Protokoll:
8046

insert_drive_file

Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 8

  • date_rangeSitzungsnummer: 46

  • date_rangeDatum: 5. Oktober 1977

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 18:56 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 8/46 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 46. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Inhalt: Absetzung zweier Punkte von der Tagesordnung 3469 A Aussprache über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1978 (Haushaltsgesetz 1978) — Drucksache 8/950 — in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1977 bis 1981 — Drucksache 8/951 — Strauß CDU/CSU 3469 B Dr. Ehmke SPD 3485 C Hoppe FDP 3497 D Dr. Friderichs, Bundesminister BMWi . . 3502 D Dr. Barzel CDU/CSU 3512 A Reuschenbach SPD 3521 C Dr. Graf Lambsdorff FDP . . . . . . 3525 D Dr. Apel, Bundesminister BMF 3532 D Haase (Kassel) CDU/CSU . . . . . . 3539 D Löffler SPD 3543 D Gärtner FDP 3547 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . 3551 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 3553* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3469 46. Sitzung Bonn, den 5. Oktober 1977 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adams * 6. 10. Dr. Ahrens ** 7. 10. Dr. Aigner * 7. 10. Alber ** 7. 10. Dr.Bardens ** 7. 10. Dr. Bayerl * 6. 10. Böhm (Melsungen) ** 7. 10. Frau von Bothmer ** 7. 10. Brandt 7. 10. Büchner (Speyer) ** 7. 10. Frau Eilers (Bielefeld) 7. 10. Dr. Enders ** 7. 10. Dr. Evers ** 7. 10. Fellermaier * 5. 10. Dr. Geßner ** 7. 10. Haase (Fürth) * 7. 10. Handlos ** 7. 10. Frau Dr. Hartenstein 7. 10. von Hassel ** 7. 10. Hoffmann (Saarbrücken) * 6. 10. Dr. Holtz ** 7. 10. Frau Hürland 5. 10. Dr. Klepsch * 7. 10. Klinker * 7. 10. Lagershausen ** 7. 10. Lange * 7. 10. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich Lemmrich ** 7. 10. Lemp * 7. 10. Lenzer ** 7. 10. Marquardt ** 7. 10. Dr. Mende ** 7. 10. Milz ** 7. 10. Möhring 7. 10. Dr. Müller ** 7. 10. Müller (Mühlheim) * 7. 10. Neuhaus 5. 10. Pawelczyk ** 7. 10. Reddemann ** 7. 10. Dr. Schäuble ** 7. 10. Scheffler ** 7. 10. Schmidhuber ** 7. 10. Schmidt (Kempten) ** 7. 10. Schmidt (München) * 7. 10. Schmidt (Würgendorf) ** 7. 10. Schreiber * 6. 10. Schwabe * 7. 10. Dr. Schwencke (Nienburg) ** 7. 10. Seefeld * 7. 10. Sieglerschmidt * 6. 10. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim ** 7. 10. Dr. Staudt 7. 10. Frau Steinhauer 7. 10. Ueberhorst ** 7. 10. Dr. Vohrer ** 7. 10. Wehner 7. 10. Dr. Wörner 7. 10. von Wrangel 7. 10. Würtz * 7. 10. Zebisch ** 7. 10. Zywietz * 6. 10.
Gesamtes Protokol Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0804600000
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sollen die Punkte 3 und 4 — zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Europawahlgesetzes und des Entwurfs eines Europaabgeordnetengesetzes — von der Tagesordnung abgesetzt werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
a) Aussprache über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1978 (Haushaltsgesetz 1978)

— Drucksache 8/950 —Überweisungsvorsdhlag des Ältestenrates: Haushaltsaussdiuß
b) Beratung des Finanzplans des Bundes 1977 bis 1981
— Drucksache 8/951 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Strauß.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0804600100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rede zur Einbringung des Bundeshaushalts 1978 durch den Herrn Bundesminister der Finanzen gestern hatte ihre besondere Note. Sie war im Gegensatz zu früheren Anlässen gleicher Art sicherlich durch eine gewisse Kürze gekennzeichnet. Aber wenn man den Begriff „Inhaltlosigkeit" noch steigern könnte, dann wäre hier sicherlich ein Rekord aufgestellt worden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Denn diese Rede war gekennzeichnet durch Enttäuschung über die Erfahrungen und Ergebnisse seiner Amtsführung. Sie war gekennzeichnet durch Unsicherheit hinsichtlich der Richtigkeit der eigenen Aussage. Sie war gekennzeichnet durch Ratlosigkeit hinsichtlich dessen, wohin die Reise führen werde und was zu unternehmen sei.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat die wirklichen Gründe der Krise — ich werde das Wort „Krise" noch erläutern — und damit die psychologischen und materiellen Voraussetzungen für ihre Überwindung überhaupt nicht deutlich gemacht. Das ist ein Anzeichen dafür, daß er, wenn er sie erkannt hat, vor ihren Folgen bereits kapituliert hat, und zwar offensichtlich kapituliert hat. Soweit bei der Bundesregierung Erkenntnisse über Ursachen und Zusammenhänge sporadisch — oder sagen wir: verstreut — bestehen, fehlt es an Mut, fehlt es an der moralischen Entschlossenheit oder fehlt es an der politischen Kraft, diese Erkenntnisse in die Wirklichkeit, in konkludentes Handeln umzusetzen.
Der Grund dafür liegt nicht in objektiv unüberwindbaren Hindernissen, die es dann und wann geben mag, Hindernissen, die auch heute groß genug sind, sondern der wirkliche Grund liegt in dem eigenartigen, um nicht zu sagen: chaotischen Zustand der beiden Regierungsparteien, den man als fortgeschrittene Verfallserscheinung innerhalb gegensätzlicher, nur durch das gemeinsame Interesse der Macht- und Postenerhaltung zusammenklebender Parteifragmente bezeichnen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das, was der Kanzler denkt, ist den Fraktionen entweder wunschgemäß nicht bekannt oder wird von ihnen nicht getragen. Was die Ressortminister wollen, ist von mehr als den natürlichen Gegensätzen geprägt und wird vom Kanzler entweder nicht zur Kenntnis genommen oder nicht auf einen Nenner gebracht.
Was das Kabinett beschließt, muß sich entweder auf dem niedrigsten Nenner der Oberflächlichkeit des von der Linken beider Regierungsparteien geduldeten Spielraumes begrenzen, oder es wird von den beiden Regierungsparteien demontiert.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Diese Regierung lebt von dem Heiligenschein, den die Legende der Vergangenheit um den Kanzler gewoben hat.
Der Kanzler merkt vielleicht nicht oder — wir halten ihn alle für intelligent — ahnt unter Umständen doch, daß er an der Grenze angelangt ist oder sie überschritten hat, jenseits derer der Ab-



Strauß
glanz des großen Machers, des Allesbändigers oder Allesbewältigers, des Weltwirtschaftsökonomen nur noch schwindende Pracht ist, weil die graue Wirklichkeit, der trostlose Zustand seiner eigenen Partei, die Unvereinbarkeit von Versprechen und Erfüllung, der unauflösliche Gegensatz von Anspruch und Hilflosigkeit als Menetekel auch an die Wände des Kanzlerpalastes geschrieben sind.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wer diese Rede in Kenntnis der Vorgeschichte, in Bewertung der handelnden oder redenden Figuren, in nüchterner Einschätzung der Kräfteverhältnisse auf einen wirklichkeitsbezogenen Nenner bringen will, kann nicht anders, als zu folgenden Feststellungen zu gelangen.
Erstens. Diese Rede ist eine Abrechnung mit Person und Methoden des Kanzlers durch einen Finanzminister, der die Niederlage im Umsatzsteuerstreit nicht verwinden kann.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zweitens. Sie ist das Eingeständnis der Unfähigkeit, mit den Problemen des modernen, sicherlich komplizierten föderalistischen Staates fertig zu werden. Diese Probleme sind nicht neu. Sie sind von früheren Regierungen bewältigt worden, wenn auch nicht leicht, wie wir aus eigener Erfahrung wissen. Wer aber den Ländern und Gemeinden durch eine messianisch verbrämte Inflationspolitik immer neue finanzielle Bürden in Gestalt bombastischer Reformprogramme aufgeladen hat, der hat kein Recht, sich über die Folgen zu beklagen, mit denen er jetzt nicht fertig wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Drittens. Die Rede ist die Kapitulationserklärung vor den Folgen der selbstverschuldeten Fehlentwicklung. Der Zielkonflikt zwischen Stabilität und Vollbeschäftigung ist von der Natur der Sache her nicht unvermeidlich, wie wir am praktischen Beispiel bewiesen haben. Aber er ist mutwillig heraufbeschworen und seit 1970 systematisch ausgebaut worden.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

Die SPD hat einmal erklärt, sie beanspruche die geistige Führung in ihrem Lande. Was ihr Finanzminister hier geboten hat, war eher das Klagelied einer finanzpolitischen Hiobsfigur, die zwar nicht von Gott geschlagen, aber offensichtlich mehrfach vom Pferd getreten worden ist —

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

eine Formulierung, die — wie Herr Apel weiß — von ihm selbst auf sich selber geprägt worden ist, also nicht eine Entgleisung des Oppositionsredners darstellt. Hier bieten sich hippologisch an:

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

einmal Helmut Schmidt selbst — ich meine als aktiv Handelnder —, zweitens der öffentliche Unmut über die Politik dieser Regierung, drittens das Kollektiv — wenn man das als eine Contradictio in se ipso gebrauchen darf — des Kabinetts und viertens der Bund der wirtschaftspolitischen Prognostiker.
Der Finanzminister leidet aber ganz offensichtlich unter dem Erbübel seiner Couleur, nämlich daß in dieser Partei Vernunft, Erfahrung und Wirklichkeit hinter Wunschträumen, Zukunftsversprechungen, Heilsverheißungen und ideologisch getarnten Utopien zurückgestellt werden und beim Mißerfolg dann entsprechend die Wirklichkeit beschuldigt wird, sie habe sich nicht prognosegemäß oder erwartungsgemäß verhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte zum Bundeshaushalt insgesamt nur wenige sozusagen globale Bemerkungen machen, weil es darüber ja auch noch eine Detaildebatte geben wird. Ein Kernstück der Konjunkturbelebung — so haben wir gestern gehört — wird in der riesigen Ausgabensteigerung für nächstes Jahr um 10 °/o gesehen. Nun, ob das ein Verdienst ist, das wird — wie auch in anderen Fällen — die Zukunft erweisen. Sie wollen aber dann 4 Milliarden DM Jahr für Jahr mehr ausgeben, als Sie in Ihrem letzten Finanzplan vorgesehen hatten. Hier erhebt sich die Frage: Was haben eigentlich Finanzpläne noch für einen Sinn, was hat eigentlich das Institut der sogenannten mehrjährigen Finanzplanung noch für einen Zweck? Daß es eingeführt wurde, ging ja auf einen Vorschlag des Kollegen Alex Möller seinerzeit zurück. Es war sein großes Verdienst, und ich war von der Richtigkeit dieses Vorschlages überzeugt. Wir haben es gemeinsam in der Großen Koalition getragen. Aber irgendwie muß doch eine Vergleichbarkeit zwischen mehrjähriger Finanzplanung und tatsächlichem Ergebnis bestehen.
Sie haben in bezug auf Ihren letzten Finanzplan gesagt, damit solle zusätzliche Nachfrage geschaffen werden. Hier wird aber der Steuerzahler erneut getäuscht. Was Sie gestern gesagt haben, stimmt doch gar nicht. In Wirklichkeit wird mit den 4 Milliarden DM nicht zusätzliche Nachfrage geschaffen, sondern damit werden nur die Löcher gestopft, die als Folge der Inflationspolitik der Bundesregierung mit ihren Rezessionswirkungen entstanden sind.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die entscheidenden Mehrausgaben gegenüber dem alten Finanzplan, die zusammen sogar mehr als die 4 Milliarden DM ausmachen, fließen an zwei Bereiche, die immer mehr zum Faß ohne Boden werden, nämlich an die Bundesbahn und an die Rentenversicherung. Das hat doch mit Nachfragebelebung nichts zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Hier werden doch nur Nachfrageausfälle, die die wenig erfreulichen Ergebnisse einer siebenjährigen oder nunmehr fast achtjährigen SPD/FDP-Regierung sind, ausgeglichen. Sie wollen doch, Herr Bundesfinanzminister, dem Volk nicht weismachen wollen, Sie schafften damit zusätzliche Nachfrage, es sei denn, daß Sie allmählich an die berauschende Wirkung oder an den tröstenden Effekt der von Ihnen hier in den Mund genommenen Worte glauben, sozusagen nach der Parole: Wer singt, fürchtet sich nicht.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)




Strauß
Sie schieben doch nur Defizite hin und her, stopfen ein Loch, bezeichnen diese Tätigkeit als Belebung der Nachfrage und reißen gleichzeitig ein weiteres Loch auf.
Sie behaupten weiter, Sie würden die investiven Ausgaben gegenüber dem Finanzplan, der das Investitionsprogramm noch nicht enthielt, um 5,4 Milliarden DM erhöhen, und zwar gegenüber dem laufenden Jahr. Auch das stimmt nicht. Ein Drittel dieser angeblichen 4 Milliarden DM — in Wirklichkeit sind es mehr — beruht doch ausschließlich darauf, daß Sie Ausgaben für Entwicklungshilfe und für die Inanspruchnahme als Bürgschaften willkürlich anders oder an anderer Stelle als im Vorjahr buchen. Damit schrumpft natürlich von der anspruchsvollen Aussage — Nachfragebelebung, Investitionsausdehnung — vieles auf einen Kern zusammen, der keiner weiteren lobenden Erwähnung bedarf.
Lassen Sie mich zu Ihrer Rede im einzelnen einige Bemerkungen machen. Sie sagten:
Eine Reihe von Ländern
— Sie meinten international, nicht Bundesländer —
hat trotz intensiver Anstrengungen kaum Erfolge bei ihrer Preisstabilisierungspolitik gehabt; denn Inflation führt schlußendlich zur Arbeitslosigkeit.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

„Schlußendlich" haben Sie gesagt. Anfangsendlich haben wir gehört,

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

daß Inflation ein Mittel gegen die Arbeitslosigkeit sei. Es war Ihr heutiger Bundeskanzler, der damals sagte, Stabilität sei so ein Modewort, die Besorgnis um die Stabilität bedränge ihn nicht persönlich,

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

jedenfalls nicht so sehr wie andere — gesprochen am 29. Oktober 1971 —, und der ein knappes Jahr später meinte — da schon, wenn ich mich recht erinnere, in gehobener Position; denn Mißerfolge sind bis zu einem gewissen Grade in dieser Regierung eine Garantie für Beförderung—:

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Mir scheint, daß das deutsche Volk — zugespitzt ausgedrückt natürlich — 5 % Preisanstieg eher vertragen kann als 5 % Arbeitslosigkeit. Schon 3 % Arbeitslosigkeit wären für die Bundesrepublik unerträglich.
Damals hat er noch die Wunderdroge der Inflation als ein Mittel gegen das Übel der Arbeitslosigkeit oder die Krankheit der Beschäftigungslosigkeit angepriesen. Wie gesagt, das war anfangsendlich. Schlußendlich hat er sich auf der Londoner Konferenz dem Kommuniqué angeschlossen, daß Inflation kein Mittel zur Verhinderung der Arbeitslosigkeit sei, und noch schlußendlicher hat sein Finanzminister verkündet: denn Inflation führt schlußendlich zur Arbeitslosigkeit.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Wenn wir uns früher erlaubt haben, in aller Bescheidenheit von der uns zugewiesenen Rolle schüchtern Gebrauch zu machen und darauf hinzuweisen, daß hier die höchstderoselben Würdenträger einem kleinen Irrtum unterlägen,

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

wenn sie glaubten, daß Inflation etwa eine Garantie für Vollbeschäftigung sei, sind wir als Miesmacher, Pessimisten, Unker, berufsmäßige Kassandras, Berufsdemagogen, Schreibtischtäter, Hetzer, Volksverführer oder was auch immer seinerzeit gebührend dem öffentlichen Zorn preisgegeben worden.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Eine zweite Bemerkung. Ich zitiere den Herrn Bundesfinanzminister wieder wörtlich:
Manche der international verwendeten Argumente sind nicht zutreffend und vor allem nur dazu da, eigene nationale Versäumnisse zu kaschieren.
Man merkt, daß Sie die Rede — das möchte ich anerkennend sagen — selbst geschrieben haben, daß Sie sich nicht auf Ihre Büchsenspanner, Ghostwriter oder ähnliche Zubringer verlassen haben, wie es sonst bei den Regierungsmitgliedern mit ihren riesigen Schreiberstäben der Fall ist. Die lassen sonst ja denken und schreiben, um dann die siebente Fassung oder vielleicht auch die zwanzigste Fassung nach oberhirtlicher Überarbeitung zu genehmigen. Dies hier ist echte Ausdrucksweise, so, wie Sie sind, Sie — wohlverstanden — von der Hamburger Vorstadt und ich von der Münchener Vorstadt.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Wenn Sie sagen, die Argumente seien nicht zutreffend, gebe ich Ihnen weitgehend recht. Wenn Sie sagen, die Argumente seien dazu da, nationale Versäumnisse zu kaschieren, so möchte ich Sie daran erinnern, daß Bundeskanzler Schmidt vor wenigen Tagen vor dem 12. Ordentlichen Gewerkschaftstag der IG Metall eine erstaunliche Aussage gemacht hat. Angesichts der Fülle erstaunlicher Aussagen ist eine solche Überlastung mit sensationellen Phrasen eingetreten, daß einzelne Höchstleistungen gar nicht mehr gebührend gewürdigt werden.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Deshalb möchte ich hier eine dieser Höchstleistungen dem staunenden Publikum preisgeben. Der Bundeskanzler sagte wörtlich — so steht es im regierungsamtlichen Bulletin —:
Wir müssen seit der Ölkrise von 1973 gegen eine tiefgreifende Rezession, eine weltwirtschaftliche Krise ankämpfen, die wir nicht selbst gemacht haben. Wir waren am Krieg in Vietnam nicht beteiligt. Wir sind nicht schuldhaft beteiligt an der Weltinflation, die diesen Krieg so ausgeweitet hat.
— Dieser Nebensatz ist unverständlich, es sei denn, es liegt ein Druckfehler vor. —
Wir sind nicht schuldhaft beteiligt an dem Vertrauensverlust
— Hoppla! —



Strauß
von Konsumenten, Arbeitgebern, aber auch Investoren und Unternehmen im Laufe dieser vier Jahre seither. Wir haben die Ölkrise nicht verschuldet. Wir haben den Krieg zwischen Israel und den arabischen Staaten nicht geführt,
— Meine Bemerkung: Da haben die beiden Glück gehabt;

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Ratgeber gäbe es ja genug dafür. —
aus dem sie entstanden ist. Es ist das erste Mal, daß wir Deutsche unter Kriegen leiden müssen, an deren Anzettelung wir selbst nicht beteiligt gewesen sind.
Herr Bundeskanzler, der letzte Satz, der ja eine Behauptung darstellt, ist eine reine Geschichtsfälschung oder eine Geschichtsklitterung. Dieser Satz ist in seiner Oberflächlichkeit und in seiner Kunst, Richtiges und Falsches, Wahres und Erfundenes miteinander zu vermengen, atemberaubend. Ich möchte Ihnen jetzt nicht eine historische Lektion geben, daß es mehr Kriege in der Welt gegeben hat, an denen wir nicht beteiligt waren, obwohl wir darunter gelitten haben. Ich möchte — ich hoffe, das ist sogar in Ihrem Sinne — den peinlichen Eindruck vermeiden, als ob der Vietnamkrieg der erste Glückszufall der Weltgeschichte gewesen sei, nämlich ein Krieg, an dem wir nicht schuld gewesen seien. Auch das ist falsch. Ich habe mir hinsichtlich der Schuld am Ersten Weltkrieg, nämlich der Schuld aller Großmächte, und hinsichtlich der Alleinschuld der Hitlerschen Politik am Zweiten Weltkrieg meine Meinung so oft zu sagen erlaubt, daß ich hier keine apologetischen Rechtfertigungsversuche mehr zu machen habe.
Herr Bundeskanzler, am 1. April 1977 haben Sie auf der Konferenz der sozialistischen Parteien und Gewerkschaften in Oslo Dinge gesagt, die Sie eigentlich besser am 18. September erstmalig gesagt oder zumindest wiederholt hätten. Sie sagten:
Ich bin der Ansicht, daß die derzeitige Rezession zu weniger als 49 % wirtschaftliche, quantitative Gründe und zu mehr als 51 % psychologische und politische Gründe hat. Industrie und Unternehmer haben nicht genügend Vertrauen, um zu investieren

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

oder ihre Kapazitäten zu erneuern, zu vergrößern oder zu modernisieren.

(Demonstrativer Beifall bei der CDU/CSU)

Gleichzeitig fehlt es an ausreichender Nachfrage bei Verbrauchern und Arbeitnehmern. Der Grund ist meines Erachtens das mangelnde Vertrauen in die Zukunft.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU)

Warum sind denn die Dinge so? Ich möchte hier keine tiefsinnige Analyse geben. Es gibt dafür eine ebenso tiefgreifende wie richtige und nicht an der Oberfläche verharrende Erklärung: weil die Sozialisten überall, wo sie an der Regierung sind,
langsamer oder schneller, aber sicher die Wirtschaft ruinieren, mit oder ohne Helfershelfer.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Böhme [Freiburg] [SPD] : Siehe Italien!)

Drittens. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben Ihrer facettenreichen Legende der Genesis der Mehrwertsteuererhöhung hier etwas Neues hinzugefügt: „Die Erhöhung der Mehrwertsteuer war notwendig wegen des fortlaufend wachsenden Anteils der direkten Steuern am gesamten Steueraufkommen und der gleichzeitigen Abnahme des Anteils der indirekten Besteuerung. Es muß sich lohnen, zu arbeiten. Es darf nicht so sein, daß ein kleiner Teil unserer Bevölkerung, ein gutes Drittel, zunehmend über die Lohn- und Einkommensteuer die Finanzierung der öffentlichen Ausgaben übernimmt, die allen 60 Millionen deutschen Bürgern zugute kommen."
Ich widerspreche Ihnen hier gar nicht. Aber das ist ein völlig neuer Ton.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

Denn bisher haben wir gerade von Ihnen und Ihresgleichen immer gehört, daß die Erhöhung der indirekten Steuern eine Begünstigung der Reichen, eine Benachteiligung der Ärmeren

(Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ CSU)

und deshalb eine unsoziale Politik sei. Ich habe mich dieser Argumentation im Laufe der weiteren Entwicklung der Marktwirtschaft nicht mehr angeschlossen, weil die Dinge in das Gegenteil umzuschlagen begonnen haben, weil man ohne Zweifel den gehobenen Konsum stärker besteuern kann, während die direkte Besteuerung, die Lohn- und Einkommensteuer, in Verbindung mit den übrigen Abgaben zu einer Konfiskation des Arbeitseinkommens, zu einer Abnahme des Verfügungsanteils am ehrlich erworbenen eigenen Einkommen führt, weshalb man hier gegenüber früheren erstarrten Vorstellungen ein Umdenken einleiten mußte.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber bei Ihnen ist das eine neue Begründung, eine neue Erkenntnis. Sie haben doch ursprünglich erklärt, die Mehrwertsteuererhöhung sei notwendig, um die Staatsausgaben zu finanzieren, um den Haushalt zu konsolidieren, aber doch nicht, um ein vernünftigeres Verhältnis zwischen dem Ergebnis der direkten und dem der indirekten Besteuerung herbeizuführen. Aber für Sie gilt eben, daß man Argumente vertritt, wie andere sich die Füße vertreten.
Eine weitere Bemerkung zu Ihrer Rede. Sie sagten gestern:
Die Deutsche Bundesbank hat in ihrem letzten Monatsbericht auf die wesentlichen Ursachen des Wachstumsverlustes hingewiesen, nämlich massive administrative und politische Verzögerungen bei privaten und öffentlichen Investitionen bis zu einer Größenordnung von 25 Milliarden DM, ein schwach wachsender Welthandel und eine geringe private Investitionsneigung.



Strauß
Ich stimme Ihnen darin weitgehend zu. Aber darf ich mir erlauben, auf die von Ihnen genannten Gründe nur mit wenigen Bemerkungen einzugehen: Haben denn nicht Bürokratie und Ideologie den Investoren durch eine Flut von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Erlassen und Ausführungsbestimmungen — nebst manchmal schikanöser, auch wirtschaftsfremder oder -feindlicher Handhabung — den Mut genommen zu investieren? Wer hat denn bei uns im Laufe der letzten Jahre die beschäftigungsfeindlichen, investitionshemmenden und wirtschaftsfremden Bestimmungen vermehrt?

(Zuruf von der SPD: Welche?)

Wer war denn in der Bundesrepublik Deutschland an der Regierung? Wer hat denn hier diese Bollwerke gegen die Vernunft aufgebaut? Das waren doch die jetzige Regierung, ihre Vorgängerinnen und die sie tragenden oder schaukelnden — man kann auch sagen: ertragenden — Regierungsparteien!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Von wem stammen denn die Proteste nicht nur gegen Kernkraftwerke, sondern auch gegen Kohlekraftwerke oder Ölkraftwerke oder zum Teil Kläranlagen oder gegen andere notwendige, der Energieversorgung oder dem Wirtschaftswachstum dienende Einrichtungen? Die stammen doch nicht von der Opposition. Wir haben Sie doch nie behindert, wir haben Ihnen doch immer geholfen. Wo liegen denn die Schwierigkeiten, wenn die Regierung heute mit Sorge auf die notwendige Versorgung der deutschen Wirtschaft mit Energie — Helmut Kohl wird in seiner Rede später darauf eingehen — hinweist? Wer ist der Regierung denn hier in den Arm gefallen? Das kann man doch nicht damit abtun, wie es ein Mitglied der Bundesregierung mir gegenüber getan hat, ich hätte mich hier als Feind der innerparteilichen Diskussion gezeigt. Wenn man an der Führung ist, hat man die Verantwortung. Da muß man die Probleme rechtzeitig erkennen, und wenn sie diskutiert werden müssen, so rechtzeitig diskutieren, daß nicht eine Verzögerung zu Gefahren für die Wirtschaft und für den Fortschritt in unserem Lande wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Oder haben Sie etwa erwartet, daß unsere Handelspartner uns noch größere Exportüberschüsse ermöglichen, als wir ohnehin schon erzielt haben?
Sie haben in Ihrer Rede auf das Musterland Bundesrepublik — das deutsche Modell heißt es jetzt ja nicht mehr — hingewiesen. Aber wissen Sie, daß dieses „Musterland" — ich mache mir diesen Ausdruck weder sinngemäß noch wörtlich zu eigen; aber trotzdem sind wir in allen Schichten und Ständen unseres Volkes stolz auf unsere gemeinsame Leistung — geschaffen worden ist durch die auch nicht in einigen Jahren zu zerstörende nachhaltige Wirkung der größten säkularen Reform, nämlich durch die Einführung der sozialen Marktwirtschaft?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich frage Sie schließlich noch, wenn Sie sagen: geringe private Investitionsneigung: Wer hat denn — entweder weil er wie ein Kind mit der Maschine nicht umzugehen verstand, aber dauernd daran herumgebastelt hat, oder mutwillig aus Gründen der Gesellschaftsveränderung — die Investitionsneigung der privaten Investoren gerade im Bereich der kleinen und mittleren Wirtschaft bis zur Unerträglichkeit, sowohl psychologisch wie materiell, in Mitleidenschaft gezogen?

(Beifall bei der CDU/CSU — Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Gelber-Punkt-Aktion!)

Das waren doch die Regierungen und ihre Mehrheiten seit dem Jahre 1969. Sie kommen daher, Herr Apel, und zählen Gründe auf und tun so, als ob Sie mit diesen Gründen überhaupt nichts zu tun hätten. Das ist doch eine erweiterte Autobiographie, die Sie geschrieben haben, aber doch keine Fremdbiographie.
Einen Grund haben Sie vorsorglich nicht erwähnt, den die Bundesbank herausgestellt hat, nämlich den Kostendruck von der Lohnseite her. Wenn Sie aufzählen, dann müssen Sie die von der Bundesbank genannten Gründe vollzählig aufzählen. Ich möchte Ihnen ersparen, den Wortlaut aus dem letzten Bericht der Bundesbank zu diesem Thema anhören zu müssen. Aber die Bundesbank weist ganz eindeutig darauf hin, daß eine Wiederbelebung unserer Wirtschaft mit Erholung der Investitionen, mit Erzielung der notwendigen Wachstumsrate, mit Wiedererreichung der Vollbeschäftigung in erster Linie von der Vernunft der Tarifparteien, d. h. von Lohnabschlüssen oder überhaupt von der Gestaltung der Kostenseite her, abhängig ist. Bei der Gestaltung der Kostenseite spielt die Lohnquote natürlich eine erhebliche Rolle.
Ein weiterer Punkt Ihrer Rede: Sie sagten, Finanzpolitik sei aber kein flinkes und wendiges Rennboot, das sofort auf Ruder und Maschine anspreche. Wenn ich an Ihre Mehrwertsteuererfahrungen denke, kann ich Ihnen diesen Stoßseufzer durchaus nachfühlen. Aber ich habe mir gestern schon in Form eines Zwischenrufes zu sagen erlaubt: Ihre Finanzpolitik ist noch nicht einmal ein Segelboot, mit dem man von den Zufällen des Wetters — wenigstens noch einigermaßen berechenbar — abhängig ist, sie ist auch kein Schlauchboot, sondern Ihre Finanzpolitik ist eine Schwimmweste, und die hat noch Löcher.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Dann sagten Sie gestern — ich stimme Ihnen zu —, ein „stop and go" der Finanzpolitik sei weder möglich noch sinnvoll. Nun, auf die Verharmlosung der Inflation durch den heutigen Bundeskanzler habe ich schon hingewiesen. Aber wer hat denn gegen unsere Warnungen 1973 die Investitionen mit einer Steuer bestraft und im Dezember 1974 mit Aufhebung der Steuer eine Investitionszulage verbunden?

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Das wir immer wieder — ich sage das gleich vorweg — als Opposition hier in einen Druck kommen, wissen Sie aus Ihrer eigenen Erfahrung. Wir müssen zwar soundsooft warnen, können aber trotzdem dann nicht nein sagen, weil unser Nein angesichts der linken Verleumdungs- und Diffamierungspotentiale



Strauß
in unserem Lande dann völlig anders ausgelegt wird, als es gemeint ist,

(Beifall bei der CDU/CSU)

weshalb wir immer wieder an dieser schwierigen Grenze stehen.
1975 ist die Vermögensteuer massiv erhöht worden. Herr Bundeskanzler, Sie werden sich erinnern, daß ich Ihnen in jener warmen Julinacht in Ihrem Bundeskanzleramte nahegelegt habe, auf diese Anhebung der Vermögensteuer zu verzichten, weil sie Gift, wie ich damals sagte, in der gegenwärtigen Konjunktursituation sei. Die Warnung wurde in den Wind geschlagen. Jetzt ist die Vermögensteuer wieder gesenkt worden, weil die ursprüngliche Entscheidung falsch war.
Haben nicht viele Investoren in der deutschen Wirtschaft auf Grund des gesunden Zinsniveaus, das wir über viele Jahre hinweg hatten, auch in den Jahren 1968, 1969, bis 1970 hinein hatten, im Vertrauen auf die Versprechungen der damaligen Regierung, daß Vernunft, Kontinuität und Stabilität die Leitsterne der Wirtschafts- und Finanzpolitik sein würden, Kredite aufgenommen und dann erlebt, daß sie kurze Zeit später für die zu 6 oder 7 °Io Zinsen aufgenommenen Kredite 12, 13, 14 °/o, bei nicht ausreichender Sicherheitsleistung sogar bis zu 15, 16 °/o Zinsen zahlen mußten? Ist das nicht auch „stop and go", nur in umgekehrter Richtung?
Zum 1. Januar kommenden Jahres ist — auch mit unserer gütigen Mithilfe — eine Mehrwertsteuererhöhung beschlossen worden. Im September wurde beschlossen, durch Änderung des Grundfreibetrages bei der Lohn- und Einkommensteuer diese Erhöhung praktisch wieder rückgängig zu machen. Denn das, was eine vierköpfige Familie dann mehr auszugeben hat, kommt ihr jetzt — ich sage: Gott sei Dank, nur ist es viel zu wenig, im Mittel falsch und in der Größenordnung falsch — wieder zu.
Der Finanzminister stellt nunmehr in Aussicht, die Steuergesetze künftig sogar Jahr für Jahr neu zu fassen.

(Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Etwa noch Monat für Monat!)

Da muß ich wirklich fragen: Wer hat Sie da getreten, Herr Apel, zu verlangen, daß die Steuergesetze künftig Jahr für Jahr nach konjunkturellen Erfordernissen völlig neu gefaßt werden müssen? Da Sie sich der Schwierigkeit dieses Unternehmens bewußt sind, haben Sie uns etwas angeboten -- wofür ich respektvollst meinen Dank vor der Obrigkeit zum Ausdruck bringe —, nämlich All-Parteien-Koalition als eine Art finanzpolitisches Krisenmanagement, weil ohne die Opposition dieses Unternehmen nicht zu bewältigen ist, und zwar nicht deshalb, weil wir etwa im Bundesrat Widerstand leisten oder es zu Fall bringen, sondern deshalb, weil Sie innerhalb Ihrer eigenen Reihen die Mehrheiten für eine solche Steuerpolitik gar nicht aufbringen würden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Damit aber das Herz des Arbeitnehmers nicht zu fröhlich schlage ob künftiger Erleichterungen, hat der
Kollege Bundesarbeitsminister vor der Bundespressekonferenz angedeutet, er prüfe, ob künftig auch für das Weihnachtsgeld Sozialbeiträge gezahlt werden müssen. Das Ganze hat natürlich mit „stop and go" nichts zu tun.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Ein weiterer Punkt Ihrer Rede: „Ich möchte davor warnen", sagten Sie, „in den vor uns liegenden Monaten eine Debatte zu führen, die sich im wesentlichen darauf konzentriert, nach Sündenböcken zu suchen. So einfach sind die Probleme nicht, daß man einfach nacheinander oder nebeneinander die Unternehmer und ihre Entscheidungen, die „Gewerkschaft und ihre Lohnforderungen, die finanzpolitischen Forderungen gesellschaftlicher Gruppen für unsere Schwierigkeiten verantwortlich machen könnte. Das Aufkleben von Etiketten hilft uns nicht weiter." Ich stimme Ihnen auch hier zu. Nur: wer hat denn die Suche nach Sündenböcken bis zur Stunde ohne Rücksicht auf den inneren Frieden mit einer Flurschadenwirkung ohnegleichen betrieben?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das waren doch Sie und Ihre Freunde! Nebenbei gesagt — Ich nehme es nicht übel —: auch Sie hier von dieser Stelle aus, als Sie einmal mir vorgeworfen haben, ich wolle die Sozialleistungsgesetze aufheben; siehe meine Rede vor dem Institut Finanzen und Steuern. Ich habe dort nur gesagt — wie auch anderswo, etwa vor dem Parteitag der CDU in Mannheim —, daß der Sozial- und Bildungsstaat seine Grenzen erreicht und zum Teil überschritten habe und daß wir deshalb wieder das Mögliche mit dem, was wir wollen, in Einklang bringen müssen, und das, was wir wollen, mit dem, was möglich ist, in Einklang bringen müssen. Sie haben es ja selber gemacht mit Ihren zahlreichen Basteleien und Flickschustereien, die Sie nach der letzten Bundestagswahl zur teilweisen temporären Sanierung des sozialen Sicherungsnetzes vollzogen haben.
Ich möchte Ihnen den Katalog derer vorführen, die als Sündenböcke jeweils abwechselnd herausgestellt worden sind; die Zeit verbietet es mir, das im einzelnen zu glossieren. Einmal haben Sie die Unternehmer wegen der Inflation beschuldigt, weil sie die Preise festsetzen. Daß das für den Staat, für Bahn und Post, auch gilt, ist selbstverständlich eine ungerechte Erwähnung. Dann sei selbstverständlich auch die Opposition dafür verantwortlich — so sagte Herr Brandt —; denn an den Stellen, an denen die Preise gemacht werden, sitzen die Herren Strauß, Stoltenberg und Kohl.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist eine wunderbare Erkenntnis: Da gibt es einen konspirativen Zirkel, der in der Bundesrepublik in unregelmäßigen Abständen zusammentritt. Das sind diejenigen, die die Preise machen, zusammen mit den Oppositionspolitikern, und die Oppositionspolitiker hetzen dann die Unternehmer auf, keine Lohnzugeständnisse zu machen und die Preise möglichst hoch festzusetzen, um damit a) einen Generalstreik herbeizuführen — das hat Herr Brandt schon einmal zurücknehmen müssen — und b) die Inflation hochzutreiben und dabei natürlich neben-



Strauß
bei den Unternehmen kräftige Profite zuzuschanzen. Und solche Leute haben das Instrument unserer Wirtschaft jahrelang in der Hand gehabt und mißbraucht!

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Die Warner vor der Inflation sind eines verbrecherischen Verhaltens bezichtigt worden. Sogar der Ihrer Partei, der SPD, zugehörende Professor Neumark, hochverdienter Wissenschaftler und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Finanzministeriums, der das selbstverständlich auch schon zu meiner Zeit gewesen und geblieben ist, hat sich damals in einem Leserbrief in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" energisch gegen diesen Vorwurf verwahrt, weil auch er selbst zu diesen Warnern gehöre.
Dann wurde natürlich der kritische Teil der Presse vorsichtshalber gleich als Schreibtischtäter gekennzeichnet. Das ist natürlich keine Etikette?
Die multinationalen Konzerne durften natürlich nicht in dem Konzert fehlen.
Es folgte eine bunte Palette einzelner Bevölkerungsgruppen: z. B. Makler, Hausbesitzer, Ärzte, Zahnärzte, Handel. Eine besonders zu erwähnende Gruppe sind die Sparer schlechthin — die „Totsparer" sind sie genannt worden —,

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

die in ihrem Sparwahn der Regierung nur Schwierigkeiten machen und die Konjunkturbelebung bösartig verhindern.
Dann kamen sämtliche Gewerbetreibende in der Aktion „Gelber Punkt". Herr Apel, ist der Gelbe Punkt keine Etikette?
Dann gibt es das Helfershelferhandbuch der SPD, herausgegeben vom jetzigen Ministerpräsidenten Börner. Das war ein Kahlschlag;

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

denn da sind nahezu alle Nicht-Lobredner der Bonner Regierung als böse Geister, Unheilspropheten, destruktive Elemente, Helfershelfer der Opposition hingestellt worden.
Neulich hat Herr Kollege Willy Brandt eine Bemerkung über die kritischen Geister gemacht, die man nicht zu den Sympathisanten zählen dürfe. Da hat er völlig recht, nur hat er sich in der Adresse geirrt: Die kritischen Geister sind wir, die wir uns nicht meinungsmäßig und lobhudeleimäßig haben mit der Welle gleichschalten lassen, die im Jahre 1969 ausgebrochen war.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Jetzt kommen die Bundesländer, die einmal zuviel ausgeben und die Inflation hochtreiben, das andere Mal zuwenig ausgeben und dadurch die Wirtschaftsbelebung verhindern, und zwar ohne Unterschied von Parteifarbe.
In der Palette durften die USA wegen ihres Kriegs in Vietnam nicht fehlen. Das ist ein hilfreicher Beitrag des Ordensträgers des Pentagon und Bundesgenossen Helmut Schmidt in dem Zusammenhang.
Dann wurde das Ausland schlechthin genannt, das zusammen mit den angeblich regierungsfeindlichen Unternehmern an allen wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen Fehlentwicklungen in der Bundesrepublik die Schuld trägt.
So haben Sie einen Katalog von zwölf Schuldigen gefunden, in dem die Gemeinden natürlich bei den Ländern mit einbezogen sind.
Ein weiterer Punkt Ihrer Rede: Wir haben uns selbst eine globale Minderausgabe von 2 Milliarden DM verordnet. Aber man höre wie: weil man die Schätzansätze von Kindergeld, Ausbildungsförderung, Kriegsopferversorgung usw. äußerst knapp kalkuliert habe.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Das durfte doch wahrlich nicht wahr sein. Ich habe es noch einmal nachgelesen, weil ich glaubte, nicht richtig gehört zu haben; denn ob Sie die Schätzansätze hoch ansetzen, um sich Milliarden für eine schwarze Kasse zu sichern, deren Inhalt Sie dann verfassungswidrig ausgeben, oder ob Sie die Sätze zu niedrig ansetzen, um damit den Schein der Sparsamkeit und der knappen Mittelbewirtschaftung zu erwecken, ist doch belanglos gegenüber der Tatsache, daß das hier gesetzlich gebundene Ausgaben sind, die Sie in voller Höhe tätigen müssen, gleichgültig, was Sie in den Haushaltsplan hineinschreiben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das sind doch kosmetische Korrekturen, Herr Apel. Das ist genauso, wie wenn jemand in einem kalten Zimmer ein Streichholz unter das Thermometer hält, nach fünf Minuten die Temperatur abliest und den frierenden Insassen sagt, wie warm es ihnen eigentlich sein müßte.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Zu einem weiteren Punkt Ihrer Rede, nämlich „ob wir die Frage der Finanzausstattung des Zentralstaates und seiner innen- und außenpolitischen Handlungsfähigkeit einer Art Kuhhandel zwischen den Ministerpräsidenten von elf Bundesländern und dem Herrn Bundeskanzler überlassen wollen. Dies kann doch nicht in unserem Interesse liegen." Nachfühlen kann ich es Ihnen ja. Das ist aber eine massive Kritik an der Verhandlungsführung des Kanzlers wie an an dem Verhalten der Ministerpräsidenten aller Länder, nicht nur der unionsregierten. Die Kritik an allen Ministerpräsidenten und Landesfinanzministern, die Sie gestern geäußert haben, kann man in die Formel fassen — ich meine das humorvoll —: Die Schurken denken nur an sich, und ich bin der einzige, der an mich denkt.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Eine weitere Bemerkung. Sie sagten: „Die Finanzen der Rentenversicherung sind in Ordnung... Jeder, der etwas anderes sagt, weiß, daß er die Unwahrheit spricht; er will nur aus der Angst der alten Menschen politisches Kapital schlagen, und das ist schäbig." Sie sagten weiter, auch in Zukunft werde es noch Rentensteigerungen geben.

(Heiterkeit und Hört! Hört! bei der CDU/ CSU)




Strauß
Wenn ich daran denke, mit welcher Präzision, auch mit welcher Leidenschaftlichkeit und Verantwortungstiefe wir uns zu Beginn der Großen Koalition über die Frage „Brutto- oder Netto-Rentenformel?" aus dem Druck der Sache und aus der sozialen Verpflichtung heraus unterhalten haben, dann ist die Aussage, es werde auch in Zukunft noch Rentensteigerungen geben, schlechterdings, Herr Apel, eine Unverfrorenheit.

(Katzer [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Denn das wird dem Ernst der Materie und vor allen Dingen der Glaubwürdigkeit der von Ihnen jahrelang abgegebenen Versprechungen doch in keiner Weise gerecht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie können doch nicht einfach sagen: Die Finanzen der Rentenversicherung sind in Ordnung. Da läuft es einem ja kalt den Rücken runter. Da Sie zugeben müssen, daß Ihre wirtschaftlichen Prognosen nicht stimmen, stimmen doch schon die ganzen darauf aufgebauten Schlußfolgerungen für die Sicherheit des sozialen Netzes nicht mehr. Darum muß der Bundeshaushalt, d. h. der Steuerzahler, oder der Bundeshaushalt mit Kreditaufnahme ersatzweise einspringen.
Unsere Rentenfinanzen werden unter zwei Voraussetzungen wieder in Ordnung kommen: Die eine ist, daß sich bei uns das Verhältnis zwischen Menschen im Rentenalter und Menschen im produktiven Arbeitsleben wieder normal gestaltet,

(Beifall bei der CDU/CSU)

d. h., daß wieder so viele Kinder nachwachsen, daß die heute arbeitende Generation weiß, daß sie für ihre Beiträge die Rente nach der heute noch geltenden Rentenformel bekommt. Da gäbe es manches zu sagen, was an anderer Stelle gesagt werden muß. Die andere Voraussetzung ist, daß die Marktwirtschaft wieder voll funktionsfähig wird und wieder ihre volle Leistungskraft beweisen kann. Nur dann sind die Renten in Ordnung, aber doch nicht auf Grund dieser Phrase: Unsere Rentenfinanzen sind in Ordnung. Es gibt eine normative Kraft des Faktischen, habe ich hier schon gesagt; aber es gibt keine faktenersetzende Kraft des Phraseologischen, auch wenn es aus Regierungsmund kommt. Das kann ich in diesem Zusammenhang wiederholen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zu einem weiteren Punkt Ihrer Rede. Sie sagten, daß „die wirtschaftliche und politische Zukunft unseres Landes nicht nur von dem Wohlergehen der Bundesrepublik und bei unseren Partnerländern abhängt, sondern von dem Wohl und Wehe der gesamten Welt. Dies ist ein Planet, auf dem wir leben." — Der Meinung war nach Geographie- und Astronomieunterricht in der Schule auch ich. Seit ich die Entwicklung der Regierungsparteien hier aus nächster Nähe und im Land verfolgt habe, glaube ich, daß wir auf zwei Planeten leben. Auf einem Planet leben nämlich die, die sich von Erfahrung, Vernunft und Wirklichkeit leiten lassen. Auf dem anderen Planeten leben die ideologischen Schwärmer, Gesellschaftsveränderer und Utopisten. SPD und FDP sind
Wunderparteien, die zugleich auf zwei Planeten angesiedelt sind.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Eine letzte Bemerkung zu einer Passage Ihrer Rede. Sie sagten, der Bundeshaushalt 1978 erhöhe die Nettokreditaufnahme. Die Nettokreditaufnahme halten wir „finanzpolitisch für geboten und auch für finanzierbar. Hier gibt es keine neuen Inflationsspielräume. Es bleibt genügend Investitionskapital für Private wie für Unternehmungen." Diese Nettokreditaufnahme stellt ohne jeden Zweifel ein erneut virulentes, wenn auch nur latentes Inflationspotential dar. In der Zeit, in der unsere Wirtschaft auf Höchsttouren lief, in der wir große Wachstumsraten hatten, sowohl netto als auch noch höher brutto wegen der schleichenden oder trabenden Inflation, in der Zeit, in der die Einnahmen für die staatlichen Kassen nur so gesprudelt sind, haben Sie eine Finanzpolitik betrieben, in der Sie leider den gesunden Grundsatz, daß man in der Zeit der Fülle für die Zeit der Not etwas zurücklegen müsse, gröblich mißachtet haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben die Kreditaufnahme deshalb schon sehr früh hochtreiben müssen und haben damit dem Kredit seine konjunkturpolitische Funktion weitgehend genommen. Das ist auch für diesen Haushalt zu sagen. Ich beschuldige Sie gar nicht wegen der Höhe dieser Kreditaufnahme. Ich weiß, daß Sie anders gar nicht können. Aber wäre die Vorgeschichte anders gewesen, dann könnte heute auch dieser Haushalt anders aussehen. Wir können nicht die Regierung immer von Jahr zu Jahr nach punktuell sich einstellenden Erkenntnissen beurteilen, sondern nur nach der Logik, der Sachgerechtigkeit, der Kontinuität und der Langfristigkeit ihres Denkens, ihres Planens und ihres Handelns.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie sagen: „Es bleibt genügend Investitionskapital für Private wie für Unternehmungen." Geld ist schon da, aber die Frage ist, wo. Es ist bei der Großwirtschaft in wesentlich größerem Umfang — ich meine das auch relativ gesehen — als bei der kleinen und mittleren Wirtschaft vorhanden. Es ist genug Geld bei den Banken da; siehe die Maßnahmen der Bundesbank. Die Pferde saufen aber nicht. Herr Biedenkopf sagte einmal: weil sie der Brühe nicht trauen; oder weil sie früher einmal gebrannt worden sind. Wer soll sich denn in der Unsicherheit der gesellschaftspolitischen Gesamtentwicklung — darüber wird heute und anderswo noch zu reden sein — und angesichts der geschrumpften Erträge, angesichts einer Stop-and-go-Wirtschafts- und Finanzpolitik noch langfristig mit Krediten belasten, die niedrigere Renditen erwirtschaften, als er selbst an Zinsen zu zahlen hat? Wer soll sich denn mit Krediten belasten, die die Gefahr des Risikos und damit des Verlustes auch seines Eigenkapitals bei weiteren Investitionen mit sich bringen? Hier liegen doch die Probleme. Ob das Geld da ist oder nicht — was Sie machen, ist eine geldkapitalmäßige Globalrechnung. Aber gerade die geldkapitalmäßige Globalrechnung ist alles andere als gerecht oder sozial. Wenn näm-



Strauß
lich zwei miteinander 100 Millionen DM haben, dann kann der eine 99 900 000 DM haben und der andere 100 000 DM; dann haben beide statistisch gesehen 50 Millionen DM und sind große Kapitalisten. Darum ist diese Art der Rechnung, gerade wenn sie aus einem sozialdemokratischen Mund kommt, einfach unzulässig.
Herr Bundeskanzler, Sie haben ein großes Rezept gegeben. Sie haben neulich bei der Besprechung mit den Präsidenten, den Vizepräsidenten, den Hauptgeschäftsführern usw. der kommunalen Spitzenverbände gesagt: Investiert doch! Wenn ihr kein Geld habt, nehmt doch Kredite auf! Als Sie den Hinweis bekommen haben, daß die Kommunalaufsicht der Landesbehörden die Kreditaufnahme beschränke, waren Sie der Meinung, man sollte denen einmal den Marsch blasen, damit die Bestimmungen für die kommunale Kreditaufnahme von den Landesaufsichtsbehörden entsprechend geändert und gelockert würden. So redet kein sorgsamer Kaufmann.

(Beifall bei der CDU/CSU)

So redet kein ehrlicher, sparsamer Verwalter der öffentlichen Finanzen. Das ist ein Appell an den Leichtsinn, das ist ein Appell an die finanzpolitische Schlamperei, das ist ein Appell an die wirtschaftliche Liederlichkeit der Haushaltsführung in den Gemeinden, aber nicht ein Appell zur Belebung der Konjunktur.

(Beifall bei der CDU/CSU)

In diesem Zusammenhang — ich habe das Thema Vertrauen hier angeschnitten — kann man einfach nicht daran vorbeigehen, daß ein gewaltiger Vertrauensschwund bei den Bürgern eingetreten ist. Ich bin nicht so egoistisch oder so einseitig oder so halbblind, etwa zu sagen, der Vertrauensschwund habe die SPD und FDP erfaßt und sei spurlos an der CDU/CSU vorbeigegangen. Ganz im Gegenteil, er führt dazu, daß das System der politischen Parteien und ihre einzelnen Träger von den Bürgern heute viel kritischer betrachtet und behandelt werden, als es noch vor einigen Jahren der Fall war. Das, was ich dafür als Nutzanwendung für die Oppositionsparteien aus meiner Sicht zu sagen hatte, habe ich an entsprechender Stelle gesagt; aber den Löwenanteil an dem, wovon wir miterfaßt werden, tragen die Regierungsparteien.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0804600200
„Im Frühjahr 1975 werden wir sichtbar über den Berg sein", 13. Dezember 1974. „Heute in zwölf Monaten wird es anders und besser aussehen", 31. Dezember 1974. „Aus einer Weltrezession haben wir einen Weltaufschwung zustande gebracht", 19. August 1976. „Zwei Drittel der Rezession sind überwunden", 29. September 1976. „Die Bundesrepublik war bei der Abwehr der Wirtschaftskrise erfolgreich", Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976.
Ich darf ein Wort über die gesamtwirtschaftliche Ausgangslage des Haushalts 1978 sagen. Der Haushalt 1977, Herr Finanzminister, ist im Gegensatz zu Ihrer Meinung kein sicheres Fundament für den
Aufschwung. Sie wissen doch selbst, wie morsch dieses Fundament ist. Kein halbes Jahr nach den großen Sprüchen hat die Regierung das mittlerweile neunte Konjunkturprogramm seit 1973 beschlossen. Wenn man so wie einige Redner der SPD/FDP auch die Steueränderungen einbezieht, dann ist es das elfte Konjunkturprogramm. Damals hätte man einmal, zweimal kräftig zulangen sollen, „Klotzen statt Kleckern", hätte, als die Inlandsnachfrage nachzulassen begann, unseren von mir an dieser Stelle vertretenen Vorschlag, durch Steuerermäßigungen die Investitionslust und die Kaufkraft zu beleben, annehmen sollen. Statt dessen hat man uns höhnisch überfahren und voller Spott niedergebügelt. Lesen Sie die Reden nach, die damals von Ihrer Seite, auch von Herrn Mischnick, gehalten worden sind! Dann werden Sie heute begreifen, daß wir, wenn wir ernst sprechen, in keiner Weise zornig sprechen, allen Grund haben, diese Leichtfertigkeit und Oberflächlichkeit, mit der man in den Tag hineinlebt, ohne auch nur ein Jahr vorauszublicken, mit allem Recht und allem Ernst heute unter kritischen Beschuß zu nehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, bis vor wenigen Monaten sagte uns die Regierung ein Wachstum in diesem Jahr von 5 % und einen, wenn auch bescheidenen Abbau der Arbeitslosigkeit vorher. Nun, ich weiß es, auch ich habe die heutige Morgenpresse gelesen und möchte das jetzt aus der Tasche heraus weder dramatisieren noch bagatellisieren, aber eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Wenn es von einer Größenordnung von 960 000 auf 911 000 heruntergeht — und das bei gleichzeitigem Anstieg der Zahl der Kurzarbeiter —, so sagt das — es ist der Auguststand, im September gemessen — noch nicht aus, daß hier etwa auch nur der Ansatz zu einer nachhaltigen Wende erfolgt sei. Jeder, der die seit drei Jahren mit der Monotonie einer tibetanischen Gebetsmühle wiederholten Versprechungen des baldigen Daueraufschwungs und eines baldigen Abbaus der kostspieligen Arbeitslosigkeit zu bezweifeln wagte, wurde in jeder nur möglichen Form verketzert und der Schwarzmalerei bezichtigt. Unabhängige Wissenschaftler sahen und sehen sich massiven Einschüchterungsversuchen ausgesetzt. Mitglieder des Sachverständigenrates haben wiederholt darauf hingewiesen, daß die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen. Sie reichen auch nicht aus. Warum folgen Sie uns nicht mit dem zehnprozentigen Konjunkturnachlaß? Warum folgen Sie uns nicht mit einer befristeten 10 %igen Steuersenkung?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie werden es bereuen. Wenn ich so wäre, wie mich Ihre Propaganda hinstellt, würde ich sagen: Laßt sie doch reinlaufen, dann kann ich hernach sagen: Wir haben recht gehabt. Heute sagen wir Ihnen noch: Machen Sie es doch in letzter Minute, kürzen Sie doch die Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer für ein Jahr um 10 °/o, setzen Sie wirksam da an, wo es hilft, wo der Arbeitsmarkt entlastet wird, wo Wachstum gefördert wird, statt daß Sie die Flick-



Strauß
schusterei fortsetzen, die wir seit Jahren als Steuerpolitik erleben!

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU)

Als Sachverständige im August 1977 eine solche Feststellung trafen, mußten sie erleben, daß im SPD-Pressedienst der Vorwurf kam, der Sachverständigenrat spiele eine zunehmend fragwürdige Rolle, betreibe Interessenpolitik, und Mitglieder des Sachverständigenrates betätigten sich als öffentlichkeitswirksame Trommler der Unionsparteien. So das Mitglied des Deutschen Bundestages, der Abgeordnete Dr. Dieter Spöri im SPD-Pressedienst vom 16. August 1977. Ist das Ihr Respekt vor der Unabhängigkeit solcher Gremien, ist das Ihr Respekt vor dem Geist, von dessen Beteuerung Ihr Parteivorsitzender dauernd trieft und tropft, wenn er mit halb tränenerstickter Stimme von der Rolle des Geistes spricht und von unserer Unfähigkeit, die Rolle des Geistes zu begreifen? Muß denn jeder, der einmal etwas bestätigt, was wir sagen, gleich menschlich angegriffen, politisch verleumdet und in seiner wissenschaftlichen Ehre herabgesetzt werden, bloß weil er im Augenblick nicht ins Konzept paßt?

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

Aber Lügen haben kurze Beine. Jetzt hat der noch amtierende Wirtschaftsminister zugeben müssen, daß das Wachstum nicht die vom Bundeskanzler in der Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976 angekündigten 5 bis 6 °/o oder die in dem vom Wirtschaftsminister zu verantwortenden Jahreswirtschaftsbericht angestrebten 5 °/o, sondern nur knapp 3 °/o erreichen werde. Nun, Prozente hin, Prozente her, ein Prozent bedeutet rund 100 000 Arbeitslose mehr oder weniger. Und jetzt wird sogar vom noch amtierenden Wirtschaftsminister das Eingeständnis gehört, daß er die amtlichen Zielprojektionen schon von Anfang an für unerfüllbar gehalten habe;

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

so „Frankfurter Rundschau" vom 16. September 1977. Das heißt, die auch in diesem Jahre ständig wiederholten Aufschwungparolen können nur als Verhöhnung der Bürger angesehen werden. Ohne Rücksicht auf die Auffassung des eigenen Wirtschaftsministers oder dessen Hintergrundgeheimerkenntnisse hat der Kanzler auf der Londoner Wirtschaftskonferenz, dem berühmten Londoner Gipfel, am 8. Mai 1977 die von den Partnern als bindend empfundene Zusage gegeben, in diesem Jahr für 5 % Wachstum zu sorgen. Nicht nur unsere Bürger, auch unsere Partner im Ausland müssen sich doch jetzt als zum Narren gehalten vorkommen.
Und lesen Sie bitte nach, was ich an dieser Stelle als Sprecher der Fraktion der CDU/CSU am 12. Mai 1977 auf eine Frage gesagt habe, auf die ich keine Antwort bekommen habe. Ich habe nämlich gefragt — ich wiederhole aus dem Gedächtnis —: Herr Bundeskanzler, wie wollen Sie diese Zusage einhalten? Es spricht doch alles dafür, daß sie nicht einhaltbar ist. Und was werden Sie tun, wenn Sie diese Zusage nicht einhalten können? — So war doch damals die Front. Ich weiß noch, wie besserwissendes -Gelächter, höhnische Überlegenheit, spöttische Kritik mir
entgegengeschlagen hat. Nun, das ist das Schicksal jedes Redners. Aber daß es so schnell zurückschlägt, habe noch nicht einmal ich verdient.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Eine erste Quittung hat die Regierung auf der Währungskonferenz in Washington erhalten, weil sie kritisiert worden ist: Ja, wo bleibt denn euer Aufschwung mit den 5 °/o, die Belebung eurer Nachfrage auf den Weltmärkten? Und bezeichnend für den verbal-optischen Stil der Regierung, die immer Wort mit Tat verwechselt, hat der Herr Bundesfinanzminister seinen Noch-Kollegen Bundeswirtschaftsminister heftig angegriffen, daß er in der Offentlichkeit nur mehr an 3 % Wachstum glaube; nicht, weil er, Herr Apel, der Meinung ist, das sei falsch, sondern weil ihm das Schwierigkeiten bei der Konferenz des Internationalen Währungsfonds einbringe. Das ist genau derselbe Maßstab: Geheim ist, was der SPD schadet, vertraulich bleiben muß, was die Regierung in Schwierigkeiten bringt. Das ist doch bei allem Verständnis für verbale Darstellungskünste nicht die Aufgabe der Regierung, national und international ihren Kredit zu verspielen.
Im übrigen hat damals der Nachfolger des Herrn Bundeswirtschaftsministers, Herr Graf Lambsdorff — dem ich gleich heute alles Gute für seine Erbschaft wünschen darf —, erklärt, auch aus seiner Sicht — ich habe seine Brille nicht geprüft, er die meine nicht — seien 5 % Wachstum ohne weiteres erreichbar. Wir haben in den letzten Stunden ja wieder einen Blick hinter die — nun, wie sagte Tacitus? — arcana imperii, die Geheimnisse der Macht, die Kulissen der Macht getan. Der Vorhang ist etwas gelüftet worden. Der Finanzminister hat uns überzeugen wollen, wie wirksam die von der Regierung beschlossenen Maßnahmen seien. Aber der Wirtschaftsminister teil die Überzeugung nicht. Er hat das Handtuch geworfen. Auch wenn er heute — aus welchen Gründen auch immer — noch eine letzte Pflichtübung als amtierender Minister machen sollte, so bleibt doch seine Flucht vor der Fahne in einer wirtschaftspolitisch so kritischen Zeit das durch Wortakrobatik nicht wegzudiskutierende Eingeständnis, daß er sich nicht mehr in der Lage sieht, seine Überzeugungen in dieser politischen Umgebung in die Wirklichkeit umzusetzen, sei es im Kabinett, sei es in der Partei, sei es in der Koalition.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich habe in meiner Parteitagsrede, Herr Friderichs, gesagt, nicht der Ruf des großen Geldes, wie es so da oder dort stand, sondern etwas anderes habe Sie weggetrieben — ich habe es ein bißchen unfreundlich gesagt: weil Sie die Rolle des Clowns satt sind —, nämlich die Tatsache, auf Sonntagsreden für die Regierung werbemäßig — sozusagen als Conférencier — Dinge versprechen zu müssen, die Sie selbst am Kabinettstisch und in Ihrer eigenen politischen Umgebung nicht durchsetzen können. Das ist doch der eigentliche Grund für Ihren Rücktritt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Darum gibt es Verwirrung in der Partei, Beklemmung in der Koalition, Krise in der Regierung und einen schlechten Eindruck in der Öffentlichkeit.



Strauß
Wenn das bisher vielleicht noch Vermutung, der Wahrheit nachempfundene Vermutung war, dann hat Ihre mutige Rede — aber wenn man geht, ist es immer leichter, als wenn man anfängt oder bleiben muß — auf der gestrigen Mitgliederversammlung des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie dies bestätigt, in der Sie gesagt haben, es gehe nicht an, daß die Demoskopie letztlich die Politik bestimme. Stimmt, das ist eine Auffassung, die ich intra und extra muros immer vertreten habe. Sie sagten weiter: Demokratie ist zutiefst ein Führungsproblem. Ja, auch das stimmt. Und Sie sagten: Wenn es nicht geht, heißt es, die Konsequenzen zu ziehen.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

Ich kann Ihnen zu dieser Rede nur sagen, daß wir Ihnen — jetzt nicht aus propagandistischen oder parteipolitischen Gründen — hier zustimmen.

(Zurufe von der SPD: Na, na!)

