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ID0804604900

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    Plenarprotokoll 8/46 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 46. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Inhalt: Absetzung zweier Punkte von der Tagesordnung 3469 A Aussprache über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1978 (Haushaltsgesetz 1978) — Drucksache 8/950 — in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1977 bis 1981 — Drucksache 8/951 — Strauß CDU/CSU 3469 B Dr. Ehmke SPD 3485 C Hoppe FDP 3497 D Dr. Friderichs, Bundesminister BMWi . . 3502 D Dr. Barzel CDU/CSU 3512 A Reuschenbach SPD 3521 C Dr. Graf Lambsdorff FDP . . . . . . 3525 D Dr. Apel, Bundesminister BMF 3532 D Haase (Kassel) CDU/CSU . . . . . . 3539 D Löffler SPD 3543 D Gärtner FDP 3547 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . 3551 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 3553* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3469 46. Sitzung Bonn, den 5. Oktober 1977 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adams * 6. 10. Dr. Ahrens ** 7. 10. Dr. Aigner * 7. 10. Alber ** 7. 10. Dr.Bardens ** 7. 10. Dr. Bayerl * 6. 10. Böhm (Melsungen) ** 7. 10. Frau von Bothmer ** 7. 10. Brandt 7. 10. Büchner (Speyer) ** 7. 10. Frau Eilers (Bielefeld) 7. 10. Dr. Enders ** 7. 10. Dr. Evers ** 7. 10. Fellermaier * 5. 10. Dr. Geßner ** 7. 10. Haase (Fürth) * 7. 10. Handlos ** 7. 10. Frau Dr. Hartenstein 7. 10. von Hassel ** 7. 10. Hoffmann (Saarbrücken) * 6. 10. Dr. Holtz ** 7. 10. Frau Hürland 5. 10. Dr. Klepsch * 7. 10. Klinker * 7. 10. Lagershausen ** 7. 10. Lange * 7. 10. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich Lemmrich ** 7. 10. Lemp * 7. 10. Lenzer ** 7. 10. Marquardt ** 7. 10. Dr. Mende ** 7. 10. Milz ** 7. 10. Möhring 7. 10. Dr. Müller ** 7. 10. Müller (Mühlheim) * 7. 10. Neuhaus 5. 10. Pawelczyk ** 7. 10. Reddemann ** 7. 10. Dr. Schäuble ** 7. 10. Scheffler ** 7. 10. Schmidhuber ** 7. 10. Schmidt (Kempten) ** 7. 10. Schmidt (München) * 7. 10. Schmidt (Würgendorf) ** 7. 10. Schreiber * 6. 10. Schwabe * 7. 10. Dr. Schwencke (Nienburg) ** 7. 10. Seefeld * 7. 10. Sieglerschmidt * 6. 10. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim ** 7. 10. Dr. Staudt 7. 10. Frau Steinhauer 7. 10. Ueberhorst ** 7. 10. Dr. Vohrer ** 7. 10. Wehner 7. 10. Dr. Wörner 7. 10. von Wrangel 7. 10. Würtz * 7. 10. Zebisch ** 7. 10. Zywietz * 6. 10.
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    Rede von Dr. Graf Otto Lambsdorff


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es entspricht gutem parlamentarischen Brauch, daß die erste Lesung des Haushalts auch dazu dient, eine allgemeinpolitische Diskussion und Aussprache unter den Fraktionen zu führen. Insofern, Herr Kollege Barzel — auch der Herr Kollege Strauß hat das heute gemacht —, ist das Ansprechen eines breiten Kreises von Themen durchaus richtig. Selbstverständlich ist es erst recht zulässig. Allerdings muß ich sagen:



    Dr. Graf Lambsdorff
    Wenn Sie die Gesamtsituation der Bundesrepublik so schildern, Herr Barzel, wie Sie es getan haben, dann hat Herr Reuschenbach mit seiner Bemerkung recht: An Hand dieser Schilderungen fällt es einem schwer, das eigene Land wiederzuerkennen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Und da frage ich mich in der Tat: Sind diejenigen, die von Verunsicherung reden, sie beklagen und kritisieren — ich bestreite nicht, .daß es solche Verunsicherung auf der Seite von Arbeitnehmern und Unternehmern in bestimmtem Umfang auch gibt; es wäre töricht, das zu leugnen —, nicht gleichzeitig dabei, in das Feuer, das sie sehen, auch noch Ö1 zu schütten?

