Rede:
ID0804600300

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 8046

  • date_rangeDatum: 5. Oktober 1977

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    Plenarprotokoll 8/46 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 46. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Inhalt: Absetzung zweier Punkte von der Tagesordnung 3469 A Aussprache über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1978 (Haushaltsgesetz 1978) — Drucksache 8/950 — in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1977 bis 1981 — Drucksache 8/951 — Strauß CDU/CSU 3469 B Dr. Ehmke SPD 3485 C Hoppe FDP 3497 D Dr. Friderichs, Bundesminister BMWi . . 3502 D Dr. Barzel CDU/CSU 3512 A Reuschenbach SPD 3521 C Dr. Graf Lambsdorff FDP . . . . . . 3525 D Dr. Apel, Bundesminister BMF 3532 D Haase (Kassel) CDU/CSU . . . . . . 3539 D Löffler SPD 3543 D Gärtner FDP 3547 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . 3551 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 3553* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3469 46. Sitzung Bonn, den 5. Oktober 1977 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adams * 6. 10. Dr. Ahrens ** 7. 10. Dr. Aigner * 7. 10. Alber ** 7. 10. Dr.Bardens ** 7. 10. Dr. Bayerl * 6. 10. Böhm (Melsungen) ** 7. 10. Frau von Bothmer ** 7. 10. Brandt 7. 10. Büchner (Speyer) ** 7. 10. Frau Eilers (Bielefeld) 7. 10. Dr. Enders ** 7. 10. Dr. Evers ** 7. 10. Fellermaier * 5. 10. Dr. Geßner ** 7. 10. Haase (Fürth) * 7. 10. Handlos ** 7. 10. Frau Dr. Hartenstein 7. 10. von Hassel ** 7. 10. Hoffmann (Saarbrücken) * 6. 10. Dr. Holtz ** 7. 10. Frau Hürland 5. 10. Dr. Klepsch * 7. 10. Klinker * 7. 10. Lagershausen ** 7. 10. Lange * 7. 10. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich Lemmrich ** 7. 10. Lemp * 7. 10. Lenzer ** 7. 10. Marquardt ** 7. 10. Dr. Mende ** 7. 10. Milz ** 7. 10. Möhring 7. 10. Dr. Müller ** 7. 10. Müller (Mühlheim) * 7. 10. Neuhaus 5. 10. Pawelczyk ** 7. 10. Reddemann ** 7. 10. Dr. Schäuble ** 7. 10. Scheffler ** 7. 10. Schmidhuber ** 7. 10. Schmidt (Kempten) ** 7. 10. Schmidt (München) * 7. 10. Schmidt (Würgendorf) ** 7. 10. Schreiber * 6. 10. Schwabe * 7. 10. Dr. Schwencke (Nienburg) ** 7. 10. Seefeld * 7. 10. Sieglerschmidt * 6. 10. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim ** 7. 10. Dr. Staudt 7. 10. Frau Steinhauer 7. 10. Ueberhorst ** 7. 10. Dr. Vohrer ** 7. 10. Wehner 7. 10. Dr. Wörner 7. 10. von Wrangel 7. 10. Würtz * 7. 10. Zebisch ** 7. 10. Zywietz * 6. 10.
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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: ()
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    „Im Frühjahr 1975 werden wir sichtbar über den Berg sein", 13. Dezember 1974. „Heute in zwölf Monaten wird es anders und besser aussehen", 31. Dezember 1974. „Aus einer Weltrezession haben wir einen Weltaufschwung zustande gebracht", 19. August 1976. „Zwei Drittel der Rezession sind überwunden", 29. September 1976. „Die Bundesrepublik war bei der Abwehr der Wirtschaftskrise erfolgreich", Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976.
    Ich darf ein Wort über die gesamtwirtschaftliche Ausgangslage des Haushalts 1978 sagen. Der Haushalt 1977, Herr Finanzminister, ist im Gegensatz zu Ihrer Meinung kein sicheres Fundament für den
    Aufschwung. Sie wissen doch selbst, wie morsch dieses Fundament ist. Kein halbes Jahr nach den großen Sprüchen hat die Regierung das mittlerweile neunte Konjunkturprogramm seit 1973 beschlossen. Wenn man so wie einige Redner der SPD/FDP auch die Steueränderungen einbezieht, dann ist es das elfte Konjunkturprogramm. Damals hätte man einmal, zweimal kräftig zulangen sollen, „Klotzen statt Kleckern", hätte, als die Inlandsnachfrage nachzulassen begann, unseren von mir an dieser Stelle vertretenen Vorschlag, durch Steuerermäßigungen die Investitionslust und die Kaufkraft zu beleben, annehmen sollen. Statt dessen hat man uns höhnisch überfahren und voller Spott niedergebügelt. Lesen Sie die Reden nach, die damals von Ihrer Seite, auch von Herrn Mischnick, gehalten worden sind! Dann werden Sie heute begreifen, daß wir, wenn wir ernst sprechen, in keiner Weise zornig sprechen, allen Grund haben, diese Leichtfertigkeit und Oberflächlichkeit, mit der man in den Tag hineinlebt, ohne auch nur ein Jahr vorauszublicken, mit allem Recht und allem Ernst heute unter kritischen Beschuß zu nehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, bis vor wenigen Monaten sagte uns die Regierung ein Wachstum in diesem Jahr von 5 % und einen, wenn auch bescheidenen Abbau der Arbeitslosigkeit vorher. Nun, ich weiß es, auch ich habe die heutige Morgenpresse gelesen und möchte das jetzt aus der Tasche heraus weder dramatisieren noch bagatellisieren, aber eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Wenn es von einer Größenordnung von 960 000 auf 911 000 heruntergeht — und das bei gleichzeitigem Anstieg der Zahl der Kurzarbeiter —, so sagt das — es ist der Auguststand, im September gemessen — noch nicht aus, daß hier etwa auch nur der Ansatz zu einer nachhaltigen Wende erfolgt sei. Jeder, der die seit drei Jahren mit der Monotonie einer tibetanischen Gebetsmühle wiederholten Versprechungen des baldigen Daueraufschwungs und eines baldigen Abbaus der kostspieligen Arbeitslosigkeit zu bezweifeln wagte, wurde in jeder nur möglichen Form verketzert und der Schwarzmalerei bezichtigt. Unabhängige Wissenschaftler sahen und sehen sich massiven Einschüchterungsversuchen ausgesetzt. Mitglieder des Sachverständigenrates haben wiederholt darauf hingewiesen, daß die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen. Sie reichen auch nicht aus. Warum folgen Sie uns nicht mit dem zehnprozentigen Konjunkturnachlaß? Warum folgen Sie uns nicht mit einer befristeten 10 %igen Steuersenkung?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie werden es bereuen. Wenn ich so wäre, wie mich Ihre Propaganda hinstellt, würde ich sagen: Laßt sie doch reinlaufen, dann kann ich hernach sagen: Wir haben recht gehabt. Heute sagen wir Ihnen noch: Machen Sie es doch in letzter Minute, kürzen Sie doch die Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer für ein Jahr um 10 °/o, setzen Sie wirksam da an, wo es hilft, wo der Arbeitsmarkt entlastet wird, wo Wachstum gefördert wird, statt daß Sie die Flick-



    Strauß
    schusterei fortsetzen, die wir seit Jahren als Steuerpolitik erleben!