Nein, das haben wir immer gesagt. Wer hören und lesen konnte, der konnte in der Diskussion der letzten Jahre und Monate genau das gleiche hören, was ich heute hier sage.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb muß man die Sonde auch noch etwas tiefer ansetzen. Es geht jetzt nicht darum, daß Regierungsmitglieder ein Bekenntnis zur Marktwirtschaft ablegen, sowie sie Marktwirtschaft verstehen. Es geht nicht darum, daß man das Bekenntnis zur Marktwirtschaft wie eine Fahne mit auswechselbaren Farben vor sich herträgt. Das Wort „Marktwirtschaft" ist eine Art Wieselwort geworden. Der bekannte Nationalökonom Fritz Machlup — bei dem habe ich es einmal nachgelesen — hat den Begriff erläutert: Die Wiesel sind Tiere, die Eier austrinken können, ohne die Schale zu zerbrechen. Das heißt, es bleiben leere Schalen übrig, die man dann mit beliebigen Begriffen füllen kann. So wird der Begriff „soziale Marktwirtschaft" heute von manchen auch verwendet: Die Worthülse bleibt übrig, dahinter wird etwas ganz anderes verstanden und ein ganz anderer Inhalt dann eingefüllt,

(Beifall bei der CDU/CSU)

zumindest so lange, bis der gutgläubige Bürger so weit gebracht ist, daß er über die Hürde gezogen werden kann. Denn bis dahin muß er ja bei gutem Glauben erhalten werden.
Wenn ich an die systemverändernden Vorschläge des SPD-Parteivorstandes denke — ich verstehe Ihre schwierige Lage, Herr Bundesfinanzminister; zwischen uns gibt es manchmal vielleicht sogar mehr Gemeinsamkeiten in der sachlichen Auffassung, als Sie zugeben können oder ich zuzugeben brauche —, so möchte ich Sie fragen, Herr Bundesfinanzminister: Warum reden Sie denn hier nicht über diese Dinge? Ist denn Ihre Partei ein Nichts? Ist Ihre Partei eine leere Geschwätzkulisse, ein hohldröhnender Theaterhaufen? Können die reden und sagen, was sie wollen? Wenn dem so ist, dann ist es eigentlich schade darum, daß so viele Mitglieder, so viele Wähler diese Partei überhaupt ernst nehmen. Oder ist das, was in dieser Partei erarbeitet, auf den Tisch gelegt wird — jetzt auch für den kommenden Parteitag —, ein wesentliches Element der politischen Willensbildung, auch der kritischen Urteilsfindung? Dann müssen die Mitglieder dieser Partei, wenn sie hohe Regierungsämter haben, hier dazu Stellung nehmen, weil es dann kein esoterisches Parteiselbstvergnügen, Selbstbeschäftigungsprogramm mehr ist, sondern weil es dann Schicksal von Volk und Staat ist.
So müssen Sie z. B. Stellung nehmen, wenn ein Strukturrat der öffentlichen Hand verlangt wird. Gut, der bisherige Konjunkturrat der öffentlichen Hand soll unter Erweiterung seiner Aufgabe ein Strukturrat der öffentlichen Hand werden. Dabei wird das Wort Struktur ziemlich mißbraucht. d. h. von vielen angewandt, die es kaum schreiben können, ihm aber trotzdem verschiedene Inhalte zu geben vermögen. Dann kommt der Strukturrat der sozialen Gruppen. Da wird verlangt, die Konzertierte Aktion zu einer Art überbetrieblichem Mitbestimmungsorgan auszudehnen und daraus einen Strukturrat der sozialen Gruppen zu schaffen. Was heißt denn das? Das bedeutet doch die Entmachtung der Institutionen der parlamentarischen Demokratie.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das wäre doch die Einführung eines Verbands-RäteSystems.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Da sagten Sie, Herr Apel — ich muß mich natürlich auf Pressemeldungen verlassen, weil ich nicht an allen Ihren Veranstaltungen fröhlich teilnehmen kann oder darf —, der Vorschlag, Strukturräte zu schaffen, sei ein Bekenntnis zur Marktwirtschaft.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Jetzt verstehe ich auch, daß man einen Würgegriff
unter Umständen als Halsmassage bezeichnen kann.

(Große Heiterkeit und Beifall bei der CDU/ CSU)

Was sollen wir denn noch alles kriegen, Investitionsräte, Strukturräte, Räte zur Planung des gesellschaftlichen Bedarfs, das sind dann Produktionsräte und Verbrauchsräte? Der Markt wird durch Räte ersetzt. Das heißt, der Markt wird durch Manipulationen der Funktionäre ersetzt. Das steckt doch hinter diesen Vorstellungen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dann kommen noch Einführung der vollen paritätischen Mitbestimmung, das nostalgische Klagelied gegenüber der heutigen Koalition, der Leitantrag zur Energiepolitik. Ich kann nur sagen: Nichts vergessen und nichts dazugelernt!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die SPD schlägt genau die Mittel zur Krisenlösung vor, die die Krise entscheidend mitherbeigeführt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Können Sie sich denn nie aus dem Teufelskreis marxistischer Spätvorstellungen lösen?

(Widerspruch bei der SPD)




Strauß
Können Sie sich denn nie von der Wahnidee lösen, daß die Vergesellschaftung der Produktionsmittel — Sie nennen es nur anders — der Weg zu weniger Freiheit, zu weniger Wohlstand, zu weniger Gerechtigkeit, zu weniger Gleichheit ist und nicht der Weg zu Heil, Gerechtigkeit und Glück auf Erden? Nehmen Sie doch bitte einmal Verstand und Vernunft an.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Hier nützt auch die Berufung auf das Ausland nichts. Ich könnte nachweisen, Herr Bundeskanzler, daß Ihre Behauptung über die Wirkung des Vietnamkrieges auf die Weltwährungszusammenhänge und das amerikanische Zahlungsbilanzdefizit einfach nicht stimmt. Herr Bundeskanzler, ich könnte Ihnen nachweisen, daß wir nur durch den Umfang des Exports gerettet worden sind. Dieser Export machte von Jahr zu Jahr — mit einer Ausnahme — einen höheren Anteil des Sozialprodukts aus, wesentlicher höher, als es Willy Brandt bei seiner ersten Regierungserklärung überhaupt national für tragbar erklärt hat. Dieser Export ist ein Loblied auf den deutschen Arbeiter, auf den deutschen Unternehmer, ihre Qualität, ihre Präzision und ihre Pünktlichkeit, aber nicht auf die Qualität der Regierung, sondern auf die Qualität der Leistung; und das ist ein Gegensatz.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nur der Export hat uns davor gerettet, noch eine zweite Million Arbeitslose als Dauererscheinung in Kauf nehmen zu müssen.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Wenn Sie das SPD-Diskussionspapier „Grundwerte in einer gefährdeten Gesellschaft" sehen, dann beginnt das mit der Forderung nach Einkommensnivellierung, mit der Forderung nach bürokratischer Verteilung des Arbeitsvolumens. Wir wollen jedem mehr Einkommen verschaffen. Aber wir halten gar nichts von der Gleichmacherei auf diesem Gebiet, weil sie nur weniger an Wohlstand bringt, weil sie weniger an Freiheit bringt, weil sie weniger an Gerechtigkeit bringt, weil sie weniger an Selbstverwirklichung bringt, weil sie weniger an Humanität bringt.
Soziale Marktwirtschaft schließt — das muß man zugeben — auch Ungleichheit der Einkommen ein. Wesentlich ist nicht der neiderfüllte Blick nach dem, der mehr verdient, sondern der beruhigte, befriedigte Blick auf das Ergebnis der eigenen Leistung, der Blick auf die Situation, in denen unsere Väter als arbeitende Menschen mit ihren Familienangehörigen gelebt haben, und die Situation, in der wir heute leben können. Das ist der Unterschied. Es darf nicht um den Neid gegenüber dem anderen gehen, dem der Schrei nach der Gleichmacherei folgt.
Nehmen Sie unsere Überzeugung zur Kenntnis: Nur die Soziale Marktwirtschaft, die wir nicht ihres Begriffsinhalts berauben und entleeren lassen, garantiert erstens Vollbeschäftigung, zweitens hohe Arbeitsproduktivität, drittens gerechtes Verhältnis zwischen Lohn und Leistung, viertens ausreichende Investitionen auf allen Gebieten — Ersatz, Erweiterung und Modernisierung —, fünftens angemessenes
Wachstum, sechstens Widerstands- und Leistungsfähigkeit des sozialen Sicherungssystems, siebtens Freiheit und Würde der Menschen im Wirtschafts. prozeß, achtens sinnvolle Funktion der Gewerkschaften — man muß ja erschrecken, wenn man liest, was auf dem Kongreß der IG Metall von einzelnen hochmögenden Rednern gesagt worden ist —, neuntens genügend Arbeitsplätze und Bildungsmöglichkeiten für die Jugend, zehntens Wettbewerb, elftens wissenschaftlich-technischen Fortschritt und nicht zuletzt zwölftens außenpolitische Durchsetzungsfähigkeit.
Ich möchte hier — ich wollte, man könnte darauf verzichten — auch mit aller Offenheit darauf hinweisen, daß dieselbe Entwicklung innerhalb der FDP Platz gegriffen hat. Die beiden Papiere der Friderichs-Kommission und der Baum-Kommission sind doch nur durch magische, wortreiche Schlangenbeschwörerkünste nur oberflächlich auf einen halbwegs gemeinsamen Nenner zu bringen. Das stimmt doch einfach nicht. Graf Lambsdorff, machen Sie sich doch dabei nichts vor! Sie erleben doch jetzt, wie die Dinge in Ihrer Partei aufbrechen. Ich habe von dieser Stelle aus gesagt: Ihre Judos sind noch gefährlicher als die Jusos; denn das ist die Playboy-Variante der jungen Marxisten geworden. Da haben die Väter nur mehr Geld.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Die Ergebnisse der Perspektivkommission „Aktuelle Perspektiven des sozialen Liberalismus", Leitung Staatssekretär Baum, und die Erkenntnisse der Kommission „Grundzüge liberaler Wirtschaftspolitik", Leitung Bundesminister Friderichs: das sind doch Programmpapiere zweier völlig verschiedener Parteien. Ich messe einer Partei nicht die Aufgabe zu, eine uniforme Marschkolonne zu sein, eine geistige Uniformierungsschmiede etwa zu sein. Aber jede Partei muß noch ein gewisses gemeinsames Wertordnungssystem haben, wenn sie nicht bloß eine Begriffshülse aus einigen Buchstaben ist, deren Maschinerie in Wahlen auftritt, um Mandate zu erwerben und ihre Funktionäre in Posten und Pfründe zu hieven. Eine Partei muß doch etwas sein, was für den Bürger eine bestimmte Marke darstellt. Was er dann von der Marke hält, ist eine andere Frage. Darum haben wir ja Pluralismus und geistige Freiheit, damit er sich zwischen verschiedenen Parteien entscheiden kann. Aber zur geistigen Freiheit gehört auch die Sicherheit des Bürgers vor der verbalen Täuschung, die mit solchen Programmen verbunden ist.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dasselbe gilt ja auch — ich habe es vorhin in anderem Zusammenhang erwähnt, und unser Fraktionsvorsitzender wird sich damit noch eingehender befassen —

(Zuruf von der SPD: Geht das? — Dr. Ehmke [SPD] : Wer?)

für die Frage der Energiepolitik, der Kernkraftwerke. Was Helmut Schmidt in Nürnberg anläßlich des Jubiläums der Arbeitsverwaltung sagte, das müssen doch Sie sich hinter Ihren Spiegel stecken.



Strauß
Hier sagte er doch, daß Zehntausende von Arbeitsplätzen auf dem Spiel stehen, und zwar akut wegen der Auftragssperre und auf lange Sicht wegen der Energieversorgung.
Wo liegen denn die Schwierigkeiten dieser Regierung? Jetzt platzt doch der ganze Schwindel von der obstruktiven Opposition. Wir haben immer und überall Solidarität geübt, wo es die Sache erfordert hat. Wir lassen uns aber nicht unter dem Stichwort „Solidarität" einen Maulkorb umhängen und damit alles unter einen Teppich kehren, auf den wir dann gemeinsam treten sollen. Das ist der Unterschied zwischen falscher Solidarität und echter Verantwortung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir können einfach nicht damit einverstanden sein, daß die Steuerung durch den Markt durch kollektive Entscheidungen von Gremien mit anonymer Verantwortung und ohne persönliches Risiko der Herren Räte ersetzt werden soll. Wir können das, was in dem einen Papier der FDP betont wird, nicht anerkennen, nämlich daß im Rahmen der gegenwärtig bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der Staat seine planende und gestaltende Tätigkeit nicht ausreichend zur Geltung bringen kann. Was ist denn übriggeblieben vom Erbe Ludwig Erhards? Hat nicht Herr Genscher betont: Wir haben Ludwig Erhard zum Erfolg verholfen! Jawohl, das stimmt. Wir hatten damals nicht die ausreichende Mehrheit. Ich war damals Abgeordneter im Wirtschaftsrat der Christlich-Sozialen Union und der gemeinsamen Fraktion. Wir hatten eine ganz hauchdünne Mehrheit. Hut ab vor jener FDP, die damals den Mut hatte, wider den Zeitgeist mit uns gemeinsam hinter Ludwig Erhard die große Reform durchzuführen!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Was ist denn daraus geworden, wenn man diese politische Entwicklung, wie sie seit Jahren allmählich demontiert wird, als eine „Strategie der autoritären Restauration", als eine „Strategie der sozialen Polarisierung" bezeichnet? Diese Ausdrücke haben doch mit dem liberalen Gedanken- und Geistesgut nichts mehr zu tun. Das sind doch Leihgaben aus dem Arsenal, aus der Mottenkiste marxistischer Klassenkämpfer, aber nicht Begriffe, wie sie integrierende Liberale verwenden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Warum hat denn Frau Schuchardt, eine liebenswürdige Kollegin

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

— in anderer Umgebung sehe ich sie durchaus gerne —,

(Erneute Heiterkeit bei der CDU/CSU)

die Friderichs-Kommission verlassen? Wahrscheinlich aus Zeitmangel. Oder stimmt es, daß Herr Friderichs im Hinblick auf die Vorschläge der Baum-Kommission gesagt hat: Nur über meine Leiche? Die Leiche heißt — horribile dictu — Abmarsch zur Dresdner Bank.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Pfui! Volksverhetzer!)

— Ich habe nicht solche Ausdrücke wie einer Ihrer Freunde im Zusammenhang mit dem Fall Schleyer gebraucht. Wenn Herr Friderichs aber im Hinblick auf die Vorschläge der Baum-Kommission gesagt hat: nur über meine Leiche!, so ist doch sein Entschluß — ich tadele ihn nicht wegen dieses Entschlusses; ich verstehe ihn ja — als Ausweg zu verstehen, weil er mit den Inkompatibilitäten, Unvereinbarkeiten und Gegensätzlichkeiten der Entwicklung innerhalb seiner eigenen, von ihm wahrlich geförderten politischen Partei nicht mehr zurechtkommen kann. Unterstellen Sie mir nicht einen Sinn, den ich meinen Worten nie gegeben habe.

(Widerspruch bei der SPD)

Ich kann noch Deutsch, andere vielleicht nicht mehr!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Eines der größten Probleme ist die heute schleichende oder trabende, vielleicht morgen in Galopp verfallende Tendenz des Vertrauenschwundes der Bürger. Hervorgerufen haben diesen Vertrauensschwund die ideologischen Gaukler und Wolkenschieber in unserem Land, die unfähig und unwillig sind, Ursachen und Zusammenhänge der Probleme zu erkennen und offen auszusprechen. Wir müssen mit der parteipolitisch selbstgefälligen Heuchelei Schluß machen. Das gilt für jedermann. Wir müssen den Dingen auf den Grund gehen und dem Bürger gegenüber die Dinge so darstellen, wie wir es auf Grund unserer Kenntnisse — ohne ideologische Scheuklappen — zu tun vermögen.
Darum kann ich nur die beschwörende Mahnung aussprechen: Kehren Sie doch zurück zur wirtschaftspolitischen Vernunft und zur finanzpolitischen Solidarität und Solidität! Machen Sie doch Schluß mit der finanzpolitischen Leichtbauweise! Herr Apel, Sie sind ein finanzpolitischer Hollywoodarchitekt, der finanzpolitische Wolkenschlösser und Filmburgen gebaut hat. Schluß mit den sozialpolitischen Täuschungsschlössern, Schluß mit den falschen Alibis, Schluß auch mit der Suche nach den falschen Sündenböcken!
Begonnen hat das Unheil — das war nicht nur bei uns so — mit der Überforderung des Sozialprodukts, mit Umverteilungswünschen, die mehr umverteilen wollten, als überhaupt an Substanz insgesamt erzeugt worden ist. Wohin die Verteilung führt, was sie ergeben soll, muß dann der Kampf der gesellschaftlichen Gruppen, mit legalen Mitteln ausgetragen, ergeben. Deshalb haben wir ja die Tarifautonomie, die wir erhalten wollen. Seien Sie sich aber über folgendes im klaren: Wer ein verfassungsmäßig verankertes Recht nur auf einen Arbeitsplatz verlangt — eine sehr bescheidene Forderung, die ein Arbeitsdienststaat, er mag braun oder rot sein, jederzeit erfüllen kann —, muß auch die Tarifautonomie aufgeben. Dann kann man jedem einen Arbeitsplatz zuweisen. Welchen Arbeitsplatz und was er dafür bekommt, ist eine andere Frage.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist doch seit dem Herbst 1969 — die ganzen Jahre hindurch — kein Fehler vermieden worden. Bei inflationärer Erwärmung eine kräftige Aufblä-



Strauß
hung der Staatsausgaben, massive, volkswirtschaftlich unvernünftige Erhöhung der Lohn- und Lohnnebenkosten, Nachfragedruck, Kostendruck haben bewirkt, daß die Inflation zu greifen begann. Der Nachfragedruck aus dem Inland hat umgeschlagen. Nur der Nachfragedruck aus dem Ausland hat uns vor einer Massenarbeitslosigkeit von zwei Millionen Menschen bewahrt. Der Kostendruck aber ist weiter gestiegen. Investitionsbereitschaft und Investitionsfähigkeit sind entscheidend angeschlagen worden. Zu den Fehlern gehört auch der Unfug, daß man Stabilitätspolitik zunächst nur mit monetären Maßnahmen betrieben hat, daß man auch die Steuern nicht richtig eingesetzt hat und den Haushalt über Jahre hinweg überhaupt nicht herangezogen hat. Dadurch ist die Fehlentwicklung erheblich beschleunigt und begünstigt worden. Dann kam die Ablenkungspolitik durch Herausstellung staatlich anerkannter, parteipolitisch diffamierter, manchmal sogar gewerkschaftspolitisch vorgeschlagener Sündenböcke. Das Ziel waren Tarnung auf der einen Seite und Entlastung der wirklich Schuldigen auf der anderen Seite.
Zu dem, was in diesen Tagen zu lesen ist, möchte ich — hier geht es nicht darum, irgendeine Gruppe anzugreifen oder sich selbst in das rechte Licht zu rücken — ein Wort sagen, das ehrlich gemeint ist und das nicht mißverstanden und nicht mißdeutet werden darf. Wir bejahen die Daseinsberechtigung, Funktion und Aufgabenstellung der Gewerkschaften in vollem Umfang. Niemand kann aber von uns verlangen, daß alles das, was hochmögende DGB-Funktionäre an Urteilen abgeben und Forderungen aufstellen, von uns im Sinne von bindenden Kommandos gehorsam übernommen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der DGB-Vorsitzende Vetter schreibt in seinem Brief von Anfang September: Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Leistungsdruck, Jugendliche ohne Ausbildung — das sind die Ergebnisse unternehmerischer Alleinherrschaft. — Hier haben Sie die zentralen Themen, Herr Kollege Apel, die Ihre ausländischen Partner nicht verstehen. Sie haben doch gestern hier erklärt, im Ausland verstehe es kein Mensch, daß es hier in der Bundesrepublik zentrale Diskussionsthemen gebe, weil bei uns dank der Weisheit und Unfehlbarkeit unserer Regierung alles so glänzend geordnet sei. Nun hören wir auf einmal von Ihrem Parteifreund Vetter, immerhin dem obersten Mann der deutschen Gewerkschaften: Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Leistungsdruck, Jugendliche ohne Ausbildung. Seine Schlußfolgerungen: Folgen unternehmerischer Alleinherrschaft.
Der Vorsitzende der IG Metall, Herr Loderer, sagt:
Arbeitslosigkeit gehört zur langfristigen Strategie der Unternehmer. Die Reservearmee von Arbeitslosen ist das Kernstück ihrer Machtpolitik.
Der Vorsitzende der IG Druck und Papier sagt:
Zu den unternehmerischen Heucheleien zählen auch die Ver-Schleyerungen,
— dies ist am 12. September 1977 erschienen; wenn man hier ein mißbilligendes Wort ausspricht, müßte man es wohl in diesem Zusammenhang sagen —
wonach die Löhne zu hoch, die Gewinne zu niedrig, die Entwicklung der Lohnkosten der Schlüsselfaktor der wirtschaftlichen Entwicklung seien.
Loderer hat den Arbeitgebern auf dem Kongreß der IG Metall dann noch psychologische Kriegführung vorgeworfen. Er sagte, die Arbeitgeber mißbrauchten die Arbeitslosigkeit zur Disziplinierung der Arbeitnehmer.
Ich sage ausdrücklich: Lohnpolitik ist nicht allein eine Sache der Gewerkschaften. Wenn wir Mahnungen oder Vorwürfe an die Adresse der Tarifpartner richten, dann meinen wir beide Seiten. Wer aber über den Faktor Arbeit verfügt, hat eine mächtige Waffe in der Hand. Es ist einfach entweder grobe Unkenntnis der Arbeitswelt, die ein Gewerkschaftsvorsitzender nicht haben darf, oder Irreführung, wenn er sagt, die Alleinherrschaft der Unternehmer habe diese Dinge, die er so bitter beanstandet, herbeigeführt. Damit darf ich wohl die Frage verbinden: Wann werden die hohen Funktionäre endlich begreifen, daß sie für die arbeitenden Menschen da sind und nicht Entschuldigungs-, Beschwichtigungs-
und Ablenkungsautomaten für die SPD-Regierung und ihre Verhaltensweisen sind?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Leider ist es so, daß die Führungsschicht sozialistischer Parteien und der Massengewerkschaften mehr und mehr von Akademikern besetzt und gesteuert werden, die mit dem eigentlichen Anliegen der Arbeiterschaft, das wir ernst nehmen und dem wir uns verpflichtet fühlen, wenig oder nichts zu tun haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie sind ihr intellektuell entfremdet. Zur Tarnung gibt man sich dann vulgär-radikal. Ein Soziologe unserer Zeit sagte einmal, der Arbeiter ist nur noch der theoretische Vorwand für die Verfechtung radikaler Ziele; er ist nicht mehr als arbeitender Mensch Ausgangspunkt und Ziel der sozialistischen Überlegungen, sondern er ist ein unmündiges Instrument oder ein Vehikel der Revolutionierung für manche geworden, d. h. Verbrauchsmaterial für die Änderung der Gesellschaft. Ich warne — ich sage es hier — vor einer Allianz von ideologiefreien opportunistischen Technokraten, intellektuellen Schwärmern, akademischen Systemveränderern und politischen Pietisten, die zusammen nicht nur mit dem Segen der aus dem Geleise der Liberalität geratenen Playboy-Marxisten, den Judos, sondern auch älterer entgleister Teile des liberalen Lagers, des liberalen Zuges einen bürokratisch-sozialistischen Macchiavellismus erzeugen, dem auch Helmut Schmidt trotz gelegentlicher Stoßseufzer mangels echter Wertmasse nicht völlig fremd — vielleicht aber jedenfalls hilflos — gegenübersteht.
Zuerst macht man die soziale Marktwirtschaft funktionsunfähig, dann verlangt man ihre staatliche Kontrolle, ihre Bevormundung, ihre Planung, ihre



Strauß
Steuerung, ihre Lenkung, um dann festzustellen, daß ihre Reste beseitigt, daß sie durch eine andere Wirtschaftsordnung ersetzt werden müsse. Hier liegt der Kern der Probleme. Von diesem Kern lassen wir uns nicht abbringen. Das ist der zentrale Gegenstand der Auseinandersetzung. Unsere Bürger haben einen Anspruch darauf, mündig, wie sie sind, Herr Brandt — siehe Regierungserklärung —, von den Parteien zu hören, wie sie zu diesem Thema stehen und was sie hierzu Echtes auszusagen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie mich daraus eine Schlußfolgerung ziehen. Der Bürger spürt, daß das System der politischen Willensbildung in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr in Ordnung ist. Warum? Es gibt keine Regierung mehr, die mit ihrer Mehrheit regieren kann. Dafür gibt es aber statt zwei vier Regierungsparteien: SPD zwei, FDP zwei. Es geht jetzt hier nicht um die Frage, die wir nicht nur im Wahlkampf, sondern auch anderswo, und zwar aus Überzeugung, in den Raum gestellt haben — auch als Ausrufezeichen —: Freiheit oder Sozialismus. Die SPD hat ohne jeden Zweifel eine marxistische Komponente; die FDP hat eine liberal-sozialistische Komponente. Die Verhältnisse sind schlaglichtartig beleuchtet, erhellt worden durch die Abstimmung über das Kontaktsperrengesetz, sind vorher auch angedeutet worden durch die Diskussion über die vor einigen Monaten beschlossenen Steuererleichterungen.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Das war entlarvend!)

Die SPD hat — das ist eine Feststellung, keine Unterstellung — ihr Verhältnis zum Marxismus nie geklärt. Sie hat sich nie von ihm lossagen können, weil sie befürchtet, wesentliche Teile zu verlieren. Ich wollte, es gäbe einen demokratischen Sozialismus als klar definierbaren Begriff; auch das ist ein „Wieselwort", eine Utopie. Kennzeichnend ist doch die Linksgerechtigkeit der Nivellierung statt der Sachgerechtigkeit der Leistung, die Unvereinbarkeit des Gegensatzes zwischen Erwartung und Verheißung einerseits, Erfüllung und Verwirklichung andererseits, Gleichheit statt Gerechtigkeit, Freiheit der Gesellschaft statt Freiheit des einzelnen. Damit wird die Einheit aufgelöst, die für uns heißt: parlamentarische Demokratie, demokratischer Rechtsstaat und Soziale Marktwirtschaft.
Wer die Untat begeht, den Konflikt als einzige Wahrheit der Geschichte und der Gesellschaft zu predigen, der darf sich nicht wundern, wenn die Saat in der nächsten Generation, wenn sie erwachsen ist, aufgeht.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

Unsere Geschichte, die unsere Kinder lernen sollen, darf sich nicht in Konfliktlehre erschöpfen. Der Konflikt ohne Konsensus zerstört menschliches Glück und staatliche Gemeinschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Warum versuchen denn Marxisten, ihre Ziele in der Bildungspolitik durchzusetzen? Ich sage nicht: Sozialdemokraten. Ich kenne viele in der Bildungspolitik, meine Damen und Herren von der SPD, wie Herrn Nipperdey, wie Herrn Schwan und viele andere, die als Mitglieder Ihrer Partei, zum Teil seit Jahrzehnten, auch heute noch dieser Partei treu bleiben wollen, mit denen wir uns aber in der Sorge — ich darf sagen — nahtlos verbunden fühlen. Das ist keine Polemik, das ist keine Schlagwortauseinandersetzung, hier geht es um die letzten Problemwurzeln unserer menschlichen, politischen Existenz, die einmal geklärt werden müssen und nicht durch den Schaum und die Phraseologie der Funktionäre und ihrer akademischen Spinner verwischt und verwoben werden dürfen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Warum bemühen sich denn marxistische Bildungspolitiker, die Völker von einem kontinuierlichen Geschichtsbewußtsein zu trennen? Warum denn? Weil der Marxismus keine Geschichtslehre, sondern Irrlehre ist, weil, wer Geschichte kennt, sich den Marxismus nicht zu eigen machen kann. Der Marxismus ist unbrauchbar als Geschichtsdeutung, unbrauchbar als politische Ökonomie, unbrauchbar als soziologische Disziplin, unbrauchbar als politische Philosophie. Und der Marxismus ist auch unbrauchbar für die Anwendung im täglichen Leben. Er ist auch als philosophische Lehre unbrauchbar. Er ist eine profanierte Religion, mehr als ein wirtschaftswissenschaftliches System. Wie allen profanierten Religionen hängt ihm deshalb der Fanatismus an, der Fanatismus bis zur Predigt und Anwendung der offenen Gewalt in den entfernten Ablegern, die sich gebildet haben. Damit möchte ich auch einer vergiftenden Deutung, dieser öffentlichen Lüge widersprechen. Wenn es bei uns eine rechte Fememordorganisation gäbe, wie es sie in der Weimarer Republik einmal gegeben hat, Sie können überzeugt sein, daß ich hier mit derselben Schonungslosigkeit und Offenheit gegen diese menschenverachtende, Gesundheit, Leben und Freiheit zynisch mit Füßen tretende Würdelosigkeit und Brutalität zu Felde ziehen würde.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber hier haben wir heute kein Recht mehr, die Hintergründe zu verwischen, die Ursprünge zu leugnen oder parteipolitische Süppchen zu kochen oder opportunistische Vernebelungsmanöver irgendwelcher Art zu machen.
Sozialistische Analysen sind unfähig zur Selbstkritik. Darum ist das Wort von Willy Brandt so töricht, wenn er sagt: „Kritische Geister dürfen nicht als Sympathisanten der Terroristen identifiziert werden." Wir sind bestimmt keine Sympathisanten der Terroristen. W i r sind die kritischen Geister, die sich gegen den „Zeitgeist" in diesem Lande gestellt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Kritische Geister sind doch nicht nur diejenigen, die in den großen Lobgesang „Te Deum laudamus" etwa für die Regierung ab 1969 eingestimmt haben. Kritische Geister sind wir, die wir uns nicht von den Phrasen haben benebeln lassen, die mit Lebensqualität und mit Gerechtigkeit und Glückseligkeit und Menschlichkeit usw. in die Welt gesetzt worden



Strauß
sind, wie alle Ideologen den Himmel auf Erden versprechen und in Wirklichkeit den Weg zur Hölle mit den Steinen ihrer Ideologie pflastern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die einzige Kritik, zu der sozialistische Kritiker fähig sind, ist die Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft, an der liberal-bürgerlich-parlamentarischdemokratischen Gesellschaft, unfähig zur Kritik sich selbst gegenüber und ihrem eigenen System gegenüber. Dabei braucht man nur die Augen aufzumachen, um das erbärmliche Fiasko der marxistischen Wirklichkeit gegenüber einer an Erfahrung, Vernunft und geschichtlicher Wirklichkeit und Lehre aufgebauten staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung zu sehen.
Das Unglaubliche ist die psychologische Anfälligkeit gewisser Kreise für marxistische Denkansätze. Die Revolution ist kein Arbeiterproblem. Sie ist ein Intellektuellenproblem.

(Breidbach [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Das wird verschlimmert, wenn freischwebende Intelligenz keine unmittelbare Verantwortung in der Praxis hat, der tatsächlichen Erfahrung ermangelt und wenn sie Verneinung mit Kritik verwechselt.
Die SPD hat eine große Programmgeschichte. Aber ihre ganze Programmgeschichte stand immer unter dem Zwang, Marx zu tarnen, statt sich endlich von ihm zu trennen. Siehe die Zielvorstellungen einer marxistisch-sozialistischen Gesellschaftsänderung, die immer wieder, selbst im Schlußkapitel des Godesberger Programms durchleuchten. Sie erwähnen Marx namentlich nicht. Aber was ich heute an Programmen zitiert habe — ich habe es sorgfältig gelesen —, das ist nichts anderes, als Marx schrittweise und unter Verbergung der letzten Ziele in die politische Wirklichkeit umzusetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Hier muß einmal Klarheit in unserem Lande geschaffen werden.
Warum sage ich das, meine Damen und Herren?

(Porzner [SPD] : Rechnen Sie damit, daß der Präsident diesen Teil zur Haushaltsrede des Finanzministers durch die Mittagspause unterbricht? — Gegenrufe von der CDU/ CSU)

— Der Präsident braucht meine Rede nicht durch die Mittagspause zu unterbrechen. Aber gerade Sie täten gut daran, Herr Porzner, mich hier nicht zu unterbrechen; ich komme gleich zum Schluß.

(Lachen und Zurufe von der SPD)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0804600300
Herr Abgeordneter, ich werde Ihre Redezeit im Hinblick auf die Bedeutung des Gegenstandes gemäß § 39 der Geschäftsordnung nicht begrenzen, und ich werde bei den folgenden Rednern ebenso verfahren.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0804600400
Ich komme gleich zum Ende.
Aber das sind doch die Dinge, die uns bewegen. Wenn Sie einerseits Benneter ausschließen — ein großes Ablenkungsmanöver, aber ein Kompensationsmanöver —, wenn andererseits in Berlin-Zehlendorf zwei alte Sozialdemokraten ausgeschlossen werden, weil sie als Mitglieder der Notgemeinschaft für die Freie Universität das Volksfrontbündnis sozialdemokratischer und kommunistischer Studenten in der Offentlichkeit angegriffen haben, muß ich doch fragen: Seit wann klagt man diejenigen an, die einen Mißstand offenlegen, statt derjenigen, die den Mißstand zu verantworten und zu verschulden haben?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie wissen, was Professor Schwan in seinem Aufsatz in der „Deutschen Zeitung" geschrieben hat — er ist Ihr Parteifreund, nicht der unsrige —:
Ich meine, daß es jetzt auf eine Klarstellung ankommt, welchen Weg die SPD in unserer parlamentarischen Demokratie eigentlich gehen will und ob ihr die Grundsätze des Godesberger Programms noch etwas bedeuten. Die Linke ist ohne Zweifel in dieser Partei im Vormarsch.
Er fährt dann fort:
Die Warner werden durch scheinsoziologischen Intellektualismus, durch marxistisches Parteichinesisch und am meisten durch eine kaltschnäuzige Kadertaktik vergrault.
Das schreibt ein sozialdemokratischer Professor.
Ich erinnere auch an das, was Professor Nipperdey, Mitglied Ihrer Partei, zu diesem Thema geäußert hat. Warum schließen Sie Herrn Kronawitter nicht aus, immerhin Münchner Oberbürgermeister, der heute nur mit Hilfe der CSU in München noch regieren kann? Er hat doch in einem Brief an Willy Brandt erklärt: Stamokap, das sind Kommunistenfreunde, Stamokap-Leute sind Verfassungsfeinde. Trennen Sie sich von allen Stamokap-Leuten, nicht bloß von einem, ich würde sagen, Oberschwammerl, der an ihrer Spitze steht.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU) Schließen Sie alle Ihre Stamokap-Leute aus!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Er sagt:
Stamokap-Leute sind Verfassungsfeinde, die überhaupt nicht zum öffentlichen Dienst zugelassen werden dürfen.
Herr Rothemund, Landesvorsitzender, mein Kollege nach dem Abtritt von Hans-Jochen Vogel, sagt, man sehe keinen Anlaß, gegen Herrn Kronawitter ein Parteischiedsverfahren zu unternehmen. Wie steht es denn damit, daß in Kreisen der Jungsozialisten oder der Jungdemokraten in Berlin, Augsburg, München dieser schändliche Buback-Nachruf mit der heuchlerischen Begründung nachgedruckt wird, es handle sich hier um die Erfüllung eines Informationsbedürfnisses. Man kann Dinge lange Zeit durch körperliches Gewicht oder verbale Beschwichtigungsmanöver zudecken. Aber auf die Dauer lassen sich diese Dinge nicht mehr künstlich den Augen der Offentlichkeit entziehen. Wie ist



Strauß
es denn Herrn Genscher ergangen? Warum werden die Berliner Jungdemokraten nicht ausgeschlossen? Hier ist die Scheidelinie. Das ist in einem demokratischen Staat mit einem demokratischen Parteiensystem nicht mehr erträglich.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Und hier liegen die Ansätze, die Gefahren für die Zukunft.
Darum habe ich mich — ich sage das auch hier ganz offen — darüber empört, daß der Parteivorsitzende der SPD im Juli einen Brief schreibt, diesen noch im August veröffentlicht und die Regierung, Sie, Herr Bundeskanzler, die Garnitur, die hier auf den beiden Bänken sitzt, ermahnt, Sie sollten mehr gegen die Gefahren rechtsradikaler Umtriebe unternehmen.

(Dr. Marx [CDU/CSU] : Das ganze Ausland schreibt es!)

Ich bin der Meinung, man soll auf beiden Augen wachsam sein, aber man braucht nicht mit zwei Augen in die falsche Richtung zu schauen,

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

wenn aus der anderen, der richtigen Richtung die Gefahr kommt.
Weiß Willy Brandt denn nicht, welchen Bärendienst er damit Deutschland, dem Ansehen des deutschen Volkes, unseren demokratischen Parteien erwiesen hat?

(Beifall bei der CDU/CSU — Rawe [CDU/ CSU] : Das Schlimme ist, er weiß das wirklich! — Dr. Marx [CDU/CSU]: Er weiß es!' — Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Er hat das absichtlich gemacht!)

Ich habe die Wirkung persönlich erlebt — nicht an mir selbst —, weil ich in dieser Zeit in den USA und in Kanada war, in der der Brief in der Zeitungsdiskussion, in der öffentlichen Diskussion eine große Rolle spielte, als ob in Deutschland nun mehr Hitler ante portas wäre. Helmut Schmidt hat darauf vernünftig reagiert; er hat das Ganze für blühenden Blödsinn erklärt. Aber was ist das für eine Partei: Der Parteichef warnt vor der großen Gefahr des Rechtsradikalismus, die letzte Säule der SPD — der Dichter sagt: „Auch diese schon geborsten, kann stürzen über Nacht" ;

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

aber wir wünschen es ihm nicht einmal —, er sagt: Das ist reiner Unsinn. Wenn man erlebt, was in den letzten Wochen und Tagen, nicht zuletzt mit der Kappler-Entführung, an deutschfeinlicher Haßkampagne in der Welt inszeniert worden ist, nicht spontan entstanden ist, wenn man liest, was „Le Monde" geschrieben hat, wenn man liest, daß unsere Polizeibeamten in Holland von namhaften Zeitungen als SD-Beamte herabgesetzt werden, wenn man liest, daß sich Herr Croissant für die sozialistisch-kommunistische Revolution einsetzt, wenn man das alles wahrnimmt — die Bilder des armen Schleyer, Rote Armee Fraktion, die Grüße der „Rote Armee Japans" —, kann man doch nicht sagen: Das hat mit links nichts zu tun. Ich habe Achtung vor den demokratischen Linken und habe sie immer gehabt: ich respektiere sie. Ich kann mir unter demokratischem Sozialismus nichts mehr vorstellen.
Was wir als Bürger und als die Erbauer dieses Staates gemeinsam, Sie und wir, verlangen müssen, sind endlich die geistige Klärung und die politische Schlußfolgerung aus dieser Klärung, damit wir wieder ehrlich und offen zusammenstehen, der Gefahren uns erwehren und die Aufgaben bewältigen können.

(Langanhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0804600500
Meine Damen und Herren! Zum weiteren Verlauf der Debatte möchte ich folgendes bemerken. Gemäß § 39 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung soll der Präsident die dort vorgesehenen Redezeiten verlängern, „wenn der Gegenstand oder Verlauf der Aussprache dies nahelegt". Ich mache von dieser Ermächtigung Gebrauch und verlängere auch die Redezeit der folgenden Redner.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ehmke.

Dr. Horst Ehmke (SPD):
Rede ID: ID0804600600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind Herrn Kollegen Strauß für seine 100-Minuten-Rede aus einem Grund dankbar: weil sie enthüllt hat,

(Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU] : Wie es wirklich ist! — Beifall bei der CDU/CSU)

daß es sich bei der Aktion, die Herr Kollege Kohl etwas euphorisch unter dem Titel „Herbstoffensive der Opposition" angekündigt hat, nur um eine weitere Aktion „Nebelwerfer" handelt.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Ritz [CDU/CSU]: Ach, Herr Ehmke!)

Herr Kollege Strauß, Sie haben heute wieder viel Nebel verbreitet,

(Dr. Ritz [CDU/CSU] : Da klatschen noch nicht einmal Ihre eigenen Leute!)

um die Konturen der politischen Landschaft in diesem Land zu verwischen.

(Dr. Ritz [CDU/CSU]: Wir verstehen ja, daß Sie es schwer haben!)

Ich frage mich, Herr Strauß, wie Sie eigentlich selbst einmal aus dem dichten Nebel herauskommen werden, den Sie nun schon seit vielen Jahren verbreiten.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Schröder [Lüneburg] [CDU/CSU] : Wo sind die 50 Mille?)

Meine Phantasie reicht nicht aus — und die von Herrn Kohl vermutlich auch nicht —, sich das vorzustellen. Aber vielleicht geht das dann so, Herr Strauß, daß Sie sich eines Abends auf die Zinnen von Neuschwanstein stellen, sich magisch anleuchten lassen, und während unten im Nebel noch die Blaskapelle Wagner spielt, reißen Sie mit einem Ruck die Nebeldecke von unserem Land weg, um



Dr. Ehmke
dann — wie Sie es neulich in Amberg so eindrucksvoll formuliert haben — „in den Wirren dieser Zeit in Deutschland und von Bayern aus die Wende herbeizuführen".

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Herr Strauß, da wir und andere nicht so recht wissen, was - Sie mit uns in diesem Nebel vorhaben, möchte ich versuchen, diesen Nebel, den Sie heute verbreitet haben, wieder zu zerteilen, und zwar zunächst, was den Haushaltsentwurf der Bundesregierung betrifft.
Dieser Haushaltsentwurf wird in einem Moment vorgelegt, in dem auf Grund der weltwirtschaftlichen Entwicklung unsere wirtschaftlichen Sorgen sicher nicht abgenommen haben. Es ist inzwischen klar, daß das Wirtschaftswachstum in der Bundesrepublik hinter der Zielprojektion der Bundesregierung zurückbleiben wird. Zugleich hat das Bewußtsein dafür zugenommen, daß — da im Augenblick die Produktivität schneller steigt als die Produktion — Wachstum zwar eine unverzichtbare, aber keine alleine ausreichende Voraussetzung für Vollbeschäftigung ist.
Das Hohe Haus steht daher in der Diskussion des Haushaltsentwurfs vor der Aufgabe, zu prüfen, ob der Entwurf und das mit ihm verbundene Programm für die Förderung von Wachstum und Beschäftigung konjunkturpolitisch-kurzfristig und strukturpolitisch-mittelfristig geeignet sind, wirtschaftliches Wachstum anzuregen und uns der Vollbeschäftigung, dem obersten Ziel unserer Wirtschaftspolitik, wieder näherzubringen. Die Bundestagsfraktion der SPD beantwortet diese Frage mit Ja. Konjunkturpolitisch signalisiert der Bundeshaushalt mit seiner zweistelligen Steigerungsrate den Übergang zu einer wieder expansiven Haushaltspolitik. Das ist aber nur dadurch möglich geworden, meine Damen und Herren, daß wir die Inflationsrate unter 4 % gedrückt haben. Herr Strauß, ich weiß wirklich nicht, warum Sie angesichts der Tatsache, daß dieses Land eine der niedrigsten Inflationsquoten in der Welt hat, immer noch meinen, uns hier etwas vorwerfen, uns in diesem Punkt belehren zu müssen.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Unruhe)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0804600700
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Platz zu nehmen. Ich bitte auch den Herrn Kollegen Picard, Platz zu nehmen, und um Ihre Aufmerksamkeit für den Redner.

Dr. Horst Ehmke (SPD):
Rede ID: ID0804600800
Herr Strauß, ich billige durchaus das, was Sie zu dem Problem des „stop and go" gesagt haben. Aber daß die Empfehlungen mit dem Konjunkturverlauf wechseln, das ist ja nun nicht etwas, was nur für Regierungsmitglieder gilt. Herr Apel hat es gestern für den Sachverständigenbeirat und für wirtschaftliche Institute vorgeführt. Auch Sie selbst, Herr Strauß, und die Herren von der Union haben ja vor zwei Jahren noch den finanziellen Staatsbankrott angekündigt und wollen heute auf 15 Milliarden DM Steuern verzichten.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Strukturpolitisch signalisiert dieser Entwurf mit der Steigerung der Investitionsausgaben um ein Sechstel eine verstärkte Anstrengung, mit der Hilfe öffentlicher Investitionen humanes Wachstum auch in der Zukunft möglich zu machen. Diese Doppelfunktion des Haushalts, konjunkturpolitisch auf der einen, strukturpolitisch auf der anderen Seite, findet ihre Entsprechung auf der Einnahmenseite: Dem Einnahmeverzicht zur Stimulierung der Nachfrage nach Verbrauchs- wie nach Investitionsgütern steht eine zeitliche Streckung der Konsolidierung der Haushalte, d. h. eine Ausdehnung der Kreditaufnahme zur Deckung des Haushaltsdefizits, gegenüber.
Die Sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist sich bei ihrer Zustimmung zu diesem Haushaltsentwurf natürlich bewußt, daß wir mit diesem Programm unsere Abhängigkeit von der Weltwirtschaft, von dem, was in anderen Teilen der Welt geschieht, was andere Regierungen tun oder aber unterlassen, nicht ändern können. Tatsache ist, wir durchleben eine Krise weltwirtschaftlichen Strukturwandels, die „Rezession" zu nennen man sich angewöhnt hat, ohne damit die Tatsache von 15 Millionen Arbeitslosen allein in den OECD-Ländern beseitigen zu können. Diese Krise, meine Damen und Herren von der Opposition, stellt eine Herausforderung für uns alle dar. Sie kann nicht durch Parteipolemik bestanden werden.
Der Zusammenhang zwischen der Weltwirtschaftskrise und unseren wirtschaftlichen Schwierigkeiten liegt auf der Hand. Der Einbruch der Weltrezession im Übergang der Jahre 1974 auf 1975 spiegelt sich in folgenden Zahlen: Der Auftragseingang aus dem Ausland sank drastisch, nämlich real um 22 %. Dies führte zu einem Rückgang der Exportquote um 1,5 %, was einem Ausfall von 15 Milliarden DM am Bruttosozialprodukt entsprach. Gleichzeitig stieg die Arbeitslosigkeit um eine halbe Million auf über eine Million. Sicher kamen auch binnenwirtschaftliche Gründe hinzu, z. B. die Sättigung bestimmter Märkte für langlebige Konsumgüter. Deswegen darf man aber nicht einfach die zentrale Bedeutung des Auslandseinflusses bestreiten, wie Herr Strauß es heute erneut getan hat.
Die Experten der OECD sind 1976 hinsichtlich der Wirtschaftsentwicklung in der Bundesrepublik zu dem Schluß gekommen, „daß die Rezession, die die Bundesrepublik 1975 erlebte, zu einem großen Teil ,importiert' war". Im Gegensatz zu diesem Urteil internationaler Fachleute hat Herr Strauß heute erneut seine Propagandathese vertreten, unsere wirtschaftlichen Schwierigkeiten entsprängen gar nicht der weltwirtschaftlichen Entwicklung. Das sei nur, so hat Herr Strauß kürzlich auf dem CSU-Parteitag formuliert, eine „grandiose Ausrede", ein „Schwindel, der auch aus Kanzlermunde produziert nicht wahrer" werde. Läßt man diesen Schimpfschwall einmal fort, so reduziert sich, Herr Strauß, Ihre These auf die Behauptung, an dem mangelnden Wirtschaftswachstum und der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik sei die Regierung und nicht die Weltwirtschaftskrise schuld.



Dr. Ehmke
Nur ist Herr Strauß dabei nicht ganz konsequent. Angesichts der engen Verflechtung der Bundesrepublik mit der Weltwirtschaft — wir exportieren bekanntlich etwa ein Viertel unseres Bruttosozialprodukts — müßte Herr Strauß eigentlich behaupten, die Sozialdemokraten und die sozialliberale Koalition seien überhaupt an der ganzen Weltwirtschaftskrise schuld. Wir hätten die Welt angesteckt und nicht die Welt uns. Wir und nicht der Vietnamkrieg seien für die Währungskrise und die weltweite Inflation verantwortlich. Wir und nicht das Preiskartell der OPEC-Staaten hätten die Energie- und die Rohstoffmärkte durcheinandergebracht. Wir und nicht die lange wirtschaftliche und politische Geschichte des Nord-Süd-Verhältnisses seien daran schuld, daß heute der eine Teil der Welt im Elend lebt, während der andere Teil an mangelnder Kapazitätsauslastung leidet.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Herr Strauß müßte weiter behaupten, wir und nicht der weltweite Strukturwandel seien schuld an der weltweit hohen Arbeitslosigkeit. Die Tatsache, daß sich die Bundesrepublik in dieser Weltwirtschaftskrise bisher am besten geschlagen hat — mit einer der niedrigsten Inflationsquoten und im internationalen Vergleich einer immer noch geringen Arbeitslosenquote — müßte Herr Strauß dann als Zufall ausgeben, falls er sie nicht überhaupt als Erfolg seiner fulminanten wirtschaftspolitischen Oppositionsreden ausgeben will.

(Beifall bei der SPD)

Herr Strauß unterschätzt auch hier wieder einmal die Intelligenz unserer Bürger. Der gesunde Menschenverstand sagt den Bürgern draußen, daß die These von Herrn Strauß, nicht die Weltwirtschaftskrise, sondern die Regierung sei schuld an unseren wirtschaftlichen Schwierigkeiten, trotz des Wortschwalls, in den er diese Behauptung jeweils zu kleiden pflegt, einfach Unsinn ist.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Herr Strauß, aus Ihnen spricht der Geist, der stets verneint.

(Beifall bei der SPD)

Ich hielte es für sinnvoller, wir würden gemeinsam von der Tatsache der Weltwirtschaftskrise ausgehen, deren binnenwirtschaftliche Aspekte analysieren — zu denen übrigens auch die von den Unionsparteien verhinderte rechtzeitige Anpassung des D-Mark-Wechselkurses gehörte —

(Beifall bei der SPD und der FDP)

und würden uns dann darüber streiten, ob die Bundesregierung die richtigen Maßnahmen ergriffen hat und ob das, was sie vorschlägt, zusätzlich Nutzen bringen kann. Gehen wir diese Maßnahmen der Bundesregierung doch einmal durch.
Die Situation, in der wir uns heute befinden, unterscheidet sich von der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre, die zum Zusammenbruch der ersten deutschen Demokratie führte, politisch vor allem durch die Tatsache einer engen politischen Abstimmung zur Überwindung dieser Krise. Rambouillet,
Puerto Rico und London waren erste Ansätze zu einer internationalen wirtschaftspolitischen Kooperation, die ausgebaut, vertieft und schließlich institutionalisiert werden muß. Sicher, auch die Weltwirtschaftsgipfel der westlichen Industriestaaten können keine Patentrezepte anbieten. Sie haben aber immerhin die Rückkehr in einen Protektionismus verhindert, der die Wirtschaftskrise nur noch vertiefen würde.
Es liegt auch auf der Hand, daß die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft durch diese Krise in ihrer Entwicklung gehemmt worden ist. Das eigentlich Bemerkenswerte, verehrte Kollegen, scheint mir aber zu sein, daß und wie die EG diese Krise überhaupt überstanden hat. Die Verdienste, die sich Bundeskanzler Helmut Schmidt auf diesem Felde erworben hat, sind unter ernsthaften Leuten unbestritten.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Die Opposition kann aber auch das nur schlechtmachen.
Die Bundesregierung ist auch im übrigen weltwirtschaftlich nicht untätig geblieben. Herr Bundesfinanzminister Apel hat das in seiner Rede vom 27. September vor dem Gouverneursrat des Internationalen Währungsfonds im einzelnen dargelegt. Wir Sozialdemokraten begrüßen die Teilnahme der Bundesrepublik an der Stärkung der internationalen Wirtschaftsorganisationen, die deren Fähigkeit, zur Entwicklung der Dritten Welt beizutragen, entscheidend verbessern sollen.

(Beifall bei der SPD)

Wir Sozialdemokraten danken in diesem Zusammenhang auch Herrn Bundesaußenminister Genscher für seine große Rede zum Nord-Süd-Konflikt vor den Vereinten Nationen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Wir Sozialdemokraten begrüßen außerdem die über die Anhebung der internationalen Mittel weit hinausgehende Steigerung des Ansatzes für den Einzelplan 23, die mit 22 % der doppelten Steigerungsrate des Gesamthaushalts entspricht. Unseren Bürgern erscheint Entwicklungshilfe oft immer noch so, als ob ihr sauer verdientes Geld an andere, ferne Länder verschenkt würde. Unseren Bürgern sei noch einmal gesagt, daß diese Hilfe zur Selbsthilfe für die Dritte Welt im Kreislauf der Weltwirtschaft gerade uns als exportabhängigem Land wieder zugute kommt.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Wir handeln hier im wohlverstandenen Eigeninteresse. Aufträge von draußen sind Arbeitsplätze drinnen. Aus den Reihen der Opposition aber erleben wir den Versuch, gegen die Entwicklungshilfe Vorurteile zu schüren.
Hinsichtlich der übernationalen Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft möchte ich für meine Fraktion schließlich den von seiten der SPD gemachten Vorschlag unterstützen, ein Solidaritätsprogramm für Südeuropa aufzulegen. Ein solches Programm soll der Tatsache Rechnung tragen, daß mit der politisch notwendigen Aufnahme der drei vom



Dr. Ehmke
Faschismus befreiten Länder Südeuropas — Griechenland, Portugal und Spanien — die EG aus einem Club von Industriestaaten zu einer Gemeinschaft von Industrie- und Entwicklungsländern werden wird. Ein solches Programm für Südeuropa müßte eng mit der EG-Mittelmeerpolitik abgestimmt werden und könnte durch ein spezielles Programm für die Türkei ergänzt werden.
Hinsichtlich der Finanzierung eines solchen Programms scheint uns ein vom Direktor der Hamburger Landesbank, Herrn Fahning, für den Verband der Öffentlichen Banken gemachter Vorschlag besondere Aufmerksamkeit zu verdienen. Er sieht vor, Teile der Währungsreserven der wohlhabenden Länder über einen bei der Europäischen Investitionsbank zu bildenden Fonds für Zwecke der Wirtschaftsbelebung zu mobilisieren. So etwas diskutieren die Oppositionsparteien natürlich nicht. Ihnen fällt immer nur eins ein: die staatliche Verantwortung für die Wirtschaft abzubauen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Damit komme ich zu den binnenwirtschaftlichstrukturpolitischen Aspekten des Haushaltsentwurfs und des mit ihm verbundenen Programms zur Förderung von Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. Zum 16-Milliarden-Programm für den Ausbau einer modernen Infrastruktur will ich hier nicht noch einmal Stellung nehmen. Derartige mehrjährige Sonderprogramme für Investitionen können zu einer Verstetigung der öffentlichen Investitionstätigkeit führen, die sonst zu leicht Opfer des Auf und Ab der Konjunktur und auch der Konjunkturpolitik wird. Nach anfänglichen Schwierigkeiten hat das Programm zu laufen begonnen. Das entbindet uns allerdings nicht von der Notwendigkeit, die Gründe der anfänglichen Verzögerungen aufzuspüren, die offenbar in einer föderativen Überbürokratisierung liegen, zum Teil jedenfalls, und diese Gründe zu beseitigen. Der Haushaltsentwurf 1978 bringt darüber hinaus eine wesentliche Steigerung der Investitionen des Bundes einschließlich der Investitionen der Bundespost. Wir appellieren von hier aus eindringlich an Länder und Gemeinden, dem Beispiel des Bundes zu folgen und nicht durch Attentismus den Erfolg dieses Programms zu gefährden.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Der Haushaltsentwurf sieht auch erhebliche zusätzliche Mittel für besondere Investitionsprogramme vor. Das gilt z. B. für das Sozial- und Regionalprogramm des sozialen Wohnungsbaus wie für den Schiffbau. Es gilt für die Förderung des Energiesparens (Wärmedämmung, Wärmepumpen, Sonnenkollektoren), wie für die Förderung der privatwirtschaftlichen Forschung. Außerdem sollen die ERP-Mittel für das Existenzgründungsprogramm für Selbständige verdoppelt werden.
Die zuletzt genannte Tatsache ist neben vielen bereits beschlossenen Maßnahmen in den Bereichen des Kartellrechts, des Steuerrechts, der Forschung, der Beratung und der direkten Hilfe ein weiterer Baustein im Mittelstandsprogramm der sozialliberalen Koalition, um das sich der scheidende Kollege Friderichs besondere Verdienste erworben hat.
Herr Strauß, gestatten Sie mir eine Bemerkung zu dem, was Sie dem Herrn Kollegen Friderichs gesagt haben. Wenn in dieser Situation ein Mann vom Kaliber von Herrn Friderichs auf den Posten geht, den vorher der von Terroristen erschossene Jürgen Ponto innegehabt hat, dann halte ich es für unwürdig, diesen Mann hier vor dem Hohen Haus der politischen Fahnenflucht zu beschuldigen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Was das Mittelstandsprogramm betrifft, so hat Kollege Friderichs vor kurzem in den „Bonner Perspektiven" mit Recht darauf hingewiesen, daß das, was Sie als Mittelstandsgesetzentwurf vorgelegt haben, meine Herren von den Unionsparteien, doch nur der Versuch ist, das zu kopieren, was wir im Mittelstandsprogramm praktisch bereits gemacht haben.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Nun kann man sich in aller Ruhe darüber unterhalten, daß es in der Tat große Schwierigkeiten für die mittelständische Wirtschaft gibt, vor allen Dingen im Vergleich mit den Großunternehmen. Herr Strauß, ich stimme Ihnen zu: Das gilt vor allem auch für die Kreditmöglichkeiten. Aber das hat viele Gründe. Bei uns im Württembergischen ist z. B. einer der Gründe, daß wir viele Betriebe haben, die im Familienmanagement geführt werden, obwohl das nicht mehr ausreicht — nicht deshalb, weil die Leute schlecht sein müssen, sondern deshalb, weil die Betriebe in den Jahren des wirtschaftlichen Wachstums nach dem Krieg über die Größe hinausgewachsen sind, die noch im Familienmanagement geführt werden kann. Jede Bank in Baden-Württemberg erzählt Ihnen, welche Probleme es da gibt. Dann haben Sie das Problem, daß nicht genügend Sicherheiten da sind. Weiter haben Sie das Problem, das wir durch Beratung zu lösen suchen, daß nämlich keine Ubersicht da ist, jedenfalls nicht so wie bei den Großen. Nur eines müssen Sie doch zugeben, meine Damen und Herren von der Opposition: Das sind Folgen des Marktes. Es ist in unserer vermachteten Wirtschaft eben nicht so, daß Tüchtigkeit und Leistung automatisch honoriert werden. Das ist eben nicht der Fall! Und ich sage Ihnen: Wer das korrigieren will, darf nicht gleichzeitig den Markt, einschließlich seiner Ungerechtigkeiten, für tabu erklären.

(Beifall bei der SPD)

Hier bestehen auf seiten der Unionsparteien Doppelzüngigkeiten, die sich der Mittelstand genauer anschauen sollte.
Das gilt auch in folgendem Zusammenhang: Wer den vielfältigen staatlichen Förderungs- und Investitionsprogrammen zustimmt, kann nicht gleichzeitig, wie Herr Strauß es tut, die Vorschläge der Sozialdemokraten für eine besser abgestimmte Beeinflussung der Investitionen durch eine gesamtwirtschaftliche Rahmenplanung, durch regionale und sektorale Strukturpolitik für verwerflich erklären. Warum können wir uns in diesem Hause nicht einmal in Ruhe über die Probleme unserer Industrie- und Wirtschaftsstruktur unterhalten, auch wenn wir nachher vielleicht zu verschiedenen Lösungsvorschlägen kommen? Herr Strauß, Ihre wirtschafts-



Dr. Ehmke
politischen Reden sind doch gespenstisch! Sie verbreiten hier seit Monaten Lehrbuchweisheiten über Leistungswillen, Investitionen, Steuersenkung, über die angeblich wundersame Heilswirkung einer niedrigen Staats- und Sozialquote. Aber auf das, was unsere Wirtschaftslage seit dem Einbruch der Weltwirtschaftskrise kennzeichnet, nämlich die starken Unterschiede in der Branchenentwicklung, gehen Sie nie mit einem Wort ein.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Tatsache ist aber: Die Automobilindustrie ist im Boom, während die Stahlindustrie unten ist. Tatsache ist: Die Uhrenindustrie ist in der Krise, zum Teil deshalb, weil sie manches an elektronischer Innovation verpaßt hat. Die Elektronik entwickelt sich ihrerseits gut, bringt aber mit den Mikroprozessoren große Beschäftigungsprobleme für die Geräte-und Maschinenbau-Industrie mit sich. Was sollen denn da Ihre Verallgemeinerungen! Die haben mit dem, was in diesem Lande wirtschaftlich vor sich geht, überhaupt nichts zu tun.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Sie sind denn ja auch eigentümlich widersprüchlich: Auf der einen Seite beklagen Sie die hohen Lohnkosten. Die sind sehr hoch. In einem Land mit einem hohen Lebensstandard kann das auch nicht anders sein. Wir brauchen auch eine maßvolle Lohnpolitik. Dann muß man die Gewerkschaften aber auch so behandeln, daß man sie dazu ermutigt, auf dem bisherigen Wege fortzufahren, und darf man nicht das tun, was Sie hier heute gemacht haben. Wenn die Löhne seit langem zu hoch wären, wie Sie offenbar unterstellen, wie erklären Sie dann den Erfolg unserer Exportindustrie, den Sie gerade herausgestellt haben?

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Und was heißt denn: Die Liquidität sei nicht am richtigen Platz? Im März haben Sie uns hier erzählt, das Problem bestehe darin, daß die Unternehmen Geld aus den Betrieben herausnähmen, um es ins Anlagengeschäft zu stecken, weil die Rendite für festverzinsliche Wertpapiere höher sei als die Kapitalrendite. Was ist denn nun eigentlich wahr? Oder geht das immer nur so, wie es Ihnen in Ihre Argumentation paßt?

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Ich bin also der Meinung, wir sollten über die Strukturfrage — da hat ja niemand die Weisheit mit Löffeln gegessen — in Ruhe reden. Das im Auftrag der Bundesregierung und der niedersächsischen Landesregierung erstellte Prognos-Gutachten über Vor- und Nachteile von Steuerungsinstrumenten in Strukturkrisen wäre dafür z. B. ein guter Ansatzpunkt.
Herr Strauß, Sie haben vorhin gesagt, es wäre ganz schlimm: auch die FDP diskutiere nun diese Probleme. Das ist eben eine offene Partei. Wir diskutieren doch nur Probleme, die auch bestehen. Wir können doch nichts dafür, daß die CDU nach 30 Jahren in Berlin nun glücklich wieder bei der Grundsatzdiskussion darüber gelandet ist, ob der Ordoliberalismus mit der katholischen Soziallehre vereinbar sei.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Herr Kohl, Sie machen ein so schmerzverzerrtes Gesicht.

(Dr. Kohl [CDU/CSU] : Es ist bestürzend, daß ein Professor so einen politischen Unsinn daherredet!)

Ich darf Ihnen einmal einen Ratschlag geben: Sie können diese Grundwertediskussion in der CDU schnell beenden, wenn Sie einmal die päpstlichen Enzykliken lesen.

(Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Ausgerechnet Sie! Haben Sie die überhaupt schon einmal gelesen?)

Aus denen ergibt sich nämlich, daß Ordoliberalismus und katholische Soziallehre nicht miteinander vereinbar sind.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, die Strukturfragen sind kein Spielfeld der SPD, wie Herr Strauß das darstellen will. Die Bundesrepublik wird sich mit ihnen vielmehr besonders beschäftigen müssen, weil bei uns der Anteil des Industriesektors mit am höchsten in der Welt ist. Wir werden daher von dem Strukturwandel, der in der Welt vor sich geht, besonders betroffen sein.
Die Unsicherheit der Unternehmer beruht heute im wesentlichen auf der Unsicherheit über die Entwicklung der Weltmärkte.