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Herr Barzel, wenn Sie davon sprechen, daß in der Bundesrepublik die Führungskraft von Tag zu Tag schwindet, dann muß ich wirklich sagen: Bei jedem Blick in deutsche und ausländische Zeitungen wird als ein Aktivposten dieser Bundesrepublik — auch dieser Bundesregierung — immer wieder die unbestrittene, in letzter Zeit leider an einem traurigen Fall bewiesene und von Ihnen meist auch gar nicht in Zweifel gezogene Führungskraft des Chefs dieser Regierung bestätigt.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Sie sagen: Die Koalition lastet auf diesem Land; das sei der erste Grund für die wirtschaftlichen Probleme. Meine Damen und Herren, muß man da nicht fragen: Lastet diese Koalition wohl auch auf den Vereinigten Staaten, auf Japan, auf unseren europäischen Nachbarn? Denn die haben ja ähnliche, beinahe Bleichgelagerte wirtschaftliche Probleme. Muß einem dabei nicht der Verdacht kommen, es sei ein wenig so, wie es vor den letzten Wahlen der schleswig-holsteinische Kultusminister Professor Braun einmal sehr kühn, wie ich finde, formuliert hat, daß nämlich nach einem Wahlsieg der Union noch in der Nacht vom 3. Oktober die notwendigen Investitionsentscheidungen getroffen würden? Er muß ein guter Kulturpolitiker sein, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Nein, so einfach und so pauschal, glaube ich, dürfen und können wir es uns nicht machen. Hier bestreitet ja niemand — der Bundeswirtschaftsminister hat dies heute noch einmal vorgetragen —, daß uns die wirtschaftlichen Daten jetzt, im Oktober 1977, nicht befriedigen. Es bestreitet niemand, daß unsere Erwartungen aus dem Frühjahr dieses Jahres nicht in Erfüllung gegangen sind. Es bestreitet niemand, daß Zahlen vorliegen, die uns Sorge bereiten. Aber, Herr Barzel, es ist doch zu einfach und zu pauschal, alle diese Fragen so ganz generell als unbefriedigend zu verurteilen und abzutun. Müssen wir nicht sehen, daß ein großer Teil dieser Zahlen auf dem Hintergrund der Welt, in der wir leben, mit der wir leben und zu leben haben, durchaus auch — ich will nicht sagen: zufriedenstellende Aspekte — achtbare, bemerkenswerte Aspekte bietet?
    Der Bundeswirtschaftsminister hat die Exportziffern vorhin genannt. Diese 'Exportziffern liegen unter unseren Erwartungen. Aber wenn Sie sich das im
    Vergleich zu der Entwicklung des Welthandels ansehen, so hat die Bundesrepublik Deutschland eben auch in diesem Jahre wieder einen übergroßen Teil aus dem Kuchen des wachsenden Welthandels für sich herausschneiden können.
    Der Kollege Strauß meinte, nur der Export habe uns gerettet. Er hat gemeint, wir bezweifelten die Wirkung und den Sinn dieses Exports, wir schätzten ihn nicht hoch genug. Dies ist falsch. Wir haben immer gewußt, wie wesentlich der Außenhandel für die Sicherung der Arbeitsplätze und für die deutsche Wirtschaft ist. Aber wir haben auch gewußt — und das wissen wir auch heute —, wie labil diese Grundlage ist, wie viele Gefahren und wie viele Risiken in einem Lande, in dem beinahe jeder dritte Arbeitsplatz vom Export abhängig ist, mit dieser Abhängigkeit verbunden sind. Wenn die amerikanische Zeitschrift „Newsweek" für die Japaner, die merkwürdigerweise in dieser Hinsicht viel mehr im Licht der Offentlichkeit stehen, obwohl ihr Exportanteil am Sozialprodukt viel niedriger ist als der unsere, die Überschrift „To export or not to be" wählt, das heißt: Exportieren oder Nichtsein, dann gilt dies in sehr viel stärkerem Maße für die Bundesrepublik Deutschland.
    Selbst eine Wachstumsrate von 3 % bis 3,5 % ist doch unter den gegebenen Umständen ein vorzeigbares Ergebnis. Ich bestreite überhaupt nicht, daß sie nicht ausreicht, langfristig oder auch nur mittelfristig gesehen, unsere wirtschaftlichen, beschäftigungspolitischen und auch. sozialpolitischen Probleme zu lösen. Aber sie ist unter den gegebenen Umständen vorzeigbar.
    Der Kollege Strauß hat heute morgen — und da wird es allerdings in meinen Augen kritisch, wenn nicht höchst bedenklich — seine Bemerkungen zum Thema Wachstum und Vorhersagen mit dem Sprichwort „Lügen haben kurze Beine" eingeleitet. Meine Damen und Herren, ich bin bereit — und mit mir sicherlich auch andere —, jede Kritik, jeden Vorwurf des Irrtums und der Fehlprognose oder Fehleinschätzung hinzunehmen. Aber ich bin nicht bereit, dies unter dem Stichwort „Lüge", also dem Vorwurf, bewußt die Unwahrheit gesagt zu haben, hinzunehmen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Der Präsident der Deutschen Bundesbank hat vor wenigen Tagen in Washington erklärt, nach seiner Auffassung könne auch im Jahre 1977 noch ein Wachstumsziel von 4 % erreicht werden. Muß der sich auch unter das Rubrum dieses Sprichworts einreihen lassen, wenn sich am Ende herausstellen sollte, daß dies nicht eingetreten ist? So kann man diese Diskussion nicht miteinander führen.
    In der Stabilitätspolitik wird das angestrebte Ziel erreicht. Ich hielte es für falsch, wenn wir andere wirtschaftliche Prioritäten im Hinblick auf Stabilität und die anderen Ziele, die uns das Stabilitäts-
    und Wachstumsgesetz vorgibt, setzen wollten. Ich will ganz deutlich machen, daß es nach meiner Auffassung so ist, daß Stabilität und Vollbeschäftigung einander bedingen und nicht in Konkurrenz zueinander stehen. Herr Strauß, es war eine verdrehte



    Dr. Graf Lambsdorff
    Darstellung, als Sie ausführten, der Bundeskanzler habe sich in London dem Satze angeschlossen, Inflation beseitige nicht Arbeitslosigkeit. Nein, die Vertretung der Bundesrepublik hat in London durchgesetzt, daß dieser Satz zum ersten Male in ein Dokument aufgenommen wurde.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Wir wissen sehr genau — und darin sind wir in diesem Hause einig —, daß die Wiederherstellung der Vollbeschäftigung das größte Problem ist, auch wenn die deutsche Öffentlichkeit die monatlichen Zahlen offenbar mit etwas mehr Distanz zur Kenntnis nimmt als bisher. Eine kritische Beurteilung und Relativierung auch dieser Zahl ist nicht schädlich.
    Allerdings liegen die von Ihnen, Herr Kollege Barzel, geforderten Informationen inzwischen weitgehend vor. Es ist eine erstaunliche Tatsache, daß monatelang nach ihnen gefragt worden ist und Sie nun, als sie gegeben wurden,

    (Dr. Barzel [CDU/CSU] : Die Nürnberger haben die Fragen offengelassen!)

    — sie haben sie nicht alle offengelassen; aber wir können das gern verifizieren — die Antwort offenbar nicht mehr interessiert. Bei der Antwort ist das Interesse des Fragenden häufig schon versackt.
    Gewöhnung an diese Zahlen wäre das Schlimmste, was uns passieren könnte. Es bleiben — darüber muß sich jeder im klaren sein —, auch wenn die Zahl bei kritischer Beurteilung niedriger zu werten wäre, Hunderttausende bitterer Einzelschicksale. Es bleibt unsere dringliche Aufgabe, dieses Thema im Auge zu behalten und für die Wiederherstellung der Vollbeschäftigung zu sorgen.
    Letzte Bemerkung zu den Daten: Am Kapitalmarkt haben wir erfreuliche Verhältnisse. Kapitalmarktangebot ist vorhanden, die Zinsen sind so niedrig wie seit, ich glaube, zwölf Jahren nicht mehr. Herr Kollege Strauß, Sie haben noch einmal die Vergangenheit angesprochen und gesagt, wir sollten alles tun, um „stop and go" zu vermeiden. Hoffentlich gelingt es uns; hoffentlich brauchen wir auch in Zukunft nicht hektisch auf unerwartet eintretende Entwicklungen, die wir nicht voll in der Hand haben, zu reagieren. Es ist nicht alles von uns selbst und durch uns selbst machbar. Sie haben unter diesem Stichwort die Zinsentwicklung der Jahre 1968 und 1969 geschildert. Sie sagten: 1968/69 6 °/o, später 15 bis 16 °/o. Dies ist natürlich auch einer der Gründe, warum es zu Zusammenbrüchen in der Wirtschaft gekommen ist, weil jene, die sich langfristig verschuldeten, davon ausgegangen waren, daß es immer bei niedrigen Zinssätzen bleiben könne, und nicht in Rechnung stellten, daß bei einer konsequenten Stabilitätspolitik ein Anstieg des Zinsniveaus — übrigens nicht auf 15 bis 16 °/o —unvermeidbar ist. Wenn Sie wie schon vor vier Jahren davon sprachen, daß der Würgegriff zur Halsmassage erklärt werde, so gebe ich Ihnen heute dieselbe Antwort wie vor vier Jahren: Für uns beide ist das in Ermangelung von Hals kein besonders gefährlicher Zugriff. Da ist das nicht so schlimm.

