuonkerWirtschaft von Berlin und für die dort beschäftigten Arbeitnehmer nötig ist.
Ich rede jetzt, meine Damen und Herren, nicht im einzelnen über die Änderungen, die wir im Zonenrandförderungsgesetz vornehmen, auch nicht über das Thema Berlin-Hilfe. Schwerpunkt des heute zu verabschiedenden Änderungsgesetzes zum Investitionszulagengesetz ist die verstärkte Förderung von Forschung und Entwicklung im Bereich kleinerer und mittlerer Unternehmen, also im Bereich der mittelständischen Wirtschaft. Das ist das Hauptthema heute abend, und dazu will ich einiges sagen.Der Gesetzentwurf sieht erstens vor, daß die Investitionszulage für die ersten 500 000 DM des Investitionsaufwandes im Bereich von Forschung und Entwicklung von 7,5 % auf 15 % verdoppelt wird. Der Entwurf sieht zweitens die Erweiterung der Begünstigung von Gebäuden vor, die der Forschung und Entwicklung dienen. Bisher mußten diese Gebäude zumindest zu zwei Dritteln für diesen Zweck benutzt werden. Künftig reicht es aus, daß sie mindestens zu einem Drittel der Forschung oder Entwicklung dienen. Der Gesetzentwurf sieht drittens vor, daß die Investitionszulage auf bestimmte immaterielle Wirtschaftsgüter ausgedehnt wird. Auf die weiteren Bestimmungen des Gesetzentwurfs, die z. B. energiesparende Investitionen betreffen, die die Förderung der Berliner Wirtschaft sowie die Verbesserung des Zonenrandgesetzes zum Gegenstand haben, komme ich später kurz, aber nicht in Einzelheiten zurück.Meine Damen und Herren, kleine und mittlere Unternehmen sind ein entscheidender Teil der deutschen Wirtschaft. So ist bekannt — wer wie ich aus Baden-Württemberg kommt, weiß das besonders —, daß in der verarbeitenden Industrie rund 95 % der 42 000 Unternehmen mit mehr als zehn Arbeitnehmern weniger als 500 Mitarbeiter beschäftigen. Ohne hier auf das 'schwierige Thema „Wie 'definiert sich Mittelstand?" eingehen zu wollen — —
— Herr Schäuble, wir kennen uns gut genug. Da nützen jetzt keine Zwischenrufe, ich bleibe beim Thema. Ich rede darüber, was diese Koalition für den Mittelstand tut, während Sie darüber nur reden.
Bei diesem Thema werde ich auch bleiben, da können Sie Zwischenrufe machen, so viel Sie wollen.
— Werden Sie nicht aufgeregt! — Ich wiederhole: Ich will mich nicht auf die Fragen der Definition des Mittelstands einlassen, sondern stelle für die SPD-Fraktion fest: Wir wissen um die Bedeutung der kleinen und mittleren Unternehmen, insbesondere auch des Handwerks, für die deutsche Volkswirtschaft und für die Arbeitnehmer.
Wir wissen auch um die besondere Bedeutung hochentwickelter Technologien für die künftige Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen. Um diese Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und zu stärken, zielt der Gesetzentwurf exakt auf diesen Unternehmensbereich ab, indem er die Verdoppelung der Investitionszulage eben nur für die ersten 500 000 DM der Investition pro Jahr vorsieht.
Ein Wort zu Herrn von Wartenberg: Nach einer Untersuchung des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft — gewiß ein unabhängiges und auch für Sie von der Opposition unverdächtiges Gremium — betrugen die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung im Jahre 1973 bei Unternehmen mit weniger als 500 Beschäftigten rund 183 Millionen DM. Der Investitionsanteil belief sich auf rund 24 Millionen DM, also nur auf etwas mehr als 10 %. Das sind natürlich Durchschnittszahlen; wir haben im Finanzausschuß darüber geredet.Dennoch kann festgehalten werden: Bei einer Begünstigungssumme von 500 000 DM pro Jahr für Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen werden in der Regel die Unternehmen besonders begünstigt, die für Forschung und Entwicklung jährlich nicht mehr als 5 Millionen DM aufwenden. Daran wird klar, daß das typische mittelständische Unternehmen in diesen Bereich nicht mehr investiert als diese Summe. Sie fordern — das haben Sie heute wiederholt —, die begünstigte Investitionssumme auf 1 Million DM zu erhöhen. Dies bedeutet, daß Sie die Maßnahme auf Unternehmen ausdehnen wollen, die pro Jahr für Forschung und Entwicklung zwischen 5 Millionen DM und 10 Millionen DM aufwenden.Meine Damen und Herren von der Opposition, ganz abgesehen von den zusätzlichen Kosten dieser Forderung — darauf komme ich nachher noch zurück —: Der Bereich der klassischen mittelständischen Unternehmen würde verlassen, wenn dieser Forderung stattgegeben würde. Der „Mitnehmereffekt" großer Unternehmen würde überwiegen und damit der Konzentrationseffekt in der deutschen Wirtschaft zu Lasten der kleinen und mittleren Unternehmen verstärkt,
den niemand will. Wer hier ungeschützt und ohne irgendwelche Zahlen wie Sie, Herr von Wartenberg, eine Erhöhung des begünstigten Investitionsvolumens fordert, der muß sich entgegenhalten lassen: Wer dies will, darf sich nicht, wie Sie das tun, als der Hüter der mittelständischen Industrie in der Öffentlichkeit aufspielen.
— Er hat kein Argument gebracht, das nicht schonim Finanzausschuß vorgekommen ist. Deswegen war
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7165
Huonkeres gar nicht nötig, irgend etwas vorher zu formulieren.Das zweite Argument, daß nämlich dieser Begünstigungsrahmen im Hinblick auf die hohen Baukosten von Gebäuden auf 1 Million DM erhöht werden müßte, stimmt schon deshalb nicht, weil — das weiß jeder, der die mittelständische Wirtschaft ein bißchen kennt — nur in ganz seltenen Ausnahmefällen erhebliche Teile von Gebäuden in diesem Bereich der Forschung und Entwicklung dienen. Von daher trägt unser Vorschlag, das Förderungsvolumen auf 500 000 DM zu begrenzen, zugleich aber den Prozentsatz für den Teil des Gebäudes herabzusetzen, der zur Forschung und Entwicklung dienen muß, exakt und zielgenau den Forderungen und Bedürfnissen der mittelständischen Wirtschaft Rechnung.Mittelstandspolitisch richtig ist auch die Ausdehnung der erhöhten Investitionszulage auf den Erwerb bestimmter immaterieller Wirtschaftsgüter, z. B. auf Patente und Lizenzen. Es ist bekannt, daß gerade kleine und mittlere Unternehmen häufig nicht über eigene Forschungs- und Entwicklungskapazitäten verfügen, die in Anbetracht des raschen Wandels des Binnen- und des Weltmarktes eigentlich erforderlich wären. Kleine und mittlere Unternehmen sind wegen der durch steigende Rohstoffund Energiekosten, durch Veränderungen der Währungsrelationen und der damit zusammenhängenden Exportprobleme, ferner durch generelle Nachfrageveränderungen, aber auch durch den rasanten technischen Fortschritt auf den Erwerb von Patenten und Lizenzen in besonderem Maße angewiesen. Insbesondere beim Auftreten spezieller Forschungs- und Entwicklungsprobleme brauchen diese Unternehmen deshalb extern geschaffene Technologien, und zwar anders als die meisten Großunternehmen, die über das für solche Aufgaben notwendige Personal verfügen.Meine Damen und Herren, das auf kleine und mittlere Unternehmen gezielte Gesetz, über das wir heute abend beraten, paßt sich nahtlos in das von der Bundesregierung am 12. April 1978 verabschiedete Forschungs- und technologische Gesamtkonzept für kleine und mittlere Unternehmen ein. An dieser Stelle möchte ich — obwohl es schon spät am Abend ist —, jedem mittelständischen Unternehmer, jedem leitenden Mitarbeiter dieser Unternehmen, dringend empfehlen, dieses Konzept sorgfältig zu lesen und zugleich die von Bundesminister Völker Hauff — daran ist natürlich sein Amtsvorgänger nicht ganz „unschuldig" — herausgegebene und, ich sage: hervorragende Fibel genau zu studieren, die Informationen über die Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovationen in der Bundesrepublik Deutschland gibt. Dann wird erneut deutlich, meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung und die sie tragende Koalition im Gegensatz zu den früheren CDU-geführten Regierungen von der Bedeutung des gewerblichen Mittelstandes für die Volkswirtschaft und für die Marktwirtschaft nicht nur redet,
sondern durch eine Fülle konkreter und auf diesen Wirtschaftsbereich gezielter Maßnahmen eine Menge tun. Dies ist die Wahrheit.
Dazu nur in Stichworten einige wenige Beispiele.Erstens. Durch das Steueränderungsgesetz 1977 wurde die Gewerbesteuer erheblich gesenkt, und zwar zielgerichtet für den Mittelstand. Wenn jetzt Herr Strauß erneut fordert, die Gewerbesteuer um 8,5 Milliarden DM zu senken, dann müssen die mittelständischen Unternehmen, aber auch die Arbeitnehmer und die Rentner wissen, daß sich die Gewerbesteuer durch unsere Politik zunehmend zu einer Großbetriebssteuer entwickelt. Weiter: Wer jetzt eine Gewerbesteuersenkung im Sinne von Herrn Strauß fordert, muß zugleich sagen, daß er die Mehrwertsteuer um 2 Punkte erhöhen will; denn alles andere ist finanzwirtschaftlich unaufrichtig. Weder der gewerblichen mittelständischen Wirtschaft noch den Arbeitnehmern und Rentnern kann die Zeche des CDU/CSU-Versuchs aufgebürdet werden, jetzt nach der öffentlichen Diskussion um eine Steuertarifreform, die Steuerausfälle zwischen 12 und 20 Milliarden DM nach den Oppositionsvorstellungen zur Folge hätte, auch noch auf dem Gebiet der Gewerbesteuersenkung ein Klima zu schaffen, das, wenn man es ganz ernst nimmt, in die Nähe dessen gerückt werden muß, was wir in Frankreich unter dem Stichwort Poujadismus erlebt haben.
.
Damit ist niemandem gedient, ganz zuletzt dem gewerblichen Mittelstand, über den wir heute reden.
Als zweiten Punkt körte ich hier die Änderung des Wettbewerbsrechts zugunsten der mittelständischen Unternehmen nennen. Ich könnte darüber reden, daß mittelständische Unternehmen auf Grund eines Beschlusses der Bundesregierung stärker als bisher an öffentlichen Aufträgen beteiligt werden.Ich könnte über die Erhöhung der ERP-Programme zugunsten des Mittelstandes reden. Ferner könnte ich darüber reden, daß es die Bundesregierung mit Erfolg auf den Weg gebracht hat, die Gründung neuer mittelständischer Unternehmen zu fördern.
Sie wissen auch, daß die Kreditanstalt für Wiederaufbau und die Lastenausgleichsbank die Darlehensprogramme für die mittelständische Wirtschaft weiter ausgebaut haben.
— Wenn Sie zu den Konkurszahlen eine Frage stellen, Herr Dr. Schäuble, dann will ich Ihnen sagen, daß nach Meinung all derer, die etwas von Wirtschaft verstehen, das Fehlengagement vieler Betriebsinhaber eine der Hauptursachen von Konkursen war; dies ist Ihnen bekannt.
Metadaten/Kopzeile:
7166 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
— Sie können mich erstens nicht drausbringen, und zweitens würde ich Ihnen empfehlen, den sehr interessanten Bericht zu diesem Thema in der „Wirtschaftswoche", einem für Sie von der CDU/CSU wirklich unverdächtigen Presseorgan, zu lesen; dann werden Sie sehen, daß Sie weniger Anlaß zu erregten Zwischenrufen haben, als Sie jetzt zu haben glauben.
Das heute zur Entscheidung anstehende Gesetz beweist erneut, daß die Bundesregierung und die sozialdemokratische Bundestagsfraktion die besonderen Probleme der kleinen und mittleren Unternehmen kennt,
sie ernst nimmt und dementsprechend zielgerichtet in deren Interesse und im Interesse der dort beschäftigten Arbeitnehmer handelt.Dies gilt auch für die Wirtschaft in Berlin und im Zonenrandgebiet.Entsprechend der Ankündigung von Bundesfinanzminister Matthöfer in der ersten Lesung des Gesetzes — und deswegen will ich korrigieren, was Sie, Herr von Wartenberg, hierzu gesagt haben — wurden in dieses Gesetz Bestimmungen zur Förderung der Berliner Wirtschaft aufgenommen. Ich stelle hier fest, daß die Bundesregierung und die SPD-Fraktion für die Belange Berlins, seiner Wirtschaft und der dort beschäftigten Arbeitnehmer das finanzwirtschaftlich und wettbewerbspolitisch Vertretbare tun, damit Berlin auch in Zukunft ein attraktiver Unternehmensstandort bleibt.Für das Zonenrandgebiet wird die Erhöhung der Sonderabschreibung für unbewegliche Wirtschaftsgüter von 30 auf 40 % vorgeschlagen. Damit soll der Präferenzvorsprung dieses Gebiets nach der allgemeinen Verbesserung der degressiven Abschreibung in diesem Bereich durch die Steuergesetzgebung des vergangenen Jahres im Prinzip wiederhergestellt werden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wohlrabe?