(Zuruf des Abg. Dr. Barzel [CDU/CSU])

Es gibt natürlich auch Unternehmer, die von Herrn Strauß verunsichert sind. Aber meiner Hochachtung vor deutschen Unternehmern entspricht es, daß ich diesen Faktor hier statistisch vernachlässige.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der FDP)

Es besteht Unsicherheit über die Rohstoff- und Energiemärkte, über die Absatzmärkte, über das Ausmaß und die Richtung zukünftiger Bedarfs- und Nachfrageentwicklungen. Anders als diejenigen, die aus der Marktwirtschaft eine Ideologie machen, sind Unternehmer und Investoren deshalb an allem interessiert, was ihnen die Einschätzung künftiger Märkte und künftiger Entwicklungen erleichtern könnte. Die Bundesregierung hat aus diesem Grund mit Recht in der Regierungserklärung vom Herbst 1976 die Notwendigkeit der Strukturpolitik und des Ausbaus des strukturpolitischen Instrumentariums unterstrichen.
In diesem Rahmen, Herr Strauß, ist auch unser Vorschlag zu sehen, zur Erörterung strukturpolitischer Fragen die autonomen Gruppen und die öffentlichen Hände an einen Tisch zu bringen.
Ich bin bestürzt, daß Sie Ihren lieben CDU-Kollegen Kiep des Spätmarxismus bezichtigt haben. Als Sie vorhin so gegen die Strukturräte donnerten, habe ich nämlich gedacht, Sie hätten die heutige Meldung der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vor



Dr. Ehmke
Augen, die da heißt: „Kiep fordert einen Strukturrat."

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der FDP)

Das ist eben ein sehr vernünftiger Mann, der Herr Kiep.

(Dr. Kohl [CDU/CSU] : Über diese Argumentation kann man nur lachen!)

— Da kann man nicht lachen! Sie lachen nur, weil Sie weder uns noch Herrn Kiep gelesen haben, Herr Kohl.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Kohl [CDU/CSU] : Über so billige Verfälschungen kann man nur lachen!)

Herr Strauß, ich gebe natürlich zu, daß nicht jede Sitzung solcher Beratungsgremien zu zusätzlicher Erleuchtung führt. Das haben solche Beratungsgremien mit Direktionsetagen gemeinsam. Sicher brauchen wir daher auch einen Ausbau unserer Analyse-und Prognosekapazität. Aber die gemeinsame Beratung — und da stimme ich Herrn Kiep zu — könnte sowohl für das Finden als auch für das gemeinsame Tragen einer Strukturpolitik von großer Bedeutung sein.
Herr Kohl, haben nicht zuletzt wegen dieses Gedankens der demokratischen Teilhabe an den das gemeinsame Leben bestimmenden Entscheidungen alle drei Fraktionen dieses Hohen Hauses dem Mitbestimmungsgesetz zugestimmt? Und haben wir nicht mit dieser Zustimmung dem alten kapitalistischen Grundsatz, daß Kapitalbesitz allein wirtschaftliche Entscheidungs- und Verfügungsgewalt legitimieren könne, eine im sozialen Verständnis der Demokratie begründete Absage erteilt?

(Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf des Abg. Dr. Barzel [CDU/CSU])

Die Klage von Wirtschaftsverbänden und Großunternehmen gegen das Mitbestimmungsgesetz ist kurzsichtig und verantwortungslos.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Wir stellen dem unsere Überzeugung entgegen, daß die demokratischen Industriestaaten ohne eine Ausdehnung der demokratischen Teilhabe, und zwar sowohl an den Gütern — einschließlich der Beteiligung am Produktivvermögen — als auch an der wirtschaftlichen Entscheidungs- und Verfügungsgewalt, schon mittelfristig nicht mehr regierbar sein werden.

(Beifall bei der SPD)

Ich selbst bin übrigens der Meinung, daß das langfristig auch für die Industriestaaten des Ostens gelten wird.

(Dr. Barzel [CDU/CSU]: Na, na!)

Herr Kollege Strauß, Sie haben in diesem Zusammenhang — völlig zu Recht — auch die Energiefrage angeschnitten. In der Energiepolitik haben wir große Fortschritte gemacht, denn statt einfach Zuwachsraten blind fortzuschreiben, sind wir uns inzwischen über zwei große Aufgaben einig. Das erste ist das Energiesparen. Ich weiß noch, wie Sie geguckt haben, als ich seinerzeit als Forschungsminister das erste Energiesparprogramm in diesem Hause eingebracht habe. Das zweite ist, daß wir uns auf die Entwicklung von Alternativenergien konzentrieren müssen. Die Kernenergie bleibt umstritten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Bei wem? — Dr. Kohl [CDU/CSU]: Dann sagen Sie doch ja zur Kernenergie!)

— Aber Sie müssen doch nicht reden. Sie sind doch auch hier wieder eine Partei, die alles bietet, Herr Kohl: Strauß auf der einen Seite und Gruhl auf der anderen Seite.

(Beifall bei der SPD — Dr. Kohl [CDU/CSU] : Dann sagen Sie doch ja zur Kernenergie! Sie sind doch zu feige dazu!)

Wir sagen zunächst einmal, daß in diesem Bereich der Kernenergie, in den Milliarden von Forschungsgeldern gegangen sind und der die Zukunft folgender Generationen mitbestimmen wird, nach der einen wie nach der anderen Seite, wohl eines als Grundsatz klar sein muß, nämlich daß in diesem Bereich die Investitionen der Politik und nicht die Politik den Investitionen zu folgen hat.

(Beifall bei der SPD) Streiten wir doch um die beste Politik!


(Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Machen Sie doch mal Politik!)

— Damit, daß Sie reden, ist noch keine Politik gemacht.

(Dr. Kohl [CDU/CSU] : Aber daß Sie reden! Sie sind doch zu feige, ja zur Kernenergie zu sagen! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

— Ich freue mich ja, Herr Kohl, daß Sie sich auf diese Frage vorbereitet haben und darum jetzt aufwachen. Aber nur mit der Ruhe! Lassen Sie mich doch einmal ausreden! Wir sagen bis jetzt folgendes in dieser Angelegenheit — —

(Dr. Kohl [CDU/CSU]: Sagen Sie doch ja!)

Wir sagen, daß das, was an Kernkraftwerken da ist, fortgeführt werden soll — wenn Sie den PV-Beschluß meinen —, und daß das, was im Bau ist, zu Ende gebaut werden soll.

(Dr. Barzel [CDU/CSU] : Was ist denn PV? Sagen Sie das doch in deutsch!)

— Sie fragten mich doch nach der Meinung der Sozialdemokratischen Partei, verehrter Herr Kollege Barzel?

(Dr. Barzel [CDU/CSU] : Was ist PV?)

— Der Parteivorstand. Herr Barzel, ich freue mich, daß ich Sie habe belehren können.
Das, was im Bau ist, soll zu Ende gebaut werden, wenn die Entsorgung vertraglich gesichert ist.
Jetzt sagen wir zu der dritten Frage — nun hören Sie gut zu —: Bevor wir neue Kernkraftwerke genehmigen — das ist auch die Politik der Bundesregierung —, soll die Entsorgungsfrage geklärt werden. Da sagen wir: Hier wollen wir die erste Teilrechtsgenehmigung für das integrierte Entsorgungszentrum. Sie sagen, das sei ein Widerspruch zu der



Dr. Ehmke
Regierung. Da sage ich nur: Das wird sich ja noch herausstellen.

(Lachen bei der CDU/CSU — Dr. Kohl [CDU/CSU] : Ja, das ist wahr!)

— Nein, Herr Kohl, so leicht kommen Sie da nicht heraus. Was hier als Bedingung gefordert wird, ist ja kein Moratorium.

(Dr. Kohl [CDU/CSU] : Doch!)

Das ist eine Sicherstellung der Entsorgung. Wie lange das dauert, hat nur einer in der Hand: der CDU-Ministerpräsident von Niedersachsen.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

— Ja, ich kenne das. Ihre Doppelzüngigkeit — von Strauß bis Gruhl — setzt sich hier fort: Auf der einen Seite treten Sie als die großen Verfechter der Kernenergie auf; das ist dann ja vielleicht auch ganz gut für die Wahlkampfkasse. Aber auf der anderen Seite wagen Sie es doch nicht, in Gorleben Entscheidungen zu treffen, bevor die Kommunalwahl stattgefunden hat. Das ist doch das eigentliche Problem.

(Beifall bei der SPD — Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Der Kanzler hat doch Sorgen mit Ihnen!)

Kümmern Sie sich doch darum, erst einmal zu einer eigenen Linie zu kommen, statt sich unsere Sorgen zu machen. Wir werden mit unseren Sorgen schon allein fertig.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage als jemand, der glaubt, daß wir jetzt nicht
auf Kernenergie verzichten können, noch eines: Man
muß die Sorge der Menschen draußen ernst nehmen.

(Beifall bei der SPD)

Wenn hier Regierungspolitik und Bürger aneinandergeraten, kann man diesen Konflikt nicht frei nach Brecht lösen, indem man sagt: Wenn Regierung und Volk aufeinanderstoßen, muß man das Volk auflösen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die Regierung!)

So geht das nicht. Ich sage Ihnen: Sie reden doch nur Papier. Es muß aber eine Politik gemacht werden, in der man auch dafür sorgt, daß psychologisch in diesem Lande keine weiteren Barrieren aufgebaut werden, damit nicht auf jedem Bauplatz das passiert, was in Kalkar geschehen ist, so daß dann überhaupt nichts mehr auf diesem Gebiet zu machen ist.

(Beifall bei der SPD)

Im übrigen setzt die Überwindung der Krise nicht nur voraus, daß wir mit dem Wandel der Industrie-und der Energiestruktur fertigwerden, sondern mit dem der Wirtschaftsstruktur insgesamt und das heißt auch mit der sich verschiebenden Relation zwischen Industriesektor und Dienstleistungssektor. Der öffentlichen Hand kommt auf dem komplexen Dienstleistungssektor besondere Verantwortung zu.
Der Haushaltsentwurf 1978 sieht Personalverstärkungen des Bundes in den Bereichen Innere Sicherheit, Sicherheit im nuklearen Bereich, Flugsicherung sowie Bundeswehr-Krankenhäuser und -Hochschulen vor. Hinzu kommt die Personalaufstockung in der Bundesanstalt für Arbeit um 1 600 Stellen für Berufsberater und -vermittler.
Wir bitten Länder und Gemeinden dringend, in ihren Bereichen, d. h. in den Bereichen der inneren Sicherheit, der Schulen — vor allem der berufsbildenden Schulen — und der sozialen Dienste für junge, alte und behinderte Menschen, dieser Personalpolitik des Bundes zu folgen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Fragen der Verkürzung der Arbeitszeit sind zusammen mit der Regelung von Lohn- und Urlaubsfragen Sache der Tarifvertragsparteien. Arbeitszeitverkürzungen werden schon angesichts der Steigerungsrate der Produktivität auch in Zukunft sowohl möglich als auch notwendig sein. Meine Damen und Herren, stellen wir uns doch einmal vor, wie unser Arbeitsmarkt heute aussähe, wenn wir seit Kriegsende die Arbeitszeit nicht in mehreren Schritten von 48 'Stunden auf 40 Stunden zurückgeführt hätten.

(Beifall bei der SPD)

Andererseits ist aber zu bedenken, daß wir schon wegen der Erwartungen, die andere ärmere Völker an uns stellen, nur schrittweise vorgehen können und daß dieses Vorgehen auch nur in großer Flexibilität erfolgen kann, weil die Wirtschafts- und Beschäftigungslage in verschiedenen Branchen ganz unterschiedlich ist und ja auch die Struktur der Arbeitssuchenden eine sehr große Konpliziertheit und Differenziertheit aufweist.
Im Bereich der Arbeitsmarktpolitik werden die speziellen Arbeitsbeschaffungs- und Ausbildungsprogramme mit verstärkten Mitteln fortgeführt, und zwar vor allem für jugendliche Arbeitslose. Wir begrüßen es, daß für Jugendliche ohne Ausbildungsoder Arbeitsplatz nach dem gerade vorgelegten Bericht der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung im Jahre 1977/78 100 000 Plätze bereitstehen werden. Der Bund hat seinerzeit den Ausbau der Berufsschulen durch die Bereitstellung von 650 Millionen DM gefördert. Von den Unternehmern erwarten wir, daß sie ihr zwecks Vermeidung der Ausbildungsplatzabgabe gegebenes Versprechen, zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen, voll erfüllen.

(Beifall bei der SPD)

Umgekehrt macht der Bund nicht nur Anstrengungen im eigenen Bereich, sondern er fährt auch fort, den Unternehmen und den Privathaushalten zu helfen. Was die Steuererleichterungen für Unternehmer angeht, so habe ich vorhin bereits auf die konjunktur- als auch strukturpolitisch motivierten besonderen Investitionszulagen hingewiesen. Außerdem ist hier die Steuerfreiheit der Ausbildungsplatzabgabe zu nennen, die die Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze fördern soll. In der allgemeinen Steuerpolitik treten neben das Carry-back, die Anhebung der Gewerbesteuerfreibeträge und die Senkung der Vermögensteuer die Verbesserung der Abschreibebedingungen durch die Anhebung der degressiven AfA. Soweit dies gezielt erfolgt — wie z. B. bei der



Dr. Ehmke
Wiedereinführung der degressiven Gebäudeabschreibung —, scheint mir dies konjunkturpolitisch überzeugender zu sein als eine allgemeine Maßnahme.
Strukturpolitisch wird man die Frage der Steuerentlastung der Unternehmen allerdings auch unter dem Gesichtspunkt des Standortwettbewerbs in Europa sehen müssen. Dies erfordert einen komplexen Vergleich der Standort-Vor- und -Nachteile. Die Bundesrepublik muß jedenfalls als Industriestandort attraktiv bleiben. Im europäischen Rahmen muß dafür gesorgt werden, daß im Standortwettbewerb der EG-Staaten nicht Unsitten einreißen — wie Steuererleichterungen, Minderungen des Umweltschutzes usw. —, wie wir sie binnenwirtschaftlich aus der Konkurrenz von Gemeinden bei der Industrieansiedlung hinreichend kennen.
Für die Privathaushalte treten neben die bereits beschlossene Erhöhung der Sonderausgaben-Höchstbeträge ab 1. Januar 1978 und die Erhöhung des Kindergeldes schon zu Weihnachten dieses Jahres — nach unserem Willen jedenfalls — die Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages von 100 auf 400 DM sowie eine nicht unwesentliche Anhebung des Grundfreibetrages. Diese Anhebung des Grundfreibetrages, die Sie nicht mitmachen wollen, so daß das Steuerpaket und die Steuerentlastung für den Bürger aufgehalten werden,

(Zustimmung bei der SPD)

ist konjunkturpolitisch das einzig Vernünftige, weil sie nämlich Kaufkraft dort stärkt, wo Bedarf besteht, nicht aber bei den Einkommensgruppen, die die höchsten Sparquoten aufweisen.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie sich dagegen wehren, so hat dies doch nichts mit Konjunkturpolitik, sondern nur etwas mit der Tatsache zu tun, daß Ihnen die Bedienung Ihrer eigenen Klientel wichtiger ist als die Konjunkturpolitik.

(Beifall bei der SPD)

Herr Strauß, ich möchte Sie, obgleich Sie gerade ein Telefongespräch führen, hier ansprechen. Sie haben gesagt, das, was in dem Papier der SPD-Orientierungsrahmen-Kommission im Hinblick auf die Primäreinkommen vorgeschlagen worden sei, sei ein Nivellieren. Meine Damen und Herren von der CDU und CSU, erklären Sie mir einmal, wie Sie dann, wenn wir nicht zu einer größeren Gerechtigkeit — keineswegs zu einer Gleichheit, wohl aber zu einer größeren Gerechtigkeit im Sinne der Anhebung der unteren Einkommen — bei der Verteilung der Primäreinkommen kommen, Ihre Vorstellungen auf sozialstaatlichem Gebiet verwirklichen wollen.

(Beifall bei der SPD)

Wir können Ausgleichsleistungen für zu geringes Primäreinkommen doch nicht einfach unterlassen und die Leute ihrem Schicksal überlassen. Wir sind vielmehr dafür, daß man die Primäreinkommen so verteilt, daß ein Teil der Menschen, die heute auf staatliche Leistungen angewiesen sind, von ihrem Einkommen aus eigener Kraft leben können.

(Beifall bei der SPD)

Daß dieses Steuerpaket die Tarifkorrektur nicht ersetzt, liegt auf der Hand. Herr Strauß, ich gebe auch unumwunden zu, daß die Instrumentalisierung der Steuerpolitik für Zwecke der Konjunkturpolitik im Laufe der Jahre — nicht nur in den Jahren, in denen wir regieren — die Konsistenz der Steuerpolitik sicher nicht erhöht hat. Dieses Problem sehe auch ich. Dies ist aber ein Problem, für das noch keiner von uns eine Lösung hat.
Das Steuerpaket stellt, sozial gesehen, meines Erachtens eine gerechte Regelung und eine erhebliche Steuerentlastung für die Arbeitnehmer dar. Wer das bestreitet, Herr Strauß, zeigt nur, daß ei sich nicht recht darüber klar ist, was solche Beträge für einen Arbeitnehmerhaushalt bedeuten. Mich wundert es allerdings nicht, daß dies bestritten wird, nachdem ich neulich gelesen habe, daß Sie, Herr Strauß, in Ihrer Parteitagsrede in München gesagt haben, Sie seien sowieso der Meinung, soziales Wohlbefinden sei — so wörtlich — „nur eine UNO-Phrase".
Insgesamt komme ich zu dem Ergebnis, daß der Haushaltsentwurf finanzpolitisch solide und daß er konjunktur-, struktur- und beschäftigungspolitisch ein vernünftig koordiniertes Maßnahmenbündel zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise und der Arbeitslosigkeit darstellt. Meine Damen und Herren, eine solch nüchterne Politik verdient mehr Vertrauen als der demagogische Versuch des Ausschlachtens einer Weltwirtschaftskrise für eigensüchtige Machtinteressen.

(Beifall bei der SPD)

Ich komme jetzt zu einem Einzelposten des Haushaltsentwurfs, hinter dem eines der uns heute am meisten bedrückenden Probleme steht. Die Arbeitslosigkeit ist ja nicht das einzige Problem, das uns bedrückt, der Terrorismus ist genauso bedrückend. Die Bundestagsfraktion der SPD hat nach dem Kölner Terroranschlag erklärt, daß sie parteipolitische Polemik in einer solchen Situation für würdelos hält. Wir haben unsere Ansicht nicht geändert. Wir werden auch weiterhin die Selbstdisziplin üben, die die Lage gebietet. Die Menschen in unserem Lande wollen nach Meinung der SPD in dieser Frage nicht einen Sieg der Opposition über die Regierung oder der Regierung über die Opposition, sie wollen vielmehr einen Sieg des demokratischen Rechtsstaats über den Terrorismus.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Der Einzelplan des Bundesministers des Innern sieht eine weitere technische und personale Verstärkung der Sicherheitsorgane vor. Der Ansatz 1978 sieht 150 Millionen DM zusätzlich vor. Der Haushaltsentwurf setzt damit die von der sozialliberalen Koalition 1969 begonnene Politik des Ausbaus unserer Sicherheitsorgane fort, ohne die schon die 1972 erfolgte Zerschlagung der ersten terroristischen Organisation gar nicht möglich gewesen wäre.
Terroristenbekämpfung ist allerdings auch im kriminalpolitischen Bereich nicht alleine eine Sache der finanziellen Mittel, sondern vor allem eine Sache der Verbesserung der Organisation. Fahndungspannen zeigen, daß wir mehr zentrale Leitungs- und Weisungsbefugnisse und daß wir eine



Dr. Ehmke
Straffung des Informationssystems dringend brauchen. Das gilt gerade auch im Verhältnis von Bundes- und Landesbehörden.
Wir haben 1972 den einen Fehler gemacht — auf den anderen, den politischen, komme ich noch —, die Zentralisierung der Fahndung, die gegenüber den Terroristen zum Erfolg geführt hatte, wieder rückgängig zu machen. Wir sollten diesen Fehler nicht wiederholen, nachdem wir nach dem Kölner Terroranschlag die Fahndung wieder zentralisiert haben. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bittet daher die Oppositionsparteien dieses Hauses sehr herzlich, ihre Vorschläge zur Verstärkung der Aufgaben und Befugnisse des Bundeskriminalamts und des Bundesgrenzschutzes sowie zur Vereinheitlichung des technischen Polizeiapparates unvoreingenommen zu prüfen. Wir sind erstaunt darüber, daß in den umfangreichen Vorschlagskatalogen der CDU/CSU keine Vorschläge auf diesem für die Effektivität der Fahndung zentralen Gebiet enthalten sind. Wir hoffen, aus einer skeptischen Bemerkung in dem Papier Ihrer Fraktion vom 29. September 1977 nicht auf eine grundlegend ablehnende Haltung schließen zu müssen.
Weitere Versäumnisse in diesem zentralen Bereich der Fahndung können durch stramme Haltung im Bereich des Strafrechts nicht ersetzt werden.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Zumal auf strafrechtlichem Gebiet nach den vielen, vielen Gesetzen — Luftpiraterie, terroristische Vereinigung, erpresserischer Menschenraub, Geiselnahme usf. —, die wir in den letzten sechs Jahren auf diesem Gebiet erlassen haben, zwar durchaus noch einiges, aber nicht mehr sehr viel zu tun ist.
Alle Vorschläge müssen daraufhin geprüft werden, ob sie für die Bekämpfung des Terrorismus kriminalpolitisch zweckmäßig und rechtspolitisch vertretbar sind.
Für Zwecke der Fahndung ist auch wichtig, das Kommunikationssystem zu stören und nach Möglichkeit zu zerstören, das Terroristen über konspirative Anwälte aus den Gefängnissen heraus geknüpft haben. Eine Überwachung des mündlichen Verteidigerverkehrs ist allerdings nach meiner Meinung, verehrte Kollegen, für diesen Zweck gänzlich ungeeignet.

(Strauß [CDU/CSU]: Und Ihre Regierung?)

— Herr Kollege Strauß, da Sie mich unterbrechen, darf ich Ihnen folgendes zu überlegen geben: eine solche Regelung müßte zunächst einmal beinhalten, daß in einem Fall der mündlichen Überwachung weder eine Fremdsprache noch ein Dialekt gesprochen werden darf, weil ja derjenige, der in der Mitte sitzt, nicht unbedingt irgendeiner anderen als der deutschen Sprache mächtig zu sein braucht.

(Zurufe von der CDU/CSU)

— Ich weiß, Sie haben wenig praktische Phantasie.

(Dr. Kohl [CDU/CSU] : Das hat doch Ihre eigene Regierung vorgeschlagen! Tun Sie doch nicht so!)

Dann gebe ich Ihnen einmal einen Ratschlag: Unser Kollege Egon Franke ist von den Nationalsozialisten ins Zuchthaus geworfen worden. Vielleicht unterhalten Sie sich einmal mit Egon Franke, bevor wir weiter darüber reden, was er von der Effektivität einer Überwachung solcher Gespräche hält. Bei ihm haben nicht irgendwelche mit der Sache nicht vertrauten Gerichtsassessoren gesessen, sondern geschulte Gestapo-Beamte.

(Abg. Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Nein, ich möchte fortfahren, Herr Kollege Vogel.

(Dr. Kohl [CDU/CSU] : Unerträglich!)

— Es ist gar nicht unerträglich.

(Dr. Kohl [CDU/CSU] : Hier einen Vergleich mit der Gestapo einzuführen, ist doch unerträglich, Herr Ehmke!)

— Herr Kohl, ich kann ja nichts dafür, daß Sie von den Dingen nichts verstehen.

(Beifall bei der SPD — Dr. Kohl [CDU/CSU]: Was Sie hier machen, ist ein Skandal!)

— Sie sind nicht in der Lage, überhaupt nur den Gedanken nachzuvollziehen. Ein Skandal? Überlegen Sie erst einmal, was Sie gesagt haben.

(Dr. Kohl [CDU/CSU] : Ihre eigene Regierung macht diesen Vorschlag, und Sie ziehen den Vergleich mit der Gestapo! Unerträglich!)

Ich sage, da saßen Leute, die geschult waren, und man konnte sie trotzdem überspielen. Sie sollten sich erst einmal mit der Sache vertraut machen, statt dazwischenzuschreien.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

— Wir werden darüber ja noch ausgiebig reden.
Ich bin andererseits der Meinung, daß sowohl das Gesetz über die Kontaktsperre, das das Hohe Haus in der vergangenen Woche verabschiedet hat, als auch der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf über den Ausschluß von Verteidigern diesem Ziel durchaus dient.
Meine Fraktion bekräftigt heute erneut ihre Bereitschaft, über alle diese Fragen interfraktionelle Gespräche zu führen. Nur, Herr Strauß — damit komme ich auf den letzten Teil Ihrer Rede —, so geht es nun auch nicht: auf der einen Seite Gemeinsamkeit in der Sache zu verlangen und dann so zu argumentieren, wie Sie es getan haben. Das wird nicht gutgehen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Zunächst einmal möchte ich aber, da Sie das angesprochen haben, auf die Abstimmung in der vergangenen Woche zurückkommen.

(Dr. Barzel [CDU/CSU]: Sehr interessant!)

— Sehr interessant: Herr Barzel, da wir beide zählen können, wissen Sie, daß die sozial-liberale Koalition in der vergangenen Woche für dieses Gesetz, wenn alle anwesenden CDU/CSU-Abgeordneten, die



Dr. Ehmke
mit Ja gestimmt haben, mit Nein gestimmt hätten, immer noch eine gute Mehrheit gehabt hätte.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Windelen [CDU/CSU] : Dann weiß ich gar nicht, warum sich Herr Wehner so erregt hat!)

Ich gebe zu, das haben wir mehr den Mängeln in Ihrer Fraktionsführung zu verdanken; aber so war es.

(Zuruf von der CDU/CSU)

— Entweder meinen wir das mit der Gemeinsamkeit ehrlich — und ich meine es ehrlich — oder das sind nur Worte. Wenn wir es aber ehrlich meinen, will ich Ihnen sagen, wie ich das sehe.

(Pfeifer [CDU/CSU] : Jetzt argumentieren Sie böse! — Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Sie argumentieren überhaupt nicht, Sie beschimpfen nur! — Weiterer Zuruf von der CDU/ CSU: Ausgerechnet Sie!)

— Sehen Sie, ich bemühe mich um Gemeinsamkeit, während Sie schon wieder so schlau sind und rufen: Ausgerechnet Sie. Das habe ich noch nicht einmal zu Herrn Strauß gesagt.

(Zurufe von der CDU/CSU)

— Ich weiß, Ihnen ist das Christliche besonders nah.
Ich sage also, daß wir zunächst einmal vor einem Problem stehen: Sind wir uns einig darüber, daß die Auseinandersetzung mit der terroristischen Gefahr Gemeinsamkeit der demokratischen Kräfte erfordert? Die Antwort meiner Fraktion ist: Ja.

(Dr. Kohl [CDU/CSU] : Nein!)

— Ich wundere mich, daß Sie jetzt nein sagen, Herr Kohl, aber draußen vor jedem Fernsehschirm nur die Gemeinsamkeit beschwören. Dann sagen Sie doch mal hier, was Sie wirklich meinen!

(Beifall bei der SPD)

Wir meinen das, was wir sagen. Und wir sagen außerdem: wir nehmen an, daß Sie wie wir daran interessiert sind, trotz dieser Gemeinsamkeit nicht die Verantwortung von Regierung und Opposition zu verwischen.

(Dr. Kohl [CDU/CSU] : Wer sagt das denn?)

— Schön, wenn wir uns darin einig sind, heißt das also — und darüber sind wir uns doch klar —, daß das beim nächsten Mal so gründlich vorbereitet werden muß, daß die Verantwortlichkeiten klar bleiben. Das ging diesmal etwas unter Zeitdruck. Aber daß Sie nun, weil in dieser Situation Leute Bedenken geltend gemacht haben, das als Zeichen zu deuten suchen, man wolle nicht gemeinsam zusammenstehen, das halte ich für billig.

(Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Das hat doch Herr Wehner gesagt!)

Doch nun ein Wort zur politisch geistigen Auseinandersetzung, nicht mit den Terroristen — denn da gibt es nichts mehr, womit man sich auseinandersetzen könnte —, wohl aber mit den Ursachen des Terrorismus.
Die Entstehungsgeschichte des Terrorismus reicht bis in die Studentenbewegung zurück. Offenbar ist das so lange her, daß inzwischen vergessen worden ist, daß die Auseinandersetzung mit den protestierenden Studenten damals im wesentlichen von Sozialdemokraten und im weitesten Sinne Liberalen geführt worden ist. Ich bin damals von Uni zu Uni und von Veranstaltung zu Veranstaltung gezogen. Ich muß Ihnen heute in aller Ruhe sagen: Von den Leuten, die uns heute vorwerfen, die Auseinandersetzung mit der studentischen Jugend versäumt zu haben, habe ich in APO-Zeiten an deutschen Universitäten nichts gesehen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Das erklärt auch vielleicht, daß es Ihnen inzwischen wieder entfallen ist, daß die Repräsentanten aller Parteien — schon damals bestand darin Gemeinsamkeit — Gewalt abgelehnt haben.
Stellvertretend für die Sozialdemokratie zitiere ich Willy Brandt — 19. April 1968 —:
Wir brauchen einen eindeutigen Stopp von Gewalttätigkeiten, wir brauchen den eindeutigen Respekt vor dem Gesetz.
Oder Gustav Heinemann im April 1968:
Gewalttat aber ist gemeines Unrecht und eine Dummheit obendrein.
Und im Januar 1969:
Eine letzte Grenze wird da erreicht, wo man übergeht zur Gewalttat. Das wird kein Staat jemals zulassen können.
Ich selbst habe im März 1968 auf dem SPD-Parteitag in Nürnberg den radikalen Flügel der APO so beschrieben:
Da einerseits eine demokratische Reform der Gesellschaft diffamiert wird, andererseits die gesellschaftliche Situation aber keineswegs revolutionär ist, wird mit ebenso romantischen wie kostenlosen Anleihen bei der revolutionären Situation der Entwicklungsländer und ihren Guerillas eine blind-liberale „Action directe" gepredigt

(Dr. Barzel [CDU/CSU] : Blind-liberal?!)

— blind-antiliberal, Entschuldigung, Herr Barzel, Ihr Zwischenruf hat mich vor einem schlimmen Lapsus bewahrt —,

(Lachen bei der CDU/CSU)

eine blind-antiliberale „Action directe" gepredigt. Soweit sie Diskussionen sprengt, Vorlesungen stört, Zeitungen verbrennt und Fensterscheiben einschlägt, verdient sie durchaus als pseudolinker Faschismus bezeichnet zu werden.

(Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Und dann habt ihr amnestiert!)

Ein Jahr später habe ich die Haltung meiner Partei zu Gewalttaten von APO-Gruppen auf einem rechtspolitischen Kongreß so umrissen:

(Windelen [CDU/CSU] : Jetzt suchen Sie alle Alibis!)




Dr. Ehmke
— Wir suchen kein Alibi, wir treten Verleumdungen entgegen. Und wir versuchen Sie zu erinnern, daß, wer Gemeinsamkeit sagt, auch nicht die Geschichte verfälschen darf; sonst macht er sich nämlich zum Helfershelfer der Terroristen.

(Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/CSU — Zurufe von der CDU/CSU)

Ich habe damals gesagt:
Gerade wer Kritik als ein Lebenselement der Demokratie versteht, hat mit dafür zu sorgen, daß die Grenze zwischen Kritik und Protest auf der einen, Rechtsbruch und Gewalt auf der anderen Seite nicht verwischt und verschoben wird. Wer zum Rechtsbruch, zur Gewaltanwendung aufruft oder sie begeht, ist nach den Gesetzen — und mögen diese noch so unvollkommen sein — sine ira et studio zur Verantwortung zu ziehen.
Das erfordert der Respekt vor unseren selbstgegebenen Gesetzen, der zum Selbstrespekt unserer Demokratie gehört. Sicher gehört dazu auch Augenmaß und eine sichere Hand. Den demokratischen Institutionen kann an einer Eskalation des Konflikts nicht gelegen sein. Man darf sich nur andererseits nicht der Illusion hingeben, diese Eskalation wäre zu vermeiden, wenn eine außer sich geratene Minderheit unserer Gesellschaft diesen Konflikt aufzwingen will.
Ich habe diesen vor über acht Jahren gemachten Ausführungen heute nur die eine Bemerkung hinzuzufügen: daß damals keiner von uns vorausgesehen hat, daß die damals beginnende Gewaltanwendung schließlich in terroristischem Mord enden würde.
Wir haben allerdings — damit komme ich auf die Fehler zurück — meines Erachtens einen großen Fehler gemacht; ich meine jetzt diejenigen, die sich damals mit der APO auseinandergesetzt haben. Wir haben, nachdem die Auseinandersetzung mit der APO politisch gewonnen und die kriminell gewordenen Restbestände des Studentenaufstands mit der kriminalpolizeilichen Zerschlagung der ersten Terroristenorganisation scheinbar aufgelöst waren, die Auseinandersetzung mit der nachfolgenden Generation nicht mit der Energie geführt, wie wir sie mit der APO geführt hatten.

(Beifall bei der SPD)

Meine Herren von der Opposition, das werfen wir uns selber vor. Wir lassen uns das aber nicht von Leuten vorwerfen, die damals der Auseinandersetzung mit der rebellischen Studentenschaft überhaupt ausgewichen sind.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Wem es, Herr Strauß, um eine wirkliche Ursachenanalyse geht — eine solche ist zur politischen Bekämpfung des Terrorismus notwendig —, der muß auf billige Rechts-Links-Etiketten verzichten; denn die Ursachen sind viel komplexer. Ich nenne nur einige Faktoren, die wir zu berücksichtigen haben.
Viele Ausländer sehen den Terrorismus in der Kontinuität eines deutschen Irrationalismus, sozusagen von Nietzsche bis Heidegger, von Hitler bis zu den Terroristen. Am Kölner Terroranschlag hat draußen vor allem die Mischung von Brutalität und Präzision erschreckt. Mancher draußen — Herr Strauß hat es in München auch schon angesprochen — sieht daher eine neue deutsche Krankheit sich ausbreiten. Ich bin dagegen mit einem so kühl denkenden und sensiblen Kopf wie François Mitterrand der Meinung, daß es sich um eine Krankheit unserer gesamten Zivilisation handelt — der Terror ist heute weltweit —, auch wenn diese Krankheit bei uns gewisse deutsche Züge trägt.
Ein auffallender Faktor ist die soziale Herkunft der Terroristen aus dem gehobenen Bürgertum, aus der „Kaviarschicht der Gesellschaft", wie es Herr Strauß nach einer Zeitungsnotiz gesagt haben soll. Den „geistesgestörten Rand der nicht arbeitenden Klasse" hat eine englische Autorin die Terroristen genannt. Und in der Tat scheint neben der Herkunft aus gehobenem Milieu psychische Labilität oder Krankheit nicht nur für die aus dem Heidelberger Patientenkollektiv stammenden Terroristen ein weiteres Merkmal zu sein.
Nach dem Elternhaus ist dann das „linke Umfeld", wie Sie es nennen, der Universitätsjahre zu nennen. Die Behauptung allerdings, Herr Strauß, der Terrorismus habe seine geistigen Wurzeln im Marxismus, ist schlicht falsch. Marxismus und Anarchismus schließen sich aus, wie nicht nur der Streit zwischen Marx und Bakunin belegt hat. Die Sozialdemokraten haben sogar die Anarchisten ausgeschlossen, die nicht für Gewaltanwendung eintraten. Die einhellige Verurteilung der Terroristen durch die kommunistischen Parteien in Ost und West, die Sie sonst so gerne zitieren, ist nicht taktisch bedingt, sondern ideologisch begründet.
Herr Strauß, was wollen Sie eigentlich mit diesem Versuch? Wollen Sie alle, die sich an der Gesellschaftsanalyse von Marx ganz oder teilweise orientieren, in das Lager des Terrorismus schieben? Was soll das eigentlich? Sie bringen die Stamokap-Theorie in diesen Zusammenhang. Ich habe schon vor Jahren, lange bevor Sie sich darüber aufgeregt haben, meine Meinung dazu gesagt; aber daß die Stamokap-Theorie etwas mit individuellem Terror zu tun hätte, ist eine weitere Erfindung Ihrerseits.
Genauso abwegig ist die Behauptung — das sage ich als jemand, der früher an einer deutschen Universität gelehrt hat —, die kritische Theorie, die Frankfurter Schule, sei schuld am Terrorismus. Was immer man auch sonst an dieser Schule zu kritisieren haben mag, den Terrorismus hat sie abgelehnt. Adorno wurde von den rebellischen Studenten in seinen Vorlesungen gestört, Jürgen Habermas war einer der ersten, der gegen die Gewaltanwendung gesprochen und geschrieben hat,

(Sehr gut! bei der SPD)

und auch Marcuse, mit dessen Thesen ich mich in APO-Zeiten oft hart auseinandergesetzt habe und den ich nicht von jeder Schuld an dem freispreche, was an elitärer Arroganz und Realitätsblindheit in



Dr. Ehmke
Teilen der studentischen Jugend damals gewachsen ist, hat sich eindeutig gegen Gewalt ausgesprochen, als Gewaltanwendung angefangen hat. Was soll das eigentlich, Herr Strauß, die Fronten zu verwischen, statt den gemeinsamen Gegner zu stellen?

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Im übrigen muß ich Ihnen nun auch in aller Freundschaft folgendes sagen. Ich war ja auch nicht in allen Punkten ein großer Anhänger der hessischen Rahmenrichtlinien.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)

--- Dazu habe ich hier mal im Bundestag gesprochen. Sie brauchen nicht „Aha" zu sagen. Dazu habe ich mich vor diesem Haus geäußert. — Aller berechtigter und unberechtigter Zorn zusammen über diese hessischen Rahmenrichtlinien kann aber doch z. B. kaum die Tatsache erklären, daß eine so beängstigend hohe Zahl von Leuten, die heute Terroristen sind, gar nicht aus Hessen, sondern z. B. aus BadenWürttemberg kommt, also aus einem Land, das eine konservative Schulpolitik macht.

(Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Auch diese These noch! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Ich sage doch nur: es ist ebenso unsinnig, zu behaupten, am Terrorismus seien die hessischen Rahmenrichtlinien schuld, wie das Argument unsinnig wäre, an ihm sei die konservative Schulpolitik, z. B. in Baden-Württemberg, schuld.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Herr Strauß, nun komme ich zu einem Punkt, der in Ihren Vorhaltungen vielleicht der ernsthafteste war und der auch in die Stellungnahmen beider Kirchen Eingang gefunden hat: zur Frage der Konflikttheorie.
Solange man sagt, eine Überbetonung der Konflikte sei schädlich, ist das hinzunehmen. Ich warne aber, in einem Volk, dessen Abrutschen in den Nationalsozialismus nicht durch das Anerkennen von Konflikten, sondern durch eine Ideologie der Volksgemeinschaft begründet wurde, das Kind mit dem Bad auszuschütten.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Die Demokratie beruht nicht nur auf der Gemeinsamkeit in den Grundwerten und den Grundrechten. Sie beruht auch — da sind wir uns doch hoffentlich einig — auf der offenen Austragung sozialer und politischer Konflikte.

(Dr. Kohl [CDU/CSU] : Das ist doch nicht unser Problem in der Bundesrepublik!)

Die demokratische Verfassung stellt für die friedliche Lösung solcher Konflikte Verfahren bereit. Gewalt schließt sie dagegen aus.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Nicht die Betonung von Konflikten, Herr Strauß, sondern die Anwendung von Gewalt ist daher die Grenze der Demokratie.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Das gleiche gilt übrigens für das Bewußtsein von der notwendigen Änderung gesellschaftlicher Verhältnisse, die die liberale Bewegung von jeher ebenso durchdrungen hat wie die Arbeiterbewegung und die ja selbst in den christdemokratischen Reihen dieses Landes glücklicherweise noch nicht ganz abgestorben ist, was sich am Beispiel Ihrer Zustimmung zum Mitbestimmungsgesetz gezeigt hat. Denn mit dieser Zustimmung haben Sie Gesellschaft in Deutschland verändert, und zwar in die richtige Richtung. Wir finden es gut, daß wir das zusammen gemacht haben.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Nein, meine Damen und Herren der Opposition: Die Frage, die wir beantworten müssen, lautet nicht, wie man dazu kommt, eine Änderung der Gesellschaft für notwendig zu halten; denn dafür gibt es viele gute Gründe. Sie lautet vielmehr, wie man dazu kommt, Mord und Totschlag als legitimes Mittel der Politik anzusehen.
Die Terroristen selbst berufen sich mit Vorliebe auf das Vorbild der südamerikanischen Stadtguerillas und der Befreiungskämpfe der Dritten Welt. Das kann von Rechtfertigungsbedürfnis, aber ebensogut auch von Verlogenheit oder krankhaftem Realitätsverlust zeugen. Unsere Gesellschaft ist sicher nicht vollkommen. Aber keiner ihrer Fehler kann Mord, Totschlag oder Menschenraub rechtfertigen.
Ich muß in diesem Zusammenhang allerdings auch kritisch bemerken, daß diejenigen, die umgekehrt versuchen, eine Parallele zwischen den Befreiungsbewegungen in Südafrika und den deutschen Terroristen herzustellen, in einem Arbeitsgang sowohl den deutschen Terroristen als auch der menschenverachtenden Politik der Apartheid Hilfestellung leisten.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

In Wahrheit haben die Terroristen gar keine politische Theorie, wie sie ja auch kein politisches Gestaltungsziel haben. Ihre geistige Heimat ist nicht — bei dem einen oder anderen von ihnen vielleicht nicht mehr — links. Das Problem der Terroristen ist, daß sie keine geistige Heimat haben. Sie sind auf Zerstörung programmiert.
Wir müssen dabei einen weiteren, durch die Geschichte des Terrorismus hinreichend belegten Aspekt im Auge behalten, nämlich die Ablösung des Terrors von den Anlässen und Bewegungen, aus denen er jeweils entstand. Terror ist ein Versuch, in die Nervenstränge einer sozialen Einheit, in ihre Kommunikation und in ihren Willensbildungsprozeß einzudringen, um diese erst zu lähmen und dann für die eigenen Zwecke zu mißbrauchen. In dieser Hinsicht bestehen zwischen dem Terror der mittelalterlichen Hexenprozesse, des französischen Revolutionstribunals, der Moskauer Säuberungsprozesse und der Prozesse vor dem Volksgerichtshof viele strukturelle und psychologische Gemeinsamkeiten. Die Wahrheit ist: Terror ist austauschbar, für beliebige Zwecke verwendbar.
So liegt — Herr Strauß, da stimme ich Ihnen völlig zu — die Parallele zwischen der menschenver-



Dr. Ehmke
achtenden Brutalität der Terroristen und der Gestapo-Mentalität auf der Hand. Es nimmt auch nicht Wunder, daß der Mord an Generalbundesanwalt Buback kürzlich auch in einem neonazistischen Blatt als „befreiende Tat" begrüßt worden ist. Man habe zwar mit den „Roten" nichts gemein, aber man habe auch nichts gemein mit Buback und dem von ihm vertretenen Staat, der an gleicher Stelle als „Judenstaat" beschimpft wird.
Herr Strauß, wenn wir uns über die Gleichheit der Erscheinungssymptome einig sind, auch wenn sich die Dinge aus verschiedenen Anlässen entwikkelt haben, dann habe ich eine herzliche Bitte an Sie. Auf das, was Sie über Willy Brandt gesagt haben, brauche ich hier nicht einzugehen, denn darauf hat vor kurzem Helmut Schmidt die gebührende Antwort gegeben. Aber ich möchte Sie herzlich darum bitten, nicht zu unterschätzen, mit welch kritischen Augen das Ausland eben doch Fälle wie Kappler oder die Hitler-Nostalgiewelle oder jetzt die schlimmen Dinge bei der Bundeswehr in München betrachtet. Wir wissen, daß ist klein, aber ich sage Ihnen noch einmal — —

(Dr. Kohl [CDU/CSU] : Würden Sie bitte einmal sagen, wo es in diesem Lande eine Hitler-Nostalgiewelle gibt?)

— Es hat wohl keinen Zweck bei Ihnen: Lassen Sie sich vielleicht von einem Ihrer — —

(Dr. Kohl [CDU/CSU] : Sagen Sie es konkret!)

— Lassen Sie sich einmal über die Wirkung von Fests Hitler-Film aufklären. Schauen Sie in die Illustrierten, was im Augenblick dort alles abgehandelt wird, von Goebbels Tagebüchern bis — —

(Dr. Kohl [CDU/CSU] : Das ist doch lachhaft!)

— Das ist lachhaft? Gehen Sie zu Ihren Freunden ins Ausland und lassen Sie sich einmal sagen, wie das draußen wirkt, statt hier dummes Zeug zu reden!

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0804600900
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Horst Ehmke (SPD):
Rede ID: ID0804601000
Nein. — Ich war bei. Herrn Strauß stehengeblieben. Herr Strauß, da wir uns hinsichtlich der Gleichheit der Brutalität von Gestapo und Terroristen einig sind, möchte ich Sie sehr herzlich bitten — wir verzerren die Dinge nicht —, diese Dinge nicht einfach wegzuwischen. Die Gefahr ist, daß sich draußen diese Dinge und der Terrorismus — ich sage es noch einmal — zu der Vorstellung eines kontinuierlichen deutschen Irrationalismus verbinden. Und wir sind uns doch darin einig, daß wir Gewalt aus keiner Richtung dulden werden.
Herbert Wehner hat völlig recht: Terror ist weder rechts noch links beheimatet. Er will keine andere, er will überhaupt keine Politik. Er will Zerstörung.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Aber, meine Damen und Herren, auch etwas anderes wird im geschichtlichen Vergleich deutlich: daß nämlich Terrorismus nicht nur sinnlos, sondern auch erfolglos ist. Der Terrorismus hat in der Weltgeschichte, wie viele Untersuchungen zeigen, keine verbleibenden Veränderungen der Gesellschaft bewirkt. Er hat meistens nur im Gang befindliche historische Prozesse aufgehalten. „Gewalt, einerlei, von wem sie angewandt wird", hat der erste Reichspräsident einmal gesagt, „ist immer reaktionär." So mag auch der heutige Terrorismus zwar noch viele Bluttaten begehen und Opfer fordern, aber er kann unsere Demokratie nicht zerstören — wenn wir sowohl in der kriminalpolitischen und strafrechtlichen Diskussion wie in der politischen Ursachenforschung kühlen Kopf behalten.
Das Stichwort „kühler Kopf" ist für mich Anlaß, namens der SPD-Fraktion Bundeskanzler Helmut Schmidt für die staatsmännische Entschlußkraft und Besonnenheit zu danken, die er in den letzten Wochen erneut unter Beweis gestellt hat.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Es ist für mich zugleich Anlaß, Sie alle herzlich zu bitten — bei aller Auseinandersetzung im einzelnen, die bleiben wird — im Kampf gegen diese Herausforderung zusammenzustehen, um unser gemeinsames humanistisches Erbe zu verteidigen und eine gemeinsame Zukunft im Sinne dieses Erbes zu gestalten.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD und bei der FDP)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0804601100
Das Wort hat der Abgeordnete Hoppe.

Hans-Günter Hoppe (FDP):
Rede ID: ID0804601200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für die Opposition hat der Kollege Franz Josef Strauß — niemand konnte anderes von ihm erwarten — das markige Verdammungsurteil gesprochen. Die CDU/CSU-Fraktion bleibt damit auf diesem Felde der Politik offensichtlich auf der Linie „Opposition total". Das ist ja keineswegs mehr so selbstverständlich, denn in der Außen- wie in der Innenpolitik versucht die Opposition ihren Rückstand aufzuholen. Dort ist sie auf den Regierungszug aufgesprungen und will nun an der erfolgversprechenden Politik partizipieren. Ich nenne in diesem Zusammenhang nur das Stichwort KSZE. Herr Kollege Strauß aber ist bei der alten Strategie geblieben und hat dafür offenbar gute Gründe. Ablehnende Kritik ist immer noch der beste Kitt für jede oppositionelle Betätigung. Beifall und Geschlossenheit sind auf diesem Wege am leichtesten zu ernten. Der Kollege Franz Josef Strauß fährt mit dieser Methode alles in die Scheuern ein, was nur auf eine Forke draufgeht.
Dabei war der Zusammenschnitt seiner Kritik teilweise wieder hörenswert, und manches davon war durchaus bedenkenswert. Aber alles in allem fehlt es an einem Ansatz für den konstruktiven Dialog. Abrechnung bleibt bei ihm Trumpf. Aber so werden wir die Frontstellung in der Wirtschafts- und



Hoppe
Finanzpolitik nicht überwinden. Genau dies aber müßte geschehen, denn gerade hier brauchen wir im Augenblick mehr Konsens. Denn nur damit ist das notwendige Vertrauensklima für zukunftsorientierte Wirtschaftsentscheidungen zu erreichen. Das für Investitionen notwendige Klima der Zuversicht wird sich so lange nicht einstellen, wie die Kumulation von wirtschaftlicher und existenzieller Unsicherheit andauert. Hier liegt die Verantwortung der Parteien, und zwar der Regierungs- und der Oppositionsparteien gleichermaßen. Daß Franz Josef Strauß aus dieser Sicht heraus argumentiert hätte, vermag ich leider nicht festzustellen.
Auch die Beschreibung der Koalitionsparteien war denn bajuwarisch derb. Für die FDP habe ich dazu anzumerken: ich fühle mich in meiner politischen Gemeinschaft gerade deshalb so wohl, weil ich auch künftig auf Liberalität und Toleranz vertrauen können muß.

(Beifall bei der FPD und der SPD)

Über die politische Grundhaltung der Freien Demokraten braucht sich die Opposition wahrlich nicht zu sorgen. Die Kontroverse um die Ausfüllung unserer Grundsätze werden wir offen und fair austragen. Unser Parteitag wird allerdings auch künftig kein geschlossener Gesangverein sein.

(Beifall bei der FDP)

Wir Freien Demokraten haben um Freiburg gerungen. Wir werden diese Aufgabe auch in Kiel bewältigen.

(Beifall bei der FDP)

Auch um unseren Parteivorsitzenden braucht sich der Kollege Strauß keine großen Sorgen zu machen. Ihm ist es nämlich so ergangen, daß das Parteipräsidium seinem Antrag einmütig gefolgt ist. Aber die Entscheidungen ergehen bei uns dann im rechtsstaatlichen Verfahren; denn dem Rechtsstaatsprinzip sind schließlich auch die politischen Parteien verpflichtet. Den einsamen Rausschmiß gibt es bei den Freien Demokraten jedenfalls nicht.

(Beifall bei der FDP)

Die Schelte des Kollegen Strauß braucht uns denn auch nicht allzusehr zu schrecken. Wer sich daran erinnert, wie er mit seinen Freunden in der CSU umspringt und die „Nordlichter" in der Union beutelt, kann insoweit Nachsicht mit ihm üben. Für Liberale bleibt auch das Modell „Strauß 1977" absolut unbrauchbar.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Haushaltsberatungen sind nun einmal Anlaß für das große politische Streitgespräch. Deshalb darf niemand der Opposition verwehren, daß sie hier heute in die Vollen geht. Und doch sollte der Gegenstand der Tagesordnung nicht völlig aus den Augen verloren werden, dies um so weniger, als es sich immerhin um fast 190 Millarden DM handelt, über die es auf der Einnahme- und Ausgabeseite des Haushalts 1978 zu befinden gilt. Der Haushalt wird mit einer expansiven Ausgabepolitik bewußt in den Dienst eines wachstumspolitischen Programms gestellt. Er ist damit zum Packesel der Konjunkturpolitik geworden.
Es ist gewiß nicht leicht, den Prozeß der Strukturverbesserung der öffentlichen Haushalte zu unterbrechen. Schließlich war es gemeinsame Auffassung aller, daß es dringend geboten sei, die Verschuldungsgrenze drastisch herabzusetzen, um die Handlungsfreiheit für politische Sachentscheidungen nach reinen Prioritätsgesichtspunkten wieder zurückzugewinnen. Es ging und geht immer noch darum, die Solidität der Staatsfinanzen zu sichern. Wenn wir diesen Kurs nicht mehr konsequent steuern können, wird — und da ist dem Sachverständigenrat sicher recht zu geben — das Vertrauen in die Finanzpolitik auf eine harte Probe gestellt. Aber auch der Sachverständigenrat sieht angesichts der wirtschaftspolitischen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland unter Berücksichtigung ihrer internationalen Verflechtungen keine Möglichkeit, dem Zwang der Verhältnisse auszuweichen. Auch nach seiner Auffassung ist eine vorübergehende Kursänderung nötig. Wir sollten das Ziel der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte aber nicht aus den Augen verlieren und wir dürfen uns den Weg dahin unter gar keinen Umständen verbauen lassen.

(Sehr wahr! bei der SPD)

Mit Recht warnt der Sachverständigenrat in seinem an den Bundeskanzler gerichteten Schreiben vom 7. September 1977 hier vor möglichen Fehlentwicklungen. Es ist nur zu verständlich, daß er in diesem Zusammenhang empfiehlt, nur solche Ausgaben in die fiskalpolitische Programmatik aufzunehmen, deren Struktur- und wachstumspolitische Bedeutung besonders dringlich ist. Und ganz sicher müssen wir uns davor bewahren, allein der Faszination der großen Zahlen zu erliegen. Ein bedingungslos und massiv aufgeblähter Haushalt würde eine äußerst bedenkliche Entwicklung einleiten. Die konjunktur- und beschäftigungspolitische Misere soll mit den Mitteln der Haushaltspolitik verbessert werden. Aber wir dürfen die Lage nicht durch einen maßlos überforderten Haushalt verschlimmern, der die vertretbare Verschuldensgrenze mißachtet. Wer trotz dieser Bedenken und wider bessere Einsicht dennoch so verfahren will, läuft Gefahr, daß der fiskalpolitische Teil des volkswirtschaftlichen Kreislaufs sehr schnell kollabiert. Auch wenn uns die Arbeitsmarktprobleme mit den hohen Arbeitslosenzahlen noch so sehr unter den Nägeln brennen, wir können hier den Teufel nicht mit Beelzebub austreiben.
Wie sehr der Haushalt die Grenzen der Belastbarkeit erreicht hat, wird durch die Daten der mittelfristigen Finanzplanung deutlich. Die Finanzierungsdefizite werden im ganzen Zeitraum kräftig höher sein als zunächst geplant. Dies ist unvermeidbar und — wie der Zentralbankrat der Deutschen Bundesbank festgestellt hat — unter den gegebenen Umständen auch vertretbar. Aber es muß uns bewußt sein, daß wir die angespannte Situation des Haushalts, in die wir durch die konjunkturelle Flaute geraten sind, nicht noch weiter verschärfen dürfen. Eine leichtfertige oder unnötige Ausgabenproduktion gilt es deshalb in jedem Fall zu vermeiden.
Wie angespannt die Lage tatsächlich ist, erhellt die Feststellung des Bundesfinanzministers in seiner Ka-



Hoppe
binettsvorlage vom 12. September, in der auf Grund der Haushaltsdaten 1978 für den Zeitraum des Finanzplans lapidar festgestellt wird, daß wegen des mittelfristigen Ziels der Konsolidierung des Bundeshaushalts eine höhere Steigerungsrate der Ausgaben als 6 v. H. jährlich nicht vertretbar und zur notwendigen Aufgabenerfüllung ausreichend ist. Nun ist es bei der sehr hohen Markierung für die Nettokreditaufnahme dieses Jahres schon sehr gewagt, überhaupt noch von dem mittelfristigen Ziel der Konsolidierung zu sprechen. Auf die vom Haushalt übernommenen Leistungen für die Sozialversicherungsträger und die sich daraus ergebenden Konsequenzen muß in diesem Zusammenhang besonders hingewiesen werden.
Aber selbst wenn man sich dem Ziel der Konsolidierung nur noch im Schneckentempo nähern wollte, darf sich jeder einmal die Frage vorlegen, was mit dem Haushalt passiert, wenn die unserer Volkswirtschaft gestellten Aufgaben eben doch nicht innerhalb einer Steigerungsrate von 6 % erfüllt werden können. Meine Damen und Herren, nach den Erfahrungen dieser Tage, die wir am Krankenbett der Konjunktur machen mußten, ist eine solche Entwicklung doch nicht völlig unmöglich. Hier wird nicht Undenkbares gedacht, vielmehr muß auch diese wenig erfreuliche Perspektive ins Auge gefaßt werden. Meine Damen und Herren, dies gilt auch dann, wenn, was wir erwarten, die nationalen und internationalen Maßnahmen zur Belebung der Konjunktur greifen und sich der Erholungsprozeß wieder beschleunigt.
1978 aber muß der Haushalt, unabhängig von allen spekulativen Erörterungen, seinen Anteil am notwendigen Anstieg der Gesamtnachfrage erbringen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Denn nur mit einem sorgfältig aufeinander abgestimmten Maßnahmenkatalog steuerlicher, haushaltspolitischer und arbeitsmarktpolitischer Art ist jenes Wirtschaftswachstum von mindestens 41/2 % zu erzielen, mit dem eine Verbesserung der Beschäftigungslage erreicht werden kann.
Der Haushalt wird seine Tischlein-deck-dichFunktion am ehesten dann erfüllen, wenn er sich primär auf die Verstärkung der investiven Ausgaben konzentriert. Denn hier steckt ein Effekt mit Dauerwirkung für die Volkswirtschaft drin. Wenn die schwierige haushaltspolitische Operation zur Bewältigung unserer wirtschaftspolitischen Probleme dazu führt, daß die in diesem Jahr eingeleitete, aber nur sehr zaghaft begonnene Umschichtung vom konsumtiven zum investiven Teil der Ausgaben kräftig vorangetrieben wird, wäre wenigstens insoweit ein Stück Haushaltsstrukturverbesserung mit geerntet worden. Dann hätten wir, gewissermaßen, aus der Not eine Tugend gemacht.
Gerade weil der Finanzminister und das Parlament nicht über einen Dukatenesel verfügen, müssen wir mit dem, was der Haushalt vermehrt leisten soll und leisten kann, sehr sorgfältig zu Werke gehen. Die kritische Sonde wird insbesondere bei den Personalanforderungen anzulegen sein. Unbestreitbar gibt es Bereiche des öffentlichen Dienstes, in denen
ein zusätzlicher Personalbedarf nachgewiesen werden kann. Dies ist nicht nur auf den Bereich der inneren und äußeren Sicherheit beschränkt. Aber andererseits wollen wir die bitteren Lehren der Vergangenheit nicht völlig außer acht lassen. Unter dem hohen Personalkostenanteil sind die öffentlichen Haushalte sehr kurzatmig geworden. Die Angehörigen des öffentlichen Dienstes haben dann häufig zu Unrecht die Unmutsreaktionen dafür zu spüren bekommen. Niemand aber kann ernsthaft leugnen, daß die Personalkosten zu einer drückenden Last geworden sind. Wir würden uns keinen Gefallen tun, wenn wir trotz der Alarmsignale aus der Vergangenheit aus Nachgiebigkeit gegenüber den Forderungen des Tages Dauerschäden in unsere Haushaltspolitik einarbeiten würden.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Jede neue Stelle bedarf daher der sorgfältigen Prüfung. Blinder Eifer ist hier fehl am Platze.
Bei den anstehenden Entscheidungen wird sich am besten jeder auf seinen Verantwortungsbereich beschränken. Er sollte sich davor hüten, anderen lauthals Empfehlungen zu geben. Schon die Äußerung des Bundesfinanzministers, seine Kollegen in den Ländern könnten wegen ihrer geringeren Finanzierungsdefizite mehr in der Personalpolitik tun, ging mir deshalb zu weit. Wir dürfen nicht übersehen, daß gerade die Länder mit ihren hohen Personalkostenquoten relativ schlechter dran sind als wir mit dem Bundeshaushalt. Wenn wir uns selbst aus guten Gründen Zurückhaltung auferlegen, dann sollten wir den Ländern nicht Unzumutbares zumuten, dies auch dann nicht, wenn Gewerkschaften, Bildungs- und Sozialpolitiker das noch so lautstark von uns fordern.
Meine Damen und Herren, sofern wir unsere finanziellen Möglichkeiten überschreiten und die Leistungsfähigkeit des Haushalts über Gebühr strapazieren, kann sehr wohl der Augenblick kommen, wo das wirtschaftspolitisch Wünschenswerte finanziell nicht mehr machbar ist. Wenn es dann mit dem „Esel streck dich" nicht mehr geht, kommt nach dem guten alten Märchen der Knüppel aus dem Sack. Dies bedeutet dann in der Sprache der Haushaltspolitiker: Das nächste Haushaltsstrukturgesetz kommt bestimmt.
Nun gehört es im Augenblick fast schon zum guten Ton, sich über das Haushaltsstrukturgesetz des Jahres 1975 zu mokieren. In einem Augenblick expansiver Haushaltspolitik muten die Erinnerungen an den Kraftakt des Haushaltsstrukturgesetzes in der Tat fast wie ein Alptraum an. Viele empfinden den Vorgang als fiskalpolitischen Aberwitz: gestern noch sparen um jeden Preis, sparen um den Preis überschäumender Kritik und einer Verärgerung in allen Ressorts und bei den betroffenen Gruppen und Verbänden; heute das große Geldausgeben, die Suche nach wohlfeilen Ideen, für die man Zustimmung gewinnt und mit denen man Freude verbreiten kann.
Für dieses vermeintliche Durcheinander müssen dann selbstverständlich die bösen Fiskalisten herhalten. Meine Damen und Herren, es darf aber daran erinnert werden, daß das Haushaltsstrukturgesetz



Hoppe
mit einer steifen Brise vom Brahmsee nach Bonn geweht wurde. Anders als viele, die diesen schmerzhaften Eingriff ausgedacht haben, stehen die Haushaltspolitiker aber auch heute noch zu dieser Entscheidung; denn sie war richtig.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ohne die damals getroffenen Maßnahmen wäre nämlich nicht der finanzielle Bewegungsspielraum gewonnen worden, den wir im laufenden Haushalt — und jetzt vermehrt 1978 — nutzen können, um mit dem Problem unserer Konjunktur- und Arbeitsmarktsituation fertigzuwerden. Es ist also ganz verfehlt, die Maßnahmen des Haushaltsstrukturgesetzes als finanzpolitischen Irrtum abtun zu wollen.
Geradezu fatal wäre es aber, sollte sich jetzt die Meinung breitmachen, die Ausgaben des Haushalts brauchten nur richtig in die Höhe gejubelt zu werden, und schon würde die Konjunktur laufen und die Arbeitslosigkeit verschwinden. Eine solche Mentalität würde uns mit Sicherheit ganz schnell wieder ein neues Haushaltssicherungsgesetz bescheren. Nein, meine Damen und Herren, es kommt doch nicht nur darauf an, ein bestimmtes Ausgabevolumen zu beschließen, große Zahlen aufs Papier zu bringen, um sich an sensationellen prozentualen Steigerungsraten zu berauschen. Diese Zahlen werden zwar Teil des volkswirtschaftlichen Gesamtdatenkranzes und damit auch bestimmend für die Aussage über das Wirtschaftswachstum und die Entwicklung am Arbeitsmarkt. Ihre volle Wirksamkeit für den tatsächlichen Wirtschaftsablauf erlangen sie aber doch nur dann, wenn sie auch in den Wirtschaftskreislauf voll eingespeist werden können. Daß dies im Sinne des volkswirtschaftlichen Nutzens erfolgen muß, sei noch einmal unterstrichen.
Allerdings gehören die Klagen über die vielen Investitionshemmnisse nun schon zum täglichen Morgengebet. Hüten wir uns also davor, Abweichungen von den eigenen wirtschaftspolitischen Zielprojektionen dadurch selbst noch zu produzieren, daß wir Haushaltsmittel veranschlagen, die dann doch überhaupt nicht ausgegeben werden können. Die Haushaltsreste mögen dem Finanzminister Freude bereiten; für die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung sind sie ein Ärgernis, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Die antizyklische Fiskalpolitik kann keine Wunder vollbringen, deshalb nicht, weil die bürokratischen Hemmnisse keineswegs dazu angetan sind, die flexible Handhabung des fiskalpolitischen Instrumentariums zu begünstigen.
Wie im öffentlichen Haushalt wird es auch im privaten Bereich schwer sein, antizyklische Verhaltensweisen zu mobilisieren. Die Bürger in diesem Lande werden sich kaum auf Knopfdruck vom Sparschwein zum Konsumtiger umfunktionieren lassen. Das liegt einmal an einer sehr ausgewogenen Gemengelage des Bewußtseins unserer Bürger, zum anderen natürlich daran, daß wir in der Vergangenheit doch in vielen Bereichen unseren Bedarf weitgehend gedeckt haben. Von daher kann die Nachfrage nur noch sehr bedingt angeregt werden.
Im übrigen ist im privaten Bereich die Alternative „Sparen oder Geldausgeben" so simpel nicht zu stellen. Wir würden den wichtigen Anteil der Vermögenspolitik — im Sinne einer gerechten Vermögensverteilung mit eigenverantwortlicher Vorsorge und Vermögensbildung — selbst vollends negieren, wenn wir das wirtschaftspolitische Verhalten des einzelnen auf das schlichte Entweder-Oder reduzieren wollten. Auch wenn die Probleme in der Vermögensbildung erst noch zu lösen sind, so haben die Bemühungen der Parteien doch schon zu gewissen Verhaltensweisen geführt, die wir in unsere politischen Überlegungen nun bitte aber auch mit einbeziehen müssen. Der Mensch sei aufgefordert, intelligent zu sparen und nicht ohne echtes Bedürfnis zu konsumieren. Diese Mahnung hat Papst Paul VI. an die Gläubigen der Welt zum Tag des Umweltschutzes gerichtet. Er hat damit zwar einen anderen Aspekt von Sparen und Verbrauchen gemeint; aber auch hier werden wir uns darüber im klaren sein müssen, daß so fein nicht unterschieden wird, wie es mancher Wirtschaftspolitiker im Augenblick der Flaute gern wünschte.
Meine Damen und Herren, ich sage es noch einmal: Der Haushalt 1978 muß und wird das Seine zur Belebung unserer wirtschaftlichen Konjunktur tun. Wunderdinge sind von ihm nicht zu erwarten. Sorgen wir dafür, daß das, was vom Haushalt an positiven Impulsen ausgehen kann, auch voll wirksam eingesetzt wird. Eine am rein Sachlichen orientierte Betrachtungsweise kann im Augenblick am ehesten die Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit aller Bürger und Gruppen in diesem Staat schaffen. Diesen Konsens brauchen wir, um mit den Schwierigkeiten der Gegenwart fertig zu werden. Arbeitgeber und Arbeitnehmer können diese Aufgabe nur gemeinsam lösen. Regierung und Parlament sowie die politischen Parteien haben dafür im Dialog das nötige politische Klima zu schaffen, das ein vertrauensvolles Zusammenwirken aller Kräfte in diesem Staat möglich macht.
Die Bedingungen für ein kooperatives Verhalten der Parteien, Verbände und Gruppen in unserem Staat sind aber nicht gerade besonders günstig. Zwischen den Parteien scheinen Polarisation und Konfliktstrategie zu triumphieren, sie verdrängen den ernsthaften Versuch, zu angemessenen Lösungen auf gemeinsamer Grundlage zu kommen. Nur mühsam können die Emotionen noch gezügelt werden. Am Ende der gegenwärtigen Phase, die durch die niederträchtigen Morde und die Entführung Hanns Martin Schleyers geprägt ist, droht eine Eruption innenpolitischer Konfliktladung. Nicht der Staat ist in Stellung gegangen und hat sich eingegraben; mir scheint aber, die Parteien sind drauf und dran, in die innenpolitischen Gräben der 50er Jahre zurückzukehren.