    (Heiterkeit)

    Die Pauschaldiagnose unserer Situation ist einfach. Strukturelle Ursachen, die zu den jetzt schwierigen Verhältnissen geführt haben, haben sich durch konjunkturelle Entwicklungen verstärkt. So ist es auch in dem zitierten Brief des Sachverständigenrats wiederholt worden. Wenn die Diagnose auf konjunkturelle und strukturelle Ursachen lautet, muß auch die Therapie lauten, konjunkturell und strukturell den Versuch zu unternehmen, dagegenzuhalten.

    (Beifall bei der SPD)

    Was ist konjunkturell in der gegenwärtigen Lage zu tun? Ich darf es ganz klar und deutlich machen, damit auch draußen kein Mißverständnis entsteht: Konjunkturell ist das Jahr 1977 gelaufen. Alles, was wir jetzt noch tun, kann sich günstigstenfalls im Jahre 1978 auswirken. 1977 werden wir keinen Einfluß mehr darauf ausüben.
    Es ist die Frage gestellt worden — und ich halte die Frage gerade unter dem Hinweis auf „stop and go" durchaus für berechtigt —: sollte man denn vielleicht überhaupt nichts tun? Allerdings ist die Frage mit dem Zusatzargument versehen worden, frühere Programme hätten nichts geholfen. Der bayerische Finanzminister Streibl hat gemeint, 30 Milliarden DM habe man in verschiedenen Konjunkturprogrammen verfeuert, und dadurch sei nichts bewirkt worden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt, richtig!)

    Dies, meine Damen und Herren, ist nicht richtig. Sie müssen sich die Kontrollfrage stellen: Was wäre wohl eingetreten, wenn keines dieser Programme durchgeführt worden wäre.

    (Dr. Sprung [CDU/CSU]: Das ist der Trick!)

    — Das ist gar kein Trick, Herr Sprung. Es ist doch wohl ganz eindeutig, daß ein Ankurbeln der Konjunktur in der Größenordnung von rund 30 Milliarden DM in den letzten Jahren selbstverständlich Wirkung. gezeitigt hat, bzw. man müßte sagen: Wenn dies nicht geschehen wäre, wären die Einbrüche und die Schwierigkeiten sehr viel ernster, als wir sie jetzt vorliegen haben.
    Der Sachverständigenrat hat — zum erstenmal übrigens in dem hier zitierten Brief — erklärt, daß nicht nur die Angebotsseite der deutschen Industrie für die Konjunktur entscheidend sei, sondern daß diesmal auch die Nachfrageseite eine Rolle spiele und daß man auch hier eingreifen müsse. Hier stellt sich dann die Frage, ob etwa, wie das ja gefordert worden ist, massive öffentliche Ausgabeprogramme helfen könnten. Ich brauche auf die Erfahrungen mit dem 16-Milliarden-DM-Programm — inzwischen sind sie zum Besseren hin korrigiert worden — nicht noch einmal einzugehen.
    Auch das Thema der zahlreichen Baustopps ist bereits einmal erwähnt worden. Ich glaube, daß es an Hand dieser Erfahrungen deutlich geworden ist, daß auf diese Weise — schnell und zügig, wie wir es wollen — wenig zu bewirken sein wird. Es ist auch nicht damit getan — ich finde das jedenfalls nicht fair und nicht korrekt —, daß man nun, wie es einige tun, die Verantwortung dafür ausschließlich



    Dr. Graf Lambsdorff
    bei den zuständigen Beamten, den Genehmigungsbehörden und ähnlichen sucht. Wir sind es ja, die die Gesetze gemacht haben, die diese Beamten anwenden.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Aber, Graf Lambsdorff, das müssen Sie Ihrem zukünftigen Regierungschef sagen! — Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Den Landesregierungen!)

    — Herr Kohl, ich meine, wir sollten uns gemeinsam überlegen, ob wir uns — da bin ich mit Herrn Barzel einig, ich will es einmal ganz vorsichtig ausdrücken — eine Verschärfung solcher Gesetze leisten könnten. Wenn ich heute lese, über welche neuen Rauchgasentschwefelungsvorschriften diskutiert wird — zum Glück wird darüber bisher nur diskutiert —, so kann ich nur sagen: Eine solche Kohle gibt es in der Bundesrepublik Deutschland nicht, und mit solchen Vorschriften können Sie keine Kohlekraftwerke bauen. Dies halte ich für unerträglich.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einen kurzen Exkurs einfügen. Das Thema „Energiepolitik" ist häufig genug besprochen worden. Ich bin mit denen einig, die der Auffassung sind, daß zu der notwendigen Klärung von Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Handeln auch eine Klärung der Energiepolitik gehört. Ich wiederhole, was ich an dieser Stelle schon vor etwa einem Jahr oder kurz nach den Wahlen gesagt habe: Wir alle hätten diese Diskussion vor zwei Jahren führen müssen. Damit haben auch wir uns einiger Versäumnisse schuldig gemacht.
    Ich bin der Meinung, daß in der Frage der Nutzung von Kernenergie, die ich für unerläßlich halte, ein ausgewogener Kompromiß möglich sein muß. Ich halte sie für unerläßlich, bin aber bereit, über die Frage zu diskutieren, in welchem Umfang und in welchem Zeitraum sie nötig und möglich ist. Die Grundsatzfrage muß aber mit dem Hinweis darauf beantwortet werden, daß das primärenenergieärmste Land der Welt nach Japan ohne die Option auf diese Energieart nicht operieren kann.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Ein solcher ausgewogener Kompromiß sollte sich am Schutz der Bevölkerung vor unzumutbaren Umweltgefährdungen, am voraussichtlichen Energiebedarf — trotz aller Schwierigkeiten, die eine solche Voraussetzung mit 'sich bringt —, an der Minderung der Importabhängigkeit bei den Primärenergien, an der Aufrechterhaltung der technischen Fortentwicklung und der Kontinuität in diesem Bereich sowie an der Sicherung der Exportmöglichkeiten orientieren.
    Herr Kollege Barzel, Sie haben in diesem Zusammenhang vorhin formuliert: Wer keine Energiepolitik hat, ist nicht regierungsfähig. In der heutigen „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" finden Sie einen ausführlichen Aufsatz mit der Überschrift „Die CDU will in der Energiediskussion aufholen — Orientierung in Hannover für ein verspätetes Programm". Sie haben gerade in puncto Energiepolitik einiges aufzuarbeiten, denn mit dem Kraftspruch, eine solche Politik müsse her, ist es allein ja wohl nicht getan.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Im übrigen glaube ich, daß die Formulierung „Wer keine Energiepolitik hat, ist nicht regierungsfähig" eine Quintessenz aus Ihrer langandauernden und verdienstvollen politischen Erfahrung sein muß. Das erste Energieprogramm, das es je in der Bundesrepublik gegeben hat, hat die sozialliberale Koalition erarbeitet. Sie haben nie eines gehabt.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Wir werden die Fortschreibung dieses Energieprogramms rechtzeitig, d. h. zu dem Zeitpunkt, den der Herr Kollege Reuschenbach angedeutet und den vor allem auch der Herr Bundeswirtschaftsminister genannt hat, nämlich nach der Vorlage des Gutachtens der Reaktorsicherheitskommission, vorlegen. Wir werden miteinander über diese Fortschreibung diskutieren. Vielleicht haben Sie Gelegenheit, bis dahin auch Ihre eigenen Positionen zu klären. Interessanterweise soll ja Ihr nächster Kongreß über dieses Thema in Hannover stattfinden. Das bietet sich an.
    Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt ausdrücklich — meine Fraktion möchte nicht, daß dies aus der Diskussion verschwindet, übersehen oder gar vergessen wird — das Energiesparprogramm, das die Bundesregierung jetzt vorgelegt hat. Wir halten es für einen wesentlichen Teil einer konsequenten und vorausschauenden Energiepolitik.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Wir wünschen uns allerdings sehr, daß die Bundesländer ihren Anteil an der Finanzierung eines solchen Programms zusagen und zur Verfügung stellen, denn ohne die Mitwirkung der Bundesländer ist ein solches Programm nicht durchzuführen.
    Bei der Frage, ob die öffentlichen Aufträge und deren Vergabe uns konjunkturell helfen können, stehen wir vor der Erkenntnis, daß wir am Ende dieses Jahres vermutlich Haushaltsreste der öffentlichen Hände in Höhe von 10 Milliarden DM — vor allem im Bausektor — haben werden. Ich behaupte, daß die unfreiwillige Sparquote der öffentlichen Hände höher ist als die freiwillige Sparquote der Privaten. Diese Entwicklung, die wir jetzt feststellen, ist durch das verschärft worden, was man die Überkonsolidierung im Jahre 1977 nennt. Einige Kommentatoren haben dies einen Skandal genannt. Es stellt sich für uns die Frage — der Herr Bundeswirtschaftsminister hat heute darauf abgehoben —, ob dies zu ändern sei.
    Meine Damen und Herren, ich möchte nicht gar so weit gehen, wie das Herr Dr. Friderichs getan hat, aber ich stimme ihm in der Grundtendenz zu: Wir wählen uns, die Bevölkerung wählt sich sparsame Gemeindeväter, sparsame Vertreter in den Kreistagen und insbesondere auf der kommunalen Ebene, und denen wird auch in Zukunft nicht klarzumachen sein, daß man sich in dem Sinne antizyklisch verhalten soll, daß kein Geld in der Kasse ist und man dennoch mehr ausgeben soll. Dies werden Sie nicht hineinbekommen, und ich denke, daß sich die Konjunkturpolitik unter diesen Umständen darauf ein-