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU)

    Als Sachverständige im August 1977 eine solche Feststellung trafen, mußten sie erleben, daß im SPD-Pressedienst der Vorwurf kam, der Sachverständigenrat spiele eine zunehmend fragwürdige Rolle, betreibe Interessenpolitik, und Mitglieder des Sachverständigenrates betätigten sich als öffentlichkeitswirksame Trommler der Unionsparteien. So das Mitglied des Deutschen Bundestages, der Abgeordnete Dr. Dieter Spöri im SPD-Pressedienst vom 16. August 1977. Ist das Ihr Respekt vor der Unabhängigkeit solcher Gremien, ist das Ihr Respekt vor dem Geist, von dessen Beteuerung Ihr Parteivorsitzender dauernd trieft und tropft, wenn er mit halb tränenerstickter Stimme von der Rolle des Geistes spricht und von unserer Unfähigkeit, die Rolle des Geistes zu begreifen? Muß denn jeder, der einmal etwas bestätigt, was wir sagen, gleich menschlich angegriffen, politisch verleumdet und in seiner wissenschaftlichen Ehre herabgesetzt werden, bloß weil er im Augenblick nicht ins Konzept paßt?

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber Lügen haben kurze Beine. Jetzt hat der noch amtierende Wirtschaftsminister zugeben müssen, daß das Wachstum nicht die vom Bundeskanzler in der Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976 angekündigten 5 bis 6 °/o oder die in dem vom Wirtschaftsminister zu verantwortenden Jahreswirtschaftsbericht angestrebten 5 °/o, sondern nur knapp 3 °/o erreichen werde. Nun, Prozente hin, Prozente her, ein Prozent bedeutet rund 100 000 Arbeitslose mehr oder weniger. Und jetzt wird sogar vom noch amtierenden Wirtschaftsminister das Eingeständnis gehört, daß er die amtlichen Zielprojektionen schon von Anfang an für unerfüllbar gehalten habe;

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    so „Frankfurter Rundschau" vom 16. September 1977. Das heißt, die auch in diesem Jahre ständig wiederholten Aufschwungparolen können nur als Verhöhnung der Bürger angesehen werden. Ohne Rücksicht auf die Auffassung des eigenen Wirtschaftsministers oder dessen Hintergrundgeheimerkenntnisse hat der Kanzler auf der Londoner Wirtschaftskonferenz, dem berühmten Londoner Gipfel, am 8. Mai 1977 die von den Partnern als bindend empfundene Zusage gegeben, in diesem Jahr für 5 % Wachstum zu sorgen. Nicht nur unsere Bürger, auch unsere Partner im Ausland müssen sich doch jetzt als zum Narren gehalten vorkommen.
    Und lesen Sie bitte nach, was ich an dieser Stelle als Sprecher der Fraktion der CDU/CSU am 12. Mai 1977 auf eine Frage gesagt habe, auf die ich keine Antwort bekommen habe. Ich habe nämlich gefragt — ich wiederhole aus dem Gedächtnis —: Herr Bundeskanzler, wie wollen Sie diese Zusage einhalten? Es spricht doch alles dafür, daß sie nicht einhaltbar ist. Und was werden Sie tun, wenn Sie diese Zusage nicht einhalten können? — So war doch damals die Front. Ich weiß noch, wie besserwissendes -Gelächter, höhnische Überlegenheit, spöttische Kritik mir
    entgegengeschlagen hat. Nun, das ist das Schicksal jedes Redners. Aber daß es so schnell zurückschlägt, habe noch nicht einmal ich verdient.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Eine erste Quittung hat die Regierung auf der Währungskonferenz in Washington erhalten, weil sie kritisiert worden ist: Ja, wo bleibt denn euer Aufschwung mit den 5 °/o, die Belebung eurer Nachfrage auf den Weltmärkten? Und bezeichnend für den verbal-optischen Stil der Regierung, die immer Wort mit Tat verwechselt, hat der Herr Bundesfinanzminister seinen Noch-Kollegen Bundeswirtschaftsminister heftig angegriffen, daß er in der Offentlichkeit nur mehr an 3 % Wachstum glaube; nicht, weil er, Herr Apel, der Meinung ist, das sei falsch, sondern weil ihm das Schwierigkeiten bei der Konferenz des Internationalen Währungsfonds einbringe. Das ist genau derselbe Maßstab: Geheim ist, was der SPD schadet, vertraulich bleiben muß, was die Regierung in Schwierigkeiten bringt. Das ist doch bei allem Verständnis für verbale Darstellungskünste nicht die Aufgabe der Regierung, national und international ihren Kredit zu verspielen.
    Im übrigen hat damals der Nachfolger des Herrn Bundeswirtschaftsministers, Herr Graf Lambsdorff — dem ich gleich heute alles Gute für seine Erbschaft wünschen darf —, erklärt, auch aus seiner Sicht — ich habe seine Brille nicht geprüft, er die meine nicht — seien 5 % Wachstum ohne weiteres erreichbar. Wir haben in den letzten Stunden ja wieder einen Blick hinter die — nun, wie sagte Tacitus? — arcana imperii, die Geheimnisse der Macht, die Kulissen der Macht getan. Der Vorhang ist etwas gelüftet worden. Der Finanzminister hat uns überzeugen wollen, wie wirksam die von der Regierung beschlossenen Maßnahmen seien. Aber der Wirtschaftsminister teil die Überzeugung nicht. Er hat das Handtuch geworfen. Auch wenn er heute — aus welchen Gründen auch immer — noch eine letzte Pflichtübung als amtierender Minister machen sollte, so bleibt doch seine Flucht vor der Fahne in einer wirtschaftspolitisch so kritischen Zeit das durch Wortakrobatik nicht wegzudiskutierende Eingeständnis, daß er sich nicht mehr in der Lage sieht, seine Überzeugungen in dieser politischen Umgebung in die Wirklichkeit umzusetzen, sei es im Kabinett, sei es in der Partei, sei es in der Koalition.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich habe in meiner Parteitagsrede, Herr Friderichs, gesagt, nicht der Ruf des großen Geldes, wie es so da oder dort stand, sondern etwas anderes habe Sie weggetrieben — ich habe es ein bißchen unfreundlich gesagt: weil Sie die Rolle des Clowns satt sind —, nämlich die Tatsache, auf Sonntagsreden für die Regierung werbemäßig — sozusagen als Conférencier — Dinge versprechen zu müssen, die Sie selbst am Kabinettstisch und in Ihrer eigenen politischen Umgebung nicht durchsetzen können. Das ist doch der eigentliche Grund für Ihren Rücktritt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Darum gibt es Verwirrung in der Partei, Beklemmung in der Koalition, Krise in der Regierung und einen schlechten Eindruck in der Öffentlichkeit.