(Beifall bei der FDP)

Wenn wir das nicht verhindern, wird das parlamentarische System Schaden nehmen. Die kritische Auseinandersetzung muß sein, auch der Vorwurf der Versäumnisse muß ertragen werden, aber jeder



Hoppe
Disput ist besser zu ertragen, wenn er nicht von den Schreiern bestimmt wird.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Zeigen wir Selbstbewußtsein. Praktizieren wir unsere freiheitliche rechtsstaatliche Ordnung erst und vor allem im Umgang mit uns selbst. Es ist ausschlaggebend für das menschliche Klima in unserem Land und prägend für das Bild, das sich unsere europäischen Nachbarn von uns machen. Wir haben um die Lösung der akuten Probleme der inneren Sicherheit hart zu ringen. Tun wir dies aber bitte innerhalb des Wertsystems, das wir mit unserer Rechts-und Verfassungsordnung geschaffen haben. Wer an den Anfang der Diskussion die Forderung nach einer Grundrechtsänderung stellt, darf sich nicht wundern, wenn er Ablehnung provoziert. Der kritische Disput verträgt keine Holzhammermethode.
Meine Damen und Herren, auch der soziale Friede ist bei uns ins Gerede gekommen. Die Leistungsfähigkeit unseres Staates, seine Wirtschaftskraft und seine Stabilität beruhen nicht zuletzt auf dem hohen Maß an sozialer Sicherheit und sozialem Frieden. Seit die Arbeitgeber in Sachen Mitbestimmung nach Karlsruhe gegangen sind, ist das Verhältnis gestört. Die Kommentare und das Verhalten der Gewerkschaften sind drastisch. Klageerhebung und Reaktion darauf schaffen ein gereiztes Klima, wie wir es gerade in diesem Augenblick eigentlich nicht gebrauchen können. Auch hier sollte die Kampfstellung aufgegeben werden. Unsere pluralistische Gesellschaft muß sich gerade in der Auseinandersetzung über elementare Streitpunkte bewähren. Es sollte deshalb mit einer gewissen Gelassenheit auf die Entscheidung des angerufenen Bundesverfassungsgerichts gewartet werden können.
Ein Wort zum Maßnahmenkatalog der Bundesregierung, der gemeinsam mit dem Haushalt 1978 vorgelegt wurde. Er ist ein konzentriertes Bündel vielfältig wirkender therapeutischer Stärkungsmittel für die wirtschaftliche Konjunktur. Auch der steuerpolitische Teil hat mehr Zustimmung als kritische Ablehnung erfahren. Sieht man bei den Äußerungen des Wind- und Meinungsmachers der Opposition, Franz Josef Strauß, einmal von der obligatorischen Begleitmusik ab, so ist doch auch aus den Reihen der Opposition prinzipielle Zustimmung bei Abschreibungsverbesserungen und Weihnachtsfreibetrag zu konstatieren.
Die Forderung der Opposition, den Grundfreibetrag durch einen Konjunkturabschlag zu ersetzen, mag im Hinblick auf die Steuerrechtssystematik und eine möglichst reibungslose Überleitung zu den dringend notwendigen Korrekturen des Steuertarifs durchaus verständlich sein. Aber nicht einmal diese Alternative wird so absolut im Lager der Opposition vertreten, sondern selbst dazu hört man auch andere Vorstellungen, die sich in den Vorstellungen von Mischlösungen bewegen.

(Franke [CDU/CSU] : In Sachen Einigkeit seid ihr nicht zu überbieten!)

— Verehrter Herr Kollege Franke, ich möchte in
diesem Augenblick einmal deutlich machen, wie sehr
wir fast mutwillig einen Streit pflegen, mit dem wir der Sache Konjunktur überhaupt keinen Dienst leisten. Dennoch werden die seltsamen Scheingefechte aufgeführt.

(Beifall bei der FDP)

Man darf doch wohl feststellen, daß die finanziellen Auswirkungen der unterschiedlichen Lösungsmodelle, die angeboten werden, für den einzelnen in der finanziellen Auswirkung weitgehend gleichgewichtig sind. Alle Freibetragsmodelle gehen in die gleiche — richtige — Richtung. Für die konjunkturpolitische Dimension bleibt der Streit verhältnismäßig bedeutungslos.
Wichtig ist, daß gehandelt wird. Zeigen wir deshalb die Fähigkeit zum Kompromiß. In dieser Stunde sind nicht die Taktiker gefragt. Wir sollten aufeinander zugehen, und wir sollten den ernsthaften Versuch machen, noch eine Lösung in diesem Bundestag zustande zu bringen. Es wäre jedenfalls bedenklich, würden wir weiter in Selbstmitleid verharren. Wir müssen aus diesem Zustand der Lethargie heraus.
Lassen Sie mich nun im Vorgriff auf die Beratungen noch drei Einzelthemen behandeln, die die Gesamtdiskussion immer wieder maßgeblich beeinflussen. Wenn es einen Bereich gibt, in dem nach einer Tendenzwende im Haushalt 1977 jetzt im Haushalt 1978 von einem echten Qualitätssprung zu sprechen ist, dann ist es die Entwicklungspolitik. Sie ist mit einer erfreulich hohen Steigerungsrate aus ihrem bisherigen Schattendasein herausgetreten. Ich halte allerdings nicht soviel davon, die Entwicklungspolitik in einen zu engen Zusammenhang zur Konjunkturpolitik zu bringen. Falls die beschäftigungspolitische Diskussion des Augenblicks mitgeholfen haben sollte, den Schritt nach vorn zu begünstigen, so kann man das zwar hinnehmen. Aber der Zyklus der Entwicklungshilfe mit Projektabstimmung, Projektplanung und Projektdurchführung eignet sich, wie die Erfahrung vieler Jahre gelehrt hat, nun wirklich nicht für konjunktur- und beschäftigungspolitische Maßnahmen. Die Entwicklungspolitik braucht einen langen Atem, konjunkturpolitische Maßnahmen werden vom Augenblick diktiert. Ließe man diese Erfahrung unberücksichtigt, liefe man Gefahr, das Entwicklungshilferessort erneut zu einer Schatzkammer für den Bundesfinanzminister zu machen. Mit Unbehagen denken wir doch wohl noch alle an jene Zeit, als die Haushaltsreste in diesem Ressort Spitzenwerte erreichten.
Zu einer international anerkannten und von breiten Kreisen unserer Bevölkerung unterstützten Entwicklungspolitik werden wir am ehesten dann kommen, wenn deutlich wird, daß unsere Maßnahmen in bester Weise zu einem Interessenausgleich der Partnerländer führen. Das ist dann wirkliche Hilfe auf Gegenseitigkeit und keine fragwürdige Sozialpolitik im internationalen Maßstab.
Anders als in der Entwicklungspolitik, wo unbestreitbar positive Aspekte zu verzeichnen sind, ist bei dem von mir in der dritten Lesung des Haushalts 1977 gleichfalls angepackten Thema der Sanierung der Deutschen Bundesbahn leider eine negative Festellung zu treffen. Die Milliardenhilfe aus



Hoppe
dem laufenden Haushalt hat den Weg zu einer Grundsanierung hier eben nicht ebnen können. Eine längst erkannte, aber wegen anderer Prioritäten 1977 vertagte Aufgabe muß weiterhin ungelöst bleiben. Trotz erneut hoher Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt ist die Situation der Bundesbahn problemgeladen, ja sie verschärft sich in bedenklicher Weise. Wir werden uns auf Sicht keinen Gefallen tun, wenn wir die längst überfällige Grundsanierung weiterhin dilatorisch behandeln und nach sehr zweifelhafter Vogel-Strauß-Manier den Kopf weiter in den Sand stecken. Ein Unternehmen, das nicht mehr in der Lage ist, die eigenen Personalkosten zu erwirtschaften, ist eigentlich am Ende.
Die Bundesbahn wird kaum allein mit ihren Sorgen fertig werden. Eine politische Entscheidung ist hier gefordert. Die Bundesregierung und die Fraktionen müssen sich dieser Frage endlich stellen und können ihr nicht länger ausweichen. Die exemplarische Not der Bundesbahn, die drauf und dran ist, im Meer ihrer Personalkosten zu versinken, sollte dem Bundestag und den Mitgliedern des Haushaltsausschusses bei jeder Entscheidung über Stellenvermehrungen stets vor Augen sein.
Diese Pflicht zur kritischen Prüfung gilt auch für so sensible Bereiche wie den der inneren Sicherheit. Es gibt keine Meinungsverschiedenheit darüber, daß die wirksame Bekämpfung des Terrors nicht an notwendiger Verstärkung personeller und sachlicher Ausstattung scheitern darf. Richtig ist aber auch die Feststellung, daß Personalvermehrungen allein nicht schon mehr Sicherheit und Schutz vor Bandenkriminalität gewährleisten. Nach jeder Gewalttat wird nämlich versucht, kraftvolles Handeln zu demonstrieren. Da der Zugriff auf die Täter und die Aburteilung der Tat auf sich warten lassen, müssen dazu große Worte herhalten. Dabei bietet sich die Forderung nach neuen Planstellen zur besseren Verbrechensbekämpfung häufig als angenehmer Ausweg an. Eine solche Methode begünstigt weder einen organischen Aufbau der Sicherheitseinrichtungen, noch schafft sie die Voraussetzungen für eine sachgerechte Beratung. Ein Parlament, das von Terroranschlag zu Terroranschlag unter Hinweis auf die dramatische Lage um Stellenvermehrung angegangen wird, gerät unversehens in den Zustand der Hilflosigkeit und damit der Entscheidungsunfähigkeit. Dies sollten sich aber die Beteiligten ersparen.
Es war deshalb sicher berechtigt, daß der Haushaltsausschuß bei der Beratung des Etats 1977 eine Vorlage über den endgültigen Ausbau des Sicherheitsbereichs unter optimalen Bedingungen verlangt hat. Denn nur eine Lösung, die nicht jeweils am Schrecken eines neuen Terroranschlags orientiert ist, wird uns vor Fehlentscheidungen bewahren. So ist es denn zu begrüßen, daß nun ein in sich geschlossenes Konzept für den Bereich der inneren Sicherheit vorgelegt worden ist. Ob das Ziel einer reibungslos und wirksam greifenden Ermittlung und Strafverfolgung tatsächlich nur mit den geforderten Zahlen erreicht wenden kann oder ob hier weniger vielleicht mehr schaffen würde, muß jetzt nüchtern geprüft werden. Die Entscheidung muß sich jedenfalls streng an den tatsächlichen Erfordernissen ausrichten.
Keinesfalls aber darf es bei den Stellenvermehrungen um die Verbesserung des Stellenkegels und die Erhöhung der Beförderungschancen gehen. Ich sage dies, weil unser Beförderungsmechanismus, der durch Stellenkegeltechnik und Obergrenzenarithmetik zustande gekommen ist, ein tiefes Unbehagen hervorgerufen hat. Alle, die sich über Aversionen wundern, die gegenüber dem öffentlichen Dienst bestehen, müssen auch einmal bereit sein, die Ursache dafür zu durchleuchten. Dabei wird sich dann wohl zeigen, daß die Reform des öffentlichen Dienstrechts wirklich überfällig ist.
Der Etat 1978 geht nun in die Beratungen des Haushaltsausschusses. Damit er zur zweiten und dritten Lesung im Januar 1978 dem Plenum rechtzeitig vorgelegt werden kann, ist wieder ein Mammutprogramm zu bewältigen. In so kurzer Zeit eine Finanzmasse von knapp 190 Milliarden DM mit einem Anspruch auf Ernsthaftigkeit zu prüfen ist aber wohl kaum möglich. Aus dieser Form von Eilberatung, die mit Zügigkeit nichts mehr zu tun hat, sondern zur Oberflächlichkeit zwingt, müssen wir endlich herauskommen. Es wäre zu wünschen, daß mit der Verabschiedung Ides Haushalts 1978 auch diese Phase fragwürdiger Verfahrenstechnik endlich der Vergangenheit angehören würde.
Zum Inhalt ides vorgelegten Entwurfs stelle ich für die Fraktion der Freien Demokratischen Partei noch einmal fest, daß er eine finanzpolitisch angemessene Antwort auf die 1978 anstehenden Fragen gibt. Wir werden uns bemühen, einen konstruktiven Beitrag zu dem Dialog über das uns unterbreitete Zahlenwerk zu leisten.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0804601300
Wir treten jetzt in die Mittagspause ein und werden die Beratungen um 14 Uhr fortsetzen.
Die Sitzung ist unterbrochen. (Unterbrechung von 12.37 bis 14.00 Uhr)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0804601400
Wir fahren in den Beratungen fort. Das Wort hat der Herr Bundesminister Dr. Friderichs.

Dr. Hans Friderichs (FDP):
Rede ID: ID0804601500
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Ich möchte die heute vormittag begonnene Grundsatzaussprache anläßlich des Haushalts gern fortsetzen und Sie bitten, nach den grundsätzlichen politischen Reden am Vormittag einen kleinen Augenblick lang darauf zu schauen, wie die Lage im Moment ist, und auf dieser Basis über eine kurze Ursachenanalyse den Versuch zu machen, auch für die Zukunft Erfahrungen zu sammeln.
Es trifft zu, daß die konjunkturelle Erholung und damit das Wirtschaftswachstum im ersten Halbjahr des laufenden Jahres hinter unseren Erwartungen zurückgeblieben ist. Das Sozialprodukt ist gegenüber dem Vorjahr um 3 % gestiegen; 5 % waren an-



Bundesminister Dr. Friderichs
gepeilt. Im Jahresverlauf kam es über eine deutliche Wachstumsverlangsamung im ersten Quartal sogar zu einer Stagnation im zweiten Quartal.
Wo liegen nun die Schwachstellen im einzelnen? Ich finde, man sollte sie gleich der Jahresprojektion gegenüberstellen; denn hier ist gar nichts zu vertuschen.
Die Warenausfuhr war mit plus 8 bis 10 % projiziert. Tatsächlich waren es im ersten Halbjahr plus 6,9 %. Damit stellt sich sofort die Frage: Sind wir weniger wettbewerbsfähig geworden? Woran liegt das?
Es ist anzumerken, daß der Welthandel insgesamt weniger gewachsen ist, als er von der OECD prognostiziert war. Hinzu kommt, daß wir einen überproportionalen Anteil an Export in jene Länder haben, die im ersten Halbjahr unter besonderen Wachstumsschwierigkeiten zu leiden hatten. Wir exportieren mehr als 40 % nach Europa. Außer uns sind die einzigen Länder mit deutlichem Wachstum Japan und die USA. Das bedeutet: Es kommt nicht nur auf die Warenstruktur, sondern auch auf den Bestimmungsort an, um hier die Zahlen richtig zu werten.
Der private Verbrauch war mit real plus 4,5 % projiziert. De facto lag er nur bei plus 2,5 %. Das liegt sicher nicht daran, daß die erforderlichen Bruttoeinkommen nicht zur Verfügung standen. Denn sie sind gestiegen, und zwar nominal und real. Sie sind aber ganz offensichtlich bisher nicht im erwarteten Ausmaß in den Konsum eingegangen. Ich glaube, im zweiten Halbjahr ist beim Aggregat „privater Verbrauch" eher mit einer dynamischeren Entwicklung zu rechnen.
Der Staatsverbrauch war mit real plus 2 % projiziert. Tatsächlich liegt er bei plus/minus null. Das bedeutet: Über das Aggregat „Staatsverbrauch" hat es keinen Beitrag zur konjunkturellen Entwicklung gegeben. Nun wissen Sie, wie der Anteil des Bundes an den öffentlichen Ausgaben ist, Sie wissen, wie hoch der Anteil der Länder und der Gemeinden ist. Ich will hier nicht abrechnen im Sinn von richten. Aber eines steht fest: Der Staatsverbrauch insgesamt hat nicht nur keinen positiven Beitrag geleistet, sondern, gemessen an der tatsächlichen Wachstumsrate, eher einen negativen.
Die Unternehmensinvestitionen haben real um 6,1 % zugenommen. Sie waren mit 8 % projiziert.
Fazit: An diesen Daten zeigt sich, daß wir an keinem Punkt einen dramatischen Einbruch haben, der das Weniger an Wachstum verursacht hat. Vielmehr sind alle Aggregate mehr oder weniger hinter der Projektion zurückgeblieben — wie übrigens auch in einer Reihe anderer Länder.
Einige Worte zu den Ursachen.
Der Welthandel hat im ersten Halbjahr mit 5 % real — bei einer deutschen Warenausfuhr von plus 6,9 %— langsamer zugenommen, als unterstellt worden war. Ich habe schon darauf hingewiesen. Ich muß auch noch einmal die Entwicklung in den wichtigsten Abnehmerländern unterstreichen.
Ich will nicht verhehlen, daß — aber damit will ich mich noch auseinandersetzen — auch ein Investitionsstau eine Rolle gespielt hat, der in bestimmten Sektoren unserer Volkswirtschaft festzustellen ist. Ich nenne bewußt, meine Damen und Herren, nicht nur die Kraftwerke. Es sind Kernkraftwerke, es sind Kohlekraftwerke — ich glaube, zusammen handelt es sich um ein Auftragsvolumen von etwa 15 Milliarden DM —, aber es sind auch Straßen nicht gebaut worden, die fest projektiert, eingeplant und durchfinanziert waren. Ja, man muß sogar hinzufügen: Es sind auch Umweltschutzanlagen, z. B. Kläranlagen, nicht gebaut worden, weil auch gegen sie, sei es mit Protest, sei es mit Prozeß, erfolgreich vorgegangen worden ist.
Es wäre nicht vollständig, an dieser Stelle nicht auch ein Wort zu den Tarifabschlüssen zu sagen. Die Tarifabschlüsse, meine Damen und Herren, lagen, gemessen an der Jahresprojektion, noch eben innerhalb der Projektion, aber ganz deutlich an der Obergrenze, und zwar im Durchschnitt: einzelne darüber, einzelne darunter. Aber diese projizierte Obergrenze bei den Löhnen hat sich im nachhinein — ich betone ausdrücklich: im nachhinein — als zu hoch erwiesen; denn sie war projiziert auf ein reales Wachstum von 5 % und nicht auf eines von 3 oder 31/2 %. Das muß man sehen. Durch das niedrigere Wachstum sind die Lohnstückkosten in diesem ersten Halbjahr also wieder gestiegen, d. h., der Kostendruck von dieser Seite aus hat zugenommen. Verstärkt gehen damit normalerweise Rationalisierungsinvestitionen einher.
Aber es hat ja gar keinen Zweck, dies so zu behandeln, wie es öffentlich leider oft getan wird, nämlich: jeder mache möglichst laute Vorwürfe an die Gegenseite; sondern bei einer so wichtigen Debatte wie der Haushaltsdebatte ist doch wohl eine Frage erlaubt: Stehen wir hier nicht vor einem wirklichen Dauerproblem in der Projektion? Ich würde die Frage mit Ja beantworten, denn wir, die jeweils amtierende Regierung, sind nach dem Stabilitäts-und-
Wachstums-Gesetz gezwungen, eine Projektion vorzulegen und in dieser Projektion auch etwas über die Einkommenshöhe — übrigens ebenso wie über die erwartete Preissteigerungsrate — zu sagen. Es bleibt doch nicht aus, daß sich andere, die die Projektion ernst nehmen, in ihren autonomen Entscheidungsbereichen mindestens mit der Projektion beschäftigen, vielleicht hin und wieder sich sogar nach ihr richten. Wenn sie aber tatsächlich nicht eintritt, dann sind im nachhinein auch diejenigen Entscheidungen nicht mehr von der Projektion gedeckt, die sich ursprünglich nach ihr gerichtet haben.
Vor diesem Dilemma des Stabilitäts-und-Wachstums-Gesetzes, meine Damen und Herren, steht diese Bundesregierung schon in Kürze wieder. Sie wird jedes Jahr davor stehen. Nach fünf Jahren Erfahrungen sollte man auch zu den negativen Dingen ein Wort sagen. Ich glaube, es ist wirklich an der Zeit, daß wir miteinander überlegen, ob hier nicht in dem Gesetzesauftrag ein — ich hätte beinahe gesagt: institutionalisierter — Fehler eingebaut ist, nämlich hinsichtlich der Angabe einer Einkommens- und Preissteigerungsrate, die doch auch in die Diskussion au-



Bundesminister Dr. Friderichs
tonomer Gruppen eingeht. Kurzum: Ich glaube, wir sollten darüber nachdenken, ob man entweder die Jahresprojektion mit Alternativen versieht. Ich halte das nicht für unproblematisch; denn der Abgeordnete Dr. Strauß würde, wäre er hier, dann sicher sagen, das sei die perfekte Vernebelungstaktik.

(Zurufe von der CDU/CSU: Er ist doch da! — Da steht er doch!)

— Ich bitte um Entschuldigung. Ich habe ihn so weit
rechts nicht vermutet; das werden Sie verstehen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Die Frage ist also: Soll man Alternativen formulieren, oder — wir kommen zu einem anderen Punkt — muß sich die Einkommensverteilung am Beginn des Jahres in niedrigeren Grenzen bewegen, aber konsequenterweise dann mit der Möglichkeit oder gar Notwendigkeit, im nachhinein den Ausgleich den tatsächlichen Verhältnissen anzupassen? Das kann über eine anschließende vermögenspolitische Maßnahme geschehen, es kann über klassisches Nachverhandeln im Bereich des Tarifvertrages sein. Je weniger sicher wir jedenfalls projizieren können — bei einem so hohen Ausfuhranteil, wie wir ihn haben, werden wir auch in den nächsten Jahren nicht mit hoher Sicherheit Voraussagen treffen können —, desto mehr müssen wir uns darauf einrichten, gesetzte Daten korrigieren zu können, und desto mehr müssen wir darauf achten, daß sich Vorausentscheidungen nicht an Extremen ausrichten. Dies wollte ich zu diesem Teil doch hinzugefügt haben.
Ich glaube, daß wir im zweiten Halbjahr durch höhere Rentenzahlungen, Freiwerden von Spargeldern, Wirksamwerden der im Frühsommer eingeleiteten Programme eher ein etwas beschleunigtes Wachstum haben werden — die jüngsten Zahlen scheinen übrigens in diese Richtung zu gehen — als im ersten Halbjahr. Auch meine ich, daß die Beschlüsse der Bundesregierung vom 14. September 1977 mit dem dort beschlossenen Maßnahmebündel der tatsächlichen Lage besser gerecht werden als die einfache Anwendung des Stabilitäts- und Wachstums-Gesetzes durch einen Abschlag von x % von der LohnEinkommen- und Körperschaftsteuer.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ich bin der Meinung, daß sie einmal feiner dosiert sind und daß zum anderen mit diesem Maßnahmenbündel, wenn es Gesetz wird — das liegt ja nun an Ihnen und am Bundesrat —, auch für die nachfolgenden Tarifverhandlungen die Rahmenbedingungen verbessert werden und wir auch von dieser Seite für das nächste Jahr einen sinnvollen Beitrag erwarten können. Mehr sollte man öffentlich zu diesem Teil nicht sagen.
Herr Dr. Strauß hat heute morgen die „Frankfurter Rundschau" zitiert, wohl nach einer Pressekonferenz geschrieben, die ich über die Frage gegeben habe: War die Projektion — ich glaube, ich zitiere Sie sinngemäß richtig — von Anfang an eigentlich nicht erfüllbar, und warum habt ihr das, wenn es so war, nicht gesagt?
Meine Damen und Herren, lassen Sie es mich begründen, warum sie so formuliert wurde. Wir gingen zur Zeit der Vorlage des Jahreswirtschaftsberichts wie immer von den letzten verfügbaren Daten aus. Das sind die Daten vom Ende des Jahres 1976 gewesen. Zu dem Zeitpunkt, zu dem wir den Jahreswirtschaftsbericht im Kabinett verabschiedeten, nämlich im Januar, lauteten die Voten der Institute wie folgt. Das Mehrheitsvotum der Gemeinschaftsdiagnose lautete auf 51/2 % Wachstum. Ich gebe zu, das Essener Institut sagte nur 3 bis 4 % voraus, das WSI 6 %, IW 5½%; die Sachverständigenprognose lautete auf 41/2°A, aber mit zusätzlichem Programm auf 5 bis 51/2 %. In dieser Lage hat die Regierung gesagt: 5 %. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, daß die Gemeinschaftsdiagnose über dem von der Regierung projizierten Wert lag, wobei Projektion und Prognose nicht zu verwechseln sind. Wir müssen ja sagen, welches Ziel wir erstreben, wir können nicht sagen, welches Ziel eo ipso eintritt. Glauben Sie wirklich, eine Regierung könne oder sollte sich hinstellen und sagen: Die Institute sagen uns zwar 51/2 % voraus; die wollen wir aber nicht; wir wollen nur 41/2 % oder irgend etwas darunter? Offensichtlich haben also auch andere die Projektion für erfüllbar gehalten, und zwar berechtigterweise, wie ich glaube, Herr Dr. Strauß. Das Wachstum des vierten Quartals 1976 lag nämlich um 6 %, d. h. in dem Augenblick, in dem wir projizierten, hatten wir ein Wachstum, das höher lag als das, was wir selbst projiziert hatten. Richtig ist, daß dann im ersten Quartal die Auftragseingänge zurückgegangen sind und sich anschließend der Anstieg nicht so fortgesetzt hat, wie prognostiziert war.
Herr Dr. Strauß, ich will eines gern zugeben. Ich habe schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt gesagt, daß mir die 5 % als ein ehrgeiziges Ziel vorkämen. Ich habe aber auch immer dazu gesagt, daß die Daten, die zur Verfügung stehen, auf diese 5 % hinweisen. Der Bundestag hat ja wohl einen Anspruch darauf, mit verfügbaren Daten und nicht mit subjektiven Gefühlen oder Empfindungen einzelner bedient zu werden. Als wir ein Jahr zuvor die Projektion vorlegten, sagten Sie, es werde sehr viel weniger. Am Ende wurde es noch mehr, als wir angenommen hatten. Daran erinnern wir uns sehr wohl. Dies habe ich auch unumwunden vor der Bundespressekonferenz zugegeben. Ich hätte gewünscht, Sie hätten das Protokoll der Bundespressekonferenz und nicht eine Zeitung gelesen. In dem Protokoll können Sie wörtlich nachlesen, was ich dazu gesagt habe. Ich habe mich zu dieser Projektion bekannt. Sie war damals gerechtfertigt. Es sind anschließend Daten eingetreten, die darunter lagen.
Dann wurde unter Anspielung auf die Investitionssteuer des Jahres 1973 und die Investitionszulage des Jahres 1974 die Frage der Konjunkturpolitik und des Stop-and-go angesprochen. Erlauben Sie hier doch mal einen ganz kurzen Rückblick. Heute morgen ist ein bißchen zu kurz gekommen, wo wir im Vergleich mit vergleichbaren Nationen stehen.
Die Bundesrepublik hat zusammen mit Japan und den USA im Jahr 1975/76 mit einem Wachstum von 5,7 % aus der Rezession herausgefunden. Wir sollten nicht unterschätzen, wie auch in der internationalen Diskussion beobachtet wird, ob wir uns dazu bekennen, daß wir zusammen mit den beiden anderen im

Bundesminister Dr. Friderichs
letzten Jahr im Gegensatz zu den Defizitländern aus der Rezession herausgefunden haben. Man muß sich doch wirklich mal fragen, wie es eigentlich kommt, daß wir 1975 begonnen haben, aus der Rezession herauszukommen, um im Jahre 1976 mit immerhin stolzen 5,7 O/0 Wachstum eine auch international beachtliche Ziffer zu erreichen. Da muß man sich doch fragen, ob es nicht unter Umständen an früheren politischen Entscheidungen liegt, daß wir so wie Japan und die USA diesen Schritt vor anderen getan und damit auch für die anderen eine befruchtende Wirkung herbeigeführt haben. Da muß man sich doch die Frage stellen, ob wir im Jahr 1973 weniger Stabilitätspolitik hätten machen sollen, wie eben mit der Kritik an der Investitionssteuer gesagt wurde. Wie wären dann die Ergebnisse gewesen?
Welche Handlungsalternativen zur Wirtschaftspolitik der Bundesregierung wären denn damals brauchbar gewesen? Wo haben sich denn andere Politikmuster besser bewährt? Ich behaupte, daß wir aus der Rezession der westlichen Welt nicht so früh herausgekommen wären, wenn wir nicht so früh, nämlich im Frühjahr 1973 — wie ich zugebe —, stabilitätspolitisch geklotzt hätten, übrigens mit Ihrer Zustimmung, wenn ich mich recht entsinne.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ich gebe unumwunden zu, daß der Wirtschaftsminister bei der Investitionssteuer wahrscheinlich zurückhaltender gewesen wäre, sie vielleicht nicht einmal akzeptiert hätte, wenn er die Energiekrise des Winters 1973/74 in diesem Ausmaß quantitativ und preislich vorausgesehen hätte. -Das können Sie mir anlasten. Aber war denn hier einer, der im Frühjahr 1973 gesagt hat: Laßt bitte die Stabilitätspolitik sein, denn im Winter kriegt ihr die Energiekrise, und das, was wir jetzt tun, stört uns dann?
Die Bundesregierung hat dann zu einem sehr frühen Zeitpunkt ihre eigenen Bremsmaßnahmen aufgehoben. In diesem Augenblick ist sie von der Opposition sogar kritisiert worden, daß sie sie zu früh aufhebt. Das muß doch alles einmal der historischen Wahrheit wegen gesagt werden.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Natürlich kann man über die Struktur dieses Stabilitätsprogramms des Frühjahrs 1973 streiten, wie immer. Sie können jedes Programm so und so strukturieren. Aber insgesamt war der Ansatz richtig. Ich entsinne mich, hier in der Diskussion mit Herrn Dr. Strauß gestanden zu haben, als er dem Deutschen Bundestag zweistellige Preissteigerungsraten prophezeite. Wenn ich mich recht entsinne, haben wir jetzt eine 3 vor dem Komma und nicht wie damals fast eine 8, nämlich 7,8.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Und lassen Sie mich fragen: Wären, wenn wir das nicht getan hätten, die Verteilungskämpfe, die uns ja in der Ölkrise und danach ohnedies noch arg zu schaffen gemacht haben, nicht viel härter geworden, wenn wir nicht rechtzeitig den Versuch gemacht hätten, die Rate nach unten zu drücken und damit den Trend umzukehren? Ich bin sicher, daß wir viel schwierigere Verteilungskämpfe bekommen hätten. Übrigens, der Blick ins benachbarte Ausland zeigt
es ja: Die, die die Dinge damals haben schleifen lassen, standen danach vor schwierigsten Verteilungskämpfen in der schlechtesten Situation, in der man sie sich denken konnte, nämlich mitten in der Rezession.
Und, meine Damen und Herren: Wie hätte unsere Wettbewerbssituation auf den Weltmärkten denn dann unmittelbar nach dem Ölschock ausgesehen, wo wir doch offensichtlich in der Lage waren, über eine boomartige Steigerung des Exports in bestimmte Länder einen Beitrag zu unserer eigenen Beschäftigungsstabilisierung zu leisten? Ich glaube, von daher war das schon konsistent.
Ich muß auch fragen: Was hätten Sie denn nach der Erdölkrise anders gemacht? Wollten Sie eine forcierte Nachfragestimulierung nach Keynes'schem Muster? Wäre das strukturverbessernd gewesen? Denn es ist doch gar keine Frage, daß bestimmte Strukturen abgebaut werden mußten, Strukturen, die nicht mehr der Nachfrage entsprachen, und daß neue aufgebaut werden mußten. Glauben Sie wirklich, daß damals, unmittelbar nach dem Energieschock, eine gewaltige Beschäftigungstherapie mit riesigen staatlichen Ausgabenprogrammen dauerhaft richtig gewesen wäre und daß damit dann dauerhaft richtige Produktionsstrukturen geschaffen worden wären? Diese Regierung hat es nicht geglaubt.
Sie hat auf den strukturellen Wandel gesetzt. Wir dürften uns doch wohl einig sein, daß alle Maßnahmen, die in dieser weltwirtschaftlich schwierigen Situation getroffen worden sind, am Prinzip der Stabilität und der Marktwirtschaft orientiert waren und in diesen Rahmen hineingepaßt haben.

(Beifall bei der FDP)

Sie haben übrigens Ihre grundsätzliche Zustimmung gefunden. Das sollte doch wohl nicht unerwähnt bleiben. Oder, meine 'Damen und Herren, hätten Sie etwa in der damaligen Situation, nach der Vervierfachung der Energiepreise und während der Verknappung des Mineralöls, einer Strukturgestaltung durch den Staat das Wort geredet?

(Dr. Barzel [CDU/CSU]: Wir ganz bestimmt nicht!)

— Oh, verehrter Herr Dr. Barzel, wenn Sie wüßten, was ich in der Phase alles an Vorschlägen auf den Tisch bekommen habe und von wem. Das war nicht uninteressant! Das waren übrigens meistens solche, die im Vorsatz geschrieben haben: „Ich bin für die Marktwirtschaft. In diesem Zusammenhang empfehle ich Ihnen aber folgende interventionistische Maßnahmen."

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der SPD)

Das kennen wir ja doch! Es ist doch gar keine Frage, daß damals diskustiert wurde: Ist es richtig, daß die Automobilindustrie trotz dieser Situation noch wächst? Eine harte Diskussion, verständlicherweise. Heute wissen wir, daß wir dieser Tatsache jedenfalls einen Teil unserer derzeitigen Beschäftigungssituation verdanken. Denn sie hat uns im ersten Halbjahr genutzt.
3506 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977
Bundesminister Dr. Friderichs
Nun ist die Frage aufgeworfen worden, ob es auf dieser Grundlage — Stabilitätspolitik 1973, gelockert und abgelöst durch die Beseitigung von restriktiven Maßnahmen im Jahre 1974 — jetzt richtig ist, zu. sagen: Statt eurer soundso viel Konjunkturprogramme hättet ihr klotzen und nicht kleckern sollen. Sie hätten anders dimensioniert sein müssen.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Meine Damen und Herren, ich entsinne mich noch sehr gut, daß ich zwischen 1966 und 1969 junger Oppositionsabgeordneter in diesem Hause war und an dieser Stelle die damalige Bundesregierung — Finanzminister war damals Herr Dr. Strauß — wegen des zweiten Konjunkturprogramms im Jahre 1967/ 1968 kritisiert und gesagt habe: Sie werden sehen, es wirkt, wenn Sie wieder im Boom sind; sie werden daraus negative Folgen bekommen. Das geplante dritte ist übrigens unterblieben, das zweite war zu groß dimensioniert, wenn es überhaupt noch nötig war.
Ich sage dies nicht, meine Damen und Herren, um Vorwürfe über vergangene Politik zu machen, sondern um zu zeigen: Es ist eben sehr schwierig, bei Programmen im vorhinein die richtige Dimension zu wählen. Deswegen haben wir von Anfang an gesagt: Wir wollen nicht brutal draufhauen und damit neue Stabilitätsprobleme schaffen, sondern wir wollen mit gezielten Programmen, auch wenn es mehrere an der Zahl sind, den Versuch machen, die Dinge zu steuern. Wenn Sie die Wachstumsrate des letzten Jahres sehen, werden Sie mir vielleicht sogar recht geben.
An dieser Stelle muß ich übrigens noch etwas einfügen. Eines habe ich an der Logik der Vorwürfe noch nicht begriffen. Hier wird gesagt: Ihr müßt klotzen statt zu kleckern. Ihr müßt mehr tun. Das bedeutet, entweder mehr auszugeben oder weniger einzunehmen. Wollen wir uns hier einmal darauf einigen, es auf der Einnahmenseite zu machen.. Das war wohl Ihre Idee. Dann verstehe ich an Ihrer Argumentation nicht, wie man im selben Atemzug die Nettokreditaufnahme des Staates als zu hoch und als ein virulentes Inflationspotential bezeichnen kann.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Denn, wenn ich auf 5, 6 oder 10 Milliarden DM Steuereinnahmen mehr verzichten soll, wie wir das im vorgelegten und morgen zu behandelnden Gesetzentwurf vorsehen, dann ist es überhaupt keine Frage, daß wir diese Differenz mit Kredit finanzieren müssen. Oder wollen Sie etwa in einer Situation, in der das Nachfragepotential nicht ausgelastet ist, etwa sagen: Um diesen Teil kürze ich die staatlichen Ausgaben? Die Frage ist doch wohl erlaubt.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0804601600
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Strauß?

Dr. Hans Friderichs (FDP):
Rede ID: ID0804601700
Ja.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0804601800
Bitte, Herr Abgeordneter.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0804601900
Herr Bundesminister, haben Sie beim Verfolgen meiner Rede nicht mitbekommen, daß ich gesagt habe, daß der Bundesfinanzminister in der Situation, in der er heute ist, gar nicht anders kann, als einen Nettokredit in dieser Höhe aufzunehmen, und daß ich das in dem Zusammenhang weiter ausgeführt habe, daß die frühere Ausgabenwirtschaft frühzeitig zu einer Anhebung des Kreditniveaus geführt habe, so daß der Kredit als konjunkturpolitisches Instrument weitgehend funktionsunfähig geworden sei?

(Beifall bei der CDU/CSU — Abg. Leicht [CDU/CSU]: So war es!)


Dr. Hans Friderichs (FDP):
Rede ID: ID0804602000
Herr Dr. Strauß, es ist richtig, daß Sie das dem Sinne nach gesagt haben. Es hat doch gar keinen Zweck, das zu bestreiten. Den Ball möchte ich aber dennoch gern aufnehmen. Herr Dr. Strauß, schauen Sie sich bitte einmal die Entwicklung der Haushaltsdefizite in den letzten Jahren und in diesem Jahre an. Ich meine nicht nur den Bundeshaushalt, sondern Sie müssen konsequenterweise den gesamtstaatlichen Haushalt betrachten. Der Konjunkturminister würde sagen, daß die Rückführung des hohen Kreditbedarfs, gemessen an den Zielvorgaben der Konjunkturpolitik, eher zu schnell als zu langsam gelaufen ist. Wenn Sie sich ansehen, was die Gemeinden im ersten Halbjahr an Mehrausgaben und Mehreinnahmen hatten und wie relativ gering ihre neue Kreditaufnahme bei einem überquellenden Kapitalmarkt war, dann muß man sich doch die Frage stellen, ob dies konjunkturpolitisch richtig dimensioniert war.

(Dr. Kohl [CDU/CSU] : Aber Herr Friderichs, dieses Pauschalurteil ist einfach falsch! — Zuruf von der SPD: Herr Kohl versteht doch nichts davon!)

— Herr Dr. Kohl, ich habe in einer Grundsatzdebatte hier gesagt, daß wir uns einmal losgelöst von aktuellen Fragen über die Dimensionierung der zukünftigen Kreditaufnahme des Staates unterhalten müßten, und zwar unter dem Gesichtspunkt des Beitrags des Staates zum Sozialprodukt und nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Fiskalpolitik. Ich weiß, Herr Dr. Kohl, daß Sie im vergangenen Jahr draußen großen Beifall fanden, als Sie gegen die damaligen Kreditfinanzierungen des Staates gewettert haben. Nur, volkswirtschaftlich war sie richtig. Daran führt wohl kein Weg vorbei. Oder sollen wir etwa in diesem Jahr den Haushalt kürzen?

(Dr. Kohl [CDU/CSU] : Herr Kollege Friderichs, soll ich Ihnen die deutschen Großstädte aufzählen, die mit ihren Finanzen am Ende sind?)

— Herr Dr. Kohl, soll ich Ihnen die deutschen Großstädte aufzählen, die zur Zeit hohe Guthaben bei Sparkassen und Banken unterhalten?

(Dr. Kehl [CDU/CSU] : Das ist doch die Ausnahme! — Zuruf von der SPD: Der Kohl hat doch keine Ahnung! — Rawe [CDU/CSU]: Zählen Sie sie doch auf! — Wolfram [ReckBundesminister Dr. Friderichs linghausen] [SPD] : Herr Kohl hat doch keine Ahnung! — Gegenrufe von der CDU/ CSU)




— Meine Damen und Herren, es lohnt doch wirklich kein polemischer Streit darüber.

(Dr. Kohl [CDU/CSU] : Herr Friderichs, das ist doch kein polemischer Streit! Das ist eine Feststellung!)

— Eine Feststellung ist es, da haben Sie recht. Herr Dr. Kohl, es ist doch wohl unbestritten, daß im letzten Jahr das, was wir Konsolidierung nennen, schneller gelaufen ist, als es in dem Haushalt ursprünglich vorgesehen war. Sie kennen die Ausgabenreste Ihres früheren Landes, Sie kennen die Ausgabenreste des Bundes, und Sie kennen die der Gemeinden. Dies wollte ich damit sagen.

(Schröder [Lüneburg] [CDU/CSU] : Das hat doch nichts mit Guthaben zu tun!)

Ich wollte vor allen Dingen sagen, daß, wer heute Klotzen verlangt, doch zugeben muß, daß er dann nicht gleichzeitig vom Finanzchaos sprechen kann. Denn dann ist das Klotzen nicht zu finanzieren. Das wollte ich deutlichmachen. Ich bin gegen diese Doppelzüngigkeit.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Im übrigen besteht ja auch die Frage, ob die Länderfinanzminister eigentlich zum Klotzen bereit sind.

(Schröder [Lüneburg] [CDU/CSU] : Seit wann haben Haushaltsreste etwas mit Bankguthaben zu tun?)

Ich will gern noch einen Punkt aus unserer früheren Zusammenarbeit, Herr Dr. Kohl, hier einfließen lassen. Es ist nämlich heute morgen mit Recht gesagt worden: Bitte nicht Klotzen in den Bereichen, in denen es sich um Dauerausgaben oder hohe Folgekosten handelt. Das unterschreibt die Bundesregierung voll. Aber lassen Sie mich einmal eine Frage stellen: Ist es eigentlich richtig, daß wir landauf, landab eine Vielzahl durchgeplanter und genehmigter Umweltanlagen in den Schubladen liegen haben — ich meine konkret Kläranlagen; ich war früher als Staatssekretär in Ihrem Lande, Herr Dr. Kohl, dafür zuständig —, deren Bau nur deswegen im Moment nicht durchgeführt wird, weil der Bau angeblich nicht finanzierbar ist, obwohl wegen des Gebührenprinzips hier keine Folgekosten auf die Kommunen zukommen, obwohl Baukapazitäten freiliegen und obwohl das Geld am Kapitalmarkt so billig ist wie noch nie zuvor? Diese Frage werde ich doch wohl stellen dürfen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Sie werden mir doch zugeben, daß es sich dabei um eine Investition handelt, die Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum ist. Wenn wir nämlich unsere Wasserverhältnisse nicht in Ordnung bringen, werden wir auf Dauer nicht das Wachstum in diesem Lande haben können, das wir brauchen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Das habe ich in der Konferenz des Bundeskanzlers mit den Ministerpräsidenten der Länder kritisiert:
Nicht utopische Ausgabenprogramme machen, ohne daß die Notwendigkeit der Investition gegeben ist, nein, meine Damen und Herren. Aber dort, wo die Investition nötig ist, wo sie fertig geplant ist, wo die mechanische Anlage — an der Mosel in einigen Fällen — steht und nur die biologische Stufe fehlt, muß man die Frage stellen: Warum bauen wir sie denn jetzt nicht dazu, wo doch exakt die mittelständische Bauindustrie davon berührt wird?

(Zuruf von der SPD)

— Das ist kein Vorwurf gegen Rheinland-Pfalz; das will ich gleich sagen. Ich sage bewußt: Es gilt landauf, landab, von Flensburg bis Passau, daß derartige Anlagen gebaut werden könnten, wenn wir den Mut hätten, sie jetzt sauber durchzufinanzieren und wirklich zu bauen. Das muß gesagt sein.
Lassen Sie mich an dieser Stelle hinzufügen: Ich neige fast zu der Auffassung, daß wir bei den öffentlichen Haushalten — jedenfalls zum Teil — von dem sogenannten System der Antizyklik abgehen sollten, weil meine Erfahrung zeigt, daß Antizyklik gesagt und Prozyklik gefahren wird,

(Beifall bei der FDP)

um dies in aller Klarheit zu sagen. Im Boom haben sich insbesondere die Kommunen prozyklisch verhalten, ich hätte fast gesagt, wie Unternehmen, und in der Rezession auch. Das heißt, zum Ausgleich der Schwankungen wurde in weiten Bereichen der öffentlichen Hand kein Beitrag geleistet. Wenn das so ist, und wenn es nicht zu ändern ist — und ich fürchte, es ist nicht zu ändern —,

(Dr. Häfele [CDU/CSU] : So ist es!)

dann muß man sich überlegen, ob man von der Antizyklik nicht auch verbal abgeht und sagt: eine weitgehende Verstetigung der öffentlichen Ausgaben.

(Dr. Häfele [CDU/CSU] : So ist es!)

Man fährt sie durch. Man reduziert allerdings damit die Konjunktursteuerung um ein Instrument, über dessen Bedeutung man wahrscheinlich trefflich streiten kann.

(Schröder [Lüneburg] [CDU/CSU] : Wie rechtfertigen Sie denn bei dieser These den Haushalt 1978?)

— Der Haushalt 1978 des Bundes, Herr Abgeordneter, steigt insbesondere aufgrund des Programms für Zukunftsinvestitionen im Investitionsbereich gegenüber der Finanzplanung um mehr als 5 Milliarden DM, bei Projekten, die machbar sind. Dies halte ich in der Lage, in der wir uns befinden, auch für richtig.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Nun lassen Sie mich noch ein Wort zu den blokkierten Vorhaben bzw. zu dem sagen, was unter dem Stichwort Energie angesprochen worden ist. Ein Teil der energiewirtschaftlichen Investitionen ist blockiert durch Gerichtsentscheid. Hier kann die Politik nur eines sagen: Dem haben wir uns zu beugen und gegebenenfalls Gesetze zu ändern. Aber dem Spruch der Richter, ob er uns paßt oder nicht paßt, haben wir uns zu beugen.



Bundesminister Dr. Friderichs
Nun sind heute morgen Anspielungen auf energiepolitische Auseinandersetzungen in den politischen Parteien gemacht worden. Meine Damen und Herren, warum sollen wir das hier nicht offen ansprechen? Hier handelt es sich, wie in vielen anderen Bereichen auch, um einen Zielkonflikt, nämlich darum, auf der einen Seite ausreichende Energiemengen zur Verfügung zu stellen und auf der anderen Seite dem Umweltschutz oder der Sicherheit der Bevölkerung Rechnung zu tragen. Entemotionalisieren wir das Thema doch! Es ist doch ganz unbestritten — Sie kennen meine Haltung in der Frage der Kernenergie; sie hat sich auch nicht geändert —, daß ich es hier — dies habe ich bei meiner Abwägung zugrunde gelegt — mit einem andersartigen qualitativen Risiko als bei konventionellen Anlagen zu tun habe. Dann dürfen Parteien doch wohl miteinander darüber streiten, kämpfen, ringen, was denn wohl die richtige Position sei. Das ist nach meiner Meinung in einer Demokratie nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Kohl [CDU/CSU] : Das bestreitet doch niemand!)

Kritik wäre angebracht, wenn Zweifel an der Haltung der Bundesregierung als Führungsinstrument aufkommen könnten.
Meine Damen und Herren, wir haben ein erstes Energieprogramm vorgelegt, dem auch Sie nicht widersprochen haben. Wir haben ein zweites Energieprogramm, eine Fortschreibung — wiederum mit dem Bestandteil „Kernenergie" — vorgelegt, dem auch Sie nicht widersprochen haben. Im Frühjahr dieses Jahres haben wir die Eckwerte und Richtlinien für die zweite Fortschreibung vorgelegt — ebenfalls mit dem Bestandteil „Kernenergie" —, dem in diesem Hause auch nicht so widersprochen worden ist, daß die Bundesregierung ihre Meinung hätte ändern sollen oder müssen.

(Schröder [Lüneburg] [CDU/CSU] : Wird es denn durchgeführt? — Dr. Kohl [CDU/ CSU] : Wenn sechs von Ihnen mit uns stimmen, haben Sie die Mehrheit!)

Es handelt sich also um einen Zielkonflikt, in dem die Regierung zwischen den Risiken und den Umweltbelastungen . auf der einen Seite und den energiepolitischen Notwendigkeiten auf der anderen Seite abgewogen hat und in dem sie absolut eindeutig und klar Position bezogen hat. Im Kabinett
— Herr Bundeskanzler, erlauben Sie mir, dies zu sagen — hat es keine einzige Gegenstimme gegeben. Im Kabinett gab es also übereinstimmende Auffassungen in dieser Frage. Die Fortschreibung wird auf dieser Basis erfolgen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wann?)

— Die Frage nach dem Wann nehme ich gerne auf. Ich selbst habe dem Bundeskanzler vorgeschlagen, die Fortschreibung nicht vorzunehmen, bevor das Gutachten der Reaktorsicherheitskommission und der Strahlenschutzkommission vorliegt. Dies soll im Laufe des Monats Oktober der Fall sein. Es ist doch geradezu aberwitzig, ein Energieprogramm einschließlich eines nuklearenergietechnischen Teils
fortzuschreiben, bevor sich die Reaktorsicherheitskommission zur Entsorgungsfrage überhaupt nur geäußert hat. So leichtfertig sollten wir nicht mit der Offentlichkeit umgehen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Sie kennen meine Haltung. Daran ändert sich auch gar nichts. Ich bleibe dabei: Erst erfolgt die Abwägung; dann wird aber fortgeschrieben.
Meine Damen und Herren, dies sollte noch hinzugefügt werden: Die Bundesregierung steht hier unter ihrer eigenen Verantwortung. Jeder Bundesminister hat einen eigenen Eid geleistet, der auch in diesem Falle gilt. Die Bundesregierung wird dafür zu sorgen oder darum zu ringen haben, hier im Deutschen Bundestag die erforderlichen Mehrheiten zu bekommen. Sie hat sie in der Vergangenheit auch ohne die Opposition, Herr Dr. Kohl, gehabt. Sie wird sie auch in Zukunft haben. Machen Sie sich nicht zuviel Hoffnungen auf falsche Tatbestände.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Es kann sonst eine bittere Enttäuschung geben. Es ist schon einmal passiert, daß sich hier jemand mit Mehrheiten verschätzt hat.

(Dr. Kohl [CDU/CSU] : Ich würde an Ihrer Stelle solche Prognosen nicht abgeben! Sie ,sehen das ja dann von draußen!)

— Ich würde den Wähler befragen, Herr Dr. Kohl. Wir haben den Wähler befragt. Diese Bundesregie. rung hat den Bundestagswahlkampf unter anderem mit ihren energiepolitischen Vorstellungen geführt, und sie hat dafür vorn deutschen Volk eine Mehrheit bekommen. Das werden Sie ja wohl nicht auch noch bestreiten.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Mit dem Belügen von Rentnern hat sie den Bundestagswahlkampf geführt! — Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Da schweigt des Sängers Höflichkeit!)

Heute morgen ist nun ein Thema angeschnitten worden, das eigentlich auf Parteitagen zu behandeln ist. Im politischen Teil der Ausführungen kam die Frage nach Parteiprogrammen, Meinungsunterschieden in den Parteien etc. auf. Wenn Parteien darangehen, Programme fortzuschreiben oder neue Programme zu entwerfen, ist es doch wohl eine Selbstverständlichkeit, daß um Programminhalte gerungen wird. Oder wollen Sie das — in einer pluralistischen Gesellschaft, in der sie nicht diktiert, sondern erarbeitet werden — bestreiten?

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD — Zuruf von der SPD: Bei der CDU ist es anders!)

— Ja, das würde ich ja gern einmal zitieren. Ich habe z. B. einen Redetext vor mir liegen, aus dem ich nur einen Satz herausgreife. Nun werden Sie sagen, das ist aus dem Zusammenhang gerissen. Nun, das ist immer so; wenn Sie nur einen Satz zitieren, ist er immer aus dem Zusammenhang gerissen. Aber er entspricht dem Zusammenhang. Dort lese ich wörtlich:



Bundesminister Dr. Friderichs
Die Nähe zu denjenigen, die aus den gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Schwierigkeiten die Forderung nach Systemveränderung ableiten und etwa die Ablösung der sozialen Marktwirtschaft fordern, ist unübersehbar.
Dieser Satz stammt aus der Rede des Abgeordneten Professor Biedenkopf über den Programmentwurf der CDU,

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

wörtlich zitiert! Ich habe es da; Sie können das gern in Empfang nehmen.
Damit ist doch deutlich, daß auch in Ihrer Partei der Kampf und das Ringen um das richtige Programm eingesetzt haben, oder etwa nicht? Ich verstehe es jedenfalls so, daß Herr Professor Biedenkopf diesen Entwurf in wichtigen wirtschaftspolitischen Passagen brutal kritisiert hat; denn eine brutalere Kritik als die, die ich soeben zitiert habe, ist ja wohl kaum denkbar.

(Dr. Kohl [CDU/CSU]: Wir sind jetzt tief getroffen!)

Meine Damen und Herren,. und ist es denn nicht so, daß bei der Programmdiskussion — unabhängig von den verbalen Formulierungen — auch noch andere Fragen eine Rolle spielen? Nehmen wir die Fortentwicklung des Wettbewerbs. Hat denn das Arbeitsmarkt-Papier des Generalsekretärs der CDU Heinrich Geißler die begeisterte Zustimmung der Unionsfraktion gefunden, etwa des Abgeordneten Dr. Strauß?

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ist das wiederum meiner Aufmerksamkeit entgangen? — Man könnte das auf andere Forderungen, die dabei auch eine Rolle gespielt haben, ausweiten.
Herr Dr. Strauß, bezüglich der Freien Demokratischen Partei empfehle ich Ihnen folgendes. Beobachten Sie mit Ihrem kritischen Verstand das Ringen in den nächsten Wochen, und vergessen Sie bitte nicht, genau zu beobachten, welche Entscheidungen auf dem FDP-Bundesparteitag fallen. Ich bin sehr sicher, daß Sie, nachdem die Entscheidungen gefallen sind, das, was Sie heute morgen vorgetragen haben, hier nicht mehr vortragen werden, jedenfalls nicht auf der Basis der Beschlüsse, bestenfalls auf der Basis von Nicht-Beschlüssen.

(Beifall bei der FDP — Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen möchte ich mich mit dem Grundsatzpapier der Union hier nicht auseinandersetzen. Ringen Sie, entscheiden Sie; dann ist der Zeitpunkt da, darüber zu sprechen, ob Sie richtig oder falsch entschieden haben. Vorher überlasse ich es den eigenen Parteifreunden, darüber zu diskutieren.

(Strauß [CDU/CSU]: Wenn wir Ihnen helfen konnten, ist es gern geschehen!)

Aber, meine Damen und Herren, es gibt da noch eine nicht uninteressante Passage, über die wir im Blick auf die grundsätzlichen Fragen der Ordnungspolitik einen Moment sprechen sollten. Im Verlaufe des heutigen Vormittags ist gesagt worden — ich zitiere einen Halbsatz wiederum wörtlich —, „weil man ohne Zweifel den gehobenen Konsum stärker besteuern kann". Herr Dr. Strauß, ich bin erschrokken, als Sie das gesagt haben. Ich war ebenso erschrocken — obwohl man sich in die innenpolitischen Verhältnisse anderer nicht einmischen soll —, als sich unser Nachbarland Osterreich bei der Mehrwertsteuer zu einer Art Luxussteuer durchgerungen hat, weil ich von einer derartigen staatlichen Definition dessen, was Luxus ist und was nicht Luxus ist, überhaupt nichts halte. Dann sollte man aber auch einen Halbsatz, wie Sie ihn gesagt haben, nämlich man könne den gehobenen Konsum ohne Zweifel stärker besteuern, lieber nicht sagen;

(Zustimmung bei der FDP)

er berührt zutiefst die Ordnungsfragen dieser Wirtschaft.

(Dr. Kohl [CDU/CSU] : Herr Friderichs, Sie drehen doch den Sinngehalt dieses Satzes herum!)

— Nein, ich habe ihn nicht herumgedreht; ich kann es Ihnen gleich geben.
Meine Damen und Herren, wer das sagt, muß im nächsten Absatz sagen: Es gibt also gesellschaftlich nützliche und gesellschaftlich nicht nützliche Güter. Lassen Sie mich daher ein Wort zu dem, wie ich meine, höchst überflüssigen Streit um den scheinbaren Gegensatz zwischen quantitativem und qualitativem Wachstum sagen, weil ich der Meinung bin, daß es diesen Gegensatz so, wie er zur Zeit in einem Teil der politischen Diskussion hochstilisiert wird, ganz einfach so nicht gibt.

(Leicht [CDU/CSU] : Das müssen Sie nach links sagen!)

— Das richtet sich an diejenigen, die das sagen, egal wo sie politisch stehen, Herr Abgeordneter. — Es ist mies, so zu tun, als ob wir in der Vergangenheit nicht anderes als ein weniger wertiges quantitatives Wachstum gehabt hätten und nun erst einmal das richtig schöne qualitative käme.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Worum geht es denn in Wahrheit? Aber lassen Sie uns auch den Punkt aus der Emotion herausnehmen. Es ist doch unbestritten — ich glaube das wenigstens —, daß ein Mehr an Einkommen, ein Mehr an realem Sozialprodukt nicht eo ipso zu einem Mehr an Wohlbefinden führt. Es sind Fälle denkbar, in denen die Steigerung der Produktion, des Einkommens oder des Wachstums negative Folgen auslöst, die die positiven Wirkungen des Wachstums aufheben. Die sind denkbar. Kurzum: Nach meiner Meinung stehen wir in jedem Einzelfall vor der Abwägungsfrage, ob das Mehr an Wachstum — das heißt, daß wir dann auch mehr zur Verteilung zur Verfügung haben — das Wohlbefinden erhöht oder nicht. Die Umweltschutzgesetzgebung ist ein ganz typisches Beispiel dafür, nämlich die Rahmenbedingungen so zu setzen, daß im gesetzten Rahmen ein Mehr an Wachstum keine negativen oder keine unvertretbaren negativen Auswirkungen hat. Das



Bundesminister Dr. Friderichs
heißt, erst einmal braucht man Wachstum, um Beschäftigung zu haben, um etwas zum Verteilen zu haben. Aber man muß die Rahmenbedingungen dieses Wachstums so setzen, daß am Ende die Voraussetzungen für ein besseres Wohlbefinden gegeben sind.
Wovon ich nichts halte, ist, dieses Wohlbefinden staatlich zu definieren oder gar zu verordnen; denn Glück kann der Staat nicht verordnen. Er kann den Raum schaffen, in dem der einzelne sein Glück empfindet, aber er kann es ihm nicht staatlicherseits frei Haus liefern.

(Beifall bei der FDP und der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Führen wir doch diese Diskussion, die ich für wichtig halte, gerade wenn die Gemeinsamkeit da sein sollte — und ich hoffe, sie ist da im Ja zu einer freiheitlichen Wettbewerbswirtschaft —, aus dem Reich der Polemik zurück zur wahrhaftigen Frage nicht des Entweder-Oder, des quantitativen und qualitativen Wachstums, sondern der Struktur des Wachstums, die aber am Ende zu bestimmen ist von den Menschen selbst, d. h. von der Summe der Verbraucher.
Lassen Sie mich zu den Eckpfeilern unserer Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsordnung noch folgende drei Bemerkungen machen. Erstens. Ich halte es für wichtig, daß es uns gelingt, den Grundkonsens zwischen den wichtigen Gruppen aufrechtzuerhalten. Dieser Grundkonsens zwischen den wichtigen Gruppen in unserem Volke ist das eigentliche Sozialkapital, das diese Nation hat.