    Dr. Graf Lambsdorff
    stellen muß, daß eine antizyklische Fiskalpolitik auf der Ebene der Kommunen — abgeschwächt gilt das für die Länder — nicht möglich sein wird.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Was sagen Sie dann zum Bund, zum Vorschlag von Herrn Friderichs?)

    — Wenn Sie sich ansehen, was der Bund auf der Seite der öffentlichen Hände an Ausgaben — abgesehen von den Sondervermögen — tätigen kann, so spielt das keine entscheidende Rolle im Verhältnis zu dem, was insbesondere auf dem Sektor des Hochbaus bei Ländern und Gemeinden notwendig und ihnen möglich wäre.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Also stimmen Sie mit Herrn Friderichs überein?)

    — Ich habe das ja eben ausführlich darzulegen versucht; ich darf es Ihnen zum Nachlesen noch einmal zur Verfügung stellen.
    Meine Damen und Herren, wir haben heute morgen von Herrn Strauß gehört, daß die Kreditaufnahme der Gemeinden — darauf hat der Herr Bundeskanzler hingewiesen — durch die Länder begrenzt worden sei und daß der Bundeskanzler gemeint habe, man müsse dies ändern. Herr Strauß meint, so rede kein sorgsamer Hausvater, und dies sei ein Appell an Liederlichkeit. Dies glaube ich nicht. Im Sinne antizyklischer Fiskalpolitik ist dies durchaus eine richtige und vernünftige Position; ob sie in dem Sinne längerfristig durchführbar wird, daß wir uns zur Steuerung der Konjunktur darauf verlassen und sie wirklich voll einbeziehen können, ist allerdings mit einem Fragezeichen zu versehen.
    Wenn aber die Ausgabentätigkeit des Staates nicht ausreichend hilft, so sind wir mit der Steuerentlastung auf dem richtigen Pfade. Meine Damen und Herren, ich will keine Diskussion darüber anfangen — das kann ja morgen bei der Beratung der Steuergesetze geschehen —, ob nun Stabilitäts- und Wachstumsgesetz oder Steuerpaket. Ich will nur zwei Dinge aus konjunkturpolitischer Sicht deutlich machen: Wenn es um Konjunkturpolitik geht, geht es nicht um Verteilungspolitik. Wenn es um Konjunkturpolitik geht, geht es auch nicht um Steuertechnik. Ich weiß, daß dies alles berücksichtigt werden soll, aber wenn wir Konjunkturpolitik machen wollen und machen müssen, müssen die konjunkturpolitischen Elemente und Überlegungen im Vordergrund stehen. Ich finde, daß sowohl bei der ersten Lesung der Gesetze in diesem Hause wie auch beim ersten Durchgang in der Sondersitzung des Bundesrates die konjunkturpolitischen Erwägungen zu kurz gekommen sind.
    Es wäre gut, wenn wir über diese Gesetze schnell entscheiden könnten. Ich habe keinen Zweifel daran, daß die Debatte in der Sommerpause konjunkturpolitisch — um das Mindeste zu sagen — nicht nützlich war. Und ich sage, abermals aus konjunkturpolitischer Sicht — ich weiß, daß der Haushaltsminister dies anders sehen muß oder mindestens anders sehen kann —, daß mir ein größeres Volumen als Ergebnis der jetzt beratenen Maßnahmen wünschenswert erschiene.
    Es muß allerdings auf eines hingewiesen werden: Ohne eine verantwortliche Haltung der Tarifpartner werden wir die wünschenswerten Ergebnisse nicht erzielen.