    Strauß
    Wenn das bisher vielleicht noch Vermutung, der Wahrheit nachempfundene Vermutung war, dann hat Ihre mutige Rede — aber wenn man geht, ist es immer leichter, als wenn man anfängt oder bleiben muß — auf der gestrigen Mitgliederversammlung des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie dies bestätigt, in der Sie gesagt haben, es gehe nicht an, daß die Demoskopie letztlich die Politik bestimme. Stimmt, das ist eine Auffassung, die ich intra und extra muros immer vertreten habe. Sie sagten weiter: Demokratie ist zutiefst ein Führungsproblem. Ja, auch das stimmt. Und Sie sagten: Wenn es nicht geht, heißt es, die Konsequenzen zu ziehen.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

    Ich kann Ihnen zu dieser Rede nur sagen, daß wir Ihnen — jetzt nicht aus propagandistischen oder parteipolitischen Gründen — hier zustimmen.

    (Zurufe von der SPD: Na, na!)

    Nein, das haben wir immer gesagt. Wer hören und lesen konnte, der konnte in der Diskussion der letzten Jahre und Monate genau das gleiche hören, was ich heute hier sage.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Deshalb muß man die Sonde auch noch etwas tiefer ansetzen. Es geht jetzt nicht darum, daß Regierungsmitglieder ein Bekenntnis zur Marktwirtschaft ablegen, sowie sie Marktwirtschaft verstehen. Es geht nicht darum, daß man das Bekenntnis zur Marktwirtschaft wie eine Fahne mit auswechselbaren Farben vor sich herträgt. Das Wort „Marktwirtschaft" ist eine Art Wieselwort geworden. Der bekannte Nationalökonom Fritz Machlup — bei dem habe ich es einmal nachgelesen — hat den Begriff erläutert: Die Wiesel sind Tiere, die Eier austrinken können, ohne die Schale zu zerbrechen. Das heißt, es bleiben leere Schalen übrig, die man dann mit beliebigen Begriffen füllen kann. So wird der Begriff „soziale Marktwirtschaft" heute von manchen auch verwendet: Die Worthülse bleibt übrig, dahinter wird etwas ganz anderes verstanden und ein ganz anderer Inhalt dann eingefüllt,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    zumindest so lange, bis der gutgläubige Bürger so weit gebracht ist, daß er über die Hürde gezogen werden kann. Denn bis dahin muß er ja bei gutem Glauben erhalten werden.
    Wenn ich an die systemverändernden Vorschläge des SPD-Parteivorstandes denke — ich verstehe Ihre schwierige Lage, Herr Bundesfinanzminister; zwischen uns gibt es manchmal vielleicht sogar mehr Gemeinsamkeiten in der sachlichen Auffassung, als Sie zugeben können oder ich zuzugeben brauche —, so möchte ich Sie fragen, Herr Bundesfinanzminister: Warum reden Sie denn hier nicht über diese Dinge? Ist denn Ihre Partei ein Nichts? Ist Ihre Partei eine leere Geschwätzkulisse, ein hohldröhnender Theaterhaufen? Können die reden und sagen, was sie wollen? Wenn dem so ist, dann ist es eigentlich schade darum, daß so viele Mitglieder, so viele Wähler diese Partei überhaupt ernst nehmen. Oder ist das, was in dieser Partei erarbeitet, auf den Tisch gelegt wird — jetzt auch für den kommenden Parteitag —, ein wesentliches Element der politischen Willensbildung, auch der kritischen Urteilsfindung? Dann müssen die Mitglieder dieser Partei, wenn sie hohe Regierungsämter haben, hier dazu Stellung nehmen, weil es dann kein esoterisches Parteiselbstvergnügen, Selbstbeschäftigungsprogramm mehr ist, sondern weil es dann Schicksal von Volk und Staat ist.
    So müssen Sie z. B. Stellung nehmen, wenn ein Strukturrat der öffentlichen Hand verlangt wird. Gut, der bisherige Konjunkturrat der öffentlichen Hand soll unter Erweiterung seiner Aufgabe ein Strukturrat der öffentlichen Hand werden. Dabei wird das Wort Struktur ziemlich mißbraucht. d. h. von vielen angewandt, die es kaum schreiben können, ihm aber trotzdem verschiedene Inhalte zu geben vermögen. Dann kommt der Strukturrat der sozialen Gruppen. Da wird verlangt, die Konzertierte Aktion zu einer Art überbetrieblichem Mitbestimmungsorgan auszudehnen und daraus einen Strukturrat der sozialen Gruppen zu schaffen. Was heißt denn das? Das bedeutet doch die Entmachtung der Institutionen der parlamentarischen Demokratie.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das wäre doch die Einführung eines Verbands-RäteSystems.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

    Da sagten Sie, Herr Apel — ich muß mich natürlich auf Pressemeldungen verlassen, weil ich nicht an allen Ihren Veranstaltungen fröhlich teilnehmen kann oder darf —, der Vorschlag, Strukturräte zu schaffen, sei ein Bekenntnis zur Marktwirtschaft.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Jetzt verstehe ich auch, daß man einen Würgegriff
    unter Umständen als Halsmassage bezeichnen kann.

    (Große Heiterkeit und Beifall bei der CDU/ CSU)

    Was sollen wir denn noch alles kriegen, Investitionsräte, Strukturräte, Räte zur Planung des gesellschaftlichen Bedarfs, das sind dann Produktionsräte und Verbrauchsräte? Der Markt wird durch Räte ersetzt. Das heißt, der Markt wird durch Manipulationen der Funktionäre ersetzt. Das steckt doch hinter diesen Vorstellungen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dann kommen noch Einführung der vollen paritätischen Mitbestimmung, das nostalgische Klagelied gegenüber der heutigen Koalition, der Leitantrag zur Energiepolitik. Ich kann nur sagen: Nichts vergessen und nichts dazugelernt!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die SPD schlägt genau die Mittel zur Krisenlösung vor, die die Krise entscheidend mitherbeigeführt haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Können Sie sich denn nie aus dem Teufelskreis marxistischer Spätvorstellungen lösen?