(Zustimmung bei der SPD)

Die niedrige Streikquote, die grundsätzliche Bejahung unserer Wirtschaftsordnung sind Beweis dafür. Bitte, zerreden wir das nicht. Meine persönliche Erfahrung zeigt: Grundkonsens heißt nicht Verzicht auf Diskussion und heißt auch nicht Verzicht auf Auseinandersetzung, wenn es nötig ist. Ich hoffe, daß eines Tages aller wieder an den Tisch der Konzertierten Aktion zurückkehren werden, um dort diese Auseinandersetzung und das Ringen um den richtigen Weg gemeinsam zu suchen.
Lassen Sie uns — zweitens — festhalten an dieser marktwirtschaftlichen Ordnung, der Sicherung der Rahmenbedingungen, die das Vertrauen von Investoren und Konsumenten stärken. Herr Strauß, ich stimme Ihnen zu: Soziale Marktwirtschaft ist eine Errungenschaft von säkularer Bedeutung. Übrigens würde ich gern etwas hinzufügen, was in den öffentlichen Diskussionen oft nicht ausgesprochen wird. Für mich ist sie nicht nur ein Instrument effizienter Wirtschafts- oder Gesellschaftspolitik, sondern sie ist mehr. Sie ermöglicht nämlich einen täglichen Abstimmungsprozeß von Millionen von Verbrauchern, von Millionen von Investoren über das, was sie selbst für nützlich und wünschenswert halten.

(Dr. Barzel [CDU/CSU] : Sehr gut!)

Deswegen ist sie nach meiner Meinung das Korrelat
im ökonomischen Bereich zur freiheitlichen Demokratie im staatlichen Bereich; sie hat mehr als nur instrumentalen Charakter.

(Beifall bei der FDP und der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich möchte als Liberaler gerne ein Wort hinzufügen. Während wir uns im staatlichen Bereich der Mehrheitsentscheidung von 51 : 49 unterwerfen müssen, damit regiert werden kann, damit die Dinge im staatlichen Kompetenzbereich in Ordnung gebracht und gehalten werden können, hat der Markt den Vorzug, daß hier nicht 51 über 49 bestimmen, sondern daß jede relevante Minderheit mit ihren Wünschen im Markt zur Geltung kommen kann; das gilt jedenfalls dann, wenn das Parlament die Kraft behält, Wettbewerbsordnung, Wettbewerbsrecht und ökonomische Rahmenbedingungen richtig und rechtzeitig zu setzen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Und Strukturräte zu verhindern! — Heiterkeit bei der CDU/CSU)

— Sehr richtig, Herr Abgeordneter, ich bin Ihnen für den Hinweis sehr dankbar. Denn in meiner Unterlage liegt die Forderung des Finanzministers von Niedersachsen, meines Freundes Kiep, auf Einführung eines Strukturrates, und ich stimme Ihnen in diesem Falle ausnahmsweise zu.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0804602100
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohl? — Bitte schön, Herr Dr. Kohl.

Dr. Helmut Kohl (CDU):
Rede ID: ID0804602200
Herr Bundesminister, Sie haben soeben die Behauptung des Herrn Abgeordneten Ehmke vom heutigen Morgen wiederholt, daß unser Kollege Kiep, der Finanzminister von Niedersachsen, im Sinne des soeben gemachten Zwischenrufes derartige Strukturbeiräte gefordert hat.

(Zurufe von der SPD: Frage!)

Darf ich Sie fragen, wann und wo Herr Kiep diese Forderung erhoben hat?

Dr. Hans Friderichs (FDP):
Rede ID: ID0804602300
Ich bitte um Entschuldigung, ich habe die Rede des Herrn Abgeordneten Ehmke in diesem Teil heute morgen nicht gehört und wußte daher nicht, daß er dies gesagt hat.

(Nordlohne [CDU/CSU] : Da haben Sie nichts verpaßt! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

— Sehen Sie, muß denn so ein Zwischenruf eigentlich sein? Sehen Sie darin wirklich den notwendigen Stil parlamentarischer Auseinandersetzung?

(Beifall bei der FDP und der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

Wenn dies Ihre Meinung ist, wundere ich mich, daß Sie zugehört haben. Ich weiß nicht, ob Sie da waren heute morgen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie ist das mit der Zwischenfrage?)




Bundesminister Dr. Friderichs
Ich habe, Herr Abgeordneter Dr. Kohl, eine Überschrift aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zitiert.

(Stücklen [CDU/CSU] : Die ist falsch! — Katzer [CDU/CSU] : Von wann?)

— Soll ich sie holen gehen? Ich habe sie auf meinem Platz liegen.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Ich reiche sie Ihnen nach, sobald sie mir hochgegeben wird.

Dr. Helmut Kohl (CDU):
Rede ID: ID0804602400
Bis Sie den Text haben: Könnte es möglich sein, Herr Bundesminister, daß Herr Kiep — im Gegensatz zu der Behauptung von Herrn Ehmke — von „Strukturbeiräten" im Zusammenhang mit Landesstrukturprogrammen gesprochen hat — eine Frage, die in gar keinem Zusammenhang mit sozialistischen Indoktrinationen unserer Gesellschaft zu sehen ist?

(Heiterkeit bei der CDU/CSU — Lachen bei der SPD — Dr. Ehmke [SPD] : Er weiß noch nicht einmal, was das ist! Das ist der größte Laienspieler der deutschen Politik! — Weitere Zurufe von der SPD)

Könnte das möglich sein?

Dr. Hans Friderichs (FDP):
Rede ID: ID0804602500
Herr Abgeordneter Dr. Kohl, ich zitiere die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 16. Oktober 1976. Dort lautet die Überschrift „Kiep fordert einen Strukturrat."

(Dr. Kohl [CDU/CSU] : Ja! Würden Sie dann bitte auch auf den Inhalt eingehen!)

Zweiter Punkt. Ich würde dem Landesfinanzminister Kiep in keinem Falle unterstellen, daß er damit sozialistische Vorstellungen vertritt. Das unterstelle ich allerdings auch anderen Menschen nicht ohne weiteres, ohne daß ich das geprüft habe. Das ist vielleicht der Unterschied.

(Dr. Kohl [CDU/CSU] : Warum sagen Sie es denn hier in dem Zusammenhang?)

— Herr Abgeordneter Dr. Kohl, um es Ihnen klar zu sagen: weil Sie auf einen aufgestellten Begriff unverzüglich mit dem Versuch agieren, zu diffamieren durch den Gebrauch des Wortes „sozialistisch", und dies mag ich einfach nicht.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Setzen wir uns doch mit 'dem Inhalt der Fragen auseinander! Dazu bin ich sofort bereit. Sie können mit mir auch darüber sprechen, ob z. B. in der Konzertierten Aktion mehr Strukturfragen behandelt werden sollen als in der Vergangenheit. Ich bin dafür. Aber es hat doch keinen Sinn, einen Begriff aufzustellen, negativ anzumalen und draufzuschlagen. Das nutzt uns und nutzt den Demokraten in diesem Lande nichts, Herr Dr. Kohl.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0804602600
Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Kohl? — Bitte schön, Herr Dr. Kohl.

Dr. Helmut Kohl (CDU):
Rede ID: ID0804602700
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, mir darin zuzustimmen, daß die Äußerungen 'des Kollegen Kiep, die sich auf einen Hinweis bezogen, daß der Rat der Fünf Weisen auch die regionale Strukturpolitik in sein Gutachten aufnehmen soll, mit den innerhalb der SPD geforderten Strukturräten überhaupt nichts zu tun hat?

(Beifall bei der CDU/CSU — Frau Pack [CDU/CSU] : Er hat es nicht gelesen!)


Dr. Hans Friderichs (FDP):
Rede ID: ID0804602800
Ich hätte Ihnen zugestimmt, wenn Sie gefragt hätten: Geben Sie zu, daß die beiden Vorstellungen nicht identisch sind? Aber „überhaupt nichts zu tun" können Sie nicht einfach sagen, wenn es wörtlich hier in dem Zeitungsartikel heißt, daß gefordert wird, neben den Konjunkturrat einen Strukturrat zu setzen. So heißt es hier wörtlich.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Lassen Sie mich aber gleich hinzufügen: Meine Vorstellung ist es nicht. Ich bin nämlich der Meinung, daß die Konzertierte Aktion geeignet ist, auch die strukturellen Fragen mitzubehandeln und es daher eines zusätzlichen Rates dieser Art oder einer Umgestaltung nicht bedarf. Das ist jedenfalls meine Erfahrung der letzten Jahre.
Lassen Sie mich zum Schluß drittens folgendes sagen. Wir sollten uns weiterhin darum bemühen, die Aufrechterhaltung der Stabilität und damit des Geldwertes der Einkommen als eine zentrale Aufgabe zu sehen; denn die erreichte wirtschaftliche Stabilität ist für die Zukunft eine der wichtigsten Voraussetzungen, die in diesem Lande in den letzten Jahren geschaffen worden sind. Dazu gehört, daß alle im bisherigen Verhältnis miteinander umgehen, und dazu gehört, daß eine unabhängige Notenbank in der Lage ist, darüber zu wachen, was mit dem Geldwert geschieht. Auch nach dem heutigen Vormittag und dem jetzigen Verlauf habe ich die Bitte: Lassen Sie uns das Maß an Übereinstimmenden Vorstellungen, das nämlich größer ist, als wir es oft hier in den Debatten der deutschen Öffentlichkeit darzutun versuchen, nennen, und lassen Sie uns um die Punkte ringen, in denen wir wirklich unterschiedlicher Meinung sind! Diese gibt es. Aber warum sollen wir diese nicht offen auf den Tisch legen, statt den demokratischen politischen Gegner zu diffamieren?

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Meine Damen und Herren, ich möchte mich bei den Fraktionen des Deutschen Bundestages für das Miteinander in den letzten fünf Jahren bedanken. Dies ist voraussichtlich die letzte Rede, die ich in diesem Bundestag gehalten habe. Ich möchte mich insbesondere für die sehr angenehme Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages, dem Vorsitzenden dieses Ausschusses und für die Unterstützung bedanken, die wir, diese



Bundesminister Dr. Friderichs
Bundesregierung fanden, der ich gerne angehört habe und in der ich eine Vielzahl unterstützender und begleitender Hilfen in den schwierigen ökonomischen Phasen gefunden habe. Ich danke Ihnen dafür, daß die Wirtschaftspolitik dieser Regierung in fast allen Fällen die Zustimmung dieses Hauses einschließlich die der Opposition gefunden hat.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Nordlohne [CDU/CSU] : Eine sehr schwache Abschiedsvorstellung!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0804602900
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß ich im Namen des ganzen Hauses spreche, wenn ich Herrn Dr. Friderichs für seine künftigen Aufgaben alles Gute wünsche.

(Beifall)

Das Wort hat jetzt Herr Abgeordneter Dr. Barzel.

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0804603000
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ich darf zunächst auch für uns dem scheidenden Bundeswirtschaftsminister das Zeichen menschlichen Respekts erneut beweisen. Ich habe dies oft genug, auch in strittigen Debatten, von dieser Stelle aus getan. Aber diese Schlußworte, Herr Kollege Friderichs, entheben uns natürlich nicht der Notwendigkeit der politischen Kontroverse, wo sie angebracht ist. Deshalb möchte ich sagen, daß Sie sich— um den Kollegen Apel in seiner Sprache zu zitieren — auch „schlußendlich" treu geblieben sind. Sie haben mit einer recht intelligenten, raffinierten Rede einen Überbau um die Probleme herum geliefert und sind dem Kern völlig ausgewichen, den mein Kollege Strauß heute morgen hier dargelegt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben sich mit einer ganz guten und vor allen Dingen geschickten Rede erneut in den Dienst einer schlechten Politik gestellt, wie das hier heute morgen schon gesagt worden ist. Aber immerhin: aus der Regierung, für die Sie hier noch so nette Worte fanden, scheiden Sie aus. Wir halten uns allein an die Tatsachen, und zu den Tatsachen gehört es, Herr Kollege Friderichs, daß sich die ökonomische und soziale Lage der Bundesrepublik Deutschland seit Ihrem Amtsantritt bis zu Ihrem Ausscheiden nicht verbessert, sondern verschlechtert hat. Dies muß leider festgestellt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Da hier allein Tatsachen zählen, hätte es uns natürlich interessiert, nicht nur den Morgenzeitungen Berichte über die Gründe Ihres Ausscheidens zu entnehmen, sondern dazu auch etwas vom Minister selbst zu hören. Dazu ist nichts gesagt worden. Also nehmen wir an, daß die Zeitungsberichte stimmen! Demoskopie ist keine Politik; politische Führung ist durch nichts zu ersetzen; wenn du keine Mehrheit hast, mußt du Konsequenzen ziehen. Dies sind Sätze die wir heute morgen gelesen haben; dies sind wohl die Gründe. Dazu muß noch etwas gesagt werden, Herr Kollege Friderichs; denn Sie haben natürlich viele Stationen der Vergangenheit hier geschildert; das war Ihr gutes Recht in diesem Augenblick.
Ich glaube, den zentralen Punkt haben Sie übergangen. Ich trete niemandem zu nahe, wenn ich ihn bezeichne.

(Löffler [SPD] : Kommen Sie doch mal zum Thema, Herr Barzel! Das ist doch keine Märchenstunde!)

— Regt Sie das schon auf? Wir haben Herrn Friderichs eine Stunde zugehört. Sie werden noch was ganz anderes hören müssen.

(Löffler [SPD] : Sie sollten endlich vom Haushalt sprechen!)

— Ich weiß, daß Sie es nicht gern hören, wenn ich vom Kern dieses politischen Problems spreche.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Kollege Friderichs erklärte damals — ich zitiere das aus dem Protokoll des Bundestags vom 17. September 1973, wie wir das hier eingeführt haben —: Eine Tendenzwende — so sagte er in seinem beachtlichen Vortrag — sei bisher nicht erkennbar. Die Perspektiven blieben unsicher. Der Staatsanteil am Bruttosozialprodukt sei von 1962 bis 1970 um 2 Prozentpunkte, von 1970 bis 1974 aber um 6 Prozentpunkte gestiegen. Weitere Unsicherheiten belasteten die Unternehmen ebenso wie eine nachhaltige Verunsicherung durch öffentliche Auseinandersetzungen über Forderungen nach Systemveränderung. Die Klärung der mittelfristigen Horizonte sei nötig. Dazu gehöre eine entsprechende Korrektur der mittelfristigen Finanzplanung sowie eine Durchforstung der Sozialausgaben. Dann kam die Forderung nach Steuersenkungen usw.
Wir haben das damals in die Debatte eingeführt, weil Sie sich damit, Herr Kollege Friderichs, schon wenige Wochen später nicht in Ihrer Regierung und nicht mal in Ihrer Partei haben durchsetzen können. Ich habe Sie dann hier, laut dem Protokoll, gefragt — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten —:
Warum, Herr Kollege Friderichs, tragen Sie dieses Paket mit? Sie haben doch nun erfahren, daß das Notwendige in dieser Kombination nicht durchzusetzen ist. Ich will Sie da nicht drängen. Denn Sie sind ja erst am Beginn eines sehr schwierigen Weges.
Ich überspringe weitere Debatten. Ich spreche davon, daß wir Ihnen hier gesagt haben: Sie tragen die volle Verantwortung für die Wirtschaftspolitik der Regierung ebenso wie dafür, daß es diese Koalition gibt. Ihre Verantwortung sei groß, es liege an Ihnen, Ihre Kraft entweder — so in der letzten Debatte — gegen Herrn Eppler und dessen Genossen zu verschwenden oder ... Sie antworteten auf diese Intervention mit dem markigen Wort: „Diese Koalition steht bis 1980." Nun — ganz sicherlich ohne Sie. Dies ist ein politisches Signal!

(Beifall bei der CDU/CSU)




Dr. Barzel
Herr Kollege, erlauben Sie mir, daß ich mich, da wir ja übermorgen Gelegenheit haben werden, dazu zu kommen, mit wenigen Worten gleich noch dem Herrn Kollegen Lambsdorff zuwende. Ein findiger Kopf in diesem Haus hat die aktuellen Programme der verschiedenen Parteien aus dem Sommer zur aktuellen Wirtschaftspolitik zusammengestellt. Die drei Zeitpunkte sind der 6. Juni, der 13. Juni und der 13. Juli. Er hat geprüft, wo es Übereinstimmung gibt, und hat das dann — wie man heute sagt —„aufgelistet". Erstens Belastungsstopp: CDU ja, SPD nein, FDP ja. Zweitens Förderung privater Investitionen: CDU ja, SPD nein, FDP ja. Drittens Beseitigung steuerlicher Hemmnisse: CDU ja, SPD nein, FDP ja. Viertens Ausweitung öffentlicher Investitionen zu Lasten des öffentlichen Konsums: CDU ja, SPD nein, FDP ja. So geht das weiter. Von den 37 Punkten, Herr Kollege Graf Lambsdorff, besteht in vier Übereinstimmung zwischen allen drei Programmen. 33 bleiben kontrovers. Wie sind sie kontrovers? Übereinstimmung besteht zwischen SPD und FDP in acht Punkten, zwischen CDU/CSU und FDP in 18 Punkten, zwischen CDU/CSU und SPD in sieben Punkten.

(Zurufe von der SPD)

Die Punkte haben natürlich, Graf Lambsdorff, unterschiedliches Gewicht. Nur, dies zeigt Ihnen, daß das, wofür Sie antreten, Quadratur des Zirkels ist. Ich befürchte, Sie werden sich bei aller intelligenten Standfestigkeit den Kopf einrennen, und das wäre immerhin schade um diesen Kopf, von dem wir doch hier in diesem Hause noch eine ganze Menge erwarten.
Trotzdem: Glück auf, Graf Lambsdorff!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich möchte mich nun dem gesamten Haushalt zuwenden und mich auch an den Herrn Bundeskanzler wenden. Es ist ja nun dahin gekommen, daß selbst die Freunde seiner Regierung und dieser Koalition in großer Aufmachung dieser Regierung Ratlosigkeit und Hilflosigkeit bescheinigen. Nichts kommt ja auch mehr nennenswert voran: Die gestern veröffentlichten Zahlen zeigen, daß die Arbeitslosigkeit andauert und das Wirtschaftswachstum ausbleibt. Die Regierung schneidet nun ins soziale Netz. Wir haben es bei den Renten erlebt, und wir werden es beim Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes erleben. Die soziale Sicherheit ist gefährdet. Der industrielle Produktionsapparat veraltet. Die Vereinigung Europas bleibt aus. Das ist nicht allein ein Vorwurf an diese Regierung; aber man muß es hier festhalten. Der Fortschritt in der Entspannung in Deutschland ist nicht zu sehen. Präsident Carter reist um Deutschland herum. Breschnew ziert sich zu kommen. In dieses Bild gehört ferner, daß die Ford-Werke ihre neue Produktion nicht in Berlin, nicht in Deutschland errichten, sondern in Großbritannien.

(Dr. Narjes [CDU/CSU]: Leider!)

Das hat alles etwas mit dem zu tun, was hier passiert.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

Am vergangenen Donnerstagabend ist es entgegen dem, was der Kollege Ehmke heute morgen versucht hat, hier darzutun, bei der zweiten Lesung des leider unerläßlichen Gesetzes zur Einschränkung des Besuchs und des Kontakts solcher inhaftierter Terroristen, die zugleich das Leben bedrohen — so muß man es nämlich bezeichnen —, der Koalition nicht gelungen, dieses bedauerlicherweise nötige Gesetz aus eigener Kraft zu beschließen. Wir haben Herr Kollege Ehmke, nicht nur Herrn Wehners Reaktion erlebt, wir haben zum erstenmal das Abstimmen mit wechselnden Mehrheiten erlebt. Sie und wir haben gemeinsam einen Antrag der FDP abgelehnt, von dem Ihre Fraktion erklärte — ich zitiere — „Damit könnten wir dieses Gesetz vergessen; es werde in seiner Wirkung total aufgehoben." Dies ist die Wahrheit. Wir haben dann am Donnerstag und am Freitag im Interesse des Lebens von Hanns Martin Schleyer alles unterlassen, was sich hier parlamentarisch angeboten hätte, um diese Chance parteiisch zu nutzen. Es bleibt festzuhalten: Nur mit Hilfe der Opposition erlebte diese Fassung überhaupt eine Schlußabstimmung in zweiter und dritter Lesung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es handelte sich um den ersten Punkt einer ganzen Reihe von Maßnahmen, die leider notwendig sein werden und die der Kanzler und die Regierung für dringend halten. Das muß man in den Zusammenhang nehmen. So lesen wir heute, wenn man es politisch betrachtet, und dabei sogar den Blick auf den Bundesrat einmal außer acht läßt, den Haushalt einer Minderheitenregierung. Die Koalition kann weder in den dringenden und wichtigen Fragen der Terroristenbekämpfung — wir werden dies ja sehen — noch in denen der Energiepolitik — das sehen wir ja schon — noch in denen der wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Grundsatzfragen eine Mehrheit aus eigener Kraft aufbringen.

(Katzer [CDU/CSU]: So ist es! Genau so!)

Das ist die Wirklichkeit. Sie sind noch fähig, Mehrheiten einmal zusammenzuzwingen. Sie sind noch fähig, sich irgendwie im Amt zu halten. Sie sind auch noch zu faulen Kompromissen fähig. Aber wegen dieser Tatsachen steigt mit der Investitionslücke die Arbeitsplatzlücke, von der der Sachverständigenrat spricht. Das sind Dinge, die in den Schriften und Worten der Koalitionsfraktion auf dieser Seite überhaupt nicht mehr vorkommen. Die Wahrheit ist — Herr Kollege Strauß hat dies heute gesagt —: Die Lage in Bonn steht dem wirtschaftlichen Aufschwung und der sozialen Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland entgegen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Diese Bundesregierung kann diesem Deutschen Bundestag mit Aussicht auf Mehrheit zu keiner wichtigen Frage eine überzeugende Antwort vorlegen. Ich fürchte, daß der Herr Bundeskanzler es nach den Abstimmungen, die wir erlebt haben, selbst dann nicht schaffen würde, wenn er eine solche wichtige Frage mit der Vertrauensfrage verbinden würde. In diesem Hause weiß jedermann, daß ich dem Kanzler nicht gerne, eigentlich überhaupt nicht, persönlich am Zeuge flicke. Es wäre mir ganz unmöglich, die Kritik, die ich hier erhebe,
ihm gegenüber öffentlich zu äußern, wenn ich



Dr. Barzel
nicht von Anfang an gewarnt hätte: Wer die geistige Führung abgibt, wird die politische verlieren. Der Bundeskanzler ist dabei.
Verehrte Damen und Herren, was bei der Vermögensteuer gerade noch erträglich war, das ist nun in Sachen Terror, Energie, Wirtschaftspolitik schlechthin gemeinwohlwidrig. Statt einer Regierung, die führt, statt einer Mehrheit, die gestaltet und trägt, haben wir eine Koalition, die parteiisch auseinanderfällt, die sich belauert, die Nebel erzeugt, wo Perspektive, Entschlossenheit und Wegweisung gefordert sind. Der Bundeskanzler löste seinen Vorgänger ab, weil, so seine Worte vom Mai 1974, eine „Angstlücke" entstanden war, weil „Unsicherheit Gift" sei. So seine Worte. Nun produziert sich das aus dieser Koalition und aus dieser Regierung — noch gesteigert. Nicht der Kanzler produziert das selbst, aber er verantwortet das. Dann frage noch einer, warum die Arbeitsplatzlücke nicht durch steigende Investitionen geschlossen wird,

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

warum Vertrauen fehlt, wo das Zutrauen in die Prinzipien und die Staatskunst der Regierenden Tag für Tag dahinschwindet.
Verehrte Damen und Herren, woher Soll das auch kommen, woher soll diese unerläßliche geistigpolitische Führung kommen, wenn der erforderliche Konsens — davon sprach der Wirtschaftsminister vorhin mit dem Blick auf uns alle — in der Koalition und vor allem in die SPD nicht zu verzeichnen ist? Dieser fehlende Konsens innerhalb der Koalition und in der Hauptregierungspartei läßt doch, wie wir sehen, selbst die Kanzlerkompetenz in sich zusammenbrechen.

(Hört! Hört! bei der CDU)

Diese Koalition ist immer mehr eine unfähige, ja, Verzeihung, eine widernatürliche Verbindung. Keiner darf da mehr sagen und fordern, was er eigentlich auf dem Herzen hat! Die Sozialisten wollen eine andere Republik. Die Sozialdemokraten wollen diese Republik, aber in der Republik eine andere Ordnung. Die Liberalen wollen diese Ordnung und diese Republik, nur ein bißchen flotter und ein bißchen anders, und die Liberalsozialisten wollen eigentlich alles zugleich, vor allem an der Macht bleiben, besser: mit ein bißchen Vorbehalt dabei sein. Aus diesen verkehrten Fronten macht. kein Genie ein politisches Konzept. Da ist es vor einem Jahr noch einmal gelungen, eine Administationsquantifizierung als Regierungserklärung vorzutragen. Da gab es keine Prioritäten. Diese Koalition lastet, weil sie Lethargie produziert, auf dem Lande. Das ist der erste Grund, der Hauptgrund des Hemmnisses für wirtschaftlichen Aufschwung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie alle — der Kanzler, der Finanzminister, der Wirtschaftsminister — klagen über den Investitionsausfall von 25 Milliarden; sie klagen, als wenn sie nicht regierten, sie klagen, als wenn sie damit nichts zu tun hätten und keine Verantwortung dafür hätten, sie klagen, als ob nicht die Regierungsparteien selber durch Fragezeichen statt Antworten, durch
Treibenlassen statt Entscheiden und Argumentieren das alles bewirkt hätten. Sie haben doch weiße Flecken gelassen, in die nun Demonstranten und Gerichte und andere einfließen. Wo die politische Führung ausbleibt, kommen eben andere Autoritäten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Und was tun Sie nun, statt das zu ändern, was dabei vielleicht schlecht ist? Welche Konsequenz ziehen Sie aus dem Investitionsstau, der behördlich, politisch, wie Sie selber sagen, bewirkt sei? Statt daß Sie sagen, laßt uns das abbauen, sagen Sie, laßt uns das vermehren, und kommen mit Ihrem Leitantrag, auf den ich noch zu sprechen kommen will, zu einer totalen Gängelei und zu einem totalen Bürokratismus. Woher nimmt man den Mut, im Angesicht dieses Investitionsstaues nun noch Investitionslenkung — wenigstens im Anfangsstadium — zu fordern? Dies ist doch ein neuer Hammer gegen das, was hier notwendig ist. Ich habe nie verstanden — in einer anderen Debatte —, wie man im Angesicht der Wirklichkeit der staatlichen Schulpolitik und der Staatsschulen nun auch noch das Bildungswesen im beruflichen Bereich verstaatlichen wollte. Ich verstehe nicht, wie man im Anblick der Hemmungen, die die Wirtschaft schon jetzt durch ein Zuviel an Gängelei und Bürokratismus ertragen muß, nun noch mehr davon fordert. Dies kann ich nicht verstehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn das nicht vom Tisch kommt, werden Sie vergeblich auf den Aufschwung warten. Durch solche Dinge bewirken Sie selber den Abschwung.
Meine Damen und Herren, ich bin jetzt in einer kleinen Schwierigkeit. Ich wollte mich dem Kollegen Wehner zuwenden. Er ist erkrankt. Es ist sein gutes Recht. Das haben wir alle.

(Zurufe von der SPD)

Aber ich möchte gern einen Faden aufnehmen, jetzt allerdings nur den Teil davon, der Sie alle betrifft — das werden Sie wir erlauben —,

(Zurufe von der SPD)

denn die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist ja anwesend.

(Zurufe von der SPD)

Ich habe mich am 23. Juni mit den Worten an Sie gewandt: „Sie sind dabei, die Krise Ihrer Partei und Fraktion auf den Staat zu übertragen; die Leidtragenden sind die Bürger draußen." Sie haben damals geglaubt, das so vom Tisch wischen zu können.

(Zurufe von der SPD)

Die Fakten sorgten dafür, daß dies auf dem Tisch bleibt. Inzwischen brauche ich das nicht mehr zu behaupten, denn inzwischen haben Kollegen aus Ihrer Fraktion und Partei dies völlig bestätigt. Das muß in diese Debatte eingeführt werden.
Der SPD-Bezirk Niederrhein hielt am 17. September einen Parteitag in Oberhausen. Ihm lag nicht irgendein, sondern ein parteieigenes Dokument vor,

(Dr. Ehmke [SPD] : Beschäftigen Sie sich doch mit Berlin!)




Dr. Barzel
in dem es hieß, in der SPD herrsche gegenwärtig — wörtlich — „Orientierungslosigkeit", die Krise der Partei sei seine Erfindung des politischen Gegners.
Am Tag zuvor erklärte der stellvertretende Vorsitzende der SPD, Bundeskanzler Helmut Schmidt, auf dem Parteitag in -Hamburg — ich zitiere —:
Vieles, was gegenwärtig in der SPD an sogenannter Theoriediskussion hin und. her bewegt wird, das kommt in der Tendenz dem anarchistischen Liberalismus nahe.
Der Kanzler sprach dann von Hemmnissen, die dem Aufschwung entgegenstünden. Dabei bezeichnete er nach Pressemeldungen selbst den Hamburger Parteitag seiner eigenen Landespartei auch als ein solches Hemmnis. Zu den Hemmnissen sagte er wörtlich, zur Zeit habe sich ein Investitionsstau von 25 Milliarden DM aufgebaut, davon allein 8,5 Milliarden DM beim Kernkraftwerksbau und 10 Milliarden DM beim Straßenbau mit Zehntausenden von Arbeitsplätzen. Damit auch jeder merkte, daß dies nicht Ausrutscher waren, erklärte der Kanzler seine Sorgen dem Zweiten Deutschen Fernsehen und der Presse. Ich zitiere — und das sollte man nun wirklich zur Kenntnis nehmen —:
Das Sozialprodukt 1977 könnte i bis 2 °/o stärker steigen ohne diese Hemmungen. Die Arbeitslosigkeit würde um 100 000 bis 200 000 abnehmen, wenn es diese Hemmnisse nicht gäbe.
Verehrte Damen und Herren, da hat der Kanzler doch recht, die SPD mit ihrer Politik verhindert den möglichen Aufschwung, und Sie von der FDP-Fraktion verantworten das mit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Als ich das hier damals Bremsklötze nannte, feixten Sie von dieser Seite. Aber das löst das Problem nicht. Inzwischen erklärt der Kanzler — das gehört doch in diese Debatte — die Distanz zu seiner eigenen Partei. Was bleibt ihm auch anderes übrig, wenn die Partei sich weigert, diesen Mann auch nur mit zu tragen? Das ist doch die Wirklichkeit.

(Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)

— Herr Wolfram, das stimmt. Sagen Sie das Ihrem Kanzler, Ihrem Parteifreund. Vielleicht können Sie das unter Genossen besprechen. Ich muß mich an das halten, was undementiert veröffentlicht wird. Der Kollege Matthöfer legt doch hier den Finger auf die Wunde — ich sehe ihn leider nicht —, er macht dies, wie meistens, konkret und genau. Ich zitiere das nach der „Frankfurter Rundschau" vom 19. 9., die über seine Rede vor dem Bezirksparteitag SPD Hessen-Süd berichtet. Das Zitat lautet:
Entgegen einem beschwörenden Appell von Bundesforschungsminister Hans Matthöfer, die sozialdemokratischen Regierungsmitglieder nicht in ausweglose Lagen zu bringen, indem sie die Beschlüsse der Partei nicht beachten können, wenn sie ihrer Gesamtverantwortung gegenüber dem deutschen Volk gerecht werden wollen, beschlossen die Delegierten einen Antrag, der einen Genehmigungsstopp für den Bau und Betrieb neuer Kernkraftwerke vorsieht.
Dann kommt diese Regierung hierhin und beklagt sich über diesen Investitionsstau, beklagt sich darüber, daß wir die Spannung zwischen Parteitagsbeschlüssen vom grünen Tisch und den Gemeinwohlnotwendigkeiten der Bundesrepublik Deutschland hier in die Debatte einführen. Sie übertragen Ihre Krise auf den Staat. Die Zeche zahlen nicht Sie, die Zeche zahlen die Wähler und die Arbeitslosen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Jedermann weiß inzwischen, daß SPD und FDP bei der Bundestagswahl die Wähler hinsichtlich der Renten täuschten. Wir müssen in die Debatte einführen, das es in der Energiepolitik nicht anders war. Sie baten die Wähler um die Fortsetzung Ihres Mandats für Ihre Politik. Zu dieser Politik gehörte Ihre Energiepolitik, niedergelegt in der Bundestagsdrucksache 7/2713. Da ist nachzulesen. warum Sie welche Kraftwerke — Kraftwerke auf Kohle, Kraftwerke auch auf Atom, wieviel und in welchem Ausmaß — brauchten.

(Wolfram [Recklinghausen] [SPD] : 20 Jahre!)

— Das haben, verehrter Herr Wolfram, die Wähler im Ohr gehabt, als sie das Mandat verlängerten. Dann sagen Sie nach der Wahl: April! April! Wir müssen jetzt erst neu darüber nachdenken, und solange wir nachdenken, stoppen wir das alles. So haben Sie, verehrte Damen und Herren, in dieser Frage Ihre eigene Krise diesmal auf die Zukunft des deutschen Volkes übertragen. Das muß hier gesagt werden.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

Auf diese Weise verlieren wir Arbeitsplätze und unterbleiben Investitionen, sinken Exportchancen und verlieren wir unseren technischen Fortschritt. Sie reden, verehrte Damen und Herren, von Wachsturn, den Ihre eigenen Taten ersticken. Sie sind auf dem Wege, den ich in der letzten Debatte noch mit Herrn Eppler belegen mußte: der Staat solle Wachsturn und Energie zuteilen. Nur, der Staat, der dies tut — nicht einmal in einer Notlage, sondern absichtlich tut — hört auf, freiheitlicher sozialer Rechtsstaat zu sein. Es gibt eben keinen wirtschaftlichen und keinen sozialen Fortschritt ohne ausreichende und preiswerte Energie.
Wem, verehrte Damen und Herren, der Mensch wichtiger ist als die Sache, wie wir sagen, der stellt aber gerade im Zusammenhang mit solchen Fragen auch metaökonommische Fragen. Der fragt sich und andere mit höchster Sensibilität, was neue Technik menschlich und sozial bedeutet. Nur, verehrte Damen und Herren von der Koalition: Das prüft man, b e v o r man Entscheidungen trifft. In Ihren Energieprogrammen, in denen der Bundesregierung, die Sie dem Wähler vorlegten und die bis zum Wahltag gültig waren, heißt es ganz klipp und klar, daß Sie Kernenergie wollen, wieviel Sie davon wollen, warum Sie wieviel davon brauchen. Also mußte jeder Wähler 1976 davon ausgehen, daß SPD und FDP die humanen, sozialen und ökologischen Voraussetzungen der neuen Technik vor diesen Programmen gewissenhaft und mit Sorgfalt geprüft hätten. Und nun sagen Sie: Wir wissen nicht genug



Dr. Barzel
zu dem zu sagen, was ihr da draußen fragt. In Ihrer Drucksache, die den Wählern vorlag, stand, Sie wollten die „Sicherheitstechnik fortschreiben" — fortschreiben, nicht neu feststellen, nicht erkennen, nicht suchen danach, nicht sie neu begründen, Sie wollten Sie fortschreiben! Denn Sie hatten das ja geprüft.
Verehrte Damen und Herren, wenn Sie das damals gesagt und gewollt haben, ohne sich zuvor der Sicherheit ziviler Atomnutzung zuverlässig versichert zu haben, dann handelten Sie damals fahrlässig, verantwortungslos und gemeinwohlwidrig. Wenn Sie Ihr damaliges sicheres Wissen jetzt in Frage stellen, um Stimmungen nachzugeben, die Sie für wichtig halten, dann handeln Sie heute fahrlässig, verantwortungslos und gemeinwohlwidrig.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Welche der beiden Möglichkeiten auch immer zutrifft: Mangelnde Ernsthaftigkeit und Pflichtwidrigkeit lasten auf Ihnen, weil Sie sich opportunistisch verhalten.
Durch fehlende politische Führung sind wir auf dem Wege zu mehr Abhängigkeit, statt uns freier und unabhängiger zu machen. Wir haben doch das erste Gefecht aus dem Nord-Süd-Konflikt, das mit dem Namen Ö1, hinter uns. Haben wir das vergessen? Was soll eigentlich werden — denken Sie an Berlin! —, wenn es irgend jemandem gelänge, zugleich eine Ost-West-Spannung und eine Nord-Süd-
Spannung auszulösen?

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

Regieren heißt doch vorsorgen! Wer keine Energiepolitik hat,

(Wolfram [Recklinghausen] [SPD] : Aber wir haben doch eine!)

ist nicht regierungsfähig. Sie sorgen nicht vor, Sie bauen Sorgen nicht ab, Sie vermehren sie, indem Sie sich mehr um Ihre Partei als um die Zukunft von uns allen besorgen. Das muß hier gesagt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte mich dem Herrn Bundeskanzler zuwenden.

(Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Der pflegt nicht mehr da zu sein! — Dr. Sprung [CDU/CSU] : Wo ist er denn?)

— Er wird das schon zur Kenntnis nehmen. — Als er vor gut drei Jahren sein Amt hier antrat, da habe ich, gestützt auf die Deutsche Bundesbank — nachzulesen in der Debatte vom 20. Mai 1974 —, ihn, leider ohne Erfolg, darauf hingewiesen, daß die Sorge um den Arbeitsplatz ständig steigt und daß der Kostendruck der Inflation zahlreiche Selbständige auf der Strecke bleiben läßt. „Die Beschäftigungsrisiken", so hatte die Deutsche Bundesbank geschrieben, „sind weitgehend" — das sollte Kollege Ehmke vielleicht einmal hören, der heute wieder allein das Ausland bemüht hat — „die direkte oder indirekte Folge von Verzerrungen und strukturellen Problemen, die der Inflationierung zuzuschreiben sind." Sie hat weiter geschrieben, daß die Inflation überwiegend hausgemacht sei.

(Widerspruch bei der SPD)

Sie haben in den folgenden Monaten und Jahren, wie die Protokolle des Deutschen Bundestages ausweisen, unsere Mahnungen mißachtet, unsere Vorschläge übergangen, die Anregungen des Sachverständigenrates bis jetzt beiseite geschoben. Sie glaubten — der Bundeskanzler vor allem — von vornherein alles besser zu wissen. Die Diskussionsbereitschaft und die Bereitschaft, hier, im Parlament, zuzuhören, reichten nicht aus. Man wurde Weltmeister im Erfinden fauler Ausreden. Alles käme von draußen, und draußen sei es noch schlimmer, hieß es.
Verehrte Damen und Herren, für diese Debatte habe ich, gerade auch wegen der Vergangenheitspassagen des Kollegen Friderichs, noch einmal die Gutachten des Sachverständigenrates durchgesehen. Denn die markieren ja die Kette verpaßter Gelegenheiten der Bundesregierung, den Weg nach unten. Einige Kostproben: „Das Niveau der Unternehmensinvestitionen ist schon vor Beginn der Rezession für ein angemessenes Wirtschaftswachstum unzureichend gewesen."
Wir müssen nun einmal zur Kenntnis nehmen, daß die Bundesrepublik Deutschland eine private Wirtschaft hat, in der die öffentlichen Hände zusammen im Jahr weniger als 50 Milliarden DM investieren, während auch in schlechten Jahren die private Industrie 250 Milliarden DM investiert. Das heißt: Daher kommt es, oder es kommt eben nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte aus dem letzten Gutachten des Sachverständigenrates — nicht dem vom September — vorlesen, Herr Kollege Ehmke:
Die Beschäftigungsprobleme, die mit der Rezession offenkundig wurden, ,sind nicht allein das Erbe zyklischer Abschwungskräfte im Innern und in der Welt. Sie rühren auch daher, daß im ganzen nicht zueinander passende Ansprüche, Lohnansprüche und Gewinnansprüche, Ansprüche des Staats und des Auslandes, über Jahre hinweg zu Lasten des Geldwerts gegangen waren, die Produktionsstruktur verzerrt und die Investitionsneigung mehr und mehr beeinträchtigt hatten. In ihrem Kern waren die Beschäftigungsprobleme längst angelegt, bevor es zur Rezession kam.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Ende 1976 empfahl der Sachverständigenrat nachdrücklich ein „Programm zur wachtumspolitischen Vorsorge". Er machte dazu ein ganz konkret beziffertes und durchgerechnetes Programm. Dieses Programm setzte da an, wo der „Herzmuskel" ist — wie wir eben sagten —, bei den privaten Investitionen, bei der Förderung der Forschung, bei der Förderung der Gründe neuer Unternehmen, bei der Steuerentlastung. Die Bundesregierung stahl damals die Überschrift und tat das Gegenteil. Sie legte ein Programm für öffentliche Investitionen vor. Am 24. März habe ich Ihnen dazu gesagt, was zu sagen war: dieses



Dr. Barzel
Programm sei bar jeder Folgerichtigkeit; es werde nicht helfen. Sie antworteten damals lautstark. Sie ballerten Wortkanonaden nur so in die Luft, so, wie wir das heute bei Herrn Ehmke noch einmal gehört haben, der sagte, alles käme von draußen.
Verehrte Damen und Herren, das hat mit Rationalität nichts zu tun. Das ist „Machismo" statt Politik, wenn ich das einmal zu Herrn Ehmke sagen darf.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Nun hat sich der Sachverständigenrat am 7. September erneut und diesmal nachdrücklich zu Wort gemeldet. Er hat an sein damaliges Programm, das man hier mißachtet hat, erinnert und geschrieben:
Inzwischen haben zwei weitere Monate die ungünstige Tendenz der konjunkturellen Entwicklung bestätigt und die Gefahr entstehen lassen, daß neuer Vertrauensmangel, verstärkt noch durch eine aufgeregte öffentliche Diskussion, abermals wirtschaftliche Lethargie bewirkt.
Wir haben dem nichts hinzuzufügen.
Der Rat wiederholt dann seine Ursachenanalyse unserer Probleme bezüglich der Kosten und Risiken. Er kritisiert die Regierung, weil sie die Probleme im Kern anders sehe. Verehrte Kollegen auf der Regierungsbank, man darf anders argumentieren. Nur, dann muß man sagen, warum man anders argumentiert, analysiert und die Therapie setzt. Aber wenn man die Begründung für die Wahl der Art der Analyse verweigert, dann wird man eben nicht weiterkommen. Sie werden nicht weiterkommen, solange Sie sich weigern, die Ursachen der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Malaise zu erkennen, und solange Sie sich weigern, dementsprechend folgerichtig, also ursachengerecht und zielgemäß, zu handeln. Anderenfalls können Sie mit Milliarden, mit Plänen und Paragraphen nur so um sich werfen; der Erfolg wird ausbleiben.

(Wolfram [Recklinghausen] [SPD] : Nun kommen Sie mal mit Ihrem Programm rüber!)

— Herr Wolfram, Sie haben schon vor einem Jahr darauf gewartet. Da habe ich es skizziert. Ich komme ein Stück weiter, gar keine Sorge.

(Zurufe von der SPD)

Was sich in Westeuropa als eine Krise der Wirtschaft darstellt, ist doch in Wahrheit eine Folge der Krise der Politik. Dies muß einmal gesagt werden. Bevor die Verantwortlichen da von Unregierbarkeit, von exogenen Indikatoren und Faktoren, von unauflöslichen Sachzwängen sprechen, sollten sie erst einmal in den Spiegel — den aus Glas oder Kristall — gucken und sich an die eigene Nase fassen; denn gar zu oft haben Politiker die Anspruchsinflation nicht nur laufen lassen, sondern sie beflügelt. Die Folgen davon kennen wir.

(Löffler [SPD] : Ihnen fällt doch nichts anderes ein!)

Wenn ich hier erneut für Folgerichtigkeit plädiere, dann hoffe ich mich mit allen in diesem Hause in diesem Zusammenhang einig, wenn ich sage: Folgerichtigkeit beginnt mit der genauen Kenntnis der Tatsachen. Hier beklagt doch jeder, der sich bemüht, der Arbeitslosigkeit abzuhelfen, daß wir immer noch nicht genau genug wissen, wer wo wann warum arbeitslos ist. Niemand weiß, wie hoch z. B. die Zahl derer ist, die als Arbeitslose gemeldet sind, aber vor der Altersgrenze stehen und auf die Rente warten, einen neuen Arbeitsplatz also gar nicht mehr erstreben, oder derer, die - berechtigterweise — nur ihre Ansprüche an die Sozialversicherung erhalten wollen, aber keine Arbeit mehr suchen. Wir wissen auch nicht — und das hat die Nürnberger Anstalt im Mai selbst gesagt —, inwieweit die Unterbeschäftigung auf eine mangelhafte Ausnutzung der vorhandenen Arbeitsplätze oder auf das Fehlen von Arbeitsplätzen infolge der ungeheuer großen Zahl von Konkursen mittelständischer Betriebe zurückzuführen ist. Zugleich sagt man uns, daß ein Sechstel der Arbeitslosen ein Jahr oder länger ohne Beschäftigung sei — das ist sehr schlimm —, daß das wirkliche Angebot an offenen Stellen um — da schwanken die Zahlen — 300 000 bis 380 000 Stellen höher sei, als dies bei den Arbeitsämtern registriert ist, daß mehr als zwei Drittel aller Industrie- und Baubetriebe schon jetzt nicht in der Lage seien, qualifizierte Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt zu finden, und daß nur ein Fünftel aller Arbeitslosen bereit sei, einen Ortswechsel im Interesse der Beschäftigung vorzunehmen. Unser Kollege Schmidt (Kempten) hat in einem nachdenkenswerten Beitrag in der „Zeit" dargetan, eigentlich hätten wir Vollbeschäftigung. Verehrte Damen und Herren, solange wir aber über die Fakten hier nicht genauer Bescheid wissen, werden wir eine folgerichtige Politik zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit wohl kaum betreiben können.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Bei einer rationalen Bemühung um diese Fragen muß man außerdem einige Lehren und Fakten einrechnen — beispielsweise aus dem Jahre 1976. Da hatten wir ein ganz ansehnliches Wachstum. Das führte aber nicht automatisch Vollbeschäftigung herbei, und die Unterbeschäftigung dieses Jahres führte nicht automatisch zu einem niedrigen Lohnniveau. Das müssen wir einrechnen. Wir müssen einrechnen, daß wir ein Hochlohnland mit einer, von draußen gesehen, sehr teuren Währung sind.
Sicher ist nur — und damit wende ich mich dem zu, worauf Herr Wolfram so lange gewartet hat; er ist nun leider nicht mehr da, kommt aber sicher wieder —Zuruf von der CDU/CSU: Er holt Kuchen!)
— aber zu Fuß in diesem Fall, habe ich gehört —, sicher ist nur, daß allein eine steigende Wirtschaftskraft, und zwar — damit wir hier keinen Popanz aufbauen — eine diesseits der ökologischen Grenze steigende Wirtschaftskraft zu einer Lösung beitragen kann. Keine Verteilung von Mangel, kein Dirigismus, keine Steuer, keine Arbeitsmarktpolitik werden die Probleme allein wieder lösbar machen.
Aus unserer Sicht ist zunächst die Wiedererlangung der politischen Stabilität unerläßlich. Wenn es in der Bundesrepublik Deutschland nicht bald wieder eine Regierung mit einem Konzept und einer



Dr. Barzel
I Mehrheit, die auch für kritische Fragen langt, gibt, werden Sie die wirtschaftlichen Angelegenheiten überhaupt nicht in Ordnung bringen können. Zur politischen Stabilität gehört der Konsens — davon ist nachher zu sprechen —, aber dazu gehört auch Stetigkeit.

(Zuruf des Abg. Lenders [SPD])

Politik wird doch — Herr Lenders, das werden Sie mir doch zugeben — geradezu zu einer neurotischen Veranstaltung, wenn, nachdem es dem Bundesfinanzminister nach harten Mühen gelungen ist, eine Steuererhöhung durch dieses Haus und durch den Bundesrat zu bringen, der unmittelbar nach dieser Beschlußfassung vor der Fernsehkamera sagt: Nun muß ich erst einmal wieder die Steuern senken. Da wird doch Politik zu einer neurotischen Veranstaltung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wer sich im August auf das Wort der Regierung verlassen und munter bestellt und investiert hat, weil er der Regierung geglaubt und sich gesagt hat, daß es mit den Abschreibungen ja doch nicht besser wird, ist enttäuscht worden. Wer der Regierung nicht geglaubt und gewartet hat, wird nun im September belohnt. Das erinnert doch fatal an das frühere „stop and go", von dem ich hier nicht erneut sprechen möchte. Zum anderen ist die Wiederherstellung der Sozialen Marktwirtschaft notwendig. Mancher klagt die Soziale Marktwirtschaft an, auch Herr Ehmke heute morgen. Ich zitiere hierzu Herrn Mundorf aus dem „Handelsblatt":
Es ist ungerecht, zunächst das System zu verstümmeln, um anschließend zu sagen, nun soll es einmal zeigen, was es kann.
Verehrte Damen und Herren, in keinem Lande des freien Europa hatten wir mehr Soziale Marktwirtschaft im Sinne Ludwig Erhards. Weil es so ist, wie ich geschildert habe, bleiben die Erfolge aus. Deshalb fordern wir Wiederherstellung der Sozialen Marktwirtschaft.
An Hand einer Arbeit von Herrn Professor Müller-Armack habe ich das in die Diskussion mit dem Kollegen Friderichs eingeführt: Graf Lambsdorff hat das, was die Manipulation und den Abbau marktwirtschaftlicher Verläufe angeht, inzwischen bestätigt. Ich möchte heute hinzufügen: Wo die Steuerprogression die Leistung bestraft, wo der Staatsanteil knapp unter 50 %liegt, wo durch Vernichtung des Mittelstandes mit der gesunden wirtschaftlichen Struktur die Elastizität der Volkswirtschaft beeinträchtigt wird, kann man von Sozialer Marktwirtschaft im eigentlichen Sinne nicht mehr sprechen.
Es waren Gesetze nötig, die sich auf den Haushalt — der Inhalt war nicht gut; deshalb haben wir abgelehnt — und auf das, was in der Sozialversicherung zu reparieren war — der Inhalt war ganz miserabel —, bezogen. Wir brauchen jetzt eine Gesetzgebung, die uns vom Übermaß der in Paragraphen erstarrten Wirtschaftspolitik befreit. Dies bezieht sich auch auf solche Paragraphen, die wir selbst beschlossen haben. Wenn uns das Handwerk eine Liste mit 130 Positionen vorlegt, die beinhaltet,
was der Handwerksmeister alles unentgeltlich für den Staat zu leisten hat, so müssen wir prüfen, ob wir es wirklich bei diesen Kosten und Belastungen belassen können.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Verehrte Damen und Herren, auch im geltenden Recht ist manches ein Hemmnis für den Aufschwung. Manches schränkt ein, statt zu befreien. Ich will ein Beispiel nennen: Jedermann weiß, daß wir dringend Binnennachfrage brauchen. Jedermann weiß zugleich, daß unsere Bauwirtschaft diesbezüglich stimulierend wirken könnte. Jeder, der ehrlich ist, weiß weiterhin, daß auch Gesetze den Markt müde gemacht haben. Darüber müssen wir sprechen. Deshalb haben wir in unserem Programm — dieser Teil unseres Programms ist nicht strittig — gesagt — ich zitiere —:
Die vielfältigen Gesetze und Verordnungen in den verschiedensten Bereichen müssen dahin gehend überprüft werden, inwieweit sie dem Ziel der Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung entgegenstehen. Sie dürfen keine beschäftigungspolitischen Bremsklötze sein.
Weg damit! Haben wir den Mut, an diese Aufgabe heranzugehen!

(Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Fangen Sie doch einmal damit an!)

— Es geht das Gerücht, daß Sie regieren, Herr Wolfram.
Der dritte Punkt ist dieser. Wir brauchen wieder Wirtschaftspolitik im Sinne einer rationalen Veranstaltung. Wirtschaftspolitik muß, wie wir sagten, ursachengerecht und zielentsprechend sein. Hierzu haben wir im Juni vorgetragen: Der Schlüssel für neue Arbeitsplätze liegt bei den Investitionen. Wir haben hierzu ein Programm, das einem Belastungsstopp und konkret die Förderung privater Investitionen beinhaltet, vorgesehen. Dies ist auch alles hier in diesem Hause erörtert worden. Es steht in den Papieren; Sie haben das alles gelesen. Wir äußern uns dann über den Rang öffentlicher Investitionen. Wir machen Vorschläge zur Dämpfung von Kosten, zur Förderung der Forschung und zur Gründung wirtschaftlich selbständiger Existenzen. Ich möchte aus diesem Programm gern noch einen wichtigen Punkt zitieren, an dem wir nicht vorbeigehen können: Solidarität ist keine Einbahnstraße. Wenn eine Minderheit vielleicht die Arbeitslosenversicherung ausnutzt, so müssen wir uns damit beschäftigen. Wir fordern deshalb ein Zusammenwirken von Arbeitsämtern, Gewerkschaften und Arbeitgebern, um die Vorschriften für die Sperrfristen bei der Zahlung von Arbeitslosengeld und den Begriff der Zumutbarkeit zu überprüfen. Die Meldungen über Arbeitsunwillige sollen Anlaß sein, Umgehungsmöglichkeiten in begründeten Fällen auszuschließen.

(Wolfram [Recklinghausen] [SPD] : Das ist Ihr Arbeitsbeschaffungsprogramm!)

— Ich merke, Sie haben es gelesen, Herr Wolfram. Vielen Dank; ich brauche es dann nicht noch einmal vorzutragen.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den S. Oktober 1977 3519
Dr. Barzel
Wir haben es nicht mit einer Kreislaufschwäche unserer Volkswirtschaft zu tun. Wenn wir sie hätten, hätten die sieben oder vierzehn Programme der Regierung — je nachdem, wie man hier zählt — doch längst im Sinne einer belebenden Spritze gewirkt. Wir haben es mit einer Ordnungskrise zu tun. „Der marktwirtschaftlichen Ordnung wird als Versagen angelastet, was Ausdruck ihrer Überforderung ist", sagt der Sachverständigenrat. Unser Kollege Lambsdorff, dem wir übermorgen zur Übernahme seines neuen Amtes gratulieren dürfen, sagt: „In den letzten Jahren haben wir zuviel an marktwirtschaftlichen Einrichtungen, an marktwirtschaftlichen Funktionsabläufen demontiert, sie manipuliert, in sie eingegriffen." — Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge, dem entgegenzuwirken, Graf Lambsdorff.

(Beifall bei der CDU/CSU)

In einer Hinsicht besteht aber hoffentlich Einmütigkeit. Dies sage ich auch in die Adresse des Herrn Bundeswirtschaftsministers, wobei ich mich auf einen Punkt beziehe, den er wohl mehr mit dem Blick in die Zukunft anführte. Unser sozialer Erfolg und unser wirtschaftliches Wachstum und damit unsere Geltung in der Welt hängen erstens von der politischen Stabilität — dies ist wohl nicht mehr streitig — und zweitens vom breiten Konsens über gesellschaftliche Grundfragen ab. Herr Kollege Friderichs hat dies bejaht. Ich möchte das ausdrücklich unterstreichen. Die politische Stabilität zerbröckelt, genauer gesagt: sie wird zerbröckelt. Hier passieren ja nicht Unglücke oder Ungeschicklichkeiten, sondern es sind Strategen am Werk — und vielleicht sogar eine recht gut anzusehende Strategin. Hier wird doch an Ihrer Mehrheit etwas gebastelt, und der breite Konsens ist dabei, zu zerbrechen. Nicht nur die Konzertierte Aktion lahmt, wie jeder weiß; das „deutsche Modell" ist nun verbeult, es hat keinen Motor mehr. Es hat noch einen Steuermann, aber was machen Sie als Steuermann, wenn der Motor nicht da ist?
Verehrte Damen und Herren, ich stimme dem wirtschaftspolitischen Leitartikel der „Zeit" vom 30. September 1977 zu und möchte ihn gern in die Debatte einführen. Da heißt es:
Ausgerechnet in einer Situation, in der alle Kräfte darauf gerichtet sein müßten, gemeinsam einen Ausweg aus der wirtschaftlichen Misere zu finden und das Problem der Arbeitslosigkeit — vor allem auch der Jugendarbeitslosigkeit — so rasch wie möglich zu lösen, drohen Arbeitgeber und Gewerkschaften immer stärker auf Kollisionskurs zu geraten. Jetzt, wo eine klare wirtschaftspolitische Führung notwendiger denn je wäre, ist innerhalb der Parteien ein heftiger Konflikt über den künftigen Kurs der Wirtschafts- und Energiepolitik ausgebrochen, durch den die Handlungsfähigkeit der Regierung immer mehr eingeengt wird ...
Wenn es nicht gelingt, den über viele Jahre hinweg bewahrten Konsensus wiederherzustellen, wird es keinen Sieger, sondern nur Verlierer geben — ein sinnloses Spiel.
Es genügt also nicht, wenn die Fraktionsvorsitzenden der Koalition hier ab und zu noch einmal mit Krampf — wie bei der Vermögensteuer — eine genau berechnete Majorität in einer Einzelfrage zusammenbringen. Stabilität und Konsens bedingen einander; das eine ist ohne das andere nicht zu haben; zerbricht dies, so ist das ein historisches Verhängnis.
Zum Konsens gehört — ich möchte dies ohne Wenn und Aber sagen — die soziale Partnerschaft, zum Konsens gehört ebenso die Soziale Marktwirtschaft. Dies beides gehört zusammen; will man Erfolg haben, kann man das eine ohne das andere nicht haben. Dies beides gehört zusammen! Wer etwa prinzipiell soziale Fundamente in Frage stellt oder beeinträchtigt, zerstört den Konsens ebenso wie der, der eine andere Republik oder eine andere Ordnung in dieser Bundesrepublik Deutschland will.
Deshalb möchte ich gern, verehrte Damen und Herren, daran erinnern: Da ist im Schutt etwas liegengeblieben. Im späten Frühjahr hat der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Heinz-Oskar Vetter, ein Programm zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gefordert, das — so seine Worte —„von allen demokratischen Parteien und den Sozialpartnern gemeinsam entwickelt werden muß". Dieser Vorschlag ist übergangen worden; er ist weder in der Offentlichkeit noch in der politischen Führung aufgenommen worden. Hier war eine Hand ausgestreckt. Denn, verehrte Damen und Herren, Streit und wechselseitige Vorwürfe — etwa des einen, der andere habe die Arbeitsplätze „wegtarifiert", also durch zu hohe Löhne beseitigt; auf den dann der andere antwortet, die Arbeitsplätze seien „wegrationalisiert" worden, weil man sie durch neue Technik entbehrlich gemacht habe — allein führen uns nicht weiter. Bei allem Streit in diesem Hause — der soll sein und der muß sein — muß dieser grundsätzliche Konsens wiederhergestellt werden; wer ihn zerstört, begeht, wie ich glaube, einen geschichtlich schweren Fehler.
Ich kann nicht umhin, dem Vorsitzenden der SPD, dem Kollegen Willy Brandt, diesen Vorwurf zu machen. Bei der letzten Debatte mußte ich als Zeugen des geänderten wirtschafts- und gesellschaftpolitischen Kurses noch Herrn Eppler mit seiner These bemühen, der Staat müsse bestimmen, für welches Wachstum welche Energie da sei. Inzwischen stellt der Parteivorstand der SPD selbst das Programm für diese Wandlung vor: In seinem wirtschaftspolitischen Antrag an den Parteitag im November empfiehlt er — natürlich getarnt wie auch damals, als der Konsens in einer anderen Frage aufgegeben wurde — de facto die Abkehr von der Sozialen Marktwirtschaft.
Dieser Antrag, verehrte Damen und Herren, kehrt das Prinzip der Freiheit wie das der Subsidiarität um. Nach diesen Prinzipien haben wir eine private Wirtschaft; danach soll der Staat nur das machen, was die Privaten und der Markt nicht können. Nach diesem Parteiantrag sollen Markt und Private nur noch das dürfen, was ihnen der Staat läßt.



Dr. Barzel
Sie, Herr Kollege Ehmke, haben dazu den Minister Kiep bemüht. Wir haben den Minister Kiep inzwischen gesprochen; ich habe auch die „FAZ"-Meldung gesehen. Herr Kiep hat mir erklärt, einen Strukturrat habe er weder jetzt noch früher gefordert; er will keinen Strukturrat, der irgendeine Ähnlichkeit mit den von der SPD geforderten Räten haben könnte. Kiep hat lediglich nicht jetzt, sondern vor etwa einem Jahr erklärt, daß sich das Gutachten der fünf Weisen nicht nur zu konjunkturellen, sondern auch zu strukturellen Fragen äußern solle.

(Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [SPD] und weitere Zurufe)

— Dies ist die Wahrheit! Ich möchte das Herrn Kollegen Ehmke gegenüber ausführen. Die Marktwirtschaft sei unvollkommen, heißt es in Ihrem Papier; Planung und Lenkung seien erforderlich. Dann folgt der erstaunliche Satz, die Entwicklung zukunftsträchtiger Branchen dürfe nicht den Marktkräften überlassen bleiben. Verehrte Kollegen, natürlich ist jedes System unvollkommen wie jeder Mensch.

(Hört! Hört! bei der SPD)

Nur, nennen Sie uns irgendein System, das sozialere und erfolgreichere Ergebnisse gehabt hat als Ludwig Erhards Soziale Marktwirtschaft,

(Beifall bei der CDU/CSU)

und nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß wir nicht vom Markt allein sprechen, sondern von Sozialer Marktwirtschaft! Sie sollten gelernt haben, daß das ein fundamentaler Unterschied ist.
Wenn Sie sich einmal die Forschungspolitik dieser Bundesregierung z. B. im Computerbereich angucken — das ist ja wohl ein zukunftsträchtiger Bereich — und dann noch den Mut haben, allein vom Staat die erforderlichen Maßnahmen zu erwarten, kann ich nur sagen:

(Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [SPD])

Verehrter Herr Kollege Ehmke, was Unternehmer können, ist das eine, und was Beamte können, ist das andere, bzw. was Beamte können, ist das eine, und was Unternehmer können, ist das andere. Beamte, auch die besten, können das nicht, was hier gefordert wird. Beamte, alle Behörden, Institute und was weiß ich, was Sie da einschalten wollen, müssen sich nach den Vorschriften richten. Die Vorschriften leben aus der Erfahrung von gestern, und etwas unternehmen heißt, etwas für die Zukunft ausspähen, riskieren und dafür etwas frei tun. Das ist der Unterschied.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0804603100
Herr Abgeordneter Dr. Barzel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Spöri?

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0804603200
Ich möchte zunächst den Gedankengang zu Ende bringen.
Wer diesen Antrag des Vorstands liest, fragt sich außerdem, in welchem Land die Verfasser wohl leben, woher sie ihre Einsichten, ihre Erfahrungen und Daten beziehen. Da fehlt fast alles, was mit Begriffen wie Leistung, Wettbewerb, Kosten gemeint ist. Dafür enthält dieser Antrag ein komplettes Instrumentarium für bürokratische Bevormundung — und das nach den Erfahrungen, von denen hier die Rede war.

(Zuruf von der SPD: Ist das hier ein Parteitag?)

Paritätische Strukturräte sollen errichtet werden, Investitionen der Privaten sollen künftig angemeldet, die Rechte der Bundesbank beschnitten werden. Man traut dem Markt und den Privaten nicht; man erwartet alles vom Staat. Das ist die Umkehrung der Sozialen Marktwirtschaft.

(Zuruf von der SPD: Das trifft ja nicht zu!)

Der Antrag zu den aktuellen Dingen zeichnet sich durch Ignoranz der Tatsachen aus. Von all den Ursachen unserer Probleme, wie sie die Bundesbank, der Sachverständigenrat, der Jahreswirtschaftsbericht, wissenschaftliche Institute belegen, werden Sie dort nichts finden.

(Zurufe von der SPD)

— Ich verstehe, warum Sie das erregt. — Dieser Antrag hemmt den möglichen Aufschwung. Er ist ein Fußtritt gegen die, die investieren wollen, weil die Unklarheit und die Unsicherheit durch diesen Antrag vermehrt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dieser Antrag paßt vielleicht in eine nächtliche Ideologiediskussion in der SPD, in einen Ortsverband irgendwo in Hessen-Süd oder, inzwischen, auch in Ostwestfalen, aber er paßt nicht zu den Problemen einer modernen Industriegesellschaft und zu der aufgeklärten politischen und wirtschaftlichen Debatte, die dieses Land heute braucht.