    (Zustimmung bei der FDP)

    Der Vorsitzende meiner Fraktion hat dazu vor einigen Tagen in einem Zeitungsaufsatz gesagt: Eine unüberlegte Lohnpolitik kann leicht dazu führen, daß neue Investitionen unterlassen, sprich: keine neuen Arbeitsplätze geschaffen und alte nicht gesichert werden. — Ich möchte hinzufügen: Der Staat ist nicht in der Lage, etwaiges Fehlverhalten der Tarifpartner durch eigene Eingriffe zu korrigieren. Er kann es nicht, er sollte es auch nicht. Es kann nicht seine Aufgabe sein, Entscheidungen der autonomen Gruppen anschließend zu korrigieren oder korrigieren zu müssen; selbst wenn es seine Aufgabe wäre, hätte er nicht die Möglichkeiten dazu.
    Die Tarifpartner können zur Wiedererreichung der Vollbeschäftigung erheblich beitragen. Ich darf in diesem Zusammenhang ein Zitat aus einer Erklärung des Bundeskanzlers wiedergeben, in dem, wie ich finde, die Positionen, die für die konjunkturpolitischen Entscheidungen weichenstellend sind, kurz und knapp zusammengefaßt und angesprochen worden sind. Es heißt da:
    Wenn heute von der Opposition bis hin zu den Gewerkschaften, bis hin zu den Unternehmern manche Leute aufstehen und sagen, der Staat soll gefälligst für Vollbeschäftigung sorgen, dann ist das Unsinn. Er kann nur beitragen. Verantwortlich handeln müssen auch die autonomen Tarifparteien, verantwortlich handeln müssen die Unternehmungen, was ihre Investitions- und Preispolitik angeht, verantwortlich handeln müssen die öffentlichen Hänide, verantwortlich handeln muß auch das Ausland, was die Handelspolitik angeht.
    Dem ist aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen.
    Ich will nur zu der letzten Bemerkung im Hinblick auf das Ausland einige erläuternde und ergänzende Bemerkungen machen. Wir sehen in unseren Handelsbeziehungen eine gefährliche, ja, ich möchte sagen: für die Bundesrepublik Deutschland lebensgefährliche Welle des Protektionismus auf uns zurollen. Ich habe vor längerer Zeit an dieser Stelle die Europäische Gemeinschaft, den Gemeinsamen Markt auch deswegen gelobt, weil sie es verstanden hat, in der sich entwickelnden Rezession protektionistische Tendenzen nicht aufkommen zu lassen. Ich halte das heute noch für ein wesentliches Ergebnis des Gemeinsamen Marktes. Aber bleibt das so?
    Wir wissen, daß mancher von uns Vorbehalte gegen europäische Agrarpolitik hat. Wir stehen zu dieser europäischen Agrarpolitik und begrüßen die erfolgreichen Bemühungen unseres Kollegen Ertl, darin so viele marktwirtschaftliche Elemente wie nur eben möglich — ich weiß, welche Einschränkung das bedeutet; wir brauchen darüber nicht zu diskutieren — einzubringen.



    Dr. Graf Lambsdorff
    Aber ein wesentlicher Gegenposten für diese Politik ist doch wohl immer der offene Gemeinsame Markt für die Erzeugnisse auch der deutschen Industrie und der deutschen Wirtschaft gewesen. Das darf nicht in Frage gestellt werden; wir leben davon.
    Im übrigen ist es nicht nur die vom Bundeskanzler in dem wiedergegebenen Zitat erwähnte Handelspolitik, die Protektionismus hervorbringt. Protektionisten sind viel erfindungsreicher. Es geht nicht nur um Quoten, Importbeschränkung oder Selbstbeschränkung. Wenn Sie sich allein das Gebiet der Währungskurse, der Währungsrelationen ansehen: Was in unseren Beziehungen zu den beiden großen Handels- und Wirtschaftsnationen, mit denen wir es auf der Welt zu tun haben, in den letzten zwölf Monaten auf dem Währungsgebiet geschehen ist, sowohl in Beziehung zum japanischen Yen wie zum US-Dollar, zeigt, daß gefährliche Möglichkeiten gegeben sind. Die verstoßen gegen die Statuten des IMF. Darauf könnten wir gelegentlich einmal hinweisen. Es überschreitet wohl nicht unsere Möglichkeiten, unsere Freunde bisweilen daran zu erinnern. Auf jeden Fall müssen wir aufpassen und bezüglich der Gefahren vorsichtig sein, die von dieser Seite kommen.
    Ein weiteres protektionistisches Element neuer Prägung — jedenfalls in dieser Ausdeutung und Wirkung neuer Prägung — ist die offene oder verdeckte Subvention aus der Staatskasse, die in einigen Ländern gezahlt wird. Wer sich die Entwicklung der deutschen Stahlindustrie und Textilfaserindustrie ansieht, muß zur Kenntnis nehmen, daß eine auf privates Risiko gegründete Wirtschaft gegen eine solche Form der Subventionierung aus den Staatskassen, die Übernahme der Verluste zu Lasten der Staatskassen, auf die Dauer nicht ankommen kann.

    (Beifall bei der FDP)

    Die Bundesregierung hat zu den konjunkturellen Maßnahmen gleichzeitig strukturelle Maßnahmen vorgeschlagen. Für die Freie Demokratische Partei und ihre Fraktion möchte ich in allererster Linie das Programm der Bundesregierung für Innovation und Forschungsförderung mit allem Nachdruck unterstützen. Wir teilen die Meinung des Sachverständigenrates: Neue Produkte, die sich neue Märkte schaffen, kommen keineswegs nur aus den großen Unternehmen, sie kommen auch aus kleinen und mittleren Unternehmen. Die Wirtschaftsgeschichte beweist das. Deshalb wäre eine Erweiterung der vorgesehenen Maßnahmen nach Ansicht der FDP wünschenswert. Darf ich dabei nur einige Punkte erwähnen: Wir sollten überlegen, ob wir die Personalkosten trotz entgegenstehender Bedenken — ich kenne sie — nicht doch in die Begünstigung einbeziehen können. Die Auftragsforschung und die externe Forschung und Entwicklung sollten in die Begünstigung aufgenommen werden. Eine Erhöhung des Mittelansatzes für die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsgemeinschaften wäre wichtig, ferner die Erhöhung des Mittelansatzes für Erstinnovationsprogramme, nicht zuletzt der Abbau bürokratischen Aufwandes und schließlich der Ausbau
    der Beratung durch die Selbstverwaltungsorganisationen.
    Ich darf noch einmal sagen: Gerade Forschung und Forschungsförderung, Verbesserung oder Wiederherstellung der Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft scheinen mir nach wie vor ein Schlüssel dafür zu sein, daß wir neue Produkte mit neuen Märkten und damit eine konjunkturelle Belebung erreichen können.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Die FDP-Fraktion hat einen umfangreichen Katalog an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen vorgelegt. Wie begrüßen es, daß die Bundesregierung einige dieser Anregungen übernommen hat. Auch hier nur stichwortartig: Förderung der beruflichen und regionalen Mobilität, Abbau von Hemmnissen, die einer Arbeitsaufnahme nach Arbeitslosigkeit entgegenstehen. Herabsetzung der Altersgrenze in der Rentenversicherung für Problemgruppen, personeller Ausbau der Arbeitsvermittlung, Teilzeitarbeitsplätze im öffentlichen Dienst, Maßnahmen der beruflichen Bildung, verstärkte Bekämpfung der Schwarzarbeit. Auch diese arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zielen in die richtige Richtung.
    Hier hat es in diesem Sommer eine über den aktuellen Anlaß hinausgreifende interessante Diskussion gegeben. In allen drei im Bundestag vertretenen Parteien sind Stimmen vorhanden gewesen, die sich unter das Stichwort fassen lassen, die vorhandene Arbeit sollte besser verteilt werden. Ich möchte dazu drei Beurteilungen zitieren. Der SPD-Vorsitzende Brandt im „stern" — sinngemäß —: Dies halte ich für Resignation, es tötet Elan und Phantasie. Karl Schiller: Dies ist Kapitulation und nicht marktwirtschaftlich. Franz Josef Strauß: Sozialdemokratisch! Dieses Verdikt „sozialdemokratisch" hat offensichtlich die Diskussion über diese Frage in der CDU beendet. So einfach geht das. Herr Strauß, da muß ich Ihnen sagen: Da bin ich doch lieber Mitglied eines Sauhaufens, in dem diskutiert wird, in dem wir allerdings einen Oberhirten nicht brauchen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Anstatt das Thema, wie wir das in der FDP getan haben, auszudiskutieren, das Für und Wider zu erwägen, haben Sie zwischen CDU und CSU im Sommer sich damit aufgehalten, eine moderne Version des Märchens von Schneewittchen aufzuführen.