Von Herrn Wohlrabe immer, wenn es um Berlin geht.
Herr Kollege Huonker, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie dem Hause bestätigen könnten, daß die Vorlagen, die Berlin be-
treffen, einvernehmlich von allen Fraktionen getragen worden sind und nicht eine Erfindung der SPD-Fraktion alleine sind.
Sehr geehrter Herr Kollege Wohlrabe, ich will hier nicht darüber streiten, wer was erfunden hat. Ich kann Ihnen aber gern bestätigen, daß die Punkte, die jetzt in diesem Gesetz stehen, einvernehmlich von allen Fraktionen des Hauses im Finanzausschuß verabschiedet worden sind.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Huonker? — Bitte schön, Herr Wohlrabe.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Können Sie uns dann auch bitte mitteilen, warum Sie im Gegensatz zu dieser Aussage, die richtig ist, in der Berliner Presse verbreiten, so im „Tagesspiegel" vom 10. Mai 1978, also gestern, daß die Steuererleichterungen und Hilfen für die Berliner Wirtschaft allein von der SPD beantragt worden seien, daß dies ein Beschluß der SPD-Fraktion sei — so der Obmann der Partei, Herr Huonker —, und alle anderen Bemühungen damit unter den Teppich gekehrt werden? Finden Sie, daß das redlich ist?
Herr Wohlrabe, ich würde nun gerade mit Ihnen ungern über Redlichkeit streiten. Fest steht jedenfalls, daß wir das, was wir in diesem Gesetz für Berlin machen, in der Berlin-Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion einstimmig beschlossen haben. Dies habe ich gesagt, und dies sollen die Bürger von Berlin auch wissen.
Moment, Herr Kollege Wohlrabe, Sie sind nicht mehr dran. Dann müßte ich erst noch einmal fragen.
Herr Wohlrabe, daß Sie das ärgert, daß den Berliner Bürgern über die Presse klargeworden ist,
daß wir in diesem Gesetz das für die Wirtschaft und für die Arbeitnehmer Berlins Mögliche getan haben, dies verstehe ich.
— Jetzt möchte ich zum Schluß kommen, Herr von
Wartenberg, und zwar mil folgenden Bemerkungen.
Keine Zwischenfrage mehr. Die rote Lampe leuchtet bereits auf.
Ich will noch ein Wort zu den Ausführungen des Kollegen von Wartenberg zum Zo-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7167
Huonkernenrandförderungsgesetzsagen. Die CDU/CSU- Opposition fordert natürlich auf diesem Gebiet mehr, als die Regierung und die sozialliberale Koalition tun kann,
und zwar deshalb, weil Sie — wie stets — Steuermindereinnahmen oder Mehrausgaben mit leichter Hand in Kauf zu nehmen gewillt sind.
Ich füge hinzu: Dies könnte, auf den hier anstehenden Einzelfall beschränkt, diskutabel sein.
Nur, wir als sozialliberale Koalition haben es mit einer Opposition zu tun
— Stichwort: Tarifreform mit Steuerausfällen in Höhe von 10 bis 22 Milliarden DM; ich nenne die Gewerbesteuersenkung, die Herr Strauß gefordert hat, mit Steuerausfällen in Höhe von 8,5 Milliarden DM —, die die Finanzpolitik ohne Rücksicht auf die staatspolitische Verantwortung aller demokratischen Parteien
zum Hebel zu machen versucht, um einen Machtwechsel in Bonn herbeizuführen.
Ich kann Ihnen nur sagen: Dies werden Sie nicht schaffen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Laermann.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den Ausführungen des Herrn Kollegien Wartenberg hätte man eigentlich annehmen müssen, daß er den Antrag der Opposition, den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes und ,des Zonenrandförderungsgesetzes, nunmehr zurückziehen will.
Denn im Grunde genommen hat er Argumente gebracht — man braucht sie nicht zu wiederholen —, die durchaus gegen diesen Antrag sprechen.
Ich wundere mich, Herr Kollege von Wartenberg, daß Sie jetzt hier sozusagen als Gralshüter der Mittelstandsförderung auftreten, insbesondere auch im Hinblick auf die Fragen, (die mit der Forschungs- und Entwicklungsförderung in diesem Bereich ver-bunden sind; denn in diesem Antrag, dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes und des Zonenrandförderungsgesetzes, nehmen Sie darauf überhaupt keinen Bezug. Ich werde aber auf Einzelheiten im Verlaufe meiner weiteren Ausführungen noch gerne zu sprechen kommen.Bei der parlamentarischen Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzes zur Anderung des Investitionszulagengesetzes unter Einbeziehung des von der Opposition eingebrachten Gesetzentwurfes — dies bitte ich doch zu beachten — stellte sich einmal mehr heraus, daß jede steuertechnische Maßnahme nicht isoliert in einem Bereich betrachtet werden kann, sondern Auswirkungen im gesamten System hat. Dreht man an der einen Schraube, müssen auch die anderen Schrauben nachgezogen werden. So mußten konsequenterweise auch Änderungen des Berlinförderungsgesetzes vorgenommen werden, damit die Verminderung des Präferenzvorsprungs Berlins ausgeglichen werden konnte. Da ich kein Steuerfachmann bin, möchte ich zu den steuertechnischen Fragen nicht Stellung nehmen. Das Steuerdeutsch der nunmehr vorliegenden Formulierungen verstehe ich, offen gestanden, auch nicht einmal von der Sprache her.
Ich möchte mich mehr zu den eigentlichen politischenAnsätzen äußern. Ich beziehe mich in erster Linie— wie auch mein Vorredner, der Kollege Huonker- auf die Ansätze zur Verbesserung der For-schungs- und Entwicklungstätigkeit vor allem bei den kleinen und mittleren Unternehmen. Damit möchte ich mich etwas befassen.Die Bundesrepublik rangiert an der Spitze der internationalen Lohnskala. Hohe Soziallasten, ständig steigende Rohstoffpreise sowie die fortschreitende wirtschaftliche Entwicklung in den sogenannten Schwellenländern auf Niedriglohnniveau erzwingen weitestgehende Rationalisierung. Der technische Fortschritt wirkt sich in zunehmender Automatisierung aus, und einschneidende Veränderungen in der Wirtschaftsstruktur sind schon heute vorhersehbar. Alles dies erfordert Umstellungen, Spezialisierungen, Innovationsinvestitionen, wenn die Stellung der Bundesrepublik auf dem Weltmarkt und, damit verbunden, der Lebensstandard der Bürger unseres Landes gehalten werden sollen. Eine Unterlassung oder zu lange Verzögerungen dieses Umstrukturierungs- und Anpassungsprozesses bedeutet langfristigen Verzicht auf Wachstumsmöglichkeiten und auf den Erhalt und die Sicherung der Arbeitsplätze von morgen.Von daher besteht eine Notwendigkeit, durch Anreize, durch politische Entscheidungen und Maßnahmen derartige Prozesse in volkswirtschaftlichem Interesse zu fördern. Alle Förderungsmaßnahmen— Herr Kollege von Wartenberg, darin sind wir uns sicherlich einig —, insbesondere zugunsten der mittelständischen Wirtschaft, müssen sich aber in den vorgegebenen ordnungspolitischen Rahmen einpassen. In einer marktwirtschaftlichen Ordnung gibt es nur einen Weg, der marktkonform ist, den Weg der
Metadaten/Kopzeile:
7168 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Dr.-Ing. LaermannHilfe zur Selbsthilfe. Dies ist auch die Form der Unterstützung, die das bestmögliche gesamtwirtschaftliche Ergebnis bringt. Mit Erhaltungssubventionen ist niemandem gedient, auch und insbesondere der mittelständigen Wirtschaft nicht. Sie führen im Grunde genommen nur zu einer Verfestigung von Besitzständen und überkommenen Strukturen, die von der Marktsituation her nicht mehr gerechtfertigt sind.Das Gesetz sieht in der in der Form der Beschlußempfehlung des Finanzauschusses nunmehr vorliegenden Fassung folgendes vor: erstens eine Verdoppelung des Zulagensatzes von 7,5 v. H. auf 15 v. H. für begünstigte Investitionsaufwendungen bis zur Höhe von 500 000 DM im Wirtschaftsjahr, zweitens die Ausdehnung der Begünstigung auf Gebäude sowie Ausbauten und Erweiterungen, die zu einem Drittel bis zwei Dritteln der Forschung und Entwicklung dienen, und drittens die Ausdehnung der Begünstigung auf bestimmte immaterielle Wirtschaftsgüter, die der Forschung und Entwicklung dienen.Die Anhebung der Investitionszulage, in der Höhe begrenzt, kommt insbesondere den kleinen und mittleren Unternehmen zugute, bei denen die bisherigen steuerlichen Vergünstigungen wegen Umfang und wirtschaftlicher Lage nicht zu den erwarteten Wirkungen führen konnten. Auch gab und gibt es bei diesen mittelständischen Unternehmen selten eine Nutzung von Gebäuden für Forschung und Entwicklung über einen Gebäudeanteil von zwei Dritteln hinaus, so daß gerade die Herabsetzung der Untergrenze auf ein Drittel eine wesentliche Verbesserung für diese kleinen und mittleren Unternehmen darstellen wird.Es mag eingewandt werden — Sie haben darauf ja hingewiesen, Herr von Wartenberg —, daß dies unter Umständen gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen nur zu relativ geringen Entlastungen führe, die keinen ausgesprochenen Anreiz darstellten. Ich meine aber, wir müssen das ganze Maßnahmenpaket in seiner Gesamtwirkung sehen. Dann dürfte auch die Herabsetzung der Schwelle eine erhebliche Verbesserung der bisherigen Situation darstellen.Die Einbeziehung erworbener aktivierungspflichtiger immaterieller Wirtschaftsgüter in die Begünstigung würde den Unternehmen zugute kommen, die nicht über eigene Forschungs- und Entwicklungskapazität verfügen. Dadurch würde eine wünschenswerte und seit langem von der FDP immer wieder geforderte Verbesserung des Transfers von Forschungsergebnissen, eine Verbesserung der Verfügbarkeit, insbesondere der staatlich geförderten technischen Entwicklungen, zu erzielen sein.Darüber hinaus aber teilt die FDP-Fraktion die Auffassung der Bundesregierung, daß die in der jetzigen Fassung des Gesetzes vorgesehenen Maßnahmen allein nicht ausreichen. Deshalb fördert die Bundesregierung über das Rationalisierungskuratorium, die Industrie- und Handelskammern die Beratungen über Innovations- und Förderungsmöglichkeiten. Dieses Instrumentarium wird weiter ausgebaut werden — und es muß stärker ausgebaut werden.Weiterhin ist die Bezuschussung der Auftragsforschung gerade für die Unternehmen, die keinen ständigen Bedarf an eigener Forschungs- und Entwicklungskapazität haben, also wiederum vorwiegend kleine und mittlere Unternehmen, eine begrüßenswerte Maßnahme.Das inzwischen vorliegende forschungs- und technologiepolitische Gesamtkonzept der Bundesregierung für kleinere und mittlere Unternehmen enthält den umfassenden Maßnahmenkatalog, der bei der Beurteilung der neuen Regelungen des § 4 des Investitionszulagengesetzes zu beachten ist. Dabei sollte noch einmal klar herausgestellt werden, daß die Personalkosten in Forschung und Entwicklung als inzwischen wesentlicher Kostenfaktor in einer noch zu bestimmenden Form in eine Begünstigung einbezogen werden sollten.Aus steuersystematischen Gründen und wegen verfassungsrechtlicher Bedenken ist dies im Investitionszulagengesetz nicht möglich gewesen. Aber den inzwischen vom Kabinett beschlossenen Prüfauftrag verstehen wir so, daß wohl ein positives Ergebnis zu erwarten ist.Die noch bestehenden Bedenken bezüglich Abgrenzungsschwierigkeiten, bezüglich der Kontrolle und der Mißbrauchsverhinderung können, wie ich meine, ausgeräumt werden. Ich bin überzeugt, daß sich praktikable Lösungen finden lassen; denn alle Einwände, die hier erhoben werden, müßten gleichermaßen auch gegenüber der direkten Forschungsförderung erhoben werden.Bei der Einbeziehung der Personalkosten geht es nur um die reinen Personalkosten im Forschungs- und Entwicklungsbereich, nicht um Nebenkosten, während bei der direkten Forschungsförderung die gesamte Kostenstruktur, also auch die Nebenkosten, mit der Förderung einbezogen werden.Eine weitere Ergänzung bzw. Änderung des Investitionszulagengesetzes, die Investitionszulage für bestimmte Investitionen im Bereich der Energieerzeugung und -verteilung, ist energiepolitisch von besonderer Bedeutung. Die rückwirkende Ausdehnung der Zulage auf die Erweiterung von Fernwärmenetzen sowie die Ausdehnung auf Anlagen zur Rückgewinnung von Abwärme und dies möchte ich ganz besonders herausstellen — die Einbeziehung von Solar- und Windkraftanlagen, die der Strom- und Wärmeerzeugung dienen, ist nachdrücklichst zu begrüßen.Die Änderungen zum Berlin-Förderungs-Gesetz sind notwendig geworden, um den Präferenzvorsprung Berlins zu erhalten bzw. ein Äquivalent für die Verringerung des Vorsprungs zu liefern, die inzwischen wegen verschiedener Maßnahmen zur Verbesserung der Abschreibungsmöglichkeiten im übrigen Bundesgebiet und insbesondere im Zonenrandgebiet eingetreten sind. Diese Änderungen sind in Einvernehmen mit dem Senat von Berlin und der Industrie- und Handelskammer Berlin vorgenommen worden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7169
Dr.-Ing. LaermannEs konnten deshalb auch nicht die im CDU-Antrag zur Änderung des Zonenrandförderungsgesetzes enthaltenen Forderungen insgesamt erfüllt werden.Ich möchte dazu bemerken, daß die Freien Demokraten die besondere Situation und die Schwierigkeit der peripheren Regionen nicht verkennen. Sie haben sich deshalb stets für solche Maßnahmen und Regelungen eingesetzt, die dem Auftrag des Grundgesetzes entsprechen, gleiche Lebensbedingungen in unserem Lande zu schaffen bzw. zu erhalten. Wir werden dies auch weiterhin tun.Hierbei ist aber auch zu bedenken:Erstens. Wir stoßen an die Grenzen dessen, was die Haushaltssituation in Bund und Ländern erlaubt. Wer höhere Ausgaben verlangt, muß dafür auch die entsprechenden Deckungsvorschläge machen. Eine Spekulation auf zukünftig höhere Steuereinnahmen dürfte haushaltspolitisch nicht vertretbar sein.Zweitens. Gerade wegen der Verpflichtung, gleiche Lebensbedingungen in unserem Land zu schaffen und zu erhalten, kann den Anträgen der Opposition nicht entsprochen werden, weil sie zu einer Verschiebung der Präferenzen führen, die dann insbesondere die Abstimmung zum Berlinförderungsgesetz wieder in Frage stellt.Drittens sind die Auswirkungen im Gesamtgefüge der Förderungsmöglichkeiten kaum noch zu übersehen.Ich bin deshalb der Meinung — ich bringe hier meine persönliche Meinung zum Ausdruck —, daß es an der Zeit ist, eine Flurbereinigung im gesamten Fördergefüge durchzuführen, damit insgesamt die Möglichkeiten wieder überschaubar und handhabbar werden. Die Vielzahl der Töpfe und Töpfchen macht das ganze Instrumentarium fragwürdig.