(Beifall bei der CDU/CSU) Da sind Ideologen am Werk.


(Stahl [Kempen] [SPD] : Herr Barzel, fragen Sie mal die Junge Union, was die dazu zu sagen hat!)

Es muß einmal gesagt werden: Die Voreingenommenheit derer, die dieses Programm an den Realitäten und Notwendigkeiten vorbeigeschrieben haben, veranlaßt mich leider zu sagen, daß da manche am Werk sind, denen ihre Partei wieder wichtiger ist als die Lage im Lande. So bleibt dem Kanzler auch an dieser Stelle eben nichts anderes übrig: Er muß sich auf seinen Eid besinnen.
Wir werden deshalb für Soziale Marktwirtschaft kämpfen, wir werden uns nicht scheuen, die Debatte Erhard-Nölting dann eben noch einmal zu führen; denn wir sehen in allen Ländern der freien Welt: In dem Ausmaß, wie man wirtschaftliche Einengungen gemacht hat, bleiben die Erfolge aus. In keinem Land des freien Europa gibt es noch Soziale Marktwirtschaft.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0804603300
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0804603400
Verehrte Frau Präsident, ich möchte gern zum Schluß kommen.



Dr. Barzel
Ich möchte den Kollegen Ehmke, weil wir das ja sicher weiter debattieren werden, auf einen berühmten Mann hinweisen. Ich habe vorhin den Kollegen Kiesinger gefragt, ob er etwas dagegen hat, daß ich einmal Tocqueville zitiere; ich weiß, Sie haben sich auch mit ihm beschäftigt. Tocqueville hatte eine Ahnung. Er befürchtete — das sollten wir uns doch wirklich einmal miteinander überlegen, gerade wenn es anders gedacht sein sollte, als es zu lesen ist —, der Staat werde sich zu einer „ungeheuren Vormundschaftsgewalt" entwickeln.
Er bezeichnet sie dann wie folgt:
Sie bedeckt sich in ihrer ganzen Ausdehnung mit einem Netz kleiner und verwickelter Regeln von peinlicher Genauigkeit und Einförmigkeit, durch das hindurch selbst die originellsten und kräftigsten Geister sich nicht mehr Luft verschaffen können. Selten zwingt sie zu einer Handlung, aber sie steht ständig dem Handeln im Wege. Sie zerstört nicht, aber sie hindert, daß etwas geschieht. Sie tyrannisiert nicht, aber sie stört. Sie engt ein, sie höhlt aus, sie erstickt, sie stumpft ab.
Genau dies geschieht hier mit der wirtschaftlichen Freiheit durch Ihren Antrag. Darüber wird später im einzelnen zu sprechen sein.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Sehr schwaches Bild! — Lachen und Gegenrufe von der CDU/CSU)

Vom Verdruß an den Parteien war die Rede, der viele erfaßt hat. Viele fragen, ob unsere Probleme überaus lösbar, ob unsere Ordnung, unsere Prinzipien, unsere Instrumente noch ausreichend seien. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir sehen, daß manche sich schon nach neuen Autoritäten umsehen. Diese Maläse, diese Fragezeichen und dieser Verdruß sind überwiegend die Folge mangelnder politischer Führung. Wo diese ausbleibt, entsteht eben kein weißer Fleck, sondern andere strömen herein. Der Bürger sieht dann nur, daß politisch fast nichts Wichtiges mehr läuft. Der Bürger sucht Wegweiser. Von dieser Regierung geht mehr Nebel aus als Perspektive. Hier degeneriert Politik zur Reparaturwerkstatt für den nächsten Tag.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Ich habe gestern nach Ihrer Rede, Herr Kollege Apel, im Rundfunk — ich glaube, im Westdeutschen Rundfunk, im „Mittagsmagazin" — Ihr Interview gehört.

(Sehr gut! bei der SPD)

— „Sehr gut", sagen Sie noch. Da hat der Minister larmoyant — ich kann es nicht anders sagen — gejammert über Investitionsstop durch Bürgerinitiativen, Vorschriften usw. Ja, Herr Kollege, wer hat denn durch Unschlüssigkeit und durch fehlende politische Führung diese Fragezeichen produziert? Weil er es unterließ, Antworten zu geben und Antworten zu verantworten. Ursache und Wirkung sind doch politische Kategorien. Und dann — das sollten auch Sie sich jetzt einmal auf der Zunge zergehen lassen; ich traute meinen Ohren nicht, ich habe das
deshalb heute morgen nachgelesen — sagte der Herr Bundesfinanzminister, das Ganze sei ein „innerer Notstand". Herr Kollege Apel, wissen Sie, was „Notstand" ist? Machen Sie mit solchen Worten nicht das Volk verrückt! Das Volk ist gesund. Die Probleme sind lösbar. Die Krankheit geht von Ihnen und dieser Koalition aus, und deshalb werden wir das bekämpfen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0804603500
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir einen Hinweis: Das war heute der vierte Redner, der weit über 45 Minuten gesprochen hat. Heute früh ist eine gewisse Vereinbarung getroffen worden. Auch die weiteren Redner sind mit einer langen Redezeit angemeldet. Ich möchte auf § 39 der Geschäftsordnung hinweisen und bitte, sich wenigstens einigermaßen daran zu halten. Die Redezeit soll für jeden weiteren Redner 15 Minuten betragen. Nur die ersten Redner sollten 45 Minuten reden. Dies ist heute außer Kraft gesetzt worden. Ich bitte aber sehr herzlich — selbstverständlich nicht die nächsten beiden Redner; das wäre ungerecht —, sich im weiteren Verlauf des Tages auf die Geschäftsordnung zu besinnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Reuschenbach.

Peter W. Reuschenbach (SPD):
Rede ID: ID0804603600
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Ausschußvorsitzender, Dr. Barzel, hat gesagt, Wirtschaftspolitik sei — vielleicht hat er auch gesagt: solle sein — eine rationale Veranstaltung. Letzteres würde jedenfalls vermuten lassen, daß er auf dem Wege noch Fortschritte machen könnte. Denn Rundumschläge und ein Wettbewerb in der Phraseologie entsprechen wirklich nicht diesem Anspruch, daß Wirtschaftspolitik eine rationale Veranstaltung sein sollte.

(Beifall bei der SPD)

Unser verehrter Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses könnte es eigentlich viel besser, wie wir aus unseren Ausschußsitzungen wissen. Vor allen Dingen ist es ein bißchen ermüdend, sowohl heute morgen als auch heute nachmittag von Sprechern der Opposition über weite Strecken eine Zitatensammlung zu hören. Auch dieses empfinde ich nicht als eine rationale Veranstaltung, sondern als eine ermüdende Aufzählung unterschiedlicher Einschätzungen der verschiedenen Menschen in der Vergangenheit. Dabei haben wir doch so sehr auf präzisere Aussagen gewartet, Herr Dr. Barzel, da Sie, als Sie Ausschußvorsitzender wurden, mit einem hohen Anspruch angetreten sind. Ich zitiere immer wieder jenen Satz aus dem Gespräch mit der „Rheinischen Post" vom Februar dieses Jahres

(Zurufe von der CDU/CSU: Wieder ein Zitat!)

— nein, ich will nur Anspruch und Wirklichkeit messen —, in dem Sie sagten, die Regierung sei in einem miserablen Zustand; um so mehr gucke man jetzt auf die Opposition, auf ihre Pläne, ihre Konzeptionen und Alternativen. Es sei eine staatspolitische Pflicht, eine starke Opposition zu haben. Sie müsse nicht zu jeder Frage ein eigenes Konzept haben, aber



Reuschenbach
sie müsse sagen, wohin die Reise nach ihrer Auffassung gehen sollte. — Ich finde, das ist ein hoher Anspruch, dem heute morgen hier nach meiner Auffassung niemand gerecht geworden ist.

(Beifall bei der SPD)

Ich teile diesen Anspruch auch in einem anderen Punkt: Ursachen erkennen, Analysen ziehen und dann folgerichtig handeln. Dazu haben Sie gesagt, solange nicht über wichtige Fakten Klarheit herrscht, könne man auch keine gute Politik machen. Dann haben Sie Fragen gestellt, Herr Dr. Barzel. Sie, Herr Dr. Barzel — ich sage es noch einmal —, Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses, fragen, wann man denn nun endlich erfahre, wieviel Leistungsempfänger es unter den Arbeitslosen gebe, wann man denn nun endlich erfahre, wie viele darunter seien, die auf ein Altersruhegeld zugehen und deshalb das eine Jahr vorher Arbeitslosenunterstützung beziehen, wie viele Teilzeitbeschäftigte es gebe. Sie stellen Fragen, auf die Sie sich selbst jederzeit auf Grund der Papiere, die es gibt und die das Bundesarbeitsministerium verbreitet, Antworten geben können. Sie sagen aber: Solange man diese Tatsachen nicht kenne — Sie kennen sie mangels Bemühungen um Information offensichtlich nicht —, könne man keine gute Politik machen. Ihnen fehlen die Tatsachen; folglich sind Ihre politischen Ratschläge auch so, wie Sie es selbst dargelegt haben.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Sie sagen, es sei endlich an der Zeit, etwas für die Existenzgründungen zu tun. Dabei wissen Sie aus den beiden letzten Sitzungen des Wirtschaftsausschusses sehr gut, wie in voller Übereinstimmung zwischen den beiden sachkundigen Mitarbeitern im Ausschuß, Herrn Warnke — wenn ich mich richtig erinnere — und Herrn Wolfgang Roth, die Mittel für die Unterstützung und Förderung von Existenzneugründungen aufgestockt worden sind.
Dann beklagen Sie, daß nicht alle offenen Stellen bei den Arbeitsämtern gemeldet seien. Da muß ich Sie fragen, warum Sie in den zwanzig Jahren bis 1969 nicht auch dafür gesorgt haben, daß die Unternehmen verpflichtet werden, ihre offenen Stellen an die Arbeitsämter zu melden. Ich weiß gut, daß das ein kritischer Punkt ist; aber wenn Sie das als den einzigen offenen Punkt bezeichnen, um dann eine gute Politik machen zu können, so ist das ein bißchen wenig.
Einen nicht unerheblichen Teil Ihrer Zeit haben Sie darauf verwandt, sich über Debatten in den Koalitionsparteien zu mokieren. Ich finde, es ist, nicht nur auf den Zustand Ihrer eigenen Partei bezogen, etwas arrogant, das ist aber andererseits auch grundsätzlich eine merkwürdige Haltung und Einstellung, daß Sie Debatten über — wie Sie selbst zugeben — schwierige Fragen in Parteien, Unsicherheiten für eine gewisse Zeit, insbesondere im Vorfeld von Parteitagen, wo es dann zum Schwur kommt, wo Mehrheit über Minderheit entscheidet, als etwas empfinden, worüber man sich zu Recht mokieren könnte. Das ist ein merkwürdiges Demokratieverständnis.

(Beifall bei der SPD)

In Entwürfen für Ihr Grundsatzprogramm ist doch geradezu dazu herausgefordert worden, sich in einer Zeit der Neuorientierung den schwierigen Zukunftsfragen zuzuwenden; dort werden doch alle eingeladen, sich an der Durchdringung dieser Probleme zu beteiligen. Und da wollen Sie Ihren politischen Konkurrrenten vorwerfen, daß Sie über Zukunftsfragen eine schwierige und kontroverse Diskussion führen!
Sie haben speziell die fortgeschriebenen Energieprogramme der Bundesregierung angesprochen. Ich kann mich noch gut erinnern: Als wir die Debatte über das erste Energieprogramm im Herbst 1973 und dann im Frühjahr 1974 führten, hat eine Reihe Ihrer Freunde im Ausschuß und im Plenum dies als den Beginn finsterster Pläne für die Planwirtschaft in diesem Land bezeichnet. Wir sind dem mit allen, wie uns schien, guten und vernünftigen Argumenten entgegengetreten, u. a., daß wir keinen Plan bis zum Jahr 2000 machen, sondern regelmäßig fortschreiben und neu prüfen werden, und daß hier keine Investitionsgebote par orde de Mufti durch Knopfdruck der Bundesregierung erfolgen.
Und nun sagen Sie, daß das alles noch nicht bis zum Tezett verwirklicht sei, sei so schrecklich. Im Grunde denken Sie in Kategorien von Planwirtschaftlern, wenn Sie sagen, es sei kritisierbar, daß
aus diesen Programmen noch nicht alles bis zum
Tezett erfüllt sei.

(V o r sitz: Vizepräsident Stücklen)

Sie brauchen uns wirklich keinen Nachhilfeunterricht über 'die Sorgen zu erteilen, die mit den Investitionshemmnissen und mit der Tatsache, daß auch im Bereich der Energiewirtschaft so viele beschlossene Investitionen nicht abfließen, verbunden sind. Es ist ganz bestimmt ungerechtfertigt, unsolide und auch unwahr, wenn Sie so tun, als sei die Ursache dafür allein beim Bund oder allein bei dem einen oder dem anderen Bundesland zu suchen. Die Genehmigungsverfahren werden in allen Bundesländern gehandhabt. Zu der entsprechenden Gesetzgebung, z. B. zum Atomgesetz, hat der Bundesrat seine Zustimmung ja nicht verweigert, sondern durchaus eindeutig gegeben. Wenn Sie sich am linken Niederrhein umsehen, stellen Sie fest, wie sehr dort CDU-Fraktionen in Gemeinderäten und Städten an der Spitze der Bewegung gegen die Festlegung von Standorten

(Sehr richtig! bei der SPD)

für konventionelle Kraftwerke und für Kernkraftwerke stehen.

(Dr. Kohl [CDU/CSU] : Herr Kollege, das ist doch kein Argument! Das machen doch alle lokalen Parteien!)

Da finde ich es nicht fair, die Probleme, die mit den Genehmigungsverfahren und den Investitionshemmnissen zu tun haben, wie ein Bonbon der einen oder der anderen Seite ans Hemd zu kleben.
Wenn Sie nun speziell die Genehmigungen für den Bau weiterer Kernkraftwerke ansprechen, will ich Ihnen in aller Offenheit folgendes sagen. Ich bin



Reuschenbach
nicht sicher, wie die Beschlußfassung auf den Parteitagen der Koalitionsfraktionen ausgehen. Möglicherweise kommt es zu einer scharfen Bedingung. Aber die Beschlüsse dort sind in ihrer Qualität und Bedeutung als Hemmnisse und Verzögerer überhaupt nichts im Vergleich zu dem Verhalten Ihres Freundes, des Ministerpräsidenten von Niedersachsen.

(Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. Dr. Kohl [CDU/CSU])

Seine Entschlossenheit, Zeitgewinn-Pläne in die Wirklichkeit umzusetzen, bedeutet einen ungleich größeren Zeitverlust, als ihn alle auf den beiden Parteitagen realistischerweise zu erwartenden Beschlüsse bedeuten können.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0804603700
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schröder (Lüneburg)?

Peter W. Reuschenbach (SPD):
Rede ID: ID0804603800
Bitte schön.

Dr. Horst Schröder (CDU):
Rede ID: ID0804603900
Herr Kollege, wollen Sie mit diesem Angriff gegen den Ministerpräsidenten von Niedersachsen zum Ausdruck bringen, daß die Erfahrungszeit, die für die Prüfung der Pläne einer Wiederaufbereitungsanlage notwendig ist, verkürzt werden soll und demgemäß die notwendigen Sicherheitsvoraussetzungen nicht eingehalten werden sollen?

Peter W. Reuschenbach (SPD):
Rede ID: ID0804604000
Zunächst einmal ist auch der Ministerpräsident von Niedersachsen nicht sakrosankt. Insofern ist er wohl kritisierbar. Zweitens. Wenn Sie sagen, ein so langer Zeitraum, wie er dort in Aussicht genommen ist, sei für die Klärung der mit ,der Entsorgungsanlage zusammenhängenden Fragen nötig, dann frage ich Sie, wieso Ihre Sprecher die Regierung und die Regierungskoalition kritisieren, daß sie allzu viel Zeit ins Land gehen ließen, bis es zu neuen Genehmigungen für Kernkraftwerke komme.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0804604100
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Reuschenbach: (SPD) : Bitte.

Dr. Horst Schröder (CDU):
Rede ID: ID0804604200
Herr Kollege Reuschenbach, ist Ihnen bekannt, daß dieses Problem der bisher vorhandenen und der in den nächsten zwei bis drei Jahren noch anfallenden Abfälle sehr wohl mit einem sogenannten Zwischenlager zu lösen ist?

(Zurufe von der SPD)


Peter W. Reuschenbach (SPD):
Rede ID: ID0804604300
Ist Ihnen denn bekannt, daß sich Ihre Fraktion im Mai 1976 so wie alle Fraktionen des Deutschen Bundestages in einer Entschließung und in der dazu gehörenden Debatte hier darauf verständigt und festgelegt hat, daß die Genehmigungen für den Bau weiterer Kernkraftwerke von der Klärung der Entsorgungsfrage — nicht von
Zwischenlagern — in Niedersachsen abhängig gemacht werden sollen? Lesen Sie es bitte nach! Ich möchte jetzt aber wirklich keine vertiefte Sicherheitsdebatte über Kernreaktoren führen. Außerdem bin ich dafür nicht kompetent genug. Auch das will ich in aller Offenheit sagen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist sicher richtig!)

— Natürlich! Wer sagt, er kenne von allem etwas, dem muß man mit Mißtrauen begegnen. Ich wollte nur sagen, daß Sie, bevor Sie uns Vorwürfe bezüglich Investitionshemmnisse, insbesondere auf dem Gebiet der Genehmigung von neuen Kernkraftwerken, machen, dies bitte insbesondere mit der Regierung in Niedersachsen klären sollten.

(Beifall bei der SPD)

Uns ist völlig klar, daß bei dem aufgestellten Postulat — das tun ja alle Fraktionen und alle Parteien in dieser Zeit — „Vorrang für Politik der Vollbeschäftigung" vielen etwas abverlangt wird, sowohl denen, die sich besonders für die Umweltschutzgesetzgebung interessieren, wie auch denen, die etwas mit Verfahrensfragen zu tun haben, wie auch denen, die für die Steuer- und Finanzpolitik zuständig sind. Dies wollen wir in einem ausgewogenen Verhältnis tun. Mein Vorredner weiß gut, wie sehr sich diejenigen, die im Wirtschaftsausschuß tätig sind, darum bemühen, auf manchen Gebieten solche Hemmnisse abzubauen. Da gehen die Fronten eben nicht von Partei zu Partei, sondern manchmal auch quer durch die Gruppierungen, Fraktionen, Bürokratien und Ministerien.
Eines der wichtigsten Stichworte, das die Union in solche politisch-ökonomischen Debatten einbringt, lautet, Vertrauen und Sicherheit hinsichtlich der Lage und der künftigen Entwicklung seien nicht vorhanden, und deshalb könne die Zukunft auch nicht besser werden. Nun muß ich Sie doch allen Ernstes fragen: Wo und wann können Sie denn einmal Regierungen, Wissenschaftler, Institute, Unternehmensverbände beibringen, deren Einschätzung der künftigen Entwicklung als einigermaßen sicher und zutreffend bezeichnet werden könnte? Es gibt in den letzten Jahren überhaupt niemanden mehr — die Union und ihre Sprecher machen da überhaupt keine Ausnahme —, der über einen längeren Zeitraum hinweg einigermaßen oder sogar sehr zutreffend künftige Entwicklungen in der breiten Palette hat einschätzen können.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU] : Bei Ihrer Politik ist das grundsätzlich nicht möglich!)

— Ich verstehe, daß Sie gern wieder in polemisches Fahrwasser zurück wollen, weil das einfacher ist, aber es hilft weder Ihnen noch den Beratungen hier noch der tatsächlichen Politik noch den Unternehmen noch den Arbeitnehmern. Deshalb wäre es sinnvoller, wenn man sich seiner eigenen Begrenztheit auch durch Unterlassen von Zwischenrufen dieser Art etwas bewußter würde.
Bei all solchen Einschätzungen der Zukunft fehlt in Ihrem wirtschaftspolitisch-ökonomischen Bild immer die außenwirtschaftliche Seite. Dabei wissen



Reuschenbach
Sie doch ganz genau und beraten das auch auf internen CDU-Konferenzen — ich hatte ja die Ehre, vor einiger Zeit an einer solchen im SteigenbergerHotel teilzunehmen, bei der der amerikanische Minister Marshall zugegen war —, daß, nachdem die Bundesrepublik als eine der stärksten Handelsnationen jahrzehntelang von der Freiheit des internationalen Waren- und Kapitalverkehrs in hohem Maße profitiert hatte, nun diese internationale Arbeitsteilung für ihren Arbeitsmarkt und ihre wirtschaftliche Entwicklung zu einem Problem wird, das nicht durch irgendwelche Beschlüsse der Bundesregierung herbeigeführt worden ist, sondern daß durch diese Arbeitsteilung und auch durch das von Ihnen immer wieder beschworene Festhalten am liberalen Außenhandel der Europäischen Gemeinschaft mit verursacht und mit verstärkt wird. Ich habe von Ihnen nicht gehört, man solle als Gegenmaßnahme diesen liberalen Außenhandel der Europäischen Gemeinschaft beseitigen. Aber ich habe von vielen von Ihnen intern und öffentlich gehört, man möge doch zu einem bißchen mehr Protektionismus im nationalen Rahmen für diese und für jene Branche zurückkehren. Dies würde den beschleunigten Wandel überhaupt nicht wesentlich eingrenzen; ganz im Gegenteil, das kann als Bumerang mit erheblicher Wirkung wieder auf uns zurückfallen.
Neben dem Warenexport — das sehen Sie — betreiben die deutschen Unternehmen — Kapitalbesitzer — zunehmend einen Export von Arbeitsplätzen. Ein weiterer Verlust von Arbeitsplätzen ist mit der fortschreitenden Rationalisierung verbunden. Diese Entwicklung trifft die Bundesrepublik in einer Zeit, in der allein schon auf Grund der demographischen Entwicklung noch zusätzliche Sorgen über ein ausreichendes Arbeitsplatzangebot entstehen.
Da komme ich zu dem Punkt, der hier im Zusammenhang mit sozialdemokratischen Programmen oder Anträgen eine so merkwürdige Rolle gespielt. hat. Wenn sich alle darüber im klaren sind, alle — Grundsatzprogramme der CDU, wirtschaftswissenschaftliche Institute, Sachverständige, Regierungen und andere —, daß neben die Globalpolitik, neben die Konjunkturpolitik ein stärkeres strukturpolitisches Moment treten soll, wie kommen Sie dann dazu, so frage ich mich, Überlegungen in dieser Art so zu diffamieren und herabzusetzen? Ich will gar nicht darüber streiten, ob Herr Kiep das, was hier in der „Frankfurter Allgemeinen" steht, so oder anders gesagt hat.

(Dr. Kohl [CDU/CSU]: Das steht ja nicht drin! Lesen Sie doch mal vor!)

— Ja, das will ich gerne tun. Ich bin Ihnen dankbar für diese Aufforderung. Da heißt es:
In der Bundesrepublik sollte neben den Konjunkturrat ein Strukturrat gesetzt werden,

(Hört! Hört! bei der SPD)

der regelmäßige Berichte über die politische Entwicklung gibt. Diese Ansicht hat der niedersächsische Wirtschaftsminister, Walter Leisler Kiep, in Frankfurt auf der Jahrestagung des Bundesverbandes Junger Unternehmer vertreten. Wie Kiep sagte, wolle er sich im Bundesrat
dafür einsetzen, daß der Auftrag an die Sachverständigen in entsprechender Weise ergänzt
werde. Der Minister forderte außerdem eine bessere Erfolgskontrolle in der Regional- und Strukturpolitik.
— Ich weiß, daß oft die Journalisten schuld sind, wenn — —

(Zuruf von der CDU/CSU)

— Verzeihung, was verstehen Sie unter Strukturpolitik? Zur Strukturpolitik gehört die sektorale und die regionale. Wenn Sie das einmal nachlesen würden, würde das unsere Erörterung manchmal erleichtern. Wenn man schon der Regional- und Strukturpolitik zu Leibe rückt, bleibt doch überhaupt keine andere Wahl, als daß man auch über die Instrumente nachdenkt, mit denen man ihren Problemen sachgerechter begegnen kann.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0804604400
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID0804604500
Herr Kollege Reuschenbach, würden Sie — damit diese unnütze Diskussion jetzt ein Ende findet — zur Kenntnis nehmen, daß Herr Kiep soeben angerufen hat und mitteilen läßt, daß er nichts anderes gefordert habe, als daß sich die Sachverständigen nicht nur mit Konjunkturfragen beschäftigen, sondern künftig auch mit strukturellen Problemen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der regionalen Wirtschaftspolitik, nichts anderes.

(Zurufe von der SPD)


Peter W. Reuschenbach (SPD):
Rede ID: ID0804604600
Ich nehme das gern zur Kenntnis. Ich mache ihm ja auch gar keinen Vorwurf, daß er solche Überlegungen ausgesprochen oder nicht ausgesprochen hat, sondern ich beschäftige mich doch mit der Frage, ob die Befassung von vorhandenen Räten — Finanzplanungsrat, Konjunkturrat, Bund-Länder-Kommission

(Zuruf von der SPD: CDU-Wirtschaftsrat!)

und viele, viele andere Kommissionen und Beratungsgremien — mit strukturpolitischen Fragen — ob sektoralen oder regionalen, ist ganz Wurscht — wirklich ein ausreichender Grund für Sie und Ihre Leute ist, dies als planwirtschaftliches Teufelswerk herabzusetzen. Das ist meine Frage. Ich finde es wirklich als weit über das Ziel hinausgeschossen, Herr Dr. Barzel, wenn Sie die konkrete Überlegung in diesem Antrag des Vorstandes der SPD, daß von Zeit zu Zeit der vorhandene Konjunkturplanungsrat und der vorhandene Finanzplanungsrat zu einer gemeinsamen Sitzung zusammentreten sollten, um sich mit strukturpolitischen Fragen zu befassen, nun zum Anlaß nehmen, solche dramatischen und drastischen Diffamierungen auszusprechen.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage nicht: Von da kommt das Heil. Mir ist die Zahl der Räte zwischen Bund und Ländern und derer, die noch in verschiedenen Ministerien tätig sind, eh schon unheimlich, weil sie in der Tat die Beratungen



Reuschenbach
der Parlamente nicht sonderlich befruchten. Nur, wenn da ein einziger vorgeschlagen wird, der noch nicht in dieser langen Liste steht, ist das nicht das Ende der Jungfernschaft der Marktwirtschaft.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Aber im übrigen müssen Sie sich mal mit Herrn Strauß verständigen. Sie sagen, eine solche Strukturberatung — so oder so ähnlich — sei Staatsomnipotenz. Herr Dr. Strauß hat heute morgen gesagt, das sei Verbandsanarchie. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie prüften, welche von Ihren beiden Versionen von uns künftig ernst genommen werden soll, damit wir uns darauf einrichten. Die Union gebärdet sich gegenüber der Bundesregierung und allen konjunktur-
und wirtschaftspolitischen Entwicklungen so, als handelte es sich hier um eine voll entwickelte Planwirtschaft. Dieser verbale Versuch, die Regierung ständig für alle Sektoren und Vorgänge des wirtschaftlichen Lebens in die Verantwortung zu pressen, wäre dann berechtigt, wenn, wie es ja die Wirklichkeit ist, das wirtschaftliche Geschehen eben nicht überwiegend von den am Markt Beteiligten abhinge. Wer so wie Sie seine Kritik ansetzt, der müßte logischerweise nach mehr Zuständigkeit für den Staat rufen. 'Sie müßten logischerweise nach mehr Instrumenten rufen, wenn Sie sagen: Aber die Ziele, die ihr euch am Anfang des Jahres 1976 und des Jahres 1977 gesetzt habt, habt ihr nicht alle erreicht.
Wissen Sie, die ökonomisch-politischen Ergüsse und Auftritte der Union in den letzten zwei, drei Jahren laufen nach immer gleichen und, ich muß Ihnen ehrlich sagen, langsam Langeweile erzeugenden Schemata ab. Da malt sie zunächst einmal ein Bild von diesem Land, wonach es, dieses Land, angeblich eine Insel des Chaos und des Elends inmitten eines Meeres von Stabilität und Wohlstand sei. Wir haben die beste Position bei der Inflationsbekämpfung, wir haben starke Devisenreserven, eine stabile internationale Zahlungsfähigkeit und die gewissenhafte Erfüllung internationaler finanzieller und ökonomisch-politischer Verpflichtungen, trotz aller Probleme, die wir ja überhaupt nicht leugnen. Es ist ja nicht so, daß wir uns hinstellen und sagen, wir hätten keine Sorgen. Dann könnten wir abtreten. Eine Regierung, die keine Sorgen für die Zukunft hat, hat eigentlich alle ihre Aufgaben erfüllt; die wird es nicht geben. Bei uns ist die soziale Stabilität durch Sicherung des sozialen Netzes gewährleistet. Dieses alles fehlt in Ihrem Weltbild völlig. Da erlebt man die verrückte Lage, daß man sich als deutscher Politiker - Sie erleben das genauso gut wie Freie Demokraten und Sozialdemokraten — bei internationalen Konferenzen manchmal schon für die hervorragende Gesamtlage dieses Landes entschuldigen muß und vielleicht etwas grauer malt, als es in Wirklichkeit ist, um nicht allzu starke Begehrlichkeit zu erwecken. Hier erleben wir, daß die Opposition ein Bild zeichnet, in dem man sein eigenes Land nicht mehr wiedererkennt.
Das zweite ist, daß die Union offensichtlich nicht fähig und bereit ist, über ökonomisch-politische Maßnahmen einen sachgerechten Dialog zu führen. Da kann ja überhaupt nicht immer Einmütigkeit und übereinstimmende Beurteilung herrschen; das gebe
ich zu. Wenn man darüber sachgerecht streiten würde, wäre das schon viel. Aber die Stationen der letzten Jahre zeigen doch — ich glaube nicht, daß das eine übertrieben scharfe Kritik ist —, daß, was immer die Regierung machte, so oder anders, in jener oder dieser Lage, mit diesem oder mit jenem Instrument, die Union mit den unterschiedlichsten Argumenten dagegen war. Als Inflationsbekämpfung sattfand, war das nicht scharf genug. Als Investitionsnachfrage und -förderung stattfand, war das nicht genug. Als Haushaltskonsolidierung stattfand, war das keine radikale Sparmaßnahme. Und wenn nun öffentliche Haushalte und Steuerpolitik flankierend zur Belebung der privaten Aktivitäten eingesetzt werden, kann die Einnahmeverringerung der Union überhaupt nicht groß genug sein. Der Höhepunkt in dieser ganzen Kette war der Juli dieses Jahres, als die Union ihren eigenen Steuervorlagen nicht mehr zugestimmt hat, sondern sie abgelehnt hat, um um des Prinzips willen nein zu dem zu sagen, was die Koalitionsmehrheit möglicherweise machen könnte.
Der dritte Punkt in diesem schon etwas langweiligen Aufzug der letzten Jahre ist der, daß man nach eigenen, nach vorn weisenden Zielen und Programmen der Union vergeblich Ausschau halten muß. Das gilt leider auch für diejenigen, die heute hier gesprochen haben, daß sie nichts Hilfreiches, nichts Neues — wohl Betrachtung der Vergangenheit — geliefert haben. Dabei ist es natürlich nicht leicht, bei all den Unsicherheiten die richtigen und die zweckmäßigsten Maßnahmen und Wege herauszufinden. So bleibt am Ende immer nur der eine Ratschlag an die Regierung, die Regierung möge abtreten, sie möge doch der Union Platz machen, weil dann alles anders würde. Dann hätte mit einem Mal die gesamte Wirtschaft national und international wieder volles Vertrauen in die Politik dieses Landes, die Arbeitnehmer würden jubeln, weil endlich eine vertrauenerweckende und vertrauenswürdige Regierung auf den Bänken hier vorne säße und man dieses Land überhaupt nicht wiedererkennen würde. Das fürchte ich auch. Deshalb wollen wir alles daransetzen, daß weder das stattfindet noch daß Sie überhaupt die Wirtschafts- und Finanzpolitik in diesem Lande bestimmen können. Ihr Wunschdenken, die Koalition möge auf diese oder auf jene Weise bald ihren Platz verlieren, wird ein solches bleiben.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0804604700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Lambsdorff.

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0804604800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es entspricht gutem parlamentarischen Brauch, daß die erste Lesung des Haushalts auch dazu dient, eine allgemeinpolitische Diskussion und Aussprache unter den Fraktionen zu führen. Insofern, Herr Kollege Barzel — auch der Herr Kollege Strauß hat das heute gemacht —, ist das Ansprechen eines breiten Kreises von Themen durchaus richtig. Selbstverständlich ist es erst recht zulässig. Allerdings muß ich sagen:



Dr. Graf Lambsdorff
Wenn Sie die Gesamtsituation der Bundesrepublik so schildern, Herr Barzel, wie Sie es getan haben, dann hat Herr Reuschenbach mit seiner Bemerkung recht: An Hand dieser Schilderungen fällt es einem schwer, das eigene Land wiederzuerkennen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Und da frage ich mich in der Tat: Sind diejenigen, die von Verunsicherung reden, sie beklagen und kritisieren — ich bestreite nicht, .daß es solche Verunsicherung auf der Seite von Arbeitnehmern und Unternehmern in bestimmtem Umfang auch gibt; es wäre töricht, das zu leugnen —, nicht gleichzeitig dabei, in das Feuer, das sie sehen, auch noch Ö1 zu schütten?

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Herr Barzel, wenn Sie davon sprechen, daß in der Bundesrepublik die Führungskraft von Tag zu Tag schwindet, dann muß ich wirklich sagen: Bei jedem Blick in deutsche und ausländische Zeitungen wird als ein Aktivposten dieser Bundesrepublik — auch dieser Bundesregierung — immer wieder die unbestrittene, in letzter Zeit leider an einem traurigen Fall bewiesene und von Ihnen meist auch gar nicht in Zweifel gezogene Führungskraft des Chefs dieser Regierung bestätigt.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Sie sagen: Die Koalition lastet auf diesem Land; das sei der erste Grund für die wirtschaftlichen Probleme. Meine Damen und Herren, muß man da nicht fragen: Lastet diese Koalition wohl auch auf den Vereinigten Staaten, auf Japan, auf unseren europäischen Nachbarn? Denn die haben ja ähnliche, beinahe Bleichgelagerte wirtschaftliche Probleme. Muß einem dabei nicht der Verdacht kommen, es sei ein wenig so, wie es vor den letzten Wahlen der schleswig-holsteinische Kultusminister Professor Braun einmal sehr kühn, wie ich finde, formuliert hat, daß nämlich nach einem Wahlsieg der Union noch in der Nacht vom 3. Oktober die notwendigen Investitionsentscheidungen getroffen würden? Er muß ein guter Kulturpolitiker sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Nein, so einfach und so pauschal, glaube ich, dürfen und können wir es uns nicht machen. Hier bestreitet ja niemand — der Bundeswirtschaftsminister hat dies heute noch einmal vorgetragen —, daß uns die wirtschaftlichen Daten jetzt, im Oktober 1977, nicht befriedigen. Es bestreitet niemand, daß unsere Erwartungen aus dem Frühjahr dieses Jahres nicht in Erfüllung gegangen sind. Es bestreitet niemand, daß Zahlen vorliegen, die uns Sorge bereiten. Aber, Herr Barzel, es ist doch zu einfach und zu pauschal, alle diese Fragen so ganz generell als unbefriedigend zu verurteilen und abzutun. Müssen wir nicht sehen, daß ein großer Teil dieser Zahlen auf dem Hintergrund der Welt, in der wir leben, mit der wir leben und zu leben haben, durchaus auch — ich will nicht sagen: zufriedenstellende Aspekte — achtbare, bemerkenswerte Aspekte bietet?
Der Bundeswirtschaftsminister hat die Exportziffern vorhin genannt. Diese 'Exportziffern liegen unter unseren Erwartungen. Aber wenn Sie sich das im
Vergleich zu der Entwicklung des Welthandels ansehen, so hat die Bundesrepublik Deutschland eben auch in diesem Jahre wieder einen übergroßen Teil aus dem Kuchen des wachsenden Welthandels für sich herausschneiden können.
Der Kollege Strauß meinte, nur der Export habe uns gerettet. Er hat gemeint, wir bezweifelten die Wirkung und den Sinn dieses Exports, wir schätzten ihn nicht hoch genug. Dies ist falsch. Wir haben immer gewußt, wie wesentlich der Außenhandel für die Sicherung der Arbeitsplätze und für die deutsche Wirtschaft ist. Aber wir haben auch gewußt — und das wissen wir auch heute —, wie labil diese Grundlage ist, wie viele Gefahren und wie viele Risiken in einem Lande, in dem beinahe jeder dritte Arbeitsplatz vom Export abhängig ist, mit dieser Abhängigkeit verbunden sind. Wenn die amerikanische Zeitschrift „Newsweek" für die Japaner, die merkwürdigerweise in dieser Hinsicht viel mehr im Licht der Offentlichkeit stehen, obwohl ihr Exportanteil am Sozialprodukt viel niedriger ist als der unsere, die Überschrift „To export or not to be" wählt, das heißt: Exportieren oder Nichtsein, dann gilt dies in sehr viel stärkerem Maße für die Bundesrepublik Deutschland.
Selbst eine Wachstumsrate von 3 % bis 3,5 % ist doch unter den gegebenen Umständen ein vorzeigbares Ergebnis. Ich bestreite überhaupt nicht, daß sie nicht ausreicht, langfristig oder auch nur mittelfristig gesehen, unsere wirtschaftlichen, beschäftigungspolitischen und auch. sozialpolitischen Probleme zu lösen. Aber sie ist unter den gegebenen Umständen vorzeigbar.
Der Kollege Strauß hat heute morgen — und da wird es allerdings in meinen Augen kritisch, wenn nicht höchst bedenklich — seine Bemerkungen zum Thema Wachstum und Vorhersagen mit dem Sprichwort „Lügen haben kurze Beine" eingeleitet. Meine Damen und Herren, ich bin bereit — und mit mir sicherlich auch andere —, jede Kritik, jeden Vorwurf des Irrtums und der Fehlprognose oder Fehleinschätzung hinzunehmen. Aber ich bin nicht bereit, dies unter dem Stichwort „Lüge", also dem Vorwurf, bewußt die Unwahrheit gesagt zu haben, hinzunehmen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Der Präsident der Deutschen Bundesbank hat vor wenigen Tagen in Washington erklärt, nach seiner Auffassung könne auch im Jahre 1977 noch ein Wachstumsziel von 4 % erreicht werden. Muß der sich auch unter das Rubrum dieses Sprichworts einreihen lassen, wenn sich am Ende herausstellen sollte, daß dies nicht eingetreten ist? So kann man diese Diskussion nicht miteinander führen.
In der Stabilitätspolitik wird das angestrebte Ziel erreicht. Ich hielte es für falsch, wenn wir andere wirtschaftliche Prioritäten im Hinblick auf Stabilität und die anderen Ziele, die uns das Stabilitäts-
und Wachstumsgesetz vorgibt, setzen wollten. Ich will ganz deutlich machen, daß es nach meiner Auffassung so ist, daß Stabilität und Vollbeschäftigung einander bedingen und nicht in Konkurrenz zueinander stehen. Herr Strauß, es war eine verdrehte



Dr. Graf Lambsdorff
Darstellung, als Sie ausführten, der Bundeskanzler habe sich in London dem Satze angeschlossen, Inflation beseitige nicht Arbeitslosigkeit. Nein, die Vertretung der Bundesrepublik hat in London durchgesetzt, daß dieser Satz zum ersten Male in ein Dokument aufgenommen wurde.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Wir wissen sehr genau — und darin sind wir in diesem Hause einig —, daß die Wiederherstellung der Vollbeschäftigung das größte Problem ist, auch wenn die deutsche Öffentlichkeit die monatlichen Zahlen offenbar mit etwas mehr Distanz zur Kenntnis nimmt als bisher. Eine kritische Beurteilung und Relativierung auch dieser Zahl ist nicht schädlich.
Allerdings liegen die von Ihnen, Herr Kollege Barzel, geforderten Informationen inzwischen weitgehend vor. Es ist eine erstaunliche Tatsache, daß monatelang nach ihnen gefragt worden ist und Sie nun, als sie gegeben wurden,

(Dr. Barzel [CDU/CSU] : Die Nürnberger haben die Fragen offengelassen!)

— sie haben sie nicht alle offengelassen; aber wir können das gern verifizieren — die Antwort offenbar nicht mehr interessiert. Bei der Antwort ist das Interesse des Fragenden häufig schon versackt.
Gewöhnung an diese Zahlen wäre das Schlimmste, was uns passieren könnte. Es bleiben — darüber muß sich jeder im klaren sein —, auch wenn die Zahl bei kritischer Beurteilung niedriger zu werten wäre, Hunderttausende bitterer Einzelschicksale. Es bleibt unsere dringliche Aufgabe, dieses Thema im Auge zu behalten und für die Wiederherstellung der Vollbeschäftigung zu sorgen.
Letzte Bemerkung zu den Daten: Am Kapitalmarkt haben wir erfreuliche Verhältnisse. Kapitalmarktangebot ist vorhanden, die Zinsen sind so niedrig wie seit, ich glaube, zwölf Jahren nicht mehr. Herr Kollege Strauß, Sie haben noch einmal die Vergangenheit angesprochen und gesagt, wir sollten alles tun, um „stop and go" zu vermeiden. Hoffentlich gelingt es uns; hoffentlich brauchen wir auch in Zukunft nicht hektisch auf unerwartet eintretende Entwicklungen, die wir nicht voll in der Hand haben, zu reagieren. Es ist nicht alles von uns selbst und durch uns selbst machbar. Sie haben unter diesem Stichwort die Zinsentwicklung der Jahre 1968 und 1969 geschildert. Sie sagten: 1968/69 6 °/o, später 15 bis 16 °/o. Dies ist natürlich auch einer der Gründe, warum es zu Zusammenbrüchen in der Wirtschaft gekommen ist, weil jene, die sich langfristig verschuldeten, davon ausgegangen waren, daß es immer bei niedrigen Zinssätzen bleiben könne, und nicht in Rechnung stellten, daß bei einer konsequenten Stabilitätspolitik ein Anstieg des Zinsniveaus — übrigens nicht auf 15 bis 16 °/o —unvermeidbar ist. Wenn Sie wie schon vor vier Jahren davon sprachen, daß der Würgegriff zur Halsmassage erklärt werde, so gebe ich Ihnen heute dieselbe Antwort wie vor vier Jahren: Für uns beide ist das in Ermangelung von Hals kein besonders gefährlicher Zugriff. Da ist das nicht so schlimm.

(Heiterkeit)

Die Pauschaldiagnose unserer Situation ist einfach. Strukturelle Ursachen, die zu den jetzt schwierigen Verhältnissen geführt haben, haben sich durch konjunkturelle Entwicklungen verstärkt. So ist es auch in dem zitierten Brief des Sachverständigenrats wiederholt worden. Wenn die Diagnose auf konjunkturelle und strukturelle Ursachen lautet, muß auch die Therapie lauten, konjunkturell und strukturell den Versuch zu unternehmen, dagegenzuhalten.

(Beifall bei der SPD)

Was ist konjunkturell in der gegenwärtigen Lage zu tun? Ich darf es ganz klar und deutlich machen, damit auch draußen kein Mißverständnis entsteht: Konjunkturell ist das Jahr 1977 gelaufen. Alles, was wir jetzt noch tun, kann sich günstigstenfalls im Jahre 1978 auswirken. 1977 werden wir keinen Einfluß mehr darauf ausüben.
Es ist die Frage gestellt worden — und ich halte die Frage gerade unter dem Hinweis auf „stop and go" durchaus für berechtigt —: sollte man denn vielleicht überhaupt nichts tun? Allerdings ist die Frage mit dem Zusatzargument versehen worden, frühere Programme hätten nichts geholfen. Der bayerische Finanzminister Streibl hat gemeint, 30 Milliarden DM habe man in verschiedenen Konjunkturprogrammen verfeuert, und dadurch sei nichts bewirkt worden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt, richtig!)

Dies, meine Damen und Herren, ist nicht richtig. Sie müssen sich die Kontrollfrage stellen: Was wäre wohl eingetreten, wenn keines dieser Programme durchgeführt worden wäre.

(Dr. Sprung [CDU/CSU]: Das ist der Trick!)

— Das ist gar kein Trick, Herr Sprung. Es ist doch wohl ganz eindeutig, daß ein Ankurbeln der Konjunktur in der Größenordnung von rund 30 Milliarden DM in den letzten Jahren selbstverständlich Wirkung. gezeitigt hat, bzw. man müßte sagen: Wenn dies nicht geschehen wäre, wären die Einbrüche und die Schwierigkeiten sehr viel ernster, als wir sie jetzt vorliegen haben.
Der Sachverständigenrat hat — zum erstenmal übrigens in dem hier zitierten Brief — erklärt, daß nicht nur die Angebotsseite der deutschen Industrie für die Konjunktur entscheidend sei, sondern daß diesmal auch die Nachfrageseite eine Rolle spiele und daß man auch hier eingreifen müsse. Hier stellt sich dann die Frage, ob etwa, wie das ja gefordert worden ist, massive öffentliche Ausgabeprogramme helfen könnten. Ich brauche auf die Erfahrungen mit dem 16-Milliarden-DM-Programm — inzwischen sind sie zum Besseren hin korrigiert worden — nicht noch einmal einzugehen.
Auch das Thema der zahlreichen Baustopps ist bereits einmal erwähnt worden. Ich glaube, daß es an Hand dieser Erfahrungen deutlich geworden ist, daß auf diese Weise — schnell und zügig, wie wir es wollen — wenig zu bewirken sein wird. Es ist auch nicht damit getan — ich finde das jedenfalls nicht fair und nicht korrekt —, daß man nun, wie es einige tun, die Verantwortung dafür ausschließlich



Dr. Graf Lambsdorff
bei den zuständigen Beamten, den Genehmigungsbehörden und ähnlichen sucht. Wir sind es ja, die die Gesetze gemacht haben, die diese Beamten anwenden.

(Dr. Kohl [CDU/CSU]: Aber, Graf Lambsdorff, das müssen Sie Ihrem zukünftigen Regierungschef sagen! — Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Den Landesregierungen!)

— Herr Kohl, ich meine, wir sollten uns gemeinsam überlegen, ob wir uns — da bin ich mit Herrn Barzel einig, ich will es einmal ganz vorsichtig ausdrücken — eine Verschärfung solcher Gesetze leisten könnten. Wenn ich heute lese, über welche neuen Rauchgasentschwefelungsvorschriften diskutiert wird — zum Glück wird darüber bisher nur diskutiert —, so kann ich nur sagen: Eine solche Kohle gibt es in der Bundesrepublik Deutschland nicht, und mit solchen Vorschriften können Sie keine Kohlekraftwerke bauen. Dies halte ich für unerträglich.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einen kurzen Exkurs einfügen. Das Thema „Energiepolitik" ist häufig genug besprochen worden. Ich bin mit denen einig, die der Auffassung sind, daß zu der notwendigen Klärung von Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Handeln auch eine Klärung der Energiepolitik gehört. Ich wiederhole, was ich an dieser Stelle schon vor etwa einem Jahr oder kurz nach den Wahlen gesagt habe: Wir alle hätten diese Diskussion vor zwei Jahren führen müssen. Damit haben auch wir uns einiger Versäumnisse schuldig gemacht.
Ich bin der Meinung, daß in der Frage der Nutzung von Kernenergie, die ich für unerläßlich halte, ein ausgewogener Kompromiß möglich sein muß. Ich halte sie für unerläßlich, bin aber bereit, über die Frage zu diskutieren, in welchem Umfang und in welchem Zeitraum sie nötig und möglich ist. Die Grundsatzfrage muß aber mit dem Hinweis darauf beantwortet werden, daß das primärenenergieärmste Land der Welt nach Japan ohne die Option auf diese Energieart nicht operieren kann.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ein solcher ausgewogener Kompromiß sollte sich am Schutz der Bevölkerung vor unzumutbaren Umweltgefährdungen, am voraussichtlichen Energiebedarf — trotz aller Schwierigkeiten, die eine solche Voraussetzung mit 'sich bringt —, an der Minderung der Importabhängigkeit bei den Primärenergien, an der Aufrechterhaltung der technischen Fortentwicklung und der Kontinuität in diesem Bereich sowie an der Sicherung der Exportmöglichkeiten orientieren.
Herr Kollege Barzel, Sie haben in diesem Zusammenhang vorhin formuliert: Wer keine Energiepolitik hat, ist nicht regierungsfähig. In der heutigen „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" finden Sie einen ausführlichen Aufsatz mit der Überschrift „Die CDU will in der Energiediskussion aufholen — Orientierung in Hannover für ein verspätetes Programm". Sie haben gerade in puncto Energiepolitik einiges aufzuarbeiten, denn mit dem Kraftspruch, eine solche Politik müsse her, ist es allein ja wohl nicht getan.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Im übrigen glaube ich, daß die Formulierung „Wer keine Energiepolitik hat, ist nicht regierungsfähig" eine Quintessenz aus Ihrer langandauernden und verdienstvollen politischen Erfahrung sein muß. Das erste Energieprogramm, das es je in der Bundesrepublik gegeben hat, hat die sozialliberale Koalition erarbeitet. Sie haben nie eines gehabt.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Wir werden die Fortschreibung dieses Energieprogramms rechtzeitig, d. h. zu dem Zeitpunkt, den der Herr Kollege Reuschenbach angedeutet und den vor allem auch der Herr Bundeswirtschaftsminister genannt hat, nämlich nach der Vorlage des Gutachtens der Reaktorsicherheitskommission, vorlegen. Wir werden miteinander über diese Fortschreibung diskutieren. Vielleicht haben Sie Gelegenheit, bis dahin auch Ihre eigenen Positionen zu klären. Interessanterweise soll ja Ihr nächster Kongreß über dieses Thema in Hannover stattfinden. Das bietet sich an.
Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt ausdrücklich — meine Fraktion möchte nicht, daß dies aus der Diskussion verschwindet, übersehen oder gar vergessen wird — das Energiesparprogramm, das die Bundesregierung jetzt vorgelegt hat. Wir halten es für einen wesentlichen Teil einer konsequenten und vorausschauenden Energiepolitik.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir wünschen uns allerdings sehr, daß die Bundesländer ihren Anteil an der Finanzierung eines solchen Programms zusagen und zur Verfügung stellen, denn ohne die Mitwirkung der Bundesländer ist ein solches Programm nicht durchzuführen.
Bei der Frage, ob die öffentlichen Aufträge und deren Vergabe uns konjunkturell helfen können, stehen wir vor der Erkenntnis, daß wir am Ende dieses Jahres vermutlich Haushaltsreste der öffentlichen Hände in Höhe von 10 Milliarden DM — vor allem im Bausektor — haben werden. Ich behaupte, daß die unfreiwillige Sparquote der öffentlichen Hände höher ist als die freiwillige Sparquote der Privaten. Diese Entwicklung, die wir jetzt feststellen, ist durch das verschärft worden, was man die Überkonsolidierung im Jahre 1977 nennt. Einige Kommentatoren haben dies einen Skandal genannt. Es stellt sich für uns die Frage — der Herr Bundeswirtschaftsminister hat heute darauf abgehoben —, ob dies zu ändern sei.
Meine Damen und Herren, ich möchte nicht gar so weit gehen, wie das Herr Dr. Friderichs getan hat, aber ich stimme ihm in der Grundtendenz zu: Wir wählen uns, die Bevölkerung wählt sich sparsame Gemeindeväter, sparsame Vertreter in den Kreistagen und insbesondere auf der kommunalen Ebene, und denen wird auch in Zukunft nicht klarzumachen sein, daß man sich in dem Sinne antizyklisch verhalten soll, daß kein Geld in der Kasse ist und man dennoch mehr ausgeben soll. Dies werden Sie nicht hineinbekommen, und ich denke, daß sich die Konjunkturpolitik unter diesen Umständen darauf ein-



Dr. Graf Lambsdorff
stellen muß, daß eine antizyklische Fiskalpolitik auf der Ebene der Kommunen — abgeschwächt gilt das für die Länder — nicht möglich sein wird.

(Zuruf von der CDU/CSU: Was sagen Sie dann zum Bund, zum Vorschlag von Herrn Friderichs?)

— Wenn Sie sich ansehen, was der Bund auf der Seite der öffentlichen Hände an Ausgaben — abgesehen von den Sondervermögen — tätigen kann, so spielt das keine entscheidende Rolle im Verhältnis zu dem, was insbesondere auf dem Sektor des Hochbaus bei Ländern und Gemeinden notwendig und ihnen möglich wäre.

(Zuruf von der CDU/CSU: Also stimmen Sie mit Herrn Friderichs überein?)

— Ich habe das ja eben ausführlich darzulegen versucht; ich darf es Ihnen zum Nachlesen noch einmal zur Verfügung stellen.
Meine Damen und Herren, wir haben heute morgen von Herrn Strauß gehört, daß die Kreditaufnahme der Gemeinden — darauf hat der Herr Bundeskanzler hingewiesen — durch die Länder begrenzt worden sei und daß der Bundeskanzler gemeint habe, man müsse dies ändern. Herr Strauß meint, so rede kein sorgsamer Hausvater, und dies sei ein Appell an Liederlichkeit. Dies glaube ich nicht. Im Sinne antizyklischer Fiskalpolitik ist dies durchaus eine richtige und vernünftige Position; ob sie in dem Sinne längerfristig durchführbar wird, daß wir uns zur Steuerung der Konjunktur darauf verlassen und sie wirklich voll einbeziehen können, ist allerdings mit einem Fragezeichen zu versehen.
Wenn aber die Ausgabentätigkeit des Staates nicht ausreichend hilft, so sind wir mit der Steuerentlastung auf dem richtigen Pfade. Meine Damen und Herren, ich will keine Diskussion darüber anfangen — das kann ja morgen bei der Beratung der Steuergesetze geschehen —, ob nun Stabilitäts- und Wachstumsgesetz oder Steuerpaket. Ich will nur zwei Dinge aus konjunkturpolitischer Sicht deutlich machen: Wenn es um Konjunkturpolitik geht, geht es nicht um Verteilungspolitik. Wenn es um Konjunkturpolitik geht, geht es auch nicht um Steuertechnik. Ich weiß, daß dies alles berücksichtigt werden soll, aber wenn wir Konjunkturpolitik machen wollen und machen müssen, müssen die konjunkturpolitischen Elemente und Überlegungen im Vordergrund stehen. Ich finde, daß sowohl bei der ersten Lesung der Gesetze in diesem Hause wie auch beim ersten Durchgang in der Sondersitzung des Bundesrates die konjunkturpolitischen Erwägungen zu kurz gekommen sind.
Es wäre gut, wenn wir über diese Gesetze schnell entscheiden könnten. Ich habe keinen Zweifel daran, daß die Debatte in der Sommerpause konjunkturpolitisch — um das Mindeste zu sagen — nicht nützlich war. Und ich sage, abermals aus konjunkturpolitischer Sicht — ich weiß, daß der Haushaltsminister dies anders sehen muß oder mindestens anders sehen kann —, daß mir ein größeres Volumen als Ergebnis der jetzt beratenen Maßnahmen wünschenswert erschiene.
Es muß allerdings auf eines hingewiesen werden: Ohne eine verantwortliche Haltung der Tarifpartner werden wir die wünschenswerten Ergebnisse nicht erzielen.

(Zustimmung bei der FDP)

Der Vorsitzende meiner Fraktion hat dazu vor einigen Tagen in einem Zeitungsaufsatz gesagt: Eine unüberlegte Lohnpolitik kann leicht dazu führen, daß neue Investitionen unterlassen, sprich: keine neuen Arbeitsplätze geschaffen und alte nicht gesichert werden. — Ich möchte hinzufügen: Der Staat ist nicht in der Lage, etwaiges Fehlverhalten der Tarifpartner durch eigene Eingriffe zu korrigieren. Er kann es nicht, er sollte es auch nicht. Es kann nicht seine Aufgabe sein, Entscheidungen der autonomen Gruppen anschließend zu korrigieren oder korrigieren zu müssen; selbst wenn es seine Aufgabe wäre, hätte er nicht die Möglichkeiten dazu.
Die Tarifpartner können zur Wiedererreichung der Vollbeschäftigung erheblich beitragen. Ich darf in diesem Zusammenhang ein Zitat aus einer Erklärung des Bundeskanzlers wiedergeben, in dem, wie ich finde, die Positionen, die für die konjunkturpolitischen Entscheidungen weichenstellend sind, kurz und knapp zusammengefaßt und angesprochen worden sind. Es heißt da:
Wenn heute von der Opposition bis hin zu den Gewerkschaften, bis hin zu den Unternehmern manche Leute aufstehen und sagen, der Staat soll gefälligst für Vollbeschäftigung sorgen, dann ist das Unsinn. Er kann nur beitragen. Verantwortlich handeln müssen auch die autonomen Tarifparteien, verantwortlich handeln müssen die Unternehmungen, was ihre Investitions- und Preispolitik angeht, verantwortlich handeln müssen die öffentlichen Hänide, verantwortlich handeln muß auch das Ausland, was die Handelspolitik angeht.
Dem ist aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen.
Ich will nur zu der letzten Bemerkung im Hinblick auf das Ausland einige erläuternde und ergänzende Bemerkungen machen. Wir sehen in unseren Handelsbeziehungen eine gefährliche, ja, ich möchte sagen: für die Bundesrepublik Deutschland lebensgefährliche Welle des Protektionismus auf uns zurollen. Ich habe vor längerer Zeit an dieser Stelle die Europäische Gemeinschaft, den Gemeinsamen Markt auch deswegen gelobt, weil sie es verstanden hat, in der sich entwickelnden Rezession protektionistische Tendenzen nicht aufkommen zu lassen. Ich halte das heute noch für ein wesentliches Ergebnis des Gemeinsamen Marktes. Aber bleibt das so?
Wir wissen, daß mancher von uns Vorbehalte gegen europäische Agrarpolitik hat. Wir stehen zu dieser europäischen Agrarpolitik und begrüßen die erfolgreichen Bemühungen unseres Kollegen Ertl, darin so viele marktwirtschaftliche Elemente wie nur eben möglich — ich weiß, welche Einschränkung das bedeutet; wir brauchen darüber nicht zu diskutieren — einzubringen.



Dr. Graf Lambsdorff
Aber ein wesentlicher Gegenposten für diese Politik ist doch wohl immer der offene Gemeinsame Markt für die Erzeugnisse auch der deutschen Industrie und der deutschen Wirtschaft gewesen. Das darf nicht in Frage gestellt werden; wir leben davon.
Im übrigen ist es nicht nur die vom Bundeskanzler in dem wiedergegebenen Zitat erwähnte Handelspolitik, die Protektionismus hervorbringt. Protektionisten sind viel erfindungsreicher. Es geht nicht nur um Quoten, Importbeschränkung oder Selbstbeschränkung. Wenn Sie sich allein das Gebiet der Währungskurse, der Währungsrelationen ansehen: Was in unseren Beziehungen zu den beiden großen Handels- und Wirtschaftsnationen, mit denen wir es auf der Welt zu tun haben, in den letzten zwölf Monaten auf dem Währungsgebiet geschehen ist, sowohl in Beziehung zum japanischen Yen wie zum US-Dollar, zeigt, daß gefährliche Möglichkeiten gegeben sind. Die verstoßen gegen die Statuten des IMF. Darauf könnten wir gelegentlich einmal hinweisen. Es überschreitet wohl nicht unsere Möglichkeiten, unsere Freunde bisweilen daran zu erinnern. Auf jeden Fall müssen wir aufpassen und bezüglich der Gefahren vorsichtig sein, die von dieser Seite kommen.
Ein weiteres protektionistisches Element neuer Prägung — jedenfalls in dieser Ausdeutung und Wirkung neuer Prägung — ist die offene oder verdeckte Subvention aus der Staatskasse, die in einigen Ländern gezahlt wird. Wer sich die Entwicklung der deutschen Stahlindustrie und Textilfaserindustrie ansieht, muß zur Kenntnis nehmen, daß eine auf privates Risiko gegründete Wirtschaft gegen eine solche Form der Subventionierung aus den Staatskassen, die Übernahme der Verluste zu Lasten der Staatskassen, auf die Dauer nicht ankommen kann.

(Beifall bei der FDP)

Die Bundesregierung hat zu den konjunkturellen Maßnahmen gleichzeitig strukturelle Maßnahmen vorgeschlagen. Für die Freie Demokratische Partei und ihre Fraktion möchte ich in allererster Linie das Programm der Bundesregierung für Innovation und Forschungsförderung mit allem Nachdruck unterstützen. Wir teilen die Meinung des Sachverständigenrates: Neue Produkte, die sich neue Märkte schaffen, kommen keineswegs nur aus den großen Unternehmen, sie kommen auch aus kleinen und mittleren Unternehmen. Die Wirtschaftsgeschichte beweist das. Deshalb wäre eine Erweiterung der vorgesehenen Maßnahmen nach Ansicht der FDP wünschenswert. Darf ich dabei nur einige Punkte erwähnen: Wir sollten überlegen, ob wir die Personalkosten trotz entgegenstehender Bedenken — ich kenne sie — nicht doch in die Begünstigung einbeziehen können. Die Auftragsforschung und die externe Forschung und Entwicklung sollten in die Begünstigung aufgenommen werden. Eine Erhöhung des Mittelansatzes für die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsgemeinschaften wäre wichtig, ferner die Erhöhung des Mittelansatzes für Erstinnovationsprogramme, nicht zuletzt der Abbau bürokratischen Aufwandes und schließlich der Ausbau
der Beratung durch die Selbstverwaltungsorganisationen.
Ich darf noch einmal sagen: Gerade Forschung und Forschungsförderung, Verbesserung oder Wiederherstellung der Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft scheinen mir nach wie vor ein Schlüssel dafür zu sein, daß wir neue Produkte mit neuen Märkten und damit eine konjunkturelle Belebung erreichen können.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Die FDP-Fraktion hat einen umfangreichen Katalog an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen vorgelegt. Wie begrüßen es, daß die Bundesregierung einige dieser Anregungen übernommen hat. Auch hier nur stichwortartig: Förderung der beruflichen und regionalen Mobilität, Abbau von Hemmnissen, die einer Arbeitsaufnahme nach Arbeitslosigkeit entgegenstehen. Herabsetzung der Altersgrenze in der Rentenversicherung für Problemgruppen, personeller Ausbau der Arbeitsvermittlung, Teilzeitarbeitsplätze im öffentlichen Dienst, Maßnahmen der beruflichen Bildung, verstärkte Bekämpfung der Schwarzarbeit. Auch diese arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zielen in die richtige Richtung.
Hier hat es in diesem Sommer eine über den aktuellen Anlaß hinausgreifende interessante Diskussion gegeben. In allen drei im Bundestag vertretenen Parteien sind Stimmen vorhanden gewesen, die sich unter das Stichwort fassen lassen, die vorhandene Arbeit sollte besser verteilt werden. Ich möchte dazu drei Beurteilungen zitieren. Der SPD-Vorsitzende Brandt im „stern" — sinngemäß —: Dies halte ich für Resignation, es tötet Elan und Phantasie. Karl Schiller: Dies ist Kapitulation und nicht marktwirtschaftlich. Franz Josef Strauß: Sozialdemokratisch! Dieses Verdikt „sozialdemokratisch" hat offensichtlich die Diskussion über diese Frage in der CDU beendet. So einfach geht das. Herr Strauß, da muß ich Ihnen sagen: Da bin ich doch lieber Mitglied eines Sauhaufens, in dem diskutiert wird, in dem wir allerdings einen Oberhirten nicht brauchen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Anstatt das Thema, wie wir das in der FDP getan haben, auszudiskutieren, das Für und Wider zu erwägen, haben Sie zwischen CDU und CSU im Sommer sich damit aufgehalten, eine moderne Version des Märchens von Schneewittchen aufzuführen.