    (Dr. Sprung [CDU/CSU] : Was ist das?)

    — Das war der bekannte Vers aus Schneewittchen: „Spieglein, Spieglein, an der Wand, wer ist der Schönste im ganzen Land?" „Ernst und Helmut, ihr seid die schönsten hier, aber Franz Josef hinter den Bergen bei den sieben Zwergen ist noch tausendmal schöner als ihr."

    (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der SPD — Lachen bei der CDU/CSU)

    Das sind die Gebrüder Grimm in der Fassung von Gerold Tandler.

    (Heiterkeit und Zurufe)




    Dr. Graf Lambsdorff
    Wir sind sicher und wir scheuen auch nicht davor zurück, daß wir uns weiter der Frage zu stellen haben, ob die Marktwirtschaft mit den Problemen unserer Tage fertig wird. Ich will keinen Zweifel lassen: Auch in meiner eigenen Partei gibt es Stirnmen und Ansichten, die mit meinen Vorstellungen von Marktwirtschaft und marktwirtschaftlichem Funktionieren nicht vereinbar sind. Wir werden dies ausdiskutieren, und wir werden klar und sauber entscheiden. Nach dieser Entscheidung werden wir Sie davon unterrichten, was herausgekommen ist. Ich bin da ganz zuversichtlich. Aber diese Art und diese Bereitschaft, zu diskutieren und miteinander zu streiten, gibt uns auch die Legitimation, an die Adresse anderer deutlich einiges zu sagen.
    Ich lasse mal die Strukturräte beiseite. Sie sind
    — gerade in der heutigen Diskussion wurde das sichtbar — ein Musterbeispiel dafür, wie man auf einen Karton ein Etikett kleben und völlig Unterschiedliches hineinpacken kann. So einfach kann man sich dies nicht machen. Das erfordert eine differenzierte Diskussion, von den Vorschlägen Ihres Parteivorstandes über das Prognos-Gutachten bis zu den Vorstellungen des Herrn Kiep. Ich bin dafür, daß der Sachverständigenrat, wie er dies ja in etwas längeren Abständen als vielleicht notwendig schon tut, auch zu strukturpolitischen Entwicklungen in der Bundesrepublik Stellung nimmt. Über weiteres sollte man sich unterhalten. Aber wir sagen: Investitionsmeldestellen und Aktivmindestreserve sind keine marktwirtschaftlichen Instrumente, weil sie das auf dezentrale Entscheidungen der Wirtschaftssubjekte aufgebaute System unterhöhlen.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Ich sage ebenso offen: Ich habe trotz eifrigen Nachlesens — gewissermaßen zur Vorbereitung — in keinem Regierungsprogramm und in keiner Koalitionsvereinbarung finden können, daß dies vereinbarter Inhalt sozialliberaler Wirtschaftspolitik sei; also: Wiedervorlage frühestens 1980.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Dieses Zitat sollten Sie sich über Ihren zukünftigen Schreibtisch stellen!)

    — Herr Kollege Kohl, ich werde Sie zu gegebener Zeit einladen und Ihnen zeigen, was über und auf meinem Schreibtisch steht.
    Eines möchte ich sehr deutlich sagen. Die Forderung nach Investitionsmeldestellen der privaten Wirtschaft — dies ist eine rein pragmatische Erwägung — bleibt für mich so lange absurd, wie es uns nicht einmal gelingt, die Investitionen der öffentlichen Hände im vorhinein zu erfahren.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das Jahr 1977 ist in meinen Augen ein Lehrbuchbeispiel dafür, wie das nicht funktioniert. Allerdings braucht sich die CDU/CSU, Herr Kohl, was diese Äußerung anbetrifft, keineswegs in die Brust zu werfen.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ich kenne das schon; immer: „Gucken Sie darüber!" und: „Sagen Sie das anderen!" Das kenne ich alles.
    Ich habe mir die Mühe gemacht, die Ausführungen der Grundsatzprogrammkommission der CDU nachzulesen. Da wird genauso wie an anderen Stellen — ich halte dies für bedenklich, weil es eine Selbstkritik an der Wachstumspolitik der Vergangenheit, an der wir alle mitgetragen haben, enthält — zwischen qualitativem und quantitativem Wachsturn zu undifferenziert unterschieden. Da wird eine Ausweitung des Aufgabenbereichs der Konzertierten Aktion vorgeschlagen, die exakt, Herr Kollege Kohl, beim Vorschlag der Strukturräte der gesellschaftlichen Gruppen landet.

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    Verbal wird der Investitionslenkung abgesagt, aber die Ausführungen zur Strukturpolitik gehen ziemlich haargenau in diese Richtung.
    Dies war nicht nur meine eigene Erkenntnis, Herr Kohl. Ich habe am 23. Juni an dieser Stelle den Kollegen Professor Biedenkopf aufgefordert, er möge doch seine ordnungspolitischen Ermahnungen, die er so eindrucksvoll zur Regierungserklärung vorgetragen hat, an die eigene Partei richten. Ich bin verwundert, aber, wie ich zugebe: dankbar verwundert, wie schnell er dieser Aufforderung nachgekommen ist. Er hat eine hochinteressante Rede beim CDU-Grundsatzforum in Berlin gehalten. Ich zitiere:
    Die Freiheit wird damit von dem Ziel und der obersten Priorität der Wirtschaftsverfassung zum Mittel der Wirtschaftspolitik.
    Frage an Herrn Biedenkopf, der das immer behauptet hat: Ist die CDU immer noch die wahre liberale Partei?
    Ein weiteres Zitat, das der Herr Bundeswirtschaftsminister, wie ich glaube, schon gebracht hat:
    Die Nähe zu denjenigen, die aus den gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Schwierigkeiten die Forderung nach Systemveränderung ableiten und etwa die Ablösung der Sozialen Marktwirtschaft fordern, ist unübersehbar.