    (Widerspruch bei der SPD)




    Strauß
    Können Sie sich denn nie von der Wahnidee lösen, daß die Vergesellschaftung der Produktionsmittel — Sie nennen es nur anders — der Weg zu weniger Freiheit, zu weniger Wohlstand, zu weniger Gerechtigkeit, zu weniger Gleichheit ist und nicht der Weg zu Heil, Gerechtigkeit und Glück auf Erden? Nehmen Sie doch bitte einmal Verstand und Vernunft an.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Hier nützt auch die Berufung auf das Ausland nichts. Ich könnte nachweisen, Herr Bundeskanzler, daß Ihre Behauptung über die Wirkung des Vietnamkrieges auf die Weltwährungszusammenhänge und das amerikanische Zahlungsbilanzdefizit einfach nicht stimmt. Herr Bundeskanzler, ich könnte Ihnen nachweisen, daß wir nur durch den Umfang des Exports gerettet worden sind. Dieser Export machte von Jahr zu Jahr — mit einer Ausnahme — einen höheren Anteil des Sozialprodukts aus, wesentlicher höher, als es Willy Brandt bei seiner ersten Regierungserklärung überhaupt national für tragbar erklärt hat. Dieser Export ist ein Loblied auf den deutschen Arbeiter, auf den deutschen Unternehmer, ihre Qualität, ihre Präzision und ihre Pünktlichkeit, aber nicht auf die Qualität der Regierung, sondern auf die Qualität der Leistung; und das ist ein Gegensatz.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Nur der Export hat uns davor gerettet, noch eine zweite Million Arbeitslose als Dauererscheinung in Kauf nehmen zu müssen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

    Wenn Sie das SPD-Diskussionspapier „Grundwerte in einer gefährdeten Gesellschaft" sehen, dann beginnt das mit der Forderung nach Einkommensnivellierung, mit der Forderung nach bürokratischer Verteilung des Arbeitsvolumens. Wir wollen jedem mehr Einkommen verschaffen. Aber wir halten gar nichts von der Gleichmacherei auf diesem Gebiet, weil sie nur weniger an Wohlstand bringt, weil sie weniger an Freiheit bringt, weil sie weniger an Gerechtigkeit bringt, weil sie weniger an Selbstverwirklichung bringt, weil sie weniger an Humanität bringt.
    Soziale Marktwirtschaft schließt — das muß man zugeben — auch Ungleichheit der Einkommen ein. Wesentlich ist nicht der neiderfüllte Blick nach dem, der mehr verdient, sondern der beruhigte, befriedigte Blick auf das Ergebnis der eigenen Leistung, der Blick auf die Situation, in denen unsere Väter als arbeitende Menschen mit ihren Familienangehörigen gelebt haben, und die Situation, in der wir heute leben können. Das ist der Unterschied. Es darf nicht um den Neid gegenüber dem anderen gehen, dem der Schrei nach der Gleichmacherei folgt.
    Nehmen Sie unsere Überzeugung zur Kenntnis: Nur die Soziale Marktwirtschaft, die wir nicht ihres Begriffsinhalts berauben und entleeren lassen, garantiert erstens Vollbeschäftigung, zweitens hohe Arbeitsproduktivität, drittens gerechtes Verhältnis zwischen Lohn und Leistung, viertens ausreichende Investitionen auf allen Gebieten — Ersatz, Erweiterung und Modernisierung —, fünftens angemessenes
    Wachstum, sechstens Widerstands- und Leistungsfähigkeit des sozialen Sicherungssystems, siebtens Freiheit und Würde der Menschen im Wirtschafts. prozeß, achtens sinnvolle Funktion der Gewerkschaften — man muß ja erschrecken, wenn man liest, was auf dem Kongreß der IG Metall von einzelnen hochmögenden Rednern gesagt worden ist —, neuntens genügend Arbeitsplätze und Bildungsmöglichkeiten für die Jugend, zehntens Wettbewerb, elftens wissenschaftlich-technischen Fortschritt und nicht zuletzt zwölftens außenpolitische Durchsetzungsfähigkeit.
    Ich möchte hier — ich wollte, man könnte darauf verzichten — auch mit aller Offenheit darauf hinweisen, daß dieselbe Entwicklung innerhalb der FDP Platz gegriffen hat. Die beiden Papiere der Friderichs-Kommission und der Baum-Kommission sind doch nur durch magische, wortreiche Schlangenbeschwörerkünste nur oberflächlich auf einen halbwegs gemeinsamen Nenner zu bringen. Das stimmt doch einfach nicht. Graf Lambsdorff, machen Sie sich doch dabei nichts vor! Sie erleben doch jetzt, wie die Dinge in Ihrer Partei aufbrechen. Ich habe von dieser Stelle aus gesagt: Ihre Judos sind noch gefährlicher als die Jusos; denn das ist die Playboy-Variante der jungen Marxisten geworden. Da haben die Väter nur mehr Geld.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Ergebnisse der Perspektivkommission „Aktuelle Perspektiven des sozialen Liberalismus", Leitung Staatssekretär Baum, und die Erkenntnisse der Kommission „Grundzüge liberaler Wirtschaftspolitik", Leitung Bundesminister Friderichs: das sind doch Programmpapiere zweier völlig verschiedener Parteien. Ich messe einer Partei nicht die Aufgabe zu, eine uniforme Marschkolonne zu sein, eine geistige Uniformierungsschmiede etwa zu sein. Aber jede Partei muß noch ein gewisses gemeinsames Wertordnungssystem haben, wenn sie nicht bloß eine Begriffshülse aus einigen Buchstaben ist, deren Maschinerie in Wahlen auftritt, um Mandate zu erwerben und ihre Funktionäre in Posten und Pfründe zu hieven. Eine Partei muß doch etwas sein, was für den Bürger eine bestimmte Marke darstellt. Was er dann von der Marke hält, ist eine andere Frage. Darum haben wir ja Pluralismus und geistige Freiheit, damit er sich zwischen verschiedenen Parteien entscheiden kann. Aber zur geistigen Freiheit gehört auch die Sicherheit des Bürgers vor der verbalen Täuschung, die mit solchen Programmen verbunden ist.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, dasselbe gilt ja auch — ich habe es vorhin in anderem Zusammenhang erwähnt, und unser Fraktionsvorsitzender wird sich damit noch eingehender befassen —

    (Zuruf von der SPD: Geht das? — Dr. Ehmke [SPD] : Wer?)

    für die Frage der Energiepolitik, der Kernkraftwerke. Was Helmut Schmidt in Nürnberg anläßlich des Jubiläums der Arbeitsverwaltung sagte, das müssen doch Sie sich hinter Ihren Spiegel stecken.