Die nunmehr in der zweiten Lesung vorliegende Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu dem Gesamtpaket berücksichtigt erstens die Änderungen, die zur Anpassung an den sechsten Rahmenplan und eine geänderte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs notwendig waren, und zweitens die Änderungen, die im Hinblick auf die Haushaltslage von Bund und Ländern zur Zeit möglich sind. Drittens. Damit ist ein deutlicher Schritt auf einem richtigen und notwendigen Weg getan worden — im Sinn eines forschungs- und technologiepolitischen Gesamtkonzepts der Bundesregierung für kleine und mittlere Unternehmen, zur Stimulierung der Entwicklungs- und Innovationsaktivitäten der Wirtschaft, aber auch im Sinn der energiepolitischen Grundsätze gemäß der zweiten Fortschreibung des Energieprogramms. Viertens. Zwischen Berlin-Förderung, Zonenrandförderung und der Situation im übrigen Bundesgebiet sind vertretbare Relationen wiederhergestellt worden.Die Fraktion der Freien Demokraten stimmt der Beschlußempfehlung in der vorliegenden Fassung zu.
Das Wort hat Herr Bundesminister Matthöfer.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit diesem Gesetzentwurf zur Änderung des Investitionszulagengesetzes hat die Bundesregierung einige Maßnahmen zur Verbesserung der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen, zur Energieeinsparung und — auf dem Gebiet der regionalen Wirtschaftsförderung — Anpassung des Investitionszulagengesetzes an den sechsten Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" vorgeschlagen.Wie von den Sprechern der Koalitionsfraktionen schon festgestellt, sind diese Vorschläge zur Verbesserung der Förderung von Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen Teil des vom Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung angekündigten und inzwischen beschlossenen Gesamtkonzepts zur Verbesserung der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit bei kleinen und mittleren Unternehmen. Die Vorschläge sollen in besonderem Maß die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit der mittelständischen Wirtschaft erleichtern.Die verbesserte Investitionszulage soll für die Unternehmen ein zusätzlicher Anreiz sein, ihre vielfältigen technischen Kenntnisse und Erfahrungen weiterzuentwickeln, sie in wirtschaftliche Innovationen umzusetzen und am Markt durchzusetzen. Die vorgeschlagenen Verbesserungen sollen die Innovationsbereitschaft und die Innovationsfähigkeit der mittelständischen Wirtschaft stärken, damit von hier aus Impulse für wirtschaftliches Wachstum, für die Belebung des Wettbewerbs und damit auch für Strukturveränderungen ausgehen können, die sich an den Erfordernissen veränderter weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen orientieren, die die Voraussetzung für die Wiederherstellung und die langfristige Sicherung der Vollbeschäftigung sind.Ich freue mich, daß der federführende Finanzausschuß diese Vorschläge inhaltlich unverändert übernommen hat und den wesentlich weitergehenden Vorschlägen des Bundesrats und der Opposition nicht gefolgt ist. Das bedeutet nicht, daß die Bundesregierung eine weitergehende Förderung der betrieblichen Forschungs- und Entwicklungstätigkeit grundsätzlich ausschließt. Im Gegenteil: Die Bundesregierung ist sich bewußt, daß der Anteil und die Bedeutung der Personalkosten am gesamten Forschungs- und Entwicklungsaufwand der Wirtschaft ständig gestiegen sind. Sie ist nach wie vor bereit, sich konstruktiv mit der Frage zu befassen, wie die Förderungsmaßnahmen in diesem Bereich zusätzliche Anreize schaffen können. Eine zufriedenstellende Lösung ist leider bisher nicht gefunden worden, weil Abgrenzungsprobleme und Mißbrauchsgefahren hier besonders groß sind und auch präjudizierende Wirkungen bedacht werden müssen.Entsprechend den Prüfungsanregungen der Bundestagsausschüsse für Wirtschaft und für Forschung und Technologie wird die Bundesregierung gleich-
Metadaten/Kopzeile:
7170 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Bundesminister Matthöferwohl den gesamten Fragenkomplex eingehend untersuchen und bei einem positiven Ergebnis dieser Untersuchung entsprechende Vorschläge machen.Die von der Bundesregierung bei der Investitionszulage für bestimmte Investitionen im Bereich der Energieerzeugung und Energieverteilung vorgeschlagenen Verbesserungen entsprechen den im März 1977 beschlossenen Grundlinien und Eckwerten für die Fortschreibung des Energieprogramms. Sie sehen im Interesse einer verstärkten Energieeinsparung die Ausdehnung der Investitionszulage auf Erweiterung in Fernwärmenetzen, gleichgültig, wann mit ihrer Herstellung begonnen worden ist, sowie auf Anlagen zur Rückgewinnung von Abwärme vor. In ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates hat die Bundesregierung dessen Vorschlag, auch Solarenergieanlagen und Windkraftanlagen in die Begünstigungen einzubeziehen, befürwortet, jedoch den Vorschlag, die Investitionszulage auch für Wasserkraftwerke zu gewähren, im Hinblick auf die bereits bestehende steuerliche Begünstigung von Wasserkraftwerken abgelehnt. Ich freue mich, daß der federführende Finanzausschuß auch diesen Vorschlägen gefolgt ist.Im Hinblick auf die allgemeine Verbesserung der Abschreibungsmöglichkeiten im gesamten Bundesgebiet durch das Gesetz zur Steuerentlastung und Investitionsförderung vom 4. November 1977 hat der Deutsche Bundestag durch eine Entschließung die Bundesregierung aufgefordert, im Zusammenhang mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes die weitere Wirksamkeit der Berlin- und Zonenrandförderung zu prüfen und gegebenenfalls Vorschläge zu unterbreiten, die eine ausreichende Förderung auch künftig sicherstellen sollen.Ein Bleichlautendes Ersuchen hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum vorliegenden Gesetzentwurf an die Bundesregierung gerichtet. Die im Hinblick auf diese Entschließung dem Finanzausschuß vorgeschlagenen Gesetzesänderungen sind das Ergebnis eingehender Beratungen mit den beteiligten Ressorts und, soweit sie Berlin betreffen, selbstverständlich auch mit dem Berliner Senat. Bei diesen Beratungen bestand Einvernehmen, daß die Wiederherstellung eines angemessenen Präferenzvorsprungs Berlins nicht durch Parallelanhebungen bei den dort bestehenden Abschreibungsvergünstigungen erreicht werden kann, weil wegen der Höhe der bereits geltenden Abschreibungsvergünstigungen hiervon kaum zusätzliche Investitionsanreize ausgegangen wären.Die Bundesregierung hat deshalb im Einvernehmen mit dem Berliner Senat ein Bündel anderer Verbesserungen vorgeschlagen, insbesondere eine Ausweitung der zu erhöhten Absetzungen und Investitionszulagen berechtigenden Sachverhalte. Nur bei der Investitionszulage für Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen ist auch eine Erhöhung der Zulagensätze vorgesehen. Von den vorgeschlagenen Verbesserungen sind hier besonders hervorzuheben: die Ausdehnung der erhöhten Absetzung nach § 14 des Berlinförderungsgesetzes auf den Erwerb vonbegünstigten Zwecken dienenden Gebäuden, um die Mobilität insbesondere auch älterer Fabrikgebäude zu verbessern, die Ausdehnung der Abschreibungsvergünstigung auf bestimmte Baumaßnahmen an Gebäuden, die überwiegend der Beherbergung dienen, um zur Erweiterung und Verbesserung der Beherbergungskapazität in Berlin beizutragen, die Erhöhung der Investitionszulage für Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen in Berlin für unbewegliche Wirtschaftsgüter von 10 % auf 15 % und für bewegliche Wirtschaftsgüter von 30 v. H. auf 35 v. H., wobei die letztere Verbesserung entsprechend der für das übrige Bundesgebiet getroffenen Regelung nur für die ersten 500 000 DM der begünstigten Investitionskosten eines jeden Jahres gelten sollen.Aus gesetzesökonomischen Gründen enthalten die Vorschläge der Bundesregierung zur Änderung des Berlinförderungsgesetzes auch Änderungen, durch die die bereits im Zusammenhang mit der Körperschaftsteuerreform angestrebte Neuregelung der Körperschaftsteuerpräferenz für Berlin verwirklicht wird, sowie die Klarstellung zur Arbeitnehmerzulage und Anpassungen an die Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Hinzu kommen einige Änderungen bei den Umsatzsteuerpräferenzen, bei denen einige Korrekturen bei Berliner Erzeugnissen erforderlich geworden sind. Es handelt sich zunächst um Einschränkungen bei den Umsatzsteuerpräferenzen für Tabakwaren, Spirituosen usw. Ich weiß, daß diese Regelung keine ungeteilte Zustimmung findet. Sie stellt jedoch einen vertretbaren Kompromiß zwischen den unterschiedlichen Interessen dar. Auch diese Änderungen des Berlinförderungsgesetzes sind in vollem Umfang mit dem Berliner Senat abgestimmt worden.Die Bundesregierung ist mit dem Berliner Senat der Überzeugung, daß mit den vorgesehenen Änderungen des Berlinförderungsgesetzes ein ausreichender Präferenzvorsprung Berlins gegenüber den übrigen Fördergebieten gewährleistet ist.Hinsichtlich des Zonenrandgebietes hat die Bundesregierung eine Anhebung des Sonderabschreibungssatzes für unbewegliche Wirtschaftsgüter von 30 v. H. auf 40 v. H. vorgeschlagen. Die Verbesserung gleicht die durch die allgemeine Anhebung der degressiven Abschreibung eingetretene Präferenzeinbuße ides Zonenrandgebietes voll aus, zugleich wahrt sie aber auch den erforderlichen Präferenz-abstand gegenüber Berlin.Wie aus den verschiedenen Anträgen der Opposition zu ersehen ist, hält diese die vorgeschlagenen Verbesserungen der regionalen Förderungsmaßnahmen für Berlin und für das Zonenrandgebiet nicht für ausreichend, sondern wünscht eine massive Anhebung dieser Präferenzen, insbesondere für das Zonenrandgebiet. Diesen Forderungen muß jedoch entgegengehalten werden, daß das Ziel der vorgeschlagenen Maßnahmen nur die Aufrechterhaltung eines angemessenen Präferenzgefälles und nicht eine darüber gehende Ausweitung der Präferenzen für Berlin und für das Zonenrandgebiet sein kann. Solche weitergehenden Verbesserungen sind nicht nur wegen der schwierigen Haushaltslage von Bund und Ländern zur Zeit abzulehnen, sie begegnen auch
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7171
Bundesminister Matthöferdeshalb erheblichen Bedenken, weil sie das bewährte Präferenzgefälle zwischen Berlin, dem Zonenrandgebiet, den übrigen Fördergebieten und dem Rest des Bundesgebietes in Frage stellen würden.Die Bundesregierung nimmt ihre gesamtstaatliche Verantwortung ernst, die Wirtschaftskraft und damit die Lebensfähigkeit Berlins zu stärken. Sie nimmt ebenfalls die Aufgabe ernst, Nachteile im Grenzgebiet zur DDR zu überwinden, um auch hier wirtschaftliche Chancen zu wahren. Dies wird aber nicht durch einen sich ständig überbietenden Investitionswettlauf allein erreicht werden können.Die Opposition macht es sich, glaube ich, ein wenig zu leicht,
wenn sie glaubt, sich durch Anträge für noch höhere Investitionssätze, die sie ja bekanntlich mit weniger Steuern und weniger Staat finanzieren will, als Anwalt für Berlin und Zonenrandgebiet bewähren zu können. Es muß möglich sein, auch noch so gut gemeinte Vorschläge für neue Subventionen daraufhin zu überprüfen, ob sie wirklich Aussicht auf nachhaltigen Erfolg bieten. Es muß auch möglich sein, immer wieder zu überprüfen, ob sich Fördertatbestände bewährt haben oder ob sich andere, erfolgversprechende Wege anbieten.Die Bundesregierung wird in diesem Sinne weiterhin sorgfältig mit allen Beteiligten, d. h. insbesondere mit der Wirtschaft selbst, prüfen, wo die besten Ansatzpunkte liegen, um in Berlin und in anderen strukturschwachen Räumen die Wirtschaftskraft lebendig zu erhalten und wettbewerbsfähig zu machen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Warnke.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem Kriege hat es einmal die Geschichte gegeben, daß sich ein Amerikaner, ein Russe und ein Deutscher getroffen haben. Und der Russe sagte zu dem Deutschen: „Der Amerikaner spricht immer von der Kultur, wir sprechen von der Freiheit, und du sprichst immer vom Essen." Da hat der Deutsche geantwortet: „Kein Wunder, jeder spricht von dem, was er nicht hat." Daran habe ich mich erinnert gefühlt, Herr Kollege Huonker, als Sie hier während einer Technologiedebatte die ganze Zeit vom Mittelstand gesprochen haben.