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    Frage an Herrn Biedenkopf: Immer noch „Freiheit oder Sozialismus"
    Schließlich ein drittes Zitat von Herrn Biedenkopf: Ich habe den Eindruck, daß der Entwurf
    — nämlich der der Grundsatzkommission —
    diese Mehrdeutigkeiten bewußt in Kauf nimmt, um mehrheitsfähig zu bleiben und der Partei die Auseinandersetzungen zu ersparen, die mit einer Neuorientierung der Prioritäten und ihrer Umsetzung in praktische Politik verbunden sind.
    Haben Sie, Herr Strauß, das heute morgen nicht als Wieselwort bezeichnet? Dies ist genau der entscheidende Punkt.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Ich sage dies nicht; um hier dem einen etwas auszuwischen und von sich selbst abzulenken, sondern weil wir in allen drei politischen Parteien ange-



    Dr. Graf Lambsdorff
    sichts der Schwierigkeiten, die aufgetreten sind, diese ordnungspolitische Grundsatzdiskussion zu führen haben. Wir sollten uns die Zeit nicht damit vertreiben, auf andere mit dem Finger zu zeigen, wobei bekanntlich immer drei Finger auf einen selbst zurück zeigen, sondern versuchen, im eigenen Lager Ordnung zu schaffen. Es gibt dazu — Sie wissen das, Herr Kohl — eine ganze Menge kritischer Kommentare. Ich habe mit großem Interesse die gesellschaftspolitischen Kommentare des Arbeitskreises Freiheit — eines Unternehmens, das nicht gerade den Koalitionsparteien nahesteht — zu dieser Auseinandersetzung gelesen und studiert. Wir sind voller Spannung, was das Ergebnis dieser grundsätzlichen wirtschaftspolitischen Diskussion wohl bei Ihnen werden wird.
    Meine Meinung dazu ist folgende: Wer an der Aufrechterhaltung der Sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik interessiert ist, der muß Ernst Günter Vetter von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zustimmen; ebenfalls unverdächtig, ein besonderer Freund der Koalitionsparteien zu sein, unverdächtig auch, was die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" anlangt. Ich zitiere aus der FAZ vom 12. Juli 1977:
    Friderichs im Verein mit einem grimmig zur Marktwirtschaft entschlossenen Bundeskanzler und einem auf gleicher Wellenlänge sendenden Finanzminister Apel ist in der Auseinandersetzung über die Wirtschaftspolitik unseres Landes eine nur schwer zu nehmende Hürde für die ökonomisch nicht abgeklärte Opposition. Immer häufiger ist selbst in Kreisen der Wirtschaft zu hören, daß man angesichts der wirtschaftspolitisch führungslosen Unionsparteien über die Konstellation Schmidt/Friderichs nicht gerade in Verzweiflung ausbrechen müsse.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Es tut uns, gerade der FDP-Fraktion — das werden Sie verstehen —, leid, daß Hans Friderichs diese Kombination verläßt. Aber in der Substanz wird sich dadurch nichts ändern. Herr Barzel, wenn Sie meinen, dies sei ein politisches Signal, dann müßten Sie freundlicherweise — ich bedanke mich für Ihren Willkommensgruß — auch zur Kenntnis nehmen — ich will mich nicht überschätzen —, daß wir auch die Nachfolge als politisches Signal sehen. Und dieses Signal bedeutet: Fortsetzung.
    Wenn Sie von der Quadratur des Zirkels sprechen, die mir als Aufgabe gestellt sei, will ich überhaupt nicht bestreiten, daß das die Aufgabe jedes Politikers in jedweder Koalition ist. Rührt Ihre immer wieder geäußerte — ich begrüße das — Sympathie für den Bundeskanzler Helmut Schmidt nicht auch daher, daß Sie mit ihm gemeinsam in der Großen Koalition Tag für Tag versucht haben, die Quadratur des Zirkels zu bewältigen?

    (Löffler [SPD] : Sehr gut!) Dies wird auch in Zukunft so sein.

    Gestern abend hat in einem privaten Kreis der Herr Kollege Porzner zu mir gesagt: Sie kriegen keine hundert Tage Schonzeit; Sie brauchen sie
    auch nicht. — Das ist richtig. Ich verantworte die Wirtschaftspolitik der vergangenen fünf Jahre, die ich von der Fraktion her mitgetragen habe, mit. Deswegen braucht es keine Schonzeit zu geben. Der Anschluß wird nahtlos erfolgen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Barzel [CDU/CSU]: Okay!)

    Sie werden verstehen, daß ich mit einem einzigen Satz — mehr Zeit möchte ich der Plenardebatte dafür nicht nehmen — dem aus seinem Amt scheidenden Bundeswirtschaftsminister für die faire, sachliche und häufig genug von intellektueller Brillanz gekennzeichnete Zusammenarbeit in den vergangenen fünf Jahren herzlich danke.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Für uns, die Liberalen, ist die Soziale Marktwirtschaft mehr als ein Kasten mit Instrumenten zum Drehen von Schrauben und Schräubchen. Sie ist ein wirtschafts- und gesellschaftspolitisches Ordnungssystem. Diese auf Freiheit gegründete und der Freiheit verpflichtete Wirtschaftsordnung verpflichtet wiederum uns, uns um eine Gesamtschau unserer Entscheidungen tagtäglich bei jeder zu treffenden Entscheidung zu bemühen. Hier — Herr Barzel, da gehe ich mit Ihnen einig — ist das eine oder andere bei der Vielzahl von Gesetzen übersehen worden. Wir werden das zu überprüfen haben. Diese Wirtschaftsordnung verpflichtet uns, wenigstens zu versuchen, über den Tag und Wahlperioden hinauszudenken. Dies ist gemeint, wenn wir von Verstetigung der Wirtschaftspolitik und der Politik schlechthin sprechen.
    Sie verpflichtet uns zuallererst, unseren Mitbürgern den Freiheitsraum zu erhalten, den sie sich erarbeitet haben, und zwar alle im Land: Arbeitnehmer, Unternehmer, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft.
    Unsere Erfolge — wir sahen es in diesen letzten Jahren — sind nicht ungefährdet. Es lohnt sich, so meine ich, für sie zu streiten — nicht für uns, aber für die Menschen in unserm Land.
    Für diese Politik der sozialliberalen Koalition stand die FDP-Fraktion, steht die FDP-Fraktion und wird sie auch in Zukunft stehen. — Ich bedanke mich.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans Apel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, ich bin es einigen Rednern, die zu speziellen Themen des Bundeshaushalts 1978 gesprochen haben, schuldig, ihnen nicht erst morgen, sondern hier und heute Antwort zu geben. Ich möchte gerne in einem zweiten Teil als Mitglied des Bundesvorstands unserer Partei und als Vorsitzender der Kommission, die diesen Leitantrag, von dem Sie, Herr Kollege Dr. Barzel, gesprochen haben, einstimmig beschlossen hat, etwas sagen.