    Strauß
    Hier sagte er doch, daß Zehntausende von Arbeitsplätzen auf dem Spiel stehen, und zwar akut wegen der Auftragssperre und auf lange Sicht wegen der Energieversorgung.
    Wo liegen denn die Schwierigkeiten dieser Regierung? Jetzt platzt doch der ganze Schwindel von der obstruktiven Opposition. Wir haben immer und überall Solidarität geübt, wo es die Sache erfordert hat. Wir lassen uns aber nicht unter dem Stichwort „Solidarität" einen Maulkorb umhängen und damit alles unter einen Teppich kehren, auf den wir dann gemeinsam treten sollen. Das ist der Unterschied zwischen falscher Solidarität und echter Verantwortung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir können einfach nicht damit einverstanden sein, daß die Steuerung durch den Markt durch kollektive Entscheidungen von Gremien mit anonymer Verantwortung und ohne persönliches Risiko der Herren Räte ersetzt werden soll. Wir können das, was in dem einen Papier der FDP betont wird, nicht anerkennen, nämlich daß im Rahmen der gegenwärtig bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der Staat seine planende und gestaltende Tätigkeit nicht ausreichend zur Geltung bringen kann. Was ist denn übriggeblieben vom Erbe Ludwig Erhards? Hat nicht Herr Genscher betont: Wir haben Ludwig Erhard zum Erfolg verholfen! Jawohl, das stimmt. Wir hatten damals nicht die ausreichende Mehrheit. Ich war damals Abgeordneter im Wirtschaftsrat der Christlich-Sozialen Union und der gemeinsamen Fraktion. Wir hatten eine ganz hauchdünne Mehrheit. Hut ab vor jener FDP, die damals den Mut hatte, wider den Zeitgeist mit uns gemeinsam hinter Ludwig Erhard die große Reform durchzuführen!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Was ist denn daraus geworden, wenn man diese politische Entwicklung, wie sie seit Jahren allmählich demontiert wird, als eine „Strategie der autoritären Restauration", als eine „Strategie der sozialen Polarisierung" bezeichnet? Diese Ausdrücke haben doch mit dem liberalen Gedanken- und Geistesgut nichts mehr zu tun. Das sind doch Leihgaben aus dem Arsenal, aus der Mottenkiste marxistischer Klassenkämpfer, aber nicht Begriffe, wie sie integrierende Liberale verwenden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Warum hat denn Frau Schuchardt, eine liebenswürdige Kollegin

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    — in anderer Umgebung sehe ich sie durchaus gerne —,

    (Erneute Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    die Friderichs-Kommission verlassen? Wahrscheinlich aus Zeitmangel. Oder stimmt es, daß Herr Friderichs im Hinblick auf die Vorschläge der Baum-Kommission gesagt hat: Nur über meine Leiche? Die Leiche heißt — horribile dictu — Abmarsch zur Dresdner Bank.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Pfui! Volksverhetzer!)

    — Ich habe nicht solche Ausdrücke wie einer Ihrer Freunde im Zusammenhang mit dem Fall Schleyer gebraucht. Wenn Herr Friderichs aber im Hinblick auf die Vorschläge der Baum-Kommission gesagt hat: nur über meine Leiche!, so ist doch sein Entschluß — ich tadele ihn nicht wegen dieses Entschlusses; ich verstehe ihn ja — als Ausweg zu verstehen, weil er mit den Inkompatibilitäten, Unvereinbarkeiten und Gegensätzlichkeiten der Entwicklung innerhalb seiner eigenen, von ihm wahrlich geförderten politischen Partei nicht mehr zurechtkommen kann. Unterstellen Sie mir nicht einen Sinn, den ich meinen Worten nie gegeben habe.

    (Widerspruch bei der SPD)

    Ich kann noch Deutsch, andere vielleicht nicht mehr!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Eines der größten Probleme ist die heute schleichende oder trabende, vielleicht morgen in Galopp verfallende Tendenz des Vertrauenschwundes der Bürger. Hervorgerufen haben diesen Vertrauensschwund die ideologischen Gaukler und Wolkenschieber in unserem Land, die unfähig und unwillig sind, Ursachen und Zusammenhänge der Probleme zu erkennen und offen auszusprechen. Wir müssen mit der parteipolitisch selbstgefälligen Heuchelei Schluß machen. Das gilt für jedermann. Wir müssen den Dingen auf den Grund gehen und dem Bürger gegenüber die Dinge so darstellen, wie wir es auf Grund unserer Kenntnisse — ohne ideologische Scheuklappen — zu tun vermögen.
    Darum kann ich nur die beschwörende Mahnung aussprechen: Kehren Sie doch zurück zur wirtschaftspolitischen Vernunft und zur finanzpolitischen Solidarität und Solidität! Machen Sie doch Schluß mit der finanzpolitischen Leichtbauweise! Herr Apel, Sie sind ein finanzpolitischer Hollywoodarchitekt, der finanzpolitische Wolkenschlösser und Filmburgen gebaut hat. Schluß mit den sozialpolitischen Täuschungsschlössern, Schluß mit den falschen Alibis, Schluß auch mit der Suche nach den falschen Sündenböcken!
    Begonnen hat das Unheil — das war nicht nur bei uns so — mit der Überforderung des Sozialprodukts, mit Umverteilungswünschen, die mehr umverteilen wollten, als überhaupt an Substanz insgesamt erzeugt worden ist. Wohin die Verteilung führt, was sie ergeben soll, muß dann der Kampf der gesellschaftlichen Gruppen, mit legalen Mitteln ausgetragen, ergeben. Deshalb haben wir ja die Tarifautonomie, die wir erhalten wollen. Seien Sie sich aber über folgendes im klaren: Wer ein verfassungsmäßig verankertes Recht nur auf einen Arbeitsplatz verlangt — eine sehr bescheidene Forderung, die ein Arbeitsdienststaat, er mag braun oder rot sein, jederzeit erfüllen kann —, muß auch die Tarifautonomie aufgeben. Dann kann man jedem einen Arbeitsplatz zuweisen. Welchen Arbeitsplatz und was er dafür bekommt, ist eine andere Frage.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es ist doch seit dem Herbst 1969 — die ganzen Jahre hindurch — kein Fehler vermieden worden. Bei inflationärer Erwärmung eine kräftige Aufblä-