Herr Kollege Huonker, wenn wir hier über verbesserte Förderung von Forschung und Entwicklung sprechen, und Sie strapazieren Senkungen der Gewerbesteuer und Wettbewerbsregelungen, die in diesem Hause vielleicht irgendwann einmal vorgenommen worden sind, dann zeigt sich doch, daß es eben eine Seite gibt, bei der der Mittelstand offensichtlich ein Trauma ist, mit dem man nicht ganz fertig wird, und eine andere Seite dieses Hauses, die dort, wo sie die Verantwortung hat, z. B. in Baden-Württemberg, aber auch in Bayern, jenes Mittelstandsförderungsgesetz verabschiedet hat, das Sie und Ihre Fraktionskollegen hier im Deutschen Bundestag bekämpfen.
Wenn Sie ausgerechnet die Auseinandersetzung um den Entwurf eines Investitionszulagengesetzes benutzen, um denjenigen mittelständischen Unternehmen, die im konzentrierten Angriff von Lohnerhöhungen, ,dem Würgegriff der Hochzinspolitik und von Aktionen wie „Gelber Punkt", gestartet von Ihrer Partei, in den letzten Jahren aufgeben mußten, zu bescheinigen, •
daß sie Fehlmanagement betrieben hätten, dann zeigt das, daß Sie von der Lage des Mittelstands nicht nur nichts wissen, sondern daß Sie für ihn auch kein Herz besitzen.
Sie hätten Gelegenheit gehabt, auch bei diesem Gesetzentwurf Ihr mittelstandspolitisches Engagement unter Beweis zu stellen.Unsere Berliner Kollegen haben beantragt, die Althaussanierung in Berlin mit Hilfe dieses Gesetzes zusätzlich zu fördern.
Sie haben den Antrag niedergestimmt, obwohl es in Ihrer Hand gelegen hätte, keine mittelständischen Parolen zu schwingen, sondern mittelständische Taten zu zeigen.
Aber das war ja nicht das einzige. Wir haben auch im Zusammenhang mit der Regionalzulage einen Antrag eingebracht, der darauf abzielt, daß das Handwerk etwas stärker in die Förderung einbezogen wird — einen Antrag, der nach der Zusammenstellung zumindest der Beamten des Finanzministeriums — der Herr Minister hat es vorgezogen, uns zu verlassen, was ich bedaure; die Beamten haben hierbleiben müssen — den Bund
— die gehobenen Beamten sind selbstverständlich eingeschlossen, Herr Kollege Haehser — ganze 11 Millionen DM an Steuerausfällen im Jahr gekostet hätte. 11 Millionen DM dafür, daß wir die Handwerksunternehmen in den Fördergebieten stärker in die Regionalförderung hätten einbeziehen können! Sie haben den Antrag niedergestimmt, und der Herr Bundesminister der Finanzen hat wiederholt seine Genugtuung zum Ausdruck gebracht, daß das niedergestimmt worden ist. Da können Sie sich doch nicht als die „Champions des Mittelstands" hier im Hause aufspielen. Das sind sie nicht, und das werden Sie auch nie werden.
Metadaten/Kopzeile:
7172 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Dr. WarnkeWas wir mit unserem Gesetzentwurf beabsichtigen, der ja ganz bewußt in einer Aufgabenteilung zu Ihrem eingebracht worden ist,
war, eine dringend notwendige Wiedergutmachungsnovelle für den Flurschaden zu verabschieden, den Sie 1973 in der Regionalpolitik angerichtet haben.
— Zu Ihnen komme ich noch, Herr Kollege Wolfram; ich habe Sie während dieser Debatte sehr aufmerksam beobachtet. — Wir haben Ihnen eine Chance geboten und Ihnen bei der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfes goldene Brücken gebaut.
— Herr Kollege Wehner, als Sie innerdeutscher Minister waren, ist jenes Zonenrandförderungsgesetz konzipiert worden — in Ihrem Haus —, dessen Wirkungen in den letzten Jahren systematisch ausgehöhlt und kaputtgemacht worden sind. Ich hatte mir eigentlich von Ihnen Unterstützung für diesen Gesetzentwurf versprochen
— da lachen einige Ihrer Kollegen, die nicht ganz unterrichtet sind über Ihr Engagement für das Zonenrandgebiet seit dem Jahr 1952; ich habe das mitverfolgt, und ich weiß um Ihr Engagement —, ich hätte eigentlich erwartet, daß Förderungsmaßnahmen, die maßvoll — darauf komme ich gleich noch —, die berechtigt sind und im Grunde nur das wiederherstellen, was es bis 1973 gegeben hat, von der SPD-Fraktion in stärkerem Maße mitgetragen werden, als das der Fall ist.
Ich bedaure, daß den Kollegen aus der SPD die Dinge nicht mit der Klarheit vorgetragen worden sind, wie es notwendig gewesen wäre; denn Sie hätten das Format gehabt, sich gegen einen Bundesfinanzminister durchzusetzen, der heute bewiesen hat, daß er zum Zonenrandgebiet wie zu den übrigen strukturschwachen Gebieten kein Engagement aufbringt.
Aber, meine Damen und Herren, wir haben in den Ausschußberatungen von den Herren des Finanzministeriums erklärt bekommen,
daß Sie 1973 nicht aus konjunkturellen Gründen die Investitionszulage von 10 auf 7,5 % heruntergesetzt hätten, sondern daß das heruntergesetzt worden sei, weil es zuviel Geld gekostet hat, weil Sie der Meinung waren, es würde von der Bundesregierung zuviel für die Arbeitsplätze in den strukturschwachen Gebieten getan und nicht zuwenig, und weil Sie der Meinung waren, man müßte das, was hier zuviel geleistet wird, endlich einmal beschneiden. Sie haben jetzt im Jahr 1978 angesichts einer Million Arbeitsloser — —
— Das scheint Sie alles fürchterlich zu erheitern.
Sie sollten sich einmal die Tatsache überlegen, daß wir heute in den strukturschwachen Gebieten im Gegensatz zu 1973 eine in die vielen Hunderttausende gehende Zahl von Arbeitslosen haben — Ihre Heiterkeit kann das überhaupt nicht stören; das ist mir völlig klar — und daß wir mit diesem Entwurf nur gefordert haben, das wiederherzustellen, was in Zeiten der Hochkonjunktur für die Arbeitsplätze in den strukturschwachen Gebieten getan wurde. Sie haben dazu nein gesagt.
Jetzt will ich Ihnen einmal sagen, wozu Sie in Wirklichkeit nein gesagt haben. Der Herr Matthöfer wird einen Nachtragshaushalt einbringen. Dieser Nachtragshaushalt wird rund 1 Milliarde DM umfassen, etwa 940 Millionen DM nach den Gazettenmeldungen, durch die wir darüber unterrichtet worden sind.
Von diesen 940 Millionen DM gehen 80 % für Kohle und Stahl an die Saar und an die Ruhr, Herr Kollege Wolfram. Wir werden das, so wie wir in der Vergangenheit das mitgetragen haben, was für die Menschen an Ruhr und Saar notwendig war, auch jetzt wieder mittragen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Steger?
Aber sicher.
Herr Kollege Warnke, vielleicht auch zur Erklärungg der Heiterkeit: Stehen Sie zu Ihrer Aussage, die Sie vor etwa vier Wochen vor der List-Gesellschaft in München gemacht haben, wo Sie sich leidenschaftlich gegen die Inflationierung von Fördertatbeständen mittels der Steuergesetzgebung gewandt haben? Stehen Sie zu dieser Aussage oder stehen Sie nicht mehr dazu?
Ich habe mich vor der List-Gesellschaft leidenschaftlich dagegen gewandt, daß die Fördergebiete von derzeit bereits 32% des Gebietes der Bundesrepublik auf demnächst über ein Drittel der gesamten Fläche ausufern. Dazu stehe ich. Dagegen werden wir auch alle miteinander Stellung nehmen.
Worum es jetzt geht, ist, daß wir weniger als ein Zehntel dieses Nachtragshaushaltes, nämlich Gesamtmehrausgaben oder, genauer gesagt, Gesamtsteuermehrausfälle in Höhe von 86 Millionen DM
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7173
Dr. Warnkefür die Erhöhung der Investitionszulage von 7,5 % auf 10 %, d. h. nur für die Wiederherstellung des alten Satzes, gefordert haben. Sie kostet für den Bund — das sind die Zahlen aus der Aufstellung des Finanzministeriums, die ich Ihnen vorlege —75 Millionen DM jährlich, beginnend im Jahre 1979. In diesem Jahr kostet sie überhaupt nichts. Dazu kommen noch einmal 11 Millionen DM für die geringfügige Verbesserung der Mittelstandsförderung. Diese 85 Millionen DM haben Sie uns abgelehnt. Herr Kollege Wolfram, ich habe Sie beobachtet, wie Sie bei der entsprechenden Ausführung des Bundesfinanzministers geklatscht haben.
Ich möchte, daß Sie sich in Zukunft das genauer überlegen: Wenn Sie unsere Solidarität für die Menschen fordern, die Ihnen anvertraut sind, dann haben wir Anspruch auf Ihre Solidarität für die Menschen, die uns anvertraut sind.
Wir sind maßvoll und bescheiden gewesen. Wir sind so bescheiden, daß wir es fast kaum vor unseren Wählern vertreten können. Ich möchte Ihnen eines sagen, meine Damen und Herren insbesondere von der Sozialdemokratischen Partei: Da sitzt der Herr Kollege Kühbacher, ein Mann, den ich fachlich durchaus schätze
und den ich auch menschlich schätze, Herr Kollege Wolfram. Er hat sich im Finanzausschuß der Stimme enthalten. Dadurch sind unsere Anträge abgelehnt worden. Hätte er mit uns gestimmt, wären die Anträge angenommen worden. Herr Kollege Kühbacher, Sie haben vielleicht mathematisch richtig kalkuliert; politisch haben Sie in der Verantwortung vor Ihren Wählern in Ihrem Wahlkreis im Zonenrandgebiet versagt.
Sie haben Ihre Erkenntnis von dem, was notwendig ist, was berechtigt ist und was den Menschen, die Ihnen ihre Stimme gegeben haben, helfen würde, ihr Lebensrecht zu entfalten, dem Fraktionszwang geopfert. Sie haben sich nicht getraut, das an Zivilcourage aufzubringen, was jeder von uns aufbringen sollte, wenn mit dem Lebensrecht der Menschen, die uns mit ihren . Stimmen in dieses Haus gewählt haben, Schlitten gefahren wird. Da muß man auch einmal den Mumm haben, gegen seine eigene Regierung und gegen seinen eigenen Finanzminister zu stimmen.