(Dr. Sprung [CDU/CSU] : Was ist das?)

— Das war der bekannte Vers aus Schneewittchen: „Spieglein, Spieglein, an der Wand, wer ist der Schönste im ganzen Land?" „Ernst und Helmut, ihr seid die schönsten hier, aber Franz Josef hinter den Bergen bei den sieben Zwergen ist noch tausendmal schöner als ihr."

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der SPD — Lachen bei der CDU/CSU)

Das sind die Gebrüder Grimm in der Fassung von Gerold Tandler.

(Heiterkeit und Zurufe)




Dr. Graf Lambsdorff
Wir sind sicher und wir scheuen auch nicht davor zurück, daß wir uns weiter der Frage zu stellen haben, ob die Marktwirtschaft mit den Problemen unserer Tage fertig wird. Ich will keinen Zweifel lassen: Auch in meiner eigenen Partei gibt es Stirnmen und Ansichten, die mit meinen Vorstellungen von Marktwirtschaft und marktwirtschaftlichem Funktionieren nicht vereinbar sind. Wir werden dies ausdiskutieren, und wir werden klar und sauber entscheiden. Nach dieser Entscheidung werden wir Sie davon unterrichten, was herausgekommen ist. Ich bin da ganz zuversichtlich. Aber diese Art und diese Bereitschaft, zu diskutieren und miteinander zu streiten, gibt uns auch die Legitimation, an die Adresse anderer deutlich einiges zu sagen.
Ich lasse mal die Strukturräte beiseite. Sie sind
— gerade in der heutigen Diskussion wurde das sichtbar — ein Musterbeispiel dafür, wie man auf einen Karton ein Etikett kleben und völlig Unterschiedliches hineinpacken kann. So einfach kann man sich dies nicht machen. Das erfordert eine differenzierte Diskussion, von den Vorschlägen Ihres Parteivorstandes über das Prognos-Gutachten bis zu den Vorstellungen des Herrn Kiep. Ich bin dafür, daß der Sachverständigenrat, wie er dies ja in etwas längeren Abständen als vielleicht notwendig schon tut, auch zu strukturpolitischen Entwicklungen in der Bundesrepublik Stellung nimmt. Über weiteres sollte man sich unterhalten. Aber wir sagen: Investitionsmeldestellen und Aktivmindestreserve sind keine marktwirtschaftlichen Instrumente, weil sie das auf dezentrale Entscheidungen der Wirtschaftssubjekte aufgebaute System unterhöhlen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Ich sage ebenso offen: Ich habe trotz eifrigen Nachlesens — gewissermaßen zur Vorbereitung — in keinem Regierungsprogramm und in keiner Koalitionsvereinbarung finden können, daß dies vereinbarter Inhalt sozialliberaler Wirtschaftspolitik sei; also: Wiedervorlage frühestens 1980.

(Dr. Kohl [CDU/CSU] : Dieses Zitat sollten Sie sich über Ihren zukünftigen Schreibtisch stellen!)

— Herr Kollege Kohl, ich werde Sie zu gegebener Zeit einladen und Ihnen zeigen, was über und auf meinem Schreibtisch steht.
Eines möchte ich sehr deutlich sagen. Die Forderung nach Investitionsmeldestellen der privaten Wirtschaft — dies ist eine rein pragmatische Erwägung — bleibt für mich so lange absurd, wie es uns nicht einmal gelingt, die Investitionen der öffentlichen Hände im vorhinein zu erfahren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Jahr 1977 ist in meinen Augen ein Lehrbuchbeispiel dafür, wie das nicht funktioniert. Allerdings braucht sich die CDU/CSU, Herr Kohl, was diese Äußerung anbetrifft, keineswegs in die Brust zu werfen.

(Zurufe von der CDU/CSU)

— Ich kenne das schon; immer: „Gucken Sie darüber!" und: „Sagen Sie das anderen!" Das kenne ich alles.
Ich habe mir die Mühe gemacht, die Ausführungen der Grundsatzprogrammkommission der CDU nachzulesen. Da wird genauso wie an anderen Stellen — ich halte dies für bedenklich, weil es eine Selbstkritik an der Wachstumspolitik der Vergangenheit, an der wir alle mitgetragen haben, enthält — zwischen qualitativem und quantitativem Wachsturn zu undifferenziert unterschieden. Da wird eine Ausweitung des Aufgabenbereichs der Konzertierten Aktion vorgeschlagen, die exakt, Herr Kollege Kohl, beim Vorschlag der Strukturräte der gesellschaftlichen Gruppen landet.

(Hört! Hört! bei der SPD)

Verbal wird der Investitionslenkung abgesagt, aber die Ausführungen zur Strukturpolitik gehen ziemlich haargenau in diese Richtung.
Dies war nicht nur meine eigene Erkenntnis, Herr Kohl. Ich habe am 23. Juni an dieser Stelle den Kollegen Professor Biedenkopf aufgefordert, er möge doch seine ordnungspolitischen Ermahnungen, die er so eindrucksvoll zur Regierungserklärung vorgetragen hat, an die eigene Partei richten. Ich bin verwundert, aber, wie ich zugebe: dankbar verwundert, wie schnell er dieser Aufforderung nachgekommen ist. Er hat eine hochinteressante Rede beim CDU-Grundsatzforum in Berlin gehalten. Ich zitiere:
Die Freiheit wird damit von dem Ziel und der obersten Priorität der Wirtschaftsverfassung zum Mittel der Wirtschaftspolitik.
Frage an Herrn Biedenkopf, der das immer behauptet hat: Ist die CDU immer noch die wahre liberale Partei?
Ein weiteres Zitat, das der Herr Bundeswirtschaftsminister, wie ich glaube, schon gebracht hat:
Die Nähe zu denjenigen, die aus den gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Schwierigkeiten die Forderung nach Systemveränderung ableiten und etwa die Ablösung der Sozialen Marktwirtschaft fordern, ist unübersehbar.

(Hört! Hört! bei der SPD)

Frage an Herrn Biedenkopf: Immer noch „Freiheit oder Sozialismus"
Schließlich ein drittes Zitat von Herrn Biedenkopf: Ich habe den Eindruck, daß der Entwurf
— nämlich der der Grundsatzkommission —
diese Mehrdeutigkeiten bewußt in Kauf nimmt, um mehrheitsfähig zu bleiben und der Partei die Auseinandersetzungen zu ersparen, die mit einer Neuorientierung der Prioritäten und ihrer Umsetzung in praktische Politik verbunden sind.
Haben Sie, Herr Strauß, das heute morgen nicht als Wieselwort bezeichnet? Dies ist genau der entscheidende Punkt.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ich sage dies nicht; um hier dem einen etwas auszuwischen und von sich selbst abzulenken, sondern weil wir in allen drei politischen Parteien ange-



Dr. Graf Lambsdorff
sichts der Schwierigkeiten, die aufgetreten sind, diese ordnungspolitische Grundsatzdiskussion zu führen haben. Wir sollten uns die Zeit nicht damit vertreiben, auf andere mit dem Finger zu zeigen, wobei bekanntlich immer drei Finger auf einen selbst zurück zeigen, sondern versuchen, im eigenen Lager Ordnung zu schaffen. Es gibt dazu — Sie wissen das, Herr Kohl — eine ganze Menge kritischer Kommentare. Ich habe mit großem Interesse die gesellschaftspolitischen Kommentare des Arbeitskreises Freiheit — eines Unternehmens, das nicht gerade den Koalitionsparteien nahesteht — zu dieser Auseinandersetzung gelesen und studiert. Wir sind voller Spannung, was das Ergebnis dieser grundsätzlichen wirtschaftspolitischen Diskussion wohl bei Ihnen werden wird.
Meine Meinung dazu ist folgende: Wer an der Aufrechterhaltung der Sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik interessiert ist, der muß Ernst Günter Vetter von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zustimmen; ebenfalls unverdächtig, ein besonderer Freund der Koalitionsparteien zu sein, unverdächtig auch, was die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" anlangt. Ich zitiere aus der FAZ vom 12. Juli 1977:
Friderichs im Verein mit einem grimmig zur Marktwirtschaft entschlossenen Bundeskanzler und einem auf gleicher Wellenlänge sendenden Finanzminister Apel ist in der Auseinandersetzung über die Wirtschaftspolitik unseres Landes eine nur schwer zu nehmende Hürde für die ökonomisch nicht abgeklärte Opposition. Immer häufiger ist selbst in Kreisen der Wirtschaft zu hören, daß man angesichts der wirtschaftspolitisch führungslosen Unionsparteien über die Konstellation Schmidt/Friderichs nicht gerade in Verzweiflung ausbrechen müsse.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Es tut uns, gerade der FDP-Fraktion — das werden Sie verstehen —, leid, daß Hans Friderichs diese Kombination verläßt. Aber in der Substanz wird sich dadurch nichts ändern. Herr Barzel, wenn Sie meinen, dies sei ein politisches Signal, dann müßten Sie freundlicherweise — ich bedanke mich für Ihren Willkommensgruß — auch zur Kenntnis nehmen — ich will mich nicht überschätzen —, daß wir auch die Nachfolge als politisches Signal sehen. Und dieses Signal bedeutet: Fortsetzung.
Wenn Sie von der Quadratur des Zirkels sprechen, die mir als Aufgabe gestellt sei, will ich überhaupt nicht bestreiten, daß das die Aufgabe jedes Politikers in jedweder Koalition ist. Rührt Ihre immer wieder geäußerte — ich begrüße das — Sympathie für den Bundeskanzler Helmut Schmidt nicht auch daher, daß Sie mit ihm gemeinsam in der Großen Koalition Tag für Tag versucht haben, die Quadratur des Zirkels zu bewältigen?

(Löffler [SPD] : Sehr gut!) Dies wird auch in Zukunft so sein.

Gestern abend hat in einem privaten Kreis der Herr Kollege Porzner zu mir gesagt: Sie kriegen keine hundert Tage Schonzeit; Sie brauchen sie
auch nicht. — Das ist richtig. Ich verantworte die Wirtschaftspolitik der vergangenen fünf Jahre, die ich von der Fraktion her mitgetragen habe, mit. Deswegen braucht es keine Schonzeit zu geben. Der Anschluß wird nahtlos erfolgen.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Barzel [CDU/CSU]: Okay!)

Sie werden verstehen, daß ich mit einem einzigen Satz — mehr Zeit möchte ich der Plenardebatte dafür nicht nehmen — dem aus seinem Amt scheidenden Bundeswirtschaftsminister für die faire, sachliche und häufig genug von intellektueller Brillanz gekennzeichnete Zusammenarbeit in den vergangenen fünf Jahren herzlich danke.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Für uns, die Liberalen, ist die Soziale Marktwirtschaft mehr als ein Kasten mit Instrumenten zum Drehen von Schrauben und Schräubchen. Sie ist ein wirtschafts- und gesellschaftspolitisches Ordnungssystem. Diese auf Freiheit gegründete und der Freiheit verpflichtete Wirtschaftsordnung verpflichtet wiederum uns, uns um eine Gesamtschau unserer Entscheidungen tagtäglich bei jeder zu treffenden Entscheidung zu bemühen. Hier — Herr Barzel, da gehe ich mit Ihnen einig — ist das eine oder andere bei der Vielzahl von Gesetzen übersehen worden. Wir werden das zu überprüfen haben. Diese Wirtschaftsordnung verpflichtet uns, wenigstens zu versuchen, über den Tag und Wahlperioden hinauszudenken. Dies ist gemeint, wenn wir von Verstetigung der Wirtschaftspolitik und der Politik schlechthin sprechen.
Sie verpflichtet uns zuallererst, unseren Mitbürgern den Freiheitsraum zu erhalten, den sie sich erarbeitet haben, und zwar alle im Land: Arbeitnehmer, Unternehmer, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft.
Unsere Erfolge — wir sahen es in diesen letzten Jahren — sind nicht ungefährdet. Es lohnt sich, so meine ich, für sie zu streiten — nicht für uns, aber für die Menschen in unserm Land.
Für diese Politik der sozialliberalen Koalition stand die FDP-Fraktion, steht die FDP-Fraktion und wird sie auch in Zukunft stehen. — Ich bedanke mich.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0804604900
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0804605000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, ich bin es einigen Rednern, die zu speziellen Themen des Bundeshaushalts 1978 gesprochen haben, schuldig, ihnen nicht erst morgen, sondern hier und heute Antwort zu geben. Ich möchte gerne in einem zweiten Teil als Mitglied des Bundesvorstands unserer Partei und als Vorsitzender der Kommission, die diesen Leitantrag, von dem Sie, Herr Kollege Dr. Barzel, gesprochen haben, einstimmig beschlossen hat, etwas sagen.



Bundesminister Dr. Apel
Bevor ich aber dazu komme, einige Anmerkungen zur Debatte hier. Ich bin eigentlich in allen Punkten der Meinung des Sprechers der FDP-Fraktion zum Bundeshaushalt 1978, des Kollegen Hoppe. Ich kann nur sagen, dies gibt in etwa das wieder, von dem auch ich denke, daß es uns bewegt, z. B. daß das Haushaltsstrukturgesetz, auch wenn diese Berner-kung von mir schon einmal von einer Zeitung als blauäugig bezeichnet wurde, eine Voraussetzung dafür ist, daß wir heute und jetzt in diesem Jahre, vielleicht auch noch 1979, eine expansive Haushaltspolitik machen können. Es ist ja nicht so, wie der Abgeordnete Dr. Strauß gesagt hat, daß die hohe, Nettokreditaufnahme dieses Jahres und auch der vergangenen Jahre Konsequenz einer liederlichen Haushaltspolitik während der Hochkonjunktur war. Ganz im Gegenteil, wir haben — Herr Kollege Dr. Strauß, das wissen Sie so genau wie ich — damals bis zu 10 Milliarden DM Steuereinnahmen bei Bund und Ländern stillgelegt, um die Konjunktur inklusive 1973 zu dämpfen und nicht alle öffentliche Ausgaben zu tätigen, die wir dann im Laufe der weltweiten Strukturkrise und der Notwendigkeit, sie zu bekämpfen, für die Konjunkturprogramme eingesetzt haben. Ich meine also, diese Haushaltsdefizite sind notwendig, ebensosehr wie es notwendig ist, Augenmaß zu haben und nicht beliebig Haushaltsansätze aufeinanderzustocken, sondern den Rücken freizubekommen für eine spätere günstigere konjunkturelle Phase, wobei dann allerdings das Ziel der Haushaltskonsolidierung sehr viel stärker wieder in den Mittelpunkt unserer Betrachtungen gerückt werden muß. Nur — Herr Kollege Lambsdorff, auch hier treffe ich mich durchaus mit Ihnen —; in der jetzigen Phase — für 1977 ist in der Tat der konjunkturelle Zug abgefahren, so oder so — können wir die Nettokreditaufnahme aller Gebietskörperschaften nicht aus unseren eigenen freien Stücken begrenzen, sondern hier müssen wir erstens an die konjunkturellen Wirkungen in unserem Lande und zweitens an die psychologischen Wirkungen weltweit denken.
Ich habe gestern versucht, eine Gefahr sichtbar zu machen, die ich immer noch spüre, nämlich die, daß andere, wenn wir nicht genügend Zeichen für eine expansive Konjunkturpolitik in unserem Lande setzen, dies benutzen könnten, um ihren Protektionismus mit unseren Versäumnissen zu rechtfertigen. Dies darf allerdings in keinem Falle eintreten.
Ich meine also deshalb, daß die Politik stimmt. Wenn das Steuerpaket in einer etwas anderen Form für alle Gebietskörperschaften etwas teurer wird, dann ist dies konjunkturpolitisch kein Unglück. Aber wir müssen hier Augenmaß haben.
Damit komme ich zu einem ersten Punkt, zu dem der Herr Kollege Dr. Strauß Bemerkungen gemacht hat. Wir müssen sehr darauf achten, daß wir nicht die anderen Gebietskörperschaften, hier insbesondere die Gemeinden, über zu starke Einnahmeverzichte, sprich: Steuerentlastungen in die Lage versetzen, dann prozyklisch handeln zu müssen, d. h. in der Tat nicht mehr Ausgaben und Investitionen tätigen zu können.
Nun sieht es in der Tat bei den Gemeinden zur Zeit nicht gut aus. Ich habe hier die letzten Zahlen
vor mir liegen. Die Ausgaben der Gemeinden sind im ersten Halbjahr 1977 gegenüber dem ersten Halbjahr 1976 um gerade eben 2,2 % gestiegen. Im gleichen Zeitraum sind die Steuereinnahmen der Gemeinden um 14,6 % gestiegen. Das hat dazu geführt, daß die Gemeinden insgesamt nur 1,5 Milliarden DM Nettokreditaufnahme getätigt haben. Da wird deutlich, daß hier manches an Reserve und an Möglichkeiten gegeben ist. Ich muß allerdings, Herr Kollege Waffenschmidt, fairerweise hinzufügen, daß wir in dem gleichen Zeitraum bei einer Reihe von Bundesländern zu verzeichnen haben, daß die Zuweisungen der Länder an die Gemeinden in einem hohen Maße gekürzt worden sind, so daß die Gemeinden in einem gewissen Sinne eben doch nur Einnahmesteigerungen von 3,3 % hatten. Dies erklärt dann eben, weswegen hier ein gewisses Verhalten vorhanden ist.

(Dr. Kohl [CDU/CSU] : Aber, Herr Apel, die Länderhaushalte sind doch ebenfalls in einem jämmerlichen Zustand, wie Sie wissen, in diesem konkreten Fall, den Sie angesprochen haben!)

— Herr Kollege Dr. Kohl, ich will Ihnen gerne noch einmal die Zahlen, die ich Ihnen gestern vorgeführt habe, in Erinnerung rufen.

(Dr. Kohl [CDU/CSU] : Ich habe sie doch!)

Der Bund muß im nächsten Jahr 15 % seiner Ausgaben über Nettokreditaufnahme finanzieren, die Länder 7,5 %

(Dr. Kohl [CDU/CSU] : Sie müssen doch die Vergangenheit hinzunehmen!)

— das habe ich gestern auch dargestellt — und die Gemeinden 4,5 %. Wir meinen also, hier sind Möglichkeiten gegeben.
In jedem Fall stimmt eines nicht, Herr Kollege Dr. Strauß: daß es diese sozialliberale Koalition war, die die Gemeindefinanzen in Schwierigkeiten gebracht hat. Genau das Umgekehrte ist richtig.

(Beifall bei der SPD)

Die Gemeindefinanzreform von 1969, noch am Ende der Großen Koalition beschlossen und 1970 in Kraft getreten, hat doch bis heute in der Tat den Anteil der Gemeinden am Steueraufkommen beträchtlich angehoben, und zwar von 10,8 % im Jahre 1969 auf 12,8 % im Jahre 1976. Ohne die Gemeindefinanzreform wäre die Lage der Gemeindefinanzen allerdings schrecklich. Die Gemeinden lägen nicht bei 10,8 % wie im Jahre 1969, sondern bei 9,9 %.
Wer wollte im übrigen eigentlich bestreiten —niemand kann das —, daß wir durch vielfältige Aktivitäten über Konjunkturprogramme, über Aufgaben nach Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes den Gemeinden in einem hohen Maße finanziell beigesprungen sind? Die Leistungen des Bundes haben sich seit 1970 bis heute vervierfacht.
Bei aller Bereitschaft, auch bei den Gemeinden Haushaltsprobleme zu sehen, bin ich doch dafür, daß wir die Dinge in die richtige Relation setzen. Wir können feststellen, daß heute und in diesen Jahren der Bund derjenige ist, der am meisten unter Finanzierungssalden leiden muß, daß aber der Bund den-



Bundesminister Dr. Apel
noch diese antizyklische Politik offensiv führt, weil er seine Verantwortung für die konjunkturelle Entwicklung spürt.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0804605100
Sie gestatten eine Zwischenfrage, Herr Minister?

Dr. Horst Waffenschmidt (CDU):
Rede ID: ID0804605200
Herr Finanzminister, sind Sie denn bereit, zuzugeben, daß eine ehrliche Bilanz der Gemeindefinanzen nur dann gezogen werden kann, wenn man ihrer Einnahmenbilanzierung auch die Ausgabenbilanzierung gegenüberstellt, und müssen Sie dann nicht auch offen zugeben, daß sich z. B. die Sozialausgaben vervierfacht haben, daß sich die Schuldenlast verdreifacht hat? Und ähnliche Blöcke ließen sich hinzunehmen. Sind Sie mit mir der Meinung, daß, wenn man den Einnahmen die Ausgaben gegenüberstellt, die Gemeinden leider so arm geworden sind, daß sie gar keine weiteren Schulden aufnehmen können? Daran liegt es nämlich jetzt.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0804605300
Ich glaube, Herr Kollege, wir sollten erst einmal sehr deutlich unterscheiden zwischen Gemeinden und Gemeinden. Der Herr Kollege Professor Ehmke hatte heute morgen durchaus recht, als er feststellte, daß hier große Unterschiede von Gemeinde zu Gemeinde vorhanden sind. Das liegt ja auch auf der Hand. Einer Gemeinde die z. B. ein Automobilwerk oder eine expansive Industrie — wir haben ja eine ganze Reihe expansiver Wirtschaftszweige — in ihren Mauern beherbergt, geht es sehr gut. Auf der anderen Seite gibt es natürlich mit absoluter Sicherheit Gemeinden, die in einem hohen Maße Rezessionsindustrien in ihren Mauern haben und von jeher Probleme haben. Nur, Herr Kollege Dr. Waffenschmidt, eines geht natürlich überhaupt nicht, daß Sie nämlich für die Schwierigkeiten, die bei einer ganzen Reihe von Gemeinden vorhanden sind, die Bundesregierung, den Bundesgesetzgeber verantwortlich machen wollen. Das Grundgesetz regelt die Fragen ganz eindeutig so, daß Länder- und Gemeindehaushalte und -finanzen eine Sache sind und davon getrennt die Bundesfinanzen zu betrachten sind.
Die einzige Frage, die Sie an den Bundesgesetzgeber, d. h. an uns, stellen können, ist, ob wir
— und da greife ich eine Bemerkung von Herrn Kollegen Dr. Strauß auf — durch unsere Gesetzgebung in den letzten Jahren etwas getan haben, das die Gemeindehaushalte in einem so großen Maße belastet hat, daß dadurch Verantwortung auf den Bund übertragen wurde. Sie haben soeben auf die Sozialausgaben Bezug genommen. Sie denken hier wahrscheinlich insbesondere an die Sozialhilfeausgaben.
— Sie nicken, ich sehe, daß Sie dem zustimmen. Da muß ich aber darauf aufmerksam machen, daß sich das ja wohl ein bißchen anders darstellt. Das Bundessozialhilfegesetz wurde Anfang der sechziger Jahre geschaffen. Die Regelsätze werden seit jeher von den Ländern festgesetzt. Insofern sehe ich eigentlich nicht ganz, wie Sie — im übrigen war das
stets eine einvernehmliche Gesetzgebung in diesem Hause — die Bundesregierung dafür verantwortlich machen können. Ich kann nur feststellen — und ich habe das gestern in meiner Einbringungsrede unterstrichen —: die Umsatzsteuerneuverteilung rückwirkend ab 1. Januar 1977 ist für die Länder unerwartet günstig ausgefallen. Alle Länder haben erklärt, sie würden daraus den Gemeinden den ihnen gebührenden Anteil geben, nicht zuletzt, um die Steuerausfälle bei den Gemeinden auszugleichen, die dadurch entstehen, daß natürlich das Steuerpaket, das wir bereits beschlossen haben, auch das neue Steuerpaket, bei den Gemeinden Ausfälle bringt, um die Gemeinden wieder so zu stellen, wie es vorher war, also z. B. dem Beispiel des Landes Nordrhein-Westfalen zu folgen, das in einer sehr großzügigen, generösen und ökonomisch vernünftigen Weise trotz einer Haushaltssteigerung von 9 v. H. die Gemeinden in die Lage versetzt, ihre Investitionen vorzunehmen. Hier müssen in der Tat die Verantwortlichkeiten richtig zugemessen werden.

(Abg. Waffenschmidt [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Entschuldigen Sie, es geht nun nicht, daß Ihre Sprecher ununterbrochen Zwischenfragen ablehnen und Sie mit mir hier in einen Dialog eintreten wollen.
Ich möchte zu einer zweiten Bemerkung von Herrn Kollegen Dr. Strauß kommen. Herr Strauß hat, wenn ich ihn richtig verstanden habe, gesagt, die Mehrausgaben 1979 seien sehr viel weniger konjunkturpolitisch, sondern seien in gewissem Sinne Ausgaben für die Unterstützung der Rentenversicherungsträger und deswegen seien sie konjunkturpolitisch nicht so zu motivieren und zu begründen, wie ich das gestern getan habe.

(Strauß [CDU/CSU] : Verschiebebahnhof!)

— Ja. Ich will dazu folgendes sagen. Erstens stimmt es, daß im nächsten • Jahr die Sozialausgaben um 3,2 Milliarden DM steigen. Das sind nun keineswegs nur Leistungen an die Bundesanstalt für Arbeit und vorzeitige Tilgung von Schulden an die Rentenversicherungsträger, sondern auch andere Leistungen. Nur, die Alternative wäre ja wohl eine ins Haus stehende Beitragserhöhung gewesen. Insofern stelle ich fest: es ist sehr wohl konjunkturpolitisch vernünftig, drohende Beitragserhöhungen von den Bürgern wegzunehmen und auf den Bundeshaushalt zu übernehmen, weil es ja unklug gewesen wäre, Steuersenkungen konjunkturpolitisch zu motivieren und damit Beitragserhöhungen einhergehen zu lassen.
Zweitens übersehen Sie, Herr Kollege Dr. Strauß
— dieses ist kein Vorwurf, im Endeffekt liegt das dicke Buch Bundeshaushalt ja erst einige Tage vor —, daß wir trotz dieser Operation — diese 3,2 Milliarden DM sind keine investiven Ausgaben, es sind, wenn Sie so wollen, konsumtive Ausgaben, um in unserer Definition zu bleiben — die investiven Ausgaben gegenüber den Finanzplanungen um über 5 Milliarden DM haben steigern können, weil



Bundesminister Dr. Apel
wir eben in anderen Bereichen zusammengestrichen und eingeschränkt haben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Bundesbahn!)

Damit wird deutlich, daß meine Aussage stimmt, daß wir im wesentlichen mehr als Haushaltssteigerungen gegenüber dem Finanzplan die investiven Ausgaben steigern.
Ich will Ihnen auch gern vorführen, wenn Sie hier schon eine Zwischenfrage stellen, wo diese investiven Ausgaben angesiedelt sind: 2 Milliarden DM Programm Zukunftsinvestitionen, 200 Millionen DM Energieeinsparungsprogramm, davon dann im übernächsten Jahr bereits eine halbe Milliarde D-Mark, 1,3 Milliarden DM Investitionszuschüsse sowohl für den Straßenbau als auch für die Deutsche Bundesbahn. 1,9 Milliarden DM sind eine Vielfalt von investiven Maßnahmen, die ich Ihnen nicht vortragen will, die aber alle eindeutig investiven Charakter haben, ob das nun Forschung und Technologie ist, ob das Entwicklungshilfe ist, ob das Anhebung der Gemeinschaftsaufgaben im Bereich der Landwirtschaft und vieles andere mehr ist.
Herr Kollege Dr. Strauß hat dann eine weitere Bemerkung zum Haushalt gemacht, die ich gerne aufgreifen möchte. Sie haben mich wegen meiner Äußerung kritisiert, daß ich es für klug hielte oder, sagen wir vorsichtiger, für debattefähig hielte, Steuern jährlich anzupassen. Ich weiß eigentlich nicht, obwohl die ,,Bild"-Zeitung in einem Kommentar mich entsprechend angenommen hat — Sie haben das heute morgen sehr viel charmanter gemacht —, was gegen diese Idee spricht. Sie wird in einer ganzen Reihe von europäischen Ländern praktiziert. Ich sage Ihnen: Es geht wegen unserer föderalen Ordnung nicht, es geht nicht. Aber vernünftig wäre es doch, zusammen mit diesem Bundeshaushalt 1978 — nicht in zwei Vorlagen, die nur rein zufällig gemeinsam debattiert werden — dem Bürger auch eine Vorstellung davon zu geben, wie dieser Bundeshaushalt finanziert wird, und zwar eben nicht nur aus der Nettokreditaufnahme, sondern gegebenenfalls auch über Steuerveränderungen.

(Dr. Häfele [CDU/CSU] : Stop and go!)

Dies machen die Briten, dies machen die Franzosen, dies machen eine Reihe anderer Staaten.

(von der Heydt Freiherr von Massenbach [CDU/CSU] : Mit hervorragendem Mißerfolg übrigens!)

— Na, was die Defizite der öffentlichen Haushalte anbelangt, so ist Frankreich für uns alle sicherlich ein Vorbild. Ich weiß gar nicht, was dieser Zwischenruf soll. Diese Operation klappt. Ob anderes in diesen Ländern klappt, ist eine völlig andere Frage. Ich meine nur, wir sollten diesen Punkt nicht so ohne weiteres aus der Debatte ziehen.

(Hasinger [CDU/CSU] : Was hat das mit Verstetigung zu tun?)

— Dies wäre in gewissem Sinne auch eine Verstetigung unserer Steuerpolitik,

(Erneuter Zuruf von der CDU/CSU)

— Augenblick —, indem wir sehr schnell und sehr direkt auf konjunkturelle Lagen, auf wirtschaftspolitische Notwendigkeiten und Veränderungen reagieren könnten. Ich kann also nicht ganz verstehen, weswegen dies abstrus ist. Abstrus ist es lediglich vor dem Hintergrund unserer grundgesetzlichen Realität, vor dem Hintergrund der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat. Nur in diesem Zusammenhang habe ich von einer notwendigen Allparteienkoalition gesprochen.
Lassen Sie mich — wir werden das ja morgen noch eingehend debattieren — zu einem weiteren Punkt kommen. Sie, Herr Kollege Dr. Strauß, haben sich hier erneut dafür ausgesprochen, daß es klüger gewesen wäre, das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz anzuwenden, als eine sehr pointierte und zugespitzte steuerliche Entlastung vorzunehmen. Ich finde, Sie befinden sich damit — das werfe ich Ihnen nicht vor
— in einem eindeutigen Widerspruch zu der Bundesratsmeinung, wie sie zu unseren Vorschlägen geäußert worden ist und wie sie sich insbesondere durch die Vorlagen — es sind ja zwei Vorlagen des Freistaates Bayern — sichtbar gemacht hat. Man kann ja von diesen Vorschlägen des Freistaates Bayern halten, was man will: Mein Haupteinwand besteht darin, daß sie sofort Steuerausfälle in Höhe von fast 17 Milliarden DM produzieren würden. Dies würde bei den Gemeinden, bei den Freunden von Herrn Dr. Waffenschmidt und bei den Freunden von Herrn Dr. Schmitt-Vockenhausen sofort entsprechende prozyklische Reaktionen auslösen. Dies ist mein zentraler Einwand gegen das Paket,

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Die Bayern haben aber wenigstens Vorschläge für die Gemeinden gemacht!)

wenngleich ich im übrigen noch andere Einwände habe.
Hier sehen Sie, daß der Bundesrat — einvernehmlich! — z. B. auch von dieser sehr linearen und pauschalen Regelung überhaupt nichts hält und daß der Freistaat Bayern, wie gesagt, in zwei Gesetzentwürfen sehr pointiert und sehr zugespitzt Maßnahmen vorschlägt. Dies scheint mir auch durchaus angemessen zu sein. Nur, wie gesagt, mein zentraler Einwand sind die Kosten. Denn wir müssen die Doppeloperation in der Tat in einer vernünftigen Relation sehen.
Ansonsten habe ich zu dem Teil der Haushaltsdebatte hier im Moment nichts zu sagen. Ich denke, wir werden die Debatte morgen fortsetzen. Dann werde ich gegebenenfalls erneut reagieren müssen.
Lassen Sie mich jetzt, wenn Sie so wollen, als Vorsitzender der Kommission, die diesen Leitantrag produziert hat, einige Bemerkungen anschließen. Ich kann natürlich, Herr Kollege Dr. Barzel, durchaus verstehen, daß Sie die Abstimmung der letzten Woche als einen Auftakt sehen, nun die Mehrheitsverhältnisse hier im Deutschen Bundestag so zu verändern, daß für Sie wieder der Weizen blüht. Nur, von dieser einen Abstimmung her läßt sich natürlich überhaupt nichts ableiten. Wie oft sind Sie in früheren Abstimmungen schon auseinandergefallen! Auch dies gehört mit zur parlamentarischen Demo-



Bundesminister Dr. Apel
kratie: daß man dies erträgt, auch wenn man sich darüber ärgert. Dies will ich Ihnen ohne weiteres zugeben.
Aber woher nehmen Sie Ihre Annahme, diese Bundesregierung sei nicht mehr handlungsfähig? Haben wir nicht mit einer knappen Mehrheit — die Mehrheit ist knapp, und sie gibt uns auch Probleme auf — in diesen ersten neun Monaten trotz des Bundesrates eine ganze Reihe von schwerwiegenden Operationen durchgestanden? Ich will Ihnen nur einige Beispiele geben: Wir haben das Steuerpaket durchgebracht. Am Ende hat das Land Bayern diesem Steuerpaket zugestimmt. Wir haben das Ausbildungsplatzförderungsgesetz gegen Ihren massiven Widerstand durchgebracht. Wir haben das Kostendämpfungsgesetz im Gesundheitswesen nach Kompromissen im Bundesrat — gebe ich zu — durchgebracht. Wir haben ein sehr umfassendes Programm für die Stabilisierung der Wohnungsbauwirtschaft — Regionalprogramm, Fortsetzung des sozialen Wohnungsbaues für Schwerpunktgruppen — durchgesetzt. Wir haben die Außenpolitik, auf die Sie zunehmend einschwenken, konsequent fortgesetzt, und auch die Rentenbeschlüsse haben wir durchgesetzt.

(Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein [CDU/CSU]: Die Reparatur steht jetzt im Haushalt!)

Herr Kollege Dr. Barzel, eigentlich war es schade, daß Sie hier in den Ton einer allgemeinen Wahlkampfrede für irgendeinen Marktplatz verfallen sind und nicht Ihrer bisherigen Linie einer sehr sachlichen Argumentation gefolgt sind.

(Beifall bei der SPD)

Ich weiß überhaupt nicht, woher Sie diesen Optimismus nehmen.
Ich denke, wir haben ein Problem.

(Zuruf von der CDU/CSU: Problemchen!)

Das Problem ist, daß Sie meine Herren von der Opposition, so schwach sind, daß wir manchmal meinen, uns deswegen etwas leisten zu können. Ich wünschte, Sie würden besser werden. Dies wäre die beste Peitsche für uns. Nur Sie sind eben leider nicht so besonders gut. Ihre Rede heute war auch kein Beitrag zu einer solchen Verbesserung.

(Beifall bei der SPD — Haase [Kassel] [CDU/ CSU] : Herr Apel, über Ihre Bonität werde ich gleich reden!)

Nun brauche ich eigentlich nichts weiter dazu zu sagen, wie Sie die Situation unseres Landes gemalt haben.

(Dr. Barzel [CDU/CSU] : Nein, nein, das reicht!)

Dies haben die beiden Fraktionssprecher deutlich gemacht.
Wenn man eine Woche in Washington war, wenn man sich eine Woche lang hat anhören müssen, was für ein starkes Land dies ist, welche Lokomotivfunktion dieses Land für den Welthandel hat, was man von uns erwartet, wenn man hört — —

(Strauß [CDU/CSU]: Das gibt Auftrieb! — Heiterkeit bei der CDU/CSU)

— Nein, die Position, die ich dort zu vertreten hatte, war teilweise sehr schwierig. Wenn man hört, wie die anderen uns sehen und dagegen Ihre Rede hört, wenn man zurückkommt, dann weiß man wirklich nicht, in welchem Land man sich befindet. Ich will das nicht vertiefen. Herr Kollege Graf Lambsdorff und Herr Reuschenbach haben dies sehr deutlich dargestellt.
Eines fand ich bemerkenswert. Ich habe extra auf die Uhr geschaut. Sie haben 25 Minuten über die Sozialdemokraten geredet. Und dann haben Sie es sich sehr bequem gemacht, als es darum ging, die wirtschaftspolitische, die gesellschaftspolitische und die sozialpolitische Position dieser CDU/CSU in diesen Monaten darzustellen. Dazu haben wir dann vier Punkte gehört, zu denen ich gerne noch etwas sagen möchte.
Bevor ich dazu etwas sage, gehe ich noch auf diesen Leitantrag ein. Ich bin dafür, daß Sie ihn lesen.

(Zuruf von der CDU/CSU)

— Wenn Sie ihn gelesen haben, dann ist mein Vorwurf noch berechtigter. Dann muß ich nämlich sagen: Das, was Sie zu diesem Antrag ausgeführt haben, geht in die Nähe der Diffamierung. Was Sie gesagt haben, steht alles nicht in dem Antrag. Ich werde Ihnen jetzt einiges vorlesen. Dann sollen Sie mir sagen, ob Sie dieses mit Ihren Aussagen für vereinbar halten. Wir können diese Debatte gerne morgen oder wann immer Sie wollen fortsetzen.
Hier steht — ein ganz wichtiges Zitat —:
Die staatliche Mitverantwortung in der Marktwirtschaft für einen hohen Beschäftigungsgrad ist vor allem durch die Bemühungen von Sozialdemokraten im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz sowie im Arbeitsförderungsgesetz verankert worden. Globalpolitische Maßnahmen müssen in erster Linie in den Bereichen der Finanzpolitik und der Geldpolitik ansetzen.
Dies ist doch richtig, oder wollen Sie das bestreiten? Ein weiterer Satz:
Globalpolitik allein reicht zur Lösung der derzeitigen und bevorstehenden wirtschaftspolitischen Probleme nicht aus.
Dieser Satz ist doch richtig. Wie anders wäre es zu erklären, daß ich in diesen Tagen mit der deutschen Stahlindustrie sprechen muß, daß die Werftindustrie Schwierigkeiten hat, daß wir im Bereich der Luft-und Raumfahrtindustrie sektoral eingreifen müssen, daß wir im Bereich der Textilindustrie Probleme haben, daß wir überhaupt eine regionale Strukturpolitik und eine Branchenstrukturpolitik machen müssen. Der zitierte Satz stimmt also doch.
Das einzige, was Sie uns bei diesem Satz und anderen Sätzen in diesem Papier vorwerfen könnten,



Bundesminister Dr. Apel
ist, daß wir nicht bei Ludwig Erhards Marktwirtschaft à la 1949 stehengeblieben sind,

(Beifall bei der SPD)

sondern daß wir in der Großen Koalition gemeinsam das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz beschlossen haben, wenn Sie so wollen, als Teil der Fortentwicklung der Marktwirtschaft zu einer Marktwirtschaft mit Steuerungselementen. Sie könnten uns im Zusammenhang mit diesem Satz ferner vorwerfen, daß wir in dieser Koalition die weltweite Bedeutung unserer Wirtschaftspolitik und auch der Marktwirtschaftspolitik erkannt haben. Dies kann doch nicht bestritten werden. Nur unter diesem Rubrum kann ich doch die hohen Kosten der Europäischen Gemeinschaft verbuchen und ertragen. Dies ist Teil der Solidarität in Europa, wenn ich auch lieber Solidarität über andere Wege als über Agrarpolitik finanzieren würde. Aber dies ist eine weitere Frage.
Jetzt kommt es darauf an — und damit bin ich bei den Strukturräten —, eine gewisse Ordnung in unsere regionale und in unsere Branchenstrukturpolitik hineinzubringen. Ich spüre es doch als Finanzminister, wie hier gegeneinander gearbeitet wird, wie mit der einen Hand gegeben und mit der anderen Hand behindert wird.
Hier steht folgender Satz — und ich frage Sie erneut, ob Sie die Richtigkeit dieses Satzes bestreiten wollen —:
Gezielte Strukturpolitik kann nur betrieben werden, wenn die Quantität, Qualität und Zeitabfolge geplanter Investitionen durchsichtig sind.
Da muß ich Sie fragen: Ist dies denn falsch? Das muß ich um so mehr fragen, als sich dies im wesentlichen auf staatliche Investitionen bezieht.
Ist der Satz falsch — es ärgert mich seit langem, daß wir hier nicht weitergekommen sind —, daß die Erfolgskontrolle der Subventionen ausgebaut und verfeinert werden muß? Ist das nicht richtig?

(Beifall bei der SPD)

Ist es nicht vernünftig, einmal ein Bild darüber zu bekommen, was denn eigentlich mit den vielen Milliarden geschieht? Ich gebe zu, daß dies vielen unbequem ist, auch vielen Sozialdemokraten, die Wahlkreise vertreten. Das haben sie nicht so gern: Erfolgskontrolle bei Erhaltungssubventionen. Ist dies falsch, oder ist dies richtig? Dieses ist die Fortentwicklung der Marktwirtschaft. Marktwirtschaft funktioniert nur dann, wenn hier nicht Dauersubventionstatbestände geschaffen werden, wenn im Endeffekt nicht die Verluste sozialisiert werden.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0804605400
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Minister? — Herr Kollege Barzel, bitte schön.

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0804605500
Herr Kollege Apel, würden Sie die Güte haben, auf die zwei Schwerpunkte meiner Kritik, zu denen auch Graf Lambsdorff Stellung genommen und gesagt hat, dies sei nicht marktwirtschaftlich, nämlich die Aktivreserve und die Investitionsanmeldung, zu sprechen zu kommen?

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0804605600
Investitionsmeldestellen sind in diesem Papier nicht mehr aufgeführt. Aber ich bekenne mich ausdrücklich dazu. Ich will Ihnen auch den Grund sagen. Ich bin, wie Sie wissen, beurlaubter europäischer Beamter. Ich habe hier einige Erfahrungen, und ich weiß, daß es z. B. nicht unvernünftig war, in der Montanunion in Europa zu wissen, was andere private Investoren an Großinvestitionen vorhatten. Hier gibt es eine gewisse Transparenz, die es meinem ökonomischen Verstand gebietet, zu sagen: Dieses ist nicht unvernünftig.
Nun komme ich zu dem zweiten, nach dem Sie gefragt haben, zu den Strukturräten.

(Dr. Barzel [CDU/CSU] : Aktivreserven!)

— Darauf will ich dann gern anschließend noch eingehen. Lassen Sie mich zuerst zu den Strukturräten einige Bemerkungen machen. Hier soll es zwei Strukturräte geben.
Das eine ist der Strukturrat der öffentlichen Hand. Da sollen der Konjunkturrat und der Finanzplanungsrat von Zeit zu Zeit zusammentreffen; ich kann mir dies nur wünschen. Beide Gremien funktionieren so einigermaßen; aber beide Gremien arbeiten sehr oft aneinander vorbei, weil die Finanzpolitiker im wesentlichen an ihre Kasse und die Konjunkturpolitiker im wesentlichen daran denken, wie sie Wirtschaftswachstum produzieren können. Es ist immer nur gut, wenn solche Gruppen zusammenkommen, um Grenzen und Möglichkeiten von Aktionen aufeinander abzustimmen.
Das zweite ist der Strukturrat der sozialen Gruppen. Ich zitiere aus dem Papier:
Die Konzertierte Aktion wird so weiterentwikkelt, daß sie strukturpolitische Aufgaben übernehmen kann. Dazu gehört die Meinungsbildung der gesellschaftlichen Gruppen zum Strukturwandel und eine bessere Abstimmung zwischen staatlicher Wirtschaftspolitik und privaten Unternehmensplanungen.

(Dr. Barzel [CDU/CSU] : Zitieren Sie bitte richtig!)

— Ich habe dies alles vorgelesen.

(Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Er hat eine Ausgabe Nord!)

Insofern kann ich nur sagen, Herr Kollege Dr. Barzel: Was ist eigentlich dagegen einzuwenden? Ist es nicht vernünftig, daß die Konzertierte Aktion diese Fragen miteinbezieht?

(Dr. Barzel [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Augenblick, ich möchte den Gedanken gern zu Ende führen. Ist dieses nicht sehr vernünftig? Ich muß zur Kenntnis nehmen, wenn der Koalitionspartner dazu hier seine Meinung äußert. Für uns als Sozialdemokraten ist dies deswegen vernünftig, weil es gut ist, sehr frühzeitig die gesellschaftlich



Bundesminister Dr. Apel
relevanten Gruppen in Meinungsbildungsprozessen mit einzubeziehen.

(Sehr wahr! bei der SPD)

Wenn Sie sich den Katalog der Debattenpunkte in diesem Strukturrat anschauen, stellen Sie fest, daß einer von ihnen lautet: Empfehlungsrecht bei Standortentscheidungen. Ich muß sehr offen sagen: Dieses ist gut. Es wäre gut, wenn die gesellschaftlich relevanten Gruppen rechtzeitig über Standortentscheidungen von öffentlich geförderten Großvorhaben mit debattiert hätten. Dann wären manche der Standortdebatten — auch bei Kernkraftwerken — rationaler geworden.

(Beifall bei der SPD)

Dann hätte man frühzeitig erkannt, wo die Schwierigkeiten liegen und was damit verbunden ist, wenn es zu einem unnötigen Gezerre kommt.
Bevor ich Ihnen, Herr Dr. Barzel, die Möglichkeit zu einer Zwischenfrage gebe, möchte ich noch eine abschließende Bemerkung machen.

(Dr. Sprung [CDU/CSU] : Aktivreserve haben Sie vergessen!)

— Das kommt noch. Ich denke, Herr Kollege Dr. Barzel will nach etwas anderem fragen.
Eine abschließende Bemerkung: Es wäre ja eine merkwürdige Soziale Marktwirtschaft, wenn sie darin bestünde, daß alles erstarrt, daß Denken verboten wird, daß auf neue Herausforderungen hin nicht neu gedacht und gehandelt werden kann. Dieses ist nicht unser Verständnis von Sozialer Marktwirtschaft.

(Beifall bei der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0804605700
Sie gestatten eine Zwischenfrage. — Herr Abgeordneter Dr. Barzel.

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0804605800
Herr Kollege Apel, würden Sie mir gestatten — es gibt hier ja zwei Texte; ich bin inzwischen darüber belehrt worden, welches der richtige ist; ich hatte diesen Text auch gelesen —, den Text einschließlich der Passagen vorzulesen, die Sie weggelassen haben?

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0804605900
Auf welcher Seite steht das?

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0804606000
Das steht in dem fotokopierten Exemplar, das ich bekommen habe, auf Seite 6 oben. Dort heißt es:
Die Konzertierte Aktion wird so weiterentwikkelt, daß sie strukturpolitische Aufgaben übernehmen kann (Strukturrat der sozialen Gruppen), d. h., daß sie einmal die Meinungsbildung der gesellschaftlichen Gruppen zum Strukturwandel koordiniert, zum anderen eine bessere Abstimmung zwischen staatlicher Wirtschaftspolitik und privaten Unternehmensplanungen herstellen kann. Für branchenspezifische Probleme können Ausschüsse gebildet werden. Arbeitnehmer und Arbeitgeber werden durch ihre Gewerkschaften und Verbände paritätisch vertreten.
Dies ist das vollständige Zitat. Darüber wollen wir gerne streiten. Das war die Basis meines Einwandes, und das ist doch wohl auch die Basis des Einwandes von Herrn Graf Lambsdorff.

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0804606100
Ich sage Ihnen: Ich bekenne mich zu dieser Aussage. Sie entspricht dem, was ich strukturpolitisch will.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt will ich gern auf die Aktivreserve eingehen. Nun führen wir natürlich über das Thema „Aktivreserve" eine Debatte, die eine Scheindebatte ist, weil die Aktivreserve, wie Sie wissen, hochverehrter Herr Dr. Sprung, eine Maßnahme für Zeiten überschäumender Konjunktur wäre. Das werden Sie mir zugeben. Insofern ist dies sehr weit gezielt. Ich denke, daß wir es im Moment nicht mit diesem Problem zu tun haben. Wir werden es für einige Zeit vielmehr mit dem umgekehrten Problem zu tun haben.
Wenn man die Aktivreserve aber schon zur Debatte stellt, muß man sagen, daß es — so steht es in unserem Antrag — zwei Schlüssel gibt. Schlüssel Nummer 1: Antrag der Bundesregierung, diese Maßnahme einzuführen; Schlüssel Nummer 2: Bundesbank, die dieses akzeptiert oder auch nicht akzeptiert. So ist es vorgesehen. Hier gibt es also keine Anweisung der Regierung gegenüber der Bundesbank, diese Maßnahme zu ergreifen, sondern es gibt einen Zwei-Schlüssel-Mechanismus. Ich sage Ihnen ganz offen: Über dieses Instrument der Aktivreserve ist vor wenigen Jahren im Kreise der Bundesregierung, im Kreise des Kabinetts sehr nüchtern debattiert worden, und zwar mit dem Ergebnis, daß die Bundesregierung es damals nicht für opportun gehalten hat. Die Bundesbank hat gesagt, sie möchte dieses Instrument nicht.

(Dr. Sprung [CDU/CSU] : Die Unabhängigkeit ist bedroht!)

— Nein, die Unabhängigkeit der Deutschen Bundesbank wird doch dadurch überhaupt nicht berührt.
Was heißt denn im übrigen überhaupt „Unabhängigkeit der Deutschen Bundesbank" ? Autonomie heißt, daß zwei autonome Institutionen miteinander Politik machen, aufeinander zugehen, aufeinander Rücksicht nehmen. So steht es mit anderen Worten im Bundesbankgesetz. Wenn wir uns über eines keine Sorge zu machen brauchen, dann darüber, daß die Autonomie der Deutschen Bundesbank irgendwie gefährdet sei. Wir können vielmehr mit Dankbarkeit feststellen, daß die Deutsche Bundesbank in einer großartigen Weise — ihrem Geldmengenziel und ihrer Stabilitätspolitik treu bleibend — die Wachstums- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung unterstützt hat und damit mit ein Verdienst daran hat, daß es in unserem Lande so unvergleichlich besser läuft als bei fast allen unseren Nachbarn.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich zusammenfassen. Ich habe sehr aufmerksam zugehört, was Herr Dr. Barzel an Vorschlägen und Alternativen der CDU/CSU empfohlen



Bundesminister Dr. Apel
hat. Er ist erst einmal für mehr politische Stabilität. Darunter versteht er für sich ein Ministeramt

(Dr. Barzel [CDU/CSU] : Nichts da!)

und für uns die Opposition. Dieses ist legitim. Dagegen habe ich überhaupt nichts. Konjunkturpolitisch bringt dies aber natürlich sehr wenig.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Zweitens haben Sie gesagt, Sie wollten das System der. Sozialen Marktwirtschaft wiederherstellen. Diese Debatte werden wir fortzusetzen haben. Ich bin davon überzeugt, daß Ihre Einstellung zu diesen dringlichen Fragen der Sozialen Marktwirtschaft zu steril ist.

(Zuruf von der SPD: Genau das!)

Es ist eine konservative, rückwärtsgerichtete Betrachtung nach dem Motto „Wie war das doch vor 20 Jahren alles noch gut" ; keine Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit!

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

Wir dagegen bemühen uns. Wir können im übrigen auch feststellen, daß wir in der Regierungserklärung gerade in diesem Bereich der Branchen- und der regionalen Strukturpolitik einen Fortschritt erzielt haben. Hier stehen ausdrücklich Aufträge in der Regierungserklärung, die zwar nicht so weit gehen wie der Leitantrag zu unserem Parteitag, aber durchaus in dieselbe Richtung zielen.
Dann haben Sie gesagt, wir brauchen. Gesetze, die die Marktwirtschaft von Gesetzen befreien. Damit bin ich bei dem Thema „Investitionshemmnisse". Ich bin sehr dafür, daß wir uns das nicht so leicht machen, wie es sich hier manche zu machen versucht haben. Wir haben darüber am Freitag mit den Ministerpräsidenten gesprochen, und dabei ist mir deutlich geworden, wo die Hemmnisse liegen. Sie liegen erstens z. B. in der Tatsache, daß 80 % der Gemeinden — dies ist eine Aussage des Finanzministers des Landes Rheinland-Pfalz, meines Kollegen Gaddum — keine Bebauungspläne haben. Die Kommunalpolitiker — so sagt er; ich kann das nicht beurteilen und will mich vorsichtig ausdrücken — wollen dies nicht, weil dies auch Schwierigkeiten gibt. Und das produziert in einem hohen Maße Investitionshemmnisse. — Wenn dies so ist, laßt uns also einmal an dieses Thema herangehen.
Zweitens. Wir haben in diesem Lande eine Verwaltungsgerichtsbarkeit, an der niemand von uns vorbeikommt. Es hat doch überhaupt keinen Zweck, hier schwarze Peter hin- und herzuschieben; das ist so.
Drittens — und damit bin ich beim Punkt, Herr Kollege Dr. Barzel — haben wir eine Reihe von Gesetzen gemacht, die in der Tat bei Investitionsprojekten die Frist bis zur Entscheidung verlängert haben. Nur, hier gibt es eine interessante Debatte im Finanzplanungsrat. Da gibt es einen Finanzminister, der war bis vor kurzem Umweltschutzminister; er gehört nicht meiner Partei an. Und der sieht natürlich von seiner eigenen politischen Vergangenheit her meine Vorwürfe im Finanzplanungsrat, daß hier
etwas zu geschehen habe, ganz anders an, weil er für Umweltschutzpolitik mitverantwortlich ist oder war.
Hier hat es also wenig Zweck, die Verantwortlichkeiten hin- und herzuschieben; hier müssen wir wohl herangehen und uns diese Gesetze einmal anschauen, und zwar möglichst gemeinsam. Ich höre im übrigen, daß das die Länder in einem hohen Maße tun; ich kann das nur begrüßen. Wir wollen ähnliches tun, allerdings nicht um den Preis, daß wir bei dieser Gelegenheit mal eben die ganze Problematik des Umweltschutzes über Bord werfen und vergessen, daß wir in einem dichtbesiedelten Industriestaat leben, der, meine sehr verehrten Damen und Herren, Umweltschutz allerdings auch dringend braucht.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

Als letzten Punkt haben Sie diesen genannt: Wir brauchen insbesondere einen Konsens, und wir brauchen die soziale Partnerschaft. Bitte, Herr Kollege Barzel, wenn dies so ist und wenn Sie dies sagen — und es trifft sich mit meinen, mit unseren politischen Vorstellungen —, bitte ich Sie um eines: auf diejenigen, die die Klage zur Mitbestimmung eingereicht haben, einzuwirken,

(Zustimmung bei der SPD)

damit dieses Hemmnis möglichst bald verschwindet.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Katzer hat heute morgen in einem Zwischenruf — ich glaube, zur Rede von Herrn Professor Ehmke — darauf aufmerksam gemacht, daß der erste Schritt zur paritätischen Mitbestimmung in der Montanindustrie unter Konrad Adenauer erfolgt ist. Dann, wenn dies so ist und wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sich zu dieser Vergangenheit heute noch bekennen, haben Sie allen Grund, mit uns zusammen um das besorgt zu sein, was hier in unserem sozialen Klima verschüttet, zerstört und verändert werden kann. Dann bin ich dafür, daß Sie Ihren Anspruch, rationale Politik zu betreiben, an diejenigen richten, die einen irrationalen Schritt getan haben und die in der Tat in der Gefahr sind, dadurch soziale Partnerschaft in unserem Lande zu verschütten.

(Anhaltender Beifall bei .der SPD und bei Abgeordneten der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0804606200
Das Wort hat der Abgeordnete Haase (Kassel).

Lothar Haase (CDU):
Rede ID: ID0804606300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Hoppe hat heute morgen eine in weiten Passagen recht eindrucksvolle Rede gehalten, die mich hoffen läßt, lieber Herr Hoppe, daß wir im Haushaltsausschuß in diesem Jahr wieder viel Gemeinsamkeit über die Parteigrenzen hinweg haben werden und fruchtbare Arbeit für die Republik leisten können.



Haase (Kassel)

Eine Bemerkung zu den letzten Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers. Herr Apel, Sie beschuldigen erneut die Gemeinden, sie würden zu wenig ausgeben und die Konjunkturpolitik der Bundesregierung nicht in ausreichendem Maße unterstützen. Schauen Sie, bei Lichte betrachtet wohnt diese Behauptung auf derselben Etage wie die Empfehlung des Herrn Bundeskanzlers vor einigen Tagen, die Kommunalaufsicht abzubauen, um den Gemeinden eine nicht so solide Verschuldungspolitik zu ermöglichen.
Herr Finanzminister, wie sehen denn die Realitäten in Wirklichkeit aus? Sie sagen, die Gemeinden hätten Geld genug. Das ist unzutreffend. Mir hat ein guter Wind die „Hannoversche Allgemeine Zeitung" von Freitag, den 30. September 1977, zugeweht.

(Löffler [SPD]: Sie lesen doch sonst immer die „Bild"-Zeitung, Herr Haase!)

— Ich empfehle Ihnen, Herr Kollege Löffler, um Ihr Bildungsniveau zu heben, diese Zeitung auch ab und zu zu lesen. Dann wissen Sie nämlich, wie das Volk denkt.

(Lachen bei der SPD — Sehr wahr! bei der CDU/CSU — Löffler [SPD] : Deshalb sind Sie so gebildet, Herr Haase!)

Herr Bundesfinanzminister, dort heißt es unter dem 30. September 1977:
Hannover, eine SPD-regierte Stadt, „gibt 1978
weniger aus als in diesem Jahr" . Der Oberstadtdirektor wörtlich: „Für Ausweitung kein Geld."

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

So sehen die Realitäten im Lande aus.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Herr Finanzminister, jetzt liegen ja auch die Zahlen von Bund und Ländern über die Ausgaben im ersten Halbjahr dieses Jahres vor. Danach haben die Ausgaben der Länder einen Zuwachs um 5 °/o, die des Bundes dagegen nur um 2,8 °/o, gerechnet bis einschließlich August um 4,5 °/o. Lieber Herr Finanzminister, Bund und Länder haben ihr Finanzierungsdefizit in gleicher Weise um 4 Milliarden DM verringert. Was beim Bund als Erfolg der mittelfristig angestrebten Konsolidierung angesehen wird, soll bei den Ländern ein Übel sein. Das ist allerdings Ihr Latein, Herr Apel.
Ich stehe noch ganz unter dem Eindruck der Rede des Herrn Bundeskanzlers vom letzten Montag in Berlin aus Anlaß des 75jährigen Bestehens des dortigen Daimler-Werkes, in der er die „konjunkturpolitischen Schwätzer" und „Montagsredner" attackierte, die mit unzeitgemäßen Beiträgen mehr zur Verunsicherung der Wirtschaft als zu deren positiven Motivierung beitrügen. Als er das aussprach, muß er tief in die Reihen seiner Fraktionskollegen geblickt haben. Doch sein geistiges Auge ruhte sicher mit besonderem Unwohlwollen auf seiner Kabinettsriege und hier in erster Linie auf Hans Apel, unserem Finanzminister.
Zwar ist die Zahl der finanzpolitischen Mißerfolge des Finanzministers Legion und die der Selbsttore,
die er im eigenen Lager placierte, beachtlich. Jedoch das tollste Stück leistete er sich in der letzten Sommerpause, als er den unter der Übersteuerung ächzenden Bürgern aus der hohlen Hand Steuererleichterungen ankündigte, allerdings erst zur nächsten Bundestagswahl und ohne dafür ein abgestimmtes Konzept zu haben. Versprechungen, die die Bundesregierung in Zugzwang brachten und das sozialliberale Lager in handfeste Auseinandersetzungen.
Die sich daran anschließende finanz- und wirtschaftspolitische Diskussion führte in der Bundesrepublik zu einer völligen Konfusion, die insofern noch groteskere Formen annahm, als die Fehde der Koalitionsparteien auf die Ressorts übergriff und jeder dem anderen die Schuld für die wirtschaftlichen Kalamitäten in unserem Lande zuschob. Kollege Barzel nannte dies vorhin zutreffend eine „neurotische Veranstaltung". Der eine hatte zu früh konsolidiert, der andere hatte falsche Daten geliefert. Der eine hielt die Lohnabschlüsse für zu hoch, der andere beklagte die desolate Energiepolitik. Totale Verwirrung, rapide zunehmende Zerfallssymptome in der Bundesregierung waren die flankierenden psychologischen Stimulanzien, die der von Unsicherheit und Zukunftsängsten geplagten deutschen Wirtschaft verabreicht wurden. Nein, mit einer solchen Politik schafft die Bundesregierung sicher keine neue Vertrauensbasis. Apels Polemiken, sein. „stop and go", seine permanenten finanzpolitischen Richtungswechsel, seine unzutreffenden Prognosen und unerfüllten Zusagen trugen zu zusätzlicher Verunsicherung der Wirtschaft bei und erstickten jeden psychologischen Erholungsprozeß im Keime.
Es ist noch gar nicht so lange her, daß uns auch der Bundesfinanzminister für das laufende Jahr 5 % Wachstum, Wiederbelebung der Wirtschaftstätigkeit und eine Reduzierung der Erwerbslosigkeit voraussagte. Heute wird deutlich, was von diesen Prognosen des Finanzministers zu halten ist, der jetzt lautstark über die anderen Prognostiker klagt. Die Bundesregierung hat nicht nur ihre wirtschaftspolitischen Ziele verfehlt. Ich fürchte, daß sie auch auf einer nicht mehr zutreffenden Datenkonstellation den Haushalt 1978 aufgebaut hat, einen Etat, den uns der Finanzminister als ein solides Fundament unserer Finanzwirtschaft am letzten Dienstag anzudienen versuchte.
Die neueste Steuerschätzung basiert auf einer realen Wachstumsannahme von 41/2 % und nominal 8 °/o. Glauben Sie daran noch wirklich, wenn Herr Friderichs nur real 3 % voraussagt, was nominal auch weniger als 8 % bedeutet? Wenn Herr Friderichs recht hat, senkt sich nicht nur das Steueraufkommen 1977, sondern vermindern sich auch die jetzt angesetzten Einnahmen.
Der vorliegende Entwurf umfaßt ein Ausgabevolumen von 188 Milliarden DM. Das sind 10 % mehr als in diesem Jahr. Zwar bringt die hohe Ausgabensteigerung, deren Qualität noch untersucht werden muß, in Teilbereichen kurzfristig gesamtwirtschaftliche Nachfrageeffekte. Langfristig verhindert sie jedoch die Möglichkeit der Konsolidierung,



Haase (Kassel)

gegebenenfalls die von allen Sachverständigen für notwendig erachteten Steuerentlastungen. Nicht von ungefähr heißt es in der letzten Stellungnahme des Sachverständigenrates: Eine vorübergehende zusätzliche Expansion der Staatsausgaben zur Aufblähung des Einkommenskreislaufs ist vermutlich beschäftigungspolitisch nicht besonders wirksam, jedenfalls nicht nachhaltig. Würde man demgegenüber die Ausgabenexplosion aller öffentlichen Haushalte nur um einen Vomhundertpunkt drosseln, so könnten zusätzlich 4 Milliarden Steuerentlastung bewirkt werden, die unserer Ansicht nach positivere Weiterungen auslösen würden als die gegenwärtig erfolgte Haushaltsausweitung in Teilbereichen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Glos [CDU/ CSU]: So ist es!)