    Strauß
    hung der Staatsausgaben, massive, volkswirtschaftlich unvernünftige Erhöhung der Lohn- und Lohnnebenkosten, Nachfragedruck, Kostendruck haben bewirkt, daß die Inflation zu greifen begann. Der Nachfragedruck aus dem Inland hat umgeschlagen. Nur der Nachfragedruck aus dem Ausland hat uns vor einer Massenarbeitslosigkeit von zwei Millionen Menschen bewahrt. Der Kostendruck aber ist weiter gestiegen. Investitionsbereitschaft und Investitionsfähigkeit sind entscheidend angeschlagen worden. Zu den Fehlern gehört auch der Unfug, daß man Stabilitätspolitik zunächst nur mit monetären Maßnahmen betrieben hat, daß man auch die Steuern nicht richtig eingesetzt hat und den Haushalt über Jahre hinweg überhaupt nicht herangezogen hat. Dadurch ist die Fehlentwicklung erheblich beschleunigt und begünstigt worden. Dann kam die Ablenkungspolitik durch Herausstellung staatlich anerkannter, parteipolitisch diffamierter, manchmal sogar gewerkschaftspolitisch vorgeschlagener Sündenböcke. Das Ziel waren Tarnung auf der einen Seite und Entlastung der wirklich Schuldigen auf der anderen Seite.
    Zu dem, was in diesen Tagen zu lesen ist, möchte ich — hier geht es nicht darum, irgendeine Gruppe anzugreifen oder sich selbst in das rechte Licht zu rücken — ein Wort sagen, das ehrlich gemeint ist und das nicht mißverstanden und nicht mißdeutet werden darf. Wir bejahen die Daseinsberechtigung, Funktion und Aufgabenstellung der Gewerkschaften in vollem Umfang. Niemand kann aber von uns verlangen, daß alles das, was hochmögende DGB-Funktionäre an Urteilen abgeben und Forderungen aufstellen, von uns im Sinne von bindenden Kommandos gehorsam übernommen wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Der DGB-Vorsitzende Vetter schreibt in seinem Brief von Anfang September: Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Leistungsdruck, Jugendliche ohne Ausbildung — das sind die Ergebnisse unternehmerischer Alleinherrschaft. — Hier haben Sie die zentralen Themen, Herr Kollege Apel, die Ihre ausländischen Partner nicht verstehen. Sie haben doch gestern hier erklärt, im Ausland verstehe es kein Mensch, daß es hier in der Bundesrepublik zentrale Diskussionsthemen gebe, weil bei uns dank der Weisheit und Unfehlbarkeit unserer Regierung alles so glänzend geordnet sei. Nun hören wir auf einmal von Ihrem Parteifreund Vetter, immerhin dem obersten Mann der deutschen Gewerkschaften: Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Leistungsdruck, Jugendliche ohne Ausbildung. Seine Schlußfolgerungen: Folgen unternehmerischer Alleinherrschaft.
    Der Vorsitzende der IG Metall, Herr Loderer, sagt:
    Arbeitslosigkeit gehört zur langfristigen Strategie der Unternehmer. Die Reservearmee von Arbeitslosen ist das Kernstück ihrer Machtpolitik.
    Der Vorsitzende der IG Druck und Papier sagt:
    Zu den unternehmerischen Heucheleien zählen auch die Ver-Schleyerungen,
    — dies ist am 12. September 1977 erschienen; wenn man hier ein mißbilligendes Wort ausspricht, müßte man es wohl in diesem Zusammenhang sagen —
    wonach die Löhne zu hoch, die Gewinne zu niedrig, die Entwicklung der Lohnkosten der Schlüsselfaktor der wirtschaftlichen Entwicklung seien.
    Loderer hat den Arbeitgebern auf dem Kongreß der IG Metall dann noch psychologische Kriegführung vorgeworfen. Er sagte, die Arbeitgeber mißbrauchten die Arbeitslosigkeit zur Disziplinierung der Arbeitnehmer.
    Ich sage ausdrücklich: Lohnpolitik ist nicht allein eine Sache der Gewerkschaften. Wenn wir Mahnungen oder Vorwürfe an die Adresse der Tarifpartner richten, dann meinen wir beide Seiten. Wer aber über den Faktor Arbeit verfügt, hat eine mächtige Waffe in der Hand. Es ist einfach entweder grobe Unkenntnis der Arbeitswelt, die ein Gewerkschaftsvorsitzender nicht haben darf, oder Irreführung, wenn er sagt, die Alleinherrschaft der Unternehmer habe diese Dinge, die er so bitter beanstandet, herbeigeführt. Damit darf ich wohl die Frage verbinden: Wann werden die hohen Funktionäre endlich begreifen, daß sie für die arbeitenden Menschen da sind und nicht Entschuldigungs-, Beschwichtigungs-
    und Ablenkungsautomaten für die SPD-Regierung und ihre Verhaltensweisen sind?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Leider ist es so, daß die Führungsschicht sozialistischer Parteien und der Massengewerkschaften mehr und mehr von Akademikern besetzt und gesteuert werden, die mit dem eigentlichen Anliegen der Arbeiterschaft, das wir ernst nehmen und dem wir uns verpflichtet fühlen, wenig oder nichts zu tun haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie sind ihr intellektuell entfremdet. Zur Tarnung gibt man sich dann vulgär-radikal. Ein Soziologe unserer Zeit sagte einmal, der Arbeiter ist nur noch der theoretische Vorwand für die Verfechtung radikaler Ziele; er ist nicht mehr als arbeitender Mensch Ausgangspunkt und Ziel der sozialistischen Überlegungen, sondern er ist ein unmündiges Instrument oder ein Vehikel der Revolutionierung für manche geworden, d. h. Verbrauchsmaterial für die Änderung der Gesellschaft. Ich warne — ich sage es hier — vor einer Allianz von ideologiefreien opportunistischen Technokraten, intellektuellen Schwärmern, akademischen Systemveränderern und politischen Pietisten, die zusammen nicht nur mit dem Segen der aus dem Geleise der Liberalität geratenen Playboy-Marxisten, den Judos, sondern auch älterer entgleister Teile des liberalen Lagers, des liberalen Zuges einen bürokratisch-sozialistischen Macchiavellismus erzeugen, dem auch Helmut Schmidt trotz gelegentlicher Stoßseufzer mangels echter Wertmasse nicht völlig fremd — vielleicht aber jedenfalls hilflos — gegenübersteht.
    Zuerst macht man die soziale Marktwirtschaft funktionsunfähig, dann verlangt man ihre staatliche Kontrolle, ihre Bevormundung, ihre Planung, ihre



    Strauß
    Steuerung, ihre Lenkung, um dann festzustellen, daß ihre Reste beseitigt, daß sie durch eine andere Wirtschaftsordnung ersetzt werden müsse. Hier liegt der Kern der Probleme. Von diesem Kern lassen wir uns nicht abbringen. Das ist der zentrale Gegenstand der Auseinandersetzung. Unsere Bürger haben einen Anspruch darauf, mündig, wie sie sind, Herr Brandt — siehe Regierungserklärung —, von den Parteien zu hören, wie sie zu diesem Thema stehen und was sie hierzu Echtes auszusagen haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Lassen Sie mich daraus eine Schlußfolgerung ziehen. Der Bürger spürt, daß das System der politischen Willensbildung in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr in Ordnung ist. Warum? Es gibt keine Regierung mehr, die mit ihrer Mehrheit regieren kann. Dafür gibt es aber statt zwei vier Regierungsparteien: SPD zwei, FDP zwei. Es geht jetzt hier nicht um die Frage, die wir nicht nur im Wahlkampf, sondern auch anderswo, und zwar aus Überzeugung, in den Raum gestellt haben — auch als Ausrufezeichen —: Freiheit oder Sozialismus. Die SPD hat ohne jeden Zweifel eine marxistische Komponente; die FDP hat eine liberal-sozialistische Komponente. Die Verhältnisse sind schlaglichtartig beleuchtet, erhellt worden durch die Abstimmung über das Kontaktsperrengesetz, sind vorher auch angedeutet worden durch die Diskussion über die vor einigen Monaten beschlossenen Steuererleichterungen.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Das war entlarvend!)