Meine Damen und Herren, ich sehe hier manchen Kollegen, der aus dem Zonenrandgebiet kommt, und manchen, der aus den strukturschwachen Gebieten kommt. Unser Antrag zielt nicht aufs Zonenrandgebiet, er zielt auf die Gesamtheit der strukturschwachen Gebiete in der Bundesrepublik Deutschland. Überlegen Sie sich, wie Sie abstimmen, obes das wirklich wert ist. Denn man wird Sie und Ihre Parteien an Ihre Stimmabgabe hier und heute erinnern, wenn Sie im Laufe dieses Jahres in Niedersachsen, Hessen und Bayern wieder die Stimmen derjenigen Bürger haben wollen, deren Lebensrecht Sie hier geopfert haben.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kühbacher.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem hier Herr Dr. Warnke mit so viel Moral von dem Lebensrecht der uns anvertrauten Bürger geredet hat, kommen wir zum Investitionszulagengesetz zurück.
Es ist keine umfassende Reform, sondern, wie Sie wissen, ein Stück harter Arbeit im Finanzausschuß.
Vielleicht darf ich ein bißchen daran erinnern, wie es war. Zunächst gab es einen Entwurf zur Änderung bzw. zur Begünstigung der Forschungsförderung der Bundesregierung. Sein Umfang betrug 110 Millionen DM. Das sollten die Steuerausfälle sein. Dann gab es nicht einen parallelen Entwurf, sondern Sie haben sich schlicht und einfach einen Monat später angehängt. Sie sollten sich einmal die Veröffentlichungsdaten der Bundestagsdrucksachen ansehen. Sie haben sich also schlicht und einfach angehängt. Dieses Anhängen — das ist die weitere Frage, die man hier stellen muß — kostet 230 Millionen DM. Nachdem Herr Windelen nicht mehr im Hause ist, frage ich Herrn Haase: Sind denn solche Anträge mit Ihnen und der Haushaltsgruppe abgestimmt? Es sind 230 Millionen DM zusätzlich, während Sie im Haushaltsausschuß mit uns gemeinsam dafür eintreten, daß zusätzliche Investitionen nicht mehr durch Kreditaufnahmen getätigt werden sollten. Auf der anderen Seite wird der Betrag hier aber durch einen anderen Antrag ausgeweitet.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Warnke? — Bitte.
Herr Kollege Kühbacher, sind Sie, nachdem Sie hier von „Anhängen" reden, bereit, zu bestätigen, daß sich die Erhöhung der Sonderabschreibungen von 30 auf 40 % ausschließlich im Entwurf der CDU/CSU befindet und daß, wenn das so ist, die heute für diesen Tatbestand in Anspruch genommenen Lorbeeren des Bundesfinanzministers einen ausgesprochenen Fall von Sich-Anhängen darstellen?
Herr Kollege Dr. Warnke, ich bin bereit, anzuerkennen, daß das in Ihrem Antrag aufgeführt ist. Ich bitte aber, darauf zu sehen, daß im Jahreswirtschaftsbericht ,der Bundesregierung explizit aufgeführt ist, daß diese Bundesregierung
Metadaten/Kopzeile:
7174 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Kühbacherfür das Zonenrandgebiet noch im Jahre 1978 steuerliche Erleichterungen vorsehen wird. Darauf kommt es an. Diese steuerlichen Erleichterungen sind sodann auch im Kabinett beschlossen worden, so wie wir sie heute hier ja wohl insgesamt beschließen werden.Was ,das Sich-Anhängen angeht, so will ich das noch vervollständigen, weil sie hier ja einen Eiertanz aufführen, was das Übertreffen angeht. Angehängt hat sich dann auch ,der Bundesrat in seiner Gegenäußerung. Dieses Anhängen kostet dann nicht mehr 230, sondern 325 Millionen DM zusätzlich, d. h., es wird an Ausgaben immer noch draufgesattelt. Die Frage, wer die staatspolitische Verantwortung für die Gesamtfinanzen zu tragen hat, bleibt außer acht. Dies, meine Damen und Herren, werden wir hier in diesem Hause tun. Wir tragen die Gesamtverantwortung für die Finanzen in diesem Staat.Was die Inflationierung von Anträgen angeht, so möchte ich auf folgendes hinweisen: In Ihrem Antrag gibt es fünf Punkte, die Sie zusätzlich beantragen. Einige Wochen später, in der Beratung des Ausschusses habe ich einen Änderungskatalog, der mittlerweile zwölf Punkte zusätzlich enthielt.
Nachdem wir im Ausschuß sachverständig geredet haben, bleiben heute fünf Punkte auf rotem Papier übrig. Ich frage mich: Ist dieses rote Papier „just for show", Herr Dr. Warnke? Denn Sie schieben ein grünes Papier nach und sagen: Dies ist der letzte Antrag, den wir eigentlich wollen.Nun im Ernst zu Ihrem Appell betreffend Zonenrand: Herr Dr. Warnke, ich befürchte — ich glaube es auch zu wissen —, daß Sie mit Ihrer übertriebenen Forderung, mit dem Immer-Noch-Draufsatteln dem Zonenrand einen Bärendienst erwiesen haben.
Wenn dieser letzte, ernst zu nehmende Antrag, die Investitionszulage nur für das Zonenrandgebiet auszuweiten — ein Antrag, der etwa 60 Millionen DM Steuerausfälle beinhaltet —, diskutiert worden wäre, wenn wir mit dem Finanzminister darüber geredet und gefragt hätten, was effektiver sei, nämlich zusätzliche Sonderabschreibungen oder Investitionszulage, und das mit den Berlinern abgewogen hätten, dann weiß ich das Ergebnis nicht. Aber mit Ihrer maßlosen Forderung
— 230 Millionen DM zusätzlich; Bundesrat 325 Millionen DM — töten Sie jede Diskussionsbereitschaft bei denen, die kooperationswillig sind.Das ist der Punkt, warum wir uns hier streiten: Wir müssen Dinge ablehnen, Herr Dr. Warnke, weil wir nicht wissen, wieviel Sie noch einmal draufsatteln. Aus vier Punkten werden anschließend zwölf, dann fünf Punkte; jetzt ist nur noch ein Punkt übrig. Dies ist die Widersprüchlichkeit in Ihrer Argumentation. Ich behaupte, Herr Dr. Warnke: Mit dieser überzogenen Forderung haben Sie dem Zonenrandgebiet eher geschadet als geholfen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. von Wartenberg?
Ja, gern.
Bitte, Herr von Wartenberg.
Herr Kühbacher, verrate ich ein Geheimnis, wenn ich sage, daß Sie im Ausschuß den ersten Antrag, die Investitionszulage für das gesamte Gebiet zu erhöhen, abgelehnt haben und über den zweiten Antrag, das auf das Zonenrandgebiet zu konzentrieren, sehr positiv gedacht und ihn nicht abgelehnt haben?
Herr Dr. von Wartenberg, Sie verraten gar kein Geheimnis. Ich habe ja soeben versucht, hier auszuführen, daß der letzte Antrag, der hier auf dem grünen Papier vorliegt, durchaus bedenkenswert, diskussionswert gewesen wäre, wäre er von Anfang an vorgelegt worden. Es ist eben eine Frage der Ehrlichkeit, eine Frage des Umgangs miteinander: Erst sind es 230 Millionen DM, jetzt sind es nur noch 60 Millionen DM. Da hätten wir mit dem Finanzminister sachverständig reden können.
— Herr Dr. Warnke, natürlich haben wir die Mehrheit; wir haben auch die Verantwortung. — Und heute kommt dann hier dieser eine Antrag.
— Das ist die Diskussion, die Ihnen nicht schmeckt. Sie sagen, wir hätten uns Ihre Anträge selber einfallen lassen sollen. Das ist das Problem. Ihre Anträge lauten erst einmal so: Im Zonenrandgebiet bekommt jeder etwas; es bekommen alle etwas, 230 Millionen DM. Zum Schluß, wenn man sieht, was machbar ist, wird man dann vorsichtiger. Sie gehen dann nur soweit, wie Sie es selbst wahrscheinlich für verantwortbar halten. Aber erst einmal stellen Sie Anträge für die show, für die Außenwirkung, um das überall zu verkaufen, um uns abzumalen. Im Parlament bleiben Sie dann in der dritten Lesung— wir werden das ja nachher erleben — bei nur 60 Millionen DM.
— Wir hätten ja die Diskussion führen wollen. Herr Dr. von Wartenberg, Sie können es nicht wegwischen, daß dieses Antragspapierchen — erst weiß, dann rot, jetzt grün — for show, just for show ist. Das ist Schaufenstergerede für das Zonenrandgebiet.Meine Damen und Herren, einen weiteren Punkt will ich hier noch ansprechen, weil dies hier er-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7175
Kühbacherwähnt worden ist. Es ist auch ein Antrag just for show: Abschreibungsgesellschaften in Berlin. Herr Wohlrabe hat hier freundlicherweise danach gefragt. Ich habe gesehen, daß die Fraktion der CDU/ CSU zu guter Letzt diesen Antrag betreffs Abschreibungsgesellschaften in Berlin gar nicht mehr übernimmt. Auch das ist ein Schau-Antrag gewesen, der nur dokumentiert, daß erst einmal Unmögliches verlangt — in Berlin versprochen — und, dann hier nicht durchgesetzt wird. Wahrscheinlich hat Herr Wohlrabe dies in Berlin längst verkauft, wie man sich denn das vorstelle. Doch Ihre eigene Fraktion übernimmt das nicht mehr. Es muß aufhören, daß wir unseren Bürgern im Lande, in unseren Wahlkreisen bestimmte Dinge versprechen, die wir hier im Parlament nicht verantworten wollen und können.
Meine Damen und Herren, dieser endgültige, im Finanzausschuß erarbeitete Entwurf enthält drei wesentliche Komponenten: Forschungsförderung mit 110 Millionen DM Steuermindereinnahmen, Zonenrandförderung mit 50 Millionen DM Steuermindereinnahmen, Berlin-Förderung mit 25 Millionen DM Steuermindereinnahmen. Ich meine, dies ist ein vernünftiger Weg, Investitionsanreize zu schaffen auf von uns gewünschten Gebieten. Wir werden ja nach gut einem Jahr im Subventionsbericht lesen können, inwieweit wir tatsächlich eine effiziente Wirkung erzielt haben.Ich denke, dieses ist kein Reformwerk; dies ist ein harter Arbeitssieg. Ich bitte Sie — jedenfalls unsere Seite —um Zustimmung für dieses Gesetz.
Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe Art. 1 Nr. 01 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/1790 unter Ziffer 1 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Das Wort wird dazu nicht begehrt.Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU auf Drucksache 8/1790 unter Ziffer 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Wer der aufgerufenen Bestimmung in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 1 a Doppelbuchstabe aa auf. Wer der aufgerufenen Bestimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich rufe Art. 1 Nr. 1 a Doppelbuchstabe bb auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/1790 unter Ziffer 2 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer der Ziffer 2 des Änderungsantrags auf Drucksache 8/1790 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Wer Art. 1 Nr. 1 a Doppelbuchstabe bb in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich rufe Art. 1 Nr. 1 a Doppelbuchstabe cc auf. Wer der aufgerufenen Bestimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich rufe Ziffer 3 des Änderungsantrags der Fraktion, der CDU/CSU auf Drucksache 8/1790 auf. Es wird beantragt, in Art. 1 Nr. 1 a hinter dem Doppelbuchstaben cc einen Doppelbuchstaben cc i einzufügen. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Ich rufe jetzt Art. 1 Nr. 1 a Doppelbuchstabe dd, Nr. 1 b und Nr. 2 auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe Art. 1 Nr. 3 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/1790 unter Ziffer 4 ein Änderungsantrag der CDU/CSU vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen.— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Wer Art. 1 Nr. 3 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen.— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich rufe Art. 1 Nr. 4 auf. Hierzu liegt ebenfalls ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/1790 unter Ziffer 5 vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Abgelehnt.Wer Art. 1 Nr. 4 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen.— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich rufe Art. 1 Nr. 4 a und Nr. 5, Art. 1 a, Art. 1 b, Art. 2 und Art. 3 in der Ausschußfassung sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein.Zu Art. 1 Nr. 01 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/1791 vor.