In diesem Zusammenhang verdient besondere Beachtung, daß mit der vorgesehenen Ausgabensteigerung von 4 Milliarden DM gegenüber dem Finanzplan keine echte zusätzliche Nachfrage bewirkt wird. Wir sollten uns das genau merken. Der Löwenanteil dieses Betrages — Herr Strauß hat in seiner Rede darauf hingewiesen — wird der Rentenversicherung und der Bundesbahn zur Verfügung gestellt, um die verhängnisvollen Spätfolgen der Inflationspolitik der Bundesregierung zu mildern, gegebenenfalls kurzfristig zu vertuschen und dort die Defizite zu decken.

(Glos [CDU/CSU]: So ist es!)

Die Bundesbahn ist unter der Regie dieser Bundesregierung zum Faß ohne Boden geworden. Die Entwicklung der Bundeszuschüsse an unsere Bahn ist von beängstigender Geschwindigkeit gekennzeichnet: 1977 und 1978 jeweils mehr als eine 19 %ige Steigerungsrate. 1978 werden 13,5 Milliarden DM geleistet. Das ist fast doppelt soviel wie 1972. Wir sollten uns daran erinnern, daß diese Summe dem gesamten Aufkommen der Tabak- und Branntweinsteuer in der Bundesrepublik Deutschland entspricht. In den folgenden Jahren werden die Leistungen aus dem Bundeshaushalt weiter anwachsen müssen. Trotzdem ist mit steigenden Verlusten dieses Verkehrsträgers zu rechnen. Das von der Bundesregierung vorgelegte Sanierungskonzept kann nicht einmal, wie geplant, bis 1985 realisiert werden. Lieber Herr Hoppe, ich stimme Ihnen hier voll zu: Mit dieser Frage werden wir uns im Ausschuß gründlich beschäftigen und der Regierung auf die Finger klopfen müssen.

(Löffler [SPD] : Ihre Alternative möchten wir hören!)

— Ich erinnere mich, der Kollege Leber wollte seinerzeit — es ist gut, daß wir uns alle daran erinnern — die Bundesbahn aus dem Defizit herausfahren. Das wird heute schon völlig verdrängt.

(Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Wer hat das denn damals kaputtgemacht?)

— Lieber Herr Professor Schäfer, es war eine der glorreichen Neuerungen, die Sie einführen wollten: eine Bahn, die keine Defizite mehr verursacht.

(Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD]: So ist es!)

Das war die Reform Nummer ein, Herr Kollege Schäfer. Mindestens sollte man sich einmal daran erinnern.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0804606400
Herr Abgeordneter Haase, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Lothar Haase (CDU):
Rede ID: ID0804606500
Bitte, Herr Schäfer.

Dr. Friedrich Schäfer (SPD):
Rede ID: ID0804606600
Herr Kollege Haase, wir erinnern uns alle an den Leber-Plan, und wir erinnern uns alle daran, welche heftigen Auseinandersetzungen es gegeben hat. Wollen Sie hier darlegen, wer mit welchen Mitteln damals verhindert hat, daß der Plan durchgeführt wurde? Wenn das nicht verhindert worden wäre, wäre die Bundesbahn in der Tat nicht im Defizit.

(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)


Lothar Haase (CDU):
Rede ID: ID0804606700
Lieber Herr Professor Schäfer, ich erinnere mich: Die sozialliberale Koalition ist jetzt über sieben Jahre in der Verantwortung. Nehmen Sie doch jeden Tag Ihre guten Ideen von damals auf und sanieren Sie! Wir würden Ihnen ja dabei helfen. Aber Sie können doch nicht fragen: Wer hat denn damals etwas verhindert? Sie haben jahrelang Zeit gehabt. Warum haben Sie es nicht getan? Warum haben Sie nicht seit 1970 saniert?

(Beifall bei der CDU/CSU — Glos [CDU/ CSU]: So ist es!)

Von 1960 bis 1969 wurde das Personal bei der Bahn kontinuierlich um 100 000 Personen vermindert; aber in den nächsten drei Jahren wurde der Personalbestand unter der SPD/FDP-Regierung wieder um 22 000 Personen erhöht. Jetzt kämpfen wir mit den Folgen.
Als Investition bezeichnen Sie 2,5 Milliarden DM von den 13,5 Milliarden DM, die Sie insgesamt an die Bahn geben. Aber Ihrer Verpflichtung, Herr Bundesfinanzminister, das Defizit der Eisenbahn zu dekken, kommen Sie nicht nach. In der gleichen Höhe, in der der Finanzminister angebliche Investitionszuschüsse zahlt, erwartet die Bundesbahn ein ungedecktes Defizit, das dem Bund zur Last fällt. Im praktischen Ergebnis sind das 2,5 Milliarden DM, die Sie in Ihrem Zahlenwerk mit dem Markenetikett „Investitionen" versehen. In Wirklichkeit sind sie nichts anderes als ein Verlustausgleich, während die Bahn ihre Investitionen ausschließlich durch Schulden finanzieren muß und durch die Zinsen immer tiefer in die Misere gerät. Das ist das angebliche Mehr an öffentlichen Investitionen, mit denen der Finanzminister seinen Haushalt der Reparaturen selbst verschuldeter Unfälle ein falsches Markenetikett aufzukleben versucht.
Ein weiteres Täuschungselement wird durch die haushaltstechnischen willkürlichen Umbuchungen in Apels Haushaltswerk eingeführt. Wir werden im Ausschuß .bei der Entwicklungshilfe sofort mit diesen Fragen konfrontiert werden. Zuweisungen, die bisher als konsumtive Ausgaben ausgewiesen wur-



Haase (Kassel)

den, sind nun einfach in Investitionszuschüsse umgebucht worden. Ich will Sie in diesem Moment mit Einzelheiten verschonen; aber das sind doch billige Taschenspielertricks. Man kann durchaus darüber streiten, ob so oder so veranschlagt wird. Aber auch Sie, Herr Bundesfinanzminister, werden doch nicht bestreiten, daß sich die von Ihnen genannten höheren Investitionen nicht ergeben, wenn so wie im vergangenen Jahr gebucht wird.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich darum bitten, die Anregung des Kollegen Leicht aufzunehmen, die Buchungen im Bundesetat — Investitionen oder konsumtive Ausgaben - einmal zu ordnen und einer einvernehmlichen Regelung zuzuführen.

(Vorsitz Einige kurze Bemerkungen zu dem Komplex der Rentenversicherung. Es ist noch gar nicht lange her, daß die Regierung ein Rentensanierungskonzept vorlegte und meinte, damit seien die Probleme mittelund langfristig gelöst. Wenn wir uns den Entwurf des Haushalts 1978 und den Finanzplan ansehen, müssen wir feststellen, daß Probleme der Rentenversicherungsträger und der Bundesanstalt für Arbeit in den Bundeshaushalt und damit auf den Steuerzahler verlagert werden. In dem sogenannten Rentensanierungskonzept, das vor drei Monaten beschlossen wurde und schon heute, nach. einem Vierteljahr, nicht mehr stimmt, war beschlossen worden, daß die Bundesanstalt für Arbeit die Rentenversicherungsbeiträge für Arbeitslose ab 1. Januar 1979 übernimmt. Nunmehr wird der Termin kurzerhand auf den 1. Juli 1978 vorgezogen. Aber die eineinhalb Milliarden werden dem Steuerzahler angelastet. Hier zeigt sich erneut die Flickschusterei, mit der dieser Etat zusammengestellt worden ist. (Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein [CDU/CSU] : Vorhin hat Herr Apel das noch gelobt!)


(V o r s i t z : Vizepräsident Dr. SchmittVockenhausen)

— Na gut; das ist die Apelsche Art und Weise, Finanzpolitik zu betreiben.
Weitere zwei Milliarden DM mußten in den Finanzplan übernommen werden, da die Bundesanstalt nicht in der Lage ist, den ihr im Rentenkonsolidierungskonzept auferlegten Beitragszahlungen an die Rentenversicherungsträger zu übernehmen. Nur kurzfristige Reparaturpolitik ist es auch, daß den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung aus früheren Jahren gestundete Bundeszuschüsse in Milliardenhöhe vorzeitig zurückgezahlt werden müssen.
All dies wird im Bundeshaushalt unter dem großen Mantel „Verbesserung der sozialen Sicherheit und Ausbau des Sozialwesens" verkauft, und der Bundesfinanzminister erzählt uns das Märchen, die Rentenfinanzen seien sicher.
Ich stelle also fest: Das Programm der Bundesregierung zur Rentenkonsolidierung bedurfte schon nach kurzer Zeit erheblicher Reparaturen. Es reichte
eben nicht aus, um Renten- und Arbeitslosenversicherung längerfristig zu konsolidieren. Selbst wenn Ihre jetzige Rechnung aufgeht, erreichen Sie mit der jetzigen Methyode, die Defizite hin- und herzuschieben, allenfalls das Jahr 1981.
Die Ausgabensteigerung um 10 % — die muß hier bei dieser Gelegenheit erwähnt werden — erscheint mir problematisch. Um Mißverständnisse auszuschließen: Sicherlich wäre es zweckmäßig, ja, notwendig und würde es dem Stabilitätsgesetz entsprechen, wenn wir in unserer Wirtschaftslage neben den unabweisbaren steuerlichen Entlastungen unterstützende Konjunkturanreize durch zusätzliche Ausgaben — allerdings an der richtigen Stelle — ausbringen würden.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

Aber die Mittel, die dafür gebraucht werden, haben Sie in der Vergangenheit mit vollen Händen bereits ausgegeben.

(Beifall bei der CDU/CSU — Löffler [SPD] : Wozu? Sagen Sie das mal!)

— Lieber Herr Kollege Löffler, daran kranken wir noch heute. In der Zeit der Überbeschäftigung haben Sie die Staatsausgaben

(Zuruf des Abg. Löffler [SPD])

Jahr für Jahr mit zweistelligen Zuwachsraten steigen lassen. Herr Strauß hat Ihnen das ja heute morgen im Detail vorgeführt, was damals in so gefährlicher Weise die Inflation anheizte. Genau daher kommen doch unsere Kümmernisse bis auf den heutigen Tag.

(Löffler [SPD] : Im Gegenteil! Sie sind angeheizt worden!)

— Herr Kollege, wollen Sie denn bestreiten, daß aus eben diesen Gründen zwei Ihrer Finanzminister innerhalb kürzester Zeit zurückgetreten sind? Das waren doch Nebenwirkungen!

(Beifall bei der CDU/CSU — Prinz zu SaynWittgenstein-Hohenstein [CDU/CSU] : So war es!)

Was damals zuviel ausgegeben wurde, fehlt uns heute. Sie haben damals das Holz verbrannt, an dem wir uns heute wärmen wollen, lieber Herr Löffler.
Angesichts des riesigen Schuldenbergs, den die Regierung in der Vergangenheit aufgetürmt hat, scheidet leider die Möglichkeit aus, die Kostenlast der Wirtschaft und die Ausgabenlast der Bürger durch Steuererleichterungen im erforderlichen Umfang abzubauen und gleichzeitig die Statsausgaben gezielt im investiven Bereich massiv zu erhöhen. Das ist ja unser großes Problem, unsere Krux und unser Leid. Statt des Sowohl-Als-auch nach dem Stabilitätsgesetz gibt es bei Inkaufnahme einer immer noch unerträgliche Verschuldung nur die Entscheidung des Entweder-Oder.
In dieser Lage, in die diese Regierung unseren Staat geführt hat und in der Sie, Herr Bundesfinanzminister, ein hohes Maß an Mitschuld tragen, haben wir, die Christlich Demokratische und die Christlich-



Haase (Kassel)

Soziale Union, eine klare Entscheidung getroffen. Wir sind mit dem Sachverständigenrat der Auffassung, eine dauerhafte massive Erhöhung der Staatsausgaben wäre fiskalisch und volkswirtschaftlich wohl die teuerste Variante der Beschäftigungspolitik und würde überdies eine deutliche Abkehr von der Politik der vergangenen Jahre bedeuten. Der Sachverständigenrat sieht den Problemkern nicht in der Nachfrage. Er deutet den verbliebenen Nachfragemangel nicht mehr als autonomen Störfaktor, sondern im wesentlichen als Reflex der ungelösten Probleme auf der Angebotsseite. Auf gut deutsch: Vorrang kann nicht eine Politik haben, die durch hohe Staatsausgaben mittelbar oder unmittelbar zu mehr Nachfrage führt. Vorrang gebührt dem Abbau der Kostenbelastung der Wirtschaft und einem leistungsgerechten Steuerrecht zur Entlastung von Tarifverhandlungen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Glos [CDU/ CSU] : Genauso ist es!)

Deshalb haben wir beantragt, jetzt in einer Sofortmaßnahme nach dem Stabilitätsgesetz die Steuern um 10 % zu senken und unmittelbar daran anschließend ohne Zeitdruck einen neuen, gerechteren Steuertarif zu schaffen. Ich fürchte, daß diejenigen Damen und Herren im Regierungslager, die nicht um jeden Preis eine andere Republik, sondern sachgerecht und ohne ideologische Scheuklappen das Beste für die Republik wollen, noch bedauern werden, daß sie unserem Vorschlag nicht gefolgt sind. Auch wenn wir jetzt auf Grund Ihres Verhaltens gegebenenfalls gezwungen werden, in eine andere Lösung einzutreten oder sie hinzunehmen, halten wir nach wie vor an der Auffassung fest, daß es alleine richtig wäre, auch in dieser Lage den Ausgabenzuwachs stärker zu- bremsen und die dadurch freiwerdenden Mittel für eine fühlbare Steuerentlastung einzusetzen. An den damit verbundenen Sparmaßnahmen beim Staat werden Sie angesichts der katastrophalen Entwicklung der Finanzen auch bei den Sozialversicherungsträgern früher oder später nicht vorbeikommen, nur daß es dann unseren Bürgern immer noch teurer zu stehen kommen wird.
Meine Damen und Herren, wenn Sie weiter auf diesem Kurs beharren, der sich abzeichnet, Unsicherheit in dieses Land zu tragen, Unsicherheit in die Wirtschaft zu tragen — gar nicht mal aus böser Absicht, sondern Ihr Verhalten zwingt diesem Land diese Atmosphäre auf — wenn beispielsweise die Verunsicherung und die fürchterlichen Folgen aus dem Energiebereich dieses Land weiter schlagen und zusätzlich beeinträchtigen, dann werden Sie als Verantwortliche Deutschland aus dem Kreis der wohlhabenden Industrieländer langfristig abmelden müssen. Dann heißt es: Dritte Welt, wir kommen. Das haben Sie dann aber zu verantworten.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU — Löffler [SPD] : Das glauben Sie doch selber nicht!)

Meine Damen und Herren, angesichts der fortgeschrittenen Zeit muß ich darauf verzichten, die Stellenprobleme, die natürlich auch in diesem Haushalt angesprochen werden müßten, hier im Detail zu erörtern. Eine Regierung, die die Unsicherheit beseitigen und das Vertrauen wiederherstellen will, muß, wie wir es vor zehn Jahren beispielsweise einmal in derGroßen Koalition mit Erfolg gegen viele Widerstände getan haben, unserer Bevölkerung reinen Wein darüber einschenken, wie die Kümmernisse beseitigt werden sollen, wie die Defizite bei der Rentenversicherung, bei der Krankenversicherung, bei der Arbeitslosenversicherung, bei der Bundesbahn ausgeräumt werden können, wie wir die Schuldenzuwächse beseitigen können, auch die Schuldenzuwächse beim Staat. Es gibt ja kaum mehr einen öffentlichen Sektor, der durch diese Politik nicht angekränkelt ist. Weil die Regierung die Finanzkrise allzulange hat treiben lassen, kann dies ohne schweren Schaden nicht mehr von heute auf morgen geschehen. Aber die Regierung müßte aus ihrer Verantwortlichkeit heraus

(Zuruf von der CDU/CSU: Zurücktreten!)

zumindest die Richtung deutlich machen. Diese Aufgabe kann der Bundesregierung das Parlament oder der Haushaltsausschuß nicht abnehmen.
Im Ausschuß stehen wir wieder einmal vor der Aufgabe, in relativ kurzer Zeit unsere Arbeit tun zu müssen, eine hektische Beratung wird folgen, damit der Haushalt wenigstens nicht zu spät im nächsten Jahr wieder ins Plenum kommt. Auch das hat die Regierung zu verantworten, weil sie wieder einmal den Haushalt zu spät verabschiedet hat. Wir erwarten mit Ihnen, Herr Kollege Hoppe, daß die Regierung nächstes Jahr endlich dem Gesetz und dem Spruch des Bundesverfassungsgerichts folgt, damit das Parlament seiner Rolle gerecht werden und den Haushalt endlich einmal so in Kraft setzen kann, wie es das Grundgesetz fordert.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0804606800
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Löffler.

Lothar Löffler (SPD):
Rede ID: ID0804606900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Allzuviel haben wir ja heute noch nicht über den Haushalt gesprochen. Das mag wohl daran liegen, daß heute der unbedeutende Tag ist, an dem die Opposition ihre häufig angekündigte Herbstoffensive gestartet hat. Drei Angriffswellen haben wir ja bereits über uns ergehen lassen müssen. Der erste Angriff war besonders lang. Es krachte schrecklich und donnerte und blitzte, aber es traf nichts —

(Zurufe von der CDU/CSU)

Platzpatronen oder offensichtlich völlig fehlgeschossen. Der zweite Angriff war schon ein bißchen geschickter; er wurde ganz geschickt eingeleitet, Nebelschwaden wurden geschossen; aber dann wurde der Nebel so dick, daß sich der Angriff verzettelte; er erreichte uns auch nicht. Und der letzte Angriff, lieber Herr Kollege Haase, blieb offensichtlich im eigenen Stolperdraht hängen. Sie werden verstehen können, daß wir keine allzugroße Angst davor haben, was uns der Hauptstoß morgen bringen mag;



Löffler
auch den werden wir, glaube ich, ganz, ganz gut überstehen.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Einige Bemerkungen zum Haushaltsentwurf 1978. Ich nehme an, daß wir noch bei späteren Gelegenheiten um diesen Haushalt ringen werden, z. B. im Haushaltsausschuß und auch anläßlich der zweiten und dritten Beratung in diesem Hause. Angesichts der Bedeutung des Haushaltsplans ist es natürlich klar, daß sich dieses Ringen auch in echter Gegensätzlichkeit vollziehen soll. Aber trotz aller Gegensätzlichkeiten — ich meine nicht solche Gegensätzlichkeiten, wie sie meine liebe Kollegin Berger hier im Hause provoziert, wenn ich rede, sondern echte politische Gegensätzlichkeiten — sollten drei Dinge nicht vergessen werden. Erstens, jeder Haushalt ist von den vorausgegangenen Haushalten abhängig. Er setzt gleichzeitig wichtige Merkposten für künftige Haushalte. Insofern ist es nicht möglich, in einem Haushaltsjahr eine völlig neue Welt in Zahlen zu konzipieren. Zweitens, im Haushalt geht es um Zahlen. Sie sind zum Rechnen da und nicht dazu, daß man sie mit Spekulationen, Verdächtigungen und haltlosen Anwürfen befrachtet. Zahlen sollten zur Sachlichkeit zwingen. Drittens, gerade in Haushaltsberatungen — das ist insbesondere der Opposition gesagt — wird die Politik einer Nagelprobe unterzogen. Diese Nagelprobe besteht darin, daß man vom andern nicht mehr fordert, als man selbst zu geben bereit und in der Lage wäre.
Der Entwurf des Haushaltsplans 1978 steht nicht vereinzelt in der politischen Landschaft da. Man kann ihn nur dann richtig werten, wenn man ihn zu der sozialen und wirtschaftlichen Realität, wie sie in unserem Lande und auch in anderen Ländern besteht, in Beziehung setzt. Wie sieht diese Realität nun aus? In allen Industriestaaten der Erde ist seit einigen Jahren festzustellen, daß die Industrieproduktion rückläufig ist oder gar stagniert, daß die Lebenshaltungskosten kräftig steigen, daß die Stundenlöhne diese Entwicklung mitmachen und daß im Gefolge dieser Erscheinungen Arbeitslosigkeit auftritt, die weit über dem Stand dessen liegt, was in Zeiten günstigerer konjunktureller Entwicklungen zu verzeichnen war. Es ist ganz klar, daß diese Erscheinungen Auswirkungen auf die Welthandelsbeziehungen haben mußten.
Wenn man sich nun die internationalen Vergleichszahlen ansieht — ich will Sie zu dieser späten Stunde nicht anführen; bei dieser Besetzung des Hauses wäre es ja auch nutzlos —, dann stellt man fest, daß die Bundesrepublik Deutschland vergleichsweise gut, recht gut abgeschnitten hat, so daß man ohne weiteres die Aussage machen kann, die Bundesrepublik Deutschland ist mit diesen weltweiten Wirtschaftserscheinungen besser fertig geworden als andere Länder.
Das kann jeder nachvollziehen, wenn er die Zahlen vergleicht, die auf den Seiten 248 und 249 des Finanzberichts 1978 enthalten sind. Liebe Kollegin Berger, ich möchte Ihnen natürlich auch einige echte Lebenshilfe gewähren, noch einmal: die Seiten 248 und 249 heute abend vor dem Zubettgehen. Die
relativ gute Stellung, die wir in der Welt einnehmen, ist nicht von ungefähr. Weil wir gut dastehen, wird uns vom Ausland manchmal, vielleicht auch aus gewissen Neidkomplexen, Großmannssucht vorgeworfen. Dieser Vorwurf stimmt nicht. Vielmehr verhält es sich so: die Menschen in unserem Lande wissen, wie wirtschaftliche und soziale Not die Demokratie wegspülen kann, wie diese Not zur Trittleiter eines Diktators werden kann und wie dann die Entwicklung überhaupt nicht mehr zu beeinflussen ist und bis hin zum Inferno führen kann.
Unsere Bürger sind durch historische Erfahrung sensibel geworden und halten Disziplin. Sie wollen durch Maßlosigkeit nicht das gefährden, was sie haben, weil sie wissen, was danach kommt, kann nur schlechter sein. Diese Haltung ist nicht zu kritisieren, sondern sie ist ausdrücklich zu begrüßen. Denn wehe dem demokratischen Gemeinwesen, an das in aller Scheinheiligkeit immer höhere Anforderungen gerichtet werden bis hin zur Schwelle der Unerfüllbarkeit, um dann mit der gleichen Scheinheiligkeit feststellen zu können, diese Gesellschaft tauge nichts, sie müsse weg.

(Beifall bei der SPD)

Das ist zum Glück nicht die Haltung des weitaus größten Teils unseres Volkes. Deshalb haben auch Weltverbesserer mit ihren Ideologien von ganz rechts oder ganz links bei uns keine Chance.
Wir sind dankbar, daß die Bundesregierung in dieser Zeit weltweiter wirtschaftlicher Schwierigkeiten das Steuer fest in der Hand hält. Die Bürger erkennen das durch ihre disziplinierte Haltung an. Allerdings zeichnet sich ein guter Kapitän nicht dadurch aus, daß er stur einen einmal gewählten Kurs beibehält, egal, aus welcher wechselnden Richtung der Wind nun pfeifen möge. Nein, ein guter Kapitän muß wissen

(Wohlrabe [CDU/CSU] : Jährlich neue Steuergesetze!)

— lieber Kollege Wohlrabe —, wann er das Steuer herumzulegen hat. Unser weiß es.

(Beifall bei der SPD)

Zugegebenermaßen ist über die Kurskorrektur ziemlich viel geredet und spekuliert worden. Auch ein paar Schiffsjungen und ein paar Schiffsstewards haben an dieser Diskussion teilgenommen. Das hat aber zum Glück nicht den verunsichert, der in erster Linie den Kurs zu bestimmen hat.
Der Haushalt 1978 enthält gegenüber dem diesjährigen Haushalt, gegenüber dem Haushalt 1977 eine gewisse Kurskorrektur. Während wir im Haushalt und im Finanzplan dieses Jahres das Gebot der Konsolidierung an die erste Stelle gesetzt haben, werden wir, indem wir die Mehrausgaben und damit die Neuverschuldung deutlich gebremst haben, den Haushalt 1978 stärker expansiv fahren. Diese Politik der Haushaltskonsolidierung im vorigen Jahr — das möchte ich nur einschieben und möchte darin meinen Kollegen Hoppe unterstützen — war richtig und bleibt richtig. Schließlich wollen wir uns durch die Kosten für den Kapitaldienst in künftigen



Löffler
Jahren nicht den finanziellen und damit den politischen Spielraum völlig nehmen. Aber Güterabwägung gibt es nicht nur im Recht, sondern auch in der Politik und besonders in der Politik.

(Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Großer Beifall bei der Haushaltsgruppe der SPD! Kein einziger da!)

— Ja, wissen Sie, bei mir sind genauso wenig anwesend wie bei Ihnen, und ich muß sagen, auch denjenigen, die jetzt noch anwesend sind, Herr Kollege Jenninger, sollte man es eigentlich erlassen, noch Beifall zu klatschen. Es ist schon eine große Leistung von ihnen, daß sie sich in dieser Atmosphäre überhaupt noch eine Rede anhören.

(Beifall bei der SPD)

Im Laufe dieses Jahres stellte sich heraus, daß sich der Erholungsprozeß in unserer Wirtschaft und insbesondere auch in den Volkswirtschaften anderer Länder sehr verlangsamte. Das bedeutete auch, daß die Arbeitslosen keine Chance hätten, wieder in Arbeit zu kommen, wenn nicht zusätzlich etwas geschähe, um die Konjunktur in Schwung zu bringen. Ein Mittel dazu sind die Ausgaben der Gebietskörperschaften, also auch die des Bundes. Statt den Haushalt 1978 nach dem Finanzplan 1977 um nur 7,5 °/o steigen zu lassen, hat sich die Regierung für eine kräftige Steigerungsrate von mehr als 10 °/o entschlossen. Das sind 4 Milliarden DM mehr Ausgaben, als der Finanzplan vorsieht. Von Inflationswirkung, Herr Kollege Haase, kann in diesem Zusammenhang gar keine Rede sein. Wir haben heute an Inflation nur eines bemerkt, nämlich die Inflation der Redezeiten von Herrn Franz Josef Strauß,

(Beifall bei der SPD und der FDP)

was irgendwie wohl darauf zurückzuführen ist, daß er sich immer mehr dem Punkt der Verzweiflung nähert.

(Wohlrabe [CDU/CSU]: Der war gut! Da war alles zusammengefaßt, was bei euch mies war! Da ist abgewogen die Wahrheit gesagt worden!)

Nun hat der Kollege Strauß heute früh eine sehr berechtigte Frage gestellt. Er hat nämlich die Frage gestellt, lieber Herr Kollege Wohlrabe, welchen Sinn Finanzpläne noch hätten. Wir wissen natürlich, daß die Finanzpläne wirklich nur eine sehr eingeschränkte Bedeutung haben.

(Wohlrabe [CDU/CSU]: Herr Möller hat da früher aber anderes behauptet! Das ist eine ganz neue Erkenntnis von Ihnen!)

Insbesondere wissen das diejenigen, die diese Schriftstücke jedes Jahr sehr eingehend im Haushaltsausschuß lesen müssen. Bei den Reden, die heute von der Opposition gehalten worden sind, stellt sich allerdings die Frage nach der Sinnfälligkeit. Aber das nur nebenbei.
Von der bewußten Expansion des Bundeshaushalts im nächsten Jahr sollte man sich keine Wunder erwarten.

(Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Der baut schon vor!)

Der Bundeshaushalt 1978 mit seinen rund 189 Milliarden DM stellt zwar eine bedeutende wirtschaftliche Größe dar, die nicht zu unterschätzen ist, aber sie repräsentiert nur zirka 15 % des Bruttosozialprodukts. Damit sind die Möglichkeiten und die Grenzen dessen, was wir tun können, bereits eindeutig aufgezeigt. Die übrigen Gebietskörperschaften sind darüber hinaus aufgerufen, unseren Kurs mitzumachen.

(Lachen bei der CDU/CSU — Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Wir hören Ihnen zwar gern zu, aber mitmachen?! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Wenn ich dann allerdings die Opposition höre, dann klingt immer wieder der Vorwurf heraus, der Staat mische sich zu stark ein. Er kann es gar nicht; er soll es, nebenbei gesagt, auch gar nicht. Die kundigen Thebaner wissen ja auch, daß nicht wir diejenigen sind, die sich irgendwie einmischen, sondern daß von 100 Stellen aus der sogenannten freien Marktwirtschaft Bitten an uns um finanzielle Hilfen und Unterstützungen herangetragen werden, die wir selbstverständlich auch gerne gewähren, wenn damit eine soziale Notlage abgewendet wird.

(Beifall bei der SPD)

Aber es ist dann nicht sehr fair, zu sagen: Ihr mischt euch zuviel in die Dinge ein.

(Grobecker [SPD]: Recht hast du!)

Expansion hat natürlich ihren Preis. Dieser Preis wird noch höher dadurch, daß wir im nächsten Jahr auch auf gewisse Steuereinnahmen verzichten wollen. Die Nettokreditaufnahme wird wieder auf 28 Milliarden DM steigen, eine Summe, die die Vorstellungskraft der meisten Menschen übersteigt. Rechnet man sie allerdings auf jeden Bundesbürger um, wird sie schon etwas handlicher. Dann sind es etwa 460 DM pro Kopf der Bevölkerung in der Bundesrepublik. Dann wird auch deutlich, daß diese Verschuldung nicht abenteuerlich, sondern vertretbar ist. Die unabhängige Bundesbank ist der gleichen Auffassung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein beliebtes Spielchen bei der Betrachtung des Haushalts wird von den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen durchgeführt. Dieses Spielchen besteht darin, daß man die Steigerungsraten für die verschiedenen Ausgaben mit der Gesamtsteigerungsrate des Haushalts vergleicht. Kommt dabei heraus, daß diejenigen Ausgaben, an denen man ein besonderes Interesse zeigt, nicht in gleichem Maße steigen, wird Protest eingelegt. Viele sehen Steigerungsraten offensichtlich als ein Prestigeabzeichen an, das die Bedeutung bestimmter politischer Aufgaben unterstreichen soll. Tatsache ist jedoch, daß sich die Steigerungsraten nach den politischen Notwendigkeiten zu richten haben.

(Beifall bei der SPD)

Wäre es, nebenbei gesagt, anders, könnten wir Politiker einpacken und nach Hause gehen. Wir
brauchten die Haushaltsansätze der Vorjahre je-



Löffler
weils lediglich um die Steigerungsrate hochrechnen zu lassen. Das machen Computer. Dazu braucht man keine Politiker.
Die Steigerungsraten bei den Einzelplänen und bei den verschiedenen politischen Aufgaben, die in dem Haushaltsplan mit Zahlen belegt sind, entsprechen unseren politischen Absichten. Die höchste Steigerungsrate hat der Einzelplan 23, wirtschaftliche Zusammenarbeit, mit fast 22 v. H. mehr als im Vorjahr. Damit machen wir unsere Verpflichtung deutlich, die wir als einer der großen Industriestaaten gegenüber den Völkern der Dritten Welt zu erfüllen haben.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Wir als eine Industrienation sind doch auf Welthandel und weltweite Partnerschaft angewiesen. Wir wissen: die Hilfeempfänger von heute werden unsere wertvollen Partner von morgen sein.
Der Einzelplan 06, Inneres, weist die zweithöchste Steigerungsrate auf. Das Volumen dieses Einzelplans wird vielleicht sogar noch wachsen. Darüber muß noch diskutiert und beraten werden. Das Mehr in diesem Einzelplan bezeugt unter anderem auch unsere Absicht, die personellen und materiellen Voraussetzungen zu schaffen, um das organisierte Verbrechertum noch wirkungsvoller bekämpfen zu können als bisher.
Es folgen dann die Einzelpläne für Wirtschaft, Verkehr und Soziales, die ebenfalls Steigerungsraten aufzuweisen haben, die deutlich über 10 v. H. liegen.

(Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein [CDU/CSU] : Sagen Sie auch mal die Gründe!)

— Wenn Sie mich dauernd unterbrechen, sehr geehrter Herr Prinz Botho, dann kann ich nicht weiterreden. Ich gehe weiter davon aus, daß Sie den heutigen Abend vielleicht mit etwas Angenehmerem verbringen könnten, als sich von mir, den Sie zwangsläufig in jeder Sitzung des Haushaltsausschusses genießen müssen, darlegen zu lassen, weshalb gewisse Einzelpläne in ihrem Volumen wachsen.

(Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Jetzt kommt der Hauptstoß von ihm!)

— Ich will nicht stoßen; ich will auch keine Offensive machen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0804607000
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Lothar Löffler (SPD):
Rede ID: ID0804607100
Bitte, selbstverständlich.

Prinz Botho zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein (CDU):
Rede ID: ID0804607200
Herr Kollege Löffler, wollen Sie im Ernst die Steigerungsrate im Einzelplan 11, die nichts anderes als eine Reparatur der schlechten Gesetzgebung dieses Sommers bedeutet, als einen Erfolg bezeichnen?

Lothar Löffler (SPD):
Rede ID: ID0804607300
Ja, selbstverständlich, sehr verehrter Herr Kollege Prinz Botho. Selbstverständlich ist das ein Erfolg.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Wenn wir unter erschwerten wirtschaftlichen Bedingungen unser soziales Netz im wesentlichen beibehalten können, ohne daß die Bürger höhere Lasten zu tragen haben, ist das doch ein Erfolg. Das können Sie doch nicht leugnen.

(Widerspruch bei der CDU/CSU — Glos [CDU/CSU] : Wer zahlt denn das im Endeffekt?)

— Na hören Sie mal, das ist doch wohl — so muß ich allen Ernstes fragen — nicht abzustreiten.
Gerade die Erhöhung des Volumens der Einzelpläne für Wirtschaft, Verkehr und Soziales zeigt unser eindeutiges Bemühen, unsere Lebensverhälnisse zu sichern, das Leistungsangebot zu erhalten oder noch zu erhöhen, die soziale Sicherung auch unter erschwerten Bedingungen zu gewährleisten.
Auch unsere Ausgaben für die Forschung wachsen überproportional. Mit anderen Worten: Dieser Haushalt ist fein abgestimmt und sorgfältig ausgesteuert. Er ist ein gut passender Teil für das Puzzlespiel der Weltwirtschaft.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind davon überzeugt, daß der von uns vorgesehene Haushalt und die übrigen neun Programmpunkte, die wir zur Ankurbelung der Konjunktur aufgestellt haben, positiv wirken werden. Der Haushalt ist sicherlich ein besonders starkes und kräftiges Glied in der Kette der Maßnahmen zur Ankurbelung der Konjunktur; aber es gibt daneben noch neun andere, auf die ich jetzt nicht weiter eingehen will.
Wir sind davon überzeugt, daß unser Programm positiv wirken wird. Dennoch sind wir selbstverständlich bereit, auch andere Gedanken aufzunehmen und fordern ausdrücklich jeden auf, nicht nur mitzuhandeln, sondern auch mitzudenken. Das gilt in allererster Linie selbstverständlich für die Opposition.

(Beifall bei der SPD)

Jeder sachlich begründete und ernst zu nehmende Vorschlag von Ihrer Seite

(Glos [CDU/CSU] : Wird abgeschmettert!)

soll sachlich erörtert werden und wird dann auch unsere Zustimmung finden, wenn er die Nagelprobe aushält. Hoffentlich sind solche Vorschläge im Pulverdampf der heute angelaufenen Herbstoffensive noch zu erkennen. Daß wir uns vor dieser Offensive nicht fürchten, habe ich bereits gesagt, auch nicht vor dem Feldherrn und auch nicht vor seiner Strategie.
Wir meinen nur: Der Deutsche Bundestag ist kein Abenteuerspielplatz, sondern eine Stätte ernsthafter Debatten. Das Volk erwartet von uns allen Lösungsvorschläge und keine Strategiespiele.
Was bisher an Vorschlägen aus den Reihen der Opposition zu hören war, war im Einzelfall ganz publikumswirksam. In der Gesamtschau der Vor-



Löffler
schläge stimmt jedoch manches nicht. Darum, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, muß ich Sie bitten, Ihre Fraktionssitzungen dazu zu benutzen, ernsthaft und sachlich zu diskutieren, und nicht so viel zu trampeln — uns fällt unten fast immer die Decke auf den Kopf.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie sind sehr schulmeisterlich!)

Sie müßten tatsächlich Ihre verschiedenen Politikbereiche besser aufeinander abstimmen. Da werden Steuerentlastungen in Höhe von ca. 15 Milliarden DM gefordert. Das ist doppelt soviel wie die .Steuerentlastung, die das Gesetz, das die Koalitionsfraktionen eingebracht haben, vorsieht. Das ließe sich ja noch hören. Aber wenn jedermann weiß, was vier deutsche Wirtschaftsinstitute auch bestätigt haben, nämlich daß zur Ankurbelung der Konjunktur eine verstärkte Investitionstätigkeit des Staates, eine expansive Haushaltsführung der Gebietskörperschaften notwendig ist, Sie dann jedoch auch noch fordern, die Verschuldung solle heruntergesetzt werden, dann ist das nicht auf einen Nenner zu bringen. Wir können nur das eine tun. Wenn wir Ihre Ratschläge befolgen, gerieten wir in Gegensatz zu allen wirtschaftswissenschaftlichen Aussagen der Jetztzeit, nebenbei gesagt, auch in Gegensatz zu der Meinung unserer wichtigsten Partner in der Welt. Unsere Partner draußen haben sowieso nicht allzuviel Verständnis für unsere bisher mehr zurückhaltende Art bei der Überwindung der weltweiten wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Sie trauen uns sehr viel mehr zu, als wir gegenwärtig leisten und wahrscheinlich auch 1978 leisten werden. Wir sind jedenfalls der Meinung daß sich der Staat in der jetzigen Situation nicht aus seiner Verantwortung zurückziehen und auf ein geruhsames Nachtwächterdasein beschränken kann, wie es offensichtlich die Opposition will. Nein, nicht der Nachtwächter ist gegenwärtig gefragt, sondern der einfallsreiche und energische Schrittmacher, und das wollen wir sein.

(Beifall bei der SPD)

Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß auch die Opposition in ihrer Gesamtheit das eines Tages erkennen wird. Ein Teil der Opposition hat es ja schon erkannt. Nur spielen diese Herren offensichtlich in der Herbstoffensive keine Rolle. Deshalb habe ich sie auch heute noch gar nicht im Saal gesehen.

(Kühbacher [SPD] : Verlangen Sie nichts Unmögliches!)

— Sie haben recht, Herr Kollege Kühbacher. Man geht vielleicht doch mit seinen Idealvorstellungen ein bißchen zu weit; sie gehen dann irgendwann einmal mit einem durch. Aber ich bin an und für sich ein Mensch, der den Glauben nicht aufgibt. Wenn ich die andächtigen Gesichter der Oppositionsmitglieder hier so vor mir sehe, glaube ich doch, daß das einen gewissen Erfolg haben kann.

(Beifall bei der SPD — Glos [CDU/CSU] : Wir warten immer darauf, ob noch etwas kommt!)

Die Opposition braucht dann bei der Bewältigung unserer großen wirtschaftlichen und sozialen Aufgaben nicht mehr mit ihrem Gerede abseits zu stehen, sondern sie kann kräftig mittun. Wir sind gespannt, was von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, in dieser Hinsicht an Vorschlägen während der Beratungen eingebracht wird.
Herr Barzel hat heute in seinem Beitrag gesagt: Die Regierung hat keine Mehrheit mehr.

(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig gesehen!)

Ich würde sagen: Wollen wir es einmal abwarten. Der vorgelegte Entwurf zum Haushalt 1978 zeigt, daß die Bundesregierung in ungebrochener Kraft zu handeln versteht und die Dinge nicht schleifen läßt.

(Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/ CSU)

— Sie werden es ja erleben, Herr Haase.
Der vorgelegte Entwurf zum Haushalt 1978 zeigt ferner, daß Sicherheit und Stabilität nach wie vor einen hohen Rang in der Politik der Bundesregierung einnehmen, daß die Bundesregierung bereit ist, den außergewöhnlichen Zeiten mit außergewöhnlichen Maßnahmen zu begegnen und daß die solide Haushaltspolitik und aktive Konjunkturpolitik auf einen Nenner gebracht worden ist, der als Kompromiß angenommen werden kann.
Die Signale des Selbstvertrauens, der Handlungsbereitschaft und des Einfallsreichtums, die von diesem Haushalt ausgehen, sollten überall empfangen, befolgt und weiterentwickelt werden, auch von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition. Die sozialdemokratische Fraktion ist jedenfalls dazu bereit und wird sich in diesem Sinne bei den Beratungen des Haushaltsplanentwurfs verhalten.
Ich danke recht herzlich für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe, daß Ihnen nun der Abend nicht mehr mit Politik weiter verdorben wird.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0804607400
Das Wort hat Herr Abgeordneter Gärtner.

Klaus Gärtner (FDP):
Rede ID: ID0804607500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Löffler, ich weiß nicht, wie ernst oder wie liebenswürdig das, was Sie am Schluß gesagt haben, gemeint war. Wenn Sie es weder ernst noch liebenswürdig gemeint haben, finde ich dies noch schlimmer. Man muß gelegentlich auch darauf achten, daß nach einem selbst noch jemand kommt, Herr Kollege Löffler.
Herr Kollege Haase, ich hoffe nicht, daß wir uns noch über das Land, über das Sie gesprochen haben, streiten müssen. Ich hatte manchmal den Eindruck, daß Sie die Situation in diesem Land in Ihren Bemerkungen nicht gerade korrekt wiedergegeben haben. Ich hoffe, daß Sie sich mit dem Satz „Ab in die Dritte Welt" nur bis zur nächsten Woche abgemeldet haben und bei den Haushaltsberatungen wieder da sind.
Die Bundesregierung hat dem Parlament nach meinem Eindruck einen Haushaltsplanentwurf vorgelegt, der in seinen Schwerpunkten die politischen



Gärtner
Ziele dieser Regierung und auch der sie tragenden Koalitionsparteien deutlich macht. Auf der Einnahmeseite verzichten wir auf Steuergelder und verbinden damit den Wunsch, daß Verbraucher und Investoren sich so verhalten, daß die konjunkturelle Entwicklung in die Zuwachszone führt. Wir haben ein Bündel steuerlicher Maßnahmen beschlossen; und ich hoffe, daß diejenigen, die davon Vorteile haben werden, ein konjunkturgerechtes Verhalten an den Tag legen. Es ist auch nicht zu vergessen, daß wir in diesem Jahr bereits eine Reihe von konkreten steuerpolitischen Maßnahmen beschlossen haben. Mit diesen Maßnahmen zusammen, die nach Zustimmung durch den Bundesrat wirksam werden können, sind alle Voraussetzungen geschaffen, daß in diesem Lande wieder mehr investiert wird. Wenn Investitionen allerdings weiterhin ausbleiben, so gibt es dafür eigentlich keine ernsthafte Entschuldigung mehr

(Beifall bei der FDP und bei der SPD — Glos [CDU/CSU] : Diese Regierung ist die Entschuldigung!)

— Vorsicht, Herr Kollege Glos, Sie hätten fast in mein Manuskript sehen können —, es sei denn, die Unternehmungen wollen den verhängnisvollen Satz des Vorsitzenden der CDU in Nordrhein-Westfalen bestätigen, der vor der Wahl am 4. Mai 1975 gesprachen wurde und wie folgt lautet: „Die beste Konjunkturpolitik ist ein Wahlsieg der CDU."

(Glos [CDU/CSU] : Das hat er richtig gesehen!)

Wer dieses hier behauptet, Herr Glos, bringt natürlich das Investitionsverhalten von deutschen Unternehmern in ein seltsames Zwielicht.

(Beifall bei der FDP und bei der SPD)

Ein zweiter Schwerpunkt des Bundeshaushaltes sind die strukturell wirksamen Maßnahmen und auch die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Die Beratungen des Bundeshaushalts im Haushaltsausschuß werden daran gemessen, d. h., wir, die Koalitionsfraktionen, werden danach unsere Beratungen ausrichten. Alle Maßnahmen, die eine positive konjunkturelle Wirkung haben und zugleich strukturell wirksam werden, sind vorrangig zu bedienen. Ich erinnere dabei an das Kooperationsangebot, Herr Kollege Haase, das Sie soeben hier gemacht haben. Die Anstoßwirkung öffentlicher Haushalte sollte man aber natürlich auch nicht überschätzen. Sicherlich brauchen wir öffentliche Investitionen. Wir brauchen gezielte öffentliche Investitionen. Was uns im Augenblick aber auch fehlt, sind private Investitionen. Wir haben die Voraussetzungen dafür geschaffen. Ich meine, diese Investitionen fänden in einem Land statt, in dem es sich nach meiner Auffassung lohnt, zu investieren, in einem Land, das einen sozialen Frieden wie kein anderes Land auf dieser Welt kennt.

(Beifall bei der FDP und bei der SPD)

Von daher kann man in Abwandlung eines berühmten Satzes sagen: „Nun investiert mal schön."
Gewiß wird in der zukünftigen Debatte und auch während der Beratungen im Haushaltsausschuß das
Thema der Verschuldung wieder eine Rolle spielen. Dazu ist heute morgen schon — mit bayerischen Akzenten versehen — etwas vorgetragen worden. Ich freue mich, sagen zu können, daß sich der Kollege Strauß, der im nächsten Jahr, wie ich annehme, den bayerischen Haushalt zu begründen haben wird, dann mit der dortigen Opposition über seine eigene Verschuldungsrate ebenfalls streiten wird. Ich nehme an, er wird dieses Thema dann allerdings auch in seiner unnachahmlichen Art und Weise verniedlichen.

(Kühbacher [SPD]: Hoffentlich bald!)

— Ja, dies ist eigentlich auch ein Grund gewesen, warum man ihm heute morgen noch anderthalb Stunden zuhören konnte: Es war wahrscheinlich sein letzter Auftritt.
Insbesondere die Damen und Herren von der Opposition haben, wie gesagt, auf diesen Verschuldungsstand hingewiesen. Sie müssen aber, auch wenn Sie auf dem Verschuldungsprinzip herumreiten, natürlich gelegentlich zeigen, daß Sie bei dem, was zur Verschuldung beiträgt, nämlich bei der Verabschiedung ausgabewirksamer Gesetze hier im Plenum nicht gerade abseits gestanden haben. Sie haben kräftig mitgemacht.

(Zustimmung bei der FDP und bei der SPD — Glos [CDU/CSU] : Wer hat denn die ganzen Schulden gemacht?)

— Wer will denn noch mehr Steuererleichterungen und Steuerentlastungen haben? In der Debatte im Juni dieses Jahres — so lange ist das noch gar nicht her — hat der Kollege Häfele, der so etwas wie ein altbadischer Glistrup ist, hier gesagt: Der Staat braucht zwar mehr Geld, aber weniger Steuern. — Das ist wirklich eine pfiffige Melodie.

(Beifall bei der FDP und bei der SPD)

Von einem Staat, den man verantwortungsvoll regieren muß, kann man anscheinend alles verlangen. Daß der Bürger in diesem Lande Ihre Haltung etwas zu würdigen weiß, werden Sie ja an den bisherigen Wahlergebnissen abgelesen haben, und an den zukünftigen werden Sie es hoffentlich auch noch ablesen können.

(Löffler [SPD]: Sehr gut!)

Der Wähler hat Ihnen ja bisher diesen Zugriff zur Macht immer etwas schwieriger gemacht, und ich hoffe, er wird ihn Ihnen auch in Zukunft noch schwieriger machen.
Meine Damen und Herren, die Verschuldung ist — und darüber müssen wir auch im Ausschuß ernsthaft diskutieren — nicht so ohne weiteres zu geißeln. Sie ist nach meiner Auffassung vertretbar, allerdings auch nur dann, wenn in dieser heutigen Zeit Dinge finanziert werden, die eine mittel- und langfristige Perspektive haben, wenn also heute Investitionen getätigt werden, die zukünftige positive Wirkungen haben, von denen mehrere Generationen etwas haben. Dies ist in einem normalen Unternehmen üblich; der Staat sollte sich nicht anders verhalten. Das mehrjährige Investitionsprogramm ist darauf angelegt, und es ist ja auch feststellbar,



Gärtner
daß die Gebietskörperschaften diesen Anstoß aufgenommen haben.
Was nach meinem Eindruck verbessert werden muß, ist zweierlei: Wir müssen noch stärker dazu beitragen, daß wir unsere Umwelt konsequent sanieren. Insbesondere alte Industrieregionen müssen in den Stand versetzt werden, wieder investitionsfähig zu werden,

(Glos [CDU/CSU]: Dazu brauchen sie Gewinne!)

dies heißt im Grunde: wieder erweiterungsfähig zu werden. Denn es ist meines Erachtens zu teuer, daß Kapital in die Regionen gelenkt wird, in denen Erweiterungen noch möglich sind, und daß anschließend über Mobilitätshilfen der Faktor Arbeit hinterhergeschickt wird. Sanierung am Ort heißt aber auch, daß wir nicht nur Umweltschutznormen erlassen müssen; vielmehr muß es den Unternehmungen möglich sein, diese Umweltschutznormen zu finanzieren. Es ist keine Abkehr vom Verursacherprinzip, wenn der Staat da helfend eingreift. Dies gibt es ja schon im § 7 d des Einkommensteuergesetzes. Wir sollten hier ein Instrument entwickeln, das den Unternehmungen die Finanzierung ermöglicht. Es muß nach meiner Meinung möglich sein, Abschreibungsfirmen nicht nur, sagen wir einmal, in Sachen Hotel-und Wohnungsbau zu finanzieren, sondern sich auch, wenn man so will, in diesem Bereich des Umweltschutzes etwas einfallen zu lassen.
Ich bin der Auffassung, daß viele kritische Anmerkungen zur Durchführung des Investitionsprogramms hier nicht ganz ehrlich wiedergegeben worden sind. Es wird da erzählt, der Instanzenweg der Begutachtung sei viel zu lang, und dies alles bleibe ja in der Bürokratie hängen. In vielen Fällen müssen wir uns darüber im klaren sein, daß das Verfahren, das wir uns hier jetzt eingehandelt haben, Ausfluß des föderalen Systems ist.

(Glos [CDU/CSU] : Ein gutes System!)

— Herr Glos, das weiß ich; in Bayern klingt es ja immer besser, wenn man darüber redet.

(Glos [CDU/CSU] : Am allerbesten!)

Nur, Sie müssen eines bedenken: Gerade die bayerische Klage hat uns dazu veranlaßt und wird uns in Zukunft dazu veranlassen, den direkten Weg von Bundesinvestitionen nicht mehr gehen zu können, wenn Länder und Kommunen beteiligt sind. Dies heißt natürlich Verlängerung der Maßnahme, und ich finde, man muß schon wissen, was einem der Föderalismus wert ist.
Es gibt natürlich noch andere Probleme. Z. B. ist festzustellen, daß das Prinzip der Quotierung der Mittel auf die Bundesländer dazu führt, daß die Bundesländer in sich wiederum auch ein Quotierungsverfahren auf die Regionen anwenden, und dies gibt manchmal keinen Sinn. Mir ist z. B. aus dem Bereich einer Gemeinde — das ist die Stadt Krefeld —

(Glas [CDU/CSU] : Nicht in Bayern!)

bekannt, daß es den Bereich ,,Betriebsverlagerung"
gibt, der in diesem Falle eine Firma dazu veranlassen sollte, in einen anderen Bereich der Stadt umzusiedeln. Die Stadt Krefeld kann es nicht tun, weil die Quoten, die insgesamt für den Regierungsbezirk Düsseldorf ausgelobt sind, überhaupt nicht mehr ausreichen, so daß die eine Maßnahme, die einen erheblichen Multiplikationseffekt hätte, nicht getroffen werden kann. Ob das der Sinn der ganzen Angelegenheit sein soll, wage ich zu bezweifeln.
Im Zusammenhang mit der kritischen Frage nach der Wirksamkeit öffentlicher Investitionen wird gelegentlich gesagt, daß viele öffentliche Institutionen nicht zusätzlich notwendig wären, wenn bestimmte andere Investitionen wirksam wären. Gedacht wird da üblicherweise an den Kraftwerkbau, insonderheit an den Kernkraftwerkbau. Es ist meines Erachtens nicht zulässig, daß Mißtrauen der Bürger gegen das Kernkraftwerkzubauprogramm damit zu diskreditieren, daß man sagt, dies ist die Form der privaten Interessenwahrnehmung. Der Zubau von Kernkraftwerken in diesem Lande ist nicht ein rein ökonomisches Problem; er hat außerdem eine Dimension, die es notwendig macht, differenzierter darüber nachzudenken. Und es scheint mir eben nicht richtig zu sein, diejenigen zu diskreditieren, die darüber nachdenken, ob dieser Zubau von Kernkraftwerken in unserem Lande in dem Ausmaß, wie er vorgesehen ist, noch notwendig bzw. vertretbar ist.
Jede Bürgerinitiative in diesem Lande sollte grundsätzlich Anlaß für uns zum Nachdenken sein, u. a. auch deshalb, weil sie ein gewisses Mißtrauen gegen die demokratischen Parteien in diesem Lande zum Ausdruck bringen können. Wenn eine erforderliche Diskussion innerhalb der Parteien gelegentlich nicht stattfindet, verlagert sie sich natürlich nach draußen. Wir wundern uns dann, wenn sich uns bei der Durchführung von bestimmten Projekten Probleme entgegenstellen, die doch nur deshalb auftreten, weil wir im Parlament zuwenig kritisch diskutieren.
Wer auf der einen Seite den mündigen Bürger fordert, darf natürlich nicht hingehen und sich beklagen, wenn der Bürger — auch wenn er noch nicht dem Idealbild entspricht, das wir uns vom mündigen Bürger vorstellen — von dem Recht, das wir ihm zubilligen, nämlich sich als mündiger Bürger zu verhalten, auch Gebrauch macht.

(Beifall bei der FDP und der SPD—Carstens [Emstek] [CDU/CSU] : Aber nicht mit Schlagstock!)

— Herr Carstens, das ist noch nicht einmal ein pfiffiger Zwischenruf gewesen.
Aber man muß sich doch wirklich einmal Gedanken darüber machen: Wer in diesem Lande sagt, Demokratie müsse auch dann stattfinden, wenn sie weh tue — insoweit weh tut, als bestimmte Maßnahmen, die eine Regierung durchführt, kritisiert werden, egal ob es sich nun um diese Bundesregierung oder beispielsweise um die Landesregierung in Schleswig-Holstein handelt —, muß wissen, daß er sich seine Bürger nicht aussuchen kann. Wenn heute morgen der kritische Geist soviel bemüht worden ist, dann muß doch festgestellt wer-



Gärtner
den, daß man sich nicht die Freiheit nehmen darf, diesen kritischen Geist in einen guten und in einen schlechten zu dividieren.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das müssen Sie mal Ihrer Fraktion sagen!)

— Wir reden in unserer Fraktion, wie Herr Lambsdorff schon dargestellt hat, sehr offen und sehr freundlich miteinander. Das Verhalten unserer Fraktion ist mir lieber als das Verhalten in anderen Fraktionen, das gelegentlich mit etwas weniger Diskussion, dafür aber mit geschlossenem Auftreten verbunden ist. Das mag in der Wirkung nach draußen einen gewissen Vorteil haben. Ich gebe zu: Es gibt Strategen, die der alten Parteitheorie nachhängen und sagen, geschlossenes Auftreten nach draußen bringe auch Wählerstimmen. Wissen Sie, wir haben mit unserem Auftreten bisher auch nicht schlecht dagestanden. Auch Sie haben mit Ihrem Auftreten nicht schlecht dagestanden, aber Gott sei Dank nicht so gut, wie Sie erwarteten.

(Dr. Riedl [München] [CDU/CSU] : Sie sind schon ein netter Mensch!)

— Lieber Herr Kollege Riedl, im Augenblick rede ich nicht vom Abstieg.
Ein wesentlicher Teil der Beratungen des Haushaltes 1978 wird wohl dadurch bestimmt werden, daß über die Entwicklungshilfe gestritten wird. Viele unserer Kollegen, insbesondere von der CDU/ CSU, werden bereit sein, einiges von ihren Vorurteilen dann auch öffentlich zu wiederholen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!)

Ich bin allerdings nicht bereit, einer Politik zuzustimmen, die darin besteht, daß die Bundesrepublik Deutschland im Nord-Süd-Dialog mit den alten Ladenhütern auftritt, die uns das politische Geschäft in Sachen Ost-West jahrelang erschwert haben.
Zu einer erfolgreichen Entwicklungspolitik gehört allerdings auch — das ist eine Bemerkung, die auch in die Haushaltsberatung gehört — die Zustimmung der Bevölkerung dieses Landes. Diese Zustimmung wird sicherlich nicht gefördert, wenn man eine Anzeigenserie auflegt, die im Grunde die Vorurteile, die in diesem Lande gegenüber Entwicklungshilfe bestehen, in einer seltsam verschrobenen didaktischen Form darstellt. Ich darf für mich feststellen, daß die bisher angelaufenen Anzeigen nach meiner Meinung nicht zur Erhöhung der Zustimmung der Bevölkerung unseres Landes zur Entwicklungshilfe beitragen werden. Ich halte die Anzeigen, die bisher erschienen sind, für zu teuer und in der Sache für qualitativ nicht gut genug.
Wir müssen im übrigen von einer Entwicklungshilfe wegkommen, die sich beschränkt auf kleine, bis ins letzte durchgeprüfte Projekte. Diese Projekte sind zwar wohlvorbereitet, werden wunderbar durchgeführt, stellen sogar den Rechnungshof zufrieden, aber von ihnen geht kein entscheidender Impuls für das zu entwickelnde Land aus. Nach meiner Auffassung ist es insoweit sinnvoller, daß wir uns wieder der Gesellschaften und Institutionen bedienen, die wir ja nicht ohne Grund gegründet haben. Ich schlage daher vor — das haben wir auch schon bei den letzten Haushaltsberatungen getan —, an die Kapitalerhöhung bei der Deutschen Gesellschaft für Entwicklungshilfe und bei der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit in Frankfurt-Eschborn heranzugehen. Wir werden, wie gesagt, in diesem Bereich aktiv werden. Ich meine, wir können auf diese Weise mit dem, worauf wir stolz sind, nämlich unserem inneren Frieden, auch draußen im Verhältnis zu den Ländern der Dritten und Vierten Welt Erfolge erzielen.
Ein weiterer wesentlicher Bereich in unserem Haushalt 1978 wird der Bereich der inneren Sicherheit sein. Es ist nicht sehr einfach, in diesen Tagen über das zu diskutieren, was in diesem Bereich sinnvoll ist. Lassen Sie mich hier nur folgendes sagen. Ich bin der Auffassung, daß es nicht darum geht, eine Vielzahl von Beamten einzustellen und dem Bürger zu sagen, daß dieses Land damit sicherer sei. Ich bin der Auffassung, daß dieses Land seine innere Sicherheit nicht dadurch erhält, daß es Quantität statt Qualität in diesem Bereich schafft.

(Beifall.bei der SPD)

Es ist auch notwendig, wie gesagt, in diesem Bereich qualitativ Verbesserungen vorzunehmen.
Lassen Sie mich noch eine kleine Anmerkung zum Bereich des Innenministers machen. Wir haben im letzten Haushaltsjahr gehört, daß es in Sachen Dienstrechtsreform etwas Neues geben soll. Ich bedaure, daß wir bisher noch keine entsprechende Vorlage haben. Ich hoffe, daß wir bei den Beratungen im Haushaltsausschuß dann entsprechend ausgerüstet werden. Denn ich bin der Meinung, in diesem Bereich muß man endlich einmal Nägel mit Köpfen machen, weil wir dieses Thema nicht als Dauerhit in die 80er Jahre hineintragen sollten.

(Zuruf von der SPD: Überfällig!)

— Überfällig.
Ich hatte bei der ersten Lesung des vergangenen Haushaltes einige kritische Bemerkungen zum Wirtschaftsrahmen gemacht. Es hat mich eigentlich gewundert, daß die Redner der Opposition hier nicht noch einmal voll zugeschlagen haben. Ich darf daran erinnern, daß wir uns bei den letzten Haushaltsberatungen darüber Gedanken gemacht haben, wie wir hier eine stärkere Beteiligung des Parlaments erreichen können. Wir sollten uns alle der Mühe unterziehen, das Verfahren der Bürgschaftsgewährungen im Ausschuß noch einmal unter die Lupe zu nehmen. Denn mittlerweile hat sich ein Risiko angesammelt, das der Dispositionsgewalt des Parlaments entzogen ist.
Die Konjunkturlenker aller industrialisierten westlichen Staaten haben Lenkungsprobleme. Die Wirtschaft ist nicht per Knopfdruck einzuschalten oder über einen Gleitwiderstand behutsam in der Wachstumsgeschwindigkeit je nach Belieben zu regulieren. Konjunkturpolitik, auch und gerade in der gegenwärtigen Situation der Weltwirtschaft, hat nach meinem Dafürhalten national ihre Wirksamkeitsgrenze erreicht. In den Zeiten, in denen in diesem Lande Nachholbedarf in fast allen Sektoren
Deutscher Bundestag 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3551
Gärtner
bestand, wie dies in den 50er und 60er Jahren der Fall war, ging das Anwerfen der Konjunktur mit „einfachen" konjunkturpolitischen Maßnahmen noch sehr gut. Heute, in einer Zeit, die deshalb so schwierig ist, weil es auch strukturelle Ursachen der Krise gibt, läßt sich meines Erachtens nicht so einfach wie früher Politik machen. Es läßt sich auch — das sei Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, gesagt — nicht mehr so leicht wie früher Oppositionspolitik machen. Daß dieser Prozeß des Lernens noch nicht völlig hinter. Ihnen liegt, erleichtert uns auch im Grunde das Regieren.
Die begrenzte Wirksamkeit staatlicher Konjunkturpolitik, die längerfristigen Entwicklungsperspektiven des Arbeitsmarktes sowie die Tendenzen zur Unterauslastung der Produktionskapazitäten geben Anlaß, nach den Handlungsmöglichkeiten einer Wachstumspolitik zu fragen, weil in den schon erwähnten 50er und 60er Jahren die Wachstumspolitik insgesamt konsensfähig und allenfalls die Reihenfolge der Lückenfüllung streitig war. Die Diskussion über die Zielrichtung der Wachstumspolitik findet hier ja nur sehr verkümmert statt. Der Bürger diskutiert sie, und er handelt auch schon entsprechend, wenn er sich z. B. gegen bestimmte Kraftwerkszubauten oder dagegen wendet, daß bestimmte Straßen gebaut werden. Dies alles ist eine Art Bürgermitwirkung, auch hinsichtlich der Zusammensetzung des Wachstums. Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Diese Mitbestimmung läuft
wohl auch deshalb so ab, weil hier gelegentlich nicht offen genug darüber diskutiert wird.
Lassen Sie mich noch zum Abschluß folgendes sagen. Wir werden auch bei den nächsten Haushalten kritische Diskussionen darüber zu führen haben, wie und in welchen Bereichen öffentliche Investitionen notwendig sind. Wir sollten diesen Weg der Diskussion nicht dadurch verstellen, daß wir mit der ideologischen Fliegenpatsche kommen. Der Kollege Vogt aus der CDU-Fraktion hat dies in Berlin nach meinem Dafürhalten sehr zutreffend gesagt: mit Totschlageargumenten wird man dem Problem nicht gerecht. Wir sollten uns alle die Mühe machen, eine vernünftige sachliche Diskussion zu führen, und mit den Vorwürfen der ideologischen Verklemmtheit sehr zurückhaltend umgehen. Dies ist nämlich keine Position im Haushalt. Wir sind da etwas nüchterner. Ich glaube, daß wir in diesem Bereich auch in Zukunft noch zu guten Ergebnissen kommen können.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0804607600
Meine Damen und Herren, wir unterbrechen an dieser Stelle die Aussprache über das Haushaltsgesetz. Ich schließe die heutigen Beratungen.
Die Sitzung ist geschlossen.