    Die SPD hat — das ist eine Feststellung, keine Unterstellung — ihr Verhältnis zum Marxismus nie geklärt. Sie hat sich nie von ihm lossagen können, weil sie befürchtet, wesentliche Teile zu verlieren. Ich wollte, es gäbe einen demokratischen Sozialismus als klar definierbaren Begriff; auch das ist ein „Wieselwort", eine Utopie. Kennzeichnend ist doch die Linksgerechtigkeit der Nivellierung statt der Sachgerechtigkeit der Leistung, die Unvereinbarkeit des Gegensatzes zwischen Erwartung und Verheißung einerseits, Erfüllung und Verwirklichung andererseits, Gleichheit statt Gerechtigkeit, Freiheit der Gesellschaft statt Freiheit des einzelnen. Damit wird die Einheit aufgelöst, die für uns heißt: parlamentarische Demokratie, demokratischer Rechtsstaat und Soziale Marktwirtschaft.
    Wer die Untat begeht, den Konflikt als einzige Wahrheit der Geschichte und der Gesellschaft zu predigen, der darf sich nicht wundern, wenn die Saat in der nächsten Generation, wenn sie erwachsen ist, aufgeht.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Unsere Geschichte, die unsere Kinder lernen sollen, darf sich nicht in Konfliktlehre erschöpfen. Der Konflikt ohne Konsensus zerstört menschliches Glück und staatliche Gemeinschaft.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Warum versuchen denn Marxisten, ihre Ziele in der Bildungspolitik durchzusetzen? Ich sage nicht: Sozialdemokraten. Ich kenne viele in der Bildungspolitik, meine Damen und Herren von der SPD, wie Herrn Nipperdey, wie Herrn Schwan und viele andere, die als Mitglieder Ihrer Partei, zum Teil seit Jahrzehnten, auch heute noch dieser Partei treu bleiben wollen, mit denen wir uns aber in der Sorge — ich darf sagen — nahtlos verbunden fühlen. Das ist keine Polemik, das ist keine Schlagwortauseinandersetzung, hier geht es um die letzten Problemwurzeln unserer menschlichen, politischen Existenz, die einmal geklärt werden müssen und nicht durch den Schaum und die Phraseologie der Funktionäre und ihrer akademischen Spinner verwischt und verwoben werden dürfen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Warum bemühen sich denn marxistische Bildungspolitiker, die Völker von einem kontinuierlichen Geschichtsbewußtsein zu trennen? Warum denn? Weil der Marxismus keine Geschichtslehre, sondern Irrlehre ist, weil, wer Geschichte kennt, sich den Marxismus nicht zu eigen machen kann. Der Marxismus ist unbrauchbar als Geschichtsdeutung, unbrauchbar als politische Ökonomie, unbrauchbar als soziologische Disziplin, unbrauchbar als politische Philosophie. Und der Marxismus ist auch unbrauchbar für die Anwendung im täglichen Leben. Er ist auch als philosophische Lehre unbrauchbar. Er ist eine profanierte Religion, mehr als ein wirtschaftswissenschaftliches System. Wie allen profanierten Religionen hängt ihm deshalb der Fanatismus an, der Fanatismus bis zur Predigt und Anwendung der offenen Gewalt in den entfernten Ablegern, die sich gebildet haben. Damit möchte ich auch einer vergiftenden Deutung, dieser öffentlichen Lüge widersprechen. Wenn es bei uns eine rechte Fememordorganisation gäbe, wie es sie in der Weimarer Republik einmal gegeben hat, Sie können überzeugt sein, daß ich hier mit derselben Schonungslosigkeit und Offenheit gegen diese menschenverachtende, Gesundheit, Leben und Freiheit zynisch mit Füßen tretende Würdelosigkeit und Brutalität zu Felde ziehen würde.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber hier haben wir heute kein Recht mehr, die Hintergründe zu verwischen, die Ursprünge zu leugnen oder parteipolitische Süppchen zu kochen oder opportunistische Vernebelungsmanöver irgendwelcher Art zu machen.
    Sozialistische Analysen sind unfähig zur Selbstkritik. Darum ist das Wort von Willy Brandt so töricht, wenn er sagt: „Kritische Geister dürfen nicht als Sympathisanten der Terroristen identifiziert werden." Wir sind bestimmt keine Sympathisanten der Terroristen. W i r sind die kritischen Geister, die sich gegen den „Zeitgeist" in diesem Lande gestellt haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Kritische Geister sind doch nicht nur diejenigen, die in den großen Lobgesang „Te Deum laudamus" etwa für die Regierung ab 1969 eingestimmt haben. Kritische Geister sind wir, die wir uns nicht von den Phrasen haben benebeln lassen, die mit Lebensqualität und mit Gerechtigkeit und Glückseligkeit und Menschlichkeit usw. in die Welt gesetzt worden



    Strauß
    sind, wie alle Ideologen den Himmel auf Erden versprechen und in Wirklichkeit den Weg zur Hölle mit den Steinen ihrer Ideologie pflastern.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die einzige Kritik, zu der sozialistische Kritiker fähig sind, ist die Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft, an der liberal-bürgerlich-parlamentarischdemokratischen Gesellschaft, unfähig zur Kritik sich selbst gegenüber und ihrem eigenen System gegenüber. Dabei braucht man nur die Augen aufzumachen, um das erbärmliche Fiasko der marxistischen Wirklichkeit gegenüber einer an Erfahrung, Vernunft und geschichtlicher Wirklichkeit und Lehre aufgebauten staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung zu sehen.
    Das Unglaubliche ist die psychologische Anfälligkeit gewisser Kreise für marxistische Denkansätze. Die Revolution ist kein Arbeiterproblem. Sie ist ein Intellektuellenproblem.

    (Breidbach [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Das wird verschlimmert, wenn freischwebende Intelligenz keine unmittelbare Verantwortung in der Praxis hat, der tatsächlichen Erfahrung ermangelt und wenn sie Verneinung mit Kritik verwechselt.
    Die SPD hat eine große Programmgeschichte. Aber ihre ganze Programmgeschichte stand immer unter dem Zwang, Marx zu tarnen, statt sich endlich von ihm zu trennen. Siehe die Zielvorstellungen einer marxistisch-sozialistischen Gesellschaftsänderung, die immer wieder, selbst im Schlußkapitel des Godesberger Programms durchleuchten. Sie erwähnen Marx namentlich nicht. Aber was ich heute an Programmen zitiert habe — ich habe es sorgfältig gelesen —, das ist nichts anderes, als Marx schrittweise und unter Verbergung der letzten Ziele in die politische Wirklichkeit umzusetzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Hier muß einmal Klarheit in unserem Lande geschaffen werden.
    Warum sage ich das, meine Damen und Herren?

    (Porzner [SPD] : Rechnen Sie damit, daß der Präsident diesen Teil zur Haushaltsrede des Finanzministers durch die Mittagspause unterbricht? — Gegenrufe von der CDU/ CSU)

    — Der Präsident braucht meine Rede nicht durch die Mittagspause zu unterbrechen. Aber gerade Sie täten gut daran, Herr Porzner, mich hier nicht zu unterbrechen; ich komme gleich zum Schluß.