Metadaten/Kopzeile:
7176 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Vizepräsident Frau RengerDas Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke schön. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist angenommen.Es liegt noch eine weitere Beschlußempfehlung des Ausschusses vor. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/1765 unter Nr. 2, den Gesetzentwurf auf Drucksache 8/1527 — das ist Ihr Gesetzentwurf — für erledigt zu erklären. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit so beschlossen.Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll vom 15. Dezember 1975 zum Protokoll vom 13. April 1962 über die Gründung Europäischer Schulen— Drucksache 8/1399 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/1722 — Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Bußmannb) Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses
— Drucksache 8/1721 —Berichterstatter:Abgeordneter Klein (Erste Beratung 72. Sitzung)Das Wort in zweiter Beratung wird nicht begehrt. Ich rufe Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer diesem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Statistik des Warenverkehrs mit der Deutschen Demokratischen Republik und Berlin
— Drucksache 8/1488 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 8/1777 —Berichterstatter: Abgeordneter Männing
Der Berichterstatter wünscht nicht das Wort.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Das Wort wird nicht begehrt. Ich rufe §§ 1 bis 6, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig in zweiter Beratung angenommen.Wir kommen zurdritten Beratung.Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieses Gesetz ist einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Straßmeir, Dreyer, Feinendegen, Hanz, Frau Hoffmann (Hoya), Dr. Jobst, Lemmrich, Milz, Pfeffermann, Sick, Tillmann, Dr. Waffenschmidt, Weber (Heidelberg), Ziegler und der Fraktion der CDU/CSUMehrfachtäter-Punktsystem für Kraftfahrer gem. Allgemeine Verwaltungsvorschrift zu § 15 b der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnund vom 3. Januar 1974— Drucksachen 8/1122, 8/1653 — Berichterstatter:Abgeordneter DaubertshäuserDer Berichterstatter wünscht nicht das Wort.Ich eröffne die Aussprache. — In der Aussprache wird das Wort nicht erbeten. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 8/1653 zuzustimmen .wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Dem Ausschußantrag ist entsprochen worden. Ich danke Ihnen.Ich rufe nunmehr Punkt 11 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Umsatzsteuergesetzes
— Drucksache 8/1779 —Überweisqngsvorschlag des Ältestenrates:Finanzausschuß
Ausschuß für WirtschaftHaushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOWird hierzu das Wort gewünscht? — Bitte schön, zur Einbringung Herr Bundesminister Matthöfer.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf eines neuen Umsatzsteuergesetzes soll das geltende deutsche Umsatzsteuerrecht an die vom Rat der Europäischen Gemeinschaften am 17. Mai 1977 beschlossene
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7177
Bundesminister Matthöfer6. Richtlinie zur Harmonisierung der Umsatzsteuern der Mitgliedstaaten angleichen.Die Ratsentscheidung geht auf den Beschluß des Rates von April 1970 zurück, nach dem sich die Europäischen Gemeinschaften künftig aus eigenen Einnahmen finanzieren sollen. Zu diesen eigenen Einnahmen sollen nach dem Willen des Rates neben den Einnahmen aus den Zöllen und Abschöpfungen bei Drittlandseinfuhren insbesondere auch eigene Einnahmen aus der Mehrwertsteuer zählen. Solche eigenen Einnahmen aus der Mehrwertsteuer der Mitgliedstaaten können für die Europäischen Gemeinschaften in gerechter Weise nur dann erhoben werden, wenn die Regeln des materiellen Rechts und wesentliche Regeln des formellen Rechts über die Abgabe von Steuererklärungen und ,die Zahlungen der Steuerschuld hinsichtlich dieser Steuer — nicht gerechnet die Steuersätze — harmonisiert sind.Diese Harmonisierung der Umsatzsteuern der neun Mitgliedstaaten ist nach langjährigen und zum Teil schwierigen Verhandlungen durch die erwähnte Ratsentscheidung in Gestalt der 6. Richtlinie erfolgt. Diese Richtlinie schafft die Grundlage für eigene Einnahmen der Europäischen Gemeinschaften aus der Mehrwertsteuer. Sie führt damit aber zugleich auch die Harmonisierung der Umsatzsteuer so entscheidend weiter, daß sich Vergleichbares weder in den Europäischen Gemeinschaften noch sonstwo in einer internationalen Einrichtung finden läßt. Es handelt sich um einen bedeutsamen Schritt vorwärts auf dem Wege zu einer europäischen Wirtschaftsunion.Am 11. April 1967 legte der Rat mit der Verabschiedung der ersten beiden Richtlinien über die Harmonisierung der Umsatzsteuern die Grundlagen für ein einheitliches Umsatzsteuersystem im Gemeinsamen Markt in Form der Mehrwertsteuer mit Vorsteuerabzug, wie wir sie heute praktizieren.Mit der Verabschiedung der 6. Richtlinie vom 17. Mai 1977 sind die Gemeinschaften in der Harmonisierung der Umsatzsteuern so weit fortgeschritten, daß es nur noch einer Harmonisierung der Steuersätze bedarf, um dieses ehrgeizige Ziel im Bereich des Steuerrechts zu erreichen, wobei ich freilich hinzufügen muß, daß dieser letzte Schritt gewiß auch der schwierigste sein wird.Mit dem Ergebnis der Beratungen können wir, was unsere eigenen Interessen angeht, zufrieden sein. Der Bundesregierung ist es gelungen, alle aus deutscher Sicht wesentlichen Anliegen, wie sie auch Bundestag und Bundesrat in ihren Stellungnahmen formulierten, durchzusetzen. Daher wird die Anpassung unseres nationalen Rechts an die 6. Richtlinie den wesentlichen Gehalt unseres geltenden Gesetzes nicht verändern. So haben wir insbesondere den Bereich unserer Steuerbefreiungen auf sozialem und kulturellem Gebiet erhalten können. Es ist darüber hinaus gelungen, national seit langem angestrebte Steuerbefreiungen zum Gemeinschaftsrecht werden zu lassen, so z. B. die Steuerfreiheit für Krankentransporte sowie für Investmentanteile. Es ist auch auf ,die deutsche Verhandlungsführung zurückzuführen, daß es künftig bei der Nichtbesteuerung der Rundfunk- und Fernsehanstalten bleibt und daß wirunsere Optionsvorschrift sowie das Institut der Organschaft, die Pauschalierung der Land- und Forstwirtschaft sowie die Sonderregelung für die Freihäfen — wenn auch mit dem Zwang zur Besteuerung des öffentlichen und des privaten Letztverbrauchs — beibehalten können.Es ist auch ein Erfolg, daß es gelungen ist, für die umsatzsteuerliche Berlinförderung bei den Beratungen über die 6. Richtlinie eine klare Rechtsposition im Hinblick auf die steuerlichen Gemeinschaftsvorschriften zu schaffen, an der es bisher fehlte.Selbstverständlich hat die Bundesregierung im Interesse der europäischen Lösung auch Kompromisse schließen müssen. So haben wir der Mehrheit, wie z. B. bei der Besteuerung der Fernmeldedienstleistungen der Bundespost und der Besteuerung der Lieferung von Neubauten und Baugrundstücken durch Unternehmer, nachgeben müssen. Diese Kompromisse sind tragbar, weil die Änderungen unseres Rechts erst nach Ablauf einer Übergangszeit zwingend werden, die mindestens fünf Jahre dauert und nur mit unserer Zustimmung enden kann.Als Schwerpunkte des neuen Umsatzsteuerrechts möchte ich hervorheben:1. Unternehmer mit niedrigem Gesamtumsatz, sogenannte Kleinunternehmer, fallen künftig stets unter die Mehrwertsteuer, wenn ihr Gesamtumsatz im laufenden Kalenderjahr 18 000 DM übersteigt. Damit läuft die gegenwärtige Sonderbesteuerung für Kleinunternehmer mit einem Vorjahresgesamtumsatz zwischen 12 000 und 60 000 DM, welche die alte Bruttoumsatzsteuer in diesem Bereich zum Teil noch erhalten hat, aus.Die Neuregelung ergibt sich zwingend aus der 6. Richtlinie und aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das diese Sonderbesteuerung wegen ihrer zum Teil wettbewerbsverzerrenden Wirkungen im Hinblick auf die der Normalbesteuerung unterliegenden Unternehmer nur als Übergangslösung hinzunehmen bereit war. Der Regierungsentwurf sieht für Unternehmer mit einem Gesamtumsatz im laufenden Kalenderjahr zwischen 18 000 und 50 000 DM eine Milderung der Steuerlast durch Gewährung einer Steuerermäßigung vor, die bei 80 % der Steuerzahllast ibeginnt und mit Erreichung der Umsatzgrenze ausläuft. Darüber hinaus wird den Kleinunternehmern zur Erleichterung ihrer steuerlichen Pflichten ein umfassendes System von Vorsteuerpauschalierungen angeboten werden.2. Die zahntechnischen Leistungen der Zahntechniker unterliegen künftig ebenso wie die Leistungen der Zahnärzte, die Zahnprothesen und kieferorthopädische Apparate im eigenen Labor herstellen oder herstellen lassen, einheitlich dem ermäßigten Steuersatz. Das Umsatzsteueraufkommen mindert sich durch diese um der Wettbewerbsneutralität der Umsatzsteuer willen notwendige Maßnahme immerhin um rund 250 Millionen DM.3. Die Steuerbefreiung für private Altenheime, Altenwohnheime und Altenpflegeheime wird wesentlich erweitert.
Metadaten/Kopzeile:
7178 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Bundesminister Matthöfer4. Anzahlungen müssen künftig bei der sogenannten Sollversteuerung der Steuer unterworfen werden. Das ist durch die 6. Richtlinie zwingend vorgeschrieben und führt nicht etwa zu einer steuerlichen Mehrbelastung, wohl aber bei privaten Auftraggebern und bei Aufträgen der öffentlichen Hand zu einer vorgezogenen Steuerentrichtung. Diese Regelung gilt nach dem Regierungsentwurf nicht für Anzahlungen, die auf Verträgen beruhen, die vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes abgeschlossen wurden. Sie gilt zur Vermeidung eines unangemessenen technischen Aufwandes der Unternehmer ferner nicht für Anzahlungen, die unter 10 000 DM liegen.Mit dieser Einschränkung halten sich die durch die 6. Richtlinie vorgesehenen Neuregelungen in einem vertretbaren Rahmen.Der Ort der Besteuerung einer Dienstleistung ist in der 6. Richtlinie festgelegt, um in der Gemeinschaft sicherzustellen, daß diese Leistungen weder doppelt besteuert werden noch unbesteuert bleiben. Es handelt sich hier uni ein Rechtsgebiet, dessen Harmonisierung besondere Schwierigkeiten bereitete und das allen Mitgliedstaaten wesentliche Rechtsänderungen abverlangt.Darüber hinaus bringt der Gesetzentwurf auf Grund der 6. Richtlinie eine große Zahl von Rechtsänderungen, auf die die Wirtschaft, Rechtsberater und Steuerverwaltung sich neu einstellen müssen.Daher ist es dringend notwendig, daß dieses Gesetz noch vor der Sommerpause dieses Jahres verabschiedet wird; denn das neue Gesetz muß am 1. Januar 1979 in Kraft treten. Die 6. Richtlinie sieht an sich den 1. Januar 1978 als spätesten Zeitpunkt des Inkrafttretens vor. Diese Frist war jedoch so knapp bemessen, daß nur zwei Mitgliedstaaten sie wahren konnten. Es ist dringend geboten, daß die restlichen sieben Staaten spätestens bis zum 1. Januar 1979 die Umstellung ihres nationalen Rechts vollziehen, damit endlich die Finanzierung der Gemeinschaften auch aus der Mehrwertsteuer wirksam werden kann.Die sich aus dieser Zwangslage ergebende Zeit für die parlamentarische Beratung ist kurz. Sie ist so kurz, daß sich dieser Gesetzentwurf auf das Notwendigste beschränken muß, nämlich auf die Umstellung unseres Rechts auf die 6. Richtlinie. Daneben hat die Bundesregierung dem Gesetzgeber vorgeschlagen, nur noch einige dringende Fragen der Wettbewerbsneutralität zu regeln sowie die Verwaltungsvereinfachungen in das Gesetz zu übernehmen, die seit Einführung der Mehrwertsteuer bereits bestehen. Ich möchte Sie sehr dringend und herzlich bitten, dieser Konzeption zu folgen, um einerseits unsere europäischen Verpflichtungen zu erfüllen und andererseits Wirtschaft, Rechtsberatern und Steuerverwaltung Zeit zur Umstellung auf das neue Recht zu gewähren.Der zeitliche Druck zur Durchführung der Harmonisierungsrichtlinie läßt es nicht zu, in diesem Gesetz Anliegen zu berücksichtigen, die aus anderen Gründen durchaus berechtigt erscheinen mögen. Solche Anliegen müssen im anderen Zusammenhang aufgegriffen werden, nicht hier. Es wäre nicht angemessen, aus der großen Zahl von Anträgen auf Änderung des Umsatzsteuergesetzes, die mit der Umstellung auf die 6. Richtlinie nichts zu tun haben, den einen oder anderen zu berücksichtigen, ohne sie alle gründlich zu prüfen. Das erlaubt unsere Zeit aber nicht.Ich bedaure, daß sich der Bundesrat in seiner Stellungnahme zur Regierungsvorlage dieser Konzeption nicht hat anschließen können. Keiner seiner Anträge, denen die Bundesregierung an sich sachlich sogar zustimmen könnte, ist so dringend, daß die Neuregelung unbedingt noch in dieses Gesetz aufgenommen werden müßte. Die Unausgewogenheit bei der Berücksichtigung solcher Anträge läge darin, daß man hieraus einen Anspruch herleiten könnte, in diesem Gesetzgebungsverfahren andere Anliegen zumindest eingehend zu prüfen. Eine Reihe von Anträgen des Bundesrates sind allerdings schon sachlich nicht berechtigt. Ich darf auf die Ihnen vorliegende Stellungnahme der Bundesregierung verweisen und nur zwei Punkte hervorheben.Erstens. Die von der Bundesregierung vorgesehene Neuregelung der Steuerbefreiung für private Altenheime, Altenwohnheime und Altenpflegeheime ist großzügig und voll ausreichend. Der Vorschlag des Bundesrates führt im Ergebnis zu einer Befreiung aller privaten Einrichtungen dieser Art. Damit ginge diese Befreiungsvorschrift weiter als die für private Krankenanstalten. Ich halte einen solchen Vorschlag nicht für vertretbar.Zweitens. Ein ermäßigter Steuersatz für Bergbahnen, Skilifte, Sessellifte usw., wie ihn der Bundesrat wünscht, kann von der Bundesregierung jetzt nicht befürwortet werden. Hier geht es um eine Begünstigung von Einrichtungen, die ganz überwiegend dem Tourismus dienen. Es gibt lebensnotwendigere Dinge, die bei dieser Steuer, die der letzte Verbraucher zu tragen hat, dem normalen Steuersatz unterliegen.Ich darf zum Schluß noch einmal die Bitte an den Deutschen Bundestag richten, dieses Gesetz noch vor der Sommerpause zu verabschieden, damit wir internationale Schwierigkeiten mit den Europäischen Gemeinschaften vermeiden und Wirtschaftsberatern und Steuerverwaltungen eine angemessene Umstellung auf die neue und zum Teil recht schwierige Rechtsmaterie ermöglichen können.