    Bundesminister Dr. Apel
    Bevor ich aber dazu komme, einige Anmerkungen zur Debatte hier. Ich bin eigentlich in allen Punkten der Meinung des Sprechers der FDP-Fraktion zum Bundeshaushalt 1978, des Kollegen Hoppe. Ich kann nur sagen, dies gibt in etwa das wieder, von dem auch ich denke, daß es uns bewegt, z. B. daß das Haushaltsstrukturgesetz, auch wenn diese Berner-kung von mir schon einmal von einer Zeitung als blauäugig bezeichnet wurde, eine Voraussetzung dafür ist, daß wir heute und jetzt in diesem Jahre, vielleicht auch noch 1979, eine expansive Haushaltspolitik machen können. Es ist ja nicht so, wie der Abgeordnete Dr. Strauß gesagt hat, daß die hohe, Nettokreditaufnahme dieses Jahres und auch der vergangenen Jahre Konsequenz einer liederlichen Haushaltspolitik während der Hochkonjunktur war. Ganz im Gegenteil, wir haben — Herr Kollege Dr. Strauß, das wissen Sie so genau wie ich — damals bis zu 10 Milliarden DM Steuereinnahmen bei Bund und Ländern stillgelegt, um die Konjunktur inklusive 1973 zu dämpfen und nicht alle öffentliche Ausgaben zu tätigen, die wir dann im Laufe der weltweiten Strukturkrise und der Notwendigkeit, sie zu bekämpfen, für die Konjunkturprogramme eingesetzt haben. Ich meine also, diese Haushaltsdefizite sind notwendig, ebensosehr wie es notwendig ist, Augenmaß zu haben und nicht beliebig Haushaltsansätze aufeinanderzustocken, sondern den Rücken freizubekommen für eine spätere günstigere konjunkturelle Phase, wobei dann allerdings das Ziel der Haushaltskonsolidierung sehr viel stärker wieder in den Mittelpunkt unserer Betrachtungen gerückt werden muß. Nur — Herr Kollege Lambsdorff, auch hier treffe ich mich durchaus mit Ihnen —; in der jetzigen Phase — für 1977 ist in der Tat der konjunkturelle Zug abgefahren, so oder so — können wir die Nettokreditaufnahme aller Gebietskörperschaften nicht aus unseren eigenen freien Stücken begrenzen, sondern hier müssen wir erstens an die konjunkturellen Wirkungen in unserem Lande und zweitens an die psychologischen Wirkungen weltweit denken.
    Ich habe gestern versucht, eine Gefahr sichtbar zu machen, die ich immer noch spüre, nämlich die, daß andere, wenn wir nicht genügend Zeichen für eine expansive Konjunkturpolitik in unserem Lande setzen, dies benutzen könnten, um ihren Protektionismus mit unseren Versäumnissen zu rechtfertigen. Dies darf allerdings in keinem Falle eintreten.
    Ich meine also deshalb, daß die Politik stimmt. Wenn das Steuerpaket in einer etwas anderen Form für alle Gebietskörperschaften etwas teurer wird, dann ist dies konjunkturpolitisch kein Unglück. Aber wir müssen hier Augenmaß haben.
    Damit komme ich zu einem ersten Punkt, zu dem der Herr Kollege Dr. Strauß Bemerkungen gemacht hat. Wir müssen sehr darauf achten, daß wir nicht die anderen Gebietskörperschaften, hier insbesondere die Gemeinden, über zu starke Einnahmeverzichte, sprich: Steuerentlastungen in die Lage versetzen, dann prozyklisch handeln zu müssen, d. h. in der Tat nicht mehr Ausgaben und Investitionen tätigen zu können.
    Nun sieht es in der Tat bei den Gemeinden zur Zeit nicht gut aus. Ich habe hier die letzten Zahlen
    vor mir liegen. Die Ausgaben der Gemeinden sind im ersten Halbjahr 1977 gegenüber dem ersten Halbjahr 1976 um gerade eben 2,2 % gestiegen. Im gleichen Zeitraum sind die Steuereinnahmen der Gemeinden um 14,6 % gestiegen. Das hat dazu geführt, daß die Gemeinden insgesamt nur 1,5 Milliarden DM Nettokreditaufnahme getätigt haben. Da wird deutlich, daß hier manches an Reserve und an Möglichkeiten gegeben ist. Ich muß allerdings, Herr Kollege Waffenschmidt, fairerweise hinzufügen, daß wir in dem gleichen Zeitraum bei einer Reihe von Bundesländern zu verzeichnen haben, daß die Zuweisungen der Länder an die Gemeinden in einem hohen Maße gekürzt worden sind, so daß die Gemeinden in einem gewissen Sinne eben doch nur Einnahmesteigerungen von 3,3 % hatten. Dies erklärt dann eben, weswegen hier ein gewisses Verhalten vorhanden ist.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Aber, Herr Apel, die Länderhaushalte sind doch ebenfalls in einem jämmerlichen Zustand, wie Sie wissen, in diesem konkreten Fall, den Sie angesprochen haben!)

    — Herr Kollege Dr. Kohl, ich will Ihnen gerne noch einmal die Zahlen, die ich Ihnen gestern vorgeführt habe, in Erinnerung rufen.

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Ich habe sie doch!)

    Der Bund muß im nächsten Jahr 15 % seiner Ausgaben über Nettokreditaufnahme finanzieren, die Länder 7,5 %

    (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Sie müssen doch die Vergangenheit hinzunehmen!)

    — das habe ich gestern auch dargestellt — und die Gemeinden 4,5 %. Wir meinen also, hier sind Möglichkeiten gegeben.
    In jedem Fall stimmt eines nicht, Herr Kollege Dr. Strauß: daß es diese sozialliberale Koalition war, die die Gemeindefinanzen in Schwierigkeiten gebracht hat. Genau das Umgekehrte ist richtig.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Gemeindefinanzreform von 1969, noch am Ende der Großen Koalition beschlossen und 1970 in Kraft getreten, hat doch bis heute in der Tat den Anteil der Gemeinden am Steueraufkommen beträchtlich angehoben, und zwar von 10,8 % im Jahre 1969 auf 12,8 % im Jahre 1976. Ohne die Gemeindefinanzreform wäre die Lage der Gemeindefinanzen allerdings schrecklich. Die Gemeinden lägen nicht bei 10,8 % wie im Jahre 1969, sondern bei 9,9 %.
    Wer wollte im übrigen eigentlich bestreiten —niemand kann das —, daß wir durch vielfältige Aktivitäten über Konjunkturprogramme, über Aufgaben nach Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes den Gemeinden in einem hohen Maße finanziell beigesprungen sind? Die Leistungen des Bundes haben sich seit 1970 bis heute vervierfacht.
    Bei aller Bereitschaft, auch bei den Gemeinden Haushaltsprobleme zu sehen, bin ich doch dafür, daß wir die Dinge in die richtige Relation setzen. Wir können feststellen, daß heute und in diesen Jahren der Bund derjenige ist, der am meisten unter Finanzierungssalden leiden muß, daß aber der Bund den-



    Bundesminister Dr. Apel
    noch diese antizyklische Politik offensiv führt, weil er seine Verantwortung für die konjunkturelle Entwicklung spürt.