    (Lachen und Zurufe von der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich werde Ihre Redezeit im Hinblick auf die Bedeutung des Gegenstandes gemäß § 39 der Geschäftsordnung nicht begrenzen, und ich werde bei den folgenden Rednern ebenso verfahren.

(Beifall bei der CDU/CSU)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Franz Josef Strauß


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Ich komme gleich zum Ende.
    Aber das sind doch die Dinge, die uns bewegen. Wenn Sie einerseits Benneter ausschließen — ein großes Ablenkungsmanöver, aber ein Kompensationsmanöver —, wenn andererseits in Berlin-Zehlendorf zwei alte Sozialdemokraten ausgeschlossen werden, weil sie als Mitglieder der Notgemeinschaft für die Freie Universität das Volksfrontbündnis sozialdemokratischer und kommunistischer Studenten in der Offentlichkeit angegriffen haben, muß ich doch fragen: Seit wann klagt man diejenigen an, die einen Mißstand offenlegen, statt derjenigen, die den Mißstand zu verantworten und zu verschulden haben?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie wissen, was Professor Schwan in seinem Aufsatz in der „Deutschen Zeitung" geschrieben hat — er ist Ihr Parteifreund, nicht der unsrige —:
    Ich meine, daß es jetzt auf eine Klarstellung ankommt, welchen Weg die SPD in unserer parlamentarischen Demokratie eigentlich gehen will und ob ihr die Grundsätze des Godesberger Programms noch etwas bedeuten. Die Linke ist ohne Zweifel in dieser Partei im Vormarsch.
    Er fährt dann fort:
    Die Warner werden durch scheinsoziologischen Intellektualismus, durch marxistisches Parteichinesisch und am meisten durch eine kaltschnäuzige Kadertaktik vergrault.
    Das schreibt ein sozialdemokratischer Professor.
    Ich erinnere auch an das, was Professor Nipperdey, Mitglied Ihrer Partei, zu diesem Thema geäußert hat. Warum schließen Sie Herrn Kronawitter nicht aus, immerhin Münchner Oberbürgermeister, der heute nur mit Hilfe der CSU in München noch regieren kann? Er hat doch in einem Brief an Willy Brandt erklärt: Stamokap, das sind Kommunistenfreunde, Stamokap-Leute sind Verfassungsfeinde. Trennen Sie sich von allen Stamokap-Leuten, nicht bloß von einem, ich würde sagen, Oberschwammerl, der an ihrer Spitze steht.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Schließen Sie alle Ihre Stamokap-Leute aus!


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Er sagt:
    Stamokap-Leute sind Verfassungsfeinde, die überhaupt nicht zum öffentlichen Dienst zugelassen werden dürfen.
    Herr Rothemund, Landesvorsitzender, mein Kollege nach dem Abtritt von Hans-Jochen Vogel, sagt, man sehe keinen Anlaß, gegen Herrn Kronawitter ein Parteischiedsverfahren zu unternehmen. Wie steht es denn damit, daß in Kreisen der Jungsozialisten oder der Jungdemokraten in Berlin, Augsburg, München dieser schändliche Buback-Nachruf mit der heuchlerischen Begründung nachgedruckt wird, es handle sich hier um die Erfüllung eines Informationsbedürfnisses. Man kann Dinge lange Zeit durch körperliches Gewicht oder verbale Beschwichtigungsmanöver zudecken. Aber auf die Dauer lassen sich diese Dinge nicht mehr künstlich den Augen der Offentlichkeit entziehen. Wie ist



    Strauß
    es denn Herrn Genscher ergangen? Warum werden die Berliner Jungdemokraten nicht ausgeschlossen? Hier ist die Scheidelinie. Das ist in einem demokratischen Staat mit einem demokratischen Parteiensystem nicht mehr erträglich.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Und hier liegen die Ansätze, die Gefahren für die Zukunft.
    Darum habe ich mich — ich sage das auch hier ganz offen — darüber empört, daß der Parteivorsitzende der SPD im Juli einen Brief schreibt, diesen noch im August veröffentlicht und die Regierung, Sie, Herr Bundeskanzler, die Garnitur, die hier auf den beiden Bänken sitzt, ermahnt, Sie sollten mehr gegen die Gefahren rechtsradikaler Umtriebe unternehmen.

    (Dr. Marx [CDU/CSU] : Das ganze Ausland schreibt es!)

    Ich bin der Meinung, man soll auf beiden Augen wachsam sein, aber man braucht nicht mit zwei Augen in die falsche Richtung zu schauen,

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    wenn aus der anderen, der richtigen Richtung die Gefahr kommt.
    Weiß Willy Brandt denn nicht, welchen Bärendienst er damit Deutschland, dem Ansehen des deutschen Volkes, unseren demokratischen Parteien erwiesen hat?

    (Beifall bei der CDU/CSU — Rawe [CDU/ CSU] : Das Schlimme ist, er weiß das wirklich! — Dr. Marx [CDU/CSU]: Er weiß es!' — Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Er hat das absichtlich gemacht!)

    Ich habe die Wirkung persönlich erlebt — nicht an mir selbst —, weil ich in dieser Zeit in den USA und in Kanada war, in der der Brief in der Zeitungsdiskussion, in der öffentlichen Diskussion eine große Rolle spielte, als ob in Deutschland nun mehr Hitler ante portas wäre. Helmut Schmidt hat darauf vernünftig reagiert; er hat das Ganze für blühenden Blödsinn erklärt. Aber was ist das für eine Partei: Der Parteichef warnt vor der großen Gefahr des Rechtsradikalismus, die letzte Säule der SPD — der Dichter sagt: „Auch diese schon geborsten, kann stürzen über Nacht" ;

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    aber wir wünschen es ihm nicht einmal —, er sagt: Das ist reiner Unsinn. Wenn man erlebt, was in den letzten Wochen und Tagen, nicht zuletzt mit der Kappler-Entführung, an deutschfeinlicher Haßkampagne in der Welt inszeniert worden ist, nicht spontan entstanden ist, wenn man liest, was „Le Monde" geschrieben hat, wenn man liest, daß unsere Polizeibeamten in Holland von namhaften Zeitungen als SD-Beamte herabgesetzt werden, wenn man liest, daß sich Herr Croissant für die sozialistisch-kommunistische Revolution einsetzt, wenn man das alles wahrnimmt — die Bilder des armen Schleyer, Rote Armee Fraktion, die Grüße der „Rote Armee Japans" —, kann man doch nicht sagen: Das hat mit links nichts zu tun. Ich habe Achtung vor den demokratischen Linken und habe sie immer gehabt: ich respektiere sie. Ich kann mir unter demokratischem Sozialismus nichts mehr vorstellen.
    Was wir als Bürger und als die Erbauer dieses Staates gemeinsam, Sie und wir, verlangen müssen, sind endlich die geistige Klärung und die politische Schlußfolgerung aus dieser Klärung, damit wir wieder ehrlich und offen zusammenstehen, der Gefahren uns erwehren und die Aufgaben bewältigen können.

    (Langanhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)