Damit
hat die Bundesregierung den Entwurf eines Umsatzsteuergesetzes eingebracht. Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Meyer zu Bentrup.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur ersten Beratung liegt Ihnen heute der Entwurf eines Umsatzsteuergesetzes 1979 vor. Er sieht die Anpassung unseres deutschen Umsatzsteuerrechts an die 6. EG- Richtlinie zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern vor.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7179
Dr. Meyer zu BentrupAufgabe dieser 6. Richtlinie ist es, eine gemeinsame Bemessungsgrundlage in ,den neun Partnerländern zu schaffen, auf der eigene Einnahmen aus der Umsatzsteuer erhoben werden. Zur Zeit werden die europäischen Institutionen aus nationalen Beiträgen und aus Abgaben finanziert. Jetzt soll die Finanzierung also aus eigenen Mehrwertsteuereinnahmen geschehen.Meine Fraktion begrüßt die Schritte auf dem Weg zur Harmonisierung, auch wenn wir die Schwierigkeiten nicht verkennen, die auf diesem Wege entstehen. Dieser Gesetzentwurf, den uns die Bundesregierung vorgelegt hat, wird neue steuerliche Belastungen zur Folge haben und darüber hinaus vor allem zu verwaltungstechnischen und zu bürokratischen Mehrkosten führen.Unser nationales Umsatzsteuersystem gilt heute schon als ein abschreckendes Beispiel für Bürokratismus; denn der Steuerzahler muß sich heute schon mit rund 3 000 Verwaltungsvorschriften bei der Umsatzsteuer vertraut machen.Die immer wieder auch hier im Hause geäußerte Absicht, die Umsatzsteuer zu vereinfachen — die Umsatzsteuer liefert ca. 72 Milliarden DM von den insgesamt 312 Milliarden DM Steuereinnahmen im Jahre 1978 —, bleibt auch diesmal wieder auf der Strecke. Um die Harmonisierung der verschiedenen nationalen Regelungen zu erreichen, bedarf es im Gegenteil einer Fülle von Neuerungen und gesetzlichen Differenzierungen. Ich möchte dazu zwei Beispiele als Stilblüten anführen.Es war schon bisher in unserem heutigen Umsatzsteuerrecht schwierig, eine klare Formulierung für den Vorsteuerabzug zu finden. Nun heißt es in § 15 Abs. 2 Nr. 2 des vorgelegten Gesetzentwurfes:Vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist die Steuer für die Lieferungen und die Einfuhr von Gegenständen sowie für die sonstigen Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung folgender Umsätze verwendet:2. Umsätze im Ausland, die steuerfrei wären,wenn sie im Inland ausgeführt würden;So weit dieses Zitat. Hinter jeder unverständlichen Regelung — davon gibt es sehr viele — muß man im Detail vermuten, daß sich die EG-RichtlinienSchöpfer eine neue Steuerquelle für Europa eröffnen wollen,Ich zitiere eine zweite, ich würde sagen: politisch vielleicht gewollte Definition, den Inlandsbegriff, der hier angesprochen ist, aber völlig unklar bleibt. In § 1 Abs. 2 des Regierungsentwurfes heißt es:Unter Inland im Sinne dieses Gesetzes ist der Geltungsbereich des Gesetzes mit Ausnahme der Zollausschlüsse und der Zollfreigebiete zu verstehen. Ausland im Sinne dieses Gesetzes ist das Gebiet, das nicht Inland ist und nicht zur Deutschen Demokratischen Republik und Berlin gehört.Meine Damen und Herren, hier wird von ,der Bundesregierung das Gebiet der DDR und Berlin
als ein Tertium betrachtet, denn es gehört wederzum Inland noch zum Ausland. Die Gebiete jenseits von Oder und Neiße werden sogar als Ausland dargestellt. Ich frage hier: Warum übernimmt die Bundesregierung nicht die eindeutige und verfassungsrechtlich unbedenkliche Formulierung aus dem geltenden Umsatzsteuerrecht, in dem es heißt:Unter Inland im Sinne dieses Gesetzes ist das Gebiet des Deutschen Reiches in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 zu verstehen. Ausland im Sinne dieses Gesetzes ist das Gebiet, das danach nicht Inland ist.Meine Damen und Herren, hier geht es also nicht nur um eine sprachlich-begriffliche Verwirrung, ich würde sagen, hier geht es auch um eine politische Verirrung, die wir nicht mitmachen. Denn dieser Inlandsbegriff ist auch steuersystematisch problematisch, und er wird auch zu finanziellen Auswirkungen führen, die wir bei der Behandlung des innerdeutschen Waren- und Dienstleistungsverkehrs nicht wollen.Zu den wesentlichen Änderungen möchte ich nur zwei Beispiele herausstellen. So heißt es in § 19 zur Besteuerung der Kleinunternehmer, die Sie soeben, Herr Minister, angesprochen haben, daß für die Kleinunternehmen mit einem Jahresumsatz von 18 000 DM das System der Mehrwertsteuer angewandt werden muß. Nur, wir sind uns klar darüber, daß besonders für die kleineren und lohnintensiven Betriebe, die bei ihrer hohen Wertschöpfung nur eine geringe Steuerbelastung tragen, der Fortfall dieser Steuervergünstigung dann zu einer größeren Einnahmenminderung führt.Eine zweite Änderung: Die 6. Richtlinie schreibt, ausdrücklich vor, daß Vorauszahlungen ab 10 000 DM für noch nicht ausgeführte Leistungen bereits zu versteuern sind, wenn sie beim Unternehmen eingehen. Diese Neuregelung in § 13 wird in der Praxis dazu führen, daß enorme Mehrarbeiten geleistet werden müssen und daß diese Mehrfacharbeit auch zu höheren Kosten und Belastungen für die verwaltungsmäßige Abwicklung der Rechnungslegung führen wird.Meine Damen und Herren, die Vielzahl von Vorschlägen, von Anregungen und Forderungen, die schon jetzt von Verbänden, Vereinigungen und Kammern vorgetragen wurden, werden wir im einzelnen noch näher und genauer prüfen. Meine Fraktion hat zu diesem Gesetz eine Anhörung beantragt. Sie wird die dort geäußerten Verbesserungen und konstruktiven Vorschläge im einzelnen wohlwollend prüfen und gegebenenfalls aufnehmen.In diesem Zusammenhang werden wir uns bemühen, für das steuerlich wohl schwerwiegendste und gewichtigste Anliegen, das wir seit Jahren vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband immer wieder vorgetragen bekommen, nämlich die Beseitigung der Ausnahmeregelung in § 12, die den Verzehr an Ort und Stelle vom ermäßigten Mehrwertsteuersatz ausschließt, eine Lösung zu finden.Im Rahmen dieser Beratung werden wir auch das Problem der umsatzsteuerlichen Behandlung gebrauchter Kraftfahrzeuge ansprechen, weil es thema-
Metadaten/Kopzeile:
7180 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Dr. Meyer zu Bentruptisch in diesen Gesamtkomplex hineingehört, auch wenn es konkret erst in der 7. Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Umsatzsteuern behandelt wird.Grundsätzlich und abschließend wird man zu dem Entwurf sagen müssen, daß uns die gegenwärtig' beängstigende Finanzlage, in die uns die Koalition gebracht hat, nicht den Handlungsspielraum eröffnet, den wir brauchten, um steuerliche Entscheidungen treffen zu können und damit berechtigte Anliegen in einem sinnvollen Ausmaß zu verwirklichen.
Das
Wort hat der Herr Abgeordnete Kühbacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich hatte ich eine Rede zu dieser schwierigen Materie vorbereitet. Aber wegen der fortgeschrittenen Zeit fasse ich mich ganz kurz.
Wir sind auf Grund der EG-Richtlinie gezwungen — das wußten wir hier in diesem Hause —, unser nationales Recht an die europäischen Richtlinien anzupassen. Die SPD begrüßt diesen Gesetzentwurf. Wir werden ihn mit großer Sorgfalt beraten.
Einen Hinweis in Richtung Regierungsbank muß ich allerdings geben. Seit gut einem Jahr befindet sich dieses schwierige Gesetz, nachdem die Richtlinie in ihren Strukturen zu erkennen war, in der Beratung des Finanzministeriums. Herr Minister, Sie werden dem Parlament gestatten, daß es mit der nötigen Sorgfalt alle Details, die vorgetragen werden, prüft. Es wird für den Finanzausschuß eine ungeheure Kraftanstrengung bedeuten, dieses Gesetz, wie Sie es wünschen, vor der Sommerpause zu verabschieden. Der Finanzausschuß ist dabei auf gute Zusammenarbeit angewiesen. Sie haben ja soeben schon hören können, mit welchen Detailfragen die Opposition in diesem Hause in das Gesetz einsteigen will.
Ich denke, wir werden in guter Zusammenarbeit an dieses Gesetz herangehen. Ich hoffe, daß wir uns in bezug auf die Zeit nicht zu viel vorgenommen haben. Dieses Gesetz wird die Wirtschaft, was die Umsetzung angeht, nicht unerheblich belasten. Auch aus diesem Grunde müssen wir sorgsam vorgehen, weil das Gesetz danach nicht so schnell wieder geändert werden sollte.
Ich versichere für die SPD-Fraktion, daß wir mit Fleiß und Akribie an das Gesetz herangehen werden, um eine notwendigen Beitrag für die Wirtschaft, aber auch für Europa zu leisten.
Das
Wort hat der Herr Abgeordnete Cronenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP-Fraktion begrüßt den vorliegenden Entwurf zur Neufassung des Umsatzsteuergesetzes als einen wichtigen Schritt zur Angleichung der umsatzsteuerlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften innerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft. Mit diesem Entwurf sollen die am 17. Mai 1977 vom Rat der Europäischen Gemeinschaft beschlossenen Vorschriften einer 6. Richtlinie zur Harmonisierung der Umsatzsteuern in das nationale Umsatzsteuerrecht übergeführt werden. Nachdem die Partnerländer in der Europäischen Gemeinschaft auf Grund der ersten beiden Umsatzsteuerrichtlinien aus dem Jahre 1967 das System der Mehrwertsteuer unter Beachtung gleichmäßiger Grundstrukturen eingeführt haben, sollen mit der Verwirklichung der 6. Richtlinie die Rechts- und Verwaltungsvorschriften bis ins einzelne vereinheitlicht werden. Dies ist in den Augen der FDP-Fraktion ein bedeutungsvoller Schritt auf dem Wege zur angestrebten Aufhebung der innergemeinschaftlichen Steuergrenzen.Zur vollständigen Umsatzsteuerharmonisierung verbleibt aber im wesentlichen noch das Hauptproblem, die Angleichung der Mehrwertsteuersätze. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang für meine Fraktion noch einmal betonen, daß wir langfristig die Anhebung der Mehrwertsteuer für unvermeidlich halten. Lassen Sie mich aber hier auch in Erinnerung rufen, daß wir außerordentlich großen Wert darauf legen, daß in diesem Zusammenhang die Fragen der Gewerbesteuer erneut diskutiert werden; denn wir sind zutiefst davon überzeugt, daß es sich hierbei um eine im innereuropäischen Bereich wettbewerbsverzerrende Steuer handelt, und wir sind zutiefst davon überzeugt, daß nur über eine systematische und langsame Anhebung der Mehrwertsteuer das notwendige Finanzvolumen geschaffen wird, um die Gewerbesteuer abschaffen zu können und somit die notwendige Wettbewerbsgleichheit und Chancengleichheit der Industrie innerhalb Europas herzustellen.Das große Ziel eines einheitlichen und geschlossenen europäischen Wirtschaftsgebietes durch die Bildung der Wirtschafts- und Währungsunion kann nur in vielen kleinen Einzelschritten erfolgen, wobei die unterschiedlichen wirtschaftlichen Voraussetzungen in den verschiedenen Ländern allmählich einander angepaßt werden müssen. Die Harmonisierung der Steuersysteme und Steuersätze ist eine wichtige Voraussetzung zur Erreichung dieses Zieles.Darüber hinaus bildet diese Richtlinie die Grundlage für die volle Verwirklichung des Finanzierungssystems der EG, indem sie die Bemessungsgrundlage für die eigenen Einnahmen der Gemeinschaft eben aus der Mehrwertsteuer festlegt. Auch damit wird diegroße europapolitische Bedeutung dieses Gesetzes unterstrichen.Nachdem das Gesetz genau ein Jahr nach Verabschiedung der 6. Umsatzsteuerrichtlinie durch den Rat der Europäischen Gemeinschaft in den Bundestag eingebracht wird, sollen nunmehr die Beratungen aufgenommen und durchgeführt werden. Mein verehrter Vorredner hat hier schon einige, wie ich meine, richtige Ausführungen gemacht. Die Verabschiedung vor der Sommerpause sollte möglich sein, denn dies ist die Voraussetzung dafür, daß das Gesetz am 1. Januar in Kraft treten kann. Aber Unternehmer, Berater und Verwaltung benötigen minde-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7181
Cronenbergstens ein halbes Jahr, um sich auf diese einzelnen neuen Vorschriften überhaupt einstellen zu können. Die EDV-Programme müssen geändert und organisatorische Voraussetzungen geschaffen Werden.Verehrter Herr Minister, ich ,darf mir hier den kritischen Hinweis erlauben, daß es in Anbetracht der umfangreichen Problematik dieses Gesetzentwurfs eine starke Beanspruchung ,des Finanzausschusses bedeutet, innerhalb von nur vier Wochen diese Beratungen sachgerecht und sorgfältig durchzuführen, nachdem die Regierung für ihre eigenen Vorbereitungen genügend Zeit in Anspruch genommen hat. Ich möchte sehr nachhaltig an den Bundesfinanzminister appellieren, doch in Zukunft dafür Sorge zu tragen, daß die Beratungszeit für das Parlament und für die Ausschüsse in genügendem Umfang zur Verfügung steht.Auf der anderen Seite möchte ich aber trotzdem auch lobend hier erwähnen, daß die Bundesregierung bei ihren Verhandlungen in Vorbereitung der Umsatzsteuerrichtlinien in den einzelnen Bereichen der Umsatzsteuer sich mit ihrer Argumentation in Brüssel hat durchsetzen können. Das war sicher eine schwierige Aufgabe, die viel Verhandlungsgeschicks und Überzeugungskraft bedurfte.Ich möchte einige Punkte erwähnen, in denen die Bundesregierung die Wünsche anderer Staaten bzw. die Wünsche der Kommission abwehren konnte, die von der deutschen Seite als nicht sachdienlich ange- sehen wurden. Besonders wichtig erscheint es mir, daß wir unsere Befreiungsvorschriften mit ganz wenigen Ausnahmen haben durchsetzen können. Im Zusammenhang damit ist es gelungen, eine Befreiung für die Kapitalanlagengesellschaften und Investmentgesellschaften neu einzuführen. Dies war ein ausdrücklicher Wunsch Ides Finanzausschusses. Auch die Steuerbefreiung für private Krankentransporte, die bisher gegenüber der öffentlichen Hand und dem Roten Kreuz benachteiligt waren, konnte in den Verhandlungen durchgesetzt werden. Gleichfalls konnte die Befreiung der Bank- und Finanzumsätze, wie es im deutschen Steuerrecht üblich ist, auf das europäische Recht übertragen werden. Ebenso bleibt es bei der Nichtbesteuerung der Rundfunk- und Fernsehanstalten.Hervorzuheben ist weiterhin, daß die im deutschen Recht übliche Steuerbefreiung auf sozialem und kulturellem Gebiet sowie in der Jugendfürsorge gegen Widerstände aus anderen Ländern erhalten werden konnte.Die Absicherung der umsatzsteuerlichen BerlinFörderung scheint mir in diesem Zusammenhang einer besonderen Erwähnung wert. Außerdem muß auch sehr deutlich gemacht werden, daß die Sonderregelungen mit der DDR fortgeführt werden können. Jeder weiß, daß dies im europäischen Bereich nicht ganz einfach durchzusetzen war.Die FDP begrüßt darüber hinaus, daß für die Bereiche, in denen sich die Bundesregierung nicht voll durchsetzen konnte, lange Übergangszeiten durchgesetzt wurden.Lassen Sie mich noch einige wenige Bemerkungen zu einigen materiellen Änderungen des Umsatzsteuerrechts machen. Die Kleinbetriebsregelung des geltenden Umsatzsteuerrechts konnte leider nicht aufrechterhalten werden. Diese Regelung für Kleinunternehmer war bei Einführung der Mehrwertsteuer in der Zeit der Großen Koalition auf Antrag der FDP-Fraktion durchgesetzt worden, um den kleinen Unternehmen einen erleichterten Übergang in das damals neue Mehrwertsteuersystem zu ermöglichen. In der Zwischenzeit ist durch das Anwachsen der Umsätze, aber auch durch die Optionsmöglichkeit, die in großem Umfang wahrgenommen worden ist, erreicht worden, daß auch in diesen Bereichen das normale Mehrwertsteuersystem weitestgehend praktiziert wird. Die FDP begrüßt daher den Vorschlag der Bundesregierung, die kleineren Unternehmen dadurch zu entlasten, daß der Freibetrag für Jahresumsätze auf 18 000 DM angehoben werden soll und daß in der Zone bis zu 50 000 DM Umsatzsteuerermäßigungen mit sinkenden Sätzen gewährt werden. Es bleibt aber zu prüfen, ob diese Beträge wirklich ausreichen, damit die 70 000 Kleinunternehmen, die bisher 4 v. H. vom Bruttoumsatz gezahlt haben, durch die Überführung in die Regelbesteuerung nicht zusätzlich belastet werden. Damit wird sich der Finanzausschuß ernsthaft beschäftigen müssen.Erlauben Sie mir, noch eine Bemerkung zu einer Maßnahme zu machen, die in dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht enthalten ist. Die vom Rat der Europäischen Gemeinschaft vorgeschlagene 7. Richtlinie zur Harmonisierung der Umsatzsteuer sieht eine Neuregelung für die Besteuerung von Kunstgegenständen, Sammlungsstücken und Antiquitäten sowie von Gebrauchtgegenständen vor. Meine Fraktion hatte bereits bei der Einführung der Mehrwertsteuer gefordert, daß eine Doppelbesteuerung von Gebrauchtgegenständen nicht stattfinden solle; denn es liegt ja nun einmal im System der Mehrwertsteuer, daß lediglich der Mehrwert besteuert werden soll, dies natürlich in jeder Bearbeitungsstufe. Beim Erwerb z. B. eines gebrauchten Kraftfahrzeuges kann natürlich nur der Unterschied zwischen dem Übernahmepreis und dem neuen Verkaufspreis besteuert werden. Dem trägt der Entwurf der 7. Richtlinie in der Weise Rechnung, daß bei der Übernahme eines Altwagens von einem Nichtsteuerpflichtigen der Wiederveräußerer eine fiktive Vorsteuer geltend machen kann. Die FDP unterstützt diesen Vorschlag; denn damit würden die Konstruktionen, die heute ja in erheblichem Umfang praktiziert werden — Ausschaltung des Fachhandels, Kommissionsgeschäfte, Ausweichen auf das Ausland —, unnütz und überflüssig werden. Es stellt sich die Frage, ob die Vorschläge der 7. Richtlinie nicht gemeinsam mit dem jetzigen Gesetz beraten und verabschiedet werden können.Mit einigem Interesse haben wir zur Kenntnis genommen, daß die Wünsche des Hotel- und Gaststättenverbandes von Ihnen aufgegriffen werden. Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß in Ihrer Fraktion offensichtlich ein Meinungswandel eingetreten ist; denn der damalige Antrag meiner Fraktion zu diesem Fragenkomplex während
Metadaten/Kopzeile:
7182 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978
Cronenbergder Großen Koalition wurde von Ihnen abschlägig beschieden.
Wir sind aber bereit, diesen Fragenkomplex in diesem Zusammenhang noch einmal einer objektiven Prüfung zu unterziehen, ohne irgendwelche Festlegungen für die Ausschußarbeit vorzunehmen.Die FDP wird sich für eine gründliche Beratung und zügige Verabschiedung des neuen Umsatzsteuergesetzes einsetzen und fordert die Bundesregierung — wie eben schon geschehen — noch einmal auf, in Zukunft dafür Sorge zu tragen, daß uns genügend Zeit für solche sicher sehr notwendige Beratungen bleibt; das aber nicht nur im Interesse des beratenden Ausschusses, Herr Minister, sondern insbesondere im Interesse derjenigen, die dieses Gesetz später anwenden müssen. Es ist auf Grund der systematischen Änderungen mit erheblichen Problemen insbesondere im Bereich der mittelständischen Industrie zu rechnen, die sich ja keine Fachleute erlauben kann, um mit diesem neuen Gesetzeswerk fertig zu werden. Ich wäre Ihnen dankbar — ich bin sicher, daß ich im Namen vieler Mittelständler spreche —, wenn Sie erreichen könnten, daß sich die Finanzämter im ersten Jahr weniger als Steuereintreiber denn als Berater der mittelständischen Unternehmen betätigen und ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen, damit diese mit diesem neuen Gesetzeswerk dann auch fertig werden.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage an den Finanzausschuß — federführend — sowie an den Ausschuß für Wirtschaft — mitberatend — und den Haushaltsausschuß — mitberatend und gemäß § 96 der Geschäftsordnung — zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe die Punkte 12 bis 17 der Tagesordnung auf:12. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Übereinkommen vom 3. Dezember 1976 zum Schutz des Rheins gegen chemische Verunreinigung und zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung durch Chloride
— Drucksache 8/1733 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: InnenausschußHaushaltsausschuß gemäß § 96 GO13. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung— Drucksache 8/1717 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft14. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungen vom 21. Oktober 1969 und vom 12. Oktober 1971 des Internationalen Übereinkommens zur Verhütung der Verschmutzung der See durch Öl, 1954— Drucksache 8/1740 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
Innenausschuß Rechtsausschuß15. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. September 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Indonesien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen— Drucksache 8/1741 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Finanzausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit16. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 22. Juli 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ecuador zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen— Drucksache 8/1742 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit17. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 28. Juni 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Mali über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen— Drucksache 8/1743 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Wirtschaft Auswärtiger AusschußAusschuß für wirtschaftliche ZusammenarbeitIch frage, ob das Wort begehrt wird. — Das ist nicht der Fall.Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates bitte ich der Tagesordnung zu entnehmen. Ich frage, ob das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden ist. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag eines Beschlusses des Rates zur Ermächtigung der Kommission, Anleihen zur Investitionsförderung in der Gemeinschaft aufzunehmen— Drucksachen 8/1524, 8/1749 —Berichterstatter:Abgeordneter Rapp
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Mai 1978 7183
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenIch frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. — Das ist nicht der Fall. Ich danke dem Herrn Berichterstatter.Das Wort zur Aussprache wird nicht begehrt? — Die Beschlußempfehlung lautet: Der Bundestag wolle beschließen, die Vorlage zur Kenntnis zu nehmen; des weiteren möge der Bundestag eine Entschließung annehmen, die auf der Drucksache 8/1749 unter Nr. 2 aufgeführt ist. Ich schlage vor, daß wir über beide Punkte gemeinsam abstimmen. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe nunmehr Punkt 19 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der zustimmungsbedürftigen Verordnung der Bundesregierung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 7/78— Zollpräferenzen 1978 gegenüber Entwicklungsländern — EGKS)— Drucksachen 8/1643, 8/1751 —— Berichterstatter:Abgeordneter Wolfram
Der Herr Berichterstatter wünscht keine Ergänzung. Ich danke dem Herrn Berichterstatter.Das Wort wird in der Aussprache nicht begehrt. Es wird vorgeschlagen, der Verordnung zuzustimmen. Wer dem zustimmt, bitte ich um das Zeichen. —Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 20 auf:Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu deraufhebbaren Vierzigsten Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnungaufhebbaren Vierundsechzigsten Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste — Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz —— Drucksachen 8/1641, 8/1642, 8/1752 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. UnlandDer Herr Berichterstatter wünscht keine Ergänzung. Ich danke dem Herrn Berichterstatter.Es folgt keine Beschlußfassung, sondern nur Kenntnisnahme, wenn nicht ein Antrag aus der Mitte des Hauses vorliegt. Ich stelle fest, daß kein Antrag aus der Mitte des Hauses vorliegt, so daß die Drucksachen zur Kenntnis genommen werden.Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der Tagesordnung.Ich berufe die nächste Plenarsitzung auf Freitag, den 12. Mai 1978, 9 Uhr ein. Wir beginnen mit der Großen Anfrage zur Neuorientierung der Wohnungsbaupolitik.Die Sitzung ist geschlossen.